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German Pages 546 Year 1917
Jahrbücher
für die
deutsche Armee und
Marine.
Verantwortlich geleitet
von
Keim , Generalleutnant.
1917
Januar bis Juni
64
BERLIN SW 11. Verlag von Georg Bath . Bernburger Straße 24/25.
Printed in Germany
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdamı.
Inhalts -Verzeichnis .
Seite Baumberger , Hauptmann, Die Bewohner der okkupierten Gebiete Belgische Neutralität
126 245 61
v. Bonin , Dr. jur. , Zur Geschichte des Fahneneides . Broßmer , Professor, Oberleutnant d . R. , Aus der Praxis der Kriegs135 jugendwehr 268 Die Jungschützenbewegung im Auslande 78 Die katholischen Jugendorganisationen 190 Die soziale Bedeutung der Schweizer Rekrutenprüfung 1 Volkstum und Heimat als Grundlagen der Wehrerziehung 53 Müller , Im Soldatenheim Wilna .
v. Pflugk -Harttung , Kriegsminister v. Boyen zu Beginn des Feld66, 142 zuges 1815 34 · Pudor , Dr. , Das vaterländische Hilfsdienstgesetz 82, 173 · 7, • Rhazen , Generalleutnant, Der rumänische Feldzug Feldmarschall Conrad von Hötzendorfs erste große Stunde im 255 Weltkriege . v. Richter, Generalmajor, Die Artillerie unserer Feinde im jetzigen 109 Kriege Riensberg, Oberst, Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung . . 157, 231 , 281 Frhr. v. Welck , Oberstleutnant, Die belgischen Greuel im Urteil 120 eines Neutralen • 207 • Friedensangebot und Ablehnung 44 . Kavallerie in Kurland . 193 , 215 Woelki , Oberst, Deutsche Bildung 226 Zeiß , Oberst, Idealismus im Wehrdienst 55, 103, 155, 203, 249, 295
Bücherbesprechungen
A P )
C E
口
( R
Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher 59, 108 , 156, 206 254, 301
496340
I.
Volkstum und Heimat als Grundlagen der Wehrerziehung .
Von Prof. Broßmer, Oberleutnant der Reserve.
Man kann
nicht sagen ,
daß vor dem Kriege die Jugendpflege
und Jugendfürsorge in breiten Schichten unseres Volkes eine warme, zu freundlicher,
tätiger Mitarbeit geneigte Aufnahme gefunden
und
ihre Bedeutung für das Volksganze in ethischer, physischer und biologischer Beziehung erfahren hätte.
die
nötige Aufmerksamkeit
Allerdings
punkte der Linderung
arbeiteten unter
täglicher
heimatliche Körperschaften
Not
oder Wertschätzung
dem sozialen Gesichts-
oft vielfach ganz im Stillen
edler Menschen aus dem Gefühl aufrich-
tiger Nächstenliebe heraus und legten lindernd ihre Hand auf manche tiefe Wunde, die an der Oberfläche kaum zu sehen war . Aber die dringende Notwendigkeit einer moralischen Beaufsichtigung und körperlichen
Förderung der
schulentlassenen
Jugend
beider Geschlechter
war noch nicht ein wichtiger Gegenstand der wesentlichen Sorge aller erziehungspflichtigen Personen geworden. Der heutige Tag hat den Wert des Einzelmenschen in der fliegenden Reihe der Generationen und als Summand mit schicksalschwerem Ernst zum Ausdruck kommen lassen. Die bis zur letzten Grenze durchgeführte Einreihung der Männer aller Stände schönsten
in
den
Rahmen
Sinne Landsmannschaften ,
des Wehrdienstes formte im
fern von
der Heimat, aber in
starkem gemeinsamem Sehnen nach ihr. Und während die sozialen Schranken vor der wuchtigen Aufgabe einer Erhaltung des Volkes, seines Lebens und des heimatlichen Herdes in sich zusammenstürzten , wurden wir gleichzeitig umschlossen von denselben Gedanken und Hoffnungen bewußter Zukunftswünsche. Das gemeinsame Erlebnis verhindert, daß die Glieder eines Volkes wieder völlig auseinanderfallen. Die allgemeinen Grundsätze nationaler Forderungen und der 1 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 544.
2
Volkstum und Heimat als Grundlagen der Wehrerziehung .
neuen Bahnen
einer vaterländischen Erziehung unseres Nachwuchses
auch im reiferen Jünglingsalter werden von der Gesamtheit und in den Hauptzügen in Zukunft
wie wir alle
hoffen
wohl gleich-
mäßig erkannt und gefördert werden. Die Erweckung eines staatsbürgerlichen Pflichtbewußtseins in dem Volksgewissen als Triebkraft bei der Gestaltung des äußeren Lebensweges und des tieferen Seeleninhalts der heranwachsenden Geschlechter ist der einzige hoffnungsvolle Weg zu einem bleibenden Erfolg. Achtung vor der vaterländischen Arbeit auf allen Seiten ist das feste Fundament des gegenseitigen Verständnisses und eines starken Zusammenschlusses unter rücksichtsvoller Duldung innerer Entwickelungsgänge oder sozial zu begründender Wandlungen. Wie neuzeitlich die Forderung der Volkstümlichkeit im weiteren Sinne für die körperliche und sittliche Seite der Wehrerziehung erscheinen mag, so feierte sie in echtester und kernigster Formulierung doch schon ihren hundertsten Jahrestag. In den Boden des „ gemeinen Volkes " suchte Friedrich Ludwig Jahn in der Morgenröte des neunzehnten Jahrhunderts die Gedanken seines „ Deutschen Volkstums " einzuwurzeln ,
nicht ,
wie wohl überwiegend
angenommen wird , allein von seinem berühmten körperlichen Bildungssystem ausgehend. Die verschiedenartigen Eindrücke , die der fahrende Geselle von seinem Volke auf Wanderungen von einer Hochschule zur anderen gewonnen hatte, ließen ihn Sitte, Sprache und Charakter mancher Landschaft erkennen und vergleichen.
Und dann tönt nach
wechselvollen Jünglingsjahren die starke Stimme des reifen Mannes in klangvoller Beredsamkeit seinen Mitbürgern im „ Deutschen Volkstum" ( 1810) entgegen mit dem brennenden Wunsche , der ihn in gleicher Stärke bis an sein Lebensende erfüllte : Die Einheit Deutschlands. Deutschlands Einheit war der Traum meines erwachenden Lebens, das Morgenrot meiner Jugend , der Sonnenschein der Manneskraft und ist jetzt der Abendstern , der mir zur ewigen Ruhe winkt. " (Schwanenrede 18. September 1848.) Jahns 99Deutsches Volkstum ", das von dem technischen Betrieb der Leibeserziehung nichts enthält , gibt alle sittlichen Grundlagen der Wehrhaftmachung in so wirksamer und begeisternder Sprache,
daß er 1814 in die unter Freiherrn von Stein stehende „ Generalkommission für die Deutsche Bewaffnungsangelegenheit als Agitator für die ethische Wehrschulung des ge-
samten deutschen Volkes, besonders der ehemaligen Rhein bundstaaten , berufen wurde . So hat er selbst in weite Kreise die Anschauung von dem moralischen Wert seines Turnens als eine vaterländische Pflicht des Einzelnen und als notwendige Folgerung einer abgerundeten sittlichen Bildung legen können. Ungeheuere Kräfte sah er schlummern , durch das Gewirr der Ereignisse in ihrer Wirkung gehemmt, aber zu
1
Volkstum und Heimat als Grundlagen der Wehrerziehung.
3
starkem Strome des Volkstums vereint, mächtig genug, die äußeren Hindernisse zu überwinden und das Erstehen des deutschen Wesens zu sichern . Friedrich Ludwig Jahn besaß in seiner Persönlichkeit die Sammlungskraft,
aus vielem Kleinen das große Gemeinsame im Denken,
Fühlen, Handeln und Wandeln zu gestalten, einen Volkscharakter zu erwecken. Unter diesem aufbauenden , sittlichen Gesichtspunkte müssen die praktischen Erfolge der ersten Jahre deutscher Turnerschaft betrachtet werden . Dann versteht man die tiefe vaterländische Begeisterung und das ethische Wesen dieser großartigen Bewegung, ihre unwiderstehliche Anziehung, die sie auf jeden entschiedenen Mann ausüben mußte, ihre wärmende und wirkende Macht , ihr edles und biederes Streben und ihren Reichtum an ringendem Leben . wachende Männer, sich reckende Menschen gingen aus der Wiege
Helden , gerade der
deutschen
Turnerschaft ,
dieser volkstümlichen Erneuerung deutscher Art , hervor. einmal geistiges Leben und körperliches Schaffen
Auf-
Bürger und edle aus
Wo war je
harmonischer und
unzertrennbarer verknüpft als in dem wehrtüchtigen Turnervolk vor und nach dem Befreiungskrieg ? „ Volk , Deutschheit und Vaterland “ waren die Hochgedanken der Jahnschen Kreise . Von Mund zu Mund und von Ohr zu Ohr wurde die neue Auffassung deutscher Männlichkeit aus dem Hasenhaider Kreise in die übrigen Gaue getragen. Und wie durch eine fortgesetzte Teilung der Äste bald ein unübersehbares Baumwerk entsteht, so vermehrte sich durch das Werben von Herz und Geist die Zahl in stets steigendem Maße. Ein kleines Volk war erstanden , innerlich gefestigt durch das Ineinanderleben" Momente, der
unter
denselben
Ideen.
Die
staatserhaltenden
staatsbürgerliche Wert der deutschen Turngemeinden
lag in dem Gedanken einer Teilnahme des Bürgers um Wohl und Wehe des Ganzen , eines Einleitens zu der Erkenntnis der natürlichen Bedürfnisse eines reich gegliederten Gemeinwesens, einer Erziehung Wehrmann zum streitkühnen, verteidigungsfreudigen Volksmanne. und Bürger waren bunden .
an der Quelle
dieses Gesinnungsstromes eng ver-
Körperbildung zur Sicherheit des Vaterlandes entsprang aus
dem gepflegten Streben nach gewissenhafter Pflichterfüllung gegen Volkstum und die Bedürfnisse des Staates. Der Schutz les Volkssitzes hieß ursprünglich :
Land- Wehr, ein Wort,
bezeichnung noch heute Geltung hat.
das als Formations-
Der alte Sinn des Ausdruckes ,
der eine allgemeine Bürgerpflicht in sich schließt, bedingt die Erreichung einer bestimmten Waffenfertigkeit durch jedes männliche Volksglied gleichsam als flüssige Gestalt des Volksheeres, das in den Tagen allgemeiner Gefahr in die feste Form des Heeres gegossen wird . 1*
4
Volkstum und Heimat als Grundlagen der Wehrerziehung .
„Erst wenn alle wehrbare Mannschaft durch Leibesübung waffenfähig geworden, streitbar durch Waffenübungen , schlagfertig durch Kriegsspiele und Immergerüstetsein , kriegskühn durch Vaterlandsliebe ― kann ein solches Volk ein wehrhaftes heißen . " Volkstum . )
(Jahn ,
Deutsches
Wenn in dem Willen nach Wehrhaftigkeit eine ethische Äußerung echten Volkstums zu erblicken ist ,
so drückt es sich zuerst und am
wärmsten in der Freude und Anhänglichkeit an dem Leben der engeren Heimat aus . Wer die väterliche Scholle kennt, liebt sie , hält fest an Form und Inhalt und verteidigt Kampfes nicht nur,
wie Fichte so schön
sie
sagt :
im Zeichen des
„ Durch die Gewalt
der Arme und durch die Tüchtigkeit der Waffen" , sondern auch durch die 99 Kraft des Gemüts " . Beide vereint sind sie jedem Feinde gewachsen.
Eines
allein geht einen falschen Weg.
von Verständnis für
Die
Erweckung
die Stimmungen der Heimat seele, für die Töne
und Farben der Heimatkunst und für
die Erhaltung der Denkmäler
sind Lehrgebiete, wo der Kopf durch das Herz unterstützt werden muß und welche als innerste Grundlagen einer gesunden Wehrerziehung gelten sollten .
Im besonderen Maße auch darum ,
sinn als ein uns alle
umschließendes Band
schon
weil der Heimatim Frieden jenes
gleichmäßige Bürgergefühl erzeugen kann , das nun im Kriege unsere Kraft so mächtig wer en ließ .
Die Volksschule hat ihren Zöglingen
immer den Pulsschlag der Heimat
fühlen lassen .
freudlosen, frühzeitig beginnenden,
selbständigen Arbeitsperiode
werktägigen Kindes
geht der
Aber in der oft des
aufheiternde Zusammenhang mit dem
tragenden Grunde der Heimat verloren,
ein Reif legt sich
auf die
junge Blüte und zerstört die keimenden Anfänge erwachender Persönlichkeit . Es entsteht ein mürrisches, in kaltem Gleichmaß dahinschreitendes Geschöpf.
Darum
müssen die Vereine,
und Mehrer des Himatgedankens tätig sind,
die als Träger
die Führung und Be-
lehrung der arbeitenden Jugend als wirksames Mittel eines praktischen Erfolgs ihre Bestrebungen
in
die Arbeitsordnung aufnehmen .
es als ein Gebot der Nächstenliebe gilt,
Wie
die harte Not des Alltags-
kampfes für die schwer verdienenden Schichten zu mindern , so ist es eine dankbare Aufgabe, in Herz und Sinn der Arbeiterjugend Heimatfreude durch Führung Vorträge, Wort und Bild zu erzeugen . kärgliche Muẞezeit
muß durchdrungen werden
Ihre
von einem fröhlichen
Streben, das den schwarzen Ernst ihres Daseins zeitweilig unterbricht und ihren Arbeitsgedanken in
das Ganze
läßt als einen Faktor des Heimatwesens, Vaterlandes.
einordnet und verstehen des Volkstums
und des
Volksfreude könnte am schönsten aus dem verödeten Grunde
5
Volkstum und Heimat als Grundlagen der Wehrerziehung. der Volksfeste emporsprießen .
Sie sind einmal in deutschen Landen
in hoher Blüte gestanden und gingen
fast alle von dem Augenblick
an dem sicheren Verfall entgegen, wo das Schwinden des frohen Wettkampfes Kraft und jugendliches Lachen sich nicht mehr mischen . ließ. Ein denkwürdiger Tag mit heimatgeschichtlichem oder vaterländischem Untergrund lenkt die Gedanken aller Teilnehmer auf einen Punkt. haben ,
Soll das so muß
Fest
in
jährlich
alten Gedanken
eingeführt
und
in der frohen
Wettkampfes sich tummeln können . erfüllende Zug Zeiten die
wiederkehrender Folge
Bestand
das ewig neu Heranwachsende, die Jugend ,
nach
wehrhaften Eigenschaften läßt
kann .
zu
des
bestimmten
körperlicher Jugendpflege
sammeln unter einer großen geistigen Idee,
legenheiten äußerer
Selbsttätigkeit
Gerade der uns alle gleichmäßig
erprobten Schattierungen
ein Volksredner erläutern
in die
Volksfeste
sich
deren Wert und Umfang müssen regelmäßige Ge-
und innerer Sammlung sein ,
wenn sie die poli-
tischen Strömungen überdauern und zum bleibenden Besitz der Nation werden
sollen .
Das Kriegsministerium hat inmitten der Kriegszeit
Wettkämpfe im Wehrturnen für die landsturmpflichtige Jugend ausgeschrieben, die in Ostpreußen unter dem sinnigen Namen „ TannenVielleicht gibt diese Veranstaltung bergfeier" zum Austrag kommen. in manchen Landesteilen Anlaß im
Rahmen
eines
zu einer regelmäßigen Wiederholung
geschichtlich begründeten Volksfestes
Gesichtspunkt wehrtüchtiger Jugend Stärkung des nationalen Lebens.
und
der
unter dem
Ausgestaltung
und
Der technische Inhalt volkstümlicher Jugendkämpfe steht einmal im Dienste der gesundheitlichen Wohlfahrt des Ganzen
und ist zu-
gleich als Kristallisationspunkt der neuzeitlichen Wehrkraftidee anzusehen. Der bezeichnende Sonderzug ihrer stark aufblühenden Tätigkeit besteht in der beachtenswerten Abwechslung, die eine natürliche Folge des scharfen Ringens verschiedenartiger Körpersysteme darstellt, aber auch in der strengen Forderung im
einer überlegenen Gewandtheit
feldmäßigen Nahkampf und in der Anwendung behelfsmäßiger
technischer Mittel bei Deckung, Angriff und der Überwindung von natürlichen und künstlichen Hindernissen . Zuäcǝhst noch eine Zeit mehr des Ringens als des Gelingens , wohl solange , bis eine gesetzliche Form , die sich mannigfaltig regenden Kräfte in vollen Einklang gebracht hat. Neu ist auch hier nur die Schale ; der Kern wurde von Friedrich Ludwig Jahn geborgen, der als wichtige Teile seiner gründlichen Turnkunst das Üben des Auges Kletterturm , betrieb.
das
Fechten ,
von einem
Schwimmen
Das Werfen und Schleudern ,
und
zu erglimmenden
allerlei Kriegsübungen
als Zweig des frohen Kräfte-
spiels, feiert in unseren Tagen ein mehr als hundertjähriges Gedenken.
6
Volkstum und Heimat als Grundlagen der Wehrerziehung .
Und die heute vom Kriegsministerium, wenn auch nicht verlangte, so doch den Vereinen des Deutschen Schützenbundes und dem neu erstandenen Wehrmannsbunde gestattete Ausbildung der Jungmannen mit der Waffe deckt sich mit bestimmt geäußerten begründeten
Ansichten
Friedrich Ludwig
Jahns,
und eingehend
der den
hegte, neben jeder Turnstätte eine „ Schießbahn " zu sehen . hebende Beispiel der Tiroler Standschützen ,
Wunsch Das er-
die sich schon vor dem
Kriege auf eine breite volkstümliche Basis stützten, hat uns gezeigt , daß es Fälle gibt, in denen ein Land seine volle Männerkraft,
nicht
nur die Felddiensttauglichen , sondern auch die militärfreien Leute der unmittelbaren Landesverteidigung zur Verfügung stellen muß. tümlich und heimatsberechtigt
Volks-
sind eben durch die Kraft ihres ge-
schichtlichen Sinnes in erster Linie die Übungen mit dem Ger , dem Bogen,
der Armbrust und dem Gewehr.
Armbrust
bedingen
Muskelkraft,
Schießen
mit Bogen und
Gemütsbeherrschung
und
Augen-
gewöhnung und eignen sich durch die spannende Weise ihrer Ausübung in hervorragendem Maße als Mittelpunkt von Jugendkämpfen neben der Kunst des Springens, Laufens und Turnens im engeren Sinne. Harte Kämpfe sind bisweilen um die Berechtigung und das Ansehen einer oder der anderen Körperbildungsart ausgefochten worden. Man hatte vergessen , daß alles, was heute webt und wirkt, schon in den deutschen Erziehungsidealen Jahns enthalten und zugleich durchtränkt war mit sittlichen Werten und vaterländischen Neigungen in einem so harmonischen Grade , wie er für unsere Zeit vorbildlich sein. kann. Aus der Tatsache, daß im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts , Geister erwachten " , die bürgerliche Freiheit erkämpft in dem die wurde , die demokratische Vielgestaltigkeit und der größere Bewegungswille der einzelnen Personen anschwoll, volkstümliche Zusammenhänge auseinandergerissen wurden, läßt sich erklären , daß nunmehr ein starker Hang nach Zusammenschluß zum Nutzen höchster Kraftanspannung in die Erscheinung tritt. Aber immer , wenn die Erkenntnis innerer und äußerer Einheit der deutschen Wehrerziehung betont wird
als eine Voraussetzung für die tiefere Einigung
aller
Stände unseres jetzigen Volkes muß in Dankbarkeit des eigentlichen Vaters
deutscher Wehrerziehung,
des
weitesten und volkstümlichsten Sinne, dacht werden.
Turnen
im
Friedrich Ludwig Jahns,
Schöpfers
vom
ge-
7
Der rumänische Feldzug .
II . Der rumänische Feldzug. Erster und zweiter Abschnitt¹).
Von Rhazen . Generalleutnant z. D.
Der vor allem durch den Druck Rußlands bestimmte Augenblick des Eintritts Rumäniens, des zweiten Meineidigen unserer Gegner, in den Weltkrieg, eines Eintrittes, der als Faktor der Stärkung der Entente gedacht war, aber äußerlich und innerlich zu einem Element der Schwächung dieser geworden ist,
hing eng mit der dämmernden
Erkenntnis der allgemeinen Lage durch den Vierverband und mit der bei ihm im stillen Herzenskämmerlein beginnenden Agonie mancher Hoffnungsblüte zusammen . Ende August hatte in den Reihen unserer Gegner,
zumal der Franzosen,
die Erkenntnis
sich Bahn gebrochen ,
daß die als Entscheidung größten Stils gedachte Sommeoffensive, die nicht nur an der Westfront, sondern der Gesamtheit der Kriegsschauplätze dreier Weltteile Ziel,
den rettenden Umschwung bringen sollte ,
ihr
unsere bis dahin unerschütterlich gebliebene Westfront endlich
zu durchbrechen und splitternd aufzurollen , nicht erreicht habe, und kaum erreichen werde . Der ungeheure Druck der durch wahre Blutmeere gewateten Brussilowschen Offensive war, trotz einer mit wahrer Verachtung von Menschenleben gischen Zielen ferngeblieben .
fortgesetzten Wucht,
seinen strate-
Kowel, Wladimir-Wolhynsk,
erst recht
der Bug, Lemberg und der Eintritt in Ungarn , lagen hinter unseren undurchbrochenen Fronten . Aus Sarrails von Geburt an schon an der Schwäche der unzulänglich breiten, unsicheren Grundlage leidenden Offensive war damals eine Defensive geworden, die unter starkem deutsch-bulgarischem, beiderseits zur Umfassung heranreifenden Druck stand.
Da rief Rußlands Druck, noch ehe dies die
von Bratianu
dem größten Schufte auf dem an solchen nicht armen Balkan als Vorbedingung für den Eintritt seines Landes in den Vierverband verlangten Leistungen auch nur zum Teil geliefert waren , Rumänien auf den Plan. Von Rumäniens Teilnahme hatte sich die Entente eine durchgreifende Wendung der Lage auf der ganzen Ost- und Südostfront versprochen . Sie sollte das bisherige Gleichgewicht der Kräfte an der über den
uns zugetrauten Krafteinsatz erheblich hinaus zu
1) Abgeschlossen am 1. November 1916.
8
Der rumänische Feldzug.
verbreiternden Ostfront zugunsten der Entente
endgültig verschieben
und die wieder aufgenommene Sommeoffensive durch Kräftebindung Deutschland daran hindern , diese Verschiebung wieder auszugleichen . Das war der hoffnunggeschwellte Plan der Entente. Heute liegt er in Scherben.
Gibt diese Tatsache dem bis-
herigen rumänischen Feldzuge schon die Signatur , so gewinnt dieser noch eine besondere, nämlich die des Schulbeispiels für die Richtigkeit des Moltkeschen Satzes, daß , Fehler im ersten Aufmarsch oft im Laufe eines ganzen Feldzuges nicht mehr gutzumachen sind . bestätigt er die Lehre von den den Koalitionen
meist
Ferner
anhaftenden
Schwächen in der Kriegführung , und endlich den Erfahrungslehrsatz , daß
und um so mehr, je größer die
derjenige den Erfolg hat -
gelungene Überraschung ist des Handelns
der es versteht, dem Gegner das Gesetz
vorzuschreiben.
Uns sollte widerspruchslos
der feind-
liche Wille aufgezwungen werden . Den Spieß umkehrend haben wir im rumänischen Feldzuge den Gegner dem unsrigen fügsam gemacht . Rumäniens
Beitritt
zum
Vierverbande
hat
Deutschlands größten
Führer, wie dieser selbst ausgesprochen, nicht mit Schrecken, sondern mit Freude erfüllt , denn im Südosten hat er uns aus dem Stellungskriege heraus, in den frischen Bewegungskrieg hineingebracht. Denkt man an den durch die Erfahrung bestätigten Satz, daß die Politik die Verhältnisse schafft, unter denen ein Land in den Krieg eintritt, so muß schon deshalb - wie die italienische 1915 die Politik Rumäniens als eine stark in die Irre gegangene, die Lage falsch beurteilende, bezeichnet werden , denn der Moment der Kriegserklärung trägt den Stempel der verpaßten Gelegenheit . Eine Reihe von Wochen vorher hätten die Verhältnisse für den Eintritt in den
Krieg günstiger
gelegen .
Günstiger selbstverständlich
besonders dann, wenn dabei Rußland bedingungen auch schon erfüllt hätte,
die ihm auferlegten Vordie Bratianu als conditio
sine
Landes
qua
non
Keine war es. Ungarn in
der
Teilnahme
seines
bezeichnet
Weder waren Kowel - Lemberg und die Pässe
russischer Hand,
noch Sarrails Offensive in
merkbarem, geschweige kräftigem Vorschreiten.
hatte. nach
auch nur
Ein schwerer Rechen-
fehler zeigte sich bald in dem Kräftekalkul, denn, die Westfront unerschütterlich haltend , die russischen Massenstürme im Osten zum Stehen bringend ,
haben
wir Kräfte verfügbar gehabt,
den
neuen
Gegner und seine russisch- serbische Hilfe an einer sehr empfindlichen Stelle zu überraschen und ihm dort das Gesetz des Handelns zu entwinden .
Um so empfindlicher für ihn,
als er selbst eine Über-
raschungsoffensive zu führen geplant hatte , und dies selbst auf Kosten der völligen Bereitschaft seiner Gesamtkräfte, an welcher
Der rumänische Feldzug .
9
er offen und besonders im geheimen doch monatelang gearbeitet Sind die Erklärungen richtig, die um den 20. Oktober herum hatte. der rumänische General Avarescu durch Freunde dem Berichterstatter des „ Daily Telegraph " geben ließ. Erklärungen , in denen indirekt auch der fehlerhafte erste rumänische Aufmarsch zugegeben wurde, und die eigentlich die gemachten Fehler beschönigen sollten , so haben wir noch einen zweiten schweren politisch-militärischen Irrtum Rumäniens Nämlich die jedenfalls die eigne bzw. der Entente , festzustellen . Neigung zum Wortbruch zugrunde legende Annahme , Bulgarien werde sich vom Vierbunde lossagen , oder doch wenigstens Rumänien nicht Man kann
den Krieg erklären .
dies
aber kaum
anders , denn als
eine nichtige Ausrede auffassen , da seit dem Bukarester Straßenraub 1913 Bulgariens Gefühle gegen Rumänien doch nicht wohl unbekannt sein konnten . Avarescus Freunde haben dem Berichterstatter desselben Blattes dann in seinem Auftrage auch den ersten OperationsAvarescu hütet sich dabei vorsichtig,
plan verraten und begründet .
der treibenden Kraft des „ sacro egoismo " , dem Streben zuerst nach Besitznahme der Gebiete, die Rumänien als Lohn verlangte , die Rußland Rolle , die sie in Wirklichkeit gespielt hat, zuzuerkennen . hatte das größte Interesse daran, Bulgarien baldigst durch die gemeinDas war der same russisch- rumänische Offensive niederzuwerfen. Dabei muß
russische Plan .
es sonderbar erscheinen ,
daß Rußland
abgezweigten Kräften zunächst ein so
seinen nach der Dobrudscha geringes Ausmaß gegeben hat. Geben uns Avarescus Erklärungen so schon einen Leitfaden in dem Wirrnis der Entschlüsse der rumänischen Kriegführung, so ist es von Interesse, nachzuforschen , wie der rasche Wechsel entstanden ist : Mit den Hauptkräften hatte Rumänien den Aufmarsch gegen die Ost- und Südgrenze Siebenbürgens vollzogen, als die Kriegserklärung erfolgte. Etwa 600 km maß die gegen Bulgarien zu verteidigende Front, die von den Russen besetzte von Dorna Watra bis Pinsk etwa 700 km, von da ab bis zur Ostsee ungefähr 750 km .
Mit der
meuchlerischen rumänischen Kriegserklärung fiel unmittelbar der strategische Überfall zusammen . Am 28. August gab der rumänische Generalstab bekannt, daß die russischen Truppen den Durchmarsch durch die Dobrudscha begonneu hätten, was er am 1. September durch die Mitteilung ergänzte,
die eigenen und
alliierten Truppen
hätten die Versammlungsräume an der Südfront (Donau und Dobrudscha) erreicht.
Wie
dürfte es sich
man aus
Namen geben will) nächst
um
nachherigen Feststellungen
schließen kann ,
um die III . (wenn man der Nordarmee nicht diesen
ein
rumänische Armee,
aus
Russen
und
etwa 6 Divisionen ,
Serben
kombiniertes
und zu-
Hilfskorps
10
Der rumänische Feldzug.
( 2 Divisionen) gehandelt haben, deren Führung in rumänischer Hand Beiderseits der Südostecke der hier fast rechtwinklig gestalteten
lag.
Grenze
Siebenbürgens
überschritten
Westen aus gerechnet,
drei
rumänische
wo ihr linker Flügel,
Armeen
von
nämlich zum Flanken-
schutz abgezweigte Teile bei Orsova - Petroszeny lag, die I. , II. und die
Nordarmee,
bei
welch letzterer
wieder
eine
Nordgruppe als
Flankenschutz gedacht war und mit den Russen gemeinsam operieren sollte , das Grenzgebirge
und drängten
die schwachen
ungarischen Sicherungsabteilungen zurück.
österreichisch-
Das fast kampflose Auf-
geben der Grenzgebirgspässe und kostbaren siebenbürgischen Bodens ist vielfach verurteilt worden. Man darf aber nicht vergessen, daß Moltke die Strategie die „ Kunst der Aushilfen" genannt hat und diese Kunst im geeigneten Augenblick auch hier einsetzte. Es würde zu weit führen, die Einzelgefechte darzulegen, durch die es, zum Teil unter schweren Verlusten
trotz der gegenüberstehenden Minderheiten
den Rumänen gelang, von Norden gezählt durch den Tölgyes-, Gyimes- , Oitoz-, Galener-, Tomöser-, Predeal-, Törzburger-, Rotenturm-, Vulkanpaß , wie über Herkulesbad- Orsova in Siebenbürgen einzudringen , am wenigsten weit mit der Westgruppe der I. Armee .
Folgen wir den ,
übrigens nicht zuverlässigen , zum Teil bewußt unwahren , rumänischen Berichten, so wurde nach der am 27. August, 9 Uhr abends , überreichten Kriegserklärung an Österreich zu derselben Zeit, wo Bratianu sowohl, wie der König, noch die Aufrechthaltung der Neutralität feierlich versicherten die Mobilmachung begonnen ( ?) und griffen in der Nacht zum 28. rumänische Truppen die österreichische Grenze an. Nach dem Bericht vom 29. überschritten Sonntag nachts auf der nördlichen und westlichen Front rumänische Truppen TölgyesPaß,
Kostelek-,
Oitoz- Paß ,
Bodzawan-, Predeal-
und Töresvar-Paß,
Porcsest nördlich des Rotenturmpasses, südlich Petroszeny die Höhe 973 und das Jiultal . Der Bericht stellt fortgesetztes Vorrücken auf der Nord- und Nordwestfront nach allen Richtungen, Besetzung des Tatrangtales bei Brasso ( Kronstadt). mehrerer Orte südöstlich dieser Stadt und des Industriezentrums von Petroszeny fest, der vom 31 . spricht von demselben Glück in der Vorbewegung und Besetzung von Kronstadt. Er verschweigt, daß östlich Herkulesbad, wo man rasch auf Karansebes am Temes, dann an die Maros, vorwärts zu kommen gehofft hatte, rumänische Angriffe abgeschlagen wurden .
Eine Rück-
verlegung der im Csik-Gebirge kämpfenden österreichisch-ungarischen Truppen in Stellungen westlich von Csik- Szereda geben unsere Verbündeten ehrlich zu . Nach dem Tagesbericht unserer Verbündeten vom 1. September waren bei Orsova und Herkulesbad abermals abgeschlagene
rumänische
Angriffe
festzustellen,
Hermannstadt
und
11
Der rumänische Feldzug,
Sepsi - Szt- György waren schon am 30. August, der Lage entsprechend geräumt worden . Während am folgenden Tage bei Hermannstadt und nördlich Kronstadt der Gegner nur langsam folgte, und im Gyorgyö-Gebirge sich bündeten,
neue Kämpfe entwickelten , hatten unsere Ver-
nach fünftägigem erfolgreichem Widerstande,
die
Vertei-
digungslinie auf das Westufer der Cerna zurückverlegt, die dem Gegner eine harte Nuß zu knacken gab. Die freiwillige Räumung von Hermannstadt muß dem Gegner noch nicht bekannt gewesen sein, denn nach dem Tagesbericht vom 3. September beschoß rumänische Artillerie
die
Stadt und
sahen sich im
Gebirge
vorfühlende
Er-
kundungsabteilungen durch österreichische Artillerie abgewiesen , während auf dem rumänischen Nordflügel beiderseits der Bistritz , also im Raum von Dorna Watra, deutsch- österreichische mit rumänischen Vortruppen im rumänischen Grenzgebiet in enge Gefechtsfühlung traten. So war die allgemeine Lage in Siebenbürgen , als ― und das gibt diesem Tage
für den ganzen rumänischen Feldzug
den ihm von uns aufgedrückten Stempel
in der Dobrudscha
Feldmarschall von Mackensen mit bulgarisch-deutschen Truppen , von der Linie Warna- Rustschuk ausgehend, dem Gegner das von ihm als sicherer Besitz betrachtete Heft der Offensive aus der Hand riẞ, von Süden die Dobrudscha verriegelte , gleichzeitig seine linke Flanke gegen die Donau sichernd, Sarrail auf sich selbst anwies und dem Vierbunde
den um Sarrail gelegten Halbkreis erleichterte .
Das
ist die Signatur des 2. September , des Tages des Beginnens der kraftvollen Aktivität des Vierbundes auf dem rumänischen Schauplatze , kung auch
die bald ihre direkte Einwir-
auf die siebenbürgische Front
Die 99 Kunst der Aushilfen " trug ihre
Früchte .
zeigen sollte.
Der Vierbund be-
stimmte, wo gegen den neuen Gegner der Schlag zu führen sei und hat sich das Gesetz des Handelns seither nicht wieder entwinden lassen.
Die kurzen Sätze des Tagesberichts der Obersten
Heeresleitung vom 3. September : Meere
die Dobrudscha-Grenze
ist
„ Zwischen Donau und Schwarzem von deutschen und bulgarischen
Truppen überschritten , der rumänische Grenzschutz unter Verlusten von ihnen zurückgeworfen " , gaben den Auftakt
der Offensive
des Vierbundes ab. Der bulgarische Bericht von demselben Tage nannte schon Kurtbunar, an der von Dobritsch nach Silistria führenden Straße und durch eine westlichere Kolonne auch Akadinlar als besetzt, während Front
nach
der
dem deutschen Bericht des folgenden Tages vor der
den
Vormarsch
fortsetzenden
Hauptkräfte
bulgarische
Kavallerie bei Kokmar (nordwestlich Dobritsch) rumänische Infanterie in
Unordnung und
unter Gefangennahme
eines
ganzen Bataillons
12
Der rumänische Feldzug.
zurückwarf. Flanke
Am 4. beginnt die Operation zur Sicherung der linken
der deutsch- bulgarischen Hauptkräfte gegen Unternehmungen
von der Donau, wo solche durch Brückenköpfe bei Tutrakan , Silistria, später Rasova,
gedeckt
wurden.
Aus der Richtung von Rustschuk
und von Süden her angefaßt, fallen die befestigten Vorstellungen von Tutrakan deutsch-bulgarischen Truppen Bulgaren auch Dobritsch nehmen , rumänische
Bataillone
zersprengen,
in die
Hand ,
während die
durch Kavallerie wieder mehrfach und
deutsche
Seeflugzeuge mit
nachdrücklichem Erfolge Bukarest und die Erdölanlagen von Ploesti unter Feuer nahmen . Bericht,
Am 3. bereits hatten, nach dem bulgarischen
auf Silistria vorgehende Truppen dem Gegner nördlich von
Havkoy eine schwere Niederlage beigebracht, am 4. die Brückenköpfe von Tutrakan und Silistria isoliert, zum 5. abends alle Forts von Tutrakan bis auf zwei erstürmt, einige Tausend Gefangene und 33 Geschütze erbeutet und gegen etwa eine rumänische Division, gegebener starker russischer Kavallerie, entscheidenden Kampf geführt. Am 6. September
mit bei-
nordöstlich Dobritsch
2 Uhr nachm . strich ,
einen
nach heftigem Kampf
auf der zweiten Verteidigungslinie, Tutrakan kapitulierend die Flagge . Ein Zwölftel der aktiven rumänischen Regimenter, ein Zehntel der Reserveregimenter,
ein Sechstel der Reservedivisionen
beigegebenen
Haubitzbatterien, zunächst 20000 Gefangene (die sich bald auf 22000 erhöhten), waren die Beute des Siegers, der an demselben Tage auch eine
zur
Unterstützung
von
Tutrakan
Silistria
aus
rumänische Division etwa 20 km südöstlich Tutrakan , niederschlug und auf die Festung zurückwarf.
gekommene
bei Sarsinlar,
Die am 5. , 6. und 7 .
in der Umgebung von Dobritsch tobenden heftigen Kämpfe endeten am 7. mit voller Niederlage der 61. russischen , einer russisch - serbischen und der 19. rumänischen Division. Die blutigen Verluste unserer Gegner in allen diesen Kämpfen erwiesen sich als ungewöhnUnter dem Eindruck des unaufhaltsamen Vorgehens lich schwere . der
Heeresgruppe Mackensen zogen die
kampflos aufzugeben .
in Stadt und Festung ein . Frieden eingebüßt ,
Rumänen es vor,
Silistria
Am 10. September rückte bulgarische Kavallerie Was die Bulgaren durch den Bukarester
hatte ihr gutes Schwert
wiedererobern geholfen.
Dem Gegner hart
zum großen Teil schon auf den Fersen , setzte
Mackensen die Verfolgung nordwärts fort . Werfen wir jetzt
einen Streifblick auf Siebenbürgen.
Was
in den Karpathen russischerseits geschah, stand ohne Frage unter dem Leitmotiv ihrer Mitwirkung Absichten
im
nördlichen
bei
den
Siebenbürgen.
rumänischen
An der
Nordost-
front Siebenbürgens war eine gewisse Zurückhaltung Rumäniens wohl
13
Der rumänische Feldzug. von
dem Wunsche diktiert worden,
zunächst die Erfolge der
russischen Anstürme gegen die Stellungen der Mittelmächte in der südwestlichen Bukowina und in den ostgalizischen Karpathen abzuwarten , die für die Fortsetzung der Aktion der Rumänen naturgemäß weittragende Bedeutung gewinnen konnten - in ihren wirklichen Ergebnissen die neuen Bundesgenossen freilich stark enttäuschen sollten. Von den drei Druckstellen der am 30. August, zugl ich
mit dem Einbruch der
aufgenommenen Offensive
des
Rumänen in Siebenbürgen,
russischen Südwestheeres,
wieder
Stochod ,
Halicz - Brzezany und Karpathen (bei welchen zu den bisherigen operativen Zielen Kowel - Bug - Lemberg ein neues , ein Zusammenwirken mit dem uns
hier
nur die
rumänischen Nordflügel , letztgenannte .
trat),
interessiert
Innerhalb seines Befehlsbereiches
hatte der Führer der russischen IX Armee, Letschitzky, zweifellos Verschiebungen nach der südwestlichen Bukowina vorgenommen und schritt,
das ursprüngliche
Ziel ,
Durchbruch
in der
Richtung
auf Stry , zunächst zugunsten des einheitlichen Zusammenwirkens mit den Rumänen in den Waldkarpathen zurückstellend , zu wuchtigen , schwere Kämpfe auslösenden Angriffen, die hier natürlich nur summarisch behandelt werden können . Um die von
deutschen
bzw.
österreichisch- ungarischen
Truppen
Haupterhebungen nächst der Südwestgrenze der Bukowina, Stara Obczyna,
eroberten Magura,
Stara Wipczyna , Domnatic und Capul, kam es zu
schweren Kämpfen .
Mußte auch vor dem übermächtigen russischen
Druck in diesen die wah haft heldenmütig verteidigten Höhen von Stara Obczyna, Verteidigung in
Stara Witczyna dem Gegner überlassen und die die alte, westlich des Cibotales sich hinziehende
Stellung zurückverlegt werden, so hatte der Angreifer doch sein Ziel , den Durchbruch , nicht erreicht und war eine Entlastung der Rumänen am Nordflügel nicht eingetreten. Am 7. September meldet der Tagesbericht unserer Verbündeten das wegen drohender Umfassung erfolgte Zurücknehmen österreichischungarischer Truppen bei Ol Toplicza, an der oberen Maros, auf die Höhen westlich dieses Ortes , am 8. weiter,
daß bei Csik - Szereda ,
am Großen Kokel , Besorgnis vor einem überlegenen umfassenden Angriff dazu veranlaßte, Truppen auf das Hargita - Gebirge zurückzunehmen , während an der siebenbürgischen Südfront, beiderseits der Straße Petroszeny- Hötzing, Kämpfe noch in der Entwickelung begriffen waren.
Der folgende Tag ließ mehrere feindliche Versuche ,
gegen die Höhen westlich von Czik Szereda vorzudringen, blutig abweisen, während beiderseits der Straße Hötzing -- Petroszeny der Feind zunächst 4 km
hinter seine Ausgangsstellung zurückgeworfen wurde ,
Der rumänische Feldzug .
14
dann aber ein starker feindlicher Angriff gegen
den rechten Flügel
dieser Gruppe ein Zurücknehmen in die alte Stellung veranlaßte . Am 10. , dem Tag des Einzugs bulgarischer Kavallerie in Silistria. wiesen östlich Orsova österreichische Truppen mehrere feindliche Angriffe ab , während am Nordflügel, westlich der Becken von Gyergyi und Csik, die Front etwas zurückgenommen werden mußte. Am 9. hatten deutsche Truppen südlich Dorna Watra mit rumänischen Kräften Fühlung genommen . Am 11. setzten, unter Befehl des Generalfeldmarschalls von Mackensen, deutsch-bulgarisehe Truppan den Vormarsch in der Dobrudscha fort, griffen mit Erfolg deutsche Seeflugzeuge Constantza und südlich davon russische Seestreitkräfte an ; während die Bewegungen in der Dobrudscha plan-
am 12. traten ,
mäßig fortgesetzt wurden, an der Südfront Siebenbürgens, im Abschnitt Hermannstadt und südöstlich Hötzing, deutsche Truppen mit den Rumänen in Gefechtsfühlung. Das Vorspiel späterer Ereignisse von weit tragendster Bedeutung. Am 13. meldete der bulgarische Bericht :
Das Vorrücken unserer
Truppen in der Dobrudscha dauert fort " ; der rumänische desselben Tages : „ Gewehrschüsse an der ganzen Donau und in der Dobrudscha , sowie Gewinnen des Kontaktes mit dem Feinde auf der ganzen Linie “ . Der rumänische Bericht vom 14. wird schon deutlicher: In der Dobrudscha heftige Kämpfe an der ganzen Front " ; der deutsche vom 14. stellt weiteres Vordringen der deutschen, bulgarischen und türkischen Truppen unter erfolgreichen Kämpfen fest, und der bulgarische spricht sich
schon eingehender in den Ortsbezeichnungen der Kämpfe aus :
„ Der Kampf, der sich auf der Linie Oltina- See - Parachivi - Musübey an der alten rumänischen Grenze unseren Gunsten .
entsponnen ,
entwickelte
sich zu
Wir haben bisher 4 Schnellfeuerkanonen genommen .
Der Feind wurde unter großen Verlusten für ihn zurückgeworfen, die Operationen dauern fort. " Die Tatsache einer schweren Niederlage machte Bericht vom 15. September mit den zwei Sätzen ab : front in der Dobrudscha sehr heftige Gefechte .
der rumänische „ An der Süd-
Die russisch-rumäni-
schen Truppen gingen nach Norden zurück “ , und in dem vom 16. noch einfacher : „ In der Dobrudscha nichts Neues. " Die von den Deutschen und Bulgaren
verfolgten Reste der
in den Tagen vom
5. bis 7. September bei Dobritsch gründlich geschlagenen drei Divisionen hatten
in
der
allgemeinen
Linie Oltina
See -Mangalia bei
den unterdes herangekommenen Verstärkungen , 2. , 5. , 9. und 13 . rumänische Division , Aufnahme gefunden , und der am 12. gegen sie und diese eingeleitete Kampf war am 14. in der Hauptsache schon entschieden und für sie zu einer schweren Nieder-
Der rumänische Feldzug.
15
lage geworden , die der folgende Tag vollendete.
In frischen An-
griffen hatten die verbündeten Truppen der Heeresgruppe Mackensen den Widerstand des Feindes schon am 14. mehrfach gebrochen und ihn in
die
allgemeine
Linie Cuzgun - Cara - Omer,
mindestens eines Drittels
seines
Bestandes ,
unter Verlust
geworfen .
Die Zahl
der in den Kämpfen um Tutrakan gemachten Gefangenen war unterdes auf 28000 Köpfe gestiegen.
Zeihen wir noch den bulgarischen Be-
richt heran, weil er noch mehr Einzelheiten gibt, so spricht er schon von der „ vollen Niederlage des Feindes , verfolgt werde .
Auf feindlicher Seite
der auf
seien als
teiligt die 2. , 5. , 9. , 13. rumänische, 61. russische , serbisch-russische festgestellt.
Infanterie- und
drei
der
ganzen Linie
an dem Kampfe be-
russische
eine kombinierte
Kavalleriedivisionen
Bei Tutrakan waren zwei rumänische Divisionen,
9 In-
fanterieregimenter, 5 Haubitz- und das dritte schwere Regiment gefangen genommen worden ; südöstlich Tutrakans war ferner eine weitere rumänische Division, bei Dobritsch am 5. bis 7. September neben der 60. russischen und einer russisch-serbischen Division, auch die 19. rumänische und jetzt
außer dem, was
noch kampffähig geblieben war, 4 rumänische,
von den genannten
eine weitere russische
(61. ) , eine serbisch -russische und mehrere russische Kavalleriedivisionen entscheidend geschlagen worden. Damit hatte bis dahin die Heeresgruppe Mackensen schon 8 rumänische Divisionen , sicher über ein Drittel der Feldtruppen , entweder gefangen , oder in ihrer Kampfkraft stark heruntergebracht, Das Gesetz des Handelns gab der Vierbund.
Ein Einbruch
in die Süddobrudscha war ausgeschlossen , dem Offensivplan der Entente nicht nur in der Dobrudscha
ein Ende
gemacht , auf jeden Fall , was doch von ungeheurer Tragweite bis Rumäniens Schicksal entschieden sein konnte , auch auf den siebenbürgischen , zunächst mit der für den Einbruch nach Ungarn bestimmten Hauptmasse des Feldheeres , etwa 300000 Rumänen , ausgestatteten Schauplatz, von dem eiligst Verstärkungen nach der Dobrudscha rollten,
war ein entscheidender Einfluß geübt
worden .
Folgerichtig sprach der deutsche Tagesbericht vom 16. bei der Heeresgruppe Mackensen aus, schickt
und
daß ein
energisch
entscheidender Sieg die ge-
geführten
Operationen
in
der
Dobrudscha gekrönt und die deutschen , bulgarischen und türkischen Trupppen den geschlagenen Gegner verfolgten. Drei Tage währte die Verfolgung, bis, bei neu herangeführten Truppen die entscheidend geschlagenen Rumänen und Russen in der allgemeinen Linie Rasova - Cobadinu - Tuzla Aufnahme fanden . Im Vorfeld
der Bahnlinie
Constantza - Czerna woda - Bukarest
16
Der rumänische Feldzug.
waren deutsche Bataillone längs der Donau, bis
südlich
Rasova,
schon
zur feindlichen Artillerie durchgestoßen und waren 5 Geschütze
erobert und Gegenangriffe
abgewiesen worden.
Das nächste geo-
graphisch - militärische Ziel war die Lebensader Rumäniens , die Bahnlinie Constantza - Czerna woda -Bukarest . Der Tagesbericht ein Zeichen dafür , daß die Stellung im Frieden vorbereitet war vom 20. September deutete auf zähesten Widerstand in
dieser
Stellung hin.
99 In
der Dobrudscha
spielen sich heftige wechselvolle Kämpfe ab, mit eiligst hergeführten Verstärkungen also wieder weiteren frischen - leistet der Feind in seiner Stellung den zähesten Widerstand. " Zu gleicher Zeit warf der Beginn der Offensive unter deutscher Führung in Südsiebenbürgen in einzelnen kräftigen Schlägen seinen Schatten voraus . Die Zeit der vielgepriesenen und leicht errungenen rumänischen Erfolge näherte sich schon ihrem Ende. westlich und
östlich Hermannstadt
Am 13. wurden
rumänische Angriffe abgewiesen,
am 14. begann der rumänische Vormarsch über den Altfluß,
östlich
Fogaras, der schon am 15. durch Zurückwerfen eines übergegangenen Regiments bei Fogaras eine Unterbrechung erfuhr. verbündeten Truppen im Raume südöstlich von günstigem Fortschreiten. "
Der Angriff der Hötzing ist in
Der Tagesbericht unserer Obersten Heeres-
leitung vom 16. stellte , neben Überschreiten der Alt oberhalb Fogaras durch die Rumänen , deren nordwestlich Fogaras auf das andere Ufer gelangten Abteilungen angegriffen und zurückg worfen wurden, weiter unterhalb Übergangsversuche fest, die vereitelt wurden : „ Südöstlich von Hötzing sind rumänische Stellungen genommen und Gegenstöße abgewiesen. " Am 17. erfolgte in Siebenbürgen ein Vorfühlen der Rumänen gegen den Kokelabschnitt beiderseits von Oderhellen ( Szekely Udvarhely). Der 17. brachte südöstlich Hötzing die Fortsetzung für uns günstiger Kämpfe, die u. a. au h 7 Geschütze als Beute lieferten, der 18.
vollendete südlich Hötzing die rumänische Niederlage durch
Truppen des Generals von Staabs, die in energischer Verfolgung dann auch Petroszeny nahmen und die Rumänen über den Szurdukpaß auf den Heimatboden zu ückwarfen , den sie drei Wochen vorher mit den überschwenglichsten
Hoffnungen
verlassen
hatten.
Für ein Vor-
gehen verbün eter Truppen aus nördlicher Richtung gegen die Hauptkräfte der rumänischen I. Armee war damit eine Sicherung der rechten Flanke eingeleitet . Dauernd,
zum Teil aus Siebenbürgen ,
zum Teil
aus russischen
Verbänden , eintreffende Verstärkungen gaben dann in der Dobrudscha den geschlagenen und in das Vorfeld der befestigten Linie Czernowoda-Mejidia - Constantza
zurückgeworfenen
russisch-rumänisch -serbischen
17
Der rumänische Feldzug.
Truppen Rückhalt und die Möglichkeit zu heftigen Gegenstößen . Die deutsch-bulgarisch-türkischen Verbände brauchten . nach dem erfolgreichen, eillgen Vorgehen und den wuchtigen
ausgeteilten Schlägen,
auch Zeit, das bei der Bodenbeschaffenheit schwierige Heranschaffen der schweren Artillerie und Munition zu bewirken, das der Gegner, mit der großen Transversalbahn Constantza -Bukarest und einer nordsüdlichen nach Beßarabien dicht hinter dem Rücken , entschieden leichter hatte .
Der deutsche Tagesbericht vom 21. September meldete :
„ Der Kampf in der Dobrudscha ist folgenden Tage versuchten geben 20 Bataillone.
zum Stehen gekommen. "
starke rumänische Kräfte
Am .
(die Bulgaren
9 Eskadrons, 3 Batterien an) südwestlich von
Topraisar (zwischen Bahn Medjidia und Straße Cara Omer- Constantza) einen Angriff, den ein umfassender Gegenstoß deutscher, bulgarischer und türkischer Kräfte gegen Flanke und Rücken in einen fluchtartigen Rückzug verwandelte .
Eine Wiederholung in der Nähe der Donau
und südwestlich Topraisar selbe Schicksal. Ereignisse,
am folgenden Tage
erlebte ziemlich das-
Am 23. erfolgten in der Dobrudscha keine besonderen
am 24. fanden für
die verbündeten Truppen erfolgreiche
Kämpfe in geringerem Umfange südlich der Linie Cobadinu - Topraisar statt ; Bukarest wurde durch Luftschiffe erfolgreich bombardiert, und dies am 25. wiederholt , für welchen Tag die Bulgaren auf dem rechten Flügel erfolgreiches Vorgehen in die Linie Anzacca- Perveli und Rückzug des Gegners in nördlicher Richtung meldeten, und dies auch am 26. wiederholten.
In Siebenbürgen
waren in der vorhin
für die Dobrudscha beleuchteten Zeit südlich Petroszeny die vor überlegenem Druck und Umfassung aufgegebenen Höhen beiderseits des Vulkanpasses wieder besetzt worden und am 22. der Vulkan paß vom Gegner gesäubert.
Am 23. wurden
im
Bereiche des Vulkanpasses
feindliche Angriffe abgeschlagen und das gleiche erfolgte am 23. bei Hermannstadt, wo zwei rumänische Divisionen von unseren Sicherungsabteilungen eine blutige Abfuhr erfuhren , während südöstlich von Hormannstadt, bei Szt. Janoshegy, vor umfassendem Druck der im Alttale vorgegangenen Abteilung die eigenen Positionen nachts zurückgenommen wurden. Am Vulkan- und Szurduk-Paß wechselten am 24. und 25. Besitz und Aufgeben .
Am ersten Tage wurden rumänische
Angriffe abgeschlagen, während auch an der siebenbürgischen Ostfront lebhaftere Gefechtstätigkeit erwachte. Am 25. wurden die beiden genannten Pässe
vor weit
ausholenden Umfassungen
starker
rumänischer Kräfte geräumt, eine im Gebirgskriege mit seinen trennenden Kulissen zwischen den einzelnen Kräftegruppen, nicht ungewöhnliche Erscheinung. Hier waren die Paßbesatzungen , die alle Angriffe abgeschlagen hatten , auf Befehl von den Grenzhöhen zurückgenommen 2 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 544.
18
Der rumänische Feldzug.
worden.
Am 26. bestand im
Raume
Petroszeny
Gefechtsfühlung.
Der Tagesbericht unserer Verbündeten vom 25. meldete die Entwicklung
neuer
Kämpfe bei
Hermannstadt, in welche
auch
deutsche
Truppen eingegriffen hätten , derjenige unserer Obersten Heeresleitung denselben Tag schon von fortschreitendem Angriff
sprach
unserer Truppen ,
und
am
folgenden Tage
sprachen beide von
guten Fortschritten , und
an der siebenbürgischen Ostfront von Gefechten der Sicherungstruppen an manchen Stellen. Vom 26. September ab ist man berechtigt , den zweiten Abschnitt des
rumänischen Feldzuges
zu datieren.
Er
steht unter dem Zeichen der überraschenden , wuchtigsten deutsch - österreichischen Offensive auch in Siebenbürgen. Noch nicht vier Wochen waren Hoffnungen von Rumänien
überschwenglichen
seit dem mit so
und Entente unternommenen, in seinen
Erwartungen aber schon stark getäuschten Feldzugseintritt verlaufen. Die Mittelmächte waren die
hatten diese
Zeitspanne trefflich
nun folgenden Ereignisse
benutzt ,
dafür
die Quittung auf das Exempel
der Ausnutzung der inneren Linie, der Befolgung des Grundsatzes , dem Gegner (unter lokaler Umfassung) Teilniederlagen beizubringen , seine Armeen eine nach der anderen zu schlagen , bevor die getrennten sich auf gegenseitige Gefechtseinwirkung nähern
konnten, ja diese
Trennung noch zu erweitern . Als die Offensive Falkenhayn-Arz einsetzte, hatten wir geben hier nur große Züge der Lage die Rumänen in bedachtsamem Vormarsch etwa die
allgemeine Linie
Hermannstadt - Fogaras - Scekely Udvarhely - Parajd
erreicht.
Ihre
von der I. Armee abgezweigten linken Flankendeckungen waren, wie schon oben berichtet , bereits über die Paßkammlinie zurückgedrängt , ihre Nordgruppe , die zugleich auch Flankendeckung des rechten Flügels war, schob sich immer noch etwas vorwärts, ohne freilich gegen die Heeresgruppe
Arz durchschlagende Erfolge
erzielen zu können.
Die
im konzentrischen Vormarsch erreichte vorgenannte Linie war, ähnlich wie
die
Südostgrenze
Siebenbürgens ,
fast recht-
winklig gestaltet. Den Schnittpunkt bildet ziemlich genau Fogaras . Geographisch betrachtet, forderte , die Lage , in welcher sich die Rumänen
vor dem ersten
um Hermannstadt befanden , geradezu
entscheidenden Schlage
zu dem genialen Ver-
fahren heraus , das dann General von Falkenhayn mit so großem Erfolge wählte. Der erste Offensiv-Ausfallschlag richtete sich gegen die Hauptkräfte der rumänischen linken Flügelarmee ( I. ) Nach dem Flügel waren durch den vom Anfall überraschten Gegner am schwierigsten und zeitraubendsten Unterstützungen heranzuziehen, eine Versammlung nach der Mitte wäre für ihn rascher zu bewirken
19
Der rumänische Feldzug. gewesen.
Zeit und
Raum wurden hier von dem
General
von Falkenhayn genial gewertet , zur rechten Zeit und am richtigen Orte erfolgte die Versammlung relativer Überlegenheit im Raume Hermannstadt. Parallel der feindlichen
Grenze
setzte
Falkenhayns
Offensive
ein ,
ihre
Stoßrichtung wählte den kürzesten Weg zu dem nächsten Ziele der Obersten Heeresleitung -- natürlich unter Niederwerfung eines Teiles der feindlichen Streitkraft , die die Hauptsache blieb - zu der Säuberung Siebenbürgens. Sollten die geplanten Operationen
gelingen .
so mußten die
gangbaren Zonen des
walachisch-siebenbürgenschen Grenzgebietes, die fahrbaren Straßen des Rotenturm-, Szurduk- und Vulkanpasses, durch besonderen Flankenschutz verriegelt werden , turm- und
während
Törzburger-Paß,
die
östlich der Alt,
geringere
zwischen Roten-
Gangbarkeit des
Neben-
geländes , besonders auch des Fogaraser Gebirges, einen gewissen Schutz des vorgesehenen Flankenmarsches gegen Osten bot. Vor Eintritt der Offensive in den Hauptstoß mußte dann noch das Strelltal gesäubert, der oben berührte Szurduk- und Vulkan-Paß zur Flankensicherung in die Hand genommen werden.
Vom Roten-
turmpaß trennt das weit auslagernde Palingu- Massiv , dessen Hänge durch viele Schluchten wild zerrissen sind, den Szurdukpaß , die sog. Enge von Lainici, von Petroszeny führt
ebenfalls
in der der Schyl, aus dem kohlenreichen Becken
sich
Bahn
nach
der Vulkanpaß,
Süden
der
bricht.
wenige
Nach Petroszeny
Kilometer westlich in
1500 m Höhe einen Gebirgssattel quert . Wohl gelang dem Gegner Da die Wiedergewinnung der beiden genannten Pässe zunächst. seinem Vordringen auf den Höhen südlich Petroszeny aber endgültig Halt geboten wurde, so war ein Vormarsch auf Hermannstadt in der linken Flanke doch gesichert. General von Falkenhayn hat die Lage richtig aufgefaßt ; sein Grundgedanke war , die rumänische I , Armee möglichst
vernichtend
zu
schlagen.
Erinnern
wir uns,
daß
die
Rumänen Anfang September die brückenkopfartige Stellung in der allgemeinen Linie Szeosel- Poplaca -- Dolmany erreicht, Sicherungen bis dicht an Hermannstadt vorgeschoben , die Stadt aber selbst nicht besetzt hatten,
da dies die Besitznahme der nördlich
legenen Höhen bedingt hätte,
derselben ge-
daß dagegen eine Reihe von Befesti-
gungen von ihnen geschaffen war.
Ihr letzter,
blutig abgewiesener
Vorstoß war der mit zwei Divisionen . Größter Erfolg in kürzester Frist war der Gesichtspunkt, der Falkenhayn die Kombination von Frontalangriff mit Umgehung und Umklammerung wählen ließ.
Drei
Gesichtspunkte waren für Operationen
drei
Kraftgruppen wurden sie übertragen.
und Schlag maßgebend,
Nicht nur schlagen wollte 2*
20
Der rumänische Feldzug .
man den Gegner , sondern möglichst vernichten , indem man ihm
von vornherein den Rückweg
nach Rumänien
des Rotenturmpasses in seinem Rücken verlegte .
durch Sperrung Eine
Umgehung
großen Stils , durchgeführt von dem bayerischen Armeekorps Krafft von Delmenfingen, im Gebirge,
das in geradezu staunenswerten Marschleistungen
genau nach fünf Tagen,
genau am 26. an der Süd-
mündung bei Verestoroay und Caïneni die Paßstraße nach Norden , wie Süden und damit den im Raume Hermanstadt stehenden rumänischen Divisionen schloß .
die einzige große Fahrstraße
nach Rumänien ver-
Da die schwersten Kämpfe sich auf den beiden Flügeln ab-
gespielt haben, so berühren wir hier seiner Kraftgruppe.
gleich auch
den östlichen mit
Abschließung der rumänischen I. Armee von der
Mitwirkung der Teile der II. ,
die im Alttale westlich und nordwest-
lich Fogaras . sowie über den Haarbach schon vorgedrungen war.
Ab-
sperren des oberen Alstales und der Fogaraser Ebene mit ihren guten . Truppenverschiebungen erleichternden Straßen wurde die Aufgabe der linken (östlichen) , aus Kavallerie , unterstützt durch Infanterie , zusammengesetzten Kraftgruppe, die über den unteren Haarbach in das Alttal vorging,
diesen Flußlauf bei Kolun
stadt,
schon
überschritt :
das
südöstlich Hermann-
eine Glanzleistung
der Kavallerie im
schärfsten feindlichen Feuer, das Tal abriegelte und im Osten die I. Armee umklammerte . Frontal wirkte von nördlich Hermannstadt,
aus der allgemeinen Linie Beleunca - Vizakna - Auf der Won ,
(also schon
mit vorwärts gestaffeltem
rechten Flügel),
die am 27.
losbrechende Kraftgruppe Staabs, die zum Teil mit der Bahn aus dem Raume von Hötzing herangeführt wurde . Während Szecsel und Orlat, D. Cioara und D. Obreju Brennpunkte der Kämpfe des mit der Höhe Valare endlich den Eingang des Gebirges gewinnenden rechten Flügels waren, stieß die Mitte, westlich Hermannstadt die feindlichen Vortruppen überrennend , energisch bis N. Talmaz vor und warf den linken Flügel des Gegners aus den befestigten Stellungen bei und östlich Bongard und Dolmany. Konzentrisch wurde der Gegner in den Rotenturmpaß gedrückt.
Am 29. endete die „ Durch-
bruchsschlacht in Form einer Un.fassung und Umgehung" mit einem vollen entscheidenden Siege Falkenhayns , da die Artillerie gegen die die
10 km lange Paßenge
wahrhafte
verstopfende Flüchtlinge und Fahrzeuge
Wirkungsorgien " feierte .
Verzweiflungsversuche, den von
Krafft von Delmenfingen gebildeten Riegel
zu
durchschlagen ,
miß-
langen, ebenso wie von Caïneni aus unternommene Angriffe eiligst herangezogener Verstärkungen und das Streben der II. rumänischen Armee, die erste zu entlasten, was neue weiter unten zu beleuchtende Kämpfe im Raume Fogaras
mit sich brachte.
Nur schwache Teile.
21
Der rumänische Feldzug.
der vernichtend geschlagenen , an Zahl überlegenen I. Armee konnten über das Gebirge entkommen .
Die überraschende Offensive Falken-
hayns hatte hier ihren zweiten großen Erfolg errungen , und sie hatte auch die Entlastung der I. durch die II . rumänische Armee vereitelt. Ein solcher Entlastungsstoß war schon am 28. in der Ausführung begriffen, dem Oberkommando freilich nicht verborgen geblieben.
Aus
dem bei einem gefangenen Flieger aufgefundenen Befehl des rumänischen Oberkommandos an
das
Hauptquartier der
I.
rumänischen
Armee wußte man, daß diese hartnäckigsten Widerstand leisten sollte, da die II . Armee von Fogaras Entlastung bringe. Für diese Entlastung war an die II . und Nordarmee ( IV . ) Befehl ergangen. Erstgenannte war, wie oben schon angedeutet, über Fogaras in Richtung auf den Haarbach, mit dem Ziele Schäßburg vorgegangen. Die Nordarmee (IV. ) desgleichen ,
von links
nach rechts gerechnet,
Hargita- und György-Gebirge gegen den Oberlauf der Kleinen
Kokel
auf Szekely
Udvarheli - Parajd,
oberes Maorostal.
Erstere war also über Fogaras schon wesentlich Posumbak, 25 km Luftlinie von Hermannstadt. dieser Front erfolgte
einheitliche
über
Großen und
hinausgelangt bis Das am 29. aus
Vorbrechen brachte
in der Linie
Parajd - Szekely Udvarhely, sowie im Raume Fogaras schwere Kämpfe mit sich . Bei der II. Armee, die im Raume nordöstlich Henndorf mit dem linken Flügel die Verbindung mit der Nordarmee ( IV . ) aufnehmen sollte, hatte,
um beiderseits der Olt
I. Armee auf Hermannstadt vorstoßen
zur Entlastung der
zu können ,
eine Kräftever-
schiebung nach dem linken Flügel stattgefunden,
der auch
bündeten Truppen zunächst etwas zurückdrängte,
während die Mitte
die ver-
gegen den Haarbach Raum gewann ; der rechte gegen Henndorf vorstoßende Flügel aber am 29. südlich des Ortes durch einen Flankenstoß deutscher Truppen
zum Halten kam.
Zwischen dem rechten ,
stark ausgedehnten Flügel der II und dem linken der Nordarmee ( IV.) war dadurch eine Lücke von mehreren Kilometern Breite entstanden. Im Laufe der folgenden Tage gelang aber,
wie wir hier gleich be-
merken wollen , dem linken Flügel der Nordarmee ( IV . )
beiderseits
der Großen Kokel, österreichische Vortruppen zurückzudrängen und der Mitte, an der Kleinen Kokel westlich Parajd, Raum zu gewinnen. Kühne , rasch entscheidende Entschlüsse des Generals v . Falkenhayn wirkten , im Alttal den Hauptschlag suchend , aber auch auf die Nordarmee ( IV . ) kräftig ein. Die Verfolgung des Gegners spielte nun nicht mehr die Hauptrolle, der Ausfall auf der inneren Linie gegen einen neuen Feind trat in den Vordergrund. Zu einem neuen umfassenden Angriff und zwar gegen den Südflügel
22 der
Dee rumänische Feldzug. II .
rumänischen
gruppiert.
Aus
Armee,
wurden die
dem Talmacsbecken
Falkenhaynschen
vorbrechend,
warfen
Kräfte deutsch-
österreichische Kräfte den Südflügel dieser Armee auf Fogaras zurück, andere gingen über den Haarbach beiderseits Szt Agota zum Angriff vor. Ein am 2. Oktober bei Bekokten von rumänisshen Massen zur Entlastung des
Südflügels
unternommener Versuch
vermochte das
Blatt nicht zu wenden ; das Vorgehen im Alttale führte am 30. September schon vor die Tore über Kronstadt, Törzburger linien und
von Fogaras.
Ernste Sorgen um die
und Tomöser Paß laufenden
die Einfädelung der zwischen
Rückzugs-
Alt und Kokel breit ent-
wickelten II. Armee ließen das Oberkommando am 3. Oktober die Räumung von Fogatas und das Zurückgehen hinter Alt und Sinca in Gewaltmärschen befehlen. Der Stoß durch das Alttal in der kürzesten Richtung gegen die rückwärtigen Verbindungen hatte der rumänischen Heeresleitung wieder einen dicken Strich durch Offensivpläne gemacht. und die ganze rumänische Front ins Wanken gebracht . Die Schlacht von Kronstadt war die Folge. An demselben Tage, an dem 12 ( aus strategisch nur als Bluff und Druck auf die rückwärtige Verbindung Mackensens erklärbarem Grunde bei Rjahova über die Donau gegangene) rumänische Divisionen von Rustschuk und Tutrakan anmarschierten bulgarisch-deutschen Truppen die zum größten Teil zum Opfer fielen ; als ferner am 2. Oktober wiederholte feindliche Angriffe
östlich der Bahn Cara Omer-Cobadinu in der
Dobrudscha dasselbe Schicksal erlebten ; als im Hötzing- Gebirge der Feind sich auf die Grenzhöhen zurückzog,, während bei Orsova die Rumänen vorübergehend Boden gewannen und endlich westlich Parajd mehrfach rumänische Angriffe abgeschlagen wurden, da war der Rückzug der Hauptkräfte der geschlagenen II. rumänischen Armee in das Burzenland in vollem Gange.
An der Alt- und Sincalinie, vor den Eingängen in
den Geisterwald und in das Persaner Gebirge sollten starke Nachhuten dem Gros den Abzug in die wesentlich verkürzte Front einer westlich Kronstadt vorbereiteten Stellung ermöglichen . Einhundertundzwanzig Kilometer und eine ununterbrochene Reihe schwerer Kämpfe in sechs Tagen hatten die den Feind nicht locker lassenden Truppen Falkenhayns hinter sich, als sie am 4. nachmittags bereits auf die Nachhuten an Alt und Sinca trafen .
In lapidaren Sätzen meldete der Tagesbericht
der Obersten Heeresleitung vom 6. Oktober : ,,Der Rumäne ist gestern (5. ) erneut geschlagen.
Im Görgenyabschnitt warfen österreichisch-
ungarische Truppen die Rumänen aus ihrer Stellung südwestlich von Libanfalva , wiesen weiter südlich Angriffe ab und eroberten beiderseits der Straße Magyaros-Parajd die am 3. Oktober verlorene Stellung zurück. -Verbündete Truppen unter dem Oberbefehl des
Der rumänische Feldzug. Generals von Falkenhayn haben, nach glücklichen
23 Gefechten bei
Reps und Krihalma , den Feind über den Homorod und Alt zurückgedrängt .
Die hartnäckig verteidigte Stellung am Sincaabschnitt ist.
erstürmt, 2 schwere , 28 Feld- und 13 Infanteriegeschütze sind erbeutet. Der Gegner ist im Rückzug durch den Geisterwald. Er wird verfolgt . " Scharf nachdrängend warfen unsere Truppen am 6. die Nachhuten und drangen durch den Geisterwald durch.
Am Ostrand des Geister-
waldes und des Persaner Gebirges will der Feind sich aufs neue setzen . Vergeblich, denn am 7. früh stoßen unsere Truppen auf die mit dem linken Flügel an die Törzburger Höhen lehnende , über die Höhen zwischen Bozsnya und Kronstadt zu den Südabfällen des Baroter Gebirges laufende feindliche Hauptstellung. Sie sollte durch die II. Armee , die anmarschierende Verstärkungen erwartete , zäh gehalten werden.
Kämpfe um den Weidenbach und Erreichen von Zernest
durch eine im Sincatal vorgehende deutsche Kolonne bildeten am 7. Oktober den Auftakt zur Schlacht von Kronstadt. Der Tagesbericht der Obersten Heeresleitung vom 7. der auch beiderseits des Roten Turmpasses, südlich von Hötzing, und bei Orsova Geländegewinn zu unserem Gunsten verzeichnen konnte meldete kurz : ,,Auf der ganzen Ostfront machten die verbündeten Truppen Fortschritte, sie drängten dem durch den Geisterwald zurückgehenden Feinde scharf nach.
Nachhuten wurden geworfen" und am 8.:,,Die
Rumänen weichen auf der ganzen Ostfront. Die verbündeten Truppen haben den Austritt aus dem Geisterwald in das Alttal und in das Burzenland erzwungen. In frischem Draufgehen warfen sie den Feind weiter zurück .
Kronstadt ist genommen. " - Der letzte Satz
deutet auf einen am 7. abends gegen die rumänische Mitte erzielten bedeutsamen Erfolg hin. 24 Stunden sollten freilich in der Stadt noch erbitterte Straßenkämpfe toben , die am 8. mit der vollen Eroberung aller Teile der ausgedehnten Stadt erst ihr Ende erreichten. Auch nördlich der Stadt boten sich grauenvolle Bilder vollen rumänischen Niederbruchs .
Ergänzt wurde dieser Erfolg durch
einen ebenso bedeutsamen auf dem Südflügel, wo die über Zernest vorgehende Kolonne , nach Erstürmung der starken Törzburger Höhen , gegen den Tomöser Paß vordrang . Wenn der Tagesbericht vom 9. u . a. meldet : ,,Vergebens griffen ihre von Norden eintreffenden Verstärkungen in den Kampf nordöstlich von Kronstadt ein ", so berührt er damit den Nordflügel , auf dem die eigentliche Entscheidung fiel.
Von der
rumänischen Oberleitung bei Sepsi- Szt . György zum Gegenstoß gesammelte starke Kräfte brachen am 7. von den Südhängen der Baroter Höhen und beiderseits der Alt in Richtung auf Kronstadt vor. Am 8. die Alt und den Fekety Ugy überschreitend und in das Burzenland
24
Der rumänische Feldzug .
hinabsteigend, erlebten sie am 8. von Szentpeter und Spaszhermany einen überraschenden
Flankenstoß ,
der
sie
völlig
warf,
damit den rechten Flügel der rumänischen Hauptstellung eindrückte und ihm den Rückweg in das Haromozek unterband.
Der Versuch, auf Kronstadt und östlich zu weichen, fand ein
Ende an der Besetzung des Tomöser Passes. Nur über Schanz-, Tatarenund Bodzapaß, also südöstlich , waren die Straßen noch frei. Von der Nordgruppe der Armee Arz von Straußenberg brachte der Tagesbericht unserer Verbündeten vom 5. nur den kurzen Satz : ,,Von der siebenbürgischen Ostfront ist, außer der Abwehr eines starken rumänischen Angriffs bei Szovata (nordwestlich von Parajd) , nichts zu melden . " Die Armee Arz war aber damals schon, dem Beispiel Falkenhayns folgend , zur Offensive aus der allgemeinen Linie Magyaros -Homorod übergegangen , und am 3. hatte das Oberkommando der rumänischen Nordarmee ( IV. ) sein IV. Korps im Görgenytale gegen Spzasregen (an der Maros , der Görgeny an diesem Orte zuströmt ) zum Angriff eingesetzt, um eine Entlastung herbeizuführen , wurde aber blutig abgewiesen. bestreben in ledigt.
Damit war das rumänische Offensiv-
Nordsiebenbürgen
aber auch
zunächst
er-
Der Tagesbericht vom 6. konnte schreiben : ,,Auch weiter
nördlich im Raume von Homorod und östlich Magyaros ist unser Angriff in günstigem Fortschreiten" , der vom 7.:,,Auch an der siebenbürgischen Ostfront wurde der Feind an mehreren Punkten geworfen“ , der vom 8.
,,Auch im Görgenygebirge weicht der Feind vor den öster-
reichisch-ungarischen Truppen des Generals von Arz , und endlich der vom 9.:,,Gegenüber der in das Hargita- und Görgenygebirge eindringenden Armee des Generals von Arz leistet der Gegner stellenweise Widerstand" , den der Bericht vom 10. , soweit die Nachhuten in Betracht kamen , als gebrochen und die Armee im Begriffe bezeichnete , die Ausgänge in die Ebenen der Csik und des Gyergyöbeckens zu gewinnen . Eine im Tal der Kleinen Kokel vordringende Gruppe hatte schon am 7. Oktober bei Parajd den Gegner geschlagen und war im Vorgehen durch das Görgenygebirge gegen die oberste Maros. Die Gruppe im Großen Kokeltal besetzte am 7. Szekely Udvarhely.
Der rechte Flügel der Armee Arz hatte von Homorod- Okland
aus in die nördlich Kronstadt verlaufenen Kämpfe Falkenhayns eingegriffen und drang in das Baroter Gebirge ein.
Daher die im obigen
Tagesbericht vom 10. festgestellte Erscheinung des Rückzuges der rumänischen Nordarmee (IV. ) gegen die Csik und Gyergyobecken. Am 11. scheiterten beiderseits des Vulkanpasses feindliche Angriffe . Im Raume Kronstadt mußte der Feind auf die Grenzpässe weichen und die II. rumänische Armee war in die Grenzstellungen zurück-
Der rumänische Feldzug.
25
geworfen. Im Görgenygebirge war der rumänische Widerstand gebrochen, im Marostale hielt der Feind den umfassenden Angriffen nicht stand.
Konnten am 12. das Gyergyo- und Mszekbecken und die
untere Csik vom Feinde frei gemeldet werden, während dieser an der Straße Csik Szereda- Gyimespaß zunächst noch heftigen Widerstand leistete, der am 13. aber nachgab, behaupteten am 14. unsere Truppen sehr heftigen Angriffen südlich von Hötzing gegenüber die Grenzkämme in ganzer Ausdehnung und gewannen die verbündeten Truppen an den Grenzpässen des Burzenlandes auch Raum, so begann doch der Widerstand des Gegners sich überall zu versteifen und an Zähigkeit zuzunehmen . Die strategische Lage Rumäniens am 15. Oktober ist in wenigen Sätzen zu bezeichnen : An die Stelle der zerschellten rumänischen Offensive in Siebenbürgen war eine verzweifelte Verteidigung der eigenen
Grenzen getreten.
Die Ursachen
dieser, die ganze Entente mit drückender Sorge belastenden Änderung der Lage, des raschen Absterbens der Hoffnungsblüte , verdienen noch Rumänien war zwar von einmal kurz beleuchtet zu werden. vornherein auf Offensivoperationen eingestellt , aber einseitig , nicht nach zwei Fronten. Das war ein falscher Kalkül ,
denn er rechnete nur mit dem eigenen Willen , den man
einseitig dem Gegner aufzuzwingen gedachte, nicht auch mit dem unabhängigen des letzteren.
Die rumänische Heeresleitung hatte sich
nicht die von keinem Taktiker und Strategen zu unterlassende Frage vorgelegt : ,,Was könnte der Gegner als das für dich Unangenehmste tun ?" Vorbereitet war die Offensive gegen ein politisches Ziel , das des ,, Sacro egoismo " , Siebenbürgen. In der Dobrudscha glaubte man mit starker russischer Hilfe zu einem Zwecke aufzumarschieren, den man , wenn Siebenbürgen erst in Besitz genommen war, immer noch erreichen könnte , zumal man Sarrail schon bald in fortschreitender Offensive annahm .
In Mazedonien legte aber eine
klug geführte , räumlich beschränkte Offensive der Bulgaren Sarrails Vorschreiten auf Monate hinaus Zügel an ; in der Dobrudscha kam Mackensen mit schneller eigener Offensive der der Rumänen zuvor. Die Ereignisse von Dobritsch, Tutrakan , Silistria zwangen den Die Kräfteverteilung , Rumänen den Zweifrontenkampf auf. wie sie diese nach ihren ersten Absichten vorgenommen hatten , konnte nicht bestehen bleiben, die Dobrudscha rief laut nach Hilfe . Um dort eine entscheidende Niederlage zu vermeiden , mußte die rumänische Oberleitung Aufmarsch und Operationsplan umwerfen , um doch nicht dem zu entgehen, dem sie entgehen wollte . In der Dobrudscha geschlagen, rettete sie zwar noch ihre Lebensader, die Bahnlinie Con-
26
Der rumänische Feldzug.
stantza - Czernavoda , aber der Versuch, bei Rahova etwa mit 1½ Divisionen der bei Bukarest versammelten Armee die Donau überschreitend , Mackensen in den Rücken zu kommen , scheiterte kläglich , kostete sehr schwere Opfer und wurde für Bulgaren und Deutsche ein sehr lehrreiches Schulbeispiel indirekter Flußverteidigung . Durch die Geschehnisse in der Dobrudscha und bei Rahova trat eine Schwächung der rumänischen Offensivkraft Augenblicke
in
Siebenbürgen
gerade
in
dem
ein , in dem die verbündete Offensive dort in die
Phase der Entscheidung einsetzte. Mit der Schlacht von Hermannstadt drückt Falkenhayn in operativem Durchbruch den Teil der rumänischen Operationsfront ein, der sowohl für die in der allgemeinen Richtung auf Schäßburg vorgehende II. Armee,
als für die in den
Raum Petroszeny-Cerna abgezweigten Teile der I. Armee von durchschlagender Bedeutung war. In der taktischen Form der doppelten Umfassung, ja der Umgehung in den Rücken des Gegners , wurde in dieser Schlacht der operative Durchbruch bewirkt . Mittelbar wurden die Wirkungen dieser Schlacht bei der II. Armee sofort empfunden. Sie war nicht nur ihrer linken Flankenanlehnung beraubt , sondern unerwartet auch bei Henndorf auf deutsche Truppen getroffen. Der linke Flügel weicht nun hinter die Sinca , der schon über Szekely - Udvarhely hinausgekommene rechte konnte bis dahin errungene taktische Vorteile nicht mehr ausnutzen . Damit stand die Nordarmee ( IV. ) in der Luft.
Da ihre Verbindungen über
Kronstadt liefen, war die II. Armee im Rückzuge zu einer Die Nordarmee nahm Schwenkung nach Osten gezwungen. General von Arz auf die Hörner. Der durch Geisterwald und Persaner Gebirge heftig nachdrängenden deutschen Verfolgung dachte die rumänische II. Armee vor Kronstadt noch zähen Widerstand zu leisten, - eine Niederlage und das Ende der rumänischen Offensive auch im Norden waren die Folge. Der VerteidigungsRumänien , kampf um die rumänischen Grenzstellungen begann . das
entlasten
sollte ,
rief
jammernd
nach
Entlastung.
Schon wurden in der Ententepresse Stimmen vernehmbar, die die russischen und italienischen Angriffe offensiven für Rumänien ansprachen.
als
Entlastungs-
,,An den Paßstraßen auf der Ostfront leisten die Rumänen Widerstand", meldete der Tagesbericht der Obersten Heeresleitung vom 17. Oktober , und bald sollte dieser Widerstand russische Stärkung finden . Der Bericht unserer Verbündeten von demselben Tage stellt ,,im Györgyogebirge noch anhaltenden, rumänischen Widerstand " fest . Der versteifte Widerstand der Russen- Rumänen war erklärlich nicht nur dadurch, daß sie die versprochene russische Hilfe erwarteten ,
27
Der rumänische Feldzug.
sondern auch dadurch, daß ihnen die für jeden Beobachter der Natur des
Gebirgskrieges eine Binsenwahrheit bildende Erkenntnis
nicht
ganz fehlen konnte, daß mit jedem Schritte , den die verbündeten Truppen aus schwerenden ,
den engen , die damit
jede Gefechtsentwicklung Verteidigung besonders
erbe-
günstigenden Tälern herauskamen , ihre taktische und operative Freiheit größer werde. Einmarschkämpfe - das ist eine alte kriegsgeschichtliche Regel - rufen immer wieder Fälle hervor , in denen einzelne der Kolonnen plötzlich auf starke Überlegenheiten stoßen und schon errungene Vorteile vorübergehend wieder aufgeben müssen. -Wir haben allen Grund, über die Seltenheit solcher Fälle in unseren , auch durch das Wachsen der Stärke beim Gegner Erst sehr schwierigen Grenzkämpfen höchst erfreut zu sein . SO lauten die Lehren der Kriegsgeschichte weiter
dann, wenn hin-
reichend starke Kräfte sich durch die engen Paßstraßen hindurchgezwängt und einigen Entwicklungsraum gewonnen haben, kann die
Strategie
wieder
einen
Schritt
nach vorwärts machen .
Das alles darf man nicht vergessen, wenn eine längere Spanne Zeit in den Randgebirgen , namentlich im Südosten und Osten benötigt , wurde.
Von der Dreiländerecke bei Dorna Watra , wo deutsche und
österreichisch-ungarische Truppen schon auf rumänischem Boden in Schnee und Eis Raum gewonnen hatten , über die ganze siebenbürgische Ostfront hinweg ,
am Tomöser,
Predeal- ,
Törzburger,
Rotenturm- ,
Vulkanpaß, im Alt- und Jiultale mußten harte Kämpfe
um
den
brückenkopfartig für die Freiheit der strategischen Operationen nötigen Entwicklungsraum gekämpft werden, und nach dem taktischen Erringen der Paßausgänge selbst stand die strategische Entwicklung noch im Werden und rief heftige Kämpfe hervor. So dauerte es noch etwas, bis die Heerführung zu einem dann wuchtig und nachhaltig Raum gewinnenden und danach zu bemessendem Schlage ausholte . Am 19.
November meldet der Tagesbericht unserer Oberston
Heeresleitung:
An den Pässen über die rumänische Grenze sind er-
folgreiche Kämpfe im Gange " , während er bei der Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls von Mackensen ,,keine besonderen Ereignisse" feststellte . Am folgenden Tage waren deren doch insofern schon zu beobachten gewesen, als der Heeresbericht ,, ein Lebhafterwerden. der
Gefechtstätigkeit an der Dobrudschafront " enthalten konnte.
Es
war der
Auftakt zu den
Kämpfen südlich des Trajans-
walles , die in ihrem weiteren erfolgreichen Verlaufe über diesen weit nach Norden hinausführten und in ihrem Ergebnis den zweiten Abschnitt des rumänischen Feldzuges insofern abgeschlossen , als sie die Dobrudscha so gut wie eroberten , die Rumänen vom Meere ,
28
Der rumänische Feldzug.
ihrer Zuflußquelle , abschnitten, die Dobrudscha für einen direkten Angriff der Russen auf Bulgarien verriegelten , ohne optimistische Annahme unter allen Umständen wenigstens für die Zeit , in welcher das Schicksal Rumäniens entschieden werden konnte und endlich die Sarrail-Armee auf sich selbst und die geüber Saloniki eintreffenden Verstärkungen anwiesen. Wenn ein britischer Parlamentarier um diese Zeit die von Besorgnis diktierte , durch die früheren Erfahrungen bestätigte Anfrage stellte ,
gebenenfalls
ob man in Rumänien nicht wieder , wie sonstwo stets , zu spät käme , so hat der Tagesbericht unserer Obersten Heeresleitung vom 22. Oktober darauf die bündige Antwort erteilt , die der britische Minister wiederzugeben unterließ : ,, Die am 19. Oktober begonnene Schlacht in der Dobrudscha ist zu unserem Gunsten entschieden. Der russisch-rumänische
Gegner ist , nach schweren Verlusten auf der
ganzen Front, aus seinen schon im Frieden ausgebauten Stellungen geworfen, die starken Stützpunkte Topraisar und Cobadinu sind genommen. stätigung eintrittes
Die verbündeten Truppen verfolgen. " des aus
Das war die Be-
seit mehreren Tagen erfolgten scheinbarem Stellungskrieg in
Wiederdie
wegungs offensive auch in der Dobrudscha , die Quittung darauf , daß man nun hier zur Stelle hatte, was auch für den Kampf gegen starke , vorbereitete Stellungen nötig war,
eine neue Über-
raschung für die Rumänen und Russen, die , in nochmaliger Umgruppierung , starke Kräfte an den Flanken der siebenbürgischen Grenzgebirge sammelten , um den über die Grenzgebirge vordrückenden deutsch- österreichischen Divisionen die TalEine neue mit Blut geschriebene Erwege zu verlegen. innerung an die trotz den Lehren von Tutrakan, Silistria und Dobritsch von den Rumänen vielleicht wieder vergessene Bedeutung der Südfront. Auf der anderen Seite war es ein Schulbeispiel für die Neutralen für das Verfahren der Entente gegen kleine Staaten, die in ihre Netze fallen große Versprechungen erst, dann unzureichende Hilfe und endlich Vorwürfe ! Von rascher Unterstützung der Alliierten hänge das Schicksal des Landes ab, ließ die rumänische Regierung damals ,,Adverul" sagen . ,, Times " schimpfte auf Rußland , dieses auf Rumänien und ,,Bataille" sprach vom vorletzten Akte des Trauerspiels . Vor dem Losbrechen der neuen Mackensenschen Offensive war der Verlauf der Kampflinie in der Dobrudscha im allgemeinen durch die Orte
Tuzla- Topraisar-Agemlar -Cobadinu- Cocargea- Rasova be-
zeichnet. Gegenstöße des Feindes hatten auf dem linken Mackensenschen Flügel in der allgemeinen Linie Rasova-Mulciova unerschütter-
29
Der rumänische Feldzug.
lichen Widerstand gefunden und im Raume Tuzla- Topraisar -Cobadinu einigen Raum gewonnen . Die feindliche Offensive war dann aber ins Stocken geraten . Am 19. begann die neue operative Mackensenschen Dobrudschafeldzuges .
Auswirkung des Schwere Artillerie.
war herangeführt worden und hatte die ausgebauten feindlichen Stützpunkte sturmreif geschossen , rund 60 km spannte sich die feindliche vorbereitete Stellung Tuzla- Rasova. Von ihrer linken Flanke her wurde sie aufgerissen .
Als die Höhen von Tuzla- Topraisar (ein-
schließlich Stützpunkt ) und Agemlar, sowie der stark befestigte Stützpunkt Cobadinu gefallen waren , trat auf seinen linken Flügel der Feind noch am 21. den Rückzug auf Constantza und Medjidia an.
Vor Con-
stantza eine Riegelstellung zu behaupten, war er nicht imstande .
Der
rechte Flügel der Heeresgruppe Mackensen folgte und es setzte eine Schwenkung ein, bei welcher wir ausgesprochen einen rechten schwenkenden und einen linken , zunächst hinhaltenden Flügel beobachten können . Der rechte rumänische Flügel hatte in der allgemeinen Linie RasovaCocalega eine sehr starke Erdwallstellung eingenommen , die , nach dem Werfen des linken Flügels über die obengenannte Linie hinaus , auch unhaltbar wurde. Zeichnen wir erst in großen Strichen den Verlauf der Kämpfe bis zum 25. Oktober, dem Tage des Falles von Czernavoda , so fällt uns bei ihrer raschen Abwicklung das des höchsten militärischen Interesses würdige , oben schon kurz berührte Verfahren der Mackensenschen Heeresgruppe auf, das zunächst beleuchtet werden soll. Als am 21. mit der Wegnahme der beiden Stützpunkte Topraisar-Cobadinu eine Bresche in die die Norddobrudscha abriegelnde feindliche Stellung geschlagen worden war, beginnt die Heeresgruppe Mackensen eine große Linksschwenkung mit einem zunächst hinhaltenden linken , einem staffelweise schwenkenden rechten Flügel.
Am 22. hatte der
rechte Flügel, der am vorhergehenden Tage noch bis Mulciova gelangt war, die Richtung auf Constantza- Murfutlar (schon nördlich des südlichen Trajanwalles) genommen, besetzte Constantza und gelangte noch an demselben Abend bis in die allgemeine Linie Islam- Tepe (schon wesentlich
nördlich Constantza) Alacap (schon nördlich Murfutlar,
zwischen den beiden nördlichen Trajanswällen und nördlich der Bahn Constantza - Medjidia). Die Gruppe des linken Flügels geht nur bis zur Linie Idris Kiruß- Rasova vor. Zwischen beiden Gruppen bewegt sich bulgarische Kavallerie auf Medjidia , das sie noch am 23. stürmt. Am 23. spricht sich die Schwenkung des rechten Flügels noch stärker aus und er gelangt , von links gerechnet, in die Linie Medjidia- Karaman ,
30
Der rumänische Feldzug.
20 km nordöstlich Medjidia auf der großen Rückzugsstraße der rumänischen Armee.
Der linke hat den halben Weg, er nähert
sich, wieder von links betrachtet , der Südecke des Brückenkopfes Czernavoda und gelangt in die allgemeine Linie Cochirleni- Medjidia . Die rechte Flügelgruppe hat jetzt schon eine nach Nordwesten gerichtete Front . Am 24. wird vom rechten Flügel die allgemeine Linie Ester- Dorobantu-Tortoman- Defcea erreicht, der linke schließt den Brückenkopf ein.
Hinter dem rechten Flügel wird eine starke
Staffel mit Front nach Norden gebildet , die diesem Flügel Schutz gegen Flankenangriffe geben soll, welche, bei seiner Richtung fast nach Westen, sonst unbequem werden könnten . Am 25. ist der linke Flügel im Besitz von Czernavoda .
Einen Flankenstoß , gegen den Vorsichts-
maßregeln getroffen worden waren, wagten die Rumänen aus dem Brückenkopf nicht mehr. diesen länger zu halten .
Sie fühlten sich nicht mehr stark genug, Bei ihnen hat sogar zweifellos die Be-
fürchtung bestanden, der linke Flügel Mackensens könne die Donau
überschreiten ,
wie auch die
Sprengung
der
großen
Brücke, die der Entwicklung der strategischen Lage im übrigen entsprach , deutlich beweist . Die Lage zwang die Russen und Rumänen zum Rückzug in die Norddobrudscha , die im Norden und Westen von der Donau, im Osten durch die Kette der Uferseen und das Meer begrenzt wurde.
Damals begannen deutsch- österreichische
Kräfte
schon bei Kampulung und Predeal von den nordrumänischen Grenzgebirgen herabzusteigen . Hermannstadt,
Bekannt ist , daß der größte Teil der bei
Fogaras, am
Geisterwalde und bei Kronstadt ge-
schlagenen II. rumänischen Armee in der Richtung über den Tomöser Paß zu entkommen suchte, dort von bedeutenden rumänischen Verstärkungen, die der Generalstab , entsprechend der großen Bedeutung des
Überganges ,
eiligst
dorthin
hingeworfen hatte ,
aufgenommen
wurde, daß die verbündeten Truppen aber zunächst nur verhältnismäßig schwache Abteilungen folgen lassen konnten.
Trotzdem war
acht Tage nach der Einnahme von Kronstadt der größte Teil der beherrschenden Höhen in den Händen der kämpfenden
Deutschen und
Honveds.
Unterlegenheit hatte
hier starker durch die Bodengestaltung wahrlich begünstigter Überlegenheit gegenüber diese Erfolge errungen. Durchbruch
und
Umfassung
hatten
die
russisch-rumänische
Dobrudschastellung zu Fall gebracht und von links aufgerollt ; russische, von den Rumänen von Norden her erbetene Verstärkungen hatten den starken rechten Flügel Mackensens nicht aufzuhalten vermocht . König Karols große Schöpfung , der bedeutendste rumänische Kriegshafen, war verloren, die beste unmittelbare Verbindung der See mit
Der rumänische Feldzug.
31
Bukarest, die Möglichkeit , von Odessa direkte Verstärkungen zu erhalten, die Hauptlebensader Rumäniens , die Bahn Constantza- Cernavoda war abgeschnitten . Nur 200 km trennten den Dobrudschaschauplatz von den Stätten, wo die Rumänen die Haupteingänge der Walachei auf der Ostflanke der transsylvanischen Alpen verteidigen. ,,Damit ist gesagt, daß das ganze , westlich der Linie Czernavoda— Buzeu- Bodzavan gelegene Gebiet , also die Walachei mit Bukarest, von einem abschnürend wirkenden , konzentrischen Vormarsch bedroht erscheint" schrieb der ,, Bund" am 26. Oktober. An
den
Hauptübergangspunkten
südlich
Kronstadt
ging der
Kampf der verbündeten Truppen vorwärts und hatte der 23. den Besitz des von schweren Batterien, einschließlich Villa Bratianu , niedergekämpften , zu einem Trümmer haufen gewordenen Predeal gebracht, was die Rumänen verschwiegen, um nicht die Aufmerksamkeit des Auslandes auf die Möglichkeit der nahen Bedrohung auch des Königsschlosses Sinaia zu lenken ; im Raum des Törzburger Passes tobten aber , und 12 km nordöstlich Campulung, heftige Kämpfe . Rechts und links des Rotenturmpasses waren deutsch-österreichische Truppen in den Fogarasbergen bis Scare zur Öffnung des Topolugutals gelangt,
das
die zweite Bergstellung
Caneni umgeht.
des großen Oltutals südlich
Am Vulkanpaß, im Talwege des Jiuflusses, drängten
verbündete Truppen über die Grenzscheide , augenscheinlich in der Absicht, in der Richtung auf Targu- Jiu Raum zu gewinnen ; bei Orsova wurden österreichische Offensivversuche gemeldet .
Trotz der
starken Bedrängnis der Rumänen hatte Brussilow nicht die Möglichkeit gefunden , noch einmal zu einem Generalangriff zu schreiten. Hatten die Massenstürme mit entsetzlichen Menschenopfern , und hatten Abgaben an die rumänische Front seine Kampfkraft stark beschnitten , so daß er auf Verstärkungen warten mußte, um seine Angriffsbewegungen als Entlastungsoffensive wieder aufzunehmen ? Teilkämpfe heftiger Art finden wir von der Stochodquelle bis zur Narajowka , örtliche Kämpfe auch in den Karpathen , die , wie die Angriffe an der Somme, entlastend wirken sollten. In der Moldau wurden starke russische Truppenkörper wahrnehmbar , die sich zur Unterstützung der Rumänen zurechtschoben , die aber sowohl durch das drohende Erscheinen der Divisionen der Armee von Arz am Tölgyespaß und Bekaspaß wie durch den Fall der Linie Constantza - Czernavoda von wo aus eine strategische - schon geBedrohung über die Donau hinüber bereits ausging zwungen waren, auf die Deckung der bessarabischen Flanke Rücksicht zu nehmen. Der rumänischen Heeresleitung war unterdes --- doch wohl ein
ausgesprochenes
Mißtrauensvotum
der
Entente
für ihr
32
Der rumänische Feldzug .
Können !
ein Berater in der Person des französischen
Generals
Berthelot , des Vertreters der französischen Schule , die strategische Verteidigung besonders pflegt , erstanden . Werfen wir einen Blick auf die Monatswende Oktober- November, so hat uns der Tagesbericht der Obersten Heeresleitung vom 27. Oktober aus der Dobrudscha gesagt : ,, Die Verfolgung der geschlagenen Dobrudschaarmee wird fortgesetzt , die Gegend von Harsova ist von den verbündeten Truppen erreicht. "
Der vom folgenden Tage be-
richtete , daß unsere verfolgenden Abteilungen bis dahin wenig Widerstand fanden, alle Anzeichen auf einen hastigen Rückzug des Gegners deuteten ; der vom 31. , daß unsere verfolgenden Abteilungen in der Norddobrudscha in enger Fühlung mit russischer Infanterie und Kavallerie standen . Die Berichte der beiden folgenden Tage sprachen von unveränderter Lage bzw. keinen Ereignissen von wesentlicher Bedeutung. Die Geschehnisse in der Dobrudscha haben die Russen und Rumänen dort vor eine Krisis gestellt , der sie sich mit knapper Not noch durch Gegenangriffe zu entziehen versuchten . Mackensens Vorhuten erreichten in der Verfolgung mit dem linken Flügel am 26. Oktober Harsova , am 27. die allgemeine Linie Babadag- Ostrow. Den geschlagenen russisch-rumänischen Streitkräften war es anscheinend gelungen, sich hinter die genannte Linie zu retten, wo sie , Rückhalt gewinnend an weiteren russischen und rumänischen Verstärkungen , nunmehr das Hügelland der Norddobrudscha zu verteidigen suchten. Von Czernavoda bis Ostrow, vom Medjidia bis Babadagh hatte
Mackensens
Verfolgung
diesem wegearmen Lande
eine staunenswerte Leistung in
rund 70 km zurückgelegt .
Aus nahe-
liegenden und sehr verständlichen Gründen versteift sich jetzt der Widerstand des Gegners. Zu dem schmalen und stark abgeflachten, ihnen in der nördlichen Dobrudscha gebliebenen Operationsraum führten für die Russen und Rumänen drei Pontonbrücken bei Braila , Isaccea und Tulcea , die auch die einzigen Ausgänge aus der Dobrudscha darstellten. Wollten starke russische Kräfte Sacharows sich in der Dobrudscha noch halten - den Gedanken an eine spätere Offensive im Sinne - oder die geschlagene Armee in einiger Ordnung und ohne zu schwere Einbußen über die genannten Brücken abziehen , so war doch in beiden Fällen der Angreifer in entsprechender Entfernung brückenkopfartig von den Brücken abzuhalten . beides unmöglich erscheinen.
Die
Ohne Raum mußte
Heeresgruppe
Mackensen
stand vor einer neuen Aufgabe. Ob diese gleich offensive Lösung , die in der Dobrudscha zur Vorbedingung das Fehlen einer Flankenbedrohung, zahlreiche schwere Artillerie, große Munitionsvorräte und Überwindung des Widerstandes in der allgemeinen Linie Ostrow-
33
Der rumänische Feldzug. Drumbei
Topolog- Karaman
hatte,
als
Ziel
die
Eroberung
der
Brückenköpfe finden würde , ließ sich nicht sagen . Voraussagen konnte man damals auch nicht, wie sich die Operationen des Generals von Falkenhayn und des Erzherzogs Karl in dem neuen Feldzugsabschnitt damit verknüpfen ließen. Moderner Bewegungskrieg größten Stils aber war es sicher , der bei erfogreichem Durchbrechen und Vorgehen der siebenbürgisch-rumänischen Front Falkenhayns auch wohl, folgerichtig an
diese
anknüpfend , an
der
von Norden be-
drohten Süddonaufront Überraschungen bringen könnte !
Moderner
Bewegungskrieg , der jetzt , nach einheitlichem Plan und unter Verwendung Feldherren geführt
schwerster
Artillerie ,
von
deutschen
wurde und die Hoffnung der Russen , der
Winter werde die Vierbundstruppen zum Aufgeben der Operationen in Rumänien zwingen, neben manchem anderen in kleine Scherben schlug. Nachdem Falkenhayn und Arz nach den Erfolgen von Hermannstadt , Fogaras, Kronstadt und auf den Höhen des Györgyogebirges die Rumänen aus Siebenbürgen herausgeschlagen hatten und auf der gewaltig breiten Front vom Vulkan- bis zum Gyimespaß über die Kammhöhe der transsylvanischen Alpen nach der Moldau und Walachei verdrängten, nachdem die Heeresgruppe Mackensen gleichzeitig die Dobrudscha eroberte , an der ganzen Donaufront von Ufer zu Ufer das Artilleriefeuer angeschwollen war und kühne bulgarisch- deutsche Abteilungen schon stellenweise den Fuß auf das Nordufer des Stromes gesetzt haben, ist es den Rumänen unmöglich, genau zu erkennen , wo ihnen der Hauptschlag droht. Sie sind gezwungen, nach allen Seiten Front zu machen und auf der Hut zu sein . Was sich bei ihren Gegnern an Verschiebungen südlich der Donau und nördlich der transsylvanischen Alpen vollzieht, entgeht zum großen Teile ihrer Einsicht. Der
Vierbund
diktiert
hier
das
Gesetz ,
das
wird
dem
begonnenen dritten Abschnitt des rumänischen Feldzuges wohl den Stempel aufdrücken.
Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 544.
3
34
Das vaterländische Hilfsdienstgesetz .
III.
Das vaterländische Hilfsdienstgesetz . Ergebnisse und Folgerungen.
Von Dr. Heinrich Pudor.
Der deutsche Hilfsdienst verfolgt nicht nur den Zweck, mehr Munition, Kriegsausrüstung und mehr Brot zu schaffen , sondern auch den Zweck, mehr Soldaten bereitzustellen¹ ) .
Daß er mehr Soldaten
schaffen soll, klingt auf den ersten Augenblick überraschend, da es sich doch um Zivildienst handelt . Indessen sollen eben alle die , welche zwar an sich für den Heeresdienst befähigt sind, aber bisher als unabkömmlich reklamiert waren , durch Hilfsdienstpflichtige ersetzt und für den Heeresdienst freigemacht werden, und ihrer sind sicherlich eine sehr große Menge man denke an Eisenbahnen , Post, Munitionsund Waffenfabriken , ganz zu schweigen von der gesamten übrigen Industrie. Nur auf die Landwirtschaft wird man hierbei nicht rechnen dürfen.
Im übrigen sagte der Leiter des Kriegsamtes General Groener
am 29. November 1916 im Reichstag ausdrücklich : ,,Eine besondere Aufgabe wird es sein, Wehrpflichtige an den Stellen , wo Hilfsdienstpflichtige dasselbe leisten können, für ihren eigentlichen Wert freizumachen und nach vorn herauszunehmen." Hierbei werden auch die weiblichen Arbeitskräfte, deren Angebot heute nach der Erklärung des Staatssekretärs größer ist als die Nachfrage , eine Rolle spielen . Alle Maßnahmen zur Ersetzung der männlichen Arbeit durch Frauenarbeit, sagte Dr. Helfferich am 29. November 1916 im Reichstagsplenum , müssen weitergeführt und ausgebaut werden. Und da in der Landwirtschaft die Frau schon heute die vorherrschende Arbeitskraft bildet, wird man diese Forderung auch für die Stadtbevölkerung nur als billig anerkennen müssen . Wenn somit der vaterländische Hilfsdienst in erster Linie unsere Kriegsrüstung erheblich stärken wird --- mehr Soldaten und mehr Kriegsmaterial
und hierzu zweifellos auch in erster Linie bestimmt
1 ) Nicht allzu gering einzuschätzen ist die Nebenwirkung , daß unsere Feinde von unserem festen Willen , durch jede mögliche Stärkung unserer. Kriegsrüstung den Sieg zu erringen, überzeugt werden.
Das vaterländische Hilfsdienstgesetz.
35
ist¹) , so wird er anderseits in seinen Folgeerscheinungen unsere VolksDenn von vornherein wirtschaft beträchtlich beleben und stärken. und ohne weiteres bedeutet er eine Mobilisierung und Fruchtbarmachung
aller
bisher
brach liegenden
Bevölkerungselemente
und
steigert die Produktionskraft des Landes ganz erheblich. Deshalb hat man bei ihm mit einem gewissen Recht von einer Mobilisierung der Arbeit gesprochen . Einerseits werden hunderttausende Kräfte und Hände , die bisher eine volkswirtschaftliche Ödfläche bildeten und sozusagen dürre Reiser am Baum der Nationalwirtschaft darstellten, für die produktive Arbeit herangezogen und fruchtbar und nutzbar gemacht, und anderseits werden viele Betriebe, die bisher volkswirtschaftlich erst in zweiter Linie produktive Arbeit leisteten , bzw. soweit möglich umgestaltet, derart, daß auch sie für die Kriegswirtschaft und deren Hilfswirtschaften dienstbar
stillgelegt
gemacht werden. Hierunter werden auch diejenigen Betriebe fallen, welche nationalwirtschaftlich eigentlich mehr in negativer Richtung in Betracht kamen , insofern sie ihre Rohmaterialien zu teueren Preisen aus dem Auslande bezogen oder ausländische Halbfabrikate weiter Vor allem aber gehören hierher alle Luxusbetriebe , verarbeiteten . d. h. solche Betriebe , die Luxuswaren und mehr oder weniger entbehrliche Gegenstände herstellen2) . Um welche bedeutenden Werte es sich hierbei handelt, hat Verfasser in seiner Arbeit ,,Deutschland als geschlossener Volkswirtschaftsstaat" des näheren nachgewiesen. Es ist zwar richtig , daß, rein volkswirtschaftlich genommen , es sich gleich bleibt, ob eine Industrie unentbehrliche oder entbehrliche Gegenstände herstellt , indessen sind die für die Herstellung solcher 1 ) Nach der Erklärung des Chefs des neuen Kriegsamtes General Groener sind die Zwecke des Gesetzes , ,,Arbeiter für die Munitionsindustrie bereitzustellen , dann Wehrpflichtige , die bisher in Heimatbetrieben unentbehrlich waren, für den Heeresdienst freizumachen, endlich dem neuen Kriegsamte eine feste staatsrechtliche Grundlage für seine Tätigkeit zu geben “. 2) Bereits am 25. Februar 1915 veröffentlichte der Reichsanzeiger eine vom 25. Februar gezeichnete Kaiserliche Verordnung, in der der Reichskanzler ermächtigt wird , die Einfuhr entbehrlicher Gegenstände über die Grenzen des Deutschen Reiches bis auf weiteres zu verbieten und die zur Durchführung des Verbotes erforderlichen Maßnahmen zu treffen . Auf der Liste der ,, entbehrlichen Gegenstände " finden wir lebende Pflanzen , Obst wie Mandarinen , Traubenrosinen , Ananas , Ingwer und Vanille , ebenso Kaviar, Schaumwein , Likör, Zuckerwerk und Schmuckfedern , ferner künstliche Riechstoffe , Schönheitsmittel , Seidenwaren, Baumwolltüll, Kleider und Putzwaren , künstliche Blumen , Fächer, Hüte , Mützen, Pelzwerk, Gemälde , Edelsteine , Gold- und Silberwaren , Spielzeug u . a. 3*
36
Das vaterländische Hilfsdienstgesetz,
Luxuswaren entnommenen Rohstoffe und Bedarfsstoffe abgesehen davon ,
also ganz
daß während des Kriegszustandes alles Entbehr-
zum größeren Teil nicht der heimischen , liche zurücktreten muß sondern der ausländischen Materialwirtschaft entnommen. Als Beispiel mögen Luxuspelzwaren angeführt werden¹ ) . Auch ein beträchtlicher Teil des Fertigwaren einführenden und verteilenden Handels gehört hierher, besonders
soweit es sich um Genußmittel handelt
(z. B. Südfrüchte , Einfuhr im Jahre 1913 für 215,5 Mill . Mark) . Nicht also nur , daß die Einfuhrwerte solcher Auslandswaren nunmehr gespart werden, werden auch die an ihrem Handel und an ihrer Weiterverarbeitung beteiligten Bevölkerungskräfte für die
im
engeren
Sinne
nationalwirtschaftlichen Betriebe
und
für den vaterländischen Hilfsdienst bzw. für die Kriegswirtschaft frei, so daß einmal die Nationalwirtschaft und anderseits die KriegsEs ist zwar an sich begreiflich , daß die wirtschaft gestärkt wird. Exportkreise selbst sich gegen die Stillegung eines Teils ihrer Betriebe auflehnen und bemüht sind , die Anwendung des neuen Gesetzes auf ihre Betriebe zu verhindern , aber angesichts der ernsten Kriegslage und des trotz aller Siege sehr schweren Kampfes - noch können uns neue Feinde, dem Zwange Englands folgend, erstehen ist es nicht zu vermeiden, daß alle Betriebe , welche nicht mittelbar oder unmittelbar
der
Kriegsrüstung und
Kriegswirtschaft
dienen ,
geschädigt werden . Zudem steht es ihnen frei , sich für die Kriegszeit entsprechend umzugestalten und außerdem werden sie unter Umständen Dazu kommt , daß es einige Exportbetriebe gibt , die für die Volkswirtschaft , wie schon angedeutet , nicht gewinnbringend sind. Und was die Handelsbetriebe betrifft, so könnte das Gesetz eine recht willkommene Handhabe bieten, den Wucher- und Kettenhandel end-
entschädigt.
gültig auszuschalten . In dieser Richtung ließ es sich der nationalliberale Abgeordnete Dr. Stresemann angelegen sein , als Anwalt namentlich der sächsischen Exportindustrie aufzutreten , indem er u . a. sagte : ,,Es müssen in gewissem Sinne auch die für die Ausfuhr arbeitenden Industrien zum
1) Luxusrohmaterial bilden mehr oder weniger ausländische Hölzer (z. B. Zedernholz im Jahre 1913 für 2467 000 M. eingeführt, Mahagoni und Polisander für 2882 000 M. , Gerbholz und Gerbrinden für nicht weniger als 17644000 M. ) und in der Textilindustrie die Seide ( 1913 allein ungefärbte Rohseide für rund 158 000 000 M. eingeführt ) . Diese Beispiele ließen sich natürlich leicht verzehn- und verhundertfachen . Bezüglich der Textilindustrie sagte Staatssekretär Dr. Helfferich am 26. November 1916 im Reichstagsausschuß zutreffend , daß viele Textilfabriken nur noch unter Verhältnissen arbeiten, die keinen Verdienst mehr abwerfen.
37
Das vaterländische Hilfsdienstgesetz.
vaterländischen
Hilfsdienst
gehören .
Wir
müssen jetzt
von
der
Streckung der Arbeit zu der Intensität der Arbeit übergehen. " Wir sehen davon ab, daß der Abgeordnete Stresemann hier ein altes Kampfspiel zwischen rechts- und linksstehenden Parteien
Ausfuhr , innerer
wieder hervorgebracht hat und weisen darauf hin , daß in dieser ernsten Stunde die Interessen der Ausfuhr industrie unbedingt hinter denen der Vaterlandsverteidigung und Stärkung der Rüstungsindustrie hintan zu treten haben , zumal wir mit unseren jetzigen AusMarkt
fuhren an Kohlen, Eisen , Farbstoffen, Lebensmitteln an die neutralen Länder, wie unsere nunmehr bis auf die Kohlrübe heruntergebrachte Eigenernährung zeigt, ein sehr schlechtes Geschäft machen , das etwas einseitig die Neutralen und auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Umwege die Feinde begünstigt. Daß alle Betriebe, welche lediglich der Zerstreuung und dem Vergnügen dienen , stillzulegen sind, wofern man überhaupt mit der Organisierung der Arbeit des ganzen Volkes Ernst machen will , ist Man muß indessen wohl unterscheiden zwischen selbstverständlich . Theater, welche klassische und sonstige Erbauung und Vergnügen . gediegene Literatur bieten , sind nicht nur nicht überflüssig, sondern notwendig ; auch die heitere Muse , wofern sie nicht Frivolitäten bietet , kann man nicht entbehren .
Aber alles , was unter den Namen Variété,
Schwank und Posse fällt , ist kurzerhand zu unterdrücken , derart , daß die in Betracht kommenden Kräfte , sowohl die darbietenden als die genießenden , für die Kriegswirtschaft frei werden . Auch aus den Kinos , deren Zahl ganz gut verringert werden kann , ist alles , was ohne Geist und Herz ist, zu beseitigen. Und mit aller Rücksichtslosigkeit ist gegen die immer noch ihr Unwesen treibenden Animierkneipen vorzugehen.
Inzwischen hat Dr. Helfferich am 29. November
1916 im Reichstag die Presse ohne weiteres als Hilfsdienstpflichtberufschaft angesprochen, und General Groener hat am 30. November bei Gelegenheit der zweiten Lesung erklärt : ,,Zum vaterländischen Hilfsdienst gehört die Presse , nicht nur die Tagespresse , sondern auch Bei die religiöse Presse , die Sonntagsblätter und die Fachpresse . 66 dieser Gelegenheit hat er sich auch der Rechtsanwälte angenommen , obschon es doch wahrlich genügend bekannt ist und feststeht , daß wir schon in Friedenszeiten an überflüssig vielen Rechtsanwälten buchstäblich ,,laborierten ". In dieser und ähnlicher Richtung, in der auch an den bekannten Erlaß des Münchener Polizeipräsidenten erinnert sei , wird das neue Gesetz allerdings und auch abgesehen von der Belebung der Produktivkräfte des Volkes , sittliche Eroberungen machen, nicht nur wirtschaftliche. Sagte doch auch der Leiter des Kriegsamtes General Groener am 29. November 1916 bei der ersten
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Das vaterländische Hilfsdienstgesetz .
Lesung des Gesetzes im Reichstag, das Gesetz sei ein sittliches Gesetz , nicht ein Zwangsgesetz ; wenn das auch in anderem Sinne , als dem vorherigen gemeint war , trifft doch beides zusammen. Aus ähnlichen Gründen ist es unmöglich, die Hochschulen und höheren Schulen zu schließen oder auch nur zu beschränken¹ ) .
Denn
auch sie dienen mittelbar, indem sie den Nachwuchs heranbilden , dem Vaterlandsdienst .
Lediglich darüber, wie sie in dieser Richtung
zu reorganisieren sind, derart , daß vor allem jeder überflüssige fremde Ballast zugunsten der Heimat und des Vaterlandes über Bord geworfen wird und die körperliche Ertüchtigung planmäßig angestrebt wird, würde zu sprechen sein. Mittlerweile hat am 30. November 1916 General Gröner erklärt , daß die Universitäten ähnlich behandelt werden Isollten wie die technischen Hochschulen und daß man die Dozenten und Studenten in die Betriebe hinausbringen wolle .
Wie haben, so
empfehlenswert dieser Weg für beide Teile in praktischer Beziehung ist , zwei Bedenken , erstens, daß man doch nicht alle Studenten und Dozenten hierzu brauchen kann (man denke an die Berliner Hochschulen) und zweitens , daß man nicht weiß, ob der Krieg nicht noch Jahre dauert, und für diesen Fall wäre dann eben auch eine engere Auswahl beider Teile vorzuziehen. Ein Redner des Reichstagsausschusses hatte befürchtet , daß auch die oppositionelle Presse unter die Bestimmungen des neuen Gesetzes fallen könnte.
Man müßte dann zuvor fragen, welche Presse hierunter
gemeint ist . Welche Berufe kommen nun überhaupt in Frage ?
Man braucht
hierzu durchaus nicht die einzelnen Berufe durchzugehen, sondern es genügt, an die allgemeine Forderung zu erinnern, daß jeder , der nicht für die Kriegswirtschaft tätig ist, auch ohne daß Zwang ausgeübt wird, und gleichgültig, ob es sich um amtliche, kaufmännische , industrielle oder um freie Betriebe handelt , umspannen und sich der neuen Ordnung einfügen muß.
Wir kommen damit zu der Frage der Ausführungsbestimmungen des Gesetzes. Das ganze Gesetz , so wie es entworfen und von den leitenden Beamten des Reiches im Reichstagsausschuß vertreten wurde, schwebte eigentlich noch in der Luft , und der stellvertretende Reichskanzler nannte es selbst ein ,,Mantelgesetz ", das seinen wirklichen Inhalt erst bekommen müsse . Wir müssen gestehen, daß es doch ¹ ) Staatssekretär Dr. Helfferich sagte dagegen im Reichstagsausschuß am 25. November 1916 : ,,Die Hochschulen und höheren Schulen fallen natürlich unter das Gesetz . “ Am 29. November 1916 im Plenum des Reichstages hat er dagegen die Lehrerschaft ausdrücklich als Hilfsdienstberufschaft angesprochen .
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Das vaterländische Hilfsdienstgesetz.
einigermaßen auffallend und bedenklich ist, wenn eine Regierung ein Gesetz einbringt, von dem man , wie bei einem leeren Schlauch , den Inhalt noch nicht kennt. Anderseits nannte Herr Dr. Helfferich das Gesetz ,, sozusagen eine Kriegsgewerbeordnung ".
Dann wundern wir
uns einerseits , daß eine Kriegsgewerbeordnung erst nach reichlich zwei Kriegsjahren serviert wird und anderseits, daß eben diese Kriegsgewerbeordnung so bedenklich luftig und lückenhaft und eben nur als Eine KriegsgewerbeMantelgesetz dem Reichstag vorgelegt wird. ordnung ist von unserer Seite längst vorgeschlagen und der Regierung anempfohlen worden , derart, daß vor allem die gesamte in den Innungen zusammengefaßte vaterländische Arbeit für die Kriegswirtschaft gewissermaßen beschlagnahmt wird¹ ) .
Soweit die Betriebe den Innungen
nicht unterstehen , würden die Gewerbe- und Handelskammern an ihre Stelle treten.
Dann allerdings wäre es möglich gewesen, daß , wie es
der Staatssekretär ausdrückte,,,die Arbeit zum Arbeiter kommt". Wenn es nach den Konservativen gegangen wäre , wären auch in das Gesetz dem Staatsaufbau dienende feste Mittelstandspfeiler eingesetzt worden, denn bei der dritten Lesung hatten die Konservativen eine Entschließung Graf Westarps vorgelegt , die verlangt , daß bei Fragen, die das
Handwerk
und
Kleingewerbe
betreffen ,
geeignete
Sach-
verständige auf Vorschlag des deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages zugezogen werden²) .
Angehörige kleinerer und mittlerer
selbständiger Handwerks- und Gewerbebetriebe sollen den Hilfsdienst möglichst in ihrem eigenen Betriebe leisten können. Empfohlen wird der Zusammenschluß solcher Handwerksbetriebe zu Lieferungsgenossenschaften für die Bedürfnisse der Heeresverwaltung. Die Einziehung von Handwerkern in ländlichen und kleinen Stadtgemeinden soll tunlichst vermieden werden, soweit sie zur Aufrecht1 ) Eine Entschließung des Zentrums schlug die Bildung einer eigenen Abteilung für das Handwerk im Kriegsamt vor. 2 ) Bei dieser Gelegenheit sei an die Hauptstelle für gemeinschaftliche Handwerkslieferungen , G. m . b . H. , Berlin SW 61 , erinnert , die die von der Beschaffungsabteilung der Feldzeugmeisterei in Vereinbarung mit dem deutschen Handwerks- und Gewerbekammertag festgesetzte Stelle für Übertragung von Heereslieferungen an das Handwerk ist. Die an und für sich sehr zu billigenden , aber kaum angewendeten Beschaffungsgrundsätze des Waffen- und Munitionsbeschaffungsamtes sind : 1. Forderung, möglichst nur Personal zu beschäftigen , das nicht kriegsverwendungsfähig ; 2. die Aufträge werden grundsätzlich nur an Selbsthersteller vergeben ; 3. die Vergebung von Aufträgen durch die Beschaffungsstellen an Agenten, Vermittler oder Zwischenhändler ist ausdrücklich verboten .
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Das vaterländische Hilfsdienstgesetz.
erhaltung und Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung dienen. Nicht kriegsverwendungsfähige Handwerker sollen möglichst zur Entlassung kommen. Vor der Schließung von Kleinhandelsgeschäften sollen die Kleinhandelsausschüsse der Handelskammern gehört werden. Alle diese Forderungen sind für die Aufrechterhaltung des landwirtschaftlichen Betriebes einerseits und zur Vermeidung weiterer Zerrüttung des Handwerkermittelstandes anderseits unerläßlich, aber wenn es darauf ankommt, findet der Mittelstand immer nur auf der rechten Seite des Hauses Unterstützung und Verständnis . Vielmehr hat das Gesetz schon so wie es von der Regierung vorgelegt wurde , staatssozialistisches Gepräge , wenn man will, sogar demokratisches
Gepräge, denn es erkennt in seinen Ausführungs-
bestimmungen¹ ) die Arbeitervertretungen als gleichberechtigt an und steht in dieser Beziehung auf den Schultern des Reichsvereinsgesetzes. Das von den rechtsstehenden Parteien so heftig bekämpfte Koalitionsrecht der Arbeiter bestimmungen²).
bildet
die Voraussetzung seiner Ausführungs-
Und in dieser Richtung steht das Gesetz auch ganz
im Einklange mit der regierungsseitigen Anerkennung der sozialdemokratischen Gewerkschaften, für die sie im Verlaufe dieses Krieges oft genug Zeugnis abgelegt hat.
Herr Dr. Helfferich voltigierte
und
manövrierte über all das sehr geschickt hinweg , indem er sich diesmal scheinbar auf die rechte Seite des Hauses zu stützen bemühte und deren Interessen in pathetischen Worten gegen die der Linken und die Angriffe der Sozialisten in Schutz nahm. Und wenn der Eisenbahnminister nicht allen Bestimmungen, die das Streikrechtverbot gefährden könnten, ein sehr energisches ,, Hände weg" zugerufen hätte - dem sich Herr Dr. Helfferich anbequemen mußte dieses gefallen .
, wäre vielleicht auch
Immerhin wurde also gegen die Stimmen der Rechten
der von den Sozialdemokraten beantragte § 13a mit dem Zusatz des Abg. Dr. Spahn in zweiter und dritter Lesung angenommen³) . Ebenso trägt das Gesetz bezüglich der eingeführten ,,Ausschüsse "
1) Nach § 11 müssen schon in Betrieben mit 50 Arbeitern Ausschüsse errichtet werden. Das gleiche gilt von den Angestelltenausschüssen . Nach dem Antrag Behrens (deutsche Fraktion ) sollen sogar in der Landwirtschaft Einigungsämter errichtet werden . Auch das Zentrum (z . B. Abg. Becker-Arnsberg ) zeigte sich in der zweiten Lesung recht sozialistisch. 2 ) Abg. Dr. Junck (natlib. ) sagte : ,,Wir halten an unserer Forderung fest. Das Koalitionsrecht muß gesichert werden. “ 3) Den im vaterländischen Hilfsdienst beschäftigten Personen darf die Ausübung des ihnen gesetzlich zustehenden Vereins- und Versammlungsrechtes zur Vertretung ihrer wirtschaftlichen Interessen über die auf Grund des Belagerungsgesetzes erlassenen Verordnungen hinaus nicht beschränkt werden."
Das vaterländische Hilfsdienstgesetz . sozialistischen Charakter.
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Diese Ausschüsse haben nach § 4 darüber
zu entscheiden, ob ein Beruf oder Betrieb als Hilfsdienst gilt oder nicht, und nach § 5 besteht jeder dieser Ausschüsse aus einem Offizier als Vorsitzenden ,
zwei höheren Staatsbeamten sowie je zwei Ver-
tretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, so daß also auch hier die Arbeitnehmer als vollberechtigt anerkannt sind. Man konnte es daher dem nationalliberalen Abgeordneten Stresemann nachfühlen als er ausrief : ,,Zum ersten Male werden die ArbeiterDas ist der Siegeszug des ausschüsse hier gesetzlich eingeführt . Organisationsgedankens" (er meinte wohl : des sozialistischen GeGleichzeitig klagte er aber, daß durch das Gesetz zwei
dankens ).
Grundrechte der Arbeiterschaft , die Freizügigkeit und die Arbeitswerden , während wir unserseits allerdings der Meinung sind , daß man den Kriegszustand dazu zu benutzen ver-
einstellung aufgehoben
pflichtet wäre , die Grundpfeiler der staatserhaltenden (konservativen) Weltanschauung wieder festzumauern , u . a. auch die Freizügigkeit ganz allgemein zu beseitigen. Es war erfreulich und zugleich durchaus folgerichtig, daß die Konservativen diese sozialistischen Paragraphen 11 bis 14 gestrichen haben wollten und daß der Konservative Nehbel erklärte : ,, Das gegenwärtige Gesetz scheint uns nicht geeignet , jetzt mitten im Kriege die obligatorische Einführung von Arbeiterausschüssen zu bringen. Wir lehnen daher diese Paragraphen ab. " Während Dieses Gesetz bringt der Zentrumsabgeordnete Giesberts erklärte : der Arbeiterschaft eine so weitgehende Beschränkung der Freizügigkeit, daß wir sie wirksam gegen jede Lohndrückerei schützen müssen “, und auch der sehr stark sozialistisch gefärbte Abgeordnete Behrens aussprach : ,, Die Einrichtung der Arbeiterausschüsse ist sehr zu begrüßen. " Ebenso folgerichtig und berechtigt war seitens der Konservativen die Forderung, die landwirtschaftlichen Betriebe , die durch die §§ 11 bis 14 mit erfaßt wurden, herauszuziehen . Abgeordneter Roesicke begründete aber diese Forderung , deren Notwendigkeit allerdings nur von den Landwirten klar erkannt werden kann , leider erfolglos ; der Antrag wurde in der dritten Lesung abgelehnt . Schließlich wurde in eben dieser Richtung , den sozialistischen Charakter betreffend, das ganze Gesetz auf eine harte Probe gestellt, als es sich in der dritten Lesung um den sozialdemokratischen Antrag handelte , die Vorschriften der §§ 11 bis 14 , die sich auf die Arbeiterausschüsse beziehen, auch auf die Eisenbahnbetriebe auszudehnen. Wir haben davon schon bei der zweiten Lesung gesprochen.
Auch
diesmal (am 2. Dezember) wendete sich Staatssekretär Dr. Helfferich scharf gegen diese Versuche, wiederum auf Drängen des Eisenbahnministers, der offenbar seine Zustimmung zu dem Gesetz nur unter
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Das vaterländische Hilfsdienstgesetz .
der Bedingung gegeben hatte , daß die Staatseisenbahnen von dieser Gefahr, auf Umwegen über die Arbeiterausschüsse das Streikrecht in die Bahnbetriebe einzuschmuggeln, verschont bleiben. Dabei sind schon jetzt, wie Dr. Helfferich erklärte , bei den Staatseisenbahnen die Arbeiterausschüsse vorhanden (die aber nach der Meinung des Abgeordneten Dr. Ickler nur dekorative sind) , und der Eisenbahnminister hat zudem versichert, daß er die Praxis der Arbeiterausschüsse über die ursprünglich festgesetzten Grenzen ausgedehnt habe und daß er beabsichtige, sie im Sinne jener Entschließung auszugestalten. Alles in allem sind also hier, die Ausschüsse und Arbeiterausschüsse betreffend, wichtige Steine aus dem Gefüge des selbstherrlichen Staates. ausgebrochen.
Hierüber wollen wir uns , so gewaltig auch in diesem
Hilfsdienstgesetz sich der Arbeitswille des deutschen Volkes offenbart, nicht täuschen, und es gereicht den Konservativen zur Ehre, daß sie gegen diese Bestimmungen sich eingesetzt haben , ebenso wie sie in positiver Richtung versucht haben (Entschließung Graf Westarp) , dem Handwerk und Kleingewerbe voranzuhelfen (siehe vorher) . Im Reichstagsausschusse wurde bei der Besprechung des neuen Gesetzes mit Recht die Kriegsgewinnsteuer in Erinnerung gebracht, und auch Dr. Helfferich sagte : ,, Natürlich muß
das
Kriegsgewinn-
steuergesetz nochmals geprüft werden “ , und ein bayrischer Zentrumsabgeordneter verlangte , daß ,, schon jetzt die
Richtlinien für eine
Beschneidung der Unternehmergewinne gegeben werden ".
Aber zu-
treffend wies ein anderer Zentrumsabgeordneter darauf hin , daß die Einführung der Arbeitspflicht für die Gesamtheit und die Belassung des unbeschränkten Profits für den einzelnen ein unvereinbarer Widerspruch seien, während Dr. Helfferich eine Gewinnbeschränkung der vom Munitionsminister nicht kontrollierten Munitionsbetriebe verständlich fand. Wir fragen : Wie kann es angesichts eines allgemeinen Arbeitspflichtgesetzes Munitionsbetriebe geben , die nicht der Kontrolle des Munitionsministers unterstehen ? Und wenn er bezüglich des kontrollierten Betriebe sagte, daß kein Fabrikant mehr als 20 % über seinen normalen Gewinn verdienen dürfe , so dünkt uns das angesichts der langen Zeit , in der wir schon im Zustande der Kriegsrüstung sind, geradezu grotesk. Weit verständlicher würden wir es gehalten haben, wenn Herr Dr. Helfferich als früherer Schatzsekretär dafür eingetreten wäre , daß derart übermäßig hohe Kriegsgewinne wieder herausgegeben werden müssen¹). 1 ) Am 30. frage muß mit ist schwierig. Besteuerung
November sagte er im Reichstage : ,,Die EntschädigungsVorsicht behandelt werden . Einen Ausgleich herzustellen Er ist vielleicht nur möglich durch eine allgemeine der Kriegsgewinne. "
Das vaterländische Hilfsdienstgesetz .
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. Am Rande sei bemerkt, daß das Dienstpflichtgesetz die besetzten Gebiete nicht verschonen, sondern vielmehr mindestens gleich stark heranziehen möchte , und hier wird es allerdings ohne Zwang überhaupt nicht gehen . Schließlich empfehlen wir , für die praktische Anwendung und Fruchtbarmachung des Dienstpflichtgesetzes einen recht einfachen Weg zu beschreiten, derart nämlich, daß an der Hand der polizeilichen Meldelisten jeder Einwohner einer Stadt und Gemeinde daraufhin durchgeprüft wird , ob und inwieweit er eine Berufsarbeit verrichtet, die der Kriegswirtschaft dient . Im verneinenden Falle ist er der nächsten Distriktstelle zuzuweisen , die ihn an den richtigen Platz stellen wird. Und in gleicher Weise bezüglich der Betriebe selbst . Damit würde zugleich der Einwand, den der Leiter des Kriegsamtes General Groener am 29. November 1916 im Reichstage gegen eine ,, Registrierung der Hilfsdienstpflichtigen " geltend machte, daß nämlich zu einer Einschreibung zu viel Kräfte nötig wären , und daß wir vielleicht erst einmal nach vielen Monaten so weit kommen werden , fortfallen . Nach § 7 des Gesetzentwurfes erfolgt die Heranziehung zunächst durch eine Aufforderung zur freiwilligen Meldung , die das Kriegsamt erläßt . Zur weiteren Vereinfachung, die ja ohnedies sehr notwendig ist , würde es dienen , wenn jedem Betriebe sowohl als jeder männlichen Person eine gewisse Frist gestellt würde, innerhalb deren sie den Nachweis erbringt , daß sie sich , falls es nicht schon der Fall war und im Einvernehmen mit dem Kriegsamt inzwischen dem Kriegswirtschaftsdienste eingegliedert hat.
Diesem Vorschlag ist im Gesetzentwurf
selbst bis zu einem gewissen Grade Rechnung getragen, indem es in § 7 heißt : . , Soweit eine Beschäftigung binnen zwei Wochen nach Zustellung der Aufforderung nicht herbeigeführt wird, findet die Überweisung durch den Ausschuß statt." Das Einvernehmen mit dem Kriegsamt ist aus dem Grunde notwendig, weil nur dieses selbst wissen kann , auf welchem Gebiete der Kriegswirtschaft neue Arbeiter oder neue Betriebe am dringlichsten gebraucht werden . Für die Einrichtung neuer großer Betriebe empfehlen wir die
östlichen Provinzen des
Reiches , die industriell bisher zurückstehen und wirtschaftlich leiden , Vorzugsweise zu berücksichtigen. Erneut aber möchten wir auch auf die Beihilfe der Innungen und auch der Handwerkskammern hinweisen . Endlich sei noch ausdrücklich ausgesprochen, daß es ganz ohne Zwang -schon die Ordnung fordert bis zu einem gewissen Grade Zwang trotz der gegenteiligen Erklärungen der Regierung am 29. November 1916 im Reichstagsplenum, auf die Dauer nicht abgehen wird .
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Kavallerie in Kurland .
IV. Kavallerie
in Kurland. Von
Frhr. von Welck, Oberstleutnant a. D.
Im Märzheft des Jahrganges 1915 haben wir über die ,,verminderte Tätigkeit der Kavallerie " gesprochen , aber gleichzeitig der Erwartung Ausdruck gegeben , daß es bei eintretender besserer Jahreszeit zu einer wieder vermehrten Verwendung derselben und dadurch zu öfteren und ernsteren Zusammenstößen der beiderseitigen Reiterei kommen werde , namentlich im Osten , wo die Geländeverhältnisse kavalleristische Operationen mehr begünstigen als auf dem westlichen Kriegsschauplatze. Diese Voraussicht hat sich, wenn auch in beschränkter Weise , erfüllt. Im Westen gestaltete sich die Kriegführung mehr und mehr und bald ausschließlich zum Stellungskriege aus . Das ganze Operationsgebiet bildete in allen seinen Abschnitten eine große befestigte Zone , die von beiden kriegführenden Parteien, an die bestehende Landesbefestigung möglichst anschließend , mit Feldbefestigungen , Schützengräben,
Unterständen usw.
überzogen
wurde
und kavalleristische
Unternehmungen hiermit unmöglich machte. Anders auf dem östlichen Kriegsschauplatz. Die russische Heeresleitung hatte von Anfang an die Absicht, mit Kavalleriemassen in unsere östlichen Provinzen einzudringen, die Wegeverbindungen zu unterbrechen, das Land zu verwüsten und zu bransdchatzen. Durch die vernichtenden Niederlagen , die die Russen anfangs September 1914 in Ostpreußen erlitten hatten, wurden diese Absichten vereitelt ,
doch fanden während
der
folgenden Monate mehrfache
kleinere Zusammenstöße der beiderseitigen Kräfte , namentlich der Kavallerie statt, die ausnahmslos günstig für uns verliefen, größere Entscheidungen aber nicht bringen konnten. Erst Mitte Januar 1915 nahmen die Russen ihren Plan , unseren linken Flügel in Ostpreußen zu umfassen, wieder energischer auf ; sie stießen hierbei auf stärkere deutsche Kavallerieabteilungen , die sich einem Vorstoß entgegenstellten und die russischen Umgehungsversuche so am 25. Januar Immerhin waren wir seit nördlich Gumbinnen - zurückschlugen. Monaten auf Verteidigung angewiesen gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Feind.
Die uns anfangs Februar hier gegenüber
stehenden russischen Kräfte wurden auf rund 200000 Mann angegeben.
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Kavallerie in Kurland.
Dieser Übermacht gegenüber waren die deutschen Truppen genötigt , natürliche Stellungen aufzusuchen, die ihnen Sicherheit gegen die feindlichen Angriffe boten.
Als solche wurden die Stellungen an den
masurischen Seen und die hinter der Angerapplinie erkannt .
Die An-
zeichen einer bevorstehenden groß angelegten russischen Offensive mehrten sich . Schon Mitte Januar telegraphierte der Korrespondent einer englischen Zeitung aus Warschau , daß ,, noch vor Ablauf eines Monats eine neue russische Offensive beginnen werde. nicht um einen Kampf in Laufgräben handeln,
Es werde sich
sondern
um
das
,,gigantische Zusammenwirken aller Truppen , bei dem namentlich Während große die Kavallerie zur Geltung kommen solle ... Kavalleriemassen die Offensive beginnen , werden sich die Armeen hinter ihnen gruppieren". Diesem russischen Plan kam die deutsche Heeresleitung zuvor durch Einleitung der diesseitigen Offensive. Anfangs Februar hatten die deutschen Truppen Verstärkungen erhalten und waren zu einem Vormarsche bereit . Ihre Gruppierung in der Gegend von Gumbinnen vollzog sich vom Feinde unbemerkt ; sie wurde von einer Kavalleriedivision verschleiert. Am 7. Februar trat der Südflügel unter General von Eichhorn den Vormarsch gegen Suwalki und Sejny, am 8. der Nordflügel unter General von Below den Vormarsch über Grajewo Die auf Augustow an, in der Gesamtfront Tilsit-Johannesburg. oberste Leitung lag in den Händen des Generalfeldmarschalls von Hindenburg. Diesen deutschen Kräften stand eine bedeutende russische Übermacht gegenüber :
Die russische 10. Armee , die 11 bis 12 In-
fanteriedivisionen und einige Kavallerie divisionen umfaßte. Auf den Verlauf und die Ergebnisse dieser ,, Winterschlacht an den masurischen Seen " brauchen wir hier nicht näher einzugehen ; sie sind bekannt : Die russische 10. Armee wurde vernichtet und im Tagesbericht des Großen Hauptquartiers vom 22. Februar konnte es heißen : ,, Die Verfolgung nach der Winterschlacht in Masuren ist beendet."
Der im Militärwochenblatt Nr . 43/44 vom 25. Februar ent-
haltene Bericht über den ,,Winterfeldzug in Ostpreußen " schließt mit den Worten : ,,Am 15. Februar war kein Russe mehr auf deutschem Boden.
Ostpreußen war vom Feinde befreit ."
Hier drängt sich nun die Frage auf, ob und inwieweit die Kavallerie während dieser Kämpfe zur Verwendung gelangt ist ? Genauere Nachrichten liegen uns nicht vor und wir sind lediglich auf sehr sparsame Berichte in Zeitungen und anderen Veröffentlichungen angewiesen.
Immerhin wird es möglich sein, festzustellen , daß schon
während der eigentlichen Schlachttage selbst die Kavallerie Gelegenheit fand, hin und wieder durch weit ausgreifende Erkundungen mit
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Kavallerie in Kurland.
Erfolg tätig zu sein
und in Zusammenstößen
mit der feindlichen
Reiterei die Oberhand zu behaupten . In einer an den Bericht der Obersten Heeresleitung vom 16. Februar anschließenden, sehr beachtenswerten Besprechung heißt es, daß das glänzende Gelingen unserer Kavallerie- und Fliegeraufklärung und deren sichere Verarbeitung durch die Leitung - woran es gerade bei den Russen so empfindlich fehlte unsere Erfolge anbahnte und ermöglichte. Die eigentliche Tätigkeit unserer Reiterei macht sich nun aber nach dieser Entscheidung auf dem Schlachtfelde geltend . Jetzt konnten unsere Reiter ihrer taktischen Aufgabe gerecht werden und dieser ihrer Tätigkeit wollen wir eine kurze Besprechung widmen . Man wird daraus ersehen, daß die alten , an die Kavallerie zu stellenden Anforderungen : weit ausgreifende Erkundungen , Umgehung der feindlichen Flügel, Operieren im Rücken des Feindes, Zerstörung von Eisenbahnen,
Brücken,
Telegraphenleitungen usw.
und vor
allem
rückhaltlose Verfolgung, genau noch ebenso verlangt werden und geleistet werden können wie früher.
Allerdings gehört hierzu nicht
allein solches Material, wie es uns zur Verfügung stand , sondern auch unsere Ausbildung und der in unserer Waffe großgezogene und herrschende Offensivgeist.
Der Feldmarschall wußte, welche Kräfte ihm
zur Verfügung standen und wußte es, sie in echt kavalleristischem Geiste auszunutzen . Die Verfolgung durch unsere Kavallerie wurde sofort in die Wege geleitet. Nach der vernichtenden Niederlage der russischen 10.
Armee
sammelten sich die Reste des 3. Armeekorps bei Olita, die des 26. und des 3. Sibirischen Armeekorps bei Grodno . Sie bilden eine neue 10. Armee , die Ende Februar vergebliche Anstrengungen machte , die westlich von Grodno und an der Bobrlinie stehenden deutschen Truppen zu vertreiben. Unsere Aufgabe war es nächst der Bergung der ungeheuren Beute und dem Abtransport von über 100000 Gefangenen , die im Bereich der Festung gesammelten neuen russischen Kräfte zu erkunden . Zu diesem Zwecke wurden in erster Linie starke Kavallerie abteilungen an der Seenkette westlich Olita gesammelt , die die Bewegungen der deutschen Truppen verschleiern mußten , dann aber nach Osten vorgeschoben wurden, um in die nördliche Flanke der vordringenden Russen zu gelangen. In der Nacht vom 9. bis 10. März begann die deutsche Offensive sich fühlbar zu machen. Es kam zu Gefechten bei Sejny und Berzniki ; beide Orte wurden genommen , ebenso wie am folgenden Tage Makarze, Froncki und Giby, während eine deutsche Kavallerie division noch in der Nacht das weiter östlich an der großen Straße nach Olita gelegene Kopciowo stürmte und hier allein über 5000 Gefangene machte.
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Kavallerie in Kuriand.
Da es den Russen nicht gelang , hier abermals in Ostpreußen einzudringen, so wollte die russische Heeresleitung den Versuch an anderer Stelle und zwar im äußersten Nordzipfel Ostpreußens wiederholen. Zu diesem Zwecke wurden Mitte März starke Kräfte , die sog. Riga- Szawla- Gruppe , die aus dem größten Teil der 68. Reservedivision, aus Reichswehren und Grenzschutztruppen bestand, gegen Memel und Tilsit
in Bewegung gesetzt.
Am Abend
des 18. März
drangen die ersten Russen in Memel ein , wurden aber schon am 21 . wieder vertrieben. Sie flohen, ohne Widerstand zu leisten und wurden ,,energisch verfolgt" .
Ein gleicher Raubzug wie gegen Memel wurde
auch gegen Tilsit in Szene gesetzt.
Russische Abteilungen drangen
von Tauroggen aus vor, wurden aber bei Laugszarten unter starken Verlusten geschlagen und hinter den Juraabschnitt zurückgeworfen . Tauroggen wurde im Sturm genommen und
am 31. März konnte bereits gemeldet werden, ,, daß das russische Grenzgebiet nördlich der Memel gesäubert sei ". Diese beiden Einfälle russischer Abteilungen in Ostpreußén , ihre Abwehr und Verfolgung, bildeten Episoden des Bewegungskrieges im Unterschied zum Stellungskrieg die die Tätigkeit der Kavallerie als solche wieder einmal möglich und erforderlich machten und sie zu einer überaus erfolgreichen gestalteten.
Die offiziellen Berichte sagen nichts näheres über die ein-
geleitete Verfolgung ; der Berichterstatter einer angesehenen Berliner Zeitung schreibt aber am 27. März : ,,... Die Truppen hatten große Schwierigkeiten zu überwinden. Ein ansehnlicher Teil der errungenen Erfolge kann aber der Kavallerie zugeschrieben werden. “ Die ,, energische Verfolgung " lag in ihren Händen. Auf diesem Teile des Kriegsschauplatzes trat jetzt eine Art von Ruhepause ein.
Die Russen mußten neue Truppen schaffen und aus-
bilden und zu einer gründlichen Reorganisation ihrer Streitkräfte schreiten. Unsere Heeresleitung im Osten befaßte sich mit neuen Plänen und bereitete ihre Durchführung vor. -- Den mißlungenen Unternehmungen der Russen gegen Memel und Tilsit folgte nach kurzer Ruhepause Hindenburgs
Einbruch in
Kurland.
,,Es
war" , heißt es in dem Kriegsberichte aus dem Großen Hauptquartier , ,,als wollte Feldmarschall v. Hindenburg der Welt ein Beispiel und Gegenbeispiel zeigen, wie die Russen und wie die Deutschen solche Unternehmungen anfaßten und ausführten ...
Die Weite der Ent-
fernungen , die verhältnismäßig breite Frontausdehnung aller Verbände bei Freund und Feind, nicht zum mindesten auch die Eigenart. des russischen Gegners ermöglichen dort oben selbständige Unternehmungen kleinerer Truppenkörper , wie sie auf anderen Kriegsschauplätzen ganz undenkbar wären. " An der Narew-Bobr- und Njemen-
48
Kavallerie in Kurland .
front haben solche Einzeloperationen in reicher Zahl stattgefunden . Sie begünstigten naturgemäß die taktische Tätigkeit der Kavallerie ganz besonders .
Hier nur ein Beispiel : Der Tagesbericht vom 7. April
meldet, daß bei einem Vorstoß in russisches Gebiet nach Andrzejewo , 30 km südöstlich von Memel, unsere Kavallerie ein russisches Bataillon vernichtete , von dem der Kommandeur, 5 Offiziere und 360 Mann gefangen genommen, 120 Mann getötet und 150 schwer verwundet wurden.
Ein anderes Bataillon , das zu Hilfe eilte , wurde zurück-
geschlagen. Einen eingehenden und interessanten Bericht über den Vormarsch nach Kurland fanden wir in der ,, B. Z. am Mittag".
Wir entnehmen
dem aus der Feder des Kriegsberichterstatters v. K. stammendem Bericht, der aus Tilsit vom 2. Mai datiert ist , die nachstehenden Stellen, die auch die Tätigkeit der Kavallerie
besonders
hervorheben :
,,Während zweier Tage waren wir Zeugen des breit angelegten Vorstoßes , der unsere Truppen von der Linie Memel-Tilsit - Schirwindt in nordöstlicher Richtung nach Kurland hineingetragen hat. einer jener scharf gedachten
und unwiderstehlich
Es war
durchgeführten
Angriffe, die unsere östlichen Gegner wiederholt in Schrecken versetzt haben.
Die starken Stellungen , die den Zugang auf Tauroggen sicher
zu sperren schienen , mußte der Feind schleunigst räumen , nachdem unsere hervorbrechenden Kavallerie massen den Rückgang von Nord und Süd abzuschneiden drohten. Die südliche Kavalleriedivision hatte den Memelstrom auf einer rasch geschlagenen Schutzbrücke überschritten. Auf der 100 km langen Vormarschlinie nach Szawle vermochten die Russen sich nirgends festzusetzen . . . Als gestern unsere Truppen Stellungen jenseits der Stadt ausbauten, konnten Patrouillen 20 km nordwestlich von Szawle vom Feinde nichts mehr erblicken." Auch ein anderer Kriegsberichterstatter - ,,Berl. Lokalanz ." berichtet über die Einnahme von Szawle und bemerkt dazu , daß die Russen versucht hätten, aus Libau und Mitau herbeigeholte Truppen in Pepeljany und Sadow gegen unsere andrängenden Kräfte anzusetzen ; sie hätten sich aber vor unserer Kavallerie fluchtartig zurückgezogen und würden von der deutschen Reiterei verfolgt . Ein anderer Augenzeuge - ,,Post" vom 4. Mai und vom 6. Mai schreibt aus Szawle am 1. und am 2. Mai , daß in dieser Woche deutsche große
Kavallerie massen ihre Bewegung an-
fingen, die den verschleiernden und aufklärenden Vorhutgürtel bildeten und daß auch Infanterie in Eilmärschen dem Vordringen der Kavallerie folgte .
Diese Kavallerieabteilungen, die weit auf der Straße Szawle- Mitau vorstießen, stellten fest, daß die Gegend vom
49
Kavallerie in Kurland.
Feinde völlig frei war , wenn es auch natürlich öfters zu kleinen Zusammenstößen der Vortruppen kam, da auch die russische Reiterei vielfach an der Front Verwendung fand. Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt , daß man die Art, wie unsere Kavallerie hier verwendet wurde , in der Hauptsache der persönlichen Initiative des Feldmarschalls Hindenburg und seines Stabschefs verdankt. Besonders wohlgelungene Beispiele dafür , wie sich des Feldmarschalls Russenstrategie auf kleinere Verhältnisse übertragen läßt, hat in der letzten Zeit General Litzmann mit den ihm unterstellten Truppen geliefert. Er hielt die Wacht südlich des Njemen gegenüber der Festung Kowno und dem befestigten Platze Olita , schlug die Russen bei Szaki und beschloß, den bis an die Kanonen von Kowno reichenden Wald vom Feinde zu säubern .
Eine starke Kolonne ließ er von Süden her , eine
andere von Norden her eindringen, während im Zentrum Kavallerie angesetzt wurde, die hier, wie es im Kriegsberichte heißt,,, eine rein infanteristische Aufgabe vorzüglich löste , während eine zweite Kavallerieformation sich nicht von den Pferden zu trennen brauchte , sondern den Auftrag erhielt, auf dem äußersten linken Flügel am Njemen entlang vorzureiten und dem Feinde womöglich die Rückwege nach Kowno zu sperren " ). Vor unserer ganzen Front kam es vielfach zu kleinen Zusammenstößen unserer Kavallerie mit der feindlichen. So wird vom 22. Mai berichtet , daß es westlich der Windau, in der Gegend von Shawdyni zu Reiterkämpfen kam, bei denen ein Regiment der russischen Ussuri- Reiterbrigade aufgerieben wurde. Der Tagesbericht vom 30. Mai meldet , daß bei Illoky , 60 km südöstlich Libau, eine feindliche Abteilung durch unsere Kavallerie zurückgeworfen wurde. Im Tagesbericht vom 4. Juni heißt es, daß russische Abteilungen durch unsere Kavallerie aus den Ortschaften Lehnen und Schrunden , 60 und 70 km östlich Libau , vertrieben wurden und am folgenden Tage meldet der Tagesbericht, daß in der Gegend von Pepeljany für uns Bereits zwei Tage später , erfolgreiche Reiterkämpfe stattfanden. am
7. Juni , kann der Tagesbericht wieder melden,
daß
nördlich
Kurschany unsere Kavallerie den Übergang über die Windau erzwang und in südöstlicher Richtung vorstoßen konnte. Auch russischerseits wird die Tätigkeit unserer Kavallerie bestätigt.
Der russische
Große Generalstab sagt in seinem Bericht vom 11. Juni, daß in der Gegend nördlich von Szawle eine feindliche , hauptsächlich
aus
Kavallerie bestehende Abteilung von Westen kommend , leicht in der Richtung auf Schakinow vorgedrungen sei. Von hier weiter östlich vorstoßend, überschritt sie die Dubissa und warf russische
1 ) Kriegsberichte aus dem Großen Hauptquartier , 10, S. 8. 4 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 544.
50
Kavallerie in Kurland.
Kavallerie über den Szymegaabschnitt , südlich der Straße ZytowianySzawle . Aus diesen wenigen bekannt gewordenen Beispielen , die leicht erweitert und vermehrt werden können , ergibt sich, daß unsere Kavallerie unausgesetzt bestrebt war, ihrer Aufgabe gerecht zu werden . Wohl bietet die jetzige Kriegführung der Verwendung der Kavallerie, wie wir sie aus früheren Kriegen kennen , beträchtliche Schwierigkeiten, wohl ist der ,, Kampf in den Lüften" geeignet , die Tätigkeit der einKavallerie namentlich hinsichtlich der Erkundung zuschränken und vielfach zu ersetzen , aber ganz falsch wäre es , wenn man meinen wollte , daß nun die Kavallerie entbehrlich geworden sei . In dieser Hinsicht bieten die Operationen an unserer Ostgrenze glänzende Beweise für ihre Leistung und für ihre Unentbehrlichkeit. Aus diesem Grunde haben wir einen Blick nach Kurland geworfen, wo das Gelände und die beiderseitige Taktik die Verwendung der Kavallerie besonders begünstigte. Bei diesem Vormarsch nach Kurland, den wir im vorstehenden kurz besprachen, stellen sich uns dar : Schneller
Vorstoß
gegen
den
Feind.
Nördlich des Njemen
beginnt in der Frühe des 27. April der Einmarsch nach Kurland in drei Kolonnen. Die eine, die bei Schmallaningen über den Njemen gegangen war, drang bereits am ersten Tage fast 50 km in Kurland ein, mit der 60-70 km Luftlinie.
Kavallerie
bis
nach
Verfolgung des zurückgehenden Feindes.
Rossieny ,
d. i.
Der Feind fürchtet
für eine Umfassung seiner linken Flanke und entzieht sich dieser durch eiligen Abzug auf Kielmy und Szawle . Sofort wird die Verfolgung eingeleitet und die
Kavallerie erreicht trotz
des
sehr
schwierigen Geländes am Morgen des zweiten Tages (28. April) bereits Worny an der Seenlinie westlich von Kielmy. Weite Umfassung.
Der dritte Tag führt die rechte Kolonne über
den Windaukanal, die linke nach Worny und Telze , ihre Kavallerie nach Trischki, nordwestlich Szawle - beinahe 40 km vorwärts Worny. Da man erfährt, daß die Russen auf der Eisenbahnlinie Schadow- Szawle Verstärkungen heranziehen, so erhält die Kavallerie Befehl, die Bahn zu zerstören und um Szawle herumzugreifen. Bahnzerstörung , Wirkung auf den feindlichen Flügel. Am Nachmittag des 30. April ― des vierten Tages zieht die rechte Kolonne in Szawle ein und setzt die Verfolgung an ; die Kavallerie stößt auf der Straße Janischki- Mitau vor, macht Beute und zerstört die Eisenbahn südwestlich und nordwestlich von Szawle .
51
Kavallerie in Kurland. Weites
Vorgreifen
und
Besetzen
von
Ortschaften .
Am
nächsten fünften Tage treffen Nachrichten ein , daß der Feind von Kowno her Verstärkungen erhält , um unsere rechte Flanke zu bedrohen.
Daraufhin wird die Infanterie angehalten,
um die Dubissalinie zu halten ; die Kavallerie greift aber weiter vor, besetzt nach erfolgreichem Gefecht Janischki und Shagory, 50 km nördlich von Szawle , halbwegs nach Mitau .
Sie macht Ge-
fangene und erbeutet Maschinengewehre und Bagage des nach Mitau fliehenden Feindes. Erfolgreiche Unternehmung weit vor der Infanterie . Am sechsten Tage , den 2. Mai, hat die Kavallerie noch Gelegenheit , die bei Skaisgay zurückgebliebenen Russen einzuholen und ihnen 1000 Gefangene abzunehmen . Umfangreiche Bahnzerstörung an allen erreichbaren Linien. Die Kavallerie der rechten Kolonne wird zurückgenommen , um den Gegenstoß an der Dubissa zu unterstützen ; die der linken Kolonne stößt aber noch weiter über Grünhof vor , nimmt 1000 Russen gefangen und steht am 5. Mai Diese Leistungen unserer weit vormit Teilen 2 km vor Mitau. greifenden Kavallerieabteilungen wurden erschwert durch schlechteste Wege , mehrfache Flußübergänge und durch den sich vielfach geltend machenden russischen Widerstand. Aufhalten des anrückenden Feindes. Als die Russen unsere Gegenoffensive an der Dubissa empfanden , schafften sie neue Truppen herbei. Zur gleichen Zeit wird ihnen die Überraschung unseres Zuges auf Libau, wo unsere Truppen am 8. Mai einziehen . Die beiden Ziele : Dubissa und Libau waren in der Zeit von elf Tagen erreicht .
Am 22. Mai traf als neue russische Unterstützung
an der Dubissa die erste kaukasische Schützenbrigade ein, die , durch die 15. Kavalleriedivision unterstützt , auf Rosjeny vorging. Sie wurde aber zunächst einen ganzen Tag durch unsere Kavallerie jenseits des Flusses aufgehalten , und diese Zeit genügte , um Verstärkungen heranzuziehen und den Gegenstoß vorzubereiten. Einwirken im Rücken des zurückgehenden Feindes . Flankenfeuer .
Am 23. Mai ließen wir den Feind über den Fluß
herüber und sich Rosjeny von Norden her nähern .
In der Nacht
werden unsere Truppen um den westlichen Flügel des Gegners herumgeführt und zum Angriff bereit gestellt.
Am Morgen starkes
Artilleriefeuer nördlich von Rosjeny auf die russischen Schützengräben und Angriff unserer Infanterie auf die russische Flanke, diese aufrollend. Die Russen fliehen nach der Dubissa. Unsere von Süden her vorgehenden Truppen machen sich fühlbar und 4*
52
Kavallerie in Kurland. Teile unserer Kavallerie greifen von Norden her gegen den Rücken des Feindes ins Gefecht ein. Der Rückzug über die Dubissa erfolgt unter großen Verlusten. Auch auf den jenseitigen Höhen Flankierendes Feuer unserer Kavallerie , kein Schutz. die den Fluß überschritten hat und gegen die Rückzugsstraße vorgeht, vermehrt die Verluste des fliehenden Feindes.
Dieser flüchtige Blick auf die Tätigkeit unserer Reiterei in Kurland zeigt uns , daß sie ihren mannigfaltigen Aufgaben in hervorragender Weise nachgekommen ist . Man sieht aber auch, daß es eben nur der Kavallerie und zwar einer gut ausgebildeten , gut berittenen , gut geleiteten Truppe möglich war, diesen Anforderungen gerecht zu werden . Wohl kann die Fliegertruppe in vielen Fällen die Erkundung übernehmen
namentlich in den Stellungen und im Rücken des
Feindes , in vielen Fällen besser als die Kavallerie -, aber eine gleichzeitige Waffen wirkung ist ihr, bis jetzt wenigstens , noch versagt, ebenso wie eine in großem Maßstab durchzuführende Unterbrechung oder Zerstörung der rückwärtigen Verbindungen .
Nächstdem ist zu
berücksichtigen, daß die so wertvollen Erkundungen durch die Flieger stets abhängig sind von der Witterung und durch ungünstige Verhältnisse leicht ganz lahmgelegt werden können .
Nimmt man nun
noch hinzu , daß der jetzige Weltkrieg gezeigt hat , daß unsere Kavallerie infolge ihrer Ausbildung eintretendenfalls auch als Infanterie , als Pioniere — kurz als Hilfstruppe jeder Art - verwendet werden konnte , so wird man unschwer zu der Überzeugung gelangen, daß die Kavallerie auch in Zukunft stets ein wertvoller und unentbehrlicher Bestandteil unserer Armee sein wird, und zwar nicht nur in kleinen Verbänden zum ,,kleinen Krieg" , sondern auch in großen Verbänden Kavalleriedivisionen und Kavalleriekorps zu entscheidenden Operationen und entscheidenden Schlägen. In einem Bericht, der in der österreichischen
Reichspost “ aus
der Feder von Dr. Stefan Steiner nach der Niederlage der neuen russischen 10. Armee , erschien, heißt es : ..... Zur Erreichung des Endzieles, das ist die Vernichtung der feindlichen Armee , ist alles aufzubieten.
Mögen manche Taktiker der Kavallerie in der modernen
Schlacht wenig Wert beimessen, in der Verfolgung sind große Kavallerie körper unerläßlich und krönen das Werk der Schlacht durch die rücksichtslose Verfolgung . des
russischen
Soldatenmaterials
ist
Bei der Passivität der Gefühle sonach
die
Heranziehung
333
53
Im Soldatenheim Wilna.
großer Kavallerie körper auf dem östlichen Kriegsschauplatz im erhöhten Maße geboten." Die
Aufnahme
dieser
Beurteilung
im
Militärwochenblatt
---
Nr. 66/67 vom 8. April 1915 spricht dafür, daß man bei uns an maßgebenden Stellen diesen Anschauungen zustimmt.
Im
Soldatenheim Wilna.
Von Wilh. Müller.
Ein feierliches Empfinden hatte ich beim Betreten der Schreibstube des deutschen Soldatenheimes in Wilna. - Mann bei Mann saßen hier unsere braven Feldgrauen ,
jung und alt durcheinander,
jeder über einen Brief gebeugt, einen Brief an daheim. Kein Wort in dem weiten Raume, aber die Gedanken, die fühlt man förmlich mit,
die gehen kraftvoll hinaus gleich den Funken der
drahtlosen
Telegraphie . Ein anderes Bild . Es ist Militärgottesdienst im großen Saale des Soldatenheims . Schon vor Beginn sind alle Stühle von grauen
Gestalten besetzt. Viel Landsturm . Bärtige Gesichter, die davon zeugen, daß sie dem Schmiedefeuer des Krieges nahe, sehr nahe waren. Immer neue Soldaten dringen herein. Zuletzt gibt es nur noch Stehplätze .
Jede Ecke füllt sich .
Der Feldprediger im grauen Rock mit dem schwarzweißen Bande des eisernen Kreuzes tritt hervor und gibt in schlichten Worten das Lied aus, das die Feier eröffnen soll.
Tiefe Andacht liegt auf all den
feldgrauen Heldengestalten . Jetzt
beginnt der
Raume und in Meer von
Gesang .
Keiner
allen Nischen wieder,
Glaubenssehnsucht
und
schweigt .
Glaubensmut,
gemeinsames Ziel richten : Sieg und Frieden . zerflossen. stehen.
Es ist ein Geist ,
Es
dröhnt
im
es schwillt und steigt wie ein die
sich
auf ein
Alle Unterschiede sind
ein heiliger Geist,
unter dem hier alle
Und dann spricht der feldgraue Prediger Worte der Kameradschaftlichkeit, des Trostes und der Güte, aber auch eindrucksvollen Ernstes.
Wohl manchem Herzen entsprießen da unter dem Ansturm
innerster Empfindungen neue Gelöbnisse, und wohl jeder verläßt die abendliche Andacht mit dem Gefühl des Dankes .
54
Im Soldatenheim Wilna. Man könnte noch mancherlei von den übrigen Einrichtungen des
Soldatenheims sprechen, aber es wäre kaum etwas Neues. In behaglichen Räumen essen , trinken und lesen die Krieger und vergessen für Augenblicke, daß Krieg ist .
Freilich ist er allgemach auch daran
schon etwas zu spüren , daß die Portionen nicht mehr so groß ausfallen, wie Soldatenmägen sie früher gewohnt waren, als das Pfund russischen Schweinefleisches noch 55 Pfennig kostete . Aber satt wird immer noch jeder, und übrig bleiben muß wohl auch noch immer etwas in der Soldatenheimküche. Denn auf der steinernen Hintertreppe lagern noch immer Polenweiber und Kinder mit Kannen und Näpfen , um die Reste zu empfangen, die eine wohltätige Hand von Zeit zu Zeit spendet . Für sie sind unsere Soldaten die Reichen , von deren Tische Brosamen zu erhaschen sie sich glücklich schätzen .
Sendet uns Bücher. Wenn in Vorstehendem
von dem anheimelnden Charakter des
Soldatenheimes Wilna die Rede war, so sei auch noch eine Einrichtung erwähnt, die jedes dieser Heime hat. In jedem von ihnen ist auch eine reichhaltige Bibliothek.
In
der Einrichtung von fahrbaren Büchereien und der neuesten Errungenschaft der „ Leihbüchereien " sorgt der Deutsche Studentendienst für die geistige Versorgung des Feldheeres.
Im ganzen sind
für die Anschaffung neuer Bücher über eine Million Mark ausgegeben worden,
um
die allgemeine Bitte unserer Tapferen :
Bücher ! " zu berücksichtigen . einigung erschöpft schaffen,
und
„ Sendet uns
Nun aber sind die Barmittel der Ver-
eine große Sammlung
soll neue Mittel be-
damit der Lieblingswunsch unserer Kameraden da draußen
in Erfüllung gehen kann . Tausend und Abertausend Karten aus dem Felde sind bei der Geschäftsstelle des Deutschen Studentendienstes eingelaufen , tragen .
Weil
die
das Kennwort „ Sendet uns
aber der Deutsche Studentendienst
Bücher ! "
zum Kriegsdienst
für das ganze Heer geworden ist,
darf und muß er um die Hilfe
aller bitten .
nur eine Mark einsenden würde ,
Wenn jeder Leser
könnte den Tapferen draußen eine herzhafte Freude bereitet werden. Geldspenden sind erbeten an die Königliche Seehandlung, Preußische Staatsbank, Berlin W 56 , Markgrafenstraße . „ Für den deutschen Studentendienst" auf das Konto D 17164 I.
Literatur.
55
Literatur.
I. Bücher. Das Problem der Wehrsteuer in der Praxis . Von Georg Loeser , Doktor der Staatswirtschaft, Kgl . Sächs , Hauptmann a. D. (Münchener Volkswirtschaftliche Studien . Herausgegeben von Lujo Brentano und Walther Lotz. 138. Stück.) Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Geheftet 3 M.
Nachfolger,
Stuttgart
und
Berlin .
Das Problem der Wehrsteuer ist heute, wo der Abstand zwischen Soldaten und Nichtsoldaten größer ist als je, wieder viel bestritten und viel besprochen . Der Verfasser, der als inaktiver Offizier und Doktor der Staatswirtschaft doppelt dazu qualifiziert erscheint, behandelt es vom ablehnenden Standpunkt aus . Er beginnt mit einer Betrachtung der Grundlagen des heutigen Heeres- und Finanzwesens und ihres Zusammenhangs, wobei sich übrigens Seite 8 eine etwas schiefe historische Darstellung findet, wie man sie, wenn preußische Verhältnisse in Rede standen, von einem gewissen Münchener Katheder aus Jahre hindurch hören konnte. Loeser prüft dann die einzelnen Wehrsteuertheorien . Dabei lehnt er zunächst die Auffassung der Wehrsteuer als einer Gebühr für die Amtshandlung, bei der ein Dienstpflichtiger als untauglich , überzählig usw. vom Heeresdienst befreit oder zurückgestellt wird, als unhaltbare Konstruktion ab. Die „ eigentliche Wehrsteuer" , führt er weiter aus, wird aus zwei Gesichtspunkten gefordert, entweder im Dienste der Rassenzucht oder aus Gründen ausgleichender Gerechtigkeit. Im Dienste der Rassenzucht soll die Wehrsteuer die Militäruntauglichen mindestens ebenso lange an der Gründung einer Familie behindern , als die körperlich wertvolleren Tauglichen durch die Ableistung der Dienstpflicht daran behindert werden . Die Wehrsteuer als Forderung der Gerechtigkeit wird verschieden begründet. Karl Knies berechnet den Geldwert des Soldatendienstes nach den Unterhaltskosten des Soldaten plus dem Preis eines Stellvertreters während der Dienstzeit, verlangt aber eine Besteuerung in absolut gleicher Höhe für alle Nichtdienenden . Gustav Cohn geht von dem Prinzip der Arbeitsteilung aus, nach dem ebenso, wie der Staatsdienst der Beamten , der Militärdienst der Soldaten von der Masse des Volkes auf Einzelne übertragen werde ; hiernach verlangt er eine Besteuerung der Nichtdienenden nach ihren Fähigkeiten . Lesigang will die Last, die der Einzelne bei Ableistung des Militärdienstes empfindet, durch eine Geldsumme ausdrücken und ausgleichen ; er teilt die Bevölkerung nach Beruf und sozialer Stellung in verschiedene Gruppen ein und kommt zu dem Schluß, daß die Steuer schließlich doch so ziemlich von der Größe des Vermögens der Pflichtigen" abhängen könne . Die von Loeser sogenannte „ Lasten-
56
Literatur.
ausgleichstheorie" schließlich kommt bei Berücksichtigung der privatökonomischen Begleitlasten , die dem Dienenden entstehen , zu dem gleichen Ergebnis , daß durch eine Wehrsteuer die verletzte Gerechtigkeit wieder hergestellt werden müsse. Loeser geht dann auf die einzelnen Wehrsteuerprojekte (im Deutschen Reiche 1881 und 1909) und auf die bestehenden Wehrsteuern in der Schweiz , Österreich, Ungarn usw. und die inzwischen beseitigten in Bayern , Württemberg und Frankreich ein . Bei der rassenEs folgt die Kritik der Wehrsteuertheorien . theoretischen Begründung führt Loeser insbesondere aus, sie bleibe den Beweis schuldig, daß die Fehler, die militäruntauglich machen , sich regelmäßig vererben und die Rasse notwendig verschlechtern müßten. Gegenüber der Wehrsteuer als Forderung ausgleichender Gerechtigkeit werden zahlreiche Einwendungen vorgebracht : als wichtigste die, daß Steuerleistungen und militärische Dienstleistungen schlechterdings nicht vergleichbare Leistungen seien , von denen also nicht die eine durch die andere ersetzt werden könne . Eine Abstufung könne wohl innerhalb jeder der beiden Kategorien stattfinden : bei den Steuern von den höchsten Sätzen herab bis zur völligen Befreiung , beim Militärdienst vom vollen Dienst (über Ersatzreserve, Landsturm) herab zur völligen Befreiung . Da diese Abstufung in beiden Fällen stattfinde, da also hier wie dort ein jeder nach seinen Kräften herangezogen werde , sei die Gerechtigkeit nicht verletzt. Man könne im übrigen weder den Geldwert des Soldatendienstes objektiv feststellen (wie Knies es wollte) noch die Last dieses Dienstes subjektiv für den Einzelnen (Lesigangs Versuch) . Auch Cohns Theorie, die gegründet auf das Prinzip der Arbeitsteilung, Ersatzleistungen für den unterbliebenen Militärdienst fordert, führe eine naive Auffassung leicht zu dem falschen Schluß , daß der Dienst so viel wert sei als die Steuer beträgt, - dann wäre bei einer gestaffelten Steuer der Dienst des reichen Mannes immer wertvoller als der des armen - und zu dem falschen Schluß, daß durch die Zahlung der Steuer der Dienst nicht nur ausgeglichen , sondern ersetzt werde. Hier steht übrigens dem Verfasser die Autorität Heinrich von Treitschkes zur Seite, der bei der Wehrsteuervorlage 1881 ausführte : Die Wehrsteuer würdige den Militärdienst herab und aus dem Satz „Wer nicht dient, der zahlt" würde im Volksmund bald der Satz werden : „ Wer zahlt, der dient nicht“ . Auf die einzelnen Einwendungen in Loesers Abhandlung, die zum Teil aus Veranlagungsschwierigkeiten , voraussichtlich geringem Ertrag u. dergl. hergeleitet werden , einzugehen , fehlt hier der Raum. Man verläßt die Schrift mit dem Gefühl, daß der theoretischen Erwägung hier berechtigte Bedenken aufstoßen, daß aber in der Praxis gerade heute der Vergleich zwischen den Helden im Schützengraben und den Reklamierten , die daheim ihre Kriegsgewinne einstecken, nach einem Ausgleich verlangt. Wenn nicht auf andere Art, so sollte er durch eine Wehrsteuer geschaffen werden , deren Vorteile man
Literatur.
57
nach dem Satz audiatur et altera pars etwa an Hand der Schrift „Eine Wehrsteuer für Deutschland" von Otto v. Harling , Berlin 1910, Verlag des Vaterländischen Schriftenverbandes, Kleiststraße 3, nachDr. Friedrich Everling. prüfen möge . Die täglich zunehmende Broschürenliteratur über Versorgung von Kriegsteilnehmern hat wieder zwei neue Hefte gebracht. Das erste ,,Welche Pensionsansprüche hat ein Offizier bei Dienstuntauglichkeit im Krieg und Frieden ? Ein Merkbuch für jeden aktiven und inaktiven Offizier sowie für die Offiziere des Beurlaubtenstandes von H. Lissel , Rechnungsrat und Geh. exped. Sekretär der Pensionsabteilung des Königl . Preußischen Kriegsministeriums", hat einen Umfang von 24 Seiten Text und mehreren Beispielen und Berechnungen als Anlagen . Es ist vom Verlag Gerhard Stalling, Oldenburg i . Gr. , wie alle dort erscheinenden Broschüren recht ansprechend ausgestattet . (Geh. 0,75 M.) Es legt die Grundsätze der Offizierpension dar und erläutert sie an klaren Beispielen. Das völlige Fehlen von Hinweisen auf die Gesetzesstellen erschwert die Nachprüfung und gibt dem Heft, wie fast allen ähnlichen , einen unwissenschaftlichen Charakter. Aus dem bekannten Schulbücherverlag Ferdinand Hirt und Sohn in Leipzig stammt das zweite Heft : ,, Reichsgesetzliche Versorgung der Kriegsteilnehmer und ihrer Hinterbliebenen einschliefslich der Kapitalabfindung in übersichtlicher Darstellung nebst zahlreichen Beispielen" ( 15 Seiten, geh . 0,30 M. ) Nach einem knappen Überblick über den Gesetzesinhalt bringt es Aufgaben zur Berechnung von Renten, Pensionen und Gebührnissen und erscheint als Übungsheft. für Beamte, denen solche Berechnungen obliegen, geeignet. El.
Behörden-Handbuch zum Gesetz über die Versorgung der Personen der Unterklassen des Reichsheeres , der Kaiserlichen Marine und der Kaiserlichen Schutztruppen (Mannschaftsversorgungsgesetz) vom 31. Mai 1906. Mit Genehmigung des Königlich Preußischen Kriegsministeriums unter Benutzung amtlicher Quellen erläutert von Meier , Major und Referent, Demmig Rechnungsrat in der Rentenabteilung des Königlich Preußischen Kriegsministeriums. Berlin 1916. Verlag Mittler & Sohn . Preis kart. 4,25 M. Nachdem in der letzten Zeit zahlreiche mehr oder weniger wertvolle Schriften die Grundzüge der Mannschaftsversorgung für das breitere Publikum gemeinverständlich darzustellen versucht haben, ist jetzt zum Gebrauch in den zuständigen Behörden ein eingehender Kommentar zum Mannschaftsversorgungsgesetz erschienen. Das Werk , das zu jedem Paragraphen eingehende Anmerkungen , auch Beispiele und Tabellen enthält, und in dem sich die seit Inkrafttreten des Gesetzes ergangenen wichtigeren Entscheidungen und Erlasse, sowie als Anhang das unlängst verabschiedete Kapitalabfindungsgesetz finden , 5 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 544.
Literatur.
58
wird bei der täglich zunehmenden Versorgungsarbeit von Behörden und Fürsorgeorganisationen dankbar begrüßt werden . Dies um so mehr, als die dienstliche Tätigkeit seiner Verfasser seine ZuverlässigDr. E. keit und Gründlichkeit gewährleisten . Fremdwörterkunde, Ursprung, Sinn und Betonung der gebräuchlichsten Fremdwörter. Von Prof. Dr. Hugo Scheffler. Verlag Kameradschaft. Berlin N 35. Vierte vermehrte und verbesserte
Auflage. Preis 65 Pf. Ob die getroffene Auswahl dem Bedürfnis der Kreise, für die sie zusammengestellt ist, gerecht wird, entzieht sich im ganzen meiner Beurteilung; vielleicht aber wäre doch, was dies betrifft, die Bedeutung des Wortes Faktor" beim Rechnen und in Bildungen wie „ Hauptfaktor “ usw. zu erörtern gewesen . Die Schwierigkeiten , die sich unverkennbar dem sehr anerkennenswerten Bemühen entgegenstellen , des Fremdwort durch Zurückführen auf seine Wurzel zu erläutern , sind doch wohl beispielsweise nicht ganz überwunden, wenn als Grundbedeutung für abstrahere nicht auch angegeben wird mit den Verstande (abziehen) ableiten, oder etwas zu großzügig gelöst, indem man das Verbum procedere einfach mit Prozeß übersetzt. Ob ferner auch ein Schimpf wort eine real injurie ist, möchte ich bezweifeln , und heißt nicht „der für kirchliche Zwecke Abgesandte" Missionar statt Missionär? Doch , das sind kritische Äußerungen zu Einzelheiten . Im ganzen Dr. L. ist das Buch durchaus empfehlenswert. Unteroffizieraufgaben. Anleitung zur Stellung und Lösung von Gefechts- und Felddienstaufgaben aller Art für unsere Unterführer, sowie zum Selbstunterricht auf diesem Gebiet. Von Oberst Immanuel. Bei Hofbuchhandlung E. S. Mittler & Sohn , Berlin 1917.
Preis 1,75 M.
Der erste Gedanke bei Durchsicht des vorliegenden , nur für den Gebrauch der Infanterie bestimmten Heftes mußte der sein , ob sein Erscheinen zeitgemäß wäre. Der jetzige Krieg liefert so unendlich viele neue Erscheinungen auf allen Gebieten soldatischer Betätigung, daß die daraus gesammelten Erfahrungen sich vielfach zu neuen Anschauungen und Lehren verdichten werden , die auf dem Gebiete der Ausbildung für den Felddienst und zum Gefecht von wesentlichem Einfluß sein müssen . Eine der wichtigsten Lehren des Krieges ergibt sich aus der Erkenntnis , daß infolge der großen Verluste die unteren Führer in ungeahntem Umfange an Stelle der höheren treten müssen . Sollen sie der Aufgabe gerecht werden können , so bedürfen sie bis in die untersten Grade hinein der Schulung, sei es bei der Truppe hinter der Front, sei es bei den Ersatzbataillonen . Die Ausbildung darf nicht abreißen und je : mehr sie in die Hände jüngerer oder von Nichtberufsoffizieren gelegt werden muß, desto größeren Nutzen kann eine kriegsmäßige Anleitung stiften . Dieser Bedingung entspricht die
Literatur.
59
vorliegende durchaus. Der Herr Verfasser konnte sie erfüllen, da ihm reiche eigene Erfahrungen aus den ersten Kriegsjahren zur Seite stehen. Die den Aufgaben vorangestellten Grundsätze geben dem die Übung Leitenden eine klare und überzeugende Richtschnur für Behandlung des zu bewältigenden Stoffes und die folgenden Aufgaben , entnommen den weiten Gebieten der Felddienstordnung, des Exerzierreglements , der Schießvorschrift, des Kleinen Krieges, der Geländeerkundung und des Feldpionierdienstes bieten ausgiebige Anregung für Schaffung gefechtsmäßiger Lagen und deren Besprechung . So kommt das Heft zu gelegener Zeit und kann reichen Nutzen schaffen . v. Rr.
Anleitung zum Schreibwesen für Offiziere . Nach den neuesten Bestimmungen bearbeitet von Oberst Im manuel . Berlin 1917 . ung Hofbuchhandl E. S. Mittler & Sohn . Preis 1 M. Die kleine Schrift werden alle diejenigen Offiziere gern begrüßen , die während des Feldzuges ohne Besuch einer Kriegsschule befördert. wurden , und auch mancher älterere wird sie in einem nicht alltäglichen Falle zu Rate ziehen . Mit anerkennenswerter Gründlichkeit abgefaßt, dürfte sie auf alle einschlägigen Fragen zuverlässige AntDer Herr Verfasser hat sich seine Grenzen reichlich wort geben . weit gesteckt, so durch Aufnahme der Muster für Telegramme, PaketDagegen hätten gerade für den oben. karten, Postanweisungen usw. erwähnten Kreis von Offizieren die wichtigsten Zeichen für die Geländedarstellung mindestens ebensogut Aufnahme finden sollen , wie diejenigen für Truppen , unter denen das für leichte Feldhaubitzbatterien fehlt. In der Zusammenstellung der gebräuchlichen Anreden sind bei den Hochwohlgeborenen " wirklich nicht mehr zeitgemäße Unterschiede aufgeführt. Die heraufziehende neue Zeit räumt hoffentlich mit diesem alten Zopfe auf, der noch zu sehr an die frühere Unterscheidung nach adligen und bürgerlichen Offizieren erinnert. Am besten fiele diese Bezeichnung allgemein weg, sie hat sich überlebt. Ein Generalfeldmarschall wird übrigens mit dieser Bennennung anv. Rr. geredet, nicht mit Exzellenz .
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des ver. fügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises -sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Weule, Der Krieg in den Tiefen der Menschheit. Stuttgart 1916. Kosmos Gesellschaft der Naturfreunde. Geschäftsstelle : Franckh'sche Verlagsbuchhandlung. Geh . 2 M. Geb. 3 M. 2. Sperling, Neue Wege in der Ausbildung unseres Nachschubes , Stuttgart. Verlag der Uhland'schen Buchdr. G. m. b. H. 5*
Literatur.
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3. Bachmaier, Programm und Organisation einer Heilschule für Kriegsbeschädigte. Pädagogisches aus der Kriegsverwundetenfürsorge. Halle a. S. 1916. Karl Marfeld , Verlagsbuchh . 1 M. 4. Birt, 4 Römische Charakterköpfe . Leipzig 1916. Verlag Quelle & Meyer. Geb. 8 M.. 5. Lindner, Weltgeschichte seit der Völkerwanderung in neun Bänden . Stuttgart 1916. J. G. Cotta'sche Behhdlg. Nachf. Geh . 6,50 M. , in Leinen geb. 8 M. , in Halbfranz. 9 M. 6. Tumlirz , Aus dem Kriegstagebuche eines Glückskindes . Stimmungen und Erlebnisse eines österreichischen Reserveoffiziers . Berlin 1917. Geh. 2,50 M., geb. 3,75 M. 7. Handbuch der deutschen Marine und der Seestreitkräfte des Auslandes . 66. - 70. Tausend . geb, 4,50 M.
Kiel 1917.
Lipsius & Tischer .
Eleg.
8. Gerard , k. u . k. Offiziere. Ernstes und Heiteres aus der Zeit vor dem Weltkriege. Braunschweig. Geb. 3 M. 9. Transfeldts Dienstunterricht für Kriegsrekruten der deutschen Infanterie. 52. Aufl . Kriegsausgabe 1916/17. Berlin 1917. E. S. Mittler & Sohn . 0,70 M. 10. Zwischen Kämpfen und Wunden . Kriegserlebnisse eines Marinearztes . Oldenburg 1916. Verlag von Gerhard Stalling . 1,20 M 11. Hollweg, Die Aufgaben der deutschen Flotte im Weltkriege. Berlin 1917. Verlag von Karl Siegismund. 1 M. 12. Haag's Reformmeldekarte mit Pauseblatt. Stuttgart. Franckhscher Verlag . Stck. 2 Pf., 25 Stck. 40 Pf. , 100 Stck . 1,50 M. 13. Rutz, Bayernkämpfe. München 1917. C. H. Beck. Geb. 2,80 M. 14. Körner, Mit den Badenern von Mühlhausen bis in die Champagne . München 1917. C. H. Beck. Geb. 2,50 M. Westlicher Kriegsschauplatz . 15. Frontkarten des W. T. B. 19 Frontenkarten . München 1916. Militärische Verlagsanstalt .
1,50 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z. D. H. Rohne) enthält u . a. folgende Arbeiten : Narath, Oberleutnant a. D.: Graphische äußere Ballistik . Gedanken über die Ausbildung des Remontepferdes . Die Festungen im Europäischen Kriege und die befestigte Stadt der Zukunft.. Zur Geschichte der Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule. H. Rohne, Generalleutnant z. D .: Geschützbenennungen. Über die Heeresversorgung mit Metall . Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam. ) !
VI .
Zur Geschichte
des Fahneneides ') .
Von Dr. Burkhard v. Bonin .
Der Fahneneid war in seiner ältesten selbständigen Form ein Anhang des Artikelsbriefes, des Grundgesetzes der einzelnen Regimenter. Schon der älteste brandenburgische Artikelsbrief, der uns erhalten geblieben ist , hat einen solchen Eid garde in Peitz vom 13. Juni 1561.
der Artikelsbrief für die FestungsEr mag deshalb hier in vollem
Wortlaute , wenn auch in jetziger Schreibweise , folgen : ..Auf vorgemeldeten und verlesenen Artikelsbrief, auch welchermaßen die Austeilung der Kommiß der Proviant halben geschehen solle , schwören wir Kriegsleute unserem gnädigen Herrn Markgraf Johannsen und Seiner Fürstlichen Gnaden Befehlshabern getreu, gehorsam und gewärtig zu sein , Ihrer Fürstlichen Gnaden und dieser Festen Bestes zu wissen , Schaden und Nachteil zu verwarnen und alles das zu tun und zu halten , das solcher Artikelsbrief und gestellte Kommißverordnung vermag und frommen . redlichen Kriegsleuten gebührt . Gott helfe und sein heiliges Wort. "
Als uns
Obwohl dieser Eid deutlich nur auf die Verhältnisse der damaligen Besatzung von Peitz zugeschnitten war und sogar die Beibehaltung ihrer damaligen Verpflegungsordnung (Kommißverordnung) zur Bedingung machte , erkennen wir doch unschwer schon in ihm einen Stammvater des jetzigen preußischen Fahneneides , wenn auch streng wörtlich nur noch die Worte ,.Bestes" (jetzt : ,,Allerhöchstdero 1 ) Die nachfolgenden Ausführungen sind uns als eine historische Ergänzung zu dem Aufsatz von Dr. Friedrich Everling ,, Vom Fahneneid “ (in Nr. 536 von 1916 , unlängst stark erweitert in Buchform im Verlag der Jahrbücher erschienen ) übersandt worden . Der Herr Verfasser bemerkt dazu : ,,Zwar hat sich Everling bemüht, auch in geschichtlicher Hinsicht diejenigen Angaben zu machen , die ihm möglich waren , aber diese Möglichkeit war nach dem zeitigen Zustande der Forschung über die Geschichte des Heeresrechts nur sehr gering. " ( Die Schriftleitung. ) 6 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 545.
62
Zur Geschichte des Fahneneides .
Nutzen und Bestes fördern" ) ,,, Schaden und Nachteil" (jetzt : ,, Schaden und Nachteil aber abwenden“ ) und ein Teil der Einsatzangabe (jetzt : ,, So wahr mir Gott helfe durch Jesum Christum und sein heiliges Evangelium") mit ihm übereinstimmen. Anders, aber doch etwas stärker tritt der Zusammenhang mit der Gegenwart in dem nächstältesten, nur um zehn Jahre jüngeren Fahneneide brandenburgischer Truppen zutage , im Eide der Küstriner Festungsgarde vom 17. Januar 1571 : ,,Wir geloben und schwören einen körperlichen Eid, dem durchlauchtigsten, hochgeborenen Fürsten und Herrn , Herrn Johannes Georgen,
Markgrafen
zu
Brandenburg
und
Kurfürsten ,
unserem
gnädigsten Herrn, auf den Inhalt des vorgelesenen Artikelsbriefes . welchen wir in allen Punkten treulich, fleißig, ehrlich und unverrückt halten wollen , und Seiner Kurfürstlichen Gnaden und der Herrschaft Frommen in allem fördern, Schaden und Nachteil vorkommen und verwarnen, und alles das tun und leisten, das ehrlichen und frommen Kriegsleuten laut des Artikelsbriefs zu tun schuldig.
Als uns Gott
helfe und sein heiliges Wort. " Hier ist die Schwurerklärung schon an den Anfang gerückt und der Eid ausdrücklich als ,,körperlich " bezeichnet (jetzt : ,, Ich N. N. schwöre zu Gott dem Allwissenden und Allmächtigen einen leiblichen. Eid"). Fast ebenso lautete der Eid der Spandauer Festungsgarde vom 1. Januar 1594 , nur daß er
abgesehen von unwesentlichen Kleinig-
hinter ,,halten wollen" fortfährt : ,,getreu , gehorsam und keiten gewärtig zu sein , Seiner Kurfürstlichen Gnaden und der Herrschaft Bestes und Frommen in Allem zu fördern, Schimpf , Schaden und Nachteil zuvorkommen und zuvorwarnen , und daß wir alles tun und leisten sollen und wollen , das ehrliche und fromme Kriegsleute laut des Art kelsbriefs und sonsten gegen ihre Herrschaft zu tun schuldig. Als uns Gott helfe um Christi willen !" Es ist unverkennbar , daß hier der Peitzer Eid von 1561 von Einfluß gewesen ist .
Man mag wohl annehmen, daß sich das Bestreben
geltend gemacht hat , die Eide der verschiedenen Truppenteile nach Möglichkeit übereinstimmend zu gestalten .
Wie weit man aber tat-
sächlich hiervon noch entfernt war, zeigt ein Blick auf den erheblich anders gestalteten Eid, den die Adelbursche - eine kleine , berittene Leibwache des Kurfürsten - 1590 leistete : ,, Ich, N. , gelobe und schwöre zu Gott diesen körperlichen Eid, daß
ich
auf
meine
angenommenen und vorgelesenen und
wohl-
verstandenen Bestallungsartikel dem durchlauchtigsten , hochgeborenen Fürsten und Herrn , Herrn Johannes Georgen , Markgrafen und Kur-
63
Zur Geschichte des Fahneneides .
fürsten zu Brandenburg, meinem gnädigsten Herrn , neben andern in derselben reisigen adeligen Leibgarde getreulich und gehorsamlich dienen soll und will , auch alles das stet, fest und unverbrüchlich halten . dazu mich solche meine Bestallung verbindet.
Sonderlich aber ver-
pflichte ich mich, da ich etwa mit einem meiner Gesellschaft oder anderen Leuten, wer dieselben sein möchten , zu tätlicher Handlung geriete durch Gezänke , Unwillen oder anders ,
und darüber einen
Anderen an seinem Leibe beschädigte oder gar vom Leben brächte oder etwas Anderes übte , darum ich billig zu Recht angeklagt werden könnte, daß ich mich alsdann bei diesem meinem geschworenen Eide ' heimlich nicht wegbegeben, sondern einem jeden zu Rechte still stehen und der Sachen Austrag, und was mir deswegen zuerkannt wird, abwarten will. Als wahr mir Gott helfe um Christi, seines lieben Sohnes , willen!" Es berührt eigenartig , wie hier eine Kriegerpflicht , die uns selbstverständlich erscheint , aus der großen Zahl der Pflichten herausgegriffen und noch ganz besonders unter Eid gestellt wird : nicht die Flucht. nach einer strafbaren Handlung zu ergreifen.
Daß als solche der Zwei-
kampf (,, Balgen" , wie er in den brandenburgischen Artikelsbriefen jener Zeit genannt wird) allein erwähnt wird, zeigt, wie stark Streitsucht und Kampfbegier damals verbreitet waren .
Das Mißtrauens-
votum, das im Abschwören einer etwaigen Flucht lag, konnte aber natürlich nicht lange beibehalten werden und wurde darum bei der Umgestaltung und Neuvereidigung der Adelbursche 1598 schon wieder gestrichen .
Zugleich wurde
damals
auch ihr Eid dem Eide
der
Spandauer Festungsgarde von 1594 erheblich angenähert . Doch es würde zu weit führen , an dieser Stelle die sämtlichen Eide brandenburgischer Truppen, soweit sie uns erhalten sind , einzeln durchzugehen. Denn wenn auch viele verloren sind, so ist doch die Zahl der erhalten gebliebenen Formeln noch immer so groß, daß nur der Fachmann sich in alle wird versenken mögen. Anders als der Eid der Adelbursche war 1598 der Eid der Leibschützen ; anders als der Eid der regimentierten Soldaten war 1622 der Eid der Einspännigen .
Noch 1623 wurde die Küstriner Festungs-
garde anders vereidigt, als im Jahre vorher die Peitzer Festungsgarde vereidigt war, und 1620 das Regiment zu Fuß anders als 1610, als zum Daersten Male hier die Bezeichnung ,, Soldat " gebraucht wurde . gegen wurden 1620 Reiter und Fußknechte zum ersten Male auf die gleiche Eidesformel verpflichtet. Ähnlich , aber doch wieder etwas abweichend, waren die Eide , die uns für Fuß- und Reiterregimenter aus den Jahren 1623, 1626 , 1631 , 1633 und 1641 überliefert sind. Erheblich anders war der Eid des Heeres von 1637/38, den ich an anderer 6*
64
Zur Geschichte des Fahneneides .
Stelle schon mitgeteilt habe (Entwicklung des deutschen Kriegsgerichtswesens , Rastatt 1912 , S. 35f. ). Dann aber nahm der Große Kurfürst eine gründliche Umarbeitung vor. Während noch der Eid von 1641 lautete : .,Wir geloben und schwören hiermit zu Gott einen leiblichen Eid, daß wir alles und jedes , was uns jetzo aus diesem Artikelsbriefe vorgelesen worden und wir wohlgehört und recht und genugsam eingenommen haben, stet , fest und unverbrüchlich halten wollen, wie
das getreuen,
gehorsamen .
ehrliebenden
Offizieren
und unverzagten Soldaten und Kriegsleuten gebührt und wohl ansteht . Getreulich sonder Gefährde und Arglist . So wahr uns Gott helfe durch seinen Sohn Jesum Christum. Amen!" war er 1645 so umgearbeitet, daß er bereits unmittelbar mit jetzigen Fahneneide¹ ) verglichen werden kann.
dem
Beide mögen deshalb
hier zur Erleichterung des Vergleiches nebeneinander folgen :
1645 : Ich
N.
N.
schwöre
jetzt : zu
Gott
N.
N.
Ich
schwöre
Allwissenden
dem Allmächtigen diesen körper-
dem
lichen Eid.
mächtigen
einen
zu
Gott
und Allleiblichen
Eid.
daß dem durchlauchtigsten hoch-
daß ich Seiner Majestät dem
geborenen Fürsten und Herrn , Herrn Friedrich Wilhelmen , Mark-
König von Preußen, Wilhelm dem Zweiten,
grafen zu Brandenburg, des Heiligen Römischen Reichs Erzkämmerern und
Kurfürsten , in
Preußen , zu Jülich , Cleve , Berg , Stettin , Pommern Herzogen , meinem gnädigsten Herrn ich traut sein , wider Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht Feinde redlich dienen ,
meinem allergnädigsten Landesherrn, in allen Vorfällen , zu Lande und zu Wasser , in Kriegs- und Friedenszeiten , und an welchen Orten es immer sei , treu
und redlich
dienen,
dero Nutzen befördern ,
Allerhöchst dero
Nutzen
und
Nachteil
aber
Bestes fördern,
Schaden verhüten
Schaden
und
abwenden,
¹ ) Ich nehme natürlich die normale Form ohne alle für Einzelfälle vorgeschriebenen Besonderheiten .
65
Zur Geschichte des Fahneneides. und sonsten in allem nach obArtikeln leben. beschriebenen hiernächst
meinem
vorgestellten
die mir vorgelesenen Kriegsartikel und die mir erteilten Vorschriften und Befehle genau befolgen
Obristen , Herrn Georg Ehrenreichen von Burgsdorff, Rittern , dessen
Obristleutnant ,
Obrist-
wachtmeister und anderen nachgehenden Offizieren allen Gehorsam leisten und all dasjenige , so sie mir nach Kriegsgebrauch und Notdurft befehlen , verrichten, von dem Regiment und meiner Standarte ohne Urlaub nicht weichen, sondern dabei Leib, Leben , Gut und Blut aufsetzen und mich, als einem ehrliebenden Soldaten eignet , gebühret und wohl ansteht , verhalten will.
und mich so betragen will , wie es einem rechtschaffenen , unverzagten . pflicht- und ehrliebenden
Soldaten
eignet
und
gebühret. Als mir Gott helfe und sein hei-
So wahr mir Gott helfe durch
liges Wort.
Jesum
Christum
und
sein
heiliges Evangelium . Bedenkt man, daß ein Teil der Wendungen, durch die sich der jetzige Fahneneid von dem Eide aus dem Jahre 1645 unterscheidet , bereits in Eiden aus noch früherer Zeit vorkommt,,, leiblichen Eid" , ,,Bestes",,, Schaden
und
Nachteil" ,
die
mir
vorgelesenen
Kriegsartikel" , ..unverzagt" ) , so wird erkennbar, wie bei der Gestaltung des Fahneneides immer wieder an ältere Vorbilder angeknüpft und aus den verschiedensten Quellen jeweils genommen wurde, was das Beste zu sein schien .
In seiner Anlage und Grundgestalt aber geht
er, wie diese Zusammenstellung zeigte, auf keinen Geringeren als den Großen Kurfürsten zurück, wiewohl auch noch unter diesem manche Truppenteile nach anderen Formeln vereidigt wurden , also die Einheitlichkeit des Fahneneides keineswegs schon seit 1645 zur Durchführung gelangte.
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815 .
66
VII .
Kriegsminister
General
v.
des Feldzuges
Boyen
zu
Beginn
1815.
Von J. V. Pflugk-Harttung .
Im Tümplingschen Familienarchive zu Thalstein bei Jena finden sich beachtenswerte Nachrichten über den preußischen Kriegsminister General v. Boyen und damit über die Freiheitskriege¹ ) . Aus einem der Aktenstücke 19 (ad 12 ) , welches mir freundlichst zur Verfügung gestellt wurde , habe ich Abschriften für das Jahr 1815 gemacht. mögen hier veröffentlicht und erläutert werden.
Sie
Ende des Jahres 1814 und Anfang 1815 beschäftigte vor allem die
sächsische Frage die Gemüter in Preußen .
Ihretwegen kam es
fast zum Kriege unter den Verbündeten .
Nach Ende Dezember 1814
meinten die Patrioten ,
Boyen und Grolman ,
England werde ) .
voran Gneisenau ,
daß
neutral bleiben oder im Notfalle Preußen unterstützen Doch schon am 3. Januar 1815 schlossen Österreich , Frank-
reich und England ein Bündnis zur Erhaltung des sächsischen Königreichs.
Es
geschah
zwar in tiefstem Geheimnisse ,
man bald seine Wirkung.
doch
verspürte
Den 10. Februar wurde dann die sächsische
Frage in Wien entschieden . In die Zwischenzeit gehört das Schreiben Boyens an John Bull ; man könnte es ung fähr dem 1. Februar überweisen . Boyen schreibt unter der Maske eines pommerschen Bierbrauers und Landwehrmanns.
Für einen
solchen sind die ge-
schichtlichen Kenntnisse und deren Anwendung etwas auffallend, aber sonst ist der Ton nicht übel getroffen und beweist die Begabung des Kriegsministers für volkstümliche Schriftstellerei . Das Ganze bildet ein Spiegelbild der damaligen Stimmung. Neben den sächsischen fesselten besonders die deutschen Angelegenheiten . Ein tiefer Unmut über das geringe Ergebnis des Kongresses für Preußen griff immer mehr um sich. Der vorstürmende Blücher
1 ) Vgl .
F. Nippold , Erinnerungen
aus dem Leben des General-
Feldmarschalls Hermann von Boyen. I - III , 1771-1813. Leipzig 1889 bis 1890. - Feldmarschall Boyens Denkwürdigkeiten und Erinnerungen 1771-1813 . Verlag Robert Lutz in Stuttgart. 1913. F. Meinecke , Das Leben des General- Feldmarschalls Hermann von Boyen, I, II , Stuttgart 1899. 2 ) Meinecke, Boyen II , S. 20 ff.
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
67
erregte sich dermaßen , daß er seine Entlassung einreichte. Da erhielten alle Blicke plötzlich ein neues Ziel. Napoleon kehrte von Elba zurück, und mit ihm trat
das
Schreckgespenst
eines
neuen
Weltkrieges auf die Bühne. Am Abend des 5. März traf die Kunde in Wien ein , der Kaiser und Fürst von Elba habe die Insel verlassen. Drei Tage
später erfuhr
man seine Landung an der Küste Frank-
reichs und bald seinen beispiellosen Siegeszug auf Paris . Aber schnell rafften sich die bedrohten, oder richtiger die sich bedroht glaubenden Fürsten auf, denen ihr Beisammensein in Österreichs Hauptstadt zustatten kam. Schon am 11. März fand auf Befehl der drei Festlandgroßmächte, der Herrscher von Österreich, Rußland und Preußen , eine militärische Sitzung statt.
Und zwei Tage nachher, am 13. März ,
erklärten die auf dem Kongresse vereinigten Mächte den Störenfried Europas in die Acht. Natürlich stellte der plötzliche Umschwung, die sichere Aussicht auf einen nahen neuen Krieg dem preußischen Kriegsminister ganz neue Aufgaben. als Geschick. Neubildung
Er unterzog sich ihnen mit ebenso großer Hingebung Bisher hatten ihn unausgesetzt
des preußischen
die Gedanken
Heeres beschäftigt .
einer
Hieraufhin erließ
der König am 7. März eine Kabinettsorder, derzufolge die Neuformation für Fußvolk und Reiterei vorbereitet werden sollte. Am selben Tage erging auch der Befehl , die kurz zuvor angeordnete Auflösung der Landwehr rückgängig zu machen ' ) . Rings gab es Arbeit über Arbeit. Das Heer wurde in 6 Korps geteilt, tüchtige Männer erhielten deren Führung und Blücher den Oberbefehl der Feldarmee . Aber es sollten nicht wieder endlose Opfer umsonst gebracht werden, sondern Preußen mußte endlich ernten , was es verdiente . Für diesen Gedanken erwies sich Boyen als einer der gewichtigsten Sprecher. Bei ihm war, wie bei Gneisenau, mit dem er hier fast stets übereinstimmte, das Preußentum ungemein stark ausgeprägt. In seiner Proklamation rief
er aus :
„ In der Stunde des heftigsten Kampfes
sowie in der Hütte des friedlichen Landmannes vergesse keiner Meiner Krieger, daß er ein Preuße ist. " Sein Ziel ist völlige Niederwerfung des preußischen Erbfeindes Napoleon und Einbringung
dessen,
was
durch den Wiener Kongreß für Preußen verloren ging oder doch nicht von ihm erreicht wurde : namentlich soll es der Schutzherr Norddeutschlands werden.
Er macht weitschauende Vorschläge, welche
darauf hinauslaufen , die bevorstehenden Ereignisse zugunsten Preußens zu verwerten.
Seine Rührigkeit ist so groß, daß er von einem Tage ,
vom 14. März, drei wichtige Schriftstücke datierte. ¹) Meinecke, Boyen, II , S. 37. Vgl. auch Pflugk- Harttung, Das Preußische Heer und die Norddeutschen Bundestruppen. S. 49 .
68
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815 . Nach Boyens Ansicht muß Preußen die größtmöglichen Streit-
kräfte
aufstellen,
zu sein.
um der Unabhängigkeit seiner Handlungen gewiß
Aber nur ein Teil seiner Truppen soll Krieg führen , starke
Reserven müssen für alle etwa möglichen Fälle zurückbehalten werden , um beim Friedensschlusse
ihr Gewicht
in die Wagschale zu legen .
Durch kluge Benutzung der augenblicklich gebotenen Umstände soll Preußen im Kriege und
durch den Krieg so viel Macht erwerben ,
daß es nicht wieder die Erbärmlichkeit eines Kongresses zu erdulden braucht.
Immerhin müsse Preußen in der Verwendung seiner Truppen
vorsichtig sein, denn der bevorstehende Waffengang könne jahrelange Anstrengungen und Kämpfe kosten, ja er könne ebenso bedeutend . werden ,
wie
weiter um Ländern ,
der kaum beendete. sich greife,
weil sich
zumal in Italien
und
Boyen fürchtet sogar, viele Gährungsstoffe in
der Schweiz,
Auch erscheine keineswegs sicher,
daß
er
mehreren
angesammelt
hätten .
ob nicht Unzufriedene den Kampf
für ihre Zwecke benutzen, um Erhebungen anzuzetteln.
Das Geringste .
worauf man gefaßt sein müsse, sei der Ausbruch bedeutender Unruhen in Frankreich . Man erkennt in diesen Gedanken die noch immer nicht ausgerottete Überschätzung Napoleons und der Franzosen . So wünscht
Boyen Frankreich so viel wie möglich verkleinert,
und
meint, daß jedermann die durch den Krieg erhöhten Ansprüche Preußens bereitwillig anerkennen und gutwillig erfüllen werde . Es brauche passende Grenzen und Schweiz solle
einen
entsprechenden Umfang.
zu Deutschland gehören .
Die
Aus allem erhellt die An-
schauung des geborenen und überzeugten Vertreters preußischer Wünsche und Bedürfnisse ,
wie sie
Militärkreise entstand, Wien paßte .
in
der
die aber
Berliner Luft
so gar nicht
der
patriotischen
zu der Stimmung in
Beachtenswert erscheint auch Boyens Operationsplan,
der große
Umsicht zeigt, aber zu früh gemacht sein dürfte, da der Kriegsminister weder über die Absichten und Kräfte der Verbündeten , noch über die Napoleons genügend unterrichtet war. In Wien hatte man am 31. März beschlossen, drei große Armeen zu versammeln : eine am Oberrhein, eine am Mittelrhein und eine in den Niederlanden , jede 150000 Mann stark und je unter
einem
besonderen Befehls-
Auch Boyen fordert diese drei Heere, dazu aber noch eine Reservearmee, bestehend aus nachrückenden Russen und Preußen , die sich in Franken und in der Pfalz zu sammeln hätten . Alle vier
haber ' ) .
Armeen müssen , ohne die Besatzungen, wenigstens aus 120000 Mann 1) Mein Aufsatz : Die Gegensätze zwischen England und Preußen wegen der Bundestruppen 1815 , in Forsch . z. Brandenb. und Preuß. Gesch., XXIV, S. 126.
69
Kriegsminister General v . Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815. bestehen.
Boyens Ansicht
deckt sich mit der Gneisenaus,
hinter der Armee des Mittelrheins
welcher
ebenfalls ein großes Reserveheer
verlangt, das stärker als die übrigen sein müsse¹ ) . Vergleichen wir
nun die Anschauungen Boyens und Gneisenaus
über den Feldzug näher, so finden wir manche gemeinsame Züge, doch ebensolche Abweichungen : Boyen dachte als Kriegsminister, Gneisenau als Generalstabschef; jener war deshalb geneigt, politischen Erwägungen nachzugeben ,
dieser ging von rein militärischen Gesichtspunkten aus .
Der Grundzug der Boyenschen Auffassung liegt gewissermaßen in den Worten: Preußen kann und muß seine Kräfte für die Erhaltung von Deutschland und Holland bereit halten, da die eigene Sicherheit Preußens mit diesen beiden Gegenständen innig verwebt ist ;
aber
Preußen kann dies ohne Ungerechtigkeit gegen sein eigenes Interesse und ohne Gefahr nur dann tun, wenn die Anstrengungen der Nation auf eine gerechte Art belohnt werden . " Er meint dies in bestimmtem Hinblicke auf Österreich, "" welches sich in dem Verhältnis dessen , was es geleistet hat, so viel herausnimmt und in seiner arglistigen Politik
das Wiederaufleben
aller
,, altösterreichischen
Pläne"
zeigt.
Deshalb wünscht er eine Machtentfaltung Preußens mit zwei Fronten : eine gegen
Frankreich und die
andere gegen Österreich.
Alle
am
rechten Weserufer entbehrlichen Truppen sind in Sachsen zusammenzuziehen. verleihen,
Um den preußischen Forderungen in Wien Nachdruck zu soll man lakonisch erklären, jeden , der uns zu nahe
kommt," sehe man als Feind an. In Frankreich müsse man einrücken ,, zum Schutz der Nation und deren Freiheit und
zur Erhaltung der gegenwärtigen Konstitution . “:
Für den Krieg gegen Napoleon sieht Boyen zwei Möglichkeiten.
Ent-
weder habe man bloß die bedeutend vermehrte Armee zu bekämpfen . oder man bekomme es auch mit einem Teile des aufgewicgelten Volkes zu tun . In ersterem Falle erscheine am besten, wenn alle Armeen geradeswegs auf Paris losgehen .
Begegne einer derselben ein
vorübergehender Unfall, so müssen die anderen ihre Offensivbewegungen verstärken, um den Feind in eine möglichst Anders,
üble Lage
zu bringen .
wenn der Imperator die Nation zum Kleinkriege bewaffne:
in diesem Falle wäre vorteilhafter,
nur bis zu einer gewissen Höhe
vorzudringen, dort die Armeen miteinander in Verbindung zu setzen und durch alle Mittel, die man habe, sich erst Ruhe im Rücken und einige feste Plätze zu verschaffen.
Augenblicklich zerfalle die Front-
armee in zwei Hauptteile : einen in Belgien und am Niederrheine, den 1) Gneisenaus Kriegsplan ist abgedruckt in meinem Buche : Vorgeschichte der Schlacht bei Belle - Alliance , S. 208.
70
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
anderen
am
Mittel- und Oberrhein .
Marne und Aisne vorgehen lassen .
Man soll diese beiden bis zur An die allgemeine
Darlegung
schließen sich Einzelausführungen, die wir hinten näher kennen lernen werden. Unseres
Erachtens kranken die
Pläne
an politischem
Boyens
Beigeschmack . Er übersah, daß mit dem Einrücken eines preußischen Heeres in Sachsen die Koalition gelähmt sei, weil Österreich sicherlich die Maßnahmen des drohenden Nachbarn mit der Aufstellung Auch das Ver-
einer Armee an Böhmens Grenze beantwortet hätte.
halten in Frankreich leidet an einer gewissen Halbheit, weil man es von dem Benehmen des Feindes abhängig macht, trotz der augenscheinlichen Überlegenheit an Truppen, die man besaß. Auf diese Weise wären Reibungen und Irrungen innerhalb der verbündeten Heerführung, wie schon 1814 , Tür und Tor geöffnet worden.
Dem-
gemäß können wir Boyens Vorschläge nicht immer gutheißen . Wie ganz anders lautet
der Plan Gneisenaus.
Er sagt :
„ Die
Feldherren der drei ersteren Armeen dringen in Frankreich ein und nehmen sämmtlich die Richtung auf Paris. Ob einer seiner Nachbarn geschlagen werde , darf keinen dieser Feldherren irre machen , sondern jeder derselben geht auf seinen Zweck los, zur Bewachung der nächsten Festungen Abtheilungen zurücklassend . Die Reservearmee ist dazu bestimmt, die Unfälle, die einer oder der andern der vorderen Armeen begegnen können, wieder gut zu machen , entweder durch Flankenbewegungen gegen des Feindes Kommunikationen oder durch direkte Hülfeleistungen .
Dieser Feldzugsplan ist begründet durch die numerische
Überlegenheit der
Truppen der verbündeten Mächte.
Schlägt auch
Napoleon eines der drei Heere, so dringen , während er verfolgt,
die
beiden anderen in seinem Rücken vor, und die Reservearmee macht dann die Unfälle der geschlagenen Armee wieder gut. Napoleon nach
einem
Siege
gegen
Wendet sich ungeschlagenen
eine der noch
Nachbararmeen , so hat er einen neuen Kampf zu bestehen, den ihm die zu Hülfe eilende Reservearmee sehr erschweren kann , während die geschlagene, jetzt unverfolgte Armee, wieder ergreift.
Die
vorderen Armeen
sich erholt und die Offensive
zu lösende Aufgabe
es vermeiden,
damit Napoleon immer erst
hierbei ist,
einander sich
eine Reihe von
zu
daß
die
drei
sehr
zu nähern ,
Märschen
zu machen
habe, bevor er gegen eine Nachbararmee sich wenden kann . “ Auf den ersten Blick erkennt man hier einen ganz anderen strategischen Geist, als den Boyens . Während jener sich Schwierigkeiten schafft und nicht vorhandene Gefahren erwägt, geht Gneisenau mit erleuchteter Klarheit fest und sicher dem Ziele entgegen ; und das ist der Sieg, der vollkommene , entscheidende Sieg.
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
71%
In einer Hinsicht stimmen Boyen und Gneisenau überein : in der Art des Vorgehens,
daß eine vom Feinde angegriffene Armee durch
Bewegungen der Seiten- oder Reservearmee unterstützt bzw. entlastet werden soll, was Gneisenau freilich viel klarer und bestimmter formuliert als der Eigentum
Kriegsminister .
aber weniger geistiges
Dies ist
als die Übernahme der Kriegführung des Herbstfeldzuges
1813 , wo der Trachenberger Plan sie anordnete.
Nr. 1.
Schreiben eines pommerschen Landwehrmanns an Herrn John Bull. Mein lieber Herr John Bull ! ' )
Ich habe immer gutes von ihm gehört,
daß er ein rechtlicher,
nicht hoffärthiger Mann von altem Schrot und Korn ist, und deshalb wende ich mich vertraulich an ihn , da ich überdem nicht sonderlich viel Bekanntschaft in seinem Insellande habe . nicht,
Vornehm bin ich auch
aber er braucht sich meiner auch nicht zu schämen ; ich bin
ein ehrlicher Bierbrauer aus Stolpe, und als unser König aufrief, befahl ich Weib, Kind und meine Nahrung Gott und trat in die Landwebr.
Da habe ich freylich nun nicht mehr als meine Pflicht gethan ,
doch hat es mich recht gefreut, das ich seinem wackren Kriegesvolk in Holland und den Niederlanden den Weg bahnen konnte und bey der Einnahme von Paris zugegen war . Gottlob
alles Volk
hat
in
diesem
gut
Kriege
gethan ,
sein
Wellington und unser Blücher, und das hat mich aufrichtig gefreut , denn ich kann es immer nicht leiden, wenn die Völker neidisch auf einander sind und sich eins über das andere erheben wollen. Aber da habe ich dann auch gedacht , daß dieß im Frieden so fortdauern sollte und das keiner es dem andern beneiden würde , wenn er auf eine rechtmäßige Weise seine Wirthschaft etwaß sicher stellen wollte . Da kann ich es nun nicht bergen, lieber John Bull, hat es mich doch etwaß gewurmt, daß ein gewißer Herr Whitebrat in seinem Parlament sich so ausgelassen hat , als wenn er es den Preußen nicht gönnen wollte, wenn Sachsen mit ihnen vereinigt würde. Seinen Herrn Whitebrat kenne
ich
nicht
(ich
denke,
er wird
doch wenigstens als freiwilliger oder Landwehrmann mit im Kriege gewesen seyn), aber er muß nicht viel von der Historie gelesen haben. Daß Alt-England mehr als
ein Königreich
ziemlich unsanft vereinigte, wird nicht viel erinnern ,
ausmachte ,
er wohl wissen ,
ehe man es
auch will ich es
daß die Mariechen von Schottland ein
1 ) Mit Blei am Rande : Am 10. Febr. 1815 sächsische Frage entschieden . Moderner Zusatz .
bischen
wurde in Wien die
72
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815 .
eilig aus der Welt mußte, denn der Herr Whitebrat könnte meinen, das wären nur seine gottlosen Väter gewesen, und jetzt wäre es in England viel tugendhafter. Aber, Du mein Gott, die schönen Inselchens . die ihr euch im Frieden zu Paris habet geben lassen, und das, waß ihr in Amerika gern speisen möcht , ist das nicht Vergrößerung ? Preußen hat doch wohl das Recht, so viel Land und Leute wieder zu verlangen ,
als es früher
hatte,
nun aber will Bayren
Anspach und Bayreut behalten ; seine Minister, lieber Bull, oder wer es sonst seyn mag, haben schon Hildesheim an sich gerissen und möchten gern noch mehr von uns haben, und wir Preußen sollen ruhig zusehen, biß man uns giebt, waß dem Herrn Whitebrat beliebt ? Lieber John Bull,
waß dem einen recht ist, ist dem andren
billig, und das Preußische Blut
und die Preußischen Knochen sind
eben so gut eines Lohnes werth, Gebein.
wie Englisches
oder Schottisches
Der Sachsenkönig hat biß zur letzten Stunde es mit Napoleon gehalten, feindselig gegen uns gehandelt und dadurch sein biedres Volk ins Verderben gebracht ; mein lieber Freund , kommen,
müßte
und er müßte
hervorrufen und manch
wenn das kein Verbrechen ist , eigentlich
manches
auch seinen alten Stückchen
anders
zu
dann. stehen
Königs- Stamm wieder
Land herausgeben .
Wenn der
Sachsen König wieder eingesetzt wäre und bey der ersten Veranlassung feindseelig gegen uns handlen würde, wird dann etwa Herr Whitebrat ein Bierfaß ausrüsten komme(n)?
und uns
damit hier bey Berlin
zu
Hülfe
Lieber Gott, ich weiß auch, waß mit Bierfässern zu machen ist. Glaube mir, lieber John Bull, wer alles kömmt zu schaden ! (Nr. 38. ) Nr. 2.
für
sich haben will,
Begleitschreiben an den König zur nachfolgenden März 14 . Denkschrift.
Das Entweichen Napoleons von der Insel Elba ist eine von den Begebenheiten, deren Folgen in diesem Augenblick ebenso wenig zu vermeiden als zu berechnen sind. Scheitert sein Vorhaben nicht in dem ersten Augenblick durch eine Göttliche Fügung, so läßt sich mit Gewißheit voraussehen, daß uns noch mehrere Jahre von Anstrengungen und Kämpfen bevorstehen . Eine solche Epoche erfordert, wenn sie ein Land nicht gantz erschöpfen soll , einen vorher geordneten Plan , damit man durch diesen, wenn er einmahl bestimmt ist, in allen Verhältnissen geleitet wird und mit der möglichsten Ersparniß , immer für das kommende nutzen kann.
Jahr
vorbereitend,
die Kräfte
des Landes
be-
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
73
Diese Ansicht hat es mir zur Pflicht gemacht, Euer Königlichen Majestät in den anliegenden Blättern
einige Gedanken ehrerbietigst
vorzulegen, deren Bestimmung in militairischer Hinsicht nothwendig wird , weil nach diesen dann jetzt schon die nöthigen Einleitungen so getroffen werden
können ,
gehörig vorbereitet sind .
daß wir beym Ausbrechen
Es ist freylich in mehr als
des Sturms
einer Hinsicht
traurig, so schnell nach einem kaum beendeten Kampfe die Keime eines vielleicht ebenso bedeutenden Krieges wieder hervorbrechen zu sehen , die Abreise Napoleons ist indeß eigentlich nur der Brennpunkt , alle diese, leider so zahlreiche Stoffe zur
in dem sie sich sammeln ;
Gährung, der ( !) sich in diesem Augenblick so bedeutend in mehreren Ländern von Europa findet, ist ja von einigen Regierungen beynahe muthwillig hervorgerufen . Giebt
es noch ein Mittel,
Ew. Majestät
einst Ruhe zu geben,
uns allen den Abend unseres Lebens in Friede genießen zu lassen, so ist es nur dieß, daß Preussen einen entschiedenen Einfluß in dem grösseren Theile von Teutschland bekomt, und daß zu erlangen ist der Augenblick gegenwärtig da .
Nicht
allein die
neusten Erfahrungen ,
die gantze Geschichte zeugt es, mit welchem Egoismus und mit welcher Beschränktheit die Kräfte Teutschlands zu fremden Zwecken geleitet und zersplittert wurden . Absicht mehr
als
Daß dieses die wieder erwachte
einer Regierung war,
hat die neuste Zeit leider
gezeugt, und jede aus solchen Absichten zusammengesetzte Verfassung wird Teutschland fortdauernd so lange in einem unruhigen Zustande erhalten, biß Preußen seiner Bestimmung gemäß der Schutzherr von Nordteutschland wird. Mit tiefer Ehrfurcht sehe ich Euer Königlichen Majestät ferneren Befehlen entgegen . Berlin, den 14. Märtz ( 1815) (Nr. 21.
Nr. 3. Preußens
v. Boyen.
Vgl. Meinecke, Boyen II , S. 41. )
Denkschrift über die Lage und Forderungen bei
einem
etwaigen Kriege März 13 .
mit
Napoleon .
Ueber die Verhältnisse Preußens , wenn Napoleon in Frankreich Unruhen erregen sollte. Wenn man kalt und ohne Vorurtheil die Bedingungen prüft, unter denen es Preußen möglich ist, mit Erfolg einen Krieg am Mittel-Rhein zu führen und dadurch Deutschland zu beschützen, so zeigen sich folgende Haupt-Punkte, ohne welche kein besonders glück-
74
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
licher Erfolg zu erwarten ist :
1. Preußen muß im Kriege den Ober-
Befehl in Mainz und Luxemburg haben ; 2. Alle Streit- Mittel der deutschen Fürsten , die zwischen der Elbe und dem Mittel- Rhein liegen, müssen durchaus im Kriege Preußen untergeordnet sein ; 3. Preußen kann in Sachsen keine ihm feindselige Regierung dulden. Die Wiedereinsetzung des Sächsischen Königs während
eines Krieges
und die Trennung des abzutretenden Theiles von Sachsen ist durchaus mit den Krieges- Bedürfnissen von Preußen unvereinbar. Soll es zu einem neuen Kriege, ja nur zu neuen Rüstungen kommen, so muß Preußen vorher über diese Punkte durchaus im Reinen sein . Es wäre das größte Unglück für den Thron und die Nation, wenn wir ohne feste Bestimmungen darüber uns zu einem neuen Kampfe fortreissen li Ben¹) . - Preußen kann und muß seine Kräfte für die Erhaltung von Deutschland und Holland bereit halten. da die eigene Sicherheit Preußens innig verwebt ist ;
aber
mit diesen
Preußen kann dies
beiden Gegenständen ohne Ungerechtigkeit
gegen sein eignes Interesse und ohne Gefahr nur dann thun, wenn die Anstrengungen der Nation auf eine gerechte Art belohnt werden. Alle
andern Ansichten für
Deutschland können
aus einer gut-
müthigen Quelle kommen, sie widerstreiten aber dem eignen Intresse Preußens und selbst dem Wohl Deutschlands, da Oestreich sowohl seinen
innern Verhältnissen
nach ,
als auch
bei seiner Verwickelung
in den italienischen Angelegenheiten unfähig ist , in den Augenblicken wirklicher Gefahr den Schutzherrn von Nord-Deutschland zu machen. Die oben erwähnten Punkte sind zu wichtig, sich
nicht so schnell als möglich
suchen müßte .
als daß Preußen
darüber Auskunft
zu verschaffen
Sie enthalten keine übertriebenen Forderungen, sondern
sind nur die gerechten Grundlagen zur Entwerfung eines militairischen Plans. Werden sie Preußen zugestanden, so haben wir einige Garantie, daß die Noth unsere bisherigen Gegner und zweifelhaften Freunde umgestimmt hat, und wir können uns mit mehrerem Vertrauen der Sache unterziehen ,
sind wenigstens gesichert,
daß nicht bei dem
ersten unglücklichen Gefechte und mitten in unsern Landen uns ein gefährlicher Feind aufsteht. Werden uns aber diese billigen Punkte abgeschlagen oder durch schöne Redensarten umgangen , so ist es klar , daß entweder der böse Wille oder die Verblendung der dies weigernden Mächte so groß ist , daß es wider das Preußische Staats-Intresse wäre, sich ohne gehörige
1 ) Vgl. meinen Aufsatz : Die Gegensätze zwischen England und Preußen wegen der Bundestruppen 1815 , in den Forsch. zur Brandenb. und Preuß. Gesch. XXIV . S. 125 ff.
Kriegsminister General v . Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
75
Bürgschaft in neue Verwickelungen einzulassen . Ueberdem verdient es die ernsteste Berücksichtigung, daß bei einem neuen Kriege der gute Wille der Nation wieder aufs Neue bedeutend in Anspruch genommen werden muß . Dieser gute Wille aber muß nach den letzten Ereignissen des Wiener Kongresses wieder belebt werden. - Es ist höchst wichtig, bei einer zu täuschen.
neuen Krisis sich über diesen Punkt nicht
Wenn man die Stimmung der Nation Provinzen (von einzelnen Unbesonnenen , unnützes Gerede sich auszeichnen , aufmerksam beobachtet hat,
aus
allen
Ständen und
die durch ein
öffentliches.
kann hierbei nicht die Rede sein)
so läßt sich folgendes Resultat daraus
abnehmen : 1. Man glaubt in dem Benehmen Oestreichs, welches sich in dem Verhältniß dessen, was es geleistet hat, so viel herausnimmt, und in seiner arglistigen Politik das Wiederaufleben aller Alt-Oestreichischen Pläne zu finden. Dieses aber wird von allen Protestanten und allen gebildeten Katholiken ebenso gefürchtet , wie die Napoleonische Tirannei . 2. Das National- Gefühl ist durch die Zerstückelung von Sachsen gekränkt, und man glaubt dadurch dem Preußischen Staate seinen wohlverdienten Lohn entzogen . Selbst unter den geringsten Ständen sieht man es als eine Annäherung an ein verhaßtes Sistem und
als Sorglosigkeit
für
die Erhaltung
der Ruhe von Europa an ,
daß der mit Napoleon so eng verbrüderte Koenig von Sachsen wieder ein regierender Fürst sein soll . Von gemeinen Soldaten sind mir hierüber höchst merkwürdige Äußerungen bekannt geworden . 3. Dadurch, daß es dem Hannövrischen Adel, der gar nichts in dem letzten Kriege gethan hat,
gelungen ist,
sich durch englischen Einfluß von
uns zu isoliren und sogar auf unsere Kosten zu bereichern , fühlt sich die Nation gekränkt, und alle sehr schmerzlich empfunden .
dorthin gemachten Abtretungen
sind
Diese nach einer sehr vielfältigen Prüfung abstrahirten Behauptungen beweisen es klar, daß die Nation glaubt, daß die Verdienste der Preußischen Monarchie nicht genug anerkannt sind ,
daß sie be-
neidet worden und ihr der verdiente Lohn entzogen ist.
Wird dieser
Glaube nicht in der vorgeschlagenen Art durch Thatsachen berichtigt, so wird sich die Nation bei
einem
ausbrechenden Kriege
nicht zu
freiwilligen Opfern verstehen , da sie bei einer neuen Kraft-Anstrengung auch auf's Neue zurück gesetzt zu werden besorgen wird . Es sind daher überwiegende militairische und innere Staats - Verhältnisse , die die schleunige Aufklärung
dessen nothwendig machen,
was Preußen
bei einem etwa ausbrechenden Kriege von Östreich und den übrigen deutschen Fürsten zu erwarten hat. Es ist nicht zu leugnen, daß die gegenwärtige Krisis sehr günstig zur Erreichung unserer gerechten
76
Kriegsminister General v . Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815 .
Forderungen ist, da das, was Eigendünkel und Neid uns im Frieden abtrotzte, wohl im Augenblicke der Angst Sprache wieder gewonnen werden kann .
durch
eine bestimmte
Werden die zu unserer Selbsterhaltung und deutschen Vertheidigung nothwendigen Punkte nicht bereitwillig zugestanden, seiner deutschen Verpflichtungen entbunden,
so ist Preußen
es kann dies öffentlich
der Welt bekannt machen, und die Sorge für seine Selbsterhaltung wird die erste Pflicht. -- Folgendes kommt sodann besonders in Betrachtung : 1. Schleunige Verproviantirung der Rheinfestungen. Auffenthalt vorzunehmende Arbeiten bei Coblenz ,
Minden,
Ohne
Erfurth .
2. Zusammenziehen sämmtlicher mobilen Truppen, die am rechten Wenn wir diese Maßregel Weser-Ufer dislocirt sind , in Sachsen. unterlassen, so ruiniren wir nicht allein
vollends unsere alten Pro-
vinzen, sondern es fehlt uns auch der Nachdruck, um unsere Forderungen in Wien zu unterstützen . 3. Nur durch diese Stellung wird es möglich, wenn in Deutschland einmal keine vernünftige Verbindung durchzuführen ist , mit den einzelnen auf unserem Kriegs-Theater befindlichen Fürsten
Off- und Defensiv- Verbindungen
nach
Art
des
Fürstenbundes abzuschließen . Dies ist uns auch schon darum nöthig , damit wir ihre Contingente etc. zur Besetzung von Festungen benutzen können , und unsere Truppen dazu nicht selbst versplittern müssen . 4. In einer solchen Stellung mit zwei conzentrirten Armeen und mit der lakonischen Äusserung , daß wir jeden , der uns zu nahe kommt,
als Feind ansehen werden, kann es nicht fehlen ,
um uns
buhlen wird,
und
daß wir
erlangen werden,
daß man
was uns von
Gottes und Rechts wegen zukommt . 5. In Hinsicht der Behauptung der Festungen Mainz und Luxemburg sind nachstehende Rücksichten zu erwägen : a) Beide Festungen müssen wenigstens auf acht Monate mit LebensMitteln und Kriegs-Vorrath versehen werden ,
und hierzu muß
ganz Deutschland sogleich beitragen , b) Mainz bedarf wenigstens 20000 und Luxemburg 10000 Mann Besatzung.
Erst in diesem Zustande kann sie kein Feind hinter
sich liegen lassen. Es scheint überdies zweckmäßig, zur Besatzung einen Theil der Kleinfürstlichen Truppen zu gebrauchen und sie hier unter einem Preußischen Befehlshaber zu Soldaten zu bilden. 6.
Die
Sächsischen
Truppen können bei
dem
gegenwärtigen
Napoleon gebraucht werden .
Zu-
Es ist
stande in keiner Fehde mit gewiß höchst nothwendig, die Gemeinen so bald als möglich zu beurlauben . In ihrer Heimath werden sie unschädlich und die Officiere
77
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815. ohne Mannschaft
müssen thun,
was ihnen
befohlen wird¹ ) .
7. Die
Anlage von Magazinen wird, sobald man nur die Fortdauer des FeldEtats dem
vorhersehen kann, wir uns
Getraide, riger.
dringend
der Aerndte nähern ,
nothwendig. wird
Mit jedem Monate ,
das Zusammenbringen von
wenn man den gegenwärtigen Zeitpunkt versäumt ,
schwie-
Bei einer durch politische Verhältnisse gerechtfertigten Liefe-
rung kann man
sich
durch Abschlagszahlungen helfen
und die ent-
fernten Provinzen mit heranziehen , dauert indessen der jetzige MarktAnkauf fort, so wird die Sache oft um das Doppelte theurer.
8. Es
ist nothwendig, bei Zeiten auf außerordentliche Geldsummen zu denken, um Bekleidung, Schue und fehlendes Heer-Geräth ohne Uebereilung anschaffen zu können. 9. Höchstwichtig würde es sein, wenn in den uns abgetretenen Provinzen bald etwas zur neuen Organisation vorgenommen würde, wenn man auch vorläufig nur ein Paar der angesehensten Einwohner zusammenriefe . 10. Ferner scheint es sehr wichtig, daß wir zur ersten Bedingung einer jeden neuen Verbindung nicht allein die Garantie unserer gegenwärtigen Staaten und Erwerbe, sondern auch dessen, was wir mit Recht noch fordern können, machen. 11. Sollte Preußen im Aussland nicht baar erhalten
können,
noch Forderungen haben und diese
so würde die Bezahlung nicht allein in
Pferden, sondern auch in bereitetem Leder anzunehmen sein , da der außerordentliche Schu-Verbrauch in einem Kriege den sehr groß macht. - Berlin, den 13. März 1815.
Lederbedarf
v. Boyen. (Nr. 22. 1815 "
und
Reinschrift und Concept. Letzteres hat 99 den 14. Mertz bietet stilistische Abweichungen . - Vergl. Meinecke,
Boyen II , S. 40.)
(Schluß folgt. ) 1) Die Ansicht Boyens über die sächsischen Truppen ist als unrichtig zu bezeichnen . Sie waren im Gegenteil zu dieser Zeit bereit, gegen Frankreich zu kämpfen, nur wünschten sie nicht die Aufteilung ihres Landes und die Zweiteilung ihrer Armee.
Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 545.
7
78
Die katholischen Jugendorganisationen.
VIII .
Die katholischen Jugendorganisationen . Von Prof. Broßmer, Oberleutnant der Reserve .
Seit mehr als
acht Jahrzehnten gibt es
eine Jugendpflege in
religiös-sittlicher Richtung,
deren Trägerin die Kirche ist .
gemeine Zug der Zeit und
die immer stärker betonten Forderungen
einer notwendigen Hebung der Volksgesundheit
Der all-
und der nationalen
Wehrkraft veranlaßten die konfessionellen Jugendvereine, einen größeren Wert auf Sport und körperliche Tätigkeit
zu legen .
Aus dem ur-
sprünglich einzigen Betätigungsfeld der religiösen Erbauung und sittlichen Festigung wuchsen
mit
dem
Gegensätze im öffentlichen Leben
Auftreten
der wirtschaftlichen
soziale Aufgaben hervor,
die katholische Jugendpflege mit besonderer Liebe annahm.
der sich So ergab
sich durch die notwendige und gewollte Mitarbeit an nationalen Zeitströmungen und durch
das Aufnehmen
neuzeitlicher Gesichtspunkte
eine gewisse Vielseitigkeit des Arbeitsplanes .
die bei der praktischen
Betätigung der katholischen
auffallend
Erscheinung tritt. gleichzeitig
Jugendvereine
Auf religiösem , sozialem und körperlichem Gebiet
als Führer und Berater der Jugend tätig zu
ohne planvolle Vorbereitung nicht möglich . langen
stark in die
maßgebende
Stellen
sein,
ist
Aus diesem Grunde ver-
der katholischen
Jugendbewegung die
regelmäßige Einrichtung vielleicht achttägiger Jugendpflegkurse für die Studierenden der Theologie. Die Durchführung solcher jährlich abzuhaltender Ausbildungsgänge gibt eine erwünschte Gewähr für die gleichmäßige Handhabung der allgemeinen , festgesetzten Grundsätze und bringt von Anfang an jeden
werdenden Führer in persönliche
Verbindung mit der Hauptleitung des Verbandes , nicht hoch genug einzuschätzender Faktor.
ein für die Praxis
In diesem Zusammen-
hange werden neue Seelsorgerstellen gewünscht, deren Inhaber neben anderer Entlastung des einzigen Geistlichen kleinerer Orte, die arbeitsreiche Aufgabe der Jugendpflege zu übernehmen hätte . Wenn auf der einen Seite in der guten gleichmäßigen Vorbildung und in der genügenden Anzahl von Führern die besten Grundlagen der Vereinsorganisationen gesehen werden, so gelten eine Reihe praktischer Maßnahmen als stützende Säulen jedes haltbaren VereinsEine modern gehaltene Christenlehre soll in ländlichen
gebäudes .
Bezirken den jungen Bauer an seine Scholle fesseln und ihn zugleich
81
Die katholischen Jugendorganisationen.
mit den wichtigsten Zeitströmungen und den sozialen Fürsorgeeinrich f tungen bekanntmachen . lichen
Zur Unterhaltung und Bildung der jugend-
Mitglieder katholischer Vereine
sind
in
Süddeutschland
die
beiden Jugendzeitschriften : „ Der treue Kamerad “ und „ Die gute Freundin (München) weit verbreitet. Sie wirken im katholischen Geiste und sollen
Interesse und Belehrung in katholischem Sinne
wecken und geben.
Der katholische Jüngling soll mit dem 18. Lebens-
jahr der
in die Jungmänner- Organisationen übergeführt erfolgreichsten
Führer
in
der
katholischen
werden .
Einer
Jugendbewegung,
Diözesanpräses Dr. Bernhard Jauch in Freiburg, nennt die JungmännerOrganisationen das Königsproblem der Jugendpflege . der
Am besten ist
ihnen zugrunde liegende Gedanke in Bayern durch den Verband
der bayerischen Burschenvereine mit 512 Vereinen , 17 128 ordentlichen und 10584 außerordentlichen Mitgliedern durchgeführt. In der Erzdiözese Freiburg umfassen die entsprechenden Gesellenvereine 1913 erst 3800 Mitglieder, zu denen noch 1522 den Jugendvereinen angeschlossene Jungmänner zu zählen sind . In der Tat wird in katholischen Kreisen
die Lösung dieses Problems
als sehr schwierig
angesehen, weil sich viele Jungmänner den sozialdemokratischen Gewerkschaften oder irgendeiner der zahlreichen Sportsbewegungen anschließen . So ergab sich frühzeitig die enge Zusammenarbeit mit den christlichen Gewerkschaften in der Form persönlicher Überweisung der Mitglieder und die starke Berücksichtigung von Turnen und Sport, um dem natürlichen Hang des jungen Mannes nach Körperpflege entgegenzukommen .
Ein besonders glücklicher Griff in der Organisations-
art stellt die Spaltung größerer Vereine in einzelne Teile dar, die an' die Pfarreien angeschlossen und nach Stadtteilen gegliedert sind . Entstehung, Zweck und Ziele der katholischen Jugendfürsorge erklären den Umstand, daß in den ersten Jahrzehnten die überwiegende Zahl der Führer aus der Reihe der Geistlichen hervorging. In neucrer Zeit machen sich erfolgreiche Bestrebungen geltend , die das Laienelement zu tätiger Mitarbeit innerhalb des Vereinslebens und zur Verbreitung des katholischen Jugenderziehung heranziehen wollen .
Gedankens auf dem Gebiete
der
Die außerordentlichen und Ehren-
mitglieder schaffen den finanziellen Rückhalt und bringen durch vorbildliche Opferfreudigkeit aber
auch
Lösung.
schwierige
die
für
Frage der
Die weltlichen Mitglieder
alle
Jugendorganisationen
Jugendheime ,
nötige,
oft
zu glücklicher 1 aus allen Ständen und mit den
verschiedensten Interessen geben dem Jugendverein etwas Lebendiges und verbinden sein Schicksal durch die Bedeutung ihrer Persönlichkeit mit dem Lebensbaum der ganzen Gemeinde . Dieser weltliche Zug, wenn man so sagen darf, hat die katholischen Jugendorgani7*
78
› katholischen Jugendorganisationen.
79
em Klosterleben in die Wogen des neuzeitlichen führt, um auf diese Weise den großen sozialen Aufwart mit fester Hand und offenem Auge entgegenL. In kluger Einsicht legt man darum bedeutsames e Abhaltung katholischer Jugendpflegekurse an den Orten der engeren Heimat. Zur geistigen Schulung Strömungen katholischer Jugendbildung werden die
enden Zeitschriften 99 Die Jugendpflege " (München) und „Die Jugendführung “ (Düsseldorf) warm empfohlen . Die Pflichten der Vereinshelfer und der weltlichen Führer werden wie bei jeder freiwilligen und ehrenamtlichen Arbeit durch das Gewissen und die Begeisterung des
einzelnen geregelt.
Die Rechte aber
sind in einer
genauen bis in alle Einzelheiten durchdachten Organisation statutarisch festgelegt. Wir möchten sehr wünschen, daß alle Jugendführer der verschiedensten Richtungen aus dem Buche des Diözesanpräses Dr. Jauch „ Moderne Jugendpflege " diese straffe und klare Gliederung katholischer Jugendorganisationen kennen lernten . Von dem Einzelvereine führt der Weg zu der Bezirksorganisation, die sich zu den Diözesanverbänden vereinigen . Die Diözesanverbände Süddeutschlands finden Leitung und Vertretung im süddeutschen Verbande, der auch seinerseits wieder nur ein Glied des Gesamtverbands der katholischen Jugendvereinigungen Deutschlands (Sitz : Düsseldorf) darstellt . An der Spitze der Diözesanverbände und höherer Zusammenfassungen stehen hauptberuflich
angestellte Leiter, aber auf die Forderung, Jugendseelsorger im Hauptamte schon an die Spitze der kleineren Bezirksverbände, als der ersten zusammenfassenden Einheiten , zu stellen, wird als Mittel zu aussichtsreicher Förderung und Festigung der Bewegung gebieterisch hingewiesen . Das veröffentlichte Zahlenmaterial läßt schließen.
auf zielbewußte Arbeit
Der im Jahre 1906 errichtete süddeutsche Verband zählte
1914 in 634 Vereinen 27961 Jugendliche unter achtzehn und 4533 Mitglieder über achtzehn Jahre. Von diesen 32494 jungen Leuten waren 28716 in Industrie, Handel und Gewerbe, und 3532 in der Landwirtschaft beschäftigt . 17830 außerordentliche Mitglieder beweisen das Interesse der Erwachsenen an dieser Art von Jugenderziehung.
Mit
erheblich größeren Zahlen hat naturgemäß der Ge-
samtverband der katholischen Jugendvereinigungen Deutschlands zu rechnen. Während im Jahre 1910 1850 katholische Jugendvereine mit 187586 jugendlichen Mitgliedern vorhanden waren, zählte der Gesamtverband im Jahre 1913 bei einer Masse von 23 868 715 deutscher Katholiken jeden waren, 3204
Alters ,
die in
11913 Pfarreien
katholische Jugendorganisationen
zusammengefaßt
mit 298 228 Jugend-
81
Die katholischen Jugendorganisationen . blickt das Werk der katholischen Jugendpflege
Heute
lichen.
auf
4300 Gesellen- und Jugendvereine mit 370000 Mitgliedern in jugendlichem Alter. Sie alle gehören dem Jungdeutschland -Bunde an Es ist einleuchtend . daß es für Volk und Jugend nicht heilsam sein kann , wenn diese oder andere Massen abseits stehen würden. Denn die großen Aufgaben ,
die dem deutschen Volke durch die Zukunft
zu teilweiser sofortiger Lösung stellen wird, verlangen die vollständige Sammlung aller Kräfte zu gemeinsamer Tat. Mannigfaltig sind bei uns die Bahnen , die für die Jugend und von der Jugend begangen werden .
Hat der Jungdeutschland-Bund vielleicht an vielen Stellen auf Grund seiner noch kurzen Wirkungszeit erst die äußere Annäherung
bringen können , so wird die einigende Kraft des Weltkriegs die Bedeutung eines engeren Zusammenschlusses unter dem einzigen Gesichtspunkt nationaler Macht jedem Jugendfreund zum Verständnis bringen . Wir brauchen bei der vaterländischen Arbeit deutscher Jugenderziehung ,,einen bei aller Anerkennung verschiedener Mittel und Wege warmen Ton gegenseitigen wenn,
wie in
dem
Sichverstehens
Werkchen
Meiningen : „ Wir brauchen ein
des
und
Sichachtens".
Reichstagsabgeordneten
Reichs- Jugendwehrgesetz "
wird , die Jugendkompagnien eine gesetzlich geregelte richtung werden
sollen ,
Jugendvorbereitung
die
dann werden Mitglieder
während der Übungszeit
im Rahmen
Und Müller-
dargelegt
dauernde Ein-
der militärischen
aller Arten von Jugendvereinen
in Reihe und Glied nebeneinander stehen.
Aber nach der Erfüllung dieser vaterländischen Pflicht sei es jedem der Jungmannen freigestellt, in einem von ihm selbst gewählten Jugendverein seinen
persönlichen,
licher und geistiger Bildung
besonderen Interessen an körper-
nachzugehen .
Die bewährte mühevolle
Arbeit der Jugendorganisation jeder Art darf unter der militärischen. Vorbereitung nicht leiden .
Dafür birgt der Weitblick unseres Kriegs-
ministeriums , das auf die moralisch - ethischen Einwirkungen unserer alten Jugendorganisationen denselben Wert legt, wie auf die körperliche Ausbildung zum Heeresdienst.
82
Der rumänische Feldzug .
IX .
Der rumänische
Feldzug .
Dritter Abschnitt¹).
Von Rhazen , Generalleutnant z. D.
Was wir dem Schluß des zweiten Abschnittes des rumänischen Feldzuges als Überleitung zum dritten an der Wende Oktober-November mit auf dem Weg gegeben haben, die bestimmte Voraussicht , der Vierbund werde auf dem Balkan auch weiter das Gesetz des Handelns diktieren , das hat dieser Abschnitt voll gehalten.
Weit darüber hinaus aber werden seine Geschehnisse
in den Blättern der Kriegsgeschichte besonders denkwürdige Seiten füllen als durchschlagender , glänzender, praktischer Erweis der Richtigkeit der Moltkeschen Kriegslehren.
Schüler des großen Meisters waren
es , die hier die Hand am Hebel der Heerführung hatten, die hier in der Reinkultur die Moltkeschen Operationen getrennter, konzentrisch auf dem Brennpunkt der
Kampfhandlungen
vorgehender
Heeres-
gruppen leiteten - zu vollem Erfolge . Einige Monate über den genauen Zeitpunkt des 50. Jubiläumsjahres waren verflossen , in dem auf böhmischem Boden einige der Sätze der neuen , die napoleonische erweiternden Kriegslehre in des Meisters eigener Hand ihre praktische Anwendung gefunden hatten : der konzentrische Vormarsch von zum Teil durch Gebirgsgelände getrennten Marschkolonnen , zur Vereinigung auf dem Felde
einer Entscheidungsschlacht geführt ,
umfassend angelegt , Krieges brachte.
auch die Entscheidung
die ,
des ganzen
Ein rundes Jahr ist vergangen, seit sie auch in
Serbien glänzende Bestätigung gefunden haben. Der Feldzug in Serbien und schon der bisherige Verlauf des Feldzuges in Rumänien haben dem Vierverband nachdrücklich ein Bild davon aufgebrannt , was es heißt , im Bewegungskriege mit zunächst weit getrennten , in zähem Siegerwillen nach Vereinigung auf der Wahlstatt strebenden Heeresteilen den Gegner nicht nur in der Front anzufassen, sondern ihm gleichzeitig auch eine oder gar beide Flanken abzugewinnen sagte,,,sich zum
wie schon Napoleon
Meister der Verbindungen zu machen" .
Der rumänische Feldzug hat im dritten Abschnitt auch wiederum den alten Erfahrungssatz der Kriegslehre bestätigt , daß ein offensiver
1 ) Abgeschlossen am 26. Dezember 1916 .
Der rumänische Feldzug.
83
Ausfall auf der inneren Linie einen Erfolg dann nicht mehr verspricht, wenn sich die getrennten , konzentrisch vorgehenden Marschkolonnen einander auf Unterstützungsweite genähert haben. Zum Serbenfeldzug war die Heeresgruppe Mackensen mit den Armeen Köveß und Gallwitz nördlich der Save und Donau, Front nach Süden, aufmarschiert . Die bulgarischen Armeen Front nach Westen, mit ihrem rechten Flügel durch den breiten Strom vom linken Mackensens getrennt. Der erste Schritt der letztgenannten Heeresgruppe mußte dem Überschreiten der gewaltigen Strombarriere gelten, wieder mit den getrennten Armeen Köveß und Gallwitz, die erst südlich der Donau wieder ihre Annäherung auf Gefechtswirkungsweite vollziehen konnten.
Dicht vor den Bul-
garen lag kein breiter Strom , wohl aber Gebirgszüge , die zu überwinden waren, ehe sie überall in das Tal des Timok und später der bulgarischen Morava eindringen und den Anschluß ihrer drei getrennten Armeen vollziehen konnten .
Sie mußten auch zunächst , möglichst starke ser-
bische Kräfte fesselnd und den Gegner tunlichst zu einem verkehrten Aufmarsch verleitend, das Gewinnen des Donauüberganges durch Mackensen und dessen Vorschreiten in südlicher Richtung abwarten, bevor sie im rechten Winkel zu diesem anzusetzen und nach Westen gegen die bulgarische Morava vorzuschreiten vermochten.
Der Verlauf
und die Wirkung des konzentrischen Vorgehens der deutsch-österreichisch-bulgarischen Kräfte im serbischen Feldzuge der auf dem Amselfelde und mit dem schon die Entscheidung bringenden Hinausdrängen der serbischen Hauptkräfte aus dem eigenen Lande gipfelte und dann noch mit der Armee Todoroff und deutschen Kräften nach Süden gegen Sarrail ausstrahlte , dessen Werfen über Saloniki hinaus, nach seinen schweren Niederlagen ein leichtes gewesen wäre , wenn es politische Rücksichten nicht gehindert hätten
sind bekannt .
In etwas anderer Form und unter zweifellos schwierigeren Verhältnissen für die glänzend bewirkte und damit schon die Entscheidung des walachischen Feldzuges gebende Vereinigung konzentrisch vorgehender, zunächst getrennter Heeresteile bei denen die erfolgreiche Vorbewegung des Einen den Erfolg der Anderen zur Vorbedingung hatte erleben wir einen Schulbeweis für die Richtigkeit der Moltkeschen Kriegslehren jetzt eben im dritten Abschnitt des rumänischen Feldzuges .
Die Entscheidungsphase des walachischen Feldzugs er-
innert uns in ihren Erfolgen westlich Bukarest an Moltkes Satz : ,,Die Vereinigung von zwei bis dahin gesonderten Armeen auf dem Schlachtfelde selbst halte ich für das Höchste , was strategische Führung zu erreichen vermag" , denn dafür eine lebendige Illustration .
sie ist
Übereinstimmend ist beide
Male das Hauptziel , die feindliche Hauptkraft , übereinstimmend beide
84
Der rumänische Feldzug .
Male ein verfehlter Aufmarsch beim Gegner ; größer sind , neben den strategischen, auch die wirtschaftlichen und politischen Folgewirkungen in Rumänien. Mit ihren Hauptkräften waren die Serben gegen die Bulgaren aufmarschiert.
Sie hatten die Donau und die Minderzahl
ihrer Kräfte als genügenden Schutz der Nordfront betrachtet , von woher sie auch die nahe Gefahr des kühnen, wuchtigen Stoßes des Donauüberwinders Mackensen nicht ahnten. Die Rumänen haben, wie schon früher nachgewiesen , in Unterschätzung des Gegners , seiner Reserven, Operationsfähigkeit und Beweglichkeit , an einen leichten Triumph über den zu überraschenden, als todwund betrachteten Feind glaubend, den Aufmarsch ihrer Hauptkräfte gegen ihr politisches Hauptziel, Siebenbürgen, gerichtet und die Südfront- deren Bedeutung ihnen freilich bald nachdrücklich fühlbar gemacht werden vernachlässigt . sollte und von ihnen doch nicht voll erkannt wurde ,,Fehler im ersten Aufmarsch sind oft im Laufe des ganzen Feldzuges nicht mehr gut zu machen" , sagt , wie schon oben einmal angezogen. die Moltkesche Kriegslehre , und der rumänische Feldzug hat die Richtigkeit bewiesen .
Als , wie schon früher beleuchtet , die Südfront einge-
stoßen und die Flankenstellung in der Dobrudscha umgedreht wurde. war für die Rumänen nicht mehr Zeit , um nach Bukarest in eine defensive Zentralstellung zurückzugehen. Die Offensive des Vierbundes fiel über die zu weit nach Siebenbürgen hineingeschobenen Armeen her, schnitt sie ab , schlug sie und erschien dann an den Pässen und vor den Sperrstellungen der Transsylvanischen Alpen, um sofort mit dem ganzen Gewicht
auf diese zu drücken .
Verzweiflungsvolles Herum-
tasten der Rumänen folgt , sie suchen sich auf den Außenstellungen zu behaupten und einen alles und nichts deckenden Kordon zu bilden, bis die Russen kommen würden . Wieder eine falsche strategische Berechnung.
Nicht Hinhalten , sondern Versammeln und Rückzug
galt's , um Anlehnung an die Russen zu suchen . "
(Bund .)
Man war
damals bereits anzunehmen berechtigt , daß die Entente den Höhepunkt ihres politischen Erfolges und ihres militärischen Druckes in ihren Bemühungen um Griechenland schon überschritten hatte und nicht imstande war, ihren politischen Druckeinfluß in militärische Erfolge umzusetzen .
Das griechische Heer mußte , von den kleinen .
jeder Ersatzformationen entbehrenden Rebellenbanden Venizelos abgesehen, völlig aus der Rechnung der Entente fallen, ohne daß die militär-geographische Flankenposition völlig beiseite gesetzt werden konnte. Darin lag eine Grundschwäche der Sarrailschen Operationen.
Russische Verstärkungen hatten den Rumänen nahezu die ganze Ostfront abgenommen, waren auch in der Dobrudscha erschienen und
Der rumänische Feldzug. wurden bald auch in den Grenzgebirgen gemeldet .
15
An den Zugängen
der Walachei wie an denen der Moldau schlugen sich die Russen , mit rumänischen Verbänden gemischt, mit wechselndem Glück und traten dem Gegner auch in allen Flußtälern entgegen . Dennoch war die Lage der Rumänen , nach der erfolgreichen Offensive Mackensens in der Dobrudscha, strategisch kritischer geworden durch die Unsicherheit über das Verhalten der konzentrisch vorrückenden Vierbundtruppen, die einmal im Norden drohten , wo sie nach Säuberung Siebenbürgens die Eingänge in Moldau und Walachei anzustreben schienen, und dann an der Donauflanke offensiv geworden waren, wo der um seinen Operationsplan betrogene russisch-rumänische Generalstab den Gegner schon in die Defensive gebannt zu haben glaubte. Durchaus nicht ausgeschlossen war der Schluß , daß ein allgemeiner konzentrischer Angriff auf das zeitliche rumänische Widerstandszentrum drohen könnte . das sowohl in Bukarest , als in dem der Einkreisung ausgesetzten Feldheere zu suchen sein würde. Da die Entente nicht recht in der Lage war, den Rumänen direkte Hilfe zu senden, so mußte sie sich darauf beschränken, durch Angriffe auf anderen Kriegsschauplätzen einen Bedarf an deutschen Truppen hervorzurufen , der deutsche Kräfteverschiebungen nach Rumänien unterbände . Mit Rücksicht darauf war es von Bedeutung, daß die Oberste Heeresleitung des Vierbundes auch einem neuen russischen Generalangriff eine zuverlässige Aussicht auf durchschlagenden Erfolg und Erreichung seiner Ziele absprechen und an der Somme die Tage der Kulmination der Krisis als vorübergegangen bezeichnen durfte.
Auch die, der achten bald folgende , neunte Isonzo-
Offensive ging , obwohl mit 112 italienischen Divisionen der Angriff durchgeführt wurde, abgesehen von dem lokalen Erfolg bei Locvica. für die Italiener ungünstig aus.
Die Sarrailsche Offensive sah damals. obwohl taktische Angriffe an verschiedenen Stellen stattfanden , einer strategischen Defensive sehr ähnlich. Rund 86000 Offiziere , und 1,8 Millionen Mann gab der Kiewer Zentral-Erkennungsdienst damals als russischen Gesamtverlust seit dem 1. Juni 1916 an. Dem Verhältnis der Einbuße an Offizieren zur Mannschaft 1 : 30 entsprechend . mußten letztere aber über 2,5 Millionen verloren haben. ་ ་Havas" sprach von einer starken russisch-rumänischen Offensive , die Russen hofften, der beginnende Winter werde den Operationen des Vierbundes nach Rumänien hinein ein Ziel setzen . Erstere war unwahrscheinlich, da die dafür nötigen Abgaben Rußlands Heer an seiner Westfront zu reiner Defensive verurteilt hätten , letzteres noch mehr, da die Kämpfe der nächsten Tage den Einmarsch stark förderten.
Im allgemeinen
läßt sich in den ersten Novembertagen sagen , daß die Kämpfe in den Transsylvanischen Alpen einigermaßen den Charakter stehender Kampf-
86
Der rumänische Feldzug .
handlungen in den Haupträumen Predeal- Campulung- Roten TurmPaß angenommen hatten , und daß russisch-rumänische Gegenstöße in den Nebenräumen , die zugleich die Flügelräume waren , festgestellt werden konnten. Am 5. November schnitt ein feierliches Manifest der beiden Kaiser der Mittelmächte aus dem Riesenleib des moskowitischen ein neues freies Königreich Polen heraus.
Reiches
Einem freien Volke mit
eigenem staatlichen Leben und eigener Armee wurde ein großer Teil der Siegesbeute im Osten zum Geschenk gemacht, zugleich aber auch die Möglichkeit unterbunden, in Zukunft russische Heere aus dem zum Ausfalltor ausgebauten Polen gegen Ost- , Westpreußen und Schlesien vorbrechen zu sehen. Für den 1. November stellt der Tagesbericht unserer Verbündeten an der Heeresfront Erzherzog Karl, im Raume südöstlich des Roten Turm-Passes weitere Fortschritte und süd- und südöstlich Kronstadt das Abweisen rumänischer Angriffe durch verbündeter auf rumänischem Boden kämpfende Truppen fest .
Der deutsche Bericht spricht noch
deutlicher vom Abweisen rumänischer Gegenstöße gegen die über den Altschanz- und Predeal-Paß vorgedrungenenen verbündeten Truppen. Am 2. scheiterten in der nördlichen Walachei an zahlreichen Stellen rumänische Angriffe, gewinnen verbündete Truppen, dem Feinde nachstoßend, südöstlich des Reten Turm- und südwestlich des PredealPasses weiteres Gelände und war an der Ostfront wie in den Waldkarpathen die Gefechtstätigkeit geringer.
Der Gegner setzte aber am
3. in der Nordwalachei die Kämpfe fort , überall
von der Gewinnung
einer Grenzhöhe südöstlich Kronstadt abgesehen mit demselben Mißerfolg und steigerte an der Ostfront sein Artilleriefeuer. spricht sich der Bodengewinn der verbündeten Truppen in den erbitterten Kämpfen an den Engen schärfer aus.
Im nördlichen Sieben-
bürgen fielen an diesem Tage am Tölgyes- Paß der starken Überlegenheit frisch eingetroffener und eingesetzter russischer Truppen zwar einige Vorteile zu .
An der Südfront waren aber am 3. eingeleitete
Kämpfe am Altschanz- und Bodza - Paß noch im Gange und kam mit der Erstürmung der Clabuzetu Baiului die
ganze
südwestlich
des
Predeal gelegene Clabuzetu- Sperrstellung ( dazu fast 1800 Gefangene , 8 Geschütze , 20 Maschinengewehre ) in unsere Hand. Bei der Aufräumung des Gefechtsfeldes nordöstlich Campulung bestatteten wir 1000 gefallene Rumänen , südöstlich des Roten Turm-Passes war fortschreitender Angriff und westlich des Szurduk - Passes siegreiches Gefecht gegen vorgedrungene rumänische Abteilungen zu verzeichnen.
Der folgende
Tag (5. November) brachte südwestlich Predeal, südöstlich des Roten Turm-Passes weitere Fortschritte, beiderseits des Szurduk abermaliges
Der rumänische Feldzug .
87
Abweisen rumänischer Angriffe und im Bodzaer Grenzgebiete , bei Bekas und Tölgyes, weiter andauernde Kämpfe. Am 6. vertrieb ein umfassender Angriff südöstlich des Roten Turm-Passes die Rumänen von den Höhen nördlich Spini (über 1000 Gefangene), südlich des Vulkan-Passes wurden Fortschritte gemacht, westlich Campulung fand hauptsächlich Artilleriekampf statt , aber waren auch sechs durch Gebirgsbrigaden abgewiesene rumänische Stürme und westlich des Turgului-Tales , westlich der Bodza-Paßstraße das Wiedernehmen verlorener Linien zu verzeichnen . Bei Tölgyes gelang es den Russen im Grenzgebirge , die österreichische Front einige Kilometer zurückzudrängen. Einige weitere Vorteile erreichte der Gegner hier auch am folgenden Tage (7. November), während vorwärts des Bodza- Passes den Rumänen weitere Höhenstellungen entrissen wurden und bei Spini und südwestlich Predeal weiteres Zurückdrängen des Gegners südlich und südwestlich des Szurduk-Passes und weiteres Abweisen von Angriffen erfolgte , und die Gefangenenzahl sich überall erhöhte .
Der
Tagesbericht der Obersten Heeresleitung vom 9. sagt von der Heeresgruppe Mackensen : ,, In der nördlichen Dobrudscha wichen befehlsgemäß vorgeschobene Aufklärungsabteilungen dem Kampf mit feindlicher Infanterie aus ." Es war vorauszusehen gewesen, daß Sacharow mit den in die Dobrudscha geleiteten russischen Verstärkungen die Linie Ostrow- Babadag
zum Ausgangspunkt
von Unternehmungen
zur Entlastung der Rumänen machen werde. Ein engeres Zusammenfassen der verbündeten Kräfte war also hier natürlich. Ebenso sicher aber war auch, daß sich die Oberste Heeresleitung durch Sacharows Absichten in der Ausführung ihrer Entschlüsse nicht hindern lassen , und in
daß
zähem
die
verbündete Dobrudschagruppe
Widerstand ihrer
Aufgabe
finden
gegebenenfalls auch Bei Azuga
würde .
(nördlich Sinaia an dem gleichnamigen Flusse ) und bei Dragosiavele (an den Bukarest durchfließenden Dambovica) dem Raum, in dem fortgesetzt heftig gekämpft wurde - glaubten die Rumänen , die hier aus ihrem im Frieden angelegten und den im Kriege zu deren Ergänzung geschaffenen Feldstellungen zu werfen und zu manövrieren waren (in dem mit stark ausgesprochenen Flankenpositionen gespickten Hochgebirge eine sehr schwierige Aufgabe !) den Hauptkampfraum Falkenhayns zu erkennen . Aus dem wiedergegebenen Berichte der Obersten Heeresleitung ist ersichtlich geworden, daß nach Einnahme der Clabucetu - Stellung die Rumänen ein Stück auf Sinaia wichen und vergeblich durch Flankenstoß in dem östlich anschließendem Raume gegen den Altschanz-Paß und die durch diesen, wie den Predeal , laufenden Verbindungen zu wirken versucht hatten .
Auch die Lage im Jiul-Tal war für uns entschieden
Der rumänische Feldzug .
88
gebessert .
An die Möglichkeit eines Einbrechens in die Ebenen der
Walachei glaubte der Gegner nicht , so lange die Linie PatarlageleSinaia-Campulung in rumänischer Hand war gewaltig täuschen.
und sollte sich darin
Der Durchbruch erfolgte gerade dort , wo
er ihn am wenigsten erwartete. Während die Meldungen aus der Dobrudscha bis zum 14. November in dem bulgarischen Tagesbericht vom 13. in den Worten gipfeln : ,,In der Dobrudscha griff der Feind zweimal mit bedeutenden Kräften den äußersten linken Flügel unserer Stellung an, wurde jedoch jedesmal zum Rückzug gezwungen" , während Sarrail durch den französischen Kriegsminister Roques , wie es schien , zu stärkerem Druck seiner Offensive beraten wurde , während in den Tälern und an den Pässen der Moldau, wo die Russen- Rumänen starke Kräfte gegen Arz vorgeführt hatten (den Abstieg in das Obere Marmaros - Becken und Quellgebiet der Alt anstrebend), wobei sie zunächst einige Erfolge errangen, dann aber eintreffende deutsche Verstärkungen den Kampf bald zum Stehen brachten, haben wir in den Transsylvanischen Alpen in großen Zügen die folgenden Erscheinungen zu verzeichnen : Am 10. November beiderseits des Alt- Flusses weitere Fortschritte. westlich der Straße auf Sinaia Erstürmen von sechs hintereinanderliegenden rumänischen Stellungen durch deutsche und österreichische Truppen und Behaupten derselben : ferner kleinere aber erfolgreiche Kämpfe an den weiter westlich liegenden Paßstraßen , am 11. ein Abweisen rumänischer Angriffe am Mte. Fruntu (zwischen Argesul und Topolugu) und Mte. Sate (südöstlich Spini), das, im Verein mit der Wegnahme von Stellungen beiderseits der Alt, über 1000 Mann Gefangene lieferte , und endlich ein Vorschieben der Vortruppen an der Predeal- Straße, am Szurduk-Paß und bei Orsova. Am 12. wurde Candesti genommen, nordwestlich Campulung , südöstlich des Roten Turm-Passes und der Szurduk- Straße , sowie nördlich Orsova scheiterten ramänische Gegenstöße unter starker Einbuße an Gefangenen . Am 13. , wo der Russe im Györgyo- Gebirge gegen die Grenze zurückging und südlich des Tölgyes-Passes verbündete Truppen , näckigsten
Widerstandes
Fortschritte
machten,
trotz
dauerten für
hartuns
erfolgreiche Kämpfe an der Südfront Siebenbürgens an, wo an den in die Walachei führenden Straßen in Wald- und Gebirgskämpfen die Rumänen am 14. über 1800 Gefangene einbüßten, während in der Dobrudscha vorgeschobene Abteilungen sich erfolglos unseren StelJungen näherten. Am 16. durchbrachen deutsche und verbündete Truppen die feindliche Linie westlich der Predeal- Straße. Die Kampflage in der nördlichen Walachei war auch durchweg günstig , an diesem einen Tage allein wurden über 2000 Gefangene gemacht. Am 17.
Der rumänische Feldzug.
89
meldet der Tagesbericht : Verbündete Truppen beiderseits des Schy, (Jiul) , trotz heftigsten feindlichen Widerstandes , in stetem Vordringen auch östlich des Alt- Flußes Geländegewinn und endlich nördlich Campulung erbitterte Gegenangriffe des Feindes , die scheitern . Eine sehr kurze Freude bescherte dem Gegner der 18. November ,
sie blieb sehr stark einseitig.
Als , trotz erfolgreicher, zum Teil glän-
zender Gegenwehr , Frontaldruck und Umfassung zur Bedrohung der Rückzugslinien bei Monastir die Gefahr einer Einkesselung nahe brachten, wurde für die deutsch-bulgarischen Truppen das Einnehmen einer Stellung nördlich Monastir befohlen . Wenn damals die Entente jubelte, Monastir öffne das Tor nach Serbien , so hat sich der Denkende sofort, und ehe der nur wenige Stunden später eintretende Dämpfer erfolgte , gesagt, nur in dem Falle , daß die ganze Armee Sarrails in der Lage sei , den Stoß auf Uesküb fortzusetzen , was ein Blick auf die Karte und ein Überblick der Kräfteverteilung an der gesamten Balkanfront als ausgeschlossen erkennen ließ könne diese Hoffnung einigermaßen berechtigt sein. Berechtigter und dauernder war die Freude, die derselbe Tag beim Vierbunde auslösen durfte.
Zäher Siegeswille , Einsatz
des ganzen geistigen und körperlichen Könnens der Truppen , überlegene Führung einerseits , abermalige falsche Berechnung des Gegners anderseits, haben den Erfolg ermöglicht , der zu einem der Grundsteine des Verlaufs des dritten Abschnittes des rumänischen Feldzuges , zum Schrittmacher auf dem Wege zu dem wurde , was Moltke als das Höchsterreichbare der strate-. gischen Führung bezeichnet hat.
Mit seinen breit auseinander-
gezogenen Gesamtkräften klammert sich der Rumäne an die Gebirgspässe der Nordfront. Er will sie halten , bis der Russe eintrifft und ihn durch eine wuchtige Offensive an der Ostfront und in der Dobrudscha entlastet .
Die Offensive kam zu spät und drang nicht durch. Der Rumäne erkannte nicht , daß seine Kordonstellung , das zur Verteidigung über die Walachei gespannte Netz weiter aufreißen würde , wenn der Gegner auch nur eine Masche durchstieß . Er bedachte nicht , daß die ganze Masse der zu konzentrischem Angriff um Rumänien grup-. pierten Vierbundstruppen frei würde , wenn - was die Entente freilich im Osten und Westen vergeblich versucht hatte auch nur eine Bresche geschlagen würde. Er ahnte nicht . daß , während Mackensens rechter Flügel in der Dobrudscha hielt und starke Kräfte fesselte, die neue ,,Donauarmee" sich zurecht schob, die Jiul- Kolonne, die bedeutend verstärkt, den Durchbruch und das Hineinreißen in den Bewegungskrieg anstrebte und daß der 18. schon
90
Der rumänische Feldzug .
die erste Staffel krönte und den Feldzug der Rumänen schon zum Verteidigungskrieg auf eigenem Boden stempelte. Mit dem 18. November beginnt das Dramatische im rumänischen Feldzuge, bei dem ein Aufzug immer spannender , als der vorhergehende . wurde, bis zum Schluß des Aktes , der mit Einnahme der Hauptstadt vielleicht die Überlassung des Balkans an den Vierbund bedeuten kann , da die Moldau schon zum russischen Kriegsschauplatz gerechnet, und die Nord-Dobrudscha mit den Donaumündungen als Annäherungshindernis und Vorfeld der bessarabischen linken Flanke Rußlands betrachtet werden muß. Die Hauptstadt ,,, eine der größten Kraftquellen des Landes" , wurde der Preis der auf allen übrigen Fronten die Verteidigung stoisch auf sich nehmenden und dadurch auf dem neuen Entscheidungsfeld zum Diktieren des Gesetzes befähigten Sieger, eines groß angelegten, die Praxis der Moltkeschen Lehren in ihrer Reinkultur zeigenden Feldzuges , der wieder einmal den Beweis liefert, daß in dem von großen operativen Gedanken getragenen Bewegungskrieg auch heute noch deutsche Strategie nicht übertroffen wird. Eines Feldzuges , der in dem ,, spiritus rector" der Rumänen, General Berthelot , auch die französische Schule der aktiven ,
strategischen Verteidigung
besiegte und mit Ru-
mänenblut dokumentarisch die Wahrheit festlegte , daß bei den konzentrischen Operationen jede der getrennten, radial dem Brennpunkte der Kampfhandlung zustrebenden Kraftgruppen den Feind, auf den sie trifft , ohne nach seiner Stärke zu fragen, angreifen kann und soll , der Unterstützung der Nachbaren tod gewiß.
Rumänische Zeitungen
hatten mit ebenso großer Selbst zufriedenheit , als Unwahrhaftigkeit , eben gemeldet , die deutsche Offensive bei Campulung und am Predeal komme nicht vorwärts und eigene Heldentaten gepriesen . Die französisch-rumänische Heeresleitung mag den Durchbruch am PredealPaß oder bei Campulung auf Bukarest bestimmt erwartet haben als er , blitzartig überraschend, gerade dort erfolgte, wo sie ihn als unmöglich angesehen hatte.
Am linken Flügel , wohin die Hauptreset ve
am zeitraubensten zu dirigieren war, wo er aber, gelingend und südwärts Boden gewinnend, auch die linke Flanke alles dessen bedrohte, was weiter östlich die Pässe abriegelte
und eine Gefahr des Abge-
schn ttenwerdens alles dessen brachte, was an der Nordgrenze weiter westlich stand. Als die Zeit zum Durchbruch gereift und der VulkanPaß endgültig geöffnet war,
hatte General von Falkenhayn seine
Massen südlich des Szurduk- Passes zusammengeballt, und wälzten sich unsere Truppen mit unerhörter Schnelligkeit und nach musterhaften Anordnungen durch die 30 km lange, bahnlose Szurduk- Schlucht . ' Das Tempo des Einbruches war für den Gegner so überraschend , daß
91
Der rumänische Feldzug. er keine Zeit fand, Brücken und Kunststraßen zu zerstören .
Nach
Durchbrechung der letzten starken rumänischen Befestigungslinie beiderseits Bumbesti erfolgte noch rascher die Ausbreitung durch das Jiultal in der gewonnenen Ebene. Erst nachdem das nördliche Zentrum der Kleinen Walachei , Targu- Jiu , schon genommen war , sammelten sich die rasch verstärkten Rumänen auf den Höhen, die der Bahn Targu- Jiu- Targu- Carbuesti vorgelagert sind.
Am 15. No-
vember entspann sich hier , zwischen den Tälern des Jiul und Gilort , eine heftige Schlacht, in welcher Nebel und Schnee die Mitwirkung der Artillerie stark erschwerten. Rumänische Blätter haben uns nach ihrem Verlust das Märchen aufbinden wollen , sic hätten hier in breit ausgespannter Front das Vorbrechen der deutschen Kolonnen aus der Szurduk- Schlucht abwarten und diese vor voller Entwicklung vereinzelt schlagen wollen. Wir wissen, daß eine volle Überraschung der Rumänen eintrat , und man müßte , wollte man ihrer beschönigenden Erklärung selbst glauben, ihre Vorkehrungen törichte bezeichnen .
als
außerordentlich
Sie wurden glatt durchbrochen , ihre Versuche .
die zuerst nach Norden gerichtete Front nach Westen umzubiegen und uns durch Umfassung von auf dem rechten Flügel eiligst zusammengerafften Verstärkungen die linke Flanke abzugewinnen , Hatten Berichte der Obersten Heeresleitung vom 15. miẞlangen. Fortschritte nördlich Campulung, trotz verstärkten Widerstandes , zu melden, so brachte der 16. auch an der Ostgrenze Siebenbürgens ein Einbrechen deutsch-österreichischer Truppen in die rumänische Stellung westlich der Predeal- Straße .
1500 Gefangene wurden bei der südlich
des Roten Turm-Passes vordringenden Gruppe Krafft von Delmenfingen gemacht, am 18. wurden Versuche der Rumänen nordöstlich Campulung die Mitte der deutschen Front zurückzudrängen , blutig abgewiesen, und in den Waldbergen beiderseits der Flußtäler des Alt und Jiul erfolgte ein Vorwärtsschreiten des Angriffs verbündeter Truppen. Der Bericht vom 19. zog dann die stolze Bilanz unserer Operationen seit Ende Oktober an der siebenbürgischen Südfront : .,Unsere Operationen seit Ende Oktober an der siebenbürgischen Südfront haben den beabsichtigten Verlauf genommen. Der Austritt aus den Gebirgsengen in die walachische Ebene ist trotz zähesten Widerstandes der Rumänen von deutschen und österreichischen Truppen erkämpft worden. Starke rumänische Kräfte sind zwischen Jiul und Gilort in der Schlacht von Targu - Jiu durchbrochen und unter ungewöhnlichen hohen Verlusten geschlagen. Versuche des Feindes , mit neu herangeführten Kräften uns von Osten zu umfassen , scheiterten . · Im Nachdrängen haben unsere Truppen die Bahn Orsova- Crajova .
92
Der rumänische Feldzug .
erreicht. "
Aus dem Bericht unserer Verbündeten von demselben
Tage ersehen wir, daß auch im Motrutale eine Kolonne vorging, der erbittertster Widerstand östlich und südöstlich von TarguJiu in heftigsten Gegenstößen Ausdruck fand, und daß auch die beiderseits des Altflusses vordringenden deutschen und österreichischen Kräfte südlich des Roten Turm-Passes (Krafft von Delmenfingen ) in fortdauerndem zähen Ringen den Gebirgsfuß erreichten und die Linie Calimanesti- Suici überschritten . Damit näherten sie sich auch hier der Talpforte , die sich bei Ramnicu öffnet , so daß nur noch der Unterlauf des Topologu zu überwinden war , um in die walachische Ebene zu gelangen.
Rumänische Angriffe scheiterten hier, ebenso
wie nördlich von Campulung. Beide Berichte gaben an Zahl der Gefangenen und Beute auf 189 rumänische Offiziere , 19338 Mann , 26 Geschütze, 72 Maschinengewehre an. Während die Rumänen nordöstlich Campulung am 19. in ununterbrochenen Angriffen noch ihre durcheinander gewürfelten Verbände erschöpften, stand die den Marschkolonnen nach Süden vorauseilende Kavallerie schon 100 km tief auf rumänischem Gebiet. Die Orsova-Gruppe ( 1. Division ) war ihrer rückwärtigen Bahnverbindung beraubt, von den Hauptkräften abgeschnitten , ihre Odyssee mußte bald beginnen.
Am Alt wurden am 20. den Rumänen einige wichtige
Ortschaften und Höhen entrissen, und an demselben Tage stand unsere beflügelten Schrittes vorwärts eilende Infanterie vor Crajova , dem bisherigen Sitze des Oberkommandos der I. rumänischen Armee , das am 21. nach kurzem Kampfe von Norden und Westen besetzt wurde. Gleichzeitig wurde der Widerstand vier hintereinander liegender rumänischer Stellungen an der Straße Crajova- Slatina gebrochen, während an der Roten Turm- Straße und in den Seitentälern des Alt Boden gewonnen und nördlich Campulung wiederholte Angriffe abgeschlagen wurden . Lange konnte der Aufenthalt der in der linken Flanke bedrohten Rumänen dort nicht mehr dauern . In der Dobrudscha fanden an diesem Tage nur Vorfeldgefechte statt, über die Donau schallte Kanonendonner. Von einer kräftigen Entlastungsoffensive für die immer mehr in die Enge geratenden Rumänen war einstweilen nichts zu spüren . Am 22. nur Artilleriefeuer in der Dobrudscha und an mehreren Stellen an der Donau. Am 23. werden auf dem rechten Flügel der Dobrudschafront russische Kräfte von vorstoßenden Bulgaren aus dem Vorgelände unserer Stellung geworfen , und bestand auch an anderen Teilen dort Gefechtsfühlung, während der Bericht lakonisch weiter meldet : ,,An der Donau Kämpfe. " Daß der Gegner in der Dobrudscha die Absicht hatte, am 24. zum allgemeinen Angriff
Der rumänische Feldzug.
93
überzugehen, geht nach dem bulgarischen Bericht aus dem, einem russischen Gefangenen abgenommenen Befehl hervor. In der Tat setzte der Gegner auch einen Angriff mit beträchtlicher Stärke an, der aber im Artilleriefeuer zu Teilangriffen verkümmerte und nur einen erfolgreichen bulgarischen Gegenstoß hervorrief. Sacharow ist es nicht gelungen, den mit der rechten Gruppe hier zäh haltenden Feldmarschall von Mackensen auch nur einen Augenblick an der Durchführung seines Planes zu verhindern , den Schwerpunkt nach seinem linken Flügel zu verlegen , auf dem Südufer der Donau deutsche , bulgarische und türkische Kräfte zu einem seiner schon berühmt gewordenen Uferwechsel bereitzustellen , der , im Verein mit den Operationen der Armee Falkenhayn, über die Verteidigung der Walachei in einem Schulbeispiel Moltkescher Operationen den Urteilspruch zu fällen beginnen sollte.
Während uns der Bericht vom 23.
nur von der Beute von Crajova gesprochen hatte, gab uns der des folgenden Tages , neben der Nachricht vom erfolgreichen Brechen des Widerstandes im Westzipfel Rumäniens und der Einnahme von Turnu Severin , auch einen Einblick in die vollzogene Schwenkung des Falkenhaynsehen rechten Flügels zur Front nach Osten: In der walachischen Ebene nähern sich die Truppen des Generals von Falkenhayn dem Alt.
Am 24. ist der Widerstand des Gegners
in der Niederung des unteren Alt gebrochen und wir überschreiten dort den Fluß.
Die Fortschritte der Armee Falkenhayn hatten auch
den Widerstand der direkten rumänischen Flußverteidigung zum Erlahmen gezwungen und der Donauarmee Mackensens den Übergang ermöglicht.
Mit diesem wurde jeder Widerstand der
Tumänischen I. Armee an dem sonst starken, zu zäher Verteidigung gegen Westen zweifellos geeigneten Alt-Abschnitt strategisch illusorisch . Ein Satz desselben Tagesberichts lautet kurz . aber inhaltschwer : ... Nach Überschreiten der Donau von Süden her haben Kräfte der verbündeten
Mittelmächte
auf rumänischem
Boden Fuß gefaßt. "
Aus dem bulgarischen Bericht vom 26. ersehen wir nähere Einzelheiten, wonach der Übergang bei Sonovit (7 km westlich der Altmündung) von deutschen und bei Sistow (50 km weiter östlich) von deutsch-bulgarischen Truppen bewirkt und Iglazo - Ratovica bzw. Zimnica sofort besetzt worden waren. Am 25. ist der Übergang der für die weiteren Operationen in Westrumänien bestimmten Donauarmee (Kosch) planmäßig durchgeführt , eine ganz bedeutende Verbreiterung des Brückenkopfgeländes auf dem Nordufer bereits bewirkt , und stehn die Spitzen schon im Südwesten von Bukarest vor Alexandria, an der Bahn Zimnica- Pitesci. Am 26. waren Stadt und Vedea- Abschnitt ober- und unterhalb Alexandria genommen. 8 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 545.
94
Der rumänische Feldzug.
Nach bulgarischem Bericht vom 26. überschritten Bulgaren am 25. bei Orchovo die Donau und besetzten Bechet, südlich Crajova , östlich der Jiulmündung, andere Lom und Vidin , Calafat in Besitz nehmend. Vom Turnu Severin aus drückten unterdes verbündete Truppen den Rest der Orsova- Gruppe (1. rumänische Division ) nach Südosten, wo ihm , der schon stärkste Einbußen erlitten hatte , verbündete Truppen den Weg verlegten und ihn bald zu Tode hetzten. Nachdem am 27. auch von den auf dem linken Ufer gegen Bukarest vorgehenden Bulgaren Giurgiu genommen war, war die Donaubasis in genügender Breite und Tiefe gesichert .
Kolonnen und Trains, wie schwere Artillerie ,
konnten in ununterbrochener Folge über den Strom nachrücken. Die Donauarmee hatte die Front nach Nordosten. An demselben Tage, an dem die Durchführung des Übergangs die Spitzen der Donauarmee vor Alexandria und den Vedea-Abschnitt führte, hatte im Gelände östlich des unteren Alt die deutsche Kavalleriedivision Schmettow eine rumänische geworfen, verfolgte sie und stellte fest , daß die vom Alt ostwärts führenden Straßen von flüchtenden Fahrzeugkolonnen bedeckt seien. Südlich des Roten Turm- Passes war durch die Gruppe Krafft von Delmenfingen gleichzeitig mit dem rechten Flügel im Alttale Rimnicu Valeea , mit der Mitte Tigveni (am Topologu) genommen worden, während der rechte Flügel auf den Höhen Curtea de Arges am Argesul und der Bahn nach Pitesci-Bukarest noch zähen WiderZwischen dem rechten Flügel Falkenhayns und dem stand fand. linken der Donauarmee war schon die Verbindung aufgenommen. Am 26. warf die Gruppe Krafft von Delmenfingen den Gegner hinter den Topologu- Abschnitt, durchbrach östlich Tigveni , also zwischen diesem und Curtea de Arges, die feindliche Linie und nahm ihr mehrere Tausend Gefangene und 7 Maschinengewehre. Als am 27. Truppen Falkenhayns den Alt überschritten und sich zu den weiteren Operationen gruppierten , als dann der linke Flügel Krafft von Delmenfingens Curtea de Arges und damit den Argesul-Übergang genommen hatten, war der Moltkesche Halbkreis gezogen , der die Grundlage zu weiteren , mit unerbittlicher, mathematischer Sicherheit erfolgenden konzentrischen Bewegungen wurde. Gegen den Willen des Vierverbandes , von dem man direkte Entlastung der Rumänen durch die Russen, indirekte neben diesen noch durch Franzosen und Briten an der Somme, sowie durch Italiener und endlich durch Sarrail erwarten mußte , hatte der Vierbund den Schwerpunkt dorthin verlegt , wo er ihn haben wollte und Rumänien zum Hauptkriegsschauplatz gestempelt.
Hinter der Front irrten , wie Wild auf der Treib-
jagd der Einkesselung zu entkommen suchend, und noch bis zum 7. Dezember das Leben in Freiheit fristend, die Reste der 1. rumä-
Der rumänische Feldzug,
95
nischen Division und hinter der Front lag auch ein Viertel des rumänischen Gebiets , und zwar des reichsten Bodenbestandes , 32000 qkm; ein Vorratsmagazin erster Ordnung. Die Frage, ob die rumänischen Armeen westlich Bukarest , sei es Front direkt nach Westen , sei es in einer Flankenstellung , sei es mit
einem
defensiv haltenden und einem durch russischen
Kraftzufluß stark gemachten Offensivflügel , der aus vielen Wahrscheinlichkeitsgründen dann nur der linke sein konnte , eine Schlacht annehmen würden , und damit im direkten Zusammenhang die andere , wie lange im Raume Campina
die
rumä-
nischen Truppen zur Verteidigung des Predeal- Abschnittes noch halten könnten , wurde akut. Brach die Linie Ploesti- Bukarest zusammen, so mußte sich auch das Schicksal der Truppen im CampinaRaum erfüllen .
Die konzentrischen Bewegungen Mackensens
konnten sich dann gegen eine weitere Linie richten , neue Flankierungen waren ihnen möglich und für die RumänenRussen konnte dann die Unmöglichkeit eintreten , überhaupt noch aus der Umfassung herauszukommen . Dieses und die Rücksicht auf den Flankenschutz ihrer Karpathenkräfte würde sie zunächst zum mindesten auf die Linie Buzeu- Focsani Braila zurückzwingen und die Rolle der Dobrudscha-Armee Sacharows zu derjenigen eines nicht mehr lange in der Stellung bleibenden Flankenschutzes links der russisch-rumänischen weichenden Kräfte stempeln. Schwerwiegend genug war also der Inhalt dieser Frage. Würde die russische, diesmal zweifellos des wichtigen Faktors der Überraschung
entbehrende Entlastungs offensive im Raum vom Tataren-Paß bis zu den östlichen Übergängen aus Siebenbürgen in die Moldau auf mehr denn 300 km Front, sicher mit allem einsetzend, was die Russen nicht , wie die Armee Kaledine , zur direkten Unterstützung der Rumänen verschoben hatten , würden sicher zu erwartende
Verzweiflungsangriffe der Dobrudscha-Armee Sacharows das Schicksal der Rumänen zu wenden oder auch nur aufzuhalten vermögen ? Die von der Energie Mackensenscher Kriegführung beschleunigten Ereignisse gaben baldige Antwort. Im Juni hatte die russische Offensive die Entlastung der Italiener bewirkt , jetzt mußte man sich russischerseits sagen, daß selbst erfolgreiche Entlastungsstöße gegen die österreichische Südostfront lange Zeit gebrauchen würden , unsere Verbündeten zum Abziehen von Kräften vom rumänischen Kriegsschauplatz zu zwingen . Im Raume Bukarest konnte es sich aber , wie die Dinge lagen , vor der Entscheidung nur um Tage handeln . Man mußte unsererseits damit rechnen , daß, wenn irgend möglich, die Russen die rascher 8*
96
Der rumänische Feldzug.
wirkende direkte Unterstützung im Raume Bukarest wählen würden . Der Tagesbericht unserer Obersten Heeresleitung vom 29. November meldet blutig abgeschlagene russische Angriffe an vielen Stellen der Waldkarpathen und der siebenbürgischen Ostfront , und die Armee Falkenhayn auf der ganzen walachischen Front in siegreichem Vordringen hinter dem in Unordnung nach Osten weichenden Feind. Ferner die Bewegungen der Donauarmee in Übereinstimmung mit den weiter nördlich operierenden Kräften. Am folgenden Tage Fortsetzung der Angriffe und auch der nutzlosen schweren Verluste der Russen in Waldkarpathen und Grenzgebirgen der Moldau ; in der Westwalachei weiteres
Zurückdrängen der Nachhuten ,
Einnehmen
des wichtigen Bahnknotenpunktes Pitesci am Argosul, Öffnen des Weges über den Törzburger Paß durch Besitznahme von Campulung (auch 1200 Gefangene, 7 Geschütze) , Kapitulation von 17 Offizieren , 1200 Mann , 10 Geschützen vor einer schwachen Eskadron , endlich kämpfendes Vordringen der Donauarmee, die schon 2500 Gefangene und 45 Geschütze Beute gemacht hatte.
Von Giurgiu bis Campulung
waren die Rumänen im Rückzug auf Bukarest . Als Verteidigungsabschnitt blieb ihnen nur noch der Argesul-Lauf, der Bukarest gegen Südwesten deckt , der aber kaum mehr eine Linie bildete , in welcher sie eine Entscheidungsschlacht annehmen konnten . Von größter Bedeutung war dabei freilich (neben einem festen Rückhalt in der Linie Campina- Targovista , einem festen Verschluß der von Pitesci nach Bukarest ziehenden Flankierungslinie) der Umfang der im Raume Bukarest vorhandenen russischen Verstärkungen.
Bukarest erschien, da es von Süden bereits flankiert
wurde , als strategische Position nicht mehr haltbar. Je weiter die Staffeln der Donauarmee' am Unterlauf des Argesul vorschritten, um so gefährdeter mußte eine mit Front nach Westen und Norden im Raume Bukarest aufmarschierte russische Armee sein . wenn sie nicht eine überwältigende Überlegenheit aufwies. Im
Tagesbericht vom 1. Dezember kommt eine vollzogene
Neugliederung der Heeresgruppen zum Ausdruck. Gruppe Mackensen umfaßt nun alles das , was auf rumänischem Boden an Truppen den Bewegungskrieg führt .
Einschließ-
lich die Dobrudscha , wo an diesem Tage das IV. sibirische Korps mit 2 Divisionen, 15 Batterien und Unterstützung durch schwere Artillerie vom linken Donauufer gegen den bulgarischen linken Flügel vorstieß und zwischen Satroschiöi und der Donau, zumal ein Vorstoß der Bulgaren antwortete , sich blutige Köpfe holte. Hier durchzubrechen war also den Russen mißlungen, überall Nieten für die Entente. Denselben Mißerfolg hatten vier Angriffe am 1. und 2. Dezember, wo die Oberste
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Heeresleitung die Verluste des Gegners als besonders schwere erklärt. An diesen zwei Tagen sammelten die über Campulung und Pitesci längs der Flußufer in die Walachei eindringenden Kolonnen von der Heeresgruppe Mackensens reiche Beute .
Die am Alt vorgehenden
Truppen trafen an zahlreichen Flußabschnitten auf feindlichen Widerstand Nachhuten , der gebrochen wurde. Der Gegenstoß einer rumänischen Division gegen Kavallerie vermochte die planmäßig verlaufende Vorwärtsbewegung nicht zum Halten zu bringen. Bei der Donauarmee wurde der Neajlov und seine Niederung überschritten . Der Widerstand dort wurde gebrochen und der Vormarsch gegen das schon nahe Argesu - Tal und Bukarest wurde fortgesetzt. 18 Kanonen und Mörser und über 2500 Gefangene waren die Beute des einen Tages. An der Ostfront ununterbrochene Fortsetzung der Kämpfe unter gewaltigen russischen Verlusten, ebenso am folgenden Tage. Der 1. Dezember brachte die Einleitung einer großen Schlacht in der Walachei . deren Entscheidung am Argesul am 3. ausgesprochen zu unseren Gunsten ausfiel und uns in kürzester Zeit die rumänische Hauptstadt in die Hand lieferte . Der linke südöstlich Campulung heraustretende Armeeflügel gewann in den Waldbergen zu beiden Seiten des Dambovitza-Abschnittes in dauerndem Kampf Boden. Südöstlich von Pitesci, am Argesul , wurde von deutsch- österreichischen Truppen (Krafft von Delmenfingen), die, wie wir sehen werden, als Halteflügel der südlich bis an die Donau reichenden rumänisch-1ussischen Kampffront bestimmte I. rumänische Armee , die unter Androhen von Todesstrafe zu zähestem Ausharren angespornt worden, durchbrochen und geschlagen. Weiter südlich hatte die Donauarmee kämpfend den Argesul erreicht . Hier hatte sich am 1. eine russisch-rumänische Stoßgruppe südwestlich von Bukarest über den Argesul und Neajlow in Bewegung gesetzt. Sie erlitt am 2. durch Umfassung die schwersten Verluste und wurde über den Neajlow zurückgeworfen , während weiter südlich an der Donau von unserem rechten Flügel starke russische Angriffe abgewiesen wurden. Auf dem entgegengesetzten (linken) Flügel gewannen an diesem Tage deutsch- österreichische Truppen von Campulung und Pitesci weiter Boden, im Argesul- Tale erfolgten sehr glückliche Vorstöße bei Gaesti , nordwestlich Titu und an der Bahn Pitesci-Bukarest , weiter stromabwärts, wurde der Argesul überschritten. Der 3. Dezember ließ , wie schon angedeutet, die Schlacht am Argesul zu einem Siege von entscheidender Bedeutung ausreifen . Der Tagesbericht der Obersten Heeresleitung vom 4. entschleiert uns auch das Bild der Gliederung der beteiligten Verbände und gibt in großen Zügen deren zur Schlacht führende Bewegungen an , während
98
Der rumänische Feldzug.
die russische Entlastungsoffensive in den Waldkarpathen und an der Ostfront Siebenbürgens nur
Nieten
zog.
,,Die Operationen des
Generals der Infanterie von Falkenhayn , Mitte November durch die siegreiche Schlacht von Targu- Jiu begonnen, und der auf das Nordufer der Donau gegangenen deutsch-bulgarischen und osmanischen Kräfte sind von Erfolg gekrönt gewesen. " Das Zusammenfließen der getrennten Gruppen auf dem Schlachtfelde , die höchstmögliche Leistung der Leitung von Operationen war erfüllt . Die unter Führung des Generals der Infanterie Kosch kämpfende ,, Donauarmee" , von Svistov her kommend, die durch die westliche Walachei über Crajova (also vom SzurdukPaß
über
Targu- Jiu )
vordringende
Armeegruppe
Generalleutnant
Kühne , die nach harten Kämpfen längs des Argesul aus dem Gebirge heraustretende Gruppe des Generalleutnants Krafft von Delmenfingen (die am Tage vorher die I. rumänische Armee südöstlich Pitesci völlig geschlagen hatte) und die unter Befehl des Generals von Morgen über Campulung vorbrechenden deutschen und österreichischen Truppen haben
ihre
Vereinigung
zwischen
Donau
und
Gebirge
vollzogen. Der linke Flügel (also Morgen) nahm gestern (3. Dezember ) Targovista (nördlich Titu in gleicher Höhe mit Ploesti, westlich von diesem) , die Truppen des Generalleutnants Krafft von Delmenfingen setzten von Pitesci her ihren Siegeslauf fort , schlugen die I. rumänische Armee vollständig und trieben ihre Reste über Titu, den Gabelpunkt der Bahnen von Bukarest auf Campulung und Pitesci , in die Arme der bewährten 41. Division .
Auf dem linken Argesul- Ufer , nordwest-
lich und westlich Bukarest, blieb der Kampf in erfolgreichem Fortschreiten . Südwestlich der Festung wurde der Rumäne, der nach aufgefundenem Befehl die Absicht hatte , die Donauarmee
ver-
einzelt zu schlagen , während sein Nordflügel, die I. Vesorian-Armee, stand hielt , über den Neajlow gegen den Argesul zurückgeworfen. Südlich
Bukarest waren
starke
russisch-rumänische
Angriffe
ab-
zuwehren. Auch hier wurde dem Feinde eine schwere Niederlage bereitet. Die rumänische Armee hat die schwersten Verluste erlitten. Zu den Tausenden an Gefangenen aus den vorhergehenden Tagen kamen gestern noch über 8000 , die Beute an Feldgerät und Kriegsmaterial aller Art ist unübersehbar. „ Die Operationen gehen planmäßig weiter. Neue Kämpfe stehen bevor. " Hier haben wir auch eine Erklärung für die oben schon kritisch berührte
Wahl der
östlich
Pitesci - Nordufer
allgemeinen des
Linie
Campulung -Höhen
Argesul - Bukarest ,
nicht
einer weiter östlich gelegenen , kürzeren , als Haltestellung. Die Rumänen haben angenommen , die IX. Armee werde sich in umfassendem Angriff gegen diese Front binden ,
Der rumänische Feldzug . während russisch - rumänische
starke
99
Kräfte
die
Donau-
armee schlügen und dann gegen den rechten Flügel Falkenhayns am Argesul einschwenkten. Eine Hoffnung , die zunichte wurde , indem die Donauarmee elastisch auswich und den Stoß bei Draganesci
auffing , und indem dann auch
die Ereignisse bei der Armee Falkenhayn sich mit einer , abSchnelligkeit Rumänen völlig verblüffenden die spielten.
Schon am 1. Dezember, also am Tage des Ausfalles
aus Bukarest , wurde die rumänische Stellung Campulung- Pitesci überwunden. Der taktisch glänzende Durchbruch in der Linie GaesciTitu knickte die Hoffnung, in der Linie Targovista - Titu noch Der rumänische Flügel war von zum Halten zu kommen. Bukarest abgeschnitten, die linke Flanke durch die 41. Division östlich Titu schwer bedroht. Nördlich Bukarest fiel der rumänische Widerstand am 3. zusammen und da am 2. auch der Offensivstoß südwestlich Bukarest gescheitert war , war an eine aussichtsvolle Defensive in der Linie Ploesci-Bukarest- Oltenitza nicht mehr zu denken. Das energische Vorstoßen der IX. Armee von Targovista auf Ploesci bedrohte auch die Sinaia- Gruppe so nachdrücklich , daß sie ihre lange verteidigten Stellungen aufgeben mußte. Die
Donau war geöffnet .
In der Dobrudscha waren bul-
garische und ottomanische Truppen , während der linke Flügel Angriffe abwies, weiter östlich zu erfolgreichen Vorstößen geschritten, bei denen sie sich gegenüber 3 russische Divisionen feststellten .
Als
auch der linke Flügel der Bukarestarmee und ihre im Felde erschienenen russischen Unterstützungen nach dem Werfen des Halteflügels von einer doppelten Einkreisung bedroht , weichen mußten , und als eine neue naheliegende direkte Unterstützung durch die Russen - deren eine starke Armee immer noch durch Arz und Köveß westlich von Focsani und Piatra gebunden war -
nicht mehr erwartet werden
konnte, blieb den Rumänen kaum anderes übrig, als Bukarest aufzugeben und den lange schon gebotenen Weg nach Nordosten anzutreten, um am Jalomita-Abschnitt oder am Sereth den russischen Rückhalt zu erreichen und dort auch die russische Südflanke decken zu helfen .
Ohne einen Schuß der schweren Artillerie gegen Süd- und
Südwestforts , wozu sie bei der Donauarmee bereitgestellt waren , abzuwarten, fiel am 6. Dezember die nach rumänischen Phantasien . plötzlich keine Festung mehr darstellende Landeshauptstadt. War die Schlacht am Argesul , dank der größeren Bewegungsfreiheit und Stoßkraft Mackensens , für die Rumänen verloren , ehe sie geschlagen wurde , so war ein Halten Bukarest's nach der Schlacht im höchsten Grade unwahrscheinlich.
Waren die russischen
100
Der rumänische Feldzug.
Hilfskräfte nicht stark und nahe genug gewesen, um den Ausgang der Schlacht entscheidend zu beeinflußen , so blieb jetzt nichts übrig , als die Reste der Truppen nach Osten zurückzubringen . Über 50000 qkm besten rumänischen Bodens waren in unserer Hand, und dem Aushungerungstraum Englands war endgültig ein Ziel gesetzt. Nach Überschreiten der Linie Ploesci- Bukarest durch unsere Truppen war am 7. die Gesamt operation in eine neue Phase getreten. Über die große Transversalbahn Kronstadt - Sinaia - Bukarest - GiurgiuDonau hatten wir jetzt für Nachschub und Abtransport freie Verfügung, man darf sagen , der Balkan war den Verbündeten überlassen.
Der Feldzug hatte auch insofern einen neuen
Stempel erhalten ,
als die Rumänen in der neuen Phase nur noch als Hilfskontingent der Russen fechten konnten . Wie der Verlauf der Operationen sich weiter gestalten würde, hing von der noch vorhandenen Widerstandskraft , der Ordnung und dem moralischen Halt der Rumänen, dem Eintreffen russischer Verstärkungen an Abschnitten zur Aufnahme , dann aber vor allem auch davon ab , welchen Nachdruck das Tempo und die Dauer
der Verfolgung geben würden.
Daß der Sieger und
rastlose Verfolger nach Gorlice Tarnow seinem gefestigten Rufe der Blüchernatur nicht untreu werden würde , zweifelte im Vierbund niemand. Schonung,
Bis an und über den Buzeu hat dieses rastlose , nicht eigene nicht Wegeschwierigkeiten kennende , über den Wider-
stand feindlicher Nachhuten
schnellstens
zur Tagesordnung über-
gehende Nachhauen schon geführt . Tausende von Gefangenen und Trophäen auf seiner Bahn sammelnd. Zersetzung des Feindes vor sich her säend. In den die
Schaubühne des walachischen Dramas säumenden
beiden Gebieten hatten, als nach Bukarest Fall die wilde Jagd der Verfolgung begann , Entlastungsoffensiven nicht zum Ziel geführt. Eine erste schwerblutige Karpathenschlacht war nutzlos zu Ende , eine zweite begann , um am 11. Dezember ebenso zu schließen. In der Dobrudscha waren, nach Gefangenenaussagen , die 9. und 10. sibirische Division zertrümmert ; Sarrail hatte zur Entlastung nicht beigetragen und schaute
besorgt
in seinen Rücken ,
wo sich als drohendes Gespenst Griechenland aufzurecken schien. Nach dem Falle von Bukarest war der Druck des Verfolgers so stark, daß die operative Lage der Rumänen und mit ihnen verbündeten Russen kritisch wurde , und es kaum noch möglich erschien, daß sie aus der Umfassung herauskämen , es als geboten betrachtet. wurde , auf die Linie Buzeu - Focsani- Braila zurückzugehen , um die linke Flanke der Karpathenarmee zu decken. Dem amtlichen
Der rumänische Feldzug.
101
,, Russischen Invaliden" preßte die wachsende Besorgnis um diese Flanke nach dem Fall der rumänischen Hauptstadt scharfe Vorwürfe gegen Rumänien aus : ,,Das deutsche Vorrücken ist unter ganz besonderen Umständen vor sich gegangen. 30 Werst östlich von Bukarest findet sich ein dichtes Urwaldgebiet , von dessen Undurchdringlichkeit . man ein Aufhalten der Deutschen erwartete .
Der Feind nahm es ohne
Mühe , und der Verlust von Buzeu ließ die Bedrängnis wachsen . Dieser letzte strategische Bahnknotenpunkt im übrig gebliebenen Teile Rumäniens mußte unter allen Umständen gehalten werden , da er die Die Rumänen letzte Bahnverbindung mit der Moldau erlaubte. hatten ausreichend Hindernisse , den Feind aufzuhalten. Die stark ausgebaute Jalomita - Linie konnte ihn wochenAus rumänischen Blättern klang schon die Elang binden . ” widerung, ..ehrlos verfahre Rumäniens Heer nicht , ehrlos aber die , welche es im Stiche ließen" , und sehr bald hörte man von dem bulgarischen Ministerpräsidenten , das seither auch vom bulgarischen Oberkommandierenden wiederholte und vom ganzen Vierbund als richtig anerkannte Wort, Rumänien müsse stehen aufhören .
als
Staat zu be-
Früh schon verließen die Ratten das Schiff; der französischrumänische Operationsleiter Berthelot bat um seine Ablösung ; die britischen,
im
rumänischen
Hauptquartier
stabsoffiziere verließen ihr Stümperwerk.
ratgebenden
General-
Rumänische und Entente-
blätter haben ausgesprochen, der Widerstand an der Jalomita habe nur den Zweck des Zeitgewinns gehabt, unter dem Schutz von Nachhuten sollen die zerflederten Gros geordnet und weiter zurückgefüht werden .
Was Friedrich der Große in den Sätzen aussprach :
Einen
geschlagenen Feind nicht verfolgen , heißt eine einmal schon dezidierte Sache nochmals Entscheidung stellen" . was Moltke als Lehrsatz niederschrieb : ,, Die Früchte des Sieges werden erst durch dessen Ausnutzung in der Verfolgung zu voller Reife gebracht. Indem wir den Feind verhindern , ich wieder zu setzen , zu sammeln und zu ordnen , bewirken wir , was sonst gewöhnlich nur durch eine zweite Schlacht zu erreichen ist", das hat seine glänzende Bestätigung gefunden in der Mackensenschen Verfolgung die man als erlahmt auch dann noch nicht bezeichnen konnte , als auch der Buzeu in breiter Front überschritten wurde.
Die rastlose Verfolgung führte , während der vorgebogene .
durch Flankierung auch den Rest der Paßstraßen öffnende linke Flügel gleichfalls mit überraschender Schnelligkeit vorschritt, zunächst vor den großen Abschnitt der Jalomita und sollte diesen möglichst in ungehemmtem Zuge überschreiten.
So lange
102
Der rumänische Feldzug.
sich in dem Winkel zwischen Bahnlinie Bukarest- Czernavoda und unterem Jalomita-Lauf noch russische Kräfte befanden , hätte der Übergang über das breite Hindernis mit gefährdeter rechter Flanke vor sich gehen müssen. Reichlicher Flankenschutz getan.
hätte aber dem Tempo der Verfolgung Abbruch Und nun zeigt sich wieder das Zusammenwirken
getrennter Abteilungen im Sinne der Moltkeschen Schule. Die Donauübergänge der Bulgaten bei Tutrakan und Silistria Czernavoda halfen den genannten Übeln ab und verwiesen die Russen hinter die Jalomita .
Bulgarische Operationen in dem genannten Gebiet er-
leichterten nicht nur den raschen Übergang der Donau-
und der
IX. Armee, sondern sie sicherten auch die rechte Flanke und halfen , was von größter Tragweite ist , die Frontbreite auf ein Maß abzukürzen , das rund 900 km weniger als zu Beginn des rumänischen Feldzuges aufwies. Der rumänisch-russische Rückzug war, wie es scheint , in dem Raum Buzeu- Focsani- Braila gedacht.
Am 10. Dezember ist
die Linie Urziceni- Mizil in des Verfolgers Hand, sein linker, vorgebogener Flügel hat die Paßbesatzungsdivisionen , die
ein Fehler
der rumänischen Heeresleitung aus dem Raume Sinaia nicht mehr entkommen konnten, zertrümmert. Russen und Rumänen scheinen in der Linie Buzeu- Faurei - Calmatuiul-Fluß noch einmal halten zu wollen und ihre Flügel als durch Gebirge und Donau gesichert anzusehen. Am 14. hat sich die irrige Berechnung schon bestraft : Buzeu, der Knotenpunkt der letzten Verbindung mit der Moldau, fiel der rastlos treibenden IX. Armee zu. Aus dem vollen Bewußtsein der Stärke , der Niederwerfung Rumäniens, aber auch aus dem Gefühl des zivilisierten, menschlichen Siegers, war wenige Tage vorher das Friedensangebot des Vierbundes erfolgt.
Und bliebe es auch lediglich hierbei , so hätte der gewonnene
rumänische Feldzug mit seiner ununterbrochenen Siegesbahn schon Früchte getragen und einen Denkstein der Weltgeschichte gebildet. Aber die Operationen gehen weiter. Russische Blätter und ,, Temps' wollen vom Suchen der Entscheidung am Sereth wissen , und ,,Petit Parisien" bestätigt russische Nachrichten . nach denen Focsani und Galatz schon geräumt seien.
Die Dobrudscha-Armee ist dicht an das
Donauufer zurückgegangen, vielleicht zum Teil schon auf das nördliche. Von Babadagh, südlich Braila ( das kaum lange halten wird), nördlich Buzeu und des gleichnamigen Flußes zum Gebirge zieht sich unsere Front. Sie ist 900 km kürzer geworden. Hier liegt, neben Besitz von drei Viertel rumänischen Bodens mit seinen wirtschaftlichen Folgen, neben Zertrümmerung von drei Viertel der Streitkraft Rumäniens , neben Abstrafung eines aus Hab-
103
Literatur.
sucht
meineidigen früheren
Bundesgenossen,
ein
Schwerpunkt.
Große Truppenmengen sind dadurch frei geworden , und , neben politischer Handlungsfreiheit zum Friedensangebot als Ergebnis des rumänischen Feldzuges , liegen sie in Feldmarschalls von Hindenburgs Hand.
Eine durch die Ungewißheit ihres Einsatzes unseren Gegnern
auf die Nerven fallende Tatsache .
Bei ihm liegt die Freiheit des Handelns , die leicht beweglichen großen Reserven, die er in die Wagschale werfen, und durch die er dem Kriege , wenn er will, statt der starren Form auch die der Entscheidung bringenden Beweglichkeit
auf anderen Schauplätzen geben kann , in welcher die Oberste Heeresleitung des Vierbundes, wie schon mehrfach, so auch im rumänischen Feldzuge, wieder schlagend ihre Überlegenheit bewiesen hat . marschall v. Mackensen hat es augesprochen : Ziel, aber nicht das letzte."
Feld-
Bukarest war ein
Literatur.
1. Bücher. Vom Fahneneid . Von Dr. Friedrich Everling. Verlag Georg Bath, Berlin SW 11. Preis 1,50 M. Den Lesern der Jahrbücher" ist der Verfasser des vorliegenden Büchleins kein Unbekannter mehr, ich erinnere an seine Aufsätze : „Seine Majestät an Seine Offiziere" (in Nr. 523 von 1915) und „ Vom Fahneneid" (in Nr. 537 von 1916). Es erübrigt sich deshalb, des näheren darzulegen , wie er, von warmem, vaterländischem Geiste getragen, eine edle Gesinnung mit wissenschaftlicher Gründlichkeit vereinigt. Der Hervorhebung bedarf an dieser Stelle vielmehr der Umstand , daß das neue Büchlein sich keineswegs mit dem erwähnten gleichnamigen Aufsatze Everlings deckt. Dieser Aufsatz ist in ihm zwar selbstverständlich eingehend verwertet , doch dünkt es mich , zu bescheiden zu sein, wenn der Verf. seine Studie nur einen „ veränderten und stark erweiterten Abdruck " jenes Aufsatzes nennt. Will man dies überhaupt durchlassen, so ist der Nachdruck jedenfalls auf das „ stark erweitert" zu legen, denn aus den 38 Seiten sind jetzt 73 Seiten Text geworden . Wer an jenem Aufsatze Gefallen gefunden hat, soll sich deshalb nicht abhalten, sondern umgekehrt ermuntern lassen , auch dieses Büchlein zu seiner Kenntnis zu bringen . W. Burkhard v. Bonin . Karl und Marie v. Clausewitz . Ein Lebensbild in Briefen und Tagebuchblättern . Herausgegeben und eingeleitet von Karl Linnebach , Militärintendanturrat . Berlin 1916. Verlag von Martin Warneck. Preis 8 M.
104
Literatur.
Es zeigt uns Das Buch ist in doppelter Beziehung interessant. einmal Karl und Marie v. Clausewitz von der rein menschlichen Seite, und zwar als durchaus edle und vornehme Naturen durch das Band einer reinen , treuen Liebe zu einem tiefinnerlich gefestigten Ehebunde vereinigt . Sodann erblicken wir im Spiegel eben dieser schönen Menschlichkeit ein Bild der großen Zeit der Erniedrigung und Erhebung Preußens . Wir sehen Stein , Scharnhorst, Gneisenau , Frau v . Staël, den König und seine Familie und auch allerlei interessante Gestalten aus der Zeit von 1813-1831 . Stärke und Schwäche des Preußens der damaligen Zeit , jedwede bedeutende politische Regung und Leidenschaft in ihrer Wirkung auf so geartete Menschen wie Und Clausewitz und seine Gattin spiegeln sich in diesen Briefen . dabei enthalten sich beide Briefschreiber jedes „ memoirenhaften “ Klatsches . Aus dem Buche spricht vielmehr eine gefestigte , über allem Kleinlichen erhabene Weltanschauung, die die Dinge lediglich unter dem Gesichtspunkt betrachtet : Was nützen bzw. schaden sie dem Vaterlande, der nationalen Ehre und der sittlichen Vervollkommnung der Menschheit. Es ist daher gerade in unserer Zeit als Lektüre für alle wahrhaften Vaterlandsfreunde besonders wertvoll. Dr. L. Allerlei Militärisches, was mancher nicht weifs. Geschichtliche und sprachliche Plaudereien über Kunstausdrücke, Einrichtungen und Gebräuche in Heer und Flotte von Oberleutnant a. D. Max Brunow . Verlag von Carl Flemming A. G., Berlin und Glogau. Preis 2 M. Das Buch, das eine Lücke in unserer Militärliteratur ausfüllt, behandelt im ganzen 250 Fragen , die gerade in der jetzigen Zeit für unser Volk , das 99 Volk in Waffen " , besonderes Interesse haben dürften . Alle militärischen Fachausdrücke werden in dem gemeinverständlich geschriebenen kleinen Werkchen erklärt, die Sitten und Gebräuche in unserem militärischen Leben werden auf ihren Ursprung zurückP. H. geführt und erläutert . Teubners Kriegstaschenbuch . Ein Handlexikon über den Weltkrieg. Mit 5 Karten (ca. Herausgegeben von Ulrich Steindorff. 320 Seiten. Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin . Geh. 3,00 M., geb. 3,50 M. „Das Kriegstaschenbuch will das Bedürfnis nach einem rasche, knappe und zuverlässige Auskunft bietenden Nachschlagewerk erfüllen , ein Bedürfnis , das um so dringender wird, je länger der Krieg dauert, je mehr er nahezu alle Gebiete des Lebens in sein Bereich zieht , je größer die Fülle der Kriegsereignisse und je verwirrender die Zahl der Kriegsmaßnahmen wird . " Was dieser erste Satz des Vorwortes verheißt, das hält das Taschenbuch in ganz hervorragender Weise. Auch dem eifrigen Benutzer dürfte es schwer fallen , eine Lücke zu entdecken , denn daß z. B. für den Diensteintritt des Kriegsministers ein Druckfehler unterlaufen ist, kann dem Buch wohl nicht zum Vorwurf gemacht werden .
ए
Literatur.
105
Für den Laien , der die Ereignisse unserer großen Zeit verfolgen will, ist es einfach unentbehrlich ; aber auch für den Fachmann ist es ein wertvolles Hilfsbuch, an das man sich sehr schnell gewöhnt und das W. man dann nicht wieder missen möchte .
Verlag C. Flemming A.-G. , Flemmings Wandkarte der Ostfront. Berlin W 50. Preis in Mappe 3,50 M., auf besonders starkem Papier mit Leinenrändern und Stäben 10 M. Die Flemmingschen Kriegskarten sind schnell überall dort heimisch geworden, wo man die Ereignisse des Weltkrieges aufmerksam verfolgt. Die jetzt vorliegende erste größere Wandkarte im Maßstabe 1 : 1000000 mit dem Gebiet von der Bukowina bis über St. Petersburg hinaus und von Breslau bis jenseits Kiew reiht sich ihren Vorgängern würdig an, vor allem durch das sehr übersichtliche Hervorheben der für den Krieg wichtigsten Namen . Sie kann den Unterrichtsverwaltungen, Vereinen usw. warm empfohlen werden. Das Erscheinen einer zweiten Nummer mit der Kriegskarte der Westfront W. wird vom Verlage in Aussicht gestellt. Ein Wort an die unten und die oben.
Von einem deutschen Sozial-
demokraten . Franck'sche Verlagsbuchhandlung. Stuttgart. Preis 0,30 M. In dieser Flugschrift stellt der ungenannte Verfasser - wohl Anton Fendrich zunächst fest, daß die meisten Deutschen England bisher verkannten und zum Teil wohl noch verkennen , und zwar, weil sie bestrebt sind , auch den Feinden gerecht zu werden , und weil versäumt ist, über Englands wirklichen Charakter aufzuklären . Dies versucht er sodann nachzuholen , indem er darlegt, wie rücksichtslos England von jeher den Grundsatz vertrat : Wright or wrong, my country. Dieser durchaus verwerflichen Anschauung, wird dann die Gewissenhaftigkeit und der sittliche Mut des Reichskanzlers gegenüber gestellt, der formales Unrecht auch Unrecht nennt, und mit einer dringenden Aufforderung zur Einigkeit und zum entschlossenen Durchhalten bis zum siegreichen Ende dieses gewaltigen Völkerringens schließt die Abhandlung. Daß ein deutscher Sozialdemokrat so schreibt und sich. für seine Ansichten auf Marx und Engels und auch auf den preußischen General Wrangel als Zeugen beruft, gibt gewiß zu denken und macht. eine aufmerksame Lektüre des Heftchens besonders lohnend . Dr. L. Chronik des Deutschen Krieges. Band IX. C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck in München. Gebunden 3,50 M. Das Erscheinen des neunten Bandes der Beckschen Kriegschronik bedeutet, wie bei jedem vorhergegangenen, ein besonderes Ereignis. Allein die Tatsache, daß die Zeit vom 21. September bis 20. Oktober 1915 einen Band von fast 500 Seiten in Anspruch nimmt , erhellt die Gründlichkeit und Vielseitigkeit des Werkes , die Fülle des interessanten Materials, welches dargeboten wird. Da fehlt kein Tagesbericht und kein Geheimbefehl , nicht Streifblicke auf die Ver-
106
Literatur .
hältnisse im Feindes- wie im Vaterlande. Die Einführung der neuen Uniformen bietet begrenzte Bilder ein Überblick über den KriegsAlles in allem , ein verlauf während des betreffenden Monats , weite. hervorragend gediegenes Nachschlagewerk, dessen ein eigenes Sachregister erleichtert worden ist.
Gebrauch durch M. D.
Der Krieg als Kulturfaktor, als Schöpfer und Erhalter der Staaten. Von Dr. Schmidt - Gibichenfels . 2. Aufl. Verlag Kraft und Schönheit. Berlin - Steglitz 1916. Geh . 0,50 M. „ Durch Kriege" , sagt Heinrich von Treitschke , „ sind alle uns bekannten Staaten entstanden . " In dem vorliegenden Aufsatz , der Ende 1912 zuerst in der „ Politisch - Anthropologischen Monatsschrift" erschien , werden Entstehung und Untergang der Staaten , Kultur und Zivilisation, Gebietserweiterung und Volksvermehrung und andere politische und ethische Fragen vom biologischen Standpunkt aus und mit Rücksicht auf den Einfluß des Krieges besprochen. Das Bemerkenswerte an der Schrift ist der zum Schluß scharf gezeichnete Unterschied zwischen „den kriegerischen und den unkriegerischen Eroberern " . Die letzteren , die den Kampf um Macht und Dasein „ mit unlauteren schleichenden Mitteln führen ", die sich „ der kapitalistischen Eroberungsart bedienen " und unter der Flagge des „ Fortschritts “ überall Zersetzung und Auflösung herbeiführen , sind seit je „ die lautesten und aufdringlichsten Verkünder der Weltfriedensidee " gewesen. Der Verfasser beschreibt, wie insbesondere in Kriegszeiten die kriegführenden Völker sich die wirtschaftlichen Kriegsmittel von den friedlichen Eroberern gegen schweres Entgelt 99 vermitteln lassen , er warnt vor den Zwischenhändlern ( 1912 ! ) und meint : „ Die Kriegshelden und Kriegsvölker sollen sich nicht von den Börsenhelden und Handelsvölkern , die kriegerischen Eroberer nicht von den unkriegerischen vorschreiben lassen , was sie tun und was sie nicht tun sollen . “ „Lassen wir uns auch nicht von den unkriegerischen Eroberern als unbezahlte, freiwillige Söldner d . h . führen wir keinen Krieg , der nicht uns , sondern nationalen Geldmächten zugute kommt .“ Man kann über Inhalt der Broschüre verschieden denken . Aber die Sätze,
benutzen , den interSti! und in denen
der Verfasser seinem Volk die Augen darüber zu öffnen versucht, daß er in dem friedlichen Eroberer „ einem Feinde seiner Rasse , seines Volkstums , seines Staates , seiner Kultur , seiner ganzen Auffassung von Welt und Leben gegenübersteht" . in denen er nach Mitteln sucht, damit nicht die friedlichen Eroberer ,,an dem Glück und Unglück des Landes sich bereichern " , damit „ die Welt vom Joche der friedlichen Eroberer endlich erlöst werde diese Sätze hätten allen Patrioten schon vor dem Kriege eingeprägt werden sollen . Sie zeigen uns jetzt, was nach dem Kriege eine erste Dr. Friedrich Everling. innerpolitische Aufgabe ist. Fahneneid und Kriegsartikel, besprochen und erläutert durch Beispiele aus dem großen Kriege 1914/16 . Von Oberst Immanuel. Berlin 1916. E. S. Mittler & Sohn . 135 S.
Literatur.
107
Gewiß ist es beim militärischen Unterricht in dieser Zeit von Vielen als eine Lücke empfunden worden , daß unsere bewährten Instruktionsbücher, vor Kriegsbeginn entstanden, ihre Beispiele aus den letzten Feldzügen nahmen , die durch die Kampfart (Schützengraben-, Luftkrieg ! ) und den Umfang des Kampfes mit dem , was heute geleistet werden muß, nicht verglichen werden können . Nehmen wir das stereotype Beispiel des Kanoniers Klinke : Wieviele Regimenter haben in diesen zwei Jahren ihren Kanonier Klinke gehabt ! Der Heldenmut ist der gleiche , aber seine Beweise sind andere . Nicht jeder Instruierende hat solche Beweise zur Hand und nicht jeder kann seine Erinnerungen in der rechten Form vortragen . Das kleine Buch des Obersten Immanuel schildert Taten , die gestern geschehen sind und gibt Verhaltungsmaßregeln , die gerade heute von Bedeutung sind . Es ist insofern eine willkommene Ergänzung der bewährten militärischen Lehrbücher. Freilich, was die gedankliche Durcharbeitung und die formale. Fassung des Stoffs angeht, erreicht es seine Vorgänger nicht. würde ich beispielsweise v. Estorffs Anleitung zum Unterricht über Fahneneid , Kriegsartikel und Berufspflichten vorziehen . Die Begriffsbestimmungen sind in anderen Lehrbüchern knapper gelungen . Z. B. antwortet Immanuel ( S. 19 ) auf die Frage, was ist ein leiblicher Eid ?" : „Ein Eid ist das feierliche Versprechen , daß das , was man aussagt, wahr ist. Wenn also der Soldat den Fahneneid ablegt, so übernimmt er hiermit die Verpflichtung , daß das, was er gesagt hat, seine Überzeugung ist und daß er es übernommen hat , das abgelegte Gelübde zu halten . " Man kann nicht versprechen , daß etwas wahr ist , und nicht die Verpflichtung übernehmen , daß etwas unsere Überzeugung ist . Wenn ferner der Eid erklärt wird als die die übernommene Verpflichtung, das abgelegte Gelübde (also den Eid Weiter unten wird selber) zu halten , so ist das ein Pleonasmus . „leiblicher Eid“ als ein solcher gedeutet, „ bei dem der Mann mit seinem Leibe, also ( ! ) mit seiner ganzen Persönlichkeit, für die Haltung des Eides eintritt. Außerdem schließt der Begriff des leiblichen Eides' das Gelöbnis (?) in sich , daß der Allwissende und Allmächtige Gott den Menschen an seinem Leibe strafen wird , der den Eid bricht. " Für die historisch richtige Auslegung des Begriffs halte ich die , daß ,,leiblicher Eid" der unter körperlicher Berührung geweihter Gegenstände geleistete Eid ist . - Die Auffassung (S. 19) ferner, daß der Eid den Soldaten so lange bindet, als er unter irgendeiner Form der Wehrmacht angehört, entspricht nicht dem Geist und Wortlaut des Eides . Der Eid gilt für das ganze Leben . Auch daß der verschiedene Wortlaut des Eides nur eine äußere Form sei ( S. 17) ist nicht richtig. Jeder Soldat schwört seinem Landesherrn Treue . Darin liegt ein wesentlicher Unterschied der einzelnen Fahneneide. -Übrigens werden Luftschiffer und Flieger heute in praxi auf treue und redliche Dienste „zu Lande und zu Wasser und in der Luft" vereidigt (vgl. S. 21 ) . Soviel über das Kapitel Fahneneid , das der Verfasser mit sieben Seiten abmacht, und zu dem neue oder alte
Literatur .
108
Beispiele aus naheliegendem Grunde nicht gebracht werden, denn ,,sein Halten geschieht in schweigender Pflichterfüllung". Das Neue und Wertvolle an der Schrift sind, wie gesagt, die Beispiele, auf die auch der Verfasser selbst, wie er im Vorwort erDr. Friedrich Everling. klärt, den Hauptwert gelegt hat.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des ver. fügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt warde -- hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Reich, Verdun . Ein Kriegsskizzenbuch mit Text von Major Endres . München . Lukas Verlag. G. m. b. H. 3 M. 2. Endres, Das Kriegsbuch . München u . Leipzig . Fr. Seybolds Verlagsbuchhandlung, G. m. b . H. 1,20 M. 3. Humboldt-Akademie Freie Hochschule, Vorlesungsverzeichnis für das 1. Vierteljahr 1917 , Januar- März . Neununddreißigstes Studienjahr 1916/17. 4. Karte vom europäischen und asiatischen Russland und Verzeichnis der Orte, in denen sich Kriegsgefangene und Zivilverschickte befinden , sowie Bestimmungen über den Postverkehr nach diesen Orten . Herausgegeben mit Genehmigung des stellvertretenden Generalkommandos des IX . Armeekorps vom Hamburgischen Landesverein vom Roten Kreuz , Ausschuß für deutsche Kriegsgefangene . 5. ergänzte Auflage . Hamburg. Dezember 1916. L. Friederichsen & Co. 2,25 M. 5. Vaihinger, Nietzsche als Philosoph . Berlin 1916. Verlag von Reuther & Reichardt. 1 M. 6. von Oer, Ohne Furcht und Tadel. Ein Wort von einem alten Kameraden an unsere jungen Offiziere . Freiburg 1917. Herdersche Verlagsbuchhandlung .
Pappband.
1 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z . D. H. Rohne ) enthält u . a . folgende Arbeiten : v. Richter, Generalmajor z . D .: Mitwirkung der Feldartillerie bei nächtlichen Unternehmungen im Feldkriege.
Artillerie und Maschinengewehre im Europäischen Kriege. H. Rohne, Generalleutnant z. D.: Die Winkelmaße der Artillerie. Narath, Oberleutnant a . D .: Über ein Verfahren , den wahrscheinlichen Treffpunkt beim Schießen gegen Seeziele zu ermitteln . Zum Gedächtnis von Werner von Siemens. Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen .
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam .
X. Die Artillerie unserer Feinde
im jetzigen
Kriege. Von v. Richter, Generalmajor z. D.
Nach den Leistungen im Feldzuge 1870/71 , in dem die Feldartillerie durch ihr erfolgreiches und rechtzeitiges Eingreifen an entscheidender Stelle , die Fußartillerie durch die Treffsicherheit und Zerstörungskraft ihrer gezogenen Geschütze wohlverdiente, reiche Anerkennung gefunden hatten, durfte man annehmen, daß ihre weiter wesentlich vervollkommnete Wirkung in folgenden Kriegen noch schärfer ausgeprägt in die Erscheinung treten würde. nicht bestätigen zu sollen.
Diese Annahme schien sich indessen
Denn im Russisch-Türkischen Kriege von
1877/78 gelang es der russischen Artillerie nicht, den Angriff ihrer Infanterie auf die Befestigungsanlagen der Türken ausreichend vorzubereiten, geschweige denn, diese sturmreif zu machen , und im RussischJapanischen Feldzuge 1904/05 zeigte sie sich ihren Aufgaben in keiner Weise gewachsen.
Wie indessen bald erkannt wurde , lag der Mißerfolg
nicht in der Leistungsfähigkeit der Waffe an sich, sondern in ihrer fehlerhaften Verwendung. So versuchten die angreifenden Russen vor Plewna , die Anlagen der Türken zu zerstören , statt die Verteidiger in ihnen während des Vorgehens der Infanterie niederzuhalten , sie am Erscheinen an der Feuerlinie zu verhindern ; es fehlte am verständnisvollen Zusammenwirken zwischen beiden Waffen . Das mangelnde Eingehen auf die Erfordernisse der Infanterie, das gänzlich aussetzende Hand-in-Handgehen mit ihr von Fall zu Fall kennzeichnete auch in 1904/05 die traurige Rolle der russischen Artillerie , die zudem ihre Munition auf übergroßen Entfernungen oder gegen Räume, in denen sich kein Feind befand , vergeudete .
Auf seiten der Japaner lag die
Ursache allerdings in dem dem feindlichen unterlegenen Gerät .
Das
hatte zur Folge , daß sich ihre Batterien an der Grenze des weiter reichenden feindlichen Schrapnel- Brennzünderbereichs hielten und 9 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 546.
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Die Artillerie unserer Feinde im jetzigen Kriege .
nur durch Granaten Az zu wirken versuchten.
Durch den großen Ab-
stand von den Linien des Gegners ging der Zusammenhang mit der Infanterie verloren , die deshalb keine Unterstützung in der genommenen Stellung erhielt und bei der Verfolgung der Förderung durch das Geschützfeuer verlustig ging. Scharfe Unterschiede in den Erfolgen der Artillerie förderte der Balkankrieg zutage, in dem sich durchweg moderne , annähernd gleichwertige Geschütze gegenüberstanden , die auf türkischer Seite nichts leisten konnte , weil es an Ausbildung und Munition fehlte, auf seiten. der Verbündeten dagegen den Erwartungen durchaus entsprachen. Daraus ließ sich bereits erkennen, was von einem auf der Höhe der Zeit stehenden Gerät in sachkundiger Hand erwartet werden durfte. Im letzten Jahrzehnt des vorigen und dem ersten des jetzigen Jahrhunderts hatte die Bewaffnung der Artillerie außerordentliche Fortschritte gemacht durch Ermöglichung eines früher kaum für erreichbar gehaltenen Schnellfeuers nach Annahme des rauchschwachen Pulvers, wesentlich vervollkommnete Richteinrichtungen für indirektes Schießen, die den Gebrauch aus verdeckten Stellungen fast ebenso vorteilhaft, wie aus offenen gestatteten, gesteigerte Geschoßwirkung durch Einführung weittragender, wuchtiger Schrapnells und scharfer Sprengladungen für Granaten, vorzügliche Ferngläser usw.
Diese Errungen-
schaften berechtigten trotz der erwähnten Mißerfolge zu der Annahme, daß eine sachgemäß ausgebildete und verwendete , mit reichlicher Munition ausgestattete Artillerie in einem bevorstehenden Kriege zu einer ausschlaggebenden Rolle berufen sein müsse. Von den zehn gegen uns in Fehde liegenden Staaten kommen hier nur noch die Artillerien Frankreichs , Belgiens , Englands , Rußlands , Italiens , Rumäniens und Japans in Betracht. Wenn schon die rumänische Armee völlig geschlagen und nahezu aufgelöst ist, so sollen doch ihre Trümmer durch Rußland wieder gesammelt , organisiert und mit den eigenen Truppen erneut gegen uns verwendet werden.
Die japanische
Artillerie bleibt deshalb für uns von Bedeutung, weil ihr Feldgerät schon 1915 gr Benteils an der russische Heer abgegeben wurde und bei ihm durch japanische Offiziere und Mannschaften geführt bzw. bedient wird. Nur so war es diesem möglich , die starken Verluste an Feldgerät zu ersetzen, da die Waffenindustrie des eigenen Landes dazu nicht imstande war. Die Truppen Serbiens und Montenegros sind bereits erledigt und Portugal soll nur mit 1 Division , möglicherweise ohne Geschütze, eingreifen. Wie die Artillerien der gegen uns im Felde stehenden Staaten nach Organisation und Bewaffnung in den Krieg eintraten, läßt sich mit ziemlicher Zuverlässigkeit feststellen . Hier sollen indessen darüber nicht
111
Die Artillerie unserer Feinde im jetzigen Kriege.
Einzelangaben gemacht , sondern nur die zur Beurteilung dienenden allgemeinen Anhaltspunkte beigebracht werden. Die Organisation für den Feldkrieg trug im allgemeinen nur den Notwendigkeiten
des
Bewegungskrieges
auf befestigte Feldstellungen Rechnung.
einschließlich
des
Angriffs
Als sich ein nach räumlicher
und zeitlicher Ausdehnung umfangreicher Stellungskrieg entwickelte , zog man das dazu erforderliche Artilleriegerät aus allen möglichen verfügbaren neuen und alten Beständen heran , besetzte es mit großenteils neu gebildeten Truppen und schuf dem Bedürfnis angepaßte Verbände. Festgefügt und verwendungsbereit für den Bewegungskrieg standen zu Beginn des Feldzuges zur Verfügung die Feldartillerie und die schwere Artillerie des Feldheeres . Außerdem waren in beschränktem Umfange Gebirgsbatterien und Geschütze zur Bekämpfung von Luftzielen vorhanden.
So viel bekannt, sind Gebirgsgeschütze nur bei den
Kämpfen in den Karpathen oder als Ersatz für ausgefallene Feldgeschütze zur Verwendung gelangt.
Das liegt in ihrer geringeren Leistungsfähig-
keit gegenüber den Feldgeschützen begründet, wennschon sie gegen früher erheblich gesteigert wurde.
Geschütze zur Abwehr von Luft-
zielen waren nur in geringer Zahl vorgesehen, erfuhren später aber , namentlich in England, eine ansehnliche Vermehrung. Die Feldartillerie war entweder ganz auf die Divisionen verteilt oder aber es blieb ein Teil als Korpsartillerie zur Verfügung des Kommandierenden Generals, wie in Frankreich und Italien.
Nur Japan
machte insofern eine Ausnahme, als es 3 Brigaden zu je 2 Regimentern außerhalb der Divisionen beließ, die je nach Bedarf zur Verstärkung einzelner Ameen dienen sollten. • Bei der verhältnismäßig kurzen Dauer des Bewegungskrieges dürften sich noch nicht genügende Anhaltspunkte dafür ergeben haben, berechtigung hat .
ob Korpsartillerie noch eine Daseins-
Durch Zuweisung der gesamten Feldartillerie auf
die Divisionen kann sie frühzeitig zu kraftvoller Verwendung gelangen, während es der Kommandierende General jede zeit in der Hand hat , sich eine Reserve aus ihr auszuscheiden , um sie an der Stelle , wo er die Entscheidung sucht, einzusetzen. Untersteht die Feldartillerie ausschließlich den Divisionen, so ist außerdem die beste Gewähr geboten für das verständnisvolle Zusammenarbeiten zwischen Führer und Truppe einerseits , zwischen Infanterie und Artillerie anderseits , mit anderen Worten für das gegenseitige Sich-Einleben.
Zudem verfügt der Kom-
mandierende General ohne weiteres als wuchtiges Schlachtenwerkzeug über die schwere Artillerie des Feldheeres, so lange sie noch außerhalb des Divisionsverbandes steht. Für den Einfluß der Artillerie auf die Gefechtshandlung ist das Verhältnis der Geschützzahl zur Infanteriestärke von Wichtigkeit . Die 9*
112
Die Artillerie unserer Feinde im jetzigen Kriege.
Artillerie soll das Gerippe des Kampfes bilden, an dem die Infanterie Halt findet. Je ausgedehnter die Gefechtsfronten, begünstigt durch die verbesserten Feuerwaffen, werden können , um so mehr muß sich das Bedürfnis nach zahlreicher Artillerie herausstellen, damit ausreichende Teile von ihr dort, wo Infanterie auftritt, zu deren Unterstützung bereit stehen. Diese Forderung findet aber ihre Grenzen in den tiefen Marschkolonnen der Artillerie, durch die das Erscheinen der Infanterie auf dem Gefechtsfelde über das zulässige Maß verzögert wird , in zu weit gehender Beschränkung des Entwicklungsraumes , den die Infanterie braucht, und auch in der Sicherstellung ausreichender Munitionszufuhr. Frankreich verfügte in dieser Hinsicht über die größte Geschützzahl , nämlich einschließlich der 6 zu sofortiger Verwendung in Aussicht genommenen Verstärkungsbatterien über 144 und unter Hinzurechnung der 8 bei jedem Armeekorps vorhandenen , zur Feldartillerie zählenden , kurzen 15,5 cm- Kanonen über 152 Geschütze . Im Gegensatz dazu besaß Rußland nur 108 Geschütze auf das Armeekorps , einschließlich 12 leichte Feldhaubitzen. Die übrigen Staaten wiesen einen mittleren Bestand auf. Die Batteriestärke an Geschützen betrug 4.
Ausnahmen machten.
England und bei den Haubitzen auch Rußland mit 6, dieses ferner bei allen Kanonenbatterien mit 8 Stück, die auch in Halbbatterien zerlegt
werden
können .
Die
Zusammensetzung nach
der
Zahl
hätte von der Leistungsfähigkeit abhängig gemacht werden müssen. Denn da 4 moderne Schnellfeuergeschütze im Flügelfeuer , das in der Feldschlacht die Regel bilden muß, mindestens die gleiche Wirkung hergeben können, wie 6, so ist es folgerichtig, die kleineren Schießeinheiten anzunehmen und die verfügbar bleibenden Geschütze zur Bildung weiterer zu verwenden .
Dadurch gelangt man nicht nur zu
einer größeren Zahl leistungsfähiger Batterien , sondern auch taktischer Einheiten , der Abteilungen .
Nehmen wir Frankreich mit 144 Feld-
geschützen für das Armeekorps an, so konnte man aus ihnen 36 Batterien zu 4, statt 24 zu 6 Geschützen und 12 statt 8 Abteilungen zu je 3 Batterien aufstellen . Es stehen dann 4 vollwertige taktische Einheiten mehr zur Verfügung , die sich bei größerer Frontausdehnung des Korps zur Streckung des Kampfgerippes bezahlt machen müssen. Die Bewaffnung mit Kanonen war insofern eine gleichmäßige , als alle Artillerien Rohrrücklaufgeschütze eingeführt hatten, deren für fahrende und reitende Batterien übereinstimmendes Kaliber um 7,5 cm herum liegt . Eine Ausnahme machte nur England , dessen fahrende Batterien Rohre von 8,32 cm Seelendurchmesser besitzen, Übereinwährend diejenigen der reitenden nur 5,7 cm aufweisen . stimmend waren ferner die Ausstattung mit Schrapnels und Granaten
Die Artillerie unserer Feinde im jetzigen Kriege.
113
im Gewicht zwischen 6,5 und 7,24 kg und die im Schnellfeuer abzugebenden Schußzahlen .
Während beide Geschoßarten im allgemeinen
gleiches Gewicht besitzen , beträgt dasjenige der französischen mit sehr starker Sprengladung versehenen Granate nur 5,32 kg gegen 7,24 kg des Schrapnels . Dadurch fallen die Flugbahnen auseinander , was beim Wechsel der Geschoßart störend ins Gewicht fällt und den Munitionsersatz umständlicher gestaltet.
Wie die vorhandenen Unterschiede in
der Wirkung zum Ausdruck kommen , wird sich schwerlich nachweisen lassen. Das mit Bz verfeuerte Schrapnel hat durch größere Zahl gleichschwerer Füllkugeln
Anwartschaft
auf überlegene
Kugelgarbe und damit bessere Treffergebnisse .
Dichtigkeit
der
Besitzt es aber einen
größeren Kegelwinkel oder eine geringere Endgeschwindigkeit , ist seine Flugbahn stärker gekrümmt oder sind die Streuungen seines Zünders bedeutender, als diejenigen eines anderen kleinerer Kugelzahl , so kann gleichwohl dessen Wirkung überlegen sein.
Ähnlich liegen die Ver-
hältnisse bei den mit Az verfeuerten Sprenggranaten.
Auch bei ihnen
können durch Empfindlichkeit des Zünders , Beschaffenheit des Aufschlaggeländes , durch größere oder geringere Genauigkeit des Einschießens und Unterschiede in den Flugbahnstreuungen die Vorzüge einer höheren Zahl Sprengstücke mit stärkerer Durchschlagskraft durch ein weniger vollkommenes Geschoß ausgeglichen oder überboten werden. Im allgemeinen wird diejenige Artillerie die Anwartschaft auf bessere Wirkung haben, die durch sorgsame Erkundung und zuverlässige Zielbeobachtung, zutreffende Entfernungsermittelung, Wahl des geeigneten Geschosses und Schießverfahrens unter Ausnutzung der Zeit dem Gegner mit ausreichender Wirkung die Vorhand abgewinnt , zugleich dafür Sorge tragend, daß ihre Feuerzucht durch feindliche Geschosse nicht mehr , als durch die Verhältnisse bedingt, gestört wird. Von der Tragweite der Kanonen sei noch erwähnt , daß sie im Az zwischen 8000 und 8500 m endet , im Bz mindestens bis zu 5500 m , höchstens bis 6800 m reicht . Den Japanern soll es sogar gelungen sein, den Brennzünderbereich bis 7200 m auszudehnen. Zugegeben muß werden, daß in der Leistungsfähigkeit die französische Kanone M/97 bei weitem den ersten Platz einnimmt. Sie überragt de anderen durch ihre gestreckte Flugbahn, Rasanz und Durchschlagskraft der Schrapnelkugeln und den um mindestens 800 m weiter reichenden Brennzünder.
Welche Vorzüge dessen größere Aus-
dehnung mit sich bringt, trat , wie erwähnt, im Russisch- Japanischen Kriege deutlich in die Erscheinung. Und wie aus zahlreichen Mitteilungen hervorgeht, haben die Franzosen im jetzigen Kriege von ihrer bezüglichen Überlegenheit den ergiebigsten
Gebrauch gemacht, so zum
Flankenfeuer ,
rückwärtiger
durch
Unsichermachen
Verbindungen ,
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Die Artillerie unserer Feinde im jetzigen Kriege.
Verhindern des Heranführens von Reserven oder Munition , Störung der Truppen auf Sammelplätzen oder beim Stellungswechsel. Aushilfsweise kann dazu auch die weiter reichende Granate mit Az gebraucht werden, aber mit geringerem Erfolg. Leichte Feldhaubitzen besaßen zu Beginn des Krieges nur die englische und russische Armee, jene vom Kaliber 11,4 cm, diese von 12,0 und 12,2 cm . Sie verfeuern Granaten mit Az und Schrapnels einheitlichen Gewichts , das in England 17,50 , in Rußland 20,5 bzw. 23,0 kg beträgt , und sind mit Einrichtungen für Schnellfeuer versehen. Die größten Schußweiten sowohl mit Az als Bz sollen 6500 , in Rußland sogar bis über 7000 m betragen. Das Fehlen leichter Feldhaubitzen in Frankreich ging aus dem Unterschätzen des Steilfeuers hervor. Benutzung von Deckungen
Als die allgemein zunehmende
dazu zwang, ihm mehr Beachtung zu
schenken, wollte man sich dadurch helfen , daß man die Flugbahn der Feldgranaten durch Aufsetzen einer Scheibe auf den Geschoßkopf vor dem Gebrauch stärker krümmte, wodurch größere Einfallwinkel erreicht werden konnten. Das Schießverfahren gestaltete sich umständlich und die Treffgenauigkeit litt hierbei.
Die bereits in Truppenversuche
genommene 10,5 cm- Haubitze wurde zunächst nicht eingeführt . nach Beginn des Krieges entschloß man sich dazu .
Erst
So viel bekannt ,
beträgt das Geschoßgewicht 16 kg , übereinstimmend für Granaten und Schrapnels , die größte Schußweite 6400 m, vermutlich sowohl für Az als Bz, und die in der Minute abzugebende Schußzahl soll 12 erreichen, was sehr hoch wäre. Daraus würde sich das Bild eines recht leistungsfähigen Geschützes ergeben . Die Beweglichkeit der bisher besprochenen beiden Geschützarten scheint im allgemeinen genügt zu haben. Man hielt bis zum Kriege an dem Erfahrungssatze fest , daß die dem einzelnen Pferde zuzumutende. aus dem Gewicht des ausgerüsteten Geschützes hervorgehende Zuglast mit Rücksicht auf Dauerbewegungen , auch in stärkerer Gangart oder auf schwierigem Gelände. 300 kg nicht übersteigen dürfe.
Tatsächlich
sind den Gespannen nicht unerheblich größere Dauerleistungen abverlangt worden und sie haben sie in der Regel hergegeben. Ausnahmefälle, wie auf aufgeweichtem Lehmboden oder auf steileren Hängen usw, können die Erfahrung nicht umstoßen. Alle hier in Betracht kommenden Staaten mit Ausnahme Englands traten mit schwerer Artillerie des Feldheeres in den Krieg ein. Sie hatten sich bis auf Frankreich, das eine kurze 15,5 cm- Kanone annahm, für Haubitzen entschieden , deren Kaliber sich um 15 cm herum hält (in Japan außerdem auch 12 cm Seelendurchmesser). Sie verfeuern Granaten und mit Ausnahme Rußlands auch Schrapnels von etwa 40 kg
Die Artillerie unserer Feinde im jetzigen Kriege.
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Gewicht, jene mit starker Sprengladung, diese mit 1000-1300 Füllkugeln auf Entfernungen bis 6500 m.
Außerdem waren in Rußland
und Japan noch 10,67 bzw. 10,5 cm - Kanonenbatterien vorhanden , die, zur kräftigen Fernwirkung bestimmt, in Japan mit Az Schußweiten von 9800, mit Bz von 8500 m erreichen sollen. Die Leistungen dieser russischen Geschütze dürften annähernd gleichwertig sein. Was Unterstellung unter große Truppenverbände und Stärke anlangt , so ist nur bekannt , daß in Frankreich, wie schon erwähnt , die kurzen 15,5 cm- Kanonen zu je 8 als Teile der Feldartillerie zu den Armeekorps gehören , in Rußland zwölf 15,24 cm-Haubitzen und sechs 10.67 cm- Kanonen als besonderer Verband in den Militärbezirken vorhanden sind. Über die Beweglichkeit der schweren Artillerie im Bewegungskriege und ihre Ausstattung mit besonders kräftiger Bespannung ist nichts an die Öffentlichkeit gelangt. Der lang anhaltende Stellungskrieg konnte keine Gelegenheit zum Sammeln von Erfahrungen bieten. Damit sind in großen Umrissen die Geschütze aufgezählt , über die unsere Feinde zu Beginn des Feldzuges verfügten. Mit dem Erstarren des Bewegungs- zum Stellungskriege entziehen sich die nach und nach zu ihm herangeholten Geschütze nach Art und Zahl dem Einblick und der Beurteilung ihres Einflusses im einzelnen . Sehr bald erkannten unsere Feinde, daß sie mit den bisherigen artilleristischen Kampfmitteln weder die in der Verteidigung geschaffenen Anlagen zerstören oder unbenutzbar machen, noch ihre Um dennoch ihren Zweck zu erBesatzung niederringen könnten. reichen, zogen sie namentlich schwere und weittragende Geschütze aus der Festungs- und Schiffsartillerie , selbst veralteter Bestände , heran und traten in die Erzeugung neuer, besonders wirksamer Geschütze und Geschosse ein, England und Frankreich darin kräftig von dem neutralen Nordamerika, Rußland durch Japan unterstützt . Was dem Massenansturm der verbündeten Heere nicht gelungen war , sollte jetzt die ins Fabelhafte gesteigerte Massenwirkung der Artillerie durchsetzen. Aus diesem Vorgehen heraus wurde eine reich ausgestattete Musterkarte an Geschützen zusammengebracht, verschieden für Flachbahnund Steilfeuer, nach Kaliber, Konstruktion und Munitionsausstattung. Besonders reich nach Zahl und Zusammensetung ist sie auf unserer Westfront, wo England und Frankreich ihre und ausländische Erzeugnisse vereinigt haben . So ist dort außer dem für den Feldgebrauch vorhandenen Gerät die Anwesenheit von 12, 22 , 27, 28, 30,5, 34 und 38 cmGeschützen erwiesen. Außerdem soll eine neugeschaffene 40 cm- Schiffskanone eingesetzt sein. Die von französischer Seite aufgestellte Be
1
116
Die Artillerie unserer Feinde im jetzigen Kriege.
hauptung, daß 20 verschiedene Arten im Gebrauch und nicht weniger als 15000 Geschütze vorhanden seien, besitzt durchaus Anwartschaft auf Glaubwürdigkeit.
Mit Hilfe dieses enormen Aufwandes an Zer-
störungskraft sollen die Deckungen weggefegt, den Verteidigern der Aufenthalt in ihren Werken unmöglich gemacht , alle Bewegungen Daher die hinter den Verteidigungsanlagen unterbunden werden. Steigerung des Kraftaufwandes bis zum Trommelfeuer , durch das ansehnliche Flächen der Front nach Breite und Tiefe gewissermaßen mit Geschossen gepflastert werden , so daß sich kein Lebewesen auf ihnen mehr halten kann .
Nicht genug damit , soll in Frankreich nach ver-
schiedenen Zeitungsmeldungen ein 52 cm- Riesengeschütz hergestellt und in Versuch genommen sein , dessen Granate, je nachdem es sich um einen Mörser oder eine nach Art der Schiffsgeschütze gebaute Kanone handelt , schätzungsweise ein Gewicht von 1080 bzw. 1930 kg mit einer Sprengladung von 315 bzw. 580 kg besitzen würde.
In solchen Ge-
schossen ist eine Stoßkraft aufgespeichert , von der man sich kaum mehr eine Vorstellung machen kann .
Man muß sich fragen, welchen
Zwecken solche Ungeheuer dienen sollen, ob zur Zerstörung unserer Panzerfestungen , wenn es je zu ihrer Belagerung kommen sollte, oder zum Durchschlagen stark eingedeckter Schutzbauten tief unter der Erdoberfläche in unseren Verteidigungsstellungen. Generalleutnant Rohne, der die Berechnung der Gewichte anstellte , hält die Konstruktion als Kanone für die Dauer dieses Krieges ausgeschlossen, als Mörser zwar möglich, glaubt aber, daß die Nachricht ein Phantasiegebilde sei. Im Vergleich zu den gewaltigen Anstrengungen in Erzeugung neuer Geschütze und Anhäufung verderbenbringender Feuerschlünde auf den Schlachtfeldern ist es ein , wenn auch geringer Trost, daß in Frankreich durch Rohrzerspringen bis Ende 1915 nicht weniger als 400 Geschütze zerschlagen sein sollen .
Wenn schon bei Feldrohren
durch Zusammensetzung und Bearbeitung des Metalls der Zertrümmerung durch springende Geschosse vorgebeugt werden kann , so ist diese Sicherheit doch nicht mehr zu erreichen, wenn größere Sprengladungen Verwendung finden.
Deshalb ist ohne weiteres anzunehmen ,
daß mit den Rohren gleichzeitig eine große Zahl Bedienungsmannschaften zur Strecke gebracht sein werden . Die Häufigkeit des Vorkommnisses dürfte mit der weniger sorgfältigen Massenanfertigung der Zünder während des Krieges in erster Linie in Zusammenhang stehen und diese Erscheinung ebenfalls in den anderen feindlichen . Armeen auftreten.
Nicht wenige Rohre werden auch durch die Über-
anstrengung beim Massenfeuer unbrauchbar geworden sein. Im Gegensatz zu den schweren Kalibern kommen Zwerggeschütze bis herab zum 3,7 cm Kaliber zum Gebrauch in den Schützengräben
Die Artillerie unserer Feinde im jetzigen Kriege.
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vor, die nur Sonderzwecken dienen und örtlich eng begrenzte Wirkung hervorrufen können . Nach Aufführung der gegen unsere Fronten in Tätigkeit gesetzten Geschütze soll ihre Wirkung kurz beurteilt werden. Die zahlreichen und überwiegend schweren Verwundungen durch Schrapnelkugeln , die fast ausnahmslos auf Rechnung der Feldgeschosse zu setzen sein dürften, liefern den Beweis , daß das mit Bz verfeuerte Schrapnel die auf es gesetzten Erwartungen voll erfüllt hat . Im Bewegungskriege mußte es das Hauptgeschoß für das Bekämpfen von Truppen, soweit sie nicht hinter Deckungen, innerhalb hochstämmiger Wälder oder unter Eindeckungen standen , bleiben. Die große Tiefenwirkung und Ausbreitung seiner Kugelgarbe machen es überall da unersetzlich, wo wegen unbekannter Entfernung und Beweglichkeit der Ziele auf eine genaue Entfernungsermittelung nicht zu rechnen ist , das Einschießen vielleicht nur in weiteren Grenzen erfolgen konnte , gleichwoll schnelle Wirkung eintreten soll .
Auch zum Niederhalten .
der Besatzung eines Werkes , damit sie zur Abwehr eines Angriffs nicht. an der Feuerlinie erscheinen kann, bietet es unseren Feinden , die ihre Granaten ausschließlich mit Az abgeben, das wirksamere Mittel . In diesem Sinne macht im Stellungskriege der Angreifer von dem Schrapnel mit Bz Gebrauch, wogegen es der Verteidiger zur Abgabe von Sperrfeuer benutzt, durch das er dem Angreifer eine mit Geschoßteilen gefüllte Zone vorlegt , die der nicht oder nur unter schwersten Opfern zu überwinden vermag . Zu diesem Verfahren ist die Feldartillerie durch das Schnellfeuer ihrer Geschütze befähigt , das zu Schußzahlen von 20 in der Minute (nach französischen Behauptungen bis zu 30) gesteigert werden kann , weil es hierbei nicht auf Genauigkeit bei Vorbereitung jedes einzelnen Schusses ankommt und die meist gleichbleibende Entfernung ein Nachrichten des feststehenden Geschützes von Schuß zu Schuß unnötig macht. Da es sich beim Sperrfeuer in der Regel nur um einen Raum von geringer Tiefe auf bekannter Entfernung handelt , so hat dazu auch die Feldgranate mit Az Verwendung gefunden. Weitgehenden Gebrauch machten unsere Feinde vom Schrapnel Bz zur Gefährdung größerer Geländeabschnitte, in denen Truppen festgestellt oder vermutet wurden, meist in der Absicht, das Heranführen von Verstärkungen oder Bedürfnissen aller Art zu verhindern .
Für
diese Zwecke erweisen sich die Kanonenbatterien der schweren Artillerie des Feldheeres in der Wirkung des Einzelschusses überlegen durch die Reichweite des Brennzünderbereichs , sowie die sehr vielen , besonders durchschlagskräftigen Füllkugeln ihrer Schrapnels .
Ihre Zahl ist in-
dessen gering und ihre Feuergeschwindigkeit reicht an diejenige der
118
Die Artillerie unserer Feinde im jetzigen Kriege.
Feldkanone nicht annähernd heran .
Bei dieser Verwendung können
die schweren Feldhaubitzen natürlich kräftig unterstützend eingreifen, soweit sie mit Schrapnels ausgerüstet sind. Gegen feststehende lebende Ziele hat die Granate an Bedeutung Vorbedingung allerdings bleibt es, daß genügende Beob-
gewonnen.
achtung möglich ist , um die Aufschläge in einen dem Wirkungsbereich des Geschosses angemessenen Abstand zum Ziele zu legen . Je kleiner die Granate, desto weniger wirkungsvolle Sprengstücke liefert sie und diese breiten sich nur in mäßigem Umfange aus. Mit dem Anwachsen des Gewichtes von Geschoß und Ladung nimmt nicht nur die Zahl und Stoßkraft der Sprengstücke ansehnlich zu , sondern sie werden auch nach allen Richtungen auseinander getrieben. Das ist wichtig für das Bekämpfen von Schildbatterien, weil eine große Zahl der Sprengstücke , liegt der Aufschlag nicht zu weit ab (etwa 50-80 m), die Schilde durchschlagen oder die Bedienung von seitwärts oder sogar rückwärts erreichen kann. Daß die französischen Melinitgranaten der Feldkanonen letztere Eigenschaft ebenfalls besitzen, war schon erwähnt. Von den Granaten der leichten Haubitzen an aufwärts lassen Treffer ein Geschütz in seine einzelnen Bestandteile zerreißen, so daß sie, herumgeschleudert , kaum noch aufzufinden sind, der Inhalt der Munitionswagen wird zur Schon durch den Luftdruck können Mann-
Entzündung gebracht.
schaften umgeworfen und ihre inneren Organe beschädigt , Fahrzeuge umgestürzt oder weggeschleudert werden. Dementsprechend fällt der schweren Artillerie des Feldheeres die Bekämpfung der feindlichen Artillerie, der Befestigungsanlagen , Örtlichkeiten, wie überhaupt aller stehenden Ziele von hoher Widerstandskraft einschließlich der Drahthindernisse zu .
Nach den Anschauungen bis zu
Beginn des Krieges mußte ihre Wirkung gegen alle im Feldkriege vorkommenden derartigen Ziele als völlig ausreichend gelten. Schwerere Geschütze forderte zu Lande der Festungskrieg und die Abwehr feindlicher Angriffe von See aus. Das Heranschaffen der verfügbaren größten Kaliber für den jetzigen Stellungskrieg hat daher seine Ursache nicht sowohl in außergewöhnlich widerstandsfähigen Zielen , wie sie der Zerstörungskraft dieser Geschütze entsprechen würden , als vielmehr in der Absicht , die entgegenstehenden Truppen leiblich und seelisch zugrunde zu richten und ihre Verteidigungsanlagen , gleichviel ob über oder unter der Erde , unhaltbar zu machen und zu vertilgen, mit anderen. Worten alles , was im Bereich ihrer Geschoßaufschläge vorhanden ist , zu zermalmen. Mit den wuchtigsten Granaten würden auch die tief unter der Erdoberfläche angelegten Unterkunftsräume erreicht werden . Man vergegenwärtige sich nur die Verheerungen , die in den belgischen Forts nicht allein durch Treffer unserer 42 cm- Granaten , sondern schon
Die Artillerie unserer Feinde im jetzigen Kriege.
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durch ihren Luftdruck beim Springen in der Nähe eines Panzerturmes hervorgerufen wurden. Dort ist auch von Augenzeugen festgestellt , daß ein solches Geschoß die 7 m dicke Erddecke und dann noch eine Betonschicht von 2,2 m durchschlug, und ferner gelegentlich der Rückeroberung von Przemysl, daß eine 30,5 cm - Granate einen Trichter von 6 m Tiefe in die Erde gebohrt hatte. Dieser Vernichtungsmöglichkeit gegenüber gewährt es eine gewisse Beruhigung , daß die Wahrscheinlichkeit des Getroffenwerdens der unterirdisch angelegten Schutzräume nicht eben groß ist.
Das liegt in ihren verhältnismäßig kleinen Abmessungen , ihrer der Sicht entzogenen Anlage und unregelmäßigen Verteilung, sowie in den großen Schußentfernungen begründet. Schon bei den ersten Gefechten wurde die Wahrnehmung gemacht, daß uns französische Geschosse bereits auf Entfernungen erreichten , auf denen wir sie noch nicht erwarteten, und daß solch überraschendes Fernfeuer zuweilen recht störend wirkte . Richtete es auch wenig materiellen Schaden an, so wurden doch die Entschließungen und ihre Ausführung beeinträchtigt . Ebenso beobachteten wir frühzeitig , daß die schlecht gefertigte russische Feldmunition häufig Versager ergab, so daß die von ihnen erwartete Wirkung ausblieb. Ferner wurde die aus dem Russisch- Japanischen Kriege gewonnene Erfahrung bestätigt , daß offen auf Kampfentfernung in Stellung gegangene Batterien fast ausnahmslos sehr schwere Verluste erlitten oder ganz zusammenbrachen. Damals fielen die russischen Batterien den Schrapnels der Japane in kurzer Zeit zum Opfer. In diesem Kriege schließen die Schutzschilde ähnliche Erfolge der Schrapnelkugeln aus, dagegen ist. die Vernichtung durch Sprenggranaten noch nachdrücklicher , sofern Die von ihnen zu erwartenden schweren
genaues Einschießen gelang.
Verletzungen und die Zertiümmerung des Geräts sind vorstehend bereits angedeutet . Durch diese Gefahr für den Fortbestand der Truppe mußte das Aufsuchen verdeckter Stellungen und das indirekte Schießen zur Regel werden . Das wieder zwang zu besonderen Erkundungsmaßregeln , um sich ausreichende Kenntnis über das zu bekämpfende Ziel zu verschaffen und das Einschießen dagegen regeln zu können . Auf geeignete Punkte entsandte und mit den Batterien telephonisch verbundene BeobachtungBeobachter genügten dazu oft nicht mehr , weshalb die aus der Luft ergänzend einsetzen mußte. Um diese umgekehrt von sich selbst abzuweisen, traten besondere Abwehrkanonen in Tätigkeit, soweit die vorhandenen Feldgeschütze der Aufgabe nicht gerecht werden konnten . Nach den Absichten unserer Feinde steht uns ein erneuter ,gewaltiger Ansturm bevor, bei dem , wie vorauszusehen, ihre Artillerie noch kräftiger nach Zahl und Wirkung der Geschütze eingesetzt werden soll,
120
Die ,, belgischen Greuel" im Urteil eines Neutralen.
als bisher.
Weit überbieten können sie sich darin kaum mehr.
Ihre
Unternehmungen sind bisher an dem zähen Standhalten unserer unvergleichlichen Truppen gescheitert und so steht zu hoffen , daß auch alle weiteren Versuche an diesem ehernen Walle zerschellen werden .
XI .
Die ,,belgischen Greuel"
im Urteil eines
Neutralen.
Von Frhr. v. Welck, Oberstleutnant a. D.
Vor nahezu Jahresfrist ist in der Schweiz und aus der Feder eines Schweizers eine kleine Schrift erschienen, auf die an dieser Stelle die Aufmerksamkeit gelenkt werden soll.
Sie behandelt ein Thema , das
seit den ersten Tagen des Kriegsbeginns Gegenstand der lebhaftesten Erörterungen gewesen ist und zu den schärfsten Vorwürfen gegen die deutschen Truppen und die deutschen Behörden Anlaß gegeben hat. Es handelt sich um unseren Einmarsch in Belgien , um unsere Kriegführung daselbst und um das Verhalten unserer Truppen .
Kaum über
eine andere Episode des Krieges ist soviel gesprochen und namentlich soviel geschrieben worden, wie über diese. Unter dem Titel : ,, Belgische Greuel" sind Bände erschienen und der deutschen Kriegführung und den deutschen Truppen die unglaublichsten Vorwürfe gemacht worden, die von unseren Gegnern auf allen Wegen und mit allen Mitteln der ganzen Welt , namentlich den Neutralen , zugänglich gemacht wurden. Wohl sind auch Gegenschriften und Berichtigungen erschienen , aber es bleiben noch immer viele und schwere Anschuldigungen hängen. Diese Anschuldigungen erstrecken sich nach zwei Richtungen : Mißhandlung der Einwohner und Zerstörung von Ortschaften und Baulichkeiten, namentlich von Kirchen und Kunstdenkmälern sowie Kunstschätzen .
Solche Schriften , die für und wider erscheinen , setzen
sich stets dem Verdacht der Parteilichkeit aus , wenn sie einer der am Kriege teilnehmenden Nationen entstammen .
Es ist deshalb im
hohen Grade beachtenswert, wenn von der Hand eines Unparteiischen eines Schweizer Fachmannes, eine Besprechung nach eigenem Augen-
Die ,, belgischen Greuel" im Urteil eines Neutralen . schein veröffentlicht wurde¹ ) .
121
Sie behandelt allerdings nur die zweite
Form der gegen uns erhobenen Anklagen - die Zerstörung von Ortschaften und Kunstdenkmälern. Hier ist der Verfasser - ein Architekt - Autorität. Die hier zutage tretenden Beweise für das Unbegründete dieser Anklagen und Anschuldigungen lassen aber einen Rückschluß zu auf den Wert der von denselben Seiten gegen unsere Kriegführung, gegen unser Verhalten in Feindesland gerichteten. Der Verfasser sagt, daß er im November und Dezember 1914 die vom Kriege heimgesuchten Städte und Provinzen Belgiens besucht habe , um sich mit eigenem Auge ein Urteil über den Zustand der historischen Bau- und Kunstdenkmäler zu verschaffen, die angeblich von den deutschen Truppen ,,von Grund aus" zerstört sein sollten . Zu diesem Zwecke besuchte er die Städte Löwen , Aerschot , Lier , Antwerpen, Mecheln , Brüssel , Gent , Brügge, Aalst , Dendermonde ; weiter Namur , Dinant, Huy und Lüttich.
Später ist er noch zweimal nach
Belgien gegangen, um an der ,, Kriegstagung für Denkmalspflege" teilzunehmen und als Neutraler über den Schutz der Denkmäler im Krieg mitzuberaten und sodann verschiedene
Städte nochmals zu
bereisen, um so feststellen zu können , ,, ob und wie sich diese im ersten Kriegsjahre von den Kriegsschrecken erholt haben und was für Folgen die deutsche Okkupation gezeitigt hat" . Er sagt : ,,Es ist und wird immer noch in Broschüren und Zeitungen sehr viel Unsinn über das besetzte Belgien geschrieben ...
Keine Schauermähr ist zu lächerlich,
keine Erfindung zu dumm . . . um nicht als willkommene Sensationsmeldung in irgendeinem vielgelesenen Schmierblatt seinen Platz zu finden." Der Verfasser wirft zunächst einen Blick auf Belgiens Geschichte der Architektur .
Kaum eine Stadt gibt es, die nicht architektonische
Kunstschätze aufzuweisen hat . Über das ganze Land ist nun der Krieg gezogen und man hat den Deutschen nachgesagt, daß sie wie Barbaren gehaust hätten , daß die herrlichsten Bauwerke von ihnen vernichtet, die fruchtbarsten Landesteile von ihnen zerstört worden seien, nicht zu reden von den Taten, die die Bevölkerung zu erleiden gehabt habe" ,, Glaubt man wirklich," fährt er fort , daß ein Volk,
das auf dem Gebiete der Denkmalspflege so Hervorragendes
geleistet hat , das jährlich Unsummen für die Erhaltung seiner Kunstdenkmäler aufwendet , daß dieses Volk einer , absichtlichen und mutwilligen Zerstörung kunst- und kulturgeschichtlicher Werte sein soll ?"
fähig
,, Wie stellen sich diejenigen , welche von Barberei und
1 ) Belgien. Eindrücke eines Neutralen von Eugen Probst , Architekt in Zürich . Zürich 1916 .
122
Die ,,belgischen Greuel" im Urteil eines Neutralen.
Vandalismus reden, eigentlich einen Krieg vor, der Hunderttausenden von Menschen das Leben kostet , der Wohnungen zerstört ?"
Tausende von menschlichen
Wundern muß man sich, aber auch fest-
stellen , daß von den großen nationalen Denkmälern kein einziges zerstört ist. ,,Wie ganz anders ", schreibt der Verfasser, ,,haben doch die Franzosen in der Pfalz gehaust, wo 1689 das Heidelberger Schloß in Flammen aufging, oder 1695 in Brüssel , wo die ganze mittelalterliche Stadt bis auf St. Gudula , das Rathaus und die Kirche Notre Dame de Sablon zerstört wurde !" Des Verfassers erster Besuch galt Löwen , der Stadt, über die am meisten geschrieben und gelogen worden ist.
Hier wurden be-
kanntlich am Abend des 25. August unsere Truppen
von
der Be-
völkerung meuchlerisch überfallen. Vom Stabe des Generalkommandos , im Begriff, auf dem Marktplatz die Pferde zu besteigen, wurden fünf Offiziere verwundet, sämtliche Pferde getötet. Auch die auf dem Bahnhof ankommenden deutschen Truppen wurden mit Gewehrfeuer empfangen. Es entwickelte sich ein heftiger Straßenkampf, der vom 25. abends bis 26. mittags dauerte und mit der Niederwerfung des Aufstandes endete . Zahlreiche Gebäude gingen in Flammen auf und die ersten Nachrichten lauteten dahin, daß Löwen ,, vollständig vernichtet" sei.
Auch Waxweiler¹ ) schreibt , daß die ,, schönsten Teile
von Louvain" zerstört worden seien.
Was schreibt nun Probst hierzu ?
,,Das in den Jahren 1447-1463 von Math. de Layens erbaute , unvergleichliche Rathaus, zum Schönsten gehörend , das die brabantische Kunst hervorgebracht hat , hat in jener Schreckensnacht der deutsche Kommandant durch das Sprengen der brennenden Nachbarhäuser, die das Bauwerk bedrohten und durch Spritzen gerettet , so daß es heute unversehrt dasteht." Er bemerkt dazu ausdrücklich, daß die Bevölkerung den Rettungsarbeiten keinerlei Unterstützung gewährte . Eine Beschießung durch Brandgranaten, wie fälschlich berichtet wurde , hat nie stattgefunden.
Das ganze Kircheninnere, vielleicht das
schönste ganz Belgiens , ist unversehrt geblieben . ,, Die beiden berühmten Gemälde von Dierick Bouts , die zu den kostbarsten und unersetzlichen Kunstwerken Löwens gehören , sind noch während des Brandes von deutschen Offizieren in das gegenüberliegende Rathaus gerettet worden."
Der schmerzlichste Verlust ist die
durch Brand vernichtete Universitätsbibliothek. Hierzu sagt Probst, daß sie, ebenso wie das Universitätsgebäude selbst, hätte gerettet werden können ,,,wenn auch nur die einfachsten Vorkehrungen gegen einen Brandausbruch vorhanden gewesen wären".
Weder der Haus-
1 ) E. Waxweiler : Hat Belgien sein Schicksal verschuldet ? 1915 .
Zürich
Die ,,belgischen Greuel" im Urteil eines Neutralen .
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wart noch der Bibliothekar , noch einer der Professoren war zur Stelle , um etwa die kostbarsten Handschriften zu retten. Die deutschen Truppen haben ,, die wertvollen Bilder nach dem Rathaus gerettet und hätten es jedenfalls mit den wichtigsten Beständen der Bibliothek ebenfalls getan, wenn ihnen deren Vorhandensein bekannt gewesen wäre". Die zweite Stadt, die der Verfasser besuchte, war Aerschot , 15 Kilometer nördlich von Löwen. Hier wurde der deutsche Kommandant, nachdem er einer Einladung des Bürgermeisters Folge geleistet hatte , von den Belgiern meuchlings erschossen. Es wurde infolgedessen ein Strafgericht über die Stadt verhängt, das aber dem der Schrift beigefügten Stadtplane nach, nur verhältnismäßig wenige GeAuch das Innere der Pfarrkirche ist unversehrt bäude zerstörte.
geblieben. Schlimmer sah es in Lier aus, dieser anfangs September so heiß umstrittenen kleinen Stadt vor Antwerpen , die schon zu den Vorwerken der Festung gehörte und infolge dessen von beiden Seiten, von den Belgiern und von den Deutschen, beschossen wurde. Der Turm der schönen Gommariuskirche diente als Beobachtungsstation und wurde deshalb unter Feuer genommen ; das Turmdach blieb aber intakt. Antwerpen selbst war einer zwölftägigen Belagerung und Beschießung ausgesetzt. Auch hier wurde der hohe Turm der Kathedrale von den Belgiern als Beobachtungsstation und für die Fernsprecher benutzt , trotzdem aber von den Deutschen geschont. Einzelne Wohnhäuser, wie ganze Häuserviertel haben durch das Bombardement naturgemäß gelitten, doch sind architektonische Werte hierbei nicht. verloren gegangen . Fünf Stunden südlich von Antwerpen liegt Mecheln , ,, ein Juwel der belgischen Lande ", eine alte Stadt mit ,, Kunstschätzen ersten Ranges". Mecheln wurde im September sowohl von den Belgiern wie von den Deutschen beschossen. Die an der Kathedrale entstandenen Beschädigungen können auf beiden Seiten des Baues genau verfolgt werden. Der Turm mit dem berühmten Glockenspiel ist von den Deutsch n geschont worden, obschon auch hier wieder eine Beobachtungsstation auf der Plattform aufgestellt war. Auch die Liebfrauenkirche, das malerische Schöffenhaus , die Abtei St. Troud sind nur ganz leicht beschädigt .
,,Alles in allem" , schreibt der Ver-
fasser,,,Kleinigkeiten von Schäden , über die gar nicht so ausführlich zu reden wäre , wenn nicht fortgesetzt noch die unwahren Meldungen über den , Trümerhaufen Mecheln
und die
gänzlich zerstörte Lieb-
frauenkirche ' usw. in den Spalten gewisser Zeitungen figurierten".
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Die ,, belgischen Greuel" im Urteil eines Neutralen.
Brüssel hat nicht die geringste Beschädigung oder gar Zerstörung erfahren ; ebensowenig Gent und Brügge , die beiden schönsten und malerischsten Städte Belgiens ; ein Beweis , daß die Städte, die sich frei― willig übergaben, vor jeder Zerstörung gesichert waren gewiß ein glänzendes Zeugnis für die deutsche Kriegführung, die uns in analogen Fällen unsere Gegner kaum nachmachen würden. Dendermonde und Aalst , zwei kleine , mitten im Kampfgebiete gelegene Städte , haben naturgemäß mehr gelitten , namentlich das erstere, das als kleine Festung, nicht weniger als neunmal abwechslunngsweise von Deutschen und Belgiern beschossen wurde. Über drei Viertel Die Liebfrauenkirche ist aber nur leicht aller Häuser sind zerstötr. beschädigt worden , während vom Rathause nur noch die Außenmauern stehen. Von Flandern wandte sich unser Gewährsmann nach Brabant und besuchte zunächst die Festung Namur , ein wichtiges Glied in der Kette der Maasbefestigungen. Stadt und Festung fielen gleich zu Anfang des Krieges in deutsche Hände. Während zahlreiche Privathäuser durch Belagerung und Beschießung gelitten haben, sind die Kirchen und die höchst wertvolle Sammlung von Altertümern in der ehemaligen ,, Fleischhalle" ganz unversehrt geblieben. Stromaufwärts an der Maas erreicht man Dinant , von dem Probst sagt, daß es fast ganz vernichtet worden sei , da mehrfach um dessen Besitz gekämpft wurde.
Am 23. August wurde es von den Belgiern ,
Franzosen und Deutschen beschossen.
,,Viele belgische Soldaten von
der garde civique vertauschten ihre Uniform mit bürgerlichen Kleidern. “ Nachdem dann am folgenden Tage die deutschen Truppen aus vielen Häusern und selbst aus Kellerlöchern von der Bevölkerung beschossen . worden waren, wurde ein großer Teil der Stadt niedergebrannt . prächtige Liebfrauenkirche hat aber wenig gelitten.
Die
Hier in der Um-
gebung von Dinant waren die deutschen Truppen ganz besonders vielen Überfällen durch Franktireurbanden ausgesetzt . Lüttich war bekanntlich die erste belgische Festung , die in deutsche Hände fiel. Nach Einnahme der Forts und der Zidatelle wurde die Stadt nicht mehr beschossen und alle Bauschönheiten sind daher voll་ Der Pont des Arches ist von den Belgiern ständig erhalten . gesprengt worden, und die Zerstörung des Häuserblocks bei der Universität hat ihre Ursache in dem Verhalten der Russischen Studenten, die dort gewohnt haben und die auch hier auf die deutschen Truppen geschossen haben. Aus denselben Gründen mußten auch einige Häuser im Arbeiterviertel verbrannt werden. " Der Verfasser schließt diesen Bericht über seinen ersten Besuch mit der Bemerkung, daß es demnach mit dem dermaligen Zustand der
Die ,,belgischen Greuel" im Urteil eines Neutralen .
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historischen Bau- und Kunstdenkmäler in Belgien bei weitem nicht so schlimm ist ,,, wie deutschfeindliche Blätter fortwährend schreiben". Die deutsche Zivilverwaltung hat sofort nach der Besetzung Belgiens eine eigene Organisation für die Erhaltung der Bau- und Kunstdenkmäler eingerichtet ,,,wofür ihr der Dank aller Kunstfreunde gebührt und besonders derjenigen, die durch maßlose Übertreibungen und falsche Gerüchte über die Arbeit der Barbaren' beunruhigt waren ... Die Deutschen sorgen in hohem Maße für die geordnete Pflege der baulichen Schönheiten des an ihnen so überreichen Landes ; das muß nicht nur unumwunden zugegeben werden , sondern verdient auch Anerkennung. Das nur durch bösen Willen hervorgerufene Geschrei über die blinde Zerstörung der alten Bau- und Kunstdenkmäler sollte daher endgültig verstummen." Als der Verfasser ein Jahr später wieder nach Belgien kam, fand er, daß es der deutschen Verwaltung gelungen war, Belgien in der kurzen Zeit eines Jahres wieder in einen geordneten Zustand zu versetzen. ,, Mag das Schicksal" , schreibt er,,,über das Land entscheiden , wie es will, die Belgier sind Herrn von Bissing für die großartigen Dienste , die er ihrem Vaterlande leistete , Dank schuldig" . Probst fand , daß man in den durch den Krieg beschädigten oder zerstörten Städten schon viel getan hatte, um die Schäden wieder herzustellen ; so namentlich in Löwen, Antwerpen , Dendermonde. Von Brügge schr ibt er , daß von dieser Stadt ganz besonders gern Berichte , meist falsche , über den Zustand der Stadt und das ,,Elend der Bevölkerung" gebracht werden. Von allen dem fand Probst nichts. Das Verhalten der deutschen Truppen war - im Gegensatze zu den Erzählungen französischer tadellos . Blätter von der Farbe des ,,Matin" Die Stadt ,,,wo der gute Eindruck , den der Besucher über das Leben und Treiben erwartet, nicht demjenigen anderer Städte entspricht " , ist Mecheln .
In keiner anderen belgischen Stadt fand der
Verfasser eine so ausgesprochen antideutsche
Gesinnung wie hier.
,,Kinderbettel und Faulheit der arbeitsfähigen Bevölkerung macht sich in unliebsamer Weise geltend. " „ Der passive Widerstand gegen alles was deutsch ist, scheint mir nirgends in dem Maß zum Ausdruck zu kommen, wie in Mecheln" , schreibt Probst. ,,Eine große Befriedigung gewährt es dem Reisenden , durchweg bestätigt zu finden , daß von dem in deutschfeindlichen Blättern noch fortdauernd enthaltenen Gejammer über das , belgische Elend' und d'e hungernde Bevölkerung das meiste auf Unwahrheit beruht . Es sind zum großen Teil nur böswillige Verleumdungen. " Probst schließt seine interessanten und wertvollen Betrachtungen mit der an die Belgier gerichteten Mahnung : ,, Beklagt euch nicht, ihr 10 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 546.
126
Die Bewohner der okkupierten Gebiete .
Belgier, so lange eure jetzigen Lebensgewohnheiten so wenig von den früheren unterschieden sind.
Erst wenn mal eines schönen Tages kein
Fleisch verkauft , Butter und Milch nur in begrenzten Mengen abgegeben werden und Seife mangelt, dann könnt ihr sagen : So , jetzt haben wir's immer noch so gut als die in Deutschland drüben. " Dieser kurzen Besprechung an der Hand der Probstschen Schrift fügen wir noch bei , daß Professor Dr. Paul Clemen , der im November 1914 einen Bericht über den Zustand der belgischen Kunstdenkmäler erstattete¹ ), zu genau dem gleichen Ergebnis kommt wie Probst.
XII .
Die Bewohner der
okkupierten
Gebiete.
Von Baumberger, Hauptmann a. D.
„La guerre n'est point une relation d'homme à homme, mais une relation d'Etat à Etat . . . “ J. J. Rousseau, Contrat social. I. Das Rechtsverhältnis zwischen Okkupant und Bevölkerung . In diesem Kriege hat
das Deutsche Reich weite Gebietsteile
Rußlands , Belgiens und Frankreichs okkupiert , Österreich- Ungarn Teile Rußlands, Italiens , Serbiens , Montenegros und Albaniens , Bulgarien hat serbischen , Italien österreich-ungarischen Boden besetzt , Frankreich einige Tausend Quadratkilometer deutschen Landes , und ungefähr die Hälfte Rumäniens ist von den Mittelmächten okkupiert. Und es erhebt sich nun die Frage, welche Wirkungen diese kriegerische Besetzung auf die Bewohner in den besetzten Ländern hat. Im Altertum und im Mittelalter waren die Beziehungen zwischen dem Okkupanten und den Landeseinwohnern insofern einfach, als die Bewohner als rechtlose Objekte der Kriegswillkür galten und keinen Anspruch auf Schutz oder Schonung hatten . Kombattanten und Nichtkombattanten waren gleichermaßen der schrankenlosen Gewalt des Siegers 1 ) Paul Clemen : Der Schutz der Kunstdenkmäler im 132. Flugschrift des Dürerbundes. Callwey, München .
Kriege.
Die Bewohner der okkupierten Gebiete . unterworfen.
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Wie lange sich diese Auffassung teilweise noch erhielt,
dafür ist ein Ausspruch Wellingtons bezeichnend, den er bei der Verteidigung seiner Kriegführung in Spanien gemacht haben soll : ,, Ich glaube, es hat sich immer von selbst verstanden , daß die Verteidiger einer Festung kein Recht auf Pardon haben. "
Dabei sind unter Ver-
teidiger im damaligen Sinne allgemein auch die Einwohner der befestigten Städte zu verstehen. Eine Änderung in dieser Anschauung bewirkte neben der fortschreitenden Anwendung der Humanität hauptsächlich die Einrichtung der stehenden Heere, wodurch die Staatsangehörigen in zwei Gruppen , Dies erin Kombattanten und Nichtkombattanten geteilt wurden. zeugte dann die natürliche Entwicklung, daß nur die Kombattanten als Träger des Krieges und der Kriegsmittel galten, und daß alle Nichtkombattanten als am Kriege nicht unmittelbar beteiligt, vom Kriegsschaden möglichst behütet und als Rechtssubjekte anerkannt wurden. Eine Verpflichtung zur Schonung der Person der friedlichen Landesbewohner hat namentlich der moderne Grundsatz, daß der Krieg nicht zwischen den Völkern, d. h. der Gesamtheit der Staatsangehörigen der feindlichen Staaten, sondern nur von diesen als solchen geführt wird, gebracht .
Der Staat steht dem Staate , nicht der Bürger dem
Bürger gegenüber.
König Wilhelm sagte in seiner Proklamation vom
11. August 1870 : ,, Ich führe den Krieg mit den französischen Soldaten, nicht mit den französischen Bürgern . "
Der gleiche Grundgedanke
findet sich in der Proklamation des englischen Generals Buller im Burenkriege vom 20. Mai 1900 d . d. New-Castle : ,,. . . Sa Majesté ne fait pas la guerte aux individus . ..
Le différend de la Grande- Bretagne
est avec le gouvernement et non avec la population du Transvaal" , und in der Proklamation des japanischen Generals Grafen Oyama im chinesischen Kriege vom 24. Oktober 1894 d . d . Ha-en-Ho : ,, C'est une affaire qui dépend des relations d'Etat à Etat et qui ne touche pas le peuple ..." Diese Grundsätze sind aufgestellt worden unter anderem schon im Projet d'une déclaration international concernant les lois et coutumes de la guerre, Brüssel 1874 (Brüsseler Konferenz) ; im Manuel de Droit international à l'usage des officiers de l'armée à terre , Paris 1878 ; im Manuel d'Oxford (Lois de la guerre sur terre , Manuel publié par l'institut de droit international) , Oxford 1880 ; im Projet de règlement de la commission d'études institué à l'occasion de mémoire de M. de Stein ; Annuaire de l'institut de droit international, Gent 1886 ; vor allem aber im Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 29. Juni 1899 (I. Haager Friedenskonferenz ) und im Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18. Oktober 1907 ( II. Haager Friedenskonferenz) . 10*
128
Die Bewohner der okkupierten Gebiete .
neueren Völkerrechtslehrer der ganzen Welt, vor allem die deutschen und die französischen , vertreten diese Grundsätze , die übrigens auch schon teilweise in den Feldinstruktionen für die Armeen der Vereinigten Staaten von Nordamerika vom Jahre 1863 Aufnahme gefunden hatten , wie auch im Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 , in der deutschen Kriegsetappenordnung und in der Felddienstordnung für das deutsche Heer. Wenn die rechtmäßige Staatsregierung infolge der kriegerischen Ereignisse die Staatsautorität in dem besetzten Lande nicht mehr ausüben kann, und wenn der Okkupant die Verwaltung des Landes tatsächlich in die Hand genommen hat , dann tritt die völkerrechtliche occupatio bellica mit allen den Rechten und Pflichten für den Okkupanten und für die Bevölkerung des besetzten Landes in Kraft, wie sie auf der I. und II . Haager Konferenz zwischen den Regierungen fast aller Staaten vereinbart worden sind.
Es ist jedoch zu beachten ,
daß die nach dem Einfall in das feindliche Land (invasio ) stattfindende Besetzung (occupatio bellica) nur ein provisorischer Zustand ist und als solcher auch nur provisorische Rechte erzeugt, und daß nur die Eroberung (occupatio imperii ) die durch den Friedensschluß oder die stillschweigende Anerkennung des besiegten Staates sanktioniert wird , die Souveränität und damit endgültige Rechte über den betreffenden Gebietsteil vom Besiegten auf den Sieger überträgt .
Der völkerrecht-
liche Zustand der kriegerischen Besetzung eines feindlichen Gebietes läßt sich also ungefähr folgendermaßen umschreiben : Sobald die in Feindesland eingedrungene Armee die Verteidiger zurückgeschlagen hat und weiter in das Land eingedrungen ist , wird sich die Notwendigkeit fühlbar machen, das hinter ihr liegende Gebiet bis zur Grenze als Hinterland, als Operationsbasis fest in die Hand zu nehmen, es dem Einfluß und Machtbereich der einheimischen Staatsgewalt zu entziehen und diese dadurch in gewissem Grade zu schwächen .
Der Krieg hat
zudem die Durchführung zahlreicher feindlicher Einrichtungen unmöglich gemacht ; der siegreiche Staat wird also im eigenen Interesse in diesem durchzogenen, von dem geschlagenen Staat verlassenen Gebiet Ruhe und Sicherheit zu schaffen haben und darauf bedacht sein, ihm eine solche Verwaltung zu geben, die einerseits die Regelung der Beziehungen zwischen den einzelnen Bewohnern dieses Landesteils in rechtlicher und sozialer Hinsicht ordnungsmäßig gewährleistet, anderseits ihm aber auch dieses Land zur Durchführung des Kriegszwecks nützlich und geeignet macht . Indem er die rechtmäßige Staatsgewalt zurückdrängt, übernimmt er die Herrschaft über dieses Gebiet , niemals aber die Souveränität.
Diese bleibt beim zurückgeworfenen
Feinde, denn das bisherige Staatsoberhaupt hat seine Rechte auf dieses
Die Bewohner der okkupierten Gebiete.
129
besetzte Gebiet nicht verloren, ist vielmehr nur infolge der tatsächlichen Verhältnisse zeitweise an der Ausübung dieser Rechte verhindert und dehnt nach Zurückgehen des eingedrungenen Heeres seine Herrschaftsrechte in früherem Umfang wieder aus. Solange der Okkupant die oberste Herrschaft und Macht hat , wird er diese Macht dazu benutzen, um eine geordnete und sichere Verwaltung einzurichten , sei es nun, daß er beabsichtigt, das okkupierte Land nicht zu behalten, sei es , daß er hofft , es nach glücklichem Kriegsende seinem Gebiet angliedern zu können. Im ersten Fall wird er es tun, um sich einen festen Stützpunkt und Rückhalt für seine militärischen Operationen zu sichern, im zweiten wird er außerdem das Interesse haben, die Verwaltung des Landes schon jetzt in geordnete und ruhige Bahnen zu leiten, damit sich die sozialen Wechselkräfte wieder entfalten können . Daraus folgt, daß er einerseits die nötigen Anordnungen für die Sicherheit und Verpflegung der Besatzungstruppen erlassen , dann aber auch die Verhältnisse der Bewohner zu der Okkupationsarmee in rechtliche Beziehungen bringen muß.
Vor allem muß er dabei suchen , die bis-
herigen Rechtsinstitutionen und Verwaltungsmaßregeln möglichst beizubehalten, um das Entstehen von Unordnung und Rechtsunsicherheit zu verhindern und die Bewohner in ihren Rechten als Angehörige des zurückgedrängten Staates nicht ohne Notwendigkeit zu kränken. Für alle Beziehungen zwischen dem Okkupanten und den Bewohnern des besetzten Gebietsteiles sind die Grundsätze maßgebend, die in den beiden Haager Konferenzen über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges aufgestellt worden sind. Eine kritische eingehende Würdigung der Durchführung dieser Völkerrechtssätze von seiten der verschiedenen Regierungen läßt sich aus naheliegenden Gründen jetzt noch nicht vornehmen. Daher soll im nachstehenden lediglich versucht werden, das Rechtsverhältnis , wie es der Ausnahmezustand der occupatio bellica zwischen Okkupant und Bewohner des besetzten Landes schafft , auf Grund der Festsetzungen der Haager Konferenzen zu umschreiben und so ein möglichst zutreffendes Bild von den Pflichten und Rechten des Okkupanten und von den Pflichten und Rechten der Bevölkerung vor Augen zu führen, soweit dies im Rahmen eines Aufsatzes möglich ist . Hervorgehoben sei noch , daß es sich bei der occupatio bellica um ein Rechtsverhältnis zwischen den beiden Parteien handelt.
Dies wurde auf der I. Haager Konferenz ausdrücklich fest-
gestellt und von der II. stillschweigend gebilligt . II. Pflichten des Okkupanten gegen die Bewohner. Die erste Pflicht des Okkupanten gegenüber dem nicht der kriegführenden Armee angehörenden Bewohner des okkupierten Landes
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Die Bewohner der okkupierten Gebiete.
ist dessen Schutz in bezug auf seine Ehre , seine Rechte gegen seine Familie , sein Leben, Eigentum und seine religiösen Überzeugungen sowie in Bezug auf seine gottesdienstlichen Handlungen ; widerrechtliche Tötungen, Körperverletzungen , Beleidigungen , Angriffe auf den häuslichen Frieden, auf die Ehre, Sittlichkeit , sowie Störung des Gottesdienstes oder der gottesdienstlichen Gebräuche sind daher völkerrechtswidrig und strafbar , wie die gegen die eigenen Staatsangehörigen begangenen Verbrechen und Vergehen dieser Art. Der Okkupant kann, wie aus diesen Grundsätzen gefolgert werden muß, von den Bewohnern des okkupierten Landes die Leistung eines Treueides nicht verlangen. Forderte er diesen dennoch, so machte er einen Eingriff in ihre Ehre , verleitete sie zum Treubruch gegen ihre Regierung ( Haager Bestimmungen I und II im Artikel 45 ; vgl. auch Manuel d'Oxford, Art. 47 und 5 , Brüsseler Erklärung, Art. 37 ; anders allerdings die Feldinstruktionen der Vereinigten Staaten) .
Der Okkupant hat ferner die Pflicht ,
eine Zuziehung der Landesbewohner zu irgendwelchen feindlichen Handlungen gegen ihr Vaterland zu unterlassen (Art . 36 der Brüsseler Erklärung, Art. 48 des Manuel d'Oxford, Art. 44 der Haager Bestimmungen I , Art. 23 Abs . 2 der Haager Bestimmungen II ) . Er kann mithin keinen Rekruten aus ihrer Mitte ausheben und in sein Heer einstellen , er kann die Bewohner auch nicht zwingen , an militärischen Werken, die der Verteidigung oder dem Angriff dienen , an Festungen , SchützenDas Recht zur Zuziehung der gräben, Schanzen usw. zu arbeiten. Landesbewohner durch den Okkupanten zu Arbeiten anderer, nicht kriegerischer Natur , soll später besprochen werden .
III. Pflichten der Bewohner gegen den Okkupanten . Die erste Pflicht der Bewohner des besetzten Gebietes dem Okkupanten gegenüber besteht darin, diesem zur Ermöglichung der Aufrechterhaltung der Ruhe und Sicherheit im Lande Gehorsam zu leisten und sich jeden feindseligen Verhaltens gegen ihn zu enthalten , die Verwaltung des Landes durch ihn nicht zu stören (Art. 48 Abs . 1 des Manuel d'Oxford ; vgl. auch Lüders C. , Das Kriegsrecht , im Handbuch des Völkerrechts von F. v. Holtzendorff,
1885-1896 ;
Bonfils ,
H. ,
Lehrbuch des Völkerrechts, übersetzt von Graf, Berlin 1904) . Sobald die Bewohner aus ihrer Ruhe heraustreten, wird auch der Okkupant im
Interesse seiner Sicherheit zu scharfen Gegenmaßregeln greifen
und gegen Angriffe, Gefahren und Schädigungen die erforderlichen Abwehrmittel anwenden können (vgl. v. Ullmann, Die Haager Konferenz von 1899 und die Weiterbildung des Völkerrechts , Jahrb . d . öffentl. Rechts , I. Band , Tübingen 1907 ; Derselbe, Völkerrecht, Tübingen 1908) .
So wird er unbedenklich aufsässige und unruhige Gegenden
131
Die Bewohner der okkupierten Gebiete.
entwaffnen und aus ihnen einflußreiche Persönlichkeiten, die als Anstifter zu Unruhen und Tumulten aufreizen oder im Verdacht unerlaubter Verbindung mit ihrer
Regierung stehen, ausweisen oder
aufgreifen können (vgl. Loening , Die Verwaltung des Generalgouvernements im Elsaß, Straßburg 1874 , S. 35 ; Huber , Die Fortbildung des Völkerrechts im Jahrb . des öffentl . Rechts , Bd . II , 1908 ; Bray, J. , De l'occupation militaire en temps de guerre, Paris 1884 ; Pétit , l'administration de justice en territoire occupé, Paris 1900 , S. 266/267; Cardinal von Widdern , Der kleine Etappendienst, Berlin) .
Der Okku-
pant ist befugt , alle diejenigen polizeilichen Maßregeln gegenüber der Bevölkerung, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zur Sicherheit seiner Truppen nötig sind , zu ergreifen (Pétit , S. 266). So hat im Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 der amerikanische General Shafter mehrere Zeitungsreporter im Interesse der Wiederherstellung der Ruhe aus Kuba ausgewiesen ( Le Fur, L. , La guerre hispano-américaine de 1898 , Paris 1899) .
Als solche weitere polizei-
lichen Anordnungen , die sich auf das Völkerrecht bzw. den Kriegsgebrauch zu gründen und innerhalb der Grenzen der Gerechtigkeit , Kriegsnotwendigkeit und Humanität zu halten haben (vgl. Art . 4 Abs. 2 des Manuel d'Oxford) , sind zu nennen das Verbot der Zusammenrottung , des Verkehrs an bestimmten Plätzen , des Ausgehens nach bestimmter Abendstunde, das Gebot, zur Abend- und Nachtzeit die Fenster und Straßen wegen der Fliegergefahr unbeleuchtet zu lassen usw. Als eine wichtige Maßregel erscheint insbesondere die Auflage an die Landesbewohner , alle in ihrem Besitz befindlichen Waffen jeglicher Art und alle Munition an den Okkupanten abzuliefern.
Das Recht zur Erlassung dieses Gebots ist in der Kriegs-
notwendigkeit begründet . Es wird stets als das erste Mittel erscheinen , um sich gegen Angriffe durch die Bevölkerung zu sichern .
Zu be-
merken ist, daß die abgenommenen Waffen und die eingezogene Munition nicht in das Eigentum des Okkupanten übergehen, sondern nach Beendigung der Okkupation den einzelnen Privatpersonen wieder ausgeliefert bzw. ihr Wert ersetzt werden muß (vgl. Art . 6 der Brüsseler Erklärung, Art. 55 des Manuel d'Oxford , Art . 53 der Haager Bestimmungen I und II) . Im Krieg 1870/71 ist die Ablieferung der Waffen und Munition
in
allen von
den Deutschen in Besitz genommenen
Gegenden angeordnet und durchgeführt worden (vgl. den Erlaß des Generalgouverneurs von Reims vom 6. Oktober 1870) . Die Bewohner des besetzten Landes haben sich , wie schon ausgeführt, jeder feindseligen Handlung gegen den Okkupanten , so insbesondere auch solcher , die als Verrat , Spionage und Kriegsrebellion ausgelegt werden können , zu enthalten. Der Tatbestand des Verrats.
132
Die Bewohner der okkupierten Gebiete.
ist dann gegeben, wenn der Bewohner des besetzten Landes seiner einheimischen
Regierung
Nachricht
über
die
militärischen Opera-
tionen und Truppenbewegungen , Absichten und Pläne des Okkupanten auf gewöhnlichem oder heimlichem Wege zukommen läßt ( siehe Lueder, § 112 , S. 471 ; Bluntschli, Art . 631 , 632) .
An und für sich wird eine
solche Handlung in vielen Fällen nicht unehrenhaft sein : Der Verräter kann seine Kenntnisse über die Absichten des Feindes einem Zufall verdanken und ihre Mitteilung an seine Regierung als Erfüllung einer patriotischen Pflicht erachten. Nichtsdestoweniger ist der Okkupant im Interesse seiner Sicherheit und der Durchführung seiner Operationen gezwungen, solchen Nachrichtendienst zwischen der Bevölkerung und der einheimischen Staatsgewalt , der oft gefährlicher als offene , feindselige Handlungen für ihn sein wird , zu unterbinden.
Nach strengem
Rechte wird die bloße Tatsache der Übermittlung von Nachrichten an den Gegner , die den Interessen der besetzenden Kriegsmacht zuwiderlaufen, regelmäßig als Kriegsverrat strafbar sein (vgl. Manuel de Droit international, S. 36 , Feldinstruktionen der nordamerikanischen Armee, Art . 90) .
Wenn einmal die Bewohner des besetzten Landes
vom Okkupanten nicht als Feinde , sondern als friedliche Bürger betrachtet werden, deren Schutz ihm obliegt , so müssen sie sich auch dementsprechend jeden Verrats und jeder Benachteiligung gegen ihn Beobachten sie diesen Grundsatz nicht , so unterliegen sie enthalten. der Bestrafung des Okkupanten und zwar auch dann , wenn ein förmliches Verbot des Okkupanten, dem Gegner militärische Nachrichten zukommen zu lassen , nicht ergangen ist.
Zweckdienlicherweise aber
wird wohl der Okkupant, schon um durch die in dem Verbot enthaltenen Strafbestimmungen abschreckend zu wirken , die Bevölkerung davon in Kenntnis setzen , daß jegliche Verbindung mit der militärischen Macht der einheimischen
Staatsgewalt verboten ist und Zuwider-
handlungen mit bestimmten Strafen belegt werden (Manuel de Droit international, S. 80) .
Als Spion (vgl. Lueder, § 111 , S. 461 ; Bonfils ,
§ 1100 ; Bluntschli , Art. 628 ; Pillet , § 139 ) wird bestraft , wer heimlich oder unter einem falschen Vorwand Pläne oder militärische Verhältnisse der Okkupationsarmee , in der Absicht , sie seinem Staate mitzuteilen, zu erkunden sucht (vgl. v. Liszt , Lehrbuch des Völkerrechts . Berlin 1916 , § 40 ) .
Die Spionage stellt sich mithin als Vorbereitungs-
handlung zum Verrat
dar .
,, Das
entscheidende Moment" bei der
Spionage ist die ,, Heimlichkeit oder Täuschung, mit der die Auskundschaftung vollzogen wird" (Lueder, § 111 , S. 462 ) .
Sie macht auch
die Spionage zu einer besonders gefährlichen und in vielen Fällen anstößigen und unehrenhaften Handlung des dem Okkupanten zum Gehorsam verpflichteten Landeseinwohners .
Die Strafe , die auf der
133
Die Bewohner der okkupierten Gebiete.
Spionage steht , ist nach dem Kriegsstrafrecht der einzelnen Staaten sehr streng und meistens die Todesstrafe.
Die Festsetzung der hohen
Strafe ist ein Akt der Notwehr (vgl. Longuet , Le droit actuel de la guerre terrestre, Paris 1901 , S. 117) : Der Okkupant kann nie wissen, welche Summe von Kenntnissen der Spion gesammelt hat , wie gefährlich die Handlung des Spions für seine Sicherheit sein kann oder hätte sein können. Auch der Versuch der Spionage wird zur Abschreckung berechtigterweise wie die vollendete Tat bestraft werden müssen (vgl. Rivier , § 62, sowie die meisten Völkerrechtslehrer). Die sofern eine relativ bestimmte Strafe angeHöhe der Strafe bleibt droht ist vom Motiv des Täters unberührt. Der Spion , der aus Patriotismus gehandelt hat, ist wie der, der von Gewinnsucht getrieben worden ist, zu bestrafen ; eine größere Abstufung der Strafe wird sich schon deshalb nicht durchführen lassen, weil das Maß der erspähten Kenntnisse und damit die Gefährlichkeit des Spions nie klar ersehen werden kann, und deshalb jeder Spion als gleichgefährlich für die Sicherheit des Okkupanten erscheint .
Da die Strafe sehr hoch sein
muß und meistens , wie bereits ausgeführt , nach den Kriegsstrafrechten der Tod sein wird , verlangen die Haager Bestimmungen, daß der Spion wie der Verräter nicht ohne gerichtliches Verfahren verurteilt werden , denn ein Verfahren allein gibt die Möglichkeit, das Vorhandensein sämtlicher Tatbestandsmerkmale , namentlich die subjektive Seite des Delikts einwandfrei festzustellen (Brüsseler Erklärung , Art. 20 ; Manuel d'Oxford , Art. 25 ; Haager Bestimmungen I und II , Art . 30). Wie sich der einzelne Bürger des okkupierten Landes den Anordnungen der besetzenden Kriegsmacht unterzuordnen und jeglicher feindseligen Handlung, insbesondere der Ergreifung der Waffen , zu enthalten hat , so liegt die gleiche Pflicht auch der Gesamtheit der Bevölkerung ob.
Ein Recht, durch einen Volksaufstand , durch eine
Kriegsrebellion
die
Gewalt
des Okkupanten abzuschütteln ,
ist
nicht gegeben (Art. 1 und 48 des Manuel d'Oxford), Erhebungen besetzter Gebietsteile sind als Verletzungen der Kriegsgesetze und des Völkerrechts zu erachten und unterliegen hinsichtlich ihrer strafrechtlichen Verfolgung den Gesetzen des Okkupanten.
Wenngleich
ein Aufstand vom Standpunkt der gesetzmäßigen Staatsgewalt aus begrüßt werden und als Ausdruck beachtenswerter patriotischer Tatkraft und Gesinnung ehrenvoll erscheinen kann, so bleibt er doch ein Vergehen gegen die Kriegsgesetze und kann nicht als ein Recht oder eine Pflicht der Bevölkerung erachtet werden .
Nach dem bestehenden
Völkerrecht ist die Kriegsrebellion ebenso zu verwerfen wie nach dem Staatsrecht eine Revolution gegen die Staatsregierung .
Beide bedeuten
einen Rechtsbruch, eine Verletzung der Pflichten gegen die oberste
134
Die Bewohner der okkupierten Gebiete .
Macht,
und berechtigen diese , d. h. den Okkupanten bzw. die Staatsregierung, die Empörer mit aller Strenge niederzuwerfen und
zu bestrafen. Die Folge der Anerkennung eines Kriegsrebellionsrechtes wäre ein ständiger Verstoß gegen den Grundsatz, daß das Leben und das Privateigentum der Bürger geschont werden muß. Sobald diese die Waffe gegen den Okkupanten ergreifen , nötigen sie ihn , alle Milde gegen sie außer Acht zu lassen und ihnen die Grundlage ihrer Kampfesmöglichkeit , ihr Vermögen, zu entziehen, ihre Häuser zu besetzen, sie selbst zu internieren .
Diese Verneinung des Rechts zur Volkserhebung ergibt sich aus den Haager Bestimmungen I und II. IV. Persönliche Dienstleistungen der Bewohner. Es ist schon darauf hingewiesen worden , daß der Grundsatz der Unverletzlichkeit und der Achtung der Person des Landesbewohners im Kriegsfall mannigfache , durch die Kriegsnotwendigkeit gebotene Ausnahmen erleiden kann. Eine hauptsächliche Ausnahme wird durch das Recht des Okkupanten , die Landesbewohner zu persönlichen Dienstleistungen heranzuziehen , bedingt. Der Okkupant kann im besetzten feindlichen Lande die Kräfte seiner Bewohner nicht entbehren. Wiewohl solche persönlichen Dienstleistungen für den Okkupanten sehr nützlich sind, können sich die Bewohner ihnen nicht entziehen ; denn die Kriegsnotwendigkeit gibt dem Okkupanten das Recht , sie dazu anzuhalten, sofern nur die Arbeiten nicht militärischen Zwecken. dienen. Dies ist auch allgemein von den Völkerrechtslehrern anerkannt (vgl. Lueder, § 113 , S. 475 ; Bonfils , § 1146 ;
Rivier, Lehrbuch des
Völkerrechts , Stuttgart 1899, § 63 , S. 398 ; Loening , S. 66 ; Bluntschli , J. C., Das moderne Völkerrecht als Rechtsbuch dargestellt , 1868 , Nördlingen , 3. Aufl. , 1878 , Art. 573 ; Pillet, Les lois actuelles de la guerre , Paris 1898, § 135 ; Heffter- Geffken, Das europäische Völkerrecht der Gegenwart , Berlin 1881 , § 131 ; Bray, S. 206 ; Joly, L. E. H. , Des effets de l'occupation militaire dans la guerre continentale, Caen 1893 , S. 421 ; Waxel de , Pl. , L'armée d'invasion et la population , Diss. 1874, S. 115 ; Rolin- Jacquemyns , La guerre actuelle , Revue de droit international, Brüssel 1871 ,
S. 50 ; Cardinal v. Widdern,
Meurer, Die Haager Konferenz , München 1907 , S. 245 ).
S.
16ff.;
Daß dies auch
die Meinung der Brüsseler Erklärung und des Manuel d'Oxford ist , ergibt sich daraus , daß diese nur den Zwang zu Arbeiten , die den militärischen Operationen gegen das eigene Land der Landesbewohner dienen, untersagen und folglich den zu anderen Arbeiten gestatten (vgl. Brüsseler Erklärung, Art. 36 ; Manuel d'Oxford , Art. 48 , Abs . 2) . Die Haager Bestimmungen I und II pflichten dem ebenfalls bei (Art. 52). Der Okkupant kann also die Bewohner unzweifelhaft zu Arbeiten an
135
Aus der Praxis der Kriegsjugendwehr.
Landstraßen , Eisenbahnen, die auch dem allgemeinen Verkehr dienen (Budde, Die französischen Eisenbahnen im deutschen Kriegsbetriebe), zwingen, kann sie zur Transportierung von Lebensmitteln für das Heer, zur Krankenpflege verwenden (vgl. Triepel , Die neuesten Fortschritte auf dem Gebiet des Kriegsrechts , Zeitschrift für Literatur und Geschichte der Staatswissenschaften, Leipzig 1894), kann sie auch mit Einquartierung belasten und die Befolgung solcher Anordnungen eventuell mit Gewalt und Strafen erzwingen.
Der Okkupant
hat also vermöge der Kriegsnotwendigkeit das Recht, solche Dienstleistungen, die einerseits dem Lande teilweise nützlich sind und anderseits den militärischen Operationen nicht unmittelbar nützen, zu verlangen ; er muß dies verlangen können , um das okkupierte Land überhaupt als Teil der Operationsbasis benutzen zu können . Im vorstehenden sind nur die unmittelbaren Wirkungen der Okkupation auf die Bewohner des besetzten Landes kurz beleuchtet worden. Die kriegerische Besetzung macht sich jedoch noch in einer Reihe anderer , mittelbarer Wirkungen auf die Landeseinwohner geltend , und zwar in der Verwaltung des okkupierten Landes, in der Gesetzin der Rechtspflege und in den Eigentumsverhältnissen . Auch für alle diese Beziehungen haben die Haager Konferenzen völkerrechtliche Grundsätze aufgestellt. gebung ,
XIII . Aus der Praxis der Kriegsjugendwehr . Von Prof. Broßmer , Oberleutnant d. Res .
1. Das Entfernungsschätzen.
Das Entfernungsschätzen setzt voraus, daß man sich im Gelände mit dem Auge rasch zurecht findet . Es ist eine gewisse Übung im Überblicken und in einem aufmerksamen Zergliedern bestimmter Räume erforderlich. Das gewöhnliche Hinausblicken des vergnügten Spaziergängers genügt für militärische Zwecke nicht. Dafür ist vielmehr ein scharfes Absuchen des Vorfeldes mit gespannter Aufmerksamkeit unter Berücksichtigung der beeinflussenden Faktoren, wie Beschaffenheit des Himmels , Stand der Sonne usw. nötig. All dies kann nicht
136
Aus der Praxis der Kriegsjugendwehr.
aus den besten Büchern erlernt werden, sondern die regelmäßig vorgenommenen Sehübungen geben im Laufe der Zeit die gewünschte Fertigkeit im Auffinden militärisch wichtiger Gegenstände, wie es von dem neuzeitlichen Soldaten verlangt werden muß, aber wie es anderseits in einer nur zweijährigen Dienstzeit kaum zu erreichen ist . Aus diesem Grunde betont das
Kriegsministerium immer wieder,
daß schon von Jugend auf die Sinne, im besonderen der Gesichtssinn , geschärft und gestärkt werden sollen . Hat man bei oft wiederholter Beobachtung des
Geländes in aufrecht stehender Körperlage eine
gewisse Gewandtheit im Auffinden, Einteilen und Beobachten markanter Punkte oder militärisch wichtiger Geländeabschnitte erlangt, dann wird dasselbe zunächst in der knieenden und schließlich in der liegenden Lage versucht.
Das hervorstechende Merkmal des modernen
Gefechtsfeldes ist die Leere , und das erste Erfordernis des heutigen Feldsoldaten besteht in einem guten Anschmiegen an die vorhandenen Geländewellen und in der Ausnützung erbauter Befestigungsanlagen. Solche Verhältnisse bedingen eine um so größere Aufmerksamkeit in der Beobachtung, ohne dabei stark den Kopf zu erheben.
Der helle
Tag wird weniger Gelegenheit geben , Bewegungen und Zustände beim Feinde zu erkennen.
Dazu werden die Stunden der Dämmerung, des
Halbdunkelns und die nächtliche Zeit gewählt werden müssen.
Die
Erkenntnis der Einflüsse von Beleuchtung und Hintergrund auf die Sichtbarkeit von Gegenständen ergeben sich nur durch eingehend praktische Erfahrungen . ,, Sicheres Schätzen der Entfernungen bildet die Grundlage für gute Feuerleitung; es kann nur ergänzt, nicht ersetzt werden durch die Mithilfe des Entfernungsmessers , durch Abgreifen von Karten und durch Erfragen bei bereits im Feuer stehender Artillerie und Infanterie."
(Ex. - Regl. für die Inf. , Abschn . 202. )
Das Abgreifen von
Karten, die Befragung anderer benachbarter Truppenteile und gar die zeitraubende Arbeit des Entfernungsmessers werden Maßnahmen sein , die sich nur selten durchführen lassen. Auch das Einschießen einer kleineren Gruppe auf die angegebenen Punkte setzt Zeit und genügenden Munitionsvorrat voraus. Die sicherste Grundlage rascher Anwendung bestimmter Entfernungszahlen bleibt als stets anwendbares Mittel, das Entfernungsschätzen.
Nur das richtige und zugleich
schnelle Erkennen von Entfernungen ermöglicht eine überraschende und erfolgreiche Beschießung des Feindes.
In diesem Zusammenhange
liegt die hohe Bedeutung und die tiefe Notwendigkeit einer planvoll Der ganze eingeübten Fertigkeit im Schätzen von Entfernungen. Ausbildungsgang muß sich sehr allmählich abwickeln. Bei der Erlangung einer annehmbaren Zuverlässigkeit im Schätzen
137
Aus der Praxis der Kriegsjugendwehr.
von Entfernungen ist immer daran zu denken, daß die Strecke bis zum Ziel auf dem Erdboden mit dem Auge gemessen werden muß. Als bleibendes Maß dient die durch öftere Übung eingeprägte Einheitsstrecke von 100 Meter, die durch die entsprechende , jedem Menschen für seine Person bekannte Doppelschrittzahl stets hergestellt werden kann. An dem Schätzen der Strecken von 200, 300 und 400 Metern , mit denen naturgemäß angefangen werden soll , wird der Schüler bald erkennen, daß gleiche Strecken um so kürzer erscheinen, je weiter sie entfernt sind. Dies läßt sich besonders deutlich beim Halbieren einer abgemessenen Strecke zeigen, wobei die zweite , vom Schätzenden abliegenden Hälfte , kleiner erscheint . Bei zunehmender Entfernung ist es ratsam, daß man die Gesamtstrecke in zwei Hälften teilt oder auf andere Weise durch deutlich hervortretende Geländepunkte zerlegt .
Die Teile werden dann einzeln abgeschätzt .
Bei großen Ent-
fernungen führt der Vorgang des Eingabelns oft zum Ziel .
Man über-
legt sich dabei , wie weit das Ziel höchstens entfernt sein kann und wie groß die Entfernung mindestens sein muß. Das Mittel aus diesen beiden Zahlen (z . B. 400 ; 600 ; 400 + 600 , wird der wirklichen Ent2 fernung nahekommen .
Eine für den Ernstfall sehr wertvolle Form
der Anwendung des Erlernten besteht in dem Herangehen an eine Stellung oder Geländelinie bis auf eine bestimmte Entfernung, z . B. 500 Meter. Unter demselben Gesichtspunkte ist das Entfernungsschätzen in der Schützenlinie im Rahmen eines Angriffsgefechtes hin und wieder zu üben. Außer durch mangelnde Übung wird das Ergebnis des Schätzens von einer Reihe von Witterungszuständen beeinflußt , die den Fehler in bestimmter Richtung veranlassen. Ist das Ziel besonders klar und deutlich, so neigt man stets dazu, etwas zu kurz zu schätzen. Dies trifft. besonders bei grellem Sonnenschein , beim Stand der Sonne im Rücken , bei klarer durchsichtiger Luft , bei hellem Hintergrunde , bei Unsichtbarkeit einzelner Teile des Zwischengeländes und beim Schätzen auf gleichförmigen Flächen zu . Man muß in diesem Falle von dem Schätzungsergebnis etwas abziehen.
Man schätzt zu weit , wenn das
Ziel unklar erscheint , z. B. bei flimmernder oder trüber, nebliger Luft , bei Dämmerung und im Walde, bei dunklem oder blendendem Hintergrunde, z. B. gegen die Sonne .
Zu weit wird auch leicht geschätzt ,
wenn der Schätzende kniet oder liegt . Die Prüfung der Schätzung kann durch Abschreiten , Abmessen mit der Maßleine, durch Abgreifen auf der Karte und durch besondere
Entfernungsmesser geschehen . Ein Fahrrad , dessen Radumfang man gemessen hat , und bei dem durch eine besonders markierte Speiche
138
Aus der Praxis der Kriegsjugendwehr .
die Zahl der Umdrehungen leicht zu ermitteln ist, kann gute Dienste leisten.
2. Die Ergebnisse der mittelbadischen Jugendwehr- Wettkämpfe . Ende April erging auf Anregung des militärischen Leiters des Amtsbezirks Bühl ( Baden ) an die Wehrabteilungen der benachbarten Bezirke die Aufforderung, sich an den zur Feier des Geburtstages unseres badischen Landesherrn stattfindenden turnerischen Wettkämpfen zu beteiligen.
Der Ruf fand allenthalben ein willfähriges
Echo.
In einer Reihe von Besprechungen, an denen Führer aller in Frage kommenden Abteilungen teilnahmen, wurden die Übungen den kriegsministeriellen Vorschriften entnommen , zusammengestellt und eingehend beraten . Ein im April veranstalteter praktischer Führerkurs hatte die technischen Einzelheiten dieses Gebietes klargelegt . In der elegantesten Weise löste sich die Kostenfrage, indem Ehrenbürger, der Militärverein Bühl, verschiedene Gönner, und besonders die Gemeinden in großzügiger Art die Oberleitung in finanzieller Form oder durch Stiftung von Ehrenpreisen unterstützten. Die ausgewählten Preise bestanden in Büchern , Taschenlaternen , turnerischen Figuren von künstlerischem Wert und nützlichen Gebrauchsgegenständen . Jede Wehr bereitete sich nach der folgenden Einteilung vor : Hochsprung, Weitsprung, Stabhochsprung, Steinstoßen, Gerwerfen , Entfernungsschätzen, 100-Meter-Lauf, Hindernislauf und Tauziehen. Da es im Bereich der Jugendwehrausbildungen sich nicht auf die Erzielung bestimmter Höchstleistungen ,
sondern um die Erfassung größerer Massen bei körperlicher Betätigung handelt, wurden keine großen Anforderungen gestellt, und eine freie Wahl der einzelnen Jungmannen gestattet. Erfreulicherweise beteiligte sich aber weitaus die Mehrzahl an mehreren Kämpfen .
Die Ausführung sämtlicher Übungen geschah nicht in Turnkleidung und Turnschuhen, sondern möglichst feldmäßig. wenn man so sagen darf, also in der gewöhnlichen Kleidung mit festen Schuhen, Rock und Mütze.
Bei Hoch- und Weitsprung mußte vom
natürlichen Boden ( ohne Brett) abgesprungen werden. Der 100-MeterLauf aus liegendem Abgang und die Hindernisbahn von 150 Meter Länge (Wand, Hürde , Wassergraben ) berücksichtigten das Streben nach Angriffsgewandtheit, wie sie durch die Erfahrungen der heutigen Kampfmethoden gefordert wird. Von den rein militärischen Betätigungen war nur das Entfernungsschätzen berücksichtigt worden. Was an der ganzen Veranstaltung von Anfang für alle Führer sehr viel Interesse bot , war die bunte Zusammensetzung der 200 Wettkämpfer aus Handwerkslehrlingen, jungen Bauern . Fabrikarbeitern ,
139
Aus der Praxis der Kriegsjugendwehr. Kaufleuten und etwa 40 Mittelschülern .
Es trat klar zutage , daß der
der Mittelschüler ein ganz bedeutender
regelmäßige Turnunterricht
Vorsprung in allen Gewandtheitsübungen (Lauf, Sprünge) sichert , wenn auch bei den Betätigungen mit mehr Kraftaufwand ( Steinstoßen , Gerwerfen) die Kameraden der werktätigen Arbeit oft besseres leisteten . Daraus ergibt sich die Forderung eines Pflichtturnens für alle Fortbildungsschulen, die Betonung von Marschübungen und das Steigern der körperlichen Ausdauer für die Mittelschüler im Rahmen der in Baden schon längst eingeführten Spielnachmittage. Es darf nicht mehr vorkommen, daß ein junger Mann mit 18 Jahren den ersten Hochsprung oder geregelten Schnellauf seines Lebens ausführt, wie es anläßlich der Vorübung zu unseren Wettkämpfen in den Reihen der bäuerlichen und gewerblichen Jugend vielfach vorgekommen ist. Bei den zahlenmäßigen Ergebnissen ist außer der Bekleidungsart zu berücksichtigen , daß der Boden durch starke Regengüsse aufgeweicht war.
Beim 100-Meter-Lauf aus liegendem Abgang waren die
durch Mittelschüler errungenen besten Zeiten : 14, 14,2, 14,4 , 14,6. Von 15 ab erscheinen auch andere Jungmannen.
Innerhalb der Reihe
von 67 Teilnehmern bewegten sich die Ergebnisse von 14-21 Sekunden . Der bäuerliche Teil war von 17 aufwärts zu finden. Ein ähnliches Bild ergab naturgemäß der Hindernislauf, der von Mittelschülern von 27,5 bis 29,1 gewonnen wurde. Dann folgten die übrigen 57 Wettkämpfer von 29,9-42 Sekunden . Immerhin erscheinen hier, wo die Ausdauer schon eine Rolle spielt, die Mittelschüler nicht in so geschlossener Siegerreihe wie beim Schnellauf. Schon der 5. , 7. sind nicht aus ihren Reihen, während die 6. , 11. und 12. Stelle von Mittelschülern besetzt war.
Die übrigen Resultate lassen sich bequem aus der folgenden Zu-
sammenstellung ablesen : Teilnehmerzahl
Beste Leistung in Metern
Stufenleiter zwischen
Weitsprung : Kleine Mannschaft
39
5
Große Mannschaft ......
5-2.75 4.4-2.9-
35
4,4
Hochsprung: Kleine Mannschaft .....
16
1,55
1,55-0,9
Große Mannschaft .
32
1,6
1,6
Stabhochsprung Gerwerfen ...
11
2,25
2,25-1,7
64
33,5
Steinstoßen (6 kg)
75
8,3
Beim Entfernungsschätzen,
0,9
33,5-16
8,3
-3
das nur Strecken unter 400 Meter
berücksichtigte, traten gute Leistungen überall dort zutage, wo eine planvolle und regelmäßige Vorbereitung stattgefunden hatte.
140
Aus der Praxis der Kriegsjugendwehr . Die mittelbadischen Jugendwehrkämpfe haben gezeigt , daß es
nutzbringend ist , die verschiedenen Körperschaften im Dienste der - ganz im Sinne Wehrbarmachung von Zeit zu Zeit zu vereinigen Emanuel Geibels :
Eins nach außen, schwertgewaltig Um ein hoch Panier geschart. Innen reich und vielgestaltig, Jeder Stamm nach seiner Art. Darin sehen wir die Lösungsmöglichkeit einer gesetzlichen Regelung, daß von amtlicher Seite genau umrissene, durch eine Rekrutenprüfung nachzuweisende Mindestforde ungen aufgestellt werden , die von allen Verbänden :
Turnern ,
konfessionellen
Vereinen ,
Sportsvereinen,
Arbeitervereinen selbständig erworben, aber einheitlich geprüft werden müssen. Die Vertrauensmänner der militärischen Vorbereitung stehen allen ,,Stämmen" auf Wunsch gleichmäßig mit Rat zur Seite.
Dann
wird auch bei uns der fruchtbare, achtungsgebietende, eidgenössische Grundsatz in die Tat umgesetzt : Die Freiheit in der Einheit !
3. Hindenburg- Gepäckmarsch mittelbadischer Jugendwehren. Wenn auch die mittelbadischen Jugendwehren durch den vorwiegend ländlichen Charakter ihrer Bezirke oft in die Lage kommen, Marschübungen zum Versammlungsort zurückzulegen, so wollten die Führer doch einmal die Marschleistungen der landsturmpflichtigen Jugend an einem bestimmten , vorher in allen Einzelheiten vereinbarten Maßstab kennen lernen.
Die Jugendwehrführer von Achern, Baden-
Baden (Stadt und Land) , Bühl , Bühlertal, Renchen, Rheinbischofsheim und Schwarzach, die in beratender und ausführender Weise durch aufopfernde Unterstützung schon manche Schwierigkeiten überwunden hatten, waren sich in der schon lange vorher stattfindenden Führersitzung darüber klar , daß als Grundlage des Gepäckgegenseitige
wettmarsches und als Leitziel der Vorübungen die Worte unserer kriegsministeriellen ,,Erläuterungen und Ergänzungen " gelten müssen : ,,Eine allmähliche Steigerung der Marschleistungen ist geboten , ohne dabei in den Fehler zu verfallen , auf Kosten der Gesundheit eine Höchstleistung erzielen zu wollen. "
Es wurde viel geübt ; d'e kurz vorher
erfolgte Einberufung der 18jährigen hat die Reihen aller Wehren geschwächt . Aber doch zeigte die 233 betragende Anzahl der jugendlichen Teilnehmer, daß die Führer neben Lust und Liebe zur Sache selbst, auch die Überzeugung von der Bedeutung der Marschtüchtigkeit des Soldaten im jugendlichen Herzen erwecken konnten. Der Weg war so gewählt , daß die auswärtigen Jungmannschaften
141
Aus der Praxis der Kriegsjugendwehr.
auf der ca. 14 km langen Strecke einen Teil der burggekrönten Schwarzwaldberge sehen konnten. Die 20 Pfundbelastung wurde von den meisten Jugendwehrabteilungen in den, von den Ersatzbataillonen auch diesmal bereitwilligst zur Verfügung gestellten , Tornistern getragen.
Aber auch Rucksäcke wurden zugelassen. Jede Jugendwehr stellte eine Anzahl von Gruppen zu 9 , 8 , 7, 6 Mann. Jede Gruppe wurde von einem Gruppenführer geführt ( Nummernträger) . In Abständen von 5-10 Minuten verließen die einzelnen Gruppen den Ausgangs-
punkt in Bühl , nachdem auf der Wage das Gewicht der Belastung nachgeprüft worden war.
Die Kontrolle der Gruppen auf dem Wege ,
während dessen nur die Gangart des Schrittes erlaubt war, wurde von den Herren Führern zu Fuß und zu Rad ausgeführt . Zum vollen Schutze der Gesundheit waren für alle Fälle acht Sanitätsleute zu Fuß oder zu Rad über die Strecke verteilt, die aber nirgends in Tätigkeit treten mußten.
Alle Mannschaften kamen nach ungefähr zweistündigem Gebirgsmarsche , auf dem ein Höhenunterschied von nahezu 200 Metern zu überwinden war, in frischer, guter Verfassung an. Besonders lobend anerkannt wurde das regelmäßige Tempo und die gute Marschdisziplin der Abteilungen der Bühlertäler Jugendwehr . Aber auch sonst war die Gesamtleistung, die sich fern von jedem Wettlaufen hielt , und sich mehr auf der militärischen Grundlage eines Sicherungsmarsches aufbaute, nach dem einstimmigen Urteile aller Führer in jeder Richtung sehr erfreulich. Die folgende Zusammenstellung gibt die Leistungsstufe der einzelnen Gruppen nach ihrer Zugehörigkeit zu den Wehren der verschiedenen Orte: 1. Bühl , Sandweier, 1 Std. 53 Min. 2. Schwarzach, Oberbruch, Stollhofen, 1 Std . 56 Min.
3. Sandweier , 1 Std. 58 Min . 4. Oos, 1 Std. 59 Min. 5. Baden- Baden ( Stadt ) , Bühl , 2 Std . 6. Baden- Baden ( Stadt), Achern , 2 Std . 3 Min. 7. Achern , 2 Std. 4 Min. 8. Baden-Baden (Stadt) , Sinzheim , 2 Std. 6 Min. 9. Sinzheim, 2 Std. 7 Min.
10. Bühlertal, 2 Std. 9 Min. 11. Bühlertal, 2 Std. 10 Min. 12. Rheinbischofsheim, 2 Std . 12 Min.
13. Achern, 2 Std. 13 Min. 14. 2 Gruppen Bühlertal, 2 Std. 14 Min . 15. Achern, 2 Std. 15 Min. 16. Rheinbischofsheim, 2 Std. 19 Min. Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 546.
11
142
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815. Dieses Mal waren die jungen Leute aus den bergigen Landgegenden
der geschmeidigeren, aber nicht so zähen Stadtjugend überlegen. Eine Erfahrungssache , die für die militärische Vorbereitung und den endgültigen Heeresersatz von der größten Wichtigkeit ist.
Zum Andenken
an diesen schönen Tag erhielt jeder Teilnehmer eine von dem unsere Jugendwehrsache so tatkräftig unterstützenden Bezirksamt Bühl gestiftete Denkmünze , die auf der einen Seite die Worte trägt : ,,Hindenburg- Gepäckwettmarsch Bühl 1916". Auf der anderen Seite ist das Brustbild Hindenburgs eingeprägt als Vorbild eines deutschen Mannes für jeden Jüngling.
XIV .
Kriegsminister
General
v. Boyen
des Feldzuges
zu
Beginn
1815 .
Von J. v. Pflugk- Harttung.
(Schluß .)
Nr. 4.
Entwurf eines Rüstungs- und Operationsplanes. März 14.
Ueber die Verhältnisse von Europa , wenn Napoleon Unruhen in Frankreich erregen sollte. Wenn man berechtigt ist zu glauben, daß Napoleon
nicht ohne
geheime Einverständnisse sein gegenwärtiges Unternehmen ausgeführt hat . so ist das Geringste, worauf man gefaßt sein muß, der Ausbruch bedeutender Unruhen in Frankreich. Die Bourbons haben ihren Haupt - Stütz - Punkt ,
mit der Aus-
nahme von einigen See - Provinzen, eigentlich nur in der persönlichen Gutmüthigkeit und Klugheit des jetzigen Koenigs ; die übrigen Mitglieder der Familie sind nicht mehr beliebt. Seite,
mit geringen Ausnahmen ,
Misvergnügte,
die
das
unkluge
Napoleon hat auf seiner
die Armee und im Benehmen
Emigrirten recht geflissentlich vermehrt hat.
der
ganzen Lande
zurückgekommenen
Rechnet man zu diesen
den Gährungsstoff in Italien und der Schweitz¹ ) , so muß man darauf ¹) A hat noch : die durchaus unpolitische Behandlung des Königs von Neapel.
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
143
gefaßt sein, bei dem Ausbruch der Unruhen die Bonapartische Parthei nicht gering zu finden . Würde es versäumt , Napoleons Gegner in Frankreich zu unterstützen , so stände ihm in der That nicht sehr viel im Wege , um noch ein Mal, wenn auch nur vorübergehend, die Ist es noch möglich, einen blutigen Geissel von Europa zu werden . und langwierigen Krieg zu vermeiden , so kann dies nur durch Energie und Einigkeit einer neuen Verbindung geschehen , indem diese die Spaltung, welche in dem ersten Augenblick in Frankreich entstehen muß , geschickt und mit Kraft für die künftige Ruhe von Europa benutzen kann . In der Hoffnung. daß das noch einmal geweckte Gefühl der unvermeidlichen Gefahr auch wieder den Wunsch zu dieser Verbindung unter den Mächten erzeugen werde, können folgende Punkte bei dem Entwurf eines Kriegs- Plans in Erwägung gezogen werden :
1. Zur
Sicherung von Deutschland würden drei active und eine Reserve-Armee nach Berücksichtigung
der gegenwärtigen Cantonirungen der Heere
zu formiren sein : a) die erste Armee in den Niederlanden, aus Engländern ' ), Hannoveranern , Braunschweigern und vielleicht auch Dänen , b) die zweite am Mittel- Rhein, aus Preußen , Hessen, den Formationen der Sachsen, Mecklenburgern, c) die dritte am Ober- Rhein, aus Oestreichischen und süddeutschen Truppen, d) die Reserve-Armee endlich aus nachrückenden Russen und Preußen in Franken und der Pfalz. 2. Rußland muß zwei Militair- Straßen , eine aus Polen durch Sachsen, die andere durch Schlesien und Oestreich haben. 3. Oestreich formiert eine Armee in Italien und eine Reserve-Armee
an den Schweitzer
Grenzen. 4. Jede dieser Armeen muß ohne die Besatzungen wenigstens Hierüber müssen aus 120000 Mann disponiblen Truppen bestehen. wechselseitige Commissarien als einen Hauptpunkt wachen.
5. Sobald
Napoleon in Frankreich innere Unruhen anzettelt , so rücken diese Armeen in Frankreich zum Schutz der Nation und deren Freiheit und zur Erhaltung der gegenwärtigen Constitution vor.
6. Das Vorrücken
ist indessen nur begrenzt und beschränkt sich auf eine dem bessern Theil der Nation dargebotene Hülfe und auf die Belebung der Gegenparthei Napoleons . 7. Die Niederländische Armee rückt bis gegen die Quellen der Schelde und Sambre, die mittelrheinische Armee bis zur Maaß, die Oberrheinische durch den E'saß und die Vogesen gegen die Quellen der Maaß und Mosel vor , Cavallerie-Abtheilungen werden so weit als möglich vorgeschoben .
8. Alle hinter diesen eingenommenen
Punkten liegende Französische Festungen werden eng blocquirt, bis ihre Befehlshaber und die Garnison sich auf eine genügende Art als An-
1 ) A noch : Belgiern. 11*
144
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815 .
hänger der Constitution und Feinde Napoleons erklärt haben .
Hier-
durch erreicht man, wenn die Sache recht schnell ausgeführt wird, folgende wichtige Zwecke : a ) Die Gegner Napoleons bekommen in Frankreich neuen Muth und einen Vereinigungs-Punkt ; b) Bleibt die Besatzung in den Festungen, so wird dadurch Napoleons Anhang in dem südlichen Frankreich geschwächt ; c) Verlassen sie die Festungen, um zu Bonaparte zu laufen, so fallen vielleicht einige in unsere Gewalt, da sie unmöglich alle mit Lebensmitteln versehen sein können ; d ) Auf jeden Fall bekommen wir eine Menge Streit- und Lebens-Mittel in unsere Gewalt, und können uns , wenn es sein muß, unser Kriegs-Theater vorbereiten ; e) Die Erhaltung der Armée fällt Frankreich zur Last, und die Kräfte Deutschlands werden geschont . 8. Die einrückenden Truppen halten die strengste Mannszucht.
Für alle Leistungen werden
Lieferungs- Scheine , zahlbar nach dem Frieden , gegeben . Das Recht, die Bezahlung zu fordern , geht einer jeden Gemeine verloren , die sich für Bonaparte erklärt . 9. Die Östreichsche Reserve-Armee rückt in die Schweitz. Es wäre vielleicht gut, einen dazu geeigneten Prinzen zum Krieges- Statthalter der Schweitz zu ernennen, da sie durchaus ein Contingent stellen, zu Deutschland gehören und mehr Vereinigung als jetzt haben muß . 10. Aus diesen Stellungen würden die Armeen nun nach den später sich entwickelnden Verhältnissen zur Erhaltung der gegenwärtigen Verfassung in Frankreich vorrücken können. Doch scheint es, wenn ein Bürgerkrieg in Frankreich ausbrechen sollte , daß man diesen nicht zu früh durch fremde Gewalt unterdrücken, sondern bis zu einem gewissen Punkt als eine innländische Angelegenheit ansehen müsse und sich in nichts eher einzulassen habe, bis die alsdann räthliche Verfassung von Frankreich und seinen Grenzen von dem einen Theile garantirt wären . 11. Ob der König von Spanien hieran Theil nehmen würde, läßt sich nicht von hier übersehen . Als Diversion würde es immer nützlich sein , so wie es denn auch wünschenswerth scheint, daß England bei dem Umsichgreifen der Unruhen ein Landungs- Corps gegen die Küsten der Normandie und Bretagne bereit halten möchte¹ ). 12. Gegen Napoleon als einen Wortbrüchigen müßte allein gemeines und nicht schonendes Manifest erscheinen und der Pabst sich besonders stark gegen ihn erklären . 13. Derartige Rüstungen überhaupt erfordern endlich große Magazine ; deshalb muß jede Armee ihre bestimmten Bezirke bekommen und sich ihre Kriegs-Verpflegung ausbilden können .
14. Deutschland ist aber nicht allein im Stande,
diesen Körner- Bedarf zu liefern ; deswegen scheint es, daß England die Verpflichtung übernehmen müsse, eine bedeutende Quantität Getreide
¹) A: müsse .
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
145
in den Ostsee- Häfen aufzukaufen und als ein allgemeines Magazin in Holland und am Rhein aufzuschütten. Berlin, den 14. März 1815. (Nr. 21. schrift.
v. Boyen.
Concept und Reinschrift.
Obiger Text ist der der Rein-
Der Entwurf ( A) bietet eine Reihe geringer stilistischer Ab-
weichungen ; die wenigen sachlichen sind in den Anmerkungen gegeben . Vgl. Meinecke, II, S. 40 , Anmerkung. )
Nr. 5.
Operationsplan für den Feldzug.
Ein Operations Plan nach Frankreich läßt sich in den gegenwärtigen Verhältnissen aus einem doppelten Gesichtspunkt entwerfen : a) Napoleon tritt
den Verbündeten bloß mit seinen bedeutend
vermehrten Armeen entgegen , oder er hat auch einen Theil der Nation durch seine Vorspieglungen gewonnen , und diese nimmt in den Departements, die wir betreten , thätigen Anteil. Tritt bloß der erste Fall ein , so sind, wenn man die Verstärkungen der französischen Armeen auch noch so hoch annimmt, unsere Streitkräfte mit denselben wenigstens im Gleichgewicht, und es ist gewiß das beste , wenn alle Armeen, nur mit Ausschluß der nöthigen Beobachtungs-Corps , auf Paris losgehen, den vor ihnen stehenden Feind zu bekämpfen suchen und gerade in dem Augenblick, wenn einer Armee ein vorübergehender Unfall begegnen sollte, ihre Offensiv- Bewegungen verstärken, weil dieß das sicherste Mittel ist, die etwa nachtheiligen Folgen zu verhindern , und den Feind , der durch ein jedes Vorrücken' Terrain und so auch in der öffentlichen Meynung verliehrt, in eine üble Lage zu bringen. Hat aber Napoleon einen Theil der Nation zum kleinen Kriege bewaffnet, so ist das ungemessene Vorrücken nicht gantz unbedingt vorzuschlagen , und es scheint alsdann vortheilhafter, nur bis zu einer gewissen Höhe vorzudringen , dort alle Armeeen in Verbindung zu setzen und durch alle Mittel, die man hat , erst sich Ruhe im Rücken und einige feste Plätze zu verschaffen .
Vielleicht würde das rechte Maaß-
Ufer und, wenn man sich hier etwaß etablirt hätte, die Linie über Laon, Rheims , Chalons , Vitri und Brienne diejenige seyn, auf der sich die Armeeen in Verbindung setzen könnten . Die vorstehenden Ideen sind nur allgemeine Ansichten ; es ist vielleicht nicht überflüssig, sie mit dem, waß der Feind mehr nehmen könnte , in Übereinstimmung zu bringen. Die französische Krieges Geschichte kann hiebey nur unsere Führerin seyn .
Es hat wohl Zeiten
gegeben, in denen Frankreich jeden Haupttheil seiner Gräntze
146
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815. 1. von Dunkirchen biß zu Maaß, 2. von der Maaß biß zum Elsaß. 3. von Landau biß Basel
mit einer abgesonderten Armee zu vertheidigen suchte.
Unsere gegen-
wärtigen Verhältnisse müssen den Wunsch erzeugen, daß Frankreich System annehmen möge, denn dadurch würden Napoleons Streitkräfte zersplittert ; wir würden doch wenigstens auf einem Punkte
dieses
siegen, dann die Vertheidigungslinie durchbrechen, und es lege bey einiger Thätigkeit wenigstens in unserer Hand , jedes Zusammenziehen einer frantzösischen Armee zu verhindern . Die zweyte denkbare Vertheidigung der frantzösischen Gräntze würde vielleicht unsere Bewegungen mehr Fesseln anlegen . Es giebt in allen den oben genannten Abschnitten der frantzösischen Gräntze bey den mehresten Festungen zubereitete Umschantzte Lager, die mit 10-20 m. besetzt, in Verbindung mit der Festung einen mehr als gewöhnlichen Grad der Stärke erhalten, und dadurch das Durchgehen durch die Festungs- Lienie erschweren . Gelingt es Napoleon, diese Läger und die Festungen gehörig zu besetzen, und kann er alsdann noch eine bedeutende Reserve Armee zwischen Paris und Chalons etwa sammeln, die neuen Errichtungen zu dem ersten, seine Soldaten zu dem zweiten Zweck brauchen, so würde man beynahe versucht zu glauben, daß dieß Politisch und Militärisch für ihn das Beste wäre . Die Verbündeten würden, indem sie bey jenen Läger vorbey marschierten, bedeutende Streitkräfte zu ihrer Beobachtung zurücklassen müssen, und es wäre vielleicht möglich, das Napoleon, indem er sich auf eine dieser Armeeen würfe,
eine ent-
schiedene Ueberlegenheit auf einem Punkt bekommen könnte , wenn man ihm nicht auch vereinigte Massen entgegenstellte und nach einem wohl überlegten Plan die nöthigen einzelnen Corps gegen die in der Festungslinie stehenden Fortz Läger aufstellte . Daß Herranrücken der Preußischen Armee gegen die Sambre, um in den ersten Augenblicken die Streitkräfte in den Niederlanden zu vermehren, hat die Armee gegenwärtig in zwey Haupttheile zerlegt, die in Belgien und am Nieder- Rhein, die am Mittel und Ober-Rhein. Es scheint, wenn man nicht durch unnütze Seitenbewegungen Zeit verliehren wolle, daß man in diesen Direktionen die Armee auch suchen müsse, in zwey Haupt-Massen biß zur Marne und Aisne vorgehen zu lassen, weil jede dieser Abtheilungen dann so stark wäre, daß selbst die verzweifeltesten Angriffe Bonapartens hier gebrochen werden könnten, und über dem er es nie wagen könnte, eine dieser bedeutenden Massen gantz aus dem Auge zu verliehren .
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
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Wollte man noch etwaß näher in das detail dieser Operationen gehen, so können folgende Lokal-Notizen hier einen Augenblicklichen Werth bekommen . Die Englisch Preußischen Armeeen haben zwey in der gegenwärtigen Jahres- Zeit ziemlich gute Wege : der eine , der sogenannte Romer Weg, von Beway nach Cateau Cambresis längst dem Forêt de Normah ; der andere von Monts über Beaumont nach Chimay und von da theils auf Chaussee, theils auf erträglichen Tramsen nach Capelle . Beide berühren zwar keine Festungen , liegen aber mit Maubeuge, Quenoy, Landrecy und Avesne in naher Berührung, und wenn an dem ersten Orte des ( !) daselbst befindlichen ( !) verschantzte Lager besetzt seyn sollte, so ist zur Sichrung dieser Straßen ein bedeutendes Corps nothwendig. Ob die östlich von Beaumont biß gegen Longwy führenden Wege
zum Debouchiren großer Armeen zu benutzen seyn dürften , läßt sich hier nicht [ mit ] Bestimmtheit angeben. Daß gebürgigte , waldigte Terein der Ardennen macht es nach den bißherigen Erfahrungen wahrscheinlich, daß ohne einen großen Ruin aller Fahrzeuge diese Wege sich nicht zu großen Truppen-Massen eignen. Für eine Armee am Mittel-Rhein bieten sich zwey gute Straßen, der ( !) über Saarbrück und Sarge muines ; beide führen auf Nancy, ohne Festungen zu berühren ; es können also auch sogleich hier Militair Straßen angelegt werden . Ist der Punkt von Nancy einmahl genommen, so sind alle Vertheidigungs-Anstallten des Elsaaßes im Rücken genommen und abgeschnitten, die Übergänge am Ober Rhein werden dadurch gedeckt und eine Vereinigung mit einer von daher kommenden Armee hat, wenn sie gleichzeitig unternommen wird, keine Schwierigkeiten, da eine frantzösische Haupt-Armee die durch einen Nördlichen Anmarsch bedroht wird, sich nicht biß nach diesen Gegenden von Paris entfernen kann. Für eine Armee , die über den Ober Rhein geht, bieten sich drey Wege hauptsächlich dar ; alle drey sind durch die Krieges-Geschichte bewährt : der erste nördlich von Strasburg etwa über Hagenau, der zweite zwischen Strasburg und Breisach über Schlettstadt, der dritte durch Basel. Der letzte entfernt auf eine geraume Zeit die Armee des linken Flügels von denen der übrigen Heere. Die Armee, welche diesen Weg benutzen will, muß sich bedeutend früher in Marsch setzen , wenn sie mit den andren zugleich auf den Operations Punkten eintreffen will. Ein Übergang zwischen Strasburg und Breysach hat nur Schlettstadt im Wege : durch die nicht schwierige Besitznahme derselben gewinnt man festen Fuß im Elsaß, hat offene Wege durch die Vogesen, die kürtzeste Linie nach dem Vereinigungs-Punkt Nancy. Von der Sambre und Nancy ist der Vormarsch, um zur Aisne und
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Kriegsminister General v . Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815 .
Marne zu kommen , nicht schwierig ; es bieten sich Wege genug für jede der Armeen dar, von denen immer zwey zur Unterstützung in der Nähe zusammen bleiben könnten .
Es wäre vielleicht gut, wenn
man ein Verbindungs Corps, besonders stark an Cavalrie , über Menehould nach Chalons gehen ließe, ' ) so wie es auch allerdings von der höchsten Wichtigkeit scheint, von der linken Flügel-Armee sogleich nach dem Einrücken in Frankreich nach Langres und Lyon zu detaschiren, wenn nicht dieser Punkt zu einer besondern Operation eines dazu bestimmten Corps gemacht würde. Sind von den vordringenden Armeen Laon, Rheims, Chalons, Brienne und Bar sur Seine besetzt, so ist der Raum gewonnen, um bey einem einzelnen überlegenen Anfall Bonapartens demselben schnell eine stärkere Macht in der Flanke aufzustellen , und ihn so durch ein vereintes, zur wechselseitigen Unterstützung geeignetes Vorgehen zurück zu drängen ; wobey es durchaus nicht zu vernachlässigen seyn dürfte , die entschiedene Ueberlegenheit der Verbündeten an Reuterey durch eine recht ansehnliche Zahl von weit vorgeschobenen Streif- Partheyn zweckmäßig zu benutzen . Die eben entwickelten Ansichten hatten sich ihrer Natur nach bloß mit dem Gange der Armeen beschäftigen können ; es scheint nicht überflüßig, auch auf die vorzunehmende Belagerungen, um sie in möglichste Uebereinstimmung mit den großen Operationen
zu bringen.
einige Blicke zu werfen.
Die Niederländische Gräntze ist der Schauplatz vielfältiger Belagerungen gewesen .
Wenn man sie aus allen Jahrhunderten zusammen
zieht, so scheint sich als strategisches Resultat zu ergeben, daß alle westlich der Sambre unternommene Belagerungen nur einen geringen Einfluß auf den Gang der Operation äußerten , da2) eine jede Operation , die man frantzösischer Seits³ ) zwischen Namur und Maubeuge unterden Zusammenhang der verbündeten Armeen mit
nehmen konnte,
Teutschland unterbrach, und so in das Gantze der Kriegesführung eine nachtheilige Hemmung legte. Daß neuste Beyspiel des Jahres 1793 hat gezeigt , daß Conde und Valenciennes unter den angegebenen Umständen den Östreichischen Armeen keinen besondren Stützpunkt in den Niederlanden geben konnten . Die Festungen zwischen der Maaß und Sambre könnten vielleicht die seyn , deren Besitz der allgemeinen Krieges - Führung am nützlichsten seyn möchte . Sie sind im Durchschnitt nicht bedeutend stark und geben einige Hoffnung zur 1) Es steht: ,,lassen". 2) Es steht : die. 3) Es steht : Seite.
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815. baldigen Eroberungen.
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Ist man in ihrem Besitz, so ist die feind-
liche Festungs-Reyhe durchbrochen , die verbündeten haben gesicherte Straßen, und der Feind kann nicht mehr längst seiner Festungs - Kette Die westlich der Sambre liegenden französischen fortmarschieren. Festungen sind dann , und in Vereinigung mit einer Stellung bey Laon, von den übrigen Streitkräften Frankreichs abgeschnitten, und es sind , Streifereyen abgerechnet , erwarten .
keine bedeutende Angriffe
auf Belgien zu
Bey dem übrigen Festungs-Gürtel . der Frankreich umgiebt, lassen sich besonders zwey Punkte denken , von denen es wünschenswerth seyn möchte, daß sie der Gegenstand der weiteren Prüfung würden . Dieß sind die Festungen in Lothringen und Elsaß. - Würden die Verbündeten in den Besitz von Metz und Thionville kommen können, so ist dadurch die feindliche Festungs Linie auf einem empfindlichen Fleck durchbrochen, und die wechselseitige Unterstützung der Grentztheile unmöglich gemacht ; mit dem Hinzutritt von Verdun, dessen Einnahme wenig Schwierigkeiten entgegen stehen dürften, ist der Weg nach Paris auch nach den besorgtesten Forderungen der Krieges - Kunst offen, und selbst in der Vorraussetzung von Unfällen kann eine Armee, die biß zu diesen Festungen zurückgeht , die Staaten der verbündeten vor jedem bedeutendem Einfall sichern , da dieß der Central-Punkt ist , nach dem man sich nach allen bedrohten Punkten am schnellsten bewegen, die feindlichen Anfälle selbst in Flanke und Rücken nehmen kann. Die Festungen im Elsaß haben allerdings in militai rischer Hinsicht auch mehrere Vorzüge ; sie sind die direkte Deckung des Ober- Rheins und decken zugleich Süddeutschland und die Schweitz, die dadurch in nähere Verbindung kommen , doch kann von hier aus gegen einen Anfall von Belgien nicht direkte gewirkt werden .
Es ist daher wohl
zu überlegen,
auf welchen von beiden Punkten man seine HauptBelagerungs-Kräfte zu werfen vorziehen möchte, vorrausgesetzt , das man nicht Mittel genug haben sollte , auf beiden Punkten zugleich förmliche Belagerungen vornehmen zu können. Es ist nicht überflüssig, einige Prüfung zu weyhen .
auch noch dem folgenden Verhältniß
Es kann seyn , daß Napoleon an den Gräntzen
eine größere Wiederstandsfähigkeit, als wir sie zu erwarten berechtiget sind, biß zum Ausbruch der Feindseligkeiten gesammelt hat ; es könnte seyn, das die Verproviantirung der Festungen und andre Vorkehrungen in dieser Jahreszeit kurtz vor der Erndte die Gegend der Operationen so ausgeleert haben , daß unser Vorrücken dadurch unerwartet erschwert würde ; waß würde in diesem Falle zu unternehmen seyn ? Vordringen , so weit man es mit Rücksicht auf die Lebens-Mittel kann , dadurch
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Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
die Belagerung decken und den Operation [ en] aus Italien und der Schweitz nach dem südlichen Frankreich die größtmöglichste Thätigkeit geben,
da dieses
eine Diversion wird , die entweder Bonaparte zum
2. mahl aus den Tuillerien wirft oder ihn mindestens nöthiget, alle gegen uns gestellte Streitkräfte abzurufen . Wenn die hier aus der Krieges-Geschichte
entwickelten
Ansichten
einen
Verbindungs-Punkt
über die Operationen der verschiedenen Armeeen bilden sollten, so wird es nothwendig, die Haupt- Zwecke der wechselseitigen Operationen und die darauf zu verwendenden Mittel in den verschiedenen denkbaren Fällen so bald als möglich festzustellen, damit nicht Zeit-Verlust den Geist der Armeeen niederbeuge, nicht Überraschung dem großen Zweck nachtheilig werde.
Nr. 6.
(Nr. 26. )
Gedanken über die Maaßnahmen eines preußischen Heeres zwischen Maas und Mosel.
Wenn nach den angenommenen Voraussetzungen 4 Armeen von der Schweitz
biß
zu
den
Niederlanden
aufgestellt
werden sollen
und die Preussische zu ihrem Kriegs-Theater das Land zwischen Namur und Trier erhielte, so kommen bei diesem Terrain-Abschnitt vielleicht folgende Punkte zur Berücksichtigung :
Wenn die hier zum Operiren
bestimmte Armee nicht 200 m. Mann stark ist oder sich nicht gantz in Belagerungen zersplittern will, so wird es einleuchtend, das man nur auf einem Theil dieser Gränze mit Kraft vorrücken, den anderen beobachten muß.
In dieser Hinsicht zerfällt das Land in zwey Theile : 1. von Charlemont oder Givet biß Montmedy,
2. von Longwy biß Sarebourg. Geht man über die Maaß, so scheint die Einschließung von Mezieres, Sedan und Montmedy, die Beobachtung von Givet nothwendig, die Garnison von Luxemburg müßte in diesem Fall so verstärkt werden, daß sie die Garnisonen von Sareburg biß Longwi im Zaum halten kann. Will man über Longwy hinaus etwa gegen Verdun vorrücken, so muß man die Festungen Montmedy, Longwy, Thionville, Metz , Sareburg einschließen und ein Beobachtungs - Corps gegen die Maaß Festungen .... (Nr. 19. )
Nr. 7.
Entwurf eines Aufrufes bei Eröffnung des Feldzuges.
Aufs neue durch Wortbruch zum allgemeinen Kampfe aufgefordert, betritt Mein Heer jetzt wieder den Schauplatz , den es nur vor wenig Monaten ehrenvoll verließ.
Kriegsminister General v . Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
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An die durch Sieg bewährten Krieger schließen sich neue Waffengefährten, beide tragen wechselseitig gleich heilige Pflichten. Wenn der junge Soldat großer Anstrengung bedarf, um sich in dem neuen Kreise durch Muthvolles Benehmen einen ehrenvollen Stand-Punkt zu erwerben , so ist es die Pflicht des älteren Kriegers, mit seinem Beyspiel, mit Rath und That den Neuangekommenen zu unterstützen , und dadurch dem gemeinsamen Vaterlande kraftvolle Vertheidiger , treu vereinte Brüder zu bilden. Diese Eintracht, dieses redliche Zusammenwirken ohne persönliche Rücksicht erwarte Ich von jedem, der unter Meinen Fahnen steht. Auf diese Eintracht, dieses Zusammenwirken rechne ich mit Vertrauen . Wer jemahls zaudern könnte, sein eignes Gefühl der allgemeinen Sache unterzuordnen, der wäre nicht werth, ein Preuße zu seyn. Dankbar werde ich jede tapfre That Meiner Krieger belohnen, Mich freuen, wenn Ich die Gelegenheit erhalte, ihnen nicht allein ein vollgültiges Anerkenntniß bey ihren Zeit- Genossen zu geben, sondern auch ihr Andenken auch den fernen Nachkommen zu überliefern . In der Stunde des heftigsten Kampfes so wie in der Hütte des friedlichen Land- Mannes vergesse keiner Meiner Krieger, das er ein Preusse ist. Wenn er so seine Pflicht zu erfüllen strebt, den krönt Gott mit Sieg. (Nr. 18.)
Nr. 8.
Gedanken über den bevorstehenden Krieg und dessen Nutzbarmachung für Preußen.
Bei allen Rüstungen wird es nothwendig, den Zweck des jedesmahligen Krieges
deutlich
im Auge
zu
behalten ,
damit nur dem
Gemäß die Anordnungen getroffen und die Kräfte der Nation benutzt werden. Daß der erste Zweck des uns nun, wahrscheinlich bevorstehenden Krieges die endliche Unterjochung Napoleons ist, leidet keinen Zweifel ; es wäre wieder die Sicherheit Europas und wieder die Ehre aller Trohnen , wenn diesem Mann jemahls auch nur ein Dorf zur Regierung eingeräumt würde.
Diesen Zweck hat Preussen nicht allein, es hat ihn gemein-
schaftlich mit allen Mächten Europas, und auf Preussen haftet nur noch aus Gerechtigkeit gegen sein so hart angegriffenes Volk die Verpflichtung dahin zu sehen, daß nicht ausser Verhältniß von dem Lande zum neuen Kampfe gefordert werde. Rußland hat seinen Tribut in dem Feldzuge des Jahres 12 , Preussen in den Jahren 1813/14 redlich der allgemeinen Sache dargebracht. An diese allgemeine Ansicht aber schliessen sich noch besondere, die bey der Berechnung der möglichen Dauer des Krieges und über
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Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
die Art seiner Führung zu Rathe gezogen werden müssen , und die sich wahrscheinlich lassen :
am
sichersten
durch folgende Fragen darstellen
1. Hat Frankreich durch sein Benehmen seit dem Pariser Frieden und nahmentlich bey dem Kongreße in Wien die Ueberzeugung gegeben . daß es für die Ruhe von Europa vortheilhaft wäre, wenn man dasselbe so stark als möglich machte und besonders durch die eilige Hingebung unseres eignen Blutes
den Frankreich jetzt bevorstehenden
Kampf und die inneren Reibungen , die sich dort unter sich ausgleichen , müssen, so viel als möglich abkürtzte. 2. Sind wir durch das Benehmen der Mächte bey dem Kongre überzeugt, daß die Gesinnungen aller über jeden im Kriege möglichen Glückswechsel erhaben sind, daß keiner seinen eigenen Vortheil dem der allgemeinen Sache vorziehen wird, und das endlich nach dem hoffentlich doch einmahl wieder zu
erringenden Frieden jedermann
bereitwillig unsere durch den Krieg erhöhten Ansprüche anerkennen und uns gutwillig geben wird, selbst wenn wir auch nicht im Stande. seyn sollten, mit Nachdruck zu fordern . - Jemehr ein Volk sich zur Erkämpfung einer Sache hingegeben hat, desto mehr hat es Ansprüche . das im Frieden seine Lage verbessert werde, und die
kann nur ge-
schehen, wenn es gute Gräntzen und einen den andren Mächten angemessenen Umfang bekömmt. 3. Sind wir es gewiß, daß die unzweckmäßig harten Maaßregeln mancher Regierung nicht einen Gehrungsstoff hierin wieder nieder gelegt haben, der wohl im Gewühl der Begebenheiten zur Reife kommen könnte ? Sind wir es gewiß . das es nicht eine halbentrohnte Regierung geben konnte, die durch mitten im Kampf angezettelte Unruhen zu dem verlohrnen zu kommen trachten konnte ? Möge sich ein jeder diese Fragen nach seinem eigenen Gefühl beantworten ; es ist genung, wenn niemand ihre Nützlichkeit bestreiten. kann, denn dadurch steht es fest, daß sie bey dem Entwurf eines Preussischen Krieges-Plans berücksichtiget werden müssen . Nach diesen Ansichten bedürfe Preußen hauptsächlich folgendes : 1. Es muß die gröstmöglichsten Streitkräfte entwicklen , um unabhängig seiner Selbstständigkeit gewiß zu seyn . 2. Es muß nur einen verhältnißmäßigen Theil derselben in den ersten Kampf führen , aber große Reserven bereit halten, um dem vielleicht wankenden Glück, da wo es nöthig ist, unter die Arme zu greifen , um durch die bereit gehaltene Macht jeden Wechsel [ der ] Gesinnung einer Regierung oder eines Volkes unmöglich zu machen und bey dem einst zu hoffenden Frieden nicht ohne Gewicht in der Waagschaale [ zu ] bleiben .
Kriegsminister General v. Boyen zu Beginn des Feldzuges 1815.
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Daß die schönsten Thaten , die edelste Hingebung im Jahre des Krieges in wenig Wochen des Friedens vergessen werden können , bedarf für das Jahr 1813 vielleicht keines Beweises, und ob es gut ist, nach dem Gefühl der Großmuth oder kalter Politik zu handeln , darüber mögen der Pariser Friede und die aus ihm folgende Ereignisse befragt werden.
Je mehr die Preussische Regierung sich ihrer gerechten und
mässigen Absichten bewußt ist, desto mehr ist es die Pflicht nicht allein gegen das Preussische Volk, sondern gegen die gantze Menschheit , so viel Macht durch kluge Benutzung der Umstände in diesem Kriege zu erwerben , daß nicht wieder die Erbärmlichkeit eines Congresses gegen uns ausgeübt werden könne .
(Nr. 20. )
Nr. 9.
Über die Anzahl der Gestellungspflichtigen .
Die gröstmöglichste Erhöhung der
Preußischen Streitkräfte
in
diesem Kriege kann am besten durch die Ausführung des Gesetzes vom 3. September erreicht werden. Außer den bereits geschilderten Politisch Militärischen Rücksichten , die dies erheischen, gebiethen auch noch innere Landes Ansichten dadurch den älteren Provintzen einige Erleichterung zu geben , daß man nach und nach einige der bereits bestehenden Landwehr-Regimenter durch Ersatz zu den neuen Provintzen übergehen läßt und ein möglichst gleiches Prinzip der Gestellung durch die gantze Monarchie durchführt. ― Preußen hat z. B. nach vielfältigen Angaben 77000 von seiner Bevölkerung gestellt . Gewiß ist es, das außer dem Ersatz seiner Linientruppen des ( !) zurückgekommenen Yorckschen Corps 20 Battaillone Landwehr und wenigstens 3 Reserve , 9 Battaillone¹ ) = 29 Battaillone gestellt sind ; die Neu Mark hat außer dem Linien -Ersatz von 258000 Seelen, also 14 Million , 12 Battaillone Landwehr gestellt. Eine Million würde nach diesem Prinzip 48 Battaillone zu stellen haben. Will man nach diesen Erfahrungs Sätzen ein billiges Prinzip der künftigen Gestellung für die gantze Monarchie entwerfen , so würde dieses, gering angenommen, in 32 Battaillonen von der Million, nehmlich 16 des 1. , 16 des 2. Aufgebots , ohngefähr zu finden seyn , wobey nicht allein die Zahl der in diesem Kriege gestellten Battaillone sich verminderte, sondern auch noch von diesen die Hälfte, daß 2. Aufgebot, dem Lande weniger entzogen würde.
(Nr. 17) .
¹) Soll wohl heißen : wenigstens 9 Reserve Battaillone.
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Nr. 10.
Bericht
über die Anstellung
eines
Mitgliedes des
Kriegsministeriums im Hauptquartiere des preußischen Feldheeres . Aus den Erfahrungen des letzten Feldzuges hat es sich ergeben, daß die Absendung des Ersatzes an Mannschaft , außer den Gewehren. Munition und sonstigen Krieges-Erzeugnissen zuweilen, besonders bey einer Veränderung der Operationen , in ein nachtheiliges Stocken gerathen ist. Die in Berlin befindlichen Mitglieder des Krieges - Ministeriums können niemahls zur rechten Zeit von den veränderten Operationen unterrichtet seyn und müssen also nur nach einmahl angenommenen Punkten den Ersatz dirigiren ; der commandirende General hingegen hat in dem Augenblick kritischer Operationen entweder nicht die Zeit, Befehle an die in seinem Rücken marschirenden einzelnen ErsatzTruppen und Transporte zu schicken , oder er behandelt den Ersatz und die Formationen aus mangelnder Kenntniß nach abweichenden Ansichten . Um nun die auf diese Art entstandenen , oft sehr unangenehmen Verzögerungen möglichst zu vermeiden , glaube ich E. K. M. nach dem Beyspiel der früheren Kriege, z. B. am Rhein , unterthänigst vorschlagen zu müssen, das in das Haupt Quartier des Fürsten Blücher ein Offizier des Kriegs-Ministeriums gesendet werde , der von dort aus nach dem jedes mahlig veränderten Standpunkt der Armeen den Anmarsch und Transport sämtlicher Ersatzmittel dirigirt und zu diesem Zweck sich in einer fortdauernd schriftlichen Verbindung mit dem Kriegs Ministerium und uns erhält. Der General Major
von Schöler der 2. würde dieses Geschäft
wohl auszuführen im Stande seyn, wogegen während seiner Abwesenheit der General Major von Schmidt die Direktion des 1. Departements übernehmen könnte. (Nr. 25.
Schöler ist
quartiere abgegangen.
tatsächlich nach dem Blücherschen Haupt-
Meinecke II S. 61. )
Literatur.
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Literatur.
I. Bücher. Militärstrafrecht. Grundriß für Krieg und Frieden herausgegeben von Heinrich Dietz, Kriegsgerichtsrat in Rastatt, zur Zeit im Felde. Rastatt 1916, Druck von K. u . G. Greiser. Daß Heinrich Dietz, der fruchtbarste unserer militärrechtlichen Schriftsteller, die seltene Kunst hat, viel und doch Wertvolles zu schreiben und die Dinge kurz zu sagen und doch klar zu machen dies letzte ist der segensreiche Einfluß militärischer Gewöhnung, den wir mancher Wissenschaft wünschen möchten - konnte an dieser Stelle schon mehrfach festgestellt werden, zuletzt bei Besprechung des Grundrisses über „ Disziplinarstrafrecht, Beschwerderecht, Ehrengerichtsbarkeit" . Jenem Bändchen ist jetzt das vorliegende Kompendium des Militärstrafrechts gefolgt. Im Krieg entstanden , das Vorwort ist datiert n Mazedonien, im Juli 1916" , und das Papier zeigt, daß die Zeiten nicht üppig sind, - ist es zunächst als Taschenbuch für die bestimmt, die an der Front die Rechtspflege auszuüben haben. Ob es auch dem Nichtjuristen so leicht verständlich sein wird , wie sein Vorgänger, das Disziplinarrecht, muß der Gebrauch lehren ; die Gemeinverständigkeit war dort wesentlicher, als hier. - Man kann auch in der Wissenschaft von Courage reden : die gerade Art, den Streitfragen entgegenzugehen , eine Entscheidung zu treffen, auf die Gefahr hin, daß spätere Forschung sie wieder umstößt ; die Dinge in ein System zu bringen, auf die Gefahr hin, daß der Spezialist Ausnahme- und Sonderfälle vermißt, - das sind wohl Dinge, die man gerade im Felde lernen kann . Die Art wie Dietz die wichtigen Begriffe" (Wehrbewaffnete pflicht, Militärpflicht, Dienstpflicht, Landsturmpflicht ; Macht, Militärstand ; aktives Heer, Beurlaubtenstand ; Militärpersonen ; Offizierskategorien usw.) S. 30ff. abmacht, über die schon so viel allzu allgemeines geschrieben worden ist, macht einem direkt Freude. Dabei ist das kleine Buch nie unwissenschaftlich ; das Schrifttum , die Quellen sind stets berücksichtigt und so tieferem . Forschen der Weg gewiesen . Daß ein solches Werkchen in Mazedonien vollendet wurde, zeigt einmal, wieviel Wissen der Verfasser bei sich trägt, und ferner, daß die deutsche Gründlichkeit und Rechtlichkeit an der mazedonischen Front keine andere ist, als beim Reichsmilitärgericht zu Berlin . Wir wünschen dem Buch weite Verbreitung, jetzt im Felde und auch später bei denen, die sich auf die militärEg. juristische Laufbahn vorbereiten.
Anleitung für den Unteroffizierunterricht . 26 Themen in Fragen und Antworten zusammengestellt von Hauptmann Nicolay. Berlin 1916. Verlag R. Eisenschmidt . Die mehrjährige Dauer des jetzigen Krieges macht die Ausbildung des Ersatzes hinter der Front und bei den Ersatztruppen nötig . Infolge der starken Verluste sind die als Lehrer zu verwendenden Unter-
156
Literatur .
offiziere vielfach für die ihnen zufallenden Aufgaben noch nicht genügend vorgebildet. Daraus erklärt sich das Erscheinen zahlreicher Anleitungen, die den jungen Unteroffizieren ein Ratgeber sein wollen. für das Ausfüllen vorhandener Lücken . Diesem Zweck auf dem Gebiete der allgemeinen Dienstkenntnisse und zwar für die Infanterie, soll auch die vorliegende, anschaulich gefaßte Anleitung dienen . v. Rr.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafagabe ihrer Bedeutung und des ver. fügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde -- hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Frhr. v. Mackay, Völkerführer und -Verführer. Frankfurt am Main 1917. Verlag der Literarischen Anstalt Rütten und Loening. Geh . 5 M. Geb. 6 M. 2. Marine-Taschenbuch. Mit Genehmigung des Reichs -Marine15. Jahrgang. Berlin 1917. E. S. Mittler & Amtes herausgegeben . Sohn . 4 M. Geb. 4,75. 3. Grofse, Karten lesen . Eine praktische Einführung mit Abbildungen und Karten . Stuttgart, Franckh'sche Verlagshandlung . 25 Pf. 4. Grofse, Geländekunde . Eine Anleitung zum Beobachten in der Heimat, insbesondere bei Wanderungen. Stuttgart, Franckh'sche Verlagshandlung. 25 Pf. 5. Everling, Kaiserworte. Berlin 1917. Trowitzsch & Sohn . 1,50 M. 6. von Löwis of Mener, Ostsee und Ostland. I. Die Baltischen Provinzen . V. Märchen und Sagen . Berlin- Charlottenburg 1916. 3 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z. D. H. Rohne ) enthält u . a. folgende Arbeiten : Narath, Oberleutnant a. D.: Der Rechenschieber und seine Verwendung im Waffenbau und in der Ballistik. H. Rohne , Generalleutnant z. D.: Arbeitsleistung und Lebensdauer schwerer Kanonen . Bircher, Major : Beobachtungsübungen . Luftgeschütze ohne Rückstoß.
Gümbel, Dr. Ing.: Über die Form flußeiserner Granatsplitter. Leitsätze für den mathematischen Unterricht . Anér: Nachtrag zu zu ,, Erweiterung eines ballistischen Satzes mit Beweis."
bemerkenswerten
Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen .
Druck von A. W. Hayn's Eroen (Curt Gerber), Potsdamı.
XV .
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
Von Riensberg, Oberst z. D.
Gewaltige Explosionen,
die unsere Zeit durchzittern und fast
täglich in verschiedenartigster Gestalt durch die Zeitungen bekannt
* werden , haben diese kleine Schrift veranlaßt. Sie soll in allgemeinverständlicher Weise aufklärend wirken und zum Kampfe gegen die Explosionsgefahr auffordern . Auf diesem Gebiete kann viel geschehen, wenn alle Berufenen mithelfen , die durch Erfahrung im praktischen Leben Gelegenheit dazu finden.
Jeder Explosionsunfall kann dann der Zukunft Lehren
hinterlassen .
Es handelt sich um Fragen, die an viele gestellt werden,
die aber nur wenige beantworten können. Explosion ist ein Wort, mit dem das Volksempfinden den Begriff des Furchtbaren und Schädlichen verbindet, ohne sich darüber klar zu werden , daß die beh rrschte Explosion sehr nützliche Dienstleistungen vollbringt. Die Explosionsgefahr kann zwar nicht vollkommen ausgeschaltet werden ; sie ist aber nicht zu fürchten, wenn alles mit rechten. Dingen zugeht.
Verfasser hat die Genugtuung, daß während seiner
20jährigen leitenden Tätigkeit
in
Explosivstoffabriken in
diesen
nicht ein einziges Menschenleben der Explosionsgefahr zum Opfer gefallen ist . I. Die Explosionskraft und die Explosionsgefahr. Wohltätig ist des Feuers Macht, Wenn sie der Mensch bezähmt , bewacht ; Doch furchtbar wird die Himmelskraft, Wenn sie der Fessel sich entrafft. Schiller hat schwerlich an Explosionen gedacht , als er obige Worte niederschrieb ; sie treffen aber auf Explosionen im wahren Sinne des 12 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 547.
158
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
Wortes zu ; denn Explosionen sind im Grunde genommen Verbrennungsvorgänge. Diese vollziehen sich unter Knall und heftigen. mechanischen Wirkungen infolge plötzlicher Drucksteigerung in kürzester Zeit. In weiterer Auslegung versteht man allerdings unter Explosionen nach dem üblichen Sprachgebrauch alle Kraftäußerungen , die unerwartet zerstörend wirken , sobald das
Gleichgewicht verschiedener
Kräfte plötzlich aufgehoben wird. Bei den eigentlichen Explosionen wird durch die entwickelte Wärme mit der Kraft der gas- und dampfförmigen Produkte Arbeit geleistet. Die Explosionskraft wirkt im Zylinder der Explosionsmaschine und im Rohr der Feuerwaffe schiebend, bei der Sprengarbeit zertrümmernd.
Es ist die Tätigkeit der plötzlichen Volumenvergrößerung, die von festen oder flüssigen oder gasförmigen Explosionskörpern unter heftiger Wärmeentwicklung ausgeht . Infolge von schneller Verbrennung oder Zersetzung findet eine lebhafte Gasentwicklung statt , die mit großer Kraft und Gewalt durch Druck auf die einschließende Umgebung einwirkt. Heftigkeit herde aus .
Wellenbewegungen von hoher
und großer Geschwindigkeit gehen vom ExplosionsAm großartigsten treten diese, das Gemüt des Menschen
beängstigenden Explosionen , bei der phänomenalen Kraftäußerung in der Natur hervor. Der rollende Donner verkündet eine Gasexplosion, die in der Atmosphäre beim Ausgleich der Elektrizität der zündende Blitzstrahl auslöste ; und Erdbeben weisen mit ihren Vulkanausbrüchen auf die gewaltige Kraftäußerung unterirdischer Explosionen hin. Das Streben der Gase , sich nach allen Seiten auszudehnen , wächst mit der zunehmenden Wärme. die Volumina der Gase.
Die Drucke verhalten sich dabei wie
Je größer die Gasmenge, je höher ihre Tem-
peratur und je schneller der Zersetzungsvorgang, desto größer wird mit dem wachsenden Gasvolumen die Explosionskraft mit ihrer treibenden, zerstörenden und zerschmetternden Wirkung. In dem Unterschied des Anfangvolumens der Explosivstoffmasse und des Endvolumens der bei der Zersetzung entstehenden Gase liegt die Größe der Explosionskraft.
Ihr Wert kommt zahlenmäßig in den statischen
und kinetischen Messungen als Gewichtsdruck und -zug oder in der Beschleunigung zum Ausdruck.
Die bewegende Kraft als Masse mal
Beschleunigung, die bei Explosionen hauptsächlich in Frage kommt. tritt mit ihrer Arbeit als Kraft mal Weg in die Erscheinung. Die Möglichkeit der Ausnutzung liegt in der zweckmäßigen, dem jeweiligen Bedürfnis entsprechenden Regelung der Explosionsäußerung. Mit der mächtigen
Wirkung
der
gezähmten Explosionskraft
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
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werden derart Leistungen vollbracht , die oft auf andere Weise und mit anderen Mitteln nicht erreicht werden können , und die besonders bei Sprengungen trotz hoher einmaliger Kosten von großem schaftlichem Vorteil sind.
wirt-
So hat die Explosionskraft beim industriellen Aufschwunge unserer Zeit unschätzbare Dienste geleistet . Der Aufschwung ist allerdings in erster Linie der Dampf- und Wasserkraft zu verdanken ; aber die Explosionskraft hat in riesigem Umfange mitgeholfen . Sie ist hundertund tausendfach größer als die Dampf- und Wasserkraft und ist nicht wie diese örtlich an bestimmte Quellen und Stellen gebunden , sondern hat den großen Vorzug , sich frei und unabhängig im Raume fortbewegen zu können. Als Kraftquelle ist die Explosionskraft mit dem Explosionsstoff tragbar. Ohne besondere Vorkehrungen kann sie überall in beliebiger Größe verwandt werden . Sie wird gewissermaßen auf Vorrat gefertigt und an der Gebrauchsstelle in einfachster Weise durch den Funken ausgelöst. In
dieser
einfachen
und
vielseitigen
Verwendungsmöglichkeit
liegt ein großer technischer Vorteil, aber auch der große Nachteil der Explosionsgefahr. Freiheit und Unabhängigkeit sind gefährlich ! Die Explosionskraft ist in ihrer Ungebundenheit zu fürchten. Die Gefahr ruht in unzeitgemäßer, unerwarteter und unbeabsichtigter Explosionsauslösung , die mit der Mannigfaltigkeit der Explosivstoffe zusammenhängt. Diese sind in den letzten Jahrzehnten vielgestaltig wie die Pilze aus der Erde gewachsen. Glücklicherweise ist nur ein verhältnismäßig kleiner Teil für technische Zwecke geeignet .
Immerhin ist die
verwendungsfähige Zahl gegenüber dem Schwarzpulver, das früher Jahrhunderte hindurch der einzige Explosivstoff war, heute noch Legion. Die
zahlreichen
Explosivstoffe
mit
ihren
sehr verschiedenen
Eigenschaften und wechselnden Kraftäußerungen werden heutzutage in großen Massen verwandt. Sie sind unentbehrliche Kulturträger geworden, die mit kolossaler Explosionskraft in vielseitiger Verwendung furchtbare Explosionsgefahren heraufbeschwören können. Die Explosivstoffindustrie hat zum Teil die alte Basis verlassen
und in schneller Entwicklung viel Neues auf neuer Grundlage geschaffen. Bei der Herstellung von Explosivstoffen ist man von mechanischen Mischungen ( Schwarzpulver) zu chemischen Verbindungen, molekular homogenen Körpern ( Schießwolle , Nitroglyzerin , Knallquecksilber usw. ) übergegangen . Vergrößerung der Explosionskraft und Verringerung der Explosionsgefahr werden dabei erstrebt . Ein Ziel, das nicht leicht zu erreichen ist , da die beiden Forderungen vielfach im Widerstreit miteinander stehen. Die zunehmende Kraft12 *
160
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
äußerung erhöht naturgemäß die Größe der Explosionsgefahr, dessen ungeachtet darf das Streben nach ihrer Einschränkung nicht erlahmen . Die von Ort und Zeit unabhängige Explosionsgefahr bedroht uns überall mit überraschendem Überfall. Wir können ihr nicht aus dem Wege gehen , ihr nicht entfliehen ; wir müssen den Kampf mit ihr aufnehmen , sie zu überwinden suchen . Die Gefahr geht nicht allein von Explosivstoffen aus ; sondern unsichtbare Gase, harmlos erscheinender Staub und Dampf sind oftmals Träger der Gefahr.
Wo
die Möglichkeit schneller Gas- oder
Dampfentwicklung vorliegt , da ist mit zerstörenden Explosionen zu rechnen. Die festverschlossene Kaffeeflasche auf der Wärmeplatte wird zum
Explosionskörper ,
sobald mit
zunehmender
Wärmeein-
wirkung die Spannung der in der Flasche entstehenden Wasserdämpfe die Wandungen des Gefäßes zertrümmert . Bei dieser Explosion handelt. es sich um eine Kraftäußerung, deren Wirkung ebenso wie bei der komprimierten Luft und der Wärmeausdehnung des Wassers von der Festigkeit der Einschließung abhängt. Es ist das weite Gebiet Der Dampfder Dampfkesselexplosionen , die viele Opfer fordern . kessel explodiert und wirkt mit seinem Inhalt zerstörend, wenn der im Innern entstehende Druck größer wird als die Festigkeit der einschließenden Wandungen.
Ebenso spricht man von Rohr- , Geschoß- ,
Ofenexplosionen , wenn die Hülle durch den Gasdruck zerstört wird . Jede Temperaturerhöhung vermehrt das Volumen der Gase und vergrößert im geschlossenen Raum mit zunehmender Wärme sehr schnell die Spannung , die in der Sprengwirkung beim Bersten der Umschließungswände in die Erscheinung tritt . Der Druck der sich entwickelnden Gase ist die Macht , die wohltätig ist, wenn sie der Mensch bezähmt bewacht, und die Kraft , die furchtbar wird, wenn sie der Fessel sich entrafft.
Alle Welt bewundert gerade in der heutigen Zeit die Wirkung der Explosionskraft , die der ganzen Technik einen hohen Aufschwung und der Kriegsführung eine neue Richtung gegeben hat. Im Explosionsmotor ist der Aufschwung besonders verkörpert. Ein Gemisch von fein zerstäubtem oder verdampftem Benzin oder Benzol erzeugt mit der atmosphärischen Luft das explosive Gas, das durch einen elektrischen Funken gezündet , bei der Verbrennung die treibende Druckkraft für die Maschine liefert, während die verbrauchten gasförmigen Produkte als Abgase auspuffen .
So ist der Explosionsmotor,
als schnell herangewachsenes Kind unserer Zeit, zur Arbeitsmaschine in der Luft und unter dem Wasser und im schnell dahinsausenden Automobil geworden. Anderseits hat der Krieg mit der furchtbaren Zerstörungsarbeit
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung. der Explosivstoffe
ein anderes Gesicht bekommen.
161
Die Brisanz-
geschosse, die Torpedoladungen und Luftbomben legen schnell Festungen in Schutt und Trümmer, versenken Schiffe und verbreiten überraschend Tod und Verderben. Im Motor und in der Feuerwaffe schiebend, mit dem Geschoß und der Mine zertrümmernd, ist die Explosionskraft dem jeweiligen Sie leistet in kürzester Zeit eine Zwecke gefügig gemacht worden. sehr große Arbeit und steigt in ihrem Werte mit dem Sinken der Explosionsgefahr. Wenn wir die Explosionskraft in ihrem Wesen näher untersuchen , dann wird zunächst festzustellen sein, ob die Gefahren bei ihrer Erzeugung und Verwendung im richtigen Verhältnis mit dem Gewinn und Nutzen stehen, die wir aus der Kraft zu ziehen vermögen . Diese Frage kann im allgemeinen vorweg bejahend beantwortet werden . Die Explosionsgefahr ist im Vergleich mit anderen Gefahren verhältnismäßig nicht groß. Auf Ursachen anderer Art sind im Verkehrsleben und in der Industrie mehr Unglücksfälle zurückzuführen .
Mit
Streben , die Explosionsgefahren durch zweckmäßige Sicherheitsmaßregeln zu verringern , hat außerdem die Nutzanwendung der Explosivstoffe sichtbar zugenommen. Der Gewinn ist ganz all-
erfolgreichem
gemein schon heute erheblich höher zu veranschlagen als der Verlust ; und das Verhältnis wird weiter zugunsten des Gewinnes wachsen, wenn die Explosionsgefahren mit zunehmender Einsicht noch weiter zurückgedrängt werden . Bei richtiger Handhabung ist die Explosionskraft schon heute als ungefährlich zu bezeichnen . Sie wird vollkommen beherrscht und kann mit solcher Sicherheit nutzbar gemacht werden, daß sie bei verständiger Verwendung nicht mehr mit Menschenleben zu bezahlen ist. ,, Und setzt ihr nicht das Leben ein , nie wird euch das Leben gewonnen sein“ , ist für das rauhe Kriegshandwerk, aber nicht für die geregelte Friedensarbeit geschrieben . Der Tod darf bei dieser Arbeit keine Ernte halten .
Menschenleben dürfen bei einer gesunden Ent-
wicklung der Technik den Explosionsgefahren nicht in leichtfertiger Weise ausgeliefert werden. Unglückliche , außerhalb menschlicher Berechnung stehende Zufälle müssen überall zurückgedrängt werden ; denn das tägliche Leben ist leider an jedem Ort und zu jeder Zeit von Explosionsgefahren bedroht, vor denen das Leben im geregelten Betrieb nach Möglichkeit zu sichern und zu schützen ist.
Diese Sicher-
heit muß gefordert werden , selbst wenn sie mit einem Verlust an Kraftleistung und hohen Kosten erkauft werden muß .
Die Geschichte der
Explosivstoffindustrie hat bereits gezeigt und wird weiter lehren , wie viele Explosionsunglücke vermieden werden können.
Schrecken
162
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung.
und Verderben , die von der Explosionskraft bei Unglücksfällen und verbrecherischen Anschlägen in überraschender Weise ausgehen , sind allerdings im Bereiche der Ausnahme als unvermeidliches Übel in den Kauf zu nehmen .
Sie bestätigen im Kampfe gegen die Explosions-
gefahr die Regel, welche die Ausnutzung der Explosionskraft mit ihrer gewaltigen Leistung und außerordentlichen Machtfülle gefahrlos ermöglicht . Die heutige Zeit hat besondere Veranlassung,
der Explosions-
gefahr mit allen erdenklichen Mitteln der Abwehr entschieden entgegenzutreten ;
denn die ganze Welt wird in der Jetztzeit von erDies und bewegt .
schütternden , furchtbaren Explosionen erregt
scheint im Widerspruch mit der Beherrschung der Explosionsgefahr zu stehen, liegt aber in den Verhältnissen unseres gegenwärtigen Weltbrandes begründet. Die übereilte Herstellung und Verwendung großer Explosivstoffmassen trägt die Hauptschuld. Im übrigen bleibt es dabei, daß wir auf den verschiedensten Gebieten der Industrie und bei der vielseitigsten Verwendung der Explosivstoffe Herr der Explosionsgefahr bleiben , wenn wir dieser fest in das Auge schauen . Dazu gehört in erster Linie , daß wir die Gefahr in ihrem innersten Wesen und Wirken zu ergründen und zu erforschen suchen.
Schon
theoretische Kenntnisse gestatten einen tiefen Einblick und erklären sichernd augenfällige Wirkungen ; während bedauerlicher Unkenntnis viele Unfälle zur Last fallen . Der stetige Rückgang der verheerenden Dampfkessel- und Schlagwetterexplosionen hat im Laufe der Zeit einwandfrei gezeigt , in welchem Umfange die Explosionsgefahr herabgemindert werden kann, wenn die Ursachen ihrer Entstehung erkannt und energisch beseitigt werden. Die relativen Zahlen dieser Explosionen haben dank der getroffenen Sicherheitsmaßnahmen und sachkundigen Über-
wachung dauernd abgenommen. Auch die anderweitigen Explosionen gehen zurück, leider werden aber infolge der ängstlichen Geheimhaltung der Explosivstoffertigung nur verhältnismäßig
langsame Fortschritte
Sicherheit gemacht.
Das Staatsgeheimnis muß hinsichtlich der Zu-
in bezug
auf
erhöhte
sammensetzung, Art der Herstellung und Wirkungsweise der KriegsExplosivstoffe natürlich gewahrt bleiben ; aber Geheimhaltungen, die allein wirtschaftliche Vorteile auf Kosten von Leben und Gesundheit schaffen , sind nicht gerechtfertigt.
Außerdem bleibt zu berück-
sichtigen, daß sich heutigen Tages das Wesen brauchbarer Explosivstoffe kaum noch auf die Dauer verschleiern läßt. Es ist ein offenes Geheimnis , daß trotz verschiedener Bezeichnung die Pikrinsäure der Hauptbestandteil der Sprengladung der ersten Brisanzgeschosse war.
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung . Derselbe Grundstoff heißt in Deutschland Frankreich -- Melinit
163
Granatfüllung -, in
, in Italien - Pertit
, in England - Lyddit - 9 in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ― Hathamit - und in Japan -Schimose .
Der Zweck der Geheimhaltung ist durch die
geänderten Namen also nicht erreicht worden. Man war über die Eigenschaften des Explosivstoffes , die durch Zusätze zum Grundstoff keine wesentlichen Änderungen erfahren haben , gegenseitig unterrichtet. Die Fertigung des alten Schwarzpulvers ließ sich in früheren Zeiten noch geheim halten.
Es war vom vierzehnten bis neunzehnten Jahr-
hundert , fast ein halbes Jahrtausend, der einzige bekannte Explosivstoff, dessen Herstellung vom Vater auf den Sohn vererbt und in der Fortpflanzung handwerksmäßig nach alter , hergebrachter Gewohnheit ausgeführt wurde . Auf diese Weise konnte früher das Geheimnis noch Heute ist dieses bei der Herstellung der ängstlich gehütet werden. zahlreichen Explosivstoffe nicht mehr möglich und im Interesse der Sicherheit auch durchaus nicht erwünscht . Aus Gewinnsucht darf die Fertigung der Explosivstoffe jedenfalls nicht in den Händen von Wenigen bleiben .
In der Abwehr der Explosionsgefahren ist vielmehr
zu fordern, daß die Herstellung der Explosivstoffe zum Wohle der Gesamtheit mehr Gemeingut wird . Dies würde auch der Entwicklung zugute kommen, die durch die Macht der Gewohnheit, dem Feind des Fortschrittes, gehemmt wird. Neue Ideen kommen in der Praxis nur schwer und langsam zur Geltung. Für die Explosivstoffindustrie gilt dies besonders , da maßgebende Persönlichkeiten derselben nicht selten in der AbgeschlossenDiesen haben sie heit mit ihren alten Anschauungen aufwachsen . ihre Erfolge zu danken, und es ist daher zu verstehen, daß sie sich gegen Neuerungen grundsätzlich ablehnend verhalten. Unter diesen Verhältnissen geben Explosionsunglücke häufig erst den Anstoß zu Wer in der Explosivstoffindustrie segensreichen Verbesserungen . vornehmen und verEinrichtungen alter kostspielige Umänderungen altete Arbeitsverfahren beseitigen will, der muß viel Verantwortung übernehmen, und noch mehr Energie und Einfluß besitzen . Der wissenschaftliche , fortschrittsfreudige Geist, der die Entwicklung der Chemie. beherrscht, hat aber bereits zur Verringerung der Explosionsgefahr beigetragen, und wird nach Beseitigung der gegenwärtigen monopolartigen Abhängigkeit weiter segensreich wirken . Im Interesse von Menschenleben, die bei der Fertigung und Verwendung von Explosivstoffen bedroht sind, muß ein gewisser Bann gebrochen werden.
Mit weiterer wissenschaftlicher Klarstellung des
Wesens der Explosivstoffe wird die Explosionsgefahr von der zunehmenden Zahl der Mitarbeiter mehr und mehr zurückgedrängt
164
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung .
werden.
Nur wer die inneren Vorgänge kennt , kann in den äußeren
Werdegang erfolgreich mit Verständnis eingreifen .
II. Der Explosionsvorgang mit seinen Gefahren.
Der Einblick in
den Verbrennungs- und Zersetzungsvorgang,
der Explosionen mit ihren Gefahren auslöst , ist von großer Wichtigkeit . Es sind Ursachen chemischen Ursprunges , die dem Explosionsvorgange zugrunde liegen . Diese Urscahen müssen erkannt werden. damit sie in ihren Wirkungen bei der Bekämpfung der Explosionsgefahren wirksam werden können. Die Gasentwicklung , die bei der Explosion durch sehr schnelle Verbrennung oder plötzliche Umsetzung entsteht , wird durch Wärme ausgelöst. Diese wirkt auf die Bestandteile des Explosivstoffes derart auflösend ein , daß sich in kürzester Zeit große Mengen gasförmiger Produkte bilden . Die einzelnen Explosivstoffe erfordern hierzu sehr verschiedene Temperaturen . Auch erhebliche Unterschiede in der Art der Wärmeeinwirkung kommen bei der Auslösung der Explosionen in Frage.
Den empfindlichsten Explosivstoffen genügt schon die mini-
male Wärme , die Reibung bei ganz geringfügigen Erschütterungen erzeugt ; während unempfindliche Explosivstoffe ohne feste Einschließung nicht einmal von der Wärme des offenen Feuers zur Explosion gebracht werden. Die unempfindlichsten Explosivstoffe sind unter diesen Verhältnissen sehr erklärlicherweise lange Zeit hindurch gar nicht für explosiv gehalten worden . Ein Explosivstoff ist empfindlich, wenn sich der explosive Zerfall leicht unter geringem Energieaufwand vollzieht ;
er ist dagegen und
empfindlich, wenn die explosive Reaktion nur schwer unter erheblicher Krafteinwirkung ausgelöst wird . Auf den Grad der Empfindlichkeit wirken verschiedene Umstände ein . Empfindlich gegen Schlag und Stoß sind meist Explosivstoffe von kristallinischem Gefüge ; im allgemeinen unempfindlich sind Explosivstoffe von hoher Dichte und erheblichem Feuchtigkeitsgehalt . Auch die Beschaffenheit der Oberfläche ist von Einfluß . Der Zusammensetzung nach nicht unempfindliche Explosivstoffe von glatter gerundeter Oberfläche werden häufig nicht einmal von Funken zersetzt , da diese keinen Angriffspunkt zum Zünden finden .
In ganz unregelmäßiger Weise werden außerdem die
Empfindlichkeit und auch die Kraftäußerung der Explosivstoffe durch inerte Körper beeinflußt, sobald diese durch Wärmeverbrauch die Verbrennungstemperatur erniedrigen und die Dichte ändern .
Schwarz-
pulver mit Sand vermischt brennt ab, ohne zu explodieren. Die großen Verschiedenheiten in der Empfindlichkeit der Explosivstoffe sind also zum Teil auf physikalische Ursachen , haupt-
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung. sächlich aber auf chemische Einwirkungen zurückzuführen .
165
Im Lichte
der Thermochemie ist man heute in der Lage, Explosivstoffe unter vorheriger Bestimmung ihrer vornehmlichen Eigenschaften zusammenzusetzen.
Das ist die Errungenschaft der wissenschaftlichen Erkennt-
nis , die an Stelle des früheren empirischen Suchens getreten ist. Auf wissenschaftlicher Grundlage ist für jeden Explosionsvorgang mit seinen Gefahren das richtige Verständnis gewonnen . Der Chlorstickstoff (flüssig ) und Jodstickstoff (fest ), die ihrer großen Empfindlichkeit wegen nur in ganz kleinen Mengen hergestellt werden können , explodieren schon bei leiser Berührung.
Sie enthalten
keinen Sauerstoff, sondern nur die im Namen liegenden Elemente in losem Zusammenhang , der jede praktische Verwendung ausschließt. Ebenso sind alle Explosivstoffe , die Knallquecksilber und chlorsaure Salze als wesentliche Bestandteile enthalten , sehr empfindlich. Wird das chlorsaure Kali mit Schwefelantimon oder rotem Phosphor zusammengemischt , so tritt Explosion durch Reibung, Schlag ein.
Stoß
und
Die Empfindlichkeit dieser Zusammensetzung kann noch
durch Beigabe von harten, scharfkantigen Körpern , wie Glaspulver und Sandkörnchen , gesteigert und erhöht werden .
Zündpillen für
Bergmannslampen explodieren bereits, wenn man sie mit dem Rockärmel streift .
Andererseits kann die Empfindlichkeit von Chlorat-
explosivstoffen durch den Zusatz von Teer , Harz ,
Pech , Öl , Fett ,
Kohlenwasserstoffen usw. wesentlich herabgemindert werden. Auch das Nitroglyzerin ist so empfindlich, daß jedes mechanische Hantieren mit ihm als gefährlich zu bezeichnen ist . Trotz der Fertigung in großem Umfange kommt das reine Nitroglyzerin seiner großen Empfindlichkeit wegen für den Verkehr außerhalb der Fabriken nicht in Frage . Die Gefahr der unbeabsichtigten Explosion verbietet den Transport und damit die praktische Verwendung. Durch das Methylisieren, d. h. durch Vermischung mit Methylalkohol kann das Nitroglyzerin zwar unempfindlich gemacht werden ; es verliert durch diesen Zusatz aber seinen explosiven Charakter. Außerdem muß das methylisierte Nitroglyzerin in luftdicht verschlossenen Gefäßen aufbewahrt werden , um nicht durch Verdunstung des Methylalkohols wieder empfindlich zu werden . Das Verfahren hat unter diesen Verhältnissen wenig praktische Bedeutung gewonnen .
Das Nitroglyzerin
findet dagegen als Explosivstoff in Verbindung mit festen Stoffen weitgehende Verwendung. In geeigneten Mischungen hat es als Nitroglyzerinpräparat im Dynamit an explosionsgefährlicher Empfindlichkeit verloren. Vom Nitroglyzeringehalt und der Beschaffenheit der aufsaugenden Stoffe hängen die Eigenschaften, im besonderen die Explosionskraft ab .
Gegen die Stöße und Erschütterungen auf
166
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
dem Transport sind die Nitroglyzerinpräparate bei zweckentsprechender Verpackung genügend sicher , auch gestatten sie eine gefahrlose Hantierung und Aufbewahrung.
Vorsicht, die Mutter der Weisheit , bleibt
indessen bei der Behandlung dieser Explosivstoffe besonders geboten , da mit dem Freiwerden des gefährlichen Nitroglyzerins zu rechnen bleibt. Bei hohen Temperaturen schmilzt das Nitroglyzerin aus , bei niederen Temperaturen friert es aus und beim Naßwerden der Präparate wird das Nitroglyzerin vom Wasser an die Oberfläche gedrängt . In diesen Zuständen besteht die größte Explosionsgefahr , da durch äußere Einwirkungen auf einzelne Punkte Explosionen ausgelöst werden können . Tatsächlich kommen auch mit Nitroglyzerinpräparaten, die der Wärme , Kälte oder Feuchtigkeit ausgesetzt waren , verhältnismäßig viel Explosionsunglücksfälle vor ; obwohl die Gesamtempfindlichkeit infolge des Austrittes von Nitroglyzerin naturgemäß zurückgeht. Ein besonderes Gefahrsmoment entsteht beim Niederschlag von Nitroglyzerindämpfen , wodurch in Rohrleitungen bei Entzündungen mit der Feuerfortpflanzung ausgedehnte Explosionen verursacht werden können. Schon von einem Tropfen Nitroglyzerin , der sich unbeachtet abscheidet , kann das Explosionsunglück ausgehen. Die kleinsten Mengen , die sich beim Trockenprozeß verflüchtigen oder in Abwässer gelangen , müssen daher in sorgfältig peinlicher Weise unschädlich gemacht werden . Viel unempfindlicher als die Nitroglyzerinpräparate sind nitrierte Kohlenwasserstoffe , wie Pikrinsäure, Trinitrototuol, Trinitrobenzol usw. Sie sind explosionskräftig, können aber ebenso wie nasse Schießwolle im freien Raum nur mit einem besonderen Zündmittel , dem Detonator , zur Explosion gebracht werden. Ohne diesen können sie von offenem Feuer in feuchtem Zustand nicht einmal entzündet werden. Die zur Auslösung der Explosion erforderliche plötzliche Temperaturerhöhung kann nur von dem schlagartigen , starken Druck des Detonators herbeigeführt werden.
Dieser Druck bringt mit seiner Er-
schütterung die chemische Verbindung der Explosivstoffe zum Zerfall und Austausch der explosiven Stoffbestandteile .
Hierzu werden die
Sprengkapseln verwandt , deren Knallsalz ein Gemisch von Knallquecksilber und Kalichlorat ist.
In neuerer Zeit verwendet man als
Knallsatz auch das äußerst explosible Bleiazid .
Ein sehr kräftig zün-
dender Explosivstoff, der im besonderen gegen die Einwirkung von Feuchtigkeit unempfindlich ist ; während die Knallquecksilberzündsätze in lästiger Weise hygroskopisch sind.
Der empfindliche Knall-
satz aller Sprengkapseln wird durch starke Kupferhülsen gegen äußere Einflüsse geschützt .
Aus Sicherheitsrücksichten ist im Umgange mit Explosivstoffen
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung. unterschiedlos die größte Vorsicht geboten.
167
Grundsätzlich sollte man
jedem Explosivstoff mit Mißtrauen begegnen , zumal es nicht ausgeschlossen ist, daß im Laufe der Zeit Änderungen der Eigenschaften infolge von Verflüchtigung
und Zersetzung
einzelner
Bestandteile
eintreten können. Zur Unbeständigkeit neigende Explosivstoffe sind im Gebrauch besonders gefährlich und erfordern in der Bekämpfung der Explosionsgefahr die sorgfältigste Überwachung. Der Grad der Empfindlichkeit verdient zwar Beachtung , indessen sollte prinzipiell bei der Behandlung zwischen empfindlichen und unempfindlichen
Explosivstoffen
kein
Unterschied
gemacht
werden ;
denn alle Explosivstoffe sind als Träger der Explosionskraft im entscheidenden Augenblick gleich gefährlich.
Die unempfindlichen Ex-
plosivstoffe , die gegen gewöhnliche Einwirkungen , wie Schlag , Stoß und Reibung widerstandsfähig sind, erscheinen allerdings ungefährlicher ; tatsächlich können sie aber unter ungünstigen Bedingungen mit besonderen Mitteln oft in überraschender Weise gefährlich werden. So können solche Explosivstoffe ganz unbeabsichtigt schon allein durch die Einwirkung der Sonnenstrahlen oder des elektrischen Lichtes Explosionsgefahren auslösen . empfindliche Explosivstoffe,
Auch ist zu berücksichtigen , daß undie bei
allmählicher Erwärmung
un-
gefährlich sind , bei plötzlicher Erwärmung ebenso plötzlich empfindlich und gefährlich werden . Die Zersetzungsgeschwindigkeit , die mit zunehmender Temperatur von Grad zu Grad in rasch steigendem Verhältnis wächst , und ein
charakteristisches
Element
des
Zersetzungsvorganges ist ,
äußert sich bei den einzelnen Explosivstoffen sehr verschieden. Jeder Explosivstoff hat eine mittlere molekulare Zersetzungsgeschwindigkeit . Dieser Unterschied im Explosionsvorgang mit seinen Gefahren tritt zwischen Pikrinsäure einerseits und Nitrozellulose und Nitroglyzerin anderseits anschaulich hervor.
Wird Pikrinsäure vorsichtig
über den Schmelzpunkt hinaus erhitzt , dann sublimiert sie, bei plötzlicher starker Erhitzung explodiert sie, und in Verbindung mit Metallen bildet sie die sehr explosiblen pikrinsauren Salze , die sogenannten Pikrate . Nitrozellulose und Nitroglyzerin explodieren dagegen bei allmählicher Erhitzung , verbrennen mit offener Flamme bei der gewöhnlichen Entzündung und sind in Verbindung mit Metallen ganz ungefährlich . Jeder Explosivstoff ist eben ein Individuum, das seiner Eigenart entsprechend zu behandeln ist. Auch in der gegenseitigen Beeinflussung wollen die Explosivstoffe verstanden sein . Sie können einander in ihren verschiedenen Eigenschaften schon ohne Berührung gefährlich werden. Die Detonationserschütterung kann Explosionen außerhalb des Bereiches der direkten
168
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung.
Entzündung Hierdurch
auslösen, wird
das
also
explosive
Auffliegen
Fernwirkungen
ganzer
verursachen.
Explosivstoffabriken
in
mehreren kurz hintereinander erfolgenden Explosionen , und die fast gleichzeitige Explosion mehrerer Minen erklärlich. Solche Wirkungen werden von dem Explosionsstoff der Druckwellen und der darauf folgenden Ansaugung betätigt.
Dieser Stoß tritt nach Explosionen
äußerlich als positiver und negativer Druckimpuls in die Erscheinung. Die Explosionstrümmer werden nicht allein fortgeschleudert, sondern zum Teil in der Richtung nach dem Explosionsherd zurückgerissen . Die Explosionsvorgänge der verschiedenen Explosivstoffe unterscheiden sich auch in dieser Beziehung wesentlich voneinander. Bei keinem Explosivstoff kann der Abstand von der Gefahrsgrenze , der die Sicherheit erhöht und die Explosionsgefahr herabsetzt . zu groß sein.
Nach der Beschaffenheit am ungefährlichsten erscheinen
die Sprengelschen Explosivstoffe , deren an und für sich unexplosive Bestandteile erst kurz vor dem Gebrauch zu einer explosiven Mischung vereinigt werden. Die Gefahren des Explosivstoffes , der erst am Gebrauchsort hergestellt wird, kommen also bei der Aufbewahrung und beim Transport in Fortfall. Ein theoretisch idealer Zustand , der den praktischen Bedürfnissen infolge unsicherer Handhabung der schwer zu kontrollierenden Mischungen leider nicht ganz Genüge tut. Die Sprengelschen Explosivstoffe , die als Hellhoffite von Hellhoff in marnigfachen Verbindungen ausgebildet sind, und in der Hauptsache aus Dinitrobenzol und Salpetersäure bestehen, haben sich in der Praxis nicht einzubürgern vermocht.
Sie haben keinen festen Fuß gefaßt ,
da die Verwendung von flüssigen Explosivstoffen beim Gebrauch umständlich und teilweise auch gefährlich ist . Hierzu kommt noch. daß bei diesen Explosivstoffen die zu frühzeitige Verbindung der Bestandteile verhängnisvoll werden kann . Ähnlich verhält es sich mit der flüssigen Luft , die als Explosivstoff Oxyliquit aus einer Mischung von Sauerstoff mit Kohlenstoffträgern besteht. Die Vereinigung der beiden explosiven Komponenten darf bei diesem Explosivstoff erst unmittelbar vor dem Gebrauch erfolgen, da der vom Kohlenstoffträger aufgesaugte Sauerstoff die Neigung zu schnellem Verdampfen hat , ein Umstand, der der prakDies ist in tischen Verwendung vielfach hindernd im Wege steht . unserer jetzigen Zeit besonders zu bedauern , da die immer zur Verfügung stehende flüssige Luft als Ersatz von anderen Explosivstoffen große Bedeutung hat . Es liegt also Veranlassung vor , nach Kräften die bessernde Hand an diesen neuen Explosivstoff zu legen . Dies ist auch aus Sicherheitsrücksichten in der Bekämpfung der Explosions-
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
169
gefahr geboten, da der verdampfende Sauerstoff bei der Verbindung mit der atmosphärischen Luft gefährliches Knallgas bilden kann . Der Charakter, das Wesen des Explosivstoffes bestimmt nach vorstehenden Ausführungen den Explosionsvorgang und die ExploDie Zersetzungsgeschwindigkeit , die für Kraft und Grad der Explosion entscheidend ist , hängt aber nicht allein von der Zusammensetzung des Explosivstoffes ab, sondern steht mit der Zündung und Einschließung während der Zersetzung im engsten Zu-
sionsgefahr.
Je kräftiger die Zündung und je fester die Einsammenhange . schließung, desto schneller geht mit zunehmender explosiver Leistung die Zersetzung vor sich.
Mit der Empfindlichkeit, die den Explosionsvorgang in der Auslösung beeinflußt und einleitet , beginnt die Explosionsgefahr , und mit der Kraftäußerung , die den Explosionsvorgang abschließt , endet die Explosionsgefahr. Es ist der von der Wärme erzeugte Druck, der als auslösende Ursache und treibende Kraft jede Explosion einleitet und beendet . Je höher der Druck, desto sicherer wird die Explosion ausgelöst und desto schneller die Zersetzung vollendet . Jeder Explosivstoff von natürlichem Feuchtigkeitsgehalt und normaler Dichte besitzt eine untere Druckgrenze, die zur Auslösung der Explosion mindestens erreicht werden muß, und eine obere Druckgrenze , welche die plötzliche Gasumsetzung , die Detonation bewirkt.
Diese Eigen-
schaft, in der sich die verschiedenen Explosivstoffe auch in weiten Grenzen voneinander unterscheiden, verdient die größte Beachtung. Bei der Fertigung und Verwendung der Explosivstoffe ist besonders damit zu rechnen. Wer chlorsaures Kali in einem SchwarzpulverStampfwerk verdichten will, hat an die Druckgrenze des Explosivstoffes ebensowenig gedacht , wie derjenige , der Dynamit als Treibmittel in der Feuerwaffe zu verwenden versucht. Beide können sich über die unfehlbar auftretende Detonation mit zerstörender Wirkung nicht wundern . Einzelne Explosivstoffe , wie Knallquecksilber und chlorsaures Kali , ergeben stets , auch im Freien, ohne Einschluß Detonationen; andere wiederum , wie Schwarzpulver, explodieren ; und wieder andere , wie Schießwolle und viele Nitrokörper , brennen unter gleichen Verhältnissen mit offener Flamme ab.
Der Grad und die Stärke der Explosion hängen im übrigen wesentlich von den Umständen der Zündung und Einschließung ab . Im geschlossenen Raum kann der Druck durch die stetig wachsende Spannung der sich entwickelnden Gase bis zur oberen Druckgrenze gesteigert werden ; im freien, offenen Raum kann diese Druckgrenze dagegen nur durch den plötzlichen Zerfall infolge Erschütterung der Moleküle erreicht werden . Im letzteren Falle detoniert die gesamte Explosivstoffmasse , im
170
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung.
ersteren nur der Rest der Masse , der bei der Erreichung der oberen Druckgrenze noch nicht zersetzt war. Diejenigen Explosivstoffe , die bei gewöhnlicher Entzündung an der Luft gefahrlos abbrennen , erreichen mit dem Druck der atmosphärischen Luft nicht einmal die untere Druckgrenze . Die Verbrennungsgeschwindigkeit kann indessen auch im Freien bei der Verbrennung großer Explosivstoffmassen bis zur Erreichung der Druckgrenzen wachsen. Dies geschieht , wenn die entwickelten Gasmengen nicht schnell genug entweichen können. Die Gase werden dann von der verdichteten Luft ähnlich wie in einem Behälter eingeschlossen . Bei der Explosion im engeren Sinne hat die Luft noch die Zeit zur Verschiebung ihrer Teilchen ; sie leistet daher nur verhältnismäßig geringen Widerstand . Bei der Detonation ist die Explosionsentwicklung dagegen so plötzlich , daß sich die Luftteilchen nicht mehr verschieben können ; die Luft übt daher einen so starken Druck aus, wie die fest einschließenden Wandungen des geschlossenen Gefäßes.
Beim Brande von Explosivstoffgebäuden kann die obere Druckgrenze außerdem durch Schlagwirkungen beim Gebäudeeinsturz oder beim Herabstürzen von schweren Eisenteilen der Transmission oder Dachkonstruktion erreicht werden. Die Unterschiede im Explosionsvorgang bestimmen also den von
der
Zersetzungsgeschwindigkeit
abhängigen
Grad
der
Explosion.
Bei der Detonation wird die Umsetzung des Explosivstoffes , der Zerfall der Masse in kürzester Zeit bewirkt. Mit der Erreichung der oberen Druckgrenze tritt die größte Kraftentwicklung zerstörend und zerschmetternd ein.
Die Explosion im engeren Sinne zeigt dagegen mit
stetiger Druckzunahme
eine
progressiv
wachsende Kraftäußerung,
die mit der allmählichen Gasentwicklung eine milde, schiebende Wirkung ausübt.
Die Kraft der Explosion ist geringer als diejenige der
Detonation, da den Explosionsgasen infolge des langsameren Explosionsvorganges mehr Wärme durch Strahlung und Leitung entzogen wird. Hieraus ergibt sich die Grenze für das Entstehen von Explosionen. Sie können nur zustande kommen , wenn durch die Zersetzungsgeschwindigkeit eine Temperaturzunahme eintritt , wenn der Zugang der Wärme größer bleibt als der Abgang. In der mannigfachen Verschiedenheit der Umstände , die Explosionen in ihrer Fülle und Wucht auslösen , liegt im vielseitigen Explosionsvorgang die Explosionsgefahr.
(Fortsetzung folgt.)
Selft uns ſiegen !
zeichnet die
Kriegsanleihe
Wir und die Feinde .
Von besonderer Wichtigkeit ist der Eindruck des Erfolges der neuen Kriegsanleihe an sich, daneben aber auch der Eindruck der gesunden Art, wie er zustande kommt bei bewundernswert tragfähiger Verfassung unseres Geldmarktes. Man denke an die zweifelnden Worte, die der englische Schatzminister über unser weiteres Können vor kurzem sprach , daß das englische Volk seit 1/2 Jahren keine Kriegsanleihe mehr hatte und bei so langer Schonzeit der jetzige Erfolg nicht überwältigend ist, vergegenwärtige sich endlich die Wirkung einer glänzenden Zeichnungsziffer in den Reihen der Feinde. und der Neutralen . Dieser Eindruck wird um so gewaltiger sein , als Rußland , Frankreich und Italien schon mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen haben , Geld zu beschaffen, von dem unserem Vorgehen entsprechenden, währungspolitisch einwandfreien Wege einer inneren Anleihe gar nicht zu reden , denn dieser hat sich für sie bei mehrmaligen Versuchen als kaum noch gangbar gezeigt . Es mag im übrigen vielen gegen die Natur gehen, daß bei Besprechung der . Deckung des Geldbedarfs unseres Vaterlandes auch einige Worte über die rein geschäftliche Seite mit unterfließen . Aber schließlich ist der Kauf von Wertpapieren eben auch ein Geschäft. das rein nüchtern überlegt und nachgerechnet sein will . Und wir brauchen diese bedächtige Nachprüfung nicht zu scheuen . Zu dem hohen Zinsertrag tritt noch der Vorteil, daß die Ausgabe unter dem Nennwerte erfolgt und bei den Schatzanweisungen der weitere Vorteil, daß schon 1918 die Verlosungen mit recht ansehnlichem Aufgeld beginnen. Selbst der kühlste Rechner wird nicht umhin können, zu dem Zinsgenuß noch den Nutzen . hinzurechnen , der für die Allgemeinheit und damit auch für ihn erfließt, wenn die Landesverteidigung in wuchtigem Erfolg und in der gesundesten Form das Geld erhält , dessen sie bedarf. Daß sich das deutsche Wirtschaftsleben stark und gesund gehalten , daß die Geldmittel für die Kriegführung so reichlich und währungspolitisch einwandfrei wie all die Male seither wieder flüssig zu machen sein werden , daß die Sicherheit der Reichsanleihe über jeden Zweifel erhaben ist, das verdanken wir deutscher Tüchtigkeit . deutscher Opferwilligkeit, nicht zuletzt dem Heere und der Flotte. Die glänzenden Waffentaten in Ost und West , die kraftvollen, tatenfrohen Vorstöße unserer Unterseeboote, die Verhältnisse bei den Feinden : das unaufhörliche Steigen ihrer Kriegslasten , der Schwierigkeiten der Geldbeschaffung und der Ernährung England spürt jetzt schon wie Frankreich die Umkehrung des uns angedrohten Hungerkrieges ! - die wertvollen Unterpfänder in den mit eisernen Klammern festgehaltenen feindlichen Gebieten , die in Frankreich zu den industriell wichtigsten , steuerlich leistungsfähigsten Staatsteilen gehören , all das gibt uns die Zuversicht auf den endgültigen Sieg, Danken wir unseren Kämpfern , indem wir ihnen die Mittel zur Beendigung ihres Siegeslaufes gern und freudig in die Hand geben. Es geschieht zu unserem eigenen Besten !
Der rumänische Feldzug.
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XVI . Der rumänische Feldzug . (Vierter Abschnitt . )
Von Rhazen, Generalleutnant z. D.
Daß Hindenburgs Operationsplan mit der Einnahme von Bukarest - so wichtig diese als erste Folge des Sieges am Arges war - nicht erstarren konnte , sondern weit höher gesteckte Ziele haben mußte , war für den Denkenden leicht verständlich.
Zunächst wies die Folge-
richtigkeit der Kriegshandlungen auf die Verfolgung hin , Früchte, die am Arges gereift , voll zu pflücken .
um
die
Die für uns siegreiche
Schlacht am Argesul und die bald folgende Einnahme von Bukarest -worauf wir für die folgenden Ereignisse noch kurz zurückgreifen müssen hatten auch die Zweifel gehoben , die bis dahin etwa noch darüber bestehen konnten , ob und was die Russen zur direkten Unterstützung der Rumänen an Kräften einsetzen würden und könnten , und was auf die große , vom Tatarenpaß bis zu den östlichen Ausgängen aus Siebenbürgen in die Moldau , 350 km spannende Entlastungsoffensive entfiele . Daß die direkte Unterstützung für Bukarest eine nicht aus gutem Herzen freiwillig angebotene gewesen ist, hat uns unterdessen die von der ,, Nordd. Allg. Ztg. " veröffentlichte Mitteilung eines Rumänen bestätigt, die neben der Tatsache , daß Bratianu als (mit Hilfe von Illiescus' phantastischen Angaben über das eigene Heer) betrogener Betrüger erscheint , auch feststellte , daß nur Druck von Paris und winselnde Bitten des wildester Verzweiflung
anheimgefallenen
Rumänenkönigs
und
schließlich
auch
die Angst um die linke Flanke die Russen veranlaßte, etwas nach Bukarest zu schicken , wo Berthelot die rumänische Armee als ,, superbement desorganisée" bezeichnete und Bukarest nach dem Grundsatze ,,man müsse die Deutschen alles bezahlen lassen ", doch bombardieren lassen wollte, ein Extrem, vor dem es ein letztes Aufraffen der rumänischen, bald ganz den Russen ausgelieferten Regierung zu einem letzten Entschluß noch rettete. Daß die angedeutete Offensive ähnliche Zwecke haben würde , wie die im Juni begonnene gewaltige Brussilowsche , die Österreicher zu zwingen, von ihrem erfolgreichen Fortschreiten gegen Italien abzulassen, was die Russen dann ja auch erreichten, ist sehr wohl denkbar. Die Verhältnisse lagen aber gegen die Wende November - De13 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 547.
174
Der rumänische Feldzug.
zember doch wesentlich anders , ganz abgesehen davon , daß Kräfte , wie sie Brussilow besessen , nicht zur Verfügung standen. Verboten es im Juni die geographischen Verhältnisse , den Italienern direkt zu helfen, so lag hier ja auch die (freilich nicht mit ausreichenden Kräften und operativer Geschicklichkeit ausgenutzte) Möglichkeit indirekter Unterstützung vor. Die strategische Lage verlangte unverkennbar rasche Hilfe.
Es handelte sich um Rettung Bukarests ,
um Entscheidung darüber , ob die Rumänen die Hauptstadt und ihren Raum halten wollten, oder könnten, oder es vorzögen, ihre Hauptkräfte in einer Linie östlich der Hauptstadt zu versammeln , um dem Gegner wenigstens den Vormarsch in die Moldau zu verwehren . Sie war in wenigen Tagen zu fällen .
Direkte Unterstützung mußte daher
das Wichtigste und Wirksamste erscheinen
und man hat auch in
neutralen Blättern angenommen, daß in den Karpathen und in den Gebirgszügen nach der Moldau Demonstrationen stattfänden , um durch Stöße von Nordosten aus zu Kräfteverschiebungen dorthin zu zwingen und den direkt im Raum Bukarest eingreifenden Verstärkungen die Zeit zur Operationsbereitschaft und zum Erreichen des Operationsraumes zu geben . Die ..Demonstrationen", die mächtige Angriffe darstellen, setzten sich aber auch fort, als Bukarest gefallen war, und man kann sich fragen, ob nicht die Russen den Gedanken gehabt haben, die Offensive von Nordosten im ,, Nebenamt" als indirekte
Unterstützung
der
Rumänen
voll
durch-
zuführen , operativ auszuwirken und darin eben eine Enttäuschung erlebten. Man muß durch die damaligen und folgenden Geschehnisse
auf
dem
russisch-rumänischen
Kriegsschauplatz ,
je
mehr sie sich klärten, die Überzeugung gewinnen , daß die russischen Angriffe auf der Nordostfront die Hauptunterstützung waren , die die Russen den bedrängten Rumänen damals zuteil werden ließen und daß es sich um eine wuchtige Offensive handelte. Darauf ließen auch die eingesetzten Kräfte , mindestens zwei Armeen im Anschluß an die 4. rumänische, und die Intensität der lange fortdauernden , freilich nutzloser , Angriffe schließen.
Man mußte diese
insgesamt doch wohl auf 10 bis 14 Armeekorps und eine Anzahl von Kavalleriedivisionen schätzen . Eine solche Masse demonstriert aber
nicht .
sucht
vielmehr
eine
Entscheidung
herbei-
zuführen , wofür auch die Wichtigkeit der Angriffsrichtung und die Hartnäckigkeit der Angriffe, wie wir ausdrücklich wiederholen, deutlich genug sprechen . Weder Frankreich, noch England und Italien haben damals etwas zur Entlastung Rumäniens getan. Haben sie angenommen, daß Sarrails Offensiveversuche , die freilich unnütz immer Tausende kosteten.
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Der rumänische Feldzug. dazu genügen würden ?
Tatsache ist, daß die direkten russischen ,
hart bei und südlich Bukarest zweifellos zu spät aufgetretenen Verstärkungen etwa 2 bis 3 Divisionen betragen und
den
südlichen
rumänisch-russischen Bewegungsflügel in der Schlacht am Argesul gebildet haben. Man darf mit ziemlicher Gewißheit annehmen , daß sie der Dobrudschaarmee entnommen worden waren. Russische und sonstige Ententeblätter haben auch nach Bukarest die Hoffnung durchschimmern lassen, unter Ausnützung stark vorbereiteter Nachhutstellungen am Sereth mit den beiden Stützpunkten Focsani und Galatz mit rumänischen Truppen frontal defensiv verfahren und auf den beiden Flügeln , mit herangezogenen russischen Verstärkungen, mit
Flügelarmeen im
Raume
Siebenbürgen
und in der Dobrudscha bezw. Moldau , umfassend operieren zu können.
Die folgenden in großen Strichen schon bei der Be-
leuchtung des III. Abschnittes angedeuteten Ereignisse haben wieder den ,, error in calculo " auf Seiten unserer Gegner bewiesen .
Die zer-
flederten rumänischen Armeen bedurften nicht nur der Anlehnung an die russischen , sie brauchten tatkräftige Unterstützung, sie nahmen . Kräfte, statt zu geben.
Die Enttäuschungen waren nicht nur mate-
rielle , auf das Verlustkonto
der Entente, besonders Rußlands ,
zu
buchende, sondern auch politische und in bezug auf das Prestige. Das russische Riesenreich war wieder einmal nicht imstande , mit Hilfe von neun anderen Staaten seine Satelliten auf dem Balkan in dem zu schützen , wozu es sie getrieben. Wir wollen hier die Frage außer Betracht lassen, ob Rußland damals noch daran geglaubt hat, den nicht nur im Interesse seiner Sonderziele auf dem Balkan, sondern im allgemeinen der Entente liegenden Gedanken der Durchschneidung der Verbindung Berlin— Konstantinopel (worin der Vierverband auch die Möglichkeit sehen . wollte , die Mittelmächte zu blockieren ) in die Wirklichkeit umsetzen zu können. Die nächstliegende Frage nach der Einnahme von Bukarest und den folgenden , durch die bulgarischen Übergänge über die Donau zwischen Silistria und Cernavoda und den dadurch bewirkten Schutz der rechten Flanke Mackensens , wie durch den Vorstoß von Teilen der IX. Armee auf Buzeu , erleichterten raschen Vorstoß über die Jalomita war die , ob die Russen sich noch vor dem Sereth stellen würden ! Das hing natürlich davon ab , ob sie ihre Aufgabe offensiv, oder defeneiv lösen wollten und was sie zeitlich und nach dem Ausmaß der vorhandenen Kräfte noch leisten konnten .
Am 1. Dezember war die
Linie Urziceni- Mizli im Besitz der Verfolger, deren linker Flügel , unter Zertrümmerung weiterer rumänischer Divisionen, auch mit den Paßbesatzungen von Sinaia und nördlich Ploeschti abgerechnet hatte. 13*
176
Der rumänische Feldzug .
Dem Gegner konnte sich nur in der Linie Buzeul-Faurei vechiCalmatulul-Fluß eine nächste einigermaßen geschlossene , mit denen des Alt, Argesul , Jalomita, aber nicht zu vergleichende Verteidigungsstellung bieten. Am 14. war aber schon der rechte , sich ans Gebirge lehnende Flügel dieser eventuellen Stellung durchbrochen , Buzeu, gegen welches, gleich nach der Einnahme des wichtigen Knotenpunktes Ploeschti, ein rascher Vorstoß befohlen wurde, so daß der linke Flügel immer staffelweise vorgeschoben war, in den Händen der IX. Armee. Die ununterbrochenen russischen Angriffe gegen die rechte Flügelarmee der Heeresgruppe Erzherzog Josef vom Tatarenpaß bis zum Uzuflüßchen und gegen die Armeen Köveß und Arz schienen den Charakter der Schutzoffensive für den Ausbau ihrer Balkanfront
anzunehmen .
Aus einem, wie man bei dem Beitritt Ru-
mäniens überschwänglich gehofft, mächtig anschwellenden russischrumänischen Offensivflügel in der für die Entscheidung des Weltkrieges ausschlaggebenden Offensive war , nach der Niederwerfung von mehr als halb Rumänien , ein zurückgebogener Defensivflügel geworden , von dem mit Spannung zu erwarten war, ob er noch offensiv auftreten würde , um Rumäniens Schicksal zu wenden. Von der Dobrudscha aus war dies nicht mehr möglich, denn schon vor der Jahreswende hatte Sacharow Eile gehabt, die Norddobrudscha , aus Furcht, an die Donau gedrückt und von Tulcea , Isaccea und Maziu aus in die große Donauschleife abgedrängt zu werden, aufzugeben, seine sechs Divisionen über die Donau zu retten . Deren Nordufer verteidigte er, wohin deutsch-bulgarische
Geschütze schon in die bessarabische Flanke schlugen , für deren Zurückbiegen kaum ein überzeugenderer , handgreiflicherer Beweis geliefert werden konnte. Auf die Bedeutung der Weihnachtsschlacht in der Walachei haben wir beim Ausgang des III. Abschnittes hingewiesen .
Bei dieser 80 km
Front spannenden Schlacht wurde über das Schicksal der Buzeullinie und der meisten Zugänge zum Serethvorfeld entschieden . Eine Offensivschlacht
war
sie
von
seiten
der Russen
nicht .
sondern ein Defensivkampf, denn sie hatten ihre Divisionen vorgeschoben, um die zerflederten Rumänen aufzunehmen und sie durch die Zwischenräume der eilig vorbereiteten Stellung abfließen zu lassen, während
russischerseits,
strategisch
gedacht ,
die
allgemeine
Linie Rinicul- Sarat- Vizirul mit vorbereiteten Stellungen gehalten werden und der Vormarsch zum Sereth mit starken Kräften zum Stehen gebracht werden sollte.
Der Ausgang der durch Durchbruch
und innere Umfassung gewonnenen Frontalschlacht, in der die Heeresgruppe Mackensen ihren Angriff wieder wellenförmig führte , die zu-
Der rumänische Feldzug. nächst etwas zurückhaltende Donauarmee
177
(bis zum Weichen
des
rechten feindlichen Flügels) mit dem ihr gegebenen Durchbruchspunkt Filipesti, in verschanzter Stellung beiderseits der Bahn Buzeu— Braila, 4 russische Infanterie-, 2 Kavalleriedivisionen gegenüber hatte , ist bekannt. Exzentrisch gingen die Russen auf Braila und Focsani zurück. Die Weihnachtsschlacht war der letzte Versuch, die Heeresgruppe Mackensen vor dem Sereth zum Stehen zu bringen, wenigstens soweit ,
daß
den
Russen eine Entfaltung zu operativen
Gegenstoß erlaubt würde. Auch in den Tälern des Trotusul , Uzu und Oitoz wuchs der deutsch- österreichische Druck. Fiel Braila . so verloren die Russen - Rumänen ein Vorwerk von Galatz, einen wichtigen Stapelplatz und auch die Anlehnung an die Donau oberhalb der Galatzer Winkelstellung.
Schon beim Eintritt in das neue Jahr
war es klar, daß, nachdem die Weihnachtsschlacht die Stellungen in der Ebene , zwischen den Flügelstützpunkten Focsani und Braila , genommen waren, auch diese selbst sich nicht lange mehr halten könnten.
Braila sah den Angreifer schon nahe vor den Toren , sah
sich durch die Donauarmee bereits von Westen umfaßt und die Verbindungen mit Focsani abgeschnitten.
Etwa 8 km westlich Fundeni ,
bei Slobozia - Rotesti war der Durchbruch der Linie PlaginestiMaicanesti erfolgt. Er führte in die Richtung der Mündung der Putna , an deren Oberlauf noch um die Zugänge zur Zentralstellung von Focsani gekämpft wurde . Hätte der Winkel zwischen Mündung des Buzeu und Braila im Sinne eines Brückenkopfes für die Russen, auch wenn sie noch offensiv zu werden beabsichtigten, zweifellos einigen Wert gehabt, so mußte man diesen nach den Fortschritten der Donauarmee Nicht von Braila aus , bereits als abgeschnitten betrachten . sondern im Raume zwischen Rimnicul- Sarat
und Buzeul
erfolgte ein russischer Gegenstoß. Die Tagesberichte der Obersten Heeresleitung vom 2. bis 5. Januar stellen der Reihe nach fest :
Auf dem linken Flügel Falkenhayns, südlich des Trotustals ,
Erstürmung
eines wichtigen
Höhenrückens ,
längst
der aus dem
Berezker Gebirge zur Serethebene führenden Tälern erfolgreich fortschreitende deutsche Angriffe , ebenso beiderseits des Oitoztales , Nehmen von Soveja , am Susitatale ; bei der IX. Armee scharfes Nachdrängen hinter den weichenden
Russen, Annäherung von Westen
und Süden an die Brückenkopfstellung von Focsani und Fundeni , über 1300 Gefangene .
Zunächst noch Halten eines Brückenkopfes
zwischen Buzeul und Donau durch den Gegner, aber Zurückwerfen der Russen auf Maziu in der Dobrudscha ( 1. Januar). Zwischen Susitaund Putnatal waren wiederum mehrere Höhen im Sturm genommen, Gegenstöße der Russen- Rumänen abgeschlagen und Beresci und
178
Der rumänische Feldzug.
Topesci, zu beiden Seiten der Putna, nach Kampf besetzt. Bei der Armee Falkenhayn waren unterdes die Operationen planmäßig verlaufen , in den Bergen , zwischen Zabalatal und der Ebene , war der Gegner durch österreichisch - deutsche Truppen nach Nordosten zurückgedrängt. Westlich und südlich Focsani standen Truppen der IX. Armee vor einer befestigten Stellung der Russen . Pintecesti und Mera am Milcov ( üdöstlich und westlich Odobesti) waren erstürmt , in der Dobrudscha die Russen nach Maziu hineingedrängt (2. Januar) . Vom rechten Flügel Erzherzog Josef nördlich der Oitozstraße und beiderseits Soveja waren mehrere Höhen überwunden . In der Dobrudscha werden Maziu und Iijila gestürmt und die Dobrudscha gesäubert (nach Tagesbericht vom 4. Januar am 3. Januar) . An demselben Tage versuchte eine starke russische Kavalleriemasse westlich der Buzeulniederung vorzudringen , aber ohne Erfolg. Was versprach man sich russischerseits vom Vorbrechen starker Reitermassen ? Wollte man Falkenhayns rechten Flügel treffen , oder dachte man, das Vorschreiten der Donauarmee durch Bedrohung ihres linken Flügels aufzuhalten ?
Oder endlich sollte durch Stoß gegen die Lötstelle der IX. und der Donauarmee nach beiden Seiten gewirkt. werden ? Für alle diese Zwecke wäre eine starke Stoßtruppe gemischter Waffen am Platze gewesen, wenn man überhaupt NachDaß man eine solche nicht einsetzte , muß
haltiges bewirken wollte.
als Beweis dafür angesehen werden, daß man sie nicht verfügbar , oder wenigstens nicht rechtzeitig zur Stelle hatte. Von einer Entlastung der Brailastellung durch die Unternehmung der Reitermassen ist jedenfalls keine Rede gewesen. Man mache sich folgendes klar : Der Angriff der deutscher Leitung unterstellten Armeen am 3. und 4. Januar gegen die beiden festungsartigen Stellungen von Focsani und Braila hatte erstaunlich rasche Fortschritte gemacht ; nördlich des Odobestiberges , der die IX . Armee von Ruiz- Gerok trennte , querte die Front das Susitatal und führte östlich Sovega quer über das Casinutal auf Harja ; dann , etwas westlich ausgebogen, berührte sie wohl wieder siebenbürgischen Boden , lief dann nach Nordosten über das Uzutal ; westlich Sulta , westlich des Trotusuleinschnittes (in dem auch Ocna liegt) , spielten sich an der Grenze Kämpfe ab ; d'e Wegnahme von Mera und Überwindung des Milcovabschnittes konnten als Vorboten der Gewinnung der ganzen überragenden Hochfläche südlich Odobesti gelten . Hier müssen wir den 5. Januar mit hinzurechnen , an welchem Slobozia und Potesti, dicht an der Rimniculmündung, vor Nomoloassa , im Sturm genommen wurden, südlich des Buzeul die Brückenkopfstellung von Braila von uns durchbrochen , Gurgueni in hartem Kampf erobert wurden , und
Der rumänische Feldzug.
179
an dem die deutsche Gruppe südlich Focsani sich also den Weg in den Rücken des Brückenkopfes von Fundeni- Nomoloassa gebahnt hatte, die Donauarmee die Front des Brückenkopfes von Braila eingestoßen hatte und endlich auf dem rechten Donauufer deutsche und bulgarische Kräfte auf Braila und Galatz vordrangen .
Macht man sich diese Ver-
hältnisse klar, so ist die Frage keine müßige, ob auch damals nicht russische Kräfte zur Verfügung gestanden haben ,
genügende
die an die russische Führung durch diesen Durchbruch und Vormarsch, wie den Vorstoß von der Dobrudschaseite gerichtete Aufforderung , ihre Truppen hinter den
Sereth zurückzunehmen ,
durch
ein wuchtiges Vorbrechen gegen den feindlichen rechten Flügel westlich der Donau zu beantworten ? Der Flügel am Trotosul scheint aber damals schon die besondere Aufmerksamkeit der russischen Führung in Anspruch genommen und diese die eintreffenden Verstärkungen hier zu einem hohen Grad des Widerstandes gehäuft zu haben. Am folgenden Tage lagen die Verhältnisse schon wesentlich anders . Südlich des Trotustales waren die Verteidigungsstellungen, südwestlich und südlich Gyimes , zwischen M. Faltucanu und Catumba , gestürmt, zwischen Casinu und Susita mehrere Stützpunkte genommen. Deutsche Kolonnen drangen , nach Säuberung der Höhenstellungen südöstlich Sovega, längs der Täler nach Nordosten vor , zwischen Buzeul- und Rimnicul- Sarat-Fluß stürmten deutsche Divisionen die sehr stark ausgebauten Russenstellungen von Tatara bis Rimniceni (westlich Slobozia am Rimnicul) und stießen trotz feindlicher Gegenoffensive gegen den Seretz vor. Weiter südöstlich nahm das Kavalleriekorps Schmettow, als rechter Flügel der Armee Falkenhayn , Oleanaszu , Galianca, Maximeni und gelangte mit Vortruppen an den Sereth. Gegenüber der Donauarmee waren die Russen in der Nacht vom 4. zum 5. Januar auf das Nordufer * des Sereth zurückgegangen, über die Donau war von Osten bulgarisch - deutsche Infanterie , wie von Westen deutsch-bulgarische Kavallerie nach Braila hineingelangt und lieferten damit die wichtigste Handelsstadt Rumäniens in unsere Hand. Der Durchbruch einer deutschen Division bei Roman hatte das Aufrollen der feindlichen Stellungen von der Donau her möglich gemacht und der 4. Januar so die Entscheidung gebracht , der sich trotz erbitterter Gegenwehr der Feind nicht entziehen gekonnt hatte, zumal von Maziu her Braila an demselben Tage gestürmt wurde und am 5. Januar fiel, während der linke Flügel der Donauarmee den Sereth erreichte.
Zusammenfassend ließ sich sagen :
Der linke rus-
sische Flügel war geschlagen, über Sereth und Donau gedrängt , das Zentrum der Linie Focsani-Galatz strategisch entwertet , der west-
Der rumänische Feldzug .
180
liche Buzeul- Sereth-Winkel im Besitz deutscher Kavallerie ; in der Richtung auf Nomoloassa war ein neuer
Durchbruch bewirkt .
der Druck auf Focsani hatte wieder zugenommen, die Zertrümmerung der Verteidigungslinie südlich des Sereth wurde systematisch fortgesetzt. Die russische Offensive, die am 5. Januar zwischen Riga und Dünaburg wuchtig eingesetzt hatte , hatte keine Entlastung gebracht , und dieser erste Versuch, an einer exzentrischen Stelle aus der Defensive herauszutreten , sollte in großem Stil auf Entlastung der Serethfront auch später nicht wirken. Ob sie Erfolge von größerem Ausmaß zum Ziele gehabt und ob man dazu besondere Stoßtruppen bereitgestellt hatte , wollen wir hier nicht erörtern . Nur darauf hinweisen, daß eine so exzentrische Offensive von vornherein. nicht
auf
durchschlagende
Erfolge
rechnen
konnte ,
da
sie in Gefahr geriet , selbst flankiert zu werden , je weiter sie vorschritt. Der Kalkul der Russen , man habe die ihnen hier gegenüberstehende Front unvorsichtig zu sehr geschwächt , sich auch als Irrtum.
erwies
Am 6. Januar schrieb, darauf hinweisend, daß
die III. bulgarische Armee ihre Aufgabe gelöst hätte, der Tagesbericht der Obersten Heeresleitung : ,,Die beabsichtigten neuen Operationen sind eingeleitet ." Die genannte bulgarische Armee war also verfügbar. Der 7. Januar sollte den schlagenden Beweis erbringen , daß die russische Offensive an der Düna den Fuß der Heeresgruppe Mackensen nicht gehemmt .
Am 6. Januar waren zwischen Oitoz- und Putnatal
die Russen- Rumänen trotz starker Gegenstöße frischer Kräfte (was unsere obige Bemerkung über die Betonung des Schwerpunktes durch die russische Heeresleitung bestätigen dürfte) weiter gegen die Ebene zurückgedrängt , am 6. Januar war auch der Gipfel des Odobestigebirges genommen worden, was die auf Focsani konvergierenden Täler der Putna und Milcov aufzuschließen erlaubte. Und nun setzte am 6. Januar, diesmal zwischen Fundeni und Focsani auf 25 km Breite im Zentrum, im Putnaraume ein Entlastungsstoß mit Massen von mindestens 6 Divisionen ein, der nur in der Richtung auf Obilesti , ungefähr in der Höhe von Rotesti rechts und Gugesti links , etwas Boden gewinnen konnte, im übrigen aber unter schweren Verlusten niederbrach. Ein Verzweiflungsentschluß, ein totgeborenes taktisches Kind,
dem die
Seuche der Flankierung anhaftete ; ein unnützes Opfern Tausender von Menschenleben , da der Stoß verspätet und an unrichtiger Stelle erfolgte. Die Front wirksam durchbrechen, dann rechts und links aufrollen zu können , oder die linke Flanke der Donauarmee ernstlich und nachhaltig zu gefährden , hat die russische Heeresleitung wohl selbst nicht gehofft. Der mißlungene Versuch beschleunigte aber
Der rumänische Feldzug .
181
Focsanis Ende . Schon der folgende Tag sollte es bringen. Zwischen Putna- und Oitoztal erfolgte ein weiteres Zurückdrängen des Gegners , weiter südöstlich ein weiteres Herauswerfen der Russen und Rumänen aus dem befestigten Odobestigebirgsstock auf die Putna durch die deutsch- österreichischen Truppen der Generale Krafft von Delmenfingen und Morgen, noch weiter südlich ein Durchtreiben des erfolg reichen Sturmes auf die seit Oktober ausgebaute zähe verteidigte Milcovstellung und endlich ein scharfes sofortiges Nachstoßen , das dem weichenden Gegner keine Zeit ließ, sich in einer zweiten Stellung zu setzen, da es auch diese überrannte und wenige Nachtstunden später Focsani von Westen und Süden erfaßt wurde und rund 4000 Gefangene in die Hand des Siegers lieferte . Und damit nicht genug. Am 8. Januar fallen weitere ausgebaute, verdrahtete Stellungen in Casinu- und Susitatal, werden verzweifelte Gegenstöße abgewiesen , drängen Truppen Falkenhayns , in Ausnutzung ihres Sieges vom 7. Januar , feindliche Nachhuten werfend, nach Norden an den Putnaabschnitt , während beiderseits Fundeni die Russen in die Linie Crangeni-Nanesti geworfen werden , das erstürmte Carleasca gegen nächtliche Angriffe gehalten wird und die Zahl der Gefangenen auf 5500 Köpfe anschwillt. Neutrale Blätter haben damals geschrieben , ,,nach dem Fall von Focsani drohe dem westlichen Flügel der Den westlichen Flügel Russen die Gefahr, aufgerollt zu werden". besonders stark an Kräften auszustatten, ist zweifellos Absicht der russischen Heeresleitung gewesen , wie auch die Zähigkeit des Widerstandes zeigte. Die Serethlinie als Manövrierlinie betrachten. mit der Absicht , wieder zu einer Offensive überzugehen , war den Russen damals kaum noch möglich, so optimistisch sie denken mochten. zur Hand befindliche Höchstens wenn sie mächtige , Reservekräfte zu einem sofortigen , einheitlich geführten Stoß gehabt hätten , was sehr unwahrscheinlich ist , da sie dann wohl vor dem Falle des rechten Stützpunktes ihrer Linie operationsfähige
von ihnen Gebrauch gemacht hätten.
So mußte man den Fall von
Focsani als weitere Etappe der staffelweise von links nach Norden (den rechten Flügel des Erzherzog Josef eingeschlossen) ,,Dadurch fortschreitenden Bewegung auf das Serethtal anschen . ist der strategische Fußpunkt der Russen westlich des Sereth um 40 km nördlich nach Adjudal- Rou verschoben worden , wenn sie diesen nicht bei Panciu, auf halber Strecke , festlegen können. Das wäre gleichbedeutend mit dem Abblättern der Front bis zum Trotustal" schrieb ,, Bund" am 10. Januar.
An Teilvorstößen ließen es die Russen auch
in der folgenden Zeit nicht fehlen.
Sie erfolgten meist dann ,
182
Der rumänische Feldzug.
wenn starke russisch - rumänische Angriffe in den siebenbürgischen Grenzgebirgen mißlungen waren . Die IX. Armee hatte ihre schwersten Tage wohl hinter sich .
Bei
dem rechten Flügel Erzherzog Josef, den Heeresteilen Ruiz und Gerok, währten die schweren, von den Russen durch ankommende Verstärkungen gespeisten Kämpfe fort.
Nur schrittweise war hier der
Widerstand, verbunden mit heftigen Gegenstößen ,
den die Russen-
Rumänen dem Austritt aus dem Gebirge entgegensetzten, zu brechen. Der Zusammenbruch der Trotuzlinie müßte die Front von Norden aufrollen , wie der Fall von Galatz von Süden.
Das muß man fest-
halten, um russische Vorstöße auf den Flügel und auch in der Mitte zu begreifen, welche die Annäherung der Heeresgruppe Mackensen erschweren, wie die im Raum Reni aufgestellten schweren Kaliber Die russische Heeresleitung die Donauflanke sicherstellen sollten . hat sich sicher wohl auch gesagt , daß es bei einem Fallen von Galatz für sie zweifelhaft , zum mindesten äußerst schwierig werde, ob sie in Ordnung hinter den Pruth gelangen und dort sofort nachhaltigen Widerstand leisten könnte . Das krampfhafte Festhalten der Serethlinie ist die Signatur , die die russische Kriegführung hier durch einen längeren Zeitabschnitt trägt. sucht .
Direkt und indirekt wurde die Verteidigung ver-
Während Radko Dimitriew südwestlich Riga seine Anstürme
fortsetzte und sich weiter südlich in der Richtung Wileika- Wilna Vorstoßversuche vorzubereiten schienen , die vielleicht mit den ersteren. konzentrisch
zusammenzuwirken bestimmt waren ,
während Russen
und Rumänen am 9. Januar vergeblich versuchten, die Höhenstellungen beiderseits des Serethtales wiederzugewinnen und sich nördlich und südlich des Casinutales weiter zurückgedrängt sahen , während es endlich der Heeresgruppe Mackensen gelang, nördlich von Focsani auf dem linken Putnaufer festen Fuß zu fassen , zwischen Focsani und Fundeni den Gegner zum Aufgeben der Stellungen hinter der Putna und Rückzug hinter den Sereth zu zwingen und an der Mündung des Rimnicul- Sarat durch Abweisen feindlicher Vorstöße errungene Vorteile zu behaupten , waren auch auf dem Nordflügel Fortschritte zu verzeichnen. Am 10. und 11. Januar erfolgte ein weiteres Vorschreiten zwischen Uzu- und Susitatal sowie nördlich der Oitozstraße , zwischen Braila und Galatz und in der Sumpfniederung ; ferner ein Zurückdrängen der Russen gegen den Sereth , die Einnahme von La Bartea, am 12. Januar das Abweisen starker russischer Angriffe beiderseits des Oitoztales . Am Zusammenfluß von Buzeul und Sereth wurde den Russen ein besetztes Kloster abgenommen und wurde nordwestlich von Braila durch die Türken Miaalea gestürmt .
Hier wurde am
13. den Russen , die an demselben Tage südlich der Oitozstraße eine
183
Der rumänische Feldzug.
wichtige Kuppe verloren hatten, die weitere Einengung des Raumes auch für Vorstöße , die Gewinnung von Artillerieschutzstellungen gegen Galatz, dessen Bahnhof und Eisenbahnbrücken die Bulgaren vom rechten Donauufer aus schon mit Erfolg unter Feuer nahmen, sehr empfindlich . Sie versuchten nordwestlich Braila einen Vorstoß, der aber miẞlang. Auf eine Wiederholung mußte man gefaßt sein, erst recht , nachdem am folgenden Tage der letzte von den Russen südlich des Sereth , zwischen Buzeul- und Serethmündung noch gehaltene Ort Vadeni verloren gegangen war. Am 14. versuchten die Russen mit starken Kräften auch auf dem entgegengesetzten Flügel die verlorenen Stellungen nördlich des Susitatales wiederzunehmen und wiederholten am 15. die vergeblichen , opferreichen Versuche zwischen Casinu- und Susitatale mit dem gleichen Mißerfolg. Der mißglückte Vorstoß nordwestlich Braila ließ an dem gleichen Tage wieder die Mitte, den Brückenkopf Nomoloassa, zum Ausgangspunkt Beiderseits Fundeni brachen , vielleicht in der Absicht einer
wählen.
Entlastung der Verteidigung von Galatz durch einen auf die linke Flanke seiner Angreifer geübten Druck, Massen vor, freilich um das nicht erreichte Ziel wiederum mit den größten Blutopfern zu bezahlen . Zweifellos war dies ein Beweis dafür, daß die russische Heeresleitung sich mit direkter , passiver Verteidigung nicht begnügen wollte , sondern eine indirekte, aktive anstrebte. Das Schicksal der Teiloperationen , die zugleich verschiedenen Absichten dienen wollten , nämlich Steckenbleiben in der Entwicklung und kein Genügen weder als Offensive noch als Ablenkung also
Nichtgewinnen .
einer
ausschlaggebenden
Bedeutung.
Eine aktive Verteidigung auf dem rechten Serethufer, besonders in der Schleife von Fundeni durchzuführen, vermochten die Russen nicht, um so weniger, als wie wir sehen werden , der starke Brückenkopf von Nanesti verloren ging. Zu dieser Zeit - in welcher man , nach der Ablehnung des Friedensangebots durch unsere Gegner doch über allen Zweifel erhaben diese in der Vorbereitung der gewaltigsten Anstrengungen begriffen und der Kriegsrat in Rom mit der Untersiegelung der Pläne beschäftigt denken mußte ließ sich ,, Secolo" , vielleicht mit Anzüglichkeit für Rom, aus Paris schreiben : Jeder Generalstab der Entente betrachtet eifersüchtig seine eigene Front als Hauptsache und eine militärische Einheitlichkeit ist nicht erzielt worden . "
Ziemlich um dieselbe Zeit las man im amtlichen
...Russkij Invalid" : ,, Gegen die
Serethmündung hat die mit.
allen
Offensive
Mitteln
vorbereitete
begonnen ,
welche
als eine Entlastung des schwer bedrohten Galatz gedacht
184
ist.
Der rumänische Feldzug. Das russische
Heer ist ,
nachdem
es
endgültig
die
rumänischen Truppen hinter seinen Rücken genommen hat , fest entschlossen , hier zu siegen oder sich vernichten zu lassen. lange sollen ,
Die russische Heeresleitung glaubt , für diese
vorbereitete da
Offensive
der Verlust
von
keine Galatz
Opfer die
scheuen
ernstesten
zu
stra-
tegischen Folgen hätte." Sollte diese Erklärung zur Täuschung des Gegners dienen ? Mit einer guten Portion Skepsis wäre sie schon deshalb aufzunehmen , weil sie nicht nur den Grundgedanken der bisherigen Kämpfe am Sereth illustrierte, sondern auch ein in der Kriegsgeschichte außergewöhnlicher Vorgang russischen Heeresleitung verriet.
die Absichten
der
Daß die Russen in dem berührten
Zeitabschnitt starke Versuche gemacht hatten, über die Serethlinie vorzustoßen und ihre rechte Flanke gegen das Gebirge hin vor drohender Umfassung zu decken, war zweifellos . zu berührende
Dafür sprach auch der noch
Kampf zur Wiedergewinnung von Vadeni ,
südlich
Galatz , und der geschilderte Ausfall mit Massen aus dem Brückenkopf Nomoloassa , beides zweifellos mit starken Kräften unternommene Offensivstöße , die zwar zunächst isoliert blieben, dies aber durchaus nicht zu bleiben brauchten. Auch eine dann eintretende Stockung hätte noch nicht für das Aufgeben des Offensivgedankens über den Wetter und verspätetes Sereth rückhaltlos zu sprechen brauchen. Eintreffen von Verstärkungen , deren Umfang ,, Bund" bald nachher (24. Januar) auf 8-10 Divisionen angab , können das Hindernis gewesen sein. Will man nicht Schwanken in den Entschlüssen der russischen Heeresleitung annehmen, so daß zunächst bei ihr der Gedanke bestanden hätte , auf dem Nordufer des Sereth Widerstand zu leisten, daß sie sich dann aber zu der Idee einer Offensive auf dem Südufer aufgerafft hätte so muß man sich fragen, warum die Russen das Südufer zunächst in der Hauptsache geräumt haben, um dann , unter sehr viel schwierigeren Verhältnissen , seine Wiedergewinnung zu versuchen ? Daß die Verhältnisse für eine Offensive aus der Serethlinie heraus nicht günstig seien, mußte die russische Heeresleitung sich selbst sagen. Die Äußerung des Russischen Invaliden wäre freilich auch verständlich, wenn man eine aktive Verteidigung führen wollte. Als zweifellos war unter allen Umständen zu betrachten , daß die russische Heeresleitung die Frage am Sereth sehr ernst auffaßte , vielleicht dort eine Hauptentscheidung des Krieges wartete, bei welcher der russische
er-
rechte Flügel am Gebirge eine
Hauptrolle spielen sollte. Ausschaltung des ganzen Personenverkehrs auf den südrussischen Eisenbahnen hatte auf große Truppen- und Materialverschiebungen hingedeutet, als das teilweise Mißraten
des
185
Der rumänische Feldzug.
Kriegsrates in Rom eine neue Zusammenkunft in Petersburg in Aussicht zu nehmen zwang, bei welcher mit starkem Druck unverkennbarer Widerstand gegen die Rußland zugedachte Rolle überwunden werden sollte. Daß eine große russische Offensive ihren Platz im Ententeplan finden mußte, war klar, unsicher aber , wo sie einsetzen sollte . Ein Tagesbefehl des russischen Oberführers am Sereth sprach von ,,schwerer Zeit , die anbräche, warnte aber vor Mutlosigkeit" . Auf die Stimmung innerhalb Rußlands wollen wir, obwohl Stimmungen der Nationen für die Strategie wichtiger geworden sind, als früher , hier nicht näher eingehen . Sie konnte aber der Oberleitung doch einen mit dem Mut der Verzweiflung gesuchten baldigen Erfolg sehr erwünscht erscheinen lassen und wir werden damit an die letzten oben angezogenen Worte des ,, Russischen Invaliden " erinnert .
Wird
eine Offensive am Sereth das sein, was der Ententeplan für die einheitliche Offensive der Russen zuteilt, oder wird wuchtiger Ansturm auf allen Frontabschnitten verlangt werden ? So überreich ist das an Menschen angeblich ,, unerschöpfliche" Rußland heute nicht mehr , daß es uns auf der ganzen Front von Riga bis zum Schwarzen Meere gleichzeitig mit erdrückender Übermacht anfallen könnte. Am 16.
Januar versuchten die unterdes auf ihrem Nordflügel
im Gebirge augenscheinlich durch eigene und zusammengestoppelte rumänische Truppen verstärkten Russen , zwischen Casinu- und Susitatal durch einen Angriff mit Massen dem rechten Flügel Erzherzog Josefs das weitere Vorschreiten nach der Serethebene zu unterbinden. Gleichzeitig
veranlaßten
auf
dem
entgegengesetzten
Flügel über-
legene russische Kräfte , unsere nach Vadeni vorgeschobenen Sicherungen auf die Hauptsicherungslinie , 2 km westlich Vadeni , zurückzunehmen, gegen die ein Angriff in unserem Sperrfeuer niederbrach. Dieselbe Erscheinung beobachten wir am 17. Januar südlich der Oitozstraße, während in der Dobrudscha Tulcea und Isaccea russischem Feuer ausgesetzt waren.
Nördlich des Susitatales am 18. und 19. ver-
zweifelte Angriffe der Russen- Rumänen , die mißglückten und schwerste Opfer kosteten, und an demselben Tage fiel, obgleich Schneetreiben und schlechte Beleuchtung die Tätigkeit der Artillerie stark hinderten , am Sereth Nanesti und damit der ganze von den Russen noch zäh verteidigte Brückenkopf in die Hand unserer , mehrere Linien in unaufhaltsamen Zuge stürmenden Truppen ,
deren Batterien den über
die
Serethbrücken
zurück-
flutenden Russen den heißen Kugelsegen nachsandten und schwerste Verluste zufügten .
mit Eine ganze Reihe von russisch-rumänischen Versuchen, dauernd vermehrten Kräften unseren Moldauflügel an der Oitoz-
186
Der rumänische Feldzug.
nördlich der Susitastraße bis zur Valeputnaenge , die im Bukowinawinkel hohe Bedeutung für einen gegebenenfalls beabsichtigten Einbruch in Ungarn hätte, zurückzudrängen, Versuche, die sämtlich mißlangen und sogar einen nennenswerten Rückschlag durch deutschösterreichische Gegenmaßnahmen erlebten, füllen den Rest des Jännermonites aus , während im Rigaabschnitt die Russen , in ihrem Brückenkopf wieder zusammengeschnürt, über ihre mit schwersten Blutopfern bezahltes Teiloffensive-Mißgeschick zu trauern Zeit genug hatten . Vorfeldkämpfe nach lebhafter Artillerievorbereitung in den Grenzgebirgen zur Moldau haben wir am 21. und 22. zu verzeichnen , an letzterem Tage auch den Übergang von 2 bulgarischen Kompagnien über den südlichen Donauarm , wo sie die gewonnene Stellung gegen russische Übermacht verteidigten, um am folgenden Tage vor erdrückender Übermacht wieder zurückgenommen zu werden ; im Casinutal fanden dagegen am 25. Januar erfolgreiche deutsch-österreichische Streifungen statt, desgleichen am 26. im Putna- und Casinutale. Der letzte Tag des Jännermonates leitet dann mit dem unbeschränkten U - Bootkrieg , der einen Alp von der Seele des deutschen Volkes nahm, eine neue Phase des Weltkrieges ein.
Sie stellt
unsere Gegner vor die Notwendigkeit, bald ihre Haupttrümpfe zu Lande aufzudecken, bald eine Entscheidung zu suchen oder aber die Wirkungen des uneingeschränkten U-Bootkrieges tatenlos leiden.
zu
er-
Entente- und auch neutrale Blätter haben etwa 14 Tage vor
diesem weltbewegenden Ereignis von dem vollen Stillstand unserer Operationen vom Schwarzen Meere bis zur Bukowina geschrieben. Daß der in seiner ganzen Schärfe einsetzende arktische Winter die Notwendigkeit der Verbesserung oder besser gesagt Schaffung der Wegsamkeit auf fast durchweg sumpfigem Untergrunde zur Sicherstellung der Heranziehung schwerer Kaliber in genügender Zahl , wie ihres Munitionsnachschubes , der Einrichtung der rückwärtigen Verbindungen, die Annäherung an den Serethabschnitt an und für sich schon und die Bewegungen verlangsamen mußten , konnte keinen Denkenden auffallen . Ein schwerwiegender Irrtum war aber die Ansicht, daß die Verlangsamung der Operationen
ein
Aufgeben
der strategischen Aktion überhaupt bedeute. Selbst wenn aber unsere Gegner unsere Operationen auf dem rumänischen Schauplatz beendet glaubten , mußten sie die Bilanz stets zu unseren Gunsten ziehen , strategisch wie wirtschaftlich : drei Viertel des rumänischen Bodens und seiner Schätze waren
in
unserer
Hand , drei Viertel des rumänischen Heeres
auf der Strecke geblieben, der Rest stark zerfledert und der Retablierung dringend bedürftig.
Die Russen waren gezwungen, was sie
Der rumänische Feldzug.
187
an Kräften verfügbar machen konnten , aus anderen Frontabschnitten zu nehmen und nach Süden zu schieben, von Riga bis zum Schwarzen Meere standen sie in der Defensive , das Gesetz des Handelns unserer
war
Hand ,
an
der
ganzen
Ost-
die Verbindungen mit
und
Südostfront
in
Konstantinopel gesichert,
der Ententegedanke eines Zusammenwirkens der Russen- Rumänen mit Sarrail in Scherben , die bessarabische Flanke Rußlands von Süden und aus den Grenzgebirgen der Moldau bedroht , ein meineidiger, neuer Feind abgestraft und ein neues Abschreckmittel für Neutrale geschaffen , Rußlands Prestige auf dem Balkan zerstört , da zu Serben und Montenegrinern sich ein drittes Opfer dort gesellte , das seinen Lockungen gefolgt war und das das Zarenreich nicht hatte retten können .
Die
deutsche Führung und die verbündeten Truppen aber hatten den Ruhm , unter namenlosen Anstrengungen , Moltkesche Schule in reinster Durchführung ! dann durch staffelweise vorgetragenes Vorgehen bis zum Sereth ihre Überlegenheit im Bewegungskriege in der Kriegsgeschichte aufs neue wieder glänzend gefestigt zu haben. Wieder klingt bei unseren Gegnern der nun schon mit jedem herannahenden Frühling gehörte Sang von der einheitlichen ,
allge-
meinen , gleichzeitigen Offensive , die in diesem Jahre den Vierbund nun endgültig zerschmettern soll. Welche Rolle ist bei dieser Zerschmetterung dem Südosten zugedacht ? Voraussagen sind nirgendwo mit größerer Vorsicht aufzunehmen , als in der Kriegführung auf Weltschauplätzen.
Einzelne Symptome, wie die
aus Rußland über Stockholm jüngst gemeldeten : Ansicht Rußki und Ewerth, einer großen Offensive sei Rußland heute noch nicht möglich ; Ansicht des kalt gestellten Chefs des Generalstabes der Armee, Alexejew, des bisherigen eigentlichen Leiters der Operationen , mit seiner in den Brussilowschen Bahnen laufende Meinung , endlich Ansicht Gurkos , noch nicht bestimmt erkennbar Schlagschatten an.
, all dieses führen wir hier nur als
Zu einem ernsteren Erfolg der Entente- Kontroll-
kommission in Petersburg ist der zarische Ukas zu rechnen , der die 17- und 18jährigen einberuft ; was das bei der späten Entwicklung der sonst erst frühestens mit dem 21. Lebensjahr in den Dienst tretenden Russen heißt , braucht nicht erst erörtert zu werden.
Weiter die wohl
immer noch bestehende Hoffnung der genannten Kommission auf zahlreiches neues russisches Kanonenfutter und der Versuch der russischen Presse, Deutschland als dicht vor einer neuen
Offen-
sive stehend und durchaus nicht kriegsmüde und hungernd erscheinen zu lassen , um damit das russische Volk gegen die drohende Gefahr aufzupeitschen. In die 99einheitliche Front " der bei uns die Front des einheitlichen Willens gegenüber-
188
Der rumänische Feldzug.
steht , reißt der U- Bootkrieg eine weite Lücke. Aus Griechenland und dem ausgesogenen Mazedonien nichts mehr erhaltend, ist Briands Schoßkind, die Armee Sarrail , auf die man so große bisher immer fehlgeschlagene , Hoffnungen gesetzt hatte , für den ganzen Eine mehr als Nachschub auf den Seeweg angewiesen. unsichere Basis , wie die jüngsten Erfolge unserer U- Boote im Ist dieses Stück Mittelmeer wiederum überzeugend bewiesen hat . der einheitlichen Front von unseren Gegnern heute noch als einer Unsere Fronten sind der Faktoren der Entscheidung zu bewerten ? fest, die nötigen Reserven vorhanden und bereitgestellt, wir können Wie will der den Zerschmetterungsversuchen ruhig entgegensehen . Zunächst rechnet Zehnerbund unsere Zerschmetterung bewirken ? Nehmen wir diese selbst er mit seiner numerischen Überlegenheit. an, so haben wir ihr oft genug gegenübergestanden , ohne daß sie unseren Gegnern im Laufe des Krieges jemals einen wirklich durchschlagenden In dem in der Ententepresse wieder einmal Erfolg gegeben hätte. Vierbund leide an strategischer Auszehrung “, en der Bluff,,, erscheinend müßte eine gewaltige Enttäuschung liegen.
Das zweite Argument
unserer Gegner ist der legendarische einheitliche und gleichzeitige Angriff. Hier rechnen sie in erster Linie wieder mit der Überlegenheit an Zahl , bezüglich deren wir dem Vorstehenden weiter nichts hinzuzufügen haben als daß , selbst bei gleicher Qualität , überlegene Zahl nur dann einen der ausschlaggebenden Faktoren liefern kann , wenn sie rechtzeitig und am richtigen Orte , nicht nur in papierenen Phrasen , sondern von wirklich überragender Leitung einem einheitlichen Ziele zugeführt wird. Mit Schlagworten wie ,, Niederringung des preußischen Ist es nun sichergestellt , daß die Militarismus“ ist es nicht getan. Zehnermächte in ihrer Schlagkraft sich einem solchen Willen beugen ? Und, diese Bedingungen als erfüllt betrachtet, ist der Träger dieses Und, selbst dies angenommen , wie Willens dann der Berufene ? wollen die Zehnermächte ihren Siegeswillen in die Tat übersetzen ? Wieder helfen sie sich mit dem Schlagwort : ,, Einheitlicher Angriff mit übermächtigen Kräften auf allen Fronten . " Wann wollen sie den Angriff auf allen Fronten, und wollen sie ihn gleichzeitig, oder in StaffelMeteorologische und lokale Verhältnisse bedingen das ,, Wann “
form ?
Wenn eine Teildes Angriffs auf den verschiedenen Schauplätzen. offensive der Italiener über den Karst jetzt beginnen könnte, so würden Schnee und Eis das Eindringen in das Innere von Tirol und Kärnther bis zum Maienmonat verbieten.
Wenn in Galizien und Wolhynien
bei dauerndem Frost die Operationen, jetzt einsetzend , noch einige Wochen währen könnten , so hinderte die Schneeschmelze im März
189
Der rumänische Feldzug. und April sie völlig .
Wollte man überall einen gleichzeitigen
Angriff, so müßte der Mai abgewartet und bis dahin zu Lande , die Entscheidung noch nicht suchend , der U- Bootkrieg ertragen werden, der täglich Tausende von Tonnen versenkt. Dem Angriff würde dann das Moment der Überraschung auch fehlen , ohne die die eigenen Ententeblätter ihm einen durchschlagenden Erfolg absprechen . Erscheint Eile geboten, zwingt sogar der immer stärker werdende Druck des U-Bootkrieges zu solcher, dann heißt es, auf den überall einheitlichen und gleichzeitigen Angriff verzichten und die
Staffelform wählen .
Bricht die Entente nur gegen eine oder zwei Fronten los, und das selbst mit mächtiger Überlegenheit , so übernimmt sie das Risiko, daß der Vierbund die gewachsene abstoßende Kraft der heutigen Verteidigung an den angefallenen Fronten voll ausnutzt , auf der inneren Linie mit den vorzüglich ausgestalteten Verbindungsmitteln Kräfte verschiebt und die durch Umgruppierung schwächer gewordene Front des Zehnerbundes seinerseits anfällt .
So gewaltig kann aber die Übermacht der
Entente im ganzen nicht sein , daß sie auf allen Fronten gleichzeitig mit erdrückender Überlegenheit auftreten könnte. So weit geht heute auch der russische Kraftüberschuß nicht mehr, daß er dies von Riga bis zum Schwarzen Meere zur selben Zeit überall vermöchte . Zum Ziel des durchschlagenden Erfolges auf mindestens zwei Fronten könnte die Entente nicht einmal der Durchbruch allein führen. Splitternd müßte er sein, die Breschen sofort erweiternd , so daß bereitstehende , operationsfähige Armeen sofort vorbrächen und niederbrächen , was wir ihnen entgegenstellten.
Dann erst wären
die Vorbedingungen für den Bewegungskrieg gegeben , der allein den durchschlagenden Erfolg bringen könnte. Im Bewegungskriege hat aber allen Fronten die
und zuletzt noch in Rumänien
auf
Oberste Heeresleitung des Vierbundes
restlos ihre Überlegenheit schlagend erwiesen.
Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 547.
14
190
Die soziale Bedeutung der Schweizer Rekrutenprüfung.
XVII.
Die soziale
Bedeutung der
Schweizer
Rekrutenprüfung .
Von Prof. Broßmer, Oberleutnant d . Res.
Jeder Schweizer muß sich im wehrpflichtigen Alter einer körperlichen und pädagogischen Prüfung unterziehen (Rekrutenprüfung) . Die Untersuchung der körperlichen Leistungsfähigkeit erstreckt sich auf drei Übungen , in denen ein bestimmtes Mindestmaß festgesetzt ist . Beim Weitsprung ohne Sprungbrett mit beliebigem Anlauf muß eine Sprungweite von mindestens zwei Metern erreicht werden, wenn die Leistung innerhalb der Grenze des Hinreichenden liegen soll. Die Note ,, Sehr gut“ steht einer Sprungleistung von 3,5 Metern und mehr zu . Das Zeitmaß eines Schnellaufs über eine Strecke von 80 Metern ergibt eine zweite Wertzahl. Zeiten über 16 Sekunden entsprechen den gestellten Bedingungen nicht .
Das Prädikat ,, Sehr gut " wird bei einer
erforderlichen Zeit von 12 Sekunden oder weniger erteilt .
Die dritte
physische Aufgabe sucht die Ausbildung der Arm- und Brustmuskulatur auf praktischem Wege zu erkennen. Nach den gesetzlichen Bestimmungen muß ein 17 Kilogramm schweres Gewicht mindestens zweibis dreimal vom Erdboden zur höchsten Stellung ohne Niederlegung des Gewichts mit jedem Arme gehoben werden . Die erteilten Noten liegen zwischen eins und fünf ; eins ist die beste , fünf die Bezeichnung einer ungenügenden Leistung.
Die beste für die körperliche Gesamt-
leistung mögliche Durchschnittsnote beträgt dreimal 1 oder 3 ; als schlechte Durchschnittsnote bei ungenügendem Erfolg in jedem der drei Zweige dreimal 5 oder 15. Die Bearbeitung der Prüfungsergebnisse durch das eidgenössische statistische Amt hat sehr lehrreiche Zusammenhänge zwischen der durch die ärztliche Untersuchung festgestellten Tauglichkeit und der durch die körperliche Prüfung erzielten Durchschnittsnote ergeben. Das gegebene Zahlenmaterial beweist ganz klar, daß die durch eine fachmännische Untersuchung als tauglich Erklärten in der Tat auch die besten turnerischen Leistungen aufweisen. Es waren : In Durchschnittsnote v. H. Taugliche Zurückgestellte Untaugliche
55
6.765
13
9.179
32
8.862
191
Die soziale Bedeutung der Schweizer Rekrutenprüfung.
Die von der stellungspflichtigen Mannschaft geforderte Turnprüfung stellt sich nach dem bearbeiteten Zahlenmaterial als eine wertvolle Ergänzung des ärztlichen Urteils dar.
Weiterhin ist durch eine
über fünf Jahrgänge sich erstreckende Bearbeitung der turnerischen Prüfungsresultate erkannt worden,
daß
der
Grad
der physischen
Leistungsfähigkeit durch einen regelmäßigen und methodisch erprobten körperlichen Ausbildungsgang gesteigert werden kann . Die folgende Zusammenstellung zeigt das segensreiche Wirken des Schulturnens und auch die erhofften Erfolge einer emsigen Tätigkeit aller Jugendorganisationen.
Es erhielten nämlich : 1. solche ohne körperliche Übungen 2. solche mit Turnen in der Primarschule
Durchschnittsnote
Tauglich sind v. H.
9.143
48
7.999
52
6.155
62
5.465
73
3. solche mit Turnen in Vereinen (auch Sport, militärischer Vorunterricht) .. 4. solche mit Turnen auf allen Schulstufen und in Vereinen
Die Betrachtung des Zeitabschnitts 1907 bis 1912 ergibt eine Besserung der Durchschnittsnote und gleichlaufend das Steigen der Prozentzahl der tauglich Befundenen von 67 auf 79 v. H. Die letzten Zahlen sind nicht nur erfreulich von dem Standpunkt einer erstrebten Hebung der Wehrkraft aus , sondern sie zeigen doch auch ein Ansteigen der physischen Tüchtigkeit und damit Fortschritte der allgemeinen Volksgesundheit. Alle diese Betrachtungen beziehen sich auf eine gedeihliche EntIn diesem Zusammenhange
wicklung des männlichen Geschlechts .
wurde durch die Schweizer Turnlehrer auf die weit größeren Schäden des physischen Entwicklungsganges der weiblichen Jugend hingewiesen. In erhöhtem Maße wird dort ein Fehlbetrag an körperlicher Energie zutage treten , hervorgerufen durch eine sitzende Lebensweise , durch die gesundheitsschädlichen Wirkungen einer regelmäßigen Heimarbeit und durch die gesundheitsraubenden Einflüsse einer anstrengenden Tätigkeit in den Fabrikräumen . Nach Mikolicz kommen auf einen schiefgewachsenen
Knaben
zehn schiefgewachsene
Mädchen ;
diese
Frage ist auf das engste verknüpft mit der Entwicklung der folgenden Generation. Jede Frau hat das natürliche Recht, Mutter zu werden . Und so schleicht dann das Minus an körperlicher Kraft durch den vernachlässigten Körper der Frau wieder hinüber in die männlichen Glieder der folgenden Reihe. Was mühsam durch die Kleinarbeit des turnerischen Unterrichts in den Jünglingsjahren eingeholt und gesteigert wird, verwischt durch die natürliche Schwäche des weiblichen Organismus. Die 14*
192
Die soziale Bedeutung der Schweizer Rekrutenprüfung .
Ausschaltung dieser Mängel führte die Schweizer Turnlehrer zu der Forderung , das Turnen auch in den Lehrplan der weiblichen Fortbildungsschule amtlich aufzunehmen . Ergänzend soll der praktische und theoretische Unterricht in der Haushaltungskunde die Grundzüge einer vernunftgemäßen Volksernährung klarlegen . Die jungen Mädchen sollen auch in ethischer Richtung beeinflußt werden und ihre große Verantwortung für das Wohl der kommenden Geschlechter verstehen lernen. Diese Gesichtspunkte, die für die Hebung der allgemeinen Volkskraft von großer Wichtigkeit sind, haben auf die Wirksamkeit der kantonalen Behörden einen günstigen Einfluß ausgeübt.
In edlem
Wettstreit suchen alle Bezirke zur physischen Kräftigung der Jungmannschaft beizutragen und sind bestrebt , durch Verbesserungen der Schulen auch bei dem pädagogischen Teil der Rekrutenprüfung gute Erfolge zu zeigen. Dieses theoretische Examen wird von den Schweizer Behörden als eine Art Bürgerexamen angesehen, was sich deutlich in der starken Betonung der Anforderungen des praktischen Lebens in allen Prüfungszweigen zeigt .
Eine gewisse Lesefertigkeit soll an einem
Stoffe aus dem beruflichen Interessenkreise nachgewiesen werden . Besondere Berücksichtigung erfährt stets das Gebiet der eidgenössischen Vaterlandskunde. Der Stand der sprachlichen Bildung wird durch die Prüfungsgruppe Lesen und Aufsatz gegeben.
Das Pensum der
Rechenprüfung erstreckt sich nicht über den Lehrplan einer guten Volksschule. Von den elementaren Rechenarten ab, deren Beherrschung in einem engen Zahlengebiet mit hinlänglich bezeichnet wird, steigt mit der Erweiterung des Stoffgebietes auch die Einschätzung der Leistung. Bei der Prüfung in der Vaterlandskunde sieht der fragende Volksschullehrer in dem Examinanden in erster Linie den in das stimmberechtigte Alter eintretenden jungen Staatsbürger.
In einer freien Unterhaltung
soll all das zutage treten, was auf den sicheren Grundlagen der Volksund Fortbildungsschule durch die Erfahrung des Gemeinde- und Staatslebens erworben worden ist. Das Hauptprinzip besteht darin, daß Verfassungsgeschichte , Geographie und Geschichte durch die Geschicklichkeit des Prüfenden zu einem einheitlichen Bilde zusammengesetzt werden . Während in den anderen Zweigen doch immer mehr die fleißige Vorbereitung zu einem guten Ende führt, sollen im Rahmen der staatsbürgerlichen Prüfung die Urteilsfähigkeit und die geistige Bildungsstufe im allgemeinen bewertet werden . Der Bergführer z . B. soll auch weitere Reisen außerhalb des ihm vertrauten heimatlichen
Gebiets auf der stummen
(Karte ohne Namenbezeichnung) machen können.
Schweizerkarte
Von seinen Bergen
kommen die Flüsse , deren wechselvoller Lauf ihn auf alle Formen
Deutsche Bildung.
193
menschlicher Siedelungen und Gewerbszweige hinweist . Die historischen Denkmäler der Paßhöhen weisen zurück in das Leben der Schweizer Volkshelden , auf deren Taten das Verfassungsgebäude der Eidgenossenschaft fußt . So soll der junge Schweizer zeigen , ob er an der Stufe des Mannesalters reif ist an Körper und Geist, um als vollwertiger Staatsbürger durch die Wehrpflicht und durch das Recht der Stimmenabgabe an den Schicksalen seines Vaterlandes mitzusprechen .
XVIII . Deutsche Bildung . Zeitgemäße Ziele für Schule und Heer. Von
Woelki, Oberst z . D.
Über Schule und Erziehung ist in letzter Zeit schon so viel geschrieben worden, daß Neues dazu kaum noch beizubringen wäre. Wohl aber fehlt noch die Feststellung der sich ergebenden Ziele , und zwar nicht sowohl vom Standpunkt der Einzelinteressen , als vielmehr noch von dem der Gesellschaft , des Staates und des Vaterlandes aus . Und wenn neuerdings mit lebhaftem Eifer und allgemeinem Interesse die Frage der Kriegsziele in der Presse erörtert wird , so sind für die Zukunft unseres Volkes die inneren Kriegsziele , als deren Inhalt man zusammenfassend eine religiöse , sittliche und nationale Erneuerung der deutschen Volksseele bezeichnen könnte , wahrlich nicht minder wichtig.
,,Würde diese Erneuerung nicht erfolgen , so wäre die ganze
Erziehungsarbeit , die diese Weltkatastrophe an dem deutschen Volke verrichten kann und soll, umsonst , und damit der Weltkrieg für den inneren Fortschritt , für seine ethische Höherentwicklung ergebnisund wertlos gewesen " , wie das schon verschiedentlich laut geworden ist . Der zeitige Krieg ist wohl auch gewaltig genug , um Anlaß zu geben und Kräfte auszulösen zu Erkenntnissen und Bewegungen selbst für solche Aufgaben, die nicht unmittelbar zur Notdurft des Tages gehören : Felder zu bestellen und Saaten auszustreuen , deren Früchte als wesentlich für die Bedürfnisse erst in der Zukunft erkannt sein werden ; dazu werden Mängel in der Rüstung des Geistes und Getriebes zu beseitigen
194
Deutsche Bildung.
und Lücken des Wissens und Könnens auszufüllen
und so die Waffen
neu zu schmieden sein für die weiteren Kämpfe um und für das Bestehen und Gedeihen des Vaterlandes wie von uns selbst . Dabei richten sich denn immer die Blicke zunächst auf die Schule , als die Grundlage des Strebens und Wirkens ; die Frage, ob sie wohl noch der alten Forderung des : ,,non scholae sed vitae discimus " , im vollen Umfange der neuen Bedürfnisse gerecht werde, wird laut und der Ruf nach Erziehung in Moral und Charakter um so dringender, als man der Erkenntnis sich nicht mehr erwehren kann, daß auf die Familie als eigentliche Pflegestätte hierin , auch schon unter gewöhnlichen Verhältnissen, nicht mehr durchweg noch sicher zu rechnen ist, daß sie eher gerade in bezug auf die wichtigsten Bedürfnisse und Grundlagen des Staates oft im weiten Umfange versagt. Und zwar überall schon da und soweit, als das persönliche , selbstsüchtige Interesse , einschließlich dessen für die Familie , samt der zumeist vorherrschenden liberalen Tendenz des ,,laisser-faire, von Grund aus im direkten Gegensatz und Widerstreit mit denen pro publico steht , also zu einem gewissen Kriege des einzelnen gegen alle führt , wenn und soweit es nicht durch die Religion und Überwindung gezügelt wird. Aber auch dann ist von dem freiwilligen Altruismus erfahrungsgemäß nicht viel zu erwarten . wie die des
Oder vermeint man , daß solche Erscheinungen
Wohltäters" Carnegie gegen einen gewissen Zwang in
Richtung des allgemeinen Interesses sprächen ! wie auch, daß ein Zusammenschluß aller, wie er im August 1914 sich vollzogen, allemal, wann und wie er nötig würde , sich auch gewissermaßen selbsttätig ergeben würde !? Da erscheint es denn doch wohl sicherer und angezeigt , beizeiten schon auf einen solchen Zusammenschluß hinzuwirken! Also daß zum mindesten und zunächst eine Einigkeit über die in Frage kommenden Ziele und deren Durchführung zustande kommt , daß man sich dabei auch darauf gefaßt macht, daß die Dringlichkeit der Bedürfnisse des Krieges , soweit sie sich von denen des Friedens unterscheiden, immer wieder weniger anerkannt wird , je weniger die Schrecken des Krieges drohen , sowie daß es nie an einem mehr oder weniger großen Teil der Allgemeinheit fehlen wird , dessen Eigennutz und Selbstsucht nur zeitweise verborgen bleibt , die aber ganz zu unterbinden nicht gelingen kann.
Und dazu kommt noch die schier unübersehbare
Entwicklung im Strome der Zeit , für die bei Auf- und Feststellung So. von Zielen ein angemessener Spielraum vorzubehalten bleibt . nach Maßgabe solcher Vorbehalte , soll hier zunächst eine Klärung der vorliegenden einschlägigen Bedürfnisse und Ziele, unter Berufung auf anerkannte Autoritäten wie unter Bezugnahme auf beachtenswerte Zeitstimmen versucht werden .
195
Deutsche Bildung.
Mit der Verschiedenheit und Vielseitigkeit der Ansichten und Interessen gilt es da vor allem sich abzufinden ; sie herrschen hinsichtlich Schule und Erziehung wohl noch mehr wie in der Politik vor. Ist doch jeder in die Schule gegangen, hat mehr oder weniger Erziehung genossen , Ansichten gewonnen und Erfahrungen darüber gemacht . So weit nun die Erfahrungen und Lebensauffassungen auseinandergehen , so wenig Aussicht ist für eine Einigung über die zu stellenden Ziele , und es gehören eben erst solche gewaltigen Vorgänge , wie der zeitige Weltkrieg dazu, um die Eigeninteressen auch nur einigermaßen zurücktreten zu lassen . Andernfalls werden Pazifisten wie einseitige Vertreter des Erwerbs und der friedlichen Betätigung sich niemals zu dem Grundsatz des Heraklit : ,,Der Kampf ist der Vater aller Dinge " , bekehren —, daß also folgerichtig alle Betätigung, und besonders auch die Vorbereitung für das Leben , in erster Linie ( sub specie) auf und für den Kampf ums Dasein der Allgemeinheit in seiner krassesten Form eingestellt sein muß, und für selbstische Neigungen und Zwecke nur der Rest eben nach Maßgabe des davor stehenden allgemeinen Wohles - übrig bleibt. Wenn nun auch gerade in dieser Zeit der wie je nur noch als ein Traum erscheint
ewige Friede" mehr
(vgl. Moltkes ,, Kriegslehren
IV, 1 : ,,Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner. Der Krieg ist ein Glied der Weltordnung.
In ihm entfalten sich die
edelsten Tugenden des Menschen, die sonst schlummern und verlöschen würden usw. " bis zu den Worten von Max Piccolomini : ,, Der Krieg ist schrecklich wie des Himmels Plagen , doch ist er gut , ist ein Geschick wie sie", - und die Menschheit sich allgemein , zumal in solchen Lagen wie jetzt , damit abzufinden bereit sein möchte , die schwere Last der Rüstungen zu tragen , so liegt es doch in ihrer Natur, an dem Maß solcher Last zu markten , sie auf das unbedingt Nötige herabzudrücken , sie gegebenenfalls zu mindern , (wenn schon nicht beiseite zu schieben und abzuwälzen ) , wenn, solange und sofern das Bedürfnis eben nur als Last empfunden wird!
Erst, wenn und wo die Überzeugung Raum
gewinnt : ,,Wir sind nicht geboren , glücklich zu sein , sondern unsere Pflicht zu tun , wenn man etwa zu der Ansicht Kants gelangt : „ Der Mensch will wohl Eintracht, aber die Natur weiß besser, was ihm gut ist , sie will Zwietracht" , wird man vielleicht Nietzsche darin Recht geben, wenn er sagt :
,,Es ist eitel Schwärmerei und Schönseelentum,
von der Menschheit noch viel zu erwarten , wenn sie verlernt hat , Kriege zu führen.
Einstweilen kennen wir kein anderes Mittel, wodurch matt
gewordene Völker jene rauhe Energie, ... jene stolze Gleichgültigkeit gegen große Verluste , gegen das eigene Dasein und das der Befreundeten, jenes dumpfe , erdbebenhafte Erschüttern der Seele, ebenso stark und
196
Deutsche Bildung.
sicher mitgeteilt werden könnte , wie dies jeder große Krieg tut ... Die Kultur kann die Leidenschaften , Laster und Bosheiten durchaus nicht entbehren. " Und : ,,Der Krieg ist ein Mittel, den Menschen natürlicher zu machen" ; sowie : ,, Der Krieg und der Mut haben mehr große Dinge getan als die Nächstenliebe" ! - Mag man nun solche Sätze als zu schroff und weitgehend ansehen, wie überhaupt die Lebensauffassung von Nietzsche nicht teilen , auch ihre Verkündung seinerzeit durch General v. Bernhardi , soweit sie als Herausforderung wirkte , bedauern ; eine gewisse Berechtigung wird man den Sätzen nicht absprechen können. wie denn auch die Zahl ihrer Verfechter, wie der Vertreter der Staats-. Macht- und Kriegsidee ,
mit der Neubelebung der Vaterlandsliebe
Schritt haltend, sich in der Zeit des Krieges gewaltig vermehrt hat. Der Grundgedanke ist ja keineswegs neu noch fremd ; von einschlägigen Zeugnissen seien hier aufgeführt : Das Kulturideal und der Krieg" (1868) von Ad. Lasson , und ganz besonders die begeisterte Würdigung des ,, wahren echten Krieges" von H. v. Treitschke ( 1870) , mit Sätzen wie : ,, Flache Köpfe gelangen zu dem Wahn : Der Lebenszweck des einzelnen sei Erwerb und Genuß, der Zweck des Staates sei kein anderer als der , seinen Bürgern das Geschäft zu erleichtern ... Einem solchen Geschlecht gereicht es zum Segen, wenn ihm das Schicksal einen großen und gerechten Krieg sendet und je lieblicher sich die bequeme Gewohnheit des bloß sozialen Lebens den Menschen ins Herz geschmeichelt, um so gewaltiger erscheint dann der Rückschlag , der sie emporruft zu kriegerischer Tat im Dienste des Staates. "
,, Sobald der Staat ruft :
,Jetzt gilt es mir und meinem Dasein', da erwacht in einem freien Volke die höchste aller Tugenden , die so groß und schrankenlos im Frieden niemals walten kann : der Opfermut ...
Die Größe des
Krieges liegt gerade in jenen Zügen , welche die schwachmütige Aufklärung ruchlos findet. " Aber ,, das kleine Ich mit all seinen gemeinen und edlen Trieben soll (eben) untergehen im Willen des Ganzen". Hierhin gehören aber noch weitere Ausführungen ; so die ,, Naturwissenschaftlichen Betrachtungen über den Krieg" von Jaeger, mit Sätzen wie :
Der größte Fortschritt der Menschheit besteht darin .
daß die für den Krieg notwendige Erziehung nicht mehr wie früher, im Kriege selbst , sondern im Frieden durch die militärische Ausbildung herbeigeführt wird. "
Dann : ,, Der Krieg in seiner wahren Bedeutung
für Staat und Volk", von v. Boguslawski. Weiter das wieder zeitgemäße Buch von Max Jaehns : ,, Krieg , Frieden und Kultur" (1893) , mit dem Wahlspruch des Seneca : ,, Vivere est militare " beginnend und mit den bekannten Versen schließend: ,,Und setzt ihr nicht das Leben ein, 99 Nie wird euch das Leben gewonnen sein."
197
Deutsche Bildung.
Im gleichen Sinne etwa ist die Schrift : ,,Vom Soldatenberufe“ von General v. Beseler ( 1912 ) gehalten, mit dem Schlusse : ,,Die höchste sittliche Kraft entspringt dem Bewußtsein der Unterordnung des Einzelnen unter das Ganze , jenem hohen Pflichtgefühl , das den Menschen nicht nur an sich selbst denken, sondern sich als ein Glied einer großen Gemeinschaft fühlen heißt , der er zu dienen , und sich, wenn nötig , zu opfern hat.
Dieser allgemein menschliche Grundsatz ,
dieser Grundgedanke jeder Vaterlandsliebe, ist keine Besonderheit des Soldatenstandes : nur da ist es gut bestellt, wo er das ganze Volk beseelt. "
Dann aber ist auch die Armee , als eigentliche Trägerin der
hier gegebenen Idee, ,,die vornehmste Institution des Landes ; denn sie allein ermöglicht das Bestehen aller übrigen Einrichtungen" (v . Moltke).
Wenn eben die Armee die volle Durchführung der all-
gemeinen Wehrpflicht ist, nach dem Grundsatz von 1792 : ,, Niemand, der den Schutz des Staates genießt , kann sich der Verpflichtung entziehen, denselben zu verteidigen " , wie in dem weiteren Sinne Scharnhorsts :
Tapferkeit, Aufopferung ,
Standhaftigkeit sind die Grund-
pfeiler der Unabhängigkeit eines Volkes", und: ,,Wahrlich, in der allgemeinen Verpflichtung zur Verteidigung des Vaterlandes ist kein unedler Zug, und wenn etwas das Herz einer Nation erheben kann , so ist es diese Pflicht. "
Vgl. Fichtes ,, Reden über den Begriff des wahr-
haften Krieges", wonach nicht das Leben das Erste , die Güter das Zweite und der Staat erst das Dritte ist , sondern das Leben nur unter der Voraussetzung Wert hat, daß es frei ist , d. h. daß es sich rein seinen innersten Gesetzen gemäß entfalten kann.
Darum ,,hat sich Deutsch-
land durch die allgemeine Wehrpflicht wiedergeboren", wobei Armee zur Hochschule der Nation " geworden ist .
die
An dieser Stelle
kann auch der bekannte Ausspruch Moltkes nicht fehlen : ...Das bloße Wissen erhebt den Menschen noch nicht auf den Standpunkt , wo er bereit ist , das Leben einzusetzen für eine Idee, für Pflichterfüllung, für Ehre und Vaterland ; dazu gehört die ganze Erziehung des Menschen . Nicht der Schulmeister, sondern der Erzieher , der Militärstand hat unsere Schlachten gewonnen , der die Nation erzogen hat zu körperlicher Rüstigkeit und geistiger Wir können Frische , zu Vaterlandsliebe und Mannhaftigkeit. die Armee demnach schon im Innern nicht entbehren zur Erziehung der Nation , um wie viel weniger nach außen. “ Daß die Erziehung und Ertüchtigung für den Krieg mit der für den Frieden in Wechselwirkung steht , daß namentlich die beste und vollständigste Vorbereitung für den ersteren der friedlichen Betätigung in unvermindertem Maße zugute kommt, wird auch immer wieder bezeugt und bestätigt. Hier mögen dazu nur noch einige Sätze aus den
Deutsche Bildung .
198
,, Grundlagen unserer Wehrkraft " von v. Blume ( 1899) — ( am Schluß) aufgeführt werden : ,,In dem Maße, wie die militärische Erziehung außer auf Aneignung der besonderen Fertigkeiten und Kenntnisse, die der militärische Beruf erheischt - (und die eine allgemeine Schulbildung hergeben ) — auch auf die Förderung ihrer körperlichen , geistigen und sittlichen Kräfte gerichtet ist und diesen Zweck erreicht , trägt sie zur Kräftigung und Veredlung der männlichen Jugend des Landes bei. "
Und : ,, Schon die
Verwirklichung des Gedankens , daß die Verteidigung des Vaterlandes eine Ehrenpflicht aller, ohne Unterschied des Standes und Besitzers ist , denen es Hort und Schutz gewährt, kann nicht verfehlen, das Denken und Empfinden der ganzen Nation mächtig zu beeinflussen. Wo die Pflicht gegen das Vaterland höher steht als Leben und Lebensgenuß , wo Arme und Reiche , Herren und Knechte berufen sind, alle Mühen und Gefahren des Krieges als Waffenbrüder zu teilen , da wirkt ein gemeinsames Ideal den zersetzenden materiellen Strömungen der Zeit entgegen, da ist der Selbstsucht und Überhebung auf der einen, der Mißgunst auf der anderen Seite eine Schranke gesetzt . "
Aber
freilich reifen die Früchte einer guten militärischen Erziehung nur langsam heran". Das vorstehende , das in der gleichen Richtung unschwer sich vermehren ließe , dürfte als Nachweis dafür genügen , daß , ganz allgemein, eine militärische Erziehung , also Schulung und Ausbildung für den Krieg , für das Volk in seiner Gesamtheit , vorteilhaft und notwendig ist , sie hat sich sogar - gerade neuerdings -- als unumgänglich erwiesen, nicht nur für Staaten in einer Lage wie die Deutschlands , sondern auch für alle Staaten , die eine Weltgeltung beanspruchen . Denn sonst hätte gewiß nicht England , die alte Hochburg des Manchestertums , nachdem es ein Jahrhundert hochmütig auf den ,, Militarismus“ herabsehen zu können geglaubt hat, sich nunmehr doch noch zur allgemeinen Wehrpflicht bekehrt ! Ja , selbst die Vereinigten Staaten Nordamerikas werden sich bald zu entscheiden haben ! Damit aber, d. h. unter dieser Voraussetzung , oder auch : mit dem Ziele auf die allgemeine Wehrpflicht hin , ist dann auch der Hauptinhalt
für die
Erziehung
der
männlichen
Jugend
über-
haupt gegeben ; alle sonstigen Ziele und Bedürfnisse müssen folgerichtig als davon abhängig angesehen werden , dürfen sich der Rücksicht auf sie nicht entschlagen, sind danach zu sichten und zu behandeln , entsprechend zu fördern oder zu beschränken , dürfen in ihrem Verfolg das vorangeführte Hauptziel nicht aus den Augen verlieren und müssen von dem ihm zugehörigen Geiste getragen werden .
Deutsche Bildung.
199
Darüber braucht denn aber auch das ,, Schönseelentum" noch nicht zu erschrecken , als ob damit ein völliger Umsturz von Kunst und Wissenschaft, Wirtschaft und Erwerb, des Nähr- wie Lehrstandes gegeben werde , noch auch nur drohte !
Wohl aber wird damit eine
zeit- und sinngemäße Entwicklung gewährleistet, entsprechend den Bedürfnissen der Neuzeit , die eben andere sind als die der letzten Jahrhunderte.
Auch in der Wissenschaft, vermöge und im Rahmen der
erweiterten Anschauung und Auffassung .
Wohl gibt es ewige Wahr-
heiten und unwandelbare Grundsätze , aber in Anwendung und Durchführung sind auch diese der Entwicklung unterworfen ; ihr praktischer Wert entwickelt sich der Kultur entsprechend (πάντα δει [χώφει]) . Sicherlich auch die Geistesnahrung (nutrimentum spiritus). Die Enkel bedürfen schon einer anderen Kost wie die Vorfahren , und was sich bisher noch so gut bewährt hat , reicht darum noch lange nicht für die kommenden Bedürfnisse, vgl.
darüber die vorerwähnte Erfahrung
Englands. Wie ferner das Zurückgreifen der Renaissance auf die Kultur des Altertums mit der nachfolgenden Aufklärung sich auf die vornehmeren Klassen der Gesellschaft beschränkte und nur mittelbar auf die Massen einwirkte, im übrigen auf Sonderung und Auswahl beruhte , so herrscht seit der großen Revolution die Masse schwung der Technik
mit dem anschließenden Auf-
vor und fordert unbeschränkte Beteiligung,
auch, und erst recht , in der Erziehung und Ausbildung.
Diesem An-
sturm mit seinen Begleiterscheinungen bis zur Massenpsychose sich entziehen zu wollen , erscheint widernatürlich und aussichtslos. Dann aber gilt es , auch die Folgerungen rechtzeitig zu ziehen und unbeeinträchtigt durchzuführen. Auch wenn das nur mit Selbstüberwindung geschehen kann .
Ungleich wichtiger wie je früher ist damit
der allgemeine Schul- und Erziehungsplan geworden , und in ihm bleibt für alte Sprachen kaum oder nur wenig und nur bedingt Raum . Das ist eine Notwendigkeit , über die keine Bedenken und Kundgebungen hinweghelfen , auch nicht die Anerkennung des ,,befruchtenden Zustromes antiker Gedanken" auf das, was wir heute. ..deutsche Art" nennen und ebensowenig der Zweifel, ob die in der Antike liegenden Bildungswerte auf anderem Wege völlig ersetzt werden. könnten ! Möge Philologendünkel es eine laienhafte Selbsttäuschung schelten, wenn man ohne die von ihnen bisher vertretenen Bildungswerte auszukommen und doch gebildet zu sein glauben kann , die azos deóvens soweit sie schon nicht eine andere Bedeutung erlangt hat , gilt es eben zu vermindern , die darin vorhandenen Kräfte aber zu heben und auszunutzen und zwar für das Ganze in der als richtig erkannten
200
Deutsche Bildung.
Richtung !
In dem Sinne ist an die Bildungsfragen heranzutreten .
sind sie zu sichten und vorurteilsfrei zu prüfen ! Und danach sind die Ziele der Schule zu stecken, vom Allgemeinen aufs Einzelne gerichtet ! Und von dem Standpunkt bleibt eben für alte Sprachen, namentlich Griechisch, eben nicht viel übrig, wenn wir nun einmal zugeben müssen . daß die Allgemeinheit zu wenig davon hat , was ist ihr Hekuba ?! Sicherer wird wohl der mittelbare Einfluß durch die entsprechend Begabten gewährleistet werden ; so gering auch deren Zahl immer sein mag, sie werden dann schon zur Geltung kommen !
Mit Rücksicht
aber auf die Allgemeinheit darf man nicht das Wesensfremde für uns Deutsche in der griechischen Kultur übersehen; man denke an die Götter, den Typus von Oedipus, Odysseus , Prometheus usw. , und wie schwer und notdürftig all dies mit dem Christentum in Einklang zu bringen war und ist! Auch wenn wir von dem vorangeführten Hauptziel der allgemeinen Erziehung absehen und zunächst der Kulturfrage nähertreten, wenn wir unter Kultur ,,die harmonische Verfassung des persönlichen Wesens eines Menschen" begreifen und zugeben , . , daß der griechische Menschentypus in seiner Körperlichkeit wie Geistigkeit das höchste Maß menschlicher Schönheit erreicht hat , so haben wir Deutsche nachgerade seit Friedrich dem Großen und Goethe auch eine nationale Kultur . die in ihrer Art hinter keiner anderen , auch nicht hinter der griechischen zurücksteht und so keine Veranlassung, unsere Ideale aus der Fremde zu holen ,,, die neuhumanistische Griechenauffassung ist dann auch eine Geschichtsauffassung, die für unser heutiges Urteil nicht mehr gelten kann".
Mit solchen Verfechtern aber, nach deren Meinung das
Studium der Antike ,, uns vor dem engherzigen , eitlen , erbärmlichen Nationalismus bewahren " soll, wie mit denen , die in ihrer Neigung für den Kosmopolitismus und die Internationale verloren scheinen . ist nicht erst zu rechten.
Einsichtiger und zeitgemäßer erscheint da-
gegen schon der Schluß, zu dem vor dem Kriege ein General gekommen ist : ,,Der bildende und erziehende Wert der alten Sprachen steht außer Zweifel, aber wir haben heute für diese Dinge keine Zeit . “ - Und wenn man auch schon die bekannte Ansicht des Philosophen Herbart ,,,daß die Einführung der Schüler in die gegenwärtige Welt auf dem Umwege über das Altertum eigentlich unnatürlich und das Erlernen der alten Sprachen für die meisten eine Pein ist , die schädliche Einbuße an Frohsinn , Spannkraft und seelischer Gesundheit zur Folge hat
nicht voll gelten lassen wollte ; das Nächstliegende
und Hauptziel ist und bleibt denn doch das Deutschtum (mit dem Christentum ) als innerster Kern, ihm sollten und müßten wir also ,,das Allerheiligste ,
dem
Fremdentum
aber nur die
Vorhöfe
zuweisen" .
Deutsche Bildung.
201
Schon vor einem Menschenalter fand denn auch ein Buch : ,, Rembrand als Erzieher einen weitverbreiteten Widerhall ; da finden sich Sätze wie: ,,Deutsch sein, heißt Mensch sein ..., denn es heißt : individuell sein; es heißt , ernst sein ; es heißt, fromm sein ; es heißt, Gott und dem . Göttlichen dienen ; es heißt : leben . " ,,Einer echten deutschen Gesinnung ist am meisten zuwider : Brutalität des Fühlens und Hochmut des Wissens ." ,,Charakter haben und deutsch sein , ist ohne Frage gleichbedeutend" sagt Fichte . ,,Auf dem Gebiet der militärischen und sozialen Reform ist Deutschland allen anderen Staaten voran !" usw. Neuerdings neigt man freilich mehr zur Anerkennung des Pflichtbegriffs : ,,Für unser Volk hat der Krieg von Anfang an unter dem Gedanken der Pflicht gestanden" ; „ Die Erziehung dazu bleibt nach wie vor die Hauptsache " . Ja , der Krieg lehrt uns immer eindringlicher : Vorbildung zu einem Beruf darf nicht das letzte Ergebnis der Schularbeit sein ; wir brauchen Menschen , deutsche Vollmenschen! Nicht zivilisierte Normaleuropäer heischt Gegenwart und Zukunft, sondern deutsche Persönlichkeiten als Schöpfer und Persönlichkeit ist Tat : Träger deutscher, neudeutscher Kultur. sie zeigt sich im Wirken, im Schaffen, Heere !
z. B. auch im neuzeitlichen
,, Jedem ist seine Eigenart gegeben, besondere Gaben und
Fähigkeiten ; damit ist ihm seine Stelle zum Heile des Ganzen gewiesen. Sie soll er ausfüllen, dann erfüllt er seinen Beruf. " Dazu auch : ,, Wahre Humanität besteht in einem Doppelten : einerseits in der Förderung der geistigen , sittlichen und kriegerischen Kraft , sowie der politischen Macht als der sichersten Gewähr für die allseitige Entwicklung der Persönlichkeiten , anderseits im gesellschaftlichen Leben, wie in dem des einzelnen , in der praktischen Betätigung subjektiver Ideale nach dem Gesetz der Liebe " (v. Bernhardi). An Idealen fehlt's uns somit nicht, wohl aber erschwert die Mannigfaltigkeit und Höhe der Ziele die Einigung über sie ! Und dann erst gilt es , solche durch Schule und Erziehung zu verwirklichen ! Also , daß die eigentliche Kraft richtig eingesetzt wird , und die im entsprechenden Sinne getroffenen Einrichtungen den wahrhaften Ausdruck und sicheren Anhalt für Ansprüche und Aussichten darstellen : ob etwa ein besonderer Zug vorherrscht , der die Ausbildung lohnt , ob die Begabung auf einer beschaulich-religiösen Denkweise beruht , oder zur werktätigen Durchsetzung führt , sich wirtschaftlich-selbstsüchtig oder militärisch- opfermütig auswirken soll ; ,,je edler das Menschentum ist , das wir bilden, je innerlicher die Kraft , die wir wecken wollen, um so mehr bedarf es einer weisen, eingehenden Schulung". Keinesfalls aber kann es sich darum handeln, das unfruchtbare
Wissen zu
202
Deutsche Bildung.
mehren (etwa nur, um mitreden und ,,räsonieren“ ) zu können , also um bloßes Wissen , um Steigerung des Intellekts , um Vermehrung der zumeist schädlichen ,, Intellektuellen ". Vielmehr : um Heben und Festigung von Moral und Charakter , wie um Anregen und Förderung von Willens- und Tatkraft. ,,Mögen denn unsere Kinder dereinst ergreifen was sie wollen, hingestellt werden, wohin immer , so sollen sie sich doch in allen Lebenslagen als tüchtige , zuverlässige , weltoffene und innerlich tiefe und zufriedene Menschen bewähren, mit einem Wort : sie sollen sich zu charaktervollen Persönlichkeiten auswachsen , die ihren Familien und ihrem Volk Ehre machen!" ,,Mag man das auch einen Wahn nennen , es ist der schönste Wahn, der sich denken läßt . Er ist sicherer als Wissen ; denn er hat seine unerschütterliche Grundlage im Gewissen. " ,„,Wahre Kultur hat nur ein Volk, das charaktervolle Persönlichkeiten besitzt . Und wenn Goethe sagt , daß der echte Deutsche sich durch mannigfache Bildung und durch Einheit des Charakters bezeichne , so wird niemand ihm widersprechen ; daß aber der Charakter das Höhere davon ist , kann niemand leugnen.
Und wenn nach Kant , die Erziehung das größte und schwerste Problem ist , was dem Menschen aufgegeben werden kann' , so geht er eben von einem Erziehungsideal aus , das die höchsten Werte des Menschenlebens umfaßt und über den Zeiten schwebt, um ihn emporzu-
ziehen" (W. Rein). Dazu noch : ,, Schon ist die geistige Bewältigungskraft des deutschen Volkes erstaunlich , und diese Kraft hat unseren Gesichtskreis unendlich erweitert , unser Geistesleben weltumspannend Dazu stellt sich noch die Sehnsucht nach Vertiefung ein --
gemacht.
durchaus verschieden von einem Hunger nach bloßem Wissen , so daß wohl zu hoffen ist , die derzeitige gewaltige Periode werde die langersehnte geschlossene Form unserer gesamten deutschen Kultur als ,,deutsche Form " bringen , deren Kennzeichen ist : Die Seele der Dinge wie des Geschehens besonders tief zu erfassen und im geistigen wie im praktischen Leben darzustellen " (Dr. Lorentz). Für die Weltkultur ist auch die Arbeit eines Volkes um so wertvoller , je stärker sie die Eigenart des Volkes ausprägt." Wenn es sich nun immer nur darum handeln kann , ,, die ewigen Kräfte der Seele zu formen , Menschen zu formen " (Luther , W. von Humboldt ), so muß denn auch die Schule nicht bloß Lern- , sondern auch Bildungsschule sein !
,,Die Erkenntnis, daß unsere Schulen
allesamt noch zu sehr nur Lernschulen sind, die einseitig nur Verstand und Gedächtnis pflegen, andere, wertvollere Geisteskräfte aber nicht oder nur nebenbei berücksichtigen, und so der Aufgabe der Jugendbildung nur zum Teil gerecht werden, bricht sich erst langsam Bahn. "
Erst seit wenig Jahren ist eine Bewegung für eine ,,Arbeits-
203
Deutsche Bildung.
schule" oder auch Lebensschule für ,,Erziehung zur Tat , zum nationalen Lebenswerk , Wirklichkeitsunterricht usw. " (Kreisschulinspektor Kerp) entstanden.
Leitender Gedanke ist dabei, daß die Teilnahme an
dem Leben in der wirklichen Welt die irdische Aufgabe der Menschheit und daher auch das
Ziel
der Erziehung
und
des
Unterrichts.
sein muß . Dieses Ziel muß allerdings in Einklang stehen mit dem überirdischen Ziel, mit der Pflicht der Erfüllung der göttlichen Gebote ; zu seiner Erreichung müssen wir aber es uns angelegen sein lassen , die Jugend mehr in das Wirklichkeitsleben einzuführen , sie teilnehmen lassen mit ihrem Denken, Wollen und Fühlen .
Denn die Gegenwart.
und Zukunft ist wichtiger als die Vergangenheit.
Auch sind die Be-
dürfnisse anders geartet, als daß die auf der Antike begründete Gymnasialbildung ihnen gerecht werden könnte. Je mehr Industrie und Technik in den Vordergrund gekommen und der Kampf ums Dasein in jeder Lage und Form
schärfer geworden ist, kann auch das
Gegengewicht, das damit gegeben werden sollte , allein nicht mehr genügen.
Nicht sowohl deshalb , weil es schon zur allgemeinen Bildung
gehört, mehr reale Kenntnisse zu besitzen , als jene von Hause aus bieten kann, als vielmehr, weil die Geistesrichtung mit dem Leben draußen nicht in Verbindung steht , so daß eine gedeihliche Befruchtung nicht eintreten kann .
Ich habe die Überzeugung, daß die heutige
Zivilisation sich immer weniger für den antiken Maßstab militärischer Tugenden eignet , und daß die Stunde da ist , in der die moderne Welt ihre Ideale ändern, oder aber sich darauf vorbereiten muß, vor einem natürlicheren, weniger komplexen und weniger nervösen Typus unterzugehen" (Hamilton) .
(Fortsetzung folgt .)
Literatur.
I. Bücher. Das Gesetz über den Belagerungszustand nebst Abänderungsgesetz unter Berücksichtigung des Bayrischen Gesetzes über den Kriegszustand für die Praxis erläutert von Rechtsanwalt Dr. Hans Pürschel , zurzeit Kriegsgerichtsrat. J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung G. m. b. H. (Guttentagsche Sammlung deutscher Reichsgesetze Nr. 122) . Berlin 1916. 390 Seiten . Geb. 5 M. Im allgemeinen kann man aus dem Umfang der Monographienliteratur die theoretische, aus der Zahl der Kommentare die praktische
204
Literatur.
Bedeutung eines Gesetzes abschätzen . Das vorliegende Gesetz wurde Ende Juli 1914 mit einem Schlag aus einem bloßen Gegenstand der staatsrechtlichen Doktrin zu dem am meisten fühlbaren und am meisten besprochenen Kriegsgesetz . Eigentlich widerspricht die scharfe Abgrenzung seines Inhalts durch Literatur und Judikatur dem Zweck dieses „ Ausnahmegesetzes" par excellence. Seine wenigen Paragraphen sollten der militärischen Notwendigkeit die Bahn frei machen und weitesten Spielraum geben . Sie sahen deshalb die Suspension derjenigen Verfassungsartikel vor, die seit der wirren Zeit ihrer Entstehung, im politischen Leben am lebhaftesten betont und umfochten worden sind ($ 5 ). Sie ließen die Bildung außerordentlicher Kriegsgerichte als einziger Instanz , in einfacher Zusammensetzung, mit summarischem Verfahren zu (§§ 10-15 ) . Sie bestimmten den Übergang der vollziehenden Gewalt von den Zivilbehörden auf den Militärbefehlshaber (§ 4) , dessen Befehle durch verschärfte Strafandrohungen doppeltes Gewicht erhielten (hier der vielbesprochene § 9b ! ) Das Gesetz fand seine Anwendung in schnellen und durchgreifenden militärischen Entschlüssen und diese fanden ihre Rechtfertigung eben nur in der militärischen Notwendigkeit. Darum widersprachen scharf gezogene Auslegungsregeln eigentlich dem Geist dieses Gesetzes . Denn Auslegungen sind in gewisser Hinsicht immer Einschränkungen . Aber das Ausnahmegesetz war nur für Ausnahmezustände, seine tiefgreifenden Wirkungen waren einen kurzen Zeitraum gedacht. Als im zweijährigen Verlauf eines glücklich geführten Krieges die inneren Verhältnisse sich klärten , und man den Gang des öffentlichen Lebens wieder an friedlichen Verhältnissen zu messen begann , erschienen Aufsätze und Broschüren , die die militärischen Befugnisse zu umgrenzen suchten (so die Schrift von Dr. Szymanski , Das Verordnungsrecht des Militärbefehlshabers 1915) ; zahlreiche Streitfälle gelangten bis zur oberstrichterlichen Entscheidung (vergl. die an dieser Stelle besprochene Zusammenstellung der Reichsgerichtsurteile zum B.Z.G. von Conrad , 1916 ) ; ein Reichsgesetz vom 11. Dezember 1915 stellte neben die Gefängnisstrafe des 9 in milderen Fällen Haft oder Geldstrafe. Die Lücken, die das Gesetz mit seinen lapidaren Bestimmungen läßt, füllt eine tätige Rechtsprechung und eine nicht immer unpolitische Schriftstellerei mit Auslegungsregeln . Den Extrakt dieser Arbeiten hat Dr. Hans Pürschel , sonst Rechtsanwalt, zurzeit Kriegsgerichtsrat , zu einem Kommentare vereinigt, der als eines der handlichen grünen Leinenbändchen der bekannten Guttentagschen Sammlung unlängst erschienen ist. Unter den 390 Seiten beschäftigen sich über 100 mit dem § 9, dem Fundament für Beschränkungen der Polizeistunde, des Aufenthalts, des Preß- und Versammlungswesens usw. Einzelheiten zu besprechen fehlt uns der Raum . Mit dankenswerter Klarheit und Gründlichkeit hat Pürschel die wichtigeren Anwendungs- und Streitfälle gesammelt und erörtert. Die Praxis , die auf einen solchen Kommentar wartete, wird seine Arbeit gern begrüßen .
Eg.
Literatur.
205
Kriegsjahrbuch für Volks- und Jugendspiele. Von Dominicus , Schmidt , Kohlrausch , II . B. G. Teubner. Leipzig 1916. 220 S. mit 25 Abbildungen. Preis kart. 3 M. In einer Zeit, in der die Mehrung deutscher Wehrkraft als Faktor der Jugenderziehung eine so große Rolle spielt, muß der 25 jährigen , segensreichen und tiefgehenden Tätigkeit des Zentralausschusses für Volks- und Jugendspiele gedacht werden . Der Zentralausschuß hat den Sinn seiner Bestrebungen nach Wehrtüchtigkeit schon vor vielen Jahren in dem Buche : Schenkendorff und Lorenz, Wehrkraft durch Erziehung (Teubner, Leipzig) niedergelegt. Das zweite Kriegsjahrbuch gibt in einem längeren Aufsatz von Professor Dr. med . F. A. Schmidt , Bonn, einen Rückblick über die Tätigkeit in dem ersten Vierteljahrhundert seines Bestehens . Die Wirksamkeit im 2. Kriegsjahr stellt Geh. Studienrat Stürenberg, Dresden , zusammen . Was der Zentralausschuß durch das Hinscheiden der Persönlichkeiten des Freiherrn von der Goltz und des Dr. med . Ferdinand Götz verloren hat, zeigen die Nachrufe von Oberbürgermeister Dominicus und Prof. Kohlrausch . Der militärischen Vorbereitung der Jugend ist ein großer Teil der Schrift gewidmet . Prof. Eichler, der Direktor der Großh. Bad . Turnlehrerbildungsanstalt, gibt eine sehr gründliche Darlegung des Entwicklungsganges dieser Frage bei uns und im Auslande . Hemmende und fördernde Momente der Jugendwehrbewegung werden erschöpfend erörtert . Ein von Stadtschulrat Dr. Sickinger in Mannheim geschriebener Ausblick zeigt die großen Mängel des Grundsatzes der Freiwilligkeit einer solchen Organisation und macht Vorschläge zu einer Neugestaltung. Die übrigen Kapitel beleuchten praktische Übungszweige, wie die Sinnesübungen (G. Behrens), den Belehrungskurs des Kriegsministeriums (Kohlrausch) , den Wandervogel (Walter Fischer) und den Schneelauf im Winterfeldzuge (Luther) . Besonders wertvoll und belehrend ist die Arbeit von Leutnant Netz , Heeressport hinter der Front, weil sie den Leitern von Turn-, Sportvereinen und Jugendkompagnien Hinweise für eine gewünschte und zweckdienliche Übungsauswahl bietet. In einem Bericht der Hauptturnlehrerin Thurm wird auch des Mädchenturnens gedacht . Die Vereinigung aller Richtungen in dem Kriegsgedanken der Wehrhaftmachung macht das Buch vielseitig und für die Praxis anregend als eine maßgebliche Äußerung des um die Wohlfahrt des deutschen Volkes so verdienten , nun von Oberbürgermeister Alexander Dominicus geleiteten , Zentralausschußes für Volks- und Jugendspiele in Deutschland . Prof. Broßmer, Oberlt. der Res . Frontberichte eines Neutralen . Von Tanner , Eidgenöss . Major. Verlag August Scherl G. m. b. H. 182 S. 105 Bilder. Preis geheftet 3 M.
Der jetzt vorliegende III. Band des Werkes führt den Leser nach dem Osten . Das ganze Werk ist, obschon es in erster Linie die persönlichen Erlebnisse und Beobachtungen des Verfassers wiedergibt, auch eine zusammenfassende Schilderung der Stellungskämpfe im Winter 15 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 547.
206
Literatur.
1914/15 und derjenigen des Winters 1915/16, das Mittelstück dieses Zeitabschnittes bildet die große Maioffensive der Zentralmächte von Gorlice, die recht anschaulich wiedergegeben ist. In glänzendem Kriegszuge geht es dann vom Dunajec zum Bug, nach Warschau, Nowo Georgiewsk, Brest- Litowsk, Wolhynien und Podolien bis zum östlichsten Punkt, den die Verbündeten erreichten , zu deutschen, österreichischen und ungarischen Truppen . Der Verfasser ist aber nicht ausschließlich Soldat, er widmet auch den politischen und sozialen Zuständen seine Aufmerksamkeit, und es sind im hohen Grade beachtenswerte Auslassungen , die wir über die Polen- und Judenfrage vernehmen . Das Buch wird auch für spätere Zeiten seinen Wert behalten , weil man immer Gewicht darauf legen wird, eine unparteiische Stimme zu hören, die über den Parteien steht. Offene Worte der Anerkennung widmet der Verfasser den Verbündeten Truppen , aber auch dem Gegner. Ein ganz besonderer Vorzug auch des III. Bandes sind die mehr als 100 trefflichen Bilder nach Balck. Aufnahmen des Verfassers ,
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des ver. fügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch za besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel samtlicher Bücher nebat Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde -- hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Egelhaaf, Historisch- politische Jahresübersicht für 1916. Karl Krabbe Verlag Erich Gußmann . Geh. 3 M. in Leinen geb. 3,80 M. 2. Lebensbeschreibung Hans Joachims von Zieten . BerlinCharlottenburg 1916. Felix Lehmanns Verlag. 2 Bde. , geb. in Karton 5 M. 3. Linke, Die meteorologische Ausbildung des Fliegers. München 1917. Verlag von R. Oldenburg. Geb. 3 M. 4 . Eichler, Kriegsgesetze für den Landkrieg. Berlin 1917. Verlag von R. Eisenschmidt. 0,30 M. 5. Meyer, Auf Schneeschuhen in den Karpathen . Oldenburg 1917. Gerhard Stelling. 1 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z. D. H. Rohne) enthält u . a. folgende Arbeiten :
C. Veithen, Dr. Über die Theorie der Reihenentwicklungen mit Anwendung auf die Ballistik. Über die psychische Wirkung des Artilleriefeuers . Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen .
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
7
XIX .
Friedensangebot und Ablehnung. Von Frhr. v. Welek, Oberstleutnant a. D.
In der Sitzung des Reichstages vom 12. Dezember v. J. gab der Reichskanzler die Erklärung ab , daß Se. Majestät der Kaiser sich entschlossen habe , den feindlichen Mächten der Entente Friedensverhandlungen vorzuschlagen. Zur Begründung dieses Entschlusses sagt die an diese Mächte gerichtete Note : ,,Der furchtbare seit bald zwei Jahren wütende Krieg droht den geistigen und materiellen Fortschritt , der zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Stolz Europas bildete , in Trümmer zu legen . Deutschland und seine Verbündeten haben in diesem Kampfe ihre unüberwindliche Kraft bewiesen. Die vier verbündeten Mächte wurden gezwungen, zur Verteidigung ihres Daseins und ihrer nationalen Entwicklungsfreiheit, zu den Waffen zu greifen , haben aber stets an der Überzeugung festgehalten, daß ihre eigenen Rechte und begründeten Ansprüche in keinem Widerspruch zu den Rechten der anderen Nationen stehen . Sie gehen nicht davon aus , ihre Gegner zu zerschmettern oder zu vernichten.
Die Vorschläge , die sie zu diesen Verhandlungen mitbringen
werden, bilden ihrer Überzeugung nach eine geeignete Grundlage für die Herstellung eines dauerhaften Friedens. Im Bewußtsein ihrer militärischen und wirtschaftlichen Kraft und bereit, den aufgezwungenen Kampf nötigenfalls bis zum Äußersten fortzusetzen, zugleich aber von dem Wunsche beseelt , weiteres Blutvergießen zu verhindern , schlagen die vier Mächte vor,
alsbald in
Friedensverhandlungen einzutreten. Sollte trotz dieses Anerbietens zum Frieden und zur Versöhnung der Kampf fortdauern , so sind die vier verbündeten Mächte entschlossen , ihn bis zum siegreichen Ende zu führen." Beinahe drei Wochen dauerte es , bis der Vierverband das Friedensangebot beantwortete. Erst am 30. Dezember wurde die ablehnende
Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 548.
16
208
Friedensangebot und Ablehnung.
Antwort veröffentlicht , die im Namen von Belgien , Frankreich , Großbritannien, Italien, Japan, Montenegro , Portugal, Rumänien , Rußland und Serbien übergeben wurde. Den Staatsmännern , den Politikern und namentlich der Presse bot diese lange Frist ausgiebige und vielbenutzte Gelegenheit , Stellung zu diesem Friedensangebot zu nehmen . Aus diesen zahlreichen Eröffnungen konnte man mehr und mehr den Standpunkt unserer Gegner erkennen. Nur einige wenige seien . hier erwähnt , aus denen man die Motive ersehen kann, die für die Am meisten Bedeutung
spätere offizielle Antwort maßgebend waren .
hatten naturgemäß die Auslassungen der leitenden Minister in London, Paris und Petersburg, die sich - auf vorherige Verständigung gründend
in gleicher Auffassung begegneten.
Der englische Minister Lloyd George sagte am 18. Dezember im Unterhause , daß es sehr gefährlich sei , an einer Konferenz teilzunehmen, ehe Deutschland seine Vorschläge zu einem Friedensschluß bezeichnet habe. Wir müssen", sagte er, ,,ehe wir eine solche Einladung günstig in Erwägung ziehen können , wissen, daß Deutschland bereit ist , den einzigen Bedingungen zuzustimmen, unter denen der Friede in Europa erlangt und erhalten werden kann ; nämlich : ,,Vollvolle Genugtuung ständige Wiederherstellung (restitution) , (reparation) und wirksame Garantien. Der französische Minister Briand sprach sich am 19. Dezember im Senat dahin aus, daß das Angebot Deutschlands eine Falle sei, die den Ententemächten gestellt werden solle und die nicht ernst genommen werden könne. ,,Würde Deutschland", frug er,,, einen solchen Vorschlag machen , wenn es die Gewißheit des Sieges hätte ?
Jetzt
erhebt sich Deutschland vor der Welt und sagt : Nicht ich habe den Krieg gewollt ; er ist mir aufgenötigt worden . " diese Anschuldigung sei leicht zu erteilen ,
Die Antwort auf
fährt Briand fort ,
denn
man wisse , daß die Alliierten sich bis zum letzten Augenblick bemüht haben, den Frieden aufrecht zu erhalten ( ! ).
,, Deutschland" , sagt
er weiter ,,, ist es , das die Verantwortung für den Krieg trägt .
Es ist
nicht siegreich ; es fühlt auch nicht den Sieg kommen. Dieser Schrei nach Frieden ist ein Schrei der Schwäche. Die Verbündeten sind entschlossen , auf dieses deutsche Manöver die einzige Antwort zu erteilen, die es verdient ." Auch die russischen und italienischen leitenden sprachen sich in dieser Weise aus .
Staatsmänner
Der neue russische Minister des
Äußeren, Pokrowski , lehnt jeden Vorschlag ab und zwar in schroffster Form . Die russische Regierung weise den Gedanken , jetzt den Kampf zu
unterbrechen ,
um dadurch Deutschland
die letzte Möglichkeit
Friedensangebot und Ablehnung.
209
zu schaffen , Europa seiner Führung zu unterwerfen , mit Entrüstung ab. Am 30. Dezember wurde die offizielle Antwort des Vierverbandes
dem Botschafter der Vereinigten Staaten in Paris durch den Ministerpräsidenten Briand im Namen der zehn alliierten Mächte übergeben . Sie lehnten das Friedensangebot ab. ,,Vor jeder eingehenden Antwort", heißt es in der ablehnenden Note , ..halten sich die alliierten Mächte aber für verpflichtet , gegen die beiden wesentlichen Behauptungen der feindlichen Staaten Einspruch zu erheben, welche auf die Alliierten die Verantwortung für den Krieg abwälzen wollen und die den Sieg der Zentralmächte verkünden. " Sie erklären diese beiden Behauptungen für unrichtig . Der deutsche Vorschlag beruhe auf einer systematischen Verkennung des Charakters des Streites in der Vergangenheit , in der Gegenwart und in der Zukunft. Für die Vergangenheit übersähe die deutsche Note, daß der Krieg von Deutschland und Österreich- Ungarn gewollt, hervorgerufen und verwirklicht worden sei ; für die Gegenwart stütze sich das Anerbieten auf eine ausschließlich europäische Kriegskarte ; für die Zukunft müsse seitens der Ententemächte für die durch die Kriegserklärung Deutschlands verursachten Verwüstungen , die zahlreichen Attentate , die Deutschland und seine Verbündeten gegen die Neutralen und gegen die Kriegführenden verübt haben, Sühne, Wiedergutmachung und Bürgschaften verlangt werden . Sehen wir uns diese Forderungen etwas näher an : ,, Die alliierten Nationen", heißt es,,,ertragen seit 30 Monaten einen Krieg, zu dessen Vermeidung sie alles getan haben".
Wir sagen demgegenüber ,
daß England , Rußland und Frankreich seit Jahren auf den Krieg gegen Deutschland hingearbeitet und alle Vorbereitungen dazu getroffen haben¹ ) .
Das französische Drängen nach Revanche hat seit
1871 nie aufgehört und ist nur je nach den politischen Konstellationen mehr oder weniger zutage getreten .
Die
an
der Spitze stehenden
französischen Staatsmänner wußten, daß ihre Popularität und ihr ¹ ) Einer der vielen Zeugen dafür, der gewiß unverdächtig ist , ist der belgische Major Girard , der in seiner Schrift : ,,Avant la guerre" (deutsch : Wie ein Belgier das Verhängnis seines Vaterlandes voraussah", bei E. S. Mittler & Sohn) schrieb : ,,Man hat z. B. 119 Briefe unserer Gesandten im Auslande gefunden , die übereinstimmend und unausgesetzt von 1905 bis 1914 das Land darauf aufmerksam machen, daß die Gefahr und die Herausforderungen nur von der Seite der Entente kommen, die eifersüchtig auf das friedliche Deutschland ist. Warum sind unsere an der Spitze stehenden Männer aller Parteien für die erwiesenen und zugestandenen Hetzer eingetreten, die uns im voraus benachrichtigt hatten , daß sie in jedem Falle in Belgien einrücken würden ? " ( S. 35, Fußnote. ) 16*
210
Friedensangebot und Ablehnung.
Verbleiben in Amt und Würden stets davon abhängig war , daß sie ihren Wählern und den Kammern das Bild der kommenden Revanche vor Augen führten.
Wir wissen , daß in allen Kreisen der französischen
Bevölkerung und zwar bereits in den Schulen, durch Wort und Schrift auf die Revanche hingearbeitet und sie als selbstverständlich und als erfolgreich hingestellt wurde. gelüste wurde
niedergehalten,
Eine Betätigung dieser Revancheeinerseits
durch
die
Friedfertigkeit
der deutschen Regierung und des deutschen Volkes, anderseits durch die Besorgnis , ob das im Jahre 1891 abgeschlossene russisch-französische Bündnis genug Macht verleihen würde , um den Kampf gegen den Dreibund siegreich durchzuführen . Da dies fraglich erschien , so richteten sich die Augen der französischen Staatsmänner - Delcassé - auf England , dessen Thron Eduard VII . bestiegen hatte. Vom ersten Tage seiner Regierung an wendeten sich seine politischen Maßnahmen gegen Deutschland , in dem er den gefährlichsten Feind des englischen Handels und der englischen Industrie und der englischen Seeherrschaft erblickte .
Er begab sich im Frühjahr 1903 nach
Paris, um dort das Terrain zu sondieren , und am 8. April 1904 wurde das englisch-französische Abkommen abgeschlossen .
Ende Mai gab
England das mündliche Versprechen ab, die englischen Streitkräfte an der Seite der französischen ins Feld zu schicken , die Flotte im Falle eines
deutschen Angriffes mobil zu machen,
den Kaiser- Wilhelm-
Kanal zu besetzen und 100000 Mann in Schleswig- Holstein zu landen. In kürzester Frist sollte ein förmlicher Bündnisvertrag geschlossen werden¹ ) . Als man in Paris erfuhr, daß der Abschluß dieses Bündnisses , von Deutschland als casus belli betrachtet werden würde , war man ob dieser Aussicht entsetzt : ,, Delcassé, der die Verhandlungen Sein Nachfolger, mit England geführt hatte , mußte zurücktreten. Rouvier, sah sich aber bald veranlaßt, die Beziehungen zu England wieder anzubahnen und fester zu knüpfen .
Der englische Minister
des Auswärtigen , Sir Edward Grey, genehmigte daraufhin , ohne sich durch einen förmlichen Vertrag zu binden , die Eröffnung vertraulicher Besprechungen von Militär- und Marinesachverständigen conversations d'ordre militaire , die sich zu einer Militärkonvention auswuchsen für einen konkreten Fall , der ... durch den Fortgang der Einkreisungspolitik jeden Tag geschaffen werden konnte"2) .
An
Stelle einer Landung in Schleswig- Holstein (s . o . ) trat eine solche an der nordfranzösischen Küste. In diesen einheitlichen Feldzugsplan wurde von den beiden Generalstäben sofort als notwendige Konsequenz 1 ) Vgl. H. Oncken , Die Vorgeschichte des Krieges , S. 489, in: Deutschland und der Weltkrieg. Teubner 1915 . 2) Vgl. H. Oncken , a. a. O. , S. 491 .
Friedensangebot und Ablehnung.
211
einer englisch-französischen Kooperation die Mitwirkung des belgischen Heeres einbezogen . Mitte Januar 1906 begann der englische Militärattaché, Barnardiston , in Brüssel die vertraulichen Unterhaltungen mit dem belgischen Generalstabe auf der Basis der von seiner Regierung autorisierten englisch-französischen Besprechungen. Oncken bemerkt hier¹) : ,, Indem der Militärattaché eine englische Truppensendung für den Fall eines deutschen Angriffs auf Belgien erörterte , für dessen Wahrscheinlichkeit er keinerlei Beweise beibrachte, vertiefte er sich bereits in die engste Kooperation mit den militärischen Vorkehrungen Belgiens , und die belgischen Militärs gingen bedingungslos darauf ein , obwohl sie ebensowenig wie ihre Regierung über den nicht nur akademischen Charakter der Besprechungen im Unklaren sein konnten. Also begann diese Einkreisungspolitik der freien Hand von der ersten Stunde an auch einen neutralisierten Staat , dessen Unantastbarkeit die Engländer bisher wie ein Dogma verfochten hatten , in ihre militärisch- politischen Netze zu verstricken . “ In den folgenden Jahren wurden diese militärischen Vereinbarungen der beiden Länder fortgesetzt. Die Militärs gerieten in immer ver. traulichere Fühlung. 99 Seit 1910 begann General French seine Studien auf dem belgischen Terrain zu machen ; aus seinen umfangreichen Vorbereitungen , die der belgischen Regierung nicht unbekannt bleiben konnten, gingen die in den Jahren 1912 bis 1913 gedruckten geheimen englischen Kriegshandbücher über Belgien hervor , die systematischste Arbeit eines großmächtlichen Generalstabes über ein benachbartes neutrales Land, von der wir wissen² ) !" Die unanfechtbarsten Zeugnisse dafür , daß die Verantwortung für den Krieg nicht die Mittelmächte, sondern lediglich die Ententemächte trifft , liefern die bekannten belgischen Aktenstücke 1905 bis 1914 , die wir schon im November- und Dezemberheft 1915 dieser Zeitschrift in dem Aufsatz : ,, Belgiens Schuld" angeführt haben , auf die wir hier aber , der Vollständigkeit wegen , nochmals hinweisen müssen . Der belgische Gesandte in Berlin , Baron Greindel , berichtet am 18. November 1905 , daß die aggressive Politik Delcassés , des französischen Ministers des Äußeren, von England gefördert worden sei , und am 31. Dezember desselben Jahres , daß der höchste Ehrgeiz Kaiser Wilhelms II. die Aufrechterhaltung des Friedens sei . Im Mai 1908 , bei Besprechung der Marokkofrage , schreibt derselbe Diplomat , daß die Politik des Königs von England die Sicherheit Europas empfindlich gemindert habe ; daß Kaiser Wilhelm II. den Krieg nicht wolle ,
1 ) Vgl. Oncken , a . a . O. , S. 492 . 2) Vgl . Oncken , a . a . O., S. 507.
212
Friedensangebot und Ablehnung.
daß der Dreibund während 30 Jahren den Weltfrieden gesichert habe. Am 12. Juni desselben Jahres schreibt er : ..Die drei Mächte (England , Frankreich , Rußland) sind geeint durch den gemeinsamen Haß gegen Deutschland". Während des Jahres 1911 betont er in seinen Berichten mehrmals , daß Deutschland alles tue, um einen Krieg zu vermeiden , während das Auftreten Englands nach dem Tode Eduards VII.
,,immer anmaßender geworden " sei.
Dies wird be-
stätigt durch den belgischen Gesandten in Paris , der am 28. Juli schreibt : Ich habe ein sehr großes Vertrauen in die Friedfertigkeit Kaiser Wilhelms , geringeres Zutrauen zu den friedlichen Absichten Englands . das nicht ungern sieht, wenn die anderen sich gegenseitig verschlingen. " Am 6. Dezember 1911 schreibt Baron Greindel , daß man sich in England mit dem Plane beschäftige , Frankreich in einem Kriege mit Deutschland durch die Landung eines Korps von 150 000 Mann zu Hilfe zu kommen.
Er bezeichnet dies sehr richtigerweise
als die ,,logische Folge und die Fortsetzung der Vorschläge und Verabredungen zwischen Oberst Barnardiston und General Ducarne" (s . o . ) . Solche Feststellungen unparteiisch Urteilender könnten noch durch Wiedergabe von Reden , Vorträgen und Berichten in ausgedehnter Weise vermehrt werden , doch ist ja so viel bereits veröffentlicht worden , daß , wer sehen und hören will , mehr als genügende Unterlagen für sein Wollen findet. Nur auf die zahlreichen Dokumente sei noch hingewiesen, die im Verlaufe des Krieges in Gestalt von Geheiminstruktionen bekannt geworden sind, die bei Gefallenen oder Gefangenen der feindlichen Armeen gefunden wurden oder sonst in unsere Hände kamen und die namentlich in Rußland in unbestreitbarer Weise den Beweis liefern , daß schon lange vor Kriegsausbruch alles auf den Krieg gegen Deutschland , auf einen Einbruch in unsere östlichen Provinzen vorbereitet war, daß die Grenzfestungen in Verteidigungszustand versetzt und die Grenztruppen mobil gemacht worden waren . Vollständig richtig und wohl begründet ist es daher , wenn sich der Wirkl. Geh. Rat Hamann - bis zum Jahreswechsel Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt einem Redaktionsmitglied der Transocean-Nachrichten- Gesellschaft gegenüber dahin äußerte, daß es überhaupt falsch sei, den wirklichen Kriegsgrund in den Vorgängen . während der letzten Woche des Juli 1914 zu suchen. Er sagte : ,, Damals fand sich der letzte Anstoß zum Krieg , den wirklichen Grund muß man erhebliche Zeit früher suchen. Seit dem englisch-französischen Vertrag von 1904 war eine vollkommene Literatur in Frankreich entstanden, die offen und laut die Eroberung Elsaß-Lothringens besprach und alles tat, um dem französischen Leser die Vorstellung von der Minderwertigkeit Deutschlands einzuimpfen . “
213
Friedensangebot und Ablehnung .
Gegenüber all diesen ,, Feststellungen" braucht man hier nicht darauf hinzuweisen, was Kaiser Wilhelm alles getan hat , um den Krieg zu vermeiden.
Wir erinnern nur an das Telegramm vom 28. Juli
an den Zaren , an die am 29. Juli nach Wien gerichtete Note , die den Erfolg
hatte ,
daß
die
österreichisch- ungarische
Regierung ,
dem
deutschen Rate folgend, die Verhandlungen mit Petersburg wieder aufnahm , und endlich daran, daß die deutsche Regierung den Vorschlag Greys, Österreich-Ungarn möge nach Besetzung von Belgrad seinen Vormarsch einstellen und eine Vermittlung mit Rußland annehmen, in Wien warm befürwortete. Aber alle Friedenshoffnungen scheiterten an dem Vorgehen Rußlands . Nicht allein, daß es noch am Abend des 30. Juli die Forderungen, die es an Österreich stellte, ungemessen steigerte , sondern es erklärte die völlige Mobilmachung, nachdem es am 31. Juli die Zusicherung erhalten hatte, daß England dem mit Rußland verbündeten Frankreich im Falle eines Krieges beistehen werde . Damit war die Kriegsfackel entzündet , denn daß Deutschland im Falle einer russischen Mobilmachung längs der deutschen Grenze ebenfalls zur Mobilmachung schreiten müsse , das war nicht nur selbstverständlich, sondern auch den fremden Regierungen gegenüber ausdrücklich ausgesprochen worden. Noch am 27. Juli hatte Staatssekretär von Jagow dem französischen Botschafter gesagt : ,, que si la Russie mobilisait , l'Allemagne serait obligée de mobiliser aussitôt , que nous y serions forcés également et qu'alors le conflit serait presque inévitable“ ¹) . Wenn wir im vorstehenden das Unhaltbare des Vorwurfes , Deutschland habe den Krieg gewollt und veranlaßt , kurz dargelegt oder es zu tun versucht haben, so ist es nicht minder leicht , der anderen Behauptung entgegenzutreten , daß die Zentralmächte bis jetzt den Sieg nicht davongetragen hätten .
Wir können uns aber hier weit kürzer
fassen , weil ein Blick auf die Karte genügt , um diesen Beweis zu führen . Wären wir nicht Sieger, so würden unsere Truppen heute wohl nicht weit in Frankreich und Belgien , in Rußland und Rumänien stehen , Serbien und Montenegro wären nicht von der Karte verschwunden und der Weg von der Ostsee nach den Dardanellen wäre uns nicht geöffnet. Die Note der Ententemächte läßt die ,, Kriegskarte " allerdings nicht gelten .
Sie sei , heißt es, eine ausschließlich europäische
Kriegskarte ,,, die nur den äußeren und vorübergehenden Schein der Lage und nicht die wirkliche Stärke der Gegner ausdrücke". Die Entscheidung des Krieges wird aber in Europa ausgefochten , nicht in
1 ) Vgl. H. Oncken, Der Ausbruch des Krieges , S. 554 in : Deutschland und der Weltkrieg. Teubner 1915.
214
Friedensangebot und Ablehnung.
Afrika oder Asien, und die Bedingungen des einstigen Friedens werden sich auf die militärischen und politischen Verhältnisse in Europa gründen , nicht auf die in den Kolonien .
Die Regelung der kolonialen Fragen,
die im Weltkriege akut geworden sind, wird ganz von selbst erfolgen beim Abschluß des in Europa erkämpften Sieges und Friedens . Daß wir aber Sieger bleiben werden , das lehrt der bisherige Verlauf des Krieges : jeder neu uns erwachsende Feind schuf uns neuen Sieg , den Gegnern neue Niederlagen. Deutschland und seine Verbündeten konnten daher , als sie im Dezember das Friedensangebot machten , als ihr Kriegsziel - Verteidigung ihrer Freiheit und ihres Daseins — erreicht betrachten. ,, Dagegen haben", heißt es in der an die Neutralen gerichteten deutschen Note, ,, die feindlichen Mächte sich immer weiter von der Verwirklichung ihrer Pläne entfernt , die nach den Erklärungen ihrer Staatsmänner u . a . auf die Eroberung Elsaß-Lothringens gerichtet sind. " Wir sind jetzt Sieger und wenn wir es nicht wären, so wollten , müßten und würden wir es werden ! Ein Blick auf die Kriegsziele , die unsere Gegner unverholen und oft kundgegeben haben, liefert den Beweis für diese Notwendigkeit und für die Gewißheit , daß wir das Schwert nicht eher in die Scheide stecken , ehe wir nicht den Frieden diktieren oder doch die Friedensbedingungen , die unseren
Ansprüchen und unseren
stellen können.
Bedürfnissen
entsprechen ,
fest-
Was uns die Ententemächte zugedacht haben, wenn
ihnen der Sieg zufiel, das ist klar ausgesprochen in der an Präsident Da werden als Ziele genannt : Wilson gerichteten Verbandsnote . Wiederaufrichtung Belgiens , Serbiens und Montenegros und die ihnen geschuldete
Entschädigung,
die
Räumung
der besetzten
Gebiete
Frankreichs und Rußlands mit gerechten Entschädigungen, die Rückgabe Elsaß- Lothringens
(im Text umschrieben mit : ,,... Rückgabe
der früher mit Gewalt gegen den Wunsch der Bevölkerung entrissenen Provinzen“), die Zertrümmerung Österreich-Ungarns , die Annexion des europäischen Teils der Türkei und Armeniens .
Hierzu würde die
Vernichtung unserer Flotte , unseres Handels , unserer Industrie und der Verlust unserer Kolonien kommen. Wir kämpfen nicht um den Sieg als solchen , sondern um unsere Volkswohlfahrt um unsere Existenz !
215
Deutsche Bildung.
XX.
Deutsche Bildung. Zeitgemäße Ziele für Schule und Heer. Von Woelki, Oberst z . D. (Schluß .)
Auf Organisationsfragen soll hier zunächst nicht weiter, als unumgänglich nötig , eingegangen werden ; immerhin wird man bei Erwägung neuer Ziele nicht gut an den Erfahrungen im Verfolg der bisherigen vorübergehen können . Es mag darum nur kurz auf einige auffällige Mängel der bestehenden Schulen hingewiesen werden : so auf die Überfüllung der höheren Mittelschulen durch Unbegabte , die durch die neu betonte Losung : ,, Freie Bahn den Tüchtigen" gewiß noch verschärft werden dürfte , bei gleichzeitig recht geringem Prozentsatz derer, die gerade die bevorzugten Schulen mit vollem Erfolg durchlaufen haben. Ihnen gegenüber steht die große Zahl solcher Schüler , die nur mittelst Nachhilfestunden mitkommen, Umstände , die wohl bezeugen, daß auch die bisherigen Ziele nur sehr beschränkt und bedingt erreicht werden, sei es , daß es an wirklich geeigneten Schulen fehlt , sei es , daß falsche Ziele gesteckt sind , oder nur irrtümlich aufgefaßt werden.
Es geht aber denn doch nicht an, daß die Schule
nur einigen wenigen gerecht wird , die übrigen aber als animalia cetera abgetan werden , vielmehr ist es doch, wie schon oben hervorgehoben , nunmehr
die goldene
Mittelmäßigkeit ,
die
mit
Recht
spruch darauf erhebt , in erster Linie gefördert zu werden !
An-
Wogegen
bei Abstellung von Mängeln und hier im besonderen bei „ Modernisierung" der veralteten Schulsysteme , die mittlere
Linie , die so-
genannten Kompromisse , sich als schlecht angebracht erwiesen haben : sie befriedigen eben niemanden ; wozu dann noch die Macht der Gewohnheit und der festgewurzelte Schematismus kommen und nur zu leicht und oft die bestbeabsichtigten Verbesserungen ins Gegenteil umkehren . Auch betreffs der schon vorberegten Erziehung zur Tat darf man sich darum nicht verhehlen , daß dies Ziel sehr hoch gesteckt und nicht ohne weiteres zu erreichen ist , wenn eben die Schule ein Lebenskreis für werdende Vollmenschen werden soll, in dem sich mannigfaltiges und doch
einheitliches Leben unter Einwirkung der
216
Deutsche Bildung.
pädagogischen Kräfte des Lehrers
zu
immer höheren Formen ent-
wickeln soll ! Wobei auch zusammenfassende Methoden (Uniformen) und ,,Einheitsschulen " als ,, im Widerspruch mit der Zeitrechnung und ihren zu vielseitigen Bedürfnissen stehend" anzusehen bleiben .
Die eigentliche
und schließliche Lebensschule hängt eben von zu viel Einzelumständen ab, zumal bei den heutigen verwickelten Verhältnissen . So haben denn auch die gewiß praktischen Engländer wohl die Ausbildung der Tatkraft wie des Willens längst als Hauptziel erkannt , sind ihm jedoch nur in ihren eigenartigen ,,höheren“ Schulen gerecht geworden, wogegen ihre sonstigen Schulen noch durchaus minderwertig geblieben sind. Die Schwierigkeiten der Durchführung des Gedankens sind eben zu groß und verschiedenartig, als daß sie nach einer oder wenigen Normen zu Da fassen und ohne größere Aufwendungen zu bewältigen wären . sollte doch wenigstens nach Möglichkeit Gelegenheit geboten werden , solche Vorteile auszunutzen , die die Verteilung , wie besonders die frühzeitige Inangriffnahme einer schweren Aufgabe bieten ! Die möglichst frühzeitige Einführung in den Lebensberuf gibt nicht nur einen gewissen Vorsprung , sondern gelingt auch regelmäßig leichter und vollständiger ; der Wille wird sicherer in die rechte Bahn gelenkt , die dazu gehörigen Triebe gefördert , die Tatkraft geweckt und geübt . Damit, also mit dem eigentlichen Beruf, erst zu beginnen , nachdem die besten und stärksten Triebe unterdrückt, die andernfalls fruchtbarsten Jahre vergeudet , das ,,Abiturium " mühsam ,, ersessen " ist usw .. kann man doch keinen guten, geschweige ungeminderten Erfolg zeitigen ! Anders stellt sich schon die Aussicht, wenn das Feld der Betätigung zur Schulung, Übung und Erziehung von Wille zu Tatkraft in aller Frühe aufgesucht wird ! Dann wird früher als es bisher den meisten möglich gewesen ist , die normale Vollbildung erreicht werden können. Das gilt natürlich besonders für alle , die sich den praktischen Berufen zuwenden und weniger für die Universitätsstudien. Hier wird infolge der eben vorhandenen , auf sie hinweisenden Schulen mehr der Übelstand der Allzuvielen sich geltend machen , vornehmlich bei solchen , die , da sie nun doch endlich ( ! ) die Reife erhalten, ohne zugehörige Neigung und Gabe die Universitäten besuchen , schließlich aber bestenfalls das Niveau ihres Berufes herabdrücken , wenn sie schon. nicht das Korps der Gescheiterten füllen , wogegen sie in einer ihre Anlage mehr zusagenden Stelle wahrscheinlich ungleich mehr leisten würden .
Für die immer größer werdende Mehrheit derjenigen aber, die nicht studieren, ist es nachgerade unstreitig von größtem Wert ,
nicht
erst
nach
dem
achtzehnten
Jahre ihren endgültigen
Beruf zu ergreifen. Und daß dabei anderseits der Hauptteil der besseren Stände eine möglichst abgeschlossene , volle
Schulbildung genossen
Deutsche Bildung.
217
hat, daran hat auch der Staat ein starkes Interesse. Eine bloße Seminarausbildung nach Art einer Dressur, wie etwa in Frankreich, kann uns nicht genügen, nicht unseren Volksanlagen entsprechen ; die Pflege der höheren Kräfte , des geistigen Aufschwunges , des nachhaltig wirksamen Idealismus muß gewahrt bleiben.
Und so bleibt eben nur übrig
der Ausweg der rechtzeitigen, d. i . frühzeitigeren Scheidung bzw. Abschluß der allgemeinen Bildung und Erziehung auf der Grundlage von tiefgehendem Einzelwissen , und nicht nur oberflächlichem Alles wissen (multum non multa ). Wenn solche Erwägungen zunächst vorwiegend die Friedensbedürfnisse im Auge haben, so bedürfen sie doch noch in Rücksicht auf die Pflichten gegen das Vaterland , die nach dem Vorgehenden allen anderen Zielen und Bedürfnissen voranstehen , durchweg der Nachprüfung daraufhin und unter Umständen auch der entsprechenden Ergänzung oder Änderung, nicht aber nur einer Behandlung so nebenher , wie sie sich zurzeit gerade in der Frage und Behandlung der Jugendwehr werden mag .
darstellt,
auf
die
hier
noch
kurz
eingegangen
Die militärische Vorbereitung der Jugend ist neuerdings ein allgemein anerkanntes Bedürfnis , die dazu gehörigen Fragen stehen Wenn nun auch über im Vordergrunde des öffentlichen Interesses . gehen doch die Mei, so ist einig Welt alle sich an die Notwendigkeit nungen über die Wege zu dem erwünschten Ziele , wie eigentlich auch über dieses selbst , noch weit auseinander.
Gilt es doch, ein neues Be-
dürfnis mit allen Folgen auf Kosten der bisherigen in den schon reichAlso die lich belasteten Schul- und Erziehungsplan einzugliedern ! Kulturdie jedoch ohne erhöhen, zu Volkes des Kraft kriegerische beeinträchzu Einzelinteressen entfaltung, noch die wirtschaftlichen keineswegs ohne bei allgemeinster Beteiligung Das kann tief eingreifende Maßnahmen erfolgen , wenn anders ein wirklicher Erfolg erzielt werden soll. Wenn aber immer noch daran festgehalten
tigen !
wird, der Jugend auch weiterhin die freiwillige Beteiligung zu belassen , auch ein fester Plan über die Art , Ausdehnung und Ausführung der einschlägigen Übungen noch fehlt , da steht die Sache noch bestenfalls in den Anfängen . Weiter ist man damit bekanntlich in Frankreich ; wo sozusagen die Not der Zeit früher und mehr erkannt ist , auch schon Einrichtungen getroffen sind , die aber zum Muster zu nehmen für uns nicht angezeigt sein mag. Bei uns in Deutschland nahm die Bewegung dafür erst mit Ausbruch des Krieges einen erheblicheren Umfang an. Ihr folgend , ordneten die zugehörigen Staatsstellen ( 16. August 1914 ) die Bildung von ,,Jugendkompagnien" zur militärischen Vorbereitung für den
218
Deutsche Bildung.
Kriegsdienst der jungen Leute von 16-20 Jahren als „ EhrenAlle Behörden wurden aufgefordert , die Vorbereitung , pflicht " soweit sie ohne Ausbildung mit der Waffe möglich , zu unterstützen . Der damaligen (1914) allgemeinen Opferfreudigkeit zufolge war der Anfang vielversprechend ; überall entstanden Jugendkompagnien , und mit Eifer widmete sich alt und jung der Sache. Bald aber traten große Unterschiede betreffs der Art der Übungen hervor ; meist trat das Exerziermäßige stark in den Vordergrund.
Dazu fehlte es sehr an
geeigneten Führern , und mehr und mehr zeigte es sich, daß auf diesem Wege (der freiwilligen Beteiligung und Betätigung) selbst nur bescheidene Ziele nicht mit Sicherheit noch allgemein zu erreichen waren . Zunächst war und blieb die Beteiligung eine verhältnismäßig nur geringe. Aber, auch davon abgesehen, kamen erhebliche Bedenken gegen den bisherigen Betrieb auf, es brach sich vor allem die Überzeugung Bahn, daß ein breiterer und tieferer Grund gelegt und mehr verlangt werden müsse als etwa die Erwerbung äußerer Formen und Fertigkeiten .
Man fand so , daß eine jugendliche Soldatenspielerei den son-
stigen Aufgaben der Erziehung hinderlich sei , daß die tiefe Ernsthaftigkeit des Soldatenberufs sich nicht leicht mit dem nötigen Spielraum für jugendlichen Frohsinn und Unbefangenheit vereinen ließe , daß die Eigenschaften ,
die den
Grundton der militärischen Erziehung
bilden, also Gehorsam, Selbstlosigkeit und begeisterte Hingabe , Kindern gegenüber nicht in ihrer ganzen Wucht zum Ausdruck zu bringen sind. Und wenn in den Kadettenkorps mit Nutzen nach anderen Grundsätzen verfahren wird, so handelt es sich dort um eine systematische Vorbereitung auf einen bestimmten Lebensberuf unter ständiger Anleitung und Überwachung in einer Art , wie sie auf die gesamte Jugend auszudehnen nicht möglich ist . Dementsprechend stellte dann auch schon im Herbst 1915 das Kgl. Preußische Kriegsministerium als Hauptziel ,, die sorgfältigste Durchbildung aller Kräfte des Körpers und damit Stählung des Willens" fest ; erst in zweiter Linie kommt die Vorbildung in militärischen Dienstzweigen und zwar vor allem in denen, die ihrer Art nach in den zwei Dienstjahren nicht die gewünschte Vervollkommnung erreichen lassen , dem Fernsehen , Entfernungsschätzen, Geländebeurteilung und -benutzung , Marschfähigkeit. Auf keinen Fall aber soll die militärische Vorbildung der Jugend der eigentlichen Rekrutenausbildung des Heeres vorgreifen , in allen Lehrfächern ist das Exerziermäßige zu vermeiden. " Danach wird doch noch an der Vorbereitung nebenher festgehalten .
Höher und
wichtiger, wenn auch nicht so ohne weiteres erreichbar , erscheint aber das Ziel , der Armee ein durchweg besser entwickeltes Menschenmaterial zuzuführen , das man auch sicher erreichen kann , wenn eben
219
Deutsche Bildung. die Erziehung
durch
die
Schule
allgemein
mehr
auf
die
Heranbildung harmonisch entwickelter , in ihrer Leistungsfähigkeit gesteigerter Menschen gerichtet wird (s . oben) . ,,Gelingt es der Schule , die hierzu geeigneten Wege zu beschreiten, so entfällt die Aufgabe einer besonderen Vorbereitung der Jugend für den Waffendienst ganz von selbst .
Ein gesunder , kraftvoller, intelli-
genter, charakterfester und begeisterungsfähiger junger Mann ist überall zu gebrauchen, zum Waffendienst nicht minder wie zur Friedensarbeit" (s. oben) .
Dazu gehört aber noch, daß die Knaben nach ihrer
Entlassung aus der Volksschule in derselben Richtung und in gesteigertem Maße fortgebildet werden , wobei stets der Hauptnachdruck auf die Tüchtigkeit des Menschenmaterials für das Heer zu legen bleibt . Im selben Sinne sollten auch nicht etwa die Lehrer der Untersekunda darüber zu befinden haben , ob ein Mann ein oder zwei Jahre zu dienen habe !
Vielmehr müßte folgerichtig die Entscheidung darüber allein
dem Truppenteil überlassen werden.
Und zwar nicht nur auf Grund
der dort bewiesenen Beherrschung von Formen und Fertigkeiten , deren Wert gerade der zeitige Krieg in seinem Verlauf sehr gewandelt hat, also , daß schon ,, neue Richtlinien für die Heeresausbildung verlangt werden ". Wir erleben gewaltige Anhäufungen in Riesenbetrieben und -heeren , die Mechanisierung alles Menschlichen , der Kriegskunst wie des Heerwesens und das Vorherrschen von Massen und Technik. Man denke ferner an die Steigerung und äußerste Aufbietung der Energien, die überaus hohe Steigerung der Widerstandskräfte gegen die moralische Einwirkung der modernen Waffen und Kriegsmittel , die lange Dauer der Kriegshandlungen u. dgl. m. — , das alles stellt eben andere Anforderungen als sie bisher in Betracht kamen.
Dement-
sprechend wird auch schon bei der Jugend das Verständnis für die neuen Kriegsmittel und Verhältnisse zu wecken und zu fördern sein soweit es nicht schon , dem allgemeinen Bedürfnis im Zuge der Zeit entsprechend, vorhanden ist und nur noch des Hinlenkens auf die zugehörigen Ziele und Zwecke bedarf.
Und das führt wieder auf die Be-
ziehungen zwischen Krieg und Frieden und auf die beiderseitigen Bedürfnisse zurück . Die Gegenseitigkeit und Innigkeit ist - richtig verstanden
doch größer als sie bei oberflächlicher Betrachtung
zunächst erscheint, das Verhältnis ist richtiger mit dem Hinweis auf das Gesetz von Aktion und Reaktion, als nur mit dem Satz : ,, si vis pacem para bellum" , gekennzeichnet und wird erst mit einer Auffassung , wie sie beispielsweise in den schon angeführten ,, Grundlagen unserer Wehrkraft " enthalten ist , voll gewürdigt . Von diesem Standpunkt aus gewinnt denn auch alles, was zur Kriegsvorbereitung, Wehr- und Heerordnung gehört , ein allgemeines Interesse, so im besonderen die
220
Deutsche Bildung.
militärische Ausbildung und davon wieder hier die Frage, ob und inwieweit sie auch schon der ihr als zufallend beanspruchten Stellung mit und vor der allgemeinen , für die wirtschaftliche und Lebenskultur als erstrebenswert erachteten , gerecht wird , also daß sie , ihrer ausschlaggebenden Bedeutung entsprechend , einen wesentlichen Bestandteil der allgemeinen Bildung bilden kann.
Zur Beantwortung dieser
Frage mag hier zunächst auf den Werdegang und zeitigen Stand der militärischen Ausbildung bei uns in Deutschland , mit den betreffenden von höchsten militärischen Fachmännern aufgestellten Zielen und Leitsätzen kurz hingewiesen werden . Bei den bekannten in vielem mustergültigen Völkern des Altertums - wie auch noch jetzt bei den Naturvölkern wurde bekanntlich die gesamte waffenfähige Mannschaft des Gemeinwesens zum Kriegsdienst erzogen.
Bei den Spartanern war der Kriegsdienst sogar
ein Vorrecht der Vollbürger ; diese wurden ausschließlich dazu erzogen , die sonstigen Geschäfte , Betriebe und Gewerbe aber den Heloten überlassen .
Mit der wachsenden Zivilisation schwand wohl die allgemeine
Beteiligung , bis zuletzt die französische Revolution mit ihrem Volksaufgebot dazu zurückgriff, und bis , dem vergleichbar, die von Preußen im Drange der Not eingeführte allgemeine Wehrpflicht der gesunden Ansicht wieder Geltung verschaffte , daß das Volk selbst seinem nationalen Willen wieder Aus- und Nachdruck, nötigenfalls bis zum äußersten verleihen muß und nicht etwa Mietlingen überlassen darf. Dazu gehörte aber auch, daß die Nation ihre Bürger körperlich und geistig dazu befähigte , sie wehrhaft machte. dankens stieß aber
Die volle Verwirklichung des Gewir auch noch - auf Schwierigkeiten, schon
wegen der dazu nötigen Geldmittel. Die Pflicht der Regierungen , jeden Bürger als Vaterlandsverteidiger zu erziehen , bleibt aber trotzdem bestehen, wenn auch nur nach Maßgabe der vermeinten Möglichkeit und Dringlichkeit .
So kam es auch , daß, als in neuester Zeit
der wirtschaftliche Aufschwung die weitesten Kreise erfaßte und schließlich die gesamten leistungsfähigen Kräfte in ihren Bann zog, im gleichen Verhältnis auch die Friedensidee Macht gewann , die aktive Dienstzeit , die fast ausschließlich die Vorbereitung für den Krieg bildete , verkürzt wurde , so daß sie nunmehr zur wirklichen Erziehung zum und für den Krieg nicht mehr genügen konnte. Und dies noch um so weniger, je höhere Ansprüche die Entwicklung der Volkskräfte durch die neuerdings so intensive , den Kriegsbedürfniss n abgewandte , wenn nicht entgegengesetzte Tätigkeit in Industrie und Gewerbe einerseits, sowie anderseits die Industrie des Kriegswesens als eines Spiegelbildes der ersteren, an die Vorbereitung usw. für den Krieg stellten. Da lag der Gedanke, die Erziehung und Ausbildung auch für den Krieg auf die
Deutsche Bildung.
221
vor der Dienstzeit liegende Jugendzeit zu verlegen , wohl nahe genug. Die sich dagegen türmenden Schwierigkeiten und Bedenken sind teilweise schon angedeutet worden. Sie liegen auch wieder hauptsächlich in dem schon berührten vermeintlichen Widerstreit der Interessen der Kriegs- und Friedensbedürfnisse . Auch dann noch, wenn die Lehrkörper und Regierungen , durchdrungen von der Bedeutung des Grundsatzes : ,,mens sana in corpore sano ", den besten Willen haben, und solange nicht die Kriegsgefahr zu ernst wird ! Je höher eben die tiefgehende wissenschaftliche Durchbildung bewertet wird , je schärfer die entlassene Jugend der niederen Stände schon frühzeitig in den Kampf ums Dasein, um den Broterwerb und das wirtschaftliche Fortkommen . eintreten muß, desto schwerer wird es , nach beiden Seiten hin nichts zu versäumen. verDie eigentliche militärische Ausbildung an sich folgt bekanntlich den Zweck, ., das Heer zu einem brauchbaren , freudig gehorchenden Werkzeug in der Hand des Führers zu machen , es für die Aufgaben des Krieges vorzubilden “. Der Soldat muß dazu kämpfen und marschieren lernen , muß sich und seine Waffen kennen, kriegsbrauchbar machen und erhalten .
Wichtiger aber noch als die Aneignung der
körperlichen und handwerksmäßigen Eigenschaften ist auch hier die moralische Vorbereitung des Mannes, die Ausbildung des Charakters , die Aneignung aller Eigenschaften des Herzens und der Seele , die unerläßlich sind, um in Not und Gefahr männlich zu bestehen . Wenn nun aber damit früher , zur Zeit der Berufsheere , der Kreis der Ausbildung als geschlossen angesehen werden konnte, so hat diese sich mit. Schaffung der Volksheere eben noch erheblich erweitert .
Das Heer
muß jetzt , wenn es seiner Aufgabe im Staate gerecht werden will, neben seinem Kriegsziel (vgl. Handbuch für Armee und Marine) ,, eine große Volksschule werden , ein Gesundbrunnen sein , aus dem der ganze Die Gesamterziehung Volkskörper dauernd neue Kräfte zieht. des Menschen tritt mehr in den Vordergrund , und nimmt die Richtung auf den Krieg". Das Heer übernimmt eben die Ausbildung von Männern , indem es aus ihnen Soldaten macht . Und je richtiger das Heer die Aufgabe erfaßt, um so entscheidender wird die militärische Ausbildung seinen Einfluß auf das gesamte Volksleben ausüben. ,,Namentlich in einer Zeit , in der die materiellen Interessen in den Vordergrund treten, die das Volk verweichlichen und entnerven, wo die moralischen Begriffe sich verwässern und die Völker altern , ist es die Erziehung in der Armee , die die Volkskraft erhält , indem sie den kriegerischen Geist stählt." (Vgl. auch Moltkes Kriegslehren IV , 1. ) ...So ist die Armee nicht mehr eine Dressuranstalt für einen be-
222
Deutsche Bildung.
stimmten Zweck, sondern eine Bildungsanstalt , in der alle edlen Eigenschaften, Wahrhaftigkeit,
Hingabe an das Vaterland ,
Selbst-
tätigkeit und Verantwortungsfreudigkeit gefördert und gefestigt werden sollen. Sie hat frische , denkende , pflichttreue Männer auszubilden , die unter der Fahne eine glückliche Heimat finden, eine Stätte der Zucht, Ordnung und Kameradschaft !
Als das Fundament dazu gilt
vor allem Ordnung und Gehorsam. Darauf muß auch die Ausbildung vornehmlich gerichtet sein ; dazu muß auch dem inneren Dienst der gebührende Platz eingeräumt werden , der , richtig gehandhabt und mit zwingender Gewalt wirkt.
Das gilt auch für die Exerzierschule. Aber
auch die Ausbildung fürs Gefecht , das Schießen , Turnen , Reiten , Schwimmen , Fahren in der Luft wie unter Wasser , der Borddienst, wie jede sonstige Spezialität haben demselben Sinn und zum gleichen Endzweck zu dienen. Und erst recht ein alle Dienstzweige umfassender Unterricht , der, über das Gedächtnismäßige hinausgehend, die Verstandeskräfte entwickelt und damit den Mann nicht nur im Rahmen des Befehls selbsttätig , sondern auch ohne Befehl im Sinne des Ganzen selbständig macht. Jede Armee muß schließlich für ihre Ausbildung den Weg einschlagen und die Mittel wählen , die der Eigenart des Ersatzes entStadtbewohner bedürfen einer anderen Ausbildung wie sprechen. solche aus Feld und Wald.
Die Ausbildung muß eben ausgleichend
und ergänzend wirken. Der Erfolg aber hängt natürlich noch wesentlich von den Begleitumständen wie der Art des Dienstbetriebes , von der Güte der Vorschriften wie des zugehörigen Personals, im besonderen also vom Offizierkorps ab. Der Offizier soll vor allem Erzieher sein , Führer und Vorbild auf allen Gebieten , wofür ihm auch Goethe zugesteht : ,,Die größten Vorteile im Leben überhaupt wie in der Gesellschaft hat ein gebildeter Soldat."
Bezeichnend ist auch, daß gerade die preußischen Waffen-
erfolge des siebenjährigen Krieges allgemein zu dem Streben führten , tüchtigem Können durch gründliches Wissen vorzuarbeiten.
Fast alle
damaligen deutschen Staaten gründeten Militärschulen zur Ausbildung von Offizieren.
Auch Scharnhorsts Grundgedanke bei der Neugestal-
tung der Heereseinrichtungen war, daß im Frieden nur Kenntnisse und Bildung Anspruch auf Besitz der Offizierstellen geben , im Kriege Tapferkeit und Überblick . Seine Heeresorganisation begann daher auch mit der Neugründung von Lehranstalten.
In allen Ländern war
auch die Notwendigkeit anerkannt, den Ersatz des Offizierkorps den höheren Gesellschaftskreisen zu entnehmen , wenn auch in Frankreich der aus dem Unteroffizierstande hervorgegangene Offizier als eine Errungenschaft der Revolution sich noch als ein Wahrzeichen der vor-
Deutsche Bildung.
223
herrschenden Demokratie behauptet.
Im übrigen gilt aber auch dort das Wort: ,,Tels officiers , telle armée", und allgemein wird wohl das Offizierkorps als das Rückgrat des Heeres angesehen . Nach Friedrich dem Großen war und soll es der ,,rocher de bronce" des Staates bleiben. Wenn so die Wehrkraft des Staates das sicherste Fundament seiner Kraft nach innen wie außen bildet und dafür angesehen wird, dann erinnert freilich solch ,,Militarismus" gewiß an die Rolle , die der Vater von Friedrich dem Großen seinem Heere verschafft und damit auch den Grund zu großen Erfolgen gelegt hatte.
Das sind nun 200 Jahre her , und andere Zeiten verlangen wohl auch andere Mittel , aber mutatis mutandis wird doch immer nur die entsprechende Wehrkraft den Bestand der Staaten gewährleisten, das darf man nicht vergessen! Wie auch, daß für diese ihre eigentliche Aufgabe ihr bzw. dem Heere ein entsprechender Einfluß auf Erziehung , Kräftigung und Erneuerung des Volkes wie Ersatzes gesichert werden muß, ebenso wie daß das Heer sich nur als ein Teil des Volkes fühlen und in treuer Fürsorge in dessen Gedeihen im Frieden wie im Kriege , seinen eigenen Vorteil findet. Daraus und damit erwächst der rechte Volksgeist , der wieder , wegen seines Einflusses auf den Geist des Heeres , ein wichtiger Faktor kriegerischen Erfolges ist (v . Blume) , also, daß im gegebenen Moment das alte Wort : ,,Der Preußen Herz ist da , wo Preußens Fahnen wehen", nunmehr in der Fassung : ,, Das Volk ist da , wo deutsche Fahnen wehen“ , volle Kraft gewinnt . Dazu gehört endlich auch die Überzeugung , daß die militärische Schulung keine unnütze Zeitverschwendung , geschweige Chikane oder Vergewaltigung , vielmehr beste und unumgängliche Erziehung sein soll und kann , und es sich nur noch darum handelt , sie , den Zeitumständen entsprechend , nach jeder Richtung zweckmäßig zu wählen und durchzuführen . Wir können doch wahrlich noch mit dem Erfolg des bisherigen Systems nach seiner Prüfung durch den jetzigen überaus gewaltigen Krieg zufrieden sein ! Wir müßten es uns nur noch angelegen sein lassen, auch weiterhin nicht minder den an uns herantretenden Ansprüchen gerecht zu werden ! Also auch in dem sich weiter ergebenden, mit oder ohne unser Zutun eintretenden Wettkampf, mit den der Weiterentwicklung entsprechenden noch höheren Ansprüchen ! Von solchem Geiste beseelt und getragen sind denn auch nicht nur die Ansichten und Anordnungen der schon angezogenen Autoritäten ( Scharnhorst , Moltke , v. Blume usw. ), sondern auch die noch geltenden Vorschriften und Anleitungen atmen ihn , sind auf ihm begründet.
So , um nur einige Stichproben zu geben, die Felddienstordnung , mit Sätzen wie : ,, Neben der körperlichen und militärischen Ausbildung bedingen die sittlichen und geistigen Kräfte des Soldaten seinen kriegerischen Wert ... Dazu bedarf die Truppe der Mannes17 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 548.
224
Deutsche Bildung.
zucht , die den Grundpfeiler der Armee , die Vorbedingung für jeden Erfolg bildet, und die für alle Verhältnisse mit Energie begründet und erhalten werden muß." - Ferner ist hier u. a. zu nennen ,,Die Ausbildung der Infanterie" von Frhr . v. Merscheidt- Hüllestem (Gen. d. Inf. ) , der gleichfalls ,, die Armee als einen integrierenden Teil unseres Volkes" ansieht , die ,,mit allen Fasern ihres Daseins im Volksleben haftet“ und dementsprechend zu behandeln und zu verwerten ist. ,,Die Erziehung ist wichtiger als die Ausbildung , der Einfluß auf Herz und Gemüt des Rekruten wesentlicher als die Einwirkung auf seine Gliedmaßen."
,, Nur solche Leute sind in der Lage , sich dem Zer-
setzungsprozeß des heutigen Gefechts überall gewachsen zu zeigen , deren kriegerischer Mannes wert auf das Äußerste gesteigert ist." ,,Ausschlaggebend für die Zulassung (der Offiziere) zur Kriegsakademie müssen sein : Charakter und Gesamtbefähigung als hervorragend tüchtiger und zuverlässiger Offizier ; die militärische Befähigung darf nicht der wissenschaftlichen nachstehen. "
Ebenso ,,ist für den
künftigen Reserveoffizier eine durchgreifende militärische Erziehung von höchster Bedeutung".
Und ferner : ,,Die allerkriegsmäßigste Aus-
bildung ist die Gewöhnung der Soldaten an unbedingten Gehorsam und die Aneignung der moralischen Faktoren , die den militärischen Geist in der Truppe begründen. " ,,Eine deutsche Miliz hätte in einem europäischen Kriege nicht den geringsten Wert."
Zusammenfassend
zielt die von Gen. v. M. H. befürwortete Ausbildung hauptsächlich auf eine eiserne und dabei willige Disziplin , äußerste Straffheit , und weitgehendste Gewandheit im Gefecht" . Mit einem Hinweise auf den vortrefflichen ,,Dienstunterricht des Offiziers" von Lehmann und Estorff (1908) mögen hier noch einige Sätze Raum finden : Aus dem Buch ,, Kriegsmäßige Ausbildung " von Immanuel (1911 ) : ,,Die Zukunft unseres Volkes gipfelt in der Frage" und ,,die entscheidende Bedeutung liegt darin , daß die kriegerischen Eigenschaften als die geeignetsten Erziehungsmittel des ganzen Volkes entwickelt werden . "
des Heeres und 99 Es bedarf schließ-
lich des Einsatzes aller nationalen Kräfte zur Steigerung der Wehrhaftigkeit und des Kriegswertes unseres Volkes : 1. durch eine Jugenderziehung , die dem Heere gesunde Elemente zuführt ; 2. durch die Pflege des Geistes, den der Dienst bei der Fahne in den Soldaten gelegt. hat , damit diese Gesinnung noch nach der Dienstzeit lebendig bleibt und weiter wirkt, zum Besten des Vaterlandes." Aus dem Aufsatz des Obersten Reiß im Oktoberheft der Jahrbücher f. d . d . A. u . M. ,, Militärische Erziehung im Kriege" und zwar aus solchen Sätzen in Beantwortung der dort aufgeworfenen Frage :
225
Deutsche Bildung.
Was wohl zu den Höchstleistungen von Körper , Geist und Charakter, wie sie sich gerade jetzt als nötig herausstellen , befähigen kann" :
,,Das kann vor allem eine in früher Jugend begonnene Pflege der edelsten Triebe und Empfindungen der Menschenseele , der Vaterlandsliebe und Heimattreue , des Ehr- und Pflichtgefühls , dem das Leben nicht als der Güter höchstes erscheint ; dann eine Volkserziehung , die den gesunden Realismus vor der Ausartung in krassen Materialismus zu bewahren gewillt und sich bewußt ist, daß Materialismus die Seele verdirbt und verpestet , die der Idealismus zu retten und zum Höchsten zu begeistern befähigt und bestrebt ist ; endlich auf eine Kenntnis der Menschen-, Volks- und Kriegerseele aufgebaute militärische Erziehung im Frieden . Solche allgemeine Volks- und besondere militärische Erziehung im Frieden muß dann von Ausbruch des Krieges an bis zum Friedensschlusse durch besondere Schulung und Erziehung für den Krieg ergänzt werden, die die Beeinflußung des kriegerischen Denkens und Empfindens zum besonderen Ziele hat , die dem Denken und Empfinden des friedliebenden Kulturmenschen die Einsicht und Anerkennung der kriegerischen Notwendigkeit unterschiebt und einprägt , auf daß der zur blutigen Vaterlandsverteidigung Berufene sich selbst auch das seinem Empfinden als Gebildeter widerstrebende Harte und Grausame der Kriegshandlungen als Unvermeidlichkeiten des Krieges einredet ... Am meisten im Lassen und Leiden muß der Bildungsgrad der Gesamtheit, insbesondere ihrer höher Gebildeten , sich als echt erweisen. Gerade in deren Tun und Lassen im Kriege , das den großen Massen sichtbar und fühlbar wird , kommt der wahrer Bildung zur Geltung und Wirkung wie sonst nie."
Segen
Von den bisher bekannt gewordenen Vorschlägen schließlich , den hier behandelten Zielen , der Ertüchtigung des Volkes zur besseren Vorbereitung für alle Fälle , insbesondere den der äußersten. Not, durch entsprechende Schulerziehung freie Bahn zu zu verschaffen , verdient vor allem der Aufsatz des Prof. und Hauptmanns Dr. Stählin im Oktoberheft der Süddeutschen Monatshefte über ,,Militärische Jugenderziehung, Hoffnungen und Bedenken ", noch eingehender Beachtung.
Derselbe geht im ganzen von den vorange-
führten Voraussetzungen aus ; so besonders , daß in der Voraussicht, dieser Krieg werde noch nicht der letzte für
unser Volk sein, daß vielmehr die Aufgaben in bezug auf Wehrfähigkeit , wie auch anderseits im allgemeinen , nach dem Kriege nicht kleiner , sondern größer, die Ausbildung unserer Soldaten im besonderen durch die wachsenden Anforderungen der neuen
Kampfweise und -mittel immer
schwieriger wird , daß
17*
226
Idealismus im Wehrdienste.
im Gegensatz zu der Überzeugung , daß ein großes , wohl ausgebildetes Heer die beste reale Garantie für das Bestehen des Volkes bleibt, in letzter Zeit gleichwohl ein bedrohlicher Rückgang der Wehrfähigkeit sich bemerkbar gemacht hat , daß darum durch eine neue Erziehung das Volk erneuert und mit neuer Lebenskraft erfüllt werden müßte, wie daß eine dazu erforderliche militärische Erziehung nicht auf Freiwilligkeit , sondern auf Zwang aufgebaut sein muß, also daß die Jugend bis zum Eintritt ins Heer einer Schule angehören sollte , die eben die Erziehung zur Wehrfähigkeit übernimmt, und daß , wie die Wehrfähigkeit immer an erster Stelle stehen muß, so auch Selbstbeherrschung und Willenskraft wichtiger sind, ein geübtes Auge und ein starker Arm, daß ferner
wie
auch für das Zeugnis für den etwa nur einjährigen Dienst von dem erlangten Maß an Wehrfähigkeit abhängig zu machen sei ; daß dazu die höheren Schulen durch eine strenge Auslese nach der Befähigung zu entlasten , im übrigen aber die Anforderungen im geistigen Gebiete zugunsten der die Wehrfähigkeit betreffenden wohl herabgesetzt werden könnten, daß schließlich die vermehrten
Kosten sich wohl bezahlt
machen
würden oder auch mit in den Kauf zu nehmen seien. Im ganzen wird also auch hiermit die höchste Wehrfähigkeit als das Hauptziel der deutschen Bildung hingestellt und hierbei erst recht dem wirklich ,, Tüchtigen freie Bahn " gewahrt.
XXI . Idealismus im Wehrdienste. Von Zeiß , Oberst z . D.
,, Das Bewußtsein unserer Unvollkommenheit darf uns nicht abhalten, Ideale aufzustellen." Friedrich d. Gr. Bei allem, was Menschenhirn, -herz und -hand erstreben, beginnen und vollführen, spielen die Beweggründe , die dem Denken, Empfinden und Handeln zugrunde liegen, die Hauptrolle . Besonders ist dies der
Idealismus im Wehrdienste .
227
Fall bei einer Berufsarbeit , die so unmittelbar und so hauptsächlich mit Menschen zu tun hat wie die militärische. In einem aus der vaterländischen allgemeinen Wehrpflicht hervorgegangenen Volksheere sind nur die aktiven Offiziere, die Unteroffizierkapitulanten und die dies werden wollen bzw. es waren, als Berufssoldaten anzusprechen ; sie sind es, deren Berufstätigkeit als Lehrer, Erzieher und Führer des Soldaten sich hauptsächlich mit Menschen zu befassen hat und zwar mit Menschen aus allen Ständen, Bevölkerungsklassen, Bildungsgraden und Religionsbekenntnissen ; sie müssen sich dessen bewußt sein, welch ungeheure Rolle bei ihrer Berufsauffassung und -betätigung die Beweggründe ihres Denkens, Empfindens und Handelns spielen . Vom Werte dieser Beweggründe hängt das Wohl und Wehe der männlichen Volksauslese im Frieden , sowie die Leistungen der Wehrmacht und das Wohl des Vaterlandes im Kriege so wesentlich ab, daß es gerechtfertigt erscheint, die Bedingungen und Voraussetzungen dieses Wertes näher zu betrachten. Allgemein
müssen
die
Beweggründe
menschlichen
Denkens ,
Empfindens und Handelns um so mehr als richtig und gut anerkannt werden, je mehr sie Zweckmäßigkeit und Menschenwürdigkeit in sich vereinigen .
Was sich nicht über die tierischen Instinkte im Kampfe
ums Dasein und in der Erfüllung der Bestimmung erhebt, muß sich als minderwertig besonders da erweisen, wo die von den bloßen Naturtrieben der Handelnden in Bewegung gesetzten Gegenstände höher denkende und tiefer fühlende Menschen sind . Über die natürliche Selbstsucht und Selbstgenügsamkeit des Tieres muß der Mensch sich um so mehr erheben , je mehr er Anspruch auf Bildung machen will . Dem wahrhaft Gebildeten kann es nicht schwer fallen, sich dadurch auf die höhere Stufe als Mensch emporzuschwingen , daß er bei der Berufsauffassung und -ausübung sich bestrebt , das eigene Ich zurückstehen zu lassen gegenüber den Belangen der Allgemeinheit , deren Teil er ist, und gegenüber dem Nutzen der Sache , der er dient . Es muß sich auf die höhere Warte des Idealismus stellen , wer sich nicht bloß vom Tiere , sondern auch vom Menschen der niederen Bildungsstufen unterscheiden will. Leider gilt heute noch selbst bei Leuten, die auf Grund ihrer Schul- und Prüfungszeugnisse allen Ernstes Anspruch auf das Ansehen als Gebildete machen, der Idealist allgemein als bedauernswerter Weltfremder , als träumerischer Phantast , obwohl jeder Geschichtskundige , der nicht bloß Zahlen und Namen , Ereignisse und Taten auswendig gelernt hat, genau weiß, daß der Untergang einstiger Völkergrößen unaufhaltsam wurde, als sie nach Abkehr vom Idealismus , nach Abirrung vom Realismus dem Materialismus verfielen .
228
Idealismus im Wehrdienste. Warum dieses Herabschauen auf den , der sich als selbstlosen Freund
des Guten, Schönen und Wahren bekennt ; der das Gute um seiner selbst willen erstrebt ; der den Belang der Sache über den der Person stellt ; der die Pflichterfüllung, die Arbeit und die Sorge für die Gesamtheit der Selbsterhaltung, dem Broterwerb voranstellt ? In erster Linie infolge von Verwechslung des Idealismus mit Optimismus, mit Antirealismus, mit Träumerei und Philosophiererei ; in zweiter Linie infolge der Selbsterkenntnis , die mit dem Seitenhieb ,, edel , aber dumm !" ihr Gewissen beruhigen will, die den unerreichbar Höherstehenden mit einem halb bedauernden, halb geringschätzenden ,, der Idealist !" erledigen will, die leider noch nicht einmal durch diesen Krieg sich belehren läßt , den krassester Egoismus und Materialismus heraufbeschworen haben, den wir gegen die Übermacht des Zehnverbandes nur bestehen können , weil edle Beweggründe , Verteidigung des Vaterlandes und Kampf um die höchsten Ideale im Erdenleben, Kampf um Recht und Freiheit uns das Schwert in die Hand gedrückt haben. Je länger der Krieg dauert und je mehr Opfer er von allen Kämpfern im Felde und in der Heimat fordert, um so mehr muß die Erkenntnis durchdringen, daß auch im Wehrdienste Idealismus notwendig, unentbehrlich ist , besonders in der den kriegerischen Wert begründenden , aber den Materialismus am meisten begünstigenden ruhigen Friedenszeit . Idealismus im Wehrdienste ist vor allem deshalb notwendig, weil dieser Dienst von den Wehrpflichtigen , von den Mannschaften überhaupt nicht um ihrer selbst , geschweige denn um ihres Verdienstes , um des eigenen Vorteils willen geleistet wird , sondern in Erfüllung idealster Pflichten, oft unter großen Opfern , im Kriege mit Selbstverleugnung bis zur Todesverachtung.
Der militärische Dienstgrad,
der seinen Beruf in erster Linie zur Befriedigung seines Ehrgeizes oder seines Selbsterhaltungstriebes betätigt , steht somit an innerem Werte seiner Beweggründe unter seinen Untergebenen, die auch im Frieden nur die Erfüllung idealer Pflichten zur Fahne führt.
Idealismus im
Wehrdienste des Friedens ist demnach besonders notwendig zur Hebung des Ansehens der Dienstgrade , die vom Wehrdienste leben , die im Wehrdienste die natürliche Gelegenheit zur Befriedigung ihres Ehrgeizes und des Selbsterhaltungstriebes finden . Und erst recht im Kriege , wo jeder einzelne jederzeit das eigene Ich in die zweite Linie zu rücken bereit sein muß, wenn er seines Ehrennamens und -kleides als Vaterlandsverteidiger würdig sein will.
Idealismus im Wehrdienste ist eben
immer notwendig, weil ohne Zurücksetzung des eigenen äußeren Vorteils und Wünschens die Erfüllung der besonderen Soldatenpflichten, der Treue, des Gehorsams , des Mutes, der Tapferkeit, der Kameradschaft überhaupt
unmöglich ist,
weil
Selbstlosigkeit
und
Opferwilligkeit
Idealismus im Wehrdienste. die besten und dienstes sind.
stärksten
Grundlagen
229
des vaterländischen Wehr-
Idealismus im Wehrdienste ist ferner deshalb notwendig, weil er selbsttätig das Ansehen des Wehrdienstes mehr wahrt und fördert . als die von Irrtümern nicht freie beste Förderungsabsicht es fertig bringen kann ; er bewahrt den Wehrdienst vor den Auswüchsen , die die Früchte des aus Selbstsucht geborenen Ehrgeizes sind.
Der Ehr-
geiz , der nur nach der Ehre geizt , die die Pflichterfüllung bringt, schreckt vor jenen Opfern zurück, die der Selbstsüchtige in erster Linie der Befriedigung seiner Eitelkeit, seinem selbstischen Streben nach Ehren und Würden schuldig glaubt.
Der Selbstlose nur besitzt den Mut der
Verantwortung, der Mängel einzugestehen wagt trotz den zu erwartenden Runzeln auf der Stirne des Vorgesetzten , er nur besitzt den Mut zur Wahrheit, der Anfragen höheren Orts nur nach bestem Wissen und Gewissen erledigt , auch wenn die aus der Antwort gähnende Wahrheit die Rechnung der höheren Stellen durchkreuzen muß. In der ersten Kriegszeit ist die Art des Kriegsdienstes naturgemäß das Spiegelbild der Friedensgewohnheiten, ihrer Gebräuche und ihrer Mißbräuche.
Und je länger der Krieg dauert , besonders beim Still-
stand der Operationen , leben die alten Friedensgebräuche auch mit ihren Schattenseiten neu auf. Um so mehr ist zu wünschen , daß der Idealismus im Wehrdienste besonders bei den höheren Heeresdienststellen ein Heim habe auch im Kriege und daß er dort vor dem persönlichen Ehrgeize schütze , der keine Rücksicht auf vermeidbare Opfer kennt, der nach oben nur insoweit den Mut zur Wahrheit besitzt , als der Schein seiner Tüchtigkeit und Auszeichnungswürdigkeit sich wahren läßt . Nutzlose Blutopfer im Kriege bringt Idealismus im Wehrdienste nicht. Auch im Frieden sichern ideale Beweggründe , wenn sie im Denken , Empfinden und Handeln den unbestrittenen Vorrang vor den keineswegs belanglosen materiellen haben, vor Mißgriffen und Abwegen, die dem ideal Denkenden von selbst ebenso fremd sind wie dem Geiste und dem Wortlaute der Vorschriften. Der Umstand , daß selbst staunenswerte soldatische Charakterleistungen im Frieden durch die Anforderungen an die Soldatenseele im Kriege tagtäglich übertroffen werden , fordert dazu auf, im Frieden nur mit Höchstleistungen überhaupt zufrieden zu sein. Solange solche Forderung nur an die Kräfte des einzelnen gestellt wird, ist sie nach jeder Richtung berechtigt. Ausbildung und Erziehung, die nicht den einzelnen dazu bringen , daß er in allen Zweigen des Dienstes fürs Vaterland das Bestmögliche leisten will , was in seinen. Kräften steht, sind unzulänglich.
Aber die Forderung an eine Mehr-
zahl, an eine Abteilung, auch nur in einem Dienstzweige gleichmäßige
230
Idealismus im Wehrdienste .
Höchstleistungen zu zeigen, ist ein schwerer Fehler nicht nur gegen Recht und Billigkeit , sondern auch gegen die Ausbildungsvorschriften. Freilich werden selbstsüchtige Streber, die dem Nachbar den Rang ablaufen wollen , deren erstes Ziel ihrer Dienstleistung ,, Ich" heißt, sagen, man müsse doch Unmögliches verlangen um das Mögliche zu erreichen.
Gewiß muß dies der verlangen , den nur Selbstsucht leitet ,
den der äußere Schein befriedigt , dem die Form über den Geist geht , der die Vorschriften nicht kennt.
Nur für die rastlose Verfolgung eines geschlagenen Feindes , zu deren Durchführung es der ganzen Tatkraft der Führer bedarf, die , bis aufs äußerste durchgeführt, der Armee eine neue Schlacht ersparen und den ganzen Feldzug beenden kann - nur dafür fordern die Exerziervorschriften, daß in solchem Augenblick der Führer fast Unmögliches verlangen muß und auch vor Härten gegen die eigene Truppe nicht zurückschrecken darf. Aber selbst für diese höchste Gefechtsleistung darf nur fast Unmögliches verlangt werden, weil Unmögliches verlangen unsinnig und unbillig wäre. Solch vorschriftswidrige Forderung, die mit dem vorschriftsmäßigen Verlangen nach Ausbildung und Erziehung des Wehrpflichtigen zum selbständig denkenden und handelnden Feldsoldaten in stärkstem Widerspruche steht , zeitigt schlimme Früchte. Wer Unmögliches verlangt, wird natürlich durch das Zurückbleiben der Leistung hinter seiner Forderung verstimmt, und da er die Ursache hiervon sicher nicht in seiner unbilligen Forderung, sondern im Mangel an gutem Willen seiner Untergebenen sucht , wird er gereizt und vergißt dann leicht , welche hohen Ausbildungs- und Erziehungsziele die Ausbildungsvorschriften ihm in Wahrheit stecken.
Zur Un-
vernunft und Unbilligkeit kommt dann noch die Ungerechtigkeit , die die Folgen der eigenen Fehler dem Mißhandelten in die Schuhe schiebt, kommt die Selbstüberhebung, die vor geistiger Knebelung selbst da nicht zurückschreckt, wo es sich um die Ehre des Geknebelten handelt . Vor solchen Fehlern schützt der Idealismus , der sich im selbstlosen Streben nach edlen Zielen genügt und erschöpft. Solange die Vorschriften verlangen, daß die Infanterie zu den von ihr zu bringenden höchsten Blutopfern sich angespornt fühlen soll durch den größten Ruhm , der ihr dafür winkt, daß die Kavallerie schon bloß zur vorübergehenden Entlastung ihrer geschlagen zurückgehenden Infanterie keine Opfer scheuen darf und hierfür sich durch die ihr bleibende Ehre des Tages entschädigt fühlen soll, daß die Manneszucht in Gefahr und Not im Vertrauen ihre feste Stütze finden soll, daß die Verantwortungsfreudigkeit der Führer auf der Rücksicht auf das Ganze fußen soll , solange kann der Wehrdienst den Idealismus nicht entbehren, dem Ehr- und Pflichtgefühl und Vaterlandsliebe
231
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung .
die selbstlosen und deshalb nie versagenden ersten Beweggründe des menschlichen Denkens, Empfindens und Handelns im Frieden sind und im Kriege bleiben. Idealismus im Wehrdienste entspricht ebenso dem Grundgedanken
der
allgemeinen
Wehrpflicht
wie
dem
Geiste unserer vorzüglichen Ausbildungsvorschriften und dem Wesen des vaterländischen Wehrdienstes .
XXII .
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
Von Riensberg, Oberst z. D. (Fortsetzung. )
III. Explosivstoff- Explosionsgefahren . Explosivstoff ist alles , was zur Explosion fähig ist und damit Explosionsgefahren enthält. Die verschiedenen Explosivstoffe bieten bei der Herstellung , Handhabung, Aufbewahrung und beim Gebrauch unbegrenzte Explosionsgefahren mit ihren vielseitigen Verwendungszwecken und Explosionsmöglichkeiten . Die Bekämpfung der Explosionsgefahren ist unter diesen Verhältnissen wahrlich nicht leicht und einfach ; die genaue Kenntnis der Explosivstoffe in ihren Eigenarten ermöglicht indessen weitgehende Herabminderung, Abschwächung und Einschränkung der Gefahr. Zur Erhöhung der Sicherheit hat man die Explosivstoffe , ihren charakteristischen Eigenschaften entsprechend , in drei Hauptgruppen geteilt. Mit erleichterter Übersicht ist dadurch die Herstellung und Verwendung der Explosivstoffe gefahrloser gestaltet worden. 1. Die
impulsiven
Explosivstoffe (Treibmittel) ,
die bei
mittlerer Empfindlichkeit und verhältnismäßig langsamer Zersetzung mit geregelter Verbrennungsgeschwindigkeit vorzugsweise als Schießpulver in Feuerwaffen Verwendung finden. Die Explosion wird durch direkte Zündung ausgelöst . 2. Die
brisanten
Explosivstoffe ( Sprengkörper),
die sich
bei verschiedener , meist geringer Empfindlichkeit sehr schnell durch
232
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
momentanen Zerfall des molekularen Aufbaues zersetzen. mit ihrer Detonationswirkung Sprengzwecken.
Sie dienen
Die Explosion wird
durch die Druckwirkung der Sprengkapsel ausgelöst.
Bemerkenswert
ist es , daß brisante Explosivstoffe durch das Gelatinierungsverfahren (Quellen der Schießwollfaser) oder durch Zusätze in impulsive Explosivstoffe umgewandelt werden können . Die Schießwolle ist ein brisanter Explosivstoff ; das aus Schießwolle bestehende Schießwollpulver ist dagegen ein impulsiver Explosivstoff. 3. Die fulminanten Explosivstoffe ( Knallsätze) , die bei großer Empfindlichkeit und schneller Zersetzung als Zündmittel Verwendung finden. Die Zündung erfolgt durch mechanische Einwirkung. Bei Zündhütchen ist es der Schlag eines Bolzens , bei Zündpillen der Stich einer Nadel und in Schlagröhren das Reiben eines rauh gemachten Drahtes, durch welche die Zündung ausgelöst wird. Die Explosivstoffe der drei
Gruppen beeinflussen sich gegen-
seitig in gefährlicher Weise. Trennung bei der Aufbewahrung und Einheitlich mit gleichartigen Verwendung ist daher erforderlich. Explosivstoffen belegte Magazine können mit ihrem ganzen Inhalt gefahrlos abbrennen ; Explosionen sind bei der Belegung mit verschiedenartigen Explosivstoffen jedoch zu befürchten. In der Feuerübertragung von einem Explosivstoff auf den anderen liegt die Explosionsgefahr.
Durch umfangreiche , kostspielige Brenn-
versuche ist dieses einwandfrei festgestellt worden .
Zur Verhütung
von Explosionsgefahren ist deshalb auch beim Transport Trennung der verschiedenen Explosivstoffe erforderlich . Schwarzpulver schließt Explosionsgefahren in sich ; während beim rauchschwachen Pulver unter normalen Verhältnissen nur Brandgefahren vorliegen.
Das rauchschwache Pulver brennt also bei ge-
wöhnlicher Zündung gefahrlos ab ; es explodiert aber , sobald es mit Schwarzpulver in größeren Mengen zusammen verbrennt.
Das weist
darauf hin , daß auch bei der gemeinsamen Verwendung verschiedener Explosivstoffe Vorsicht geboten ist. Wird bei einem blinden Kanonenschuß vor das rauchschwache Pulver eine Schwarzpulverkartusche gelegt, so tritt eine das Rohr zerstörende Detonation des Schießwollpulvers ein. Ganz besondere Achtsamkeit erfordern natürlich die fulminanten Explosivstoffe, die mit ihrer Empfindlichkeit und sprengkräftigen Zündwirkung von anderen Explosivstoffen völlig getrennt werden müssen .
Von der Zündung wird jede Explosion eingeleitet
und in ihrem Explosionsverlauf beeinflußt .
Ohne Zündung also keine
Explosion ! Im Verkehr mit Explosivstoffen ist unter diesen Verhältnissen in erster Linie ein möglichst weitgehender Schutz gegen die Feuer-
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
233
übertragung erforderlich. Ein Erfordernis, dem im allgemeinen noch nicht genug entsprochen wird. Viele Unglücksfälle könnten durch sachgemäßere Anordnungen und achtsamere Ausführungen vermieden werden. Offene Lagerung von Explosivstoffen ist zunächst vom Übel ! Wenn entstehende Flammen keinen Angriffspunkt finden , dann können sie nicht zünden. Die Explosionsgefahr in der Feuerübertragung wird dadurch ausgeschaltet oder wenigstens verzögert.
Jeder
Zeitgewinn bedeutet aber im Hinblick auf Rettungsmöglichkeiten Die schützende Decke , eine Abschwächung der Explosionsgefahr. die über lose lagernde Explosivstoffe gebreitet wird, ist schon wertvoll, aber bedeutungsvoller ist der abschließende Deckel, der auf keinem Explosivstoffgefäß fehlen darf. In offene Explosivstoffbehälter schlägt die zündende Flamme sofort hinein ; während Explosivstoffe in geschlossenen Kasten und Tonnen gegen die Zündung geschützt sind . In äußerlich bereits angebrannten häufig noch lange Zeit unversehrt.
Gefäßen bleiben Explosivstoffe
Was im kleinen für die Packgefäße zutrifft , das gilt im großen in sinngemäßer Weise für die Räume und Gebäude.
Explosivstoff-
räume verbindende Türen müssen während der Arbeit geschlossen. sein ; und die Explosivstoffgebäude sollen durch Erdwälle oder Schutzwände und ausreichende Entfernungen vor der Feuerübertragung geschützt werden. Durchgänge und Verbindungswege sind derart anzulegen, daß sie Explosionsfortpflanzungen beim Durchschlagen der Flamme nicht begünstigen. Werden verschiedene Arbeiten in ein und demselben Raum ausgeführt , dann sind die Explosivstoffe der einzelnen Arbeitsstellen durch feuersichere Scheidewände gegen Hierbei kann die Gefahr der Explosionsübertragung zu schützen. der sichernde Abstand von Explosivstoff zu Explosivstoff gar nicht zu groß sein. Das gleiche gilt von Apparaten , in denen bei der Explosivstoffbereitung Explosionen entstehen können. Auch diese sind derart voneinander zu trennen ,
daß Explosionsübertragungen von Eine vereinem Apparat auf den anderen ausgeschlossen werden . tiefte Aufstellung der Apparate in der Erde kann zur Beseitigung der aus Feuerübertragungen resultierenden Explosionsgefahren beitragen. Mit der Entwicklung der Explosivstoffe hat die Art der Zündung den
verschiedenen
Verwendungszwecken
der Zeit viel Wandel erfahren . keiten in Frage.
entsprechend ,
im
Laufe
Es kommen zwei Zündungsmöglich-
Zunächst die direkte Zündung , die durch unmittel-
bare Feuerübertragung wirkt , und dann die indirekte Zündung, die auf Wellenwirkungen zurückzuführen ist .
In jedem Falle erfolgt die
Zündung durch die Einwirkung von Wärme.
234
Die Explosionsgefahren , ibre Entstehung und Bekämpfung.
Die direkte Zündung fordert eine feste Verbindung mit der Betätigungsstelle. Entweder eine Zündschnur, die den Feuerstrahl durch Fortglimmen zum Explosivstoff leitet , oder mechanische Vorrichtungen, die durch Schlag ,
Stoß ,
Reibung usw. die Zündung auslösen , oder
Metalleitungen für den elektrischen Strom.
Die direkten Zündungen
sind im allgemeinen wenig zuverlässig , da sie in ihrer Sicherheit von der Beschaffenheit der Zuleitung abhängen , die Beschädigungen ausgesetzt ist. Die indirekte Zündung erscheint dagegen ideal , da sie ohne Leitung als Fernzündung nach dem Prinzip der drahtlosen Telegraphie momentan und unsichtbar von einem Punkt nach allen Richtungen strahlend wirken soll. Versuche mit derselben haben indessen noch zu keinem praktisch brauchbaren Ergebnis geführt.
Immerhin ist
festgestellt, daß auf diese Weise Explosionen durch elektrische Wellen ausgelöst werden können. Es handelt sich zurzeit um wenige Explosivstoffe , die sich in Metallpackungen von bestimmter Legierung auf kurze Entfernungen durch elektrische Strahlen zur Entzündung bringen lassen.
Eine vervollkommnete indirekte Zündung , die es er-
möglicht , alle Explosivstoffe auf große Entfernungen zu zünden , würde von ganz außerordentlicher Bedeutung sein. Sie würde den gesamten Gebrauch der Explosivstoffe in Frage stellen , sofern nicht Verriegelungen gegen fremde Wellen geschaffen werden könnten, die erst von anderen elekrischen Wellen zu lösen wären, ein Zukunftsbild , das uns zur Kriegsführung des Altertums mit Spieß und Speer zurückführt .
In der Gegenwart hat allein die Zwischenzündung als
Fernzündung einen gewissen praktischen Wert.
Sie bringt in einem
bestimmten Bereich brisante Explosivstoffe durch Detonationsübertragung gegenseitig zur Explosion ; sie wirkt unsicher und verschuldet mancherlei Explosionsunglücke . Diese werden besonders von vorzeitigen Zündungen verursacht ; ebenso wie die unbeabsichtigten Zündungen der empfindlichsten Zündmittel gefährlich sind .
Der unzeit-
gemäße,
Explosionen
auslösen.
unscheinbare
kleine Funke
kann gewaltige
Am gefährlichsten ist er in Räumen , in denen er an explo-
siven Gasen oder brennbarem Staub überall Zündgelegenheit
findet.
Durch zweckentsprechende Wahl der Zündmittel und richtige Behandlung und Aufbewahrung
der
Explosivstoffe
müssen ferner
die explosionsgefährlichen Versager und Spätzündungen nach Möglichkeit vermieden werden. Dies gilt besonders für Sicherheitsexplosivstoffe , die zur vollkommenen Auslösung der Explosion kräftige und starke Zündungen erfordern .
Allein die Sprengkapsel vermag die
bei der Herstellung und Handhabung dieser Explosivstoffe bestehende Sicherheit mit gewaltiger Kraftäußerung aufzuheben.
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
235
Die Explosivstoffe einschließlich der Zündungen sind bei der Aufbewahrung gegen das Feuchtwerden und Gefrieren zu schützen , und beim Gebrauch sicher zu zünden . Bei der elektrischen Zündung dürfen weder Leitungsfehler, noch ungleiche Widerstände vorkommen. Es ist bekannt , daß Sprengschüsse bisweilen erst nach längerer Umdrehung der Kurbel des Zündapparates losgehen , während unter normalen Verhältnissen weniger als eine halbe Umdrehung genügt . Die Verzögerung, die meist auf erhöhten Widerstand im Stromkreis infolge von Beschädigungen an der Leitung oder an den Kontakten zurückzuführen ist , muß nach Aufdeckung des Schadens möglichst frühzeitig beseitigt werden .
Die Entzündungstemperatur der Zünd-
masse soll nicht allmählich, sondern momentan erreicht werden. Versager und verspätete Zündungen schaffen ungewisse, gefährliche Lagen, die besonders dann peinlich werden, wenn die Ursachen nicht bekannt sind .
Zur Bekämpfung der Gefahr und Verhütung von
Unfällen sind in jedem Falle der Lage entsprechende Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen.
Ganz allgemein darf die Annäherung an den nicht
in beabsichtigter Weise zur Explosion gelangten Explosivstoff erst nach einer bestimmten Sicherheitszeit erfolgen .
Immer ist damit zu
rechnen, daß ein Versager infolge verspäteter Zündung noch nachträglich losgeht. Auch bei Schußversagern ist eine Sicherheitszeit vor dem Öffnen des Verschlusses einzuhalten , da die Möglichkeit verspäteter Pulverzündung berücksichtigen ist.
durch glimmendes
Kartuschbeutelzeug
zu
Das schwelende, unter der Asche unsichtbar glim-
mende Feuer, das in der Liebe die Herzen bindet , ist den Explosivstoffen gefährlich.
Die unbemerkt im Innern noch glimmende Lunte ,
die nach ihrem Gebrauch in achtlos unvorsichtiger Weise in das Explosivstoffmagazin gelegt wird , kann einige Stunden später das Magazin durch Zündung der Explosivstoffe in die Luft sprengen . Möglichst ungefährlich sind die Versager bei der Verwendung von flüssiger Luft , da dieser Explosivstoff durch das rasche Verdampfen des Sauerstoffes seine Explosionskraft schnell verliert. versagten
Oxyliquitpatronen
können
daher
nach
Die
verhältnismäßig
kurzer Zeit ohne Sicherheitsmaßregeln entfernt werden . Ernste Unfälle entstehen dagegen häufig beim Hantieren mit blind gegangenen Geschossen. Die Zündung, die beim Anstechen der Zündpille des Zünders versagte, kann durch die Bewegung der Zündnadel bei der geringsten Berührung eintreten.
Ein blind gegangenes
Geschoß sollte daher stets ein ,, Noli me tangere" sein. Die Bestellung der Äcker auf früheren Schlachtfeldern ist unter diesen Verhältnissen unabweisbar mit Explosionsgefahren verknüpft. Die Geschoßexplosion kann erfolgen, wenn der Ackerer mit der Pflugschar ahnungslos gegen
236
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
einen Blindgänger stößt.
Zur Abwendung dieser im Boden unsichtbar
lauernden Explosionsgefahr hat man eine Wünschelrute konstruiert, die die Blindgänger auffinden soll. Leider besteht wenig Aussicht auf praktischen Erfolg. Bei der Massenverwendung der Artillerie sind die Schlachtfelder des Weltkrieges förmlich mit Eisen besät , so daß die Rute , die in ihrer elektromagnetischen Wirkung von jedem Sprengstück beeinflußt werden muß , viel irreführen wird. Immerhin ist der Versuch, der vom Professor der Physik, Guthon, der Universität Nancy, angeregt ist, bemerkenswert. Zu schwache Zündungen , die bei unzureichendem Druck unvollständige Zersetzung der Explosivstoffe bewirken, können Explosionsgefahren auslösen , wenn sich die noch brennbaren Explosionsgase mit dem Sauerstoff der Atmosphäre zu explosiblen Gasgemischen verbinden . In diesem Fall treten nach dem Schuß beim Öffnen des Verschlusses Nachflammer auf, die in Türmen und Kasematten durch Zündung der bereitgestellten Munition verhängnisvolle Explosionen verursachen können . Eine Gefahr , die durch Verwendung von Metallpatronen wesentlich abgeschwächt worden ist. Bei Sprengarbeiten haben unvollständige Zündung und schlechte Verdämmung das Abbrennen der Ladung ohne Explosion unter Entwicklung von Stickoxyden zur Folge.
Es ist das sogenannte Aus-
kochen der Ladung , das durch Feuerübertragung auf explosive Gase und brennbaren Staub explosionsgefährlich ist, und außerdem Vergiftungen durch Kohlenoxydgas zur Folge haben kann. Bei allen Sprengarbeiten in abgeschlossenen Räumlichkeiten ist daher aus Sicherheitsrücksichten für gute Ventilation Sorge zu tragen . Die verschiedenen Gefahren greifen auf diesem Gebiete ineinander über und sind nicht voneinander zu trennen ; sie sind aber alle erfolgreich durch sachkundige Maßnahmen und Achtsamkeit zu bekämpfen. Selbst die an und für sich gefährlichen Explosivstoffe können mit Einsicht und Vorsicht gefahrlos hergestellt und verwendet werden. Charakteristisch ist in dieser Beziehung die vielseitige gefahrlose Ausnutzung der enormen Hitze des äußerst explosiblen Knallgases , das als Gemisch von 2 Volumen Wasserstoff und 1 Volumen Sauerstoff mit der größten verbindet.
Verbrennungswärme die höchste
Explosionskraft
Im richtigen Verständnis und in der Erfahrung liegt die Sicherheit ; in der Unkenntnis und im falschen Sicherheitsgefühl schlummert die Gefahr! Mit der Massenfertigung von Explosivstoffen und der Verarbeitung von Explosivstoffmassen sollte ohne ausreichende Unterlagen niemals begonnen werden. Dies bezieht sich besonders auf Staatsbetriebe ,
die
Explosionsgefahren
besonders
dann
ausgesetzt
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
237
sind, wenn sie bei der Herstellung von neuen Explosivstoffen mangels eigener Erfahrungen allein auf Mitteilungen von Privatfabriken anDie Gefahr wächst hier mit der Zentralisierung der Betriebe, die im Interesse der einheitlichen Verwaltung erstrebt wird .
gewiesen sind.
Mechanische und chemische Fabriken können zwar nach gleichen Verwaltungsgrundsätzen geleitet werden ; sie erfordern im übrigen aber getrennte , sachverständige Arbeitsüberwachung. Das ,, Non omnia possumus omnes" ist hier bedeutungsvoller als das durch keine Sachkenntnis getrübte Urteil.
Die Leitung von Explosivstoffabriken
und die Verarbeitung von Explosivstoffmengen muß heute mehr als früher Männern anvertraut werden , die mit ausreichenden Sonderkenntnissen weitgehende Erfahrungen verbinden. Die richtigen Männer auf dem richtigen Platz können bei der Herstellung und Verwendung von
Explosivstoffen
allein
sichere
Dämme gegen die Explosivstoff- Explosionsgefahren errichten .
IV. Gefahren der Gas- und Staub-Explosionen. In den
Explosivstoffabriken
wohnen
die
Explosionsgefahren ;
denn die Explosivstoffe sind die Träger der Explosionen , wie diese eine Funktion der Explosivstoffe sind.
Die Explosionsgefahr schwebt
also wie ein Damcklesschwert über den Explosivstoffabriken .
Die
bei der Fertigung entstehenden Gase, Dämpfe und Staubabsonderungen sind dabei nicht zum wenigsten zu fürchten . Das Leuchtgas vermag ganze Häuser und der Mehlstaub große Mühlen durch Explosionswirkung zu zerstören ; und Gas mit dem Staub vereint ,
verursachen
in
Kohlenbergwerken
furchtbar
verheerende
Explosionen. In Explosivstoffabriken beginnt die Gefahr also nicht erst bei der Vereinigung der explosiblen Bestandteile, sondern sie ist bereits vorher bei jeder Gas- oder Staubentwicklung vorhanden . Beide begünstigen die Verbrennungsgeschwindigkeit und in der schnellen Verbrennung liegt die Gefahr. Gas und Staub stehen mit dem Überdruck, der Vorstufe der Explosion, im engsten Zusammenhang . Ohne Druck kein Gas , Dampf und Staub und auch keine Explosion ! Im Vakuum, in dem der die Verbrennungsgeschwindigkeit fördernde Überdruck fehlt, kommen Explosionen nur unter besonderen Umständen zustande. Die heißen Verbrennungsgase finden anfangs ohne Druck nicht die ausreichende Zeit, ihre Temperatur auf die benachbarten Teilchen auszudehnen. Der Druck, die Seele der Explosion, ist also der Feind, der bei
der Bekämpfung der Explosionsgefahr vor allem ins Auge zu fassen
238 ist.
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung. Mit der Verringerung oder Beseitigung des Überdruckes wird bei
der Fertigung und Verwendung von Explosivstoffen der Explosionsgefahr die Spitze abgebrochen. Durch Abkühlung wird den Gasen die Spannkraft genommen und durch Anfeuchtung wird die Staubbildung eingeschränkt ; außerdem können Gas und Staub durch Absaugung beseitigt werden.
Hierbei muß das Übel, welches Jahr aus
Jahr ein viele Opfer fordert, an der Wurzel gefaßt werden. Haben sich Gas oder Staub erst in einem Raume ausgedehnt, dann sind sie den Raupen zu vergleichen , die sich nach dem Verlassen des Nestes unheilvoll verbreiten. Die schädlichen Raupen müssen als Brut oder im Neste vernichtet werden ; und gefährliche Gase und brennbarer Staub müssen an ihrer Quelle bei der Entstehung unschädlich gemacht werden. Trockenräume,
Zerkleinerungsapparate ,
Misch-
und
Menge-
maschinen, kurz alle Einrichtungen, in denen sich während der Arbeit Gase und Staub entwickeln können , sollten in Explosivstoffabriken grundsätzlich mit Absaugevorrichtungen versehen sein .
Systematisch
durchgearbeitete Entstaubungsanlagen bieten auch Sicherheit gegen gefährliche Staubablagerungen. Die Anlagen sind aber im Hinblick auf die Empfindlichkeit des Explosivstoffstaubes gegen Stoß , Schlag, Reibung und Wärmeeinwirkung in jedem einzelnen Falle den Verhältnissen anzupassen . Durch die Absaugung wird mit der Luftverdünnung der Überdruck aufgehoben, wodurch Bildung , Ausdehnung und Ausbreitung von Gas und Staub verhütet oder eingeschränkt werden . Die Explosionsgefahr wird durch zweckentsprechende Absaugungen mindestens lokalisiert ; und die Zündungsmöglichkeit mit der Abnahme der Zündgelegenheit verringert . Die Gefahr kann also aus weiten großen Räumen in kleine, abgeschlossene Sicherheitsbehälter verlegt werden . Die Absaugung erfolgt mit Gebläsen oder Saugventilatoren .
Das
sind Apparate , die Gas und Staub durch ansaugende Wirkung von Meist können die abgesaugten ihrer Entstehungsstelle abziehen . Bestandteile , sobald sie durch Kondensation oder Niederschlag unschädlich gemacht sind, der Wiederverwendung zugeführt werden, wodurch sich die Absaugeeinrichtungen selbst bezahlt machen .
Teil-
weise kann der Überdruck , der in der Arbeitsmaschine durch bewegliche Teile entsteht , und das Herausstoßen von Gasen und Staub veranlaßt, auch durch elastischen , nachgiebigen Einschluß aufgehoben werden . In die festen Wände können Zwischenstücke aus gefaltetem Leder wie bei der Ziehharmonika eingeschaltet werden , die das Volumen des Apparates derart regeln, daß die Entstehung des Überdruckes verhindert wird ; ein Verfahren, daß in seiner Einfachheit und in bezug
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung .
239
auf Sicherheit der Absaugung mit besonderen Apparaten vorzuziehen Keinesfalls dürfen durch die Absaugeeinrichtungen neue Geist. fahren entstehen.
Schädliche Erwärmungen oder gar Funkenbildungen
müssen vor allem ausgeschlossen werden.
Dies gilt besonders für die
Ventilatoren, die mit ihrer großen Tourenzahl sorgfältige Überwachung Die Berührung beweglicher Eisenteile im Gehäuse des erfordern. Ventilators ist nicht statthaft.
In den Gebläsen ist die Verwendung von Dampf möglichst zu Überhitzter Dampf und hohe Dampfspannungen können
vermeiden.
mit ihrer hohen Temperatur leicht gefährliche Zündungen herbeiführen . Am vorteilhaftesten wird die Saugewirkung im Explosivstoffgebläse durch Preßluft erzeugt. Vom Sicherheitsstandpunkt ist auch gegen Wasserabsaugung nichts einzuwenden ; zu berücksichtigen ist jedoch , daß sich mit Wasser nur eine verhältnismäßig geringe Wirkung erzielen läßt. Auch das Material der Absaugerohrleitungen verdient Beachtung. Am besten hat sich bislang Kupfer bewährt, während Weißblech und verzinktes Eisenblech weniger brauchbar sind. Zinn kann durch Bildung von empfindlichen Zinnoxydverbindungen bei der Schwarzpulverfertigung gefährlich werden, was bei Lötarbeiten nicht außer acht gelasen werden darf.
In der Zündungsmöglichkeit liegt auch bei Gas- und Staubexplosionen das Hauptgefahrsmoment. Der zündende Funke ist im gas- oder stauberfüllten Raum am meisten zu fürchten, da er überall Angriffspunkte zur Auslösung von Explosionen findet. Das bezieht sich besonders auf die in der Luft herumwirbelnden Staubkörperchen. Gleichgültig ist es dabei, ob der Funke auf mechanische , elektrische oder chemische Einwirkungen zurückzuführen ist. Gase, in reinem Zustand gezündet, brennen an freier Luft gefahrlos ab ; wie man es an Petroleum- und Spirituslampen beobachten kann. Die Gase kommen aber zur Explosion , sobald sich durch Mischung explosive Gase bilden , oder sobald durch Einschließung Überdruck entsteht . In beiden Fällen wird die Explosion - die Arbeit der Gase - durch Beschleunigung der Verbrennung ausgelöst . Die Petroleum- und Spirituslampe explodiert, sobald sich über der Flüssigkeit des Brennstoffes explosives Gas bildet, das an der nach innen schlagenden Flamme zur Entzündung gelangt.
Ebenso liegen die
Verhältnisse in Gasöfen, wenn sich durch Zutritt von atmosphärischer Luft explosive Gase im Ofen bilden können . Der Grad der Gasexplosion hängt von der Zusammensetzung des explosiven der Zündung und Einschließung ab.
Gases ,
Im Hohlraum erfolgt die Ex-
Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 548.
19
240
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
plosion, sobald die einschließende Hülle der Drucksteigerung nicht mehr zu widerstehen vermag. Alle
Explosivstoffe
von
bestimmter
Zusammensetzung
geben
geregelte Explosionsverhältnisse und in bestimmten Mengen gleichmäßige Kraftäußerungen. Diese werden bei den gasförmigen Explosivstoffen im Motor ausgenutzt , Außerdem können explosive Gase in Gebläsen gefahrlos zum Löten und autogenen Schweißen verwandt werden. Die Dämpfe der flüchtigen Brennstoffe und ätherischen Flüssigkeiten, wie Petroleum, Benzol, Benzin, Äther und Alkohol werden zu Explosivstoffen , sobald sie sich mit der atmosphärischen Luft in bestimmten Grenzen mischen. Dasselbe gilt von kohlenstoff- und wasserstoffhaltigen Gasen, im besonderen dem Acetylen, das sich unter der Einwirkung von feuchten Dämpfen aus dem Kaliumkarbid entwickelt. Die Grenzen für die Entstehung der Explosivstoffe liegen bei den verschiedenen Dämpfen und Gasen weit auseinander und bieten mannigfache Gelegenheiten zur Auslösung von überraschenden Gasexplosionen, die im täglichen Leben als Petroleum-, Benzin- , Ätherund Alkoholexplosionen nicht selten vorkommen . Sie sind meistens auf unglückliche Zufälle und Fahrlässigkeiten zurückzuführen und können leicht einen katastrophalen Umfang annehmen . Die Explosionskraft hängt großenteils von dem jeweiligen Verhältnis der explosiven Mischung ab, und die Explosionsausdehnung ist von der Größe des Raumes abhängig, den das explosive Gas durchdringen konnte. Nach vorstehendem ist bei Gasexplosionen mit den denkbar größten Unterschieden in der Explosionswirkung zu rechnen, da das für den Zersetzungsvorgang entscheidende Verhältnis von Sauerstoff, Wasserstoff und Kohlenstoff, den drei Mutterbestandteilen der Explosivstoffe , stetem Wechsel unterworfen ist. Die einheitliche chemische Verbindung der festen und flüssigen Explosivstoffe bietet dagegen mit vollkommenster Vereinigung der Bestandteile die größte Gleichmäßigkeit in der explosiven Zersetzung. Mit Unterschieden, die bei der Zusammensetzung vorkommen und die bei der Lagerung durch Änderungen in der Beschaffenheit der einzelnen Bestandteile eintreten können , ist allerdings auch bei diesen Explosivstoffen zu rechnen. Immerhin sind die vom Zufall abhängigen Verschiedenheiten bei Gasexplosionen erheblich höher zu veranschlagen .
Ohne
nähere Anhaltspunkte verschulden diese Unregelmäßigkeiten viele Explosionsgefahren . Im besonderen ist das Sicherheitsgefühl zu fürchten, das leicht entsteht, wenn Gasgemi che in Frage stehen, die an der explosiven Grenze liegen. Je ferner die Explosionsgefahr scheint , desto näher ist oft das Unglück !
Man glaubt Vorsichtsmaßregeln
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung .
241
außer acht lassen zu dürfen , weil bisher keine Explosionen vorkamen und mit der Entstehung von explosiven Gasen nicht zu rechnen sei. Die Wasserstoff- oder Kohlenstoffatome gelangen aber gar leicht mit . den Sauerstoffatomen der Luft zu explosiven Verbindungen
und
werden bei der Explosion in der Kraftäußerung ganz wesentlich von der
Wärmeausdehnung
der
freiwerdenden
Stickstoffatome
unter-
stützt. Die größte Vorsicht ist also geboten, sobald nach der Zusammensetzung der Gase die Bildung explosiver Gasgemische im Bereiche der Möglichkeit liegt.
Bei der Explosivstoffertigung sind besonders die
Äther- und Alkoholdämpfe und im Bergbau die Grubengase zu fürchten . Der Zersetzungsvorgang ist bei den Explosivstoffen in allen Aggregatzuständen der nämliche ; daher können auch Gasexplosionsgefahren mit Einsicht verhütet werden. Behälter, in denen sich leicht verdampfende Flüssigkeiten befinden , werden beim Entleeren mit dem Hinzutritt der atmosphärischen Luft zu Explosivkörpern ; eine Tatsache , die zur Verringerung von Explosionsgefahren im praktischen Leben die größte Beachtung verdient.
Auch in Gruben und Bassins
können sich aus den Abwässern explosive Gasgemische bilden .
Vor
dem Befahren mit Licht müssen diese durch Absaugung oder Zuführung Eine Notwendigkeit , von Druckluft unschädlich gemacht werden. die auch durch die giftigen Eigenschaften von vielen Grubengasen bedingt wird. Hierbei ist die Prüfung der Luft durch das Herabsenken von brennenden Kerzen explosionsgefährlich ; in einwandfreier Weise kann die Prüfung dagegen durch Mäuse und Vögel erfolgen , die besonders gegen Kohlenoxyde empfindlich sind . Auch sind Versuche im Gange, die Anwesenheit von explosiven Gasen in Bergwerken durch Pfeifen festzustellen , von denen beim Anblasen mit Grubengas ein charakteristisches Trillern ausgehen soll. Explosive Gase sind nach vorstehenden Ausführungen gefährlich , der brennbare Staub ist aber oft gefährlicher.
Im besonderen gilt
dies vom Kohlenstaub, der in Bergwerken schwer zu erkennen ist , und noch schwerer unschädlich gemacht werden kann. Die sich gegenseitig abstoßenden millionenfachen Staubkörperchen können Raumexplosionen von großer Ausdehnung verursachen, wie es die außerordentlich schweren und verlustreichen Bergwerkskatastrophen immer von neuem zeigen.
Diese gewaltigen Raumexplosionen werden meist
von den Explosivstoffexplosionen gezündet, stehen aber mit deren Eigenschaften sonst in keinem Zusammenhang. Die Kraft der Zündung ist allerdings von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Versuche
haben eine Proportionalität zwischen der Stärke der Explosion und der Größe der Sprengladung erkennen lassen. Nach der Zündung des Staubes steht die Verbrennungsgeschwindig19*
242
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
keit mit der Größe der Verbrennungsoberfläche im Zusammenhang. Außer der chemischen Zusammensetzung des Staubes ist also die mechanische Beschaffenheit der in der Luft schwebenden Staubkörperchen von Bedeutung . Von ihr hängt die Größe der Oberfläche ab , die dem Luftsauerstoff ihre Angriffsfläche darbietet. Je kleiner die Staubteilchen sind , desto größer ist mit zunehmender Verbrennungsoberfläche die Explosionsgefahr.
Körper , die sonst nicht im geringsten
zu schneller Verbrennung neigen , wie Seife , Stärke , Zucker usw. werden in feiner Staubform explosionsgefährlich, indem die erhitzten Verbrennungsgase infolge rapider Ausdehnung eine starke Druckwirkung auf die Umgebung ausüben.
Die Flächengrößen sind je nach der Be-
schaffenheit des Staubes sehr verschieden . 100 g von mittlerem Kohlenstaub haben eine Oberfläche von etwa 33 qm ; während dieselbe Menge feinen Staubes die fast achtmal größere Fläche von 250 qm aufweist. Von der Größe der Staubkörperchen hängt also die Größe der Explosionsgefahr wesentlich ab . Am gefährlichsten ist der Kohlenstaub natürlich in Verbindung mit Schlagwetteratmosphären , in denen Gas- und Staubexplosionen gleichzeitig auftreten. Bei der Explosivstoffertigung ist die Verbindung des Staubes mit den explosiven Gasgemischen der flüchtigen Stoffe zu fürchten , wobei die Explosionsgefahr durch die Empfindlichkeit des in alle Fugen und Zwischenräume eindringenden Staubes erhöht wird. Der durch Schlag, Stoß, Reibung und Wärmeeinwirkungen leicht zur Entzündung gelangende Staub kann in schneller Feuerfortpflanzung ausgedehnte Explosionen überraschend auslösen .
Staub
und Fugen sind daher bei der Explosivstoffertigung in gleicher Weise gefährlich. Umfangreicher sind die Gefahren der Gas- Staub-Explosionen im Kohlenbergbau. In neuerer Zeit ist man auch im internationalen Verkehr diesen Gefahren mit allen erdenklichen Mitteln der Abwehr entgegengetreten.
Am wirksamsten, aber auch am radikalsten wird diese
Gefahr beseitigt , denen aufhört.
schlagende
wenn die Wetter
Schießarbeit in und
Kohlenstaub
Steinkohlengruben , auftreten,
in
überhaupt
Eine Lösung der Aufgabe, die sich mit dem Bedürfnis nach
Ausnutzung der Explosionskraft wenig verträgt und daher schwerlich zur allgemeinen Durchführung gelangen wird.
Die Beseitigung oder
Abschwächung der Grubenexplosionsgefahren ist daher noch in anderer Weise zu erstreben und auch von zweckmäßigen Maßnahmen zu erhoffen. In Bergwerken, in denen die Möglichkeit der Entwicklung von Kohlenstaub und Grubengas vorliegt , sind zunächst zündsichere Explosivstoffe von niedriger Zersetzungstemperatur zu verwenden. Auf die flüssige Luft, die von Holzstoff- und Korkmehl aufgesaugt,
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
243
die Zersetzungstemperatur wesentlich herabsetzt, hat man in dieser Beziehung große Hoffnungen gesetzt.
Die Zukunft wird zeigen , ob
sie in Erfüllung gehen ; in der Gegenwart sind bereits mit schwarzpulverähnlichen Sicherheitsexplosivstoffen bemerkenswerte Erfolge erzielt worden . Leider haben diese schwer entflammbaren Explosivstoffe einen großen Nachteil, der mit ihrer geringen Empfindlichkeit im Zusammenhange steht .
Sie neigen zu teilweisen Versagern , die
das Zurückbleiben und Fortschleudern von Explosivstoffresten zur Folge haben.
Ein Übelstand , dem die Sprengarbeit bei sachgemäßer
Handhabung Rechnung zu tragen hat. Die Prüfung der Sicherheitsexplosivstoffe und deren Zündungsmöglichkeiten erfolgt systematisch in Versuchsstrecken . Das sind Anlagen, die im wesentlichen Stollen mit staubhaltigen und grubengashaltigen Atmosphären darstellen. Die verschiedenen explosiven Mischungen werden
mittelst
Ventilatoren durch
Rohrleitungen in
den Versuchsraum eingeführt. Die Prüfung bezieht sich hauptsächlich Bestimmte Gas- und Staubmischungen auf die Flammsicherheit. dürfen von dem zu prüfenden Explosivstoff nicht entzündet werden. Natürlich ist die sachgemäße Art der Prüfung von der größten Bedeutung ; ebenso wie bei der Verwendung des Explosivstoffes die Art der Zündung von besonderer Wichtigkeit ist . Zunächst wird die Flammsicherheit durch den Besatz der Schüsse wesentlich beeinflußt . Ein feuchter Besatz erhöht sie beträchtlich , da durch die Feuchtigkeit bei
der Explosionsumsetzung
werden.
erhebliche
Wärmemengen absorbiert
Eine lose Verdünnung mit feiner Kohle und kohlenhaltigem
Material beeinträchtigt die Flammsicherheit , da die Explosionswärme bei langsamer Verbrennung im vollen Umfange zündend zur Geltung kommen kann. Ganz allgemein ist die wichtige Frage der zweckmäßigsten Bekämpfung der Kohlenstaub - Schlagwetter - Explosionsgefahren noch nicht im vollen Umfange gelöst. Als feststehend kann indessen zur Klärung der Frage angenommen werden,
daß der Kohlenstaub in
Gruben gefährlicher ist als die schlagenden Wetter.
Letztere können
bei vorsichtiger Überwachung leicht entdeckt und beseitigt werden. Der Kohlenstaub kann durch systematische Bewässerung zwar auch unschädlich gemacht werden ; die Berieselungsanlagen können aber leicht versagen.
In weitverzweigten Wasserleitungsnetzen der Haupt-
gänge mit Abzweigungen für
Schlauchleitungen können unter der
Erde Störungen eintreten ; außerdem ist mit Verstopfungen und dem Gefrieren der Wasserzuleitung zu rechnen .
Im Hinblick auf letztere
Möglichkeit möchte die Verwendung von Wasserdampf sicherer erscheinen . Durch gründliche Berieselung ist die Explosionsgefahr jeden-
244
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
falls einzuschränken ; und Menschenleben können der Gefahr bei der Sprengarbeit gänzlich abgegeben werden ,
entzogen
nachdem
werden,
wenn
alle Arbeiter
Sprengschüsse erst
zutage
gefahren
sind.
Leider herrschen bei der Ausführung von Sprengarbeiten nach der Unfallstatistik die krassesten Gegensätze.
Auf der einen Seite leicht-
sinniger Wagemut, auf der anderen pedantische Befolgung der Vorsichtsmaßregeln.
Das eine ist so falsch und gefährlich wie das andere !
Die Bestimmungen wollen bei diesen an und für sich gefährlichen Arbeiten weder in Unvernunft, noch nach dem toten Buchstaben , sondern im richtigen Geiste gehandhabt werden. Der gesunde Menschenverstand soll leiten und führen ! Die Hauptgefahr liegt in der Zündung von aufgewirbeltem Kohlenstaub. Das gleichzeitige Abtun mehrerer Schüsse ist in dieser Beziehung besonders gefährlich .
Der Feuerstrahl eines ausblasenden
Schusses kann hierbei leicht zündend in den von einem vorher gerissenen Schusse aufgerührten Kohlenstaub hineinfahren. Die Schüsse sollten daher nacheinander mit genügenden Zwischenräumen abgegeben werden , so daß von Fall zu Fall festgestellt werden kann , ob vom voraufgegangenen Schuß eine Kohlenstaub- oder Schlagwettergefahr entstanden ist. Außerdem wird der zündende Funke außerhalb des Bohrloches ausgeschaltet, wenn die offene Zündung grundsätzlich durch elektrische Glühzünder mit niedriger Spannung ersetzt wird. Zur Abwehr der Gas- und Staubexplosionsgefahren ist auf allen Gebieten viel geschehen, aber mehr bleibt noch durch Verbesserung der Einrichtungen in gewissenhafter Befolgung der Unfallverhütungsvorschriften zu erstreben. Vor allem sollte in allen Räumen , in denen mit dieser Explosionsgefahr zu rechnen ist, für reine Luft gesorgt werden. Aus hygienischen Rücksichten geboten, von der Sicherheit dringend gefordert ! (Fortsetzung folgt . )
245
Belgische Neutralität.
XXIII .
Belgische
Neutralität.
In der Note des Vierverbandes vom 30. Dezember v. J. , die das Friedensangebot vom 12. desselben Monats ablehnte, kommt der Passus vor : .. Belgien hat immer peinlich die Pflichten beobachtet , die ihm seine Neutralität auferlegte. " In dem gleichen Sinne spricht sich die belgische Zusatznote aus , die den Vereinigten Staaten gleichzeitig mit der Antwort der Ententemächte auf die amerikanische Es heißt dort : Friedensnote vom 20. Dezember überreicht wurde. Vor dem Ultimatum hat Belgien nur danach gestrebt, mit allen seinen Nachbarn in guten Beziehungen zu leben.
Es beobachtete mit
einer peinlichen Loyalität jedem gegenüber die Pflichten , die ihm die Neutralität auferlegte ..." Es sei ferner an die Worte des belgischen Abgeordneten Camille Huysmans in einer Sitzung des belgischen Parlaments erinnert. Er versicherte, daß die belgische Regierung ihren Neutralitätspflichten loyal und ehrlich nachgekommen sei . Wie sah es nun in Wirklichkeit mit dieser Beobachtung der belgischen Neutralität seitens dieses Staates selbst aus ?
Die Frage ist
neuerdings akut geworden nach der Veröffentlichung wichtiger , hierauf bezüglicher Aktenstücke. Schon die bekannten belgischen Aktenstücke aus den Jahren 1904 bis 1915 , die vor zwei Jahren vom Auswärtigen Amte veröffentlicht wurden und die wir im November- und Dezemberheft 1915 dieser Zeitschrift erwähnt haben, lieferten die unwiderleglichsten Beweise dafür , daß es die im Jahre 1904 von England eingeleitete , gegen Deutschland gerichtete Ententepolitik war , die den Weltkrieg entzündet und verschuldet hat. Die Berichte der diplomatischen Vertreter Belgiens in Berlin, Paris und London aus den Jahren 1904 bis 1915 liefern hierfür das wertvollste Quellenmaterial.
Seitdem sind aber neue Eröffnungen
auf Grund aufgefundener Dokumente erfolgt , die für die Beleuchtung der Frage der belgischen Neutralität von größter Wichtigkeit sind und auch die letzten Zweifel tilgen müssen , daß Belgien seit Jahren
246
Belgische Neutralitât.
im Gefolge der Ententemächte stand und moralisch seine Neutralität längst aufgegeben hatte. Schon im Jahre 1906 beauftragte die englische Regierung ihren in Brüssel beglaubigten Militärattaché, Oberstleutnant Barnardiston, sich mit dem Chef des belgischen Generalstabes, General Ducarne, ins Einvernehmen zu setzen wegen einer gemeinsamen Operation der englischen und belgischen Heere im Falle eines gegen Deutschland gerichteten Krieges . Der belgische Gesandte in Berlin, Baron Greindl, erwähnt dies in seinem ausführlichen Bericht vom 6. Dezember 1911 ; er schreibt :
,, ... Bis auf weiteres muß man
demnach als feststehend ansehen , daß man sich in London mit dem Plan befaßt hat , Frankreich in einem Kriege mit Deutschland durch die Landung eines Korps von 150000 Engländern zu Hilfe zu kommen. “ Bestätigt wird dies durch einen weiteren Bericht vom 9. desselben Monats. Näheres über diese Abmachungen war in der Öffentlichkeit nicht bekannt . Die dem Archiv des belgischen Ministeriums des Äußeren entnommenen Aktenstücke enthielten nur die beiden Berichte vom 6. und 9. Dezember. Derselbe Diplomat hat aber noch einen Bericht , der vom 23. Dezember desselben Jahres datiert ist , erstattet, der den militärischen
Geheimblättern beigelegt war , die sich auf die In vom Jahre 1906 bezogen.
belgisch-englischen Verhandlungen
diesem Bericht macht der belgische Gesandte nähere Mitteilungen über das Anerbieten Englands , über die Rolle , die Belgien in den Angriffsplänen unserer Gegner spielen sollte und über dessen Einverständnis mit diesem Projekte.
Er schreibt :
,, Von der französischen
Seite her droht die Gefahr nicht , nur im Süden von Luxemburg, Sie Für bedroht uns auf unserer ganzen gemeinsamen Grenze. diese Behauptungen sind wir nicht allein auf Mutmaßungen angewiesen . Wir haben dafür positive Anhaltspunkte. Der Gedanke einer Umfassungsbewegung von Norden her gehört zweifellos zu den Absichten der Entente cordiale". Wenn das nicht der Fall wäre , so hätte der Plan, Vlissingen zu befestigen, nicht ein solches Geschrei in Paris und London hervorgerufen. Man hat dort den Grund gar nicht verheimlicht, aus dem man wünschte , daß die Schelde ohne Verteidigung bliebe. Man wollte eben unbehindert eine englische Garnison nach Antwerpen überführen können , beabsichtigte also, sich bei uns eine Operationsbasis für eine Offensive in der Richtung auf den Niederrhein und Westfalen zu schaffen und uns dann mit fortzureißen, was nicht schwer gewesen wäre ... Die ebenso perfiden wie naiven Eröffnungen des Obersten Barnardiston zur Zeit des Abschlusses
247
Belgische Neutralität. der Entente cordiale haben uns deutlich gezeigt ,
um was es sich
handelte¹)." England erbot sich, ein Expeditionskorps von etwa 100000 Mann zu entsenden. ,,Die Landung sollte ", nach dem Projekt Barnardistons , ,,an der französischen Küste stattfinden, in der Gegend von Dünkirchen und Calais. " Es sollten in 12-13 Tagen 2 Armeekorps , 4 Kavalleriebrigaden und 2 werden .
Brigaden berittener
Infanterie ausgeschifft
Die Regelung der Transporte von der Küste bis tief
in das Innere des belgischen Landes hinein , war Sache des belgischen . Generalstabes .
Oberst Barnardiston machte gemäß dieser Abmachungen genaue Angaben über das zu landende englische Expeditionskorps . Es sollte bestehen aus : Offiziere
Mannsch. Zusammen
Pferde
Fahrzeuge
34 2528 524 232
137 77746 11548 5088
171 80274 12072 5320
123 30314 12684 5454
7 4420 736 204
3328
94519
97837
48575
5367
Stab des Feldheeres 2 Armeekorps 4 Kavalleriebrigaden 2 reit . Infanteriebrigaden
Diese Truppen , über deren Kriegsstärke und Zusammensetzung ganz genaue Aufstellungen vorgelegt wurden, sollten nach dem englischen Plane binnen 15 Tagen in den Häfen von Calais, Boulogne und Cherbourg gelandet werden. Der belgische Generalstab arbeitete das Tableau für den Weitertransport aus , indem er zwei verschiedene Routen zur Verfügung stellte :
I. Transporte Richtung Brüssel , Benutzte A.
Löwen , Aerschot.
Strecken :
Boulogne - Berguettes- Béthune - Lille , Richtung hier die belgische Grenze überschreitend.
B. Calais - Hazebrouk-Lille ,
Richtung
Courtrai ,
Tournai ,
hier über die
belgische Grenze.
C. Calais - Dünkirchen,
Richtung
Gent.
Zwischen Dünkirchen
und Furnes über die belgische Grenze. D. Cherbourg - Arras - Douai -Valenciennes - belgische
Grenze ,
Richtung Mons.
1) Wir entnehmen dieses Zitat der ,, Norddeutschen Allgem. Zeitung" Nr. 50 vom 20. Februar d . J. ( Sonderbeilage) , die uns überhaupt mehrfach als Unterlage dieser Bearbeitung diente.
248
Belgische Neutralität.
II. Transporte Richtung Dinant , Ciney , Flawinne (westlich Namur) . Benutzte
und
Strecken :
A. Boulogne - Berguettes- Béthune - Lille , anstatt oben Tournai. B.
Namur Namur
Richtung
Dinant ,
Calais- Hazebrouk- Lille , Richtung Courtrai und Brüssel .
C. Calais - Dünkirchen , Richtung Gent und Löwen. D. Cherbourg-Arras- Douai - Valenciennes , Richtung Charleroi , anstatt Mons. Ausladeorte aus der Bahn waren demnach nach dem ersten Plan : Brüssel , Tervueren , Löwen und Aerschot , nach dem anderen : Dinant, Ciney, Namur und Flawinne. Ein Blick auf die Karte zeigt, wie weit die englischen Truppen Während gegen die deutsche Grenze vorgeschoben werden sollten. nach dem ersten Plan wohl der Schutz der Hauptstadt in erster Linie berücksichtigt war, war nach dem zweiten Plan die Sicherung der Maaslinie und der wichtigen Eisenbahnlinien , gestützt auf die beiden Festungen Lüttich und Namur, maßgebend gewesen. Man ging von der Annahme aus, daß an diesen beiden Stellen die belgische Armee am meisten einer Unterstützung bedürfen würde. Beide Schriftstücke , welche den Transport der englischen Truppen nach und durch Belgien regeln sollten , trugen am Kopf den Vermerk : ,, Herrn Barnardiston mitgeteilt ( Ende März )". Nach alledem muß es als feststehende Tatsache bezeichnet werden , daß Belgien bereits im Jahre 1906 einem gegen Deutschland gerichteten Offensivbündnis beigetreten war und damit seine Neutralität aufgegeben hatte . Wenn unsere Gegner demnach in der Note vom 30. Dezember vorigen Jahres sagen, daß Belgien immer mit ,, peinlicher Loyalität die Pflichten beobachtet habe , die ihm die Neutralität auferlegte", so entspricht dies der Wahrheit in keiner Weise der Beweis des Gegenteils ist erbracht.
Der andere Beweis aber
ebenfalls , daß
Truppen
England
setzt haben würde ,
mit
seinen
Belgien
be-
ohne sich im geringsten um dessen Neutralität zu kümmern - wenn wir nicht zuvorgekommen wären . -ck.
Literatur.
249
Literatur.
I. Bücher. Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges . 1. Band. Mit fünf farbigen Kriegskarten. 444 Seiten . Stuttgart und Berlin . Deutsche Verlagsanstalt. Preis geh. 11,50 M. geb. 14 M. An dieser Stelle hatten wir vor einiger Zeit den gut geschriebenen Überblick über die beiden ersten Kriegsjahre vom Schweizer Obersten Egli besprochen . Ein ganz anderes Werk liegt vor uns , dem man als Motto das Wort des Geschichtsschreibers Haußers voranstellen könnte : „Der Leser ist berechtigt, von dem Geschichtsschreiber Ergebnisse eigener Anschauungen zu fordern , da ohne Subjektivität die Geschichte eine Chronik bleibt. " In angenehm lesbarer Form, die die mühevolle Quellenverarbeitung nicht durch den Verfasser erkennen läßt, im sichtlichen Bestreben , der Wahrheit nahezukommen, ist ein Buch entstanden, das man stets gern zur Hand nehmen wird . Wie der Verfasser selbst ausführt, wurde er „durch den eminent künstlerischen Anreiz“ getrieben, den Krieg in seinen Zusammenhängen zu erfassen und zu ergründen . Ein wissenschaftliches Interesse trieb ihn nach 25jähriger Tätigkeit als historisch - politischer Schriftsteller regelmäßige Betrachtungen über den Gang der Ereignisse im „Berner Bund “ zu veröffentlichen, aus denen dann sein großes Werk entstanden ist. So hat er die Vorgeschichte des Krieges mit aufgenommen und leitet dann seine Darstellung mit einer Übersicht über die militärische Lage Europas bei Beginn des Kampfes ein. Von besonderem Interesse scheint mir die Würdigung der einzelnen Heere, namentlich auch die Klarlegung der Ursachen, die nach der Marneschlacht zu einer Wiedererstarkung des französischen Heeres führten . Die großen Abschnitte seiner bis jetzt im ersten Band bis zum 15. September 1914 geführten Schilderung umfassen den Feldzug im Westen , den Feldzug in Ostpreußen , den Feldzug in Galizien und Südpolen, und daran knüpft er eine Betrachtung der strategischen Lage am 15. September 1914. Ein Anhang gibt Erweiterungen zur Vorgeschichte und druckt Betrachtungen zur Kriegslage im „ Bund " wieder ab. Gerade diese Betrachtungen setzten ihn der Verdächtigung aus, daß er Sprachrohr des deutschen Generalstabes sei , was er ausdrücklich in Abrede stellt. Die Armeen auf beiden Seiten werden mit den Namen ihrer Führer bezeichnet. Dadurch sind sie nicht mehr operative Schachfiguren, sondern sie gewinnen wirkliches Leben. Von besonderem Interesse sind die Ausführungen über den à deux mains gestellten. französischen Aufmarsch , wie ihn eine französische Denkschrift darlegt. Ich kann an diesen Plan à deux mains nlcht glauben , mir erscheint die Umgruppierung erzwungen durch das verspätete Eingreifen der Engländer, durch den schnellen Fall der belgischen Festungen und schließlich durch die Niederlage der französischen Armee in Lothringen. Alles war auf den operativen Durchbruch zwischen Metz und den Vogesen zugeschnitten . Man kann nicht recht daran glauben, daß
250
Literatur.
die französische Heeresleitung so ? völlig von den Belgiern über die Bewegungen der I. Armee im unklaren gelassen sein soll, wie es den Anschein hat. Die Verdienste Joffres in dieser sehr schwierigen Lage finden eine gebührende Würdigung. Besonders interessiert die Schilderung der Einmarschkämpfe in Nordfrankreich und der Marneschlacht. Als Richter sucht er sich in den Geist der Heeresleitung zu versenken, dem Gedankengange nachzugehen , der zum Abbrechen der Schlacht an der Marne führte. Da dem Verfasser amtliches Material nicht zur Verfügung stand, so kann er nur vermuten und nichts über die Ursachen dieses Entschlusses behaupten . Anregend und fesselnd, frei von aller Wichtigtuerei, die nur Klatsch verwertet, sind diese Kapitel geschrieben . Dann führt uns der Verfasser auf den östlichen Kriegsschauplatz . Ein Glanzpunkt ist die Darstellung von Tannenberg und dann die Würdigung des Vorstoßes der siegreichen Truppen nach Südpolen hinein . Ich kann mir nicht versagen, hier einige Stellen anzuführen , die gerade der Führung unseres Bundesgenossen im vollen Maße gerecht werden , die die Aufgabe hatten , während die deutschen Heere in Belgien und Frankreich kämpften, die russische Übermacht auf sich zu ziehen und zu binden . Gelang das nicht" , schreibt Stegemann, „so halfen die größten Siege, die das deutsche Heer im Westen erfechten mochte, nicht zur Fortsetzung der kriegerischen Handlung, denn der Einbruch der Russen in Schlesien und Mähren hätte eine verwundbare Stelle der Mittelmächte getroffen und sich bis in den Sitz ihres Lebens und ihres Widerstandes gebohrt. ÖsterreichUngarn übernahm dabei die Hauptdeckung gegen Osten. Die österreichisch- ungarische Heeresleitung zog aus dieser Lage den Schluß, daß die gegen Rußland aufgestellte Hauptmacht die Verteidigung durch einen Vorstoß sicherstellen und unverweilt zum Angrift übergehen müsse. Bald zeigte es sich, daß die Russen in kürzerer Zeit größere Truppenmassen in Südpolen und an der galizischen Grenze vereinigt hatten, als man nach den Friedensnachrichten hätte annehmen können . Die österreichisch- ungarische Heeresleitung sah sich daher am 18. August erneut vor die Frage gestellt, ob sie unter diesen Umständen auf den ursprünglichen Plan, angriffsweise vorzugehen und die Russen östlich des San zu packen, verzichten oder an ihm festhalten sollte. Der Entschluß mußte rasch und bindend gefaßt werden. Geschah dies zugunsten des ursprünglichen Planes, so fiel erschwerend ins Gewicht, daß die Angriffsbewegung nun möglichst bald ausgeführt werden mußte ; das hieß : die völlige Versammlung des Heeres konnte in diesem Falle nicht mehr abgewartet werden. Zu nahe stand bereits der Feind. In der Nacht auf den 18. August wurde im Hauptquartier zu Przemysl die Entscheidung getroffen , den Angriff mit der Nordgruppe durchzuführen . Das war eine Entscheidung von außerordentlicher Schwere, die von grundlegender Bedeutung für Einleitung und Verlauf des Feldzuges werden und zu einem exzentrisch wirkenden Zusammenprall der Heere zwischen San und Bug und Dnjestr und Ikwa führen sollte, Auch später noch , als sich die numerische Überlegenheit und die schnelle Kampfbereitschaft der
Literatur. Russen
immer
deutlicher
herausstellte,
251 blieb
die
österreichisch-
ungarische Heeresleitung bei dem einmal gefaßten Angriffsentschluß , und sie ließ sich davon auch nicht abbringen als die Ostflanke von der galizischen Grenze immer stärker bedroht wurde. " Dann kommen die Vorstöße gegen Lublin , das Ringen von Lemberg und der Rückzug hinter Przemysl. „Das Heer Franz Josephs war nicht vernichtet, es zog mit flatternden Fahnen ab und machte trotz seiner größeren Schwächung und des Verlustes der Schlacht von Przemyslany, gleich dem deutschen Heere, das in diesen Tagen vom Petit Morin über die Marne und Aisne auswich , das schöne Wort Clausewitz' wahr: Die Rückzüge großer Feldherren und kriegsgeübter Heere gleichen stets dem Abgehen eines verwundeten Löwen ... Es wäre unbillig und entspräche den Tatsachen schlecht , wenn man nicht ausdrücklich hervorhöbe, daß der Angriffsfeldzug ÖsterreichUngarns die Russen überrascht, ihre Hauptkräfte nach Galizien gelenkt und sie dort gefesselt hat . So liegt also das positive Ergebnis der österreichisch- ungarischen Offensive in der Bindung der russischen Hauptkräfte, und es ist ihr insofern der Erfolg nicht versagt geblieben . War aber auch der österreichisch- ungarische Angriffsfeldzug als solcher gescheitert, da er alle Lebenspunkte der russischen Ausfallstellung unversehrt gelassen hatte, um mit einem Rückzug hinter den San zu enden, so hatte das k. u . k. Heer in ihm doch eine kostbare Frist erkämpft, die den Russen nicht gestattet hat, vor dem 15. September über die Weichsel vorzurücken und ihre Hauptkräfte während sechs Wochen in Galizien gefesselt hielt. Damit hatte die österreichischungarische Wehrmacht eine entscheidende Einwirkung auf die Gesamtentwicklung des Krieges ausgeübt und es dem Generalfeldmarschall von Hindenburg ermöglicht, inzwischen die Russen aus Ostpreußen zu vertreiben und ihnen eine entscheidende Niederlage beizubringen . " Mit knapper Würdigung der Lage schließt das Buch . Wir wünschen baldige Fortsetzung , nur dürfte es sich empfehlen , das Kartenmaterial Balck. reichhaltiger zu gestalten . Kaiserworte. Ausgewählt von Dr. Friedrich Everling . Berlin 1917 . Trowitzsch & Sohn . Preis geb. 2,50 M. , geh . 2 M. Allen Deutschen , die sich, je mehr Feinde uns umdrängen , nur desto fester um die Person unseres geliebten Landesvaters scharen , der für uns alle die vaterländischen Ideale verkörpert, für die wir kämpfen und dulden , wird diese Sammlung eine willkommene Gelegenheit bieten , sich im Aushalten stärken und zu neuem Kampf begeistern zu L. lassen . Die deutsche Reitvorschrift, im Lichte der Reitkunst. (5. Heft : Die Reitausbildung der Offiziere . Von Max Freiherrn von Redwitz , Kgl. Bayr. Generalmajor z. D. Berlin 1916. (Ernst Siegfried Mittler & Sohn . ) Preis 1,80 M. Noch stehen wir ringsum mit unseren zahlreichen Feinden in zähem, hartem Kampfe. Es mag deshalb verfrüht erscheinen , jetzt
252
Literatur.
schon mit Vorschlägen über die künftige Reitausbildung der Kavallerie, insonderheit jener der Offiziere, hervorzutreten. Wenn wir aber die bisherige Tätigkeit der Kavallerie in diesem an Neuerungen und Überraschungen auf allen Gebieten der Kriegstechnik so überreichen Kriege überblicken, so finden wir sie ebenso in allen Aufgaben des Bewegungskrieges wie im Schützengraben als verlässige, unentbehrliche Helferin unserer Heeresleitung . Es läßt sich deshalb sehr wohl jetzt schon ein abschließendes Urteil über die künftige reiterliche Ausbildung der Kavallerie fällen . General von Redwitz hat nun das fünfte Heft seines großzügig angelegten, verdienstvollee Kommentars zur neuen deutschen Reitvorschrift: „ Die Reitausbildung der Offiziere " dazu benützt, zu diesem jeden Kavalleristen in hohem Maße interessierenden Fragen Stellung zu nehmen . Lernte man den Verfasser in den bereits vor dem Kriege erchienenen drei ersten Heften seines wissenschaftlichen Werkes als einen auf allen Gebieten der Reitkunst und Reitwissenschaft reich erfahrenen und besonders praktischen Reiter kennen , so verrät er wohl in dieser jüngsten , in mustergültigem Stile niedergelegten Arbeit Eine fesselnd seinen eigenen erfolgreichen , reiterlichen Lebenslauf. geschriebene Einleitung bewertet die alte preußische Reitinstruktion 1825 gegenüber jener vom Jahre 1882 mit dem Ergebnis, daß sie lediglich durch die irrige Theorie der relativen Aufrichtung der Armee eine Verbesserung brachte . In dem folgenden Kapitel, „ System der Reitausbildung der Offiziere " , spricht der General der frühzeitigen Ausbildung der jungen Offiziere auf einer Offizier - Reitschule das Wort und führt überzeugend alle jene Nachteile vor Augen, die das bisherige ungenügend deutsche Ausbildungssystem im Gefolge hatte. - In dem dem „Reitlehrer" gewidmeten Kapitel tritt v. Redwitz mit überzeugendem Nachdruck den hohen Anforderungen bei, die die Reitvorschrift an den Reitlehrer stellt.
In der Theorie und Geschichte der Reitkunst außergewöhnlich bewandert, fordert der Verfasser bei den Militär- Reitschulen größere Pflege des theoretischen Unterrichts . Mit besonders warmer Anerkennung gedenkt er auch des Einflusses des Sports auf das Reiten in der Armee. Da er auch bei der sportlichen Pflege der Reitausbildung die Grundsätze der Reitkunst gewahrt wissen möchte, so kann man der von ihm so hoch bewerteten Pflege des Reitsportes in der Armee nur überzeugungsvoll zustimmen . Den Vorschlägen zur Vereinfachung der Reitvorschrift für die Truppe wird man unbedingt zustimmen können . Als Gegner jeder Zirkusdressur verpönt er es jedoch , Lektionen der hohen Schule zu üben , ohne ihnen jene voranzustellen , die ihre Grundlage bilden müssen . Er spricht den Lektionen der hohen Schule sehr richtig nur dann Wert für die Dressur bei, wenn sie die durch die Kampagneschule erzielte Gymnastik des Pferdes gleichsam als harmonischer Schlußstein krönen . In klarster Ausführung spricht General von Redwitz der Ausbildung der Offiziere im Geländereiten das Wort. Er will es aber nicht wie die Reitvorschrift namentlich
Literatur.
253
durch Jagdreiten , sondern vielmehr durch planmäßige Einzelausbildung von Reiter und Pferd in schwierigem Gelände gefördert wissen . Am Schlusse seiner Ausführungen faßt er alle seine Vorschläge und die als irrig erachtenden Theorien und Grundsätze der Reitvorschrift in einer Art Sachregister zu einem Gesamtbilde zusammen. Aus jeder Zeile dieser vortrefflichen Arbeit spricht die große Liebe des Autors zu seinem Berufe. Durch seine ungemein klaren , bestimmten, reichster Erfahrung und besonders erfolgreicher Tätigkeit entnommenen Vorschläge hat er der Reiterwaffe einen höchst dankenswerten Dienst geleistet. Ich, dem es vergönnt war, mit dem hochgeschätzten Autor zu einer Zeit als die Militärreitschule unter dem seinerzeitigen Kommandeur Sr. Kgl . Hoheit Herzog Max Emanuel, ihren sportlichen Aufstieg nahm , in gemeinsamer Tätigkeit dortselbst zu wirken, betrachte es als eine besondere Genugtuung, General von Redwitz' illustres Werk der Waffe ans Herz legen zu dürfen , für die das unsere in warmen Pulsen schlägt und der es für allezeit ein unschätzbares Vermächtnis sein General Buxbaum. und bleiben wird. Marine-Taschenbuch .
Mit Genehmigung des Reichs - Marine - Amts herausgegeben. 15. Jahrgang. Berlin 1917. E. S. Mittler & Sohn . Preis 4 M., geb. 4,75 M.
Mit derselben Gründlichkeit und Genauigkeit, die man an dem Taschenbuche gewöhnt ist, ist auch dieser neue Jahrgang bearbeitet worden. Sein Inhalt hat mannigfache Zusätze erfahren . So sind u . a. neu aufgenommen worden : Die Gesetze über die Zusatzsteuern und die Besitzsteuer, ferner die gesetzlichen Bestimmungen über die Anrechnung der in der Kaiserlichen Marine abgelegten Prüfungen in der Handelsmarine. Aufnahme fanden auch alle die Sonderbestimmungen , deren Erlaß durch den Krieg bedingt ist, soweit sie im Marine - Verordnungsblatt veröffentlich sind . Des Marine Taschenbuch ist als zuverlässiger Ratgeber in allen P. H. einschlägigen Fragen bestens zu empfehlen . Die Ideen einer Frauendienstpflicht. Tatsachen und Möglichkeiten . Von Dr. Fritz Giese. Verlag von Wendt und Clauwell. Langensalza 1916. Brosch . 4 M. In außerordentlich klarer Weise , nach dem Inhalt wie nach der äußeren Form hin , wird das Für und Wider einer weiblichen Dienstpflicht beleuchtet. Der Verfasser gibt einen Überblick über den jetzigen Stand der Berufs- Frauenausbildung, und erwägt, was zur Ergänzung neu geschaffen werde müßte. Die Frau , ihrer körperlichen und geistigen Anlage nach ganz anders geartet als der Mann , soll sich der Allgemeinheit nutzbar machen , indem ihr eine Ausbildung zu teil wird , die sie befähigt im Kriegsfall den Mann zu ersetzen ; ihr Charakter soll gebildet werden , durch die Schule zum Gehorsam und zur Unterordnung. Als höchstes Ziel aber stehe vor Augen die deutsche Hausfrau für ihren eigentlichen Beruf zu bilden, in der Kindererziehung, dem Haushalt
254
Literatur.
und der Krankenpflege . und auszubauen.
Viele gute Einrichtungen sind zu verwerten M. D.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Maſsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Egli, Zwei Jahre Weltkrieg. August 1914 bis August 1916. Zürich 1917. Brosch . 5 M., geb. 6 M. 2. Lorenz, Ballistik. Die mechanischen Grundlagen der Lehre vom Schuß . München 1917. R. Oldenburg . Geh. 3,50 M. 3. Humboldt- Akademie, Freie Hochschule . für das 2. Vierteljahr 1917 , April- Juni. 4. Engelbrecht, Sein oder Nichtsein 1917 ! Mühlmann Verlag (Max Grosse) . 0,60 M.
Vorlesungsverzeichnis
Halle a. S.
5. Wrobel, Acht Kriegsmonate in der asiatischen Türkei. 1917. E. S. Mittler & Sohn . 1,50 M.
Richard Berlin
6. Gersbach, Verfassung und Verwaltung im Königreich Preußen (in Frage und Antwort). Berlin . Kameradschaft Wohlfahrtsgesellschaft m. b. H. 0,60 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z. D. H. Rohne) enthält u . a. folgende Arbeiten : Narath , Oberleutnant a D.: Über die Flugbahn von Geschossen. und Bomben , welche Luftfahrzeuge in horizontaler Richtung verlassen .
Omlor, Leutnant d . Res .: Kartengeometrie. Ein französischer General über die Beschaffung von Kriegsgerät und die allgemeine Lage . Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam .
XXIV . Feldmarschall Conrad
von Hötzendorfs erste
grosse Stunde im Weltkriege ') .
Von Rhazen, Generalleutnant z . D.
Mit seines jungen Kaisers höchster kriegerischer Auszeichnung , mit des deutschen Kaisers Eichenlaub zu Preußens stolzestem Ordenszeichen für Kriegsverdienst, durch ein Handschreiben seines obersten Kriegsherrn in Dankesworten, die, unendlich vielsagend, doch nur in einzelnen Strahlen die Summe seiner Verdienste beleuchten, ist der Chef des Generalstabes der gesamten k. u. k. Wehrmacht , Freiherr Conrad von Hötzendorf, seiner Stellung enthoben und für eine Verwendung freigeworden, die dem geistigen Lenker der Gesamtheere der seit mehr als 22 Jahre Freud und Leid, Gut und Blut mit uns treulichst teilenden Donaumonarchie die Möglichkeit bieten dürfte , auch den grünen Lorbeer des aktiven Schlachtenführers um die Denkerstirn des Strategen zu winden . Reich an Beispielen für das Umfassende , Große und Kühne der bewußtem Können entspringenden Entschlußkraft Conrad von Hötzendorfs ist die Geschichte des Weltkrieges.
Wie des Feldmarschalls
Hindenburg Name auf die Gesamtheit unserer Gegner, wirkt der seine besonders auf Italien, wo das ,,Hannibal ante portas" wieder einmal laut wurde. Besonders deutlich , weil auf Stunden zusammengedrängt , treten diese Charakterzüge aber hervor in der Nacht zum 18. August 1914 in dem Großen Hauptquartier Przemysl , die wir darum als erste in der Reihe großer Stunden in Feldmarschall Hötzendorfs Heeresleitung bezeichnen möchten. Bei voller Erkenntnis der gewaltigen Übermacht, gegen die man zu kämpfen haben werde, war in den Stunden dieser Nacht , rasch ¹ ) Unter benutztem Quellenmaterial seien vor allem auch Beihefte 1 u. 3 zu ,, Streffleurs Militärblatt", als trefflich geschrieben, genannt. 20 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 549.
LE
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Feldmarschall Conrad von Hötzendorf im Weltkriege.
und bindend , die Wahl zu treffen, ob man, trotz veränderten , erschwerenden Umständen, bei dem ursprünglichen Plan bleiben sollte , die Verteidigung durch den Angriff zu führen, oder nicht. Sie fiel auf den kühnen Gedanken, die Russen östlich des San anzufassen , obwohl bei der in der Ausführung des Planes gebotenen Schnelligkeit die Unmöglichkeit in den Kauf genommen werden mußte, die volle Versammlung des Heeres abzuwarten, da die Annäherung des Gegners schon zu weit gediehen war.
Und die außerordentlich schwerwiegende
Entscheidung, die zu einem exzentrisch wirkenden Zusammenprall der Heere zwischen San und Bug , Dnjestr und Ikwa führte , behielt den Stempel des Angriffsentschlusses auch dann noch , als von der galizischen Grenze her die Ostflanke durch die unaufhörlich wachsende Übermacht der Russen immer stärker bedroht wurde. Auch das spätere Aufgeben des die Russen zweifellos überraschenden Angriffsfeldzugs , der ihre Hauptkräfte nach Galizien zog und dort festlegte, wie die Rückkehr hinter den San, haben dem Geist des Entschlusses keinen Stein aus der Krone zu nehmen vermocht.
Denn ein positives Er-
gebnis ist dem auf ihm fußenden Angriffsfeldzug unserer Verbündeten nicht versagt geblieben , und das wird die Kriegsgeschichte nicht unter dem kleinsten zu buchen haben in der von ihr doch nicht aus dem Auge zu lassenden Gesamtentwicklung des Krieges. Für die Verbündeten war durch den Angriffsfeldzug eine kostbare Zeit gewonnen, den Russen aber genommen, die er verhindert hatte , ihren Plan , die Weichsel vor dem 15. September zu überschreiten , auszuführen.
Und
dies, indem er volle sechs Wochen ihre Hauptkräfte in Galizien fesselte und doch der Gefahr, in der zum Ballen aufgespannten russischen Faust erdrückt zu werden , nicht erlag. Diese Zeit - und hier liegt eine entscheidende Einwirkung des Angriffsfeldzuges auf Krieges - hat aber dem genialen deutschen
den Verlauf des
Heerführer im Osten
genügt und ermöglicht,
die Russen zweimal
entscheidend zu schlagen und die Trümmer zweier ihrer vernichteten Armeen von Ostpreußens heimgesuchten Fluren zu verjagen. Der Angriffsfeldzug ermöglichte Tannenberg und die erste Schlacht an den masurischen Seen. Und weiter : Ein Einbruch in Schlesien und Mähren , der eine leicht verwundbare, dem Lebenspunkt nahe liegende Stelle der Mittelmächte treffen sollte , war abgewehrt . In Conrad von Hötzendorfs Kopf und Herzen war der kühne Entschluß des Angriffsfeldzuges , in seinem Charakter, Willen und Mut der Verantwortung , das Festhalten an ihm, auch als die dunkelsten Wolken vor dem Auge des Strategen sich zusammenballten, geboren. Die großen Züge der in der Zeit vom 23. August bis 12. September 1914 verlaufenen Operationen berührend , sei hier der Rahmen um die
257
Feldmarschall Conrad von Hötzendorf im Weltkriege .
erste große Stunde des Feldmarschalls im Weltkriege gezimmert. Nicht vom Deutschen Reich allein , auch von der verbündeten Donaumonarchie verlangte der Beginn des Weltkrieges Krafteinsatz Fronten.
nach
Die Vorbereitungen dazu waren seit Jahren getroffen.
zwei Als
aber, nach Ablehnung des österreichisch-ungarischen Ultimatums , am 25. Juli Serbien zunächst allein auf den Plan trat, zum mindesten der Zeitpunkt des Eingreifens anderer Mächte noch ungewiß blieb , waren für den raschen Schlag gegen Serbien sofort die nötigen Kräfte auf den südöstlichen Schauplatz zu werfen.
Dazu wurden die VI. , dann die
II. und V. Armee, etwa zwei Fünftel der gesamten Wehrkraft , bestimmt. In der Nacht vom dritten zum vierten Mobilmachungstag , 30. auf 31. Juli , begannen die Massentransporte.
Am 31. Juli mittags
aber war schon der Befehl zur allgemeinen Mobilmachung für den neu Erster Mobileintretenden Kriegsfall gegen Rußland erforderlich. machungstag 4. August, während am 2. August bereits, durch Alarmierung der Truppen des Grenzgebiets , die Sicherung des Aufmarschraumes in Kraft trat , die dem Gegner, trotzdem dieser durch lange vorbedachte Überfallsabsichten in der Mobilmachung einen erheblichen Vorsprung erreicht und am 31. Juli wie 1. und 2. August große Truppenverbände an die galizische Grenze geschoben hatte, die Störung der planmäßigen Versammlung verbot. Gerechnet wurde mit der Wahrscheinlichkeit, daß, unter Freigabe Polens , die
Hauptmassen
des russischen Heeres sich westlich der Weichsel gegen Galizien , östlich des San, und gegen Ostpreußen wenden würden.
Durch die politische
Konstellation sei Rußland in der Lage, bevor noch die asiatischen Truppen eingesetzt werden könnten, mit 80 Infanteriedivisionen zu zählen, von denen das deutsche Ostheer etwa 20 binden könne , und mindestens 60 , außer Serben und Genossen , auf Österreich-Ungarn entfielen. An Zahl weit überlegene Massen auf sich zu ziehen und zu fesseln , dem deutschen Heere die Rückenfreiheit zu verschaffen, deren es für seine nächste Hauptaufgabe im Westen bedurfte, war die wahrlich nicht leichte Rolle , die der Gesamtplan unseren Verbündeten an der Donau zuwies. Nur im Angriff war sie zu lösen , nur in diesem konnte sich die Möglichkeit bieten, die Russen noch vor vollzogener Versammlung zu erreichen und vereinzelt zu schlagen. Wartete man defensiv ab, ließ man dem Gegner die Freiheit des Handelns , dann konnte sich die schon um das natürlichen Grenzschutzes entbehrende Galizien im Nordosten und Osten , wie in der Bukowina ausgespannte russische Hand zur Faust ballen. Die Rolle der Rückendeckung für Deutschland verbot, sich durch Meiden des gefährlichen Raums der Gefahr zu entziehen und durch Anklammern an weiter rückwärts gelegene günstige Verteidigungsabschnitte einen 20*
Kräfte-
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Feldmarschall Conrad von Hötzendorf im Weltkriege.
ausgleich zu suchen .
Defensives Verhalten hätte es dem Gegner überlassen, entweder mit erdrückender Übermacht von beiden Flügeln zu umfassen, oder aber Österreich- Ungarn mit einem Teile seiner Kräfte zu beschäftigen und mit dem Überschuß in Deutschland einzubrechen.
Offensive war daher geboten , und zwar mit der Nordarmee Ausfallen mit möglichst starken Kräften gegen eine der in der Versammlung befindlichen russischen Gruppen und Aufhalten der anderen , bis sich die Hauptkraft nach einem Siege auch gegen diese wenden könnte. Ziel des ersten Ausfalls mußte die Gruppe im Norden zwischen Weichsel und Bug sein, da diese , wenn man gegen Osten vorstieß , in kurzer Zeit alle gegen Westen laufenden Eisenbahnverbindungen des Ausfallenden durchschneiden , diesen vom Innern der Monarchie und dem verbündeten Deutschen Reich abdrängen und zum Rückzug in die östlichen Karpathen zwingen konnte. Der Stoß gegen Norden versprach die wirksamste Entlastung Ostpreußens , falls der Gegner sich mit den Hauptkräften diesem zuwenden sollte. Es war selbstverständlich, daß Conrad v. Hötzendorf aus dem Süden für den großen Schlag heranzog, was dort, wenn man sich, zunächst mit der Abwehr begnügen wollte, irgendwie entbehrlich war, und daß er die ander Save aufmarschierte II. Armee auf den nunmehrigen Hauptschauplatz
zurückrollte,
was reibungslos unter schwierigsten UmMit dieser Armee, Marsch- und Landsturmtruppen zugerechnet , bot Österreich-Ungarn gegen Rußland an Infanterie zunächst 750 000 Gewehre auf. Der Aufmarsch der Hauptständen gelang .
armee erfolgte an der behelfsmäßig befestigten, Przemysl als Rückhalt habenden San - Dnjestr - Linie mit starkem linken Flügel in großem Rahmen wie folgt : Östlicher Heeresflügel , unter Sicherung gegen Osten durch eine Landsturmbrigade bei Czernowitz, Infanteriedivisionen bei Zaleszczyki , Armeegruppe Köveß , XII. Korps um Stanislau , III. um Stryj, nördlich des Dnjestr eine Infanteriedivision bei Brzeczany, Kavalleriedivision gegen den Zbrucz vorgeschoben als Stamm für die an den Dnjestr zu schaffende II. Armee Böhm - Ermolli ; im Raume Lemberg , gesichert durch starke Kavallerie in der Linie Zloczow- Zolkiew, die III. Armee , Brudermann , Landsturmformationen , XL. Korps ( Lemberg) , XIV. nördlich Sambor , unter dem Schutze von Kavallerie bei Lubaczow, IV . Armee , Auffenberg , VI. , IX. , II. Korps , später auch neugebildet das XVII. , Raum Jaroslau , Nordwestflügel , in linker Flanke gedeckt durch die Armeegruppe Kummer, Landsturmformationen und 1 Kavalleriedivision, die am 13. August die Grenze überschreitend , auf dem linken Weichselufer auf Annopol vorzugehen und deren nördlichem Flügel sich das gegenüber Kalisch- Czenstochau
Feldmarschall Conrad von Hötzendorf im Weltkriege.
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bereitgestellte deutsche Landwehrkorps Woyrsch anzuschließen hatte, I. Armee , Dankl : X. , V. , I. Korps , 2 Kavalleriedivisionen . Aufgabe des deutschen Ostheeres , das amtliche Quellen unserer Verbündeten zu 17 Divisionen angeben , sollte sein , möglichst starke Kräfte der nördlichen russischen Heeresgruppen auf sich zu ziehen und den ersten Kampf der Verbündeten zu erleichtern. Bis zum 17. August stellte Fernaufklärung durch Heereskavallerie und durch an Zahl unzureichende Flieger fest , 1. daß die Räumung des russischen Gebietes westlich der Weichsel im Zuge , 2. daß der Aufmarsch des Gegners weiter vorgeschritten und die Mobilmachung sehr viel früher begonnen worden sei, als man angenommen hatte, 3. daß die Versammlung der Grenzkorps , östlich der Weichsel bis zum Dnjestr, durch starke Kavallerie gedeckt , vollendet und diese Korps zum Teil näher an die Grenze geschoben worden seien. Das Vorgehen einer Reihe russischer, von starker Infanterie unterstützter Kavalleriemassen beiderseits des Bug bei Brody und über den Sbrucz deutete darauf hin, daß die umklammernde Hand sich bald zur Faust schließen würde. Die genannten Feststellungen und diese
Geschehnisse mußten
dazu spornen, den Entschluß zum Handeln , auch unter den wesentlich ungünstiger gewordenen Verhältnissen , schnell zu fassen. Starke russische Heeresgruppen waren mit Sicherheit im Raume Lublin, und an der Eisenbahn Brest-Litowsk- Iwangorod festgestellt ; über die Kräfte bei Dubno und jenseits des Zbrucz bestand weniger Gewißheit. Klar war die feindliche Absicht , aus den durch die Grenzgestaltung gegebenen Fronten , die rasch erfolgte Versammlung der Streitkräfte ausnützend , konzentrisch in Ostgalizien einzubrechen. Wollte man dem Gegner zuvorkommen, so war rasches Handeln unabweisbare Vorbedingung. Die völlige Versammlung des Heeres konnte nicht abgewartet werden. Der am 18. August nachmittags aus Przemysl erlassene Befehl spiegelte die in der Nacht zu diesem Tage gefaßten kühnen Entschlüsse wieder. Am 21. August hatten die I. Armee mit starkem linken Flügel von der Sanmündung bis zum Tanew, nördlich Tarnogrod, zum Vorgehen in nördlicher Richtung , die IV. Armee anschließend , mit der Front über Cieszanow bis Niemirow, für ein Vorbrechen nach Norden , Nordosten oder Osten gruppiert , bereit zu stehen und die vorwärts zu versammelnde III . Armee , den Raum von Lemberg haltend, Köveß die südlich des Dnjestr aufmarschierten Korps an die Strecke Jezupol - Zydaczow für eine Offensive über den Fluß heranzuschieben. Weitere Klärungen ließen, trotz mehreren unzutreffenden Nachrichten, an dem Gedanken des
260
Feldmarschall Conrad von Hötzendorf im Weltkriege .
18. August, zwischen festhalten.
Offensive Weichsel
in und
nördlicher Bug
Richtung
gemeldeten
gegen
die
Heeresmassen ,
Die Einzelverfügungen faßt am 22. August ein Gesamtbefehl noch einmal zusammen, er ist auch ein weiteres Beweis dokument für Conrad von Hötzendorfs erste große Stunde. Er verlegte die I. und IV. Armee noch weiter feindwärts in Richtung auf Lublin und Cholm. Am 22. August abends war die Lage in großen Zügen ungefähr die folgende : In der Front Niemirow- Sanmündung , rechts gestaffelt , westlich der Weichsel durch die Gruppe Kummer- Woyrsch an Czarna und bei Kielce gesichert, die Hauptkraft . 350 Bataillone , 150 Eskadrons , 150 Batterien , sprungbereit zur Offensive gegen die zwischen Weichsel und Bug gemeldeten russischen Kräfte : zwischen Wieprz und Weichsel (Dankl) wie zwischen Huczwa Huczwa und Bug ( Auffenberg ) , eine schwächere , rund 200 Bataillone , 170 Eskadrons , 150 Batterien zählende Gruppe in Versammlung gegen den Raum von Lemfeindlichen Einbrüchen in Ostgalizien entgegenzutreten.
berg, um
aber auch befähigt , starke Kräfte zur Hauptoperation in nördlicher Richtung abzuzweigen. Von unsäglichen Mühen, von todesverachtender Tapferkeit hat die Kriegsgeschichte zu berichten in den Ereignissen, die im gewaltigen Ringen den Stoß nach Norden in Feindesland tragen ließen zu den Erfolgen von Krasnik und Zamosc - Komarow. Vom 23. bis 25. währte die unter dem Namen Schlacht von Krasnik zusammengefaßte Gruppe von Kämpfen gegen die nach und nach auf 12 Divisionen anschwellende IV. russische Armee , einsetzend mit dem schon auf vorbereitete
Stellungen treffenden Angriff des
I. und 1/2 V.
(Pozsonyer) Korps auf Polichna (an der Straße Janow- Krasnik) vom 23. August, der erfolgreich am 24. und 25. vor Krasnik führte, während 1/ der rechte , südlich erfolgende Flügel der I. ½2 V. und X. Korps sich bei Frampol starke russische Kräfte ( XVI. und Gren. - Korps ) zu erwehren hatte und erst Freiheit der Vorwärtsbewegung nach Norden erhielt, als das I. Korps des linken Flügels durch Umfassung den zähen Verteidiger zum Räumen von Krasnik zwang. Die dreitägige Schlacht von Krasnik war gewonnen . Die Armeegruppe Kummer-Woyrsch, auf Annapol -Zawichost dirigiert, war westlich der Weichsel in Linie Sobotka - Ostrowiec gelangt, deutsche Landwehr bis Szydlowiec. Conrad von Hötzendorf hatte unterdes die Gewißheit gewonnen.
daß zwischen Weichsel und Bug die IV. und V. russische Armee mit mindestens 14 Divisionen aufmarschierte und daß in Ostgalizien der Gegner mit starker Kavallerie gegen Radziechow, mit dem XI. Korps
Feldmarschall Conrad von Hötzendorf im Weltkriege.
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von Brody auf Zloczow, mit Kolonnen aller Waffen von Osten über Tarnopol und Trembowla , mit schwächeren Kräften über Czortkow und Borszczow im Vormarsche war.
Das Festhalten an dem Plane ,
den zwischen Bug und Weichsel gefundenen Feind zu schlagen , bedingte dann 1. die Verstärkung der Nordgruppe und Verlängerung der Front nach Osten , um zu raschem Erfolg und Freiwerden von Kräften gegen andere Gruppen zu kommen , aber auch mögliche Vorstöße des Gegners gegen die östliche Flanke der IV. Armee aus dem Raume Bug-Huczwa zu begegnen.
2. Gegenüber der Gefahr, die
von Brody anrückenden feindlichen Kolonnen sich gegen den Rücken der Stoßgruppe wenden zu sehen, ein Entgegentreten der Abwehrgruppe östlich Lemberg,
etwa in der Gegend
des
obersten Bug.
Offensive Lösung erschien auch hier erwünscht , um einem Teile der in breiter Front zwischen Radziechow und Trembowla vorrückenden Kolonnen einen Schlag zu versetzen.
Die Aufgabe, das
Vorgehen in der Hauptrichtung auf Lublin fortzusetzen , zwang die I. Armee, gegen die anwachsende IV. russische eine Reihe schwerer Kämpfe zu führen, von denen wir nur Turobin , Wilkolas , Krasnostav , Karczeno , Chodel nennen , bis sie auf einen Tagemarsch vor Lublin gelangte, wo sie gegen einen an Zahl überlegenen , stark verschanzten Feind einen schweren Frontalkampf zu leisten hatte. Die IV. , zwischen Huczwa und Wieprz vorstoßende Armee , der auch das XVII. neuformierte Korps zugewiesen worden und deren rechter Flügel sich unter Erzherzog Josef Ferdinand 2 Infanterie-, 1 Honved - Division anschließen sollten, hatte in dem Gedanken, die im Raume Komarow und Djnowiec vorhandenen russischen Kräfte durch Einschwenken . beider Flügel einzukreisen , am 28. August mit dem Kaschauer Korps bei Tomaszow, mit dem Leitmeritzer und Wiener bei Suchawola. Erfolge erreicht , dafür aber auch starke russische Massen aus dem Winkel zwischen Hucza und Bug zu Flankenstößen gegen den Sieger herangerufen. Zäh verteidigt hielt er die starke, an der Straße Tomaszow -Zamosc liegende Stellung noch, obwohl am 27. August das im Rücken liegende Zamoscz schon genommen war . Gegen das dortige II . Korps und die zur Verbindung mit Auffenbergs linkem Flügel auf das östliche Ufer vorgeschobene rechte
Flügeldivision Dankls
drückten starke
russische Kräfte vom Wieprz. Der 28. August konnte zum kritischen Tage erster Ordnung werden : Gegen Tarnawka keine Fortschritte, bei Zamosc schwankender Kampf, auf Tomaszow ein gewisses Weichen , wenn nicht die 3 Divisionen Erzherzogs Josef Ferdinands und auf dem anderen Flügel des Kaschauer Korps , das XVII. , jetzt fühlbar geworden wäre . An den Divisionen des Erzherzogs brachen sich am
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Feldmarschall Conrad von Hötzendorf im Weltkriege.
28. August aus dem Huczwa-Bugwinkel vorstoßende russische Verstärkungen, das XVII . und das Kaschauer Korps wiesen bei Tarnowka russische Angriffe ab, das Leimeritzer ging nach Rechtsschwenkung in Richtung Straße Tarnawatka -Zamosc , wie nördlich 2 Divisionen des II . Korps gegen die russische Kampfgruppe bei Komarow umfassend vor. Der Oberlauf der Huczwa sah an den beiden letzten Augusttagen auch heftige Kämpfe, bis am 1. September die Einnahme von
Komarow die
Schlacht gleichen
Namens
entschied.
Die IV. Armee wäre ja nun befähigt gewesen , weiter gegen Cholm vorzustoßen , die Früchte des Sieges zu pflücken und Dank zu entlasten , wenn nicht eine übermächtige russische Flut über Ost- und Südgrenze in Galizien eingebrochen wäre und nicht Auffenbergs schleuniger Hilfe bedurft hätte. Die Ausdehnung der nördlichen Kampffront zwischen Huczwa und Bug hatte den über Brody vorgehenden Feind, bei Einschwenken nördlich Busk gegen Nordwesten , zu einer schweren Gefahr für Auffenbergs Rücken werden lassen , Einsatz der Lemberg sollte diese Gefahr bannen . das Lemberger Korps gegen Krasno,
Ostgruppe östlich Am 25. August trat
Busk den Bug- Übergang an
der Bahn Lemberg -Brody, das Grazer Korps und das rückwärts gestaffelte Siebenbürger Korps den Marsch auf Zloczow (also gegen die Front des oberen Bugraums) an , die Flanke der Stoßgruppe gedeckt durch je 1 Infanterie- und Kavalleriedivision . Kavalleriedivisionen sollten das Vorgehen russischer Kavalleriemassen vom Zbrucz verhindern.
Als Rückhalt für sie waren die am 25. August mit der Bahn
südlich des Dnjestr heranrollenden Truppen Boehm-Ermollis bestimmt. Da auch der Gegner seine Bewegungen fortsetzte , 26. August im schlacht .
so begann am
Raume westlich Zloczow die Begegnungs-
Überlegene Zahl , überlegene Artillerie , Hilfe durch ein
engmaschiges
Beobachterspionennetz
auf
Seiten
der
Russen,
am
Dnjestr schon vergebliches Angreifen des Brückenkopfes Nizniow durch den Gegner ; österreichischerseits von den heranrollenden Kräften der II. Armee 1 Honveddivision südlich Mertinow versammelt , das VII. Korps östlich Zydaczow in der Versammlung begriffen , am Abend des 26. August die Lage der III. Armee wenig geklärt, das Schlachtfeld aber behauptet .
Bedrohliche Nachrichten aus dem Südraum häuften
sich : starke Massen hinter den Kavalleriekörpern, feindliche Kräfte durch Bedrohung der Verbindungen den Verteidiger der Bukowina zwingend, auf Stanislau abzuziehen und Weichen des Schutzes des gegen Zloczow vorstoßenden Südflügels über Brzezany an die Slota-
Feldmarschall Conrad von Hötzendorf im Weltkriege.
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Lipa vor russischen Kolonnen, die bald einen großen Einfluß auf den Gang der Schlacht haben sollten. Hatte man, nach Heranziehung einer Landwehr- und ½ Landsturmdivision über Lemberg und einigen glücklichen Gegenstößen des Siebenbürger Korps , am 27. August die Hoffnung gehegt , durch Flankenstoß dem schwerringenden Grazer Korps Entlastung zu schaffen , so mußte der starke Druck der Brzezanykolonne sie zunichte machen .
Das Weichen des Siebenbürger Korps , die erzwungene
Rückwärtsbewegung des Lemberger Korps bei Busk, machten auch für das Grazer Korps das Aufgeben der Stellung nötig.
Die Gefahr
doppelter Umklammerung durch starke Überlegenheit führte in die nächste Stellung hinter die Gnila- Lipa bei Przemyslany und in die Nähe von Lemberg am 28. August zurück- ohne daß die Russen drängten. Als sie am folgenden Tage den Angriff wagten , sollten die mit dem Temesvarer Korps und 1 Honveddivision bei Rohatyn , mit 2 Divisionen zum Flankenstoß am Dnjestrbrückenkopf Halicz eingetroffenen Truppen Boehm -Ermollis den Hauptanstoß zu erfolgreicher Abwehr geben.
Die Flankierungsgruppe vermochte nicht, gegenüberstehende
starke Kräfte rechtzeitig zurückzudrücken und die am 30.
August
von russischer Überlegenheit erreichten Vorteile wettzumachen ; die Offensive des Nordflügels vermochte nicht , die Notwendigkeit des Rückzuges auf Lemberg zu beseitigen. Die Schlachten. von Zloczow und Przemyslany leiteten schwere Tage ein ; auf 20 Infanterie divisionen und sehr starke Kavallerie konnte man die in Galizien eingedrungenen Russen mindestens schätzen. Die durch die Grenzgestaltung erleichterte Umklammerung der Nordarmee von Norden und Osten brachte es mit sich, daß das Weichen einer Front auch auf die anderen bestimmenden Einfluß üben mußte , und die Möglichkeit , in den Rücken Auffenbergs zu gelangen, war für den Gegner nicht ausgeschlossen.
Auch
nach dem Ausgang der Schlacht von Przemyslany bestand aber die Notwendigkeit , den Kampf gegen die Übermacht weiter zu führen.
Die Aufgabe des Nordheeres im Rahmen des
Kriegsplanes
war
noch
nicht
erfüllt ,
Züge mit russischen
Verstärkungen rollten ununterbrochen dem Schauplatz des Ringens zu, das seit einer Woche den Raum zwischen Weichsel und Dnjestr erfüllte.
Aufgeben
des
Kampfes
in
diesem
Augenblick ,
Rückführung des Heeres etwa in eine Stellung hinter dem . San , hätte den Russen erlaubt , den ganzen Strom noch nicht eingesetzter Verstärkungen gegen Deutschland zu lenken . Nur durch scharfes Wiederanfassen war es dem
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Feldmarschall Conrad von Hötzendorf im Weltkriege.
Nordheere die
Österreich - Ungarns
russischen
Hauptkräfte ,
möglich ,
seiner
von denen
sich
Aufgabe , bis
dahin
über 40 Divisionen gegen unsere Verbündeten gewandt hatten , zu binden , weiter gerecht zu werden. Die Durchführung dieser offensiven Absicht bedingte schnelle, wirksamste Entlastung der am meisten gefährdeten und weiter zurückgehend auch den Rücken der Nordgruppe bloßlegenden III. Armee. Einsatz der siegreichen Armee Auffenberg in Richtung Lemberg eine freilich ungemein schwierige Aufgabe
versprach
diesen Erfolg . Die Heeresleitung trug sich , neben dieser , auch mit der anderen Hoffnung , durch Flankenstoß der an den Dnjestr zurückgegangenen Armee Boehm- Ermolli Brudermann Luft zu machen. Auf der Grundlage dieser Hoffnungen Stiles , die
baute
sich ,
als
neuer
Waffengang
großen
Schlacht von Lemberg auf.
Die am 1. September noch um die Siegespalme im Norden ringende IV. Armee stand ein Meisterstück militärischer Technik bei einer Masse von in fechtendem Vordringen befindlichen Korps mit allem , was ihnen folgt , zumal bei minderem Wegenetz - am 3. September schon , Front nach Süden befehlsgemäß , durch eine Gruppe an der Solokija verschleiert , mit dem IX. , VI. , XVII. Korps in der Linie TomaszowKorczmin zu Vorstoß bereit. Nach Norden deckte ihren Rücken Erzherzog Josef Ferdinand mit 2 Infanterie- und 2 Kavalleriedivisionen , beauftragt, den geschlagenen Feind bis an den Bug zu verfolgen und auch zu verhindern , daß er sich erneut gegen die IV. Armee wende. Die russischen Hauptkräfte aus dem Kampfraum Przemyslany schlugen , wohl auf dringendes Bitten der bei Komarow geschlagenen V. russichen Armee , die Richtung nach Nordwesten ein.
Der Rest
schob sich langsam von Osten und Süden gegen Lemberg vor , schloß am Dnjestr den Brückenkopf Halicz ein und bewegte sich zwischen Fluß und Lemberg langsam vorwärts. Der Hauptstoß war gegen die IV. Armee zu erwarten , zum Binden der russischen Kräfte konnte man dann vielleicht die Ostgruppe flankierend einsetzen .
Eine kurze
Ruhepause und die Bildung einer Masse für den Flankenstoß waren aber unabweisbar notwendig ! Lemberg mußte geräumt werden. Das Halten der Stadt in den sie umgebenden , der schweren Artillerie nicht standhaltenden Erdwerken verlangte eine dann sicher auf unbestimmte Zeit gebundene Armee. Für die bevorstehende Feldschlacht war aber jeder Mann nötig, eine Ruhepause wäre unmöglich gewesen, feindliche Truppen von Norden (Korlikow) fochten am 1. September schon an die Tore der Stadt.
Vom Gegner unbelästigt wurde die
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III. Armee bis zum Abend des 3. September hinter der Weresczycalinie und der Janower Waldzone versammelt, mit starkem Nordflügel, durch 1 Division der II. Armee bei Komarow gedeckt , die unteren Weresczyca - Übergänge besetzt , der Rest setzte südlich des Dnjestr die Bewegung zur Vereinigung mit dem bei Sambor ausgeschifften IV. Korps fort. Die IV. Armee bewegte sich auf Rawaruska und nahm bis zum 7. September, nicht ohne Kämpfe , mit dem rechten Flügel an die Bahn Jaworow-Lemberg gelangend , Anschluß an den Nordflügel der Weresczyca - Front . Am 8. September überraschte die Russen das Heranrollen eines kräftigen Angriffs über deren Niederungen. Boroevics Grazer und Lemberger Korps nahmen an und nördlich der Grodecker Straße die jenseitigen Höhen und den großen Janower Wald. Im Süden , bei Komarmo , drangen das Temesvarer und das mit der Bahn herangeführte Budapester Korps
in
die russischen Be-
Zwischen beiden genannten Gruppen hatte BoehmErmolli die Siebenbürger eingesetzt . Am 9. und 10. September war bei Boehm-Ermolli und Boroevic etwa 20 km Bodengewinn zu verfestigungen ein.
zeichnen , ferner Fortschritte des feindlichen Flügels , Vorkämpfen des Grazer Korps bis 15 km von Lemberg, Standhalten der IV. Armee nicht nur, sondern bei dieser auch Fortschritte auf dem rechten Flügel. Das Niederringen des zähen Gegners erforderte aber unabweisbar Zeit und diese wurde der Heeresleitung nicht gelassen. In der Absicht , zur Entscheidung alles einzusetzen , wurden von der Gruppe Erzherzog Josef Ferdinand 1 Infanterieund 1 Kavalleriedivision in den Raum Belz gezogen ; sie hatte nicht mehr die Kraft , was doch außerordentlich erwünscht gewesen wäre , über Zamose in den Kampf der I. Armee einzugreifen . Russische Kräfte vor der Front Grubieszow und Grabowiec, bald auch in der östlichen Flanke bei Sokal , zwangen dazu , alles Vorhandene zur Deckung des Rückens der IV. Armee einzusetzen. Hatten die Russen in den letzten Augusttagen auf den Druck Dankl- Auffenberg alle Aufmarschtransporte in den Raum zwischen Weichsel und Bug geleitet, so setzte beim Nachlassen dieses Druckes jetzt der Vorstoß nach Süden ein. Erzherzog Josef Ferdinand wurde. zur Räumung des Bug- Huczwa-Winkels und zur Annäherung an den Rücken der Armee Auffenberg gezwungen , der schon beim Vormarsch Rawaruska einen ostwärts gerichteten Defensivhaken hatte
über
bilden müssen. Im Raume Cholm bewegten sich starke gesammelte Kräfte auch gegen die rechte Flanke der Armee Dankl. Der Gedanke , mit dem Landwehrkorps Woyrsch die Lubliner Stellung westlich, und mit dem mittelgalizischen Korps östlich zu umfassen , mußte aufgegeben werden. Am 8. Sep-
266
Feldmarschall Conrad von Hötzendorf im Weltkriege.
tember hatte die I. Armee noch gehalten. Als aber am 9. September die Armeegruppe Kummer hinter die Wiznica weichen mußte und auch die rechts sich anschließende Division zurückging, am Nachmittage des 9. September der rechte Flügel des V. Korps und das zur Verstärkung des rechten Flügels auf die Höhen östlich Tarnawka dirigierte Landwehrkorps
Woyrsch
trotz
zähesten
Widerstands
eingedrückt
worden und endlich sich auch die Umgehung des rechten Armeeflügels immer schärfer und drohender aussprach und nur durch Verschiebungen von der Front entnommener Armeereserven dorthin abgewehrt werden konnte, blieb für den
General der
Kavallerie
Dankl nur
noch der Entschluß , seine ganze Armee , nach 17 Tagen ununterbrochenen Kampfes , während dessen sie vorgedrungen ,
bzw. als Vorwärtskommen
nicht
mehr
mög-
lich , zäh standgehalten hatte , vom Feinde loszulösen. Der von der Heeresleitung gebilligte Entschluß ging dahin , zunächst auf Krasnik- Tarnopol zurückzugehen , nördlich der Tanew- Waldungen den Gegner so lange aufzuhalten, bis die ganzen Trains die sumpfige Tanew-Niederung passiert hätten und dann hinter den unteren San abzuziehen.
Von der Cholmer Gruppe (Garde , Grenadiere, und Kau-
kasier) war ein Bedrohen des Ostflügels der I. Armee , ein Hineinstoßen in die Lücke zwischen der I. und IV. Armee die zu schließen die verfügbaren Kräfte nicht ausreichten
und damit gegebenenfalls
ein Weg in den Rücken der Schlachtfront zu befürchten. Den Entschluß zur zweiten Schlacht von
Lemberg
Flügelarmee
die Rückwärtsbewegung der linken (I. Dankl) zwar nicht um , da der Stand der Schlacht von
warf
der Heeresleitung hier günstig beurteilt wurde und man Südflügel einen baldigen
nach den Meldungen auf dem
vollen Erfolg erwartete , befristete aber den Zeitpunkt , bis zu dem eine taktische Entscheidung herbeigeführt sein mußte. Der Plan , die II III. und möglichst starke Kräfte der IV . Armee gegen Lemberg vorgehen zu lassen , während der linke Flügel der IV. Armee mit der Gruppe Erzherzog Josef Ferdinand diesen Angriff in Flanken und Rücken decken sollten, wurde beibehalten. Bei der II. und III. Armee war am 10. September auch Bodengewinn gegen Lemberg festzustellen , bei der IV. Armee kam der bis dahin vorgetragene Angriff des IX. und VI. Korps nur wenige hundert Meter vor den feindlichen Schützengräben zum Stehen. Dauernd schwieriger gestaltete sich, während der Kampf am rechten Flügel und in der Mitte der Schlachtfront langsam bzw. schneller vorwärts ging, die Lage bei der Gruppe des Erzherzog Josef Ferdinand, obwohl ihr auch das XVII. Korps unterstellt worden war. Als das II. Korps an die Rata
Feldmarschall Conrad von Hötzendorf im Weltkriege .
267
zurück mußte und als am Nachmittag des 10. September der Marsch einer starken feindlichen Kolonne von Narol gegen Blurow festgestellt wurde, blieb kaum etwas anderes übrig, als Flügel der
Mitte
zurückzubiegen.
IV. Armee
und linken
Auffenberg wählte
dafür die allgemeine Linie Niemirow- Cieszanow. Als die Meldung von diesem Entschluß in den Frühstunden des 11. September bei der Heeresleitung einging, wußte diese von der I. Armee, daß die Russen mit starken Kräften in der Front , besonders aber gegen Bilgoraj in der östlichen Flanke folgten, die Rückwärtsbewegungen Dankls sich aber planmäßig vollzögen . Weitere Nachrichten ließen das Vorgehen starker Kräfte auf Rawaruska , Zieszanow, Jozefow, Bilgoraj erkennen, südlich des Dnjestr von Stryj auf Drohowycz , und die Bildung einer neuen Heeresgruppe von Stanislau bis in die nördliche Bukowina. Die Gesamtlage war eine sehr schwierige
geworden ,
die günstigeren
Nachrichten vom
Süd-
flügel vermochten die Tatsache nicht wegzuschaffen , daß die Lücke zwischen den Hauptkräften bei Lemberg und der an der San zurückgehenden I. Armee für den Rücken der ersteren eine schwere Gefahr bedeute. Um rund 200 Bataillone überlegene Kräfte standen den Russen hier zur Verfügung , bei jeder Infanterie division erreichte ihre Artillerie , die nicht minderwertig ist, daß 1½ fache derjenigen einer der Verbündeten, und gerade in der mehrfach genannten Lücke wurde diese Überlegenheit besonders fühlbar. In der Mittagsstunde des 11. September reifte bei der Heeresleitung daher der Entschluß , unter Abbrechen des Kampfes
die
Armeen
hinter
den
unteren
San
zurück-
zuführen , um , selbst unter Aufgeben heimischen Bodens , die Schlagkraft des Heeres für weitere wichtige Aufgaben zu erhalten.
Der Geist der Truppen war nicht erschüttert , in dem
festen Willen zum Siege war man bis an die äußerste Zeitgrenze gegangen,
das
Hauptziel des
bisherigen
Ringens
erreicht ,
die
ge-
waltige russische Übermacht angezogen , Hindenburg Zeit verschafft . In der Nacht zum 12. September begann man sich aus der Lemberger Schlacht vom Feind loszulösen zur Bewegung hinter die Linie des San . Als der an Zahl weit überlegene Gegner sich zu neuen Unternehmungen rüstete, sah er sich durch einen neuen wuchtigen Angriff bedroht , dessen Grundlagen zum großen Teil Tannenberg und die erste Masurenschlacht geschaffen hatten . Was die Russen als Niederringen des Widerstandes Österreich-Ungarns ansahen , war nur eine erste Etappe auf dem Wege zu dem Ziele , durch immer neue Schläge die ziffernmäßige Überlegenheit der Moskowiter zu zermürben.
268
Die Jungschützen bewegung im Auslande. Conrad von Hötzendorfs erste große Stunde im Welt-
kriege
hatte
den
Gedanken
des
,,Wann“ und „ Wie“
der
ersten Tätigkeit unserer Verbündeten auf dem östlichen Schauplatz geboren .
Sie allein schon würde den Feldmar-
schall in den Kreis der Führer großen Wurfes einreihen.
XXV.
Die Jungschützenbewegung
im Auslande .
Von Prof. Broßmer, Oberleutnant d . Res.
Obwohl in der Schweiz noch kein obligatorischer militärischer Vorunterricht oder Schießdienst besteht , strömt die Jugend doch freiwillig den Turn- und Schießplätzen zu , weil eine tiefgehende , staatsbürgerliche Erziehung das patriotische Denken in allen Schularten zielbewußt betont . Zudem weist eine schicksalsreiche Landesgeschichte und das überzeugende Beispiel des sein ganzes Leben hindurch im Waffengebrauch sich übenden Schweizer Bürgers das heranwachsende Geschlecht auf den Inhalt der Wehrtüchtigkeit im althergebrachten Rahmen der Volksfeste und der Freundschaftspflege hin. So tief haben sich in diesem Lande die Wurzeln praktischer Wehrkraft in den vaterländischen Boden gesenkt , daß der nationale Schießdienst ein unentbehrliches Mittel der Volksfreude und der beliebteste Gegenstand der heimatlichen Feste geworden ist . Immer neue Nahrung wird diesem Baume zugeführt . Dem Volksschüler wird erzählt , daß schon des Tellen kleiner Bube die Armbrust gespannt . Diese Versenkung in den ruhmvollen Werdegang des Vaterlandes, verbunden mit begeisternden Schilderungen der landschaftlichen Reize der Heimat , sind die sicheren Grundlagen, auf denen der Schweizer Lehrer einen starken , willensharten Hang zur Scholle aufbaut , der seine innere Würde in dem festen Glauben an eine besondere politische Aufgabe der Eidgenossenschaft findet . Die Forderungen der Landesverteidigung durch das Volksheer, als eine nationale Sicherheit im weitesten Sinne verkörpert , erzeugten rückwirkend fruchtbare Einwirkungen von Bedeutung für das geistige und leibliche Wohl der Gesamtheit.
Einrichtungen , wie die theoretische und physische Re-
krutenprüfung, der sich seit dem Jahre 1874 alle Gestellungspflichtigen
Die Jungschützenbewegung im Auslande.
269
ohne Ausnahme unterziehen müssen , geben in jedem Jahre einen Überblick über den Wert der geistigen Bildung aller Schichten und mancherlei Hinweise für die vorbeugenden Maßnahmen der Volksgesundheitspflege . Ein anderswo kaum erreichter Grad von erzeugender Zusammenarbeit verschiedenartigster Faktoren ! Was aber die Herzen stets warm und das Auge hell erhält , ist das unaufhörliche Wirken der Mehrzahl der Volksschullehrer auch nach ihren eigentlichen Berufsstunden im Getriebe des öffentlichen nationalen Lebens. Sie unterlegen dem Vorunterricht in ganz richtiger Weise nicht nur militärisch verstandene Zwecke, sondern sie erfüllen ihn mit allen moralischen Notwendigkeiten einer allgemeineren Erziehung im Jünglingsalter. Ihre anerkennenswerten Erfolge in den arbeitenden Massen erklären sich nicht zuletzt durch das Vertrauen , das sie durch Tun und Können als Stützen des schweizerischen Volksgedankens genießen.
Man trifft den Lehrer
oft in Turnvereinen, Jugendriegen und vor allem in den militärischen Vorunterrichtsorganisationen. Im Jahre 1915 waren im Kanton Luzern sieben Lehrer als Sektionsleiter und im Kanton Aargau von 14 sich beteiligenden Lehrern neun als Kreisleiter des Vorunterrichts tätig , der in bestimmter Form auch Waffenübungen umfaßt. Die neuzeitliche Schießschule schließt in ihren Methoden die historische Entwicklung der eidgenössischen Schützenbewegung ein. Ganz den Blick auf glorreiche Kampftage der Vergangenheit und auf die glänzenden Umzüge der waffenfertigen schweizerischen Jugend des 15. und 16. Jahrhunderts gerichtet , gebrauchen die namentlich auf dem Lande verbreiteten Armbrustschießvereine eine billige Waffe zur Kräftigung von Aug und Hand.
,, Kein Dörflein sollte sein, in dem
nicht Armbrust oder Flobert vorhanden, in dem nicht tüchtige Schützen mit warmen Herzen für die Jugend ihr beibringen, was sie zum Nutzen unseres Landes für notwendig erachten müssen . " In der Tat kümmert sich der Bund in planvoller Leitung seit ungefähr 50 Jahren um die Schießausbildung des ganzen männlichen Bevölkerungsteiles vor und nach der Ableistung der gesetzlichen Wehrpflicht . Um Hand und Auge des Mannes gewandt beim Schuß im Militärdienst zu erhalten, hat die Regierung zum ersten Male im Jahre 1864 denjenigen Schießvereinen staatliche Beihilfen gewährt , die mit dem zu jener Zeit als Armeewaffe eingeführten, kleinkalibrigen Hinterlader schossen. Zudem ergibt sich ein pflichtmäßiges Interesse jedes gedienten Mannes durch den Umstand, daß jeder dienstfähige Subalternoffizier, Unteroffizier und Mann jedes Jahr vier Übungen zu sechs Patronen auf 300-400 m bei einem Schießverein zu erfüllen hat. Leute , die keinem Schießverein angehören, müssen bei einer Truppenübung die Schießfertigkeit nachweisen.
So kann oft der Fall eintreten , daß alle männlichen Mitglieder
270
Die Jungschützenbewegung im Auslande.
einer Familie zugleich im Schützenverein sich üben.
Damit wird jene
heilige Tradition gefestigt, die als feste Grundlage der Landesverteidigung angesehen werden muß .
Besonderen Wert legen die Schieß-
vereinigungen, von Staats wegen durch die bundesrätliche Verordnung über den Vorunterricht vom 2. November 1909 anerkannt , auf die Ausbildung der Jugendlichen vom 18. Lebensjahre an. Es besteht insofern eine
segensreiche , enge Arbeitsgemeinschaft
zwischen den
behördlichen Organen der Wehrerziehung und den Schützengilden, als jährlich ca. 4-5000 Jungschützen in freiwilligen und unentgeltlichen Kursen von erfahrenen und erprobten Mitgliedern der "" Feldschützenvereine" in die Schießkunst eingeführt werden. Zur Deckung der Kosten, einschließlich Munition , erhalten die Vereine für jeden Jungschützen eine Entschädigung von 5 Franken , für jeden Reservisten, der seine Bedingungen erfüllt hat, 2 Franken zugewiesen .
Jahr
für Jahr gibt der Bund rund 2 Millionen nur für die Schießvereine aus , denen auch noch kantonale Mittel zufließen . Die erforderlichen Waffen erhalten die Organisationen durch Überweisung aus den kantonalen Zeughäusern . Das Übungsprogramm umfaßt eine Einführung über das Zerlegen, Zusammensetzen und Reinigen des Gewehres. Die unmittelbare Schießvorbereitung verlangt eine reglementarische Handhabung der Waffe in den verschiedenen Körperstellungen , Laden und Entladen , Anschlagen, Anleitung und Übungen im Zielen , Druckpunktnehmen und Schußabgabe . Diesem ersten Teil sind für drei Schießtage mindestens 30 Patronen zugedacht, die gegen Scheibe A (quadratische Scheibe von 1,8 m Seitenlänge) auf 2-300 m verfeuert werden .
Die
Hauptübungen verlangen unter je sechs Schüssen knieend und liegend freihändig bei 300 m Entfernung ein Resultat von zehn Punkten und zwei Treffern. Die erzielten Erfolge werden jedem Teilnehmer in ein als Ausweis dienendes Schießbuch eingetragen.
Aber die Mehrzahl der Jünglinge von 16-20 Jahren, ungefähr 14000, empfangen ihre Schießanleitung durch den freiwilligen bewaffneten militärischen Vorunterricht gemäß der Militärorganisation und den gesetzlichen Vorunterrichtsverfügungen. Während der rein turnerische Vorunterricht ohne Bewaffnung durch die eidgenössischen Turnverbände durchgeführt wird , empfängt der bewaffnete Vorunterricht seine Leitung durch ein aus Offizieren oder höheren Unteroffizieren gebildetes Kantonalkomitee. Zur Durchführung des bewaffneten Vorunterrichts werden gemeindeweise Abteilungen (Sektionen) von mindestens acht Jungmannen aufgestellt .
Nicht selten sind solche
Wehrabteilungen privaten Lehranstalten, Fortbildungs- und Fachschulen angegliedert. In größeren Sektionen hält man für je acht bis
271
Die Jungschützenbewegung im Auslande. zwölf Schüler eine Lehrkraft für nötig.
Je acht Unterrichtsstunden
der in Uniform tätigen Offiziere und Unteroffiziere gelten als ein Diensttag, der nach bestimmter Norm entschädigt wird .
Durch Anerziehung
einer guten Körperhaltung, Förderung der Gelenkigkeit soll der junge Mann im turnerischen Teil des Lehrganges auf den Wehrdienst vorbereitet werden. Da der bewaffnete Vorunterricht auch die Ausbildung im Schießen betreibt , legt er besonderen Wert auf das die Handhabung der Waffe vorbereitende Gewehrturnen. Im praktischen Schießbetrieb sind die Schüler in zwei Klassen eingeteilt.
Die erste Schieß-
klasse (erstes Ausbildungsjahr ) muß liegend schießen.
Die sicherster
Schützen dürfen in der zweiten Schießklasse den Anschlag im Knien benutzen. Die vom schweizerischen Militärdepartement am 2. Februar 1910 genehmigten Bedingungen ergeben sich aus der folgenden Zusammenstellung : I. Schießklasse .
a) Vorübungen : 15 Patronen. b) Hauptübungen : 1. Übung 200 m liegend aufgelegt , Scheibe A, 6 Schüsse 2. 300 m A, 6 99 99 99 3. 300 m A, 6 29 freihändig , II. Schießklasse.
a) Vorübungen : 10 Patronen . b) Hauptübungen : 1. Übung 200 m liegend aufgelegt , Scheibe 2. 300 m 99 99 3. 300 m freihändig, 99 4. 300 m knieend 99
B , 6 Schüsse B, 6 99 B, 6 A, 6
99
Für das erste Schießjahr werden 10 Punkte (etwa 20 Ringe unserer Ringscheibe) und 4 Treffer, für die höhere Klasse 11 Punkte (25 Ringe) und 5 Treffer verlangt. Für die Dauer der Kurse geben die kantonalen Ausrüstungsverwaltungen Exerzierblusen, Gewehre mit Zubehör , Patronentaschen mit Leibgurt leihweise ab .
Das zuständige Zeug-
haus liefert die Munition.
Während die Jungschützenkurse und der bewaffnete Vorunterricht (1884 Offiziersgesellschaft Zürich) verhältnismäßig neuzeitliche Bestrebungen darstellen, sehen die Kadettenkorps der Schweiz als Träger vaterländischer Gesinnung auf eine mehr als 150 jährige Geschichte zurück (Zürich und Bern 1759 , Zürich 1789) . Sie umfassen etwa 7500 Knaben , hauptsächlich Mittelschüler, beruhen auf Gemeindeverordnungen und sind mit dem Schulwesen eng verbunden . Seit 1870 nimmt auch der Bund ein förderndes Interesse an der Entwicklung 21 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 549.
272
Die Jungschützenbewegung im Auslande.
der Kadettenkorps. In diesem Jahre ließ die Staatsleitung ein Kadettengewehr, System Vetterli , herstellen , das zum Selbstkostenpreis an die Vereinigungen abgegeben wurde. Dann folgte 1887 ein vom Militärdepartement erlassenes ,, Provisorisches Regulativ für die Schießübungen von Schülern der Mittelschulen und Gymnasien" , das für Schüler über 14 Jahre Geltung hatte. In der ersten Schießklasse standen 30, in der zweiten 40 vom Bunde gelieferte oder ersetzte Patronen zur Verfügung. Nach der Neubewaffnung der schweizerischen Armee ( 1891 ) erhielten auch die Kadetten das Modell 1897 ( Kaliber 7,5 , Einlader von 110 cm Länge) mit der Vergünstigung eines Bundesbeitrages von 50 Prozent (Frs. 36,50) pro Gewehr. Das Schießen muß nun nach den militärischen Vorschriften erfolgen. Die Munitionsentschädigung beträgt für jeden erfolgreichen Schüler 5 Franken. Die Bedeutung der Kadettenkorps liegt in dem Heranziehen eines moralisch hochstehenden begeisterten Offiziers- und Unteroffiziersersatzes. Als ausgezeichnete Führerschulen sind die Kadettenkorps die Pflegestätten der echt schweizerischen Idee des Milizheeres .
In
vielen Gymnasien und Realschulen hat das Kadettenwesen durch die Aufnahme des militärischen Unterrichts in den allgemeinen Lehrplan für immer festen Fuß gefaßt. Die 3750 über 14 Jahre alten im Schießen ausgebildeten Kadetten bringen die Zahl der schießkundigen Jünglinge auf ungefähr 20-25000. Wenn man bedenkt, daß im Jahre 1910 die Zahl der Ausgehobenen 20000 betrug, so wird der praktische Wert dieser Maßnahmen einer stark gegliederten aber einheitlich geleiteten Wehrerziehung Anerkennung fordern .
hohe
Die jährlichen Auslagen des Bundes für den
gesamten Vorunterricht erreichten 1911 rund 450000 Franken .
Wenn das schweizerische Wehrschützentum ein erprobtes Stück althergebrachten Volkstums und nationaler Sitte in sich schließt , sind die entsprechenden Bestrebungen in Frankreich nur unter den seit 1871 bestehenden Rachegedanken, unter dem stets betonten Trotzspruche des ,,Quand-même" zu begreifen. In diesem Lande ist das Ziel stets die Vergrößerung der militärischen Stoßkraft für den Tag ,, Jeunes gens , der ersehnten Sühne nationaler Schmach gewesen. apprenez à tirer pour être un soldat de valeur ... Faites partie des sociétés de tir, créez-en là où il n'en existe pas, encouragez vos camarades et vos amis, c'est là du patriotisme ! Devenir un tireur , c'est un devoir. " So spricht ein Stabsoffizier, chevalier de la légion d'honneur, officier d'Académie , zur französischen Jugend . Die ganze Erziehung wird unter dem Grundsatz der Wehrkraft beurteilt. Darum findet.
273
Die Jungschützen bewegung im Auslande.
sich eine enge Zusammenarbeit des Kriegs- und Kultusministeriums unter diesem Gesichtspunkte. Dabei macht das Schießen mit der Heereswaffe einen wesentlichen und von den Behörden sehr betonten Bestandteil der militärischen Jugendvorbereitung aus .
Ein Rund-
schreiben des Kriegsministeriums vom 19. Februar 1907 gab Wege an für die Durchfüh ung des Schießunterrichts an den Mittelschulen. und Lehrerbildungsanstalten. Mit der größten Sorgfalt sollen geeignete Unteroffiziere als Lehrpersonal ausgewählt und der Lehrgang durch einen Offizier geleitet und überwacht werden. Und um die Idee im Boden des Volkes zu verankern , werden an den Lehrerbildungsanstalten Schießkurse abgehalten.
Alle Lehrer , die einen Schießverein gründen
oder leiten, können von der Ableistung einer oder zweier Reserveübungen befreit werden. Besondere Verdienste auf diesem Gebiete werden mit der Verleihung einer 100 Frs . jährliche Rente tragenden silbernen Medaille belohnt. Die schulentlassene Jugend und die Reservemannschaften haben. Gelegenheit, mit dem Dienstgewehr Lebel 1886/93, bei den sich der besonderen Gunst der Schießgesellschaften 1908 : 2050).
Regierung erfreuenden rasch anwachsenden
Waffenübungen
vorzunehmen
(1906 :
7-800 ;
Ihre zahlreichen Schattierungen setzen sich zusammen
aus den, gediente Leute umfassenden Landwehrschießvereinen, die in direkter Beziehung zu den Landwehrinfanterieregimentern (unseren Bezirkskommandos entsprechend ) stehen . Ihre Überwachung geschieht durch einen Oberstleutnant. Groß ist die Zahl der Volksschulen (3000 ) , die Schießabteilungen im Rahmen ihrer Anstalt bilden , und oft Abteilungen für entlassene Schüler gegründet haben. Die Schulvereine nicht eingerechnet , zählt die Organisation der ,,Union de Sociétés de Tir" ungefähr 2000 Vereine mit 300000 Mitgliedern und ist ganz im Gedanken der Wehrkraft geleitet. Jungmannschaften
sollen
durch
Die große Masse der französischen die
Vorbereitungsgesellschaften
(Sociétés de préparation militaire) erfaßt werden , die neben allgemeiner körperlicher und für unsere Begriffe starker soldatischer Ausbildung , auch den Schießdienst weitgehend berücksichtigen . Bezahlte Mannschaften und Offiziere, die sogar aus ihrem Standort für diesen Zweck abkommandiert werden dürfen , vermehren das Ausbildungspersonal. Waffen und Munition werden den Gesellschaften vom Staate mit der beachtenswerten Vergünstigung gestellt , die Schießstände , das Scheibenmaterial der Truppenteile und die Arbeitskraft der Pioniere in Anspruch nehmen zu dürfen . Im Jahre 1912 wurden für Preise 80000 Frs ., für Unterricht und Unterhaltung der Schießstätten 175000 Frs . und für Munition 2160000 Frs . von staatlicher Seite ausgeworfen .
So
erklärt sich die Blüte dieses Zweiges , der vor dem Kriege, noch ohne 21*
274
Die Jungschützenbewegung im Auslande.
obligatorische Regelung,
auf 1800 Vereine
mit 400000 Mitgliedern
angestiegen war. Der Leitstern für die Anforderungen des Jungschützen findet sich in den Bestimmungen des ,, Brevet d'aptitude " , eines durch Prüfung in verschiedenen Fächern vor einer Offizierskommission zu erlangenden Befähigungsnachweises , der zu einer Reihe von Vergünstigungen berechtigt.
Nach zwei Probeschüssen müssen in fortlaufender Reihe je
sechs Kugeln im stehenden , zwei im knieenden und liegenden Anschlag abgefeuert werden.
Die Schußweite regelt sich durch die Festsetzung.
daß der Durchmesser des um den Mittelpunkt des Achsenkreuzes gelegten Schießbleches , 1000 der Schießdistanz betragen muß. Zwei Kreise, von denen der größere 2/100 der Entfernung des Schützen als Durchmesser hat und ein kleinerer, der nur halb so groß ist , teilen die Scheibenfläche in verschiedene Abschnitte ein. Die Bewertung ist nach einem Punktsystem geregelt. Die Punktzahl 20 wird stets gegeben, wenn alle 18 Treffer innerhalb des kleineren Kreises liegen. Da neben der Schießgewandtheit auch andere militärische Dienstzweige bei dieser Prüfung verlangt werden, sind die Besitzer des Zeugnisses als ein Nachwuchs des Unteroffizierstandes anzusehen , der auf diese Weise in zwei- bis dreijähriger Tätigkeit der Gesellschaften um etwa 2600 Inhaber des Brevet d'aptitude vermehrt wurde .
Mitten
im Weltkriege hat Frankreich die schon seit dem Jahre 1908 geplante gesetzliche Regelung durchführen wollen , so daß in Zukunft die ganze landsturmpflichtige Jugend u . a . auch eine Schießausbildung genießen würde . Es steht außer Zweifel , daß dadurch die Wehrkraft im ganzen erheblich gesteigert wird.
Gleichsam eine Mischung der althergebrachten Überlieferung Volksschützentums in schweizerischer Empfindungstiefe mit
eines
dem Gebot der reinen Wehrzahl nach französischer Eigenart stellen, wenn auch dem bunten Würfelbilde
des
habsburgischen
Staaten-
bundes entsprechend in oft lokalisierter Form, die österreichischen Verhältnisse dar.
Das Volk von Tirol hat in traditioneller Opferfreudig-
keit nach dem Auszug der wehrfähigen Mannschaften alles andere an ungedienter Manneskraft
zusammengerafft ,
um
nach
der
Kriegs-
erklärung Italiens auf den steinigen Bergwällen den ,, Welschen“ zu empfangen und das ,,Landl heil und rein" zu erhalten.
Der Geist der
Tiroler Standschützen, bei denen heute 16 jährige Burschen mit Kindergesichtchen aber scharfem Auge, neben Greisen im Silberbart, aber fester Hanf im Anschlag stehen, stammt aus dem 17. Jahrhundert. Damals schon bestanden in Tirol Schießgesellschaften , die sehr lange
275
Die Jungschützenbewegung im Auslande.
ohne irgendeine militärische Organisation blieben. Der landesamtlichen Sitte nach gliederten sie sich in den Hauptschießstand, die Bezirksund die Gemeindeschießstände. Zwei Verordnungen vom 25. Mai 1913 schufen aus ihnen einen nur für die Landesteile Tirol und Vorarlberg geltende Landsturmformation , deren Leitung dem ,, Landes- Oberstschützenmeister" zukommt . Unteroffiziere und Offiziere werden aus ihren Reihen gewählt .
1908 gab es im Tiroler Gebiet 60000 Schützen ,
also auf je 14 Einwohner einen Schützen . Von 20 Schützen ab leben überall die k. k. Schießstände auf, deren wichtige Aufgabe in der Förderung des gesamten Schießwesens für die Zwecke der Landesverteidigung und hauptsächlich in der Heranbildung von jungen Schützen zu erblicken ist . Jeder Tiroler, der das 16. Lebensjahr zurückgelegt hat, kann Standschütze werden, dann ist er verpflichtet, bei mindestens vier Schießübungen 60 Schüsse abzugeben . Bei allen Volksfesten treten die Schützenorganisationen mit Fahnen und Gewehren an.
Ein sinniger Ausdruck des vaterlandsgetreuen Gemeinsinnes für
die Verteidigung der Heimat !
Die ernste Arbeit der Standschützen
wird von der Heeres leitung dadurch anerkannt , daß jeder , der die Bedingungen fünf oder zehn Jahre hindurch erfüllt , von der vorletzten oder den beiden letzten Waffenübungen befreit wird.
In der Stunde
äußerster Not haben die Ungedienten und besonders die Jugendlichen Mit grimmem sich zu Landesschützenbataillonen schnell formiert . Antlitz schworen sie den Landsturmeid, nahmen den kugelsicheren Stutzen in die Hand und zogen Junge und Alte zusammen auf ver trauten Pfaden talaufwärts den schneeigen Gipfeln zu . Sie haben gute Wacht gehalten, stets umweht von der uralten Schützenfahne Tirols. In dem letzten Jahrzehnt wandte man sich auch in den übrigen Landesteilen der Erkenntnis zu , daß die Frage der militärischen Jugendvorbildung in ein akutes Stadium getreten ist. Die Wehrhaftmachung wird in Österreich als keine rein militärische, sondern als eine bürgerliche Angelegenheit aufgefaßt , bei der ein harmonisches , selbstloses Zusammenwirken
der
Heeresverwaltung
und
Unterrichtsbehörden
im Verein mit Elternkreisen einen sicheren Erfolg zeitigen wird.
Auch
hier die deutliche Forderung einer militärischen Ergänzung der Mittelschulbildung durch Aufnahme einer Reihe von Gegenständen in den offiziellen Lehrplan .
Zu den nützlichen Fertigkeiten der Mittelschüler
wird ausdrücklich das Waffen- und Schießwesen gerechnet , das die Erklärung der Handfeuerwaffen,
der Ziel- und Schießregeln in sich
bergen soll . Als praktische Ausführung kommt an ungefähr sechs ganzen Nachmittagen das Kapselschießen als Vorbereitung zu den militärischen Schießübungen in Betracht. Seit Ostern 1911 sind an allen Mittelschulen von Offizieren geleitete , vorerst noch wahlfreie etwa 50 stündige
276
Die Jungschützenbewegung im Auslande.
Schießkurse eingerichtet , die als erste Versuche einer erstrebten weitgehenden Organisation aufzufassen sind.
Die schulentlassene Jugend
soll durch die von Hauptmann Opelt im Jahre 1907 erstmals gebildeten Jugendwehren gesammelt werden , die neben physischer Ausbildung . sittlicher Erziehung auch die schwierige und wichtige Schießausbildung berücksichtigen. Ein Erlaß des k. k. Ministeriums für Landesverteidigung erlaubt die Benutzung fiskalischer Schießstätten für alle Vereinigungen , die der licher dienen wollen .
Schießausbildung landsturmpflichtiger JugendDie leihweise Überlassung der Repetiergewehre
und Karabiner ist gestattet .
Die Kapselschießeinrichtungen finden
ebenfalls behördliche Unterstützung. Die Abgabe der Munition erfolgt Unbemittelte erhalten 100 Kapselschüsse zum Selbstkostenpreise. und 40 scharfe Patronen ohne Entgelt überwiesen .
Eine mustergültige
Einrichtung wurde von dem unermüdlichen Hauptmann Opelt in Form der ,, Wiener Jungschützenkorps " geschaffen , in denen sich neben Mittelschülern, Lehrerseminaristen, Handels- und Fachschülern auch Erwerbende zusammenfanden. Es verfolgt neben der Schießausbildung in sehr bewußter Ausprägung
die
sozial-patriotischen
Ziele
einer
kameradschaftlichen Zusammenführung der Jungen aller Bildungsstufen und Gesellschaftsschichten. Es hat seine ausgleichende und fruchtbringende Tätigkeit , wenn auch in etwas beschränktem Maße , vor den Wogen des Weltkrieges retten können.
Am Ende eines feier-
lichen Jugendgottesdienstes wurden vor einigen Monaten die neu beigetretenen Kriegsjungschützen auf Grund einer Gelöbnisablegung feierlich aufgenommen .
Diese schöne Tönung echt wienerischer Ge-
mütsart könnte in Form und Inhalt für unsere reichsdeutschen Jugendwehren in jeder Beziehung von Vorteil sein. Im übrigen stand vor dem Kriege der österreichische Staat vor den ersten einschneidenden Schöpfungen dieser Art.
Die ungünstigen Verhältnisse der Jetztzeit
haben in vielen Orten nur den guten Willen erhalten können .
Wesent-
lich aber für uns ist die Tatsache , daß die Schießausbildung als eine nutzbringende Fertigkeit in langsamer Steigerung von den maßgebenden Instanzen erkannt und verlangt worden ist. Ein so angestammtes Volksschießen , wie die Tiroler Standschützen ,
hat das als Staat noch junge Italien in keinem Landesteile aufzuweisen. Das freiwillige Schießen im Hinblick auf eine erleichterte Truppenausbildung nahm jenseits der Alpen seinen Anfang durch das Gesetz vom Jahre 1882 , in dem sich als Richtstern die Worte finden: ,, Das nationale Scheibenschießen ist im Königreiche zu dem Zwecke eingeführt , die Jugend für den Militärdienst vorzubereiten , die Übung mit der Waffe bei allen denen anzuregen , und zu erhalten, welche der stehenden Armee oder der Miliz angehören." Im ganzen bewegte sich
277
Die Jungschützenbewegung im Auslande. die fernere Entwicklung in französischen Bahnen.
Ähnlich wie dort
erfolgte in Italien auf die Einführung der zweijährigen Dienstzeit eine Epoche behördlicher Sorgfalt und staatlicher Begünstigung der Jugendbewegung, um durch ein besseres Anfangsmaterial in kürzerer Zeit dennoch die gleiche Ausbildungsstufe zu erreichen.
Ein im Jahre 1906
gegründeter, dem Kriegsministerium untergeordneter ,,Zentralausschuß für nationales Schießwesen und körperliche Ausbildung zu militärischem Zwecke" hat die Aufgabe einer organisatorischen Förderung der Wehrerziehung in allgemeinen Zügen. Der Hauptausschuß rief in allen Bezirksorten Kommissionen für nationales Scheibenschießen Die praktische und turnerische militärische Erziehung ins Leben. Einzelarbeit liegt im Programm dreier Gesellschaftsarten mit stark vaterländischem Untergrund, der nationalen Schießgesellschaft , des freiwilligen Radfahr- und Automobilvereins und der Schülerbataillone und Studentenkorps . Das nationale Schießwesen (Tira a segno nationale ) arbeitet in vier großen Abteilungen .
Die Zöglinge vom 14. bis 16. Jahre werden
gesondert von der Jugend vom vollendeten 16. Lebensjahre bis zur Aushebung eingeübt.
Groß ist die Zahl der Reservisten, die neben
den sich freiwillig meldenden Bürgern (Landsturmleute) die Waffe führen. Die Zugkraft auf die Jugendlichen vom 14. Jahre ab ist trotz dem Grundsatze der Freiwilligkeit darum groß , weil der Berechtigungsschein zur Ableistung der einjährig- freiwilligen Dienstpflicht oder die Zurückstellung bis zum 25. Lebensjahre von der Teilnahme an einem Schießdienst und militärischen Leibesübungen überhaupt abhängig gemacht wird (Deutschland !) .
Besonders einschneidend und für den
Offiziersersatz des Beurlaubtenstandes von großem Nutzen ist die Maßnahme, daß eine Zulassung zum Abitur und zu den akademischen Prüfungen nur bei nachgewiesener vierjähriger Teilnahme an den Übungen irgendeiner Jugendabteilung erfolgen kann (Deutschland ! ). Das Bestehen einer vom Kriegsministerium festgesetzten Prüfung bringt den Vorteil rascher Beförderung, nach drei Monaten Korporal, nach sechs Monaten Wachtmeister und nach zehnmonatlicher Dienstzeit zum Leutnant der Reserve. Studenten zusammengesetzten
Damit waren die aus Schülern und Jugendwehren
als
Teile des
Land-
sturms anerkannt . Seit 1909 besteht eine akademische Legion ,, Sursum corda" als theoretische und praktische Vertreterin des italienischen. Wehrgedankens . Sie hat ihre Ausbreitung durch Schaffung von Sektionen in allen Universitäten bewerkstelligt . Unwillkürlich denkt man im Hinblick auf die akademische Jugend an Hermann Scheidler , der gemeinsam mit anderen aus dem Felde zurückgekehrten Jenenser Studenten 1814 die Jenaische Wehrschaft gründete ,
in der akade-
278
Die Jungschützenbewegung im Auslande .
mische Bürger aller Verbindungen Wehrübungen in ganz der heutigen den Jugendkompagnien eigenen Art betrieb. O alte Burschenherrlichkeit ...
Die Zahlen Italiens werden jeden Deutschen überraschen :
Schon im Jahre 1911 waren bei 693 Schießvereinen ungefähr 23000 Mittelschüler und
über eine Million
Jungschützen im Alter von
17-20 Jahren als Mitglieder eingeschrieben.
Wie Italien, so ist jedes andere Volk bestimmte vom Volkscharakter und dem nationalen Bedürfnisse abhängige Wege der Jugendpflege gegangen. Von England aus strömte eine Form mit tiefem ethischen Fundament über alle Kulturstaaten hinweg, die den Hauptwert auf moralische Bildung und Charaktererziehung legte.
Die englische Pfad-
finderbewegung geht in ihrer Entstehung auf die weitgehende Mithilfe der Jugendlichen bei der Belagerung von Mafeking durch die Buren zurück. Der Verteidiger des Platzes, Oberstleutnant Baden-Powell, kam in den Stunden der Not auf den Gedanken, auch die Jüngsten nach kurzer Anleitung zum Meldesamariter und selbst zum Verteidigungsdienst heranzuziehen.
Seine Hoffnungen wurden in so hohem .
Maße befriedigt, daß er in England selbst die Bestrebungen mit Begeisterung und stärkstem Erfolg weiterführte. Die von Geistlichen geleiteten Jugendvereine griffen die Idee auf und verbreiteten sie über das ganze Land.
Schon 1908 zählte man 80000 , , Scouts", deren Zahl
heute schon 500000 beträgt.
Neben den sittlichen Zwecken verfolgen
die ,,Boy Scouts " die besondere militärische Erziehung.
Und wenn
sie auch keine Schießübungen betreiben, so geben sie doch ein vor allem im Geländedienst gut ausgebildetes Material für diejenigen Vereinigungen ab, die eine unmittelbare Heeresvorschule ausmachen . Baden- Powell hatte selbst einmal an hervorragender Stelle ausgesprochen, daß die Boy Scouts mit vollendetem 16. Lebensjahre ,,Cadet“ werden sollen, um dann in die Praxis und den Geist des Territorialheeres übergeführt zu werden.
Die Kadettenkorps sind mit der Ab-
sicht dem Kriegsministerium unterstellt, sie als Vorschule für die künftigen Offiziere und Unteroffiziere der Armee den Lehranstalten anzugliedern. Bildung und Leitung ist den Grafschaftsausschüssen (Country Associations ) übertragen. Als eine ebenfalls staatliche Jugendorganisation ist das Offizierausbildungskorps (Officers Training Corps) zu bezeichnen. Es entstand gleichzeitig als Offiziervorbereitungskurs mit der 1908 errichteten Territorialarmee.
Die jüngeren Ausbildungs-
abteilungen (14-17 Jahre) stehen in enger Verbindung mit dem Schulbetrieb, während die zweite Stufe ( 17-25 Jahre) an den Universitäten tätig ist.
Der freiwillige Eintritt verpflichtet zu zweijährigem Ver-
279
Die Jungschützenbewegung im Auslande. bleiben in dem von Territorialoffizieren geführten Korps .
Die Ge-
fechts- und Schießtätigkeit kann von den Divisionskommandeuren Die höchste Dienststelle liegt in den Händen des Die 1910 ungefähr 16000 zählenden Mitglieder
besichtigt werden. Generalstabschefs .
können eine leichtere oder schwerere Prüfung als Befähigungsnachweis zum Oberleutnant oder Hauptmann ablegen. Weiterhin findet man in England noch private Gesellschaften , die an der Wehrerziehung der Jugend mithelfen . Die Knabenverbände (Church Lads Brigades) gehen auf das 1883 von Generalleutnant Smith aus einer kirchlichen Sonntagsschule formierte Jugendbataillon zurück. Von der Kirche lebhaft unterstützt , waren 1910 ungefähr 50000 Knaben und Jünglinge in dieser Weise zusammengeschlossen. Ausgesprochene Schießziele verfolgen die Knabenschützenvereine (Miniatur Riffle Sie entClubs) , deren Gründer Feldmarschall Lord Roberts war. sprechen nach Zusammenfassungen ungefähr dem schweizerischen bewaffneten Vorunterricht und werden mit derselben Kraft amtlich durch die Überlassung von Schießgelegenheiten und Personal gefördert. Als Waffe dient ein Miniaturgewehr. Die 1910 ungefähr 150000 junge Leute umfassende Körperschaft beginnt ihren Ausbildungsgang mit dem Schießen auf Zimmerscheiben . Das Wesen aller dieser englischen Einrichtungen ist als eine Fachschule zu werten , die vor dem Kriege die fehlende allgemeine Dienstpflicht bis zu einem gewissen Grade ausgleichen sollte. Sicherlich sind die so vorgebildeten Jungmannschaften zu brauchbaren Stützen der ,, Kitschnerheere" geworden .
Der erste vergleichende Blick fördert einen wesentlichen, unterscheidenden Grundzug zwischen deutschen amtlichen Verlautbarungen und dem gesamten Auslande auf. Bei uns sind bis heute direkte Forderungen einer
Jungschützenbildung
von
Kreisen der
Heeresleitung
nicht bekannt gegeben worden. Vor dem Kriege konnte man in Deutschland eine Schießausbildung der landsturmpflichtigen Jugend nicht finden.
Auch die während des Krieges vom Kriegsministerium aus-
gearbeiteten Anleitungen für die militärische Vorbildung der älteren Jahrgänge der Jugendabteilungen während des Kriegszustandes weisen Einer dringenden ,
einen Lehrgang mit der Waffe ausdrücklich ab.
tiefpatriotischen Bitte des Deutschen Schützenbundes und des Deutschen Wehrmannbundes nachgebend, hat das Kriegsministerium diesen beiden Körperschaften eine selbstgeleitete und selbstverwaltete Schießausbildung der Jungmannen auf ihren Schießstätten erlaubt . Die Angelegenheit war und blieb ein rein privates, allerdings für die heutige Zeit hochverdientes Werk dieser beiden Gesellschaften . Waffen ,
280
Die Jungschützenbewegung im Auslande.
Munition und Schießstände dürfen die Militärdienststellen nicht abgeben.
Nur wo Zweigvereine dieser beiden Schützenorganisationen
sich befinden , können die Jugendwehren der betreffenden Orte dem Schießdienst nähertreten.
Wer in der tätigen Praxis steht , weiß, wie
unterstützend dieser lokale Vorzug für die noch auf dem allgemeinen als unzureichend anerkannten Grundsatz der Freiwilligkeit sich aufbauenden Jugendkompagnien wirkt .
Ob die Heeresverwaltung auf
Grund der Kriegserfahrung ihren Standpunkt beibehält , läßt sich noch nicht übersehen . Aber volle Beachtung verdienen die Urteile der Feldgrauen, die auch auf dem Gebiete der Waffenhandhabung eine Vorbereitung für den rasch herankommenden Ernstfall aufzuweisen hatten.
Es wurden viele Tausende von Wehrmännern jeden Alters
mit dem Militärgewehr ausgebildet . Auf Grund ihrer Erfahrungen hoffen die deutschen Schützenbünde nach dem Kriege auf einen vollen Erfolg. War vielen unserer Mitbürger bis vor dem Kriege die körperliche Jugendausbildung an sich eine nebensächliche Frage, so kam anderen wieder die Idee planmäßig organisierter Jungschützen als höchst neuzeitlich vor. Und wie tief wurzelt gerade dieser Gedanke in dem Boden allgemeiner physischer Kräftigung , in den ihn Friedrich Ludwig Jahn als Gebot volkstümlicher Wehrkraft mit deutscher Hoffnung erfüllt , sorgsam einlegte.
Schon lange vor Jahn gehörte das Schießen mit
dem Feuergewehr zu den Leibesübungen der deutschen Nation und blieb ein festlicher Bestandteil der Schützenfeste. Die schweren Schicksale bekannter Kriege erstickten in ihrer Not alle freudigen Regungen des einstmals so wogenden Volkslebens. Und als Guts Muths und Jahn an der Schwelle des 19. Jahrhunderts die Erwerbung der Schießfertigkeit ihren Mitbürgern so angelegentlich anempfahlen, da geschah es nicht mehr im Zeichen des schäumenden Pokals, im Rahmen deutscher Geselligkeit , sondern es waren bittere Erfordernisse einer schweigsamernsten Stunde. In der Reihe turngewaltiger Bestrebungen, deren Ziel die völkisch-sittliche Wiedergeburt der ganzen Volkseinheit war, trat das Schießen in den Pflichtenkreis der jugendlichen Erziehung. So eng wollte Jahn die Waffenübungen mit seinem Körpersystem verbinden, daß er sich neben jedem Turnplatz eine Schießbahn wünschte. Die modernen Verhältnisse werden diesen Wunsch aus geldlichen Rücksichten selten verwirklichen lassen. Aber welch schöner Beweggrund einer Zusammenarbeit des Deutschen Schützenbundes mit der deutschen Turnerschaft liegt in diesem Jahnschen Ausspruch.
Bei voller Be-
tonung herkömmlicher Eigenarten soll, um Großes schaffen zu können, auf dem Gebiete der Wehrerziehung sich alles unter dem Leitspruch zusammenschließen : ,,Vaterland, nur dir!"
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
281
XXVI .
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung. Von
Riensberg, Oberst z. D. (Fortsetzung . )
V. Explosionsgefahren , die nicht von eigentlichen Explosionen ausgehen. Bei den Explosionsgefahren , die nicht von Explosivstoffen ausgehen, handelt es sich um Zerstörungen , die einerseits auf Volumenvergrößerungen infolge von Wärmeeinwirkungen ohne Zersetzungsvorgang zurückzuführen sind und die anderseits von dem Druck der Flieh- oder Schwungkraft verursacht werden .
Gewohnheitsgemäß
wird im allgemeinen in jeder Sprengwirkung ein Explosionsvorgang mit explosiver Ursache gesehen .
Eine Sprachgewohnheit,
die sich
nicht mit dem Explosionsbegriff im wissenschaftlichen und technischen Sinne deckt ; denn unter einer eigentlichen Explosion versteht man eine sehr schnell verlaufende chemische Umsetzung, bei welcher mit freiwerdender Wärme Gas oder Dampf unter Druck entwickelt werden. Der
schnell
ansteigende Druck während
der Zersetzung
ist
das
charakteristische Merkmal der Explosion , das anderen explosionsähnlichen Vorgängen fehlt . Bei letzteren findet im Augenblick der Kraftäußerung, durch die die Sprengwirkung betätigt wird, keine plötzliche Drucksteigerung statt, sondern es tritt im Gegenteil ein Druckabfall ein. Die Bezeichnung ,,Explosion " ist also streng geDessen ungeachtet nommen für diese Vorgänge nicht zutreffend. sollen ihre Gefahren, die mehr oder weniger in das tägliche Leben eingreifen, näher besprochen werden.
Das Übergehen dieser Gefahren ,
die mit ihren zerstörenden und sprengenden Wirkungen den Explosionsgefahren gleichen , könnte als Lücke empfunden werden.
Dies um so
mehr, als in erster Linie die Dampfkesselexplosionen in Frage stehen , die allgemein als Explosionen bewertet werden und unter keinem anderen Namen bekannt sind. Sie entstehen, sobald die Kesselwandungen dem Dampfdruck nicht mehr zu widerstehen vermögen , weil der innere Druck die Elastizitätsgrenze des Kesselbleches überschreitet , oder größer wird, als die Verbindungsfestigkeit der Bleche. untereinander.
282
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung . Beim Zerreißen des Kessels wird zwar der Druck durch das Aus-
strömen des Dampfes aufgehoben ; gleichzeitig findet aber durch die große Wärmemenge im Wasser an der erweiterten Oberfläche eine außerordentlich große Neudampfbildung statt . Hierbei reißen die Dampfblasen das Wasser mit sich fort und schleudern es mit großer Gewalt zerstörend nach allen Seiten.
Im kleinen kann der Vorgang
an erwärmten Flaschen mit kohlensäurehaltigen Flüssigkeiten beobachtet werden.
Das durch die Wärme ausgedehnte Gas schleudert
beim Öffnen der Flasche die Flüssigkeit aus dieser unter Aufbrausen heraus. Bei der Darstellung kohlensaurer Getränke bestehen daher Explosionsgefahren, gleichen sind.
die
denen
des
Dampfkesselbetriebes
zu
ver-
Die Wirkung ist bei Dampfkesseln je nach ihrer Größe
natürlich weit ausgedehnter.
Am geringsten ist sie bei Kesseln , die
in ordnungsmäßigem Zustande die kleinste Wassermenge enthalten . Die
ungenügende
Widerstandsfähigkeit
der
Kesselwandungen
gegen die normale Beanspruchung, auf der die Explosionsgefahr beruht , ist hauptsächlich zurückzuführen auf fehlerhafte Konstruktionen , schlechtes Material, nachlässige Arbeit , starke Abnutzungen , übermäßige Erhitzung des Bleches und Erschütterungen der Kessel.
Diese
Übel müssen, soweit sie die Anlage betreffen , vor deren Benutzung beseitigt sein, und soweit sie während des Betriebes entstehen können , durch Prüfungen und Kontrollen ausgeschlossen werden . Die gefährliche , übermäßige Erhitzung des Bleches wird unter normalen Verhältnissen durch die Wasserkühlung verhütet. Kochendes Wasser kühlt glühendes Eisen !
Die gefährliche Erhitzung der Bleche
kann erst eintreten, wenn die Kühlung infolge von Wassermangel oder einer isolierenden Kesselsteinschicht nicht mehr wirksam ist. Der Kesselstein, der sich als steinige Masse an den Kesselwandungen festsetzt , bildet sich aus den unlöslichen Bestandteilen des Speisewassers.
Es sind meist kohlensaure und schwefelsaure Verbindungen ,
die durch geeignete Reinigung des Wassers , ehe es in den Kessel tritt, unschädlich gemacht werden können . Der gefährliche Wassermangel ist fast ausschließlich auf Unzuverlässigkeit zurückzuführen .
Er setzt mit dem Erglühen der Bleche
deren Festigkeit herab und kann außerdem durch die Berührung des eingepumpten Wassers mit den übermäßig erhitzten Kesselwänden. eine zu reichliche Dampfbildung verschulden .
Der Kessel wird in
diesem Falle gesprengt , weil die Sicherheitsapparate den Druck nicht mehr schnell genug zu entlasten vermögen. Auch ist mit der Bildung von Knallgas zu rechnen, wenn das Wasser an den glühenden Wandungen in seine Bestandteile, Sauerstoff und Wasserstoff, zerlegt wird. Kommt dieses explosible Gas zur Entzündung , so ist infolge
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung .
283
der Erschütterung des Kessels und der Lockerung seiner Verbände mit einer Kesselexplosion zu rechnen .
Solche Erschütterungen sind
dann gewissermaßen die Initialladungen für gewaltige Dampfkesselexplosionen.
Ein ähnlicher Vorgang wie er bei der Auslösung großer
Raumexplosionen durch kleine Explosivstoffexplosionen nicht selten eintritt. Der Impuls kann auch von Gasluftexplosionen in den Feuerungszügen ausgehen .
Wird während der Nacht der Rest des
Feuers mit angefeuchteter Kohle zugedeckt und der Zug durch Schließen des Rauchschiebers abgesperrt , so entwickelt das glimmende Feuer Kohlenoxyde und Kohlenwasserstoffe , die sich in den Zügen ansammeln und mit dem Sauerstoff der Luft explosive Gasgemische Diese Gemische können sich entzünden , wenn am Morgen bilden. beim Öffnen des Rauchschiebers die Flamme in die Züge schlägt.
Die
meisten Dampfkesselexplosionen finden tatsächlich am Morgen beim Beginn der Arbeit statt. Durch ähnliche Explosionen werden auch Öfen beschädigt , wenn explosive Gasgemische in ihnen entstehen. Angefeuchtete Kohlen und durch Aufwerfen von Gruß unterhaltenes glimmendes Feuer sind meist die Veranlassung.
Die Öfen werden explodierend auseinander-
gerissen, sobald sich die explosiven Gase an glühenden Kohlen entzünden.
Solche Explosionen sind besonders in Hochöfen gefährlich .
da dabei geschmolzene Metallmassen verheerend frei werden . Erschütternde , gefährliche Stöße können auch durch schnelles Öffnen und Schließen der Ventile und durch den sogenannten SiedeSchwimmt auf dem Wasserspiegel eine verzug verursacht werden . Fettschicht, so finden die Dampfblasen Widerstand beim Aufsteigen aus dem Wasser in den Dampfraum.
Im Wasser entsteht dadurch
eine höhere Wärme und Spannung , ein labiler Gleichgewichtszustand . Wird dieser durch Reißen der Fettschicht gestört , so tritt plötzlich eine vermehrte, heftige Verdampfung ein, die das Wasser mitreißt und gegen die Kesselwandungen schleudert. Fett und Öl dürfen also ebensowenig im Speisewasser enthalten sein, wie Bestandteile , welche die Kesselsteinbildung begünstigen. Nach vorstehendem werden Dampfkesselexplosionen durch zu hohe Dampfspannungen für sich allein selten verursacht. Die Dampfspannung kann in einem sehr hohen Maße steigen, ehe die bei der gesetzlichen Wasserdruckprobe stattfindende Beanspruchung der Kesselwandungen erreicht wird.
Die Dampfkesselexplosionsgefahr ist daher
weniger in dem allmählich steigenden Druck des Wasserdampfes zu erblicken , als in besonderen Vorkommnissen , die , den Zündungen bei eigentlichen Explosionen vergleichbar , plötzliche
schlagartige Wir-
kungen
der Dampfkessel-
ausüben ;
wie
auch
die Verheerungen
284
Die Explosionsgefahren , ibre Entstehung und Bekämpfung.
explosionen nur zum kleinsten Teil dem im Dampfraum befindlichen Dampfe zur Last fallen. Die auf das Doppelte bis Dreifache vermehrte Dampfspannung wird dem Kessel noch nicht gefährlich , wenn keine anderen Explosionsursachen vorliegen . Unter normalen Verhältnissen bestehen im Dampfkesselbetriebe
keine Explosionsgefahren , wenn die gesetzlichen Bestimmungen unter gewissenhafter Kontrolle der Dampfkesselüberwachungsvereine genau befolgt werden . Die Zahl
der Dampfkesselexplosionen ist im Laufe der Zeit im Verhältnis zur Zahl der Kessel dauernd zurückgegangen . Im Jahre 1874 explodierte in Deutschland rund ein Kessel von tausend im Betriebe befindlichen, während heute in einem Jahre auf je zehntausend Kessel noch nicht eine Explosion entfällt . Ein geordneter Betrieb schließt nach diesem Ergebnis die Dampfkesselexplosionsgefahr fast vollständig aus. Die Sicherheit darf aber nicht in den Händen der Kesselheizer allein liegen, sondern sie muß vor allem von einer sachkundigen Leitung gewährleistet werden. Hierbei ist den Sicherheitseinrichtungen --- den Ventilen ,
Wasserstandsanzeigern ,
Speiseapparaten usw.
sowie dem
Speisewasser die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden . Unreine , saure und ölige Bestandteile im Wasser, die Oxydationen, Kesselsteinansatz und die Entstehung des Siedeverzuges begünstigen , sind gefährlich. Die Bildung von inneren Korrosionen ist zu verhüten , da sie die Festigkeit der Kesselwandungen herabsetzt. Es handelt sich hierbei um Rinnen und Höhlungen, die durch Abrosten besonders in Ecken entstehen. Die aufeinanderliegenden Bleche bilden am Zusammenstoß solche gefährlichen Winkel, die dauernd überwacht werden müssen. An diesen Stellen kommt der Wasserstrom am wenigsten zur Geltung. infolgedessen können sich hier leicht Luftbläschen in allmählich zerstörender, oxydierender Arbeit festsetzen . Sorgfältige Überwachung läßt auch diese minierend arbeitende Gefahr rechtzeitig erkennen und beseitigen.
Die Instandhaltung der Sicherheitseinrichtungen, die Reinigung des Speisewassers und die sachkundige Bedienung der Feuer und Kessel mit ihrer Armatur bieten sicheren Schutz. Die heute .
noch vereinzelt vorkommenden Dampfkesselexplosionen , die in der Hauptsache auf Unachtsamkeit zurückzuführen sind, bestätigen als Ausnahmen die Regel, daß die Dampfkesselexplosionsgefahr bei geregeltem Betrieb als beseitigt anzusehen ist . Ähnlich verhält es sich in Betrieben mit allen anderen Explosionsgefahren, die nicht von Explosivstoffen ausgehen.
Es handelt sich
zunächst um Sprengungen, die auf Drucksteigerungen unter Wärmeeinwirkung zurückzuführen sind. Der Druck mit seiner Arbeitsleistung, der für eingeschlossene Gase und Flüssigkeiten für jede Temperatur einen bestimmten Wert darstellt, ist der Wärmeänderung pro-
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung. portional.
285
Die Spannkraft wächst also bei gleichbleibendem Volumen
mit dem Ausdehnungsstreben des Inhalts.
Demgemäß bedürfen Be-
hälter für verflüssigte und verdichtete Gase eine sorgfältige Überwachung.
Sie müssen aus einem Material hergestellt werden, das ge-
nügende Festigkeit besitzt und gegen die chemische Einwirkung der verschiedenen Gase genügend widerstandsfähig ist. Naturgemäß kommen bei
hoher
Festigkeitsbeanspruchung
hauptsächlich
Eisen
und Stahl in Frage. Für jede verdichtete Gasart wird ein Maximalfülldruck festgesetzt , der sich auf eine bestimmte Außentemperatur bezieht. Zur Kontrolle müssen die Behälter die Anbringung eines Manometers gestatten. Vor der Benutzung sind die Flaschen, die für einzelne Gase nahtlos hergestellt werden müssen, einer Druckprobe zu unterziehen . Während des Gebrauches sind sie der unmittelbaren Einwirkung der Sonnenstrahlen und anderer Wärmequellen zu entziehen.
Bei der Lagerung und beim Transport ist der Schutz erforder-
lichenfalls durch trennende Wände und zeltartige Überdeckungen zu schaffen . Jedes Werfen , Rollen und Umfallen der gefüllten Behälter ist zu vermeiden, da stoßartige Erschütterungen explosionsartige Sprengungen infolge schlagartiger Wirkungen zur Folge haben können . Transportflaschen dürfen bei einem lichten Durchmesser von 21 cm nicht länger als 2 m sein, wodurch eine sichere, ungefährliche Handhabung gewährleistet wird. Beim Umfüllen verflüssigter oder verdichteter Gase in andere Behälter dürfen eingefrorene Leitungen oder Ventile
nicht
mit offenen Flammen
Körpern in Berührung gebracht werden .
oder
glühenden
Die plötzliche Erwärmung
oder Entzündung der Gase wäre explosionsgefährlich .
Das Auftauen
muß daher ebenso wie bei gefrorenen Nitroglyzerinpräparaten mit großer Vorsicht allmählich geschehen. Ferner dürfen die Dichtungs- und Schmiermaterialien bei Gasen mit oxydierender Wirkung zur Verhütung von Selbstentzündungen nicht aus brennbaren Stoffen bestehen. Neue Armaturen und Manometerfedern sind der Sicherheit halber vor ihrer ersten Verwendung mit Äther zu entfetten. In gleicher Weise vorsichtig ist bei der Verflüssigung und Verdichtung der Gase selbst zu verfahren. Der Raum zum Füllen der Flaschen ist von dem Raum, in welchem sich der Kompressor befindet , durch starke Mauern oder widerstandsfähige Schutzwände zu trennen. Die Explosion tritt bei der Verwendung verdichteter Gase ein , sobald die Expansionskraft den Behälter sprengt . Kohlensäure , die beim Gären alkoholischer Flüssigkeiten entsteht, vermag fest verschlossene Glasflaschen explosionsartig zu zertrümmern ; und Kohlensäure-Feuerlöschspritzen sind nicht ungefährlich, wenn die Öffnung
286
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
für den Austritt des Wasserstrahles verstopft ist . druck,
der bei diesen Spritzen
meist
Der Kohlensäure-
durch die Verbindung von
Schwefelsäure mit doppeltkohlensaurem Natriumwasser erzeugt wird, kann die Wandungen des Apparates dann sprengen , wenn er bis zu einem die Festigkeit der Konstruktion übersteigenden Grad wächst . Die gleiche Sprengwirkung geht von Flüssigkeiten aus , deren Volumen durch Temperaturveränderungen oder das Eindringen von Fremdkörpern vergrößert wird. Mächtige Eisdecken großer Wasserund Gletscherflächen werden beim Frieren durch den Wasserdruck infolge stärker werdender Eisschicht mit donnerartigem Getöse aufgerissen.
Die dabei entstehenden Eisspalten werden dem Verkehr auf
der Eisdecke gefährlich .
Ebenso wie der Frost mit dem Sprengen
von Wasserrohrleitungen verursachen kann.
durch
Überschwemmungen
Unglücksfälle
Interessant ist es, daß unsere Vorfahren von der Sprengwirkung des Wassers bereits praktischen Gebrauch zu machen wußten.
Sie
meißelten in große Findlingsblöcke , die sie in Stücke zerlegen wollten, reihenweise Löcher und schlugen Holzpflöcke in diese hnein .
Der
Regen im Verein mit dem Winterfrost sprengte dann im Laufe der Zeit den Stein in Richtung der Löcher auseinander.
Das waren un-
gefährliche Sprengungen ohne Explosivstoffe , von denen Findlinge in der Mark Brandenburg noch heute Zeugnis ablegen. Schmerzlicher und gefährlicher sind die Explosionen , mit denen das Blut beim schnellen Eindringen von Geschossen seine einschließenden Gefäße zerreißt. Infolge der sehr großen Geschwindigkeiten der heutigen Gewehrgeschosse können im Körper explosionsartige Sprengwirkungen verursacht werden .
Diese Explosionen sind äußerlich an
kleinen Einschuß- und großen Ausschußöffnungen zu erkennen.
Sie
kamen bei geringeren Geschoßgeschwindigkeiten in früheren Jahren nicht vor. Eine Tatsache , die in neueren Kriegen zu der unzutreffenden Annahme Anlaß gegeben hat , daß die explosionsartigen Erscheinungen, die bei Knochenschüssen auch durch weiches Geschoßmaterial (Dumdum- Geschosse) verursacht werden, auf völkerrechtlich verbotener Sprenggeschosse zurückzuführen seien . Die von Geschossen herrührenden Explosionen mit hydrodynamischer Druckwirkung äußern sich in den einzelnen Körperteilen sehr verschieden . Diejenigen Körperatome, die sich am leichtesten gegeneinander verschieben können, werden natürlich am meisten und weitesten von der lebendigen Kraft der Geschoßenergie und vom Dralleinfluß mit- und fortgerissen .
Je
größer die Geschoßgeschwindigkeit und je gefäßreicher der getroffene Körperteil, desto stärker die Explosionswirkung.
Schüsse in den ge-
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
287
füllten Magen und Kopfschüsse sind aus diesem Grunde fast immer tödlich. Die auf die Flieh- oder Schwungkraft zurückzuführenden Explosionen treten schließlich ein , wenn Maschinenteile in ihrer Materialfestigkeit oder in ihren Verbindungen durch diese Kraft auseinandergerissen werden . Neben dem unmittelbaren Einfluß der eigentlichen Kraft sind auch bei diesen Explosionen hauptsächlich die Stöße zu fürchten. Sie erhöhen sprungartig die explosive Wirkung , sobald sie Derdurch Schwerpunktsverschiebungen das Gleichgewicht stören . artige Unregelmäßigkeiten
sind auch bei diesen Explosionen
den
Zündungen zu vergleichen, von denen die eigentlichen Explosionen ausgelöst werden . Sie können ganz unerwartet eintreten und umfangreiche Maschinenteile mit großer Gewalt auseinanderreißen . Schleudermaschinen, Schleifsteine , Schmirgelscheiben und Schwungräder explodieren also nicht allein infolge von zu großen Umlaufgeschwindigkeiten , sondern die Gefahr ist am größten, wenn durch Lockerungen und Verschiebungen oder erschütternde Geschwindigkeitsänderungen schlagartige Bewegungen eintreten, wenn also der ruhige Lauf plötzDas sogenannte Durchgehen der Maschinen ist gefährlich ; unzulässige Belastungen , unsichere Verbindungen und un-
lich gestört wird.
vermittelte Hemmungen sind aber in explosiver Hinsicht weit gefährlicher. Neue Maschinen müssen vor der Inbetriebnahme Laufproben mit vergrößerter Geschwindigkeit unterzogen und in der ersten Zeit besonders aufmerksam beobachtet werden. Formveränderungen der rotierenden Teile und schlagende Bewegungen kommen. Durch
Sicherheitseinrichtungen
und
dürfen
sorgfältige
nicht vor-
Überwachung
kann auch der auf die Flieh- und Schwungkraft zurückzuführenden Explosionsgefahr erfolgreich begegnet werden. Der Antrieb ist so zu regeln , daß die volle Geschwindigkeit nur allmählich erreicht wird. Bei zu großen Geschwindigkeiten muß eine selbsttätige Ausrückung erfolgen, oder die unzulässige Geschwindigkeit mindestens durch Signale angezeigt werden . Die einzelnen Maschinen müssen vollständig unabhänhig voneinander laufen , so daß Gefahrsmomente nicht von einer Maschine auf die andere übertragen werden können .
Außerdem
sind Maschinen mit großen Umdrehungsgeschwindigkeiten häufig periodischen Untersuchungen zu unterwerfen . Diese haben in kürzesten Zwischenräumen zu erfolgen, wenn das Material der Maschinen außergewöhnlich starken Abnutzungen ausgesetzt ist . Werden Mängel mit offenen Augen und klarem Verständnis rechtzeitig erkannt und beseitigt , dann sind auch die Explosionsgefahren , die nicht von eigentlichen Explosionen ausgehen , wenig zu fürchten , 22 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 549.
288
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung. VI. Die Wärme und die Explosionsgefahren . Von der Wärme werden Explosionen ausgelöst , und Explosionen
entwickeln Wärme.
Hierzu gehören explosible Systeme, deren Zer-
setzung durch Wärme unter Wärmeentwicklung vor sich geht.
Gleich-
gültig ist es, ob die Wärme, die die Explosionen auslöst , von der Sonne oder Erde als Wärmequelle ausgeht , oder ob ihre Entstehung auf mechanische , elektrische oder chemische Vorgänge zurückzuführen ist .
In
dem nackten Wärmebegriff liegt das Gefahrsmoment, das mit zunehmender Größe der Wärmemenge wächst.
Je größer die Wärme-
einwirkung, desto schneller die Zersetzung des Explosivstoffes , desto zerstörender die Kraftäußerung. Das sind Tatsachen, die im inneren Wesen der Wärme mit ihren transversalen Wellenschwingungen verankert liegen . Der durch den ganzen Weltraum und alle Körper verbreitete Äther ist im weiteren Sinne der Träger der mit der Wärme unzertrennlichen Explosionsgefahren. Er verursacht mit seinen abstoßenden Kräften auch bei Temperaturänderungen Sprengungen, die durch Vergrößerung der Volumina entstehen. Jede Gewichtseinheit eines Explosivstoffes besitzt eine bestimmte Wärmemenge als Kraft in sich aufgespeichert , die mit ihrer Auslösung durch die Entzündung frei wird.
Bei der Umwandlung der Wärme in
Kraft zeigt derjenige Explosivstoff die größte Kraftfülle , der nach seiner Zusammensetzung die höchste Verbrennungstemperatur und dementsprechend die größte Zahl von Wärmeeinheiten ( Kalorien ) aufzuweisen hat . Diese Wärmeeinheiten der verschiedenen Explosivstoffe können in Gasdruckbomben ermittelt werden. Aus der durch die Explosion
verursachten
Temperatursteigerung
einer
Wassermenge wird die frei gewordene Wärme errechnet.
bestimmten Für jede
verlangte Arbeitsleistung können danach die geeigneten Explosivstoffe und die erforderlichen Explosivstoffmengen festgestellt werden.
Das
ist im Hinblick auf die vielseitige Verwendung der Explosivstoffe in der Sprengtechnik sehr wichtig. Handelt es sich um die Zertiümmerung fester Massen , dann hat man Explosivstoffe zu wählen, die durch die denkbar schnellste Zersetzung mit größter Wärmeentwicklung eine heftige Schlag- und Stoßwirkung üben.
die eigentliche Brisanz
aus-
Sollen dagegen große Gesteinsstücke nur aus ihrem natürlichen
Felsverbande losgelöst , oder der Boden aufgelockert, oder Geschosse bewegt werden, dann sind Explosivstoffe von möglichst hoher Gasmenge mit langsamer Zersetzung und geringerer Wärmeentwicklung am Platz, damit die Spannkraft der Gase ihre Druckwirkung trennend, spaltend und schiebend zur Geltung bringen kann.
Wieder anders
liegen die Verhältnisse , wenn bei Sprengungen die Zündung von Gas und Staub durch die Verwendung von sogenannten Sicherheitsexplosiv-
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung. stoffen verhütet werden soll.
289
Hierzu ist die Explosionstemperatur
durch die Zusammensetzung des Explosivstoffes so niedrig wie möglich zu gestalten, indem den Gasen bei ihrer Entwicklung Wärme von indifferenten Stoffen entzogen wird. Infolgedessen entzünden schlagwettersichere Explosivstoffe , die ohne Feuererscheinung explodieren , nur schwer die Grubengase und den Kohlenstaub , und verhüten dadurch die gefährlichen Schlagwetter. Der Wärmegrad der Explosivstoffe ist dem Verwendungszweck in ähnlicher Weise anzupassen , wie die Lichtzuführung den Fernrohren.
Je nach der Verwendung wählt man bekanntlich stark ver-
größende oder mehr hell belichtete Fernrohre. In beiden Fällen liegt der Unterschied im Aufbau. Bei gleicher Gesamtwirkung wird im einzelnen dasjenige Ergebnis erzielt, das dem jeweiligen Bedürfnis am besten genügt. Die Wärme, die Licht erzeugt und mit dem Licht viele gemeinschaftliche Eigenschaften besitzt, löst mit diesem in vieler Beziehung ähnliche Kräfte aus.
In welchem Umfange die im Explosiv-
stoff schlummernde Kraft bei der Explosionsarbeit wirksam wird, das hängt hauptsächlich von der Zeit ab , in der die aufgespeicherte Wärmemenge zur Geltung kommt . In der Explosivstoff-Zersetzungsgeschwindigkeit liegt der Zusammenhang zwischen der Wärme und Explosionsgefahr. Die Gefahr ist da, wenn die von der Wärme zu schnell zersetzten Explosivstoffe in zu großen Mengen zur Verwendung gelangen. Die bei der Zersetzung frei werdende Wärme schleudert mit zunehmender Temperatur
die Explosionsatome unter Drucksteigerung zerstörend
nach allen Richtungen fort und äußert sich an denjenigen Stellen am heftigsten und sichtbarsten , an denen sie den größten Widerstand findet. Das Geheimnis bei der Bekämpfung der Explosionsgefahren liegt daher in der sachkundigen Regelung des Gasdruckes , der mit seiner Arbeitsleistung der entwickelten Wärme und der Geschwindigkeit des Zersetzungsverlaufes proportional ist. Die bei der Explosion entstehende Wärmemenge wird aus den Reaktionsprodukten für konstanten Druck oder für konstantes Volumen festgestellt.
Die Gase nehmen mit jeder
Temperatursteigerung an Volumen zu, wobei sich im geschlossenen Raum die Drucke wie die Volumina verhalten. Unsere Hauptwärmequelle , die Sonne , kann den Explosivstoffen mit ihrer strahlenden und zersetzenden Wärmeeinwirkung gefährlich werden. Die Fensterscheiben von Explosivstoffräumen sind deshalb auf der Sonnenseite zu blenden. Ohne diese Vorsicht können Sonnenstrahlen sogar direkt zünden , wenn Blasen im Fensterglas zu kleinen Brennspiegeln oder Sammellinsen werden. Ein gewiß seltenes Vorkommnis , das nicht unberücksichtigt bleiben darf, da beim Verkehr mit Explosivstoffen mehr als auf anderen Gebieten sehr kleine Ur22*
290
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung .
sachen große Wirkungen haben können.
Im Hinblick auf die außer-
ordentlichen Folgen der Explosionen müssen zur Einschränkung der Explosionsgefahren alle Möglichkeiten nach Möglichkeit berücksichtigt werden. Das Achselzucken über weitgehende Sicherheitsmaßregeln dient dem Sicherheitszwecke wenig. Die Sonne mit ihrer Wärme- und Lichtwirkung kann gefährlich werden ; künstliche Wärme- und Lichtquellen sind aber gefährlicher. Es liegt auf der Hand, daß dies in erster Linie vom offenen Feuer gilt , und daß solches in Explosivstoffräumen nicht geduldet werden darf ; und dennoch kommen Verstöße gegen diese selbstverständliche, elementarste Sicherheitsregel nicht selten vor.
Zündhölzer , Feuerzeuge
und Feuer erzeugende Körper, wie Glas , Stein, Porzellan und Stahl, sowie Rauchtabak und Zigarren spielen bei Explosionsunglücken keine unbedeutende Rolle. Die Beleuchtungs- und Beheizungsfrage, die mit Licht und Wärme im Zusammenhange steht. bedarf besonderer Beachtung.
Im Innern
der Explosivstoffräume dürfen nur Glühlampen mit Schutzglocken und sicher regulierbare Heizkörper Verwendung finden. Beleuchtung und Beheizung hat von außen zu erfolgen.
Jede andere Dies gilt auch
für Notlampen, die in getrennten Räumen instandzuhalten und anzuzünden sind.
Selbst Wächter , die auf ihren Rundgängen das Innere
von Explosivstoffräumen nicht betreten sollen , dürfen aus Sicherheitsrücksichten Laternen mit offenem Licht Stearinkerzen und Öllampen ―― nicht benutzen. Die Verwendung von Akkumulatorenlaternen ist angezeigt . mäßig schwer.
Leider sind diese Laternen noch verhältnis-
In allen Lagen ist der Entzündungsmöglichkeit von
explosiven Dämpfen besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden . In der Nähe von Licht- und Heizkörpern dürfen Explosivstoffe und leicht entzündliche Gegenstände nicht gelagert werden.
Deshalb
sind Explosivstoffräume auch nicht in der Nähe von Dampfkesseln und Dampfmaschinen vorzusehen.
Ist dieses , wie z . B. auf Kriegs-
schiffen, nicht zu vermeiden, so sind als Gegengewicht Kühl- und Ventilationsanlagen zu schaffen . Auf dem weiten Gebiet der Herstellung und Verwendung von Explosivstoffen ist die durch mechanische, elektrische und chemische Vorgänge erzeugte Wärme an allen Ecken und Enden gefährlich, da sie mit erhöhter Molekularbewegung leicht bis zur Entzündungstemperatur gesteigert wird. Holz an Holz gerieben kommt zur Entzündung, und beim Schlagen von Eisen auf Eisen sprühen die Funken . Schlecht geschmierte Achsen der Wagenräder werden so heiß, daß sie die Achsfutter entzünden ; und Nägel werden durch Hämmern auf dem Amboß glühend heiß .
Das sind Erscheinungen, die bei der Konstruk-
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung. tion von Explosivstoffarbeitsmaschinen beachtet sein wollen .
291
Die
Maschinenarbeit , die gegenüber der Handarbeit weniger Arbeitskräfte und kürzere Arbeitszeit fordert, ist zur Verringerung der Explosionsgefahr dringend erwünscht ; aber in der Maschine selbst darf kein Gefahrsmoment liegen. Schädliche Erwärmungen oder gar Funkenbildungen müssen bei der Maschinenarbeit ausgeschlossen sein .
Ex-
plosivstoffarbeitsmaschinen sind daher mit ruhigem, gleichmäßigem Gang , einfach und zugänglich zu konstruieren .
Die Explosionsgefahr
hängt von der konstruktiven Durchbildung und Wahl der Materialien ab. Stahl und Eisen sollten möglichst wenig verwandt werden , und in beweglichen Teilen nicht reibend miteinander in Berührung kommen. Eiserne Befestigungs- und Verbindungsmittel sind ferner derart versenkt anzuordnen , daß durch Schlag und Stoß die Auslösung von Funken nicht zu befürchten ist . Besonderer Wert ist auf die Schmierung und die Verhütung von Gaserwärmungen zu legen. Verstopfte Schmierkanäle , die das Heißlaufen von Lagern und Vorgelegen verschulden , können ebenso Explosionen verursachen, wie die Wärme , die bei der Verdichtung von Gasen entsteht.
In Perkussionsfeuerzeugen werden
Gase durch äußeren Druck bis zur Entzündung von Schwamm erhitzt , und in pneumatischen Feuerzeugen wird der Wasserstoff in den Poren des Platins bis zum Erglühen verdichtet . Die gefährliche Erwärmung bis zum Glühen und Funkensprühen ist noch mehr von der Elektrizität zu befürchten. Die allgemeine Verwendung der elektrischen Anlagen mit ihren vielen Vorzügen ist daher in Explosivstoffabriken erst nach Ausschaltung der vielen auf die Wärme zurückzuführenden Gefahrsmomente möglich geworden. Durch eingehende Erwägungen und Überlegungen sind die Gefahren , die im Wesen der Elektrizität mit ihren verschiedenen Wärmeerzeugungen liegen, beseitigt worden.
Sorgfältige Installation und peinliche Über-
wachung sind dauernd erforderlich .
Auch ist zu berücksichtigen , daß
viele Explosivstoffe während der Fertigung und Verarbeitung selbst leicht elektrisch werden. Hierzu genügt bei Nitrozellulose schon ein warmer Luftstrom und bei Benzin die bloße Reibung der Moleküle aneinander. In der Wärmeerzeugung durch Reibungselektrizität liegt das Hauptgefahrsmoment. Schlechte elektrische Leitung der meisten Explosivstoffe führt oft in überraschender Weise zum Spannungsausgleich zwischen der positiven und negativen Elektrizität durch den zündenden Funken . Brände mit Explosionen als Folgeerscheinung waren früher in chemischen Wäschereien nicht selten auf diese Ursache zurückzuführen. Für die Leitung der Elektrizität ist überall nach Möglichkeit Sorge zu tragen. Benzin wird bereits durch den Zusatz von Seife leitungsfähig und damit in gewissem Sinne ungefährlich.
292
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung.
Der weitgehendste Schutz gegen Zündungsmöglichkeiten ist in Räumen erforderlich, in denen explosive Dämpfe entstehen. Elektrische Triebwerke dürfen in solchen Räumen nicht verwandt werden, und müssen in deren Nähe gut eingekapselt werden. ist die Entstehung von Kurzschluß zu verhüten.
Im besonderen
Dieser wird ohnehin
häufig genug für die Zündungsursache gehalten, wenn man um die Angabe eines Grundes für die Entstehung einer Explosion in Verlegenheit ist .
Jedenfalls dürfen sich blanke Leitungsdrähte an keiner
Stelle berühren, oder unbeabsichtigt in Verbindung miteinander gebracht werden. Auch ist das Einschlagen von Nägeln in der Nähe elektrischer Leitungen zur Verhütung von
Kurzschluß unzulässig.
Die Erhitzung der Leitungsdrähte ist ferner durch Einschaltung von Widerständen und Sicherungen auszuschließen. Alle elektrischen Anlagen der Explosivstoffbetriebe sind in regelmäßigen Zwischen1äumen von Sachverständigen auf ihre Feuersicherheit zu untersuchen. Die Bedienung hat nur von besonders ausgebildetem Personal zu erfolgen.
Ganz allgemein muß die unbeabsichtigte, elektrische Wärme-
erzeugung in Explosivstoffräumen nach menschlichem Können ausgeschlossen werden.
Motore, Schaltungen, Bogenlampen und Glüh-
lampen ohne Schutzglocken, auch gekreuzte Treibriemen düfen im Hinblick auf die Funkenbildung in diesen Räumen keine Verwendung finden. Aus gleichem Anlaß darf auch das Aus- und Einschalten des elektrischen Lichtstromkreises nicht durch Zurück- und Einschrauben der Glasbirnen erfolgen.
Beschädigte Leitungen, im besonderen schad-
hafte Isolierungen, müssen sofort instandgesetzt werden.
Mangelhaft
isolierte elektrische Leitungen können durch Kurzschluß, freilicgende Dampfleitungen durch strahlende Wärme Entzündungen verursachen. Brände und Explosionen von Zelluloid, eines durchaus nicht harmlosen Stoffes , sind nicht selten auf diese Ursachen zurückzuführen. Der Entstehung und Ansammlung von Reibungselektrizität ist überall durch Ableitung zu begegnen.
Besonders gefährlich sind elek-
trische Spannungen , die bei der Bewegung leicht entzündlicher, ätherischer Flüssigkeiten und bei der gegenseitigen Reibung der Explosivstoffkörper aneinander entstehen . Aus diesem Grunde sind Ätherund Benzingefäße beim Füllen und Entleeren zu erden, ebenso wie Explosivstofftrommeln,
-Sieb-
und
Trockentafeln
beim
Bewegen
ihrer Beschickung. Selbst Personen , die mit Explosivstoffen zu hantieren haben, müssen mit der Erde in leitender Verbindung bleiben: andernfalls kann die im Körper angesammelte Elektrizität beim Ausgleich zündende Funken auslösen. Besondere Vorsicht ist bei schwüler Gewitterluft geboten , da in dieser die Entstehung elektrischer Spannungen durch die atmosphärische Elektrizität begünstigt wird. Daher
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung. das dringende Bedürfnis nach möglichst sicherem Blitzschutz !
293 Leider
gehen die Anschauungen über diesen noch auseinander. Im besonderen ist man über die Wirkung der Induktionsströme und den wirksamsten Schutz gegen sekundäre Entladungen verschiedener Meinung. Auch ist man sich noch nicht einig darüber, ob Metallmassen im Innern der Gebäude an die Blitzableiter anzuschließen sind. Die Gegner des Erdens machen geltend, daß das Einschlagen des Blitzes dadurch begünstigt wird ; die Befürworter dagegen weisen darauf hin, daß durch das Erden zündende Funkenbildungen ausgeschaltet werden . Fest steht jedenfalls , daß alle Gebäude , in denen Explosivstoffe gefertigt, verarbeitet und aufbewahrt werden, mit Blitzableitern verschen sein müssen, und daß diese Anlagen dauernd in vorschriftsmäßiger Beschaffenheit zu erhalten sind. Die Prüfungen haben sich nicht allein auf die Leitungsfähigkeit der Auffangestangen und Metalleitungen zu beziehen, sondern vorzugsweise unter
Berücksichtigung
der
auf die Erdleitungswiderstände
Änderungen
des
Grundwasserstandes.
Schadhafte Blitzableiter gewähren keinen Schutz ; sie bedeuten eher eine Gefahr ; sie sind also mehr schädlich als nützlich. Trotz des Blitzschutzes sind aus Sicherheitsrücksichten Explosivstoffa: beiten während eines Gewitters grundsätzlich zu unterbrechen.
Im Hinblick auf die
schweren Folgen der Explosionsgefahren kann man mit Explosivstoffen nicht vorsichtig genug umgehen . Dies bezieht sich ganz besonders auf die gefährliche chemische Wärmeeinwirkung.
Diese entwickelt sich von innen heraus und ist
in ihrem zersetzenden Einfluß schwerer zu bekämpfen als die zündend wirkende Wärme von außen.
Die Bildungswärme der chemischen
Verbindungen entwickelt sich oft überraschend schnell und spielt bei der Herstellung und Verwendung der Explosivstoffe eine verhängnisvolle Rolle .
In Oxydationsprozessen führt sie beim Nitrieren zu Ent-
zündungen und in der weiteren Folge zu Explosionen .
Je niedriger
die Nitsier- und Trockentemperatur, desto geringer die Explosionsgefahr. Jedenfalls darf die kritische Temperatur, die bei den verschiedenen Explosivstoffen von der Druckgrenze abhängt, nicht erreicht oder gar überschritten werden. Im Zusammenwirken der chemischen und mechanischen Wärme , die mit ihren zersetzenden, strahlenden und leitenden Wärmeeinflüsser wechselseitig zur Geltung kommen, liegt die Hauptgefahr. Bei der Fertigung kommen diese verschiedenen Einflüsse in Frage , sobald die einzelnen Operationen das Nitrieren, Mischen, Walzen, Pressen und Trocknen der Explosivstoffein geheizten Apparaten , Maschinen und Räumen ausgeführt werden müssen.
Die Temperaturen, die von
den Eigenschaften der Explosivstoffe und dem zu erstrebenden Zweck
294
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung.
abhängen, liegen weit auseinander. Die Art der Heizung und die Füllung der Apparate sind für das Gefahrsmoment von Bedeutung.
Bei der
Verwendung von überhitztem Dampf können leicht in gefährlicher Weise zu hohe Temperaturen entstehen. Unter diesen Verhältnissen ist es nicht leicht und einfach, die Gesamtwärme
der
Druckgrenze
der
verschiedenen
Explosivstoffe
gefahrlos anzupassen . Für alle Fälle ist zu jeder Zeit und an jedem Ort die größte Sparsamkeit mit der Wärme aus Sicherheitsrücksichten angezeigt. Möglichst niedrige Temperaturen , möglichst kurze Zeit der Wärmeeinwirkung und genaue Überwachung der von außen hinzuDie Kenntkommenden Temperaturerhöhungen sind erforderlich . nisse und Erfahrungen des Fachmannes bieten den besten Schutz gegen die Explosionsgefahren , die von den verschiedenen Wärmeeinflüssen herrühren. Auch die Lagerung der fertigen Explosivstoffe bedarf der dauernden Überwachung.
Dies bezieht sich besonders auf neue Explosivstoffe,
deren Wesen noch nicht in vollem Umfange bekannt ist .
Ganz all-
gemein sollen die Lagerräume kühl, frostfrei und trocken sein, und entstehenden Gasen freien Abzug gestatten. Diejenigen Explosivstoffe , die gegen Wärme empfindlich sind und bei der Fertigung größeren Wärmeeinflüssen ausgesetzt waren , sind besonders vorsichtig zu behandeln.
Ihre Lagerbeständigkeit kann
herabgesetzt sein, wenn bei der Fertigung zu viel Wärme auf sie einwirkte . Aus diesem Anlaß ist bei der Herstellung und Lagerung Sorge dafür zu tragen, daß die zulässige Höchsttemperatur an keiner Stelle überschritten werden kann. Dies wird am sichersten erreicht durch Flüssigkeitsheizungen mit Medien, die bei der verlangten Höchsttemperatur sieden und dann keine Wärmesteigerung mehr zulassen. Auch können zu gleichem Zwecke elektrische Wärmeapparate Verwendung finden, die durch sichernde Widerstände die Überschreitung der Höchsttemperatur ausschließen . Von der Wärme gehen die Explosionsgefahren aus ; deshalb muß die Wärmeeinwirkung in erster Linie beherrscht werden. Wird sie mit fachmännischer Kenntnis der Individualität des Explosivstoffes richtig angepaßt , dann sind Explosionsgefahren auch von der Wärme nicht zu befürchten. (Fortsetzung folgt .)
Literatur.
295
Literatur.
I. Bücher. Geschichte der neuesten Zeit vom Frankfurter Frieden bis zur Gegenwart. Von Gottlob Egelhaaf. 6. Auflage. Ein Band von 887 Seiten , geheftet 14 M., in Leinen gebunden 15,50 M. Karl Krabbe Verlag Erich Gußmann in Stuttgart. Von der hohen Warte des nicht durch Tagesneuigkeiten beeinflußten , durch gründliche Studien gereiften Historikers schildert der Herr Verfasser die Ereignisse seit Gründung des Deutschen Reiches . Als Vorarbeiten dienen die von ihm in einer Reihe von Jahren herausgegebenen bekannten Historisch - Politischen Jahresübersichten . Die immer mehr in die Einzelheiten gehende Berichterstattung der Zeitungen über Tagesgeschichte und Politik mit ihren unvermeidlichen Fehlern , unsichern Vermutungen, Entstellungen, Richtigstellungen , Zurücknahmen , läßt kaum die Fachwelt der Diplomaten , Historiker, Parlamentarier , Politiker und Journalisten zu genauem Überblick und lückenloser Kenntnis der wirklichen Geschehnisse gelangen. Ihre Fülle und ihr Durcheinander verwirren den Durchschnittsleser und befördern die neuzeitliche Vergeßlichkeit. Daher ist der Wunsch nach einer faßlichen Übersicht über die Hauptereignisse und ihre Zusammenhänge in den letzten Jahrzehnten weit verbreitet und äußerst rege. Die wichtigsten politischen Zeitfragen finden hier eine übersichtliche Zusammenstellung bis zu den Egelhaaf hat in seinen Vorstudien über jüngsten Geschehnissen . Bismarcks Sturz ( 1909) die meiner Ansicht nach beste Darsellung der Vorgänge gegeben , auch in der neuen Auflage dürfte dieses Kapitel den Leser durchaus befriedigen . Persönlich dem Fürsten bekannt, dürfte gerade die Tätigkeit des ersten Reichskanzlers mit seiner Zustimmung geschrieben sein , ohne die Freiheit des Urteils zu beschränken . Die Geschichte der Ursachen des Weltkrieges ist klar und erschöpfend behandelt. Der Verfasser zeigt, wie, nachdem einmal der Ring der Entente sich geschlossen hatte, der Weltkrieg eine notwendige Folge sein mußte . Man kann nicht genug betonen , wie durch den ersten militärischen Schritt Rußlands der Stein ins Rollen kam. Die Schuld Deutschlands bestand darin , daß es nicht geduldig zusehen wollte, wie ihm die Schlinge um den Hals geworfen wurde, daß Österreich seine Ehre und sein Ansehen nicht einem Gerichtshof überweisen wollte , in dem die überwiegende Mehrzahl der Richter aus ausgesprochenen Gegnern der Mittelmächte bestanden hätte . Von den zahlreichen interessanten Fragen , die behandelt werden , sei besonders Balck. genannt Englands und Japans Entwicklung. Die Ukraine und die ukrainische Bewegung. Von Dr. Paul Ostwald. Heft 15 der Kriegshefte aus dem Industriebezirk Essen . G. D. Baedeker, Verlagshandlung. 80 Pf. Bei der jetzt ausgebrochenen russischen Revolution sind in verschiedenen Teilen des weiten Reiches autonome Bestrebungen hervor-
296
Literatur.
getreten, die auf die Herstellung besonderer Staatsgebilde hinzielen . Deutlich tritt dabei zu Tage , aus was für verschiedenen Völkerschaften das Zarenreich zusammengesetzt ist und daß sie bisher nur durch die autokratische Herrschaft, die von ihr abhängige Bureaukratie und das einheitliche Heer zusammengehalten wurden . Jetzt , da diese drei Machtfaktoren gestürzt sind , verlangen die verschiedenen Völker die Wiederherstellung ihrer früheren Selbständigkeit. Dazu gehören u a. die Polen , Finnländer und die Ukrainer. Letztere stehen dabei sowohl nach Einwohnerzahl wie nach der Größe des von ihnen bewohnten Gebietes und in Rücksicht auf ihre frühere Geschichte mit an erster Stelle. Im allgemeinen ist aber die Kenntnis von der Ukraine und von den Ukrainern bei uns wenig bekannt. Das oben angeführte Buch gibt in kurzer, aber vollkommen genügender Weise eine übersichtliche Darstellung der Ukrainer, die gerade in der jetzigen. Zeit besondere Beachtung und ein aktuelles Interesse verdient. Diesem warm zu empfehlenden Buche sind die folgenden Angaben entnommen : Die Ukraine umfaßt ein Gebiet, das 1½ mal so groß ist als das Deutsche Reich. Der Dnjestr teilt sie in zwei gleiche Teile , in die östliche und westliche Ukraine. In ihr Gebiet teilen sich zwei Staaten : Österreich - Ungarn und Rußland , aber nur 11 des gesamten Gebietes gehört zur Donaumonarchie, alles andere ist russischer Besitz . Die Zahl der in Österreich- Ungarn wohnenden Ukrainer, die gewöhnlich Ruthenen genannt werden, beläuft sich auf 41 Millionen Menschen . Die Zahl der russischen Ukainer beträgt etwa 30 Millionen, die im Stromgebiet des Dnjestr und des Don wohnen . Am Dnjestr liegt auch Kiew , die Hauptstadt der Ukrainer (250000 Einwohner) . In demselben Landstrich wohnen nur 8 Millionen , die zu anderen Volksstämmen gehören . Am zahlreichsten sind die Ukrainer in den Gouvernements Poltawa (95 %) , Podolien ( 81 % ) , Kiew ( 79 % ) , Wolhynien und Charkow (zu 70 % ) vertreten . Die Ukrainer besitzen mit den Russen und Polen nur geringe Verwandtschaftsmerkmale und bilden einen eigenen Volksstamm. Auch ihre Sprache ist nicht als russischer Dialekt, sondern als eine selbständige Sprache aufzufassen. Die Geschichte der Ukrainer läßt sich bis in das 10. Jahrhundert verfolgen , wo sie im Gebiet von Kiew einen selbständigen Staat bildeten , während nördlich von ihnen aus Slawenstämmen das Moskowiter Reich entstand , mit dem sie in lang dauernde Kämpfe verwickelt wurden . Schließlich setzten sich die Moskowiter in Kiew fest. Sie konnten sich ihres Erfolges aber nur kurze Zeit erfreuen , da sie um 1200 von den Tartaren besiegt wurden. In der Folge fiel der größte Teil der Ukraine an Polen , während die anderen Teile mit Litauen vereinigt wurden . Mit der Vereinigung von Polen und Litauen ( 1378 unter Wladislaw II . ) gelangten auch die ukrainischen Gebiete wieder unter denselben Herrscher, aber ihre Selbständigkeit wurde gänzlich beseitigt und die Ukrainer zu völlig Unterworfenen Polens gemacht. Im Jahre 1648 brach unter dem Hetman Bohdan Chmelnikyj ein großer Aufstand aus . Die polnischen Heere wurden besiegt, die Ukrainer wieder frei und bildeten ein selbständiges Reich . Aber zu schwach,
Literatur.
297
um sich in den fortwährenden Kämpfen mit den Polen und Tartaren zu halten , kamen die Ukrainer mit den Gebieten links vom Dnjestr, mit Kiew in den Besitz der Russen , mit den rechts des Flusses liegenden Teilen an die Polen ( Friede von Andrussow 1667 ) . Die polnischen Teilungen des 18. Jahrhunderts brachte dann auch die rechtsufrige Ukraine mit Ausnahme des kleinen österreichischen Erwerbs an Rußland . So haben die Ukrainer bis zur Vereinigung mit Rußland ein von den Russen völlig verschiedenes historisches Schicksal gehabt und zweimal einen eigenen Staat besessen. Allmählich wurde die Ukraine immer mehr russifiziert. So wurde für das Gebiet und seine Bewohner der Name Klein- Rußland und Klein-Russen eingeführt , während im Gegensatz dazu das moskowitische Reich Großrußland genannt wurde. 1782 wurde die Ukraine in Gouvernements zerlegt und damit dem russischen Reich gänzlich einverleibt. Trotzdem hielt die Mehrzahl der Ukrainer an ihrem Volkstum fest. Im 19. Jahrhundert nahm das nationale Bewußtsein der Ukrainer wieder einen großen Aufschwung. In den letzten Jahren entstand ein weit verbreitetes ukrainisches Parteiwesen . Im Jahre 1900 bildete sich die ukrainische revolutionäre Partei , deren Tätigkeit sich bald in dauernden Unruhen bemerkbar machte. Das letzte Ziel dieser Bewegung war die politische Selbständigkeit. Die Ukraine ist das Gebiet der bekannten : „Schwarzen Erde " . Es ist ein äußerst fruchtbarer Landstrich, der auch durch das Klima sehr begünstigt ist. Die Landwirtschaft ist sehr entwickelt. Sie 60 % liefert der gesamten Weizenproduktion Rußlands . Die Gouvernements Kiew , Wolhynien , Podolien und Tschernigow bringen 5 der gesamten Zuckerrübenproduktion Rußlands hervor. Die Tabakernte beträgt 69 % der Gesamternte Rußlands . Das Land verfügt über 30 Millionen Großvieh, also über 1/3 des europäischen Rußlands . Auch die industrielle Bedeutung der Ukraine hat zugenommen seitdem die vorhandenen Eisen und Kohlenlager nutzbar gemacht worden sind. Die Roheisen und Stahlproduktion übertrifft jedes andere Gebiet Rußlands (62 % der Gesamtroheisengewinnung und 58 % der Stahlgewinnung) . Auch die Kohlenfelder sind ungemein groß . An Salz liefert es 50 % der Gesamtproduktion . Quecksilber, Kaolin , Erdöl , Erdwachs und Phosphorite werden in beträchtlichen Mengen gefunden . Damit im Zusammenhange sind die industriellen Anlagen und Unternehmungen in stetem Anwachsen (Eisenfabriken, Maschinenbau , Glasfabriken , Emaillefabriken) . Die Zahl der Fabrikarbeiter wurde 1906 auf 180000 angegeben. Für den Handel ist die Ukraine außerordentlich begünstigt durch ihre Lage am Schwarzen Meer und durch die großen schiffbaren Ströme . Unzweifelhaft ist somit die Ukraine ein in jeder wirtschaftlichen Beziehung bedeutendes, mit natürlichen Reichtümern gesegnetes Land . Sie ist die Kornkammer des Zarenreiches , von ihr ist es in seiner Industrie fast ganz abhängig. Darin liegt die große v. S. Bedeutung, die dieses Land für Rußland besitzt .
298
Literatur.
Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 nebst dem Einführungsgesetz . Unter Benutzung der amtlichen Quellen , der Literatur und der Rechtsprechung bearbeitet und erläutert von Dr. jur. A. Romen , Wirklichem Geheimen Kriegsrat, und Dr. jur. Carl Rissom , Kriegsgerichtsrat bei der 18. Division . Zweite vermehrte und verbesserte Auflage . J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung G. m . b. deutscher Reichsgesetze Nr . 67. ) 10 M.
H. (Guttentagsche Sammlung Berlin 1916. 998 Seiten. Geb.
Einer empfehlenden Einführung bedarf dieses Buch nicht. Die Namen Romen und Rissom sind denen , die es angeht, rühmlich bekannt. Der Kommentar zum M.St.G.B. , den die Verfasser neben einer Bearbeitung der Militärstrafgerichtsordnung und der Vorschriften über Waffengebrauch und Festnahmerecht des Militärs in der bekannten Guttentagschen Sammlung 1912 erscheinen ließen , liegt schon jetzt in zweiter Auflage vor. Der Aufschwung, den die Militärrechtswissenschaft in den letzen Jahren schon vor dem Krieg und vor allem durch den Krieg genommen hat man vergleiche den Stand der Forschung um 1912 mit dem heutigen ! hat die neue Auflage erheblich gegen die erste anschwellen lassen . Die Quellen- und Entscheidungsnachweise
sind bis Mitte 1916 fortgeführt. Insbesondere sind die Bedürfnisse und Ergebnisse berücksichtigt, die der Krieg mit sich gebracht hat. Das zeigt sich beispielsweise bei den Paragraphen, die das Heeresgefolge und die Kriegsgefangenen , den Kriegsverrat und die strafbaren Handlungen gegenüber feindlichem Eigentum behandeln , und in der eingehenden Berücksichtigung, die das Recht des Kriegs- und Belagerungszustandes , das Völkerrecht und der Kriegsgebrauch gefunden haben. Auf Einzelheiten zustimmend oder ablehnend einzugehen , ist im Rahmen einer Buchbesprechung nicht der Raum . Ganz nebenbei sei bemerkt, daß S. 682 Anm . 4 ay ein störender Druckfehler stehen geblieben ist. Eine äußerliche Anmerkung möchte ich mir nicht versagen . Der Band mit seinen tausend Seiten ist trotz des dünnen Papiers unverhältnismäßig in die Breite gewachsen und deshalb für die Tasche kaum noch geeignet. Es wäre zu empfehlen, daß der Verlag, nachdem er einmal von dem ursprünglichen unhandlich kleinen Format durchgängig auf dies größere Taschenformat übergegangen ist, künftig auch bei diesem Kommentar (wie bei dem zum B.G.B. , zur Z.P.O. usw. ) das Oktavformat zur Anwendung brächte . Dann würde der Reichtum des Inhalts viel übersichtlicher zur Geltung kommen. Eg. Geländezeichnen für die deutsche Jungmannschaft. Von Georg 81 S. mit 95 Abb. Leipzig 1916. Stiehler. Verlag Dürr. Preis 1,25 M. Das allgemein bildende Geländezeichnen ist neben dem Wort ein Mittel zur Herstellung von Kurzberichten , das vor dem sprachlichen Ausdruck bei größerem Inhalt eine genauere Umgrenzung voraus hat. Die Fertigkeit rascher und doch zutreffender Skizzierung besteht in der entschlossenen Auslese militärisch wichtiger Geländelinien aus
Literatur.
299
dem vom Auge zunächst wahllos aufgenommenen Geländebild . Darum beschäftigt sich der Verfasser mit dem Wesen der Auffassungs- und Darstellungskräfte. Da das Werkchen für die Hand der Jungmannen bestimmt ist, führt der Gedankengang bald auf die Schule , die im Rahmen des Zeichenunterrichts die Aufnahme von einfachen Landschaftsbildern im Freien als Vorübung eines pünktlichen Geländesehens pflegen kann . Die Felderfahrungen verlangen die Fähigkeit eines vergliedernden Sehens und Darstellens , eines Herausholens des Wichtigen aus der Masse des Zufälligen . Eine unter schwierigen Umständen . hergestellte Patrouillenskizze muß bisweilen weitere militärische Operationen entscheiden . In der modernen Geländeausnützung , bei der jede Bodenwelle eine taktische Bedeutung besitzt, hat das gewandte Festlegen der Geländeformen für die Orientierung und das Verständnis der Lage eine erhöhte, bis dahin noch nicht gekannte Bedeutung . Es gehört der „Zeichenlehrer-Instruktor" ins Heer zur Heranbildung in der Richtung begabter Leute . Eine dankbare Aufgabe findet er fernerhin bei der Jugendvorbereitung um so mehr, als ein solcher Lehrgang neben der Augenschulung eine Stählung der Konzentrationsund Entschlußkraft und des Willens überhaupt mit sich bringt. So wäre der Zeichenlehrer die maßgebende Persönlichkeit, die an der Schule und in den Jugendorganisationen die „ Sehreife" und die zeichnerische Wahlfähigkeit beurteilen könnte . Möge er eintreten in den Kreis der Männer, die durch Förderung des persönlichen Einzelwertes die Leistungs- und Wehrkraft der Gesamtheit steigern helfen in der Form einer geistigen Grundlage für militärische Erfolge. Eine sehr nützliche Neuerung bestände in der Einführung einer Prüfung der „Sehreife" als Teil der Wehrreife im Ansschluß an das Abiturium oder das Zeugnis für den Einjährigen - Freiwilligen Dienst. Im praktischen Teil läuft das Lehrziel auf die Pflege der Sehzucht als Willenzucht hin . Die Anwendung einer Reihe von technischen Zielhilfen wie die Visiernadel, die Zielgabel, die Zielröhre , das Visierloch, die Visierröhre, führen in eine gründliche, praktische Beobachtung der Umgebung ein. Dann geht immer neben dem Erkennen im Blickfeld die Herstellung des Kurzberichts oder der Sichtskizzen einher. Aufsuchen , Aufnehmen und Festhalten der Beziehungen im Gelände werden bei allen Aufgaben als Skelett des Geländestudiums benützt . Die ganze Broschüre enthält eine Fülle ganz ursprünglich aufgefaßter und äußerst geschickt ausgeführter Aufgaben , die unmittelbar am Busen der Natur, im freien Feld gelöst werden müssen . In der Wehrliteratur findet sich kein Buch, das eine solche streng aufgebaute Augenschulung entwickelt. Die Verwendbarkeit wäre für alle jene Jugendkompagnien in erster Linie gegeben, die zum größten Teil aus Mittelschülern bestehen. Allerdings muß der erfahrene Zeichenlehrer diesen Unterrichtszweig leiten ; dann aber ist in ihm eine direkte Vorbildung für die angehenden Offiziersaspiranten zu sehen. Sehr wünschenswert wäre die Beachtung dieser Arbeit an den Kadettenanstalten , wo jetzt schon in ganz frühen Jahren das genaue Kartenbild entworfen wird, ohne daß vorher eine
300
Literatur.
hinreichende, freiere Augenschulung im Gelände stattgefunden hätte . Selbst auf den Kriegsschulen könnte die Ausführung der Stiehler'schen Gedanken von großem Vorteil sein . Einer vollen Beachtung ist diese mit reichaltigem Bildermaterial ausgestattete Schrift im Kreise der Jugendführer und der erziehenden Organe unseres Armeenachwuchses Prof. Broßmer, Oberlt. der Res. wert. Des Todes Sinn . Von Paul Bourget , Mitglied der französischen Akademie. Autorisierte Übersetzung von C. A. Loosli , Zürich. Druck und Verlag Art. Institut Orell Füßli . Preis ungebunden 3,50 M. Die Frage, ob der Tod ein bloßes Zerfallen , ein Sich - Auflösen in die Urstoffe bedeute, oder ob er noch einen tieferen Sinn habe , sucht der Verfasser zu beantworten auf Grund seiner Beobachtungen am Sterbebette des berühmten Chirurgen Ortègue und des Leutnants Le Gallic , zweier typischer Vertreter dieser beiden möglichen Ansichten. Ortègue, der einen besonderen Sinn des Todes nicht anerkennen will, weil sich dieser nicht durch Tatsachen nachweisen lasse , stirbt , unbeirrt in seiner Anschauung, mit verzweifelten Gleichmut. Für den tödlich verwundeten Le Gallic aber ist der Tod eine willkommene Gelegenheit zu beweisen , daß er für ihn einen Sinn hat : Der Tod ist das Opfer, das der einzelne seinen Mitmenschen bringt. Die von beiden leidenschaftlich geliebte Gattin Ortègues, die sich in letzter Stunde ihr Wort, ihrem Gatten freiwillig in den Tod zu folgen , zurückgeben läßt, um in einer gesteigerten Hingabe an die Verwundetenpflege ihre Lebensaufgabe zu erfüllen, empfindet jedoch ganz richtig, daß dieser Opfertod nur dann einen Sinn hat, wenn jemand da ist, der von dieser Gabe Kenntnis nimmt für den Fall , daß der, dem man sie darbringt, dies nicht kann . Und so führt denn der Glaube an diesen Sinn des Todes unabweislich zum Glauben an Gott. Dieser Gedanke wird in straffer, dem Stil einer wissenschaftlichen Abhandlung bewußt angeglichener Darstellung vom Verfasser entwickelt, veranlaßt durch die Ereignisse des Kriegsherbstes 1914. Und da nun jetzt im 3. Kriegsjahre die Zahl der Gestorbenen ins Ungeahnte hinein gewachsen ist, dürfte die Frage nach dem Sinn dieses großen Sterbens sich heute jedem Nachdenken immer stärker aufdrängen und zur Lektüre dieses Buches anregen , ganz gleichgültig, ob er sich die Antwort Bourgets L. zu eigen machen kann, oder nicht. Römische Charakterköpfe . Von Theodor Birt . Ein Weltbild in Biographien. 2. Auflage. Quelle und Meyer, Leipzig , 1916. Preis 8 M. In unseren Kriegszeiten ein selten fesselndes Buch , was sicherlich viele Leser auch vor dem Feinde finden wird . Es schildert Personen und sucht uns aus der Fülle geschichtlicher Ereignisse das Wesentliche herauszuheben, um uns bedeutende Menschen näher zu bringen. Von Scipio dem Älteren führt uns der Verfasser über Caesar zu Marc Aurel . Männer machen die Geschichte , so entwickelt sich im Laufe der Charakterbilder eine Geschichte Roms. Wir merken beim Lesen , und
Literatur.
301
deshalb ist das Buch für den Soldaten im Felde so besonders lesenswert, daß kein blinder Zufall waltet, daß die Aufeinanderfolge der Personen durch eine innere Notwendigkeit bedingt war, denn sie sind nur Ergebnisse der sie umgebenden Gesellschaft. Marcus Antonius und Nero verkörpern nur den zerrütteten Zeitgeist. Mit der allgemeinen und allmächtigen Hebung des Menschentums veredelt sich die Natur der herrschenden Personen , von Seneca aufsteigend bis Marc Aurel. Diese Geschichtsphilosophie bestimmt den Verfasser auch, auf Gestalten wie Heliogabal und Diocletian zu verzichten , die eigentlich zum Abschluß gehört hätteu , um die Schlußrechnung ohne Rest aufgehen zu lassen. Balck. Erlebnisse
eines
Schweizers
in
den
Dardanellen
und
an der
französischen Front. Zürich, Druck und Verlag : Art . Institut Orell Füßli. Preis 2 M. Wenn man sich den Inhalt durch die Kapitelüberschriften : „ Wie man ohne Paß nach Frankreich kommt “ , „ Garnisonsleben in Nordafrika“ , „In Alexandrien “ , „ Lagerleben in Ägypten “ , „ Lemnos “ , „ Bilder von den Dardanellen “ , „Biserta und die deutschen Kriegsgefangenen “ , vergegenwärtigt, so genügt dies schon , um den Stoff als interessant erscheinen zu lassen, und nimmt man dann noch hinzu , daß er auf Grund eigener Anschauung lebendig, anschaulich und unparteiisch dargestellt ist, so erweist sich dies Büchlein als ein namentlich für L. die reifere Jugend geeigneter Lesestoff . Flex,
Der Wanderer zwischen beiden Welten.
C. H. Beck'sche
Verlagsbuchhandlung Oskar Beck in München . Geb. 2,50 M. Poesie und Krieg sind die beiden zu vereinigen ? -- In dem Wanderer zwischen beiden Welten " begegnet sich beides , und verträgt sich nicht nur, sondern geht ineinander auf. Zwei junge Kriegsfreiwillige, Dichternaturen mit hellem Sinn für Schönheit , schließen sich aneinander an und leben gemeinsam , so in der Welt der grausigen Wirklichkeit, wie in der des Geistes. Durch den Heldentod des Einen M. D. findet die Erzählung einen erhebenden Abschluß .
II . Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des ver. fügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt. )
1. Link, Die gemeinnützige Rechtsauskunft.
Zeitschrift des Ver-
bandes der deutschen gemeinnützigen und unparteiischen Rechtsauskunftstellen . Lübeck. Jahrgang 5. Einzelne Nummer 0,50 M. 2. Link, Sammlung rechtsbelehrender Schriften . Heft 1 , 2 und 3. Lübeck. 0,25 M. , 20 Expl . und mehr je 0,20 M., 100 Expl. und mehr je 0,15 M.
Literatur.
302
3. Welche Kriegsbeihilfen stehen in Preußen den Beamten, Lehrern, Lehrerinnen und Staatsarbeitern zu ? Dargestellt nach den. Verhandlungen des Abgeordnetenhauses. Berlin SW 68. Preußische Verlagsanstalt G. m . b . H. 1 Stück 0,20 M. , 100 Stück 15 M. Bei größeren Bestellungen Vereinbarung. 4. v. Kralik, Vom Weltkrieg zum Weltbund. Innsbruck 1916. Verlagsanstalt Tyrolia .
4,20 M.
5. Lux, Ungarn . Eine mitteleuropäische Entdeckung . München 1917 . C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung . Geb. 6,50 M. 6. Die Niederwerfung Rumäniens. Dargestellt auf Grund der amtlichen Veröffentlichungen . Berlin 1917. E. S. Mittler & Sohn . 2 M. 7. Das fliegende Schwert. Wesen, Bedeutung und Taten der deutschen Luftflotte in Wort und Bild . Herausgegeben vom Deutschen Luftflottenverein . Oldenburg 1917. Gerhard Stalling . 1,50 M. 8. Karte von Gross -Britannien , Italien , Japan und den überseeischen Ländern mit Angabe der Plätze , in denen sich Kriegs- und Zivilgefangene befinden . Hamburg 1917. L. Friederichsen & Co. 1 M. 9. ,,Wir" . Ein Hindenburgbuch von Anton Fendrich . Stuttgart 1917 . Franckh'sche Verlagshandlung. 1 M., geb. 1,60 M. 10. Romen, Schutzhaftgesetz . buchhandlung . 2,50 M.
Berlin 1917.
J. Guttentag. Verlags-
11. Kriegstrost. Achtes Kriegsheft der Grünen Blätter. Verlag der Grünen Blätter. 1,20 M. 12. Nicolai, der Kompagnieführer im Felde . von R. Eisenschmidt. 1.60 M.
Elmau 1917.
Berlin 1917.
Verlag
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z . D. H. Rohne) enthält u. a. folgende Arbeiten : Neesen, Geh. Regierungsrat, Dr.: Die Photographie in ihrer Verwendung bei Untersuchung der Bewegung und Wirkung von Geschossen. Rohne, Generalleutnant z. D.: Vereinigung von Kanonen und Haubitzen. Krebs , Wilhelm : Außerordentlich geringe und außerordentlich große Hörweiten des Geschützdonners. Seeger, Major : Deutsch-österreichische Kameradschaft . Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
Jahrbücher
für die
deutsche Armee und
Marine.
Verantwortlich geleitet
von
Keim , Generalleutnant.
1917
Juli bis Dezember
18
64 B
BERLIN SW 11 .
Verlag von Georg Bath . Bernburger Straße 24/25.
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
Inhalts -Verzeichnis .
Seite Baumberger , Hauptmann, Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart . Broßmer , Professor, Oberleutnant d . R. , Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend
4
108
Herrmann , Zur Beurteilung des Prinzen Heinrich von Preußen 212 als Feldherrn , * 18. Januar 1726, † 3. August 1802 . . . Mayer , Feuerwerkshauptmann, Verwendung von Panzerzügen im Burenkriege . v. Pflugk- Harttung , Zur Geschichte der Befreiungskriege Pudor , Dr. , Die armenische Frage
198 139
80
45, 91 Rhazen , Generalleutnant, Bewegliche Defensive . Ein Gradmesser der persönlichen Kriegslasten unserer Gegner . . 191 Riensberg, Oberst, Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und 22, 61 Bekämpfung . 121 , 154 Schultze , Dr. , Englische Plünderungssucht Stellungswechsel, Angeblich beschleunigter, der französischen Feld20 artillerie . 208 Trebesius , Ingenieur, Moderne U- Boote Frhr. v. Welck , Oberstleutnant, Französische Kriegs- und Friedensgedanken Woelki , Oberst , Wertlose Festungen ? • --, Zum derzeitigen Stellungskrieg in seinen Kampfbedingungen
187 1
221 36, 86, 137 , 185, 231
Bücherbesprechungen Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher 44, 90 , 138 , 186 , 233
I.
Wertlose Festungen ?
Von Woelki, Oberst z . D.
In einem Artikel des Militärwochenblatts ( Nr. 124/17) wird das Unterliegen von Antwerpen , Warschau und Bukarest ,,nach kurzem Kampf, ohne Kampf und nach Niederlage des Heeres vorwärts des Festungsgürtels " als überraschender Beweis des Versagens von Festungen in diesem Kriege , der Kampf vor Verdun dagegen als Beispiel dafür angeführt ,,, daß eine Festung auch gegen die furchtbaren Angriffsmittel unserer Tage gehalten werden kann, wenn es der Verteidiger versteht, sich den veränderten technischen Verhältnissen unserer Zeit anzupassen".
Der (ungenannte) Verfasser hält es zwar
noch für voreilig , schon jetzt die Frage abschließend beurteilen zu wollen, ob es sich nunmehr ,,noch lohne, im Frieden Milliarden über Milliarden in Festungen zu verbauen , wenn im Ernstfalle die Angriffsartillerie die zugehörigen Bauten zu Staub zerschlägt bzw. wenn sich keine Kräfte finden , um die Festung zu verteidigen . Eins aber stehe schon fest und werde durch die drei Festungsschicksale erwiesen, daß eine Festung, und sei sie noch so groß und kostbar, nur dann Anrecht auf ihr Dasein hat, wenn sie dem Zwecke der Landesverteidigung auch wirklich dient und zu einem Hilfsmittel der Kriegführung wird. ,,Hierzu"
und damit schließt der Verfasser - ,,gehören nicht die
Werke an sich, sondern die Ausnutzung der Festung durch den Geist der Heerführung und die Verteidigung durch tüchtige Streitkräfte“ . So sehr diesseits sonst zumeist, und dem Schlußsatz im besonderen zugestimmt werden kann , so muß doch der Ansicht entgegengetreten werden, wonach nur solche Festungen eine Daseinsberechtigung hätten , die der Landesverteidigung in jedem Falle wirklich dienten !
Als ob
das so einfach, noch dazu im voraus , sicher festzustellen wäre ! 1 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 550.
2
Wertlose Festungen ? Gewiß , die drei Festungen haben den in sie gesetzten Hoffnungen
nicht entsprochen ! Das wird wohl zugegeben, und zwar soweit , wie es auch vom Verfasser erklärt ist ; aber das ist auch nur teilweise und recht bedingt - ungefähr in dem Maße, wie Verdun sich bewährt haben soll
nämlich nach Maßgabe der ihnen zuteil gewordenen Verteidigung ! auch nach dem Verfasser - ,,ihre
Denn ,,Festungen erlangen"
volle Bedeutung nicht nur in der Verbindung mit dem Operationsheere ,
sondern überhaupt
erst
durch die
Verteidigung
durch
tüchtige Streitkräfte". Das dürfte denn auch nicht aus den Augen verloren werden, weder bei der Inanspruchnahme zur Ausnutzung , noch bei der Aburteilung ! Da wird aber nur zu bald das Kampf- und Hilfsmittel, das die Festung darstellt, als unbrauchbar und wertlos gescholten , wenn die Führung es dürftig und mangelhaft zugerichtet , es auch nicht dem bevorstehenden Gebrauch angepaßt und es schließlich widerwillig und ungeschickt gehandhabt hat, es also an sich selbst hat fehlen lassen ! Um aber den betreffenden Kriegsereignissen gerecht zu werden , dazu gehört doch zunächst wohl die einwandfreie Feststellung aller zugehörigen Umstände , wie es aber derjenigen dieses Krieges noch lange nicht möglich sein wird !
Da müssen -- und könne auch in gewiss n em Maße - vorläufig die wesentlichsten Momente, wie sie offenkundig vorherrschen, genügen, um von dem Wert oder Unwert der vorhandenen Festungen als Kampfmittel einen annähernden Begriff zu geben. Als solche Hauptmomente kommen hier in Betracht : die bisher unbekannte Massenhaftigkeit , wie die überaus gesteigerte Wirksamkeit der neuen Kräfte wie Hauptkampfmittel ; wozu noch zumeist eine ungewöhnliche Energie der Ausnutzung kommt und wodurch sich Kampfverhältnisse ergeben haben, denen gegenüber nur notdürftige , für nur beschränkte Angriffe berechnete, wenn nicht geradezu vernachlässigte Kriegsvorbereitungen eben nicht gewachsen sein konnten , noch je können ! Damit erübrigt es schon, auf die angezogenen Beispiele näher einzugehen, zumal sie doch eigentlich nicht als ,,Festungen“
zur
Geltung kommen noch ausgenutzt sind, und zwar Bukarest überhaupt nicht , Warschau nicht wesentlich, Antwerpen offenbar mangelhaft und Verdun auch nicht durch seine Anlage in entsprechendem Verhältnis .
Ob Verdun übrigens bahnbrechend für die Zukunft wirken
wird, mag auch noch dahingestellt bleiben ; sicherer ist wohl diesbezüglich, daß die alte methodische Kriegführung mit ihren überlebten Voraussetzungen,
einschränkenden
Normen
und
ausgeklügelt
an-
gepaßten Formen als überlebt gelten kann , daß aber eine energischere ,
Wertlose Festungen ?
3
auf Verschärfung des Vernichtungsprinzips und rücksichtslosen Einsatz aller Kräfte beruhende Offensive auch eine entsprechende Vermehrung und Verstärkung der Verteidigungsmittel unumgänglich macht.
Ge-
lingt es nun nicht , solche schon im Frieden als ,,Festungen" einwandfrei vorzubereiten, dann muß eben die gegebenenfalls erforderliche Verteidigung solche entbehren und mehr Kräfte einsetzen, durch eine wirkliche Festung
erspart
werden
die eben
können !
Die Ent-
scheidung, der Erfolg wird aber auch dann vor allem von dem Maße an Energie und Masse des Kräfteeinsatzes abhängen . Dem wieder allein sollten und müssen alle Kampf- und Hilfsmittel also auch die Festungen - entsprechen, wogegen jeder bezügliche Mangel , jede Versäumnis sich folgerichtig rächen muß. Schließlich sind aber selbst Festungen im Falle von Bukarest und Warschau doch nicht so wertlos und überflüssig oder gar schäd lich ( ! ), wie man sie wohl hinzustellen beliebt .
Das ergibt schon die
Annahme ihres Fehlens ; sie stellen immer noch gewisse, durch die zugehörigen Umstände bedingte Werte dar , und zwar in einzelnen wie den angeführten Fällen so sehr bedingte, daß sie billigerweise nicht mehr als ,, Festungen" zählen dürften , weil ihnen doch deren wesentliche Eigenschaften, wie zugehöriger Ausbau und eine gewisse Bestückung und Besatzung , fehlten !
Aber auch so haben oft genug
solche fraglichen Orte und Anlagen einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Kriegshandlungen ausgeübt !
Und zwar auch wieder :
nach Maßgabe des Geschicks und der Überlegenheit von Angreifer oder Verteidiger. In vorliegenden Fällen haben , wenigstens anscheinend, Bukarest und Warschau den Abzug von Armeen und damit diese selbst gesichert.
Ob dies im wesentlichen Maße erfolgt ist und
ob sie sich damit schon bezahlt gemacht haben, das muß, wie gesagt , einstweilen noch dahingestellt bleiben .
1*
4
Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart.
II .
Die Festung La Fère
in Vergangenheit
und Gegenwart. ( Deutsche Erinnerungen im besetzten Frankreich. )
Von Baumberger, Hauptmann a. D.
I. Wenn man sich die Frage vorlegt, welche Bedeutung in der Gegenwart La Fère im Falle einer neuen Invasion für die Landesverteidigung hat , so muß man feststellen, daß sein Wert heute ebenso bedeutend ist , wie in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Es bildet zusammen mit Laon ein befestigtes Lager, das die Täler der Oise und der Serre beherrscht und einem aus Osten oder Norden kommenden feindlichen Vormarsch auf Paris Halt gebieten kann. Die Forts Mayot , Vendeuil und Liez schützen die Festung La Fère vor jedem unmittelbaren Angriff. Wir haben die feste Zuversicht , daß wir uns nicht mehr der harten Not eines abermaligen Bombardements gegenüber sehen werden.
Wir sind überzeugt , daß künftig unsere
Soldaten
der Revanche genügend Mut und Tatkraft haben werden , um diese verfluchten Deutschen zurückzuschlagen, und um uns vor einer neuen Invasion zu schützen , und wir wissen , daß sie den Sieg wieder unter unsere geliebte Flagge
zurückkehren lassen werden.
Dann aber werden wir, stolz auf die vollbrachten Taten , rufen können : Vive la France !" Diese Schlußworte einer im Jahre 1897 erschienenen ,, Geschichte von La Fère" kamen mir in den Sinn , als ich am 27. Januar 1916 dem Feldgottesdienst zur Feier des Geburtstages des deutschen Kaisers in La Fère beiwohnte. Damals wehten über dem Feldaltar auf dem französischen Kasernenplatz die deutschen , österreichisch-ungarischen, türkischen und bulgarischen Farben , in einer Flagge vereint, und versinnbildlichten den Bewohnern der französischen Garnisonstadt und den feldgrauen Männern dort vor dem Altar ein Stück Gegenwart , ein Stück neuer Geschichte, und im Hintergrund stand die alte graue Kaserne und mahnte an die Vergangenheit , an die Männer und Zeiten, die sie hatte kommen und gehen sehen . Und als das Motorknattern eines deutschen Flugzeuges das plätschernde Rauschen der Oisefluten übertönte, die schon anderthalbtausend Jahre das Inselstädtchen
5
Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart.
umspülen, da folgten die Blicke der Untenstehenden dem weißen Vogel in die Ferne des klaren blauen Winterhimmels, in die Zukunft . . . Diese alte Kaserne , die vor dem Krieg einem Feldartillerie- und einem Jägerregiment zu Pferde Unterkunft gewährt hatte , war nun Ihre großen schon seit fast anderthalb Jahren deutsche Kaserne. weiten Höfe und Plätze hallten von morgens bis abends wieder von deutschen Kommandos. deutschen Laute ,
Doch nicht zum erstenmal hörte
sie
die
schon 1870 und 1814 hatte sie Soldaten von jenseits
des Rheins beherbergt, und 1815 hatte nicht viel gefehlt , daß ihr das gleiche Schicksal geworden wäre. Der altersgraue Bau kann viel erzählen vom Wandel des menschlichen Lebens . In den letzten Jahren der Regierung Ludwigs XVI. wurde er errichtet.
Auf seinem großen
Kasernenhof schworen die Rekruten ihrem König den Eid der Treue , und eben diesen König halfen sie kurz darauf aufs Schaffot bringen . Auch dem großen Franzosenkaiser und seinem Neffen und Nachfolger auf den Kaiserthron ist hier Treue gelobt und gebrochen worden, ebenso in der Zwischenzeit
den orléanischen Verwandten des un-
glücklichen Erbauers der Kaserne.
Gleichermaßen wandelbar ,
echt
französisch, schlugen die Herzen der Bevölkerung von La Fère in jener Zeit vor hundert Jahren. Die Einwohner der Stadt ,, zeigten eine lebhafte Teilnahme an den großen Ideen der Freiheit , der Vaterlandsliebe und der Brüderlichkeit , die durch die unwiderstehliche Bewegung des Jahres 1789 in die Höhe getragen worden waren" .
Dies beweisen die
schwülstigen Phrasen in der Adresse, die am 18. Januar 1791 vom Bürgermeister und der Stadtverordnetenversammlung von La Fère an die Nationalversammlung in Paris gerichtet wurde. Die Begeisterung für ,,Freiheit , Gleichheit und Brüderlichkeit"
hinderte die La Fèrer Verächter von Despotismus und Tyrannei jedoch nicht, bald darauf dem großen Usurpator mit dem gleichen Feuer zuzujubeln, wie sie dies der roten Jakobinermütze getan hatten . Nach der Verbannung Napoleons auf die Insel Elba wurde La Fère wieder die treueste Anhängerin des Nachfolgers des enthaupteten Königs ; so ergeben war die Stadt dem Vertreter des in der Adresse an die Nationalversammlung in Grund und Boden verdammten ,,Despotismus " , daß sie sogar nach der Rückkehr Napoleons von Elba und seinem siegreichen Einzug in Paris dem König noch am 11. März 1815 eine Ergebenheitsadresse sandte . ,, Alle Bürger sind hier", heißt es in einer gleichzeitigen Bekanntmachung des Unterpräfekten, ,,von gutem Geiste beseelt. und bereit , den König und das Vaterland zu verteidigen. Es lebe der König !" Wenige Tage darauf sandte die Stadt La Fère dem wieder auf den Thron gelangten Kaiser ihre untertänigsten Glückwünsche. Am 18. Juli wurde in La Fère die kaiserliche Trikolore wieder nieder-
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Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart.
geholt und das weiße Banner der Bourbonen geheißt.
Die Garnison
legte die weiße Kokarde an , und mit großer Begeisterung wurde wiederum dem König Treue gelobt. So ist die Geschichte der Festung La Fère in jenen Tagen ein Spiegelbild des französischen Nationalcharakters und der
getreues
Vorgänge im ganzen Lande.
Dies gilt aber auch natürlicherweise ,
wenigstens in großen Zügen , für alle Zeiten, insbesondere für alle die Zeitläufte, in denen die Gaue des heutigen Frankreich die Bekanntschaft der Deutschen machten. Auf Schritt und Tritt wurde ich auf meinen Fahrten in die Umgegend von La Fère an Begebenheiten erinnert, die der französischen und der deutschen Geschichte gemeinsam sind , an Geschehnisse, die bemerkenswerte Etappen im Wandel des Kriegswesens darstellen . II. Gallischer befestigter Flecken. -
Römische Garnison.
Frankreichs Frankenzeit. Gegen die Mitte des fünften Jahrhunderts wird der Name der Stadt La Fère , der vom spätlateinischen fara (Farm , Ferme) abgeleitet ist , zum erstenmal erwähnt . Es ist dies jene Zeit , die gewöhnlich VölkerGermanische Volksstämme drangen in wanderung genannt wird. Gallien ein, unterwarfen die romanisierten keltischen Bewohner und nahmen das Land in Besitz. Das Reich des Syagrius brach zusammen. Die Vandalen zogen durch Gallien nach dem Süden Spaniens und dem Norden Afrikas . Die Westgoten, Sachsen, Heruler und Burgunder kamen und die Franken setzten sich an den Ufern der Maas , der Aisne , Oise und Somme fest . Sie eroberten und zerstörten im Jahre 437 den damaligen römischen Militärposten La Fère.
Der Ort lag,
wie heute noch, auf einer durch Arme der Oise gebildeten Insel und war wegen dieser bevorzugten Lage schon von den Galliern zum befestigten Flecken ausgebaut worden. Die Umgegend von La Fère bestand aus großen Sümpfen und Wäldern. Etwa acht Kilometer westlich von La Fère liegt noch heute das schon von Cäsar erwähnte Dorf Condren. Als die Franken dort erschienen, war es eine bedeutende Stadt an der von Süden nach Norden ziehenden Römerstraße Reims -Fismes - Soissons- St . Quentin- Vermand. Die Römer hatten auch eine große Straße von Laon nach Péronne gebaut . Die Franken kamen in ein von römischer Kultur durchdrungenes und gehobenes Land. Römisches Recht , römische Sprache, römische Sitte und der katholische Glaube herrschten in ihm. Die Überlegenheit der Germanen, insbesondere der Franken , über die Weströmer liegt zum geringeren Teil nur in der noch ungebrochenen Naturkraft dieser ger-
Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart .
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manischen Völkerschaften.
In der Hauptsache ist der Zusammenbruch Der von Syagrius' Reich in innerpolitischen Gründen zu suchen . germanischen Wehrverfassung wohnte eine große moralische Kraft inne. Die Germanen exerzierten nicht und kannten keine Disziplin . Trotzdem war der innere Zusammenhalt der germanischen Hundertschaft so fest wie die strenge Disziplin der Legionen Cäsars . Das kam daher, daß die germanische Wehrverfassung eins war mit der sozialen und politischen Verfassung.
Der Älteste eines Geschlechtes , einer Hundertschaft , der Hunno , war im Frieden Dorfschulze, im Kriege Anführer seiner Geschlechtsmitglieder, und diese fügten sich seinem Gebot in Frieden und Krieg in ähnlicher Weise , wie wir es schon bei den alttestamentlichen Patriarchen als etwas Selbstverständliches zu
sehen gewohnt sind. Zum Kampf stellten sich die Hundertschaften eines Volksstammes , jede etwa drei Rotten breit und 60 Glieder tief nebeneinander auf und bildeten so ein Rechteck ( Gevierthaufen) , dessen schmalere Seite die Front war. Dieser rechteckige Haufen von Kriegern wurde ,, Schweinskopf" genannt.
Vor jeder Hundertschaft marschierte
deren Hunno, vor den Hunni der vom ganzen Volksstamm aus dem Adelsgeschlecht gewählte Herzog , der Führer des Schweinskopfs . Diese germanische Schlachtordnung war auf den Massenstoß berechnet . Ihre Flanken waren durch ihre große Tiefe gegen Flankenangriffe , namentlich von seiten feindlicher Reiter, geschützt , denn die an den äußeren Seiten marschierenden Krieger brauchten nur rechts- bzw. linksum zu machen und konnten dann die Angriffe in langer Linie abwehren. Vor allem aber konnte sich der Schweinskopf insofern jedem Gelände anschmiegen , als er sich leicht in die einzelnen Hundertschaften zerlegen ließ, die jede Geländefalte , vor allem auch in waldigem Terrain , zur Vorwärtsbewegung benutzen konnten. So eignete sich der Schweinskopf insbesondere zum Kleinkrieg, zu Überfällen auf Marschkolonnen , wie z . B. die Schlacht im Teutoburger Wald zeigt . Die beweglichen Hundertschaften waren hierin als taktische Einheiten den römischen Kohorten des Marius vergleichbar. Die Kohortentaktik, wie sie Marius ausgebildet hat, war die oberste Stufe in der Entwicklung des antiken Kriegswesens. Als die Franken in Gallien einbrachen , fanden sie dort jedoch keine in Kohorten fechtenden Weströmer vor, sondern die Truppen des Syagrius kämpften selbst in der germanischen Fechtweise des Schweinskopfs.
Zum Teil waren diese Truppen selbst Germanen, die von Syagrius in Sold genommen waren. Die Bewaffnung
und Ausrüstung war sehr verschieden ; sie bestand meist aus einer Kopfbedeckung aus Leder oder Fell, einem geflochtenen oder hölzernen mit Leder überzogenen Schild , Lanze, Schwert und teilweise auch aus Bogen und Pfeilen .
Auch Reiterei hatten die Franken.
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Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart.
Die überraschenden Erfolge der Franken in politischer Beziehung erklären sich zunächst aus der rücksichtsvollen Behandlung der alten Einwohner, der romanisierten Kelten, denen man Eigentum, Glauben, Sprache und Recht ließ, dann aus der Nähe und dem Festhalten der alten niederrheinischen Heimat, ganz besonders aber aus dem engen Bunde mit der katholischen Kirche.
Diese Eigenarten der fränkischen
Politik machten sich auch den Bewohnern von La Fère gegenüber geltend, die einen tatkräftigen Fürsprecher in einem Einsiedler fanden, der sich in der Nähe angesiedelt hatte und den sie Sankt Montanus nannten, weil er aus dem Bergland der Ardennen zu ihnen gekommen war. Dieser Heilige, zu dem noch heute als Saint Montain und Schutzpatron von La Fère gebetet wird, war selber ein Germane , der Sohn eines alemannischen Herzogs. Er unterhandelte mit den fränkischen Eroberern und baute mit den Bewohnern den Ort wieder auf. Alle Jahre, am 17. Mai, wird in La Fère noch heute das Fest des heiligen Montanus gefeiert.
Der Schrein , der seine Gebeine enthält , wird in
der Kirche, die den Namen des Heiligen trägt, zur Anbetung aufgestellt. Die große Schlacht auf den katalaunischen Gefilden, in der im Jahre 451 die Franken bei Chalons-sur-Marne Attila und seine Hunnen besiegten, warf ihre Schatten auch nach La Fère , das zwar von dem unmittelbaren Besuch der Hunnen verschont geblieben war. Über dreihundert Jahre, bis 752 , stand La Fère unter der Herrschaft des Merowingischen
Hauses .
Chlodwig, der Herzog der Franken,
der Sieger über Römer, Burgunder, Westgoten und Alemannen, herrschte über den größten Teil des alten Gallien.
496 trat er zum Christentum.
über und wurde in der Kathedrale zu Reims vom Erzbischof Remigius , einem Schützling des heiligen Montanus von La Fère, getauft . La Fère gehörte zu dieser Zeit als Lehen zum Bistum Laon.
Die blutigen
Kämpfe zwischen Neustrien und Austrien , die durch die Rivalität Fredegundes und Brunhildes genährt wurden, haben sich zum Teil in der Umgebung von La Fère abgespielt . Pipin der Kleine , der Sohn Karl Martels , weilte verschiedentlich in La Fère und Laon. Von 752 bis 987 stand La Fère unter der Herrschaft der Karolinger. In Versigny und Rogécourt, zwei Dörfern östlich von La Fère, waren königliche Pfalzen .
Karl der
Große weilte 779 in Versigny und
empfing dort den Tribut des Herzogs von Spoleto. 876 hielt sich Karl der Kahle in der Pfalz zu Versigny auf ; er erkrankte hier schwer. 865, 868 und 870 weilte Karl der Kahle in der Pfalz zu Servais , südlich von Beautor , einem Vorort La Fères.
871 berief er dorthin einen
Reichstag und 872 empfing er hier die Gesandten Ludwigs des Deutschen , seines Bruders. Zu jener Zeit kamen auch die Normannen
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Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart . auf ihren Raubzügen in die Nähe von La Fère .
Sie plünderten Noyon ,
Quiercy, zwischen Noyon und Chauny, eroberten Soissons und zerstörten das Kloster Allemant bei Pinon. Laon wurde von ihnen vergeblich belagert ; La Fère ließen sie abseits ihres Weges liegen. In der Zeit seit der Gründung des Frankenreiches bis zu den eben genannten Jahren hatte sich in der Wehrverfassung der Franken ein schwerwiegender Umschwung vollzogen. Der altbewährte Organismus des Schweinskopfes hatte sich allmählich auflösen müssen, je mehr sich die wenigen Tausende der germanischen Sieger unter den Millionen von Romanen ansiedelten und Bauern wurden . In einer Grafschaft des Frankenreiches lebten somit unter Zehntausenden von Romanen nur einige Hundert germanische Krieger.
Damit war die Grundlage
des Schweinskopfes - die politische und soziale Bedeutung der Hundertzerstört, und eine neue Taktik kam auf, schaft auch im Frieden die Fechtweise der berittenen Kämpfer, die mit Lanze , Schwert , Bogen und Pfeilen ausgerüstet waren und zu Pferde und zu Fuß fechten konnten. Diese Reiter waren von ihren Königen , Herzögen , Grafen oder sonstigen Herren mit größeren oder kleineren Gütern belehnt , die bei ihrem Tode an den Sohn übergingen usf. , falls der Herr oder dessen Erbe das Gut nicht zurückzog. Auf diese Weise bildete sich im Frankenreich das auf dem Lehnswesen beruhende Vasallenheer aus , das im großen und ganzen in der Zeit des überwiegend naturalwirtschaftlichen Mittelalters trotz gleichzeitigen Vorkommens des Soldrittertums die Grundlage der Wehrverfassung der europäischen Staaten bildete. Durch Heirat kam La Fère von einer Seitenlinie Karls des Großen an das Dynastengeschlecht Enguerrand de Coucy , deren Stammschloß noch heute in Coucy-le-Château bei Chauny eine grandiose Turmruine zeigt. Dieses Geschlecht , unter dessen Herrschaft die Stadt. La Fère bis zum Jahr 1435 stand, hatte den stolzen Wahlspruch : Roi ne suis , ne duc , ne comte aussy : Je suis le sire de Coucy. In die Zeit der Enguerrand fällt ein wichtiges historisches Ereignis : 987 wurde der fränkische Herzog der Ile-de- France,
Hugo
Capet , von den meisten übrigen germanischen Dynasten des besetzten Gallien in Noyon zum ,, König des Frankenreiches" gewählt und in der dortigen Kathedrale gesalbt .
Nachdem die Merowinger die ver-
schiedenen Völker zu einem Staate vereinigt und dann die Leitung an die kräftigeren Karolinger abgegeben
hatten, nachdem 843 zu
Verdun des eigentliche Frankreich von den deutschen Landen getrennt und trotz der Auffrischung durch die Normannen und der vorübergehenden Einverleibung
Lothringens
zusehends unter
den letzten
10
Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart.
Karolingern verfallen war , wurde die Königswürde wegen dieser Entartung des Herrscherhauses auf die Capetinger übertragen.
Hundert
Jahre später, mit dem Beginn der Kreuzzüge , tritt das Ritterwesen , dessen erste weltgeschichtliche Tat die Niederwerfung der Araber bei Tours war, in seine Blütezeit ; Kriegführung das Gepräge.
die Taktik der Ritterheere gibt der
Lehns- und Soldritter und Soldknechte
sowie ihre Pferde waren schwer gepanzert.
Sie bilden keine taktischen
Einheiten, sondern die Tapferkeit , Kraft und Waffengeübtheit des einzelnen Reiters entscheidet die Schlachten, bis die Zeit der Renaissance mit Hilfe der wieder größer werdenden Geldmittel durch die Aufstellung großer Infanteriemassen wieder taktische Körper schafft, wie das schon das geldwirtschaftliche Altertum vermocht hatte.
III.
Englische Garnison. - Spanische Garnison. durch Heinrich IV.
Die Belagerung
Beim Ausbruch des Krieges 1914/17 wurde La Fère von französischen und englischen Truppen auf dem Marsch zur Nordgrenze und dann wieder auf dem Rückmarsch berührt . Englische Truppen . waren beide Male in der Stadt einquartiert. Ob sich die biederen Bürger und die Frauen und Mädchen des Städtchens , die die Bundesgenossen mit so großem Jubel begrüßten, dabei wohl der längst vergangenen Zeiten erinnerten, wo bereits englische Truppen hier gewesen waren, aber als Feinde ?
Zu Beginn des hundertjährigen Krieges zwischen
England und Frankreich, in den dreißiger Jahren des vierzehnten Jahrhunderts, drangen die Engländer auch in die Picardie ein . Sie verbrannten St. Gobain , Marle , Crécy und La Fère , dessen Herrscher und Besitzer damals Enguerrand VI. war.
Nur das Schloß in La Fère
blieb von den Flammen verschont. Ungefähr 90 Jahre später erschienen die Engländer wieder in La Fère , das fünf Jahre lang, von 1424—1429, eine englische Garnison hatte.
In demselben Jahre, in dem Johanna
d'Arc Orleans entsetzte , wurde auch La Fère befreit. Englands Heer war damals schon ein ausgesprochenes Soldheer. Ritter, Lanzenknechte und Bogenschützen erhielten Sold. Der Hauptbestandteil der englischen Streitkräfte waren Bogenschützen ; ihnen vor allem waren die Siege von Crécy und Azincourt zu verdanken.
Es
ist dies das erste Mal , daß Bogenschützen in der Defensive und in der Offensive sogar die feindlichen Ritter siegreich bestanden. Aber es blieben Einzelfälle , die keinen Einfluß auf die Kriegskunst der kommenden Geschlechter hatten. Die für die Geschichte Europas so folgenschwere Umwandlung des Kriegswesens , die aus den minderwertigen
Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart. Spießern und Lanzern
durch Zusammenschweißen
zu
11
taktischen
Körpern die ersten Anfänge neuzeitlicher Infanterie schuf, blieb den Schweizern vorbehalten. Von ihnen haben alle Völker Europas gelernt , und es brauchte lange Zeit , bis die deutschen Landsknechte und die spanische Infanterie sich mit ihnen messen konnten. 1435 kam La Fère durch Heirat an das Haus Luxemburg , in
dessen Besitz es bis 1487 blieb. Die Vorstadt Luxembourg erinnert noch heute daran. 1472 verbrannte Karl der Kühne von Burgund im Kampf gegen den König von Frankreich die nahe Stadt Chauny und belagerte La Fère, ohne es aber nehmen zu können. Ebenfalls durch Heirat wurde 1487 das Haus Bourbon Herr von La Fère und blieb es bis 1596.
Franz I. von Frankreich war öfter in La Fère und
leitete von hier aus den Krieg gegen den deutschen Kaiser Karl V. Karl V. passierte La Fère 1544 auf seinem Zug nach Brüssel. erbaute Franz I. das Schloß in Folembray, nahe bei La Fère.
1545
In den eingangs erwähnten Schlußworten der Geschichte von La Fère ist die Rede von der großen Bedeutung der Festung in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. In der Tat spielte damals La Fère eine große Rolle.
Es war die Zeit der Renaissance , die Zeit
der Glaubenskriege und des Kampfes Frankreichs gegen Spanien, die erste Großmacht der damaligen Welt. Die Lage der Festung an der nördlichen Grenze Frankreichs, an mehreren Armen der Oise und die Leichtigkeit, mit der das Vorgelände unter Wasser gesetzt werden konnte, verliehen ihr diese große Bedeutung. Französisch-Flandern noch spanisch,
Damals war das heutige
und La Fère war
einer
der
Schlüsselpunkte auf der Straße von den Niederlanden über Compiègne nach Paris. Anton von Bourbon, der Vater des nachmaligen Heinrich IV. von Frankreich, und sein Bruder, der Prinz von Condé, in deren Privatbesitz sich La Fère befand, waren die Häupter der Anhänger Calvins , der aus der Gegend von La Fère, aus Noyon, stammte , im Kampfe gegen die Katholiken unter dem Herzog von Guise. Sie verbündeten sich mit den deutschen protestantischen Fürsten , die im Kampfe mit Karl V. und Philipp II . lagen. 1552 wurde La Fère von dem spanischen Statthalter in den Niederlanden , dem Grafen von Roeux, belagert . Die La Fèrer Vorstadt ,, St . Quentin" wurde eingeäschert , die Festung selbst konnte jedoch nicht genommen werden.
Roeux zog darauf nach
Folembray. Seine Soldaten , spanische Söldner , plünderten das dortige Schloß, den Lieblingssitz Franz I. und der schönen Diana von Poitiers. Chauny, Noyon, Nesle, Roye und Hunderte von Dörfern in der näheren und weiteren Umgebung von La Fère wurden zerstört ; die Picardie erduldete damals Schweres. 1557 sammelte der Herzog von Montmorency, Connétable von Frankreich, in La Fère ein Heer und zog
12
Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart.
von da gegen die Spanier, die St. Quentin belagerten.
Nach den
Niederlagen der Franzosen sammelten sich im gleichen Jahre die Trümmer der königlich französischen Armee zwischen La Fère und Laon unter dem Kommando des Herzogs von Nevers. Es kam noch zu kleineren Kämpfen gegen die Spanier, an denen s'ch auch die Garnison von La Fère beteiligte, bis zwei Jahre später der Friede von Chateau-Cambrésis geschlossen wurde. Obwohl die Herren von La Fère, das Haus Bourbon- Condé, damals protestantisch waren , blieb die Bevölkerung von dem neuen Glauben unberührt. Die Gemahlin Heinrichs III. von Frankreich, Margarete von Valois , lebte getrennt von ihrem Gemahl längere Zeit in La Fère . 1583 weilte Katharina von Medici in La Fere am Sterbebett ihres Sohnes, des Herzogs von Alençon. Im Verlauf der weiteren Kämpfe fiel La Fère in die Hand der Spanier , die es gegen Heinrich IV. trotz harter Belagerung zunächst behaupteten. Die Spanier hatten die Festung zum Zentrum ihrer Operationen an der nordfranzösischen Grenze und zu einem starken Waffenplatz gemacht. Am 6. November 1595 war Heinrich IV. in Chauny, um sich von dort aus zur Belagerung von La Fère zu begeben.
In der Kirche
zu Travecy, einem Nachbardorf von La Fère , hörte der König , der inzwischen zum Katholizismus übergetreten war, seine erste Messe. Am 16. Mai 1596 kapitulierte die Festung infolge Hungers. Die Stadt mit ihren Vororten und sechzehn benachbarten Dörfern wurde Krondomäne. Der König wohnte während der Belagerung mit seiner Geliebten Gabrielle d'Estrées im Schloß zu Folembray und kam jeden Tag von dort herüber, um sich vom Stand der Belagerungsarbeiten zu überzeugen. Er umgab die Stadt mit einem Kranz starker Erdwerke , die sowohl gegen Ausfälle der Festungsbesatzung wie gegen den Angriff eines feindlichen Entsatzheeres , das im Anmarsch war , Sicherheit bieten sollten. Er ließ vom Ufer der Oise , dicht bei dem Vorort Beautor , bis zum Fuß der Höhe von Andelain einen 1500 Meter langen Damm durch das überschwemmte Land bauen . Die Reste dieses Dammes existieren noch heute.
Im Museum von La Fère ist eine interessante
Gravüre zu sehen, die diese Belagerung der Stadt mit allen Belagerungsarbeiten aus der Vogelschau zeigt .
Alle diese umfangreichen Erd-
arbeiten konnte der König, der sich selbst einen ,,bon capitaine et bon pionnier" nannte , aber nur ausführen , weil er ein neuzeitliches Söldnerheer hatte. Mit den mittelalterlichen Lehns- und Soldrittern und Knechten zu Pferd und zu Fuß, die sich zu Erdarbeiten nicht hergaben, wäre das unmöglich gewesen. eine Disziplin geschaffen ,
Erst der Sold hatte wieder
ähnlich derjenigen der alten römischen
Legionen , die auch in Erdarbeiten ihren Mann stellten.
Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart.
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Etwa 7000 Mann hatte der König vor La Fère zusammengebracht . Sie bestanden aus 4000 Pikenieren , die noch mit der alten Pike , der ,, Königin der Waffen" , ausgerüstet waren, und aus 2000 Musketieren , deren Waffe , die neu erfundene Muskete, mit Lunte, Patronenbüchsen und Gabel, ein schnelleres Schießen und genaueres Zielen ermöglichte , als dies mit der bisher gebrauchten Hakenbüchse möglich war. Den Rest machten die Artilleristen und die Reiterei aus. Die Geschütze waren gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts bedeutend verbessert worden und spielten bei Belagerungen auf seiten des Angreifers und des Verteidigers bereits eine große Rolle. An Reiterei hatte Heinrich IV. vor La Fère einige Hundert französische Edelleute und etwa ebensoviel deutsche ,, Reitres", Söldner, die in dieser Zeit meist auf beiden Kriegsparteien zu finden waren. Schweizer Pikeniere trafen nicht ein.
Die von dem König erwarteten Die berittenen Edelleute und
die ,,Reitres" des Königs waren nicht mehr
die schwergerüsteten
Lanzenreiter des Mittelalters , wie man sie zu dieser Zeit allerdings noch im ligistischen Heere traf, sondern leicht berittene, mit leichten Schutzwaffen versehene Reiter, deren Haupttrutzwaffe die Pistole Sie fochten in Gevierthaufen , Eskadrons , genannt , die meist war. 15 Rotten breit und ebensoviel Glieder tief waren.
Im Schritt ritten
die Eskadrons an die gegnerische Infanterie auf ganz nahe Entfernung heran.
Das vorderste Glied setzte sich dann in Trab, hielt dicht vor
der gegnerischen Schlachtordnung , gab eine Salve aus den Pistolen ab, trennte sich dann zur Hälfte nach rechts und links - die Karakole schwenkte um die Flügel der Eskadron herum , schloß von hinten wieder auf das hinterste Glied des Gevierthaufens auf und lud jetzt die Pistolen, was ziemliche Zeit in Anspruch nahm . Inzwischen gab genau in der gleichen Art und Weise Glied auf Glied seine Salve ab bis das erste Glied wieder vorn stand und von neuem zum Angriff anreiten konnte .
Obgleich naturgemäß diese Taktik der Reiterei bei
der Belagerung von La Fère nicht zur Anwendung kommen konnte , erwähne ich sie hier aus mehreren Gründen. Auf der einen Seite zeigt sie den Unterschied zur Fechtweise des mittelalterlichen Ritters , der im Verein mit zu ihm gehörigen leicht bewaffneten Lanzenknechten , Bogen- und Armbrustschützen noch unter Karl dem Kühnen von Burgund gegen die Schweizer als Mikrokosmos getrennt von den anderen einzelnen Rittern mit ihren ,, Fußtrabanten " im Rahmen der großen Schlacht sozusagen Einzelgefechte durchführte. Auf der anderen Seite muß hier erwähnt werden , daß Heinrich IV. zweifelsohne der Schöpfer der ersten Anfänge moderner Kavallerie ist .
Er führte die
taktische Trennung zwischen der Reiterei , die (im Gegensatz zum Altertum und zur Neuzeit ) im Mittelalter die Hauptwaffe war, und dem
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Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart.
Fußvolk durch, das seit Beginn der Neuzeit , seit dem Sieg der Schweizer Gevierthaufen bei Morgarten über die österreichischen Ritter ( 1315 ) , immer mehr zur Hauptwaffe wurde.
Auch die infolge der Reorgani-
sation der Reiterei zur Zeit Heinrichs IV. und später wieder steigende Bedeutung der Reiterei konnte an dieser Tatsache nichts ändern . Wie schon erwähnt , hatte der König vor La Fère zirka 6000 Mann Fußvolk, 4000 Pikeniere und 2000 Musketiere. In der Feldschlacht wurden die Pikeniere in Gevierthaufen von je 50 Mann aufgestellt. Zwischen den einzelnen Quadraten waren breite Zwischenräume geDie Schlachtlassen, in denen die Musketiere ihren Platz fanden. ordnung bestand aus zwei oder drei solcher Treffen.
Beim Sturm auf
belagerte Festungen wurde diese Aufstellung naturgemäß mehr oder weniger durch die besonderen Verhältnisse modifiziert . Sie kam übrigens bei der Belagerung von La Fère nicht zur Anwendung , da die Festung ausgehungert wurde.
Die tapfere spanische Besatzung erhielt einen
ehrenvollen Abzug, wie aus der Kapitulationsurkunde , die im Museum von La Fère aufbewahrt ist, zu ersehen ist . Die spanische Infanterie war schon damals die erste der Welt. Die eben geschilderte Fechtweise der damaligen Infanterie war in der Hauptsache spanischen Ursprungs, d . h . die Spanier hatten die großen Gevierthaufen der Schweizer, die 250 Mann breit und tief waren , in die leichter beweglichen kleineren sogenannten Tercios zerlegt . Die spanische Infanterie war , verglichen mit den Fußsöldn rn der anderen Staaten , außerordentlich gut diszipliniert , entbehrte auch des ideellen Ansporns nicht durch den Glaubenseifer, mit dem die spanischen Söldner ins Feld zogen . Ein Exerzieren nach modernem oder römischem Begriff kannten allerdings die spanischen Truppen ebensowenig wie diejenigen des ganzen übrigen Europa. Aber sie erwarben sich eine außerordentliche Kriegstüchtigkeit und Kriegsgeübtheit in den zahlreichen Kriegen, die die spanische Krone führte , sie lernten den Krieg durch den Krieg, wie die deutschen Landsknechte und die schweizerischen Reisläufer auch. Noch ein Umstand , der die spanischen Kriegsleute moralisch vor den anderen Söldnern hob : Sie fochten nie für fremde. Potentaten , sondern nahmen nur
Sold von ihrer eigenen
Regierung.
IV . Das Regiment La Fère und die Artillerieschule . Der Friede von Nymwegen ( 1678) , durch den das heutige Französisch-Flandern und das Artois an Frankreich kam, hatte für die Bedeutung der Festung La Fère die weitestgehenden Folgen.
Denn die
Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart.
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Feldzüge Ludwigs XIV. hatten als Endergebnis, daß die Nordgrenze Frankreichs nunmehr viel weiter nördlich von La Fère sich hinzog , als dies bisher der Fall gewesen war. Somit mußte die Bedeutung von La Fère als befestigter Grenzverteidigungsplatz sinken . Seine Befestigungen wurden vernachläßigt , zum Teil geschleift.
Es wurde
damals sogar empfohlen, La Fère als Festung überhaupt aufzugeben. Einzelheiten über den Entwicklungsgang der Festung vom befestigten gallischen Flecken über das römische Kastell, die einzelnen Phasen der mittelalterlichen
Stadtbefestigung, der italienischen und fran-
zösischen Bastionärbefestigung seien hier beiseite gelassen . Im Jahre des Nymweger Friedens übrigens wird in einem Brief des Marschalls Turenne an den Minister Letellier das berühmte ,,Artillerie-Regiment La Fère" zum ersten Male mit diesem Namen genannt. Der betreffende Satz
lautet :
" Le régiment de
La Fère arriva le
13 Novembre pour le siège de Strasbourg. " Es darf hier daran erinnert werden, daß Napoleon I. längere Zeit als Leutnant in diesem Regiment Dienst tat , ohne aber jemals selbst in der Stadt La Fère in Garnison gestanden zu haben.
Das Regiment hat zur damaligen Zeit mehrfach
die Garnison gewechselt, wenn es nicht gerade auf irgendeinem Kriegsschauplatz war, behielt jedoch den Namen ,, La Fère " bei.
Ein be-
merkenswertes Dokument aus der Regimentsgeschichte, das interessante Schlaglichter auf die Art und Weise wirft , wie man ums Jahr 1776 die jungen Leute zum Diensteintritt zu bewegen suchte, habe ich in dem kleinen Hotel de l'Europe zu La Fère, das sich seit Herbst 1914 in ein deutsches ,, Offiziersheim" verwandelt hat , gefunden. Es hängt dort in Glas und Rahmen an der Wand eines der kleinen Zimmer, in denen . im Frieden die Artillerie- und Jägeroffiziere der Garnison zu verkehren pflegten, und lautet :
,,Avis à la belle jeunesse ! Artillerie de France, Corps Royal, Regiment de La Fère ,
Compagnie de Richoufftz, De par le Roy. prendre parti dans le Corps Royal de l'Artillerie. voudront qui Ceux Régiment de La Fère, Compagnie de Richoufftz, sont avertis que ce Régiment est celui de Picards , l'on y danse trois fois par semaine , on y joie aux Battoirs deux fois , et le reste du temps est employé aux Quilles, aux Barres, à faire des Armes . Les plaisirs y règnent, tous les Soldats ont la haute-paye , bien récompensés , des places de Gardes d'artillerie, d'Officiers de fortune à soixante livres par mois d'appointements.
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Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart. Il faut s'adresser à Monsieur de Richoufftz , en son Château de
Vauchelles , près Noyon en Picardie. amèneront de beaux hommes."
Il récompensera ceux qui lui
Man sieht , daß die Mittel, mit denen man damals den Militärdienst schmackhaft zu machen suchte , ungefähr die gleichen sind , mit denen die Engländer ihr Söldnerheer bis auf den heutigen Tag aufzufüllen pflegten. Das Regiment La Fère und die Artillerieschule von La Fère haben den Namen der kleinen pikardischen Stadt schon frühzeitig in ganz Frankreich bekannt und berühmt gemacht .
Im Jahre 1719 ist
die Artillerieschule begründet worden ; sie ist die älteste Frankreichs. Die Unterrichtskurse wurden zunächst im Arsenal,
dann ,
als
die
Kaserne erbaut worden war , auch dort abgehalten. Erst 1820 wurden sie in das alte Schloß von La Fère verlegt, wo auch noch bei Kriegsausbruch 1914 der Sitz der Schule war.
Als Exerzier- und Schießplatz
diente der Artillerieschule das Gelände südlich Danizy bis in die Nähe von Regécourt.
Der etwa achtzig Hektar große Platz, der links der
Straße La Fère -Laon liegt, ist naturgemäß bei der Tragweite der modernen Geschütze schon lange nicht mehr als Schießplatz benutzt worden, sondern lediglich als Exerzier- und Zielplatz für die Artillerieschule und die beiden Artillerieregimenter, bzw. das Jägerregiment zu Pferd, das einige Jahre vor dem Kriege das eine der beiden Artillerieregimenter ablöste.
Zum Scharfschießen begaben sich die Artillerie-
schule und das Artillerieregiment jedes Jahr auf sechs Wochen nach Chalons-sur- Marne , Cercotte oder Fontainebleau .
V. Deutsche Garnison.
Die Belagerungen 1814, 1815 , 1870. Der Krieg 1914/17.
Fünfmal schon vor dem jetzigen Kriege hat die Festung La Fère deutsche Truppen gesehen : 437 die Franken, 1595/96 die deutschen ,,Reitres" Heinrichs IV. , 1814 und 1815 die Preußen und 1870 Preußen, Bayern und Sachsen.
Am 27. Februar 1814 erschien ein preußisches
Belagerungsdetachement vor La Fère. Nichts war für die Verteidigung der Festung vorgesehen. Die Garnison bestand nur aus 400 Infanteristen und 300 Nationalgardisten.
Die Festungsgräben waren zugefroren.
Eine preußische Batterie fuhr an der Straße von Laon auf und beschoß zwei Stunden lang die Stadt .
Dann wurde die Besatzung durch einen
Parlamentär zur Übergabe aufgefordert . Da der Kommandant , der Artillerieoberst Pommereuil, keine Hilfe zu erwarten hatte , übergab er die Festung, die bis zum 22. Mai eine preußische Besatzung hatte.
Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart.
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Am 24. Juni des folgenden Jahres erschienen schon wieder preußische Truppen vor den Mauern von La Fère. Erst drei Tage vorher hatte man in der Festung von der Schlacht von Waterloo und der Niederlage Napoleons erfahren. Ein Haufen flüchtiger Soldaten aller Waffen hatte die Nachricht vom Schlachtfeld gebracht. Diese zusammengewürfelte Truppe von 1400 Mann , dazu 400 Nationalgardisten bildeten die Besatzung der Festung. Und diese kleine Truppe hat sich tapfer gehalten.
Das Vorgelände der Festung war von allen Seiten unter
Wasser gesetzt worden.
Am 25. erschien ein Parlamentär, um die Besatzung zur Übergabe aufzufordern, was aber abgelehnt wurde . Eine Stunde später fuhren preußische Batterien an der Straße TergnierLa Fère , dort wo die Straße nach Beautor abzweigt , auf und eröffneten das Feuer, das von der Artilleriekompagnie der Nationalgarde erwidert wurde. Ich will nicht näher auf die Einzelheiten der Belagerung eingehen.
Sie dauerte bis zum 5. November, ohne daß es gelungen wäre , die Stadt, deren Bewohner bereits von Hunden, Katzen und von den
in La Fère so zahlreichen Ratten lebten, einzunehmen.
Vor dem Ab-
marsch der Preußen in Richtung auf Guise und St. Quentin hat der Marschall Blücher es nicht versäumt, den Kommandanten zu seiner erfolgreichen Verteidigung in einem schmeichelhaften Brief zu beglückwünschen. Als Erinnerung an die tapfere Verteidigung der Festung wird heute noch im Museum von La Fère ein Schriftstück aufbewahrt , das ,, Ordre du jour du 7 novembre 1815 " überschrieben ist . Fünfundfünfzig Jahre später , am 7.
September 1870 , fluteten
Teile des XIII. französischen Armeekorps (Vinoy) nach der Schlacht bei Sedan auf der Strasse von Laon her nach La Fère hinein und durch die schmale Hauptstraße hindurch weiter nach Tergnier.
Laon wurde
von den Deutschen besetzt, und am 16. September erschien ein Zug preußischer Kürassiere aus Richtung Crécy vor den Mauern von La Fère und erhielt einige Schüsse von den Infanterieposten der Festung.
Die
Garnison bestand aus 3000 Mann Nationalgardisten, Mobilgardisten und Franktireurs , wozu noch eine Anzahl Artilleriearbeitssoldaten kamen.
In der Nähe der Kaserne , am Bahnhof, und in der Vorstadt
Saint Firmin (gegen Tergnier zu ) waren Batterien aufgestellt, und das Vorgelände war wieder auf allen Seiten unter Wasser gesetzt.
Am
15. November erschien ein deutsches Belagerungsdetachement vor der Festung.
Die Aufforderung zur Übergabe wurde zurückgewiesen .
25. begann das Bombardement .
Am
Die deutschen Batterien waren auf
der Höhe von Danizy aufgestellt. Bald standen die Kasernen und zahlreiche Häuser in Flammen und die meisten Festungsgeschütze waren außer Gefecht gesetzt. Am anderen Tage wurde auf dem Laoner Tor von La Fère die weiße Flagge gehißt, ein preußischer Parlamentär 2 50. Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine
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Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart.
erhielt Einlaß in die Festung, und es wurde das Kapitulationsprotokoll aufgesetzt, das im Museum aufbewahrt wird. Am 27. November 1870 mittags 3 Uhr, zogen die Deutschen mit Musik in La Fère ein . am gleichen Nachmittag wurde mit dem Abtransport gefangenen Garnison nach Deutschland begonnen.
Noch
der kriegs-
Die deutsche Be-
satzung der Festung bestand nacheinander aus Preußen, Bayern und Sachsen.
Diese zogen am 28. Oktober 1871 wieder aus La Fère ab.
Dem Vormarsch der deutschen Truppen nach der siegreichen Schlacht von St. Quentin 1914 konnten auch die Forts von La Fère keinen Widerstand leisten. in deutscher Hand.
Im September 1914 waren Forts und Stadt
Die Festung La Fère gehört zum nördlichen Teil der zweiten Linie der Grenzverteidigung gegen Deutschland. An La Fère schließen sich Laon , Reims und Vitry-le-François an. Zwischen dem östlichsten Fort von La Fère und dem westlichsten von Laon ist nur ein Zwischenraum von zehn Kilometern .
La Fère und Laon sind also auf gegenseitige
Unterstützung hingewiesen . Die Bedeutung von La Fère in strategischer Hinsicht liegt vor allem in der unmittelbaren Nähe des wichtigen Eisenbahnknotenpunktes Tergnier, wo sich die Bahnlinien Paris-Maubeuge -Namur- Lüttich und Amiens- Reims -Verdun- Metz schneiden. In der Hauptsache jedoch ist der Festung La Fère , wie allen Festungen der zweiten französischen Verteidigungslinie, die Aufgabe eines Lager-, Depot- und Waffenplatzes zugedacht .
Als solcher ist gerade La Fère
seit jeher von großer Bedeutung gewesen.
Wir haben gesehen , daß
zur Zeit der Hugenottenkriege, im sechzehnten Jahrhundert ,
die
Spanier, nachdem sie in den Besitz von La Fère gekommen waren, aus der Festung einen großen Waffen- und Magazinplatz machten . Die Arsenale, Schuppen und andere hierzu notwendigen Gebäude hatten sie zum Teil schon vorgefunden , zum Teil bauten sie neue dazu. Seit dem Jahre 1666 war in La Fère in noch größerem Maßstabe mit der Anlage von Arsenalen usw. begonnen worden.
Der Herzog von
Mazarin, der Enkel und Erbe des berühmten Kardinals, hat diese Anfänge weitergeführt.
Mit der Zeit wurde das Arsenal so vergrößert ,
daß es schließlich ungefähr ein Drittel des Gebietes der Stadt bedeckte. Aber auch das genügte den Anforderungen eines modernen Waffenplatzes nicht mehr, und so wurde in neuester Zeit außer dem alten in der Stadt selbst gelegenen, 1885 zum Teil abgebrannten Arsenal ein zweites außerhalb der Stadt gebaut . Es liegt an der großen Straße nach Tergnier- Chauny auf freiem Felde in unmittelbarer Nähe der Kriegsrampe Fargniers an der Bahnlinie Laon - La Fère -TergnierSt. Quentin. Ausgedehnte Waffen- und Munitionsmagazine , SattelzeugDie Kriegsrampe und Lederkammern usw. wurden dort errichtet.
Die Festung La Fère in Vergangenheit und Gegenwart. Fargniers ist
ein wichtiger Material-Einschiffungsplatz.
19
Das alte
Arsenal in der Stadt selbst enthielt außer Magazinen vor dem Kriege 1914/17 die Wohnungen des Direktors , eines Artilleriegenerals , und des zweiten Direktors , außerdem die Werkstätten der Metall- und Holzarbeiter. Zahlreiche Schuppen mit Holz, Fahrzeugen und Brückentrain befanden sich weiter dort. Eine Artilleriearbeitskompagnie war ständig beschäftigt , außer den zahlreichen Staatsarbeitern, die ihr angegliedert waren.
Der Wert der Festung als Depot- und Waffenplatz wird noch
dadurch gehoben, daß sie an einem Kanal liegt , der bei Fargniers in den Crozatkanal mündet. Wie weitsichtig die französische Regierung schon vor der Zeit Napoleons in bezug auf die Anlage guter und billiger Transportstraßen war, beweist der Umstand, daß schon im Jahre 1732 der Ingenieur Crozat mit dem Bau des noch heute seinen Namen tragenden Kanals begann. Der Wassertransportweg kommt auch der trotz der Kleinheit des 5000 Einwohner zählenden Ortes verhältnismäßig regen Industrie und dem Handel zugute. Es sind hier vor allem zu erwähnen das neue große Elektrizitätswerk, das die nähere und weitere Umgegend mit Licht und Kraft versorgt, das Gaswerk, das Walzwerk, die großen Mühlen von La Fère, eine Ölfabrik, mehrere mechanische Werkstätten, die Gärtnereien in Charmes und Danizy , die regelmäßigen Viehmärkte und einige große Getreidefirmen.
Jetzt
im Kriege liegt das alles naturgemäß darnieder, und die Einwohner sehnen den Tag herbei, an dem ,, ces maudits Allemands" ihre Stadt wieder verlassen¹ ) .
¹ ) Der bereits vor geraumer Zeit geschriebene Aufsatz kann nach dem französischen Heeresbericht vom 25. März insofern noch einen Zusatz erhalten , als dieser meldete , daß La Fère zwar noch nicht ganz zurückerobert worden sei, wohl aber die westliche Vorstadt ,, St . Quentin “ und zwei Forts. Die Schriftleitung.
20
Beschleunigter Stellungswechsel der französischen Feldartillerie
III .
Angeblich beschleunigter
Stellungswechsel
der französischen Feldartillerie.
Kriegsteilnehmer wollen die Beobachtung gemacht haben, daß sich der Stellungswechsel französischer Feldbatterien gelegentlich mit auffallender Geschwindigkeit vollzogen habe.
Deckt sich diese Wahr-
nehmung mit der Wirklichkeit , so stände die Erscheinung im Widerspruch zu den Annahmen, die auf Grund des Gewichtes und der Fahrbarkeit des Feldgeräts sowie auch nach Stärke der eingeführten Gangarten gemacht wurden. Was den Einfluß des Gewichtes anlangt , so ist das der Kanone einschließlich dreier aufsitzender Kanoniere mit rund 2200 kg keineswegs hoch, wohl aber dasjenige der mit Schrapnels gefüllten Munitionswagen und dreier Kanoniere zu rund 2425 kg. (Von den zwölf Munitionshinterwagen einer Batterie waren vor dem Kriege zwei mit Granaten ausgerüstet, wodurch das Gewicht des ganzen Fahrzeuges auf 2300 kg fiel ; ob eine vermehrte Ausstattung mit Granaten kurz vor oder während des Krieges eintrat, ist nicht bekannt. ) schlaggebend, da
Kanone
Dies Gewicht ist aber aus-
und Munitionswagen eine Einheit , das
,,Geschütz" , bilden und dieser bei Bewegungen jener stets vorausgeht mithin die Schnelligkeit von dem schwereren Teile bestimmt wird. Stellt man die Fahrbarkeit des Geräts an sich zu derjenigen anderer Artillerien in Vergleich, so müssen die niedrigen Räder von nur 1,25 m Höhe die Schnelligkeit der Bewegungen beeinträchtigen Dieser Nachteil wird vielleicht durch zwei Umstände aufgewogen , einmal durch die leichte Protze von nur etwa 700 kg Gewicht , die Unebenheiten des Geländes vorteilhafter überwinden läßt, und sodann durch eine günstige Anspannrichtung der Taue für die Stangenpferde, welche die Ausnutzung der Zugkraft begünstigt. Die Zeit, welche das Auf- und Abprotzen der recht schweren Lafette und des Hinterwagens beansprucht, wird außer Ansatz bleiben dürfen, da die Protzen so heranfahren sollen , daß eine Bewegung der Lafette oder des Hinterwagens nur in ganz engen Grenzen auszuführen ist. Aus diesen Betrachtungen geht hervor,
daß
eine
besondere
Schnelligkeit der Bewegungen aus dem Gewicht und den Einrichtungen
Beschleunigter Stellungswechsel der französischen Feldartillerie.
21
des Geräts nicht zu folgern ist . Ebensowenig s'nd die Gangarten der französischen Feldartillerie geeignet , Aufschluß über die behauptete Erscheinung zu geben. Die stärkste Gangart ist , genau genommen, der Trab, in dem 200 m in der Minute zurückgelegt werden sollen , 20 m weniger als z. B. bei uns .
Der Galopp wird nur ausnahmsweise
gefahren und es wäre ein wunderbarer Zufall, wenn seine Anwendung und die gemachte Wahrnehmung zusammengetroffen sein sollten. Ausgeschlossen erscheint es nicht, daß die Franzosen im Feldzuge mit der reglementarischen Trabgeschwindigkeit gebrochen und eine stärkere angenommen hätten. Die Friedensbespannung setzt sich aus besonders ausgewählten Tieren zusammen, deren Geeignetheit nach festen Anforderungen an Masse, Größe , Zähigkeit und Verhältnis von Länge zur Größe bestimmt wird, die aus auf breiter Grundlage angelegten kriegsmäßigen Versuchen in den Jahren 1909 und 1910 abgeleitet wurden. Danach sollte jedes einzustellende Zugpferd zum Gebrauch an der Stange geeignet sein. Zielt eine derartige sorgfältige Auswahl auch in erster Linie auf kräftige Zugleistungen, Ausdauer und Widerstandsfähigkeit ab, so ist doch nicht zu bezweifeln, daß aus solcher vor die Kanonen gelegten Bespannung Geschwindigkeitsleistungen von mehr als 200 m in der Minute herausgeholt werden können . Man darf vielleicht annehmen, daß sich die Franzosen zur Beschleunigung eines Stellungswechsels ausnahmsweise dazu entschlossen , die vier Kanonen an die erste Stelle der Marschkolonne zu nehmen und die Munitionswagen folgen zu lassen.
Wird ein verstärkter Trab
eingeschlagen, so kann ihn die Kanonenbespannung hergeben , während die schwereren Munitionswagen mit allmählich größer werdendem Abstande folgen. Für die Kanonen wäre die Zeit des Stellungswechsels gekürzt , sie würden aber zunächst nur über je 24 Patronen ihrer Protzen verfügen und das spätere Einfahren der Munitionswagen neben den Kanonen dürfte , wenn im feindlichen Feuer überhaupt ausführbar, schwierig und störend sein . Eine derartige Maßregel bedeutete ein höchst gewagtes Unternehmen. Den allenfallsigen Möglichkeiten der Erscheinung weiter nachgehend , könnte man sich die Ausführung eines als beschleunigt erkannten Stellungswechsels folgendermaßen denken: Von den 4 Geschützen einer Batterie verbleiben 2 zunächst in der Stellung und erwecken durch gesteigerte Feuertätigkeit den Anschein, daß sich dort nichts geändert habe. Die beiden anderen eilen der neuen Stellung zu, nehmen sie ein und eröffnen das Feuer. Nach kurzer Zeit sind die stehen gebliebenen den vorausmarschierenden Geschützen gefolgt, um sich mit ihnen wieder zu vereinigen, nachdem diese inzwischen schon den Eindruck einer vollen Batterie hervorgerufen haben.
So könnte
22
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
der Stellungswechsel um das Zeitmaß verkürzt erscheinen, um das die später abrückenden Geschütze den vorhergehenden folgten.
Die an-
fänglich am Kampfe beteiligte Batterie würde der Gegner dann als erledigt oder auf einem anderen Gefechtsabschnitt eingesetzt vermuten. Dort, wo sich der Stellungswechsel mit größerer Schnelligkeit vollzieht als nach Feldgerät ,
Organisation ,
Bespannung und Aus-
bildung vorauszusetzen , müssen besondere , zunächst nicht klar zu erkennende Maßregeln getroffen sein.
In welcher Richtung sie sich
vielleicht bewegen können, wurde anzudeuten versucht.
Zwangsloser
ließe sich die besprochene Erscheinung daraus erklären, daß die Franzosen grundsätzlich auf jede Batterie, die keinen bestimmten Auftrag löst oder zur Errichtung des gewollten Zweckes nicht unbedingt erforderlich ist, die Hand legen, um im Falle des Bedarfs über sie anderweitig verfügen zu können.
Ob ein Stellungswechsel vorliegt oder eine Batterie
zurückgezogen und bald darauf eine bereits verfügbar gewordene an anderer Stelle eingesetzt wurde , läßt sich nicht unterscheiden. v. R.
IV.
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung .
Von Riensberg, Oberst z. D. (Fortsetzung. )
VII. Die Explosionsgefahren der Selbstentzündung. Feuchte, hygroskopische, namentlich mit leicht entflammbarem Öl getränkte organische und unorganische Stoffe , wie Baumwolle, Heu , Kohle , Schwefel und Phosphor können sich selbst entzünden . Das ist eine bekannte , an Hand von Erfahrungen unbestreitbare Tatsache . Die Selbstentzündung von Menschen, an die man früher geglaubt hat , gehört dagegen in das Reich der Fabel.
Man behauptete,
daß dem Trunke stark ergebene Personen sich mit ihren Explosionsgefahren selbst oder zur besseren Erklärung durch Annäherung eines
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
23
brennbaren Gegenstandes an die ausgeatmete , alkoholische Luft entzünden könnten. Diese Selbstentzündung ist indessen nicht möglich, selbst wenn der Körper im höchsten Grade mit Alkohol gesättigt wäre. Das in jedem lebenden Körper enthaltene Wasser läßt einen Verbrennungsprozeß aus sich heraus nicht zustande kommen . Auch fehlt der zur Selbstentzündung erforderliche Überdruck der eingeschlossenen Gase und Dämpfe . Mit entstehendem Überdruck wird Wärme erzeugt , die in der Wechselwirkung zwischen Druck und Wärme schnell bis Entzündungstemperatur gesteigert werden kann .
zur
Der Vorgang der
Temperaturerhöhung nimmt mit der zunehmenden Geschwindigkeit der Molekularbewegung einen progressiven Verlauf. Die Entwicklung und Spannung der sich ausdehnenden , verdünnten
Gase
wachsen stetig mit steigender Temperatur. Der Druck steigt mit der zunehmenden Wärme und diese wiederum mit dem Druck. So sind es nicht allein die Explosivstoffe, sondern anscheinend harmlose Körper, die durch Selbstentzündung feuerübertragend explosionsgefährlich werden können. Besondere Vorsicht erfordern gebrauchte Putzlappen , die dem niederen Entflammungspunkt des Öles entsprechend schon bei verhältnismäßig niedrigen Temperaturen zur Selbstentzündung gelangen können. Sie müssen daher in feuersicheren Behältern aufbewahrt werden. Jede Sicherung eines Explosivstoffbetriebes gegen Brandgefahr bedeutet eine Verminderung der Explosionsgefahren ; denn feuergefährliche Stoffe sind in Explosivstoffabriken auch explosionsgefährlich . Den Feuerlöscheinrichtungen und der Ausbildung der Feuerwehr ist aus diesem Grunde besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Mit rechtzeitiger Unterdrückung des Feuers können häufig Explosionen verhütet werden . Am meisten Explosivstoffen
zu selbst .
und unerwartet
fürchten ist Die
natürlich
Selbstzersetzung
die Entzündung kann
schnell verlaufen , wenn der Vorgang
Produkte beschleunigt wird.
von
überraschend durch saure
Derartige Explosivstoffe tragen den
Keim der Selbstentzündung in sich, wenn gefährliche Salpetersäurereste infolge ungenügender Stabilisierung in ihnen zurückgeblieben sind. Es ist meist die Oxydation , die durch den Wasserstoff der
Feuchtigkeit
eingeleitet
und
gefördert
wird.
An
feinem
Aluminiumpulver kann man dieses einwandsfrei beobachten .
In
trockenem Zustand ist es ungefährlich ; bei feuchter Lagerung entwickelt es jedoch die zur vorzeitigen explosiven Zersetzung erforderliche Wärme in kürzester Zeit. Die Druckwärme saurer Explosivstoffe wird mit lebhafter Gasentwicklung sprungweise gesteigert . Je niedriger die Druckgrenze des Explosivstoffes liegt, desto schneller erfolgt die
24
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung.
Auslösung der Explosion.
Auf Selbstentzündungen zurückzuführende
Explosionskatastrophen, die in Frankreich, Italien, England , Amerika und Japan Kriegsschiffe zerstörten, haben uns in den verflossenen Jahren den Ernst dieser Explosionsgefahren in ihrer gewaltigen Wirkung vor Augen geführt . Es sind Explosionen, die im Hinblick auf die meist nicht völlig aufgeklärten Ursachen ihrer Entstehung allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Sie reichen zurück in die Anfänge der ersten Schießwollfertigung. Die Schießwolle gelangt bei einer Wärmeeinwirkung von etwa 180 ° C zur sofortigen Zersetzung ; aber schon weit unter diesem Wärmegrad beginnt der Zerfall ihrer Moleküle , der durch die Entwicklung von salpetriger Säure angezeigt wird. Diese führt rasch zur Zersetzung der Nitroexplosivstoffe. Das sind vorzugsweise die Nitrozellulose , das Nitroglyzerin und die Nitrokohlenwasserstoffe (Nitrotoluol, Nitrobenzol , Pikrinsäure usw. ) . Durch gründliche Reinigung und neutralisierende Zusätze kann die chemische Beständigkeit dieser an und für sich unbeständigen Explosivstoffe wesentlich erhöht werden . Die Unglücksfälle, die mit der zuerst in größerem Umfange von Schönbein und von Lenk gefertigten Schießwolle vorkamen, waren auf die unvollständige Entfernung der zum Nitrieren der Baumwolle benutzten Salpeter- und Schwefelsäure zurückzuführen . Erst durch die Einführung des Holländerns der Schießwolle konnte dieser Übelstand mit völliger Zerkleinerung der Baumwollfaser beseitigt werden. Die langen Fasern der Schießbaumwolle halten in ihren Kapillaren instabile Körper , im besonderen Säure zurück, welche kein Kochen zu entfernen vermag. Die Wirkung des Zerkleinerns beim Holländern . besteht hauptsächlich im Kürzen und gleichzeitigen Zusammenpressen der Fasern, wodurch die sauren Bestandteile rein mechanisch oder durch Diffusion entfernt werden .
Hierdurch ist die Beständigkeit
der Nitrozellulose wesentlich erhöht worden ; wie überhaupt zurzeit bei gehörig gereinigten Explosivstoffen unter normalen Verhältnissen Selbstzersetzungen nicht mehr zu befürchten sind. Von der vollständigen Entfernung der Säure hängt die Beständigkeit in erster Linie ab. Durch wiederholtes Waschen bei verschiedenen Temperaturen, nötigenfalls unter Zusatz von neutralisierenden Alkalien und zum Teil auch durch Umkristallisieren wird das Ziel erreicht. Die Höhe und Zeit der einwirkenden Wärme bestimmen im Verein mit der Druckgrenze , die von der Zusammensetzung des Explosivstoffes abhängt , die Lagerbeständigkeit bei verschiedenen Temperaturen. Von jedem technisch brauchbaren Explosivstoff ist zu verlangen, daß er eine seiner Verwendung entsprechende, ausreichende chemische Beständigkeit besitzt . Ideal in dieser Beziehung verhält sich das
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung.
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Schwarzpulver mit seinen Abarten. Als mechanisches Gemenge von Salpeter, Schwefel und Kohle bleibt es auch unter ungünstigen Einflüssen sicher beständig. Die auf dem Wege chemischer Verbindungen hergestellten Explosivstoffe sind dagegen als Nitrokörper und Chlorate gegen Wärmeeinwirkung mehr oder weniger empfindlich. Die Gegenwart der Wärme wirkt zersetzend auf sie ein. Mit erhöhter Temperatur wird die chemische Reaktion besonders dann beschleunigt , wenn die entstehenden nitrosen Gase keinen freien Abzug finden .
Das innere
Gleichgewicht dieser Körper kann außerdem schon bei der Fertigung auf Kosten der Beständigkeit gestört werden, wenn zu hohe oder zu lange Wärmeeinflüsse die schlummernden Keime der Selbstzersetzung wecken. Die Lebensdauer solcher Explosivstoffe wird dadurch in explosionsgefährlicher Weise verkürzt . Besondere Achtsamkeit ist bei der Mischung verschiedener Explosiv-
stoffe geboten, die ihrer Eigenart entsprechend zu behandeln sind. Beim Lösen, Schmelzen und der mechanischen Bearbeitung in geheizten Walzen und Knetmaschinen muß die Wärme so niedrig gehalten werden, daß sie die Bildung von salpetriger Säure nicht begünstigt. Auch dürfen bei der Bearbeitung keine unbeständigen Körper entstehen, die zur Selbstzersetzung neigen. Das Nitrieren erfordert bei der Herstellung der Nitroexplosivstoffe vor allem Vorsicht .
Neben der Nitrierung sind heftige Oxydationsprozesse zu verhüten, und im Nitrierraum dürfen brennbare Körper, wie Holzteile , Stroh und Dich-
tungsmaterial,
die durch das Aufsaugen von Säuren unbeständig werden können , nicht vorhanden sein . Leider haben wir noch keine einwandfreie Untersuchungsmethode die uns über die inneren Vorgänge der Selbstzersetzung genauen Aufschluß gibt. Der Explosivstoffuntersuchung haften wie jeder anderen Die Untersuchungen stützen sich Untersuchungsweise Mängel an.
größtenteils auf vergleichende Zahlen, die bei der wissenschaftlichen Zergliederung und Berechnung der Zersetzungsgeschwindigkeit und Zersetzungstemperatur sowie der Menge und Art der Reaktionsprodukte Es finden kalorimetrische und gasanalytische festgestellt werden. Untersuchungen statt , die mit ihren Fehlern als Ergebnis Anhaltspunkte für die vergleichende praktische Prüfung gewähren. Im
Hinblick
auf die
verschiedene
Wärmeempfindlichkeit
der
einzelnen Explosivstoffe ist zunächst die Untersuchungstemperatur dem Explosivstoff anzupassen. Bei der Übertragung der Temperatur von einem Körper auf den anderen kann dabei nur von Wahrscheinlichkeitswerten die Rede sein. Ursprünglich wurden nur qualitative Untersuchungen ausgeführt, indem man bei den verschiedenen Wärmegraden die Zeit bis zur Ent-
26
Die Explosionsgefahren , ibre Entstehung und Bekämpfung.
wicklung von roten Dämpfen oder bis zum Beginn von Farbenreaktionen feststellte.
Eine große Zahl verschiedener Untersuchungsmethoden ist
auf dieser Grundlage von Chemikern ausgearbeitet worden ; auf zusichere
Untersuchungsergebnisse kann aber noch keine
Anspruch machen.
verlässige ,
Bei allen diesen Methoden spielen individuelle
Beurteilung und Verschleierungen des Ergebnisses eine irreführende Rolle. Die nitrosen Gase bleiben unsichtbar , sobald sie sich mit flüchtigen Stoffen farblos verbinden können oder von diesen absorbiert werden. Ebenso bleibt die entscheidende Färbung aus , wenn die Verbindung oder Absorption mit dem Reaktionsmittel selbst im Zusammenhange steht. Solche Wirkungen sind auf Sublimat , Alkohol , Fette usw. zurückzuführen.
Infolge dieser Einwirkungen verhalten sich die Explosiv-
stoffe bei der Untersuchung plötzlich passiv, ohne daß man den Grund entdecken kann. So kommt es vor, daß die Untersuchungsergebnisse desselben Explosivstoffes an verschiedenen Orten erheblich voneinander abweichen, und daß bereits in der Zersetzung befindliche Explosivstoffe noch beständig erscheinen .
Die Reaktionen , von denen der Ausfall
der Untersuchungen abhängt , können also trotz der größten Sorgfalt von Zwischenmitteln verdeckt werden.
Unter diesen Verhältnissen hat man quantitative Untersuchungsweisen ausgearbeitet , die im allgemeinen zuverlässigere Ergebnisse gezeitigt haben ; aber auch diese sind noch nicht vollkommen sicher und einwandfrei . Im besonderen unzuverlässig sind noch die Untersuchungen von Explosivstoffen , die flüchtige Bestandteile enthalten. Man mißt bei den quantitativen Untersuchungen durch Volumen oder Druck die bei hohen Temperaturen in einer bestimmten Zeit abgespaltenen Gase und schließt daraus auf die Beständigkeit .
Bei
Explosivstoffen , die ohne Beimengungen hergestellt sind, ist dieses zulässig , da nach dem Verdunsten des Wassers die Messung von nitrosen Gasen allein in Frage kommt.
Anders verhält es sich, wenn Zusätze
mit flüchtigen Bestandteilen zu den Explosivstoffen hinzutreten, wie sie aus verschiedenen Gründen unentbehrlich sind. Durch die von den fremden Körpern herrührenden Gase geht der richtige Anhalt verloren. Absolute Zahlen sind dann nicht mehr unmittelbar verwertbar ; man kann nur noch an Hand von Vergleichsexplosivstoffen aus Verhältniszahlen Schlüsse ziehen. Ein unbedingt sicherer Aufschluß wird hierdurch nicht erlangt ; aber wertvolle Anhaltspunkte werden dadurch doch gewonnen . Von jeder Verbesserung der Untersuchungsmethoden im Sinne größerer Zuverlässigkeit ist eine Herabminderung der auf Selbstentzündungen
zurückzuführenden
Explosionsgefahren
zu
erwarten.
Vor allem muß durch die Untersuchungen das innere Wesen, der
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
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In Charakter der Explosivstoffe einwandfrei ergründet werden. dieser Hinsicht ist besonders zu bedauern , daß noch keine Untersuchungsmethode anzeigt , wenn sich in Explosivstoffen nur verhältnismäßig kleine, unbeständige Bestandteile befinden , die als Zersetzungsherde leicht die Zündung und Explosion großer Explosivstoffmassen verschulden können . Instabile Produkte von niedriger Zersetzungstemperatur, die bei der Untersuchung nicht erkannt werden, sind also als Explosionserreger zu fürchten .
Erst wenn die Ursache
eines Übels festgestellt ist , können richtige Maßnahmen zu seiner Beseitigung mit zweckentsprechenden Mitteln ergriffen werden.
Mit allen
Mitteln ist aber bei allen Explosivstoffen die Erhöhung der Beständigkeit zur Verringerung der Explosionsgefahren anzustreben. Mit großem Erfolge werden hierzu bei Nitroexplosivstoffen die sogenannten Zersetzungsverzögerer verwandt.
Das sind Zusätze , wie Diphanylamin ,
Anilin usw. , welche die beim Zersetzungsvorgang frei werdenden nitrosen Gase neutralisieren sollen . Besondere Sachkenntnis ist bei der Auswahl und Bestimmung der Zersetzungsverzögerer erforderlich.
Die ent-
stehenden salpetrigsauren Dämpfe sollen nicht absorbiert, sondern neutralisiert werden, damit sie nicht wieder frei werden und zerstörend wirken können.
Richtig gewählte Zersetzungsverzögerer müssen daher
mit den abgespaltenen Gasen beständige Verbindungen eingehen, d . h. aromatische Nitrokörper bilden , die keine salpetrige Säure mehr abgeben. Alkalien , die bei der Erwärmung der gebildeten Nitrite noch salpetrige Säure abzugeben und aufzunehmen vermögen, sind daher in ihrer katalytischen Wirkung als Zersetzungsverzögerer nicht zu empfehlen. Irrungen auf diesem Gebiete können mit unerwarteter Selbstentzündung zur Explosionsgefahr werden. Der große französische Chemiker Vieille, der Erfinder des rauchschwachen Pulvers , irrte in der Wahl des Amylalkohols als Zersetzungsverzögerer und verschuldete dadurch gewaltige Explosionen von Pulverlagerhäusern und Kriegsschiffen. Die vom Alkohol absorbierten, aber nicht neutralisierten , nitrosen Gase wurden infolge von Wärmeeinwirkung wieder frei und beschleunigten die Pulverzersetzung in verhängnisvoller Weise. Von Bedeutung ist auch die Größe des verwandten Zersetzungsverzögerers. Die Menge des Zusatzes ist so zu bemessen, daß alle frei werdenden sauren Bestandteile von dem Zersetzungsverzögerer aufgenommen werden können. Wird zu wenig von dem stabilisierenden Stoff zugesetzt , so beginnt die Zersetzung wieder nach seinem Aufbrauch. Oft treten dann auf der Oberfläche des Explosivstoffes verdächtige Punkte und Streifen verschiedener Färbung auf, die aber keine zuverlässigen Schlüsse gestatten , und daher als Indikatoren auch keine praktische Bedeutung gewonnen haben.
28
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung .
Neben der Zusammensetzung des Explosivstoffes und der einwirkenden Wärme hängt seine Lagerbeständigkeit - sein Widerstand gegen die Selbstzersetzung
schließlich noch wesentlich von der Art
der Verpackung ab . Feste Einschließung, die den entstehenden nitrosen Gasen keinen freien Abzug gestattet , verkürzt die Lebensdauer der Nitroexplosivstoffe , da mit zunehmendem Druck die Zersetzungswärme wächst. Offene Lagerung in nicht luftdicht verschlossenen Packgefäßen, durch welche Drucksteigerungen ausgeschlossen werden , ist also in chemischer Hinsicht günstig, da die Beständigkeit der Explosivstoffe dadurch erhöht wird. Lüftung und häufig auch Kühlung der Explosivstoffräume ist für alle Fälle vorteilhaft. Auf Kriegsschiffen ist dieser Frage besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, da die gefahrlose Unterbringung der Explosivstoffe auf engem Raum mit vielen Wärmequellen schon an und für sich nicht leicht ist. Bei sachgemäßer Herstellung, Verwendung und Aufbewahrung der Explosivstoffe ist nach vorstehendem auch die Selbstentzündung als Explosionsgefahr nicht zu fürchten .
VIII. Bekämpfung der Explosionsgefahren durch Kontrollen. Explosivstoffe bedürfen zur Sicherung gegen Explosionsgefahren dauernder Überwachung . Das bezieht sich sowohl auf fertige Explosivstoffe ,
als auch auf die in der Fertigung begriffenen.
Un-
regelmäßigkeiten müssen durch einfache Kontrollen frühzeitig erkannt werden. Bevor ein Explosivstoffbetrieb eröffnet wird , sind die Einrichtungen und zu verarbeitenden Stoffe genau zu prüfen und zu untersuchen. Von einem Fremdkörper in der Explosivstoffmasse können Explosionsgefahren ausgehen. Ein eiserner Nagel in einer Mengmaschine verursacht mit Sicherheit Zündung und Explosion. Die mangelhafte Konstruktion oder der fehlerhafte Zustand von Maschinen und Apparaten, sowie unreine Bestandteile und unachtsame Bedienung sind bei der Explosivstoffertigung gefährlich . Die zweckmäßigsten und sichersten Einrichtungen können nur dann ihre Schuldigkeit tun, wenn sie in tadelloser Beschaffenheit erhalten und in sachgemäßer, zuverlässiger Weise bedient werden Ein schadhaftes Reduzierventil , dessen Federn , Gewichte oder Manometer nicht einwandfrei arbeiten,
bedeutet bei der Explosivstoffertigung eine Explosionsgefahr ; denn Explosionen sind zu befürchten, sobald durch ein solches
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
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Ventil zu hochgespannter Dampf in die Heizung von Trockenanlagen, Schmelzkesseln oder Arbeitsmaschinen eintreten kann. Die gleiche Gefahr entsteht bei Warmwasserheizungen, wenn diese sich infolge von schadhaften
Dampfinjektoren unbemerkt in Dampfheizungen Letztere werden gefährlich, sobald die Temperatur mit zunehmender Dampfspannung oder infolge der Einwirkung von überverwandeln .
hitztem Dampf schnell in unzulässiger Weise wächst. Tritt das Übel, z. B. beim Bruch von Maschinenteilen überraschend ein , dann wird das Gefahrsmoment dadurch erhöht. Zuverlässiges Aufsichtspersonal, das Arbeit und Betrieb gewissenhaft kontrolliert und entschlossen eingreift, bietet besonders bei gefährlichen Überraschungen einen sichernden Schutz . In Bergwerken sind es die Wettersteiger , Schießmeister und Inspektoren , die sich auf diesem Gebiet segensreich betätigen. Schnelles Handeln ist meist von größter Bedeutung. Sekundenschläge sind oft entscheidend ! Richtige Anleitung, Unterweisung und sachgemäße Kontrolle der Arbeitsausführung erhöhen die Sicherheit , was dem Gefühl nach leider auch bei ständiger, andauernder Beschäftigung mit gefährlichen Arbeiten der Fall ist .
Eine solche Tätigkeit erzeugt
leicht Sorglosigkeit, stumpft erfahrungsmäßig gegen die Gefahr ab und führt auch in bedauerlicher Weise zur Mißachtung der zum Schutz gegebenen Anordnungen . Schutzvorrichtungen werden dann leicht vernachlässigt. Ein Arbeiter, der bei einer Zündhütchenexplosion das Augenlicht einbüßt, weil er die Schutzbrille nicht aufgesetzt hatte, ist wahrlich zu bedauern . Die Schuld hat er sich aber selbst zuzuschreiben. Das Unglück hätte er vermeiden können ; und es wäre auch vermieden worden, wenn der die Arbeit überwachende und kontrollierende Aufsichtsbeamte seine Schuldigkeit getan hätte. Auf qualitativ oder quantitativ unzureichendes Aufsichtspersonal sind bei Explosivstoffarbeiten nicht selten Explosionsgefahren zurückzuführen . Unrichtige, achtlose Handlungen, Unterlassungen und Versehen sind bei diesen Arbeiten folgenschwer. Dadurch angerichtete Schäden , die Menschenleben zum Opfer forderten, lassen sich nicht wieder gut machen. Ein falscher Handgriff beim Bedienen der Maschine oder ein Fremdkörper , der aus Unachtsamkeit in die Explosivstoffmasse geriet, können leicht zum Verhängnis werden . Wird das Säuregemisch zum Nitrieren in die Apparate ohne Anstellung der Rührwerke oder Kühlung eingelassen , dann tritt mit plötzlicher Reaktion starke Wärmeentwicklung ein, die bei heftiger Gasentwicklung zur Explosion führen Außerdem können durch die Verbindung der giftigen nitrosen
kann .
Gase mit der atmosphärischen Luft explosive Gasgemische entstehen, die gewaltige Raumexplosionen auszulösen vermögen . gemäße
Kontrollen kann
Durch sach-
diesen Explosionsgefahren wirksam und
30
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung .
erfolgreich entgegengetreten werden.
Zur Erhöhung der Sicherheit
und Erleichterung der Kontrolle sind periodische Arbeitsmethoden möglichst durch kontinuierliche, ungefährliche Arbeitsweisen zu erVor allem darf aber die Beschaffenheit der Einrichtungen setzen. die Entstehung von Explosionen nicht begünstigen .
Festverschlossene
Nitriergefäße , die bei beginnender Zersetzung den Gasen und der aufwallenden Explosivstoffmasse keine Gelegenheit zum Austritt bieten, sind z. B. gefährlich, da in ihnen die Erwärmung mit zunehmender Spannung rapide zunehmen muß . Die Gefahr ist bei der Verwendung von gußeisernen Gefäßen am größten, da Gußeisen bei plötzlichem Temperaturwechsel infolge von Spannungsänderung leicht springt. Zur Entlastung der Apparate , in denen in unbeabsichtigter und unererwünschter Weise Spannungen entstehen können , sind lose Deckelverschlüsse angezeigt, die im Falle plötzlicher Gasentwicklung als Sicherheitsventile abgehoben werden .
Vakuumschränke sind im all-
gemeinen zum Trocknen von Explosivstoffen zu verwenden , damit bei dieser an und für sich nicht ungefährlichen Arbeitsausführung unter Abkürzung der Gefahrszeit die Möglichkeit der Entzündung und Feuerübertragung und auch etwaige Explosionswirkungen verringert werden. So müssen alle Einrichtungen dem Arbeitsverfahren mit Einsicht und Verständnis angepaßt werden, wozu Aufklärung, Unterweisung, Belehrung und Beaufsichtigung der Bedienung wesentlich beitragen . Personen, welche die Tragweite und die Folge ihrer Handlungsweise nicht zu übersehen vermögen , dürfen mit Explosivstoffen grundsätzlich nicht beschäftigt werden. Dazu gehören jugendliche Personen , trunksüchtige, geistig minderwertige und leichtfertige Leute, die auch durch Spielereien , Neckereien , Zänkereien, sowie durch mutwillige und unüberlegte Handlungen Explosionsgefahren heraufbeschwören können. Gegenseitige Überwachung der Arbeiter soll dazu beitragen , daß solche Persönlichkeiten, die durch ihre Schwächen und Gebrechen gefährlich werden können, rechtzeitig erkannt und unschädlich gemacht werden ; der Schwerpunkt ist aber auch hier auf die Kontrolle durch das Aufsichtspersonal zu legen . Neben persönlichen Kontrollen sind solche durch Apparate wertvoll , und zwar sind einfache Konstruktionen, komplizierten Einrichtungen vorzuziehen , da sie leichter zu bedienen sind und sicherer arbeiten.
Zu den komplizierten Apparaten gehören die elektrischen
Fernkontrollapparate, die vielen Störungen und Unterbrechungen ausgesetzt sind. Hierdurch wirken sie beim Versagen nicht sichernd, sondern gefährdend. Ganz allgemein haben Fernkontrollen in Explosivstoffbetrieben mancherlei Nachteile, die ihren Wert in Frage stellen. Im praktischen Gebrauch haben sich Nahkontrollen besser bewährt ,
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
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da sie durch sofortiges Eingreifen die rechtzeitige Abwendung von Gefahren ermöglichen .
mit
Besonders gute Erfahrungen sind in den letzten Jahrzehnten den selbstregistrierenden Thermometern der Firma G. Lufft
( Stuttgart) gemacht. Dieser Kontrollapparat ist mit einer Zylinderröhre ausgestattet, die das die Wärme aufzunehmende Medium enthält. Dadurch wird es möglich, das Instrument außerhalb des Raumes aufzustellen, in dem die Temperatur zu kontrollieren ist. Es kann
also auch die in Flüssigkeiten herrschende Temperatur registriert werden. Der Apparat besteht aus einem Blechkasten, in dem das Uhrund Schreibwerk montiert ist .
Das Uhrwerk, das in der Regel eine
Gangzeit von acht Tagen hat, ist in einer Messingtrommel untergebracht , um welche der Registrierstreifen gespannt wird. Die Zylinderröhre mit dem Medium hat meist eine Länge von 1 m. Sie wird in der Regel wagrecht in den Meßraum eingeführt. Die Temperaturskala gestattet bei einer Höchsttemperatur von
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Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
120º C mit einem Zwischenraum von 90 ° die Ablesung der Registrierung einzelner Grade. Abweichungen von der normalen Ausführung in bezug auf die Gangzeit , Länge und Lage der Röhre und Temperaturskala können dem Verwendungszweck und Bedürfnis entsprechend erfolgen . Dieser sicher arbeitende Apparat, der zum besseren Verständnis nachstehend bildlich dargestellt ist , sollte in der Explosivstofftechnik die weitgehendste Verwendung finden. Die für den Apparat aufgewandten Kosten und die Mühewaltung der Bedienung werden reichlich durch die Eindämmung der Explosionsgefahren aufgewogen. Die selbstregistrierenden Thermometer, die auch die Güte der Fabrikate vorteilhaft beeinflussen, sind bei der Fertigung von Explosivstoffen zur Erhöhung der Sicherheit ganz besonders am Platz . Sie kontrollieren die herrschende Temperatur und die Zeitdauer der Wärmeeinwirkung und haben außerdem
den großen Vorteil,
daß
nach
Explosionen aus dem weggeschleuderten Registrierstreifen meist noch nachträglich wertvolle Feststellungen möglich sein werden. Jede Aufklärung kann zur Verhütung späterer Explosionen beitragen.
Die
näheren Ursachen der Explosionsentstehung sind ja leider meist nicht zu ermitteln, da wirkliche Augenzeugen über Anlaß und Verlauf fehlen. Wenn lebende Zeugen oder einwandfreie Aussagen nicht vorhanden sind, dann können die sorgfältige Sammlung und Sichtung aller Beobachtungen wichtige Winke für die Klarstellung geben.
Im besonderen
ist mit der Gewinnung von Anhaltspunkten für die richtige Behandlung der verschiedenen Explosivstoffe zur Einschränkung der Explosionsgefahren zu rechnen . Leider entziehen sich Explosivstoffteilchen , die in Spalten, Ritzen und Vertiefungen Unterschlupf finden, gar leicht der Kontrolle . Eine Tatsache , die auf die Gefährlichkeit von Staub und Fugen hinweist. Beide sind nach Möglichkeit zu beseitigen, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Staubkörperchen vieler Explosivstoffe die charakteristische Neigung haben, sich unter Beschlägen und Verkleidungen anzusammeln. Sie finden ihren Weg dabei durch die feinsten Haarrisse und unscheinbarsten Öffnungen. Am vorteilhaftesten ist es aus diesem Grunde, wenn Apparate und Geräte möglichst aus einem Stück fugenlos herAus Aluminiumblech gestanzte Trockentafeln entgestellt werden. sprechen dieser Anforderung in idealer Weise . Risse und Spalten sind dagegen bei Trockenrahmen unvermeidlich, die aus Holz zusammenDer in den Fugen abgefugt , mit Leinwand überspannt werden. gelagerte Explosivstoffstaub wird beim Trocknen immer von neuem
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
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der Wärme ausgesetzt und systematisch zur Entzündung gebracht. Explosionen von Trockenschränken und Trockenhäusern können unter solchen Verhältnissen nicht wundernehmen. Eine auf die gleiche Ursache zurückzuführende überraschende und lehrreiche Explosion in einem Schießwollholländerwerk verdient zur Charakterisierung dieser Gefahr bekannt zu werden. Ein gußeiserner
Waschholländer
hatte
infolge
von
Wärme-
spannungen einen mit bloßem Auge kaum wahrnehmbaren Haarriß im Boden erhalten. Durch den feinen Riß waren Schießwollkörperchen in einen Hohlraum unter dem Boden des Holländers gelangt. Als dieser Raum, der etwa 1 kg Schießwolle gefaßt haben mag , angefüllt war, wurde der Haarriß durch Schießwollteile, die nicht mehr einDie im Hohlraum eingeschlossene
dringen konnten, geschlossen.
nasse Schießwolle war nunmehr der Wärme des Holländers , in dem bei 50-60 ° C gewaschen wurde, so lange ausgesetzt , bis sie mit der Erreichung der Druckgrenze zur Explosion kam. Durch die Explosion wurde der ganze Holländer unter Fortschleuderung seines Inhaltes mit großer Gewalt zertrümmert. Eine verhältnismäßig kleine Explosivstoffmenge, die sich in nassem Zustand unbemerkt unter dem Holländer angesammelt hatte, war im feuchten Arbeitsraum zur Sprengbombe Die sehr überraschend ausgelöste Explosion mit ihren
geworden.
Gefahren wies darauf hin, daß alle Explosivstoffarbeitsmaschinen zur Ausführung einwandfreier Kontrollen überall zugängig sein müssen. Im vorliegenden Falle wurden zur Verhütung von ähnlichen Explosionen die auf festem Boden stehenden Waschholländer unterkellert. Die durch undichte Stellen des Bodens durchsickernde Schießwolle konnte nach dieser Ausführung periodisch, gefahrlos aus dem Keller entfernt werden. In möglichst fugenlosen, von allen Seiten zugängigen Einrichtungen liegt im Verkehr mit Explosivstoffen eine nicht zu unterschätzende Sicherheit gegen Explosionsgefahren. Maschinen , Apparate und Geräte müssen Kontrollen gestatten und erforderlichenfalls leicht auseinanderzunehmen sein .
Bei empfindlichen Explosivstoffen ist aber auch diese
Arbeit des Auseinandernehmens nicht ungefährlich und erfordert Vorsicht und Sorgfalt , wie es häufige Unfälle beim Zerlegen von Patronen zeigen.
Besondere Achtsamkeit hat die Kontrolle allen Gegenständen
aus Holz zuzuwenden, da in diesem Material infolge wechselnder Spannungen leicht Sprünge , Risse und Lockerungen der Verbände entstehen. Auch Gewebe, die durch Wärmeeinwirkung mürbe werden, können bei der Fertigung von Explosivstoffen Explosionen verschulden. Reißt der mürbe gewordene Überzug eines Trockenrahmens während des Trockenprozesses , so fällt der Explosivstoff in Trockenschränken 3 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 550.
34
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung.
auf heiße Trockenplatten .
Er ist hier der strahlenden und leitenden
Wärme des Metalls vermehrt ausgesetzt und kann dabei leichter zur Zersetzung kommen. Hieraus geht im einzelnen hervor, daß periodische Kontrollen auf allen Gebieten des Explosivstoffwesens unentbehrlich sind. Sie bieten im Kampfe gegen die Explosionsgefahren einen wirksamen Schutz . Im besonderen bezieht sich dies auf alle brennbaren Gegenstände , die zur Erhöhung der Sicherheit gegen die erste Feuereinwirkung durch Imprägnierung oder Anstrich nach Möglichkeit widerstandsfähig zu gestalten sind . In der Zündung liegt immer wieder Ist die Entzündung erst erfolgt , dann die Hauptexplosionsgefahr ! kommen alle sichernden Bestrebungen zu spät . Ein Brand kann gelöscht werden ; bei Explosionen fehlt die Zeit dazu. Durch sichernde Maßnahmen kann höchstens die Explosionskraft etwas abgeschwächt werden. Sogenannte Sicherheitsapparate versagen meist im entscheidenden Sie erwecken Hoffnungen, die sie nicht zu erfüllen vel-
Augenblick.
Gegenüber der raschen Explosionsentwicklung arbeiten alle mechanischen Einrichtungen eben viel zu langsam. Selbst in Vakuum-
mögen.
trockenschränken haben theoretisch wohl erwogene, teilweise patentierte Sicherheitseinrichtungen, die an Stelle der Explosion den Brand ersetzen wollen, im entscheidenden Augenblick versagt. Nicht einmal die auf verschiedene Weise erstrebte Gasentspannung hat mit SicherSicherheitsventile, lose angelegte, nur heit erreicht werden können . durch den Atmosphärendruck geschlossene Türen, und leicht schmelzbare Wände haben Explosionen nicht immer verhindern können . Sie haben im Verein mit Sicherheitsräumen die Explosionskraft vielleicht verringert, die Explosionsgefahr aber nicht auszuschalten vermocht. Die Sicherungen konnten meist in der sehr kurzen Zeit der Explosionsentwicklung , die sich in zehntausendstel Sekunden vollzieht, nicht zur Explosionsgefahren können auf diesem Gebiete Geltung kommen . nur dann mit Sicherheit verhindert werden , wenn die Festigkeit der Bei fulminanten Einschließung der Explosionskraft gewachsen ist . Explosivstoffen genügt aber bereits die bloße Einschließung durch die elastische atmosphärische Luft zur Auslösung der Explosionsgefahr. Durch getrennte Lagerung in möglichst kleinen Mengen und durch Vornahme der einzelnen Arbeiten in getrennten Gebäuden oder Räumen kann aber die Größe der Gefahr eingeschränkt werden. In keinem Raum darf mehr Explosivstoff vorhanden sein als unbedingt erforderlich ist . Das bezieht sich besonders auf empfindliche Explosivstoffe , wie Zündblättchen und Zündhütchen, die in kleinen Mengen ungefährlich sind, in größerer Zahl aber durch ihre rasche Feuerübertragung äußerst gefährlich werden können. Die Kontrolle wird in den einzelnen Räumen
Die Explosiongefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
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durch Tafeln erleichtert, auf denen die zulässig höchste Menge , die im Raume vorhanden sein darf, angegeben ist.
Diese Kontrollen haben sich auch auf die Abgänge von Explosivstoffen zu beziehen, die ebenfalls nicht in großen Mengen angesammelt werden dürfen , sondern frühzeitig, dem Charakter der Explosivstoffe entsprechend, unschädlich zu machen sind. Hierbei schickt sich eines nicht für alle ! Schwarzpulverabgänge können zur Wiedergewinnung des Salpeters in warmem Wasser ausgelaucht werden.
Ein Verfahren ,
das für Dynamit explosionsgefährlich wäre, da im Wasser das empfindliche Nitroglyzerin frei wird. Ein Tropfen davon, der zur Auslösung größerer Explosionen genügt , ist in Unachtsamkeit zu fürchten. allgemeinen erfolgt die sichersten durch Feuer.
Im
Vernichtung von Explosivstoffabfällen am
Auf allen Explosivstoffgebieten sind Kontrollen zur Verhütung von Explosionsgefahren von A bis Z erforderlich und unentbehrlich. Die Angestellten sind von der Leitung und diese ist von der Aufsichtsbehörde zu kontrollieren , darin liegt als Segen der Kontrolle ein sehr wirksamer Schutz gegen Explosionsgefahren .
(Schluß folgt. )
3*
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Literatur
Literatur.
I. Bücher. Ballistik. Die mechanischen Grundlagen der Lehre vom Schuß von Dr. H. Lorenz , Professor der Mechanik an der Techn . Hochschule zu Danzig . Mit 53 Textabbildungen . München und Berlin 1917. Druck und Verlag von R. Oldenbourg. Preis geh. 3,50 M. Der gegenwärtige Krieg hat das Interesse für die Lehre vom Schuß außerordentlich belebt ; Beweis dafür ist die vorliegende Schrift. Entstanden aus Vorträgen, die der Verfasser vor einigen Bezirksvereinen deutscher Ingenieure in verschiedenen Städten gehalten hat, wurde sie auf Wunsch zahlreicher Zuhörer ausgearbeitet und erschien im Herbst v. J. in der weit verbreiteten Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure. Der von dieser herausgegebene Sonderabdruck war sehr rasch vergriffen , so daß die vorliegende Buchausgabe nötig wurde . Diese Tatsache würde an sich schon genügen , das Buch zu empfehlen . Der Verfasser hat seinen Stoff gegliedert in innere" und „ äußere Ballistik" . Entgegen den meisten ballistischen Schriften ist die innere Ballistik, d . h . die Lehre von der Bewegung des Geschosses im Lauf und der damit zusammenhängenden Rücklaufbewegungen der Waffe, eingehender behandelt und an Beispielen Gewehr 98 mit S - Patrone und einer 75- mm Feldkanone erläutert. In der äußeren Ballistik wird die Flugbahn im luftleeren und im lufterfüllten Raum untersucht und das schwierige Problem des Luftwiderstandes gründlich erörtert, wobei der Verfasser eine eigne an die Versuche von E. Mach sich anlehnende Formel aufstellt. Den Schluß bildet eine kurze Abhandlung über die Wirkung des Geschosses am Ziel . Die Schrift ist kein wörtlicher Abdruck des oben erwähnten Aufsatzes , sondern hat einige wertvolle Zusätze erhalten. Sie ist allen Lesern, die sich für die Schießlehre interessieren und eine über das Durchschnittsmaß hinausgehende mathematische Vorbildung besitzen, vor allem den Lehrern an militärischen Bildungsanstalten , sowie den zu technischen Instituten und Prüfungskommissionen gehörenden H. Rohne. Offizieren warm zu empfehlen . Zwei Jahre Weltkrieg. Von Oberst Karl Egli , Lektor der Kriegswissenschaften an der Universität Basel. Ein Überblick über die kriegerischen Ereignisse vom August 1914 bis August 1916. Mit 22 Kartenskizzen . Verlag von Schulthess & Co. , Zürich . Preis broschiert 5 M. , gebunden 6 M. Oberst Egli ist uns in Deutschland als taktischer Schriftsteller recht gut bekannt, dann auch durch die unglücklichen Verhandlungen, die zu seiner Enthebung von der Stelle eines Sous- Chefs des General-
Literatur.
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Als solcher besuchte er den westlichen Kriegsschauplatz zu Studienzwecken , als Offizier eines neutralen Staates konnte er leichter Einblick in Schriftstücke unserer Feinde erlangen als ein deutscher Offizier, um so mehr, da er in Friedenszeiten Regimentsadjutant des späteren Generals Bonnal in Frankreich war. In diesen Verhältnissen liegt der besondere Wert des Buches, in dem mehr, als es in deutschen Büchern möglich war, auch Angaben über Kräfteverteilung unserer westlichen Gegner hervortreten . Sichtlich ist der kaum in Deutschland bekannt gewordene Bericht des General Joffre, dessen Führung im Lichte Eglischer Darstellung nur gewinnt, und eine Studie des Generals Bonnal über die Ereignisse des Sommers 1914 reichlich, aber auch kritisch überprüfend benutzt worden. Die politischen Vorgänge werden nicht berührt, die Darstellung mit dem August 1916 abgebrochen . Unberücksichtigt bleiben die Kämpfe in den Kolonien wie in Arabien , weil einerseits zu wenig gesichteter Stoff dafür vorliegt, anderseits von ihnen kein Einfluß auf die Begebenheiten in Europa ausging. Auch der Krieg zur See und in der Luft wird nur herangezogen , wo der unmittelbare Zusammenhang mit dem Landkrieg vorhanden war. Sachgemäße Prüfung in der Sichtung des Stoffs macht sich überall fühlbar. Durchdrungen von der Überzeugung, daß sich noch zu viel Lücken im Material zeigen , läßt Oberst Egli die Taten sprechen. Nur dadurch ist es möglich, gewesen, auch für längere Zeit eine wirklich brauchbare Geschichte stabes führten.
des Krieges zu geben . Es ist ein umfassender, erschöpfender und durchaus unbeeinflußter Überblick, bei dem es dem Verfasser nicht auf Einzelheiten oder auf operative Wertung der Ereignisse ankam , wo er es kann, deutet er aber schon jetzt die Zusammenhänge und und die führenden Gefechtszwecke in den Kampfhandlungen an. Die Benutzung des Buches wird durch ein gutes Sachregister und Beigabe von guten Karten wesentlich erleichtert. Die ruhig sachliche Aufzeichnung der Ereignisse wird gelegentlich unterbrochen und belebt durch Befehle, Erwägungen und Berichte, mit denen die Befehlshaber hüben und drüben zu Worte kommen. Wo Oberst Egli eine eigne Bemerkung beifügt, geschieht es in so wohl abgewogener Weise, daß der Leser ohne weiteres beipflichten kann . Am Schlusse des Abschnittes über die Kämpfe auf dem westlichen Kriegsschauplatz bis November 1914 heißt es beispielsweise : „Immer mehr entwickelt sich von da an der Stellungskrieg zu einem Kampfe der Zerstörungsmittel gegen die Befestigungskunst. Und doch liegt darin nicht die Entscheidung : immer noch braucht es zum Siege Führer, die den großen Entschluß fassen, und Soldaten, die ihr Leben rücksichtslos einsetzen , sei es zum Sturm gegen die Schanzen des Feindes, sei es zum Ausharren im Eisenhagel, sei es zum Kampf im engen Schützengraben mit Messer und Handgranaten, Mann gegen Mann. Am Schlusse des Buches wirft Oberst Egli die Frage auf : „Wer wird Sieger sein ? " Und antwortet darauf: Keineswegs ist gesagt, daß wirklich der als Sieger aus dem Völkerringen hervorgehen wird, der die meisten Kanonen auf dem Schlachtfeld ins Feuer bringen kann . Als Soldat muß man an
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Literatur.
dem durch die Kriegsgeschichte aller Zeiten begründeten Glauben festhalten , daß die überlegene Führung eines großen Feldherrn sowie die Tüchtigkeit und Opferwilligkeit der kämpfenden Völker wenigstens bis zu einem gewissen Maße über Zahl und Rüstung siegen können ." Das lesenwerte Buch wird auch bei uns die gebührende Beachtung Balck. finden. Nietzsche als Philosoph . Von Dr. Hans Vaihinger , Geh . Reg.- Rat, Prof. an der Universität Halle . Vierte , vom Verfasser neu durchgesehene Auflage. Feldausgabe, erstes bis zehntes Tausend . 1916. Verlag von Reuther und Reichard, Berlin . 80 Seiten 8 °. In steifem Umschlag 1 M. von den einen als der Prophet neuer „umgewerteter Nietzsche
Werte" bewundert, von den anderen als der Zerstörer geheiligten , geistigen Besitzes verdammt, vielen willkommen , vielen unbequem, allen stand um die Jahrhundertwende im Brennpunkte des bedeutsam deutschen Geisteslebens . Der Krieg hat seine Gestalt und Lehre erneut in den Vordergrund geschoben . In englischen Zeitschriften wird er, der Verkünder des Willens zur Macht, als typischer Vertreter deutscher Eroberungssucht genannt, in einem Atem mit Treitschke und Bernhardi . Obwohl er selbst niemals hat politisch sein wollen. In einer Kriegsnovelle von Walter Flex wird erzählt, wie ein Kriegsfreiwilliger drei zerlesene Bände aus dem Tornister packt : die Bibel, Goethes Gedichte und den Zarathustra, die sich gut darin miteinander vertragen hatten . Welche Wertung das Hauptwerk Nietzsches bei unserer feldgrauen Intelligenz findet, beweist allein die Kriegsausgabe des „ Zarathustra" (aus Kröners Verlag) , deren 150. Tausend nach wenigen Monaten beinahe vergriffen ist. Auf viele Tausend dankbarer Leser darf auch der Hallenser Philosoph Vaihinger, der Verfasser der „ Philosophie des Als Ob " , rechnen , der seine Abhandlung über Nietzsche in vierter Auflage als Feldpostausgabe neu herausgegeben hat . Auf 80 Seiten gibt er eine Einführung in Nietzsches Weltanschauung, die den Philosophen , nicht den Propheten oder den Dichter, würdigt. Vorbildlich in seiner zurückhaltenden Objektivität, seiner disziplinierten Kürze und seiner zergliedernden Klarheit , destilliert er ein System aus den tausend Antithesen und Aphorismen, in denen uns das Bedeutsamste von Nietzsches Gedankenarbeit überkommen ist. Aus 7 Negationen (der antimoralistischen , antisozialistischen , antidemokratischen , antifeministischen, antiintellektualistischen , antipessimistischen und antichristlichen Tendenz) hebt Vaihinger das Positive der Lehre heraus. Er knüpft an bekannte, von allzuvielen falsch verwandte Schlagworte an und macht uns die bizarre aber großzügige, an Bildern und Gedanken überreiche aber in allem übermäßige Persönlichkeit in den drei Perioden ihrer geistigen Entwicklung (die schließlich in der Umnachtung endete) greifbarer und deutlicher, als Donndorf es mit der bekannten Nietzsche - Büste vermochte, deren Abbildung den Umschlag der Broschüre schmückt.
Man sende die Schrift denen ,
Literatur.
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die draußen den „Zarathustra" lesen, als willkommenen Kommentar ins Feld. Ev.
Aus ZeitungsDichtung und Wahrheit aus dem Weltkriege. nachrichten zusammengestellt von Maximilian Lehnert. Charlottenburg, Raben-Verlag. Preis 7,50 M. Der Verfasser gibt in diesem 638 Seiten starken Buche eine „kleine Auswahl aus den teils unwahren, teils sensationellen Äußerungen der feindlichen Presse zu den Ereignissen der ersten beiden Kriegsjahre, denen er dann meistens den wahren Sachverhalt aus den zuverlässigen Quellen gegenüberstellt, und behält sich eine Fortsetzung dieser Sammlung bis zum Friedensschluß vor . Die ganze Zusammenstellung soll nach des Herausgebers Absicht das Selbstbewußtsein der Deutschen und ihrer Verbündeten stärken . Wertvoll aber dürfte sie auch sein als Materialiensammlung für eine Psychologie der öffentlichen Meinung unserer Zeit, wobei freilich der Benutzer nicht übersehen dürfte, daß hier nur Quellen zweiter Hand vorliegen ; denn uns werden hier nicht die Originale, sondern nur deren Übersetzungen und Bearbeitungen durch die deutsche Tagespresse geboten . - Wenn es sich bei einer 2. Auflage sollte ermöglichen lassen , daß die Äußerungen nicht einfach . chronologisch aufgereiht, sondern nach bestimmten Gesichtspunkten etwa den Hauptereignissen geordnet würden , so dürfte dadurch das Interesse an der Lektüre dieser reichhaltigen Zusammenstellung belebt werden . Vielleicht ließen sich dann auch noch manche weniger wichtige Nachrichten ausscheiden , so daß der Umfang des Buches und L. damit auch der Preis verringert werden könnte. Geländezeichnen für die deutsche Jungmannschaft und das Militär. Von Georg Stiehler. Dürr, Leipzig 1916. 129 S. mit 172 Abb. Geb. 2 M. Die Arbeit ist der 2. Teil der Schrift : „ Geländezeichnen für die deutsche Jungmannschaft" . Während im ersten Teil die Schulung des Auffassungsvermögens und die zeichnerische Wiedergabe als einfache Skizze den Hauptteil der Ausführungen bildet, wird in dieser zweiten Schrift die Einführung in das Wesen der Generalstabskarte und der militärischen Skizze in den Vordergrund gestellt . Karte und Kartenzeichnen werden nicht als fertige Gebilde gegeben , sondern sie werden aus anschaulichen Beziehungen natürlicher Gegenstände entwickelt und begründet. Neben dem allgemein bildenden und dem malerischen Geländezeichnen wünscht der Verfasser als eine weitere Ausbildungsanforderung die zeichnerische Wiedergabe des Geländes unter rein militärischen Gesichtspunkten . Durch den Zweck wird die Form und Technik der Zeichnung in so hohem Maße bestimmt, daß bei der soldatischen Skisse die eigne Darstellungsweise und die persönliche Auffassung den allgemeinen Vorschriften weichen müssen . Auf diesem Gebiete gibt es keine besondere Neuwertung, sondern es muß vielmehr in der Unterordnung unter die festen Bestimmungen eine Art von Disziplin geübt
Literatur.
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werden. Das festgeformte Zeichen ist hier die Einheitsform und das Verständigungsmittel. Nicht nur für die Karte selbst, sondern auch für die Ansichtsskizze fordert und gibt der Verfasser feste, geltende Zeichen . Diese Ansichtszeichen stellen eine Erweiterung der militärischen Zeichensprache dar. Durch das planvolle Einlernen der Ansichtszeichen kann. das rasche Entstehen der Ansichtszeichnung wesentlich gefördert werden, die dann allgemein gelesen werden könnte . Kriegserfahrungen unterstützen diese Forderung im Ausbildungsgang unserer Unteroffiziere und Offiziere. In den besonderen Ausführungen werden die Kartenzeichen als spezielle Fälle der Ansichtszeichen abgeleitet. Es kommt bei diesen Untersuchungen stets darauf an , den kürzesten bildlichen Ausdruck für bestimmte Gegenstände wie Baum, Haus , Fluß zu finden . In dieser Art zeigen sich in dem Werkchen sehr interessante Gedankengänge zeichnerisch- pädagogischer Entwicklungsstufen. In anderen Abschnitten wird die Entwicklung und Anwendung des Kartenmaßstabes und des Orientierens im Gelände mit der Generalstabskarte an einer Fülle von praktischen Beispielen erörtert. Und um all dem den Schleier theoretischen Denkens zu nehmen , findet sich am Ende der Broschüre ein Kapitel, das die Beobachtungen und Erfahrungen im Felde auf dem Gebiete des Geländezeichnens wiedergibt. Auch dieser Teil der sehr gründlichen und verdienstvollen Stiehler'schen Arbeit soll all den Jugendabteilungen, die sich aus Mittelschülern zusammensetzen, warm empfohlen werden . In erster Linie aber werden solche Lehrgänge mit Vorteil in den Lehrplan unserer Kadettenanstalten und Kriegsschulen aufzunehmen sein. Prof. Broßmer , Oberlt. d . Res. Deutschland im Kriege. Erschautes und Erlebtes von Gustav W. Eberlein . Mit künstlerischen Beiträgen von Emil Huber, Walter Bayer, W. Repsold , Bruno Bielefeldt und 111 Illustrationen nach Originalaufnahmen .
Preis geheftet 7 Fr. (7 M.)
Frankreich im Kriege 1914-1916 . Von Dr. Max Müller (Paris ), Korrespondent der „ Neuen Zürcher Zeitung" . Mit künstlerischen Beiträgen von Steinlen , Louise Breslau , Ed.-M. Sandoz und zahlreichen Abbildungen nach Originalaufnahmen . 157 Seiten GroßOktav- Format, geheftet 10 Fr., geb. in Leinwand 12 Fr. Die Aufsätze haben wir z . T. in der Neuen Zürcher Zeitung gelesen, sie fielen auf durch sachlich wohl abgewogene Urteile, vor allem durch ihre, durch keine Voreingenommenheit beeinflußte Stellung. Polemik und Politik treten in den Hintergrund , das Gezänk des Tages schrumpft zusammen, groß und für sich allein steht das ungeheure Ereignis des Krieges da. Ein Buch der Geschehnisse, nicht der Worte. Was Eberlein will, sagt er im Vorwort seines Buches . „ Dies ist kein Buch des Hasses, keines der Verherrlichung ; kein Anklageakt, keine Verteidigungsschrift . Es sagt aus , was unbefangene Augen im Deutschland der beiden ersten Kriegsjahre sahen , wie sie es sahen, das Volk der Denker und Dichter, an der Arbeit, am häuslichen Herd , im Mitkampf seiner hundert Millionen Arme, zwischen den Fronten, auf den
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gewaltigen Schlachtfeldern des eigenen Landes , in Ostpreußen , bei der Verwaltung besetzten Gebietes, in Belgien und draußen in Waffen und Wehr : im Felde. " Die Schilderungen aus der Front behandeln mit besonderer Vorliebe die Gegend der Champagne, sie werden als Stimmungsbilder dauernd ihren Wert behalten. Dem Buche „Frankreich im Kriege" merkt man deutlich an, daß der Verfasser unzweifelhaft erheblich mehr in seinen Bewegungen gehemmt war als Eberlein . Auch hier das Streben nach unparteiischer Darstellung. „ Nicht Richter wollen wir sein noch Advokat, sondern einfach Zeuge, der wiedergibt, was er mit offenen Sinnen und erklärter Sympathie für Land und Leute gesehen und miterlebt hat. Am Leser ist es, Schlüsse zu ziehen und Urteile zu revidieren ". Von ganz besonderem Interesse sind die Ausführungen über die Marneschlacht, wenn auch französisch gefärbt, doch auch für uns von Wert zu lesen. Ein sympathischer Zug geht durch des Buch, dem auch jeder deutsche Leser gern Gerechtigkeit widerfahren lassen wird. Balck. Bayernkämpfe. Von Ottmar Rutz. (Mit 8 Abbildungen. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung. München 1917 . Mit den Badenern von Mühlhausen bis in die Champagne. Von Friedr. Th. Körner. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung. München 1917.
Beide Büchlein erzählen von den schweren, siegreichen Kämpfen an der Westfront. Dabei läßt R. mehr die Dinge selbst reden , indem er sie kurz und knapp aneinanderreiht. K. dagegen kann an den entscheidenden Stellen sein heißes Vaterlandsgefühl nicht zurückdrängen ; es gibt sich kund in Betrachtungen , die die Ereignisse werten und in den Rahmen einer Weltanschauung einzuspannen versuchen . Der Inhalt selbst ist gewiß für alle interressant, dürfte aber für die , die mit dabei waren , eine besonders willkommene Zusammenstellung der L. wichtigsten Vorgänge bieten. Weltgeschichte seit der Völkerwanderung. In neun Bänden . Von Theoder Lindner , Professor an der Universität Halle. Neunter Band (Schluß) . Verlag von J. G. Cotta, Stuttgart und Berlin Preis geheftet 6,50 M., in Leinen gebunden 8 M., in Halbfranz gebunden 9 M. Mit diesem Bande, der die Ereignisse von 1860-1914 dargestellt, wird ein Werk abgeschlossen , das unbedingt einen Vorzug hat: eine Weltgeschichte von einem Verfasser gewährleistet eine einheitliche Gesamtauffassung des ganzen Stoffes. Und wenn L. diesem Bande, als er eigentlich schon abgeschlossen war, noch auf 37 Seiten einen Abschnitt : „ Vor dem Krieg ; die Kriegserklärungen “ hinzufügte, so hat er dadurch das Interesse daran gewiß nicht unwesentlich erhöht. Auf L.'s Auffassung der einzelnen Fragen und auf seine Darstellungsart hier einzugehen, verbietet der Charakter und der Raum dieser Zeitschrift. Diese kurzen Besprechungen können nur den Zweck ver4 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 550.
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folgen, die Leser darüber zu unterrichten , ob ein Buch empfehlenswert erscheint oder nicht. Und da wird man bei allen Ausstellungen , die man im einzelnen zu machen versucht wäre , doch sagen müssen , daß L.'s Werk allen, die sich schnell über die wichtigsten Ereignisse unterL. richten wollen , ein willkommenes Handbuch sein dürfte. Ohne Furcht und Tadel .
Ein Wort von einem alten Kameraden an
unsere jungen Offiziere von P. Sebastian v . O er aus der Beuroner Benediktiner-Kongregation , Kgl . Sächsischem Major a . D. 12º (VIII u. 80 S. ) Freiburg 1917. Herdersche Verlagshandlung. In Pappband 1 M. Nicht der Mönch, sondern der alte Major spricht in diesem kleinen Buch zu seinen jungen Kameraden . Er spricht über Pflicht und Ehre des Offiziers , der den ihm untergebenen und anvertrauten Mannschaften vorzuleben und vorzusterben hat, und schreibt begeisterte Sätze über den soldatischen Wahlspruch : Mit Gott für König und Vaterland . Kernworte unserer Heerführer, die schönsten aus Briefen des Feldmarschalls Mackensen, geben dem Büchlein besonderen Reiz , Ev. ,,Aus dem Kriegstagebuch eines Glückskindes". Stimmungen und Erlebnisse eines österreichischen Reserveoffiziers von k . u . k . Oberleutnantnant Dr. Otto Turmlirz. Concordia, Deutsche Verlagsanstalt, Berlin SW 11. 3,75 M.
Preis : Geheftet 2,50 M. , gebunden
In sprachlich formvollendeter und wieder in jugendlich frischer, packender Art schildert der Verfasser seine mannigfachen KriegsErlebnisse . Nicht was er erlebt, sondern wie er es erlebt, bietet sich dem Leser als Haupteindruck dar. Überall das unmittelbare Empfinden der einzelnen Persönlichkeit, bei der Mobilmachung, beim Kämpfen und Siegen, auf Märschen und in Ruhepausen . Das Werk sei bestens M. D. empfohlen.
Acht Kriegsmonate in der asiatischen Türkei. Meine Erlebnisse während des Feldzuges 1916 als Führer einer KraftwagenAbteilung. Von H. Wrobel , Hauptmann . Berlin . E. S. Mittler & Sohn. 1,50 M. In Deutschland waren verschiedene Kraftwagen- Kolonen aufgestellt worden , die unseren türkischen Bundesgenossen überwiesen wurden . Eine dieser Kolonnen befehligte Hauptmann Wrobel, der einige Erlebnisse seiner Tätigkeit schildert. Sie ist sehr umfangreich gewesen und hat in die verschiedensten Teile des Orients geführt. Die Kolonne selbst hat in dem wildromantischen Taurusgebirge, wo die Eisenbahn noch nicht vollendet war, den Verkehr über das Gebirge aufrecht erhalten müssen . Der Verfasser selbst hat von dort aus zur Erfüllung verschiedener dienstlicher Aufträge Erkundigungsreisen nach Palästina , in der Sinai - Halbinsel, in Mesopotamien und in Arabien ausführen müssen . Er hat die weiten Strecken teils im Kraftwagen , teils in der Bahn, teils zu Pferde oder auf dem Kamel ausgeführt. Auf den Reisen hat
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er Gegenden durcheilt, die dem gewöhnlichen Orientreisenden sonst unbekannt und verschlossen bleiben . Seine Schilderungen besitzen deshalb ein allgemeines Interesse. Leider mußte aus militärischen und politischen Gründen auf eine eingehende Schilderung der rein. militärischen Ereignisse verzichtet werden , dafür entschädigen aber die sehr lebensvoll gehaltenen Darstellungen der weiten Reisen, die Schilderung von Land und Leuten und die Einblicke in das türkische Volksleben und in die geographischen und wirtschaftlichen Verhältnisse . Ihre Kenntnis ist auch für eine richtige Beurteilung der Kriegsereignisse wichtig. v. S. erste Jahr. Aus den Erinnerungen eines Kriegsfreiwilligen. Von W. v. Rummel. C. H. Beck. München . 3 M. Verfasser war zuerst bei Ersatztruppenteilen als Bataillons -Adjutant tätig, wurde aber schon im ersten Kriegsjahr zum Brigade- Adjutant bei einer bayrischen Reserve- Brigade ernannt und schließlich in verschiedenen Stellungen bei einem Divisionsstabe verwendet. Sein Truppenteil kämpfte die ganze Zeit über in der Gegend von St. Mihiel im Ailly- und Apremont- Walde . Es sind Bilder des Stellungskampfes , Das
die dem Leser vorgeführt werden . Das Buch ist sehr lebendig und anschaulich geschrieben und gibt eine sehr wirkungsvolle Darstellung von den schweren Kämpfen, die die Truppe zu bestehen hatte . Auch der Humor kommt zu seiner Geltung. Mit besonderer Liebe sind einzelne Persönlichkeiten sowohl unter den Offizieren, wie unter den Mannschaften geschildert. Das Buch bildet eine fesselnde Lektüre, die namentlich für alle diejenigen wertvoll ist, die selbst an den Kämpfen in Lothringen teilgenommen haben . Die bisher erschienenen amtlichen und halbamtlichen Berichte beschäftigen sich naturgemäß mehr mit den größten Ereignissen . Es ist aber wichtig, auch kennen zu lernen , wie sich der Krieg an den übrigen Fronten und Abschnitten abspielte , wo nur örtlich beschränkte Kämpfe stattfanden , und welche Anforderungen. dabei an die Leistungsfähigkeit und Widerstandskraft der Truppen gestellt wurden. Das Heldentum der Truppen im Stellungskampfe tritt in diesem Buche deutlich hervor, und darin liegt seine Bedeutung. v. S. Handbuch der deutschen Marine und der Seestreitkräfte des Auslandes. Kriegsausgabe. Kiel, Verlag von Lipsius & Tischer. In stattlichem Umfange mit einer außerordentlich großen Zahl von guten Abbildungen bietet das Handbuch eine erschöpfende Übersicht über alles auf die Marine Bezug habende. Nachdem im ersten Teil neben der Geschichte des Schiffes die Entwicklung der deutschen Kriegsmarine beschrieben ist auch Kiautschou und die neuesten Flottengesetze sind erwähnt - behandelt der zweite Teil die Organisation und das Personal der Marine, die Uniformen , den Dienst und die Verpflegung an Bord . Im dritten Teil wird das Material der Marine geschildert einschließlich Unterseeboote und Marineflugzeuge , die Strategie und Taktik des Seekrieges, die Handelsmarine und Schiffsvermessung, Wassersport und Yachten , Seezeichen , Werften , Bau 4*
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und Einrichtung nebst Bewaffnung der Kriegsschiffe. Nach Angaben über die Entwicklung der Marine folgen im vierten Teil Schilderungen der deutschen Marinestädte , des Kaiser-Wilhelm- Kanals und Listen der deutschen sowie ausländischen Kriegsschiffe, wobei Tabellen derselben den Schluß bilden . Auch Convoi - Schiffe der Hansa , die brandenburgischen Schiffe des Großen Kurfürsten und vor seiner Zeit finden Erwähnung. Für den Nichtfachmann bildet der reiche Inhalt des Buches eine v. N. unerschöpfliche Fülle der Belehrung .
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Maßsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises -- sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Immanuel, 33 Monate Krieg. Berlin 1917. E. S. Mittler & Sohn. 5 M., geb. 6 M. 2. Dietz, Militärrechtspflege im Kriege. Rastatt 1917. Verlag K. u. H. Greiser. 5,20 M. 3. Spitzenpfeil, Das Deutsche Einheitskreuz für Kriegergräber im Felde. Lichtenfels 1917. H. O. Schulze . 0,25 M. 4. Kemsies, Deutsche Schulfürsorge und Schulhygiene im Osten . Leipig 1917. Leopold Voß . 1,80 M. 5. Deutschlands Zukunft bei einem guten und bei einem schlechten Frieden . München 1917. J. F. Lehmanns Verlag. 1 M. 6. Niemann , Hindenburgs Siegeszug gegen Rußland . Berlin 1917 . E. S. Mittler & Sohn. 2 M. 7. Teubners kleine Sprachbücher. Bd . VIII : Padel, Türkisch . Leipzig 1917. B. G. Teubner. Geb. 4,10 M. 8. ,,Deutschlands Erneuerung" Monatsschrift für das deutsche Volk. Heft 3. München 1917. J. F. Lehmann . Einzelpreis 1,50 M., vierteljährlich 4 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z. D. H. Rohne) enthält u . a. folgende Arbeiten : C. Cranz und H. Rothe : Zur Lösung des Hauptproblems der äußeren Ballistik für ein beliebiges Luftwiderstandsgesetz . v. Richter, Generalmajor z. D .: Zum fünfzigjährigen Bestehen der Artillerieschießschule. Lorenz , H.: Die Abhängigkeit des Luft- und Wasserwiderstandes von der Geschwindigkeit. Das Heft ist zum Preise von M. 5.- (Doppelheft) durch jede Buchhandlung zu beziehen. Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber) , Potsdam
V.
Bewegliche Defensive .
Von Rhazen, Generalleutnant. z. D.
Eine Drahtung Seiner Majestät des Kaisers an Ihre Majestät die Kaiserin vom 1. Juni hat unter einem neuen Abschnitt des Feldzugs im Westen den Schlußstrich gezogen und die Bilanz der ersten Generaloffensive unserer britisch-französischen Gegner für dieses Frühjahr als eine negative erkennen lassen . Deren Gewinn und Verlust , Annäherung an das weitgesteckte Ziel und vergossenes Blut bester Manneskraft Frankreichs und Englands , stehen in einem geradezu schreienden Miẞverhältnis. Eine glückliche
Fügung wollte ,
daß an demselben Tage der
Draht einen herzlichen, tiefempfundenen Glückwunsch des Kaisers auch in das Große Hauptquartier Kaiser Karls tragen konnte, mitten in die Truppen am Isonzo , zum Zerschellen des mit aller Kraft , die Cadorna materiell und personell zusammenraffen konnte, unternommenen zehnten Isonzoanlaufs an der Stahlmauer österreichischungarischer Tapferkeit.
Die Drahtung des Kaisers schließt einen Ab-
schnitt ab, der strategisch mit einem veränderten Bilde der Kriegführung ,,beweglicher Linien ,
einsetzt und uns taktisch eine neue Art mehr von starren Verteidigung“ , nicht
sondern
von
verstärkten
Landschaften"
zeigt.
Statt eines Stellungskrieges in der zweiten Hälfte des Abschnitts eine ,,bewegliche Defensive". Beiden haben unsere Gegner zunächst überrascht
gegenüber gestanden als ,,bons
généraux ordinaires " gegenüber einem deutschen Feldherrngenie .
Hier
liegt einer der Hauptgründe dafür , daß des Kaisers Drahtung vom 1. Juni lauten konnte , wie sie gelautet hat. berühren.
Andere werden wir später
Wenn das Gesetz des Handelns der gibt, der den Gegner
zwingt, von einem lange vorgesehenen und vorbereiteten Plane abzustehen, das zu tun, was dieser nicht gewollt und ihm den Raum 5 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 551 .
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für
Bewegliche Defensive . seine
Kampfhandlungen
vorschreibt,
so
werden
auch unsere
Gegner ihre lange aufrecht erhaltene entgegengesetzte Behauptung gegen ihren Willen dahin revidieren müssen, daß Generalfeldmarschall von Hindenburg das Gesetz des Handelns diktierte. Was unsere Gegner für die Frühjahrsoffensive bereitgestellt hatten, deutet der Satz in des Kaisers Drahtung vom 1. Juni an : ,, Seit vorigem Spätherbst vorbereitet und vom Winter her angesagt, ist der von gewaltigen Mengen an Artillerie und technischen Hilfsmitteln aller Art unterstützte Ansturm der englisch-französischen Heere nach siebenwöchigem, hartem Ringen gescheitert". Daß sehr starke Übermacht auf der Feinde Seite war, hat das Handschreiben des Kaisers an General Ludendorff von demselben Tage betont und dasselbe Schreiben hat als einen der Hauptfaktoren des großartigen Erfolges auch die unvergleichliche Tapferkeit und beispiellos zähe Ausdauer der beteiligten , aus allen deutschen Gauen stammenden Truppen hervorgehoben, zumal den Geist,
der
über
die
Materie gesiegt hat.
Denn ,, Material-
schlachten" gewaltigsten Stils wollten unsere Gegner schlagen . Der geniale Gedanke der Rückverlegung eines über 100 km spannenden Frontteils , der Geist deutscher Feldherrenkunst hat diesem Plan von vornherein die Spitze abgebrochen. Auch für unsere Gegner steht unleugbar fest , daß Briten und Franzosen angehäuft hatten, was die halbe Welt an Geschützen bis zum schwersten Kaliber, Minenwerfern ,
Munition
und
sonstigen Hilfsmitteln
des
modernen Stellungskrieges liefern konnte, gesammelt , was sie in mehr als halbjähriger Arbeit an Nachschub von Neuausgebildeten
und
Rekonvaleszenten von dem schon ziemlich erschöpften Frankreich herausgepreßt hatten , von dem angeblich über einen noch unbegrenzten Menschenvorrat verfügenden England und von den Kolonien liefern lassen konnten . Hinter der in der steckengebliebenen Sommeoffensive gewonnenen , vom Soldaten als Grab großer Hoffnungen anzusehenden Front waren die Zufuhr- und Querlinien von BahnSelbst ,,Verfolgungsarmeen" geleisen ins Ungemessene gewachsen. mit reichlicher Ausstattung an Kavalleriemassen , hatte man nicht vergessen. Aus den am Ende der Sommeschlacht erreichten, aus den Aisne- und Champagnestellungen, sollte die vernichtende Übermaterialschlacht "
losbrechen,
der
Durchbruch
erschossen
werden ,
der, nach splitternder Zerreissung der deutschen Front , Armeen durch die erweiterten Breschen vorquellen lassen würde , alles niederwerfend, was sich an Reserven entgegenstellte, und der dann konzentrisch zunächst über Laon und Cambrai , oder Lille weitergehen und etwa den Raum
zwischen Maubeuge-Valenciennes als erstes Ziel
des
Be-
47
Bewegliche Defensive.
wegungskrieges zu wählen haben würde . Wo das Endziel der Operationen liegen sollte, war nicht schwer zu erkennen : Vertreibung der Deutschen aus Nordfrankreich und Belgien, Werfen der Geschlagenen an und über den Rhein, dessen rechtes Ufer ihnen im günstigsten Falle bleiben sollte. Gigantisch der Plan , gigantisch die aufgewendeten Mittel und was besonders hervorzuheben, da er wiederholt starken Nachdruck in seinen operativen Prophezeiungen darauf gelegt hat - ganz ungewöhnlich des britischen Feldmarschalls Haig (dessen Augen bereits über den Rhein schweiften) Zuversicht zu den Leistungen und der Eignung seiner Armee für den Bewegungskrieg .
Sol-
datische Skeptiker mögen wohl etwas bedenklich das Haupt geschüttelt und sich gefragt haben, woher sie Berechtigung zu dieser Zuversicht komme, denn die zweifellos gründliche Durchbildung für den Stellungskrieg konnte sie doch nicht geben , und das Lager von Aldeershot konnte die in der ersten Phase des Weltkrieges in Frankreich bewiesene geringe Eignung britischer Führung und Mannschaften nicht mit einem Schlage ändern.
Zu großen Operationen des Bewegungskrieges ist es
ja nun bisher nicht gekommen, Haigs Armee und ihre Führer haben also auch nicht ihre besondere Eignung für diese beweisen können. Wie Mehltau hatte ein unerwarteter genialer Schachzug des leitenden deutschen Generalfeldmarschalls die Hoffnungen der Briten und Franzosen in der Blüte erstickt. Frühzeitiger als im Vorjahre sollte , so hatte die Ententepresse laut verkündet , die gewaltige allgemeine Offensive einsetzen. Zeit genug war ja auch zur Vorbereitung gewesen und man rechnete damit , daß im Westen die Entscheidung fallen werde,
während im Osten
eine angeblich neu erstandene russische Armee und das retablierte rumänische Heer vielleicht neue Brussilow-Massen gegen die Front der Verbündeten anlaufen lassen würden. Was das Vorjahr nicht vermocht, sollte 1917 liefern , und es ist sattsam bekannt , daß der französischen und britischen , wohl nicht besonders geographisch starken Mannschaft die billige, verlogene Überzeugung eingeimpft worden ist , nur noch eines kräftigen Stoßes bedürfe es , und man stehe am Rhein und diktiere Frieden.
Da
dem niedergeworfenen ,, preußischen Militarismus“ den
reißt
unsere
Oberste
Heeresleitung
das
Gesetz
des Handelns an sich und ein neuer Kriegsabschnitt bein dem engsten Zusammenwirken von See- und
ginnt
Landstreitkräften . Letztere geben die strategische Grundlage für die erstere im Standhalten der Landfronten , das Hindenburg verbürgt , erstere , an Tauchbooten , dieser 5*
48
Bewegliche Defensive.
flinken ,
todeskühnen
Meereskavallerie ,
genügend
ge-
wachsen , übernehmen die Offensive gegen die Flanke und die rückwärtigen Verbindungen des Gegners . Hielt das Wirken des unbeschränkten Tauchbootkrieges (von dem man freilich erwarten konnte , daß er auch neue, bis dahin durch eine dünne Heuchlermaske verhüllte Gegner auf den Plan rufen werde ), was von ihm erwartet wurde, so war, den Krieg
abkürzend ,
die die Entscheidung
näher bringende Schraube angezogen.
Wollen oder nicht, die
Gegner, und vor allem der gemeinste und zäheste von ihnen , mußte dann die Entscheidung so bald wie möglich suchen, oder sich der die Nährquellen an allem, was der Krieg verlangt, abgrabenden Wirkung des uneingeschränkten Tauchbootkrieges unterwerfen.
Mit gegebenen
Größen wurde , wie Moltke es verlangt, bei uns gerechnet , nicht mit Hoffnungen und Erwartungen . die Losung .
Stahl auf Stahl, hart auf hart wurde
Auf der britischen Front, welcher , nach der Versicherung
des Chefs der britischen Operationskanzlei , so viele deutsche Truppen gegenüberständen , als der doppelt so langen französischen, mußte baldigst etwas erwartet werden .
Mußte doch selbst der erste britische
Seelord sich damals schon zu dem Bekenntnis bequemen, die große Gefahr des Tauchbootkrieges sei nicht zu verhehlen , und die Angriffe dieser deutschen Kriegsmittel seien das ernstete und schwerste Problem für England ; ein Bekenntnis , dessen Richtigkeit immer deutlicher als Menetekel auf den Wänden des britischen Parlaments erschien. Auf Rußland bestanden damals bei der Entente,
wenn auch
Zweifel an dauernder Neigung zur Fortsetzung des Krieges in einem Teile der maßgebenden Kreise bei ihr aufkamen, noch Hoffnungen. Wilsons war sie nach dem, was wir heute wissen, schon lange sicher und versprach sich von seinem Beitritt auf den Vierbund, besonders Deutschland, eine niederschmetternde moralische Wirkung . Die große Einheitlich und gleichMaterialschlacht sollte also einsetzen . zeitig doch wohl, zum mindesten an allen Fronten im Westen, denn auf einheitliche , gleichzeitige Offensive , die mit aller Wucht selbst Kraftverschiebungen des Verteidigers im Raume jedes einzelnen Kriegsschauplatzes unmöglich machen würde, hatten uns die Posaunen der Ententepresse ja genugsam vorbereitet. ,, Offensive ist unvereinbar mit Kraftverteilung und untrennbar von Kraftvereinigung " , lautet ein alter Lehrsatz und ein strategisches Gesetz, daß dort, wo man die Entscheidung herbeiführen will, alle Mittel in Bewegung gesetzt werden müssen, die diese Entscheidung näher bringen . Von besonderem Interesse sind die Berichte der Obersten Heeresleitung von den ersten Märztagen.
Wir führen daher hier den Tages-
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Bewegliche Defensive.
bericht vom 1. März wörtlich an, denn was er an Geschehnissen verzeichnet, ist die Grundlage der ,,beweglichen Defensive" gewesen : ,,Auf beiden Ancreufern ist vor einer Reihe von Tagen aus besonderen Gründen ein Teil unserer vorderen Stellungen freiwillig und planmäßig geräumt und die Verteidigung in eine andere , vorbereitete Linie gelegt worden . Dem Gegner blieb unsere Bewegung verborgen, umsichtig
handelnde
Nachhutposten
verhinderten
seine
nur
zögernd
vorfühlenden Truppen an kampfloser Besitznahme des von uns aufgegebenen, zerschossenen Geländestreifens .
Bei überlegenem Angriff
befehlsgemäß ausweichend , fügten diese schwachen Abteilungen dem Feinde erhebliche blutige Verluste zu , nahmen ihm bis jetzt 11 Offiziere , 174 Mann Gefangene und 4 Maschinengewehre ab und beherrschen noch heute das Vorfeld unserer Stellungen . Nach starkem Feuer griffen in den gestrigen Morgenstunden (28. Februar)
die
Engländer bei
le Transloy und Sailly an . Der Angriff scheiterte bei Transloy vor dem Hindernis , bei Sailly, wo er auch nachts wiederholt wurde , im Nahkampf. " Was war in der Reihe von Tagen, von welchen dieser Bericht spricht, geschehen ?
Messen wir den Grad der Vorwärtsbewegung
des Gegners , unter Berücksichtigung der schweren Kämpfe und hohen Verluste (die Briten geben für Februar 1216 Offiziere, 16277 Mann an, bezüglich der letzteren eine glatte Unwahrheit , da nach dem immer noch als richtig bewährten Erfahrungssatz der Obersten Heeresleitung 1216 eingebüßten Offizieren 36 480 verlorene Mannschaften entsprechen müssen) an dem im Februar erreichten Bodengewinn . Am 1. März lief die britische Frontlinie von 1 km nordöstlich Gommécourt über Puisieux au Mont- Miraumont- Valancourt-Ligny- Tilloywestlich Transloy- Sailly zum Westrand des St. Pierre Vaast-Waldes und dann in den Raum von Bouchavesnes. Daß damit die deutsche Frontverlegung
noch
nicht
abgeschlossen,
war
für
den Soldaten
erkennbar , für die Gegner eine Quelle schwerster Sorgen - eine Hindenburgsche Falle -. Für die Briten wäre unterdes der Abend des 26. Februar ein Moment gewesen, der nachdrücklich an das Ziehen. einer Bilanz gemahnt hätte, denn in rund 18 km Breite verlief damals. ihre Front aus der Linie östlich Gueudecourt bis südlich Gommécourt ; Walencourt, Eaucourt und Miraumont waren eben besetzt .
Sie hatten
damit das Ziel erreicht, das der Angriffsbefehl vom 1. Juli 1916 , am
1. Tag der Sommeschlacht , gegeben hatte.
Ob sie die
Bilanz gezogen haben ? Zögernd tasten sich die Briten in der ersten Märzhälfte vorwärts . Zur drückenden Angst vor einer Hindenburgschen Falle dürfte das taktische Unvermögen der britischen Truppen in den durch die
50
Bewegliche Defensive.
deutsche Heeresleitung geschaffenen völlig neuen KampfBewegungsverhältnissen gekommen sein, die Engländer Und diese wohl in der und Franzosen völlig unerwartet trafen . Kriegsgeschichte einzig dastehende Geschicklichkeit der
und
Frontverkürzung auf einem mehr als 100 km spannenden Frontabschnitt , unbemerkt vom Feinde, unter Schaffung eines wüsten Glacis für Bewegung, Beobachtungs- und Deckungsmöglichkeiten , wie Unterkunft , eines Glacis, auf dem der Verteidiger alle Entfernungen genauest festlegt, das sein Feuer souverän beherrscht und die Fähigkeit für die abstoßende Kraft , (unter Schonung der eigenen lebendigen Streitkräfte, die den aufgehäuften stärksten Vernichtungsinstrumenten des nur auf leichte Artillerie angewiesenen Gegners entzogen wurden) , dem das Vorrücken versuchenden Feinde möglichst schwere Verluste beizubringen, der Ersatz der starren Linien des Stellungskrieges durch die mit Stützpunkten ausgestattete befestigte Landschaft, die Zerlegung des Massensturms in einzelne Gruppenkämpfe zwischen den Stützpunkten, die Tatsache, daß ein gewonnener Graben an Bedeutung verliert, kleinere selbständig und zielbewußt auftretende Verbände sich das sind die Geheimnisse im Raume bewegen und kämpfen
der ,,beweglichen Defensive" . Möglich war diese allerdings nur mit Truppen des Gepräges , das
unsere
kleinen
hinterlassenen
Nachhutposten
und
Verbände
trugen, die, dem Gegner die noch bestehende Besetzung verlassener Stellungen vortäuschend , seine vorfühlenden Erkundungen abwiesen, vor den angreifenden Hauptkräften aber, nach möglichst Gegners so des Stöße die schwerer Schädigung, auswichen , geschickt aufzufangen wußten,
daß
dieser
die vordersten Gräben
noch immer besetzt glaubte, schwere Artillerie heranzuziehen für nötig hielt und noch tagelang die geräumten Gräben mit schwersten Als die Briten Geschütz- und Minenwerferkalibern bearbeitete. Serre ,, eroberten" , hätten sie den ganzen geräumten Frontabschnitt besetzen können , wenn sie von einem Häuflein Was nervenstarker Männer sich nicht aufhalten ließen . man sich für das Verhalten der Briten in dem auf sie entfallenden Teile des Gebiets des strategischen Rückzugs Hindenburgs , der im ganzen einen Frontabschnitt zwischen Arras und Soissons , nach der Sommeschlacht 150 km umfasste, als äußere Gründe denken konnte , besonders bei der vorgeschobenen Ancrestellung , war , daß die Räumung der Keilstellung, welche die Deutschen seit geraumer Zeit gegen die heftigsten britischen Angriffe in der allgemeinen Linie Le Sarseine FrontverGrandecourt- Beaucourt- Serre gehalten hatten, längerung und damit eine Erschwerung der Verteidigung bildete .
51
Bewegliche Defensive.
Um so mehr, als die Briten an einzelnen Punkten dieses Keiles die Möglichkeit einer flankierenden Wirkung ihrer Artillerie in dessen Innenraum besaßen. Darum konnte die vorgeschobene Ancrestellung vernünftigerweise nur solange gehalten werden, als sie überlegene Kräfte des Angreifers fesselte und dieser in der schrittweisen Eroberung der stark ausgebauten deutschen Verteidigungsgräben sehr große Aufwendungen an Munition und Menschen machen mußte. Da unter solchem Einsatz aber die völlige Einebnung der deutschen Gräben gelungen war, war der Moment gekommen, das in aller Ruhe und mit größter Sorgfalt nach neuen Gesichtspunkten ausgebaute rückwärtige Verteidigungssystem zu beziehen. Französische Kritiker beurteilten, wie hier gleich bemerkt werden soll, den britischen Vormarsch auf beiden Ufern der Ancre damals mit Zurückhaltung, während sie wenig später der eigenen Vorbewegung den glitzernden Stempel der ,,Verfolgung" aufdrückten . Während die deutschen Truppen, die die Rückzugbewegung zu vollziehen hatten, wußten, daß diese kein Zweck an sich , sondern nur ein Mittel sei , kein Definitivum ,
sondern
nur
ein
Glied in
zweifellos genialer Führergedanken , konnte holen dies absichtlich wegen seiner hohen Bedeutung
der
Kette.
und wir wiederden Briten
im Augenblick nichts Schlimmeres passieren , als was sie unerwartet vor sich sahen.
Genau in dem Augenblicke, wenige Tage vor Beginn
der Ausführung , wie jetzt allgemein bekannt , damals nur von der Obersten Heeresleitung richtig geschlossen worden ist, da die britische Offensive mit aller Macht losschlagen wollte, entzog ihr Hindenburg das
Objekt auf mehr als
100 km Frontbreite , und geriet
sie gründlich in Verwirrung. Die in wuchtigem, gewaltigem Zuge alles niederrennen wollten, wurden tastende
Folger , da sie nicht be-
griffen, was das rätselhafte deutsche Verfahren bedeuten sollte. Vermutungen von der Zurücknahme der deutschen Defensive bis zur Grenze als das eine Extrem, Hindenburgs Abscheu vor dem Stellungskrieg, seine Absicht , die Briten aus den Gräben zu locken und die im Bewegungskrieg wenig Gewandten dann zu überfallen, als das andere, traten auf.
Zugegeben wurde, daß der Zeitpunkt des strategischen
Rückzugs wunderbar geschickt gewählt sei , der Frost zum Zurückbringen des schweren Materials und allen Zubehörs benutzt worden. sei, und daß nun für die Briten die ,,Verfolgung" durch den Morast besonders erschwert wurde. Von Ypern bis Roye gab man damals die britische Frontspannung auf 200 km an. Gegen den den Hindenburgschen strategischen Rückzug umfassenden Frontabschnitt zwischen Arras und Soissons standen operationsfähige britische Armeen, die mit dem Südflügel in Richtung (westlich Ham) Nesle-Canizy vorgingen,
52
im
Bewegliche Defensive. Süden operationsfähige französische Armeen , die gegen die all-
gemeine Linie Laôn- St . Quentin, wie wir bald sehen werden , vorzurücken schienen . Die Briten waren im Begriff, gegen die Linie Bapaume-Arras , die Franzosen über die allgemeine Linie Soissons -Roye gemeinsam den konzentrischen Stoß anzusetzen, als unbemerkt die Hindenburgsche Rückzugsbewegung eintrat .
Wir wollen hier die
Gründe für die später zu berührende Erscheinung des nicht gleichzeitigen Einsetzens der Vorbewegungen nicht berühren . An seine Stelle trat das spätere Eintreten der französischen Truppen, so daß sich ein Staffelangriff ergab .
War der Grund dafür der Wunsch ,
durch das Nacheinander der Angriffshandlungen feindliche Reserven lokal zu binden und somit die später einsetzenden Gruppen zu entlasten ?
Oder eine andere Rücksicht, wie z. B. die größere Schwer-
fälligkeit der britischen Führer und Truppen einerseits und das bei den Franzosen bestehende Bewußtsein , durch größere Energie von Führung und größere Leistungsfähigkeit der Truppen das Versäumte einholen zu können ? Am 2. März kommen die Briten nördlich Miraucourt langsam vorwärts , vom 3. März bis 8. März ebenso nördlich Puisieux au Mont und östlich von Gommécourt, während Offensivversuche östlich Bouchavesnes gründlich mißglückten . Am 8. und 9. März tritt Ruhe ein. Der 10. wird von Angriffen ohne Bedeutung ausgefüllt , am 11. besetzen die Briten auf dem nördlichen Ancreufer Irles und am 13. Grévillers und den Loupart-Wald, westlich davon .
Auf dem franzö-
sischen Offensivabschnitt , der sich später auf 55, gegen 60 km des britischen, ergab, häuft sich die Infanterietätigkeit unterdes auf Versuche zur Wiedergewinnung der von uns am 15. Februar errungenen Erfolge in der Champagne, besonders auf Höhe 185 , südlich Ripont , wo sie unsererseits entschieden das Bevorstehen einer großen Offensive gefürchtet und Höhe 185 als wichtigen Beobachtungs- und Übersichtspunkt über das Tal der Dormoise wieder in ihren Besitz bringen wollten. Daß der Kampf um Beobachtungspunkte eine neue, von uns aber schon geahnte und in den Reglements für Feld- und Fußartillerie niedergelegte Erfahrung in diesem Kriege ist , sei nebenbei bemerkt.
Vom 9. bis 13. März setzt an keinem Tage der französische
Ansturm südlich Ripont und ebenso wenig dessen blutige Abweisung aus. Am 17. März, an welchem der Bericht der Obersten Heeresleitung dem Sinne nach lautet : ,, Zwischen Arras und Oise haben die Engländer und Franzosen in dem von uns planmäßig aufgegebenen Geländestreifen unsere früheren Stellungen und mehrere Ortschaften , darunter Unsere Sicherungen Bapaume, Péronne, Roye und Noyon besetzt. fügten dem Feinde erhebliche Verluste zu und wichen dann , wie be-
Bewegliche Defensive . fohlen, aus ",
53
begann der französische Vormarsch, überschritt unter
Besetzung von Roye die Linie Lassigny- Roye und erreichte an mehreren Stellen die Straße Noyon - Roye. An demselben Tage war das Obsiegen der Revolution , die Abdankung des Zaren und des Thronfolgers bekannt , und die provisorische Regierung traf völlig selbständige Entscheidungen. Man durfte zweifeln, ob die verseuchte Armee in absehbarer Zeit die für eine Offensive nötige Disziplin wiedergewinnen werde. Am 17. März gewinnen die Briten, nach Besetzung von Bapaume, die allgemeine Linie Transloy -Bapaume- Bihucourt- Ablainville -Les Essart- Raum von Monchy au Bois . Der Beginn einer Umgruppierung ihrer Artillerie scheint sich bemerkbar zu machen . Am 19. gibt der Tagesbericht wieder eine neue Aufklärung der Geschehnisse der vorhergehenden Tage : ,, In den letzten Tagen wurde ein Landstrich zwischen der Gegend von Arras und der Aisne von uns planmäßig geräumt. Die lange vorbereiteten strategischen Bewegungen wurden ohne Störung durch den nur zögernd folgenden Feind durchgeführt . Sicherungen verschleierten durch umsichtiges und tatkräftiges Verhalten In das Verlassen der Stellungen und den Abmarsch der Truppen . dem aufgegebenen Gebiet sind die dem Feinde nützlichen Verkehrsanlagen zerstört worden , ein Teil der Bevölkerung wurde, mit einem Vorrat an Lebensmitteln für fünf Tage ausgestattet , zurückgelassen. " Und am 20. März : ,, In dem feindlicher Besetzung preisgegebenen Gebiete zu beiden Seiten der Somme und Oise verliefen mehrere Gefechte
von
Infanterie- und
Kavallerieabteilungen
verlustreich für
Die Vorbereitung des in jener Gegend ausersehenen den Gegner . Kampffeldes macht es zur militärischen Notwendigkeit, alles unbrauchbar zu machen, was dem Feinde später für seine Operationen von Nutzen sein könnte." Am 20. hat die Frontlinie der Franzosen, deren linker Flügel am 18. mit dem britischen in Nesle gleichzeitig eingerückt war, die vorderste deutsche Verteidigungslinie besetzt , während die Briten südlich der Somme Nesle, Chaulnes und Péronne gewannen und am 19. März die Linie Ailette-Abschnitt - ChaunyHam erreichten . Sie hatte in der Linie Ailette- Abschnitt - TransloyWestsaum von Montescourt- Roupy ausgesprochen, die Richtung nach Osten , während wir bald eine Drehung nach Nordosten erkennen werden.
Am 20. März schleppen die Briten mit ihrem rechten Flügel noch hinter den eiliger
um den Elan in der Verfolgung zu beweisen - in
Richtung auf St. Quentin vorgehenden Franzosen her und behaupten, zwischen Nurlu - Arras auf hartnäckigen deutschen Widerstand getroffen zu sein. In Frankreich hatte unterdes der sehr autoritative , mit großer
54
Bewegliche Defensive.
Machtvollkommenheit auch in bezug auf die Direktiven für die Operationen ausgestattete Kriegsminister Lyautey - bei seiner Ernennung als Retter Frankreichs begrüßt - weil er weder in öffentlicher , noch geheimer Sitzung die verlangte Kritik an höheren Führern, die später nach den mit Strömen von Blut erkauften Mißerfolgen an der Aisne und in der Champagne von Ribot so ausgiebig geübt wurde , dulden wollte
seine Demission gegeben.
In dem neuen Kabinett Ribot
trat der linksrepublikanische Zivilist Painlévé den Posten als Kriegsminister an. Schon der bisherige Erfolg des deutschen Entschlusses zur Räumung des gewaltigen Frontstückes zwischen Arras und Soissons ließ dessen ganze Wucht und Größe erkennen. War bis dahin die Kriegführung im Westen immer wieder auf das bekannte Spiel von Angriff und Verteidigung , auf Druck und Gegendruck gestellt , so war die Lage jetzt auf eine neue gebracht.
Grundlage
Der starre Stellungskrieg hatte aufgehört, eine neue Art
des Kampfes war an seine Stelle getreten. Von Kämpfen größerer Infanteriemassen hörte man wieder, selbst von Kavallerietätigkeit . Hatte die deutsche
Oberste
Heeresleitung zugunsten höherer Ab-
sichten auf diesem Schauplatz auf die strategische Initiative lange verzichtet, so war, zweifellos unterstützt durch die Gunst der Tatsache des Besitzes weiter feindlicher Landstrecken, jetzt der monatelang bis ins einzelne vorbereitete Augenblick gekommen , die Verhältnisse herbeizuführen , die für die Weiterführung der Operationen die günstigsten
schienen .
Man braucht nicht in allen
Punkten mit den Auslassungen des ,,Bund " in Stegemanns Artikeln ,,Zur Kriegslage" vom 20. und 23. März übereinzustimmen , um sie doch als höchst beachtenswertes, neutrales Urteil in Auszügen wiederzugeben.
Hinweisend auf die telegraphische Nachricht des Bericht-
erstattung des Feldmarschalls von Hindenburg am 15. März schreibt der „ Bund“ am 20. März : ,, Und doch lag in ihr (der Nachricht) nichts Geringeres als der Beginn der allgemeinen deutschen Rekonzentration, die seit dem 17. März im Westen sichtbar vollzogen wird, und nun den
westlichen
starre erlöst .
Kriegsschauplatz
aus
seiner
Operations-
Aus der taktischen Rückverlegung deutscher Front-
abschnitte blickt jetzt deutlich enthüllt der strategische Charakter einer planvollen Maßnahme größten Stils und in die Erscheinung tritt allgemach die Ausbreitung des Glacis zum Manöverierraum. Und nach einem Hinweis auf die britisch-französischen Kommentare zum deutschen Rückzug : ,,Aber nie
war ,
strategisch
betrachtet , weniger Anlaß vorhanden , einen Rückzug als Zeichen
der
Schwäche ,
des
Verzichts
entscheidung , aufzufassen als diesmal.
auf
die
Waffen-
Haig und Nivelle
55
Bewegliche Defensive. wissen sicher ,
daß ihnen die deutsche Heeresleitung mit
einem psychologisch nicht hoch genug zu bewertenden Entschluß das strategische Sprungbrett unter den Füßen weggezogen hat , als sie eben zu einer neuen Offensive ansetzen wollten , und daß Hindenburg sich volle operative Handlungsfreiheit
aus
einer
der
verwickeltsten
Lagen
herausgeholt hat , die je in einem Kriege entstanden sind. Deshalb betrachte ich diese Tat als das Schwerste und Größte , was bisher an Entschlüssen von einem Feldherrn in diesem Kriege gefordert worden ist. Die Lösung des Problems , die Westfront aus den Fesseln eines unfruchtbaren
Materialkriegs
französische
zu
lösen ,
Heeresleitung
versuchte
durch
den
die
Angriff
britischund
die
Steigerung des Materialkriegs , um nach vorn Bewegungsfreiheit zu schaffen und bezahlte ihre Versuche , die ihr seit Dezember 1914 stets kleine Gewinne gebracht hatten , ohne die strategische mit
riesigen
Opfern.
Grundlage Der
rasch
Verteidiger
zu ging
verschieben , daran ,
das
Problem von der entgegengesetzten Seite zu packen und die Bewegungsfreiheit nicht nach vorn , sondern in der Rekonzentration , zu suchen.
Daß Hindenburg damit das
Gesetz des Handelns gegeben hat , beweist glänzend die unmittelbare Folge. Heute stehen wir vor der großen Franzosen
gelingen
wird , die Operationsfreiheit zu nutzen , die sie
Frage ,
zwischen
Arras
ob
es
den
Engländern
und Cambrai ,
und
zwischen Roye und
St. Quentin
zu
finden glauben und die zunächst nur als Probe auf ihre Operationsfähigkeit zu betrachten ist . " Zwei Tage später führt der ,,Bund" , nachdem er darauf hingewiesen hatte, daß der deutsche strategische Rückzug, der die Hauptmasse der zwischen Arras und Soissons im weit vorspringenden Bogen stehenden Armee nach hinten führte , ohne daß der Gegner die letzten gefährlichsten Stunden vor dem Abzug benutzen konnte, noch keineswegs beendet sei , seine obigen Andeutungen weiter aus : ,,Die nachrückenden Verbündeten , die vor der Alternative standen, entweder den die Schlacht zunächst verweigernden Deutschen zu folgen, ohne sich ganz zu verwickeln, oder ihr ganzes Artilleriegerät , den Kern ihrer Kraft, mit sich zu schleppen ,
auf die Gefahr hin, die durch frei-
gewordene Divisionen stark vermehrte Manövriermasse Hindenburgs an anderer Srelle vorbrechen zu sehen, werden vermutlich drei Zonen zu durchschreiten haben , ehe sie auf die umgruppierte Zentrumsarmee Hindenburgs stoßen. Die erste Zone ist das aufgegebene Graben-
56
system,
Bewegliche Defensive. das
von
Arras
über
Gommécourt-Achiet- Baupaume-
Transloy- Moislains - Péronne - Chaulnes- Roye Lassigny-Tracy -le Val- Nouvion nach Soissons lief. In dieser auf 10 km Tiefe zu berechnenden Kampfzone ist durch fortgesetzte Beschießung alles ungangbar geworden .
Die letzte Sprengung hat dieses Außengelände
völlig verwüstet. Der große Straßenstern von Roye ist zerbrochen . worden. Die zweite Zone legt sich dicht dahinter und umfaßt nach unserer Ansicht einen Geländestreifen von 10-15 km Tiefe , in dem, mit Ausnahme weniger Dörfer , alles wie im Glacis vor einer Festung niedergelegt worden ist.
Durch diese Zone arbeiten sich jetzt die eng-
lischen und französischen Vortruppen in der allgemeinen Richtung auf die Transversalen Cambrai- St . Quentin, La Fère- Laôn , weiter und sind in große Schwierigkeiten geraten , zumal sie sich in der jeweils erreichten Linie am Abend eingraben müssen. Je weiter sie vorrücken, desto mehr werden diese Schwierigkeiten sich häufen und um so mehr entfernen sich Engländer und Franzosen von ihrer Grundstellung, ihrer schweren Artillerie und allem, was die Armee bedarf. So erscheint diese Verfolgung schon heute in ein unerbittliches Dilemma gepreßt. Man darf den Gegner nie außer Sicht und Berührung verlieren, muß also möglichst rasch und in starker Gliederung folgen, darf sich aber auch nicht zu weit von den Lebensquellen der Armee entfernen und muß die Verbindung mit der Grundstellung , so gut es geht , zu bewahren suchen.
Bis jetzt folgen die Engländer langsamer als die Franzosen ,
denen die Verfolgung allerdings leichter fiel , da sie im Raume RoyeLassigny kein so durchwühltes Kampfgelände zu durchschreiten hatten und ihre bereitgestellten Offensivtruppen sofort zur Verfolgung" ansetzen konnten. Diese ist an einer Stelle über den Crozat- Kanal dicht an La Fère herangekommen.
Die Franzosen haben also von der
Nase von Dreslincourt , wo die alte deutsche Stellung über Noyon hinaus nach Paris hinzeigte, bis Tergnier (Zeit ; 21. März), etwa 32 km hinter sich gebracht, die Engländer sind an der tiefsten Stelle von Bapaume 22 km in östlicher Richtung auf Bertincourt vorgerückt . Als Linie läßt sich heute (21. März) in dem Raume zwischen Arras und Laôn die Vorrückung der englisch-französischen Armee nach drei Abschnitten bestimmen. Im Abschnitt Arras- Péronne haben die Engländer im großen einen ganz flachen Bogen östlich der Städte Arras-Péronne erreicht, in Abschnitt Péronne-Tergnier (6 km westlich La Fère) sind die Franzosen dicht an den Crozat - Kanal herangekommen , der Somme und Oise verbindet .
Der Abschnitt Tergnier- Soissons
hat bisher nur die Punkte Tergnier -Coucy und Crouy hervortreten lassen. Die Franzosen haben sich dort dem Ailette-Tal genähert, in dem auch der Aisne-Oise-Kanal verläuft. Die Deutschen sind also in
Bewegliche Defensive .
57
diesem Südabschnitt der bis heute sichtbar gewordenen Rückverlegung eines Teils ihrer Front zunächst auf das Massiv von Laôn zurückgegangen.
Im Mittelabschnitt Tergnier-Péronne sind sie hinter dem Crozat-Kanal in den Raum von St. Quentin gewichen und im Nordabschnitt Péronne - Arras im Zurückgehen in der allgemeinen Rich-
tung Cambrai begriffen . Die dritte Zone , das eigentliche Vorgelände der neuen deutschen Hauptstellungen, haben die englisch-französischen Armeen vielleicht jetzt noch nicht einmal erreicht . Wo sich dieser Teil der Siegfried - Stellung befindet , werden die nächsten Tage lehren . Wozu er dient , ob zu starrer Verteidigung , zur aktiven Defensive , oder als Ausfallstellung , wird ebenfalls abzuwarten bleiben. Die kleinen Gefechte, die bis jetzt stattfinden und auf beiden Seiten noch wenig oder nichts von Artillerie spüren lassen , dürfen nicht überschätzt werden . Jeder Erfolg des nachdrängenden Gegners kann sich morgen als Verstrickung herausstellen . Je tiefer der jetzt scheinbar auf der Verfolgung begriffene Gegner zunächst zwischen Lille und Laôn eindringt, ohne auf eine feste Schranke zu stoßen, desto mehr rücken Engländer und Franzosen allgemach in einen einspringenden Winkel, falls die anstoßenden Abschnitte gehalten werden. Diese Einbuchtung hat sich bis heute noch nicht ausgeprägt , da erst der Salient vollständig abgetragen werden muß, aus dem die Deutschen sich zurückgezogen haben. Die Beurteilung der strategischen Lage kann man sich ersparen, da sie noch unbestimmt erscheint und die Initiative immer mehr bei demjenigen zu suchen ist , der , äußerlich betrachtet , einem Zwange unterliegend , immer weiter zurückweicht und dadurch dem Nachfolgenden das Gesetz auferlegt. Daß Nivelle und Haig den schweren Schlag, den ihnen Hindenburg durch die Abflachung der Winkelstellung zwischen Arras und Aisne , dadurch, daß die Front , gegen die sie nach monströsen Zurüstunge rüstungen anzurennen beabsichtigt hatten, nicht meht bestand, bitter empfanden, unterliegt keinem Zweifel.
Die Lobposaune glänzender
Verfolgung half darüber nicht fort, Unsicherheit und Ungewißheit gaben dem Zustand der bis zum Zerreißen gespannten strategischen Nerven das Gepräge. Geschehen mußte etwas und das bald. Ist der grauenvolle Wall der Leere, der vor den mutmaßlichen deutschen Stellungen als das Glacis für die zukünftigen Kämpfe ausersehen und umgewandelt worden ? Wer bürgte , da schon kleinere deutsche Verbände und deutsche Granaten stärkere französisch-britische Kräfte aufgehalten und blutig zerfledert hatten , dafür , daß nicht größere Überraschungen bevorstanden ? sammelten sich, wie verlautete ,
Im Artois und in der Picardie
starke britische Heeresmassen, die
58
Bewegliche Defensive.
Trace der Zusammenstöße zog sich um die Wende zum April um Arras als Drehpunkt in ziemlich gerader Linie über das Gelände von La Fère und von da bis östlich Soissons. In England wurde eine neue Militärbill , deren Ergebnis stark zweifelhaft ist , nötig, und in Frankreich mußte Kriegsminister Painlévé , unter Rühmen der eigenen Verfolgungstaten, aber warnen vor zu optimistischer Auffassung, die umgehende Einstellung
des
Knabenjahrganges
1918
verlangen ,
der
ungewöhnlich schnell, also nur oberflächlich geschult , an der Front erschien .
Schon jetzt , wo man am Crozat- und Ailette- Kanal das Ein-
setzen besonders zum Zwecke der Beherrschung der Räume und des Tempos der Bewegungen des planmäßigen Rückzuges ausgeschiedener freihandelnder deutscher Verbände wahrnahm, konnte man sagen, daß der strategische Rückzug Hindenburgs einmal zu den neuen Erscheinungen gehören werde , die dieser Krieg gebracht hat. Am 28. März schrieb der ,,Bund" : ,, Da der Rückzug der Deutschen aus dem Zwischengelände der Somme und Oise soweit gediehen ist , daß ihre Nachhuten zu beweglich schweifenden Truppenkörpern geworden sind, welche dem langsam folgenden Gegner Treffen liefern , um ihn zur Entfaltung größerer Kräfte zu zwingen , beginnen die Nachrichten etwas durcheinander zu laufen .
Man wird dabei nicht vergessen dürfen , daß es
sich um Begegnungsgefechte
im
Gelände ,
oder um Feuer-
überfälle handelt , die bald dieser , bald jener Partei günstig erscheinen , sich auch unversehens zu einer größeren Kampfhandlung mit eigenen Zielen entwickeln können , daß sie aber nicht im Lichte entscheidender Handlungen zu
betrachten
sind."
Seit die ersten Zwischenkämpfe auf Wiederkehr eines grenzten Bewegungskrieges deuteten, stieg die Vorsicht Engländer und das
Streben nach
beder
Sicherstellung der rückwärtigen
Verbindungen noch, und wenn sie bis zum 28. März zwischen Arras und Péronne auch geringen Boden gewannen, so hatten sie doch die Linie Croisille- Bertincourt- Roiselle, aus der sie den Angriff gegen den Abschnitt Cambrai- Roisel (die Unbesorgtheit für die Flanken vorausgesetzt ) vortragen mußten, noch nicht überschritten. Ihnen war wohl klar — ihr späteres Verhalten beweist es daß für sie die Gestaltung
der Verhältnisse
an
der
Straße
Arras-Cambrai von
größter Bedeutung war, da eine Gefahr für ihre kräftige Wirkung dort bestand, so lange die Deutschen die Linie Arras-La Bassée hielten. Von nicht geringerer Bedeutung war die Art, wie das Fortschreiten der Franzosen gegen die Linie St. Quentin- La Fère sich gestaltete. Aus dem spitzen Winkel, in dem die Franzosen aus dem Zuge des Crozat-Kanals und der Somme auf St. Quentin vorgingen, entwickelten
Bewegliche Defensive.
59
sich ja Gefahren dadurch, daß die vorgeprellte Mitte über Artemps auf St. Simon geworfen wurde, Grand Séranccourt nur unter Einsatz bedeutender Verstärkungen wiedergewinnen konnte . Zwischen La Fère war die französische Front auf die Höhen von Clastres und Montescourt gelangt, so daß die Franzosen zwischen La Fère und Etrilles Anschluß an den britischen rechten Flügel - auf der Linie Clastres - Gr. Séranccourt- Roupy- Etrilles standen. Das britischfranzösische Vorrücken gegen das Kanalsystem wurde durch die Verhältnisse im Ailette- und Aisne-Abschnitt entschieden erschwert. Der Versuch, zwischen Coucy und Folembray den Aufstieg zum Massiv von St. Gobin zu erstreiten und dadurch zwischen La Fère und Laôn einzubrechen, war äußerst schwierig. Gegen Condé donnerte, zum Teil flankierend, Pétains schwere Artillerie. Die Lage mußte an Verwicklung noch wachsen, je mehr Truppen der Franzosen am AiletteAbschnitt eingriffen . Ende März umgab die britische Linie Arras in einem nach Nordosten offenen Bogen und lief von Beaurains (südlich Arras ) in südlicher Richtung westlich weiter an Boyelles vorbei, dann scharf nach Osten bis Croisilles , zwischen erstgenanntem und letztgenanntem Orte eine starke auf deutsche Gegenangriffe zurückzuführende Einbuchtung zeigend , dann von Croisilles über LagnicourtBeaumetz nach Egnancourt , dann südlich auf Roisel nach Etrilles , womit der Anschluß an die französische Front hergestellt war . Diese war gegenüber dem zäh gehaltenen Savy noch nicht über Roupy hinausgekommen , hatte im Winkel des Kanals Crozat Beney-Vendeuil erreicht , hing südlich der Oise noch etwas zurück, wobei sie sich kräftiger deutscher Gegenangriffe in der Linie Vregny-Chivres zu erwehren hatte. Rufen wir uns in die Erinnerung zurück, daß , nachdem Franzosen und Briten zu ihrer sprachlosen Überraschung das Konzept des lange vorbereiteten Planes verdorben worden war, bei der Rückverlegung im Westen unseren Gegnern nur zwei Wege zur Wahl blieben : Den unbemerkt der Fühlung ausgewichenen Deutschen so eilig wie möglich auf den Fersen bleibend, zu folgen und in dem keinerlei natürliche Hilfsmittel bietenden zerstörten Gelände , wo ihrer größere Überraschungen warten konnten, einen neuen Artillerie- und Materialaufmarsch zu vollziehen, der mehrere Monate Zeit kosten würde, oder aber an Punkten die in der Mitte von Hindenburg wahrlich
nicht
aus einem Gefühl der Schwäche verweigerte
99Übermaterialschlacht " zu suchen , an denen sich noch die alten deutschen Linien als Objekt der Riesenzertrommelung boten. Ersteren Weg hatten sie zunächst beschritten. Er führte nur langsam, kaum schrittweise und unter schwersten blutigen und Gefangenenverlusten , und nicht gerade unter Steigerung des Prestiges der Entente , in das
60
Bewegliche Defensive.
Vorgelände der deutschen Siegfriedstellung, so weit nur , als man es deutscherseits für zweckmäßig hielt , sie einen Sack bilden zu lassen.
Nicht weiter , das hatten kräftige
bewiesen.
Wo die Siegfriedstellung lag , wußten unsere Gegner nicht ,
Nasenstüber
welche Überraschungen ihnen bevorstanden, wenn ihnen das weitere Vortreiben des Keils gelang, ob sie nicht zu einem neuen Aufbau ihres gewaltigen Artillerie- und Materialsystems kommen müßten, wenn sich der deutsche Widerstand, wie zwischen Arras und St. Quentin von den Briten deutlich empfunden wurde , versteifte. Alles das erforderte
Zeit ,
längere Zeit ,
die täglich kräftiger
und
angezogene
krieges und die Furcht vor russischen Revolution nicht.
den
diese
ließ
ungestraft
Schraube des U- Bootsmöglichen
Folgen
der
Damit haben wir die Begründung des Übergangs aus der Verfolgungs- , wie unsere Gegner sagen, aus der Nachdruckphase wohl richtiger ,
zur Schlachtphase des ersten Offensivoperationsabschnittes dieses Frühjahrs . Sehr bald haben wir erfahren, wie weit gesteckt die Pläne dieser Schlachten, deren Front sich namentlich auf französischer Seite
immer mehr nach Osten, in die West-
champagne hinein, ausdehnte, waren .
Wir wissen auch heute, daß sie nicht die erste taktische Etappe zu ihren Zielen, dem taktischen Durchbruch , geschweige denn die strategische Auswirkung der konzentrisch gedachten Operation des Bewegungskrieges erreichten . Der Grundgedanke war die ,, Übermaterialschlacht ". Als Objekt dazu brauchte man die alten deutschen Gräben, wo sie noch besetzt waren , und mußte man anderseits von der alten Grundstellung die Operationen beginnen, die vorbereiteten artilleristischen Mittel voll ausnutzen und möglichst die leichtere seitliche Verschiebung der offensiven Kraftmittel durch Bahnen ermöglichen. Also nahe bei dem Raum, in dem die ursprüngliche, durch Hindenburgs Herausreißen eines Frontstücks jäh gestörte Offensive geplant war. Man fand den Raum an den erkennbaren Drehpunkten des zurückgenommenen Frontteils. Bei den Briten, dort wo die Artois- an die zurückverlegte Picardiefront anschloß, so daß die britische Operation als ein Flankenangriff aus dem Raum Doullens- St. Pol erscheinen konnte. Strategisch lag der Gedanke zugrunde , im taktischen Durchbruch an den Flügelpunkten unserer neuen Stellung vorbeizustoßen , und sie von den Flanken her aus den Angeln zu heben . Gegen die Linie Arras- Givenchy-Vermelles- Cuinchy (am La Bassée-Kanal ) setzten die Engländer die starken Armeen Horne und Aleby ein, die Hauptkräfte auf der Strecke Givenchy- Ecurie, den angenommenen Drehpunkt gegen den Abschnitt Vimy-Athies suchend.
61
Die Explosiongefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung .
So begann am 9. April die Arrasschlacht. Anzeichen machten sich schon bemerkbar, daß zwischen Soissons und der Champagne auch ein französischer Durchbruchsversuch zu erwarten war. Die Wirkung
des
operativen
Versagens
der
Mitte
hat ,
wie
sich zeigen sollte , die stehengebliebenen Anschlußfronten elastischer gestaltet ; der Zwang , dort , wo man stand , taktisch bis zur Entscheidung zu kämpfen , wurde diesen Fronten genommen , die operativen Aussichten der gegen die Flügelpunkte der versagten Mitte gerichteten feindlichen Angriffe wurden von vornherein abgeschwächt. Hierin zeigt sich auch wieder die Bedeutung der genialen Hindenburgschen Defensive".
Rückverlegung
und
der
,, beweglichen (Schluß folgt . )
VI .
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung .
Von Riensberg, Oberst z. D. ( Schluß.)
IX. Ordnung und Sauberkeit schützen gegen Explosionsgefahren . Ordnung und Sauberkeit, diese beiden Träger der Kultur,
die
der Verbreitung ansteckender Krankheiten einen Damm setzen , sind vortreffliche Waffen im Kampfe gegen Explosionsgefahren. Unordnung und Unsauberkeit, die Quellen vieler Übel, dienen der Explosionsgefahr dagegen als Nährboden . erreger ! Die
besten
Sie sind Krankheits- und auch Explosions-
Einrichtungen
und
Sicherheitsvorschriften
nützen
nichts, wenn sie verschmutzen und ordnungswidrig gehandhabt werden. Tatsächlich sind die Explosionsursachen nicht selten auf Verstöße gegen die elementarsten Grundsätze der Ordnung und Reinlichkeit zurückzuführen. Wenn auch nicht immer die näheren Umstände der Explosion mit voller Sicherheit nachgewiesen werden können, so läßt 6 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 551.
62
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
doch die Untersuchung der örtlichen Verhältnisse neben Zufälligkeiten oft auch Unachtsamkeit und Leichtsinn in Nichtbefolgung der Bestimmungen schließen .
Nüchternheit und Zuverlässigkeit spielen daher
im Kampfe der Ordnung und Sauberkeit gegen die Explosionsgefahr eine bedeutungsvolle Rolle. Das gereifte Alter ist auf diesem Gebiet der leichtlebigen Jugend vorzuziehen.
Der Begriff von Ordnung und
Sauberkeit muß jedem, der mit Explosivstoffen zu tun hat, in Fleisch und Blut übergehen.
Das gilt
sowohl für das allgemeine Natur-
gesetz, wie auch für die Regelung durch menschliche Bestimmungen . In Explosivstoffräumen soll alles seinen bestimmten Platz haben.
Gegenstände, die bei der Arbeit nicht gebraucht werden , dürfen in Sie erschweren die Übersicht Arbeitsräumen nicht vorhanden sein. und vergrößern die Explosionsgefahr , da sie im Falle der Explosion Außerdem erschweren sie im
die Zahl der Sprengstücke vermehren.
Augenblick der Gefahr das schnelle Verlassen des Raumes ; zumal die Ausgänge leicht vor ihnen verstellt werden. Diese müssen aber unter allen Umständen frei bleiben, damit die unverschlossenen , nach außen schlagenden Türen leicht erreicht werden können. Personenzahl und Explosivstoffmenge sind in den Räumen auf das zulässig kleinste Maß zu beschränken. Hierdurch wird die Arbeit. vereinfacht und die Sicherheit mit ordnungsmäßiger, streng geregelter Anstellung der Arbeitskräfte erhöht.
Die richtigen Leute gehören
nach ihren Fähigkeiten und Charaktereigenschaften auf den richtigen Platz . Bei einer solchen Anordnung findet eine gesunde gegenseitige Überwachung statt , die für das Aufsichtspersonal noch durch kurze Hinweise auf die Hauptexplosionsgefahren , und durch Angaben über die zulässige Höhe der Personenzahl und Explosivstoffmenge erleichtert werden kann . Zuviel Arbeitskräfte und zu große Explosivstoffmengen in einzelnen Räumen lassen auf Trägheit, Bequemlichkeit und falsche Sparsamkeit schließen . Je größer die unnötige Arbeiterzahl, desto kleiner die Leistung des einzelnen , und je größer die unnötige Explosivstoffmenge, desto weniger Arbeit und Kosten erfordern die Transporte. Zu große Explosivstoffmengen im einzelnen Raume sind auch gefährlich, da mit der Menge die Zündungsmöglichkeit und die Ausdehnung einer etwaigen Explosion wachsen. Dies bezieht sich besonders auf die Lagerräume, in denen jede Unregelmäßigkeit , Verwechslungen oder gar Entwendungen
, zum Verhängnis werden kann .
eingelagerten Explosivstoffe werden.
sollten
grundsätzlich
Die am längsten zuerst
verausgabt
Den Verwechslungen und der Verwendung ungeeigneter Ge-
räte muß bei Explosivstoffarbeiten nach Möglichkeit vorgebeugt werden. Die Ausgangsstoffe sind im besondern so zu bezeichnen , daß bei der Zusammensetzung Versehen mit einiger Sicherheit ausgeschlossen werden.
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung.
63
Jede Unregelmäßigkeit kann zu Explosionsgefahren führen, da explosive Mischungen in ihrer Empfindlichkeit und Kraftäußerung von den Bestandteilen abhängen.
Schon geringe Unstimmigkeiten
und
fremde
Körper in kleinsten Mengen können verhängnisvoll werden. Spuren von Zinn-, Zink- , Blei- oder Aluminiumstaub werden im Schwarzpulver zur Anfeuerung . Werkzeuge am falschen Platz oder im schlechten Zustande können ferner zur Benutzung ungeeigneter Geräte verleiten , wodurch leicht Explosionen verursacht werden .
Ein Eisenstab, der bei der Arbeit
mit empfindlichen Explosivstoffen statt des vorschriftsmäßigen Gerätes aus Holz oder Messing benutzt wird , kann zu Katastrophen Anlaß geben.
Besondere Aufmerksamkeit ist vor allem den Fremdkörpern zuzuwenden. Das kleine Sandkörnchen kann gefährlich werden ! Explosivstoffgefäße müssen von tadelloser Beschaffenheit sein und beim Gebrauch zugedeckt gehalten werden , damit weder von innen noch von außen Fremdkörper
in die Explosivstoffmasse gelangen Die Fenster und Türen von Explosivstoffräumen müssen ordnungsmäßig schließen und auf der Windseite geschlossen bleiben. Eine zerbrochene Fensterscheibe kann gefährlich werden, wenn sie den zersetzenden Sonnenstrahlen oder dem Flugsand Einlaß in den können.
Explosivstoffraum gestattet. Fehlen Vorrichtungen
zum
Reinigen
der Fußbekleidung,
oder
wird die Umgebung der Explosivstoffarbeitsstellen nicht feucht gehalten, oder sind die Schutzwälle zur Verhinderung von Sandstaubbildung nicht beflanzt, oder bröckelt der Putz von der Decke oder den Wänden ab, dann
können Fremdkörper gefahrbringend in die
Explosivstoffmasse gelangen.
Desgleichen können Explosionsgefahren
entstehen , wenn Explosivstoffräume ohne Überschuhe , aber mit Stöcken, Schirmen
und
Säbeln
ordnungs-
und
bestimmungswidrig
betreten
werden, oder wenn die Fußböden nicht in vorschriftsmäßiger Weise mit Linoleum, Decken oder Läufern belegt sind. Auch können schadhafte Umwehrungen und unzureichende Verschlüsse gefährlich werden , wenn sie Unbefugten den Zutritt zu Explosivstoffräumen gestatten ; denn diese dürfen nur von den mit bestimmten Arbeitsverrichtungen betrauten Personen betreten werden .
Andere Leute sind von belegten
Explosivstoffräumen und deren Umgebung fern zu halten . Instandsetzungen und Bauarbeiten dürfen daher nur in leeren Räumen unter Beachtung der gebotenen Vorsicht ausgeführt werden .
Ein Hammer-
schlag mit Funkenerzeugung genügt zur Explosionsauslösung, besonders dann , wenn Explosivstoffstaub oder explosive Gase gezündet werden können . 6*
64
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung. Der Gewohnheitstrinker, der im Delirium das Verschlußstück aus
einer Gasleitung herauszuschrauben vermag, wird zur Explosionsgefahr. Das ausströmende Gas ,
das sich
mit der atmosphärischen Luft zu
einem explosiblen Gasgemisch verbindet,
kann bei
eine gewaltige Exposionskatastrophe verursachen . gefahren,
der Entzündung
Das sind Explosions-
durch die das öffentliche Leben durch Unachtsamkeit in
überraschend unerwarteter Weise bedroht ist .
Allen Explosionserregern
zu wehren, liegt nicht im Bereiche der Möglichkeit, aber unter geordneten Verhältnissen kann mit Umsicht und Einsicht in der Abwehr viel geschehen. Zunächst müssen alle Einrichtungen und Anlagen , im besondern die Geräte und Werkzeuge zur Herstellung , Verarbeitung und Aufbewahrung von Explosivstoffen dauernd in einem tadellosen , ordnungsmäßigen Zustand erhalten werden .
Eine schadhafte Bleikühlschlange
kann im Nitroglyzerin- Nitrierhaus infolge plötzlicher Erhitzung Nitroglyzerins zur Explosionsgefahr werden .
des
Plötzliche Erwärmungen und Erhitzungen , somit Feuerübertragungen sind zu fürchten .
In der Nähe von Explosivstoffräumen dürfen feuer-
gefährliche Gegenstände, wie trockne Blätter, dürres Gras,
Holz oder
sonstiges brandgefährliches Material, nicht geduldet werden . Triebwerke müssen einen ruhigen, regelmäßigen Gang haben , und dürfen eine bestimmte Umdrehungsgeschwindigkeit nicht überschreiten, so daß unzulässige Wärmeentwicklungen ausgeschlossen werden .
Ent-
stehende Unregelmäßigkeiten müssen rechtzeitig durch Überwachung der Schmierung, der Dampfspannung und des Überhitzungsgrades erkannt werden . Beim Warmlaufen von Lagern, der Überhitzung von Maschinen und dem Überschreiten in
Heiz- und Wärme- Apparaten
der
zulässigen Höchsttemperatur
ist sofortige Abhilfe
erforderlich .
Tritt erst Zündung von explosiven Gemischen ein , dann kommt das Eingreifen zu spät .
Jeder Brand derselben pflanzt sich mit kolossaler
Geschwindigkeit fort und ist nicht mehr zu löschen. Alle Eingriffe und Instandsetzungen sind mit der nötigen Vorsicht unter Berücksichtigung der besondern Verhältnisse und des Materials ordnungsmäßig auszuführen. Werden hölzerne Riemscheiben durch eiserne ersetzt,
dann dürfen
behalten werden , auf Eisen schlagen .
eiserne Riemenverbindungen
nicht bei-
sonst würde Eisen in explosionsgefährlicher Weise Überhaupt muß von Fall zu Fall erwogen werden ,
ob die Verwendung von Stahl und Eisen zulässig ist.
Die Benutzung
von eisernen Schlüsseln , die an den eisernen Schloßteilen beim Schließen reiben, ist in Explosivstoffgebäuden nicht statthaft.
Auch chemischen Vorgängen ist bei Instandsetzungsarbeiten Rechnung zu tragen.
Lötungen mit reinem Zinn haben sich in Schwarzpulver-
65
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung. Betrieben als gefährlich erwiesen ,
da Zinn mit feuchtem Pulversatz
basisches Zinnoxydulnitrat bildet, das als explosibles Salz schon durch geringfügige Reibung zur Explosion gelangt. Besondere Sachkenntnis erfordert die Instandsetzung der Blitzableiter, die in allen Teilen dauernd zu überwachen sind. Jährlich
hat mindestens eine einmalige gründliche Prüfung der ganzen Anlage durch Sachverständige zu erfolgen . Das gleiche gilt von elektrischen Anlagen , in deren Leitungen die Erhitzung von Drähten und das Überspringen von Funken ausgeschlossen sein muß. Heiz- und Lichtkörper sind gegen die Ablagerung von Explosivstoffstaub zu schützen. In ihrer Nähe dürfen keine brennbaren Gegenstände gelagert
Das Trocknen von Kleidungsstücken
werden.
an den Heizkörpern
in Explosivstoffräumen ist durchaus ordnungswidrig . Besondere Vorsicht erfordern selbstentzündliche Gegenstände , die in feuersicheren Behältern aufzubewahren und in ungefährlicher Weise unschädlich zu machen sind . achtsam
herumliegen,
oder
in
Gebrauchte Putzlappen , die un-
Kleidertaschen,
Schubkästen
oder
Schränken untergebracht werden, sind feuergefährlich . In vermehrtem Maße gilt dieses von unbeständigen Explosivstoffen und Gegenständen , die damit behaftet sind. Letztere müssen in geeigneter Weise unschädlich gemacht werden . Den Abgängen und Abfällen ist besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden . Sie dürfen keinenfalls an Wärmequellen lagern . sie
zur
Gelangen sie aus Unachtsamkeit in Heißluftkanäle, so werden Explosionsgefahr .
Selbst
Spatzen
und
Mäuse können
zu
Trägern dieser Gefahr werden , wenn sie Explosivstoffe verschleppen. Spatzen, die auf dem Transport verstreute, saure Schießwolle in ihre Nester unter die Dächer von Explosivstoffmagazinen tragen, und Mäuse, die Reste der süßschmeckenden Nitroglyzerinpräparate in ihre Löcher unter dem Fußboden von Explosivstoffmagazinen verbringen, können dadurch Unheil
stiften .
Kleine Ursachen, große Wirkungen !
Ganz
kleine Mengen von unbeständigen Explosivstoffen , die sich unbemerkt im Verborgenen entzünden , können das Feuer auf Gebäude übertragen und dadurch gewaltige Explosionen auslösen. Die Vernichtung der Abgänge geschieht am sichersten durch Feuer ; sie kann bei vielen Explosivstoffen aber auch durch Kochen in sauren Lösungen erfolgen. Die Behandlung mit Wasser allein führt nur teilweise zum Ziele . ändert,
Nitrozellulose z. B. wird durch Wasser gar nicht ver-
und Nitroglyzerinpräparate
werden
im
Wasser durch das
Freiwerden von Nitroglyzerin sogar gefährlich . Unzulässig ist die Beseitigung von Explosivstoffen durch Eingraben in die Erde . Durch Explosivstoffe, die sich in der Erde nicht zersetzen , können bei späteren Erdarbeiten Unglücksfälle in überraschender Weise entstehen.
66
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung.
Dauernde Überwachung der Explosivstoffe ist bis in die kleinsten Einzelheiten dringend erforderlich. Aus diesem Grunde ist die Hausund Heimarbeit
für die Explosivstoffindustrie gefährlich .
Sie sollte
grundsätzlich verboten sein, da die Überwachung im einzelnen kaum durchführbar ist .
Zerstreut herumliegende Explosivstoffe,
die nicht
ordnungsmäßig beseitigt werden, sind in schneller Feuerfortpflanzung schon an und für sich gefährlich , sie werden als Kinderspielzeug oder bei der unüberlegten Benutzung als Gebrauchsgegenstände gemeinBedauerliche Unglücksfälle sind im täglichen Leben gefährlich . nicht selten auf diese Verfehlungen zurückzuführen .
Wenn sie in
entlegenen Gegenden bei Schürfarbeiten eintreten , dann sind sie im Hinblick auf untergeordnete Verhältnisse verständlich, unter normalen Verhältnissen dürfen sie aber bei uns nicht vorkommen . ZelluloidZünder- und Geschoßexplosionen schmerzlicher Art, die Ordnungswidrigkeiten zur Last fallen , sind im höchsten Grade zu bedauern . Zelluloid,
das sich in der Nähe von Öfen
entzündet ,
kann ganze
Zelluloidlager zur Explosion bringen ; Dynamitpatronen , die aus Unachtsamkeit mit Kohlen vermischt in Kesselfeuerungen gelangen, verursachen verheerende Dampfkesselexplosionen ; und blindgegangene Geschosse , die bestimmungswidrig vom Fundort entfernt wurden , werden im harmlosen Familienkreise zum Explosionsdrama . Gegen diese Gefahren, welche die Unordnung in Leichtfertigkeit verschuldet, kann mit ordnungsmäßiger Aufklärung angekämpft werden. Das allgemeine Verständnis für das Wesen der Explosivstoffe , die eben alle gefährlich sind und vorsichtige Behandlung erfordern , muß zunehmen.
Das nicht ungefährliche Schlagen , Klopfen , Stoßen , Schieben
und Werfen der Explosivstoffe , das bedachtlos zur Erleichterung der Arbeit aus Bequemlichkeit und Trägheit in ordnungswidriger Weise geschieht, wird dann leichter zu unterdrücken sein.
Ebenso wird mit
richtiger Erkenntnis das fahrlässige Mitbringen von Zündhölzern , Feuerzeugen und leicht entzündlichen Stoffen an die Explosivstoffarbeitsstellen mehr aufhören .
Die Vorsicht fordert, daß Personen, die mit Explosiv-
stoffen in Berührung kommen, an deren Kleidung also Explosivstoffstaub haften könnte, Räume nicht betreten dürfen, in denen sich offenes Feuer befindet . Der Zutritt zu Schmieden und Kesselfeuerungen ist diesen Personen nicht gestattet.
Dessen ungeachtet kommen an
Explosivstoffarbeitsstellen oft Unglücksfälle vor , die unmittelbar durch Zündung in unüberlegter, leichtfertiger Weise verschuldet wurden. Das bezieht sich besonders auf die Sprengarbeiten , die mit ihren vielen Gefahren vorzugsweise in Bergwerken die größte Vorsicht erfordern. Die Aufrechterhaltung peinlicher Ordnung ist hier durch schwierige Raum- und Lichtverhältnisse erschwert ; außerdem ist die Handhabung
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung .
67
der vielfach verwandten Dynamite nicht einfach. Im Winter kommen mit diesem Explosivstoff die meisten Unglücksfälle vor, da das sehr empfindliche Nitroglyzerin schon bei 8 ° C ausfriert und beim Auftauen Zufrühzeitige Zündungen, unvorsichtiges Verhalten nach Versagern, fehlerhafte Verpackung und Lagerung der Explosivleicht ausschwitzt.
stoffe, sowie die verschiedensten Vorkommnisse beim Schießdienst fordern jahrein jahraus in Bergwerken bedauerliche Opfer. Die gewissenhafte, ordnungsmäßige Durchführung der Sicherheitsbestimmungen kann allein Abhilfe schaffen. Nur der Tagesbedarf an Explosivstoffen darf sich unter Tag befinden. Die Ladungen sind von den Sprengkapseln getrennt zu transportieren und aufzubewahren. Bei der elektrischen Zündung ist außerdem die Sicherheit gegen vorzeitige Zündung durch mehrfache Unterbrechungen der Leitungen , und durch das Abziehen der Kurbel von dem Zündapparat, sowie durch Verhinderung jeder Reibung des Zünderdrahtes zu erhöhen. Bei jeder Explosivstoffbetätigung ist die größte Ordnung bis zum Arbeitsschluß aufrechtzuerhalten. Vor dem Verlassen der Explosivstoffarbeitsstellen müssen diese unter Abstellung aller Wärme- und Besonders ist dafür zu Lichtquellen sorgfältig aufgeräumt sein. sorgen, daß in angehaltene Gebläse keine Gase durch die Windleitung zurückschlagen können . Düsen werden hierzu am besten mit der atmosphärischen Luft verbunden .
Durch das Zurückschlagen kommen
beim Löten und autogenen Schweißen mit Azetylengas und Wasserstoff leider immer noch leicht zu vermeidende Explosionsunglücke vor. Grundsätzlich sollte jede Explosivstoffarbeit mit gründlicher Aufräumung und Reinigung der Räume schließen • und mit erneuter Säuberung beginnen. Letzteres bezieht sich besonders auf die Heizund Lichtanlagen . Maschinen, Apparate, Werkzeuge , sowie Fußböden , Wände, Decken, Fenster und Türen sind außerdem wöchentlich einer Generalreinigung zu
unterziehen.
Zur bestmöglichen
Durchführung
müssen glatte, fugenlose Flächen , so weit wie irgend angängig, geschaffen werden. Leere Gefäße sind im besondern vor jedem Gebrauch erneut zu reinigen.
Unsaubere Gefäße können nicht allein die Ver-
unreinigung der Explosivstoffmasse verschulden, sondern direkt explosionsgefährlich werden . Wird konzentrierte Säure in ein Gefäß gefüllt, in dem sich noch Wasser befindet, so kann mit plötzlicher In peinlicher Wärmereaktion eine unheilvolle Explosion entstehen. Sauberkeit kann als Schutz gegen Explosionsgefahren gar nicht zu weit • gegangen werden. Noch verwendbare Abfälle dürfen erst nach sorgfältiger Reinigung weiter verarbeitet werden. Ebenso ist für die Reinheit der Ausgangsstoffe durch genaue Untersuchungen Sorge zu tragen. Verschiedene Grade der Reinheit beeinflussen die Empfindlichkeit.
68
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung .
von der der glatte Verlauf der Operationen wesentlich abhängt .
Mit
zunehmendem Perchloratgehalt im Salpeter wird die Schwarzpulvermasse gegen Stoß und Reibung empfindlicher und damit die Herstellung des Pulvers explosionsgefährlicher . Unreine Bestandteile der Explosivstoffe gefährden also den normalen Arbeitsverlauf. Die alles durchdringende Sauberkeit darf im besondern nicht vor Ecken und Winkeln haltmachen . Der im Verborgenen geborgene Explosivstoffstaub ist als Explosionserreger den ansteckenden Krankheitserregern zu vergleichen.
In Krankenhäusern und Explosivstoffräumen
sind Reinigungsarbeiton daher nicht ungefährlich . Vorsicht und Sachkenntnis ausgeführt werden.
Sie
wollen mit
Harte Explosivstoff-
krusten und angetrocknete Zündmassen dürfen zur Verhütung von Explosionen nicht abgeschlagen oder abgeklopft werden ; sondern sie müssen aufgelöst und abgewaschen werden .
Glatte, fugenlose Flächen
mit abgerundeten Kanten begünstigen gründliche Reinigungsarbeiten ; eckige und winklige Formen , wie sie die Rippenheizkörper zeigen, und rauhe Oberflächen erschweren dagegen die Gründlichkeit der Ausführung.
Erfordert diese das Auseinandernehmen von Apparaten, in
denen empfindliche Explosivstoffe verarbeitet werden , so ist auch hierbei besondere Achtsamkeit geboten. Ordnung und Sauberkeit sind die Säulen, auf denen das Gebäude Sie bilden eine Schutzwehr gegen der Explosionssicherheit ruht. Explosionsgefahren .
Je stärker
und fester diese Säulen sind , desto
kräftiger und ausgedehnter kann sich auf ihnen die Explosivstofftechnik entwickeln.
X. Vorschriften und Bestimmungen zur Verhütung von Explosionsgefahren. Gesetze,
Polizeiverordnungen
und Bestimmungen
der
Berufs-
genossenschaften wollen zur Erhöhung der allgemeinen Sicherheit, zum Schutz von Leib und Leben , von Gut und Blut einen Damm gegen die Explosionsgefahren errichten .
Der Erfolg hängt in der Hauptsache
von der Befolgung der Verordnungen , Bestimmungen und Maßnahmen ab.
Gewerbeinspektoren , polizeiliche Organe und Angestellte der Berufs-
genossenschaften haben für die Durchführung erforderlichenfalls unter Beseitigung von Widerständen Sorge zutragen . Die Explosionsgefahren mit ihren Unglücksfällen sollen auf das geringste Maß und möglichst auf den Explosionsherd beschränkt werden . Zur Erreichung dieses Zweckes können die Verordnungen gar nicht scharf genug abgefaßt und gehandhabt werden. Verschärfungen werden erforderlich, sobald sich dadurch ein wirksamerer Schutz gegen drohende
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
69
Gefahren erreichen läßt ; Abschwächungen sind dagegen angezeigt, sobald sich dadurch die fortschreitende Entwickelung der Explosivstofftechnik ohne Gefährdung der Sicherheit fördern läßt. Die Hauptgefahren
entstehen
naturgemäß bei der Herstellung,
Verarbeitung und Aufbewahrung der Explosivstoffe. Diese Gefahren werden am wirksamsten in dem Streben bekämpft, die Entstehung von Explosionen zu verhüten . größte Sicherheit gefahren .
liegen,
In der Erreichung dieses Zieles würde die denn ohne Explosionen keine Explosions-
Die menschlichen Schwächen , die der Vollkommenheit
der sichernden Bestimmungen und deren Ausführung Grenzen setzen, lassen aber die Erreichung des Zieles nicht erwarten. Das darf jedoch von dem Streben nicht abhalten, dem Ziele wenigstens möglichst nahe zu kommen.
Nichts ist zu unterlassen, was die Entstehung von Ex-
plosionen bei der Fertigung , Verarbeitung und Lagerung von Explosivstoffen verhüten kann. Erst in zweiter Linie kommen Sicherheitsmaßnahmen zur Einschränkung des Umfanges und der Ausdehnung von Explosionen in Frage .
Die Verhütung
von Unglücksfällen ist
wertvoller als die Herabminderung ihrer Größe und Schwere. Die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften und die Festsetzungen der Kriegsfeuerwerkerei enthalten auf diesem Gebiete für die verschiedenen Explosivstoffe vortrefflich schützende Bestimmungen . Das schließt indessen nicht aus , daß von Fall zu Fall besondere behördliche Genehmigungen einzuholen sind . Die Bedingungen der Sicherheit werden auf diese Weise nach allen Richtungen hin geprüft, was auch zur Sicherung der Umgebung von Explosivstoffarbeitsstellen durch Festsetzung von Sicherheitszonen führt.
Menge und Art der Explosiv-
stoffe sind hierbei für die Entfernungen bestimmend. Das Hauptaugenmerk ist in allen Verordnungen auf die Verhinderung der Zündung gerichtet. Gefährliche Wärmequellen und Wärme-
erreger müssen aus Explosivstoffräumen ebenso ausgeschlossen werden , wie alle Möglichkeiten der Funkenbildung. Aus diesem Anlaß sind Kraftmaschinen, Transmissionen und Antriebe mit aufeinanderlaufenden Bestimmte eisernen Teilen grundsätzlich nach außen zu verlegen . Höchsttemperaturen dürfen besonders in Lagerräumen auch von feuergefährlichen Flüssigkeiten nicht überschritten werden . Erforderlichenfalls sind Kühl- und Ventilationsanlagen zu schaffen . Je tiefer die Kohlenbergwerke, desto höher die Temperaturen , desto größer die Explosionsgefahren mit zunehmender Gasentwicklung. Alle feuergefährlichen und selbstentzündlichen Stoffe sind aus ExDem gesunden plosivstoffräumen und deren Nähe zu verbannen. Menschenverstand würde es widersprechen, wenn man in der Nähe von Explosivstoffgebäuden offenes Feuer anzünden wollte, das in der
70
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung .
Feuerübertragung durch dürres Gras oder andere brennbare Gegenstände gefährlich werden könnte . Dies ist daher ebenso verboten, wie das Schießen in der Nähe von solchen Gebäuden , wodurch direkte oder indirekte Zündung verursacht werden kann . Explosivstoffgebäude sind innen und außen bis auf den Anstrich
feuersicher herzustellen, und so auszuführen , daß Explosionsgefahren durch die Bauart abgeschwächt werden.
Holzwerk, das leicht brennt ,
und durch Aufsaugung von Säuren und Nitroglyzerin gefährlich werden kann, ist beim Bau nach Möglichkeit auszuschließen. Die Gebäude sind mit Blitzableitern und ausreichenden Fluchttüren zu versehen, und so fest herzustellen , daß sie der Gewalt und Wirkung kleiner ExploZum schnelleren Verbrauch der sionen zu widerstehen vermögen . Explosionsenergie kann das Dach mit einer Erdschicht belastet werden. Am besten bewährt haben sich in neuerer Zeit Zementbeton- und Metallverstärkungen und -verdie ohne Schwammmsteinbauten, bindungen genügende Festigkeit gegen äußere Einwirkungen besitzen und von Explosionen in kleine, unverbrennliche Teile zermürbt werden . Herumfliegende Trümmer können also keine Feuerübertragung auf die Umgebung und keinen großen Schaden durch Sprengstückwirkung Außerdem gewähren derartige Gebäude durch ihre verursachen. eiserne Rüstung einen bemerkenswerten Blitzschutz . Das ist wichtig, da die Ansichten über Blitzableiteranlagen noch vielfach auseinandergehen. Besonders
gefährliche
Explosivstoffgebäude ,
wie
Trocken-
und
Lagerhäuser , sind mit Erdwällen oder Schutzwänden zu umgeben . Diese sollen die Baulichkeiten zur Abschwächung der Explosionsgefahren gegenseitig schützen.
Aus gleichem Anlaß sind zwischen den einzelnen
Gebäuden bestimmte Abstände
einzuhalten .
Sind
die
Schutzwände
zu niedrig oder zu schwach, und die trennenden Entfernungen zu klein , so wird der schützende Zweck nicht erreicht. Es entstehen dann durch direkte Zündung oder indirekte Explosionswirkungen neue Explosionsherde , die in der Fortpflanzung ganze Fabrikanlagen zu zerstören vermögen. Explosivstoffabriken fliegen infolge solcher Einwirkungen im wahren Sinne des Wortes in die Luft .
Derartige Explosionen können
ungeheure Verhältnisse annehmen. Der ersten Explosion folgen in kurzen Zwischenräumen weitere , die zum Teil auf die saugende Wirkung der Explosionswellen zurückzuführen sind . Bloße Erschütterungen durch den Luftdruck können mit molekülaren Bewegungen in der Explosivstoffmasse neue Explosionen auslösen, die in ihrer Entstehung durch Staubbildungen und herunterfallende Teile begünstigt werden . Die fortflanzende
Zündung
und Explosionsübertragung werden
durch Laubwald mit Unterholz erschwert, durch Nadelwald und gerad-
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung. linige Verbindungswege dagegen erleichtert.
Die Erdwälle ,
71
die den
besten Schutz gewähren , müssen durch Mutterboden, Rasen und Baumanpflanzungen gut befestigte Böschungen von nicht zu steiler Anlage haben, und mit ihrem Fuß mindestens ein Meter vom Gebäudesockel abliegen . 1
m
Die Krone soll 0,5 bis 1 m breit sein und den Gebäudefirst überragen . Die Entfernung zwischen den Explosivstoff-
gebäuden hängt im einzelnen von der Art und Menge der Explosivstoffe ab. Sie soll nicht unnötig groß bestimmt werden , da mit großen Entfernungen die nicht ungefährlichen Transporte zwischen den Gebäuden wachsen. Entfernungen von 50 m reichen meistens aus. Die Abstände von den Verwaltungsgebäuden und im besonderen von Wohnhäusern und Verkehrsstraßen können dagegen nicht zu groß sein. Gegen Feuerübertragung und erhebliche Zerstörungen bieten 500 m im allgemeinen ausreichenden Schutz . Bei großen Explosionen ist jedoch mit Beschädigungen baulicher Art noch auf weit größere Entfernungen zu rechnen . Die Windrichtung ist dabei von wesentlicher Bedeutung. Herbeigeführt werden die Schäden an Dächern , Türen und Fenstern nicht allein vom Luftdruck, sondern mehr noch von der saugenden Wirkung der Luftverdünnung hinter der Druckwelle. Wenn in den einzelnen Arbeitsräumen nur möglichst kleine Explosivstoffmengen verarbeitet werden, dann wird die Größe der Explosionsgefahr dadurch eingeschränkt . In großen Arbeitsräumen ist die Gefahr möglichst durch trennende Zwischenwände abzuschwächen .
Verschiedene Explosivstoffe sind aber grundsätzlich in getrennten Räumen zu verarbeiten . Am sichersten erfolgt die Verarbeitung im Freien . Hier ist bei ausreichendem Platz mit guter Übersicht und freier Bewegungsmöglichkeit zu rechnen .
Die Beaufsichtigung . die stets von einer verantwort-
lichen Persönlichkeit zu führen ist, kann ungehindert erfolgen .
Alle
Beteiligten können außerdem vor Beginn der Arbeit gemeinsam über ihr Verhalten
und die
technische
Ausführung unterrichtet werden.
Durch richtige Anstellung und Beaufsichtigung der Arbeitskräfte werden. die Explosionsgefahren bei Explosivstoffarbeiten wesentlich eingeschränkt. Unnötiges Hin- und Herlaufen, gewaltsame Behandlung von Geräten und Gefäßen, heftiges Schieben und Stoßen, sowie das Fallenlassen und Verstreuen von Explosivstoffen sind gefährlich .
Durch Bestimmungen
allein können diese Gefahren nicht beseitigt werden ; durch Erziehung und Überwachung muß die Befolgung der Bestimmungen nach Möglichkeit sichergestellt werden. In peinlicher Aufrechterhaltung der Ordnung, die durch kurze Hinweise, wie „ Eintritt, Rauchen usw. verboten" unterstützt werden kann, liegt die Sicherheit.
Staubbildungen
sind im besonderen von den Arbeitsstellen fernzuhalten ; sie können durch zeitweises Anfeuchten des Bodens verhütet werden .
Verstreute
72
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
Explosivstoffe müssen sorgfältig zusammengefegt und vorschriftsmäßig vernichtet werden. Alle diese Sicherheitsanordnungen sollen Explosivstoffarbeitern in Fleisch und Blut übergehen . Wie wenig es zurzeit der Fall ist, zeigt die traurige Tatsache, daß bei Explosivstoffarbeiten noch in neuerer Zeit Verunglückte mit Dynamitpatronen und Streichhölzern in der Tasche und der brennenden Pfeife im Munde tot aufgefunden worden sind . Die Sicherheit fördernd, wirkt das Verbot , daß in gefährlichen Betrieben nicht im Stücklohn gearbeitet werden darf.
Überhastende
Tätigkeit in sorgloser Eile wird dadurch ausgeschaltet. Im Kampf gegen die gefährliche Staubbildung und Staubablagerung sind glatte, fugenlose Wände, Decken und Fußböden in Explosivstoffräumen unentbehrlich . Staubbildungen durch Abbröcklung und versteckte Staubablagerungen in Spalten und Vertiefungen werden dadurch vermieden. Stampfholzfußböden aus Asbestfasern und mit Ölfarbe gestrichene, geputzte Wände und Decken haben sich am besten bewährt. Den Anstrich auch der Heizkörper wählt man zweckmäßig in einem Farbenton, der Staubablagerungen leicht erkennen läßt . Räume , in denen mit Explosionen besonders zu rechnen ist , und die daher im allgemeinen während der Arbeit nicht betreten werden dürfen , sind nach dem Ausblasesystem so herzurichten , daß die Gase bei Explosionen nach einer Seite ohne erheblichen Überdruck entweichen können.
Die Maschinen in diesen Räumen werden von außen aus
Sicherheitsständen ein- und ausgerückt, so daß nur Materialschaden entstehen kann . Ebenso wie die Fertigung , Verarbeitung und Lagerung der Explosivstoffe nach Möglichkeit gegen Explosionsgefahren geschützt sind , ist ein solcher Schutz im Verkehr mit Explosivstoffen dringend erforderlich . Er wird durch reichs- und landesrechtliche Vorschriften , im besonderen durch die Eisenbahnverkehrsordnung gewährt . Transporte von Explosivstoffen sind infolge verschiedener Zündungsmöglichkeiten nicht ungefährlich .
Das Verhalten der Explosivstoffe
bei der Zündung ist dabei für die Explosionsgefahr entscheidend. Die Empfindlichkeit der Explosivstoffe, ihr Verhalten gegen mechanische Einwirkungen (Schlag und Reibung), ist für das Gefahrsmoment von geringerer Bedeutung, da ein Ausgleich durch zweckmäßige Verpackung geschaffen werden kann. Desgleichen steht die chemische Beständigkeit der Explosivstoffe beim Transport nicht gerade im Vordergrund, da
es sich bei der Beförderung meist um verhältnismäßig kurze Zeit handelt, für welche die Haltbarkeit durch vorherige gewissenhafte Untersuchungen sichergestellt werden kann . Immerhin
73
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung .
konnten Empfindlichkeit und Beständigkeit der Explosivstoffe bei der Aufstellung der Verkehrs- Sicherheitsvorschriften nicht unberücksichtigt bleiben. Diese Vorschriften wollen und sollen den Verkehr sichern, ohne dabei den Handel
zu
stören .
Soweit es irgend
daher für letzteren Erleichterungen zu schaffen .
möglich ist,
sind
In diesem Streben
ist es möglich geworden, sogar sehr empfindliche Explosivstoffe , wie z B. die Knallkörper, zum Transport im öffentlichen Verkehr zuzulassen. Diese Explosivstoffe werden transportfähig, wenn sie in möglichst kleinen Mengen durch elastische Zwischenlager gegen mechanische Erschütterungen geschützt werden.
Auf diese Weise können die gegen
Stoß und Schlag sehr empfindlichen Zündhütchen und Sprengkapseln Alles hat in genau vorgeschriebener Verpackung versandt werden . im Leben aber seine Grenzen ! Nitroglyzerin,
die
in
Chlor- und Jodstickstoff, sowie reines
ihrer sehr großen Empfindlichkeit trotz vor-
sichtigster Verpackung explosionsgefährlich bleiben, mußten des Gefahrmomentes wegen bislang von jeder Beförderung außerhalb der Fabriken ausgeschlossen bleiben. Je
empfindlicher die
Explosivstoffe
sind,
desto
strenger und
ausführlicher im einzelnen müssen die Verpackungsvorschriften sein. Die scharfen Zündmittel sind in kleinen Kästchen mit Kisten und Überkisten so fest zu verpacken, daß Zündungen weder durch Stöße und Schläge von außen , noch durch reibende, schlotternde Bewegungen im Innern verursacht werden können . Alle Räume müssen in und zwischen den einzelnen Behältern mit geeignetem, trockenem Verpackungsmaterial sicher ausgestopft werden. Zur Selbstentzündung neigende Stoffe , wie feuchtes Heu und Putzwolle , dürfen zum Festlegen natürlich nicht verwandt werden . Explosivstoffe, die in Patronen zu Verwendung gelangen ,
wie
müssen auch
Dynamit, Chlor- und Ammoniaksalpeter-Explosivstoffe patroniert verpackt werden . Die Patronen werden durch feste Papierumhüllung zu Paketen vereinigt und durch Wellpappe schichtenweise festgelegt.
Bei Explosivstoffen, die lose verpackt werden , muß ein
Ausstreuen durch gut gefugte Packgefäße sicher ausgeschlossen werden . Das Schwarzpulver ist der Sicherheit wegen vor der Verpackung in Tonnen oder Kisten in Leinwand- oder Ledersäcke zu schütten. Feuchte Explosivstoffe , die wie Nitrozellulose beim Abtrocknen gegen mechanische Einwirkungen empfindlich werden , sind möglichst luftdicht zu verpacken, so daß ein wesentliches Verdunsten der Flüssigkeit ausgeschlossen wird . Die verschiedenen Explosivstoffe sind getrennt zu verpacken und zu transportieren ,
damit keine gegenseitige, gefahrbringende
Beein-
74
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung .
flussung stattfinden kann .
Das bezieht sich auch auf komprimierte
Gase, deren Flaschen nach ihrem Inhalt getrennt zu befördern und zu stapeln sind.
Die Packgefäße müssen eine den Inhalt deutlich kenn-
zeichnende Aufschrift so offenkundig tragen, daß Verwechslungen und Zweifel ausgeschlossen werden . Die zulässige Größe der Packgefäße hängt des weiteren ebenfalls Je von der Empfindlichkeit der zu verpackenden Explosivstoffe ab. empfindlicher die Explosivstoffe , desto kleiner muß das Gesamtgewicht des verpackten Behälters sein, um die entsprechende, vorsichtige Handhabung zu ermöglichen .
Für die verschiedenen Explosivstoffe sind
Höchstgewichte der gefüllten Packgefäße in den Grenzen von 25 bis 200 Kilogramm vorgeschrieben .
Alle Packgefäße müssen ihrem Ge-
wichte richtig angepaßt, Handgriffe, Handleisten oder sonstige Handhaben besitzen . Eiserne Beschläge und Beschlagmittel sind für ExplosivstoffPackgefäße im allgemeinen nicht verwendbar . Verzinktes Eisen ist teilweise zugelassen , am sichersten bleibt jedoch die Verwendung von Messing, Kupfer oder Bronze . Der Verschluß der Packgefäße wird in der Regel durch Schrauben Schlecht genagelte Kisten bewirkt, die Nägeln vorzuziehen sind. können beim Öffnen oder Rütteln zur Explosion kommen, wenn ein Nagel in einen gegen Reibung drungen ist.
empfindlichen Explosivkörper einge-
Besonders im überseeischen und internationalen Verkehr
ist außerdem Siegel üblich.
die Sicherung des Verschlusses
durch Plomben
oder
Beim Verladen müssen die für Explosivstoffarbeiten bestehenden Sicherheitsvorschriften selbstredend genau beachtet werden.
Die Pack-
gefäße sind in Wagen und Schiffen so fest zu lagern, daß sie gegen Scheuern, Rütteln, Stoßen , Umkanten und Herabfallen aus oberen Lagen gesichert sind . sondern liegend
Insbesondere dürfen Tonnen derart verstaut
werden,
durch Unterlagen ausgeschlossen werden.
nicht aufrecht gestellt,
daß
rollende Bewegungen
Die größte
Sorgfalt ist
in dieser Hinsicht bei Landtransporten erforderlich , da bei diesen in vermehrtem Maße mit stoßenden und rüttelnden Bewegungen zu rechnen ist. Die Fahrzeuge müssen sich in tadelloser Verfassung befinden. Der Bruch von Wagenteilen kann die Entstehung von Explosionen verschulden .
Aus diesem Grunde dürfen die Wagen nur
bis zwei Drittel ihrer Tragfähigkeit mit Explosivstoffen beladen werden. Auch für verdichtete Gase stoff und Stickstoff und Wärmeeinflüssen
Kohlensäure , Wasserstoff, Sauer-
sind Transporte mit ihren Erschütterungen explosionsgefährlich.
Zum Schutz sind daher
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung .
75
Prüfungsvorschriften für die Stahlgasflaschen und Bestimmungen über die Abhaltung von Wärmeeinwirkungen erlassen worden. Über die chemische Beständigkeit , die nach den bekannten Untersuchungsmethoden bei höheren Temperaturen geprüft wird , darf kein Zweifel bestehen. Für den Auslandsverkehr sind zwischen den Kulturstaaten
auf
Grund
von
Vereinbarungen getroffen .
Kongreßverhandlungen
die
erforderlichen
Im allgemeinen kann man sagen, daß die
vorgeschriebenen Untersuchungen der Explosivstoffe vor der Versendung zur Verbesserung der Fabrikate beigetragen haben . Die Ansprüche an die Verkehrssicherheit der Explosivstoffe zwingen dazu, nur mit vollendeter Sachkenntnis hergestellte Waren auf den Markt zu bringen. Die Entwicklung der Explosivstofftechnik wird also durch die sichernden Bestimmungen der Verkehrsordnung gefördert. Die Feststellung der Eigenschaft erfolgt großenteils an der Hand von Vergleichs-Explosivstoffen , deren Verhalten erprobt ist.
Neben
der Empfindlichkeit und Haltbarkeit handelt es sich noch um die Zusammensetzung, die Möglichkeit der Entmischung der Bestandteile und besonders um das Verhalten bei der Zündung. Letzteres wird auf empirischem Wege zu ermitteln gesucht, indem Verhältnisse im kleinen geschaffen werden, die denen bei der Entzündung großer Explosivstoffmengen entsprechen . Die Entmischbarkeit fester Bestandteile wird durch Rüttelversuche geprüft .
Bei Nitroglyzerinpräparaten sind außer-
dem die Möglichkeiten des Ausscheidens von Nitroglyzerin und bei einheitlichen Nitrokörpern die etwaigen Bildungen von explosiblen Salzen, z. B. Pikraten, festzustellen . Schließlich bleibt noch der Feuchtigkeitsgehalt zu bestimmen , der namentlich bei nasser Nitrozellulose für die Sicherheit von Bedeutung ist . Für die Verkehrssicherheit ist das Verhalten bei der Zündung, die eigentliche Explosionsfähigkeit natürlich ausschlaggebend . Explosivstoffe, die am offenen Feuer ohne Explosion abbrennen , sind in der sicheren Verwahrung
des
Eisenbahnwagens ungefährlich
und erfordern daher keine besonderen Rücksichten .
aufgehoben
Sie können sogar
als Eilgut versandt werden. Die fulminanten Explosivstoffe , die bei jeder Entzündung zur Explosion kommen , bedürfen dagegen die weitgehendsten Sicherungen . Sie dürfen nur in besonderen Wagenladungen unter besonderem Schutze versandt werden . Die Explosivstoffe sind in der Eisenbahnverkehrsordnung in Sprengmittel, Schießmittel und andere explosionsfähige Stoffe geschieden und nach dem Grade ihrer Verkehrsgefährlichkeit in drei Gruppen eingeteilt. Gruppe I.
Die handhabungssicheren Explosivstoffe , die in un-
beschränkten Mengen zum Stückgutverkehr zugelassen sind .
Es handelt
76
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung.
sich um die rauchschwachen Pulver und Munition , in der Explosivstoffe in ungefährlicher Weise untergebracht sind . Gruppe II .
Gefährlichere Explosivstoffe,
die nur in Mengen
bis zu 200 kg als Stückgut befördert werden dürfen .
Hierzu gehören
in der Hauptsache die unempfindlicheren Chloratexplosivstoffe und Nitrokörper, die gefährlicher als Pikrinsäure sind. Gruppe III .
Explosivstoffe der verkehrsgefährlichsten Art, die
nur in besonderen Wagenladungen versandt werden dürfen . fährlichen Sprengmitteln, zu denen
Neben ge-
besonders die Dynamite gehören ,
kommt hauptsächlich das Schwarzpulver in Frage. Explosionsfähige Stoffe ,
die durch Flammenzündung
nicht zur
Explosion kommen, und gegen mechanische Einwirkungen unempfindlich sind , rechnen im Sinne der Eisenbahn- Verkehrsordnung überhaupt nicht zu den Explosivstoffen . Für die übrigen unter die Sprengmittel und Schießmittel nicht besonders eingereihten verkehrsgefährlichen Explosivstoffe hängt die Zulassung zum Eisenbahntransport in einer der drei Gruppen vom Prüfungsergebnis und der Art der Verpackung ab.
Für die Einreihung ist entscheidend, daß der Explosivstoff sich
bei der Untersuchung ebenso sicher erweist, wie der gleichzeitig mitgeprüfte Vergleichsexplosivstoff der betreffenden Gruppe . Die Empfindlichkeit wird unter dem Fallhammer durch Ermittlung der Energie festgestellt, die
zur Auslösung der Explosion
dieser Feststellung darf die Feuchtigkeit
nicht
erforderlich
ist .
Bei
außer acht gelassen
werden ; denn von ihr hängt die Explosionsgefahr ganz wesentlich ab. Stark feuchte Schießwolle gehört nicht zur Gefahrsklasse, da sie nicht zur Entzündung und Explosion gebracht werden kann ; sehr trockne Schießwolle ist dagegen von der Beförderung auf Eisenbahnen ausgeschlossen, da ihre große Empfindlichkeit im Verein mit der Neigung zur Staubbildung transportgefährdend sind . Durch Sicherheitsmaßnahmen ist der Verkehr nach Möglichkeit
gegen Explosionsgefahren geschützt .
In gleicher Weise wird die Ver-
wendung der
Schieß-
Explosivstoffe durch
und
Sprengvorschriften
gegen Gefahren gesichert.
Zunächst ist der für den jeweiligen Verwendungszweck geeignete Explosivstoff nebst zugehöriger Zündung nach Kraftäußerung, Empfindlichkeit , Entzündlichkeit und Zündungskraft zu bestimmen . Wird für Schußwaffen ein zu brisantes Pulver
gewählt, so wird die Waffe explosionsartig auseinandergerissen .
Noch
gefährlicher ist die Verwendung ungeeigneter Explosivstoffe beim Sprengen . Schwer entflammbare Sicherheitsexplosivstoffe , die hauptsächlich in Kohlenbergwerken Verwendung finden , werden mit ihrer geringen Detonationsempfindlichkeit gefährlich , wenn infolge von unzureichender Zündung vollständige oder teilweise Versager eintreten .
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung.
77
Außerdem sind die zur Auslösung der Sicherheitsexplosivstoff-Explosionen erforderlichen Sprengkapseln in ihrer Empfindlichkeit unter Tag schon an und für sich nicht ungefährlich . Das gleiche gilt von den gegen Stoß, Schlag und Temperatureinwirkungen empfindlichen NitroglyzerinDer Austritt des Nitroglyzerins beim Gefrieren und
Explosivstoffen.
Ausschwitzen, sowie durch Wasserverdrängung, ist zu fürchten . Die meisten Opfer fordert das Auftauen des gefrohrenen Dynamits. Deshalb legen die sichernden Bestimmungen den Hauptwert auf die gefahrlose Aufbewahrung der Patronen , für die wasserdichte Umhüllungen und mäßig warme Lagerräume vorgeschrieben sind . Außerdem bestehen genaue Anweisungen für das Auftauen. In Kohlenbergwerken , in denen Schlagwetter und Staubexplosionen zu befürchten
sind ,
darf Schwarzpulver
keine Verwendung finden.
Seine heftige Zündfähigkeit würde im Verein mit schneller Feuerfortpflanzung beim Aufflammen die Entstehung von Raumexplosionen begünstigen. Außerdem ist zu berücksichtigen , daß das Schwarzpulver mit seiner Neigung zur Staubbildung selbst leicht zur Entzündung kommt. Nach der Auswahl des geeigneten Explosivstoffes beginnen die weiteren Gefahren mit den Vorbereitungen zur Verwendung, im besonderen mit dem Laden, bei welchem vorzeitiges, unerwartetes Losgehen von Schüssen verhängnisvoll werden kann . Nur die unbedingt erforderlichen Explosivstoffmengen dürfen an den Verwendungsort gebracht werden . In Bergwerken sind Patronen vorgeschrieben ; lose , nicht patronierte Explosivstoffe dürfen daher unter Tag keine Verwendung finden . Besonderer Wert ist auf die sorgfältige Herstellung der Bohrlöcher zu legen .
Sie müssen in paralleler Lage die richtigen Abstände voneinund bei vorgeschriebener Tiefe genau kalibriert sein
ander haben ,
Derartige Bohrlöcher gestatten die ungefährliche Einführung der Patronen. Haben die Löcher zu geringe Abmessungen oder rauhe Wandungen , so können empfindliche Explosivstoffe und Zündungen (Dynamit , Schwarzpulver und Sprengkapseln) beim Laden durch Reibung zur Entzündung kommen .
Hygroskohische Explosivstoffe ,
wie z. B. der Ammoniaksalpeter, können außerdem infolge des Zerreißens der schützenden Patronenhülsen am nassen Gestein feucht Je nach der Art der Explosivstoffe können also Frühzünder oder Versager eintreten . Auch Bohrlöcher mit zu großem Durchmesser können gefährlich werden , wenn empfindliche Explosivstoffe zur Aus-
werden.
füllung des Raumes zusammengedrückt oder zerquetscht werden müssen . Genau gearbeitete Bohrlöcher erleichtern des weitern die nicht ungefährliche Verdämmungsarbeiten,
die große Vorsicht und peinliche
Beachtung der Sicherheitsvorschriften erfordern . Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 551 .
Eiserne Werkzeuge 7
78
Die Explosionsgefahren , ihre Entstehung und Bekämpfung .
und heftige Schläge sind bei diesen Arbeiten unzulässig .
Die lebendige
Kraft eines Hammerschlages kann mit Überwindung des Reibungswiderstandes die Wärme zur Auslösung der Zündung erzeugen. Infolge von mangelhaft ausgeführten Verdämmungen können überdies Ausbläser entstehen , auf die häufig die Schlagwetter und Kohlenstaubexplosionen zurückzuführen sind. Mehrere Bohrlöcher dürfen auch nicht gleichzeitig geladen oder gezündet werden, da hierdurch in der Feuerübertragung mancherlei Gefahren entstehen können . Es handelt sich hierbei um das vorzeitige , unerwartete Losgehen des Sprengschusses , das Opfer fordert, wenn sich noch Personen in der Nähe der Sprengstelle befinden, und um das verspätete Losgehen, das für Personen gefährlich wird,
die bereits an die Sprengstelle zurückgekehrt sind .
Gegen diese Gefahren gewährt die elektrische Zündung bei vorschriftsmäßiger Handhabung den besten Schutz ; zumal die gefährlichen Nachbrenner der anderen Zündungsarten ausgeschlossen sind. Sobald Versager vorkommen, darf die Annäherung an die Schußstelle erst nach Ablauf von einer bestimmten Sicherheitszeit erfolgen . Die zu frühe Rückkehr muß durch Absperrung aller Zugänge verhindert werden. Nicht explodierte Ladungsteile sind bei den Aufräumungsarbeiten so
vorsichtig zu
Explosionen vorkommen können,
beseitigen,
daß
keine
späteren
Anbohrungen der Verdämmungen
der Fehlschüsse oder nicht explodierter Ladungen sind unstatthafte. Versager sind vielmehr durch das Anlegen eines neuen Sprengschusses in der Nähe des ersten unschädlich zu machen. Das neue Bohrloch muß dabei parallel zum Loche des Versagers laufen .
Eine divergierende
Lage würde den neuen Sprengschuß wirkungslos
machen ;
während
ein konvergierendes Loch beim Bohren die Ladung des Versagers zur Explosion bringen könnte. Die Schieß- und Sprengvorschriften werden den mannigfachen Explosionsgefahren nach Möglichkeit im einzelnen gerecht ;
von be-
sonderer Wichtigkeit sind aber die allgemeinen Anordnungen und Hinweise, die durch Aufklärung und Belehrung schützend wirken sollen. Das ist sehr zu beachten, da bei der Verwendung der Explosivstoffe alle Beteiligten
durch die Fehler von
einzelnen Personen bedroht
werden. Infolgedessen liegt die gegenseitige Überwachung und periodische Unterweisung im Gesamtinteresse. Werden die von Behörden und Berufsgenossenschaften erlassenen Bestimmungen und Verordnungen im richtigen Geist erfaßt und gewissenhaft befolgt , dann werden dadurch die Gefahrsquellen bei der Verwendung der Explosivstoffe verstopft.
Vor falscher Sparsamkeit
und
mutwilligen Eigen-
mächtigkeiten ist im Interesse der Sicherheit vor allem zu warnen. Von tadellosen Einrichtungen und deren sachverständigen Handhabung
Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung . hängt der Erfolg bei gutem Willen ab .
79
Fehlt der letztere, dann können
die Explosionsgefahren in verbrecherischer Absicht furchtbare Formen annehmen. „ Doch furchtbar wird die Himmelskraft, Wenn sie der Fessel sich entrafft" .
einer
Die Explosionsgefahr wird dann in gemeingefährlicher Weise zu öffentlichen Gefahr, der das " Reichsgesetz gegen den ver-
brecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch
von Sprengstoffen "
mit gewerbepolizeilichen und strafrechtlichen Bestimmungen entgegengetreten ist. Es handelt sich um das sogenannte Dynamit- oder Sprengstoffgesetz, das für die Gesamtheit und auch für den einzelnen von Wichtigkeit ist. Das Gesetz wurde zur Abwehr gegen das gemeingefährliche Treiben mit Explosivstoffen erforderlich, als mit der vom Anarchisten Most ausgehenden Idee der Propaganda der Tat im sozialen Kampfe verbrecherische Unternehmungen um sich griffen . 1881 war der Kaiser Alexander I. von Rußland diesem Treiben zum Opfer gefallen ; und 1883 sollten bei der Einweihung des Niederwalddenkmales die um den Kaiser Wilhelm I. zur Feier versammelten deutschen Fürsten in die Luft gesprengt werden .
Nur das Feucht-
werden des Explosivstoffes vereitelte damals den geplanten , entsetzlichen Anschlag. In der Abwehr der von Verbrechern heraufbeschworenen Explosionsgefahren wird seit 1884 jeder mit strengen Strafen bedroht, der sich in unbefugter Weise mit Explosivstoffen zu schaffen macht. Wer in verbrecherischer oder gemeingefährlicher Absicht Explosivstoffe
her-
stellt, in Besitz nimmt, oder verwendet, wird vom Gesetz in drakonischer Weise
getroffen .
Angesichts
der furchtbaren Gefahr mußten ver-
hütende, hemmende und unterdrückende Maßnahmen ergriffen werden , ohne daß dabei besondere Rücksichten auf die Entwicklung der Explosivstofftechnik genommen werden konnten. Es ist nicht allein die vorsätzliche Herbeiführung
von Explosivstoffverbrechen unter Strafe
gestellt, sondern in verschärftem und erweitertem Maße werden bereits Verabredungen und Vorbereitungshandlungen bestraft, wenn die Herstellung, Anschaffung oder Bestellung der Explosivstoffe mit der Absicht des verbrecherischen Gebrauches erfolgte Unter diesen Verhältnissen ist die Herstellung , Einführung und Feilhaltung von Explosivstoffen ohne polizeiliche Ermächtigung nicht erlaubt.
Die Polizei-
verordnung betreffend den Verkehr mit Explosivstoffen bestimmt, daß Explosivstoffe ohne einen Sprengstoff-Erlaubnisschein nicht verausgabt, in Besitz genommen, transportiert oder verwendet werden dürfen . Hierdurch wird auch die unerlaubte Einführung von Explosivstoffen 7*
80
Die armenische Frage.
aus dem Auslande verhindert. Das Gesetz hat alle unerlaubten Handlungen mit Explosivstoffen unterbunden . blendung,
der
Es ist im Kampfe gegen die Ver-
schlimmsten Feindin gegen die Ordnung,
erfolgreich
gewesen.
„Jedoch der Schrecklichste der Schrecken Das ist der Mensch in seinem Wahn. "
VII . Die armenische Frage Von Dr. Heinrich Pudor.
Vor kurzem
hat sich mit
dem Sitz in
Berlin
eine Deutsch-
Armenische Gesellschaft gebildet , welche nach § 1 ihrer Statuten die in der Fußnote ¹ ) wiedergegebenen Bestrebungen verfolgt. Was dabei die Beziehungen zwischen Deutschen und Armeniern auf deutschem Boden angeht, so wird die Zahl der Armenier in ganz Deutschland auf Universitäten , Akademien , technischen Hochschulen , Konservatorien usw. auf nicht
mehr als 150 geschätzt.
Insoweit steht also
der
Zweck und die Grundlage dieser Deutsch-Armenischen Gesellschaft auf einer sehr mageren Basis,
und was sagen dazu diejenigen ,
die die
Ausbreitung fremdvölkischen Wesens auf unseren Hochschulen ohnedies bekämpfen wollen? Umgekehrt ist allerdings das Deutschtum in den armenischen Ländern ziemlich stark interessiert und zwar im südwestlichen Armenien als wirtschaftlicher Unternehmer von Cilicien und Mesopotamien her und als Haupteigner der anatolischen Bahnkonzessionen.
Im Hintergrund der deutsch-armenischen Bestrebungen
steht mithin die Bagdadbahn und das an dieser interessierte deutsche Kapital.
Die Deutsch-Armenische Gesellschaft gibt eine eigene Zeit-
1 ) 1. Verbreitung einer gerechten, unvoreingenommenen Beurteilung des armenischen Volkes in Deutschland und des deutschen Volkes in Armenien. 2. Vermittlung einer eingehenden Kenntnis der Leistungen des armenischen Volkes für die Gesamtkultur und der Bestrebungen des deutschen Volkes für die Förderung der armenischen Kultur. 3. Pflege persönlicher Beziehungen zwischen Deutschen und Armeniern , besonders denen, die in Deutschland studieren ."
Die armenische Frage.
81
schrift unter dem Titel „ Mesrop " heraus, die in einen deutschen und in einen armenischen Teil zerfällt ; ersterer wird von Pfarrer Stier, letzterer von einem Dr. James Greenfield , Berlin-Wilmersdorf, geleitet . Das erste Heft bringt als Leitartikel einen Aufsatz von Dr. Paul Rohrbach Orient".
Die Armenier als politischer und kultureller Faktor im
Übrigens gibt es seit langem auch ein
Schweizerisches Hilfs-
komitee für Armenien " (Zentralpräsident Prof. du Bois, Zentralkassierer James Pasquier,
Neuenburg in der Schweiz) und seit kurzem einen
,,Ausschuß des Hilfswerkes für Armenien ",
dessen Geschäftsleitung
sich ebenfalls in der Schweiz befindet (Präsident Dr. W. Vischer, Zentralkassierer E. Zahn in Basel) . Letzterer erließ unlängst einen „ Aufruf für die Armenier " in der „ Neuen Züricher Zeitung “ , in dem es heißt : „ Die Zahl der Armenier, welche während des Weltkrieges aus ihrer Heimat unter den größten Leiden nach Rußland geflüchtet sind , wird auf etwa 200 000 geschätzt, der Überrest der in der Türkei selbst gewaltsam Deportierten , namentlich Frauen und Kinder, befindet sich in den südlichen Gegenden der asiatischen Türkei . " In der Tat ist Armenien im Verlaufe des letzten Kriegsjahres zu einem Hauptkriegsschauplatz im Südosten geworden . Offenbar ging hierbei das Streben der Russen von Anfang an darauf hinaus , vom Kaukasus her über die anatolische und kleinasiatische Küste des Schwarzen Meeres an Konstantinopel heranzukommen : daher die Ernennung des Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch zum Oberbefehlshaber Und dieser Feldzug der Russen ist von under Kaukasusarmee. bestreitbaren großen Erfolgen begleitet, und es ist durchaus nicht gänzlich ausgeschlossen , daß er sein Ziel erreicht. Im Februar 1916 fiel Erzerum und am 18. April 1916 Trapezunt in die Hände der vor EntRussen. Wenn nun auch die Zeiten vorüber sind, als der eine der beiden Hauptdeckung des Seeweges nach Ostindien landwege nach Indien durch Armenien und Persien führte, nämlich von der Südküste , des Schwarzen Meeres, Trapezunt über Erzerum und Täbris , so bildet doch Trapezunt heute noch den größten Umschlageplatz der anatolischen Küste des Schwarzen Meeres sowohl für den See
als für den Karawanenverkehr.
Außerdem liegt Trapezunt
auf dem Küstenwege nach Konstantinopel. Ferner kann im Westen von Trapezunt mit Hilfe der See- und Landstreitkräfte die türkische Linie Siwas-Angora bedroht werden . Angora ist Endpunkt der Anschlußbahn nach Eskischehir der anatolischen Bahn, und von Angora aus hätten die Türken längst weitere Anschlußbahnen durch das nördliche Kleinasien bis zu der Küste des Schwarzen Meeres und östlich in die asiatische Türkei, also vor allem nach Trapezunt und
Die armenische Frage.
82
Erzerum gebaut, wenn nicht Rußland sich widersetzt hätte.
Ob die
Russen gleichzeitig, wenn sie bis Siwas vorgedrungen sind , über Harsch nach dem Eisenbahnendpunkt Adana — das wirtschaftliche Interessengebiet Italiens und Endpunkt der kleinen von der Bagdadbahn erworbenen Zweigbahn Mersina-Adana (67 km) - streben, stehe dahin. Vor allem aber hat Rußland durch die Einnahme von Trapezunt die einzige für Heerestransporte verwendbare Verbindung in das innere des armenischen Hochlandes und weiter nach Kleinasien erhalten , während es bisher nur auf die östlichen nach Kars und Batum führenden Bahnlinien von Tiflis aus angewiesen war und für die weiteren Transporte westlich mit den allergrößten Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.
„ Der
Besitz von Trapezunt schafft hierin Wandel, er dispensiert den Eisenbahntransport von seinem Umweg über Tiflis und setzt an dessen Stelle den direkten Schiffsverkehr von Odessa oder der Krim nach Trapezunt. Er verkürzt zudem den Landtransport." (Aus einem Artikel der „ Neuen Züricher Zeitung" Nr. 654 vom 25. IV. 16 über den Feldzug in Armenien ) .
Der Gewinn von Trapezunt ist mithin
nach allen Richtungen hin für die Russen von größter Bedeutung und für die Türkei von größter Gefahr, wie man gut tun wird nicht länger zu übersehen . Ein Blick auf die Karte tut dar, daß die russische Kaukasusarmee in ununterbrochener Linie von Trapezunt südlich und südöstlich bis Nordpersien zudem Nordmesopotamien bedrohen und unter Umständen mit den Engländern sich vereinigen und sie entsetzen kann¹) . Worauf gründet sich nun aber überhaupt die armenische Frage, die nicht erst von gestern datiert, sondern vielmehr sich weit in der Geschichte zurückverfolgen läßt , bis zu der Zeit, Konsuln und Kaiser gegen die
als die römischen
armenischen Könige Krieg führten.
Die Erklärung bietet ein Blick auf die Karte. Das armenische Hochland bildet, namentlich soweit es sich zwischen dem Schwarzen Meer und dem Kaspischen Meer erstreckt, den Wall zwischen der nördlichen und südlichen Hemisphäre , und an diesem Walle haben sich seit den Zeiten der alten Römer, seit dem Mithridatischen Krieg und seit Tiberius im Jahre 20 vor Chr. den armenischen König Tigranes in sein Reich wieder einsetzen mußte, die Anstürme der West- und Südvölker, wie der Nordvölker gebrochen . mit Unterstützung des
venezianischen
In oströmischer Zeit kam
und genuesischen Seehandels
1 ) Tatsächlich meldete „ Daily Chronicle" Ende April 1916, daß das russische Heer in Persien ungefähr 100 englische Meilen nordöstlich von Kut-el - Amara stehe , während eine zweite Armee von Kermanshan aus über die persische Grenze gegen Bagdad marschiere. Wenn auch diese Meldungen unkontrollierbar sind, zeigen sie doch mögliche Gefahren an.
Die armenische Frage.
83
Trapezunt zu so hoher Blüte, daß es an 500000 Einwohner zählte und den Haupthandelsplatz von Persien nach den Küsten des Schwarzen Meeres bildete . Heute hat Trapezunt nur etwa 35000 Einwohner und die Bedeutung, die es hatte, ist fast ganz auf Batum übergegangen, Später waren es England und Rußland , die sich an diesem Walle gegenüberstanden : Rußland über Armenien hinweg nicht nach Persien und nach dem persischen Golf oder gar ans Mittelmeer zu lassen, war das ängstliche Bemühen Albions , und eben dieses erklärt die ungezählten offenbar von England angezettelten armenischen Unruhen.
Dabei war
Armenien der Zankapfel nicht nur von England und Rußland , sondern mehr noch von der Türkei und Persien ; zu Persien gehörte auch bis zum ersten Drittel des 19. Jahrhunderts ein großer Teil des armenischen Landes,
und wenn das eigentliche Armenien zwar türkische
Provinz¹ ) ist, so ist nicht nur ein ganzer Teil Armeniens russisches Gebiet, sondern der Einfluß der Armenier reicht über das jenseitige Kaukasusgebiet bis weit in Rußland hinein.
Im besonderen ist es
der geschäftliche Einfluß des Armeniers, welcher sich allerorten geltend macht, nicht nur im eigentlichen Armenien und im russischen Armenien, sondern in der ganzen Türkei. Dr. von Rosen , der das armenische Volk ebenfalls aus eigener Anschauung kennt , schrieb in der „ Täglichen Rundschau " , Nr . 511 , Jahrg. 1913 , daß der Armenier zweifellos als der tüchtigste und kulturfähigste Volksstamm in ganz Vorderasien gelten kann . „ Dank ihrer Tüchtigkeit und Intelligenz nehmen die in der Türkei sonst unbeliebten Armenier doch die höchsten Stellungen ein, und von den beiden armenischen Ministern Noradunghian und Halladschian meinte unlängst die Konstantinopeler Presse, ihre Ministerien seien die einzigen , in denen wirklich gearbeitet würde. " P. Rohrbach
meint
sogar,
daß
das
Wirtschaftsleben der Türkei,
nicht nur im eigentlichen Armenien , sondern weit darüber hinaus zum großen Teil auf den Armeniern beruht.
Also der Armenier ist vor
allem Geschäftsmann und als solcher im gesamten Wirtschaftsleben der asiatischen Türkei vorherrschend, vor allem natürlich in Anatolien, aber auch in Syrien und in den Euphratländern . Im Vilajet Sivas , wo die Armenier stark in der Minderheit sind , betrug, wie Rohrbach a. o . St. anführt, die Zahl der armenischen Großkaufleute doch 141 gegen 13 türkische und 12 griechische ; armenische Krämer und Handwerker gab es 6800 gegen 2500 türkische und 450 griechische ; Bankiers 32 armenische und 5 türkische , Exporteure 127 armenische und 23 1 ) In der ganzen armenischen Türkei, also den sechs sogenannten armenischen Vilajets und Cilicien, zählt man gegen 600 armenische Schulen mit etwa 55000 Schülern. Bemerkenswert ist das Verhältnis der Geschlechter : auf nicht ganz drei Knaben kommt nur ein Mädchen.
84
Die armenische Frage.
türkische , industrielle Unternehmungen 130 armenische , 20 türkische und 3 griechische. Die Armenier, die als christliches Volk gelten , haben ihre eigne indogermanische Sprache, und die Zeiten sind vorüber, als noch die griechische Sprache ganz Kleinasien auch im Innern beherrschte und in Syrien und in den Euphratländern aramäisch gesprochen wurde, dort spricht man heute arabisch, ebenso wie in Ägypten, wo das Koptische nur noch Kirchensprache ist. Zu der armenischen Bevölkerung der türkischen Provinz Armenien hinzu kommen aber nun noch die Armenier des Kaukasus, die etwa eine Million stark über den ganzen Kaukasus verstreut sind , im alten Königreich Georgien 200 000 zählen und hier besonders in den Städten Ostgeorgiens,
namentlich in Tiflis
wohnen .
Die im
engeren Sinne
historisch-armenischen Provinzen Georgiens sind die südlichen und südwestlichen,
wie
z . B.
das
Gouvernement Eriwan,
bilden die Armenier nur eine geringe Mehrheit.
aber
auch hier
In einigen Gegenden
wie in der georgischen Provinz Dschawacheti haben die Armenier sogar in der landwirtschaftlichen Bevölkerung die Mehrheit,
nachdem die
Russen im Anfang des 19. Jahrhunderts den Armeniern in Anerkennung ihrer Dienste in den Türkenkriegen ländliche Kolonien geschaffen hatten . Sehr bezeichnend aber für den Charakter des armenischen Volkes ist die Beurteilung, die man der armenischen Bevölkerung gerade im Kaukasus und in Georgien entgegenbringt.
Der Verfasser des Buches
„Georgien und der Weltkrieg" (Privatdruck) schreibt darüber ( S. 61 ) : „ Die Armenier sind hier in der Hauptsache als Kaufleute und Wucherer tätig und beuten die kaukasische Bevölkerung überall, wo sie sich befinden, in den Dörfern wie in den Städten, auf die schrecklichste Weise aus • .. Der städtische Armenier des Kaukasus ist der Typus des Kaufmanns und des Wucherers und ein wahres Unglück für den Landmann, den er systematisch ausbeutet und ruiniert.
Das ist der
Hauptgrund für den Haß, dem der Armenier im Kaukasus ausgesetzt ist .. Die Rolle , die die Armenier in verschiedenen Städten, besonders in Tiflis , spielen, ähnelt sehr der der Juden in Polen , z . B. in Warschau. " Derselbe Verfasser tritt auch mit Recht der von den Armeniern in Europa verbreiteten Meinung entgegen, daß sie das zivilisatorische Element des Kaukasus bilden . Das von J. Ranke und G. Thilenius herausgegebene Archiv für Anthropologie (Verlag F. Vieweg & Sohn) bringt in Heft 4 , Febr. 1915 , das dem berühmten Juden Felix von Luschan zum 60. Geburtstag gewidmet ist , einen Aufsatz „ Armenier und Juden " von Dr. S. Weißenberg , Elisabethgrad ( Rußland), in dem es heißt : „ Zwischen Armeniern und Juden besteht eine auffallende Ähnlichkeit, die sich nicht nur auf das physische, sondern auch auf das psychische Gebiet aus-
85
Die armenische Frage. breitet.
Was das letztere anbelangt, so hat man auf die Ubiquität
und den Handelsgeist der Armenier als Eigenschaften hingewiesen, die in hohem Maße auch den Juden zukommen . Die physische Verwandtschaft zwischen Armeniern und Juden ist so groß, daß beide von den besten Kennern oft verwechelt werden. Wurde doch der Verfasser Weißenberg selbst mit seinem ausgesprochenen jüdischen Gesicht auf einer Anthropologenversammlung häufig für den ebenfalls anwesenden armenischen Geistlichen
gehalten .
Luschan
die Sache damit
habe
erklärt, daß die Juden bereits in prähistorischer Zeit auf dem Boden Palästinas mit den Hettitern, die er mit den heutigen Armeniern identifiziert, sich vermischten¹ ) und zwar so gründlich, daß sie ihre So sagt also der jüdische semitischen Züge fast verloren haben. Forscher von Luschan - ! Weißenberg hat Messungen an armenischen Schulkindern angestellt und dabei eine ausgesprochen brachycephale Bevölkerung festgestellt . Neben diesem Merkmal ist noch die auffallende Dagegen Häufigkeit der sogenannten semitischen Nase zu nennen . haben wir in den Semiten bekanntlich rein langköpfige Elemente, die sich auch jetzt noch unter den ländlichen Einwohnern Palästinas reichlich erhalten haben. Für direkte Nachkommen der alten Palästinenser Er kommt dann auf
hält Weißenberg die Fellachen und Samaritaner.
die semitische Nase als Rassenmerkmal zu sprechen. Beobachtungen von Luschans in Kleinasien hätten diesen zu der Überzeugung geführt, daß diese Nasenform eigentlich nichts mit dem Judentum zu tun habe, sondern ein ausgesprochenes Merkmal der alten Hettiter sei, das sich auf ihre Nachkommen , die Armenier , voll vererbt habe . Nur die Krümmung ihres Rückens verbindet sie mit der echten semitischen Form, aber auch hier ist insofern ein Unterschied zu bemerken , als jene bei den Semiten eine sehr seichte, während sie bei den Armeniern eine in die Augen springende ist. Auch ist die semitische Nase im allgemeinen schmäler und zeichnet sich überhaupt durch Feinheit der Konturen aus, während die armenische plump und dick ist. " Aus der dann folgenden Tabelle
Körpermerkmale der Juden "
Dr. Weißenbergs im Arch . f. Anthr. Bd . XIII ,
H. 4 sei folgendes
wiedergegeben : Palästina Langköpfig .... . Kurzköpfig . ... Semitische Nase Blonde ....
7%
Mesopotamien 13,5 %
Kaukasus 1%
1%
32,5%
90% 95% 35 % 32 %
81%
50% 78 %
62,3 %
0%
0%
1%
1%
0%
Rußland
10% 10%
1) Nach dem Rassenforscher L. Sofer , Wien, sollen Juden und Armeniern gemeinsam von Hettitern abstammen .
Literatur.
86
Weißenberg schließt : „ Die Grundlage für die Armenierähnlichkeit der Juden ist somit in einer wirklichen Vermischung beider Völker zu suchen, die aber nicht in vorhistorischer Zeit auf dem Boden Palästinas , sondern eher in historischer auf dem Boden Armeniens vor sich gegangen ist. " Schließlich
sei auf die Schrift C. A. Bratters „ Die armenische
Frage " (Berlin, Concordia) hingewiesen, in der ebenfalls betont wird, daß die Armenier zwar Christen sind, aber rassisch als Semiten anzusprechen sind. Wenn man immer sagt, daß die christlichen Armenier um dieses ihres Glaubens willen von den Türken verfolgt werden , so ist das eine falsche Darstellung : die Wahrheit ist die, daß England, wie schon vorher angedeutet, sich der Armenier bedient hat, um mit Hilfe von Aufständen und Revolutionen den Bestand des türkischen Reiches zu gefährden tischen Türkei.
mit dem Endzweck der Aufteilung der asia-
Literatur.
I. Bücher. Die Aufgaben der deutschen Flotte im Weltkriege. Von Karl Hollweg , Kontre- Admiral. Berlin 1917. Verlag von Karl Sigismund. Berechtigtes Aufsehen erregten schon einzelne der Kapitel dieses ausgezeichnet geschriebenen Buches bei ihrem Erscheinen in der Tagespresse. Bleibenden tiefen Eindruck auf jeden denkenden Deutschen kann aber nur das Lesen des Gesamtwerkes hinterlassen und es ist sehr zu wünschen, daß es die weiteste Verbreitung findet. Der Inhalt besteht aus folgenden 8 Teilen : Englischer Mißmut über die Leistungen der eigenen Flotte . Welche Aufgabe konnte und mußte sich die deutsche Flotte im Kriege stellen ? --- Wie lösten die deutschen Auslandskreuzer ihre Aufgabe ? Die Rolle der deutschen Heimatflotte . Die englische Auffassung vom Kriege ; warum schont England seine Flotte ? Die englische Blockade, die wirtschaftliche Absperrung Deutschlands. Kann die deutsche Flotte diese hindern ? Wie hilft sie ? Inwieweit hat die deutsche Flotte der Landkriegführung direkt genützt ? fassung und Schlußbetrachtung.
Zusammenv. N.
Türkisch . Eine Einführung in den praktischen Gebrauch der türkischen Sprache nebst einem Wörterverzeichnis und einer Karte . W. Padel . B. G. Teubner , Leipzig 1917. Geb. 3,60 M. Bei dem in Deutschland vorhandenen Streben , sich Kenntnisse in der türkischen Sprache zu erwerben , um als Offizier , Beamter, Kauf-
Literatur.
87
mann , Reisender usw. beim Aufenthalt in dem mit uns befreundeten Reiche sich möglichst schnell einleben und die Psyche des Volkes im direkten Verkehr kennen zu lernen, ist jede Arbeit in dieser Hinsicht mit Freude zu begrüßen . Es führen viele Wege nach Rom , und manche ausführliche und ganz kurz gehaltene Grammatik ist bereits erschienen . Einen besonders empfehlenswerten Weg hat der literarisch bereits vorteilhaft bekannte Verfasser eingeschlagen , da seine Arbeit die Mitte zwischen Sprachführer und wissenschaftlichem Werke hält ; er schreibt für die Praxis , die dabei die Kenntnis früher erworbener Sprachen ausnutzen kann . Er will keine erschöpfende Behandlung der Formenlehre und Syntax geben , sondern betont besonders das im Umgang Erforderliche, wobei von dem Arabischen nur das unbedingt Notwendige aufgenommen ist. Die Arbeit zeichnet sich durch klare Übersicht und systematische Darstellung aus und führt Schritt für Schritt in jene Sprache ein, die im Anfang so große Schwierigkeiten bietet, an der Hand eines so sicheren Führers jedoch leicht erlernt werden kann . Der Autor hat ja während seines langjährigen Aufenthaltes im Orient als Dragoman , Konsul und später als Bankier reiche Gelegenheit gefunden, nunmehr gerade auf das hinzuweisen , was dem Anfänger zu wissen nottut. Getrost darf der letztere ihm folgen , besonders beim Studium der verzwickten Formen des türkischen Verbums . Aber auch hier gilt das Sprichwort : „ sahmetssis bal jenmes " , d . h . ohne Mühe wird der Honig nicht gegessen . Die vorliegende Arbeit bedarf keiner weiteren Empfehlung. Die Ausstattung und der Druck, besonders der türkische, ist sehr gut und die beigefügte Karte sowie das Wörterverzeichnis dürften vielen willkommen sein . Wenn nachstehend einige Wünsche erwähnt werden , so bilden diese keinen Tadel. Die Ansichten über das zu Gebende sind verschieden ! Es betrifft dies z . B. die ausführlichere Erklärung der Harekets, der Nunation (tenwin), des teschdid oder der Verstärkung (z. B. im Worte ewwel, das im Werke immer mit einem w geschrieben ist) , ferner die Yzafet- Konstruktion , die Sonnen- und Mondbuchstaben und die Schreibweise des qaf zum Unterschiede von kef. Eine häufigere Anwendung der Akzente, besonders bei den Unmöglichkeitsformen des Verbums, würde die Aussprache erleichtern . Das Hilfszeitwort haben“ bei bestimmten und unbestimmten Gegenständen, beide Male für 99 wirkliches Eigentum" und zufälliges Innehaben " , macht dem Anfänger meist große Schwierigkeit. Eine übersichtliche Zusammenstellung von Beispielen in dieser Hinsicht dürfte manchem . die Arbeit erleichtern . Erwünscht wäre , wenigstens vom Standpunkte des Besprechers , die Angabe von Ratschlägen für die erste Lektüre, die Wahl eines Lehrers in der Türkei, die Angabe von Türkizismen , die Anführung von mehr Sprichwörtern, da diese besonders leicht im Gedächtnisse des Lernenden haften , und von möglichst vielen Wörtern über die
.
Literatur
888
Wetterbeschaffenheit, da letztere ja in der Unterhaltung, ebenso wie bei uns, eine große Rolle spielt. Einzelne Druckfehler sind bei der nächsten Auflage zu verbessern, z . B. auf S. 49 , 50 , 55 , 59 und 70 (dort Akzentuierung). Über die Aussprache der Wörter emta, elemek und redscha ( emti'a, ejlemek und ridscha) entscheidet Gehör und Ansicht. Das vortreffliche Buch kann warm zur Beschaffung empfohlen werden . Generalleutnant z . D. Imhoff - Berlin . Ungarn . Eine mitteleuropäische Entdeckung. Von Joseph Aug. Lux. München 1917. C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlang, Oskar Beck. 355 S. Geb. 6,50 M. „ Mitteleuropa“ ist heute ein politisches Programm, an dessen Durchführung eifrige Köpfe und Hände tätig sind . Die Arbeit, die sie für den militärischen , wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenschluß der verbündeten Völker leisten , ergänzt dieses Buch, „ das die seelische Annäherung der Mittelmächte" fördern will, in eigenartiger und glücklicher Weise. Der Verfasser zeigt uns die geographische, historische und kulturelle Struktur der „ Magna Hungaria " , führt uns nach „ Budapest" und gibt uns „Bilder von Land und Volk" . Aber er „ registriert, rubriziert und katalogisiert nicht" , sondern reist im Land umher, sieht die Dinge mit den Augen des Künstlers und schildert sie in Bildern , die plastisch und voller Farben sind . So wird aus Ungarn wirklich „ eine Entdeckung". Ungarn , das vielen von uns früher nur ein Land war, das hinter Österreich liegt, in dem es separatistische Strömungen, Honvedhusaren , Parlamentsszenen und Zigeunerkapellen gibt. Was man hier von ungarischen Staatsangehörigen kennen lernte , waren zumeist auch gar keine Magyaren . Lux macht uns das Volk sympathisch , das, keinem seiner Nachbarn verwandt, den Schatz seiner eigenen historischen und kulturellen Güter leidenschaftlich hegt. In dem Buch ist fremdes lebendiges Leben . Wir müßten nicht Deutsche sein , wenn uns das nicht seltsam lockte. Über den Schilderungen liegt etwas wie der Schein eines helleren Himmels , und zwischen den Zeilen klingt etwas wie ungarische Musik . Als ich das Buch beiseite legte , verstand ich meinen Kameraden , der sich von jedem Jahr nur die Erholung Ev. wünschte eine Woche in Budapest zu sein .
Meine M.G.K. · Gehring. München.
Kriegserlebnisse in Ostpreussen .
Von Herbert
C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck.
Die Maschinengewehr- Kompagnie wurde von dem Truppenübungsplatz Altengrabow in die Gegend von Lyck und Lötzen gebracht, als die Russen , trotz ihrer früheren Niederlagen bei Tannenberg und an den Masurischen Seen, einen erneuten Vorstoß über die Ostpreußische Grenze unternahmen . Die M.G.K. hatte bei den Verteidigungskämpfen in der Gegend von Lyck vielfach Gelegenheit, in die Kämpfe erfolgreich einzugreifen . Für das eigentliche kriegsgeschichtliche Studium enthält das Buch wenig, zumal da jede Angabe über das Datum, über die Truppenbezeichnung , die Verbände, die Namen der Offiziere usw.
Literatur. wohl aus Zensurgründen vermieden ist.
89 Der Wert der Darstellung
liegt aber auf einem anderen Gebiete. Der Leser erhält eine sehr lebendige und anschauliche Schilderung von dem Leben im Felde und von den vielen Schwierigkeiten, die die Truppen auf dem Marsche, in der Unterkunft und im Gefechte zu überwinden hat. Sie treten gerade bei der M.G.K. besonders hervor, weil dieser Verband eine verhältnismäßig große Selbstständigkeit besitzt. Das schwere Ringen der deutschen Truppen an den Seen- Engen gegen die gewaltige russische Überlegenheit, die Russenverwüstungen , zahlreiche Heldentaten des deutschen Soldaten, die herrliche Stimmung der Truppe werden eingehend geschildert. Das gut geschriebene Buch liest sich leicht und gibt ein ungefärbtes wahrheitsgetreues Bild vom Leben im Felde . v. S. Von B. L. Freiherr von Mackay. Völkerführer und Verführer. Literarische Anstalt. Rütten und Loening. Frankfurt a. M. 1917 . Die führenden Staatsmänner Großbritanniens , Frankreichs , des Balkans, der Türkei und Rußlands werden hier vielfach auf Grund persönlicher Beziehungen und Beobachtungen charakterisiert. Das ist gewiß schon für viele ein Grund , dies Buch nicht unbeachtet zu lassen. Nimmt man nun aber noch dazu , daß dies in einer so anschaulichen Darstellung geschieht, daß sich die Personen dem Leser unwillkürlich plastisch gestalten , so darf man getrost sagen, daß keiner, auch wer etwa gegen ihre Wertung manchmal Bedenken haben sollte , L. das Buch unbefriedigt aus der Hand legen wird . . ,,Die schönsten Märchen des Baltenlandes." Von A. von Löwis of Menar. Verlag Felix Lehmann, G. m. b. H. Berlin -Charlottenburg. Preis 3 M. „Märchen und Sagen aus den baltischen Provinzen “ bietet der Verfasser dar, in ihrer ganzen Volkstümlichkeit und Eigenheit. Die Sagen führen bis in die Zeit der Eroberung Alt-Livlands zurück, die Märchen lassen einen Einblick in das bäuerlich- harmlose und tiefe Empfinden des nordischen Volkes tun . Proben epischer Gedichte des Estenvolkes vervollständigen das Ganze . Reicher Buchschmuck von R. von Hörschelmann verschönt den interessanten Band nach der äußeren Seite. M. D. Historisch-politische Jahresübersicht für 1916. Von Gottlob Egelhaaf. Carl Krabbe Verlag Erich Gußmann in Stuttgart. Geheftet 3 M., in Leinen gebunden 3,80 M. Je mehr sich in der Gegenwart die übermächtigen Ereignisse drängen, und je mehr dem Miterlebenden dabei die historische Perspektive verloren geht, um so mehr ist uns ein Führer willkommen , der die Geschehnisse eines abgegrenzten Zeitraums in geordneter und objektiver Darstellung, kurz und unter Hervorhebung des dauernd Bedeutsamen (so weit sich das aus so geringer Entfernung beurteilen läßt) vor unserer Erinnerung nochmals vorüberziehen läßt. Ein solcher Führer will Egelhaafs historisch- politische Jahresübersicht sein , deren neunter Jahrgang die politischen und militärischen Ereignisse
90
Literatur
des In- und Auslandes in großen Zügen schildert. Das kleine Buch kann jedem politisch Interessierten und wer ist das heute nicht und jedem, der in dem Gewirr täglicher Pressenachrichten nach Ev. großen Zusammenhängen sucht, von Wert und Nutzen sein.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des ver. fügbaren Raumes . Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt. )
1. Grande, Großbritannien und sein Heer. Zürich 1917. Art. Institut Orell Füßli. 4 Fr. Zürich 1917. Art. Institut 2. Bader, Ich bin ein jung Soldat. Orell Füßli. 3 Fr. 3. Döring, Das Lebenswerk Immanuel Kants . 2. Aufl . Lübeck. Verlag von Charles Colemann . Brosch. 3 M., in Leinen geb. 4 M. 4. v. Janson, Des großen Königs Erbe . Berlin 1917. Verlag von Gebr. Paetel (Dr. Georg Paetel). geb. 2 M. 5. Unsere Bundesgenossen. Ein Buch für die Feldgrauen im Ost und West. Stuttgart und Berlin 1917. Deutsche Verlags - Anstalt. Geh. 1 M. 6. Deutschlands Zukunft bei einem guten und bei einem schlechten Frieden. München 1917. J. F. Lehmanns Verlag . 1 M. Bei Bezug von 100 Stck. 0,80 M. , bei 300 Stck. 0,70 M. , bei 500 Stck. 0,60 M., bei 1000 Stck. 0,50 . 7. Wahlen, Beiträge zur Ballistik. Sonderabdruck aus dem Archiv der Mathematik und Physik. 25. Band . 3. Heft. Leipzig 1916. 8. Luerssen, Die Waffen hoch ! Doch welche Waffen ? BerlinSteglitz 1917. Verlag Kraft und Schönheit. 1 M. 9. Kissling- Valentin, Bismarck und die Frauen . Grethlein & Co. G. m. b . H. Geb. 6,50 M.
Leipzig, Verlag
10. Engelbrecht, Das große Friedensziel. Ein Wort, das nicht überhört werden darf. Halle (Saale) . Richard Mühlmann Verlag (Max Große). 1 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z. D. H. Rohne) enthält u . a. folgende Arbeiten : Rohne, Generalleutnant z. D.: Über die Prüfung von Treffbildern. v. Richter, Generalmajor z. D.: Die gezogenen Geschütze der Fußartillerie seit ihrer Einführung.
Narath, Oberleutnant a . D.: Über Laufsprengungen . Das Heft ist zum Preise von M. 5.- ( Doppelheft) durch jede Buchhandlung zu beziehen. Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber) , Potsdam,
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Mitteilung für die Herren Mitarbeiter. Die Herren Mitarbeiter werden aus Gründen erleichterter Drucklegung höflichst gebeten, die Blätter der Handschriften nur auf der einen Seite zu beschreiben Rückseite also frei zu lassen, ferner, zur Vermeidung von Druckfehlern, besonders Eigennamen recht deutlich schreiben zu wollen. Die Jahrbücher" bedienen sich der neuen Rechtschreibung. Die Entschädigung für die aufgenommenen Beiträge wird am Schlusse jeden Vierteljahres geleistet.
VIII .
Bewegliche Defensive . Von Rhazen, Generalleutnant z. D. (Schluß . )
Was kommen sollte , worfen.
hatte seine Schatten schon im voraus geGewaltsame , im übrigen für unsere Gegner ergebnislos , aber
schwer blutig
verlaufene
Erkundungen,
wenn ihre Ergebnisse sofort
die
doch nur Wert haben ,
ausgenutzt werden ,
Fliegeraufklärungen und Artilleriekämpfe von seltener Heftigkeit bildeten sie, besonders auch zwischen Lens und Arras, aber auch in der Champagne . Diese
Überzeugung zu gewinnen bedarf es nur eines Blickes in die Tagesberichte der Obersten Heeresleitung vom 25. März ab , in denen auch Bewegungen im Raume von Soissons angegeben werden , wie andrerseits die Briten nach Norden über den Wytschaetebogen hinaus bis zur Küste Artilleriekämpfe und tastende Erkundungsstöße aufnahmen . Schwerer Geschützkampf, bald zum Trommelfeuer übergehend , auch in der Nacht nicht unterbrochen, verschwindet für den Frontabschnitt Lens bis Neuville Vitaise (südlich Arras) nicht mehr von der TagesZusammengesetzte Fliegergeschwader versuchen auch die
ordnung.
Artillerieaufklärung zu ergänzen , mit dem Ergebnis eigener Vernichtung . Aus Erfahrung war zu schließen , was baldigst folgen mußte . Vor der britischen Front begann am 9. April, Ostermontag , angespornt durch den zur Hebung der Moral Beitritt Amerikas, die Erfüllung.
reichlich
ausgenutzten
Am 9. April meldet der Tagesbericht der Obersten Heeresleitung von der Heeresgruppe Kronprinz
Rupprecht :
„ Zwischen Lens und
Neuville -Vitaise erreichte der Artilleriekampf gestern wieder die größte Heftigkeit.
Seit heute vormittag ist nach mehrstündigem Trommel-
feuer die Schlacht von Arras im Gange . Im Gebiete zwischen den von Albert auf Cambrai und Péronne führenden Straßen haben sich kleine Gefechte entwickelt, die den von uns beabsichtigten Ver8 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 552.
92
Bewegliche Defensive.
lauf nahmen "
während bei der Heeresgruppe Kronprinz verstärkter
Artilleriekampf von Soissons bis in die westliche Champagne , bei Heeresgruppe Albrecht von Württemberg in Lothringen und der Burgundischen Pforte zeitweilig rege Feuertätigkeit festgestellt wurde. Bei beiden letzten Heeresgruppen zunächst Vorspiel und Täuschungsversuch, im Raume Arras erster Akt eines gewaltigen Schlachtendramas , das wiederholte Aufführungen erleben sollte , bis nach sechs Wochen , Pause eintrat.
etwa Ende Mai erst ,
eine
Am 10. April lautete der Bericht : „ Die Schlacht bei Arras dauert an. Nach mehrtägiger Wirkung starker Artillerie- und Minenwerfermassen griffen die Engländer gestern morgen nach heftiger Feuersteigerung in 20 km Breite unsere Linien an . In hartem Kampfe glückte es ihnen ,
in unsere Stellungen an den von
Arras ausstrahlenden Straßen einzudringen , ein Durchbruch ist ihnen miẞlungen. In zähem Ausharren gegenüber Überlegenheiten hatten zwei unserer Divisionen erhebliche Verluste. " selben Tage brach bei Laffaux,
nordöstlich von
zösischer Erkundungsangriff
unserem Feuer
in
An dem-
Soissons, ein franzusammen und war
längs der Aisne und bei Reims das Artilleriefeuer besonders lebhaft. Die erste Arrasschlacht zeigte dasselbe Bild , wie alle bisherigen Offensiven,
ohne mit dem Nichterreichen des deutlich aus-
gesprochenen Zieles auch an das Ende zu gelangen . Eine Reihe von wütenden Offensiven war noch zu erwarten. War doch den britischen Truppen gesagt, man unternehme die letzte Offensive, die höchstens vier Wochen bis zu ihrem vollen Gelingen dauern könne. Der erste Ansturm in der „ Übermaterialschlacht " , dem
zum
mindesten im Faktor Zeit immer ein Moment der
Überraschung
innewohnen
kann ,
brachte
taktischen
Gewinn .
Der Hauptsturm brachte die Briten in den Besitz der Linie südlich Lens -Givenchy en Gobelle- Thélus - Athies (östlich an der Scarpe), Nebenaktionen in
Richtung auf Cambrai bis Hermies ,
Wald von Havrincourt und in Richtung auf St. Quentin , nördlich der Stadt über Le Vergnier. Der 10. vervollständigte den Gewinn durch Monchy,
südlich Arras ,
und durch Farbus ,
auf
dem Höhenzuge südlich Vimy. Am 12. April kündigte ein Kommentar des französischen Kriegsministers zur Schlacht von Arras schon ein Stocken des britischen Vormarsches an, durch die Bemerkung,
man dürfe
nicht erwarten ,
daß das Vorwärtskommen der Briten das gleiche Tempo wie an den vorhergehenden Tag beibehalten werden " . daß die erste Etappe der Umwandlung
Schon damals war es klar, des taktischen
Erfolges in
93
Bewegliche Defensive.
strategische Operationsfreiheit, der Durchbruch , nicht gelingen werde. Man hatte britischerseits die außerordentlich nahe liegende Überlegung angestellt, man werde vom Schultergelenk des Drehpunktes dem ganzen Knochengerüste am besten beikommen und der neuen deutschen Linie in die Flanke , wenn nicht gar in den Rücken fallen können . Daß die deutsche Oberste Heeresleitung diese Absicht nicht merken werde, war wieder eine falsche britische Annahme. Der kritische Moment für den Verteidiger war mit dem stark gesunkenen Vorbewegungstempo des Angreifers schon vorbei, auch Kavallerieangriffe und Tanks waren zusammengebrochen . Der im Bericht vom 11. April bei
Bullecourt
als neu ent-
brannt genannte Kampf wurde am folgenden Tage als durch Gegenstoß zu unseren Gunsten entschieden bezeichnet . Von Soissons bis Reims wütet schwerer Artilleriekampf weiter, der sich bald bis in die westliche Champagne Dinge ankündigt .
ausdehnte und
dicht
bevor stehende
Für die deutsche Oberste Heeresleitung, dank der
fast souveränen Herrschaft ihrer Flieger erkennbar, von den Franzosen aber doch in den Vorbereitungen, zum Teil durch Trommelfeuer anders als sonst betrieben , da sie anscheinend das Aufkommen des Gedankens an eine größere Angriffs absicht bei uns vermeiden wollten. Während Feldbahn auf Feldbahn im Rücken der Franzosen entstand, Batterien, darunter auf Bahnschienen verschiebbare,
zu Batterien traten ,
während in
Schweizer Zeitungen Nach-
richten von häufigen Truppenverschiebungen lanziert wurden und man die besten Korps vor Craonne und Berry au Bac bereitstellte, sollten die Deutschen (deren rückwärtige Verbindungen wenig litten, während die Linien der
ersteren
und ihre
Riegelstellungen
unter starkem
Feuer lagen) , die seit März aber schon die Truppenhäufungen durch Gefangene kannten, in eine gewisse Sicherheit gewiegt werden und sollten über sie auch die berühmten „ chars d'assaut " , die Tanks , beim Angriff hinweg rollen . Am 15. war erkennbar, daß die britische Stoßkraft zunächst verbraucht war. Deutsches Vernichtungsfeuer brach auch auf dem Nordufer der Scarpe, nordöstlich Croisilles, britische Angriffswellen nieder. Nördlich der Straße Arras - Cambrai warfen wir im Vorstoß die
Briten
genommen.
auf
Lagnicourt
zurück,
22
Geschütze
Verluste waren schwer, wie wir sehen werden , auch als leicht bezeichnen. Nun
wurden
sogar
Das Ziel der britischen Angriffe war nicht erreicht, die
setzte
am
16.
April
der
wenn die Briten sie
französische
Vorstoß
zwischen Soissons und Reims ein , der sich bald bis Auberive , 8*
94
Bewegliche Defensive.
auf 70 km Breite , ausdehnte und auch sein Ziel , wie im voraus bemerkt sei, verfehlte. Der Schweizer Oberst Eggli, auf dessen interessante Auslassungen wir noch zurückzukommen haben werden , hat das Mißlingen der britisch-französischen Durchbruchversuche vor allem einem Faktor zugeschrieben, der mangelnden Einheit der Handlung , ja noch mehr der fehlenden Einheit des Oberkommandos , die die Entente bis jetzt trotz allem
nicht herzustellen wußte .
Mißerfolge haben auch andere Gründe , „ Beweglicher Defensive "
Die
die zum Teil in Hindenburgs
auf der inneren Linie liegen ,
und
was die
mangelnde Einheit des Oberbefehls anbetrifft , so wissen wir's seither, daß dieser tatsächlich in der Hand des 99 Blutsäufers " Nivelle gelegen hat. Der Tagesbericht vom 16. April
meldet
von der
Heeresgruppe
Deutscher Kronprinz : Zwischen Oise und Aisne sind gestern durch starkes Feuer vorbereitete Angriffe der Franzosen bei Vauxaillon und Chivres gescheitert . Von Soissons bis Reims und im Westteil der
Champagne
hat
der
Feuerkampf
Artillerie und Minenwerfern angehalten .
bei
stärkstem Einsatz von
Nach
Erkundungsvorstöße am 15. April ist heute schnitten die Infanterieschlacht entbrannt. "
Scheitern
Morgen
feindlicher
in breiten Ab-
Der Bericht vom folgenden Tage umrahmt die Ereignisse fester : „ An der Aisne ist eine der größten Schlachten des gewaltigen Krieges und Seit dem 6. d. M. hielt undamit der Weltgeschichte im Gange . unterbrochen die Feuervorbereitung mit Artillerie und Minenwerfen an, durch die die Franzosen in noch nie erreichter Dauer, Masse und Heftigkeit unsere Stellungen sturmreif, unsere Batterien kampfunfähig. Am 16. frühmorgens unsere Truppen mürbe zu machen suchten . setzte von Soupir an der Aisne bis Bétheny nördlich Reims, der auf einer Front von 40 km mit ungeheurer Wucht von starken Infanteriekräften geführte und durch Nachschub von Reserven genährte , tiefgegliederte französische Durchbruchsangriff an . Am Nachmittag warf der Franzose neue Massen in den Kampf und führte starke Nebenangriffe gegen unsere Front zwischen Oise und Condé sur Aisne. Bei dem heutigen Feuerkampf, der die Stellungen einebnet und breite, tiefe Trichterfelder schafft, ist die starre Verteidigung nicht mehr möglich. Der Kampf geht nicht mehr um eine Linie , sondern um eine ganze tiefgestaffelte Befestigungszone. So wogt der Kampf um die vordersten Stellungen hin und her mit dem Ziele , Kriegsgerät verloren geht, lebendige Kräfte
selbst wenn dabei
zu sparen , den Feind durch schwere , blutige Verluste Diese Aufgaben sind, dank der entscheidend zu schwächen.
95
Bewegliche Defensive.
vortrefflichen Führung und der glänzenden Tapferkeit der Truppen Am gestrigen Tage ist der große französische Durchbruchserfüllt. versuch,
weit gesteckt war,
dessen Ziel sehr
gescheitert ,
sind die
über 2000 Gefangene in
blutigen Verluste des Feindes sehr schwer,
Wo der Gegner an wenigen Stellen in unserer Hand geblieben . Neue feindliche unsere Linien eingedrungen , wird noch gekämpft . Kampf
Heute morgen ist der
Angriffe sind zu erwarten.
in
der
Champagne zwischen Prunay und Aubérive (Ausdehnung der Front Das Schlachtfeld dehnt sich damit von der auf 70 km) entbrannt. Oise bis in die Champagne aus. “
Der neue
Bericht
deutet
Kampfesweise
wohl
nicht
verständlich
mehr um
genug
eine starre
die
Linie ,
sondern um eine ganze tiefgestaffelte Verteidigungszone , den Übergang von der starren Verteidigung zur „ Beweglichen Defensive " an . Aus einem Befehl, den noch während des schwersten Trommelfeuers in französische Gräben
eingedrungene Stoßtrupps
einbrachten,
sind die Ziele bekannt geworden, welche die französische Heeresleitung dem am 16. begonnenen Angriff gesteckt hatte .
Die Bilanz zwischen
diesen Zielen und dem Erreichten beweist schlagend, daß das Ergebnis für unsere Gegner blutig erkaufte Nieten waren. „ Die Stunde ist gekommen "
gab Nivelle
bekannt .
Die
Stunde
hielten
Führer und Truppe für die Schlacht für gekommen , die den großen Wendepunkt des Krieges geben , die Kronprinzenarmee ,
nach Vorbereitung von drei bis fünf
Monaten , mit furchtbarer Gewalt durchstoßen und auseinander reißen sollte . vorgebildet,
Amerikas
Angriffsdivisionen waren dazu besonders
Beitritt
peitschte
auch die Angriffslust und
Zuversicht auf. 28 Divisionen bester Korps in erster Linie , 33 unmittelbar dahinter in Reserve , 20 weiter rückwärts ,
zum
Teil im
Antransport ,
dazu
7
Kavallerie-
divisionen , hatte man als Mauerbrecher gegen die Kronprinzenfront bereitgestellt. So sind von Soissons bis Aubérive 81 frische an der Zahl, 23 zweimal, 2 dreimal im ganzen 106 Divisionen angelaufen , die kaum unter 250000 Mann verloren. haben dürften . Das XXXII . Korps hatte, beiderseits der Aisne vorgehend, am ersten Tage nach Durchbrechen der deutschen Front, bis in die Linie Aumenancourt- Brienne - Proviseux -Prouvais vorzustoßen.
Südlich hatte die 37. Division gleichfalls nach Durchbruch
der deutschen Front, Merlet, vorzudringen,
bis nach Suippes, zwischen Prainville und nach Süden einzuschwenken und südlich
Aumenancourt den Anschluß an den rechten Flügel des XXXII . Korps
96
Bewegliche Defensive .
zu gewinnen.
Anschließend an die 37. Division sollte die 14. Fort
Brimont und die östlich anschließenden Stellungen nehmen . Grundgedanke auf diesem Teile des Schlachtfeldes waren weitklaffternde , nach Osten gerichtete Umfassungsbewegungen gegen den Teil der deutschen Stellungen bei Brimont. Am Tage nach dem Beginn der französischen Angriffsbewegungen war die Unerreichbarkeit dieses weiten Zieles schon erkennbar. Wohl hatten zehn Tage unausgesetzten Trommelfeuers aus allen Kalibern die ersten deutschen Linien in eine Trichtermasse verwandelt, wohl waren die Franzosen an einigen Stellen in die frühere erste Linie eingedrungen,
zumal,
in
richtiger
Erkenntnis
der
Lage
und zur Schonung des kostbaren Menschenmaterials, die frühere erste An vielen Stellen war es Linie von uns nur dünn besetzt war. am Nachmittag des 16. schon gelungen, angriffe hinauszuwerfen . 10
km
hinter
die
zösische Befehle die
deutsche
den
Gegner
Stellung
Korps und Divisionen
durch Gegen-
haben fran-
gewiesen .
Nichts
davon war trotz schwerster Opfer erreicht. Konnte man am Offensive sei
17. abends
gescheitert,
bereits
weil sie
aussprechen ,
die
große
den Atem verloren
und
zum Stehen gekommen , so verstärkte das Ergebnis des fast unausgesetzten Ringens der folgenden Tage dieselben Eindrücke . Auf dem Schlachtfelde an der Aisne ruhte am Morgen der Kampf, Durchbruchsstoß
wurde,
nach
dem
Mißerfolg
des
der
vorhergehenden
Tages und der Wirkung der erlittenen Verluste, mit den abgekämpften Divisionen nicht fortgesetzt.
Erst am Abend erfolgten wieder Teil-
angriffe . Sturmwellen brachen auf dem Bauretrücken, an der Höhe von Craonne und nordwestlich des Waldes von Ville aux Bois, bei Godat und Courcy und an dem Aisne - Marne-Kanal zusammen , der Champagne wurde ein Angriff aus 20 km Breite in der stellung
aufgefangen.
Ein
einsetzender
Gegenstoß
in
Riegel-
zwischen
Au-
bérive-Maronvillers nahm dem Gegner eine große Zahl von Gefangenen ab, 26 Tanks lagen, durch Feuer zerstört, auf der Strecke . Weder am Chemin des Dames, noch bei Craonne,
noch bei Brimont.
wo die Russen wiederholt vorgetrieben wurden, trat ein Erfolg ein . Nordwestlich von Aubérive dauerte der Kampf noch an. Wohl nahm am 19.
die Doppelschlacht
ihren Fortgang,
an der Aisne und in
wohl wurde der
der Champagne
Umfassungsversuch
von
Brimont
wiederholt, hatten die Franzosen bis dahin mehr als 30 Divisionen eingesetzt, und zwar seit der Sommeschlacht für den Durchbruchskampf und Verfolgungsmärsche besonders ausgebildete . traten aber an die Stelle des allgemeinen,
Teilangriffe
und am 21. April haben .
97
Bewegliche Defensive. die außerordentlich schweren Verluste, Lorettokämpfe hinausgingen, gezwungen.
die über die
den Franzosen
blutigsten
der
eine Kampfpause auf-
Am 23. April setzte wieder ein großer britischer Vorstoß bei Arras ein. Werfen wir aber vorher einen kurzen Rückblick auf Ziel , Verfahren und Erfolg unserer ersten Phase der schweren Kämpfe.
Gegner
in der
Beiderseits des von uns geräumten Gebietes entwickelten unsere Gegner, räumlich und zeitlich getrennt, gewaltige Angriffsoperationen bei Arras, an der Aisne und in der Champagne. Sie ergeben sich augenscheinlich als Teilaktionen des ursprünglichen großen Gesamtplans, der einen gemeinsamen gleichzeitigen Angriff von Arras , Champagne vorsah .
über
das
Sommegelände
durch Druck von Norden und Süden Front
unterstützt
hinweg,
bis in
die
Ein wuchtiger Angriff von Westen sollte offenbar
und
zu
einer
auf
die
Flügel der deutschen
„ Übermaterialschlacht "
ge-
staltet werden . Diesem großzügigen Plan brach Hindenburgs geniale Rückverlegung der deutschen Front zwischen Arras und Soissons das Mittelstück heraus und verursachte dem Gegner damit,
wollte er
in der bisherigen Weise, Druck gegen Druck, verfahren , einen Zeitverlust von Monaten.
So lange konnte dieser, bei dem steigenden
Pressen der Schraube des U- Bootkrieges nicht warten . Mit den übrig gebliebenen Flügeloffensiven mußte, wollte er nicht willenlos die Folgen des U-Bootkrieges erdulden , unser Gegner beiderseits der geräumten Zone die Entscheidung suchen .
Die deutsche
Heeresleitung schrieb damit wir wiederholen dies der ausschlaggebenden Bedeutung wegen - unsern Gegnern den Termin für ihre Versuche durch den U- Bootkrieg und den Raum für diese durch die Rücknahme des breiten Frontstücks vor .
Sie gab
also
das
Gesetz des
Handelns ,
indem sie
den Gegner zu Entschlüssen zwang , die er ursprünglich So wurde zuin ganz anderer Gestalt vorgesehen hatte. nächst der britische Angriff bei Arras, entsprechend
dem
trotz
ursprünglichen
der
veränderten Lage ,
Plane ,
nur
mit
stärkerer Materialhäufung, in der man das Heil sah, angesetzt.
noch Nach
den sonstigen Erfahrungen entsprechenden Anfangserfolgen sprach die am 14. hier eingetretene Gefechtspause schon das sichere Urteil , daß die Briten nicht in der Lage waren , ihren taktischen Erfolg auszubauen.
Staffelförmig erfolgte dann der französische
Ansturm , der ebenso wenig sein Ziel erreichte und am 21. April zu einer Kampfpause kam und wiederum bewies, daß in über 17 km Frontbreite den Franzosen.
die bei
Brimont die
Russen
nochmals
98
Bewegliche Defensive.
ins Feuer trieben ,
die schwersten
Opfer
aufgebürdet
wurden.
Des
„ Blutsäufers “ Nivelle Truppenverbrauch steht im schreiendsten Widerspruch zu den erreichten Ergebnissen trotz der Dreadnoughts des Landheeres, die zu Dutzenden auf der Strecke blieben. Wollten unsere Gegner ihr Ziel erreichen , so mußte mindestens auf einem der Flügel des geräumten Gebietes, der taktische Durchbruch und dessen strategische Auswirkung gelingen .
Das geschah nirgendwo .
Oberst Eggli streift die ihm unerklärlich erscheinende Tatsache . daß Briten und Franzosen in der genannten Weise zu verschiedenen Zeiten angriffen wir haben sie schon oben berührt da die Deutschen aus diesem Verfahren großen Nutzen für die Verwendung ihrer Reserven schöpfen konnten . Er weist darauf hin , daß hinter der Linie Cambrai - St. Quentin - La Fère bereitgestellte Heeresteile in verhältnismäßig kurzer Zeit sowohl bei Arras , als bei Reims eingreifen konnten .
Sie waren nach beiden Seiten in der Lage, sich
einem gelungenen Durchbruch entgegenzuwerfen ,
namentlich
einem
von Arras gemachten Vorstoß nach Ost in die Flanke zu fallen, sobald er den Raum nördlich Cambrai erreichte . Er kommt wieder zu dem Schlusse,
daß Unstimmigkeiten im Zusammenarbeiten der
britischen und französischen Heeresleitungen bestanden , weil ein über beiden stehendes Oberkommando gefehlt hatte . Darauf hinweisend , daß die am 9. April begonnene, britische Offensive zweifellos eine Durchbruchsschlacht größten
Stils sein
sollte ,
bei der man
alle bisherigen Kriegserfahrungen auszunutzen dachte, hält er es für wichtig, auf die Änderungen hinzudeuten , die seit der Sommeschlacht Der Zusammendrängung der im Kampfverfahren eingetreten waren . Artilleriefeuerwirkung auf wenige Tage spricht er Vorteile zu , fährt dann aber fort : „ Der Nachteil des Angriffsverfahrens mit völliger Durchpflügung des Geländes, in dem sich die eigentlichen Stellungen befanden, hat sich auch diesmal wieder geltend gemacht. Als die Engländer 5 km weit in die deutsche Stellung hineingestoßen waren, konnte die schwere Artillerie nicht rasch genug folgen, und als sie am 11. versuchten, über Fampou hinaus weiter vorzudringen, wurden sie abgewiesen . Die Tanks blieben zerschossen zurück, die vorstürmenden Angreifer brachen im Feuer zusammen. Auch Kavallerie konnte die deutschen Stellungen nicht überrennen und erlitt furchtHier hat also bare Verluste. das aus französischer Artillerieverwendung und russischen Massenangriffen zusammengesetzte Angriffsverfahren versagt. " In der nächsten Schlacht, meint er, werde es den Allierten vielleicht möglich sein, die in der Verzettelung der Angriffe liegenden Nachteile zu vermeiden und wieder zur „ unité d'action" zu gelangen. Aber die im
99
Bewegliche Defensive.
Verfahren selbst liegenden grundsätzlichen Nachteile könnten sie nicht überwinden. Unserer Ansicht nach hatte das taktische Verfahren der Briten bei Arras,
der
Franzosen
an
der Aisne und in der
Champagne
aus der Sommeschlacht die Lehre gezogen , durch Massenwirkung der Artillerie die vorderste Verteidigungslinie niederzukämpfen, um mit der eigenen Infanterie ohne zu schwere Verluste über diese Stellung wegzukommen. Die Verteidigung hatte gelernt , feuer
dem
zerwühlenden und einebnenden TrommelSicherheitsbesatzungen entgegen-
nur schwache
zustellen und den eigentlichen Infanteriekampf gegen die feindliche Infanterie erst hinter der ersten Linie zu führen.
Das ganze System hintereinander
Infanteriestellungen
hat
den
höchsten
liegender
Zweck
darin ,
den feindlichen Angriff durch immer neue Hindernisse allmählich ersticken zu lassen . Dieser Zweck ist feindAngriffen
lichen worden .
gegenüber
von
uns
stets
erreicht
Auch in der neuesten und größten Schlacht der Welt-
geschichte bewährte sich das System besonders durch die Verbindung mit taktischen Handlungen des Bewegungskrieges , also mit „ beweglicher Verteidigung". An die Stelle der befestigten starren Linie früherer Zeiten trat die befestigte Landschaft . Die taktische Absicht geht dahin , eine möglichst große Summe aufhaltender Momente zu schaffen . Dadurch wird nicht nur die Bewas als wegung des Angreifers langsamer und kann schließlich ― eine
rein taktische Verteidigungsabsicht
angesehen
zum endgültigen Stillstand gebracht werden,
werden
sondern
kann
es wird auch
operativ die Möglichkeit gegeben , Reserven heranzubringen und den Durchbruch durch das ganze System zu verhindern. Führen wir auch die neutrale Stimme des 99 Bund" noch an , die davon
sprach,
daß,
so
lange
deutschen Verteidigungslinie
die beiden
Stützpunkte der ersten
Fort Brimont am rechten ,
Lens
am linken Flügel , nicht entwurzelt wären, diese Linie nicht als erledigt betrachtet werden könne, da der Durchbruch zwischen diesen Schwingpunkten der allgemeinen Bewegung nicht erfolgt, sondern die Linie nur eingebeult sei. Armee Horne
Ehe
Lens
immer vor dem großen Kanalsystem Vorstellung fortzusetzen . scheinbar
nicht entwurzelt
sei ,
sei
die
schwerlich in der Lage, den Angriff auf die noch
neuerdings
Im
zu
Raume
Witterungs-
und
denkende
zweite
deutsche
Cambrai - St. Quentin Geländeschwierigkeiten
seien im
höchsten Maße geltend geworden . Dazu komme der Widerstand, der von den Deutscken in der Form örtlicher Gegenangriffe ge-
Bewegliche Defensive .
100 leistet
werde
und
zur
Vorsicht
mahne .
St. Quentin wirkte als
mächtiger Brückenkopf , der zwar von drei Seiten umfaßt sei , aber sehr schwer entwurzelt werden könne. Das spreche für die geniale Anlage der neuen deutschen Siegfriedstellung. Es handelt sich,
schloß 99 Bund ",
auf der großen Front
von Loos bis Aubérive
(morgen vielleicht von La Bassée bis zu den Argonnen) um eine Bekämpfung in vorderer Linie einer frontalen Verstrickung gewaltiger Kräfte, aber nicht mehr , oder noch nicht wieder , um eine in raschem Zuge zur Entscheidung führende Schlacht , wobei festzustellen bleibt, daß ab- und zuströmend mindestens. 100 Divisionen im Feuer liegen .
Britische Kritikerstimmen ließen
sich angesichts der Hartnäckigkeit der englischen Angriffe im Raume von Arras über den Schauplatz des Ringens vernehmen, den sie aus zwei Hauptgründen als den nach Hindenburgs Rekonzentration für England wichtigsten Teil der Westfront bezeichneten.
Zunächst müsse Hindenburg, wenn er überseine Offensive gegen die Flügel der britisch - französischen Front richten , da er sein Zentrum
haupt etwas plane,
zurückverlegt habe.
Auf dem rechten deutschen Flügel habe er
die Linie von Arras halten müssen, wenn er je wieder die Möglichkeit haben wollte, in Richtung auf Ypern anzufassen . Gehe diese Linie verloren, so sei es auch mit ganz Flandern und mit dem Zusammenwirken von Armee und U- Booten der Fall. Da aber das Schwergewicht in den nächsten Monaten auf See zu suchen sei . so müßten die Briten die Linie nördlich Arras durchbrechen und so mit dem Landheere der Flotte
in ihrer gewaltigen Aufgabe helfen.
Dann sei Lille, der größte Bahnknotenpunkt Frankreichs , ein gewaltiger Magnet und schon French habe 1914-15 um diesen Schlüssel zu Flandern seine Schlachten geschlagen .
Anderseits suchte der Gegner Ausreden, wie daß ein
Durchbruch seitens der Allierten überhaupt nicht geplant gewesen war ,
sondern nur ein die deutsche Hauptkraft
festhaltender
Kampf , ein Hindern am Eingreifen auf anderen Schauplätzen. Aufgefundene französische Befehle, durch Aussagen von Gefangenen ergänzt , haben aber immer klarer auch den großen französischen Durchbruchs plan bewiesen . sollte am 16. April durch Aisne gesprengt werden .
Die deutsche Front
unwiderstehlichen Anfall an der Der strategische Plan ging dahin, die
deutschen Truppen im Raum südlich der Aisne durch wuchtigen Angriff in östlicher Richtung zu werfen, um sie den am 17. April in der Champagne bei Aubérive - Maronvillers den Durchstoß planenden französischen Heersäulen in die Arme zu
101
Bewegliche Defensive . treiben.
Auf dem
östlich
abschnitt Bétheny - Prunay Vorstoß von wirken.
Reims liegenden 20 km breiten Frontwar ein Angriff nicht angesetzt .
Brimont am 16. und 17. April sollte
Das konnte nur gelingen,
wenn
die
östlich
Der
einkesselnd Brimont
vor-
stoßenden Kampfgruppen schon am ersten Angriffstage, dem 16. April, das befohlene Ziel erreichten . Im Zusammenhange mit diesen Operationen südlich der Aisne standen die von der französischen Heeresleitung nördlich der Aisne , auf der Linie Braye - Cerny - Craonne geplanten.
Hier sollte , mit dem XX. Korps als Kern, tief in das
Hügel- und Waldgelände südlich Laon vorgedrungen und der neuen Siegfriedstellung in den Rücken gekommen werden. Durch die Breschen der auf 80 km zertrümmerten deutschen Front sollte die besonders für die Verfolgung geübte „ armée de poursuite " vorbrechen. Gelangen die Operationen nicht Schlag auf Schlag , glückte der Durchbruch nicht am Tage ,
ersten ,
spätesten am zweiten
so war der Plan zum Scheitern verurteilt.
Und so
ist es geworden. Der Tagesbericht vom 24. April hatte eine bezeichnende Fassung, in der man zum Verständnis der zweiten Arrasschlacht Wort für Wort mit Nachdenken lesen muß :
„ Auf dem Schlachtfelde
von Arras führte die auf Frankreichs Boden stehende britische Macht gestern den zweiten großen Stoß , um die deutschen Linien zu durchbrechen . Seit Tagen schleuderten schwere und
schwerste Batterien Massen von Geschossen jeder Art
auf unsere Stellungen. Am 23. April morgens schwoll der Artilleriekampf zum stärksten Trommelfeuer an. Bald darauf brachen hinter der Feuerwand her auf 30 km Frontbreite die britischen Sturmtruppen ,
vielfach von Panzerkraftwagen geführt, zum Angriff vor .
Unser Vernichtungsfeuer empfing sie und zwang sie überall zu verlustreichem Weichen. An anderen Stellen wogte der Kampf erbittert hin und her. Wo der Feind Boden gewonnen , warf unsere todesmutige, angriffsfreudige Infanterie ihn mit kraftvollem Gegenstoß zurück. Die westlichen Vororte von Lens . Avion, Oppy, Gavrelle, Roeux und Guemappe waren Brennpunkte des harten Ringens , ihre Namen nennen Heldentaten unserer Regimenter aus fast allen deutschen Gauen zwischen Meer und Alpen. Nach dem Scheitern des ersten setzte , über das Leichenfeld vor unseren Linien, mit besonderer Wucht großer
auf beiden Scarpeufern gegen Abend ein weiterer Angriff mit neuen Massen ein . Auch seine Kraft
brach sich am Heldenmut unserer Infanterie , teils im Feuer, teils im Nahkampf und
unter der vernichtenden Wirkung der Artillerie.
102
Bewegliche Defensive.
Wie an der Aisne und in der Champagne , so ist hier bei Arras der feindliche Durchbruchsversuch unter ungeheueren Verlusten gescheitert. Voraussicht
deutscher
Englands Macht erlebte durch die Führung
und
willen unserer braven Truppen , Niederlage . " Dem für die Briten nur an folgen am
Morgen des
24. April bei
den zähen
eine Blut
schwere ,
Siegesblutige
ertragreichen
Gavrelle neue
Tage
Kämpfe,
bei
denen sich beiderseits angesetzte Angriffe begegnen, wobei der Brite nördlich der Scarpe seinen Anlauf nicht wiederholte, südlich der Scarpe nachmittags beiderseits der Straße Arras - Cambrai auf breiter Front englische Divisionen in tiefen Staffeln herangeführt wurden und über Monchy Vancourt vorstießen , nur um überall unter den schwersten Verlusten zusammenzubrechen . Nur zu Teilangriffen reichte es in den nächsten Tagen noch bei Arras.
Die von uns dem Feinde
beigebrachten Verluste zwangen, von Lokalunternehmungen abgesehen , zu
Kampfpausen ,
um die
zufüllen bzw. zu ersetzen . durch schweres Geschützfeuer
abgekämpften Divisionen
auf-
Drei Tage währten diese, ausgefüllt auf beiden Scarpeufern gegen die
deutschen Stellungen und das Hinterland.
Dann reifte die blutige
Saat der dritten großen britischen Niederlage ,
und doch
bei der englischen Bulldoggzähigkeit noch nicht die Einsicht , daß vergeblich das opferreichste Mühen sei , man weit vor dem Ziele zusammenbrechen müsse.
wenn
Ziemlich genau in demselben Raum- und diese Erscheinung werden wir weiter unten als ein Charakteristikum der merkwürdigen . mit den Bedingungen des modernen Stellungskriegs zusammenhängenden Feststellungen kurz streifen nahm am 24. April der Feuerkampf von Loos bis Quéant mit äußerster Heftigkeit zu . melfeuer entbrannte die Infanterieschlacht Durchbruchsversuch aufs neue , Niederlage der
Briten
winnen.
zur dritten blutigen
um
zu führen .
tischen Durchbruch war die
strategische
Nach Tromzum dritten
Nur durch frontalen takOperationsfreiheit
zu
ge-
Durchbruch verlangt aber , nach der von unseren
Gegnern oft als die ihrige entwickelten Ansicht , Häufung gewaltigen Materials und Munition schwerer und schwerster Kaliber. ist nur
Eine plötzliche Verschiebung der Angriffsziele auf
einer
immerhin
beschränkten Angriffs front
möglich ; sehr viel Zeit bedingt die Verlegung der GesamtAngriffsfront , die außerdem von den feindlichen Fliegern erkannt werden kann und wegen der erforderlichen langen Zeit den Vorteil der Überraschung nicht birgt.
So wiederholen sich die
Bewegliche Defensive.
103
Angriffe vielfach in demselben Raum, zumal wenn sich der Angreifer mit der Zähigkeit auf das Erreichen der einmal gesteckten Ziele verbeißt, die wir bei den Briten beobachten.
Nachdem der Bericht der Obersten Heeresleitung vom 27. April über bedeutende Verstärkung des Artilleriefeuers auf dem Schlachtfeld von Arras, Zerstreuen von Infanteriebereitstellungen durch eigenes, Abweisen von britischen Angriffen rittlings der Straße Arras - Cambrai , der vom 28. April von verstärkter Beschießung unserer Stellungen auf beiden Ufern der Scarpe, Abweisen britischer Angriffe bei Monchy, äußerster Heftigkeit des Feuerkampfes zwischen Loos und Quéant bis zum Trommelfeuer, dann vom Entbrennen der Infanterieschlacht auf der ganzen Front gesprochen hatte, meldete der vom 29. April ,,schwerstes Trommelfeuer vor Tagesanbruch auf der ganzen Front von Loos
bis Quéant liegend leitete am 28. April die Schlacht von der die Engländer nun zum dritten Male die Durchbrechung der deutschen Linien bei Arras erhofften . "
ein ,
Bis
Mittag war der schwere Kampf entschieden ,
er endete mit einer schweren Niederlage Englands. Bei Hellwerden folgten der sprungweise vorgelegten Wand von Stahl, Staub, Gas und Rauch die englischen Sturmkolonnen in einer Front von etwa 30 km Breite . Die Wucht des feindlichen Stoßes richtete sich gegen unsere Stellungen von Acheville bis Roeux. Dort entbrannte die Schlacht zu außerordentlicher Heftigkeit . Der Engländer drang in das von uns als Vorstellung besetzte Arleux, inOppy, bei Gavrelle und Roeux ein . Da traf ihn der Gegenangriff (Bewegliche Verteidigung ! ) unserer Infanterie. In hartem Ringen Mann gegen Mann wurde der Feind geworfen, stellenweise bis über unsere alten Linien hinaus, die bis auf Arleux sämtlich wieder in unsere Hand kamen. Südlich der ScarpeNiederung tobte gleichfalls erbitterter Kampf.
In den zerschossenen Stellungen trotzten unsere braven Truppen mehrmaligen Anstürmen. Auch dort sind alle englischen Angriffe gescheitert . Auf den Flügeln des Schlachtfeldes brachen die feindlichen Angriffswellen schon im Vernichtungsfeuer unserer Artillerie zusammen. Die Verluste der Engländer sind wieder außerordentlich schwer. Der 28. April ist ein neuer Ehrentag. Die britische Niederlage läßt Ermattung zurück. Die Schlacht zerflattert in - freilich methodisch geleitete, aber nicht aussichtsvollere - Teilgefechte. In diesen Tagen einer Atempause vor Arras setzt der zweite französische Durchbruchsversuch ein , um am ersten Tage schon mit einer Niederlage zu endigen. War der Durchbruch von den Franzosen bis dahin im allgemeinen zwischen der Hochfläche von Craonne und Reims gesucht worden ,
104
Bewegliche Defensive.
während gleichzeitig starke frontale Stöße gegen Front und westliche Flanke des Plateaux und südlich der Linie Nauroy -Maronvillers
gegen
die Höhenstellung
gerichtet
wurden , so wurde der große Angriff vom 30. April aus dem Raum Prosnes -Aubérive auf einer kaum 25 km breiten Front
in
der
Absicht
Höhenstellungen reißen.
vorgetragen ,
südlich
Nauroy
den
Deutschen
Maronvillers
zu
die ent-
Vorbereitet durch schwerstes Artilleriefeuer, eingeleitet durch
Teilvorstö Be zwischen Hoch- und Keilberg, brach der Angriff an manchen Stellen schon durch Vernichtungsfeuer zusammen. Nach
erneuten
Höhenstellungen
Feuerwellen nördlich
2 Uhr nachmittags
folgen
Prosnes
und
gegen
die
westlich Vaudesincourt neue
Anstürme. In 11 km Breite gingen frische französische Truppen mit starker Wucht vor. Was an Sturmkolonnen nicht durch Feuer zusammengeschossen wurde, erlag Gegenstößen. gelegene Hochberg.
So der 4 km von Prosnes
Über die ursprünglichen Stellungen hinaus ging
der deutsche Gegenangriff, frische am Abend und in der Nacht herangeführte französische Kräfte vermochten das Blatt nicht zu wenden, ihre schweren Verluste ließen nur das Blutmeer steigen . Der mit großen Mitteln angesetzte Angriff endete mit schwererer Niederlage . Die französischen Angriffe an der Aisne zerflatterten in ebenfalls für uns günstige Teilkampfhandlungen.
Die bewegliche Defensive hatte
sich einmal wieder glänzend bewährt. wie oben schon berührt,
vielfach
Ihr konnte es
den Grund
für
man hat ja das Mißgeschick
unserer Gegner im Dualismus der britisch -französischen Oberführung gesucht - auch völlig gleichgültig sein, ob Engländer und Franzosen gleichzeitig angriffen oder nicht .
Ein Verschieben von Reserven
zwischen den Heeresgruppen
Kronprinz
Rupprecht und
Deutscher Kronprinz konnte schon deshalb nicht stattfinden , weil die Reserven zu spät kämen . Jede der Heeresgruppen
ist
des
sie
angreifenden
Feindes
mit
eigenen Mitteln Herr geworden. Wir unterlassen nicht, immer wieder darauf hinzuweisen, daß in das deutsche Abwehrverfahren in der neuesten Zeit der Faktor der taktischen Beweglichkeit eingefügt worden ist , da die starre, starkbesetzte vorderste und einzige Verteidigungslinie in dem Massenfeuer der Artillerie und im Minenfeuer erliegen kann und die Verluste des Verteidigers nur erhöht, ohne die Stärke der Linie zu vermehren . Die starre Abwehr ist durch das elastischere Abwehrsystem der befestigten Landschaft mit beweglicher Defensive im Inneren ersetzt worden , das den Gegner hindern soll und gehindert hat - das ganze System zu durchstoßen , zur Operationsfreiheit zu kommen,
105
Bewegliche Defensive. ihn in der Taktik stecken läßt. vielleicht
die
Diese liefert seinem ersten Anprall
erste Linie vorübergehend aus, wenn sie nicht durch
Gegenstöße sofort wiedergenommen wird . Im übrigen fallen auch in der ersten Dekade des Mai britische und französische Angriffe zeitlich zusammen, ohne mehr zu gewinnen als Steigerung des Pegels der Blutme ere.
Seit dem 2. Mai fühlt der
Engländer wieder mit Infanteriestoẞtruppen vor und steigert das Artilleriefeuer gewaltig. Diese Vorboten großer Angriffe führen am 3. Mai zu einem vierten Durchbruchsversuch
an der Arras-
front zwischen Achéville und Quéant , der auf 30 km Breite mit mindestens 17 Divisionen angesetzt wurde .
Fresnoy war der einzige Ge-
winn der sonst unter schwersten Verlusten überall abgeschlagenen bis in die Nacht dauernden Anstürme . Die Nachwirkung des Zusammenbruchs lie am 4. Mai nur bei Bullécourt einen großen mißglückten Infanterieangriff zutage treten , ließ am
5. Mai
südlich
von
Lens ,
an der Scarpe lokale Unternehmungen scheitern und am 6. und 7 . Mittlerweile war den Artilleriekampf in den Vordergrund rücken . dieser am 3. Mai nördlich
der
Linie
Soissons - Reims ,
besonders
zwischen der Aisne und Brimont, zu voller Heftigkeit gediehen , hatten sich um den Besitz des Winterberges westlich Craonne Kämpfe entwickelt, waren am 4. Mai Angriffe von vier französischen Divisionen zwischen Aisne und Brimont zusammengebrochen , deren Ziele mehrere Kilometer hinter der Angriffsfront lagen und an demselben Tage auch nördlich Prosnes von mehreren Divisionen gegen Diese die dortigen Höhenstellungen unternommene gescheitert. Kämpfe waren aber scheinbar demonstrative Vorläufer der Durchbruchsschlacht des 5. und machten sich auf den Flügeln , aber auch in der Mitte der eigentlichen Angriffsfront fühlbar. Der Tagesbericht vom Rückblick werfend :
6. Mai
sagt
uns,
dabei
einen
kurzen
„ Nachdem am 16. April der erste französische
Durchbruchsversuch an der Aisne gescheitert, bereitete der Feind mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln einen neuen Angriffsversuch vor, mit dem
er sein weitgestecktes Ziel zu erreichen hoffte.
Die abgekämpften Divisionen wurden durch frische ersetzt, neue Reserven herbeigeführt .
(Wir erinnern hier an die besonders vorgebildete
", armée de poursuite " , die strastegisch das ausnutzen sollte, was die Angriffsarmee taktisch erreichte, die aus dem II. , III . , XVII . Korps und der 66. Division bestand , von denen aber, ein sprechender Beweis für den Mißerfolg, infolge der Aprilverluste das II . und XVIII . Korps und die 66. Division schon in die taktische Kampfhandlung geworfen werden mußten. ) Das Artillerie- und Minenfeuer steigerte sich von Tag zu Tag und erreichte schließlich aus allen Kalibern die bis dahin.
106
Bewegliche Defensive.
größte Kraftentfaltung.
Die Angriffe vom 4. Mai nördlich von Reims.
und in der Champagne waren die Vorläufer des neuen Durchbruchsversuchs, der gestern zwischen Ailette und Craonne unter Einsatz mehrerer Korps auf einer Front von 35 km einsetzte. In schwerem Ringen, das bis in die Nacht hinein anhielt, ist er vereitelt , der Riesenstoß im ganzen abgeschlagen . Die Angriffe , welche gegen die im Nahkampf von unserer heldenmütigen Infanterie gehaltene oder im Gegenstoß zurückeroberte Linie geführt wurden, scheiterten zum Teil schon an unserem gutgeleiteten Artilleriefeuer. In einzelnen Teilen wird noch um den Besitz unseres vordersten Grabens gekämpft. Östlich der Boyère Fe . liegen wir auf dem Nordhang des Chemin des Mit besonderer Heftigkeit stürmten die Franzosen , wie bereits am 4. Mai, ohne Rücksicht auf ihre außerordentlichen Verluste, gegen Dames.
den Winterberg vor, gefaßtes
Feuer
auf dem unsere Stellungen durch
schwerster
Kaliber
vollkommen
zusammen-
zerschossen
waren .
Die Höhe mit dem an ihrem Hange liegenden Dorfe Chevreux blieb in der Hand des Feindes. " Die Absicht der Franzosen , den Höhenzug des Chemin des Dames mit stürmender Hand zu nehmen und die deutsche Front hier zu durchbrechen, hatte trotz Einsatzes eines Riesenheeres und unerhörten Aufwandes an Munition als einziges Ergebnis geradezu enorme Verluste. Die wenigen örtlichen Vorteile konnten am 6. Mai nicht ausgearbeitet werden, gingen zum Teil sogar verloren. Der 7. stand schon unter dem Zeichen deutscher Gegenangriffe,
und
von da zerflatterte die
mächtig angelegte, sorgfältigst vorbereitete , tapfer durchgeführte Kampfhandlung der Franzosen , die sicher 200 000 Mann in Bewegung gesetzt hatten, in Einzelvorstößen , die auch da, wo sie etwas Raum gewannen, ohne jede Bedeutung im Sinne der Gesamtentscheidung blieben.
So
z. B. am 8. und 10. Mai das teuer bezahlte Streben , zwischen Chevreux und der großen Straße Corbény- Berry au Bac durchzubrechen . plant war der Durchbruch durch unser System ; unter den schwersten Blutopfern gescheitert .
Ge-
er ist
Eine Wieder-
holung des gleichen Manövers - das Einzige, was den Franzosen übrig blieb - erforderte neue, unverbrauchte Truppen in größerer Stärke als die, deren Versuch gescheitert war. Seit dem deutschen Siege in der vierten Arrasschlacht war an der britischen Front zwar keineswegs Ruhe eingetreten, die Angriffshandlungen nahmen aber, wenn auch oft einer gewissen Ausdehnung und großer Heftigkeit nicht entbehrend , mehr lokalen Charakter an. Der Raum östlich Arras und Chemin des Dames sind dabei fast immer die Brennpunkte der Versuche, in kleinem Rahmen das zu erreichen, was bei dem großen Angriff mißglückt war .
Deutsche Vorstöße , wieder Dokumente für bewegliche
107
Bewegliche Defensive.
Defensive , nahmen ihnen stellenweise gewonnene Orte weg, so am 7. Mai Fresnoy.
Britische Stöße zwischen den Straßen Arras - Lens ,
Arras -Douai, Arras - Cambrai, dann in größerem Ausmaße zwischen Lens und Quéant Gavrelle und der Scarpe, bei Monchy und Bullecourt , sehen wir am
11. , 12. und
14. durch Gegenstöße scheitern ,
während von Ypern bis Armentières der Artilleriekampf sich steigert. in der Champagne bis über Tahure übergreift und im Südosten die zehnte Isonzoschlacht tobt, die der der Not (dem britischen Zwang und inneren politischen Rücksichten), horchende
nicht dem eigenen Triebe ge-
Cadorna bald wieder glänzend verlieren sollte.
In den
folgenden Tagen lehrte die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz dem Gegner durch glückende Vorstöße , was sie unter „ beweglicher Defensive" versteht, brachen um Arras britische Vorstöße, darunter am 20. ein in 12 km Breite angesetzter, beiderseits der Straße ArrasCambrai
nieder ,
verbesserten deutsche Truppen bei Bray, Hurtebise
Fe. und Cernay durch Wegnehmen französischer Gräben ihre Stellungen und spielten sich heftige Kämpfe um den Cornillet- und Keilberg ab, wo wieder ein Durchbruch versucht wurde. In den letzten Maitagen schrieb den Franzosen bei Pargny, den Briten bei Lens die deutsche " Bewegliche Defensive" die Quittung ihrer Leistungen mit blutiger Frakturschrift in das Kriegstagebuch . Drei Abschnitte mißlungener britischer Durchbruchsabsicht mußte dieses verzeichnen : Am 9. - 13 . April den großen gleichmäßig starken Anprall auf der ganzen Front, von Mitte bis Ende April allgemeine Angriffe auf der ganzen Front, Hauptdruck erst auf dem südlichen, dann nördlichen Teil unserer Linie, endlich Kämpfe mit dem Schwergewicht auf einzelnen Geländepunkten alles Nieten ! In der französischen Kammer mußte Ribot die sehr ungünstige Bilanz zwischen Hoffnungen und den Verlusten an Blut und Gewinn ziehen. Zum Sündenbock wurde der Bildner der Form der Idee und der Gesamtorganisation gestempelt, während das Aufrücken des Ausführenden Pétain an die Stelle Nivelle's beweisen sollte , daß man mit der Ausführung der Angriffe , trotz Scheiterns zufrieden sei . Darüber läßt sich streiten .
Totsicher aber ist, daß das Scheitern der Ausführung neben
dem glänzenden strategischen Gedanken Hindenburgs der beweglichen Defensive seinen unvergleichlichen Truppen zu verdanken war, was auch dem Kurzsichtigsten unserer Gegner überzeugend klar machen könnte, daß der Geist der Aktivität und Angriffslust in den deutschen Reihen höchst lebendig und daß vor allem auch an eine „ moralische Abnutzung unserer Front nicht zu denken ist.
Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 552.
9
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend .
108
IX.
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend ') .
Von Prof. Broßmer, Oberleutnant d . Res. (Freiburg i. B.) .
Es steht außer Zweifel,
daß ein ethisch so fest gefügtes und
im praktischen Betrieb ursprünglich sehr abwechslungsreiches Lehrgebäude wie das Turnen im Sinne, Guts Muths' und Jahns an sich werbend auf das empfängliche und leicht begeisterungsfähige Gemüt der Jugend wirken mußte. Hemmende Faktoren für eine noch erfolgreichere Beeinflußung des jugendlichen Mannes waren die zu starke Bevorzugung des Geräteturnens, so daß an vielen Orten das Jahnsche Ideal freien Laufs in frischer Luft kaum mehr gepflegt wurde. In dem letzten Jahrzehnt wandten sich aber die meisten Turnvereine dem Aufenthalt im Freien mit volkstümlichen Wettkämpfen zu , schon um gegen das wechselvolle Leben der rasch aufblühenden Sportvereinigungen festen Stand zu behalten . Bevor aber die englischen Rasenspiele und der Sport überhaupt das deutsche Jugendtummeln belebte, war die deutsche Turnerschaft die einzige Organisation, die in erheblicher Zahl dem Heere einen an Körper und in der Gesinnung planvoll geschulten Heeresersatz übermittelte .
Die am 1. Januar 1912 184000 Mitglieder zählenden Zög-
linge der deutschen Turnerschaft haben mit Hunderttausenden
von
anderen Turnern die eiserne Probe im Weltkrieg bestanden . Über die Bedeutung der Zahl in der Gymnastik war man sich im deutschen Volke an vielen maßgebenden Stellen vor dem Kriege nicht ganz klar.
Die fast ein Jahrhundert alte Einrichtung des Feld-
bergfestes ging in diesem Jahre 1916 als ein Jugendturnen mit 4500 Teilnehmern vonstatten . Welch gewaltige Vorarbeit leistete der hier beispielsweise angeführte nur enge Ausschnitt der deutschen Turnerschaft in der zielbewußten Hinlenkung
von 4½ kriegsstarken Bataillonen
zu einer durch die Punktwertung geprüften , turnerischen Leistung, die jederzeit in ihrer Anlage auf die feldmäßigen Forderungen weitgehend Rücksicht nehmen kann .
Achtung vor einer solchen Organisations-
arbeit, von der die jüngeren Verbände sehr viel lernen können ! 1 ) Mit dieser Arbeit schließt die Reihe der 10 die Wehrerziehung behandelnden Aufsätze, mit deren Veröffentlichung im Märzheft 1916 begonnen wurde. Die Schriftleitung .
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend.
109
Jedem gedienten Soldaten wird der große Vorsprung eines Turners bei der Rekrutenausbildung in Erinnerung geblieben sein .
Kehrt aber
der Übungsplan unserer Jugendriegen wieder ganz zur Jahnschen Zusammenfassung zurück, so ergibt sich ein Ausbildungsgang, wie er heute als Muster in den amtlichen Verlautbarungen enthalten ist , also eine gleichmäßige Berücksichtigung der Turnregeln im engeren Sinne mit den erfrischenden und stärkenden Übungsarten Pfadfinder.
der
deutschen
Dem technischen Übungsinhalte nach ist das Pfadfinderprogramm schon über ein volles Jahrhundert alt und als ein Werk Friedrich Ludwig Jahns anzusprechen.
Leider ging gerade dieser Teil frohen
Geländespiels und selbsttätiger Hilfe in allen Lebenslagen , diese enge Verbindung mit der Seele der Natur, die so
schön die Wiege der deutschen Turnerschaft umrankte, dem deutschen Jugendspiel verloren . Wir wollen aber nie vergessen , daß das Jahnsche Körpersystem und
seine Sinneszucht
als
eine weitfassende Wehrerziehung dem Geiste eines patriotischen Mannes entsprang, der damit die erziehliche Grundlage für die Befreiung des schwer bedrängten Vaterlandes von fremdem Joche durch deutsche Kraft und hohe Sitte erstrebte. Die erfolgreiche Neuerweckung dieser Ideen im Gewande des modernen Pfadfindertums wurde aus ähnlichen, wenn auch nur im engeren Kreise wirkenden Bedrängnissen geboren . Im britischen Kolonialkriege gegen die Buren gebot die Stunde der Not dem Verteidiger der Festung Mafeking, dem englichen General Baden- Powell, die Verteidigungskraft aller Jugendlichen für den kriegerischen Hilfsdienst in Anspruch zu nehmen. zunächst
Der vortreffliche Geist beseelte unter Baden-Powells Leitung wenigen Jahren schon eine halbe Million
in England in
Jugendlicher.
Der tiefe Einfluß einer Sammlung der jugendlichen Fantasie und ihre Hinlenkung auf bestimmte Ziele der Nächstenliebe
oder staatsbürgerlicher Empfindungen gab diesem Gedankenstrom , der durch das Mittel einer seelischen und moralischen Kräfteentfaltung die ganze Charakterentwicklung eines jungen Menschen beeinflussen soll, in allen Kulturländern der Welt einen fruchtbaren Boden. Diese nach innen gekehrte Erziehungstendenz des Pfadfindertums, sein großer Wert für die Persönlichkeitsbildung, das Aufgehen in einem großen . zunächst selbstgewählten Gedanken, zeigt verwandte Wesensgleichheiten mit den Gesinnungsformen, die das deutsche Turnwesen am Anfange des 19. Jahrhunderts in die Welt geleiteten . Beide Bewegungen werden heute oft nur nach ihren äußeren Merkmalen erfaßt und wird ob der Schale der wertvolle Kern übersehen. Pfadfinder sein, heißt durch den Verstand und das Gemüt die Wege nach innen suchen und finden . Unter dem Gesichtspunkte einer Heeresvorschule stellen sie ein im 9*
110
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend .
Geländedienst sehr gut Führereigenschaften dar.
vorgebildetes
Material mit
schätzenswerten
Das bewußte, festumrissene, für alle Mitglieder jeden Alters im Gleichmass geltende Ziel der Pfadfinder erzeugt eine gewisse starke Geschlossenheit der an sich straffen Organisation .
Ein Spielraum in
der jugendlichen Eigenart ist dem Einzelnen nicht gegeben.
In diesem
Punkte unterscheiden sie sich grundsätzlich von der echtesten Jugendbewegung als solcher, vom Wandervogel. Er verdankt seine Entstehung vor etwa 20 Jahren der unmittelbaren Lebensäußerung eines jugendlichen Kreises in Berlin- Steglitz.
Nach einer fast
10jährigen
Zeit mehr des Ringens als des Gelingens schlug die glimmende Glut plötzlich helleuchtende Begeisterungsflammen und riß über alle deutschen Gaue hinweg das junge Volk in die Wandervogelbahn hinein. war in erster Linie der Umstand , daß Leute, Frühling der Jahre standen ,
Neu
die selbst noch im
Schüler der Oberklassen und Studenten ,
jüngeren Kameraden einen romantisch empfundenen, bewegungsfreudigen Wandergeist einflößten .
Das Ziel ist dem Klange nach das gleiche
wie bei vielen Jugendbünden : Die Vervollkommnung der körperlichen und sittlichen Kräfte.
Einer ungeklärten , aufschäumenden und noch
völlig unbestimmten Vielseitigkeit der jugendlichen Empfindungsstufe gemäß tragen diese Gruppen , in denen der junge Mensch allein die Richtung seiner Fahrt bestimmt, einen sehr unterschiedlichen Charakter . Die einen ringen in spartanischer Nüchternheit der Natur schöne Stunden auf lang ausgedehnten Wandertagen ab ; die anderen ziehen mit fröhlicher Musik die Wege dahin und freuen sich in bisweilen sentimentaler Form an dem ästhetischen Spiele der Farben und Formen der Natur. Aber alle haben bei oft gegensätzlichem Gepräge doch diesen Grundzug in ihrem Erziehungsplan gemein , Bedürfnislosigkeit verbinden.
mit Selbständigkeit im
Denken
Einfachheit
und
und Handeln zu
Neben nicht zu unterschätzenden Erfolgen im Dienste der
Volksgesundheit gebührt dem Wandervogel das unbestreitbare, große Verdienst, zunächst die Jugend und durch sie manches Elternhaus den Hauch der Heimat, ihre wechselvolle Geschichte und ihre vielgestalteten Bilder fühlen , erleben und sehen zu lassen .
Sie dienen
durch ihre Körperstählung bei physischer Entsagungsfreudigkeit und durch ihre Marschtüchtigkeit, vielleicht oft unbewußt, dem allgemeinen Wehrziel .
Ihre feinsinnig gepflegte Freude an der Natur läßt sie die
heimatliche Scholle lieb gewinnen , stärkt den sittlichen Wert und damit das moralische Fundament des Volksheeres. Ein schönes Verdienst des Wandervogels für die Erhaltung deutschen Volkstumes liegt in der eifrigen Pflege des deutschen Liedes auf ihren Wanderfahrten . Durch den Mißbrauch rein äußerlicher Kennzeichen und Gepflogen-
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend.
111
heiten von unberufener Seite ist der Wandervogel mit großem Unrecht Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit ,
hin und wieder getadelt worden.
für diese ideale Strömung mit ihrer kerndeutschen Eigenart überall dort einzutreten , wo ein oberflächliches Urteil alles über einen Leisten schlagen will und damit das Ansehen des sittlich Guten und Hohen schädigt. Während Turner , Pfadfinder und Wandervogel dem Laien zunächst in ihrer äußeren Wirksamkeit der körperlichen Zucht entgegentreten und der ethische Kern ihrer Seele erst bei näherer Kenntnis sich offenbart, ist die Beurteilung der Organisationen, die aus dem Schoße der Das Kirche heraustraten, gerade den umgekehrten Weg gegangen . amtliche Gewissen vieler Geistlichen machte sie in aufopferungsvoller, segensreicher Arbeit zu freundlichen Leitern in dem gefährlichen Zeitraum der Entwicklungsjahre. Die sittlich-religiöse Festigung gegen die Versuchungen auf der Lebensbahn und der Dienst der Nächstenliebe waren zuerst die hauptsächlichsten Betätigungsgebiete kirchlicher Jugendpflege. Der mehr einheitliche Charakter der katholischen Kirche ließ unter ihrem Schutze eine straffere Erfassung der jugendlichen Masse erstehen. Dieser Umstand wird am besten durch die Tatsache beleuchtet, daß der Verband der katholischen Jünglingsvereinigungen Deutschlands der stärkste unter den Jugendverbänden ist , obwohl nur Dieser große
der dritte Teil unserer Bevölkerung Katholiken sind.
Erfolg erklärt sich einerseits durch die starke Unterstützung, die der katholische Geist von seiten der Familie erfährt, auf der anderen Seite aber auch durch die vorzüglichen Methoden der Praxis .
Aus dem
ursprünglich einzigen Wirkungsfeld der religiösen Erbauung wuchsen mit dem Auftreten der wirtschaftlichen Gegensätze im öffentlichen Leben soziale Aufgaben hervor , der sich die katholische Jugendpflege mit besonderer Liebe annahm. Zudem brachte in neuerer Zeit noch ein anderes Moment eine sehr glückliche Mischung des Arbeitsplanes Der allgemeine Zug der Zeit , die immer stärker betonten
zustande.
Forderungen einer notwendigen Hebung der Volksgesundheit und der nationalen Wehrkraft veranlaßten die konfessionellen Jugendvereine, einen größeren Wert
auf Sport, Turnen
und
körperliche Tätigkeit
So ergab sich durch die notwendige und gewollte nationalen Zeitströmungen und durch das Aufnehmen
überhaupt zu legen . Mitarbeit an
neuzeitlicher Gesichtspunkte mehr wirtschaftlicher Natur eine gewisse, die Jugend sehr anziehende Vielseitigkeit der konfessionellen Jugendvereinigungen aller Schattierungen. Die kirchlichen Gruppen erkannten früh den sozialen und moralischen Wert eigener Heime, in denen in neuerer Zeit überall Gelegenheit zu wehrmännischen Übungen geboten wird . Wer die konfessionelle Scheidung bedauert, muß bedenken .
112
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend.
daß schon mehr als 8 Jahrzehnte eine Jugendpflege in religiös -sittlicher Richtung besteht, und daß man in der einigenden , eisernen Zeit des Weltkrieges als unsere erste Pflicht das Streben nach einem warmen Ton gegenseitigen Sichverstehens und Sichachtens " zur Stärkung der vaterländischen Gesamtkraft anerkennen muß. Als Jugendvereinigungen an sich können sie als mustergültig bezeichnet werden, weil ihnen eine sehr enge, in großer Anhänglichkeit geübte Verflechtung des jugendlichen Herzens mit den Grundgedanken der kirchlichen Systeme gelungen ist. Bis zum Jahre 1911 war nicht nur die Zahl selbständiger Träger in der Jugendpflege sondern auch die Formen sehr erheblich geworden . Neben kirchlichen Schöpfungen (katholische Jünglingsvereine, Christliche Vereinigung junger Männner u . a. m.) standen die freien Vereine . an ihrer Spitze dem Alter nach die großartige, einheitlich für das ganze Reich ausgedehnte Organisation der deutschen Turnerschaft.
Pfadfinder,
Wandervogel und einzelne Jugendwehren im älteren Sinne bauten noch an ihrem Fundament . Nebenher warfen die großen Berufsorganisationen, vor allem die Handlungsgehilfenvereine und die Gewerkschaften,
ein aufmerksames Auge auf die Jugendpflege, wenn auch
bei ihnen als Menschen eines harten werktägigen Lebens die Sorge um das soziale Wohl und die berufliche Gesunderhaltung im Vordergrund standen. Wehrkraft.
Auch sie dienten damit der Volksgesundheit und der
Manche von ihnen traten diesen Fragen auch praktisch
näher, indem sie die Lehrlingsabteilungen und die jüngeren Kaufleute auf Wanderungen aus der engen Bürostube in den weiten Kreis der heimatlichen Umgebung führten .
In diesem Zusammenhang müssen auch
die Fortbildungsschulen erwähnt Mangel an
werden ,
die
an vielen Orten
aus
gesetzlicher Regelung ihr berufenes Amt bei der Aus-
füllung der Lücke zwischen Volksschule und Heeresdienst noch nicht in vollem Umfang ausüben konnten. An eine überall durchgeführte Pflichtfortbildungsschule mit obligatem Turnbetrieb könnte sich eine erprießliche, sittlich und physisch orientierte Jugendpflege beider Geschlechter anschließen ; besonders wenn eine wachsame Aufsicht über den Entwicklungsgang des weiblichen Geschlechtes die Aufnahme des Turnens in den Lehrplan der weiblichen Fortbildungsschule amtlich fordern wird.
Die jungen Mädchen müssen in ethischer Richtung den
Wehrgedanken erfassen und ihre Verantwortung für das Wohl der kommenden Geschlechter verstehen und empfinden lernen . Alle diese Bestrebungen fanden im allgemeinen eine warme Unterstützung durch den Staat, die Kommunen , Städte und manche ländlichen Bezirke , indem sie öffentliche Einrichtungen ( Spielplätze , Turnhallen , Schwimmbäder und Heime) zur Verfügung stellten. Gerade
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend .
113
auf dem Gebiete der indirekten Hülfe gegenüber den freien Körperschaften liegt eine Möglichkeit für segensreiche private Stiftungen und behördliches Wohlwollen einflußreicher Persönlichkeiten im aktivsten Sinne.
Der Staat als offizieller Förderer, nicht als Träger der Jugend-
pflege, trat mit dem Erlaß des preußischen Kultusministeriums vom 18. Januar 1911 vor eine breitere Öffentlichkeit . Der Erlaß, sein Inhalt und seine glückliche Auslegung, daß jeder einzelne der Volksgenossen die erziehliche Lenkung der Jugend als staatsbürgerliche Gemeinpflicht auffassen soll, bilden die Grundlage der preußisch-deutschen Jugendpflege . Er stellt auf dem Wege der Sorge für die schulentlassene Jugend einen Markstein dar. Durch den Ministerialerlaß vom Jahre 1911 schien fortan eine milde Sonne auf die Jugendpflege .
Manches zarte Pflänzlein blieb dem
Leben erhalten und mancher Baum trieb neue Sprosse und faßte feste Wurzeln in der warmen Erde . Moralisch und finanziell wurde nun die langjährige und freiwillige Tätigkeit vieler deutscher Männer von führenden Stellen aus anerkannt und unterstützt. Da traf im selben Jahre die technische Sammlung unter der nationalen Leitidee einer bewußten Steigerung der Wehrkraft durch die weitblickende Persönlichkeit des Feldmarschalls von der Goltz ein, durch einen Mann, der schon zu Zeiten, wo die allgemeine fachmännische Auffassung ganz andere Wege ging, auf die Bedeutung des Volksheeres und sein Fundament, die körperlich - sittliche Erziehung der gesamten Jugend , hinwies . In der Blüte seiner Mannesjahre hat er in glühender Vaterlandsliebe diese Gedanken bedächtig gesponnen und fast am Ende eines langen, vielseitigen , arbeitsreichen Lebensganges konnte er endlich das Saatkorn in fruchtbarem Boden zum Keimen bringen .
Was an Worten
klassisch ist über den begrifflichen Aufbau und die Ausführung seiner Ideen hat er in zwei viel beachteten Aufsätzen in der deutschen Rundschau niedergelegt.
(Heft 1 und 2 des Jahrgangs 1911. )
Das Haupt-
ziel des am 13. November 1911 auf seine Veranlassung gegründeten Jungdeutschlandbundes bestand in einer Sammlung aller auf nationalem Boden stehenden Vereinigungen , die in irgend einer Form neben geistiger Förderung die leibliche Ertüchtigung der Jugend betrieben . Nicht eine Neugründung war es, sondern er stellte bis zu einem gewissen Grade unter unbedingter Berücksichtigung gewordener Eigenarten
eine helfende Zentrale dar, die beratend , anregend und
einigend eingreifen sollte. Es war der klugen Leitung bald gelungen , mit der großen Gruppe der deutschen Turner in Form einer Arbeitsgemeinschaft dauernd Fühlung zu nehmen.
Der Jungdeutschlandbund
und die deutsche Turnerschaft geben als gemeinsames Jugendorgan ,,die Jungdeutschlandpost " heraus. Durch das Wirken des Jungdeutsch-
114
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend .
landbundes standen die großen Massen konfessioneller Jugendvereine nicht mehr für sich abseits, sondern sie vereinigten sich als Glieder eines Volkes mit den Pfadfindern, den Sportsvereinen und dem Wandervogel bei Gelegenheit gemeinsamer Veranstaltungen praktischer oder belehrender Art. Der erreichte Grad des Zusammenarbeitens und das gegenseitige Einverständnis geben Kunde von dem Erfolg der Ortsleitungen.
An vielen Stellen fanden die großzügigen Bestrebungen
einer zusammenfassenden Einigung aller Systeme unter dem einzigen Gesichtspunkte
erschnter Vermehrungen der
lebhaftes Echo .
Aber leider gab es starke Schichten in der deutschen
nationalen
Stärke
ein
Arbeiterschaft, deren Unzufriedenheit mit der staatlichen Ordnung damals ein vaterländisches Gefühl für Mitarbeit nicht aufkommen lassen wollte.
Diese Tatsache ist umsomehr zu bedauern, als in der Natur
des Freihern von der Goltz eine starke Ader sozialer Empfindungen für die Lage des werktägigen Volksteils enthalten war. Man fühlte bei diesem General viel zu sehr den militärischen Unterton und über. sah zu oft seine tiefempfundene Besorgnis für die Wohlfahrt der stark arbeitenden Kreise . Eine Jugendpflege-Organisation wie der Jungdeutschlandbund
muß
nach diesem
Kriege
unbedingt
den
jungen
Arbeit ereinschließen , wenn das Ganze ein getreues Abbild des heutigen Volksheeres sein soll . hineinsehen und
Wir müssen in die
tätige Fühlung
Handwerks- und Handelskammern.
nehmen
Seele der Arbeiterjugend mit
den Gewerkschaften,
Dann wird ein gesünderes Verhältnis
zwischen den erfaßten ( 1914 ca. 700 000) und den vorhandenen (ca. 3500 000) in der Altersstufe von 14-20 herauskommen . Aus diesem Grunde besteht das Problem nach dem Kriege in der Sammlung des großen Bruchteiles noch abseits stehender Jugendmassen . In der Tat war Freiherr von der Goltz ein Anhänger Emil von Schenkendorffs , der als unvergeßlicher Vorkämpfer des deutschen Volksund Jugendspiels die inhaltschweren Worte sprach : „ Volkskraft und Wehrkraft sind eins. " Zu dieser selben Überlegung wurde der Offizier von der Goltz durch seine zum Teil epochemachenden , kriegsgeschichtlichen Studien geführt. Bei der Erklärung der praktischen Durchführung hat er stets als Mittel für diesen hohen Zweck das Marschieren , Wandern, Laufen, Sehen , Schätzen, Sich-zurecht-finden , Horchen , das Gelände beurteilen , Hindernisse überschreiten , Zelte bauen , Lager anlegen usw. lebhaft befürwortet, unter ausdrücklichen Hinweisen auf Friedrich Ludwig Jahn . Ebenso entschieden lehnte er die Einführung des Schießens in jugendlichen Kreisen ab. Damit hat er sich in einen strengen Widerspruch gegenüber dem gesamten Auslande gestellt, wo gerade die Jungschützenbewegung eifrig gefördert wird . Als Grundlage für die leibliche Ausbildung sah auch von der Goltz das Turnen und
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Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend.
das Volkspiel an.
Und darum unterstützte er auf das Kräftigste die
Werbetätigkeit des Zentralausschußes für Volks- und Jugendspiele , der heute nach 25 jähriger Tätigkeit als ein Wohltäter des deutschen Volkes zu betrachten ist . Als der Weltkrieg ausbrach , konnte von der Goltz an den Freiwilligen - Scharen erkennen , daß die moralische Beeinflussung in der Jugenderziehung tief und fruchtbar gewirkt hatte. Aber die technische Geschicklichkeit dieser kurz ausgebildeten Soldaten wies ganz erhebliche Lücken auf Mitten im Kampf fiel dem Sämann das letzte Korn Hand .
aus der
Fern von der deutschen Heimat, aber seelisch eng mit ihr
verbunden, schied ein schaffensfroher, erfolgreicher deutscher Held von uns. Sein Werk an der Jugend lebt auch im Kriege weiter, wenn auch die Mehrzahl der Führer und die Heeresdienst übergingen .
älteren Mitglieder in
den
Mit dem 16. August 1914 wurde die vom
Kriegsministerium gegebene Anregung zur Bildung von Jugendkompagnien durch einen vom Kriegsminister, dem Unterrichtsminister und dem Minister des Innern gezeichneten Erlaß der Öffentlichkeit übergehen .
Diese amtliche Verlautbarung ist der zweite Markstein
in der noch jungen Geschichte wehrhafter Jugendpflege. Im Grunde genommen spricht ans beiden Erlassen ( 1911 und 1914 ) derselbe Geist.
Neu ist an dem Erlasse des Augusts
1914 der militärische
Einschlag, den die Zeitläufe gebieterisch erheischten.
Aus dem Auf-
ruf der drei Minister war unzweideutig zu ersehen , daß die Jugendkompagnieen eine Hilfsaktion für die Armee darstellen sollten . Was getrieben werden sollte , hatte das Kriegsministerium in den sehr kurz gefaßten „ Richtlinien für die militärische Vorbildung der älteren Jahrgänge der Jugendabteilungen während des Kriegszustandes " zusammengestellt.
In 33 Punkten, in knappster Form ist eine Gliederung der
gesamten militärischen Jugendpädagogik gegeben , deren Übersetzung in eine erfolgreiche Praxis ein nicht kleines Maß erzieherischen Geschickes und eine klare Kenntnis der neuesten Dienstvorschriften voraussetzt . Daß der hauptsächlichste Kern von den die Organisation vollziehenden Verwaltungsbehörden rein militärisch aufgefaßt wurde, erklärt ihr Suchen nach alten gedienden Soldaten und die an sehr vielen
Orten
unterlassene
Beiziehung der
deutschen
Turnerschaft .
Führer aber, die schon von sehr vielen Jahren aus dem Heeresverband geschieden waren, vermochten sich nicht in wenigen Tagen in den Geist neuzeitlicher Truppenausbildung einzufügen, bei der die weitgehendste Einzelausbildung des Mannes im Gelände, ganz im GegenSo konnte satz zu früher, erster Grundsatz geworden war. der gute Wille an vielen Orten nicht von Erfolg gekrönt
werden .
Dazu kam die viel zu wenig betonte pädagogische Einsicht, daß man
116
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend .
eine solch gründliche Unterweisung des Mannes im Freien nur durch ganz klar aufgebaute Lehrgänge erreichen kann , die aber selbstverständlich wie bei jeder Schulung eine regelmäßige Beteiligung der Zöglinge voraussetzen müsse .
Das Prinzip der Freiwilligkeit hat von
Anfang an für alle Leiter unüberwindliche Schwierigkeiten gebracht und oft sehr unerquickliche Lagen geschaffen. In den besten Absichten , ohne ausführliche amtliche Anleitung. ergänzten sich die Leitenden ihren Stoff fast ausschließlich nach den militärischen Dienstvorschriften alter oder neuer Art. Bei den Übungen herrschte darum die Betonung der exerziermäßigen Genauigkeit und das streng militärische Moment entschieden vor .
Eine aus der Jugend
selbst herauswachsende Abneigung gegen ein zu starkes Hervorheben rein formeller Seiten die warnenden Stimmen erfahrener Jugendführer besonders aus den Kreisen der um unser deutsches Volk so hoch verdienten deutschen Turnerschaft, veranlaßten das Kriegsministerium im Herbst 1915 , in einer kleinen Abhandlung : „ Erläuterungen und Ergänzungen, " eingehend darauf hinzuweisen, daß es nicht in den Absichten unserer Heeresverwaltung liegt, von der militärischen Vorbereitung im jugendlichen Alter die Einübung irgendwelcher militärischer Fachkenntnisse zu
verlangen ,
sondern daß die Wege für Körper, Geist
und Sinne der späteren Soldatenzeit sorgsam geebnet werden , ohne dem jungen Manne das falsche Bewußtsein eines besonderen Könnens einzuflößen.
Dafür liegt es aber ganz im Wesen der kriegsministeriellen
Auffassung, daß alle mit behördlicher Kraft ausgestatteten Stellen auf die Erweckung eines richtigen, freiwillig sich einstellenden , vaterländisch empfindenden und
verantwortungsfreudigen
der Jugendlichen halten.
Pflichtgefühls
innerhalb
Durch diese Erläuterungen und Ergänzungen
sind für die Bewegung der militärischen Vorbereitung neue Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt worden .
Es sind, wenn man sie
kurz zusammenfassen darf, die alt erprobten Methoden einer Sinnesschärfung nach Pfadfinderart und die in eiserner Zeit vor hundert Jahren aus den Bedürfnissen allgemeiner Gefahr entsprungenen goldenen Regeln
deutscher Turnkunst.
Die Erfordernisse
und Er-
fahrungen des heutigen Krieges haben die Einzelausbildung in den Mittelpunkt
gestellt ;
Übung entstehen. Ideen!
Kraft und
Gewandtheit
sollen
durch stetige
Im ganzen eine glänzende Auferstehung Jahn'scher
Mit dem Erscheinen der Erläuterungen und Ergänzungen wurden noch weitere Einzeldarstellungen über besondere Gebiete körperlicher Kräftigung in militärisch-pädagogischer Beleuchtung vom Kriegsministeriums angekündigt . Das erste Schriftchen dieser Art erschien unter dem Titel :
„Anleitungen für das Stabfechten . "
(Vorbildung
117
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend. für das Gewehrfechten des Heeres ) .
Dieser Schriftsatz ist ein Muster-
beispiel für die Lösung einer Aufgabe vom ersten Anfang der vorbereitenden Stufe an unter peinlicher Berücksichtigung aller bei der bezweckten
Hauptübung
Volksspiele und Ball,
in
Betracht
kommenden
volkstümliche Erheiterungen
das steyerische Ringen ,
Tauziehen ,
Muskelgruppen.
wie : Ringen um
den
Übungen am Einzel- und
Doppeltau sollen durch Stärkung der Finger, Arme und Handgelenke das erstrebte Stabfechten vorbereiten .
Es folgt eine äußerst wirksame
und abwechslungsreiche Gruppe von Hantelübungen , wie Schulterprobe , Nach solch Sägemann , Hantelverlegen, Boxen und die Stampfe. reichlicher und vielseitiger Vorübung beginnt das eigentliche Stabfechten als Grundlage des erst im aktiven Dienst zu betreibenden Gewehrfechtens. Das Gewehrfechten ist durch die wachsende Wichtigkeit des Nahkampfes in der feldmäßigen Ausbildung des Mannes zu großer Bedeutung gekommen . Trotzdem ist dieser Ausbildungszweig mit dem Gewehr selbst in kluger Vorsicht nicht in den Übungsplan der Jugendwehren aufgenommen worden , weil einmal für diese Altersstufen das Fechtgewehr für viele Jungmannen noch zu schwer sein würde, und auf der anderen Seite die Gefahr von Verletzungen zu groß und die erforderlichen Geldmittel für Anschaffung und Unterhaltung der notwendigen Schutzvorrichtungen
zu erheblich wären .
Alle in der
Praxis tätigen Jugendwehrführer haben den einen Wunsch, daß noch mehr solche Einzelausführungen den Lehrgang aller Dienstzweige in vorbereitender Weise beschreiben.
Dann wird bald die lang ersehnte
Ruhe und Stetigkeit im Ausbildungsgang einziehen und neue Freude bei Jungmannschaften und Führern am gemeinsamen Werke erstehen . Nicht nur innere, sondern auch äußere Gründe ließen ein allgemein billigendes Urteil über führenden Vertretern
die
Kriegsjugendwehr
der konfessionellen
nicht
zu .
Jugendpflege
Von
den
wurde
mit
Rücksicht auf die Gegenwart, aber auch im Hinblick auf eine zukünftige gesetzliche Regelung darauf hingewiesen , daß die Musse des Sonntags der Familie und den kirchlichen Jugendpflegevereinigungen verbleiben muß, um so mehr als man in diesen Kreisen den Schwerpunkt erzieherischer Sorge immer mehr den älteren Jahrgängen , den sogenannten Jungmännern zuwendet, die als Mitglieder der Jugendkompagnien bei sonntäglicher Übungszeit naturgemäß in erster Linie fehlen müßten .
Eine Verlegung auf die Wochenstunden gibt berufliche
Anstände und läßt die große Frage für das Aufkommen der finanziellen Schäden offen . Aus diesen Gründen halten konfessionelle Verbandsleitungen die Lösung für die beste, pflegeschattierungen das erkennt . Damit würde
daß man
allen freien Jugend-
Recht der militärischen Vorbereitung zuder mühsam erstellte Bau nicht zerstört
118
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend.
sondern erweitert, indem besondere von der Heeresleitung anerkannte Vertrauensmänner
in Wehrfragen allen Richtungen gleichmäßig zur
Verfügung stehen. Solche Wehrabteilungen können , wie das bunde Band erfolgreicher Auslandstätigkeit zeigt, in den verschiedensten Formen in die Erscheinung treten, immer unter dem leitenden Gesichtspunkt der Gangbarkeit verschiedener Wege mit dem festen Blick auf das eine anerkannte ,
nationale
Ziel ,
einer
in
den
Bewegungsmöglichkeiten
mannigfachen Freiheit in einer größeren Einheit eingeschlossen . In diesem Gedankengang werden die Schulen als berufene Träger des Wehrgedankens betrachtet werden müssen. Es wird leicht sein , die Schüler der höheren Lehranstalten im Schulrahmen selbst zu eigenen Kompagnien zu formieren . Wenn auch der Gedanke einer vollkommenen Durchmischung aller Stände schon im Kreise der Jugendlichen sympathisch wäre, so wird es aus Gründen vollkommen verschiedener Zeiteinteilungen und mit Rücksicht auf die Interessen der Schule selbst nicht anders möglich sein .
Die Zöglinge der höheren Lehranstalten
werden in einem zwei bis dreijährigen mit der Schule organisch verbundenen Wehrkursus im Hinblick auf die spätere Eignung zu Offizieren des Beurlaubtenstandes in den Führer-Eigenschaften vorgebildet werden Eine solche Verbindung von Schule und Wehrziel findet sich
können .
in Frankreich und Italien in sehr weitgehendem Maße.
In Italien
wird sogar die Erlangung des Einjährig-Freiwilligenscheines und des Abiturs von der Teilnahme an einer bestimmten Art von Wehrvorbereitungen abhängig gemacht.
Kriegsministerium und Unterrichts-
behörden stehen in diesen Ländern in sehr fruchtbringendem Meinungsaustausch . Bei uns hat das bayerische Kultusministerium in dieser Richtung einen ersten Schritt durch einen Erlaß an die Rektorate der höheren Lehranstalten getan , der den Anstalten die Ermächtigung gibt, fleißigen Besuchern der militärischen Jugenderziehung eine anerkennende Bemerkung in die Jahresschluß- und Reifezeugnisse einzutragen. All diese Dingen dürfen , wenn sie Nutzen bringen sollen , nicht neben der Schule stehen , sondern in ihr Leben hineingestellt werden.
In der noch jungen Geschichte der Jugendpflege ist es nicht selten vorgekommen, daß man über die Schulleitung hinweg in den Verband der Anstalten hineingegriffen hat, um sich das Material zu sichern. Ganz abgesehen von dem auf die Jugend ungünstig wirkenden
Moment einer Gegensätzlichkeit zwischen Jugendpflegefaktoren und Schule, kommt ohne die unterstützende Mitarbeit der Lehrerschaften in praktischer oder fördernder Weise überhaupt nichts heraus. Im Krieg hat man den Wert absoluter Unterordnung und der strengen Disziplin kennen gelernt.
Sie muß wieder ein anerkannter Zug der
119
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend.
Erziehung werden, als pünktliche Folgsamkeit, wie es in den „ Richtlinien " ausgedrückt ist. Im besonderen könnten durch die Fortbildungsschule große Mengen
einer geordneten Wehrausbildung zugeführt werden (1912 : 1160 000 Schüler) . Die Schule hätte aber nur diejenigen jungen Leute körperlich zu erfassen , die nicht in der Lage sind, ihre Zugehörigkeit zu der Jugendabteilung eines Vereins nachweisen zu können . Dieser Weg wird von der Stadt Lüdenscheid schon seit 8 Jahren mit Erfolg begangen.
Während des Krieges haben eine größere Zahl von norddeutschen gewerblichen und kaufmännischen Fortbildungsschulen die
militärische Vorbereitung und das Turnen als Pflichtfach in den Lehrplan aufgenommen. Danzig hat, nachdem die freiwillige Beteiligung der Jugend sich als völlig unzureichend erwies, an die städtische Handels- und Gewerbeschule eine Pflicht- Jugendwehr angegliedert und damit ungefähr 1700 junge Burschen über 16 Jahren den Übungen zugeführt .
Befreiungen werden allen denen zuteil , die andern gleich-
wertigen Organisationen angehören. Für diese Fragen haben sich Vertreter der Industrie , des Handels , des Handwerks und der Arbeiterschaft schon verschiedenfach interessiert . Sie alle müssen natürlich in den allerwärts treten sein.
zu bildenden allgemeinen Jugendausschüssen ver-
Nach Ablauf des
fortbildungsschulpflichtigen
gesetzliche Regelung in Kraft treten, Auflage
erteilt,
die jedem
seine Körperzuchtpflicht
Alters
bei irgend
stehenden Jugendorganisationen zn erfüllen .
muß
die
jungen Mann die einer der be-
Die persönliche Wehr-
pflicht hat der junge Deutsche in dem Sinne aufzufassen, daß er seine Kräfte sammelt, stählt und prüft. Es bleibt ihm ein weiter Spielraum der Wahl , bei der er seine besonderen Interessen berücksichtigen kann. Neben den Schulabteilungen und den kirchlichen Vereinigungen steht ihm der Weg in die Reihen der deutschen Turnerschaft offen, die zwölf ganze Armeekorps - 600 000 Mann - turnerisch ausgebildeter Leute ins Feld geschickt hat. deutscher Kraft
Was die erprobte Quelle
unter den ungünstigen Verhältnissen des
Krieges
leisten kann, zeigt die Arbeit des Münchener Turnlandsturmregiments , das bis zum Januar 1916 über 4000 Kursteilnehmer dem Heere übergeben hat.
Wie leicht wäre es für den eisernen Riesenbund der
deutschen Turnerschaft in Gemeinschaft mit den blühenden Sportvereinen, die Jugend dem Vaterlande streitkühn zu machen .
Dann
werden die deutschen Kriegervereine sich ihrer Aufgabe bewußt werden , in besonderen Wehrabteilungen Jugendliche zu vereinen . Die deutschen Schützenvereine und der Wehrmannsbund brennen nach der Erledigung solcher Aufgaben.
Und wenn die Gründung und Angliederung solcher
120
Der Wehrgedanke in der deutschen Jugend.
Wehrgenossenschaften der Jugendlichen
an die Vereine¹ )
aller Art
neu oder undurchführbar vorkommt, der blicke rund den Grenzen des Vaterlandes entlang nach dem Auslande, dort wird er alles in eilweis althergebrachter, volkstümlicher Form verwirklicht sehen . Wie all dies sich im Frieden gestalten wird, birgt noch eine hoffentlich nahe Zukunft in ihrem dunkeln Schoße. Aber eine Veranstaltung wird sich, vielleicht angeregt, auf jeden Fall aber gehegt und gepflegt durch die deutsche Turnerschaft, zu einer dauernder Einrichtung ausbauen lassen : Die Wettkämpfe im Wehrturnen . Neu ist auch diese Art des Strebens nach Gewandtheit der wehrbaren JungUnser erster eigentlicher Turnlehrer, mannschaft durchaus nicht. Guts Muths, dessen ganzes Ziel die vollendete Menschenbildung war, wies das preußische Ministerium im Jahre 1804 auf den Wert seiner Gymnastik als einer vorbereiteten Einführung für die Wehrhaftmachung Adolf Spieß brachte die gleiche Ansicht über die
der Jugend hin.
leibliche Fertigkeit vor und verlangte auf Grund einer abzulegenden So war in Prüfung Vergünstigungen beim Eintritt in das Heer. früherer Zeit in Turnerkreisen die Bedeutung einer allgemeinen körperlichen Vorbildung erkannt worden .
Deutschland stand in der Er-
kenntnis des zu machenden Schrittes vom Jüngling zum Streiter voran ; das Ausland nahm die praktische Ausführung rascher und umfassender auf. Die Turnerschaft verlor bisweilen den Gedanken völlig , Da vor allem durch die Beschränkung auf die gedeckten Räume . griff seit 1891 die Tätigkeit des Zentralausschusses für Volks- und Jugendspiele ein, der den Jahn'schen Grundsatz der Leibesübung im Freien besonders förderte
und
den Zusammenhang mit der Wehr-
tüchtigkeit deutlich aussprach. Die Ausführungsbestimmungen für turnen zeigen eine glückliche Mischung
die
Wettkämpfe im
Wehr-
von allerlei Körperübungen .
Der verlangte Grad ist aber in der jetzigen Fassung nur von den Mitgliedern der Turn- oder Sportsvereine in kürzerer Zeit zu erlangen . So erklärt sich wohl die Tatsache, daß bei den Wettkämpfen ( 1916) für den Stadtbezirk Dresden neben 20 Mann eines Fußballklubs rund 1000 Turner teilnahmen . Die 50 übrigen in der amtlichen Jugendpflegeliste eingetragenen Vereine fehlten. Ganz einfach, weil die Anforderungen zu hoch gestellt waren .
Bei einer Wiederholung müßten
mindestens 2 Stufen geschaffen werden , damit auch die Landjugend Gelegenheit hat, ihr Können in einem bescheideneren Maße zu zeigen. Die Wettkämpfe
als Gabe des Kriegsministeriums
an die deutsche
1 ) Vom Kriegsministerium für die Dauer des Krieges durch einen kürz lichen Erlaß in dieser Form geregelt.
121
Englische Plünderungssucht .
Jugend sollen für immer ein neutrales Kampffeld für alle sonst getrennt marschierenden Vereinigungen abgeben. Die Wettkämpfe im Wehrturnen können als Kern deutscher Volksfeste Volksfreude emporsprießen lassen . Die Volksfeste sind einmal in deutschen Landen in hoher Blüte gestanden und gingen fast alle von dem Augenblick
an dem
sicherem Verfall
entgegen ,
wo
das
Schwinden des frohen Wettkampfes Kraft und jugendliches Lachen sich nicht mehr mischen ließ. Nun soll sich die Einheit des Volkes auch in friedlichen Tagen durch gemeinsame Feste bewähren, bei denen das ewig neu Heranwachsende ,
die Jugend, in der frohen Selbst-
tätigkeit des Wettkampfes unter tummeln kann.
einer großen geistigen Idee
sich
Volksfeste müssen regelmäßige Gelegenheiten äußerer
und innerer Sammlung sein , wenn sie die politischen Strömungen überdauern und zum bleibenden Bestand der Nation werden sollen . Volksfeste sollen den uns
alle
gleichmäßig
erfüllenden
Zug
nach
wehrhaften Eigenschaften als Grundton haben und alle Schattierungen körperlicher Jugendpflege und sittlicher Förderung in taktvoller Duldung unter dem tiefen Wahlspruch , der uns als Ende dienen soll, umfassen : Unter dem Spruch der Einigung und Einheit : 99 Vaterland nur dir! "
X.
Englische
Plünderungssucht .
Ein geschichtlicher Streifzug . Von Dr. Ernst Schultze.
1. Allgemeines . Sämtliche
Völker,
die
jemals mit Engländern
kämpften
oder
ihren Kampf mit anderen beobachteten , ohne ihre Bundesgenossen zu sein, haben die Plünderungsgier des britischen Soldaten an den Pranger gestellt.
Dieses Urteil ist von überwältigender Einstim-
migkeit. Aber auch englische Urteile decken sich damit , falls sie nicht von
der britischen Leidenschaft gefärbt sind , alle Taten der eigenen Nation als unendlich großartig und ritterlich zu schildern.
122
Englische Plünderungssucht . Einer dieser ehrlichen Männer - ein Hauptmann , der den britischen
Soldaten im Kriege sah
schrieb :
„ Die Soldaten betrachten Lügen ,
Stehlen, sich Betrinken , Fluchen usw. nicht als schlecht. Sie stehlen wie die Raben. Ihre fluchenden Ausdrücke und Redensarten übertreffen alles an Schmutz , Lästerung und Unzüchtigkeit. mit derselben
Unverschämtheit .
Tommy' erfindet
Und sie lügen alle
möglichen
Sorten von Lügen, nur weil es ihm Vergnügen macht, sie zu erfinden . Eins seiner größten Vergnügen ist das Plündern ,
nicht nur aus
Gewinnsucht, sondern aus Freude am Zerstören¹ ). “
2. 17. und 18. Jahrhundert. Zeigte ein anderes Volk ähnliche Raublust wie die englischen Seeräuber, so ward es von den Briten wegen seiner Raubgier verurteilt.
Englische Geschichtsschreiber haben gegen solche Vorwürfe
die Schotten verteidigen und zugeben müssen, daß sie, raubten sie ihren alten Feinden, den Engländern , ganze Viehherden , im Grunde nichts
Anderes taten,
als was
die
englischen Seeräuber mit
dem
ruhigsten Gewissen von der Welt zu tun pflegten. Allein sogar durch solche Verteidigungen pflegt der ganze Dünkel Englands hervorzuschimmern . Man lese , was in Maj . über die Raublust des Schotten im 17. Jahrhundert schrieb : „ Seine räuberischen
Gewohnheiten
waren
allerdings
für
das Gemeinwesen
von
großem Nachteil ; aber diejenigen irrten sehr, die da glaubten, daß er irgend eine Änlichkeit mit den Schurken hatte, welche in reichen und wohlgeordneten Staaten vom Diebstahl leben . Wenn er die Herden von Niederlandsfarmern vor sich her den Paß hinauftrieb, der in seine heimatliche Schlucht führte , hielt er sich ebenso wenig für einen Dieb, wie ein Raleigh oder Drake sich für einen Dieb hielt, wenn er die Ladungen der spanischen Galeonen teilte .
Er war ein Krieger, der
die rechtmäßige Beute des Krieges in Besitz nahm , eines Krieges, der während der 35 Generationen, welche vorübergegangen waren , seitdem die teutonischen Eroberer die Kinder des Bodens in die Gebirge getrieben hatten , niemals unterbrochen worden war.
Daß er zum Schutze
des friedlichen Gewerbfleißes mit der ganzen Strenge des Gesetzes bestraft wurde, wenn man ihn bei einem Raube nach solchen Grundsätzen ergriff, war vollkommen gerecht .
Ungerecht aber war es , ihn
in moralischer Beziehung in eine Kategorie mit den Taschendieben , ¹ ) Kapitän March Philipps : With Remington . London, Methuen. Angeführt nach Norman Angell : Die große Täuschung, S. 211. Über die entsittlichenden Einwirkungen der Kasernen- und Garnisonstädte in England siehe ebenda S. 184f. das Zitat aus Blatchford's Buche „ Mein Leben in der Armee“.
Englische Plünderungssucht.
123
welche im Drurylane - Theater ihr Unwesen trieben, oder mit den Straßenräubern zu werfen, welche auf Blackheath die Reisewagen anfielen¹). " Als die Schotten 1745 aufstanden , um das Haus Stuart wieder auf den Thron zu setzen, bestraften ihre Heerführer jede Plünderung streng.
Als die Stadt Stirling ihre Tore öffnete, ließen sich die
Truppen Lebensmittel liefern , bezahlten aber alles, und die Offiziere hielten strenge Mannszucht. Als einer der schottischen Häuptlinge, Lochiel, der seinen Leuten wiederholt eingeschärft hatte , sie dürften nicht plündern , bemerkte, daß einer diesem Verbot zuwiderhandelte, schoß er ihn auf der Stelle nieder2) . In Edinburgh gaben die Hochländer ein Zeichen noch besserer Mannszucht .
Die Stadt war gleichsam mit Sturm genommen.
Dennoch
standen die Camerons an dem Morgen nach der Übergabe von 6-11 Uhr in vollkommener Ordnung auf ihren Posten, schlugen sogar den Branntwein aus, den man ihnen anbot, und versagten sich jede Plünderung. obwohl die verlockendsten Gegenstände sie umgaben³). Als das schottische Heer siegreich nach England vordrang, hielt es sich ebenfalls von der Plünderung zurück.
In viele Städte zog es
triumphierend ein , allein meist hielt es strenge Zucht. Wie pünktlich der Prätendent seine sämtlichen persönlichen Ausgaben bezahlte, beweist sein Haushaltungsbuch , das noch vorhanden ist¹). Nur einmal plünderten die Schotten nach einer siegreichen Schlacht
dann aber auch gründlich. Es war nach dem Siege bei Preston 1745 , als die meisten Schotten, kaum daß die Schlacht entschieden . war, sich zerstreuten, um zu plündern. die
englische Militärkasse,
die
etwa
Dem Prinzen Karl wurden
2500 Pfund Sterling enthielt,
nebst Fahnen und anderen Siegeszeichen gebracht - alles übrige behielten die Leute für sich selbst. Dabei bot sich manch' lächerliches Bild.
Da die an Luxus
nicht gewöhnten rauhen Gebirgsbewohner
mancherlei erbeuteten , womit sie nichts anzufangen wußten , so betrachteten sie solche Dinge halb mit Unwillen und halb mit Verwunderung.
Schokolade kannten sie nicht, sodaß man , als man ihrer
habhaft wurde, nichts damit anzufangen wußte, sie vielmehr später in den Straßen von Perth unter dem Namen von „Hänschen CopesSalbe " ausrief . Ein Hochländer hatte eine Uhr erbeutet, verkaufte 1 ) Macaulay: Geschichte von England . Aus dem Englischen. Leipzig G. H. Friedlein, 1856. Band 7 , Kapitel 13, S. 45. 2) Lord Mahon : Geschichte von England. Deutsch von D. Fr. Steger. Braunschweig: George Westermann, 1855 , Band 3, S. 273. 3) Lord Mahon : Ebenda, Band 3, S. 281. 4) Lord Mahon Band 3, S. 324. 10 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 552,
124
Englische Plünderungssucht .
sie jedoch bald um eine Kleinigkeit, da sie nach einigen Stunden stehen blieb weil er nicht wußte, daß man sie aufziehen mußte . Als er trotzdem Geld für sie erhielt, bemerkte er triumphierend : „ er sei froh , das Geschöpf losgeworden zu sein, denn nachdem er es gefangen, haben es nicht lange mehr gelebt " . Ein anderer Hochländer verkaufte ein erbeutetes Pferd für eine Reiterpistole. „ Man sah ungeschlachte Hochländer in den feinen Kleidern der Offiziere umherstolzieren. Andere eilten mit großen Reitersätteln auf dem Rücken davon , und eine große Anzahl brach sogleich in aller Stille nach ihren Bergen auf, um ihre Errungenschaft in Sicherheit zu bringen¹) . " Erst auf dem überstürzten Rückzuge von Derby aus und nachdem das schottische Heer geschlagen war, begannen die Schotten zu plündern . In mehreren Städten waren sie auf dem Rückweg sehr unfreundlich aufgenommen , in Manchester hatten sich wütende Pöbelhaufen ihrem Vortrab entgegengeworfen und ihn angegriffen,
sodaß der Stadt eine
Geldbuße von 5000 Pfund Sterling auferlegt wurde.
Durch die häufigen
Beispiele feindlichen Übermutes gereizt, begannen die Schotten nun , sich weniger im Zaume zu halten ,
sodaẞ " ,
wie einer von ihnen er-
zählt, „, bald niemand mehr zu Fuß ging, wer ein Pferd bekommen konnte, und das Wegnehmen oder Stehlen von Rossen bald eine alltägliche Erscheinung wurde. Es war unterhaltend , die Hochländer ohne Hosen, Sattel oder Decke auf dem bloßen Rücken der Tiere reiten und ein Strohseil als Zügel gebrauchen zu sehen ! marschierten wir aus England 2). “ *
In diesem Aufzuge
*
* Vielleicht war die Schonung, die von dem Heere der Aufständischen anfangs gegen das feindliche Eigentum geübt wurde, zum erheblichen Teil durch politische Gründe bestimmt.
Mußte es doch versuchen , die
Landesteile , die es durchzog, auch innerlich zu erobern . Wo die Briten damals im Auslande Krieg führten, zeigten sie solche Schonung nicht .
Ein empörendes Beispiel bietet die Behandlung Das Geschwader des englischen
der Stadt Paita im Jahre 1740.
Admirals Anson hatte sich auf den Rat eines gewissen John Williams, der den großen Reichtum und den verteidigungslosen Zustand der Stadt Paita in hellen Farben malte, auf diese an der westlichen Küste Südamerikas gelegene spanische Ansiedlung geworfen und sie durch eine aus nur 60 Köpfen bestehende Matrosenabteilung erobert . Zur selben Zeit steuerte eines der englischen Kriegsschiffe gegen den Hafen , brauchte aber nicht mehr einzugreifen, da bei seiner Annäherung die ) Lord Mahon Band 3, S. 349. 2) Hauptmann Daniel, angeführt nach Mahon Band 3, S. 340 .
125
Englische Plünderungssucht.
englische Flagge bereits auf dem Fort in die Höhe ging. Nun crgoß sich eine zweite Abteilung Engländer beutegierig auf die Küste. Weder das öffentliche noch das Privateigentum wurde geschont selbst die Kirchen mußten ihr Silber hergeben .
Ein Augen-
zeuge schrieb : „ Es war ein sonderbares Schauspiel, die Matrosen zu sehen, wie sie sich mit all dem Staat behingen , den die Spanier auf threr Flucht zurückgelassen hatten , gestickte und durchwirkte Kleider über ihre Teerjacken zogen und auch Perücken und Haarbeutel nicht vergaßen. Ja , die zuletzt gekommenen , welche weiter nichts mehr fanden , erschienen in Kleidern und Unterröcken der Weiber ! ¹) Der Wert der mitgeschleppten öffentlichen Gegenstände in verarbeitetem Silber und in Münzen belief sich auf mehr als 30000 Pfund Sterling, während sich die Beute an Privateigentnm nicht genau abschätzen läßt , aber ebenfalls beträchtlich gewesen sein muß. Allein nicht genug mit dieser gründlichen Plünderung ! Was sollte und Waren geschehen , die die Engländer weder
mit den Vorräten
benutzten noch fortschaffen konnten ?
Ehe der englische Befehlshaber
am dritten Morgen nach Einnahme der Stadt seinen Leuten den Befehl zur Einschiffung gab, steckte er alle diese Dinge in Brand und ließ das Feuer mit Teertonnen und anderen Brennstoffen nähren, sodaß die ganze Stadt in einen Aschenhaufen verwandelt wurde . Die Tat war so barbarisch, daß die ritterlichen Spanier nicht annehmen mochten, der englische Admiral habe sie anordnen können . Der Spanier Ulloa schrieb 1762 auf seiner Reise nach Amerika über diese Brandstiftung: „ Niemand wollte glauben, daß ein so barbarisches Verfahren von dem Befehlshaber des Geschwaders gestattet worden sei, und in der Tat hat man später erfahren , daß er über diese Tat sehr unIndessen wird diese ritterliche Anschauung , die willig gewesen ist . " den Feind von einer Schandtat befreien will, durch die Tatsachen denn Ansons eigene Erzählung gibt zu , daß er den Befehl widerlegt Eine solche Voller Scham meint Lord Mahon: gegeben habe. Handlung läßt sich in einem Kriege zwischen gebildeten Völkern kaum entschuldigen . Sie schadete weniger der spanischen Regierung als harmlosen fleißigen Bürgern, und ist ein Schandflecken für die sonst so glorreiche Expedition Lord Ansons 2). " *
** 1758 drangen die Engländer in Cherbourg ein, das von der Besatzung verlassen war . Sie zerstörten die Festungswerke nebst dem künstlichen Hafen und vernichteten 170 eiserne Kanonen, während sie
1 ) Angeführt nach Lord Mahon Band 3, S.55 . 2) Lord Mahon Band 3, S. 56.
10*
126
Englische Plünderungssucht.
22 bronzene von schönem Guß auf ihre Schiffe brachten und später in feierlichem Zuge durch die Londoner Altstadt nach dem Tower führten . Indessen wurde selbst diese leichte Eroberung durch das unwürdige Betragen der britischen Soldaten und Matrosen geschändet. „ Die Offiziere vernachlässigten die Kriegszucht , und die gemeinen Leute entehrten sich,
ungeachtet ein Manifest den friedlichen Einwohnern
Schutz versprach, durch Ausschweifungen und Plünderungen¹ ) . “ * * Im amerikanischen Revolutionskriege englischen Soldaten munter geplündert.
wurde von
den
Sogleich die ersten kriegerischen
Operationen, die der Stadthalter von Virginia Lord Dunmore im Winter 1775/76 unternahm , sind dadurch gekennzeichnet .
Er hetzte nicht
nur die Negersklaven gegen die Rebellen auf, sondern ließ auch Dörfer und Städte, die seine Gebote mißachten, plündern und verbrennen .
3. Napoleonische Kriege . In den napoleonischen Kriegen mußte Wellington sehr häufig gegen die Neigung seiner Truppen zum Plündern einschreiten. Obwohl ihnen bekannt war, daß „ Atty " — so nannten sie ihn mit einer Abkürzung seines Vornamens Arthur - die Plünderung mit der soldatischen Ehre nicht für vereinbar hielt, fielen sie doch, wo sie konnten, über das Eigentum von Verbündeten ebensowohl wie von Feinden her. Als sich nach dem Gefecht von Busaco das englische Heer auf die Linien
von Torres Vedras
zurückzog und durch Pombal
marschierte, sahen der Zahlmeister eines Regiments und mehrere Kranke und Leichtverwundete, daß ein britischer Soldat , offenbar soeben gehängt, einen großen Pfeilerspiegel mit gediegenem goldenem Rahmen auf dem Rücken, von einem Baum herabhing. einander zu : „ Atty ist hier gewesen ! "
Scheu flüsterten sie
Einige Marodeure hatten die
britischen Reihen verlassen , um zu plündern , oder Vorräte zu suchen . Einer verbarg sich in einem Hause, bis er sah, daß der Nachtrab die Stadt verließ.
Dann begann er sich nach Dingen umzusehen , die er
als Beute mitschleppen könnte.
Da er nichts Geeigneteres fand , löste
er den großen Spiegel von der Wand , in der Hoffnung, ihn für ein paar Schillinge wieder verkaufen zu können . Allein er hatte sich in der Berechnung, das ganze britische Heer sei schon vorüber, getäuscht denn kaum verließ er sein Versteck, als er seinem Oberbefehlshaber begegnete . Dieser winkte sofort den Profoß heran, und da kein Zweifel über das
1 ) Lord Mahon Band 4, S. 163.
127
Englische Plünderungssucht .
Vergehen der Plünderung möglich war, so wurde dem Habgierigen sofort ein Strick um den Hals geworfen , um ihn an einem Baum hinaufzuziehen.
Dort hing er noch , als die Franzosen einrückten¹ ) .
Bei der
Belagerung von
Wellington das Benehmen gezündeten Stadt.
San Sebastian 1813
seiner Truppen in der
Sie hatten
zwar
beklagte
vom Feinde
alles mögliche getan,
an-
um das
Feuer zu löschen ; es läßt sich jedoch nicht leugnen, daß sie die Stadt geplündert hatten .
Wellington meinte zwar , dies könne auch
nicht anders sein.
„ Es ist das eine der bösen Folgen , die die
notwendige Erstürmung einer Stadt allemal hat, und jeder Offizier beklagt sie, nicht nur wegen des Unrechts,
das den
unglücklichen
Einwohnern widerfährt , sondern auch, weil alle Disziplin dabei aufhört. Dennoch bin ich überzeugt, daß es unmöglich ist , eine Stadt in einer solchen Lage gegen die Plünderung zu sichern, und ich kann beweisen , daß bei dieser Gelegenheit besondere Sorge getragen ist, sie zu verhüten . Hätte aber nicht das Feuer die Verwirrung vermehrt und eine größere Leichtigkeit zur Ausübung von Unregelmäßigkeiten gewährt, und wäre nicht bei weitem der größere Teil der Offiziere, welche die Bresche erstürmt hatten - 170 von etwa 250 - bei der Erfüllung ihrer Pflicht getötet oder verwundet worden , so würde man doch die Plünderung in größerem Maße , wenn auch nicht ganz , verhindert haben. " 2) Bevor Wellington im November 1813 Vorbereitungen traf, sein Heer nach Frankreich zu führen, um es dort in gute Winterquartiere zu bringen, hielt er es für nötig, einen Tagesbefehl an seine Truppen zu erlassen , in welchem er die Offiziere und Soldaten erinnerte , daß die Völker Europas nur darum mit Frankreich Krieg führten , weil der Machthaber Frankreichs ihnen nicht erlauben wollte, im Frieden zu leben, vielmehr sie seiner Willkür zu unterwerfen suchte ; zu gleicher Zeit möchten sie nicht vergessen, daß die größten Übel, die sie von dem bei dessen ruchlosem Einfall in Spanien und Portugal erlitten , durch die Frevel seiner Soldaten und durch deren Grausamkeiten gegen die unglücklichen und friedlichen Bewohner der genannten Länder veranlaßt wären .
Dieses Betragen an den friedlichen Bewohnern Frank-
reichs rächen zu wollen,
würde unmännlich und der verbündeten Na-
tionen unwürdig sein ." Wie schweres war , den englischen Soldaten das Plündern abzugewöhnen , erweist der Umstand , daß Wellington , sobald ein Teil seiner Truppen beim Plündern betroffen
ward,
nicht
nur die
1 ) John Timbs : Wellingtoniana . Anekdoten, Meinungen und Charakterzüge von dem Herzog von Wellington. Deutsch, Nordhausen , Adolph Büchting, 1853. S. 53 . 2 ) Angeführt nach Timbs , S. 38 f.
128
Englische Plünderungssucht .
Schuldigen nach den Kriegsgesetzen bestrafte, sondern auch das ganze Regiment oder gar die Brigade unter die Waffen treten ließ , um ferneren Zügellosigkeiten vorzubeugen. Kein Wunder, daß die spanischen Truppen , weniger gut ausgerüstet und verpflegt als die englischen, zudem von erbittertem Franzosenhaß aufgestachelt, ebenfalls gern plünderten.
Halb verhungert ,
ohne Schuhe, ohne Geld, in der Seele die Erinnerung an die von den Franzosen
verübten
Grausamkeiten
und
die
von
ihnen
angetane
Schmach, ließen sie sich nur durch die strengsten Maßregeln verhindern , sobald sie auf französischem Boden standen, an den dortigen Bauern Vergeltung zu üben.
Wellington suchte dies nach Kräften zu hindern ,
wie seine Briefe an die spanischen Generale Morillo, Wimpffen und Freyre zeigen. So schrieb er an Freyre : „ Wo ich kommandiere, da soll keinem erlaubt werden zu
plündern.
Wenn plündern erlaubt
werden soll, dann mag ein anderer das Kommando übernehmen .
Es
ist mir gleichgültig, ob ich eine große oder kleine Armee kommandiere ; aber mag sie groß oder klein sein , sie muß mir gehorchen und vor allen Dingen nicht plündern. “ Andererseits blieben die mit England verbündeten Spanier keineswegs davor verschont, von den britischen Soldaten nach Kräften geplündert , wenn nicht gar ermordet zu werden . Das Ärgste ereignete sich in Badajoz .
Lange hatte sich die Stadt,
die von Franzosen verteidigt wurde, gegen den englischen Ansturm gehalten .
Als die Garnison sich endlich gefangen gab, zählte sie nur
noch 4000 Mann .
Die Engländer waren erbittert über die schweren
Verluste, die ihnen der Sturm gekostet hatte.
Hatten sie doch 5000
Mann und 6 Generale verloren ; allein vor der Bresche waren 2000 Mann gefallen. Aus Rache wurde die Stadt 4 Tage lang schrecklich geplündert und mißhandelt.
4. Krimkrieg . Im Krimkriege gelang es den Engländern , ein Schiff zu kapern, auf dem sich ein dem russischen General Osten- Sacken gehöriger Wagen befand .
Osten - Sacken kommandierte in Odessa .
Der englische Admiral,
mit ihm befreundet, ließ den Wagen auf ein Boot setzen und ihn in den von den Russen gehaltenen Hafen Kertsch bringen . Es sollte sich bald zeigen, das dies scheinbar ritterliche Betragen in Wahrheit ein schmählicher Betrug war. Während die Russen dem Boote sich zu nähern erlaubten, sondierte die Mannschaft unter dem Schutze der Parlamentärsflagge das Fahrwasser !
Infolgedessen konnte
sich die englische Flotte schon am nächsten Tage der Festung Kertsch
129
Englische Plünderungssucht. nähern und die kleine Besatzung mußte sich zurückziehen . Schuß abzufeuern , zogen die Engländer ein.
Ohne einen
Was nun geschah, wird am besten von einer englischen Feder wiedergegeben. Der Berichterstatter der „ Times " , der wenige Tage nach der Einnahme von Kertsch dort eintraf, schrieb seinem Blatte : „ Die Plünderung dauert noch immer fort ; die Einwohner sind entflohen, und selbst die Tataren sind in Schrecken gesetzt .
2 oder
3 Tage lang war das Ufer mit Weibern und Kindern bedeckt, die sich dorthin geflüchtet hatten und unter den sengenden Strahlen der Sonne zusammengedrängt standen ; sie waren dem Verhungern nahe ; Mütter hatten ihre Kinder, Kinder ihre Mütter verloren, sie waren in der herrschenden Verwirrung getrennt worden . Unsere Versuche , dem Greuel Einhalt zu tun , sind von der schwächsten und verächtlichsten Art. Wenn man einen Matrosen findet, der irgend ein Beutestück, Gemälde, Bücher, Hausgerät fortgeschleppt, so nimmt man es ihm weg und wirft es ins Meer. Die Folge davon ist, daß die Leute, wenn sie in der Stadt umherschweifen ,
wo niemand sie
überwacht, alles in Trümmer schlagen, was ihnen in die Hände fällt . Die Türken lassen wir ungestört, und das Verfahren gegen unsere eigenen Leute ist nur lächerlich und führt zu nichts.
In einer der
letzten Nächte hieß es, daß die Kosaken kämen, und dies gab dem Werke der Zerstörung neuen Antrieb.
In Wahrheit gibt es keinen
Kosaken näher als 10 Meilen, man beschloß aber, ihnen jede Möglichkeit zu entziehen, sich Proviant zu verschaffen , und verbrannte alles Getreide, das man fand. " „ Unter dem Vorwande, die Zerstörung sei durch die Notwendigkeit geboten, erhielt das Plündern auf eigne Rechnung freie Hand , und der Anblick, den die Stadt darbietet, kann nur mit jenem von Palmyra oder anderen Stätten der Verwüstung verglichen werden. Längs des Kais ist eine lange Reihe von Mauern, die einst die Vorderseite von Kaufläden, Magazinen , Wohnhäusern und Palästen bildeten .
Sie sind jetzt Ruinen , und auf der ganzen langen
Strecke am Meeresufer ist auch nicht ein Gebäude unberührt geblieben . Ja, doch eins - das Palais des Fürsten Woronzoff ; die Spuren mutwilliger Zerstörung und Gewalttat sind aber zu häufig und zu bedeutend , als daß wir bei dem Anblick dieses einzigen unversehrt gebliebenen Palastes lange verweilen dürften . schied gemacht. “
Die Flammen haben keinen Unter-
„ Wurde ein Regierungsgebäude oder die Wohnung eines Beamten in Brand gesteckt, so verbreitete er sich, wie es eben dem Winde beliebte.
Hie und da steht eine vereinzelte Ruine mit schwarzen Mauern
und rauchendem Gebälk in einer Straße, deren Häuser das Feuer zwar
130
Englische Plünderungssucht.
geschont hat, die aber so gänzlich verwüstet und zerstört sind, als ob sie dasselbe Schicksal getroffen hätte . Die Mauern und das Dach stehen zwar noch, aber alles übrige, was zu einem Hause gehört, ist verschwunden ; die Türen sind in Trümmer geschlagen , die Laden zerbrochen und alles Gerät vom Keller bis zum Dachstuhl in Stücke geschlagen. " „ Man kann ganze Straßen durchwandern und sieht überall das gleiche einförmige Schauspiel von Verwüstung. Der Marktplatz, der mit Kaufläden umgeben war, von denen einige bei unserer Ankunft geöffnet blieben, ist geplündert worden, und der Boden ist zollhoch mit Bruchstücken jener tausenderlei Artikel bedeckt, mit denen der Krämer handelt. In den Gossen fließt Wein und in den Kaffeehäusern und Schenken , wo die Plünderer sich früher allem Anscheine nach sehr gütlich getan , ist nun alles in Atome zerschlagen. Ein geräumiger Bogengang mit Kaufläden , ähnlich solchen zweiten Ranges in Turin , ist von oben bis unten ausgeraubt. " ,,Hie und da hatten die Leute französische oder sardinische Fahnen alles umsonst . Selbst
ausgehängt, um ihre Häuser zu schützen
die dürftigsten Häuschen entgingen nicht dem allgemeinen Lose und scheinen aus bloßer Lust an Zerstörung und Gewalttat überfallen worden . zu sein, da sie keine Aussicht auf irgend eine Beute darboten. Schweigen
und die Öde ,
welche jetzt da herrschen ,
Das
wo noch vor
wenigen Tagen eine geschäftige Volksmenge sich drängte, ist ungemein peinlich und betrübend. ¹)" Der eine unzerstört gebliebene Palast verdankte seine Rettung keineswegs einem Zufall. Vielmehr gehörte er dem Fürsten Woronzoff, dessen Mutter eine Pembroke war - es floß also englisches Blut in
den
Adern
dieses
Mannes und deshalb wurde
sein Eigentum
geschont. Es gibt zwar Engländer , die behaupten , in der Krim hätten ihre Landsleute sich an der Plünderung nicht beteiligt während sie
dann
doch,
beinahe mit
demselben Atem,
müssen , daß britische Matrosen mitplünderten. der Kriegsberichterstatter William Russell aus Kertsch 28. Mai 1855 an die Times :
zugeben So schrieb unter dem
99 Ehe ich die Vorfälle berichte , welche
sich seit dem Abgang meines letzten Briefes ereignet haben, muß ich den Gefühlen der Entrüstung und des Abscheues Worte geben, die jedes zivilisierte Wesen bei dem Anblicke der in der Stadt angerichteten
1 ) E. von Ugény : Rußland und England . Äußere und innere Gegen. sätze . Leipzig, Wilhelm Friedrich , 1881. S. 216 ff.
131
Englische Plünderungssucht . Verwüstung fühlen muß ,
und gegen jede Beschuldigung protestieren
daß die Plünderung von Kertsch, einem Engländer oder englischen Untertan, mit Ausnahme des Generalleutnants, dessen Nachlässigkeit so schmachvolle Ausschweifungen geschehen ließ. zuzuschreiben sei. " Nach wenigen Zeilen aber berichtet er weiter : „An dem Nachmittage des Tages, wo wir Jenikale besetzten, kamen die Mannschaften von einigen Kauffahrteifahrern¹ ) vor Ambalaki ans Land und fingen an , in drei oder vier zugeschlossene oder versperrte Häuser einzubrechen Was sie nicht fortbringen konnten, zerund dort zu plündern . schmissen sie in kleine Stücke .
Gegen Abend sammelten sich türkische
Marodeurs und andere Nachzügler in der Stadt und begingen die Zu Plünderung und mutwilliger Verscheußlichsten Verbrechen . wüstung kamen jetzt Notzucht und Mord .. trouillen bemühten
sich ,
die Ordnung
Die französischen Pa-
aufrecht zu erhalten und es
gelang ihnen einigermaßen, aber nicht eher als bis sie einige Tataren und Türken verwundet und getötet hatten. Ein Elender wurde erschossen,
wie er frohlockend die Straße herabkam und einen Säbel
der noch von dem Blute eines armen Kindes, welches er in Stücke zerhackt hatte, triefte. Andere wurden erschlagen, während schwang,
sie die scheußlichsten Untaten begingen . Einige schleppte man verwundet ins Gefängnis oder ins Hospital, und endlich wurde Achtung vor dem Leben durch Vernichtung desselben wieder hergestellt . Ein Selbst Wilde hätten allgemeines Blutbad fand allerdings nicht statt. nicht die Bewohner einer Stadt abgeschlachtet , die sich ihnen ergeben hatten und auf ihre Barmherzigkeit vertrauten . Es wurde jedoch den Franzosen sehr schwer, die Ausschweifungen der Türken und einiger ihrer eigenen Landsleute im Zaume zu halten. " Und nun muß Russell zugeben, was er oben absichtlich verschwiegen hat , daß unter den Plünderern
britische Matrosen
waren :
„Auch
einige
englische
Matrosen von Handelsschiffen halfen bei der Plünderung und störung mit. "
Zer-
Sogar das Museum , nach dem Modell des Pantheon gebaut, wurde geplündert und an dem unersetzbaren Inhalt sinnloser Frevel verübt, so daß Russell berichtete : „Auf den weißen Türflügel hat in seiner Entrüstung ein Franzose oder Russe mit Bleistift folgende Abmahnung geschrieben, die nur zu gerechtfertigt war, wer auch immer die Zerstörung drinnen angerichtet haben mag :
1 ) Russell sagt vorsichtigerweise nicht, welcher Nationalität sie waren, was er sicherlich nicht unterlassen hätte, falls es keine Briten gewesen wären.
132
Englische Plünderungssucht. En entrant dans cette temple, où reposent les (souvenirs?) d'un siècle passé, j'ai reconnu les traces d'une invasion des Vandales. Hélas ! Français ou Anglais , faites la guerre à la (postérité ?) mais ne la faites pas à l'histoire .
Si vous avez la
prétention d'être nations civilisées, ne faites pas la guerre des barbares ! " Also auch hier waren offenbar die Engländer beteiligt, da Russell, hätte auch nur die Möglichkeit vorgelegen, dies zu leugnen, heftig dagegen Stellung genommen hätte. Unbeschreiblich waren die in diesem Museum angerichteten Verwüstungen.
99 Man mußte sich wirklich ver-
wundert fragen, wie die Wut von nur wenigen Menschen in so kurzer Zeit eine so große Verheerung anrichten konnte. Der Fußboden des Museums ist mehrere Zoll hoch mit zerbrochenem Glas, Bruchstücken von Statuen , Vasen, Urnen, dem kostbaren Staub, den sie einschlossen und halbverkohlten Stücken Holz und Knochen bedeckt, untermischt mit den Splittern von den Regalen , Kästen und Kein Stückchen von Schränken, in welchen sie aufbewahrt waren. etwas, was sich zerbrechen oder verbrennen ließ, war vom Hammer oder Feuer verschont geblieben. Die Schränke und Bretter waren von den Mauern gerissen, das Glas in Atome zerschmettert, die Statuen in Stücke zerklopft ; es war kaum möglich, zu erraten , was sie früher gewesen waren. Stieg man hinauf auf den Sims, wo die Aschenurnen gestanden hatten , so war die Zerstörung fast ebenso vollkommen.
Ein großer Hund hatte sich furchtsam unter die Vasen-
trümmer verkrochen und heulte kläglich als er fremde Tritte hörte. Die halbverbrannten Gebeine,
welche
sich
in den Vasen befanden,
waren, mit Staub und Asche vermischt, auf den Fußboden verstreut, und kaum eine einzige Urne oder ein einziges irdenes Gefäß war unzerbrochen geblieben .
Hier und da entdeckte man ein Stück Marmor
mit ein paar griechischen Buchstaben, und die Marmortafeln und Bildwerke, welche vor dem Gebäude standen, waren meist zu groß und zu massiv, um sich leicht zerschlagen zu lassen ; aber im ganzen war das Zerstörungswerk vollständig und wurde nur in einigen der schönsten Häuser der Stadt erreicht , wie z. B. in dem des Gouverneurs, wo die Verwüstung ebenso rücksichtslos gehaust hatte. " „Eine einzige
vor der Tür aufgestellte Wache hätte alle diese
schändlichen Verwüstungen
verhütet,
welche
der
unseren Generalen und Truppen zuschreiben wird.
Feind
jedenfalls
Die Tataren können
bei der Zerstörung des Museums mitgewirkt haben, oder die Türken sind auch vielleicht die einzigen Urheber, aber der Tadel wird jedenfalls die zivilisierten Staaten treffen , deren Offiziere und Soldaten den tätigsten Anteil an den Operationen gegen den Feind nahmen .
Die
133
Englische Plünderungssucht.
Wohnung des Gouverneurs auf dem Kai, ein großes und schönes Gebäude nach französischem Stile, hat sehr gelitten, und kein einziges Stück Möbel ist unversehrt geblieben.
Die Fußböden der Salons sind
mit kleinen Bruchstücken kostbarer Spiegel bedeckt.
Die Schlösser
von solidem Messing, die Türgriffe und Fensterwirbel von demselben Material sind abgerissen oder zerbrochen, und kein einziges Fenster im ganzen Hause ist ganz geblieben . Beine von Sofas , Stühlen und Tischen,
Bruchstücke
geschlitzte
von
Schreibtischen
und
Bücherbrettern ,
Kissen von Ottomanen und Ruhesesseln ,
auf-
zerfetzte Über-
züge von vergoldetem Leder und Damast liegen mit den Haaren und Federn der Betten und Kissen bunt durchmischt über das ganze Haus
verstreut ;
und
öffentliche Urkunden,
Regierungsakten ,
Pässe
usw. bedecken in einigen Zimmern zolltief den Boden .
Ge-
leerte Flaschen
den
in allen Zimmern
zeigten ,
daß die Plünderer
Weinkeller zeitig genug entdeckt hatten , und die Entdeckung hatte wahrscheinlich ihre Wut und Zerstörungslust nur vermehrt . . . Wohin
die Plünderer kamen,
kunden
und
Papiere ;
zerrissen und verschleppten sie alle Ur-
und die
Archive
von
Kertsch
werden
für
einige Jahre in einem sehr unbefriedigenden Zustand für die russischen Behörden sein. " „ Die zu den Werften gehörigen Magazine in Kertsch enthielten große Mengen von Militär- und Marinevorräten Dampfkesselplatten , Drehbänke,
Ingenieurwerkzeuge ,
Ankerketten,
ganze Ballen
Ölfarbe ,
von Capots,
Segeltuch,
Ankertaue und
Uniformjacken ,
Beinkleider
und Mützen , Tornister, Lederzeug, Bajonette, Säbel , Anker, kupferne Nägel und Bolzen , Messing, Ruderpinnen , Blei usw. Die Franzosen sind während
der letzten paar Tage
sehr beschäftigt gewesen ,
die
Kleidungsstücke usw. aus den Magazinen zu räumen und zu vernichten. Die wertvolleren Vorräte sind zwischen den Verbündeten nach ihrem guten Glücke und ihrer Energie im Aneignen geteilt worden ... Außerhalb der Umfassungsmauer der Werft, die jetzt Ochsen und Pferden zum Aufenthalte dient , steht eine andere lange Reihe von Regierungsmagazinen und Speichern , welche fast alle ausgeleert und zerstört sind.
Soldatenmützen, Lederzeug, Uniformröcke ,
Beinkleider, Patronentaschen , Tornister und Feldflaschen liegen über den ganzen Kai vor denselben verstreut. hat
Mit einem Worte, Kertsch
aufgehört eine Militär- und Marinestation zu sein, und die Be-
sitzung, auf welche Rußland noch vor kurzem so hohen Wert legte , nützt ihm Dagh. "
jetzt nicht mehr als die öde Schneedecke des Tschatir
Ein weiteres Zugeständnis
für die Beteiligung der
englischen
Truppen an der Plünderung gibt Russell, wenn er davon spricht, daß
134
Englische Plünderungssucht.
dieselben Versuche, das Eigentum der Bewohner zu zerstören , die in Kertsch von solchem Erfolge begleitet waren,
auch in Jenikale
von den Truppen gemacht, hier indessen von den Generalen unterdrückt wurden .
Dabei scheint der englische Befehlshaber Sir George
Brown vor allem Sorge getragen zu haben , die Zerstörung der Häuser durch die Franzosen unter dem Vorwande, daß sie Brennholz brauchten, zu verhüten .
„ Dessen ungeachtet ist fast jedes Haus in
der Stadt geplündert und alles darin zerschlagen worden .
Mehrere
Gebäude wurden in Brand gesteckt und nur mit Mühe gelöscht , und zu einer Zeit
war die ganze Stadt mit einer allgemeinen Feuers-
brunst bedroht, da der Wind die Flammen nach der Hauptstraße zu trieb ¹). ". Ein noch grauenhafteres Bild von der Plünderung und Zerstörung von Kertsch entwirft die " Allgemeine Zeitung“ vom 4. Juli 1855 : " Während die Franzosen , die vom ersten Tage der Besetzung von Kertsch durch die Verbündeten alles, was ihnen geliefert wurde , bar bezahlten, auch für die Sicherheit der Bewohner nach Möglichkeit Sorge trugen, begingen die Engländer, gleichsam zum Hohne des edleren Benehmens der Franzosen , die empörendsten Frevel gegen Personen und Eigentum im Innern der Stadt. Mittlerweile hausten die Türken einer wilden Horde gleich in der Umgebung, plünderten die Landhäuser, mißhandelten die Bewohner aufs roheste, mißbrauchten die Knaben und Frauen . Pianofortes
und
Möbel
Man sah englische Seeleute und Matrosen aller
Art
fortschleppen ,
Warenniederlagen
plündern (unter anderen jene der Kaufleute Yevleff und Tomasini ) und selbst Kirchen nicht schonen , aus denen sogar Offiziere , die brennende Zigarre im Munde , Heiligenbilder und kostbare Gerätschaften forttrugen . „ Die englischen Matrosen, fast alle betrunken, vielmehr besoffen , schändeten Weiber und Mädchen , und wehe dem armen Familienvater, der sich seiner Angehörigen annehmen wollte .
Mehrere Frauen wurden
von ihnen aufs Schiff geschleppt und das Haus des Gouverneurs zum Bordell umgeschaffen . Eine Amme mit dem Säugling an der Brust wurde von den Matrosen entführt ; die Mutter ward vor Schreck und Schmerz wahnsinnig.
Die Türken , welche in geringer Zahl die Stadt
besuchten, entschädigten sich, wie gesagt, reichlich durch die rohesten Exzesse in der Umgebung,
wo sie
(ebenso wie in Jenikale) in Ver-
bindung mit Tataren in wahrhaft kannibalischer Weise wüteten . Mädchen,
welches
Einem
seine Eltern vor den Augen töten sah, weil diese
1 ) William Russell : Aus dem Feldlager der Krim. Julius Seybt. S. 221-226.
Deutsch von
135
Englische Plünderungssucht. die Unschuld ihres Kindes schützen wollten, dieser lichen ,
Unholde die
zu
entspringen .
Töchter des
gelang es , den Klauen
Die Gattin des griechischen Geist-
Kaufmanns
Beliajeff,
die
Schwestern des
Schullehrers Koltschan und mehrere andere wurden Opfer ihrer Brutalität. Nebstdem wurden auch manche Mordtaten verübt¹) . " Ebenso wie im Schwarzen und Asovschen Meere benahmen sich die Engländer auch in der Ostsee . Weil sie gegen die starken Seefestungen Sweaborg und Kronstadt nichts ausrichten konnten, ließen sie ihre Wut an kleinen offenen Städtchen wie Nystadt aus. „Auch hier wurde alles verwüstet, was sich erreichen ließ, arme Dörfer ganz
zwecklos zerstört
niedergebrannt,
und die Vorräte von Holz und Teer
lauter Privateigentum, die
Hauptausfuhrartikel der
Finnländer. Die Fischer, die sich ins Meer hinauswagten, wurden aufgegriffen, ihrer paar Kopeken beraubt - obgleich die englischen Matrosen gewiß viel reicher waren als diese armen Teufel und ihre Boote versenkt² ) . “
5. Kolonialkriege des 19. Jahrhunderts. Der Feldzug gegen Afghanistan ,
der 1842 für die Engländer
so unglücklich endete, ließ sie dennoch das Plündern nicht vergessen . So wurde die Stadt Kabul, die 60000 Einwohner gezählt hatte , bis auf den Grund zerstört.
Eine Menge Beute schleppten die Briten mit
sich , während hinter ihnen nur Leichname und Todesstätten zurückblieben.
Nach der Eroberung der abessynischen Bergfeste Magdala ( 1868) erwachte in den britischen Truppen die Raublust. In der ganzen Burg suchten sie nach der Schatzkammer. Sobald sie Schmuck und Kostbarkeiten fanden , rissen sie sich gleich wilden Tieren um die Schätze.
Goldbarren , ja selbst Kronen zerschlugen sie .
sie nicht gebrauchen konnten, störungswut :
Bücher wurden
Was
zertrümmerten sie in viehischer Zerzerrissen,
das Brauchbare
eingesteckt ,
das andere verwüstet.
Ja nicht einmal damit war man zufrieden. man auch die Toten . entledigt und untersucht,
Alsbald plünderte
„ Leichen wurden ausgegraben, ihrer Binden dann nackt auf die Erde geworfen,
1 ) Angeführt nach Ugény, S. 219 f. 2) Allgemeine Zeitung" vom 4. Juli 1855 .
selbst
136
Englische Plünderungssucht .
die Leiche
des
Albuna wurde
herausgerissen
und
ihres
goldenen
Kreuzes , das auf der Brust gelegen , beraubt¹). " Ja es kam zu noch scheußlicheren Frauen, die der Beschreibung spotten.
Dingen :
Gewalttaten
an
*
Von dem,
was
sich nach der
Beschießung Alexandriens
1882 durch die Engländer ereignete, gibt ein montenegrinischer Augenzeuge, ein warmer Freund und Bewunderer der Briten, der die Beschießung selbst durchaus in Ordnung fand , einen Bericht, der für die englische Plünderungssucht um so beschämender ist, als er ausdrücklich feststellt, anständiger als druck,
„mäßig, ruhig und
„ Unangenehm war der Ein-
den die Rohheit und beständige Trunkenheit vieler englischer
Soldaten machte. wurde den strafe
daß die indischen Soldaten
die Engländer" waren :
Schon
eine Woche nach Besetzung Alexandrias
Schankbesitzern bei Entziehung ihrer Licenz und Geld-
verboten,
den englischen Soldaten
geistige Getränke zu ver-
abfolgen, und trotzdem konnte ich täglich betrunkene Soldaten sehen . Außerdem verscherzten sich die englischen Soldaten bald das Zutrauen der Bevölkerung durch von ihnen begangene Diebstähle und Gewaltakte. Wiederholt wurden jene beim Plündern der noch erhaltenen Häuser betreten, und einer meiner Bekannten wurde abends auf offener Straße von
sechs
Soldaten
die Soldaten Einkäufe und dergl.2). “
ausgeraubt.
machten
und
nicht
Es kam zahlten,
auch vor,
daß
Geld erpreßten
(Schluß folgt. )
1 ) Angeführt nach Ugény, S. 191 . 2) Spiridion Gopčevič : Studien über außereuropäische Kriege jüngster Zeit, S. 182.
Literatur.
137
Literatur.
I. Bücher. Vom Weltkrieg zum Weltbund . Von Dr. Richard von Kralik. Abhandlungen, Aufsätze, Gedanken und Stimmungen. Tyrolia. Innsbruck. Preis 5 Kr. oder 4,20 M.
Unter dem Weltbund , den der Verfasser als Ziel des Weltkrieges erkennt, versteht er keine pazifistische Utopie, sondern den bereits bestehenden Bund der Mittelmächte von Berlin über Wien , Budapest Sofia, Konstantinopel bis nach Bagdad und an den Persischen Meerbusen. Die Zentralmächte haben gesiegt, wenn sie nur diesen Bund festhalten und ausgestalten. Dem bündischen Gedanken , nicht dem Imperialismus gehört die Zukunft. Dabei tritt die Kulturmission Österreichs und des Deutschen Reichs unter den Völkern Europas besonders hervor. Das Buch enthält eine Fülle von Ideen und Tatsachen in knappstem Umfange. Dem Leser wird eine zukunftsfreudige , besonnene Stimmung mitgeteilt. Wir haben nur auszusetzen eine recht einseitige Beurteilung Bismarcks und eine nicht allen Lesern zuBalck. sagende Betonung des katholischen Standpunktes . Schutzhaftgesetz, Kommentar. Von Romen. Berlin 1917 . J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. H. 125 Seiten . Preis geb. 2,50 M. Das neueste Heft der Guttentagschen Sammlung Deutscher Reichsgesetze ( Nr. 128 ) enthält das Gesetz , betr. die Verhaftung und Aufenthaltsbeschränkung auf Grund des Kriegs- und Belagerungszustandes , vom 4. Dezember 1916 , mit Erläuterungen unter Benutzung der amtlichen Quellen und einleitenden Bemerkungen über den bisherigen Rechtszustand und der Grundsätze des Gesetzes vom Wirklichen Geheimen Kriegsrat Dr. A. Romen . Das „ Schutzhaftgesetz " , das die Anordnung der Haft und die Aufenthaltsbeschränkung gegenüber deutschen Reichsangehörigen von bestimmten Voraussetzungen (Notwendigkeit zur Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit des Reichs , § 1 ) abhängig macht und durch bestimmte Formen und Kautelen (schriftlicher, verkündeter Haftbefehl § 2, Beschwerderecht § 3, richterliche Vernehmung § 4, Verteidigung $$ 7-9, Beistand § 10) beschränkt, das ferner über die Dauer und Vollstreckung der Haft (§§ 5 , 6 ) , über deren Anrechnung auf gerichtliche Strafen (§ 12), und schließlich über eine Entschädigung bei aufgehobener Haft (§ 13 nach Maßgabe des Reichsgesetzes vom 4. Juli 1904, das dem Kommentar als Anhang beigefügt ist) Bestimmung trifft. - Dieses Gesetz bedurfte einer alsbaldigen Kommentierung, um so mehr als es nach Inhalt und Entstehung im besonderen Maße ein „politisches" Gesetz ist. Der Name Romen bürgt für die Zuverlässigkeit der Erläuterungen . - Zu wünschen wäre, wie wir hier schon einmal anregten , daß der Verlag seinen Kommentaren zu schnellerer Orientierung den Gesetzestext in fortlaufendem Abdruck Dr. Everling. voranschickte.
Literatur.
138 Lebensbeschreibung
Hans
Joachims von Zieten.
Von Louise
Johanne Leopoldine von Blumenthal geb. von Platen . Ohne Ort und Jahr. 1796. Neudruck besorgt von Edwin Krutina . Berlin-Charlottenburg 1916. Felix Lehmann Verlag, G. m. b. H. 2 Bde. Preis 5 M. Mit diesem Neudruck hat der Verlag nicht bloß allen denen , die sich für die Persönlichkeit dieses volkstümlichsten aller Generale des großen Königs interessieren , eine große Freude bereitet , sondern auch derjenige findet hier eine lohnende Lektüre, der Einzelheiten des Soldatenlebens und der Kriegsführung der damaligen Zeit kennen lernen möchte . Nicht nur biographisch , sondern auch vielleicht in noch höherem Grade - kulturgeschichtlich ist das Buch interessant. Es ist „Kriegsliteratur" im besten Sinne gerade auch für unsere Zeit. L. E. Kifsling- Valentin : Bismarck und die Frauen. Roman . Verlag Grethlein & Co. , G. m. b. H. , Leipzig 1917 , 464 S. Ein Bismarckbuch ist bei allen Deutschen , zumal bei den Lesern der „Jahrbücher", lebhaften Interesses gewiß. Deshalb soll hier auf den Roman von Kißling- Valentin hingewiesen werden , dessen Verfasserin das verlockende , historisch noch nicht in allen Punkten ausgeschöpfte Thema „Bismarck und die Frauen “ in erzählender Form behandeln will . Das Buch zeigt auf jeder Seite hingebende fleißige Quellenstudien . Ein reizvolles Mittel, die wohlbekannten Personen des Bismarck'schen Kreises uns näher zu bringen , bilden die Porträts und Autogramme, die dem Buch zahlreich und in guten Wiedergaben einEv. gestreut sind .
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher . (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafegabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Unser Korps 1914/15 . Ein Erinnerungsbuch . Stuttgart und Karlsruhe i . B. Franckh'sche Verlagsbuchhandlung. Feldausgabe in Pappbd . 2,25 M. , Vorzugsausgabe auf stärkerem Papier in Pappbd . 3,25 M. 2. Erblich, Die Ausbildung zum Flugzeugführer. Berlin 1917. Richard Carl Schmidt & Co. 3. Bracht, Unter Hindenburg von Tannenberg bis Warschau . Berlin 1917. E. S. Mittler & Sohn . 1,80 M. 4. Engelbrecht, Dem Verdienste seine Kron ! Halle (Saale), Verlag Richard Mühlmann . 0,30 M. 5. Engelbrecht, Euch Helden sei Dank ! Halle (Saale ), Verlag Richard Mühlmann . 0,25 M. 6. Dietz, Archiv für Militärrecht. 7. Band , 3. - 5. Heft. Mannheim , J. Bensheimer 1917. Jährlich 6 Bände. 12 M. Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
XI .
Zur Geschichte der
Befreiungskriege .
Von J. v. Pflugk- Harttung.
1. Der Oberbefehl bei den Verbündeten 1813. In den beiden Feldzügen des Jahres 1813 schienen die Umstände Während des Frühjahrserfolgverheißend für Napoleon zu liegen . feldzuges besaß er die Übermacht der Zahl, und im Herbste stand diese den Streitkräften der Verbündeten ziemlich gleich ; was aber besonders die Wagschale zu seinen Gunsten senken mußte,
war die Art des
Oberbefehls. Auf der einen Seite herrschte unbedingt das Wort des korsischen Gebieters, auf der andern verhinderten Bündnisverhältnisse und Persönlichkeiten eine einheitliche Leitung. Im Frühjahrsfeldzuge, wo Preußen und Russen zusammenstanden, überließ Friedrich Wilhelm den letzteren die Führung, weil er in seiner Bescheidenheit erwartete, daß sie auch die Haupttruppen macht stellen würden.
Dies erwies sich aber als unrichtig,
die Russen setzten nur
verhältnismäßig geringe Streitkräfte ein . Den Oberbefehl hatte Kutusow, ein dem Tode entgegensiechender Greis , der die ihm auf Rußlands Eisfeldern zugefallenen Lorbeeren nicht aufs Spiel setzen wollte und einer Fortführung des Feldzuges diesseits der russischen Grenze durchaus widerstrebte. Er hielt sich ihr deshalb möglichst nahe und verhinderte durch bleischwere Tatenlosigkeit kriegerische Vorgänge . Die russischen Kampftruppen in der Front leitete Wittgenstein . die preußischen Blücher, der jenem untergeordnet war.
Bei Großgörschen
kam es zu einer furchtbar erbitterten Schlacht, deren Last hauptsächlich die Preußen tragen mußten. Die russische Garde, die als Leibtruppe des Kaisers galt, sah, 11000 Mann stark, müßig zu, und ein ganzes russisches Korps blieb untätig bei Zeitz stehen . Wittgensteins Maßnahmen ließen viel zu wünschen, und Kaiser Alexander, der eitel Mut beweisen. wollte, begab sich ohne Not ins Schlachtengewoge, so daß sein General wiederholt damit zu tun hatte, ihn glücklich wieder hinaus zu bringen. 11 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 553
140
Zur Geschichte der Befreiungskriege.
Hierdurch sah er sich von der Hauptsache abgelenkt , und die Schlacht leitete zeitweise eigentlich niemand oder jeder. Die Niederlage wirkte natürlich ungünstig ; der eine schob dem andern die Schuld zu , namentlich war Friedrich Wilhelm erzürnt auf Alexander.
Beim Rückzuge dachte er an die Deckung Berlins , aber
der Zar schlug die Richtung auf Breslau ein, um dem eignen Lande und Österreich nahe
zu sein .
Wittgenstein faßte Pläne,
ohne
sie
auszuführen . Sein Ansehen hatte stark gelitten. So kam es zur zweiten Schlacht bei Bautzen. Hier stand der Oberbefehl natürlich wieder Wittgenstein zu ; unter ihm befand sich Barclay mit höherem Dienstalter und neben oder richtiger über beiden waltete der Zar, der die Gelegenheit günstig erachtete , seine vermeintlichen militärischen Fähigkeiten zu zeigen . Noch am Spätabend vor der Schlacht trat im Hauptquartiere Friedrich Wilhelms ein Kriegsrat zusammen ,
auf dem die Russen ,
vor allem
Barclay, für Rückzug hinter die Neiße , die Preußen für Standhalten gewesen sein sollen.
Diese Auffassung sagte auch wohl dem Zaren zu ,
und so erwartete man den Morgen , unter den denkbar ungünstigsten Umständen : Man besaß keine gute Stellung, der Feind war wesentlich stärker, und wieder versagte die Befehlsführung,
so daß eigentlich
überhaupt keine Oberleitung bestand. Obwohl Wittgenstein diese dem Namen nach hatte, riß sie in Wirklichkeit der Zar an sich, was den General so verstimmte, daß er schließlich die Dinge völlig gehen ließ. Er stellte sich neben einen Baum und schloß die Augen .
Wenn die
Verbündeten dennoch keine vernichtende Niederlage erlitten , so beruhte dies auf der Tapferkeit ihrer Truppen und den Fehlern des Feindes . Bald sah Wittgenstein sich durch Barclay ersetzt. Natürlich
durften
solche Zustände nicht bleiben
als Österreich
sich den Verbündeten anschloß und der Herbstfeldzug begann¹ ) .
Und
doch gelangte man über die Schwierigkeit nicht hinweg. Leider sind die Nachrichten wegen der Befehlsverleihung ungenügend . Augenscheinlich intrigierte man im Stillen und verhandelte mündlich.
Es
wurden drei Heere aufgestellt : die Nordarmee unter Bernadotte, das schlesische Heer unter Blücher und die Hauptarmee in Böhmen , deren österreichische
Truppen
dem Fürsten
Schwarzenberg
unterstanden .
Eine der ersten Fragen mußte lauten : Soll einer dieser Heerführer auch das Oberhaupt der Gesamtstreitkräfte sein , oder ist für diese ein eigner Feldherr zu bestellen ¹ ).
Hier kreuzten sich die Ansichten .
Bei einer
1 ) Gleise v. Horstenau, Feldzug von Dresden ( K. u . K. Befreiungskrieg III ), S. 19. - Friederich , Herbstfeldzug 1813, S. 51 ff. Vgl. Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 1913, S. 437 ; 1914, S. 256, 265.
Zur Geschichte der Befreiungskriege.
141
gemeinsamen Leitung lag zunächst, einen der drei Monarchen zu erheben, weil nur ein solcher das erforderliche Ansehen und die Macht zur Gehorsamserzielung besaß . Da Kaiser Franz und König Friedrich Wilhelm nicht in Betracht kamen, so blieb Zar Alexander übrig. Bereits 1812 hatte er zeitweise an der Spitze seiner Armeen gestanden , und als Herrscher umstrahlte ihn der Ruhm des russischen Sieges . Im Frühjahr 1813 hatte er die Führung und damit die Verantwortung klug einem seiner Generale überlassen, offenbar weil er dem Ausgange des Feldzuges nicht recht traute.
Das hinderte ihn aber keineswegs, wie wir sahen,
in weitem Umfange die Dinge eigenmächtig zu bestimmen .
Wesentlich
anders lagen die Verhältnisse seit dem Beitritte Österreichs ; nun besaß man ausreichende Kampfmittel und durfte auf Sieg hoffen. Demgemäß erstrebte Alexander den Gesamtoberbefehl, auch der König von Preußen . zeigte sich damit einverstanden.
Zwar war der Zar weder geschulter
Soldat noch ein zielbewußter Feldherr,
aber
doch militärisch nicht
unbegabt, dabei ehrgeizig, unternehmend und von hervorragenden Männern wie Toll, Diebitsch, Jomini und Moreau beraten. Nach alledem . erschien er als bestgeeignete Persönlichkeit. Aber solchen militärischen Erwägungen widersprach die Politik. Hatte Alexander im Zweibunde an der Spitze gestanden, so verlangte im Dreibunde Österreich die Führung .
Unter dieser Voraussetzung war
Metternich ihm überhaupt beigetreten. Rasch setzte er seinen Willen. in der Politik durch und wünschte ihn ebenfalls in der Heerführung zu erreichen.
Trat Alexander in die entscheidende militärische Stelle, so
konnte sich daraus leicht ein politisches Übergewicht Rußlands entwickeln, und das wollte Österreich unter allen Umständen verhindern . Metternich wünschte deshalb einen Österreicher als obersten Feldherrn .
Ließ man
Kaiser Franz als durchaus unkriegerisch beiseite , so erschien unfraglich Erzherzog Karl als geeignetster Mann , der Sieger von Aspern, der in den österreichischen Militärkreisen und weit darüber hinaus großes Ansehen besaß .
Aber der Erzherzog genoß nicht die Gunst des Hofes
und war für Metternichs Pläne zu selbständig.
In zweiter Linie ließ
sich etwa an Erzherzog Johann denken, dessen Einschätzung freilich durch sein Verhalten bei Wagram sehr gelitten hatte und der sich an Vertrauen weitaus nicht mit seinem älteren Bruder messen konnte. So war er ebenfalls nicht genehm , vielleicht auch nicht vollwertig, überdies stark eigenwillig . Von den übrigen militärischen Würdenträgern konnte eigentlich nur Schwarzenberg in Betracht kommen . Er war Fürst, Feldmarschall, dem Staatskanzler zugetan und gewissermaßen gehorsamgewohnt, weil er noch kurz vorher den Gesandtschaftsposten in Paris unter Metternich bekleidet hatte . Freilich , besondere kriegerische Lorbeeren vermochte er bisher nicht aufzuweisen, aber das erschien weniger 11 *
142
Zur Geschichte der Befreiungskriege.
wichtig, als daß dieser beeinflußbare Grandseigneur die Eigenschaften besaß , die Metternich für seine politischen Ziele brauchte. Mit großem Geschicke verstand die Hofburg, ihn in den Vordergrund zu schieben , zunächst als Befehlshaber der Hauptarmee .
Hier
scheint die Frage einer Gesamtheerführung anfangs beiseite gelassen zu sein und es sich nur um die Leitung der in Böhmen versammelten verbündeten Streitkräfte gehandelt zu haben. Unter diesen bildeten die
Österreicher weitaus die
Mehrheit,
und
ihr
Befehlshaber war
Schwarzenberg .
Örtlichkeit und Zahl also sprachen dafür, ihm auch die Leitung der hinzugezogenen Truppen , also der Hauptarmee , zu übertragen. Mit Recht konnte Österreich den Oberbefehl im eigenen Lande und über eines der drei Heere fordern. Und trotz alledem erschien der Anspruch sowohl Alexander wie Friedrich Wilhelm unbequem . Ungern und zögernd erkannten sie Schwarzenberg an, und nur so , daß die russisch-preußischen Bestandteile der Hauptarmee unter dem Sonderbefehle des russischen Generals Barclay verblieben, des Nachfolgers Wittgensteins und bisherigen Höchstkommandierenden des Zweibundes. Er sollte sich nach den Weisungen Schwarzenbergs richten, befolgte tatsächlich aber die Wünsche des Zaren . Man kann sich denken , daß bei solcher Sachlage die Erhebung Schwarzenbergs
zum Leiter der Gesamtstreitkräfte der Verbündeten
erst recht auf Widerstand stieß, nicht nur aus militärischen , sondern ebenso sehr aus persönlichen wie politischen Gründen , denn eine wachsende Macht des habsburgischen Einflusses konnte den Monarchen von Rußland und Preußen unmöglich genehm sein. Augenscheinlich ist Alexander von dem gerissenen Metternich getäuscht worden . Er rechnete unfraglich auf die erste Stelle , wollte aber nicht selber hiermit hervortreten ,
sondern
sie sich bringen lassen.
Deshalb machte
man allerlei Umschweife , überlegte, ob nicht der berühmte, außerhalb stehende Moreau den Oberbefehl bekommen solle oder sich nicht statt einer
Einzelperson
ein mehrköpfiger
Rat ernennen
lasse¹ ).
Auch
Barclay litt schwer darunter, sich an zweite Stelle gedrängt zu sehen und hätte sich natürlich lieber seinem Herrscher als einem Österreicher
gefügt .
Als die
Sache nicht recht vorwärts gedieh ,
trat
Alexander zu Prag offen mit seinem Anspruche hervor, wobei Friedrich Wilhelm ihn unterstützte . Aber Metternich blieb abweisend und Schwarzenberg hatte inzwischen die Gunsten benutzt .
unklaren Verhältnisse zu seinen
Als die Verbündeten in Sachsen
einrückten,
veröffentlichte er
1 ) Befreiungskrieg, herausgegeben vom k. u. k Kriegsarchive, III, S. 22, 24.
Zur Geschichte der Befreiungskriege. ein Manifest,
worin
er
Armeen❝1) bezeichnete.
143
sich als „ Oberbefehlshaber der verbündeten Dies konnte bedeuten : Oberbefehlshaber der
drei großen Einzelarmeen, aber auch der von ihm aus Böhmen vorgeführten drei Teile der Hauptarmee. Näher lag ersteres und demgemäß scheinen die maßgebenden Männer es auch verstanden zu
haben.
Sie
gaben
augenscheinlich
ihrem
Unmute
Ausdruck,
denn Metternich erteilte dem Verfasser des Manifestes eine Rüge und befahl. im Neudruck nur von dem Feldmarschall Schwarzenberg zu reden .
Dadurch kam man Alexander formell entgegen und
gewann inzwischen Zeit, besänftigend auf ihn einzuwirken , bis er seine glänzende Idee " aufgab. Er mußte sich sagen, bei der Stellung,
welche Österreich
tatsächlich
besaß,
und bei
dessen ge-
schickter und verschlagener Leitung mußte ein Bestehen auf seinen Wünschen zu Unzuträglichkeiten und Zerwürfnissen führen , die im Feldzuge gegen einen Napoleon verhängnisvoll werden konnten . So ließen er und Friedrich Wilhelm bis zu gewissem Grade geschehen , was sie nicht mehr hindern konnten,
ohne jedoch Schwarzenberg
ihrerseits als Oberfeldherrn zu ernennen 2 ) . fertigen Zustand :
einen Oberfeldherrn
So hatte man einen un-
von Österreichs Gnaden ,
dem
die beiden Monarchen nicht gerade widersprachen, den sie aber auch nicht öffentlich anerkannten . Metternich hatte den böhmischen Fürsten in die Stellung hineinintrigiert, dieser betrachtete sich als ihr Inhaber, weniger zum allgemeinen Wohle als im Interesse Habsburgs. Bei so unsicheren und unabgegrenzten Verhältnissen beruhte das meiste folglich
auf der Zukunft, aus
dem
machen verstand.
darauf,
was Schwarzenberg aus sich und
„ Oberbefehlshaber der verbündeten Und
hier versagte
er weitgehend ,
Armeen “
zu
denn gerade
das, worauf es ankam, seine Feldherrnfähigkeit , sein eigentliches Führertalent waren gering. Es fehlte ihm an klarem Blicke, festem Willen und umfassenden militärischen Kenntnissen ; er war zaghaft und unentschlossen, dabei freilich verbindlich in den Formen und geschickt im Verhandeln , also mehr Diplomat als Soldat, oder schroff ausgedrückt : er war ein Diplomat in Uniform . Weder Alexander noch Friedrich Wilhelm dachten hoch von seinem Können und seinen Leistungen .
Jener bezeichnete ihm
spöttelnd
als
" l'homme de la
1) Pflugk - Harttung, Befreiungsjahr S. 265. 2) Vgl. Befreiungskrieg, herausgegeben vom k. u . k. Kriegsarchive, III , S. 22 ff. Es fehlt den dort gegebenen Erörterungen an Klarheit und Schärfe. Das schwankende Wesen Alexanders wird zu sehr betont. Unseres Erachtens ist ausgeschlossen, daß der Zar den Gesamtoberbefehl erst beanspruchte, als Schwarzenberg schon darin anerkannt war.
144
Zur Geschichte der Befreiungskriege.
coalition " ; völlig zurück hielt
sich der
König von
Preußen ,
nur
schwer und widerstrebend ließ er sich bewegen, dem österreichischen Feldmarschall seinen Schwarzen Adlerorden zu verleihen . Die Ansicht der Herrscher teilten selbstverständlich ihre Generale, so daß wesentlich nur die Diplomaten die ziehungen aufrecht erhielten.
so dringend notwendigen guten BeSehr bezeichnend äußert Wilhelm
von Humboldt in einem Briefe . Schwarzenberg
die Verstimmung des Königs gegen
als kommandierenden General " richte keinen wesent-
lichen Schaden an, weil er (Humboldt) und Hardenberg sich gut mit Metternich stünden , dressiren wüßten “ .
und
das Benehmen des Königs „ gehörig zu re-
Unter solchen Umständen bildete sich eine recht bedenkliche Art der Befehlsführung aus. bataille für alle
Es kam
drei Armeen ,
zu keiner gemeinsamen Ordre de
nicht einmal zu einer für die Haupt-
armee, die Richtschnur für den Krieg bildeten die Trachenberger Beschlüsse .
Im Gefühl seiner persönlichen und amtlichen Unzulänglich-
keit verlegte Schwarzenberg die Hauptentscheidungen möglichst in einen Kriegsrat, dessen Vorsitzender er als Höchstkommandierender der Hauptarmee war. Die Beschlüsse dieses Kriegsrates verliehen ihm
dann
ein größeres Gewicht als er tatsächlich besaß.
Eine Be-
fehlsführung, ja nur eine Einwirkung Schwarzenbergs auf die Nordarmee fehlte,
wogegen Bernadotte in naher Verbindung mit dem
Zaren
der
stand,
auch
der
Selbst in der Hauptarmee
schlesischen Armee Leitsätze
behielt
erteilte .
sich Alexander eine weitgehende
Entscheidung über die russisch- preußischen Truppen vor, über die Garden.
besonders
Bei Dresden focht nur die Hauptarmee ; hier war Schwarzenberg also Befehlshaber, bedenklich. bei Kulm
und doch gestaltete
sich seine Oberleitung recht
Weniger er als Blücher, Bülow, der König von Preußen und
schritte des
schließlich der Zar bewirkten die Erfolge und Fort-
Krieges .
klammert, sondern
Hätte Napoleon
von vornherein
sich nicht
an Dresden ge-
einen Angriffskrieg großen Stils
geführt, sich auf die Hauptarmee geworfen und sie in schwierige oder gar in gefährliche Lagen gebracht, so würden Schwarzenbergs Unzulänglichkeit und die Unstimmigkeiten des Hauptquartiers viel deutlicher zutage getreten und der Herbstfeldzug voraussichtlich verloren. gegangen sein.
In einem großen Unglück wäre der etwas weichliche
Grandseigneur sicher zusammengebrochen . Das Verhalten Napoleons und der im ganzen glückliche Gang des Krieges sicherten Schwarzenbergs Stellung, ja bauten sie selbsttätig weiter aus. Die Zeit lieferte , was die Fähigkeit nicht vermochte. Auf die Dauer
konnten drei getrennte Heere
schlechterdings nicht
145
Zur Geschichte der Befreiungskriege.
auskommen, am wenigsten als man sich Leipzig näherte und damit zum Zusammenwirken gezwungen wurde. Hier zeigt sich denn auch Seit dem 15. Oktober beeine Art Gesamtleitung Schwarzenbergs. sitzen wir eine ganze Anzahl von Weisungen, in denen er als Oberfeldherr auftrat . Freilich, wie wenig er wirklich Herr der Sachlage war,
beweist die Tatsache,
daß Alexander die Russen und Preußen
auf eigene Verantwortung von den Österreichern trennte und sie rechts über die Pleiße führte, während die Österreicher sich auf deren linkem Ufer befanden. Dieselben
Kräfte,
die
1813
1814, so daß hier Schwarzenberg zutreten vermochte, freilich auch 20. Dezember den
wirkten ,
halfen
natürlich
auch
deutlicher als Oberleiter hervornur bedingt. Er erteilte am
entscheidenden Befehl
zum Beginne
der Feind-
seligkeiten. Tatsächlich versagte seine Heerführung gerade 1814 in einer bisweilen trostlosen Weise.
2. Auf der Nordfront von Leipzig am 16. Oktober. Es ist eine alte Streitfrage, wen man als Hauptschuldigen an der Niederlage von Leipzig zu betrachten hat , Napoleon oder Marmont, der seinem Kaiser nicht rechtzeitig Hilfe bei Wachau brachte . Unter Hinweis darauf, daß natürlich eine Menge Umstände für das schließliche Ergebnis zusammenwirkten, Prüfung unterziehen.
wollen wir
die Sache
einer genaueren
Am 14. Oktober gab Napoleon dem Marschall Marmont Befehl, eine Stellung zwischen Halle und Leipzig zu beziehen und sie derartig zu befestigen, daß er sie 24 Stunden gegen einen Angriff Blüchers behaupten könne. Marmont wählte demgemäß eine vortreffliche Stellung von Wahren über Lindental nach Breitenfeld , wodurch er die von Halle und die von Landsberg kommende Straße sperrte . dehnung erwies
sich so groß,
daß
Aber die räumliche Aus-
sie seine Kräfte überstieg.
Er
bat den Kaiser deshalb um 10000 Mann Verstärkung. Napoleon erklärte sich mit den Maßnahmen Marmonts völlig einverstanden und stellte im Falle eines Angriffes das Korps Souham zur Verfügung ¹ ). Zu dieser Zeit war er also von der militärischen Notwendigkeit, die Nordseite des etwaigen Schlachtfeldes zu halten, vollkommen überzeugt. Schon am 14. hatten die Franzosen ein Kavalleriegefecht mit dem unternehmenden preußischen Oberst Katzeler, am 15. kam Meldung vom 1 ) Friederich , Geschichte des Herbstfeldzuges 1815, III , S.26 f. , 78, 83 f., 131f. , 314ff. - Friederich , Herbstfeldzug, S. 314ff. - Hoen , Feldzug von Leipzig (K. u . K. Befreiungskrieg V) , S. 418f., 510f. - Pflugk . Harttung , Leipzig 1813. Korrendenzblatt des Gesamtvereins 1913 , S. 444 ; 1914, S. 261 , 266 .
146
Zur Geschichte der Befreiungskriege .
Herannahen der Preußen aus Halle .
Es konnte sich menschlicher
Voraussicht nach nur um die ganze Schlesische Armee handeln , vielleicht auch noch um die Nordarmee, also um Streitkräfte, die denen Marmonts erdrückend überlegen sein mußten¹ ) .
Am Abend des
15.
sahen sich seine Vortruppen unerwartet vom Feinde angegriffen und aus Hänichen auf Wahren zurückgedrängt . Nachts lagerte Major von Hiller vor der französischen Front, und von einem Kirchturm aus sah der Marschall den Widerschein zahlreicher Wachtfeuer. Damit mußte als sicher gelten, daß er am 16. von Blücher ernstlich bedrängt werden würde .
Noch am Abend des 15. sandte er entsprechende Meldung
an den Kaiser, doch kreuzte sich diese mit einer Anweisung Napoleons, wonach der Kronprinz von Schweden in Merseburg sei und Blücher nicht von Halle, sondern von Weißenfels auf Leipzig marschiere , um sich mit der Hauptarmee zu vereinigen . Diese Darlegungen beruhten auf völlig falscher Auffassung der Sachlage, machten aber Marmont für die Straße nach Halle überflüssig .
Hier genügte alsdann Bertrand
mit seinem Korps . Falls dennoch die ganze Schlesische Armee dort aufträte, sollten Marmont, Bertrand und Ney sich ihnen entgegenwerfen : mithin nicht weniger als drei Korps. Nun aber befestigte sich die irrige Ansicht noch mehr beim Kaiser, daß Blücher sich auf dem linken Elsterufer befinde, und anderseits war Napoleon entschlossen , den Österreichern (wie er sich ausdrückte) bei Wachau im Süden Leipzigs eine Entscheidungsschlacht zu liefern. Hierfür brauchte er möglichst viele Truppen, und zugleich trat die Wichtigkeit der Nordhälfte des Schlachtfeldes gegen die der Südhälfte zurück.
Er hielt es deshalb für gut, wenn Marmont seine Stellung
aufgäbe und eine solche zwischen Leipzig und Liebertwolkwitz bezöge, Diese Depesche ist vom 16. Oktober, 7 Uhr morgens datiert und an Marmont gesandt, wird also gegen 812 Uhr bei ihm eingetroffen sein. Sie warf alles über den Haufen. Da Marmont aber meinte , er habe zunächst nur die Blüchersche Vorhut , etwa 1500 Mann Infanterie , vor sich, so entschloß er sich, dem Wunsche des Kaisers zu entsprechen , und marschierte zögernd ab . Doch um 10½ Uhr erfuhr er, daß stärkere Feindesmassen auf der Halleschen sowohl als auch auf der Landsberger Straße nahten. Da sie zunächst noch fern waren, setzte er seinen Marsch fort, freilich mit schweren Bedenken. In Wirklichkeit hatte Blücher den Anmarsch mit den Korps Yorck und Langeron um 10 Uhr begonnen .
Bald kam es zum Feuergefecht mit
französischen Vortruppen, diese wurden aus Lindenthal, Wahren und von den verschanzten Höhen bei Wahren durch die Preußen vertrieben. 1) Das Korps Marmont zählte 18 600 Mann, dazu das Kavalleriekorps Arrighi 3660 Mann.
Zur Geschichte der Befreiungskriege
147
während die Russen Freiroda und Radefeld besetzten .
Es war deutlich :
Blücher suchte die Schlacht. Unterdessen hatte sich Ney eingefunden , der den Oberbefehl über die nördlichen Streitkräfte führte . Beide Marschälle erkannten , es sei eingetreten, was Napoleon in der 11 -UhrDepesche des 15. als Möglichkeit angesehen und wofür er Befehl gegeben hatte, daß Ney, Bertrand und Marmont den Kampf aufnehmen sollten.
Demgemäß beschlossen die Marschälle , das VI . Korps Marmont
solle eine geeignete Stellung einnehmen und rechts neben sich das III. Korps erhalten.
Die Umstände nötigten diesen Beschluß auf ; er
wurde gefördert dadurch, daß Napoleon seine Morgenanweisung nicht in der Form eines bestimmten Befehls gegeben, sondern verfügt hatte, „meine Auffassung von Blüchers Marsch auf der linken Elsterseite ist augenscheinlich richtig, die ausgesandten Erkundungspatrouillen werden bestätigen, daß nach Halle zu nur ein Kavalleriekorps steht ; da ich nun die Österreicher angreifen will, so halte ich es für gut, daß Sie (Marmont) sich südwärts ziehen " .
Die Patrouillen berichteten aber
nicht nur das Gegenteil, sondern das Feuergefecht wurde lebhafter und das ganze I. preußische Korps entwickelte sich zum Angriffe . Marmont war so betroffen, daß er in seinem Berichte sagte : „ Die feindlichen Kräfte schienen aus der Erde zu wachsen, es war die gesamte Schlesische Armee¹ ). " Zwischen Möckern und Eutritsch hatte er Stellung genommen, wodurch er dem Feinde den Weg verlegte . Rechts von ihm sollte Souham aufmarschieren ,
um dem auf der Delitzscher Straße
kommenden Langeron entgegenzutreten. zu sein.
Alles schien in bester Ordnung
Ney meldete dies dem Kaiser.
Der aber hatte nur Sinn
für seine Südunternehmungen , war ungehalten und befahl wenigstens Souham zu seiner Reserve heran. Dadurch entstand eine Lücke auf dem französischen rechten Flügel , die Ney mit Reiterei und der schwachen Division Dombrowski auszufüllen suchte . Man sieht, die auf falschen Voraussetzungen beruhende Weisung Napoleons wirkte von vornherein ungünstig auf die Sachlage im Norden . Ein Glück noch,
daß Langeron wenig nachdrücklich vorging ,
denn
sonst hätte er die zunächst vor ihm befindlichen, ganz ungenügenden französischen Streitkräfte viel schneller über den Haufen werfen und Marmont in die rechte Flanke fallen können . staltete sich die Sachlage für Ney. führer die
Verpflichtung,
Besonders schwierig ge-
Einerseits hatte er als Befehls-
die Nordseite zu
wünschte der Kaiser Verstärkungen im Süden.
decken ,
und anderseits
Durch Gyulais Angriff
erschien die Westseite , der wichtige Engpaß von Lindenau , gefährdet . Ney sandte Bertrand zu dessen Verteidigung und rettete damit gerade-
1 ) Friederich , Befreiungskriege III , S. 89.
148
Zur Geschichte der Befreiungskriege .
zu das Heer. um
Im übrigen hielt er seine Truppen möglichst in Reserve ,
nötigenfalls
die Parthelinie
verteidigen
zu können .
Allgemach
glaubte er zu bemerken, daß dies heute nicht mehr nötig sein würde ; und inzwischen dröhnte das Kampfgetöse von Süden immer heftiger herüber.
So entsprach er dem Wunsche seines Kaisers und schickte
ihm 2 Divisionen, die aber zu spät anlangten .
Hätte Ney von vorn-
herein gewußt, daß Blücher nicht mit der ganzen Schlesischen Armee, sondern nur mit einem Teile derselben kam, würde er die Hilfstruppen gewiß früher abgegeben haben. Mitwirkend war augenscheinlich, daß der Tapferste der Tapferen sich in großen Fragen der Heerführung unentschlossen zeigte und keinen sicheren militärischen Blick besaß, daß er nach seinem unrichtigen Verhalten bei Bautzen und Dennewitz die Verantwortlichkeit fürchtete. Hätte er den Mut besessen , die Wünsche des Kaisers beiseite zu lassen, um mit ganzer Kraft Yorck und Langeron zu begegnen, so wäre der Sieg auf seiner Seite gewesen . Inzwischen focht Marmont mit größter Tapferkeit bei Möckern. Er handelte , wie ein Unterfeldherr sich bei veränderter Sachlage verhalten soll. Wenn er schließlich unterlag, so beruhte das auf der zähen Angriffskraft des Feindes und dem Ausbleiben von Verstärkung. Anders Napoleon . Trotz der Meldung, daß Blücher von Halle komme, daß also eine schwere Gefahr von dort her drohe , verkannte er sie, unterschätzte er überhaupt die Wichtigkeit der nördlichen Schlachthälfte und suchte im Süden Vorteile auf Kosten der Streitkräfte des Nordens zu erzielen .
Was wäre geschehen , wenn Blücher die Sach-
lage von vornherein
richtig erkannt und demgemäß seine 4 Korps
eingesetzt hätte, verstärkt noch durch Bernadotte ?
Und billigerweise
mußte man gerade hiermit rechnen . Zwar dürfte überhaupt unrichtig sein , von Schuld oder Nichtschuld zu reden ; soviel aber kann man annehmen , daß das Mißgeschick im Norden wesentlich auf falschen Anordnungen Napoleons beruhte. Wenn die Dinge in Wirklichkeit so lagen , wie er am Abend des 15. vermutete, so hätte Marmont wohl im Süden bei Wachau erscheinen können, aber eben die Voraussetzung täuschte , änderte sich die Sachlage.
und
dadurch ver-
Meinen wir deshalb , daß der französische Marschall vollauf seine Pflicht getan hat, so dürfte es sich wesentlich anders mit Bernadotte, mit dem Kronprinzen Karl Johann von Schweden , verhalten . Über sein Benehmen erfahren wir durch die Berichte des britischen Militärbevollmächtigten General Stewart, der unmittelbar nach der Schlacht schon am 17. Oktober an seine Regierung schrieb¹ ) : bald sei er bei 1 ) Pflugk - Harttung , Leipzig 1813, S. 225. Vgl. auch Londonderry - Ekendahl , Geschichte des Krieges von 1813 und 1814, S. 243 ff.
-
149
Zur Geschichte der Befreiungskriege.
Blücher, bald beim Kronprinzen gewesen , um diesen vorwärts zu bringen . Aber der frühere französische Marschall meinte : angenommen , die Franzosen würden geschlagen , so sei ihm gleichgültig, ob er oder seine Armee sich daran beteiligte, lieber wäre ihm , wenn er fern bliebe. Bernadotte machte Steward Zusicherungen, die er nicht hielt.
Dieser
war so entrüstet, daß er dem Kronprinzen am 16. Oktober Abends schrieb: „Wenn Sie nicht sofort abmarschieren, so werden Sie es bereuen. " Alles, was er erreichte, waren 3000 Reiter, die am Morgen des 17. , mithin zu spät, zur Linken Blüchers erschienen . Schließlich erörterte er nochmals : „ Ich bin sicher und kann überreichlich beweisen . daß
die Korps
von Marmont,
Haufen geworfen wären ,
Ney und Bertrand völlig
über den
wenn der Prinz seine Pflicht getan hätte ,
ebenso hätten die schweren Verluste Yorcks bei dessen Ankunft nicht stattgefunden¹ ) . "
rechtzeitiger
Unfraglich wäre „ am 16. die ganze
französische Armee, mit der Blücher zu tun hatte, vernichtet worden , wenn der Kronprinz seine Pflicht getan hätte " . Blücher nicht nur nicht, sondern führte ihn noch irre.
Bernadotte half Denn dadurch ,
daß er nach links hin nichts unternahm, nicht einmal aufklärte, glaubte Blücher eine Gefährdung aus jener Richtung, von Düber her, befürchten zu müssen, weil dort noch kurz vorher stärkere feindliche Streitkräfte gestanden hatten.
Um sich zu sichern , verwendete der preußische
General 2 Korps zur Seiten- und Rückendeckung, die alsdann bei dem Entscheidungskampfe Yorcks fehlten. Um die Verhältnisse besser zu übersehen und augenscheinlich doch noch eine Unterstützung von Bernadotte
erhoffend ,
die dieser durch Steward versprochen hatte,
wartete Blücher bis 10 Uhr mit dem Anmarsche zur Schlacht, der viel früher erfolgen konnte .
Auch Langerons Verhalten scheint durch
die Furcht nach links beeinträchtigt zu sein . Über alledem ging die Schlacht bei Möckern um Haaresbreite verloren und ließ sich nur retten durch
Yorcks
Zähigkeit und den
Truppen. Hätte Bernadotte seine Pflicht
eisernen Mut
seiner
als Feldherr der Verbündeten
getan und mit seinen Streitkräften rechtzeitig eingegriffen, so mußten sich die Dinge weitaus anders gestalten.
Dann vermochte Blücher
die Sachlage zu übersehen und 4 Korps in der Schlacht einzusetzen , während Bernadotte die Truppen Neys festhalten und schlagen konnte. Wäre eingetreten , was eigentlich eintreten mußte, so hätten sich General Stewarts Worte bewahrheitet, Marmont und Ney würden rechtzeitig über den
Haufen
geworfen
sein und Bertrand hätte kaum nach
Lindenau gesandt werden können .
Oder wenn Ney ihn abschickte
¹) Vgl . meinen Aufsatz über Bernadotte im Militär- Wochenblatt 1913, Dezember, Nr. 165 , S. 166.
150
Zur Geschichte der Befreiungskriege .
weil er unumgänglich notwendig erschien, so besaßen die Verbündeten im Norden eine um so größere Übermacht. Dann wäre die Schlacht bei Leipzig schon am 16. Oktober entschieden worden .
3. Die Kämpfe bei Leipzig - Lindenau. Bekanntlich gingen die Ansichten Schwarzenbergs und Kaiser Alexanders über die Verwendung ihrer Streitkräfte bei Leipzig am 16. Oktober auseinander. Dieser stellte seine Russen und Preußen im Süden auf,
wozu
noch das österreichische Korps Klenau
kam ,
Schwarzenberg hielt sich mit der österreichischen Hauptmacht auf der Westseite von Leipzig, vor sich die Elster und Pleiße mit ihrem unzugänglichen Sumpfgelände¹ ) . Er tat damit gerade das, was Napoleon wünschte. Er brachte die rechts des Flusses fechtende Hälfte in eine gefährliche Minderheit und setzte sie einer Niederlage aus , ohne daß er selber zu helfen vermochte. Und obwohl er das Verfehlte seiner Anordnung einsehen mußte, hielt er doch daran fest mit dem Eigensinn schwacher Naturen 2). Möglicherweise war Schwarzenberg über die Bodenverhältnisse und
folglich über seine weitgehende erzwungene Untätigkeit nicht genügend unterrichtet³) , jedenfalls aber hatte die Stellung den persönlichen Vorteil , Der daß der gefürchtete Napoleon ihm nicht beikommen konnte. einzige kriegerische Nutzen, den sie bot, und bieten konnte , war der, Dieser konnte nämlich nur an
dem Feinde den Rückzug zu verlegen.
einem einzigen Punkte bei Lindenau geschehen , wo eine Brücke über die Flußläufe führte . Die Lindenauer Enge zeigte sich um so mehr gefährdet , als Napoleon sie weder stärker besetzt, noch ihre Benutz1 ) Friederich , Herbstfeldzug III , S. 21f. , 53f. , 130 f., 159 f., 313. Hoen , Feldzug von Leipzig ( K. u . K. Befreiungskrieg V) , S. 495 , 608 . Friederich , Herbstfeldzug, S. 313. - Korrespondenzblatt des Gesamtvereins 1913, S. 442 ; 1914 S. 261 , 266 . 2) In K. u. K. Kriegsarchiv V S. 407 heißt es : „Schwarzenberg blieb unbeugsam bei seinem Entschluß, was den Zaren schließlich in Harnisch gebracht und zu der entschiedenen Erklärung veranlaßt haben soll , daß die russischen Truppen auf das rechte Pleiße - Ufer übergehen würden . Dies einzig richtige Auftreten des Zaren wird als eine „ theatralische Szene“ bezeichnet . Wir vermissen hier, wie leider auch sonst oft, eine objektive Würdigung der österreichisch-gegnerischen Auffassung, was bei dem in vieler Hinsicht trefflichen Werke sehr zu bedauern ist. 3) Die Ansicht des K. u. K. Kriegsarchives V S. 405 , daß Schwarzenberg sich auf Langenau verlassen mußte und daß die Pleiße in normalen Zeiten den Truppen kein nennenswertes Hindernis entgegenstelle , ist doch schwerlich ganz wörtlich zu nehmen, überdies waren die Flüsse etwas angeschwollen, und es blieb eine Kleinigkeit für den Oberfeldherrn, sich genau über den Sachverhalt zu vergewissern.
151
Zur Geschichte der Befreiungskriege.
barkeit durch Schlagen mehrerer Zugänge erweitert hatte. Augenscheinlich blickte er fast ausschließlich nach vorn und hielt sich überzeugt, die noch nicht versammelte feindliche Hauptarmee abtun zu können, bevor sie von anderer Seite unterstützt wurde .
Sonst pflegt
jeder Feldherr vor einer Aufstellung mit einem Flusse in der Abzugsrichtung zurückzuschauen.
Napoleon tat es nicht ,
weil er ihn als
Seitendeckung ansah und er dabei die Gefährlichkeit des zunächst noch ziemlich weit entfernten Lindenauer Geländes nicht oder doch nicht genügend beachtete . Ist dies bei Napoleon erklärlich,
so
erscheint die Verständnis-
losigkeit bei Schwarzenberg weit tadelnswerter,
weil er nichts
als
Flußfront vor sich hatte . Längs derselben verzettelte er seine Streitkräfte und suchte dann über dieselbe hinaus, namentlich bei Dölitz, Unmögliches zu leisten .
Weder er noch sein Untergeneral Gyulai er-
kannten, daß nicht hier, sondern auf Lindenau die Wichtigkeit der Stellung beruhe, obwohl Gyulai sich dort mit 20000 Österreichern Bei raschem einem völlig ungenügenden Feinde gegenüber befand. und entschlossenem Zugreifen wäre der Ort sicher gefallen und damit Napoleon abgeschnitten gewesen.
Aber statt schnell und wuchtig zu
handeln, wartete der österreichische General untätig eine Stunde lang, versäumte eine unwiderbringliche Zeit und richtete auch dann nichts mehr aus . Am 17. Oktober, also während des Ruhetages, erteilte Schwarzenberg an Gyulai Befehl, sich mit seinem Korps auf das rechte Pleißeufer zu begeben, wo sich nunmehr fast die ganze Hauptarmee befand, sobald St. Priest ihn bei Lindenau abgelöst habe . daß diese Ablösung gleich vor sich gehe.
Er solle Blücher anzeigen , Gyulai ersuchte deshalb den
preußischen General , ihm vom Eintreffen St. Priests vorläufig Mitteilung zu machen. Hieraus ergibt sich, 1. daß Schwarzenberg sich als Oberfeldherr betrachtete , der sich befugt fühlte, auch Blücher Vorschriften zu machen , 2. daß er schon am 17. die Absicht hatte, Gyulai von Lindenau fortzuziehen , und 3. daß er wußte, St. Priest befinde sich bei Blücher und glaubte , dieser könnte den Unterführer rechtzeitig nach Lindenau bringen. Räumlich
war
letzteres
möglich,
denn der Russe
stand bei
Eutritzsch, also mit Umwegen nur 8 bis 10 km von Lindenau entfernt.
Auch militärisch schien Schwarzenbergs Auftrag für den Nord-
teil des Schlachtfeldes zulässig, weil seiner Erwägung nach Bernadotte am 18. zur Stelle sein mußte, mithin Blücher ohne St. Priest eine starke Übermacht besaß .
Aber wenn dies auch alles in Betracht ge-
zogen wird, so ergibt sich doch aus Schwarzenbergs Auffassung die
152
Zur Geschichte der Befreiungskriege.
Unterschätzung des entscheidend wichtigen Punktes von Lindenau , die am 17. noch viel unmittelbarer hervortrat als am 16. , weil man schon mit der Wahrscheinlichkeit eines Sieges und folglich der eines Ausweichens von Napoleon rechnen konnte. Die Befehlsgabe Schwarzenbergs erscheint um so befremdlicher, als er selber am 18. die Einkreisung Napoleons in der Weise bewerkstelligen half, daß der Feind gegen die Pleiße gedrängt wurde,
wo
der Engpaß von Lindenau die einzig mögliche Rückzugsstraße bildete. Man hätte deshalb meinen sollen , daß der Oberfeldherr das Äußerste aufbot, um den Weg zu sperren , d . h. dorthin so viel Truppen warf, als irgend entbehrlich waren , um das Dorf schon in grauer Morgenfrühe des 18. nachdrücklich anzugreifen und womöglich zu bezwingen. Aber das Gegenteil geschah . St. Priest kam nicht, und Gyulai wartete eigentlich nur darauf, befehlsgemäß abmarschieren zu können . So trat das Umgekehrte von dem ein, was hätte geschehen müssen .
Ber-
trand warf sich , begünstigt durch dichten Nebel, auf die Osterreicher und drängte sie zurück.
Statt den Kampf mit ganzer Kraft zu er-
neuern und dem Feinde seinen Willen aufzuzwingen, zog Gyulai seine Truppen nach rechts , also nach der Seite des Abmarsches zusammen. Dies erklärt sich aus der erhaltenen Weisung ; er wollte seine Leute nicht mehr allzu stark einsetzen , und sich die beabsichtigte Bewegung sichern . Befehl
Wie richtig er erwogen hatte, bewies der nunmehr ein treffende Schwarzenbergs zum Aufbruch.
Letzterer wußte,
Ersatzstreitkräfte St. Priests noch nicht zur Stelle seien . mitgeteilt worden .
daß
die
Es ist ihm
Dennoch berief er Gyulai ab und zwar, weil sein
linker Flügel bei Dölitz eine Zeit lang bedrängt wurde. Schlachtschwankung,
Wegen dieser
wie solche stets vorzukommen pflegen,
zog er
die Heeresabteilung Gyulais heran . Was vorauszusehen war, geschah, sie kam zu spät, und wurde nicht mehr verwendet. Das Unglaubliche war geschehen, Gyulai ausgeschaltet , wie St. Priest, denn dieser sollte wegen der Bedrängnis der Preußen bei Möckern verwendet werden , wo er nun ebenfalls zu spät eintraf. so daß er nur noch 2 Batterien
ins Feuer bringen konnte ' ) .
Beide Truppenteile.
die den nunmehr wichtigsten Punkt des Schlachtfeldes
zu
decken
hatten, waren nicht da, wo sie sein sollten, sondern zur Kampfuntätigkeit verurteilt. Der Engpaß von Lindenau blieb offen und damit Napoleon gerettet.
Neben
der Zweiteilung der Hauptarmee
am 16. war diese Freigabe der größte Fehler, der bei Leipzig gemacht wurde, und er wirkte weitaus verhängnisvoller.
1 ) Friederich , III, S. 100.
153
Zur Geschichte der Befreiungskriege.
Nehmen wir selbst an, daß das Hauptquartier meinte , St. Priest sei bei Lindenau eingetroffen , oder komme rechtzeitig an, so mußte man sich doch sagen, daß Gyulai dort am 16. mit unvergleichlich stärkeren Kräften nichts ausgerichtet hatte, daß es deshalb gelte, die Streitmacht zu verstärken und nicht sie zu schwächen , denn bei der Gesamtsachlage mußte der Druck der Franzosen am 18. weit schwerer lasten . Selbst wenn St. Priest zur Stelle gewesen wäre, konnte er mit seinen geringen und verbrauchten Truppen kaum viel ausrichten. Wir mögen die Sache drehen , wie wir wollen , immer wieder gelangen wir auf unverzeihliche Fehler, begegnen wir demselben Bilde . Wenn irgendwo, so zeigte Schwarzenberg bei seiner Behandlung der Lindenau-Frage , daß es ihm an Feldherrnscharfblick, an der Erkenntnis des wirklich Wichtigen , an der der Zukunft in der Gegenwart fehlte . Manches kam hinzu : die mangelhafte Ordnung des Oberbefehls und das damit zusammenhängende ungenügende Generalstabswesen.
Im Haupt-
quartier Schwarzenbergs hatte man sich überhaupt in falsche Auffassungen verrannt, ohne die Gesamtsachlage genügend zu übersehen . Die Verarbeitung der Meldungen befand sich keineswegs auf der Höhe . Überdies suchte jeder Heerführer möglichst für sich zu sorgen . Zog Schwarzenberg seinen Unterfeldherrn an sich heran, so wog das Gewicht Österreichs auf der Hauptschlachtfront um so schwerer .
Dieser
Gedanke wird mitgewirkt haben, um Gyulai durch den der Blücherschen Armee angehörigen St. Priest zu ersetzen . Es waltete dasselbe Versehen ob , wie bei Napoleon : eine Unterschätzung der Ereignisse im Dazu kam, daß Schwarzenberg nach Norden der Gesamtschlacht. Art unselbständiger Köpfe am 16. die Westseite, das linke Pleißeufer, überschätzte, um sie dann, als er im Süden eingriff (am 18. ) , zu vernachlässigen.
Sein Auge haftete zu sehr am nächsten .
Die beiden Hauptfehler der verbündeten Führer bei Leipzig fallen im wesentlichen Schwarzenberg zur Last .
154
Englische Plünderungssucht.
XII .
Englische Plünderungssucht.
Von Dr. Ernst Schultze.
( Schluß .)
6. Indien. Wie gründlich der englische Staat selbst in Indien zu plündern wußte, hat er vor, im und nach dem Aufstande 1857/58 bis zum Übermaß erwiesen .
So wurde ohne jeden äußeren Grund
das ganze Königreich
Oudh 1856 von den Engländern übergeschluckt .
Lord Ellenborough mußte dies in seiner Depesche vom 18. April 1858 offen zugeben: Der König von Oudh wie seine Vorfahren blieben unwandelbar in Treue gegen uns ; sie haben uns mehr als einmal in unsern Nöten beigestanden, sie sind frei von dem leisesten Verdacht einer Feindschaft gegen unsere Regierung. Nichtsdestoweniger haben wir den König abgesetzt und sein Reich eingezogen . " Dieses nackte Unrecht war eine der Hauptursachen des Aufstandes, weshalb denn Ellenborough darauf drang, ihn 99 nicht wie eine Rebellion , sondern wie einen rechtmäßigen Krieg anzusehen " . Aber der englische Staat war nicht einmal damit zufrieden , sich wieder ein ganzes Königreich einzuverleiben . Vielmehr beschlagnahmte der General- Statthalter Lord Canning außerdem noch den sämtlichen Grundbesitz aller Einwohner dort nur mit Ausnahme von 6 kleinen Feudalherren.
In Lord Ellenboroughs eben
angeführter Depesche heißt es weiter : „ Eine ganze Bevölkerung mit Ausnahme von 6 Familien ihres Grundbesitzes zu berauben , ist eine in der Geschichte unerhörte Tatsache. "
Sogar General Outram erhob gegen
diese ungeheure Maßregel Einspruch, da sie notwendig alle ihres Besitzes Beraubten zur Verzweiflung treiben und sie zu Vagabunden , Räubern und unversönlichen Todfeinden Englands machen müsse. Trotzdem blieb Lord Canning zunächst bei seinem Entschluß und ließ sich erst später mit großer Mühe bewegen, ihn zu mildern . * * Die Eroberung wie die Beherrschung Indiens durch England stellt eine einzige große Ausplünderung jenes Landes dar. So viel die Engländer auch an äußeren, technischen Kulturwerken schufen, so
155
Englische Plünderungssucht .
sehr auch einige unter ihnen sich von höheren und edleren Gesichtspunkten leiten ließen als Ganzes bietet die Geschichte Indiens unter englischer Herrschaft doch das Bild einer Kette von Plünderungen dar, die sich zunächt durch Waffengewalt, dann durch das friedliche Mittel der Erhebung von Steuern vollzogen, um an ein Heer englischer Beamter märchenhafte Gehälter zahlen zu können ; nicht zu vergessen der wirtschaftlichen Knechtung des Landes, das sich auch in dieser Beziehung durchaus nach den Bedürfnissen und Wünschen Englands richten mußte. Es wäre ermüdend , dies im einzelnen aufzuzählen . Von den zahllosen Plünderungen Indiens im 18. Jahrhundert greife ich als beliebiges Beispiel das Schicksal heraus , das 1798 Seringa patam, der Hauptstadt Tippu Sahibs, bereitet ward . Die Schätze , die hier gefunden wurden , überstiegen alle Erwartungen. Rücksichtslos wurde geplündert, so daß die gemeinen Soldaten mit Goldstücken beladen waren , die sie alsbald in den Straßen bei Hahnenkämpfen verschleuderten. Jeder Offizier erhielt seinen Anteil an den erbeuteten Edelsteinen, deren Wert die meisten nicht kannten. So kaufte ein Feldscher von einem Trommelschläger ein Paar große Fußbänder für 100 Rupien (400 Mark),
erzielte aber später dafür
einen Verkaufspreis von 40000 Pfund Sterling (800 000 Mark) , worauf er aus Dankbarkeit dem Trommelschläger eine Jahresrente von 100 Pfund Sterling (2000 Mark) aussetzte. Auch die Büchersammlung Tippu Sahibs, die orientalische Werke von unschätzbarem Werte barg, wurde verschleudert.
Beispielweise kaufte ein Soldat ein überaus schönes
Exemplar des Koran für 5 Rupien, das er nachher gegen 250 Pfund Sterling (5000 Mark) verkaufte. Erst dem tatkräftigen Eingreifen des Obersten Wellesley (des späteren Herzogs von Wellington), der am Morgen nach dem Sturm den General Baird ablöste, gelang es, die plündernden Truppen zur Ordnung zu bringen ¹ ) . Am 5. Mai
1799
schrieb Wellesley
an General Harris :
„ Ich
wünschte, Sie schickten mir den Profoß her und stellten ihn unter meine Befehle, denn ehe nicht einige von den Plünderern gehängt sind, wird dem Unwesen nicht gesteuert werden . "
Am Nach-
mittag desselben Tages schrieb er abermals : „ Die Sachen stehen besser, als sie standen , aber sie stehen noch immer schlecht, und ehe nicht der Profoß drei bis vier Kerle gehängt hat , ist es unmöglich , Ordnung oder auch nur Sicherheit zu erwarten . "
Erst am
Morgen des 6. Mai konnte er seinem General berichten : „Der Plünderung ist ein Ziel gesteckt, die Feuer sind sämtlich gelöscht, und die Einwohner kehren zu ihren Häusern zurück .
Ich bin jetzt dabei , die Toten zu
1) Orlich : Indien , Bd. 1 , S. 156. Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine, Nr. 553.
12
156
Englische Plünderungssucht.
begraben. "
Unermüdlich war Wellesley tätig gewesen, um das Plündern
einzuschränken . Er begab sich persönlich nach den Häusern der vornehmsten Familien und stellte vor ihren Türen Posten auf. Aber der Profoß mußte erst vier Plünderer hängen , bevor die englischen Truppen sich zügeln ließen¹ ) .
Es bedarf der ausdrücklichen Erwähnung, daß die Eingeborenen bei ihren Kriegszügen nicht immer plünderten. Den Maharatten allerdings galt die Plünderung als selbstverständliches Ziel der Kriegsführung. Aber es kam doch vor wie in dem Kriege Holcars mit dem Peischwar von Scindia im Jahre 1802 daß der Heerführer nach dem Kriege treffliche Manneszucht hielt. So bedrohte Holcar die Plünderungssüchtigen , die nach Puna dringen wollten, mit seinen eigenen Geschützen und erzwang Gehorsam 2). Die Engländer jedoch hörten mit ihren Plünderungen nicht auf und leugneten dies auch nicht.
Nur suchen sie ihr Gewissen nachträglich
dadurch zu entlasten , daß sie behaupten :
die englische Herrschaft
habe sich in ihrem Wesen alsbald völlig geändert ; an Stelle der erobernden , nur auf Plünderung gerichteten Gewalt sei später ein hoher Gerechtigkeitssinn getreten, der nicht duldete , daß den Eingeborenen, sei es mit Waffengewalt, sei es unter den Formen Rechtens ihr Eigentum geraubt wurde. Indessen genügt allein schon ein Blick auf die Art, wie der indische Aufstand 1857/58 zum Anlaß unerhörter, maßloser Plünderungen genommen wurde, um das Gegenteil zu beweisen . Augenzeugen darüber berichten.
Hören wir, was einige
Der schwedische Oberleutnant Axel von Hageby erzählt beispielweise Die von der Plünderung von Furukhabád im Januar 1858. Ställe des Nabob wurden von den Sikhs heimgesucht, die reiche Beute Hageby konnte ein wundervolles an arabischen Pferden machten. Pferd für eine Summe kaufen , die kaum dem 20. Teil des eigentlichen Wertes gleichkam. Das Plündern in Furukhabád geschah gründlich : „Meine Gefährten hatten mich bei unserer Ankunft sogleich verlassen, um Beute zu suchen, was in der Tat der Mühe lohnte ; sie kamen , nachdem sie, gleich eifrigen geforscht
hatten,
mit
Schatzgräbern , die Schutthaufen durch-
kostbaren Waffen
und
halb geschmolzenen Ich hatte keine Lust
goldenen und silbernen Gegenständen zurück . verspürt, auf diese Weise Andenken zu sammeln , und kehrte deshalb
mit leeren Händen in das Lager zurück. Ich sage absichtlich auf diese Weise ' , weil ich wußte , daß wir kein Recht auf solche Schätze 1 ) JohnTimbs : Wellingtoniana. Anekdoten , Meinungen und Charakterzüge von dem Herzog von Wellington . Aus dem Englischen übersetzt. Nordhausen : Adolph Büchting, 1853. S. 23. 2) Orlich : Indien , Bd. 1 , S. 162.
Englische Plünderungssucht.
157
hatten und daß unsere hohen Vorgesetzten es sehr mißfällig aufnahmen, wenn solche Aneigungen ohne ihre besondere Erlaubnis vorgenommen wurden. Später - das muß ich gestehen als ich mich mehr in die Verhältnisse hineingelebt und an dieselben gewöhnt hatte, war ich weniger gewissenhaft und der Menge gleich. „ Am folgenden Tage wurde das Schloß der Plünderung preisgegeben , und Offiziere und Soldaten eilten in Massen dahin , um ihre Gewinnsucht zu befriedigen ; auch ich folgte dem Strome, kam aber zu spät für die besten Prisen. In den unversehrt gebliebenen Flügeln und Gängen standen eine Menge Kisten und Kasten voll der kostbarsten Gegenstände. Mir fiel eine Kiste zu ; ich wollte versuchen , den Deckel zu lösen , und sah mich alsbald von dienenden Geistern umringt , welche mir - beim Auspacken behilflich sein wollten .
Sie wetteiferten, mir aus den Händen
zu nehmen, was ich ergriffen hatte, und das einzige, was ich kräftig festhielt, mit deutlichem Winke zu verstehen gebend, daß es mein bleiben würde, war ein Kindersäbel, einige Bücher und zwei Paar Pundschamas oder weite, seidene Beinkleider für Damen, wahrscheinlich ein Andenken aus der Garderobe des Serails des Nabob.
"„Ich war wohl zufrieden mit meiner Ernte und verließ den Schauplatz.
Als ich über den Schloßplatz ging, sah • ich mehrere Gruppen
Soldaten, welche die eben erbeuteten Gegenstände unter sich versteigerten , und es war komisch anzusehen , mit welcher eingebildeten Sachkenntnis sie Luxusartikel abschätzten, deren Gebrauch und Bedeutung sie nicht einmal kannten. "
In den Haremgemächern fanden sich viele kostbare Gewänder.
In
wenigen Augenblicken waren sie entweder vernichtet oder fortgeschleppt¹) . Am wüstesten ging es in Delhi und in Lucknow her. Von der Plünderung von Delhi ( 14. bis 20. November 1857 ) entwirft der englische Geschichtsschreiber des Aufstandes folgendes Bild : Das Plündern Die Sikhs , die schon lange von der Plünderung Delhis
begann früh .
1) Hageby S. 230. Selbst dieser Schwede nahm etwas von der Beute. Wir hörten ja soeben, daß er schilderte, wie ansteckend das Plündern war. Er erzählt weiter : „ Man fand unter anderem eine Menge Porzellanfiguren, von denen auch ich einige erhielt ; sie waren in so großer Zahl vorhanden , daß wir auf die Vermutung kamen, die hier eingeschlossenen Frauen hätten mit denselben gespielt, um sich die Zeit zu verkürzen . “ An anderer Stelle, wo von der Erstürmung von Lucknow die Rede ist, sagt er : „ Alle Gegenstände von Wert, welche fortgeschafft werden konnten, wurden von den Soldaten und Matrosen weggeschleppt ; ich fand ein paar Dolche, die ich zu mir steckte ; alle anderen Sachen wie kostbare Spiegel, Vasen und sonstige Kunsterzeugnisse wurden zertrümmert. In einem der Prunkgemächer der Königin lag auf einem reichverzierten Sopha ein toter Hindu ausgestreckt. " (S. 279). 12*
Englische Plünderungssucht .
158
geträumt hatten , sahen sich jetzt am Ziel ihrer sehnlichsten Wünsche. Keine Bedenken hielten sie zurück . Jeder raubte, was er nur zusammenschleppen konnte. Mit merkwürdigem Geschick wußten sie die Stellen ausfindig zu machen, an denen irgendein Schatz versteckt war. Hatte man ihn unter dem Fußboden vergraben, so stellten sie dies durch Übergießen mit Wasser fest, das durchlief, falls natürliche Löcher vorhanden waren, während es, war ein Schatz vergraben, die Höhlung alsbald füllte und über den Fußboden emporstieg. War der Schatz in einer Wand vermauert, so wurde dies durch Klopfen und Horchen festgestellt.
Überall waren daher nach kurzer Zeit die Wände zerschlagen und die Fußböden aufgerissen . Was sie erbeuteten, gaben sie ihren am Fuße der Mauer stehenden Kameraden herunter, und bald verließen
ganze Scharen von mit Beute beladenen Wagen die Tore der Stadt. Es ist eine Tatsache, daß ihre Landsleute nicht glauben wollten, Delhi habe sich ergeben , bis sie die Beute in Augenschein nehmen konnten . Allein die Sikhs waren nicht die einzigen, die sich ohne Genehmigung bereicherten. Sepoys , Angehörige anderer Nationalitäten und Leute aus dem Troß stürzten sich auf alles , was sie nur finden konnten. Auch die weißen Soldaten nahmen in etwas geringerem Grade ebenfalls an der Plünderung teil .
Da sie jedoch nicht dasselbe scharfe Auge
für die Entdeckung der Beute hatten wie ihre Sikh-Kameraden , hatten sie nicht denselben Erfolg wie diese ¹ ) .
so
Die Reichtümer, die in Delhi gefunden wurden, waren unermeßlich. Da gab es mit Gold durchwirkte Kaschmirschals , Uhren und Goldbarren , goldgestickte Gewänder und kostbare seidene Bettdecken nebst Bettzeug mit zarten Eiderdaunen gefüllt, wie es in England auch in reichsten Häusern unbekannt ist. Alles dies wurde haufenweise fortgeschleppt. Ein Schal, der in England mit 100 Pfund Sterling (2000 Mark) bezahlt wird, wurde von den Plünderern für 4 Rupien ( 8 Mark) verkauft. Eine englische Zeitung berichtete damals : „ Unsere Soldaten werden wahrscheinlich jeder mit 1000 Pfund nach England zurückkehren , obgleich General Wilson befohlen hat, daß die ganze Beute zusammengetan und gleichmäßig verteilt werden sollte 2) . “ * *
Bei der Eroberung Lucknows wurden von dem Kaiserpalast , der von der 3. Befestigungslinie umschlossen war, noch ehe der Befehl zum Sturm gegeben wurde, einige Vorhöfe von den englischen Truppen eingenommen ,,wozu sie teils durch Rachsucht, teils durch Beutegier getrieben worden waren¹) “ . 1 ) Kaye Band 3. S. 640 f. 2) Quellenangabe siehe bei Ugény S. 177. 3) Hageby S. 282.
159
Englische Plünderungssucht.
Hierher hatten viele Eingeborene und Häuptlinge ihre Kostbarkeiten bringen lassen, da sie überzeugt waren , sie hier am sichersten verwahrt zu sehen.
Das prachtvolle Schloß,
das
aus einer Menge von mit-
einander zusammenhängenden Gebäuden bestand, bildete ein Ganzes. Der Kriegsberichterstatter der „ Times " , William Russell, schrieb : Man müsse die Tuilerien , den Louvre, Versailles, Skutari und den Winterpalast nebeneinander stellen und sie mit den Gärten von Kew umgeben - dann würde man einen Begriff von der Größe des Kaiserpalastes in Delhi mit seinen Gärten erhalten . Kaum waren die britischen Truppen in diesen riesigen mit Kostbarkeiten aller Art gefüllten Palast eingedrungen, so begann das Plündern, das ebenso wie das Morden tagelang währte. Russell stellte in seinem Bericht vom 6. Mai 1858 fest , daß die Soldaten unter der Last der Kostbarkeiten keuchten, die sie fortschleppten . Goldene und silberne Gefäße, mit Edelsteinen besetzte Waffen, kostbare Schals , Gemälde und Spiegel , kurzum alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde
-
mitgenommen, und nichts blieb zurück als die kahlen Wände.
Die
Edelsteine, die man in den Gemächern der Königin fand, waren so groß, daß man sie anfangs für Glas hielt. Hageby erzählt von dieser Plünderung : „ Vor dem Palaste begegneten wir einem Trupp Soldaten, die mit reicher Beute, goldenen und silbernen Gefäßen, Kleinodien, indischem und chinesischem Porzellan , einer Partie Kaschmirschals usw. beladen waren. Ich erinnere mich eines Matrosen, welcher 10 Stück dieser kostbaren Schals um den Leib gewunden hatte. Alle diese wertvollen Gegenstände wurden für eine Kleinigkeit verkauft, doch nur gegen bare Bezahlung . günstige Gelegenheit , mir einige derselben
Ich verlor die
anzueignen, da ich
glücklicherweise meine Börse nicht zu mir gesteckt hatte ;
un-
dennoch
frug ich einen von Pulver geschwärzten , blutigen Matrosen , welcher eben einen prachtvollen Säbel, dessen Griff mit Gold und Edelsteinen reich verziert war, erbeutet hatte, ob er mir denselben verkaufen wolle ? ,Da haben Sie das Ding für ein paar Pfund !' rief er schmunzelnd ; aber als ich darauf höchst vergnügt die schöne Ware ergriff und den Mann bat, am Abend zu mir in das Lager zu kommen, um sein Geld zu empfangen, nahm er sie mir sogleich wieder aus der Hand und meinte hönisch : , Heute abend brauchen Sie vielleicht ebensowenig meine Waffen als ich Ihr Geld!' - worauf er lachend davonging. Einer meiner Kameraden kaufte einen Kaschmirschal und eine Schnalle mit Rubinen für eine Flasche Rum, und solche Fälle kamen nicht selten vor. " In einem anderen Palaste schien die Rüstkammer gewesen zu
Hier kam ich früh genug, um mich eines Gewehres und einiger Dolche zu bemächtigen , um die ich freilich erst einen Streit bestehen
sein.
160
Englische Plünderungssucht.
mußte ...
Als ich aus einem dieser bis an die Decke mit pracht-
vollen seidenen und goldgewirkten Stoffen gefüllten Säle hinaustrat, hörte ich im angrenzenden Raume ein starkes Klopfen und Hämmern ; ich blickte durch die Türe und fand einige unserer Matrosen, welche damit beschäftigt waren, die goldenen Beschläge und silbernen Randschienen von den königlichen Wagen herunterzunehmen¹) . “ Ähnliches erzählen alle anderen Augenzeugen.
Unglaubliche
Sergeant Orgien spielten sich bei den plündernden Truppen ab. Forbes - Mitchell bezeichnet es als „ ganz unmöglich , die Szenen zu beschreiben, denen man überall in den Straßen von Lucknow begegnete . Ich hatte die Redensart , von Beute trunken' gehört ; hier sah ich sie in die Wirklichkeit umgesetzt. Hier waren Soldaten, außer sich vor Beutelust und in wilder Erregung, hinter denen sich Leute vom Troß drängten, die zu feige waren, voran zu gehen, aber gierig wie die Geier dem Heere folgten und die Leichname der Gefallenen beraubten ²). “ Und doch beklagte sich der Biedere : sein Regiment, die 93 er, habe nicht viel von der Beute abbekommen.
Erst bei der Vertreibung
des Feindes aus einigen Moscheen und anderen massiven Gebäuden in der Nähe des Imambara am 21. März habe eine Kompagnie das Grabmodell ( die königliche Tazia) und die Prunkstücke gefunden , die mit ungeheuren Kosten für das Mohurrumfest des Jahres 1857 hergestellt waren. Dieses Fest kostete dem regierenden Nabob oft mehr als 6 Millionen Mark.
So trug der weiße arabische Hengst -- der sogenannte Dhulldhull
- , der auf diesem Feste eine Reliquie trug , Geschirr von lauterem Golde und am Sattel einen goldenen „ Wagen " mit Köchern und Pfeilen . Ein indischer Juwelenhändler, der 1857 in Lucknow war, berichtete Forbes-Mitchell ferner : der Stern und Halbmond des für den jungen König angefertigten Grabmodells habe allein 5 Lakhs Rupien ( 1 Million Mark) gekostet. ,,Wie dem auch sei "
so erzählt der Sergeant
,,das Glück
wollte, daß eine Kompagnie der 93 er die Doorgah stürmte, wo all diese geweihten Prachtstücke aufbewahrt wurden, und dabei fanden sie die goldene Tazia mit sämtlichen goldgestickten Fahnen, dem Sattel und der Schabracke , Dhulldhulls.
dem goldenen
Köcher
und den
Pfeilen des
„ Zu jener Zeit war ein gewisser Leutnant bei der Kompagnie , den ich Jamie Blank nennen will. Man wußte, daß er sehr arm war, und man erzählte sich im Regiment, daß er regelmäßig eine Hälfte
1 ) Hageby S. 284f und 287f. 2 ) Forbes- Mitchell S. 352.
161
Englische Plünderungssucht.
seiner Leutnantsgage nach Hause schickte, um seine verwitwete Mutter und eine Schwester zu unterstützen. Aus diesem Grunde erachtete die Kompagnie Jamie Blank für berechtigt, von der Beute einen Anteil zu bekommen.
Als deshalb das Grabmodell gefunden war, beschlossen
die Soldaten, die nicht wußten, ob die Diamanten in dem Halbmond und Stern auf der Kuppel echt seien, die ganze Kuppel abzuhauen und Jamie zu geben.
Ich weiß nicht, wo Jamie Blank sich dieses
speziellen Beutestückes entäußerte, aber ich habe gehört, daß es schließlich nach London gebracht und für 80 000 Pfund Sterling ( 1 600000 Mark) verkauft worden ist. „ Der beste Teil der Geschichte kommt aber noch. Im Lager war ein gewisser Zeitungskorrespondent, der sich von seinem Diener die hindustanischen Bezeichnungen ins Englische übersetzen ließ.
Als er
hörte, daß eine Kompagnie der 93 er ein goldenes Grabmodell von großem Werte gefunden, und daß sie dem ältesten Leutnant den oberen Teil davon geschenkt habe, um ihm zu ermöglichen, Geld für sein Hauptmannspatent zurückzulegen, fragte der Korrespondent seinen Diener, einen Indier aus Madras, was das englische Wort für Tazia sei.
Samuel, der das englische Wort Grab wohl nicht kannte , aber
wußte, daß Tazia mit einem Begräbnis zusammenhing, sagte seinem Herrn, die englische Übersetzung von Tazia sei Sarg. Auf diese Weise las man in allen englischen Zeitungen, daß eine gewisse Kompagnie der 93 er bei der Plünderung von Lucknow einen Sarg von Gold gefunden habe und daß die Soldaten dem ältesten Leutnant großmütigst den mit Diamanten und geschenkt hätten¹ ). "
anderen Edelsteinen besetzten
Sargdeckel
Forbes-Mitchell bedauert nach dieser Erzählung abermals, daß sein Regiment mit Ausnahme der einen Kompagnie sehr wenig von der Beute abbekommen habe. „Als wir in die Stadt zurückkehrten, war die Ordnung schon bis zu einem gewissen Grade wieder hergestellt, Prisen agenten waren ernannt, und an den Hauptstraßen hatte man Wachen aufgestellt, um die Leute vom Troß und anderes Gesindel auf ihrem Rückwege ins Lager aufzuhalten und sie zu zwingen , ihre Beute angeblich zum öffentlichen Wohl und zum Vorteil des Heeres wieder herauszugeben. Doch gelang es vielen der Plünderer, die Wachen zu umgehen, weshalb man berittene Patrouillen die verschiedenen Straßen längs der Ufer der Goomtee und die breiteren Verkehrsstraßen von Lucknow abstreifen ließ 2) . " Übrigens wurden nach der Einnahme von Lucknow mehrere Häuser und Höfe mit der Beute gefüllt, die die Behörden sammeln ließen . 1) Forbes- Mitchell S. 350 ff. 2) Forbes - Mitchell S. 352.
}
162
Englische Plünderungssucht.
„ Dieses mit Blut erkaufte Eigentum sollte in öffentlicher Versteigerung verkauft und die daraus gelöste Summe zu Belohnungen in der Armee verwandt werden¹).“
Die Soldaten betrachteten es eben als ihr gutes Recht zu plündern , und waren gar nicht damit einverstanden , daß ihnen der Staat zuvorkäme ; von ihm erwarteten sie doch nicht, daß er ihnen das Versprechen einer Beteiligung an der Beute hielt. Wirklich betrog der Staat die Soldaten um Belohnungen , die er ihnen für die Aufbringung von Beute fest versprochen hatte. So mußte das 93. Hochländerregiment am 13. Dezember 1857 nach Bithoor zurück, weil Spione berichtet hatten , Nana Sahib habe in einem Brunnen nahe bei dem Palaste des früheren Peischwar von Puna einen großen Schatz versteckt.
Der Sergeant Forbes - Mitchell
berichtet voller Grimm über die den Soldaten zugemutete Arbeit und darüber, daß sie schließlich von der Regierung doch genasführt wurden : „ Rupien im Werte von 30 Lakhs 2), die in Munitionskisten verpackt in einen Brunnen versenkt waren, wurden wiedererlangt, auch eine große Menge von Gold- und Silbergeräten und anderen Wertsachen , darunter eine silberne Howdah³), die die Staatshowdah des Ex-Peishwa gewesen war. Man sagte, daß die wiedererlangten Gold- und Silbergeräte und die anderen Wertsachen , abgesehen von den Rupien , mehr als eine Million Pfund Sterling (20000000 Mark) wert seien, und es lief ein Gerücht im Heere um , daß jeder Soldat eine Prämie von mehr als 1000 Rupien erhalten würde. Aber wir bekamen auch nicht einen Pie¹) ! was wir davon hatten , war Mühe und Arbeit. „Der Brunnen war sehr groß.
Alles ,
Vier starke Gerüste wurden von den
Pionieren über ihm errichtet, und man ließ von Cawnpore große lederne Eimer mit starken eisernen Gestellen, an denen Stricke befestigt waren , kommen.
Eine Abteilung von 25 Mann wurde an jeden Strick komman-
diert und alle 3 Stunden abgelöst ; 2 Eimer schöpften fortwährend Wasser aus und 2 zogen den Schatz herauf. So arbeiteten wir Tag und Nacht vom 15. bis zum 26. Dezember. stellten die Abteilungen zum Ziehen,
Die 42 er, 53 er und 93 er
und die bengalischen Pioniere
die zur Arbeit im Brunnen. Da die letzteren die ganze Zeit im Wasser stehen mußten, SO wurden sie jede Stunde abgelöst. Es war
1 ) Hageby S. 287. 2) 1 Lakh = 100000 Rupieen ; mithin 3000000 Rupien = 12000000 Mark. 3) Ein zeitartiger Sitz auf dem Rücken eines Elefanten. *) Die kleinste indische Kupfermünze, ungefähr soviel wert wie ein Pfennig.
163
Englische Plünderungssucht.
keine leichte Arbeit, das Wasser auszuschöpfen , so daß die Pioniere die Kisten voll Rupien an den Stricken befestigen konnten, und 3000000 Rupien aus dem tiefen Brunnen ans Licht zu schaffen, erforderte große Anstrengungen. Aber in dem Glauben, daß das Geld in Prämien verteilt werden würde, arbeiteten die Soldaten fröhlich darauf los .
Eine
väterliche Regierung jedoch ignorierte die diesbezüglichen Versicherungen unseres Generals unter dem Vorwande, daß wir nur den vom Nana aus Cawnpore entführten Schatz zurückgeschafft hätten. Die kostbaren Geräte und Juwelen des Ex-Peishwa wurden ebenfalls von der Regierung als Staatseigentum mit Beschlag belegt, und die Soldaten hatten das Nachsehen¹) !"
Welche Wirkungen das Plündern auf die Brauchbarkeit der Truppen hatte, läßt sich ermessen : es züchtete Diebe. So berichtet Hageby : Die Diener der Offiziere , die zu Anfang der Belagerung Lucknows sehr schwer zum Gehorsam und während des Kanonendonners fast gar nicht
in die Batterien zu bringen waren ,
änderten ihr Benehmen ,
sie Zeugen der
sobald
ersten Erfolge der Engländer wurden . Beim Plündern waren die feigen Gesellen dann 19 Was sie an Goldmünzen fanden, die ersten und geschicktesten .
wurde sogleich geschmolzen und zu Ketten umgearbeitet, von denen einige mehrere um Hals und Oberkörper trugen. Mein Diener reihte meine Schlüssel auf eine solche Kette und trug sie beständig an seinem Körper² ). " Im Mai 1858 -
hier und da einem Sikh,
der Aufstand war fast ganz unterdrückt ,
flackerte er noch
ein wenig
der in der Nähe von Dehri ,
nur
wurde Hageby von wo eine englische Truppe
lagerte , im Flusse gebadet hatte, ein kleiner Kasten gebracht, den er am Ufer im Sande gefunden haben wollte . „ Bei näherer Nachfrage ergab
sich,
daß
derselbe
einem
Matrosen
gehörte,
und
daß
den
Leuten überhaupt mehrere Sachen abhanden gekommen waren , ohne daß sie jemand von den ihrigen oder den Sikhs beargwöhnten , dieselben entwendet zu haben . Sie baten mich jedoch, zu versuchen , den Dieb zu ermitteln . Ich ließ nun die Matrosen in ihrem Quartiere abwechselnd Wache halten ,
und da geschah es, daß ein Panka-vola,
der seinen Herrn in den Schlaf gefächelt hatte und sich darauf einige Kleidungsstücke aneignen wollte, welche unter dem Bette lagen, auf frischer Tat ergriffen wurde . - Ich ließ, als man mir den Verbrecher gebunden vorführte, ihn sofort zum abschreckenden Beispiele 1 ) Forbes- Mitchell S. 307 ff. 2) Hageby S. 295.
164
Englische Plünderungssucht.
an
einen Telegraphenpfahl binden und ihm eine ganz gehörige Bastonade geben. Meine Leute hatten durch diese Hausdiebstähle
wertvolle Gegenstände
eingebüßt ,
und ich wollte durch die von mir
zuerkannte Strafe der Ausübung des Faustrechts vorbeugen, was mir auch gelang ; ich längere Zeit
muß jedoch gestehen,
daß mir dieser Vorfall für
einen höchst unangenehmen Eindruck hinterließ,
da es
mir peinlich war, den Befehl zu der körperlichen Züchtigung eines Menschen gegeben zu haben¹ ). “ Mit welchen Schätzen auch
die einfachsten Soldaten
und Matrosen nach Hause zurückkehrten ,
zeigt ein Erlebnis
Hagebys , dem ein biederer Matrose zwei Diamanten zur Erinnerung schenkte. „ Als wir zum Abmarsche bereit waren , kam ein Matrose zu mir, welcher bedenklich krank gewesen und nur durch ein Wunder dem Tode entronnen war. Er erzählte mir treuherzig, daß er erfahren habe,
Mistreß Rattray pflege mit großer Vorliebe Diamanten
und dergleichen
zu kaufen ,
diese Dame durch
und da ihm mitgeteilt worden sei ,
daß
ihre mütterliche Sorgfalt zu seiner Genesung bei-
getragen habe, so wünsche er, ihr seine Dankbarkeit zu bezeigen. Hierauf dankte er auch mir für meine Teilnahme und Fürsorge und bat mich, ein Andenken von ihm annehmen zu wollen. Dann zog er aus einem kleinen leinenen Läppchen , in welchem er 14 Diamanten verwahrte, zwei derselben hervor und ersuchte mich mit schlichten Worten,
den
einen
zu
seiner
Erinnerung
anderen, einen wertvollen Brillanten, der Rattray in seinem Namen zu überreichen.
zu bewahren und
den
Gemahlin des Kapitäns Unter den Andenken ,
die ich aus Indien mit in die Heimat gebracht habe, ist dieser Stein mir das teuerste , als Erinnerung an einen Kameraden , auf dem rechten Flecke hatte 2). "
der das Herz
7. Burenkrieg . Hören wir,
was
ein
Dr. med. F. A. Suter ,
Neutraler,
über
der schweizerische
seine Erlebnisse
Militärarzt
im ersten Jahre des
Burenkrieges erzählt. Suter ging, vom schweizerischen Roten Kreuz ausgerüstet, als Feldarzt zu General de la Rey. Nachdem er seine menschenfreundliche Tätigkeit mehrere Monate Buren
ausgeübt
hatte,
wurden
diese
lang auf Seiten der
von den
Engländern
soweit
zurückgeschlagen, daß Suter in ihre Hände fiel. Sofort wurde ihm und allen anderen Leuten in dem Dorf Amersfoort von den briti-
1) Hageby S. 326. 2 ) Hageby S. 327 f.
165
Englische Plünderungssucht. schen Soldaten
beinahe
alles gestohlen .
waren die Engländer dort, Kaufladens ganz
einzige Nacht
Erst eine
da kam schon der Inhaber eines großen
aufgeregt zu dem Schweizer Arzt,
um ihm zu er-
die Engländer hätten ihm seinen Laden während der Nacht
zählen,
vollständig ausgeplündert .
Und das geschah einem Manne, der sich
vorher sehr für die Engländer eingenommen gezeigt hatte !
Als ein
englischer kriegsgefangener Offizier dort untergebracht war, spielte dieser Kaufmann auf seiner Geige beständig 99 Tommy Atkins " , um dem Gefangenen eine Freude zu bereiten . Trotz seiner Engländerfreundschaft wurde diesem Kaufmann nunmehr sogleich in der ersten Nacht alles gestohlen oder zerschlagen was er im Laden hatte : Zucker und Kaffee, Kleider und Werkzeuge , Tabak und Pfeifen ,
Glasschränke
und Schuhe,
Fahrräder
und Apo-
theken, Klaviere und Harmoniums. Dr. Suter überzeugte sich durch den Augenschein von der Plünderung. „ Im ganzen Laden fand sich , glaube ich, kein brauchbares Objekt mehr.
Alles war kurz und klein
geschlagen und ausgeraubt, Spiegelschränke, Tassen , Teller, Flaschen zerschlagen, herausgerissen ,
Kleider zerrissen ,
bei Harmoniums
Büchsen , die Tasten
kurz ,
ein Chaos , wie ich es in meinem Leben noch nie gesehen habe. Die zerstörten Waren bedeckten den ganzen Fußboden . Man watete förmlich darin herum . Im Kontor hatte man den eisernen Sicherheitsschrank vom Gestell herab auf den Boden gerissen.
In der Außenwand
zeigte
er ein großes
Loch, -
zweite Wand hatte man jedoch nicht eindringen können für Herrn Selling.
Es
befanden
sich
in dem
durch die ein Glück
Schranke in diesem
Momente 1800 £ (45000 Fr. ) in Gold und Papieren, sowie sämtliche Geschäftsbücher. Herrn Selling zuckte es eigentümlich um die Mundwinkel, es war ihm jedenfalls etwas weinerlich zumute ; seine Freude an den Engländern hatte bedeutend nachgelassen.
"9 Gegenüber lag der Store (Laden) eines deutsch -russischen Juden, Namens Treismann , noch größer wie der Laden Sellings und wertDie Vandalen hatten hier in der vollere Gegenstände enthaltend. Nacht das gleiche Zerstörungswerk vollbracht.
Zwei Glasschränke mit
Silbersachen waren vollständig ausgeraubt . Einige Velocipeds waren gänzlich zertrümmert. Auch hier lagen die Waren vernichtet auf dem Boden umher. Trotz allen Elends mußte ich doch lachen , denn Herr Treismann sprang unaufhörlich von einem Ende des Ladens zum anderen :
Sehen
Sie ,
Herr Doktor ,
gestern hatte
ich alles,
heute
Ein gerade gegenwärtiger Offizier bemerkte habe ich nichts mehr. höhnisch, das sei die Rache für Dundee . „ Der Schaden wurde in einem Laden auf 4000, im anderen auf
166
Englische Plünderungssucht.
4500
taxiert, was zusammen die schöne Summe von 212500 Fr.
ausmacht¹)." Daß
die Plünderer
auch dem Arzt alles mögliche und unmög-
liche stahlen, wird kaum noch Verwunderung erregen. Nicht einmal Dinge, die für die Soldaten wertlos sein mußten, blieben verschont. Dr.
Suter
hatte
eine
Mierkatze
nach Europa mitzunehmen .
bei
sich aufgenommen,
um
sie
Als er nun in einem Zimmer, das zwei
Verwundete enthielt, mit Einpacken beschäftigt war, hörte er plötzlich die quiekende Stimme seiner Mierkatze . Zuerst konnte er sie nirgends
entdecken .
Erst
nach einiger Zeit bemerkte
er,
daß ein
anwesender englischer Soldat sie unter dem zugeknöpften Rock verwahrte .
Als Suter
sein Eigentum
stieß er auf heftigen Widerstand .
wieder
an
sich nehmen
wollte,
Der Soldat behauptete steif und
fest, das Tier gehöre ihm. Erst mit großer Mühe gelang es Suter, wieder in den Besitz der Katze zu gelangen2). Ja,
nicht
einmal Engländer
rung verschont. Arzt
wurden von der Plünde-
In dem Dorf wohnte auch ein junger englischer
mit seiner Frau und einem Säugling.
Schon vor der Ankunft
der Engländer waren sie voller Begeisterung für ihre Landsleute gewesen ; wenn Dr. Suter mit Mitgliedern seiner Ambulanz bei diesem englischen Kollegen ,
Mr.
Bostock ,
eingeladen
war,
trug
das sehr
musikalische Ehepaar mit Vorliebe englische Kriegs- und Soldatenlieder vor. Als nun die ersten Verwundeten kamen, beeilten sich Dr. Bostock und Frau , zu machen.
Es
ihnen
das Leben so angenehm wie möglich
wurde Tee, Kaffee und Fleischbrühe gekocht, und
Frau Dr. Bostock gab sie selbst den Verwundeten zu trinken . Ehepaar bewohnte den ganzen hinteren Teil des Gasthofes.
Das Un-
gehindert konnten die Engländer die Küche Bostocks benutzen, die Dame stellte alle Geräte und sämtliches Geschirr zur Verfügung. „Zum Danke dafür
stahl man ihnen die ganze Küche leer,
so daß
sie später weder Löffel noch Messer hatten , um selbst zu essen . an Lebensmitteln diert³),
vorhanden
war,
wurde natürlich
alles
Was
komman-
ja sogar auch alles vorrätige Kindermehl, das für das Baby
bestimmt war, wurde gestohlen , so daß die Leute nachher nicht mehr wußten, mit was sie das Kind ernähren sollten . Milch war nämlich im ganzen Dorfe keine mehr aufzutreiben . Frau Dr. B. meinte nach all dem
sie hätte die Buren bisher nicht leiden mögen,
jetzt sei
1) Oberleutnant Dr. med . F. A. Suter : Unter dem Schweizerischen Roten Kreuz im Burenkriege. Leipzig : Heinrich Schmidt & Karl Günther , 1901. S. 266. 2 ) Suter S. 263 f. 3) Requiriert.
167
Englische Plünderungssucht. ihr aber der schlechteste Bur lieber
als der beste Eng-
länder , sie schäme sich ihrer Landsleute¹ ). " In der Tat war es ihnen eine Herzenslust,
einmal
tüchtig
plündern zu können . So erzählt der Burengeneral De wet einen humoristischen Vorgang. Selbst nur 80 Mann stark, nahm er 200
Engländer,
die
sich
im
Bahnhof
von
Roodewal hinter
Hunderten von Kisten mit ungeheuren Munitionsvorräten und anderen Dingen verschanzt hatten, gefangen. kostbare Winterkleider, Decken und
In gewaltigen Mengen lagen Stiefel herum . Dewet be-
dauerte, nur einen kleinen Teil davon mitnehmen zu können , weil er wußte, daß die Engländer, denen die Eisenbahn zur Verfügung stand, sehr rasch neue Truppen nach Roodewal werfen konnten . Die ganze Beute sollte also den Flammen überliefert werden . Vorher erlaubte Dewet indessen seinen Buren, die Postsäcke, die auf dem Bahnhof lagen, zu öffnen und sich daraus zu nehmen, was sie wollten. Da gab es allerlei Pakete mit warmen Unterkleidern und Strümpfen, Zigarren und Zigaretten. Während die Buren
sich eifrig mit den Paketen beschäftigten ,
einer der Gefangenen an Dewet mit der Frage heran, ob sie nicht ebenfalls einige dieser Postsäcke öffnen und Pakete daraus für sich nehmen dürften . Dewet gab die Erlaubnis, und die Engländer stürzten sich über die Sachen her. trat
Als die Sonne unterging, mußte abmarschiert werden.
Jeder der
Buren führte sein Pferd am Zügel, weil er es so mit Waren beladen hatte, daß er selbst nicht mehr in den Sattel konnte. „ Am meisten Spaß
machten
brechen.
mir
die Tommies ,
Der arme gutmütige
kleinen Lager bringen
sollte,
Beute wegzubekommen ,
als ich
den Befehl gab ,
Feldkornett,
hatte
der
saure Arbeit,
sie
aufzu-
nach unserem
um sie
und als ihm dies endlich gelang,
von der waren die
Soldaten so schwer beladen , daß man unwillkürlich sich fragen mußte, ob sie denn ein Ladengeschäft anfangen wollten ?
Sie kamen natür-
lich unter dieser Last nicht weiter, wie man sich denken kann. waren deshalb genötigt,
ihre Bündel leichter
zu machen,
Sie
und der
ganze Weg war mit den von ihnen weggeworfenen Gegenständen besät2). “ Auch die Deutsche Johanna Wittum , die als Schwester vom Roten Kreuz sieben Monate im Burenkriege tätig war, klagt über das Es habe zwar das strengste Verbot
Plündern der englischen Soldaten.
gegen Plünderung bestanden, aber die Tommies kümmerten sich nicht darum. So erlebte dies die Schwester selbst in Jacobsdal , wo sie 1) Suter S. 267. 2) General Chr. R. Dewet : Der Kampf zwischen Bur und Brite (Der 3jährige Krieg). Kattowitz und Leipzig : Carl Siwinna, 1902, S. 103 .
168
Englische Plünderungssucht.
sich mit ihrem Lazarett befand.
Erst als die Offiziere die härtesten
Strafen androhten, hörte der Unfug auf. Ärzte und Pfleger des Roten Kreuzes büßten dabei manches Privateigentum ein¹ ) . Da für die Verwundeten nicht genügend Platz vorhanden war, so mußte man weitere Gebäude dafür herrichten.
Die Schwester zog
daher mit einem Pfleger aus, um das Nötigste aus den Häusern der Geflohenen zu requirieren . „ Aber wie durchs Herz !
sah
es da aus ;
es gab mir ordentlich einen Stich
Im Hof von de Villiers, die zu Anfang zwei Schwestern
so freundlich beherbergt hatten , begegneten uns mit
allerhand unnützem Kram
nicht wüßten ,
daß Plündern
beladen . verboten
Gentlemen in Khaki
Auf unsre Frage, sei,
Nahrungsmittel zu verschaffen , sei erlaubt.
antworteten
ob sie
sie
sich
Dazu rechneten sie wohl
auch gestohlene Lampen, Bücher und Schuhe.
Wir wünschten den
Tommies gesegneten Appetit und einen guten Magen dazu ! „ Im Hause selbst, welch schauderhafte Zerstörung ! Das Roẞhaar der Matratzen war herausgerissen und lag mit Kleidern und Wäschefetzen, zerrissenen Büchern , zerschlagenen Glaswaren und Möbeln in buntem Chaos auf dem Fußboden zerstreut. Hier hatten wohl Vandalen , aber kein zivilisiertes Militär gehaust !
Es war allerdings nur in
den verlassenen Häusern geplündert worden , da aber auch gründlich2 ). " Auch waren es nicht nur die gemeinen Soldaten , die wie die Raben stahlen .
„ Ein englischer Korporal hatte für den Ersatz
zerfetzter und blutiger Kleidungsstücke Sorge zu tragen und machte sich darum häufig bei den Kleidern zu schaffen " (den Kleidern der Verwundeten, die in einem Bündel zusammengepackt in der unbenutzten Küche aufbewahrt wurden). „ Bei dieser Gelegenheit nahm er meist
einige
der , badges',
das sind die Regimentsabzeichen ,
die
aus Metall an den Epauletten oder am Helm befestigt sind, ab , um sie
zu verkaufen ,
denn
damit
wurde ein großer Handel getrieben.
Auch andere Dinge fehlten ; so vermißte einer meiner Patienten seine Löhnung, 20 £, die er seiner Frau, die in England sechs Kinder zu ernähren hatte,
schicken
wollte.
Mir war natürlich die Sache sehr
fatal . Ich ließ den Korporal kommen und setzte ihm ganz energisch auseinander, daß ich durch den Kommandanten des Ortes eine Untersuchung einleiten lassen wolle,
worauf er das Geld aus seiner Börse
holte und mir erklärte, er habe es nur aufbewahren wollen, damit es nicht abhanden käme³) ! "
1 ) Johanna Wittum : 7 Monate im Burenkrieg. Friedrich Ernst Fehsenfeld, 1901. S. 59. 2 ) Wittum S. 64. 3 ) Wittum S. 65.
Freiburg i. Br.:
169
Englische Plünderungssucht.
Auch
mit der Lazarettwäsche lag es im argen.
sie durch Kafferfrauen im Rietfluß
Früher war
gewaschen und dort getrocknet
worden.
Seit die Engländer da waren, durfte jedoch niemand mehr zum Flusse, sodaß die Schwestern die notwendigsten Stücke nachts in Eimern wuschen . Als der Kommandant Jacobsdals, General Wawell,
ein sehr zuvorkommender Herr, davon Kenntnis erhielt, kommandierte er jede Woche eine Kompagnie Soldaten ab , die für das Rote Kreuz waschen mußten . „ Dadurch verkleinerte sich aber unser Wäschebestand auffallend rasch 2 ). " Ähnliche Beobachtungen scheint jeder einzelne Teilnehmer des Ich führe nur noch an , was der Feldzuges gemacht zu haben. deutsche Arzt Dr. Hero Tilemann erzählt, seine Ambulanzwagen geplündert wurden. Gefangenschaft geriet,
dem übrigens auch
Als Tilemann in englische
wurde er mit dem einzigen Wagen , den man
ihm gelassen hatte, der Nachzügler einer englischen Kolonne .
Dabei
konnte er recht beobachten, wie die Engländer auf den Farmen hausten . „ Unverkennbar lag in dem Vernichtungswerk der Engländer System.
Verbrannt war das Haus
zwar nicht,
Ruine blieb von dem Besitztum nicht zurück.
aber mehr als eine Auf dem Lagerplatz
lag es wie gesät von allem möglichen Geflügel und geschlachteten Hammeln. Den Hammeln hatte man in vielen Fällen nur hinten das Fell abgezogen und die hinteren Keulen abgenommen , alles andere stak noch im Fell, einzelnen war nur das Blatt herausgeschnitten, wieder andere waren gar nicht benutzt und wurden von den darüber fahrenden Wagen zerrissen , so blieben sie dann liegen , den Aasgeiern zum Fraß .
Dazu hatte es geregnet.
Ein furchtbarer
Dreck ! Abgekehlte Rinder lagen längs des Weges . Einen der englischen Soldaten sah ich mit seinem Taschenmesser an einer Rindslende arbeiten ; an einer kleinen Stelle zog er das Fell herunter und grub förmlich mit seinem kurzen Messer das Fleisch heraus . unverkennbar ein City-Mann, Hantieren .
man
sah es
Es war
an seinem ungeschickten
Der mag sich bei der Fülle von Fleisch in das Schlaraffen-
land versetzt gefühlt haben ³)." Übel wurde auch den deutschen Ansiedlern in Lüneburg und Bergen mitgespielt. dort nur Deutsche wohnten,
Die Engländer
sodaß Tilemann
würden dort glimpflicher verfahren . „ Die Kriegsfurie
ward
wußten sehr wohl,
entfesselt.
zunächst
dachte ,
daß sie
Allein darin täuschte er sich .
Noch nirgends sah ich sie toben
wie unter dem Generalmajor Dartnell,
mit seiner aus aller Herren
2) Wittum S. 65f. 3) Dr. Hero Tilemann : Tagebuchblätter eines deutschen Arztes aus dem Burenkriege. S. 203 .
170
Englische Plünderungssucht.
Länder zusammengeworbenen , Johannesburg mounted infantry' . Auf die deutschen Ansiedler Lüneburgs und Bergens schien er es in erster Linie abgesehen zu haben. Welchem Elend und welcher Not wurden diese friedlichen Leute ausgeliefert, Säuglinge sowohl als betagte deutsche Frauen, die nach schwerer Lebensarbeit sich in Ruhe ihres redlichen Wohlstandes hatten erfreuen können . „ Ich kann das nicht alles beschreiben, hier ist tatsächlich, daß eine Feder nicht wiederzugeben vermag . was ich auf dem Zuge des Generals Dartnell an Grausamkeiten und Elend gesehen habe. Und , so füge ich nach dem Kriege bei Durchsicht dieser Blätter hinzu, zu wenig ist von diesen Roheiten bis jetzt bekannt geworden . . . Unglaublich war es, was alles die Soldaten und die Kaffern an ihren Sätteln und vorne vor sich auf dem Sattel aus den deutschen Häusern wegschleppten, was später in den Dreck geworfen und von den Kanonen und Wagen zerfahren, beuteten Vieh zertreten
wurde.
von
den Pferden und dem er-
Wie gesät lag auf dem Wege eine
Unmenge von Hühnern , Enten, Gänsen, Putern und von mühevollen, kunstvollen Handarbeiten deutscher Frauen usw.¹ ) . "
8. Weltkrieg 1914-1916 . Zu ihrem
lebhaften Bedauern
war es den Engländern in dem
Weltkriege der Jahre 1914-1916 nicht möglich , auf deutschem oder österreichischem ,
türkischem
Tätigkeit zu entfalten ,
oder
bulgarischem Boden
plündernde
da sie militärisch nicht tüchtig genug waren ,
in Europa auf dem Boden des Feindes vorzudringen . In Afrika wurde mannigfach geplündert . Dagegen wurde nicht ein Fleckchen des Deutschen Reiches, Österreich-Ungarns, Bulgariens oder der europäischen Türkei von den Engländern betreten, soweit sie nicht als Gefangene dorthin kamen von dem Dardanellenabenteuer darf füglich abgesehen werden.
Nur die
äußersten
Teile
des
türkischen Staats-
gebietes in Asien und deutsche Kolonien in Afrika und der Südsee Ihre Plünderungen fielen englischen Truppenteilen in die Hand . mußten daher notgedrungen auf diese Gebiete beschränkt bleiben — solange die Hoffnung, später im Herzen des feindlichen Landes plündern zu können , sich nicht erfüllt. Diese Hoffnung allerdings wurde den britischen Truppen wie ein leuchtender Stern in einem Tagesbefehl gezeigt, der Anfang September 1914 bei einem gefangenen englischen Offizier gefunden ward; er lautet :
1 ) Tilemann S. 204 f.
171
Englische Plünderungssucht .
oc. B. Coy II . Bataillon Royal Scotch Fusiliers : „ Da viele Fälle vorgekommen sind , in denen von britischen Truppen besetzte Häuser geplündert wurden und viel Schaden angerichtet worden ist , muß daran erinnert werden . daß unsere Truppen augenblicklich in dem Lande unserer Verbündeten operieren. "
Für die Plünderungen der Engländer in Deutsch - Südwestafrika mag folgender Brief eines älteren Landwirts dort sprechen , der nicht etwa auf einer verlassenen " Farm lebte, sondern auf einer durch die Engländer gewaltsam von ihren Besitzern „geräumten “ : "... Im Monat Juni 1915 rückte auf unserer Farm eine Abteilung englischer Truppen ein. Trotzdem wir diese ordentlich aufnahmen und alles herbeischafften, was zu ihrem Unterhalt nötig war, wurden wir sofort in Sicherheitshaft genommen, angeblich, um uns vor unseren Eingeborenen zu schützen, ,verd ... Deutschen zu ermorden.
die geschworen hätten, alle die Das war frei erfunden , denn
unsere Eingeborenen hatten stets nur Gutes von uns erfahren und hingen und hängen infolgedessen treu an uns. Alle unsere Proteste halfen nichts.
Wir wurden nach Südafrika geschafft. Bis zum Herbst wurden wir in Pietermaritzburg auf dem Fort Napir festgehalten. Dann wurde mir gestattet, auf meine Farm zurückzukehren. Aber wie sah es dort aus ! Die Farm war total geplündert, und was nicht mitnehmbar war, in nicht wiederzugebender Weise beschmutzt. Selbstverständlich waren alle Pferde verschwunden . aussichtsreiche Schafzucht ist vernichtet.
Aber auch meine
Von den teuren Karakol-
schafen fand ich nur noch einen Bock vor,
von dem großen Woll-
bestand nur noch etwa 10 % , vollständig verräudet. Die Rinderherden waren über das Land zerstreut. Nur 25 % von ihnen konnte ich nach monatelangem Suchen in der Umgegend mit Hilfe meiner Eingeborenen wieder zusammenfinden . Diese Eingeborenen erzählten mir auch, daß am schlimmsten die Kalahari Horses' auf der Farm gewirtschaftet hätten .
Botha hat ja seinerzeit allerhand Verfügungen erlassen zum Schutz des privaten Eigentums, aber was nützen diese. Meine Beschwerden bei den englischen Behörden der Okkupationsverwaltung wurden mit Achselzucken abgetan. Eine seit Monaten nach Pretoria an die Heeresverwaltung gerichtete Reklamation ist bis heute ohne jede Antwort¹) .
1 ) Abgedruckt nach dem „ Hamburgischen Korrespondenten" vom 20. April 1916. 13 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 553.
172
Englische Plünderungssucht.
Auch der englische Staat beteiligte sich an den Plünderungen hauptsächlich in der Form des zwangsweisen Verkaufs deutschen und österreichischen Privateigentums. Dieser Schritt wurde namentlich von der Regierung der englischen Kolonie , Nigeria " getan. machung :
Dort erschien Ende Juli 1916 folgende Bekannt-
,,Verkauf von freiem Grundbesitz und Pachtgütern , Kundenlisten (good-will) und
Schutzmarken von Firmen feindlicher Länder in Nigeria : Auf Anordnung des Obergerichts wird die Regelung des Verkaufs jeden freien Grundbesitzes und Pachtgutes von Firmen feindlicher Länder in Nigeria vorgenommen mit Einschluß von Ländereien , Häusern, Werkstätten , Läden, Warenhäusern , Lagerhäusern , Werften , Landungsplätzen und allen andern Gebäuden oder sonstigem Zubehör, desgleichen der Schutzmarken und Kundenlisten der verschiedenen Geschäfte, die dem Verwalter übertragen sind. Dieser Verkauf wird durch Ausbieten oder öffentliche Versteigerung ausgeführt werden und 31. Oktober 1916 stattfinden . Die Firmen hatten
in London am
einen sehr ausgedehnten Geschäftskreis als Schiffsagenten, Einfuhrund Ausfuhrhändler, Kommissionäre usw. Sie hatten in allen einigermaßen wichtigen Handelsmittelpunkten Nigerias Niederlassungen , in einigen Fällen seit über einem Vierteljahrhundert, und im Fall C. L. Gaiser seit über 60 Jahren. Die Grundstücke sind für Geschäftszwecke höchst günstig gelegen , und in einigen Fällen ist es schwer für das Publikum , andere Örtlichkeiten zu finden . Die vollständige Beschreibung und ein Bericht über die einzelnen Besitztümer werden auf Wunsch geliefert, und wenn Einzelheiten gewünscht werden, wird jede weitere Auskunft zur Aufklärung des Publikums gegeben werden. Receiver Verwaltungsbureau T. F. Burrowes , Lagos ¹). " Und doch bestimmte die Niger - Schiffahrtsakte in Artikel 30 und 33 ausdrücklich : „ Großbritannien verpflichtet sich, den fremden Kaufleuten aller Nationen, die in den jetzt oder zukünftig seiner Souveränität oder seinem Protektorat unterstehenden Strecken des Nigers Handel treiben , Schutz zu gewähren als seien es seine eigenen Untertanen .. Die Bestimmungen · .. sollen in Kriegszeiten in Kraft bleiben. "
Die Niger- Schiffahrtsakte waren außer
durch England durch die Vereinigten Staaten und Holland, Dänemark Dennoch zerriß England ohne weiteres und Norwegen verbürgt . einen 30 jährigen Vertrag, wie es schon vorher sich nicht geschämt hatte, in den Straits Settlements die Unantastbarkeit des Privat-
¹) Abgedruckt nach der „ Kölnischen Zeitung" vom 10. August 1916 .
173
Englische Plünderungssucht. eigentums, die
noch zu Beginn des Krieges als sicher galt und die
als eine der allerwichtigsten Errungenschaften des modernen Völkerrechtes betrachtet wurde, zu zerstören . Entschuldigung genug für diesen
schweren Bruch des Völker-
rechtes schien vielen Engländern die Hoffnung zu sein , sich auf diese bequeme Art des deutschen Wettbewerbs in Nigerien zu entledigen .
Ein Drittel
des gesamten Ausfuhrhandels von Lagos , des Haupthafens Nigerias, wurde durch die deutsche Firma G. L. Gaiser besorgt. Auch sonst waren die deutschen Handelsinteressen dort bedeutend.
Mehr als ein Viertel des gesamten auswärtigen Handels der Kolonie lag in den Händen der Deutschen : 1913 belief sich der Um-
satz auf 1412 Millionen Pfund Sterling, wovon 4 Millionen Pfund auf deutsche Rechnung kamen, während von der 6,8 Millionen Pfund betragenden Ausfuhr nigerischer Erzeugnisse beinahe die Hälfte durch deutsche Hände ging. Zunächst
wurden
also
zwangsweise geschlossen . lich auf den Handel ein .
die deutschen
Geschäfte in
Nigerien
Allerdings wirkte dies peinlicherweise schädSelbst die „ Times " mußte im Herbst 1916
zugeben, daß die in Nigerien arbeitenden englischen Handelshäuser nicht imstande seien, die deutschen Geschäfte dort zu übernehmen ; es sei daher nötig, daß neue englische Unternehmungen mit frischem Kapital sich in der Kolonie niederließen .
Allein selbst der Rückgang
des nigerischen Handels erschien manchen Engländern dem Fortbestehen des deutschen Wettbewerbs vorzuziehen. Stellte doch die „Times "
vom
20. Oktober
Maße deutsche Kaufleute
1916
bereits
mit Schrecken
fest, in
welchem
in diese jüngste der britisch- west-
afrikanischen Kolonien eingedrungen seien ; unter den zu versteigernden deutschen Besitzungen befänden sich große Lagerhäuser, Fabriken und Landungsplätze, von denen viele an Flüssen und Eisenbahnen weit im Inneren des Landes lägen .
Allerdings
habe es an der nigerischen
Küste deutsche Kaufleute schon lange gegeben , bevor sich der britische Machtbereich an die Grenzen der Sahara erstreckte , wie denn die größte deutsche Firma in Lagos schon Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Tätigkeit begann ; bei Kriegsausbruch aber sei bereits der vierte Teil
des
Gesamthandels
in
deutschen
Händen
gewesen ,
was
ein
Kapital von 1/2 Millionen Pfund darstelle. So fand denn der angekündigte Zwangsverkauf in Lagos vom 14. bis 16. November 1916 statt ; ursprünglich hatte er am 31. Oktober geschehen sollen, doch zog man vor, ihn zwei Wochen hinauszuschieben mit Übertragung
an
der Begründung : die
Käufer
es
besser,
sei
zwecks Vereinfachung der
ein besonderes Gesetz 13*
zu
174
Englische Plünderungssucht .
schaffen .
Es
sollte
demnach dem offenen Raub an Privateigentum
ein gesetzlicher Mantel umgehängt werden. Tatsächlich wurden dann zunächst 19 deutsche Liegenschaften in Nigerien im Gesamtwerte von 299500 Pfund Sterling versteigert .
Die
Regierung fügte im letzten Augenblick der Versteigerungsverfügung eine Klausel hinzu , durch die der Statthalter das Recht erhält , von dem Käufer jederzeit den Beweis zu fordern , daß er keinerlei feindliche Interessen vertrete ; dies geschah, weil manche Blätter geheimnisvolle Andeutungen über die Vorschiebung einer neutralen Firma als Käufer
gemacht hatten ;
ein ausländisches Margarine-Syndikat stehe
dabei im Vordergrund , das Parlament könne sich auf höchst unangenehme Enthüllungen gefaßt machen. Die
Morning Post "
vom
7. November
1916
schrieb :
niedrig und dumm es auch manchen Leuten klingen mag,
„ Wie
so bleibt
es doch wahr, daß das Britische Reich sich auf dem Handel aufgebaut hat. Für jene schöne Herrin , Handel' kämpften und starben unsere Vorväter in allen Ländern und Klimaten . Es wird ein schlimmer Tag für England sein, an dem unsere Regierenden vergessen, wozu sie nur zu sehr geneigt sind - daß der Zweck des Reiches und das Ziel der Politik der nationale Handel ist. Ob diese Wahrheit vom Unterhause vergessen sei , müsse sich nun zeigen , wo gewisse deutsche Faktoreien in Nigerien versteigert
werden sollten ,
die von der Re-
gierung erst höchst ungern und nach einer Agitation von vielen Monaten beschlagnahmt wurden .
Da es sich um
privates Eigentum
handelt, wird das Geld zweifellos von unserer Regierung aufbewahrt , um
nach
dem Kriege den Eigentümern
zugestellt zu werden , eine
Idee, die uns überspannt vorkommt, angesichts alles dessen , was die Deutschen in Belgien , Frankreich und auf dem Meere getan haben. “ Die „ Morning Post " wandte sich dann scharf gegen die Teilnahme von Neutralen an der Versteigerung - hätten sie doch nichts getan, um England bei der Vertreibung der Deutschen zu helfen, mit denen sie gar zu oft in Handelsangelegenheiten verbündet seien. Ungemein kennzeichnend für die britische Auffassung vom Handelskrieg , seiner Notwendigkeit und seinen Methoden ist nun, was die „ Morning Post " weiter schreibt : „ Wir wollen nicht, daß dieser Besitz in Händen von Neutralen ist , sondern daß er in englische Hände kommt,
dazu beizutragen , den Krieg
um so
zahlen.
Ferner glauben wir,
genügt,
um den schlauen Deutschen
Nutzen aus
daß
diesen Besitzungen
selbst betrügen. Magarine-Partei'
zu
zu be-
keine noch so scharfe Garantie daran
ziehen .
zu hindern ,
aufs neue
Wir wollen
uns
nicht
Was auch Einleuchtendes geredet werden mag, die steht hinter der Bewegung,
die darauf hinstrebt,
175
Englische Plünderungssucht.
bei
der Versteigerung
auch
Neutrale
zuzulassen .
Wir
vertrauen
darauf, daß Bonar Law (der Handelsminister) sich durch keine noch so einleuchtend und hoch klingenden Gründe täuschen läßt ,
die ihm
zweifellos von den Freihandelsanhängern im Kabinett vorgebracht Es handelt sich um einen Prüfstein für den Staatswerden.
sekretär. " In späteren Zeiten
wird die Plünderung der deutschen,
durch
das Völkerrecht theoretisch ausdrücklich geschützten Firmen in Nigerien sicherlich auch in England als Schmach erscheinen . Ist es doch ganz die alte unverhehlte Plünderungslust , die aus dem Raube des deutschen Eigentums in Nigerien spricht. Wenn die englische Regierung
sich zunächst dagegen sträubte,
so wird der Grund weniger in irgendwelcher Ritterlichkeit zu suchen sein als
in dem starken Zweifel ,
ob England dabei letzten
Endes wirklich gewinnen könne . Die englischen Staatsmänner werden sich die Frage vorgelegt haben, was geschehen soll , wenn England gezungen wird, den deutschen Entschädigungswünschen Rechnung zu auch
tragen?
Ferner
wäre möglich,
daß sich der Handelskrieg
ohne dies als eine recht zweischneidige Waffe für England er-
weist . Überlegungen dieser Art klingen aus der Berechnung, die der Minister Runciman nach der „Times" vom 12. Januar 1916 im Unterhause vorlegte : Er schätze das deutsche Vermögen in England auf 105,1 Millionen Pfund, während das englische Vermögen in Deutschland bis zum 31. Dezember 1915 zunächst mit einer Summe von 72,2 Millionen Pfund registriert
sei.
Ferner traten
zwei
Re-
gierungsvertreter in England im Herbst 1916 den Treibereien gegen das feindliche, besonders gegen das deutsche Privateigentum in England scharf entgegen.
Sie erklärten : Die englische Regierung würde
ihnen nicht nachgeben, da eine zwangsweise Liquidierung feindlichen Eigentums in England gleichzeitig eine Schädigung des englischen Staates bedeuten würde. Dieses Eigentum lebenskräftig und gesund zu erhalten, sei für England von besonderem Wert, da es als ein Austauschobjekt bei den Friedensverhandlungen zu gelten habe. Worauf dieser Standpunkt der englischen Regierung insbesondere hinzielt, geht hervor aus der weiteren Bemerkung der beiden englischen Minister, daß kein Land derartig viel Kapital in fremden Ländern angelegt habe wie gerade England.
Den armen Bundesgenossen ,
deren Schicksal England
dem seinen verknüpft hatte , erging es übel.
mit
Mehr als einmal mußten
sie englische Plünderung über sich ergehen lassen.
176
Englische Plünderungssucht . So wurden in Belgien im Herbst 1914 von britischen Truppen
die Schlösser Meinschof, Troyente und Paulhof bei Antwerpen geplündert. Schon am 9. September 1914 schrieb das Giornale d'Italia. - Italien hatte sich damals noch nicht zu dem „heiligen Egoismus “ bekannt, der es später veranlaßte, auf Englands und Frankreichs Seite zu treten in einem Aufsatz über die englischen Söldner, die es aber doch schon als 99„, wunderbarste Vertreter des modernen Krieges " pries : „ Jeder dieser Soldaten, die sich heute für Frankreich schlagen , wird am
Ende
des
Hause zurückkehren,
Krieges
mit
einem
runden
Sümmchen
nach
das ihm für immer ein behagliches Dasein ver-
bürgt¹) . " Wie die Engländer unmittelbar vor dem höchst eiligen Rückzug, der einen Teil von ihnen aus Antwerpen rettete , in dieser belgischen Stadt hausten, spottete jeder Beschreibung. Auf französischem Boden tat die britische Heeresleitung alles , was in ihrer Macht stand, um Plünderungen und sinnlose Zerstörungen durch die Truppen zu verhindern. Die französische Regierung ihrerseits keine Nachricht
war bestrebt, mit Hilfe
unnachsichtlicher Zensur
über Ausschreitungen der Engländer an die große
Glocke gelangen zu lassen.
Dennoch konnte man häufig in französi-
schen Zeitungen Ausführungen lesen, die kaum anders gedeutet werden können als durch die Annahme, daß die Engländer auch auf dem Boden ihres französischen Bundesgenossen ihrer Neigung zum Plündern und Zerstören nicht völlige Zügel haben anlegen können. Beispielsweise schrieb der „ Progrès Agricole" vom 23. Juli 1916 : „ Eine große Pariser Zeitung glaubt ihren Lesern eine Freude zu bereiten, indem sie fünf Hammel abbildet, die der König von England den durch den Krieg verwüsteten Departements geschenkt hat. Wir verkennen keineswegs die symbolische Schönheit dieser Geste. Trotzdem können wir nicht umhin, zu bemerken, daß unsere englischen Freunde unserer Landwirtschaft einen viel größeren Dienst erweisen könnten , wenn sie an Gebäuden und Ernten in der Armeezone nicht so viel unnötigen Schaden anrichteten .
Schäden
ausbessern ist gut, aber möglichst wenig verursachen ist besser. " Selbst im eigenen Lande kamen Dinge vor, die einigermaßen peinlich waren . So wurde Mitte August 1915 über Amsterdam be„ In England wurden in der letzten Zeit mehrere englische Soldaten wegen Straßenräubereien verhaftet. Die Täter trieben besonders im Buckingham- Distrikt ihr Unwesen , indem sie auf offener
richtet :
Landstraße Fußgänger
anhielten,
um sie dann
mit vorgehaltenem
1 ) Angeführt nach Dehn : England und die Presse S. 167.
177
Englische Plünderungssucht.
Bajonett zu durchsuchen , wobei den Opfern u. a. auch Banknoten abhanden kamen . Die Soldaten erklärten stets, sie seien auf der Suche nach einem deutschen Spion¹ ). “ * Wenn irgend möglich, schoben die Engländer Ausschreitungen ihres Heeres den kolonialen Truppenteilen zu . Namentlich scheinen
sich
die Australier besonderen Ruf im
Plündern und Zerstören erworben zu haben. In
Kairo
steckten
satzungstruppen lagen, nachdem sie
australische
eine ganze
sich in mehr
ihren Vergnügungen
Soldaten,
Reihe
die dort als
Be-
von Bordellen in Brand,
oder weniger trunkenem Zustande dort
hingegeben
hatten .
Verschiedentlich wurde die
Ansicht ausgesprochen, es schlage durch eine Art Atavismus in dem Verhalten der Australier der Charakter ihrer Großväter und Urgroßväter durch, soweit sie als Verbrecher von England nach Australien verschickt wurden .
Man kann dahingestellt
sein lassen ,
ob diese
Theorie zutrifft ; meiner Ansicht nach genügt der gewalttätige Grundzug im
britischen Charakter,
wenn
er
nicht
durch feste Zucht in
Schranken gehalten wird, um solche Ausschreitungen zu erklären . Übrigens in der
haben sich die australischen Truppen zum Teil schon
eigenen Heimat Dinge
zuschulden kommen lassen, die kein
Ruhmesblatt für die Kriegsgeschichte des Britischen Reiches sind. der Nähe
ihrer Hauptstadt Sidney
In
befindet sich ein Truppenlager,
in welchem die Truppen, die für den europäischen und asiatischen Kriegsschauplatz, vor allem für Ägypten bestimmt sind, ihre letzte Ausbildung erhielten . In diesem Lager nun, das wie gesagt keine Rekruten, sondern Soldaten aufnahm , die schon an die Zucht des militärischen Lebens gewöhnt sein sollten, brachen im Frühjahr 1916 heftige Unruhen aus. Der Oberkommandierende hatte die bisherigen Dienststunden verlängert, da die Einschiffung neuer Truppen für den Kriegsschauplatz Indessen nahmen
eilte und die Ausbildung noch nicht beendet war. die Soldaten,
die ihre Heimat nicht so bald ver-
lassen wollten, diesen Befehl höchst ungnädig auf. sie , er solle ungesäumt zurückgenommen werden.
Drohend forderten Als dies nicht ge-
schah, hißten sie auf einer Anzahl von Zelten und Baracken die rote Fahne und erklärten , von nun an überhaupt keinem Befehl mehr gehorchen zu wollen. „Zugleich brachen einige tausend Mann aus dem Lager auf, die sich durch Zuzug von allen Seiten auf etwa 15000-20000 Mann verstärkten.
Die nahegelegenen Ortschaften waren ihren Plünderungen
1 ) Wiedergegeben nach der „Frankfurter Zeitung“ vom 19. August 1915 .
178
Englische Plünderungssucht.
wehrlos
preisgegeben ;
alles was nicht mitgenommen werden
konnte , wurde verbrannt , aber damit begnügten sie sich nicht, denn das offene Sidney war der Zielpunkt der Aufrührer. Von allen Seiten brachen sie in die Stadt ein , die eines solchen Überfalls begreiflicherweise
nicht
gewärtig
war ,
und
Straßen der australischen Hauptstadt
tagelang
zwischen
wurde
in den
den Meuterern und
treugebliebenen Truppen, die man in der Eile zusammengerafft hatte, heftig gekämpft. die Aufrührer
Aber erst unter Beihilfe der Bürgerschaft gelang es ,
zu überwältigen .
Die Hauptschuldigen wurden teils
zum Tode, teils zu langjähriger Zuchthausstrafe verurteilt¹ ). "
Auch in Kanada kamen bösartige Dinge vor.
Hier warfen
sich die Zeitungen in englischer und französischer Sprache gegenseitig vor, ihre Anhänger verübten Zuchtlosigkeiten . Die englisch-kanadische Presse konnte ihre Gereiztheit über den Mißerfolg der Rekrutierung unter den französischen Kanadiern nicht verhehlen und überhäufte die französischen Kanadier im Heere mit den gröbsten Schmähungen. So beklagte sich der in Montreal
erscheinende „ Nationaliste " vom
6. August 1916 : „ Becks
Weekly "
Toronto News “ ,
in
Montreal ,
„ Sentinel“ ,
von
den
Toronto - Zeitungen
„ Menace “ , „ Jack Canuck " , ferner die
„ Winnipeg Post" wimmelten von Anschuldigungen , daß der kanadische Soldat französischer Nationalität ein Fahnenflüchtiger sei, daß er sich von seinem Regiment ohne Erlaubnis entferne, fast nie wiederkehre , und daß, wenn die Zeit zur Einschiffung nach Großbritannien komme, ein Drittel oder die Hälfte der Truppen verschwunden sei . Diese ,,empörende Legende " so meinte „ Le Nationaliste " lasse sich durch die Tatsache widerlegen,
daß das 22. kanadische Bataillon , das aus
Franzosen bestehe, und die französische Kompagnie des 14. Bataillons sich im Feuer in Frankreich aufs Glänzendste bewährt hätten. „ Richtig ist an diesen Anschuldigungen nur , daß Disziplinwidrigkeiten gegen die kleinen Alltäglichkeiten des Dienstes
vorgekommen sind,
aber keineswegs in höherem Maße als in den kanadischen Bataillonen mit englischem Ersatz.
Englisch
wesen,
ein
die in
Calgary
plündert haben, Ordnung zu stiften. die
in
Edmonton
Zeitung zu bracht hatte.
sprechende Kanadier sind
Restaurant
und ein
es ge-
Hotel ge-
obgleich Offiziere am Orte vergebens versuchten, Englisch sprechende Kanadier sind es gewesen, damit
gedroht
haben ,
das Gebäude
einer
plündern , weil die Zeitung eine hämische Notiz geEnglisch sprechende Kanadier waren es, die in der
Stadt Berlin (heute Kitchener) im Staate Ontario ihren Offizieren den 1) Hamburger Nachrichten vom 24. Juni 1916.
179
Englische Plünderungssucht. Gehorsam
verweigert und
einen
protestantischen
Geistlichen
verprügelt haben. Vor allem ist aufs Konto der Disziplinlosigkeit englisch-kanadischer Bataillone die offene Revolte im Lager Borden in Ontario
zu setzen,
Offiziere
und alles plünderten bis zu den Räum-
verhöhnten
lichkeiten
des
wo
drei
oder vier Regimenter die
Lagerkommandanten
und
erst
haltmachten
als ihnen Bajonette entgegenstarrten . “ Auch der „ Toronto- Star “ klagte über die erschreckende Disziplinlosigkeit,
die
in
dem
gesamten
Distrikt
des Lagers von Borden
herrscht und sich sogar in den angrenzenden Militärdistrikt von London verbreitet hat. Die Militärbehörden seien gezwungen , um die Rekruten bei guter Laune zu halten, in der Erteilung von Urlaub außerordentlich liberal zu sein ;
an einem Sonntag seien zwei Drittel
der Mannschaften beurlaubt gewesen und ein volles Drittel (mehr als 2000 Mann) fehlten dauernd ohne Urlaub. Endlich ein Geschichtchen , das im Herbst 1916 durch die englischen Blätter lief: „ Tommy kommt zu einem Uhrmacher, legt eine große goldene Uhr auf den Tisch und sagt : „ Ausbessern ! " Der Uhrmacher untersucht die Uhr, schüttelt den Kopf und meint : „ Ich fürchte , die Ausbesserung wird Sie doppelt so viel kosten als die Uhr. " Tommy grinst : „ Da bin ich einverstanden. Wollen Sie es also für den doppelten Preis machen ?" Der Uhrmacher nickt. „ Nun," sagt Tommy,
ich habe für die Uhr einem Deutschen einen Schlag auf
die Nase gegeben. Ich bin bereit, auf die Nase zu zahlen ! "
Ihnen für die Ausbesserung zwei
Ganz vergessen hatten die englischen Zeitungen dabei, daß sie monatelang die Deutschen mit Vorliebe „ Uhrenräuber “ schalten.
9. Zerstörungswut. Die mitgeteilten Beispiele englischer Plünderungen in den verschiedensten Kriegen
zeigen
Plünderung bei
englischen
den
zur Genüge, Truppen
daß
die Leidenschaft der
sich
zum einen Teil aus
Raubgier, zum anderen aus Zerstörungslust zusammensetzt.
Es sind
dies die beiden Grundquellen, aus denen die Plünderung überhaupt fließt ;
nur daß
zivilisierte Nationen sie zu verstopfen suchen.
allem Überfluß seien hier noch einige Beispiele
Zu
für die sinnlose
Zerstörungswut gegeben, deren sich englische Truppen wieder und wieder schuldig machten. Als das
englische Heer sich
1746
nach der Schlacht bei
Falkirk vor den siegreich vordringenden schottischen Aufständischen
180
Englische Plünderungssucht.
zurückziehen mußte, wobei drei Fahnen , sämtliche Geschütze, der ganze Kriegsbedarf und das Gepäck in deren Hände fiel,
steckten die eng-
lischen Truppen, deren General Hawley infolge des Regens vergeblich versucht hatte, seine Zelte rechtzeitig zu verbrennen, auf dem weiteren Rückzuge in Linlithgow sogar den königlichen Palast in Brand ,
in dem einige Truppenteile übernachteten.
Vor dem Ab-
marsch schütteten sie die glühende Asche der Herde auf ihre Strohlager und verwandelten dadurch das altehrwürdige Gebäude in geschwärzte, öde Trümmer¹). "
Die Zerstörung
eines anderen
Herrschersitzes
gelang den eng-
lischen Truppen 1860 in China . Hier tat man dies sogar mit Vorbedacht. Hätte ein anderes Volk sich die Barbarei zuschulden kommen lassen, einen von Kunstschätzen überfließenden, durch schöne Gebäude ausgezeichneten Palast in Brand zu stecken, so würden die Engländer über diese „ Hunnen " noch nach Jahrzehnten die Hände zum Himmel emporstrecken .
Aber hier war dies etwas ganz anderes,
- weil die Tat von Engländern verübt wurde. Lord Elgin beschloß damals,
den Chinesen eine Züchtigung zu
erteilen, die sie nicht so leicht vergessen könnten .
Damit sie in Zu-
kunft die eingegangenen Verträge besser erfüllten , wünschte er zuerst, die chinesische Regierung zu einem Denkmal für die von ihr umgebrachten Gefangenen zu zwingen . Ausreichende Mittel, ihnen diese Erniedrigung aufzuzwingen , waren jedoch nicht vorhanden. Am Abend des 7. Oktober 1860 wurde den Chinesen daher das Ultimatum gestellt : Falls die widerrechtlich zurückgehaltenen Gefangenen, die als Dolmetscher von den Chinesen gefangen genommen waren, werden.
weiter zurückgehalten
würden,
Darauf gab Prinz Gung 8
so
werde
Peking
dieser Gefangenen ,
gestürmt
die
er ins
Kriminalgefängnis in Peking hatte stecken lassen, am nächsten Tage heraus und äußerte den Wunsch, weiter zu unterhandeln . Als letzte Frist wurde ihm der 13. Oktober bezeichnet. Der Sicherheit halber brachten die verbündeten Engländer und Franzosen eine Batterie zum Breschelegen in Stellung . Im letzten Augenblick wurde das Stadttor geöffnet man fand es verlassen. Immerhin erschienen nun 11 Gefangene ; der Rest derjenigen, die nach dem Sommerpalast geschafft waren. Allein sie befanden sich in entsetzlichem Zustand und berichteten Furchtbares über das Ende ihrer Kameraden.
Einige wären,
um hochgestellte Personen zu ergötzen , gemartert worden .
1 ) Lord Mahon Band 3, S. 352.
181
Englische Plünderungssucht.
Voller gerechter Empörung unterbrach Lord Elgin daraufhin sofort die mit den Chinesen noch schwebenden Verhandlungen und ließ die Leichen der Gemarterten suchen . Im Sommerpalast fand sich hinter dem Thronsaal die Uniform eines
französischen
Obersten,
das
Notizbuch,
Zaumzeug eines Zahlmeisters, ferner
zahlreiche
der
Sattel und das
englischen Offizieren
gehörende Gegenstände und 15 vollständige Geschirre der Pferde von Sikhs . Wie man diese Siegesgegenstände, die doch Siegesbeute waren, als „Beweise von dem schrecklichen Schicksal " ansehen konnte,
das
die Waffenbrüder der Soldaten erlitten, die bei diesem Anblick vor Wut aufschrien¹ ) " , ist etwas schleierhaft. Graf Hérisson meint : „Wenn sie zehn solcher Paläste, wie Yuen- Ming-Yuen einer war, an99 getroffen hätten, sie würden sie mit ruhigem Gewissen geplündert und 66 niedergebrannt haben. Anders lagen die Dinge für die Marterung der Dolmetscher. Die Leichen wurden am 16. Oktober feierlich auf dem russischen Kirchhof in Peking begraben . Lag auch die Folterung in dem ganzen Kulturzustand Chinas begründet , so mußte doch etwas geschehen, um den Abscheu der Europäer
über
nachdrücklich beizubringen .
Der französische Gesandte, Baron Gros ,
diese Tat dem chinesischen Volke
der an der Seite seines englischen Kollegen, Lord Elgin, die Generale der verbündeten Truppen begleitete , wollte den Pekinger Palast zerstören - indessen nur, wenn die Verhandlungen scheiterten. Dagegen wünschte Lord Elgin , die chinesische Regierung zur Errichtung eines Schanddenkmals für ihre eigene Missetat zu zwingen, und falls sie dies ablehne, den Sommerpalast zu zerstören . Dieser lag außerhalb der Hauptstadt und war in der Kapitulation nicht eingeschlossen . Zwar warnte der französische
Gesandte,
der
durch
die
Zer-
störung des Sommerpalastes die chinesische Regierung so in Harnisch zu bringen fürchtete, daß der Krieg dadurch verlängert würde .
Aber
sein Einspruch blieb unbeachtet. Lord Elgin drängte auf rücksichtsloses Vorgehen. Am 18. Oktober wurde die Brandfackel in den Sommerpalast geschleudert. Eine englische Truppenabteilung zog dorthin und führte ihr Zerstörungswerk ohne jedes Hindernis durch. Nicht ein einziger chinesischer Soldat oder Bürger setzte sich zur Wehr. „Hier waren allerlei Gärten , Paläste, Tempel, künstliche Hügel , 300-400 Fuß hoch, mit großen starken Waldbäumen, von üppigem Blätterwuchs, aus welchen die gelben Ziegel der kaiserlichen Paläste durchfunkelten .
1 ) Hérisson S. 414.
Mitten unter diesen umwaldeten Hügeln lag
182
Englische Plünderungssucht.
ein großer See mit einigen Inseln und malerischen Gebäuden , die durch eine altertümliche herrliche Steinbrücke mit dem Festlande verbunden waren. Rings um die Gebäude liefen leichte und schöne Steinterrassen, welche sich weit in den See hinein erstreckten und eine prachtvolle Aussicht auf die fernen Gebirge gewährten. ganze Tage waren notwendig der
Paläste ,
aller Wege
und
Zwei
zur völligen Vernichtung Stege .
Die verschiedensten .
Zerstörungsmittel mußten angewendet werden : Feuer, Minen , Hacken und allerlei Geschosse. In einer entfernten Scheune wurden die Geschenke, welche Lord Macartney vor so vielen Jahren überbrachte , eine Chaise und zwei Zwölfpfünder , unversehrt und mit dickem Staub bedeckt, vorgefunden . Daneben lagen die Kugeln und Bomben¹). "
Ohne
die Ermächtigung Lord Elgins
verfielen alsdann
noch mehrere andere Gärten und Landhäuser in der Umgebung dem Zerstörungswerk öde²).
Bis in die
neunziger Jahre blieben diese Stätten
In dem Weltkriege 1914-1916 erhoben die Engländer gemeinschaftlich mit ihren Bundesgenossen heftiges Geschrei, weil die Deutschen
sich
herausnahmen ,
auf
belgische
und
französische
Kirchtürme zu feuern, sobald diese von Beobachtungsposten besetzt waren, um das feindliche Artilleriefeuer zu leiten oder anderen kriegerischen Zwecken zu dienen . Deutschland nicht nachgeahmt
Solches Greuelgeschrei wurde von obwohl dies mit sehr viel mehr
Grund hätte geschehen können. Als Beispiel der ruhigen und gerechten Beurteilung , deren man sich in Deutschland befleißigte,
greife ich einen Aufsatz der
„ Frankfurter Zeitung" heraus, die nach Aufzählung einer langen Reihe von Kirchen, öffentlichen Gebäuden und Kunstwerken, die durch englisches und französisches Artilleriefeuer zerstört wurden, ihr Urteil in die Worte zusammenfaßt : In allen diesen Fällen sind es die Franzosen und ihre Verbündeten , die, wir sagen gerechterweise nicht : aus reiner Zerstörungssucht, sondern die um desselben militärischen ,Muß' willen wie wir, den schweren Forderungen des Krieges gehorchend , kalten
Blutes ,
wenn auch vielleicht
nicht
leichten
eigenen Kunstwerke und Denkmäler zerstört haben,
Herzens,
ihre
haben zerstören
müssen. Angesichts dieser tragischen Notwendigkeit , die wir ohne ein Gefühl des Triumphes , nur um der ausgleichenden Gerechtigkeit willen feststellen , richtet sich das unsinnige Geschrei von
1) Neumann : Ostasiatische Geschichte . S. 431. 2 ) Hermann : Chinesische Geschichte. S. 219.
183
Englische Plünderungssucht.
den deutschen Barbaren, den Denkmalverwüstern von selbst - oder der Vorwurf fällt auf die Ankläger zurück¹ ). " Was die Engländer im ersten Jahre des Krieges an Kirchen, öffentlichen Gebäuden und Kunstwerken zerstört halten , stellt der genannte Aufsatz übersichtlich zusammen .
Nachdem er die unersetz-
lichen Verluste in der Stadt Dixmuiden geschildert, fährt er fort :
T In jenem Teil von Flandern , der jetzt so schwer unter den Beschießungen gelitten hat, sind durch die englischen Geschütze völlig zerstört die Kirchen zu Messines , Witschaete, Hollebeke, zu LangeSchwer beschädigt mark, Poelcappelle, Becelaere und andere mehr. sind die Kirchen zu Vladesloo , Eessen, Westbooseke.
In Messines ist
auch das große königliche Institut für die Erziehung von Töchtern alter Militärs, eine Stiftung der Kaiserin Maria Theresia in den Gebäuden der einst von der Tochter des Königs Robert von Frankreich errichteten Benediktinerabtei, gänzlich und systematisch zerschossen . Völlig zerschossen ist
das
alte Schloß in Hollebeke und das neue
Schloß in Voormezele, ganz zu schweigen von den Zerstörungen, die die belgischen und englischen Geschütze in Westende und an der weiteren Seefront angerichtet haben. ist
das Langhaus
In Warneton südlich von Ypern
der großen gotischen Kirche durch das englische
Bombardement völlig zerstört.
Bis jetzt ziemlich unberührt geblieben
ist noch der Chor, der eine geschlossene prunkvolle barocke Dekoration enthält, ein Chorgestühl, so schön, wie nur die reichen Barockkirchen von Brabant es
zeigen.
Wird es
auch
im
weiteren Verlauf des
Krieges unversehrt bleiben ? Gar nicht aufzuzählen ist die Reihe der Orte , die an der Nord- und Nordwestfront zerstört sind . Zwischen Armentières und Arras sind die vordersten Ortschaften, jetzt von den Bewohnern völlig geräumt, systematisch entzweigeschossen, zumal die Kirchen, die immer zuerst zerstört wurden . Die Kirche in dem vielgenannten La Bassée zeigt ein Bild vollkommener Verwüstung , Westfront total zertrümmert, die Gewölbe durchgeschlagen, "
die
1) „Frankfurter Zeitung“ , 7. August 1915 : „ Zerstörte Kunstdenkmäler an der Westfront."
Mark 100 5% Anleihe 5% des Dichen Reichs
10
0
O
Nützet Euch
nützet.dem Vaterland
zeichnetKriegsanleihe
Literatur.
185
Literatur. 1. Bücher. Die Niederwerfung Rumäniens. Dargestellt auf Grund der amtlichen. Veröffentlichungen . Mit 8 Zeichnungen. 77 Seiten . 1917. E. S. Mittler & Sohn. Preis 2 M. Der Feldzug in Rumänien nimmt unter den großen Ereignissen des Weltkrieges durch die Schnelligkeit seines Verlaufes wie durch die Wucht seiner Durchführung eine hervorragende Stellung ein . Auch fesselt er die allgemeine Aufmerksamkeit dadurch , daß er im Gegensatz zu den jahrelangen Stellungskämpfen im Westen , Osten und Süden als ein reiner Bewegungskrieg geführt worden ist. Im Anschluß an die Kriegsberichte aus dem Großen Hauptquartier In der werden dargestellt : Absichten und Aufmarsch in Rumänien . Dobrudscha. -- Hermannstadt und Roter Turm - Paß. - Im östlichen Siebenbürgen . - Targu- Jiu . - Vormarsch über den unteren Alt. Donauübergang der Heeresgruppe Mackensen . Schlacht am Argesul Vormarsch bis zum Sereth. - Kämpfe Einnahme von Bukarest. am Sereth und in der Dobrudscha. Rumäniens Zusammenbruch . Zur Orientierung über den Verlauf des Feldzuges ist das Buch . Balck. gut geeignet. Das Lebenswerk Immanuel Kants . Von Dr. jur. et phil. Woldemar Oskar Döring. 2. Auflage. Verlag von Charles Coleman , Lübeck . 197 S. Geh. 3 M., geb. 4 M. Die vielen Gebildeten , die auf den hohen Weg der Kantischen Philosophie nicht folgen konnten , weil ihnen die fremde Terminologie, die schwere Sprache gleich Steinen und Wurzeln im Wege war , die vielen, die voll Andacht die Vorhöfe des Kantischen Lehrgebäudes betraten, aber umkehrten ohne Hoffnung, in das Innerste einzudringen , alle diese werden in dem Döringschen Buch einen willkommenen Wegweiser und Führer finden. In einer Diktion , die an Kantischer Klarheit geschult ist, macht er den Versuch, die Sprache des Philosophen in unser tägliches Deutsch zu übersetzen und gibt uns so den Schlüssel zu seinem Lehrgebäude und weiter den Versuch, die Ergebnisse des. großen Systems in kurzen Strichen darzulegen und gibt uns so einen Wegweiser, gleichsam eine Landkarte für den Gedankengang mit. Das Werden der Kantischen Philosophie, die Grundformen unseres Anschauens und Denkens , die Grundsätze unseres Verstandes , die Ideen unserer Vernunft, Kant und die Sittlichkeit, die Religion, der Staat, die Kunst - das sind die Hauptabschnitte des Buches , das jedem Gebildeten verständlich geschrieben ist. Warum es gerade die „Jahrbücher“ nennen und empfehlen müssen ? Das sagt uns der Verfasser am Ausgang der Betrachtungen zur praktischen Vernunft. „ So schreitet der deutsche Geist , der Kantische Geist unaufhaltsam dem Siege entgegen. Kant gewinnt den Krieg." Das Buch ist leicht genug gebunden und nicht zu schwer geschrieben , um als Feldpostsendung, besonders unseren Studenten draußen eine Freude zu machen . Ev.
Literatur.
186
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafagabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Bach za besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Sanitätsbericht über die Königlich Bayerische Armee für die Zeit vom 1. Oktober 1912 bis 30. September 1913. Bearbeitet von der Medizinalabteilung des Königl. Bayer. Kriegsministeriums. Mit 5 graphischen Darstellungen. München 1917. 2. Stein, Der Soldat im Stellungskampf. R. Eisenschmidt. Kart. 2 M. 3. v. Wurmb, Zum Offizier befördert. Eisenschmidt. Kart. 2 M.
Berlin 1917.
2. Aufl .
Verlag
Berlin 1917.
R.
4. Gegen sechsfache Übermacht. Frankfurt a. M. 1917. Lit. Anstalt Rütten & Loening . 1 M. 5. Droysen, Geschichte Alexanders des Großen . Volksausgabe. Berlin. R. v. Deckers Verlag. Geb. 4 M. 6. Stahl, Die diplomatischen Verhandlungen vor Ausbruch des Weltkrieges auf Grund der Farbbücher. München 1917. C. H. Beck. Kart. 1,80 M. 7. Stekel, Unser Seelenleben im Kriege. Berlin 1916. Otto Salle. 2 M. 8. v. Freytag- Loringhoven, Folgerungen aus dem Weltkriege. Berlin 1917. E. S. Mittler & Sohn . 2,50 M. 9. Egli, Berichte aus dem Felde : 1. Heft. Zürich 1917. Schultheß & Co. 1,50 M. 10. 1917. 11. Berlin
Von der Isonzofront.
Haber, Beiträge zur Frage der Kriegsdienstersatzsteuer. Wien Selbstverlag der „ Rundschau " . Kart . 1,50 M. Kriegsjahrbuch 1917 für Volks- und Jugendspiele. Leipzig und 1917. B. G. Teubner. Kart. 3,20 M.
12. Michahelles u. Ganzer, Handgranaten- Wurfbuch . Berlin 1917. E. S. Mittler & Sohn . 8 Pf. bei 100 St. 6 Pf. 13. Militärische Zeitfragen Heft 28. Riensberg , Die Explosionsgefahren, ihre Entstehung und Bekämpfung. Berlin 1917. Georg Bath. 3 M.
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und
Leser.
Nach der neuesten Verfügung des Kriegswirtschaftsamts müssen alle Zeitschriften um 45 % ihres Umfanges von 1916 eingeschränkt werden . Schriftleitung und Verlag ersuchen die Herren Mitarbeiter , dies bei Einsendung von Arbeiten gütigst berücksichtigen und deren Umfang darnach bemessen zu wollen . Sie beehren sich weiterhin bekannt zu geben, daß, um den Anordnungen des Kriegswirtschaftsamts gerecht zu werden , künftig im Vierteljahr nur 2 Hefte ausgegeben werden können , und zwar so , daß im ersten Monat eine einfache und im dritten Monat eine Doppelnummer erscheint .
XIII.
Französische
Kriegs-
und
Friedensgedanken.
Von Frhr. v. Welck, Oberstleutnant a. D.
Der Premierminister Painlevé sowie der Minister des Auswärtigen Ribot haben in der französischen Kammer die Erklärung abgegeben, daß Frankreich den Krieg fortsetzt, um seine Freiheit und seine Unabhängigkeit zu verteidigen ;
sie sagen aber nicht, wann und von
wem diese angegriffen worden sind.
Dann heißt es in der Erklärung
des Ministeriums, daß Frankreich den Krieg nicht fortsetze , um zu erobern oder um sich zu rächen ( es ist sich dieser Unmöglichkeit nach den ersten drei Kriegsjahren wohl bewußt), sondern um die Forderungen von 1871 durchzusetzen, die es damals feierlich verkündet habe und die es heute von neuem verkünde : Desannexion von Elsaß- Lothringen (das dürfte heute doch eine Eroberung sein ! ) , Ersatz für die vom Feinde angerichteten Schäden und Zerstörungen und ein Friede, durch den kein fremder Staat unterdrückt wird, sondern der sichere Bürgschaft bietet dafür, daß die Gemeinschaft der Nationen nicht dem Angriff einer von ihnen ausgesetzt ist. — Dies sind, heißt es weiter, 14 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 554/555.
188 die
Französische Kriegs- und Friedensgedanken . erhabenen
Kriegsziele Frankreichs,
wenn man überhaupt
von
Kriegszielen sprechen könne, wo es sich um eine Nation handelt . die 44 Jahre lang trotz ihrer offenen Wunde alles getan hat, um der Menschheit die Schrecken des Krieges zu ersparen. So lange diese Ziele nicht erreicht sind , wird Frankreich den Kampf fortsetzen. Alle materiellen Kräfte des Landes müssen auf ein Ziel gerichtet sein - den Krieg ! Mit nüchternen Worten heißt dies doch unstreitig : Frankreich denkt nicht daran , Frieden zu schließen , wenn es nicht dazu gezwungen wird
gezwungen durch die Gewalt der Waffen!
Die Antwort auf diese Erklärung wäre ja sehr leicht zu geben , wenn man sagte : „ Über diese Friedensbedingungen können wir verhandeln , wenn ihr uns besiegt habt, wenn die deutschen Armeen nicht mehr auf französischem, sondern
die französischen
auf deutschem Boden
stehen, wenn die Trikolore auf den Wällen von Metz und Straßburg weht. So lange das aber nicht der Fall ist, behalten wir uns das Recht vor, die Friedensbedingungen zu diktieren. “ Einen Punkt der ministeriellen Erklärung wollen wir aber doch hier etwas näher beleuchten,
weil
manchem
unserer Mitbürger die Behauptung,
daß
Frankreich seit 44 Jahren alles getan habe, um den Frieden zu erhalten, möglicherweise Eindruck macht und weil wir Deutsche gar zu sehr geneigt sind, das Unrecht, das man uns zufügt, zu vergessen und zu vergeben und dem Gegner Wohlwollen entgegenzubringen . Der Beweise, daß Frankreich seit dem Abschluß des Frankfurter Friedens im Jahre 1871 nie aufgehört hat , den Revanchegedanken großzuziehen und zu nähren , gibt es unzählige, wenn wir auch gern zugeben wollen, daß es, namentlich in den letzten zehn Jahren , vielfach unter dem Einfluß und dem Zwange Englands stand. In dem jetzigen Moment, wo der Gedanke an Friedensunterhandlungen auch bei uns in den Vordergrund getreten ist und wo wir , unserer Ansicht nach, alle Kräfte anspannen müssen , um unser Vaterland vor einem faulen Verzichtfrieden zu bewahren, erscheint es uns gerechtfertigt, das Gedächtnis unserer Landsleute zu schärfen und sie an die bekannten Berichte der belgischen Diplomaten aus dem Jahrzehnt vor Kriegsausbruch zu erinnern, die bei uns viel zu wenig bekannt sind, jedenfalls zu wenig gewürdigt werden . Sie führen einesteils den unwiderleglichen Beweis für Frankreichs nie schlummernde Revanchegelüste , andernteils für die Friedensliebe unseres Kaisers, der keinen höheren Wunsch hegte , als seinem Volke einen Krieg zu ersparen . Nur an einige wenige dieser Berichte sei hier erinnert , um das Unwahre der oben erwähnten Behauptung des französischen Ministeriums,
189
Französische Kriegs- und Friedensgedanken .
daß man seit 44 Jahren alles getan habe, um einen Krieg zu vermeiden, zu erweisen : Im Jahre 1905 machte sich die durch Eduard VII . englischerseits und Delcassé französischerseits gepflegte Annäherung mehr und mehr England war dabei die leitende , Frankreich die folgegeltend. leistende Macht. Der in Berlin beglaubigte belgische Gesandte , Baron Greindl , erkannte dies sehr richtig und berichtete wiederholt in diesem Sinne an sein Ministerium. „ In England " , schrieb er am 27. Oktober
1905 ,
„ schützt
man Besorgnisse
vor
einem
Angriffe
Deutschlands vor, um einen Krieg anzufachen , in dem die deutsche Kriegsflotte vernichtet, die deutsche Handelsflotte und der deutsche Überseehandel zerstört werden sollen . " Dagegen täte Kaiser Wilhelm aber alles mögliche , um den 31. Dezember 1905. )
Frieden
zu erhalten.
(Bericht vom
In Frankreich trat in den nächsten Jahren der Revanchegedanke mehr und mehr in den Vordergrund . Wann ist die Ruhe Europas bedroht gewesen, außer durch den französischen Revanchegedanken ?" schreibt derselbe Diplomat am 27. Januar 1908 und fügt bei , daß Delcassé „ ausgesprochen chauvinistische Saiten anschlage" . Diese Anschauung des Berliner Gesandten findet ihre volle Bestätigung durch mehrere Berichte seines Pariser Kollegen . Baron Guillaume, der besonders betont, daß in Frankreich der Chauvinismus von oben her gepflegt und gefördert werde und von Jahr zu Jahr mehr in den Vordergrund träte . Im Jahre 1913 schreibt er, daß die öffentliche Meinung in Frankreich alle Tage argwöhnischer und chauvinistischer werde .
Ein baldiger Krieg mit Deutschland werde für gewiß und un-
vermeidlich angesehen, und diese Stimmung werde von der Regierung wahrhaft ermutigt " . (Bericht vom 16. April . ) Noch bestimmter spricht er sich in seinem Bericht vom 16. Januar 1914 aus, in dem es heißt , daß es die an der Spitze der französischen Regierung stehenden Männer : Poincaré, Delcassé und Millerand und ihre Freunde seien, die die nationalistische, militaristische und chauvinistische Politik erfunden und befolgt haben . 99 Sie bildet " , sagt er, „ eine Gefahr für Europa . . ." Wenige Wochen später, am 25. April 1914 . macht er nochmals darauf aufmerksam, daß die Leiter der Nation es sind, "" die den Nationalismus um nicht zu sagen Chauvinismus in Frankreich entfacht haben". Wenn der belgische Gesandte hier schon feststellt, daß die französische Regierung den Chauvinismus großgezogen und gefördert, somit durchaus nichts getan hat, um den Frieden zu erhalten , so wird dies voll bestätigt durch die Veröffentlichungen eines Franzosen , der in zwei kleinen sehr beachtenswerten Schriften die Verhältnisse in
14*
190
Französische Kriegs- und Friedensgedanken .
seinem Vaterlande kurz vor Ausbruch des Krieges und in der ersten. Zeit seines Verlaufes bespricht. In der zweiten dieser Schriften ¹ ) sagt der Verfasser, daß sich die Regierung seit Jahren bemühte , die Begeisterung für einen gegen Deutschland gerichteten Krieg anzufachen und sich dazu in erster Linie der Erregung des Chauvinismus und des Nationalhasses bediente . Der Presse sei hauptsächlich die Aufgabe zugefallen, durch Verleumdungen aller Art den Haß gegen Deutschland zu säen, und sie habe hierbei nicht allein unter dem. Einfluß , sondern vielfach unter der direkten Leitung der Regierung gestanden. „Wenn man " , schreibt er, "9 die unwissende , gutgläubige und leicht erregbare Natur des französischen Volkes kennt , so weiß man auch, daß es an dem unsinnigen Hasse gegen seine Gegner, den ihm seine Gebieter durch Verleumdungen aller Art einimpfen , unschuldig ist . “ Mehr noch als die französische Regierung macht er aber den englischen Einfluß verantwortlich für diese systematische Vergiftung der französischen Volksseele .
England allein macht er auch dafür ver-
antwortlich, daß sich die französische Regierung nicht zur Anbahnung von Friedensunterhandlungen entschließen könne . Deutschland würde , seiner Meinung nach, bereit sein, sich mit Frankreich in billiger Weise zu verständigen , denn der ganze Haß der deutschen Nation wende. sich heute gegen England, das 20 Jahre lang daran arbeitete , „ ein Bündnis gegen die auf Arbeitsamkeit gegründete Wohlfahrt Deutschlands zustande zu bringen “ . „ Die Deutschen “ , sagt er, „ wissen , daß wir in einem Anfall von wütender Raserei handeln , den wir dem Einfluß Englands verdanken ! "
Die jüngsten Erklärungen des französischen Ministeriums liefern auch heute noch den Beweis für diese unheilvolle Einwirkung Englands. ohne die die französische Regierung gewiß einen andern Standpunkt in der Friedensfrage einnehmen würde . Der Verfasser der erwähnten Schrift tritt ganz energisch für einen baldigen Friedensschluß ein. Er schließt mit den Worten : „ Ein sofortiger Friedensschluß bietet die einzige Möglichkeit, um Europa vor der „ gelben Gefahr " (von der er an einer andern Stelle spricht) zu bewahren und um die Raubsucht (accaparement) Englands zu hindern. " - „ Der Krieg bis zum Äußersten ist ein Wahnsinn ! Jeder gute Franzose muß daher die sofortige Eröffnung von Friedensunterhandlungen verlangen ! " Wir wissen heute, und ganz besonders nach den Erklärungen der beiden französischen Minister, daß diese Mahnungen ungehört verhallt
1) Joseph Bertourieux , La Victoire .
Bern , 1917.
Ein Gradmesser der persönlichen Kriegslasten unserer Gegner.
191
sind und daß Frankreich nicht daran denkt, einen für uns annehmbaren Frieden mit uns zu schließen , jetzt weniger denn je , nachdem es durch die Resolution vom 19. Juli die Ansicht gewonnen hat, daß wir am Ende unserer Kräfte sind und einen Frieden brauchen .
XIV .
Ein Gradmesser der persönlichen Kriegslasten unserer Gegner .
Von Rhazen, Generalleutnant z. D.
Haig
Im Abendbericht vom 12. Oktober sprach der britische Oberführer der noch vor kurzer Zeit, sich in der Rolle des „ miles
gloriosus " gefallend ,
den Stellungskrieg jede Stunde in Be-
wegungskrieg umsetzen zu können erklärt hatte - nach einem Hinweis
auf das
von Cadorna sonst
mit Vorliebe
als Ent-
schuldigung benutzte schlechte Wetter den Satz aus : „ Infolgedessen wurde beschlossen, keinerlei weitere Anstrengungen zur Erreichung des 66 Endzieles zu machen . Auch ohne jeden Optimismus betrachtet liegt in diesen Worten im Munde eines Oberführers doch wohl das Zugeständnis eines wenigstens momentanen , nicht ausreichenden Zutrauens zu den verfügbaren Mitteln für die Erreichung des Endziels. Und daran darf wohl der logische Schluß geknüpft werden , daß der Höhepunkt der schweren Kämpfe überschritten ist -- und das zu unsern Gunsten und unter ungeheuer schweren englischen Opfern. In Rußland wurde gegen Ende September von der provisorischen Regierung beschlossen, wegen Schwierigkeit der Verpflegung den Stand der Armee von 12 Millionen, von denen 7 Millionen hinter der Front verwendet wurden , auf 6 Millionen herabzusetzen .
Wenn wir hinter
die Genauigkeit der aus russischen Quellen stammenden Zahlen auch ein Fragezeichen machen, wie ein anderes hinter die Wahrscheinlichkeit der Zulassung dieser Verminderung durch die eigentlichen Herren Rußlands, England , Amerika und Frankreich, so haben wir in ihnen doch einigermaßen ein Barometer für die personellen Kriegslasten , die Rußland heute noch trägt, nachdem es an bleibenden Ausfällen doch nicht weniger als 9 Millionen erlitten hat.
192
Ein Gradmesser der persönlichen Kriegslasten unserer Gegner. Was Rußland
bei dieser Bürde ,
was England ,
das
nach den
früheren Erklärungen 1917 zum Maximum seiner militärischen Kraft gelangen wollte und nun das obenberührte Eingeständnis seines Oberführers lesen muß , erreicht haben , ergibt die Kriegskarte . Es erscheint an der Zeit , einen Blick auf die persönlichen Kriegslasten unserer Gegner zu werfen , denn sie bedeuten den Bluteinsatz in dem hohen Spiel um den Gewinn, der ihnen nicht geworden ist.
Vor kurzem
noch wurde in Ententepresse und Reden die „ beginnende Erschöpfung Deutschlands " als Ansporn zur Wiederbelebung der schwindenden Kriegslust benutzt, und auch durch die deutschen Gaue ist mehrfach schon das Gerücht gelaufen , Deutschland müsse zur Ausdehnung der Wehrpflichtdauer schreiten , um den Krieg weiter führen zu können . Immer hat sich das Gerücht als blauer Dunst erwiesen. Hindenburgs Wort, daß wir auf allen Gebieten und zwar restlos ― zur Fortsetzung des Krieges mit Vollkraft auch in einem
auf allen
vierten Kriegsjahre befähigt sind, ist allein zutreffend , und glänzend hat sich im Gegensatz zu den Notwendigkeiten bei unseren Feinden die Wehrverfassung Deutschlands als vortrefflich und vorausschauend, als nicht der Veränderung bedürftig in dem dreijährigen schweren Kampfe erwiesen, den wir mit unseren Verbündeten um Sein und Nichtsein führen.
Das muß um so mehr hervorgehoben werden in einem Augen-
blick, in dem von allgemeiner Weltabrüstung, goldenem Zeitalter, bulkolischen Bildern, die sich auf dem Hintergrunde des Weltkrieges stark komisch ausnehmen , geträumt wird, ohne daß auch nur deren erste Vorbedingungen erfüllt sind .
In dem Augenblick, in dem der
Moltkesche ewig wahre, weil auf den Lehren der Geschichte und Erfahrung beruhende Satz vergessen wird :
„ Der ewige Friede ist ein
Traum und nicht einmal ein schöner, der Krieg aber ein Glied in Gottes Weltordnung. " Rußlands Volk vergleicht soeben die „ Morning Post “ mit einer „ Herde wildgewordener Elefanten " und meint , wenn der Elefant losbräche und die Allgemeinheit gefährde , gäbe es nur ein Ding zu tun". Was , sagt sie nicht es läßt sich aber denken —, nämlich die absolute Zusperrung des Geldbeutels der Entente.
Herbert Allen ,
der Präsident der Baku-Kompagnie, hat bei der Jahresversammlung der Gesellschaft ein Urteil über Rußland aus britischem Gesichtswinkel abgegeben : „ Augenscheinlich hat Rußland den Krieg fallen lassen und Revolution , Anarchie, Auflösung und nationalen Untergang an seine Stelle gesetzt. " für,
daß
" Petit Parisien " meinte, kein Anzeichen liege vor da-
die Wiedergeburt der russischen Armee durch Herstellung
der Manneszucht gelingen werde. lung der
Von Rußland ist daher eine Wand-
strategischen Lage zugunsten der Entente nicht mehr zu
Ein Gradmesser der persönlichen Kriegslasten unserer Gegner.
193
hoffen, es rückt vielmehr immer tiefer in die Rolle des Prügeljungen der Entente hinein . Dahin ist Rußland trotz der enormen der Nation im Weltkrieg aufgebürdeten personellen Lasten gekommen , die über den vorgesehenen Rahmen weit hinausgehen. Bei einem durch das Wehrgesetz von 1913 von 455 000 auf 580000 Mann gesteigerten Rekrutenkontingent, dem Wachsen der aktiven Dienstzeit um 12 Jahr, um auch während der Rekrutenschulung im Winter 3 ausgebildete Jahrgänge unter den Waffen zu haben , bei einem Friedensstande, den Suchomlinow in seinem Prozeß auf über 2 Millionen angab, bei der hochgeschraubten Bereitschaft der Truppenverbände nicht allein in den Grenzbezirken, sondern auch im Innern , die man durch ,, Probemobilmachungen" erhielt, hatte man in Rußland sicher damit gerechnet, mit 18 Jahresklassen der aktiven Armee und ihrer Reserve, sowie mit 5 der geschulten Reichswehr I. Aufgebots für alle Fälle auszureichen , um jeden Gegner, oder auch eine Koalition , zu erdrücken .
Kalkulierte man .
doch zum Kriegsbeginn mit über 9 Millionen ausgebildeter Leute in dem genannten Altersrahmen . Bedenkt man, daß wie oben schon berührt, die Ziffer der bleibenden Abgänge Rußlands vom Beginn des Weltkrieges ab bis heute, kaum hinter 9¹ ) Millionen zurückbleibt und nimmt man die im obigen Beschluß der provisorischen Regierung genannte Bestandsziffer auch nur annähernd als zutreffend an, so wird man begreifen, in welchem Maße man dort die Bestimmungen des Wehrgesetzes erweitern mußte, aber auch erweitern konnte. Heute hat man, wenn die russischen Nachrichten zuverlässig sind, Jahrgang 1920, d. h . die 17 jährigen und was das bei der späten Entwicklung des Russen heißen will, bedarf keiner Erläuterung - unter den Waffen, hat man nicht nur Kaukasier , Turkmenen , Sibirier, Kirgiesen, Mohammedaner, kurz alle Fremdvölker über das zulässige Maß personeller Leistungen herangezogen, und nicht nur die unausgebildete Reichswehr 1. bis zu den 50 jährigen einbeordert , sondern auch 25 Jahrgänge der ungeschulten , aus durchaus Unabkömmlichen zusammengesetzten Reichswehr II . Aufgebots eingereiht .
33
Jahrgänge , statt 23 nach dem Wehrgesetz , mit denen man völlig auszureichen vertraute, eine volle Generation , selbstverständlich . soweit sie sich nach der großen Fahnenflucht bei der Revolution wieder gestellt,
bluten
als
von den immer als
immerhin
doch
„ unerschöpflich "
erschöpfliches
Kanonenfutter
bezeichneten Untertanen des
1) Der Vertreter des Bauernrats Rubanowitsch hat einem Pariser Blatte 5 Millionen Tote, 6 Millionen Verwundete, 3 Millionen Gefangene als Opfer der russischen Bauern genannt. Da nur 1/4 der Verwundeten wieder dienstfähig wird, käme man auf 12 Millionen bleibender Ausfälle bei den Bauern, die 3/4 der russischen Armee bilden . Nach der Einnahme von Riga hat der russische Kriegsminister die Ziffer der Fahnenflüchtigen auf 2 Millionen angegeben.
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Ein Gradmesser der persönlichen Kriegslasten unserer Gegner.
russischen Knutenregiments . Opfer der Torheiten der Staatslenker , die angeblich die „ Demokratie " an die Stelle der zarischen Autokratie setzen wollten . Kommen wir zu unserm gemeinsten und zähesten Feinde , so hat England bei Beginn des Krieges außer über die stärkste Flotte der Welt nur über eine geworbene Söldnerarmee mit einem heimischen Expeditionkorps von rund 160000 Mann Milizen und Teritorials zur Heimatverteidigung verfügend, sehr gegen seinen Willen in den speziell für das Britenvolk sehr sauern Apfel der allgemeinen Wehr- und Dienstpflicht (heute bis zur Einstellung der 47- und 50 jährigen gestiegen) beißen müssen. Dominions und Kolonien sind in Menschenlieferung auf das schärfste angespannt. Das Maximum der Leistungen sollte 1917 erreicht werden . Und doch wissen wir, daß die vom Generalstabschef Robertson als bis zum Juli 1917 unabweisbar nötig erklärte 12 Million ,, neuer Soldaten " bis zu dieser Zeit als Nachschub nicht auf den Boden des westlichen Schauplatzes gebracht worden ist, während ungeheuere Verluste die Lücken immer weiter rissen . Aus dem Boden hat man gestampft, was irgendwie verfügbar zu machen war, Kanadier, Neuseeländer, Inder vor allem, aber auch Schotten und Engländer in zahllosen Hekatomben geopfert. ohne im Westen auch nur die erste Stufe der Leiter zum Endziel, den taktischen Durchbruch, zu erreichen. Auch heute noch steht man vor Druckschlachten . Eine personelle Belastung wie die heutige gegen die die Dominions sich auch zu sträuben beginnen in dem Kampfe gegen die allgemeine Wehrpflicht haben die weiten Gebiete, über denen die britische Flagge weht, wohl niemals gekannt.
Trotz Maximalleistung blickt man aber ängstlich ,
wenn auch die Sorge durch volltönende, bluffende Redensarten zu verschleiern versucht wird, auf die Ankunft des großen Bruders von jenseits des Ozeans.
Den mißlungenen Versuch der Vernichtung Deutschlands
zahlt man einstweilen mit ungeheueren Menschen , Schiffs- und Wertopfern . Daß heute die Verluste des August, von den Briten mit 5284 Offizieren, 52404 Mann angegeben, nach dem bewährten Erfahrungssatz der Obersten Heeresleitung aber 158520 Mann betragend , die von September 2938 Offiziere 109000 Mann , die Einbußen in den Oktoberkämpfen , die die vorsichtige Oberste Heeresleitung als nicht geringer denn die Nivelleschen bezeichnet, bis heute Mitte Oktober¹ ) in den Feldtruppen ersetzt sind, darf billig bezweifelt werden .
Nicht weniger, ob die Briten imstande
1 ) Während des Drucks hat eine halbamtliche Mitteilung (Berlin , 16. November) die Verluste der Briten in den Flandernschlachten vom Juli bis Mitte November auf weit über 1/2 Million bei 1/2 Millionen Einsatz angegeben. Dazu kommen noch die Einbußen in den heftigen, sehr blutigen Kämpfen vom 15. November bis 1. Dezember, die kaum unter 50000 Mann betragen dürften .
Ein Gradmesser der persönlichen Kriegslasten unserer Gegner.
195
sind , der Forderung Painlévés nach Übernahme neuer französischer Frontteile sofort zu entsprechen . Frankreich , das durch das Wehrgesetz vom 7. August 1912 in direkter Vorbereitung des Krieges ad hoc gegen Deutschland nach der Verblendung der ehrsüchtigen und gewissenlosen Gruppe der Regierenden und auf Drängen seines Schuldners Rußland seine Wehrpflichtdauer auf 28 Jahresklassen , seine Friedenspräsenzstärke, unter Rückkehr zur dreijährigen Dienstzeit (die es auf lange Dauer personell und materiell zu tragen nicht vermocht hätte), einschließlich Arabertruppen und Senegalneger auf 780000 Mann (von Herbst 1916 auf 833000 zu steigen bestimmt) ausgedehnt hatte und Deutschland an Bereitschaft unter allen Umständen überholen wollte, bei der Mobilmachung planmäßig die 19 jährigen einzustellen dachte, ist über die Ziffer von 28 Jahrgängen bald hinausgegangen .
Und doch leidet es ,
selbst wenn örtlich beschränkte, hauptsächlich mit Artillerie geführte Offensiven noch aufflackern sollten , zweifellos an beginnender Blutarmut. Das Wehrgesetz vom 7. August 1912 erlaubte, im Kriegsfalle die gedienten und noch dienstfähigen Leute auch über die Grenze der gesetzlichen Wehrpflichtdauer hinaus wieder einzuberufen. Davon hat man ausgiebigsten Gebrauch gemacht .
49 jährige hat man heute trotz
allen Jammerns der Landwirtschaft , welcher nahezu alle Männerhände entzogen sind und die in angebauter Fläche und ihren Erträgen reißend herunter gegangen ist , heute noch an der Front und entgegen allen ministeriellen Zusicherungen in der Kammer noch nicht in die Heimat gesandt. Weit über diesen Jahrgang hinaus reichte die Zahl der alten Klassen,
deren Entlassung
die Regierung
durch ein Rundschreiben
des Generalstabchefs General Duport vom 24. September 1917 versprochen. Am 5. Oktober , dicht vor dem neuen Haigschen Sturm im Ypernbogen, wurde der Erlaß aber wieder zurückgenommen und Duport von Painlévé zum Sündenbock für das gestempelt, was er selbst verhatte abnötigen ― und sah lassen. Man hatte mit britischer Entlastung gerechnet sich wieder einmal getäuscht. Nach der anderen Seite ist man bis zu 17 jährigen gekommen , hat aber freilich darin wegen des Wider-
brochen,
sich selbst durch Druck von Deputierten
standes der Kammer und den zahlreichen, unter ihnen sich ergebenden Das Lazarettkandidaten eine gewisse Pause eintreten lassen müssen. hindert aber nicht, daß Jahrgang 1919 demnächst die einzige Nachschubsquelle sein wird, nachdem Jahresklasse 1918 im April dieses Jahres eingestellt und eiligst oberflächlich geschult in die gewaltigen Lücken der Apriloffensive geworfen werden mußte, die zu schließen sie mit ihrem Ertrage doch nicht vermochte. Die Schöpfquelle der braunen und schwarzen Franzosen hat man dabei bis zum Bodensatz
196
Ein Gradmesser der persönlichen Kriegslasten unserer Gegner.
ausgepumpt, untauglich befundene und zurückgestellte mit weitesten. Maschen und weitherzigster Auffassung des Begriffes der „ Dienstfähigkeit “ unzählige Male durchgesiebt und in Feldtruppen eingestellt , was nur irgendwie kriechen konnte . 32 Jahrgänge , eine volle Generation , bluten heute unter Frankreichs Fahnen , das Mark des Zukunftslebensbaums der französischen Nation ist angeschlagen- und der Feind steht unerschüttert im
Lande. Sehnsüchtig richtet sich auch des betrogenen Frankreichs Auge auf die Menschenwellen Amerikas. die den blutleerer werdenden Adern seiner Armeen neuen roten Saft bringen sollen . Wenn Frankreich heute darüber jammert, daß es relativ die schwersten personellen , und absolut die drückendsten materiellen Kriegslasten getragen, so sagt es nur die Wahrheit . Weit, sehr weit über den Umfang der Bevölkerung Elsaß -Lothringens hinaus gehen seine bleibenden blutigen Opfer. Nach „ Bulletin des armées de la Republique " hätte Deutschland allein bei Verdun 56 , in den Sommekämpfen in 6 Monaten 96 , und in diesem Jahre im Westen bis zum September 112 Divisionen, zusammen 264 Divisionen aufgebraucht . Der Grad der Borniertheit , den „ Bulletin " damit in der Absicht, die eigenen ungeheuren Verluste durch Lügen über deutschen Kräfteverbrauch noch zu übertrumpfen , dem französischen Volke zumutet, wird noch übertroffen durch das Schallen der Ohrfeigen , die die deutsche Oberste Heeresleitung den Verbreitern der Kunde von der Erschöpfung Deutschlands im Osten durch die großen Erfolge am rechten russischen Flügel und im Südosten durch den kraftvollen Durchbruch in der ihrer Initiative zu verdankenden 12. Isonzoschlacht verabreicht hat. Der ruhmredige und siegesgewisse Cadorna
wird
nun
wohl etwas
kleinlauter werden .
Eine große Schlappe noch und in Italien siedet die brodelnde Gärung des Volkes nach russischem Muster zur Revolution über,
die auch die Dynastie Savoyen verschlingen kann , ohne daß England zu ihrer Rettung auch nur einen Finger krümmen würde. Was Italien an Einbußen während seiner zunächst so leicht gedachten Beteiligung am Weltkriege erlitten, geht über den Rahmen hinaus, mit dem man an geschulten Leuten die Wehrkraft des Landes zu messen pflegte.
Jüngst hat der Kriegsminister die Einstellung des
Jahrgangs 1920 vom Ministerrat gefordert und zum Dezember d. J. zugesagt erhalten.
Vorausgesetzt,
daß der innere Zustand der Be-
völkerung es zu dieser Einstellung überhaupt kommen läßt.
Wer die
Bevölkerungsverhältnisse Italiens kennt, weiß, daß die 17 jährigen zum mindesten in Mittel- und Süditalien unreife Knaben sind . Nach der andern Seite hat man die Heimsendung der 48 und 47 jährigen für November versprochen. Ob man sie jetzt wohl heimsenden wird ? Zu Beginn des Krieges rechnete das italienische Wehrgesetz mit 8 Jahrgängen
Ein Gradmesser der persönlichen Kriegslasten unserer Gegner.
197
für aktives Heer und Reserve, sowie mit 4 Landwehr-, 7 Landsturm-, 19 Dienst- , 20 Wehrpflichtjahren . Neben der I. auf volle aktive Dienstzeit eingestellten Kategorie der jährlichen Rekrutenklasse bildete man von 1908 ab die nach bürgerlichen Rücksichten befreite II. Kategorie von etwa 25000 Mann jährlich zunächst 3 , später, von 1913 ab , 6 Monate aus und überwies die Unabkömmlichen und bedingt Tauglichen , rund 65-70000 Mann jährlich, bei der Aushebung unmittelbar der III . Kategorie, damit dem unausgebildeten und im Frieden keine Schulung erhaltenden Landsturm, dem sie dann 20 Jahre angehörten . Heute ist man, unter Einbeorderung aller Leute dieser Kategorie , die überhaupt eine Waffe tragen können , zur Ausdehnung der Wehrpflicht um 3 + 8 = 11 Jahre gezwungen gewesen , ohne einen andern Erfolg als den der Vertiefung des Blutmeeres . Britische Truppen haben schon in Turin die Niederwerfung des Aufstandes übernehmen müssen , eine Schmach für Italien und wahrlich doch kein Zeichen von Stärke . Ob Italien mit dem reichen kann , was es unter schwerster Belastung seiner Bevölkerung aufgeboten hat, um auch nur an das kleinste seiner Ziele heranzugelangen, ist uns nicht mehr zweifelhaft ¹) . Was man von Serbien an Menschenopfern gefordert hat, ist genugsam bekannt ; wie weit Rumäniens personelle Kriegslasten gehen werden , läßt sich genau noch nicht absehen .
Von Amerika forderte
der Eintritt in den Krieg gegen den Vierbund zwingend, daß es sich zur Anwendbarkeit der allgemeinen Wehrpflicht, zur Notwendigkeit des Auswachsens zu einer Land-Großmacht, zu einem vollen Wandel seiner bisherigen Wehrverfassung unter stärkster personeller Belastung bekenne. Von vornherein an Zahl erdrückend überlegen , dauernd wachsend an Ziffer der Staaten, die in den eisernen zu unserer Erdrückung bestimmten Ring eintraten, ihre Wehrverfassung erweiternd um das Ge1) Seither
hat
die am 24. Oktober
mit
dem
Durchbruch
am
Isonzo und seiner strategischen Auswirkung einsetzende Katastrophe Cadornas, die ihm in wenig Tagen den Gewinn 21/2 jähriger Kämpfe mit nicht unter 1,9 Millionen Verlusten, über 300000 Gefangene und 2000 Geschütze raubte - denen eigentlich das Doppelte an Toten und Ver. wundeten gegenüberstehen müßte - begonnen. 13 des Bestandes an Feldtruppen ist bei ihr, wenn wir die Zahl der Toten und Verwundeten auch nur derjenigen der Gefangenen - bei einer guten Armee eine kaum denkbare Seltenheit - gleichrechnen, in 10 Tagen schon verloren gegangen. Das Blatt des französischen Ministerpräsidenten nannte 400000 Fahnenflüchtige. Wie man den Ausfall durch Steigerung der personellen bis 60 Jahre ausgedehnten Lasten decken will, ist uns unerfindlich. Aus dem Eigenen ist das mit gründlich geschulten Mannschaften und brauchbaren Offizieren unmöglich, selbst wenn man die italienischen Truppen Sarrails aus Albanien und Epirus eiligst zurückberiefe, also auf Aspirationen an der Ostküste der Adria weinend verzichtete .
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Verwendung von Panzerzügen im Burenkrieg.
biß der gegen uns und unsere Verbündeten losgelassenen Meute unentwegt zu schärfen , in den Werkstätten der halben Welt geradezu ungeheure Massen Mordmaterial herstellend, hat es die Entente in mehr als 3 Jahren eines Weltkrieges nicht vermocht, uns und unseren Verbündeten in Europa auch nur das Kleinste ihrer strategischen Ziele abzuzwingen und hofft nur noch, die Imponderabilien völlig verkennend , auf innere Zwietracht in den Ländern des Vierbundes .
XV .
Verwendung von Panzerzügen im Burenkrieg. Von Mayer, Feuerwerkshauptmann .
Während des Vordringens der Engländer von Bloemfontain nach Pretoria wurde der Eisenbahnverkehr auf ihren Nachschublinien wenig gestört, so daß der Verkehr Tag und Nacht aufrecht erhalten werden konnte. Dies änderte sich jedoch anfangs Juni 1900 als De Wet mit seinen Scharen auftrat. Am 7. Juni 1900 griff er Roodeval und Rhenoster an, nahm die Garnison gefangen und zerstörte die Eisenbahnen und die Brücken in der Nachbarschaft.
Hierbei machte De Wet so gründliche
Arbeit , daß die Linie Kroonstad - Vaal River drei Wochen lang nicht benutzt werden konnte. Zu gleicher Zeit zerstörten die Transvalburen verschiedene Züge, die bei Nacht fuhren, weshalb im Freistaat nördlich von Bloemfontain der Nachtverkehr eingestellt werden mußte. Im Oktober 1900 erstreckten sich die Eisenbahnunterbrechungen auch auf verschiedene Linien südlich von Bloemfontain , so daß auch dort der Nachtverkehr gefährdet und vom 1. Juni 1901 ab der Zugverkehr auf die Stunden mit Tageslicht beschränkt werden mußte.
Die Zerstörungstrupps der Buren verwendeten Kontakt- und Beobachtungsminen¹ ).
Die Kontaktminen wurden unter den Schienen
1) Die von den Buren verwendeten Kontaktminen waren von sehr einfacher Einrichtung, aber vorzüglicher Wirkung. Der Lauf und der Schaft eines alten Martinigewehres wurden bis auf etwa Pistolenlänge verkürzt . Der Abzugbügel wurde so weit entfernt, daß mit dem Rest desselben gerade
Verwendung von Panzerzügen im Burenkrieg.
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angebracht und traten in Wirksamkeit, wenn ein Zug darüber fuhr. Sie waren sehr schwer zu entdecken und verursachten daher den Tod verschiedener Streckenpatrouillen und Lokomotivmannschaften , deren Lokomotiven durch die auffliegenden Minen zur Entgleisung gebracht wurden. Um Unfälle durch Kontaktminen zu verhüten , traf man die Maßnahme, vor der Lokomotive des ersten am Tage verkehrenden Zuges einige beladene Wagen laufen zu lassen , die durch ihren Raddruck die in der Nacht gelegten Kontaktminen zur Explosion bringen sollten. Diese Wagen waren gewöhnlich mit Oberbaumaterialien beladen , die dann zur Ausbesserung der beschädigten Stelle Verwendung fanden . Diese Maßnahmen waren jedoch nutzlos gegen die „ Beobachtungsminen ". Zug
Wohl verborgen , hatte es der Beobachter in der Hand , sich den
auszuwählen ,
der
zur
Entgleisung
gebracht
werden
sollte.
Hatten die Buren Mangel an Munition, Lebensmitteln u . dergl. , so noch der Verschluß geöffnet werden konnte. Die Pistole wurde mit einer Patrone geladen, aus der man das Geschoß entfernt hatte. Die geladene Pistole kam in eine Kiste, an deren Seitenwänden sie gut befestigt war, und zwar mit dem Abzug nach aufwärts. Die Kiste wurde unter dem Fuß einer Schiene untergebracht, so daß der Abzug der Pistole etwa 1/4 Zoll - 5-6 mm - vom Schienenfuß entfernt war. Ein kleines Quantum Dynamit, in das Sprengkapseln hineingesteckt waren, wie „ Rosinen in einen Pudding " , wurde so vor die Mündung der Pistole gelegt, daß die Öffnungen der Sprengkapseln gegen die Mündung der Pistole gerichtet waren. Die aus etwa 10 Pfund Dynamit bestehende Sprengladung wurde zwischen die Schwellen gelegt. Das vor der Mündung der Pistole aufgehäufte kleine Quantum Dynamit diente zur Detonationsübertragung auf die Sprengladung. Das Ganze wurde durch die wieder aufgebrachte Steinbettung verdeckt. Lief ein Zug über die Mine , so wurde infolge des Raddruckes des ersten Fahrzeuges die Schiene niedergedrückt, dadurch der Abzug der Pistole in Tätigkeit gesetzt und damit auch durch die Pulverladung der Patrone die Sprengkapseln entzündet . Die Beobachtungsminen unterschieden sich von den Kontaktminen dadurch, daß die Pistole so tief versenkt wurde, daß der Abzug nicht durch den Druck der Schiene betätigt werden konnte . Vom Abzug lief eine Schnur oder ein Draht nach einem Gebüsch, aus welchem ein darin verborgener Mann die Pistole abfeuerte . Der gleichfalls in der Nähe verborgen liegende Zerstörungstrupp eröffnete im Moment der Explosion ein heftiges Feuer auf den Zug. Sich gegen Beobachtungsminen zu schützen, war dem Zug nicht möglich ; die Gefahr konnte lediglich durch ständig gehende Infanteriepatrouillen eingeschränkt werden. Panzerzug Nr. 1 gebrauchte eine Zeitlang das Mittel, während der Fahrt durch einen kleinen Teil seiner Besatzung jede Deckung, die zur Aufnahme von Zerstörern dienen konnte, beschießen zu lassen , damit die etwa darin verborgenen Zerstörer annehmen mußten, sie seien entdeckt . Dieses Verfahren scheint nicht ohne Erfolg geblieben zu sein, denn es wurde cine Beobachtungsmine gefunden, die von den Buren anscheinend in Stich gelassen worden war, weil sich die Beobachter entdeckt hielten.
200
Verwendung von Panzerzügen im Burenkrieg .
ließen sie den führenden Zug, sowie den Panzerzug und die folgenden Postzüge ungehindert passieren , während sie einen Lebensmittel- oder sonstigen Nachschub führenden Zug abfingen. Manchmal, wenn das Legen von Minen untunlich war, gebrauchten die Buren den Trick, an einer Stelle der Strecke mit erheblicher Steigung, den die Steigung langsam nehmenden Zug dadurch zum Stehen zu bringen, daß sie auf den letzten Wagen sprangen und den Bremsschlauch der Luftbremse öffneten . Um die Zerstörungen der Linien möglichst hintanzuhalten , verwendeten die Engländer sowohl Panzerzüge , als auch Begleitwagen bei den einzelnen Güterzügen, deren Besatzung die Buren vom Plündern des entgleisten Zuges abhalten sollte . Da sich jedoch die Buren hierdurch nicht abhalten ließen, ihre Angriffe auf die Eisenbahnen immer wieder zu erneuern und besonders auch die Panzerzüge häufig angriffen , kam später noch die berühmte Blockhauslinie Kitcheners hinzu . Auf diese Weise gelang es , bis zum April 1901 die Zerstörungen an den Bahnen auf ein erträgliches Maß einzuschränken . Um größere Zerstörungen rasch zu beseitigen, wurde eine über das ganze Streckennetz verteilte größere Anzahl von Bauhilfszügen bereit gehalten , die ständig unter Dampf lagen und alles zur Beseitigung umfangreicherer Zerstörungen nötige Material mit sich führten . Wurde eine größere Unterbrechung gemeldet, so ging der nächste Panzerzug an die Stelle der Unterbrechung, um den Feind zu vertreiben und den Umfang der zu leistenden Außerdem begleitete er den Wiederherstellungsarbeit festzustellen . Hilfszug an die Unterbrechungsstelle und hielt während der Herstellungsarbeit den Gegner fern .
In Nachstehendem soll die Entwicklung und
Verwendung der Panzerzüge kurz geschildert werden . 1899 wurden kurz vor Beginn des Krieges in den Werkstätten der Regierungsbahnen der Kapkolonie 4 Panzerzüge hergestellt.
Es be-
schäftigte sich jedoch niemand sonderlich mit der Frage, wie sie eigentlich nutzbringend zu verwenden seien.
Jeder Zug bestand aus einer schwachen Lokomotive und 2 Güterwagen , das Ganze geschützt durch kugelsichere Stahlplatten . Die Lokomotive befand sich zwischen den 2 gepanzerten Wagen, in denen die Besatzung untergebracht war. und Maschinengewehren .
Bewaffnet war der Zug mit Gewehren
Um diese verwenden zu können, waren die
Wände der Wagen mit Schießscharten versehen . Von den Wagen zur Lokomotive konnten Glockenzeichen gegeben werden , die Vakuum bremse ließ sich von jedem Wagen aus betätigen . Der Umstand, daß einer dieser Züge in Natal vom Feinde zur Entgleisung gebracht und ein anderer zwischen Vryburg und Mafeking infolge Entfernens der Schienen gefangen wurde , brachte die Panzerzüge
Verwendung von Panzerzügen im Burenkrieg.
201
zunächst in Miẞkredit ; eine Zeitlang wollte man nichts mehr von ihnen wissen . Erst als die Kommandos De Wets ihre unheimliche Tätigkeit entfalteten und Nacht für Nacht Durchlässe und lange Gleisstrecken zerstörten , erinnerte man sich wieder der Panzerzüge und begann sie neuerdings in Benutzung zu nehmen ¹). Die Erfahrung lehrte jedoch bald, wie unzureichend die Gefechtskraft der Panzerzüge war und daß diese Züge außer mit Gewehren und Maschinengewehren auch noch mit wirksameren und weiter reichenden Waffen ausgerüstet sein müßten.
Panzerzug Nr. 1 wurde nun mit 2 auf
gepanzerten Plattformwagen eingebauten 12 pfündigen Marine- Schnellfeuerkanonen bestückt. Kurz darauf stieß dieser Zug auf De Wet, als er eben südlich von Wolvehock mit seinem Kommando die Bahn überschritt .
Durch das Feuer der beiden Geschütze wurde De
Wet gezwungen , seine 2 Kruppschen Feldgeschütze samt Munition in den Händen der Engländer zu lassen . Die Besatzung des Panzerzuges verlor bei diesem Gefechte nur einen Mann . Bei einer anderen Gelegenheit gelang es dem gleichen Panzerzug, den Buren einen gefangenen Postzug abzujagen und eine in die Hand des Feindes geratene Kompagnie Volunteers zu befreien , ohne einen Mann dabei zu verlieren . Bald bildete sich die Praxis heraus, daß die Panzerzüge nachts nach Aufgang des Mondes, oder bei Tagesanbruch die ihnen zugewiesene Strecke abfuhren, um festzustellen , welche Beschädigungen der Feind in der Nacht verursacht hatte . War der Schaden gering, konnte er durch die Besatzung des Panzerzuges, bei der sich auch Eisenbahnpioniere befanden, behoben werden ; war er dagegen groß, so wurde, wie schon erwähnt, der nächste Bauhilfszug herangeholt .
Auf diese
Weise gelang es in vielen Fällen , die Strecke bis zum Beginn des Zugverkehrs wieder fahrbar zu machen. Als De Wet in die Kapkolonie übertrat und er, durch General Plumer verfolgt, bei Houtkraal den Schienenweg kreuzte, wurde sein Train durch 4 Panzerzüge abgeschnitten. De Wet machte zur Rettung seines Trains den Versuch , die Bahnlinie nochmals zu überschreiten . Aber
die
vier
Panzerzüge,
die
sich
in
Abständen
von
800 bis
1000 Yards aufgestellt hatten ,
vereitelten den Rückzug durch ihr heftiges Feuer. De Wet mußte den Panzerzügen 24 mit Munition und Dynamit beladene Ochsenwagen überlassen und besaß an Munition .
1) Die Leistungen von De Wets Kommandos in der Nacht des 7. Juni 1900 waren folgende : Sprengen von 10 Durchlässen, Verbrennen von 10 Brücken, Zerstören der Stationsgebäude von Roodeval , Verbrennen eines Zuges , der 12 000 Mäntel und 1500 Postsäcke beförderte.
202
Verwendung von Panzerzügen im Burenkrieg.
nur mehr, was seine Leute in den Bandolieren trugen. Der Verlust auf englischer Seite bezifferte sich nur auf 2 Verwundete . Diese günstigen Erfolge führten dazu , die Panzerzüge auf zwanzig zu erhöhen und sie sämtlich mit weittragenden Geschützen und teilweise auch mit Maschinenkanonen (Pom-Pom's) auszurüsten . Jeder Geschützwagen führte an beiden Wagenstirnseiten je 100 Schuß mit , die schußsicher untergebracht waren . Da Stahlplatten nicht in genügender Menge zu beschaffen waren , wurden die
kugelsicheren Wände
zum Teil aus doppelten Wänden
von Wellblech hergestellt, zwischen welche kleingeschlagene Steine gefüllt waren . Ein anderes Verfahren bestand darin , die Längswände bis zu einer Höhe von 5 Fuß aus Eisenbahnschienen herzustellen . Die Stirnwände wurden hierbei aus Lagen von Eisenbahnschwellen gebildet und mit den Eisenbahnschienen fest verbunden. Eine weitere Verbesserung erfuhren die Panzerzüge durch Ausstattung mit Scheinwerfern . Der Scheinwerfer wurde auf einem geschlossenen, gleichfalls gepanzerten Güterwagen angebracht. Die Dynamomaschine befand sich an einer Wagenstirnwand und erhielt ihre Triebkraft von einer kleinen Dampfturbine . Diese erhielt ihren Dampf von der Lokomotive, deren Dampfdom angebohrt und mit der Dampfturbine durch einen biegsamen, dampfdichten Metallschlauch verbunden war . Panzerzug Nr. 1 überraschte das Kommando Viljoen, als es die Osttransvaal- Linie überschritt. Mit Hilfe seiner beiden Scheinwerfer gelang es der Besatzung, 26 Buren zu töten und zu verwunden . fliehende Gegner ließ eine Anzahl Wagen und Pferde zurück .
Der
Durch
die im Laufe der Zeit gesammelten Erfahrungen ergab sich folgende Zusammenstellung der Panzerzüge : An jedem Ende des Zuges befand sich ein Maschinengewehrwagen . Vor dem vorderen Maschinengewehrwagen lief der Materialwagen , der mit Material zum Instandsetzen der Strecke beladen war. Er hatte keine Besatzung , da er durch sein Gewicht die Kontaktminen in Tätigkeit setzen sollte ¹ ) .
Die Lokomotive fuhr in der Mitte .
Hieran.
1) Die Notwendigkeit dieses Materialwagens zum Springenlassen der Minen erwies sich bei verschiedenen Fällen . Z. B. brachte Panzerzug Nr. 6 bei Kronstad eine Mine zur Explosion. Man hatte jedoch übersehen, vor den Zug den mit Material beladenen Wagen zu kuppeln . Die Folge davon war, daß der in dem vordersten von der Lokomotive geschobenen Wagen sitzende Kommandant des Panzerzuges getötet und mehrere Mannschaften verwundet wurden. Der Wagen wurde umgeworfen . Wäre vor dem Wagen der beladene, jedoch unbesetzte Materialwagen gelaufen, wären die Verluste vermieden worden. Wenige Tage später brachte derselbe Panzerzug in der Nähe von Heilbronn durch seinen Materialwagen eine Kontaktmine zur Explosion . Dadurch wurde ein drei Fuß langes Schienen-
Verwendung von Panzerzügen im Burenkrieg. anschließend folgte der Tankwagen ,
aus
dem
203
der Tender gespeist
wurde, um den Zug unabhängig von den Wasserstationen zu machen . Zwischen Tank- und hinterem Maschinengewehrwagen befand sich der Geschützwagen, der Scheinwerferwagen, der Wagen für das Reservemaschinenpersonal, dann folgten der Telegraphen- und der Lebensmittelwagen. Der kommandierende Offizier hatte seinen Platz in dem vorderen Maschinengewehrwagen , der zweite Offizier gewöhnlich im Geschützwagen. Unter keinen Umständen durften beide Offiziere zusammen in demselben Wagen fahren , um zu verhindern, daß durch eine erfolgreiche Mine oder durch eine Entgleisung, beide außer Gefecht gesetzt würden. Durch den ganzen Zug lief eine Vakuumbremse , die von jedem Wagen aus betätigt werden konnte , sowie Leitungsdrähte , die zur Dampfpfeife und zum Gong führten .
Außerdem waren
die beiden Maschinengewehrwagen durch Fernsprechleitung miteinander verbunden. Für die Besatzung der Panzerzüge wurden aus den Regimentern nur ganz zuverlässige Leute, die überdies gute Schützen sein mußten , ausgewählt . Die Offiziere mußten aus demselben Regiment stammen, dem die Mannschaft entnommen war. Die Offiziere mußten tapfere Männer
sein ,
die ihre Kaltblütigkeit und Urteilskraft auch in den
Aufregungen des Gefechtes und bei dem nervenerschütternden Krachen der auffliegenden Minen zu bewahren wußten und nicht vergaßen, daß es auch zu ihrer Aufgabe gehörte, den Gegner daran zu hindern , die Strecke hinter dem Panzerzug zu zerstören und ihm so die Rückzugsmöglichkeit zu wahren . Der Führer des Panzerzuges konnte von seiner hochliegenden Beobachtungsstelle aus sowohl dem Lokomotivführer Signale geben, als auch selbst die Vakuumbremse bedienen , so daß er den Zug so rasch als möglich zum Halten bringen konnte . Über die den Panzerzügen zugedachte Verwendung
verbreitete
sich die „ Detailed History of the Railways in the South Africain War “ in einem längeren Kapitel , aus dem wir nachstehendes entnehmen : „Es ist zweckmäßig, wenn der Geschützwagen mit einem der Maschinengewehrwagen zusammengehalten wird . Dadurch wird es möglich, beide an einem für das Fernfeuer des Geschützes günstigen Punkt abzuzweigen ,
wobei dann der Maschinengewehrwagen die Be-
deckung des Geschützwagens bildet .
Der übrige Teil des Zuges hätte
stück herausgerissen. Zum Glück für den Panzerzug war die Mine an einem geraden Streckenteil gelegt, so daß der ganze Zug über die Bruchstelle ging und dabei nicht entgleiste . Drei Minuten nach der Explosion begann der Zug das Geschützfeuer gegen die Buren. Der einzige Schaden, der durch die Explosion am Zug angerichtet wurde, bestand im Durchschlagen des Bodens des Materialwagens. 15 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 554/555.
204
Verwendung von Panzerzügen im Burenkrieg.
dann möglichst
an den Gegner heranzugehen .
Diese Bewegung ist
leicht auszuführen, wenn der Geschützwagen in dem gezogenen Teil des Zuges
sich befindet ;
ist
er
jedoch
in
dem
geschobenen
Teil
des Zuges, so muß der ganze Zug vorwärts und möglichst nahe an den Feind heranfahren und dann den Maschinengewehrwagen abstoßen , während der übrigbleibende Teil des Zuges einschließlich des Geschützwagens in eine geeignete Artilleriestellung zurückfährt Dieses Verfahren hat viele Vorzüge und wurde bei verschiedenen Gelegenheiten mit Erfolg ausgeführt.
Dadurch , daß der Zug in zwei
kämpfende Teile zerlegt wurde und der Teil mit dem Geschützwagen den Gegner aus der Ferne unter Feuer nehmen konnte, wurde den Buren die Absicht , die Strecke hinter dem Zug zu unterbrechen , meist vereitelt. Als besonders geeignete Geschütze für Panzerzüge haben sich die 6 pfünd. Schnelladefeldkanonen erwiesen. Sie wurden auf Drehgestellwagen aufgebaut, und da sie viel weniger Platz einnahmen als die 12 pfünd. , so konnte auf dem gleichen Wagen noch eine Infanteriebesatzung untergebracht völlig selbständig,
werden .
Ein
solcher Geschützwagen
war
so daß er nicht mehr des Schutzes des zweiten
Maschinengewehrwagens bedurfte , der dann die rückwärtige Strecke noch besser schützen konnte. Wurden Gruppen von Panzerzügen in das Gefecht gebracht, so wurde nach den gleichen Grundsätzen verfahren , d . h. die Züge hielten in offenem Gelände einen Zwischenraum von mindestens 1 km unter sich ein.
Der letzte Zug der Gruppe patrouillierte beständig zu dem
nächsten Truppenkörper oder Blockhausposten , um eine Unterbrechung der Strecke hintanzuhalten ; z . B. während des Gefechtes bei der Bartmansausweiche hielt der letzte Zug der Gruppe die Verbindung mit den Truppen in Potfontain aufrecht. Den Panzerzügen obliegen folgende Aufgaben : 1. Wird der Gegner verfolgt und hält er sich im Bereich einer Bahnlinie , so sollen die Panzerzüge den Gegner überholen und ihn nach Möglichkeit gegen die Verfolgungskolonnen zurücktreiben , so daß er zwischen zwei Feuer gerät. 2. Seitendeckung von rücken .
Kolonnen ,
die längs einer Bahnlinie vor-
3. Verstärkung von Stationen und Lagern , droht sind.
die vom Gegner be-
4. Begleitung von Verpflegungs- und sonstigen Nachschubzügen . 5. Aufklärung längs der Strecke. 6. Patroullieren bei Tag und Nacht.
Verwendung von Panzerzügen im Burenkrieg.
205
Im Falle von 1. und 2. sind keine besonderen Erläuterungen notwendig.
Die Bahnlinie wird in Abschnitte geteilt und jedem Abschnitt Die Züge sollen besonders zur Nachtzeit
ein Panzerzug zugewiesen .
Ist die Strecke in ihrem Abschnitte beständig in Bewegung sein . nicht durch Blockhäuser oder befestigte Posten geschützt, so muß der Zug Posten aussetzen , die die Annäherung des Feindes signalisieren . Sehr gut eignen sich zu Dazu sind sie mit Raketen zu versehen. diesem Dienste auch Eingeborene, welche Strohbündel bei sich führen und durch deren Abbrennen die Aufmerksamkeit des Zuges erregen. Blockhäuser und befestigte Posten sollen immer mit Raketen versehen sein, die in Gestellen angeordnet sind, so daß sie rasch abgefeuert werden können . In Südafrika bedeutete eine Rakete ,, Der Feind greift an ", während zwei ein Ruf um Hilfe“ waren . Alle Züge hielten während ihrer Streiffahrt zu bestimmten Stunden und traten mit den nächsten Stationen oder unter sich durch Einschaltung der
Telegraphen und Fernsprecher in Verbindung.
Dies
mußte während der Nacht öfters wiederholt werden, um über die Vorgänge im Bereich der Strecke auf dem Laufenden zu bleiben und etwaige Befehle vom kommandierenden Empfang nehmen zu können.
Offizier der
Zuggruppe in
Im Falle 1. ist es nicht ratsam, daß die Panzerzüge ihre Scheinwerfer benutzen , außer wenn der Gegner im Feuerbereich der Gewehre ist, und zwar je näher, je besser. Im Falle 2. ist es hingegen am Platz, wenn die Züge von ihren Scheinwerfern möglichst ausgedehnten Gebrauch machen , um den Gegner zu verhindern, die Bahnlinie zu überschreiten und der marschierenden Kolonne in die Flanke zu fallen .
Fall 3. bedarf keiner Erläuterung . Zu Fall 4 : Die Begleitung von Verpflegungs- und sonstigen Nachschubzügen ist eine von den bedeutendsten Aufgaben der Panzerzüge. Entweder fahren die Verpflegungs- usw. Züge in Gruppen unter dem Schutz des mitfahrenden Panzerzuges , oder der Panzerzug hält sich in dem als gefährdet bekannten Streckenabschnitt auf und begleitet die Züge durch den gefährdeten Abschnitt. Durch dieses Verfahren gelang es in Südafrika , eine Menge Züge davor zu bewahren , daß sie in die Hände der Buren fielen. Ist der bedrohte Streckenabschnitt nur kurz,
so ist es besser,
einen um den anderen der Züge durch den bedrohten Abschnitt zu begleiten ; ist der gefährdete Streckenteil jedoch lang, empfiehlt es sich , die Züge als Gruppe unter dem Schutz des Panzerzuges zu befördern . Letztere Art der Beförderung birgt aber verschiedene Gefahren und Unannehmlichkeiten in sich und zwar : 15 *
206
Verwendung von Panzerzügen im Burenkrieg.
a) die Gefahr von Zusammenstößen und des Auffahrens auf den vorderen Zug infolge geringen Zugabstandes ; b) die Störung des Verkehrs bei gleichzeitiger Ausfahrt mehrerer Züge aus überfüllten Bahnhöfen ; c) den Verlust von Zeit an Kreuzungs- und Wasserstationen ; d) die geringe Fahrtgeschwindigkeit, die bei Gruppenfahrten notwendigerweise angewendet werden muß. Bei Begleitung ist der Platz des Panzerzuges hinter dem Zuge. Manchmal mag es aber auch nützlich sein , ihn an der Spitze der Züge fahren zu lassen, um dem Zivillokomotivführerpersonal Vertrauen auf seine Sicherheit einzuflößen. Aber in der Regel ist es am besten , wenn der Panzerzug als letzter fährt. Bei Gruppenfahrten ist die beste Reihenfolge nachstehende : Ein gewöhnlicher Zug voraus,
dann der Panzerzug, hierauf ein
zweiter und gegebenenfalls ein dritter gewöhnlicher Zug.
Besteht die
Gruppe aus mehr als zwei gewöhnlichen Zügen, so ist es am besten , die Begleitmannschaften der einzelnen Züge zum größten Teile in gepanzerten Begleitwagen zu sammeln und diese dem letzten gewöhnlichen Zug anzuhängen. Das Gruppensystem wurde mehrere Monate nördlich von Kimberley und auch an der Pretoria - Pietersberg- Linie angewendet . Als weitere Vorsichtsmaßregel wurde vor die Maschine des ersten gewöhnlichen Zuges ein mit Schienen gepanzerter Drehgestellwagen gehängt, der mit Infanterie besetzt war. Befindet
sich
ein Panzerzug
auf Erkundung ( Fall 5. )
und ist
Grund zur Annahme vorhanden, daß der Gegner ziemlich stark sei , so ist es falsch , einen Panzerzug mehrere Kilometer vor dem Haupttrupp vorausfahren zu lassen , ohne dafür zu sorgen, daß die hinter dem Zuge liegende Strecke nicht zerstört werden kann. Bewegt sich der Zug zur Aufklärung gegen größere gegnerische Kräfte, so ist es ratsam, den Panzerzug in Verwendung mit berittenen Truppen vorgehen zu lassen .
Die Aufgabe der letzteren ist, für die
Strecke hinter dem Zug dessen Rückzug zu sichern und die Aufklärung seitlich der Strecke zu übernehmen.
Der Panzerzug soll sich hierbei
vor der Spitze der Aufklärungsreitertruppe bewegen. Bevor der Zug in enge Täler und Einschnitte einfährt, in denen er seine Geschütze nicht gebrauchen kann , müssen diese Streckenteile durch Reiter oder durch die Besatzung des Panzerzuges aufgeklärt werden . Wird eine berittene Aufklärungsabteilung von einem starken Gegner hart verfolgt, so ist der Panzerzug als Aufnahmestellung sehr geeignet. An Linien, die durch Blockhäuser geschützt sind, ist es nicht besonders wichtig, bei Tag die Strecke durch Panzerzüge abpatrouillieren
Verwendung von Panzerzügen im Burenkrieg.
207
zu lassen, da die Blockhäuser mit Fernsprechern ausgerüstet und daher in der Lage sind, alle in ihrem Bereich vorkommenden Begebenheiten zu melden. Die meisten Panzerzüge in Südafrika waren mit guten Fernrohren ausgerüstet, mit denen von den Rücken der Steigungen und von Höhen in der Nähe der Strecke weite Umschau gehalten werden konnte. Einige Züge führten eingeborene Kundschafter mit sich, deren Pferde in einem an den Panzerzug angehängten Viehwagen untergebracht waren . Dadurch, daß der Zug in einer Ausweiche liegen blieb und von dort seine berittenen Kundschafter ausschickte, gelang es öfters , wichtige Nachrichten einzubringen . Es ist zweckmäßig, die Heimatstation des Panzerzuges häufig zu wechseln, damit der Gegner im Ungewissen ist, wo er sich aufhält. Die wichtigste Aufgabe ist das Patrouillieren bei Nacht, da der Gegner meist unter dem Schutz der Dunkelheit die Überschreitung der Bahnlinie versucht und zwar hauptsächlich dann, wenn er Geschütze und Fahrzeuge mit sich führt . Damit
der Panzerzug
ohne Pfeifen
und Signalgeben
auf der
Strecke verkehren kann, ist es zweckmäßig, diese mit Streckenblockanlagen zu versehen . Vor Antritt der Nachtfahrt muß das Feuer der Lokomotive gut geputzt werden, daß das beständige Abfallen von glühenden Kohlen aus dem Aschenkasten tunlichst vermieden wird. Geräuschvolles Entweichen von Dampf muß gleichfalls hintangehalten werden ; Lichter dürfen nicht brennen . Werden diese Vorsichtsmaßregeln angewendet und fährt der Zug langsam, so ist seine Fahrt geräuschlos . Er kann auf diese Weise und in Südafrika kam es oft vor - unbemerkt in der Mitte eines eben die Strecke kreuzenden Kommandos ankommen .
Läßt er dann plötzlich seine Scheinwerfer
spielen, ist ihm sicher guter Erfolg beschieden . Bei den nächtlichen ' Patrouillenfahrten ist es nicht notwendig, daß der Zug beständig in Fahrt bleibt. Es empfiehlt sich , in einem Einschnitte oder hinter einer Höhe zu halten , hier für eine Stunde , dort für eine Stunde, dann wieder geräuschlos und langsam weiterzufahren . Bei jedem Halt ist an die Telegraphenleitung anzuschließen, um die neuesten Vorkommnisse zu erfahren . “
208
Moderne U-Boote.
XVI . Moderne
U-Boote.
Von Ingenieur Ernst Trebesius .
Besser und eindringlicher als Tausende belehrender Vorträge und Aufsätze es vermocht hätten , wurde dem deutschen Volk der hohe Wert seiner U- Boote
offenbart
durch
die
schier
unvergleichlichen
Heldentaten, die von der neuesten aller Seekriegswaffen gleich in den ersten Kriegsmonaten vollbracht wurden .
Wenn sich die Befürchtungen .
die uns gleich nach Kriegsausbruch bezüglich des Schicksals unserer jungen Kriegsmarine beseelten , sehr bald in starkes Hoffen und Vertrauen wandelte,
wenn wir heute über das Dräuen der
„ meerbe-
herrschenden Flotte spöttisch lächeln , dann verdanken wir es neben der Tätigkeit unserer größeren Kriegsschiffe und unserer Schlachtflotte in erster Linie unseren U-Booten, die in der Hand ihrer kühnen und wagemutigen Führer und Besatzungen zum Schrecken der Engländer wurden.
Eine Flotte, wie sie größer die Welt nimmer sah, in Schach
gehalten durch einige Dutzend dieser kleinen, unheimlichen Fahrzeuge. Fürwahr , kann es einen besseren Beweis geben für den unübertrefflichen Wert der Untersceboote im allgemeinen, und die Güte und Vollkommenheit des deutschen Materials im besonderen ? Durch den bisherigen Verlauf des Seekrieges ist aber nicht nur der hohe militärische Wert der Unterseeboote aufs eindringlichste bewiesen worden ,
sondern es scheint auch die Frage des geeignetsten
Typs geklärt zu sein .
Bekanntlich unterscheidet man zurzeit noch
zwei verschiedene Gattungen : Unterseeboote
und Tauchboote, beide
im allgemeinen als U-Boote bezeichnet , obwohl sie sich in ihrem Äußeren sehr bedeutend voneinander unterscheiden. Diese Form bewährt sich bei
dem hohen Wasserdruck, dem
die Fahrzeuge in größeren Wassertiefen ausgesetzt sind, am besten . Man hat sie daher auch bei dem Tauchboot beibehalten . Nur ist bei diesem der aus starken Stahlblechen bestehende Druckkörper noch von einem äußeren Körper aus schwächeren Stahlblechen umgeben. Und diese äußere Hülle hat die Form eines gewöhnlichen Fahrzeuges , etwa die eines Torpedobootes . Der Raum zwischen der Außen- und Innenhülle ist durch wasserdichte Querschotten in eine Anzahl Kammern eingeteilt .
In diese Kammern wird
das zum Tauchen erforderliche Ballastwasser (die Fahrzeuge können
Moderne U- Boote.
209
erst tauchen, wenn ihr Auftrieb durch künstliche Belastung -- Wasserballast
fast völlig aufgehoben ist) eingelassen.
Bei den Untersee-
booten hingegen wird das Ballastwasser in die im Innern der Boote vorgesehenen Kammern eingelassen. Der auf den Fahrzeugen ohnehin beschränkte Raum wird durch diese Kammern noch mehr eingeengt . Abgesehen etwaigen Sicherheit .
hiervon bietet Zusammenstößen
die
doppelte Haut des Tauchbootes bei
oder
Grundberührungen
eine
doppelte
Der größte Vorteil des Tauchbootes jedoch besteht darin,
daß sich seine Außenhaut in die zur Überwindung des Wasserwiderstandes günstigsten Formen bringen läßt, womit sich auch die Seetüchtigkeit und Seetätigkeit des Fahrzeuges ganz bedeutend erhöht . Die langen Fahrten unserer Tauchboote bis zur irischen See, nach dem Mittelmeer und gar nach Amerika haben denn auch die Richtigkeit dieser Theorie vollauf bestätigt. Das Bestreben nach einer möglichst hohen Geschwindigkeit und größerem Aktionsradius hat im Verlauf des letzten Jahrhunderts zu einer gewaltigen Deplacementssteigerung der Boote geführt . Eine Erhöhung der Geschwindigkeit ließ sich natürlich nur mit größeren Maschinen herbeiführen . Diese bedingten wiederum ein größeres Gewicht und größeren Brennstoffverbrauch in der Zeiteinheit. Da nun auch der Aktionsradius (darunter versteht man die größte Wegstrecke, die sich mit einem Schiff ohne Erneuerung der Brennstoffe erzielen läßt) vergrößert werden sollte, sah man sich veranlaßt, die Öltanks Dies alles konnte nur geschehen auf Kosten des Gewichtes, was ja gleichbedeutend ist mit einer Steigerung der Wasserverdrängung. Und so ging man damit höher und immer höher.
immer größer zu gestalten .
Von einigen hundert Tonnen Deplacement ist man inzwischen bei fast tausend Tonnen angelangt und noch ist darin kein Ende abzusehen. Hat doch England seinen neusten U- , Nautilus " sogar 2000 Tonnen Wasserverdrängung gegeben .
Dieser gewaltigen Schiffsgröße gegenüber
trifft die Bezeichnung „ Boot " eigentlich kaum noch zu ; treffender Und zum Unterseekreuzer mit müßte sie schon 99 Kreuzer" lauten . reicher Torpedoarmierung und einigen mittleren und kleineren Geschützen dürfte sich der Typ schon in absehbarer Zeit entwickeln . Weist doch das erwähnte englische Fahrzeug bereits zwei Stück 15 cm - Schnellfeuerkanonen auf ; ein Kaliber, wie es größer auch auf den kleinen Kreuzern nicht zur Verwendung gelangt. Zieht man nun in Betracht, daß der Nautilus auch noch mit einer Torpedoarmierung von acht Lancierrohren ausgerüstet ist, dann kann man diesen Typ schon jetzt mit Fug und Recht als Unterseekreuzer bezeichnen . Wie weit man in der Panzerung der Unterseeboote noch gehen wird , darüber lassen sich zurzeit ebenfalls nur Mutmaßungen hegen .
210
Moderne U- Boote.
Gegenwärtig begnügt man sich noch mit der Panzerung der Kommandokuppel, also des Teiles, der wegen seiner erhöhten Lage am meisten sichtbar, und zugleich von größter Wichtigkeit für das gesamte Fahrzeug ist, da in ihm der Führer seinen Platz hat und von hier aus. seine Befehle erteilt .
Vielleicht wird man später auch zur Einführung des Panzerdecks schreiten , da dem Unterseeboot in dem Wasserflug-
zeug ein nicht zu unterschätzender Gegner erstanden ist. gegen dessen Bomben man sich sichern muß . Und mit dieser Ausrüstung gleicht das Unterseeboot der Zukunft denn auch in der Tat dem kleinen Kreuzer .
Gelingt es gar, die Geschwindigkeit dieser Fahrzeuge noch um ein gut Teil zu erhöhen , dann wäre damit der Zeitpunkt gekommen , wo der 99 Unterseekreuzer" die Funktionen des kleinen Kreuzers mit übernehmen kann .
Er wäre dann für den Aufklärungsdienst die Ideal-
waffe . Wegen seiner geringen Erhebung über den Wasserspiegel für feindliche Schiffe nur wenig oder gar nicht sichtbar, könnte er die Funktionen eines Vorpostens zur See in vollkommenster Weise erfüllen und der eigenen Flotte unschätzbare Dienste leisten. Vorbedingung dazu ist freilich eine weit höhere Geschwindigkeit als sie jetzt den Unterseebooten eigen ist .
Und gerade auf diesem
Gebiet gilt es noch große Schwierigkeiten zu überwinden .
Ist man
doch zurzeit immer noch auf den Doppelbetrieb angewiesen . Für die Fahrt an der Oberfläche benutzt man entweder Explosionsmotoren oder Dampfmaschinen (die letztgenannte Gattung Kraftmaschinen immer seltener) und während der Fahrt unter Wasser wird das Fahrzeug durch Elektromotore fortbewegt. Dieser doppelte Antrieb ist erforderlich, da man während der Tauchfahrt die Abgase der Dampfmaschine oder des Motors nicht in das Bootsinnere hineinlassen kann.
Nun liegt
zwar der Gedanke nahe, sie einfach in das Wasser zu puffen , doch drückt dann dem auf der andern Kolbenseite wirkenden Druck des entzündenden Gasgemisches die Wassersäule entgegen,
wodurch sich
die Arbeitsleistung der Maschine gewaltig verringert . Sodann würde der Auspuff ins Wasser heftige Schläge hervorrufen. Ein lautloses Heranschleichen an feindliche Schiffe würde dadurch unmöglich, da das Wasser den Schall ganz vorzüglich leitet und die Schiffe zum Teil schon jetzt mit sehr empfindlichen Unterwasserschallapparaten ausgerüstet sind. Der Explosionsmotor eignet sich aber vor allem aus dem Grunde nicht für die Tauchfahrt , weil er zur rationellen Verbrennung der Brennstoffe große Mengen Luft benötigt. Da die Luft im Bootsinneren während der Tauchfahrt nicht von außen ergänzt werden kann , würde der vorhandene Vorrat sehr bald aufgebraucht sein. Dieser Betriebsart stellen sich also auf allen Seiten unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen.
Moderne U- Boote.
211 .
In früheren Jahren versuchte man das Problem auf die Weise zu lösen, daß man eine Dampfmaschine sowohl für die Fahrt an der Oberfläche als auch für die Unterwasserfahrt benutzte . Vor Antritt der Tauchfahrt löschte man die Feuer unter dem Kessel , verschloß die Schornsteine mit dicht abschließenden Klappen und trat dann die Weiterfahrt mit Hilfe der noch in dem Kessel vorhandenen Dampfmenge an. Naturgemäß konnte man damit nur kurze Strecken zurücklegen. Für ein modernes Unterseeboot kommt dieser Antrieb nicht mehr in Frage.
Wohl oder übel sah man sich gezwungen, seine Zuflucht zu
dem Doppelantrieb zu nehmen . Am gebräuchlichsten ist gegenwärtig der Explosionsmotor oder die Dieselmaschine für die Oberwasserfahrt und der Elektromotor für die Unterwasserfahrt. Während der Fahrt an der Oberfläche treibt der Explosionsmotor den als Dynamo laufenden . Elektromotor an, der die erzeugte elektrische Energie in einer großen Akkumulatorenbatterie aufspeichert.
Vor dem Übergang zur Tauch-
fahrt wird durch einfaches Umschalten einer Kupplung die Kraftmaschine von der Schraubenwelle gelöst und der Elektromotor treibt nun , die aufgespeicherte elektrische Energie nach und nach wieder verbrauchend , die Welle an. Der Doppelantrieb hat nun den unangenehmen Nachteil , daß er doppelten Raum in Anspruch nimmt und das Gewicht der Fahrzeuge ganz erheblich steigert. Vor allem die Akkumulatoren mit ihren schweren Bleiplatten machen einen großen Teil des Gesamtgewichts aus.
Ließe sich der Antrieb mit nur einer Antriebsart bewerkstelligen ,
dann könnte man diese Maschine größer und leistungsfähiger gestalten und auch der Vorrat des mitzunehmenden Brennstoffvorrates könnte eine bedeutende Steigerung erfahren . Es würde somit die Geschwindigkeit und der Aktionsradius in höchst erwünschter Weise vergrößert werden. können. Das Bestreben der Konstrukteure
ist daher schon
seit Jahren
auf die Erfindung eines sich sowohl für die Ober- als auch für die Unterwasserfahrt eignenden Motors , des sogenannten Einheitsmotors, gerichtet ; nur stellen sich der Lösung dieser Aufgabe die größten Schwierigkeiten entgegen . Von mancherlei Erfindungen und Konstruktionen , die bisher in dieser Richtung gemacht wurden, hat sich bisher noch keine als wirklich brauchbar erwiesen . Gelingt es jedoch , auch dieses Problem noch zu lösen ,
dann ist auch die letzte und
größte Schwierigkeit , die sich bisher der Unterwasserschiffahrt entgegenstellte, behoben , und ungeahnte Perspektiven eröffnen sich dem in die Zukunft schweifenden Blick.
212
Zur Beurteilung des Prinzen Heinrich von Preußen als Feldherrn .
XVII .
Zur Beurteilung des Prinzen Heinrich von Preussen als Feldherrn . (* 18. Januar 1726 , † 3. August 1802. )
Von 0. Herrmann.
Während Preußen-Deutschland, entsprechend der geringen politischen Veranlagung unseres Volkes, nur wenige bedeutende Staatsmänner hervorgebracht hat, finden wir in seinen militärischen Annalen , dank der hohen kriegerischen Begabung der Deutschen, neben Feldherren ersten Ranges wie Friedrich, Moltke und Hindenburg noch eine ganze Reihe von Namen tüchtiger Heerführer verzeichnet, die jenen ganz Großen mehr oder weniger nahekommen.
Freilich gerade über
dieses 99 mehr oder weniger " sind die Ansichten oft auseinandergewichen , und zwar wohl bei keinem in höherem Grade als bei dem Prinzen Heinrich , dem Bruder Friedrichs des Großen .
Bis auf eine vereinzelte
Stimme, die ihm Entschlossenheit und Unternehmungsgeist überhaupt absprach und ihn tief unter seinen königlichen Bruder stellte ¹ ) , wird ihm in der Literatur entweder der gleiche Rang wie Friedrich zugewiesen oder er erhält den zweiten Platz nach ihm oder er erscheint sogar noch bedeutender.
Die letztere Ansicht findet sich auch in einem
bisher ungedruckten Aufsatze, der eines allgemeineren Interesses nicht entbehrt.
Er umfaßt zwar nur die Kriegsführung des Prinzen in den
Jahren 1757-1759, stammt aber von keinem Geringeren als dem jüngeren Bruder Heinrichs, dem Prinzen Ferdinand von Preußen. Die Katastrophe von Maxen mit ihrem schweren materiellen und moralischen Verluste
die bösen politischen Folgen konnte er noch nicht übersehen
-schien ihm ein Ereignis zu sein , das nicht eingetreten wäre , wenn nicht Friedrich kurz zuvor den Oberbefehl in Sachsen übernommen , sondern Heinrich ihn weiter fortgeführt hätte, und dies veranlaßte ihn zu einem anonymen , wahrscheinlich an Heinrich gerichteten Schreiben , in welchem er, um diese Ansicht zu rechtfertigen , die Strategie der Brüder in den genannten Jahren einem prüfenden Vergleiche unterwarf. Ich lasse nun zunächst den französisch geschriebenen, im Königlichen Hausarchiv zu Charlottenburg befindlichen Aufsatz Ferdinands 1 ) Th . v. Bernhardi in dem Werke : Friedrich der Große als Feldherr, Berlin 1881 .
Zur Beurteilung des Prinzen Heinrich von Preußen als Feldherrn. in wortgetreuer Übersetzung folgen, anzuschließen.
213
um daran einige Bemerkungen
Brief eines Offiziers in preußischem Dienste. Sie beklagen mit Recht, mein Herr, die Katastrophe vom 20 . und 21. November, die in jeder Beziehung unheilvoll ist. 18 Bataillone, 35 Schwadronen und 9 Generäle machen, nach den Verlusten , die wir schon in diesem Jahr erlitten haben , eine neue große Einbuße aus , welche wir unter den gegenwärtigen Verhältnissen schwer wieder gutmachen können.
Daß sie aber gezwungen worden sind, die Waffen niederzu-
zulegen und sich bis zum letzten Mann zu ergeben , dadurch erreichen unsere Leiden erst den höchsten Grad. Ein so demütigendes und , im ganzen genommen, beispielloses Ereignis versetzt unserm Ansehen einen furchtbaren Schlag, und ich sehe schon, daß die Kühnheit unserer Truppen, ihr rühmliches Selbstvertrauen , welches uns so oft den Sieg verschafft hat, dadurch empfindlich geschwächt werden wird. Ich habe Ihnen , mein Herr, in meinem ersten Kummer geschrieben , daß
dieses Unglück uns
nicht widerfahren
wäre ,
wenn der Prinz
Heinrich den Oberbefehl über uns noch länger behalten hätte .
Sie
werden laut darüber aufgeschrieen haben wie über eine Gotteslästerung. Geduld, mein Herr ! Wenige Worte werden genügen, um Sie zu überzeugen und, wie ich hoffe, zufrieden zu stellen . Ich bin weit entfernt, unserm Monarchen seine großen Eigenschaften zu bestreiten , sicher bewundert sie niemand mehr als ich, aber muß man denn , weil er ein großer Krieger ist, nun auch behaupten, daß es niemals einen größeren Feldherrn (capitaine) als ihn gegeben hat ? Das mag sich eignen für das Vorzimmer eines fürstlichen Hofes oder für öffentliche, von der Politik diktierte Schriften . Unter Freunden ist man aufrichtiger, und Sie wissen , daß ich mich nicht gerne den Trugbildern des Enthusiasmus und noch weniger den Ich befürchte übrigens Einflüsterungen der Schmeichelei hingebe. nichts von meiner Aufrichtigkeit, selbst wenn sie dem Könige bekannt werden sollte. Kann er als Philosoph auf den Ruhm seines Bruders eifersüchtig sein? Den meines Helden gründe ich nun auf folgende Tatsachen. Die ganze
Armee
kennt
den
entscheidenden Anteil (la part
décisive) , den der Prinz an dem ruhmvollen Siege von Prag hatte, und wenn
man seinen Ideen gefolgt wäre,
hätten wir es nicht unter-
nommen, 10000 Mann ¹ ) bezwingen zu wollen , in einer sehr großen und von Bollwerken umgebenen Stadt , noch so viel günstige Zeit verloren und so viel Bomben und glühende Kugeln verschwendet, was nur
1) Wohl verschrieben statt 50 000.
214
Zur Beurteilung des Prinzen Heinrich von Preußen als Feldherrn .
den Erfolg hatte, Tausende unschuldiger Familien in tiefe Trauer zu versetzen und unsere Kriegsführung verhaßt zu machen .
Wir hätten
nicht den für unsere Armeen verhängnisvollen Tag erlebt, der uns zeigte, daß wir nicht unbesieglich waren . - Folgen Sie dem Prinzen nach
Roßbach,
befragen
Sie
Zeugen
der
Schlacht,
die
frei
von
Schmeichelei sind, und sagen Sie mir dann, ob er dort nicht großes Aufsehen gemacht hat (s'il y a paru grand) ; dabei will ich nicht einmal das von ihm vergossene Blut in Rechnung stellen. Seine Tapferkeit ist bekannt, keiner darf sich mit ihm in dieser Beziehung vergleichen, und unsere Feinde werden Ihnen sagen , daß sie ihn niemals auf der Flucht (par derrière) gesehen haben. Betrachten Sie ihn jetzt in den schwierigen Lagen, wo es sich weniger darum handelt anzugreifen als die Fortschritte eines an Streitkräften überlegenen Feindes aufzuhalten . als der König,
Erinnern Sie sich der Zeit,
voll Vertrauen auf sein Heer und sein Genie ,
Belagerung von Olmütz unternommen hatte.
die
Die Reichsarmee rückte
damals durch das Voigtland vor und es kam darauf an , sich mit wenigen Truppen in Sachsen zu behaupten. Auf den Prinzen Heinrich fiel damit die Bürde eines Auftrages, der schwer durchzuführen war, ohne daß man eine Schlappe erlitt, ohne Opfer zu bringen, ohne Anwendung unhumaner Auskunftsmittel : er wußte die Angriffslust des Feindes im Zaum zu halten und seine Fortschritte zu hemmen . Er verschaffte dem Könige volle Zeit, Olmütz zu nehmen, aber das Geschick hatte den Fall dieses Kriegsplatzes nicht bestimmt .
Die Be-
lagerung wurde aufgehoben, nachdem wir unsere Zeit und einen Teil unserer Hilfsmittel verbraucht hatten ; es stand zu befürchten, daß ein von der Armee Dauns abgezweigtes Korps den Prinzen anfallen und ihn so von allen Seiten einschließen würde . Mein Held verlor nicht den Mut ; sein Genie ergänzte, was ihm an Truppen fehlte, durch stolze Festigkeit , durch kluge Märsche, durch rechtzeitig besetzte Stellungen und durch die bewunderungswürdige Kunst seiner Rückzüge . Er wußte fast ohne Verluste einen mächtigen Gegner aufzuhalten und die Stadt Dresden, unser einziges Bollwerk, zu behaupten . Mittlerweile kehrte der König von seinem blutigen Zorndorfer Schlachttage zurück und mit martialischer Zuversicht rechnete er darauf, daß der Schrecken vor seinem Namen in dem österreichischen Feldherrn keinen andern Gedanken als den des Rückzuges aufkommen lassen würde . Er wird bei Hochkirch überfallen ; das Genie des Prinzen kommt der besiegten Armee zu Hilfe, er führt ihr eine mächtige Verstärkung zu, wodurch sie ihre
Verluste
wieder gutmachen konnte ; durch seine
Dispositionen setzt er eine Handvoll Soldaten instand, Dresden und den wichtigsten Teil Sachsens zu behaupten, und ich halte es für
Zur Beurteilung des Prinzen Heinrich von Preußen als Feldherrn .
215
eins seiner glücklichsten Erlebnisse, daß er nicht den Brand der unglücklichen Vorstädte dieser Residenz gesehen hat. Sein Herz schaudert vor solchen Mitteln zurück, und sein Genie braucht sie nicht. Überall versteht er es, sich zu verteidigen, ohne die Menschlichkeit mit Füßen zu treten, ohne sich durch einen Wall unschuldiger Personen und Völker zu schützen. Lassen Sie uns nun zu dem gegenwärtigen , ganz defensiv geführten Feldzuge kommen : er macht den Ruhm des Prinzen vollständig.
Nach der vom General Wedell verlorenen Schlacht nimmt.
der König die Elite seines Heeres, bricht auf, um die Russen zu bekämpfen und erliegt ; der Prinz bleibt mit einer geschwächten Armee zurück, um furchtbaren Streitkräften die Spitze zu bieten , die von einem Feldherrn geführt werden , dessen Fähigkeit zweifellos ist , da er stets unserm glorreichen Monarchen überlegen gewesen ist toujours en l'ascendant ) .
(il a
Hier entfaltete sich seine ganze Kunst, und
sicherlich brauchte er sie auch . Bald setzte er sich wie Pyrrhus¹ ) in unangreifbaren Lagern fest, bald macht er Märsche, die eines Hannibal würdig sind ; er verdeckt seine wahren Absichten durch entgegengesetzte Demonstrationen ; überall hält er den Feind in Schach und verhindert ihn ohne irgendeinen Verlust zu erleiden , an jeder Unternehmung. Aber das ist noch nicht alles, mein Herr. Während wir ihm durch die bloße Untätigkeit , wozu er unsere Feinde zwang, unsere Rettung verdankten , findet er Mittel, um selbst etwas zu unternehmen : er fällt in Böhmen ein, hebt feindliche Abteilungen auf und zerstört Magazine . Endlich täuscht er durch einen ewig denkwürdigen Marsch die Wachsamkeit eines Generals, der so oft die unsrige getäuscht hat, öffnet sich wieder die Verbindung mit dem Könige und mit Brandenburg, hebt unterwegs einen beträchtlichen Posten auf und nimmt Stellung in Sachsen .
Sie wissen , wie er sich dort gegen die so weit über-
legenen Streitkräfte des Feindes behauptet hat , ohne sich jemals eine Blöße zu geben . niemals .
Er rückt zunächst kühn vor , aber die Klugheit verläßt ihn Gezwungen , sich auf Torgau zurückzuziehen , nimmt er eine
so vorteilhafte Stellung, daß man zunächst nicht wagt, ihn daselbst anzugreifen . Der Marschall unternimmt es schließlich doch, aber der Prinz schickt ein Detachement ab und schlägt das Korps , welches ihm die Lebensmittel abschneiden wollte ; er bringt den Anschlag des Feindes auf Wittenberg zum Scheitern und zwingt ihn, zurückzuweichen. Der König will es noch besser machen, und ich wundere mich nicht darüber ; denn er hat ja so große Taten vollbracht ; aber übermäßiges Selbstvertrauen ist manchmal eine Klippe für die Helden . was daraus folgte.
Sie wissen ,
Ziehen Sie jetzt das ganze Verhalten (conduite)
1) So, statt Fabius.
216
Zur Beurteilung des Prinzen Heinrich von Preußen als Feldherrn.
des Prinzen Heinrich in Betracht , erwägen Sie die Klugheit seiner Maßregeln , die weise Umsicht bei seinen Bewegungen , und dann sagen Sie mir, ob Sie glauben, daß das Wagnis (aventure) von Maxen und Dohna Ich muß gestehen , unter seinem Befehle hätte stattfinden können . mein Herr, es freut mich sehr, daß dies Unglück dem Prinzen nicht angerechnet werden kann , und alle, die ihn kennen , werden ebenso denken wie ich.
Er vereinigt die sanften und liebenswerten Tugenden
mit denen des Kriegers und ist noch größer nach dem Siege als mitten im Kampfe.
Die Sachsen erweisen ihm Gerechtigkeit ; sie haben oft
gesehen , wie ihre Leiden ihn rührten. Der Respekt band ihm die Zunge, aber die Menschlichkeit, die stärker ist als Politik , malte den Schmerz auf sein Gesicht. Er würde sich nicht durch Taten im Stile eines Attila bekannt machen, und niemals werden ihm die schönen. Künste vorwerfen , zu haben .
ohne
Not ihre kostbarsten
Soweit Prinz Ferdinand .
Denkmäler
zerstört
Seine hier niedergelegten Ansichten sind.
wie erwähnt, in ihrer Haupttendenz für uns nicht gerade neu - wir finden sie schon in der unter dem Einfluß des Prinzen Heinrich entstandenen Literatur über den Siebenjährigen Krieg vertreten neu und eigenartig aber ist die Schärfe der Charakteristik und die Klarheit der Beweisführung , deutliche Zeichen für die Intelligenz auch dieses letzten Sohnes Friedrich Wilhelm I.
Inwiefern dürfen wir nun seinen Ausführungen noch heute
folgen ? Die hohe Anerkennung, die den Taten Heinrichs als Unterfeldherr und seinem Verteidigungssystem als Armeeführer gezollt wird, ist wohl kaum als übertrieben zu bezeichnen . So hat der Prinz nach den Untersuchungen
des
bekannten
österreichischen
Militärschriftstellers
v. Hoen (Wien 1911 ) in der Schlacht bei Prag durch rechtsseitige Flankierung der zweiten österreichischen Stellung hinter der HrdlorschezMaleschitzer Schlucht, die der König gleichzeitig von links her überflügeln ließ, jedenfalls sehr wesentlich dazu beigetragen, „ den Sieg zu vollenden " . Bei Roßbach führte er die Infanterie des Angriffsflügels, die zwar nur 99 in die Ferne feuerte ", aber die französische Infanterie. „ in der Flanke faßte " (nach v. Bülow) und so im Vereine mit den Angriffen der Kavallerie und dem Feuer der schweren Artillerie den schnellen Sieg ermöglichte.
Es war deshalb wohl mehr als ein bloßes
Kompliment, wenn der König ihm am Tage von Leuthen
schrieb :
„Heute, einen Monat nach deinem Ruhmestage, war ich so glücklich , Auch den persönlichen die Österreicher hier ebenso zu traktieren. " Mut des Prinzen
bei Prag wäre er wegen seiner kleinen Gestalt in
dem sumpfigen Gelände des Roketnitzer Baches fast versunken , bei
Zur Beurteilung des Prinzen Heinrich von Preußen als Feldherrn . Roßbach erlitt er eine ziemlich schwere Verwundung mit Ferdinand übereinstimmend anerkennen . Das Verteidigungssystem,
217
müssen wir
welches Heinrich, und zwar zuerst im
Jahre 1758, anwendete, hat Bernhardi , der Anhänger der sogenannten Niederwerfungsstrategie , besonders scharf getadelt. Aber der Siebenjährige Krieg war eben kein Niederwerfungs- , sondern ein Ermattungskrieg. in dem es oft genug galt, mit den Kräften haushälterisch umzugehen . Durch sein Kordonsystem gelang es dem Prinzen doch im Jahre 1758 nicht nur Sachsen , zuletzt sogar gegen eine gewaltige Übermacht, zu behaupten, sondern auch dem Könige die Offensive in Mähren (Olmütz ) und den Zug gegen die Russen (Zorndorf) zu ermöglichen und ihm nach der Niederlage bei Hochkirch noch Verstärkungen zuzuführen . Die Erfahrungen im jetzigen Weltkriege , dessen Charakter als Ermattungskrieg immer mehr hervortritt -- gewaltige Ausdehnung der Stellungen werden uns das (bis 5000 km) und häufige „ Umgruppierungen “ Verfahren des Prinzen Heinrich, sein System von Linien und seine Rückzüge, noch besser verstehen und höher bewerten lassen . Übrigens hat ja auch König Friedrich dem Prinzen nicht nur seit 1758 stets seine zweitstärkste Armee anvertraut und ihn in seinem militärischen Testament als Oberbefehlshaber empfohlen , sondern sich auch selbst in den späteren Jahren des Siebenjährigen und im Bayerischen Erbfolge . krieg teils aus militärischen teils aus politischen Gründen ebenfalls des Systems seines Bruders, und zwar nicht ohne Nutzen , bedient . So läßt sich wohl mit einem Zeitgenossen, dem geistvollen Behrenhorst, die Möglichkeit nicht bestreiten, daß der kluge Prinz bei veränderten Umständen sein System durch ein anderes zu ersetzen verstanden haben würde. Den Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht liefert schon Heinrichs Verhalten im Jahre 1759, in dem er wesentlich kühner als im Vorjahre auftrat . Nach seinem schönen Erfolg in Böhmen ", von dem der König sehr befriedigt sein konnte¹) " , übernahm er, während Friedrich gegen die Russen aufbrach , zunächst dessen Stelle in dem festen Lager von Schmottseifen am Queis, so den gegenüberlagernden Marschall Daun in Schach haltend . Als dieser aber, nach Friedrichs Niederlage bei Kunersdorf, sich zugleich mit den Russen zwischen ihn und das Heer seines Bruders schob , da trennte er erst beide feindliche Armeen durch das Vorrücken nach Sagan und zwang dann durch seinen schnellen Zug nach Görlitz den Marschall Daun , ganz vom Könige abzulassen.
Es war ein Entschluß ,
„ der auf die Denkungsart seines
¹) Die hier und weiter unten hervorgehobenen Stellen nach dem neuen Generalstabswerke über die Kriege Friedrichs des Großen, und zwar Band 9 „ Bergen " (Berlin 1911 ) und Band 11 „ Minden und Maxen " (Berlin 1912 ) .
218
Zur Beurteilung des Prinzen Heinrich von Preußen als Feldherrn .
Gegners berechnet war und dessen Ausführung mit Tatkraft und Geschick erfolgte, so daß sich die Kriegslage wesentlich zugunsten der preußischen Waffen veränderte " ; durch diesen Vorstoß gegen die Verbindungen des Gegners gelang es ihm, 99 die gefährliche Krisis, in der sich der König noch immer befand, zu beschwören ". Der spätere Entschluß zu seinem Marsche an die Elbe ( „ nimmt Stellung in Sachsen " , sagt Prinz Ferdinand ) ist allerdings nicht frei in ihm entstanden , sondern er unternahm ihn auf Verlangen des Königs , sein eigenes Werk war aber die Ausführung dieses Marsches,
der
wiederum mit hohem Geschick erfolgte, obwohl sie dadurch erschwert wurde , daß gerade um diese Zeit Feldmarschall Daun von Bautzen gegen Görlitz vorging" .
Durch das Gefecht bei Hoyerswerda
( „ er
rückt zunächst kühn vor“ , sagt Ferdinand) zersprengte er das überraschte Korps des Generals Vehla ; dieser selbst wurde mit 28 Offizieren und 1784 Mann gefangengenommen , der preußische Verlust betrug nur 44 Daß er dann, wie Ferdinand behauptet, „geTote und Verwundete. zwungen“ wurde , sich auf Torgau zurückzuziehen , wird zwar von unserm Generalstab bestritten , der mit König Friedrich der Ansicht ist , er hätte seine Stellung bei Strehla nicht aufgeben, sondern Daun angreifen sollen , aber die verhältnismäßig geringen Streitkräfte des Prinzen¹ ) sowie die Notwendigkeit , sie intakt zu erhalten, mußten ihm diesen Entschluß doch sehr nahe legen .
Glänzend bewährte er sich darauf wieder in
dem Gefecht bei Pretzsch (nordwestlich von Torgau).
Hier gelang es ihm,
dem Arenbergschen Korps, welches ihn umgehen sollte , unter eigenem Verlust von nur etwa 100 Mann 1300 Gefangene abzunehmen ; dabei waren seine Anordnungen, welche nach dem Generalstabswerke „auf Vernichtung des Gegners zielten" , leider nur unvollkommen durchgeführt worden, da eines seiner Korps nicht zum vollen Einsatz seiner Kräfte kam und nicht energisch genug nachdrängte . Diese Niederlage sowie die Nachricht von dem Rückmarsch der Russen und der Annäherung starker preußischer Truppen ( von der 1 ) Ein Verteidiger Heinrichs gegen Bernhardi weist darauf hin , daß Friedrich die Streitkräfte seines Bruders den feindlichen gegenüber falsch eingeschätzt habe. Es standen nicht 49 preußische Bataillone ohne die Freibataillone gegen 56 österreichische, vielmehr ergaben sich für die Feinde einschließlich der Reichsarmee 80000 Mann , also etwa die doppelte Übermacht Friedrich selbst stand damals , wie er schreibt, mit 30000 gegen 50000 Mann , und doch griff er nicht an. 99 Bedenkt man nun endlich noch, daß der Prinz der österreichischen Hauptmacht gegenüber stand - und die Österreicher waren die gefährlichsten Feinde der Preußen im Siebenjährigen Kriege so wird man das Benehmen Heinrichs , der keine Schlacht und zwar Offensiv schlacht wagen wollte, der in fast einem Monat nur etwa 4 Meilen zurück manövriert wurde, nicht so unklug finden."
Zur Beurteilung des Prinzen Heinrich von Preußen als Feldherrn. Armee des Königs)
219
machte auf den Marschall Daun einen solchen
Eindruck, daß er beschloß , „ den Rückzug hinter den Plauenschen Grund bei Dresden anzutreten “ .
Prinz Heinrich folgte dem abziehenden Gegner
und kündigte den ihm unterstellten General Finck an, daß er ihn über Freiberg und Dippoldiswalde in dessen Rücken entsenden werde . „ Er beabsichtigte , den Gegner durch Bedrohung und Störung seiner rückwärtigen Verbindungen weiter zurückzudrängen , womöglich zur völligen Preisgabe Sachsens und seiner Hauptstadt zu veranlassen . "
Wir müssen
es mit Ferdinand für schr wohl möglich halten , daß ihm dieser Plan geglückt wäre, da er mit großer Vorsicht operierte - das in Avantgarde und Haupttrupp gegliederte Umgehungskorps stand durch ein Detachement mit der Armee Heinrichs in Verbindung ―― und Daun sich mit dem Gedanken , ganz Sachsen zu räumen, schon vertraut gemacht hatte. Soweit können wir also dem Prinzen Ferdinand zustimmen. noch mehr :
es läßt sich nicht bestreiten ,
Ja
daß der König an dem
unglücklichen Ereignis von Maxen mit schuldig ist. Finck solle mit dem ganzen Korps nach Maxen
Seiner Weisung , abrücken ,
lag
allerdings nur die Absicht zugrunde, jenen Gedanken des Prinzen Heinrich noch wirksamer durchzuführen “ . Fincks Auftrag führte ihn jedoch
in eine gefährliche Lage" ; seine Aufstellung bei Maxen (ost-
nordöstlich von Dippoldiswalde) wurde unhaltbar, sobald der Gegner auf Dippoldiswalde marschierte. wenig beachtet
Diese Möglichkeit hat der König „ zu
und aus Verachtung des Gegners, die ihm ja auch
Ferdinand vorwirft, zu sicher mit dessen Abmarsch längs der Elbe nach Böhmen gerechnet . Er glaubte , trotz der Erfahrung von Hochkirch, nicht an eine Initiative Dauns. Deshalb unterließ er es auch, mit dem zur Umgehung bestimmten Korps Verbindung zu halten, wie es Prinz Ferdinand von Braunschweig kurz zuvor bei Minden getan hatte. ―― Finck selbst aber wagte wozu er einen Tag lang noch die Möglichkeit hatte nicht, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und nach Südwesten , gegen Freiberg hin , abzubauen, weil er den Tadel des Königs, der ihm öfter schon „ Irresolution " und 99 schwarze Ideen " vorgeworfen hatte, mehr als den Angriff des weit überlegenen Gegners fürchtete. So gewiß es nun aber auch ist, daß Heinrichs militärische Tätigkeit in den drei Jahren von 1757-1759 volle Anerkennung verdient (von den drei letzten Jahren des Siebenjährigen Krieges gilt übrigens dasselbe), und so wahrscheinlich es uns dünkt, daß er bei Maxen besser als der König abgeschnitten hätte , so gänzlich verkehrt ist doch nun Ferdinands weitere Schlußfolgerung, daß Heinrich auch als der größere Feldherr angesprochen werden müsse .
Der junge Prinz, so klug er sonst war, läßt doch hier
jede gesunde Urteilskraft vermissen, und zwar lediglich deshalb, weil 16 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 554/555.
220
Zur Beurteilung des Prinzen Heinrich von Preußen als Feldherrn .
er völlig im Banne Heinrichs stand und sich dessen Abneigung gegen Diese Abneigung, deren Gründe
den König hatte suggerieren lassen .
hier nicht untersucht werden können, war bei Heinrich so groß, daß er, wie sogar sein ihn sonst verherrlichender französischer Biograph sagt, sich dadurch, nicht zu seinem Ruhme, hinreißen ließ, die Talente „ eines so einzigen Mannes wie Friedrich “ herabzusetzen oder zu ignorieren . Ebenso wie Heinrich urteilt nun auch Ferdinand durchaus befangen und einseitig über den König, wobei er sich auf seine 99 Aufrichtigkeit “ Indem er Heinrichs fragwürdige Menschlichkeit noch etwas einbildet. die schärfste Kriegsführung ist bein der Kriegsführung hervorhebt kanntlich die menschlichste, weil sie dazu dient, den Krieg abzukürzen beschuldigt er Friedrich , ein Attila zu sein , der durch das Bombardement von Prag und das Abbrennen der Dresdener Vorstädte unschuldige Menschen ins Verderben gestürzt habe,
während doch hier nicht
von unnützer
Grausamkeit, sondern nur von militärischen Notwendigkeiten die Rede sein kann und die sonstigen Zwangsmaßregeln gegen die Sachsen nur Repressalien waren . Er spricht von dem „ blutigen " Tage von Zorndorf und erwähnt die Fehlschläge bei Kolin , Olmütz, Hochkirch, Kunersdorf und Maxen , aber er hat kein Wort der Anerkennung weder für den schnellen Marsch des Königs von der Zorndorfer Gegend zur Elbe , „eine Leistung höchster Tatkraft ", wodurch Prinz Heinrich aus seiner gefährlichen Lage befreit wurde, noch für die ruhm- und erfolgreichen Feldzüge von Prag, Roßbach und Leuthen , obwohl er selbst in letzterer Schlacht unter den Augen seines königlichen Bruders mitgefochten und dieser ihn zwei Tage vorher zum Generalleutnant befördert hatte . Die Erfahrungen des jetzigen Weltkrieges, die uns lehren , daß auch in einem Ermattungskriege mit der kunstreichsten Defensive allein nicht durchdenn wo und wie ständen wir heute ohne unser kühnes zukommen ist Vordringen in Belgien und Frankreich, in Polen und Kurland , in Serbien , Rumänien und Italien . Diese Erfahrungen standen ihm freilich noch nicht zu Gebote, aber er mußte aus der Geschichte der früheren Kriege wissen , daß auch bedeutende Ermattungsstrategen wie Prinz Eugen und Marlborough ihre Erfolge doch in erster Linie dem Aufsuchen von Entscheidungsschlachten verdankten .
Und so werden wir bei der End-
scheidung der Frage, ob Friedrich oder Heinrich der Größere war, nicht ihrem jüngeren Bruder, sondern vielmehr dem Friedrichsbiographen Kofer Recht geben, wenn er sagt, man müsse zur Grundlage der Beurteilung nicht die Fehlerlosigkeit Heinrichs bei der Lösung seiner meist defensiven Aufgaben machen , sondern "9 das ungeheure moralische Übergewicht, welches Friedrichs Wagemut , Schlachtenfroheit und Kampfesschrecklichkeit den preußischen Waffen in einem Grade verschaffte, daß die Gegner nach den ersten schlimmen Erfahrungen einen politischen
Zum derzeitigen Stellungskrieg in seinen Kampfbedingungen .
221
Offensivkrieg, widersinnig genug, andauernd in der taktischen Defensive führten". Namentlich wegen dieser aus Zuversicht, Ehrgeiz und Selbstvertrauen geborenen andauernden Kühnheit , die doch niemals in Tollkühnheit. ausartete, nimmt Friedrich unter den Feldherrn des Siebenjährigen Krieges , um von anderen zu schweigen , unzweifelhaft die erste Stelle ein ; den Anspruch auf einen Platz im zweiten Gliede aber wollen wir seinem Bruder, neben dem Prinzen Ferdinand von Braunschweig, nicht streitig machen .
XVIII .
Zum derzeitigen Stellungskrieg
in
seinen
Kampfbedingungen .
Von Woelki , Oberst z . D.
Der zeitige Stellungskrieg ist von Anfang an eine noch ungeklärte Erscheinung; es soll auch hier nicht auf die inneren Ursachen, seine wirkliche Berechtigung, ob und wie weit er durch die Umstände unvermeidlich geworden, geplant oder notgedrungen aufgenommen ist, wie auch weiter : sich bewährt oder als verfehlt erwiesen hat u . dgl. m. , eingegangen werden . Das zu untersuchen, dazu ist die Zeit noch nicht gekommen ; wohl aber dürfte es jetzt schon, auch bei Beachtung aller noch gebotenen Rücksichten , lohnen , die auffälligsten Erscheinungen der Taktik und Technik, wie sie aus den veröffentlichten Berichten . hervorgehen, daraufhin zu betrachten und unmaßgeblich festzustellen , wie sie sich aus dem Wesen der Dinge und Vorgänge erklären und womöglich welche Nutzanwendung ihnen danach zuzusprechen ist . Wobei aber noch , neben und nach seinem Entstehen , besonders die Wandlungen in Betracht kommen , die der Stellungskrieg, namentlich im Westen, erfahren hat ; wie solches u. a . auch letzthin unter dem 1. Juli im „ Tag “
unter der Überschrift : „ Die deutsche Verteidigung,
zum Gedächtnis der Sommeschlacht " , hervorgehoben ist , und in den - hier Platz finden mag: auch als Beleg
Hauptsätzen „ Das
deutsche
Verteidigungssystem
war,
obgleich
mit
allen
Mitteln ausgebaut, bei Beginn der Sommeschlacht dem damaligen An16*
222
Zum derzeitigen Stellungskrieg in seinen Kampfbedingungen .
sturm
nicht gewachsen .
Die deutsche Führung,
die bisher in der
Hauptsache offensiv operiert hatte, war auf solche Angriffsmethoden nicht eingestellt. Die eigene Artillerie war unterlegen, die Munitionsherstellung überholt, die wenigen Flieger aus dem Felde geschlagen . Bis zur Arrasschlacht entstand dann das, was die Kriegsgeschichte einst mit hohem Ruhm die „Abwehrschlacht " nennen wird.
Es kann
heute ruhig gesagt werden : Deutschland hat eine Form der Verteidigung gefunden , an der jeder Angriff hoffnungslos zerschellen muß. Gewiß, einzelne Erfolge mag der Gegner haben , wie den an der Vimy-Höhe , obgleich auch er nur einem Zufall zu danken ist . Aber um was heute an der Westfront gekämpft wird, das sind nach festungsmäßigen Begriffen nichts anderes, als weit vorgeschobene Vorpostierungen vor den eigentlichen Kernwerken, 40, 50 und 60 km tief geht heute das deutsche Befestigungssystem.
Und dabei handelt
es sich nicht etwa um durchlaufende Linien , die preisgegeben werden müßten, wenn sie an irgendeiner Stelle durchbrochen sind, sondern ein sinnvolles System sich schneidender und kreuzender Riegel- und Absperrgräben läßt den Feind im großen wie im kleinen sich totlaufen. Taktisch hat die Abwehrschlacht die Form der elastisch- offensiven Defensive gebracht, das System des Gegenstoßes von Stoßtrupps der Kompagnie an bis zur division . Technisch brachte
weit rückwärts aufgestellten Gegenstoß-
uns die neue Form der Verteidigung die
immense Steigerung der Abwehrartillerie, lichen
Batterienester,
die
die Vergasung der feind-
Tankabwehrgeschütze ,
den
vollendeteren
Flugdienst und vor allem die leichten Maschinengewehre. Wohl lag (auch zuletzt) vorn auf den umkämpften Gräben ein schauerlicher Geschoßhagel .
Aber
für
die rückwärtigen Stellungen,
für die Batterien und Anmarschwege reichte es nicht mehr.
Kaum
behindert, entwickelte sich mit ruhiger Präzision der deutsche Gegenstoß. " Ohne hierauf, und wie schon gesagt, auf die weiteren , inneren Gründe einzugehen, wird es hier wohl genügen , daran zu erinnern , daß es tatsächlich im September 1914 zum Stellungskrieg kam, als auf dem Rückzuge von der Marne die deutsche Armee im Zuge der Aisne wieder Front
machte
und die Angriffe
sowie die sich ent-
sprechend ausdehnenden Umgehungsversuche der nachfolgenden Gegner nicht nur zurückwies , sondern nach dem Satz : „ die beste Parade ist der Hieb " , ihrerseits es nicht unterließ, an gegebener Stelle und Zeit zum Angriff überzugehen : es ergab sich so der Stellungskrieg als Erstarrung oder Verebben des Bewegungskrieges .
Zum derzeitigen Stellungskrieg in seinen Kampfbedingungen.
223
Auf Hunderte von Kilometern auseinandergezogen, lagen sich nun die Gegner in nächster Nähe gegenüber , und dies war nur durch die Verteidigungskraft ermöglicht, welche sich als der neuen Bewaffnung, in erster Linie mit Maschinengewehren, aber auf unserer Seite auch schon mit der bald herangezogenen , vermehrten und verbesserten Fußartillerie eigentümlich herausgestellt hatte. Man schätzte diese Verteidigungskraft damals allgemein so hoch ein, daß man über sonstige nicht unerhebliche Mängel der über alle möglichen Geländeteile und Bedeckungen hinlaufenden Linie wie über die stellenweise unmittelbare Nähe des Gegners hinwegsehen zu können vermeinte. Die Stellung, wie sie sich aus den Zufälligkeiten der vorangegangenen Kämpfe ergeben hatte, genügte zunächst vollauf, und Mängel, sofern sie nicht sofort als unerträglich hervortraten und nach Möglichkeit beseitigt waren, wurden um so weniger bewertet, als es der allgemeinen Stimmung und Auffassung nicht entsprach, mit schier endlos dauerndem Gebrauch, geschweige mit weiterer Entwicklung des Stellungskrieges zu rechnen . Nicht, daß man die Befestigung, den Ausbau wie die Verstärkung verabsäumte oder gar etwas unterließ, soweit dies eben als nötig und dringlich erkannt war ! Man verstärkte vielmehr allgemein die Schützengräben , versah sie mit allen zugehörigen Einbauten und verstärkte diese immer mehr ; man verbreiterte und verstärkte das Drahthindernis , besonders wo das freie Schußfeld bzw. die Entfernung bis zur feindichen Stellung nur beschränkt bzw. weniger als 100 m betrug, wogegen 250 m Schußweite als ohne weiteres ausreichend angesehen wurde. Im
übrigen aber behielt man allgemein die einmal eingenommene Stellung selbst als solche bei , wie sie aus den Kämpfen hervorgegangen
war : als eigentliche und Hauptkampflinie, als die „ eine " Linie , um welche eben, nach der damals vorherrschenden Ansicht, der Kampf gehen sollte !
Wohl dauerte es nicht allzulange, bis das Bedürfnis nach Vermehrung der Linien und Stellungen sich geltend machte, und man solches sogar theoretisch wohl übertrieb. Aber auch dann und
wo solche „ Vertiefung
der Stellung tatsächlich eintrat , blieb zunächst
noch die am meisten ausgebaute, eben die vorderste Linie auch diejenige Stellung, in der die feindlichen Angriffe erwartet und angenommen wurden, und dies um so mehr, als man sich darauf berufen konnte, daß es so noch regelmäßig gelungen war, die feindlichen Angriffe abzuweisen.
Bis zu den Sommekämpfen 1916 , in denen sich eben ein
völliger Wandel der bisherigen Kampfbedingungen übermächtig Geltung verschaffte. Vor allem infolge des Umstandes, daß unsere Gegner, weit
entfernt davon ,
unsere vorangegangenen Erfolge in der Über-
legenheit der personellen, zumal geistig-moralischen Kräfte unserer Truppen zu finden, oder gar anzuerkennen, ihre Mißerfolge allein damit zu
224
Zum derzeitigen Stellungskrieg in seinen Kampfbedingungen.
erklären suchten , daß sich die deutsche Kriegsvorbereitung, namentlich aber die Artillerie, der ihrigen überlegen erwiesen hätte . Daraufhin wurden , unter Schlagworten wie:
Die Masse der Munition wird.
den Krieg entscheiden “ , ihre Zahlenüberlegenheit, unter Aufgebot aller zu Gebote stehenden reichlichen Kräfte und Hilfsmittel, einschl, derjenigen von Nordamerika, ihre Kampfmittel auf, unter und über der Erde in bisher ungekannten und ungeahnten Massen und Maßen ergänzt, verbessert und vermehrt und in viele Monate langer Vorbereitung an den für ihre Angriffe bestimmten Stellen angehäuft und damit in der Tat noch nicht dagewesene Wirkungen erzielt. Es gelang ihnen , vgl. die oben angezogene Darstellung im „Tag " , die vordere Stellung, in voller Breite des Angriffsfeldes, allgemein ,
also einschließlich der
Hindernisse und Unterstände zu zerstören , die dahinter liegende Zone im entscheidenden Moment mit „ Sperrfeuer" abzuschließen, dazu noch die weiteren Zugänge und Zufuhrstraßen wie auch die erkundeten und vermutlichen Reservestellungen bis auf 10 km Entfernung -- unter ausgiebiges Feuer zu nehmen und somit die Stellung allem Anscheine nach durchaus sturmreif zu machen. Und es bedurfte denn auch eines seltenen Opfer- und Heldenmuts, wie der äußersten Aufbietung und Anspannung aller Beteiligten, um den unmittelbar und geschickt angesetzten Stürmen standzuhalten . Zunächst wenigstens.
Aber auf die Dauer war dies nur noch
dadurch zu erreichen, daß man dem Gegner auf dem von ihm eingeschlagenen Wege der stärkeren Ausnutzung der Technik und deren Hilfsmittel folgte . Verständigerweise freilich nach Maßgabe der wirklich vorhandenen Bedürfnisse und tatsächlich bewährten Mittel, also , daß man nicht eigenartige Einzelfälle als Norm oder außerordentliche Leistungen als Regel ansah ;
so z. B. auch nicht die Artillerie als
,,nunmehrige Hauptwaffe" und „ conquérante " hinstellte, vielmehr auch hierbei daran festhielt, daß in dem Zusammenwirken aller beteiligten Kräfte, Faktoren und Truppen der Erfolg sicherer begründet liegt, auch daß dies Zusammenwirken um so wichtiger geworden ist , je größer die Mannigfaltigkeit, Zahl und Masse der beteiligten Kräfte und Mittel ist , je mehr Geltung davon und dabei den moralischen Kräften . der Mannhaftigkeit und Vaterlandsliebe zukommt bzw. bei Zuweisung der Aufgaben Rechnung zu tragen bleibt.
In diesem Sinne organisiert
und eingesetzt, werden eben nicht nur hervorragende Einzelleistungen ( wie der Flieger , Handgranatentrupps, U-Boote usw. ) am besten ausgenutzt und der Angriffsgeist gefördert , sondern auch der Massenerfolg weiter und mehr gesichert, indem das Selbstbewußsein nicht nur erhöht und verallgemeinert, sondern auch die überlegene Kriegstüchtig-
Zum derzeitigen Stellungskrieg in seinen Kampfbedingungen . keit,
vermöge
der besser begründeten Einübung
225
und gesicherteren
Disziplin, gefördert und gefestigt wird . Aus den zahlreichen Berichten über die letzten großen Abwehrkämpfe im Westen , wie auch aus der Auffassung zuverlässiger Beurteiler (vgl . u . a . Mil.-Woch.-Bl. Nr. 197 ,
199-201 , v. Blume) geht
zunächst besonders die gewaltige Vermehrung und Wirkung des Fernfeuers über weite, verheerte Räume hin als das Eindruckvollste und zumeist , wenn auch nicht ausschließlich , Vorherrschende, deutlich hervor , vielfach unterstützt und ergänzt durch die Tätigkeit der Lufttruppen einerseits, wie des weiteren in mannigfachem Wechsel, durch die technischen Neuheiten an Minenwerfern , Flammenwerfern , Gasbläsern und Gasgranaten usw. bis zu den Tanks, die die Stürme vortragen sollen . Davon und dabei fällt bekanntlich den Lufttruppen noch eine besondere , sehr wesentliche Rolle zu, indem erst mit ihrer Hilfe ein einigermaßen sicheres Schießen durch Finden , Festhalten und Beobachten der Ziele ermöglicht wird, allerdings nur unter der Voraussetzung einer wenigstens zeitweisen Behauptung, wenn nicht gar Überlegenheit der diesseitigen Flieger usw. einschließlich entsprechend günstiger Luftverhältnisse. Im übrigen aber bleibt das planmäßig verteilte Massenfeuer , wenn auch in verschiedener Abwechslung und Steigerung, der Grundton, Rahmen und Kette der Kampfhandlung, desgleichen das Mittel für recht verschiedene Aufgaben , sei es nur örtlich , wie Zerstörung der Hindernisse, Unterstände, Feuerstellungen , Unterbindung des feindlichen Verkehrs usw. ,
oder zeitlich und örtlich, als Sperr- und Ge-
legenheitszielfeuer zur Unterstützung der Abwehr und diesseitiger Offensivunternehmungen . Es liegt da auf der Hand , daß für all diese Aufgaben , auch abgesehen von dem feindlichen Gegenspiel, eine Unsumme von Umständen in Frage und Betracht kommen, die sich der völligen Übersicht und dauernden Kontrolle entziehen . Handelt es sich doch nicht nur um die Massen, die neuerdings eingesetzt werden , sondern damit auch um die entsprechenden Maße, Weiten und Räume, die zu überspannen und auszugleichen auch die schärfsten Fernrohre und weit esttragenden Geschütze wie leistungsfähigsten Verbindungen nur noch recht bedingt hinreichen . Die Schwierigkeiten wachsen hierbei jedenfalls weit mehr, als sie mit dem Quadrat der Entfernung" zum Ausdruck gebracht werden könnten. Und dies ganz besonders , je umsichtiger und kräftiger die Gegenwirkungen sich geltend machen! Und diese Umstände sind es eben, die mit zwingender Gewalt zu einer entsprechenden Tiefengliederung hinführen , also , daß diese ein Hauptmoment der Verteidigung wird . Ihr , der Verteidigung, Schwerpunkt muß nachgerade, den erweiterten Tragweiten der wirksamsten Waffen entsprechend, weiter als vordem .
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Zum derzeitigen Stellungskrieg in seinen Kampfbedingungen.
zurück verlegt werden , wenn und wo eben der Angreifer seine Mittel so weit zu vermehren Gelegenheit hat, noch daran verhindert wird , daß er eine gewisse Zone von einer, seiner Überlegenheit entsprechenden Tiefe unhaltbar machen kann .
Wobei als Aufgabe für den Verteidiger
nur bleibt, zu verhindern , daß diese fragliche Zone nicht zu seinem Schaden über das unumgängliche Maß erweitert, sondern nur möglichst flach für den Angreifer selbst benutzbar bleibt. Das ist denn auch die Zone, in dem sich, zumal bei einander gewachsenen Gegnern , die heftigsten Nahkämpfe mit Handgranaten usw. abspielen . Ohne rechte Übersicht und eigentliche Führung kann auch die rückwärtige Verbindung nur eine sehr bedingte sein, die oft genug verloren geht !
Wo aber
auch , nach Umständen , beiderseits größere Unternehmungen angesetzt werden , ja u . U. selbst Batterien auffahren und Kavallerie anreiten kann ! So schwer es nun auch immer sein mag, sich ein zutreffendes Bild von dem Wesen und Verlauf der neuzeitlichen Kampfhandlungen zu machen, die durch die Mannigfaltigkeit und Gewalt der Mittel wie die Ausdehnung, Weite und Unübersichtlichkeit der Räume und Massen in fortwährendem Wechsel hervorgerufen werden ; soviel dürfte jedem nachgerade einleuchten, daß es ganz besonderer Vorsorge und Anspannung aller Beteiligten, ja , erst günstiger Umstände bedarf, um selbst so einfach lautende Maßnahmen , wie Feuerüberfälle, Niederhalten feindlicher Sturmtruppen in ihren Sammelstellen und wirkungsvolles Sperrfeuer durchzuführen,
sowie mehr noch ,
daß dies nur solange und soweit
möglich ist, als die eigenen Fernfeuerwaffen (Artillerie und Minenwerfer) noch intakt wie der Art und Zahl nach denjenigen des Feindes gewachsen sind.
Auch, daß ferner dazu nicht nur eine entsprechend genügende
Beobachtung, sondern auch eine Schutzzone davor gegen Nahangriffe gehört.
Wie, daß endlich die volle Ausnutzung der Fernwirkung
nur durch eine, der heutigen Tragweite der Hauptwaffen entsprechende, tiefere Zone wie früher gewährleistet wird, die ,
an sich übersichtlich ,
dem Angreifer keine wesentliche Deckung bietet, seine Annäherung von möglichst weit her erschwert, wenn nicht verhindert.
Ist doch auch
von jeher das In- Stellung-gehen, Ansetzen und Vortreiben des Angriffs von weit her als der schwierigste Teil eines Angriffs auf eine vorbereitete Stellung angesehen worden, wobei dem Verteidiger noch die meisten Vorteile und besten Aussichten zufielen ! Wie denn auch ein möglichst weites, freies Schußfeld allgemein, sicher aber dann von Vorteil ist und bleibt, solange man es eben beherrscht !
Daß also zur dauernden Sicherung, wie Bewachung des Vorgeländes mit den darin etwa aufgestellten Fernkampfmitteln , eine möglichst weit vorgeschobene Stellung nicht zu entbehren ist, bedarf wohl nach
Zum derzeitigen Stellungskrieg in seinen Kampfbedingungen .
227
allem nicht noch einer weiteren Begründung . Ebenso nicht , daß diese Linie sich nicht ernstlichen, ausgiebigst vorbereiteten Angriffen gegenüber als Hauptverteidigungsstellung, verteidigt werden soll, eignet .
d. h. einer solchen, die nachhaltig Wie denn auch nach den Berichten
(auch amtlichen) diese vordere Stellung nunmehr, wenigstens auf den besonders gefährdeten Strecken , aus einem System äußerlich unscheinbarer Verteidigungsgräben besteht,
die nach Bedürfnis und Wahl besetzt ,
gewechselt und aufgegeben werden, so die vorderste Kampflinie möglichst beweglich, elastisch gestaltend, der Verteidigung einen Rückhalt bietend und doch sie möglichst wenig beschränkend .
Dann aber und dem
gegenüber erscheint zur nachhaltigen , dem Wert der allgemeinen Stellungnahme wie Kriegslage entsprechenden Verteidigung um so mehr unumgänglich , eine weitere Verteidigungsstellung zu nehmen und zu befestigen, damit sie mit den Hauptkräften , unter Ausnutzung aller möglichen Hilfsmittel, bis zum Äußersten festgehalten und behauptet werden kann.
Über ihre Lage und Verhältnis zu der vorerwähnten
Vorpostenstellung, zu der Aufstellung der Fernfeuerwaffen , wie auch zu einer noch etwa vorbereiteten Reservestellung, kann - zunächst eine bestimmte , allgemeingültige Angabe hier nicht
wenigstens
gemacht werden.
Sie wird und muß eben in jedem Einzelfalle von
den so mannigfachen Begleitumständen wie Kräften , An- und Absichten abhängen .
Daß aber an solchem Erfahrungs- und Grundsatz wie, daß
das Zusammenwirken aller beteiligten Kräfte und Treffen vor allem - in Ansehung festzuhalten ist, so groß auch immer die Schwierigkeit — der heutigen Tiefenwirkungen bzw. der dazu gehörigen Entfernungen dem nachzukommen erscheint, das lohnt sich denn doch wohl immer wieder zu betonen , um so zur Klärung in Erkenntnis und Auffassung der vorliegenden und in Aussicht stehenden Verhältnisse wie dessen, für die Wahl und Einrichtung der Hauptverteidigungsstellung
was
vorteilhaft und möglich ist, beizutragen , um ihr die beste Unterlage zu liefern . Wenn nun auch die Rücksicht auf das Zusammenwirken in erster Linie den Abstand der Treffen, d. h. der Haupt- von der Vorstellung bedingt, so wird diese Entfernung doch wieder noch wesentlich davon abhängen, ob der Nachdruck auf die Beherrschung und Unterstützung des vorliegenden Geländes mit zugehöriger Stellung, oder auf die Sicherung der eigentlichen Haupt- oder Kampfstellung zu legen angezeigt ist, bzw. ob die Offensive im Auge behalten und erstrebt wird, oder ob nur die möglichst nachhaltige Verteidigung erübrigt. Danach , wie nach den in Betracht kommenden Fernfeuermitteln des Angreifers wie des Verteidigers muß, abgesehen vom Gelände, auch die Entfernung , die Tiefe bemessen werden, und zwar ausschließlich nach den tatsächlichen
228
Zum derzeitigen Stellungskrieg in seinen Kampfbedingungen .
Verhältnissen, auf Grund praktischer Erfahrungen !
Wonach beiläufig,
diesseits nach wie vor an dem schon gelegentlich (vgl. Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine vom Oktober 1915) angegebenen Maßen der von rund 2000 m (bzw. 3500 m im ganzen) festgehalten wird , trotz der fortgesetzten Steigerung der Schußweiten und Kaliber! Die tatsächliche, entscheidende Wirkung hat eben in der Praxis, d. i. in der geistigen wie physischen Natur, ihr Gebiet und ihre Grenzen ! Gegen ungewöhnliche Mittel und Wirkungen aber. auf die man wohl nachgerade mehr wie früher gefaßt sein muß, schützen immer noch am sichersten : Reserven jeder Art. Die devensiven
Aufgaben der
Hauptverteidigungsstellung,
also
den Schutz der diesseitigen Kampfkräfte und Mittel, Fernfeuerwaffen , Bereitschaften usw. betreffend, sind gewiß schwer mit den offensiven Zwecken (wozu wohl auch die Beherrschung des Vorgeländes mit den darin befindlichen Kräften zählen kann) zu vereinen . Schon wegen der vielfachen und wechselnden Ziele und Zwecke der Fernfeuerwaffen und der dadurch bedingten Aufstellungen . Nur eine sorgfältige Festlegung der fraglichen Aufgaben nach ihrer Dringlichkeit und strenge Innehaltung der damit gegebenen Verhältnisse kann da helfen . Wenn also die Verteidigungsleitung zu dem Schluß gekommen ist,
daß die größte
Aussicht auf erfolgreichen Widerstand erst in solcher Entfernung von der anzunehmenden oder bekannten Angriffsstellung der feindlichen Fernfeuerwaffen eintreten kann, wo die Wirkung der letzteren gemindert und die diesseitige wieder überlegen werden kann, dann muß eben auch nicht nur die Lage der einzelnen Verteidigungs- und Befestigungsteile dementsprechend festgelegt, sondern auch im weiteren Verlauf daran festgehalten werden . Eben auch von seiten der beweglichen und veränderlichen Elemente, als welche die Truppenarten durchweg im Gegensatz zu der fertig ausgeführten Befestigung stehen. Natürlich können diese bzw. deren Hersteller auch nur soweit dafür verantwortlich gemacht werden , als ihre Aufgabe beabsichtigt und erreichbar war, nicht aber nur als Die wirklich erreichte Befestigungs = Verteidigungs-
ideales Ziel zählt.
fähigkeit aber, wie deren Verhältnis zu dem schließlich entgegenwirkenden Aufgebot des Gegners , sind weder sicher noch genügend bestimmbar und noch seltener gerade so , wie es für die Verteidigung erwünscht wäre. Nun fällt ja gegenwärtig ein sehr wesentlicher Anteil an der Verteidigung den Fernfeuerwaffen zu ; er wird oder kann maßgebend und führend sein , solange und soweit sie das Vorgelände so beherrschen, daß sie auch die dort auftretenden Kräfte des Gegners nieder- und von den diesseitigen Truppen und Anlagen derart fernhalten , wie es deren Erhaltung verlangt Sind sie aber nicht im tande, diese ihre Hauptaufgabe zu erfüllen , dann ist es ohne weiteres zu gewärtigen , daß die feindliche Artillerie darauf
Zum derzeitigen Stellungskrieg in seinen Kampfbedingungen.
229
ausgeht, und solche Stellungen besetzt , aus denen sie die diesseitigen Kräfte und Anlagen sturmreif machen kann , also nicht nur die ungeschützten Truppen, sondern erst recht alle Zugänge, Sicherungen und Hindernisse zu zerstören suchen wird . Hauptverteidigungsstellung
Dagegen kann nun nicht etwa die vor die " vorgeschobene" oder Vorpostenstellung
schützen, deren Lage, ihrer Hauptaufgabe nach, im Zusammenwirken mit der Hauptstellung, wie schon ausgeführt , eine verhältnismäßig nahe Entfernung von dieser bedingt, nachdem gerade die wirksamsten Entfernungen der heutigen Steilfeuergeschütze viel weiter hinausliegen . Dazu müßte die „ vorgeschobene " Stellung schon noch weiter vorgeschoben und dementsprechend wieder als
selbständige “ Verteidigungsstellung
stärker besetzt und ausgebaut werden
und würde doch dieselben
Mängel aufweisen , die nach Obigem nun einmal eine einzelne Linie hat . Nun könnte man
noch
zur Abhilfe einige Batterien
zur Er-
schwerung und Ablenkung des zu erwartenden Zerstörungsfeuers nach vorwärts bis nahe an die vorgeschobene Stellung verlegen , das würde aber zu den halben Maßregeln zählen und selten die Gefahr des Verlustes
aufwiegen .
So
muß denn von vornherein
damit gerechnet.
werden, daß die Hauptstellung, wann und wo eine solche auch ausgebaut ist, in allen ihren Teilen über kurz oder lang dem wirksamen Zerstörungsfernfeuer ausgesetzt sein wird. Dann aber wird es immer schwer, wenn nicht unmöglich sein und bleiben, allein durch Feldbefestigung die zugehörigen Kräfte und Anlagen gegen das übermächtige Steilfeuer zu schützen , wie auch das rechtzeitige Eintreffen der Bereitschaften und Reserven in der Stellung zu gewährleisten . Wenn man solchem Mangel durch Teilung der Aufgaben und Wiederholung der Stellung abhelfen wollte, dann darf man auch nicht vergessen, daß damit notwendig wieder eine wesentliche Erschwerung der Verteidigung verbunden ist , wie daß in solchem Falle ein Hauptzweck jeder Befestigung, die Ersparnis an Kräften, nicht mehr in lohnendem Maße erfüllt wird, und zwar unabänderlich, als in dem Wesen der Dinge wie in Naturgesetzen begründet .
Die übliche Feld-
und Behelfs befestigung kann eben , ihrer Entstehung nach, vorübergehenden Bedürfnissen,
nur
nicht aber lange und ausgiebigst ,
unter Aufbietung aller nur möglichen Mittel, vorbereiteten Angriffen gerecht werden und widerstehen. Wird sie also nicht durch den zu erwartenden Angriffen entsprechende Widerstandsmittel ergänzt , dann bleibt wohl nur übrig, den Hauptnachdruck der Verteidigung in die Beweglichkeit wie in offensive Gegenstöße zu legen . Womit 99 mit dem Vergeltungsschwert " unter entsprechenden Umständen selbst die höchsten wenn eben die Vorbedingungen
Aufgaben wohl erreicht werden können, dazu gegeben sind !
Das aber sind zumeist solche, die von der Ver-
230
Zum derzeitigen Stellungskrieg in seinen Kampfbedingungen.
teidigung überhaupt abzusehen gestatten !
Andernfalls aber, wenn man
durch Mangel an Kräften zur Verteidigung gezwungen ist, dann bleibt doch nur noch übrig,
diese Mängel durch solche Maßnahmen (Be-
festigungen) auszugleichen , wie sie Zeit und Umstände eben noch geDemnach wird man folgerichtig statten , oder aber: auszuweichen ! nicht nur eine Hauptverteidigungsstellung mit allen verfügbaren Mitteln befestigen, sondern auch noch für Reserven, auch bezüglich der Stellung, vorzusorgen baben. Daß
im
befestigung
übrigen
die
derzeitigen
Hauptschwächen
gegen übermächtige Angriffe , das
der
unzulängliche ,
Feldleicht
zerstörbare Hindernis, der schwer zu erreichende Schutz der Bereitschaften, wie der Feuerstellung gegen Feuer von oben und die mangelnde sichere Verbindung nach rückwärts, durch permanente oder rechtzeitig vorher ausgeführte Anlagen
zu
beheben
sind ,
derart,
daß
jedem
praktischen Bedürfnis auch fernerhin zuvorzukommen ist, darüber kann ebensowenig Zweifel bestehen , wie daß Mängel und Angriffspunkte sich immer wieder finden werden, und dies um so mehr, je künstlicher, verwickelter , und schwerfälliger die Anlagen und ihre Ausnutzung werden, also, daß solche Mittel, wie Befestigungen, immer nur in beschränktem Maße den an sie gestellten Ansprüchen gerecht werden können . Wenn sie trotzdem, und oft genug mehr als nötig, ausgiebigste Anwendung finden, so liegt das auch wieder in den natürlichen Verhältnissen begründet .
Als deren
verfängliche Verkennung erscheinen
dann aber auch solche Bestrebungen , die durch bloße Vermehrung der Fernfeuerwaffen, 99 weil sie eben in allen Fällen, defensiv wie offensiv, verwendbar wären " , die Befestigung ersetzen wollen und also für die Landartillerie eine ähnliche Rolle wie für die Schiffsartillerie beanspruchen !
Wobei dann übersehen wird, daß auch zur See passive
Schutzmittel eine große Rolle spielen , daß gegen Landstreitkräfte und Befestigungen allgemein nicht annähernd solche Wirkungen aus der Ferne erzielt werden können , wie gegen Schiffe . Zu Lande bildet und bietet die Befestigung , deren „ Genius “ nach Clausewitz -„Vorsicht" (und Zuvorkommen) ist, immer noch ein höchst wertvolles Mittel, das zu ersetzen ebensowenig gelingen kann, wie es verhängnisvoll sein kann , seine gehörige Ausnutzung ohne schweren Schaden zu verabsäumen. Dabei freilich kann sie auch nur, wie jedes andere Mittel, ihren Zwecken voll bis zum festen Hort und Rückhalt wie zur Ersparnis oder
Ausgleich von Kräften
nach Maßgabe einer ent-
sprechenden Anwendung gerecht werden, also nur: bei richtigem , vollen Einsatz ! flüchtige Anlagen und behelfsmäßige Ausführungen können schließlich, auch bei reichlicher Wiederholung und sorgfältiger Arbeit, niemals die Stärke von Kriegsvorbereitungen erreichen .
1
Literatur.
231
Literatur.
I. Bücher .
Militärische
Zeitfragen.
Heft 28 : Die Explosionsgefahren . ihre Entstehung und Bekämpfung. Von Oberst z. D. Riensberg. Verlag Georg Bath. Berlin 1917. 3 M.
Die in den „Jahrbüchern " 1917 erschienenen Aufsätze des Herrn Oberst Riensberg sind unter dem oben genannten Namen in Heftform gesammelt erschienen . Ich möchte hierzu hervorheben , daß diese fleißige, auf umfassender Kenntnis und Erfahrung beruhende Arbeit allen, die es angeht, nicht warm genug zur Einsicht und Beherzigung empfohlen werden kann . Aber auch andere Kreise werden über manche Fragen Aufschlüsse erhalten , die ihnen neu sein und zum Nachdenken Anregung geben werden . Leider wird ein Feind der Bekämpfung der Explosionsgefahren immer wieder in der Schwäche der menschlichen Natur erstehen . Durch die Gewöhnung tritt leicht eine gewisse Sorglosigkeit und Abstumpfung ein. Dagegen muß neben der Belehrung immer wieder Oberst z. D. von Neyman . von neuem angekämpft werden . C. Cranz : Lehrbuch der Ballistik.
Erster Band : Äußere Ballistik.
2. Auflage. Herausgegeben von Dr. C. Cranz und Hauptmann K. Becker. Leipzig-Berlin 1917 (Teubner ). Der erste Band des grundlegenden Cranzschen Lehrbuchs der Ballistik erscheint in diesem Kriege, der das Interesse für die Untersuchung der Geschoßflugbahnen bei Wissenschaftlern und Praktikern in weiten Kreisen neu erweckt hat, in zweiter Auflage. Die Wesensart des Werkes ist unverändert geblieben . Sie besteht darin, daß bei aller Vollständigkeit des Stoffes dieser so dargestellt wird, daß auch der theoretisch weniger vorgebildete Praktiker einen bequemen Überblick über die Ergebnisse der ballistischen Untersuchungen erhält. Auch Zahl und Titel der einzelnen Abschnitte ist in der neuen Auflage beibehalten, dagegen ist ihr Inhalt teilweise abgeändert und gemäß den neuesten Fortschritten vervollständigt. So bilden eine wertvolle Erweiterung des Werkes die neuen Luftwiderstandstabellen , die Ritter von Eberhard bei der Firma Krupp aufgestellt hat. Eine prächtige Darstellung der bei fliegenden Geschossen auftretenden Luftwellen- und wirbelbildungen liefern die am Schluß des Bandes wiedergegebenen Cranzschen Momentaufnahmen. Der der praktischen Aufstellung der Schußtafeln gewidmete achte Abschnitt ist von Hauptmann Becker , dem Mitherausgeber, vollständig umgearbeitet und dem . Stande der modernen Schießtechnik angepaßt worden .
232
Literatur
Es sei gestattet, zwei Wünsche vorzubringen, die vielleicht bei einer späteren Neuauflage des Buches berücksichtigt werden könnten . Für den Theoretiker wäre eine etwas ausführlichere Darstellung des Hodografen der Flugbahn , der zu der Lösung des allgemeinen Flugbahnproblems in enger Beziehung steht, von großem Interesse , besonders die schönen diesbezüglichen Sätze von Jacob und Henry. Für den Praktiker wäre ein Hinweis auf die modernen „Schaubilder“ , die beim Schießen gegen Luftziele Verwendung finden , sehr belehrend . Die bei ihrer Herstellung auftretenden Kurven gleicher Aufsatzwinkel würden auch ein helles Licht auf die noch etwas umständlich behandelte Frage des Schwenkens der Flugbahnen werfen . Das Cranzsche Handbuch, das in seiner Vollständigkeit , besonders auch bezüglich der Angaben über die einschlägige Literatur, einzig dasteht, muß sich im Besitz eines jeden befinden, der sich als Theoretiker oder als Praktiker mit ballistischen Fragen beschäftigt. Dr. C. Veithen , Die Vorgeschichte des Weltkrieges . Von Michaëlis , Hauptmann im Generalstabe . G. Stalling . Oldenburg . Preis 0,70 M. In großen Zügen wird die politische Lage der letzten Jahrzehnte geschildert, aus der sich allmählich, aber mit zwingender Notwendigkeit der jetzige Weltkrieg entwickelte. Alle Versuche, den Weltbrand zu verhüten , scheiterten und mußten scheitern , weil der Krieg nicht, wie vielfach behauptet wird, das Werk einzelner Persönlichkeiten war, sondern aus allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprang und sich jahrzehntelang vorbereitet hatte . Er war eine geschichtliche Notwendigkeit geworden, wobei England das treibende Element war, das sich in seiner Weltmachtstellung bedroht sah und durch die Waffenentscheidung den erfolgreichen Nebenbuhler niederzuschmettern hoffte . In packender Darstellung hat der Verfasser diese leitenden Gesichtspunkte herausgearbeitet und den inneren Zusammenhang der einzelnen Ereignisse in den Vordergrund gestellt. Das Buch ist namentlich für diejenigen von Wert, die nicht Zeit und Lust haben, sich in die diplomatische Geschichte der letzten Jahrzehnte und in die umfangreichen offiziellen Veröffentlichungen usw. zu vertiefen . Sie erhalten an der Hand dieses Buches einen sehr guten Überblick über die Vorgeschichte des Krieges. v. S. Von Dr. Deutsche Schulfürsorge und Schulhygiene im Osten . Ferdinand Kemsics , Waidmannslust b. Berlin. Leipzig 1917. Verlag von Leopold VoB. 76 Seiten . Preis 1,80 M. Der Verfasser gibt zunächst eine Übersicht über die Schulverhältnisse Ostpreußens und der von uns besetzten russischen Gebiete vor dem Kriege und über die von uns während des Krieges getroffenen Wiederherstellungs- bzw. Besserungsmaßnahmen . Sodann entwirft er ein Bild von dem Bildungswesen wie es sich nach dem Kriege entwickeln soll. Dabei dienen ihm die vorbildlichen Einrichtungen Westund Mitteldeutschlands als Richtschnur. Jedoch vergißt er nie zu
Literatur . 233 prüfen , wie weit sich diese im Rahmen der landschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der betreffenden Gegenden durchführen lassen oder überhaupt zweckmäßig sind. Die Verwirklichung auch nur eines Teiles dieser Vorschläge dürften dem Osten großen Segen bringen .
L. ,, Wir". Ein Hindenburgbuch von Anton Fendrich . Mit Buchschmuck von W. Planck . Stuttgart . Franckh'sche Verlagshandlung. Preis 1 M., geb. 1,60 M. Das ganze deutsche Volk faßt der im Kriege so bekannt gewordene Anton Fendrich zusammen unter dem großen „ Wir “ . Wieder ist er an die Front gefahren , um den besonderen Vorzug zu haben , von Hindenburg empfangen zu werden . schildert einige Abendstunden bei dem großen Heerfü d Erhrever t runer abe r ; leb läßt dann seine Phantasie weiter schweifen , zu unseren Feldgrauen , unseren U- Bootleuten , zu unseren Frauen daheim , zu dem das Feld bestellenden Bauernstand , zu den Verwundeten und Verkrüppelten ! Er nennt das Buch ein „ Hindenburgbuch " , weil wir alle, draußen und daheim , zusammengeschweißt sind - keiner mehr eine einzelne Persönlichkeit , sondern alle ein „Wir " ! Un d das alles durch den großen Mann , der unsere Heere von Sieg zu Sieg geführt hat und dem wir alle rückhaltlos vertrauen „Wir" ! M. D.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher . (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des ver fügbaren Raumes . Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,, Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt . Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt . ) 1. Engelbrecht, Der feldgraue Friede . Halle ( Saale ) . Verlag Richard Mühlmann . 0,60 M. Ernährungsangst . 2. Dehn, Niedergang oder Aufstieg ! Gegen die Halle ( Saale) . Verlag Richard Mühlmann . 0,60 M. 3. Der Leutnant von Knebel- Doeberitz , Hinterlassene Briefe an seine Schwester . Berlin 1917. Eckart - Verlag A.-G. 4. Buddecke, Die Kriegssammlungen . Ein Nachweis ihrer Einrichtung und ihres Bestandes. Oldenburg 1917. Gerhardt Stalling . 1,50 M. 5. Steinwäger, U- Boot, Englands Tod! München 1917. Lehmanns Verlag . 1 M. I. F. 6. Achleitner, Kaiser Karl von Österreich, König von Ungarn . Berlin 1917. Verlag von Gebrüder Pätel (Dr. Georg Pätel) . Geh. 3 M. geb. 4 M.
1917.
7. Cranz, Lehrbuch der Ballistik . 1. Band , 2. Auflage. Leipzig- Berlin B. G. Teubner. Geh. 19 M, geb. 24 M.
8. Sperling, Von Heer und neuer Zeit. der Uhlandschen Buchdruckerei G. m. b. H.
Stuttgart 1917. 1,25 M.
Verlag
234
Literatur.
9. Egli, Berichte aus dem Felde . 2. Heft : Aus Ostgalizien und der Bukowina während der großen Offensive im Juli/August 1917. Zürich 1917. Schultheß & Co. 1,50 M. 10. Hosse, Nach drei Kriegsjahren . Rückblick und Ausblick auf die militärische Lage. Berlin . August Scherl G. m. b. H. 0,50 M 11. v. Pflugk- Harttung, Der Kampf um die Freiheit der Meere, Trafalgar- Skagerrak. Berlin 1917. Geh. 4 M, geb. 5 M. 12. Schlott, Die Disziplinarstrafordnung für das Heer. Berlin 1917 . R. Eisenschmidt . 3,50 M. 13. Nahkampf- Aufgaben für Kompagnien , Züge, Gruppen , Posten, Patrouillen und M.-G. 21. Auflage. Kgl. Bayerische Kommandantur des Truppenübungsplatzes Hammelburg.
000
Druck von A, W. Hayn's Erben (Curt Gerber) , Potsdam,