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German Pages 602 Year 1916
Jahrbücher
für die
deutsche Armee und
Marine.
Verantwortlich geleitet
von
Keim , Generalmajor.
1916 Januar bis Juni
18
64
BERLIN SW 11.
Verlag von Georg Bath . Bernburger Straße 24/25 .
Printed in Germany
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdani.
Inhalts -Verzeichnis . Seite Brossmer , Professor, Die militärische Vorbereitung und die Jugendorganisation in Österreich
137
3365
Everling , Dr jur. , Die Entlassung kriegsgefangener Offiziere auf Ehrenwort 33 Vom Fahneneid • 253 28 Immanuel , Oberst, Moltke und die Anfänge der deutschen Seemacht Neumann , Oberstabsarzt, Die Wehrpflicht und Kriegsmusterung 42 der Untauglichen 95 Niederlande , Die, und der Krieg. IV. Organisation , Die, der Landwehr im Großherzogtum Posen durch den ersten kommandierenden General in demselben den Generalleutnant August von Thümen . Reuter , K , Bezirkstierarzt, Der Kriegshund und der deutsche Hundesport Das russische Kriegspferd
142 239
Rhazen , Generalleutnant, Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt . - Des Balkankrieges dritter Abschnitt
1 122
Frankreichs Selbstlob dicht vor dem Kriegsausbruch und seine Selbstkritik nach 11/2 Kriegsjahren - Neues von den Armeen unserer Gegner - Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina 229, v . Richter , Generalmajor, Das Ende des Dardanellen- Unternehmens England und die allgemeine Wehrpflicht Riensberg, Oberst, Das französische Festungsnetz längs der deutschen Grenze 194, Schultze , Dr., Die Irländer als Soldaten Frhr . v. Welck , Oberstleutnant, Amerikanische Stimmen über den Militarismus . • • Einige kurze militärische Betrachtungen Woelki , Oberst, Kriegswissenschaft . (Durch- und Einbrüche der Front). - Zur Verstärkung von Stellungen Bücherbesprechungen . 54, 103 , 154, 202 , 248 , Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher 59, 108 , 156 , 252,
P A C E (R
) 496339
75
157 68 291 114 61
172 205 190 109 181 44 300 204, 302
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I. Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
Von Rhazen, Generalleutnant z . D.
Am 21. September, als von nördlich der Donau und Save das Feuer schwerer Geschütze der verbündeten Mittelmächte serbische Ziele hat der französische „ Figaro " darin eine Demonstration gesehen , bestimmt , auf den König von Bulgarien Eindruck zu machen, Und doch war damals Wilna schon gefallen, Bulgarien in seiner Vorbereitung auf den Krieg schon weit vorgeschritten, sein Heer, das bald Proben sehr geschickter Führung und glänzender suchte,
Tapferkeit geben sollte, schon eingereiht in den Operationsplan der Verhündeten, mit dem sich seine Leitung auch bei den ersten Schritten bereits als vertraut erwies. Von den sonst Koalitionen leicht anhaftenden und bei uns feindlichen mehrfach im Verlauf des bisherigen Krieges hervorgetretenen Schwächen keine Spur ; Einheitlichkeit des Zieles , des Willens und der Leitung der verschiedenen Kräftegruppen ist die Signatur. Daher auch die Schnelligkeit der bisherigen Erfolge. Der Vierverband aber hatte mehrere schwere diplomatische und starke militärische Niederlagen schon erlitten, als am 6. Oktober die bulgarische Regierung das Ultimatum Rußlands vom 2. Oktober ablehnte, von den Mittelmächten Strombarriere eingeleitet wurde , und als Griechenland gegen die Landung britisch-französischer, von den Dardanellen gekommener Truppen in Saloniki Protest erhoben und, wie Rumänien , den festen Entschluß, neutral zu bleiben, kundgegeben
der
Übergang
über
die
hatte . Verunglückt waren die seit Monaten mit Versprechungen , Geldaufwand und mit Drohungen unternommenen diplomatischen Versuche (denen noch die große Septemberoffensive im Westen und die Serie von Teiloffensiven in Galizien -Wolhynien, sowie von Gegenstößen an anderen Stellen der russischen Front dienen sollten ), die 1 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 532.
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Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
1 Balkanmächte zum Anschluß an den Vierverband zu veranlassen ; sie Militärische waren zu einer diplomatischen Niederlage geworden . Schlappen : das Steckenbleiben der mit bis dahin nie erlebter Wucht versuchten Durchbruchsoffensive im Westen in der ersten Linie des Verteidigers, in der sie auch nicht einmal lange bleiben konnte ; die Mißerfolge der Russen in Wolhynien - Galizien , wie an der Düna und endlich Cadornas erfolglose Anstürme gegen die feste Stellung unserer Verbündeten. Auch nicht einen Augenblick sind die Mittelmächte . die sich auf drei Fronten vier übermächtiger Gegner zu erwehren hatten ,
von dem Entschluß abgelenkt worden .
die aus militärischen , politischen und wirtschaftlichen Gründen geboten erscheinende unbehinderte Verbindung mit der verbündeten Türkei herzustellen und sich ,
den Schwerpunkt
eines neuen Feldzuges nach
Südost verlegend , weitere vielleicht für die Entscheidung des ganzen Krieges maßgebende Ziele zu stecken , dabei doch die nach den Stärkeverhältnissen im Westen wünschenswerte Kräftesteigerung zu bewirken. Die sichtbaren, starke Armee nfür neue Aufgaben freimachenden Erfolge des Feldzuges Wilna - Pinsk waren die politischen und militärischen Überraschungen des Vierverbandes durch die politische Konstellation, die Bereitstellung starker überlegener Kräfte , denen die eines neuen Verbündeten zuwuchsen ,
und
eine Gruppierung im Auf-
marsch, die die serbische Feldarmee , das erste Hauptziel der Operationen , von vornherein in eine verzweifelte , bald in eine hoffnungslose Lage brachte. Noch hat die oberste verbündete Heeresleitung uns nicht genau die gegen Serbien eingesetzten Kräfte angegeben , ersten Aufmarsch.
auch nicht die Kräftegruppierung der Serben im Aus dem am 9 , Oktober bekannt gegebenen , die
Einleitung des Feldzuges gegen Serbien bis zur Erzwingung des Weges zum Reich des Halbmondes in großen Zügen behandelnden Bericht des großen Hauptquartiers wissen wir aber, daß der erste Aufmarsch der Serben unter nicht zutreffenden Annahmen erfolgt ist .
Nicht allein der Vierverband,
sondern auch das die
Geschehnisse unmittelbar an seinen Grenzen erlebende Serbien ahnte , als sich in der zweiten Hälfte des Monats September der Aufmarsch der verbündeten Heere auf dem nördlichen Donauufer vollzog, nicht die
von
dort drohende
Gefahr .
Wie
der Vierverband ist es völlig
durch die Mittelmächte und Bulgarien überrascht worden. Vorbedingung der Überraschung war möglichstes Verwehren des Einblicks für den Gegner.
Das Geheimnis
des Aufmarsches ist,
im großen betrachtet,
vollständig gewahrt worden. In einer am 8. Oktober geschriebenen Beurteilung der Lage bei dem Beginn des Balkanfeldzuges sagte der
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
3
„ Bund " : " Bestimmt wird diese Entwickelung von den auf der inneren Linie nach Doktrin und Lage zur strategischen Defensive verurteilten Zentralmächten,
die
aber gerade
aus dieser
strategischen
Position
große Vorteile ziehen , indem sie mit bewundernswerter Spannkraft und Initiative den Angriff gegen die konzentrisch heranstrebenden Außenmächte vortragen .
Wie eine ungeheure Festung, die ihre Ver-
teidigung auf das aktivste führt, und nicht nachläßt, das Vorgelände zu erweitern, stehen Deutschland und Österreich-Ungarn auf der inneren Linie fest und teilen bald nach Osten, bald nach Westen und Süden blitzartige Schläge Gelingt
aus ,
um sich den Gegner vom
eibe zu halten .
es den Zentralmächten weiterhin in Osten und Westen das
eroberte Gebiet
zu behaupten und sich im Westen der immer noch
anhaltenden Offensive ihrer Gegner zu erwehren , so wird der Balkanfeldzug zu einer kriegsentscheidenden Operation. Wie die Dinge heute liegen , ist eine deutsch - österreichische Offensive in Kombination mit Bulgarien durchaus aussichtsvoll Auch Bulgarien und die
Türkei haben durch gegenseitige Anlehnung die Lage sehr ver-
bessert und unmittelbar gesichert. Wiederum bewährt sich das Prinzip der inneren Linien , das den Zentralmächten und Bulgarien zugute kommt, den Serben dagegen diesmal, infolge Bedrohung ihrer rechten Flanke durch die Bulgaren , nicht mehr so gute Dienste leisten kann , wie dies bei der österreichischen Offensive der Fall war. “ Am 9. Oktober meldete die Oberste Heeresleitung : „ Zwei Armeen einer unter dem Generalfeldmarschall von Mackensen neu gebildeten Heeresgruppe haben mit ihren Hauptteilen die Save und Donau überschritten.
Nachdem die deutschen Truppen der Armee des k. und k. Ge-
nerals der Infanterie von Koeveß sich der Zigeunerinsel und der Höhen südwestlich von Belgrad bemächtigt hatten, gelang es der Armee auch , den größten Teil der Stadt Belgrad in die Hand der Verbündeten zu bringen. Österreichische Truppen stürmten die Zitadelle und den westlichen Stadtteil , deutsche Truppen den neuen Konack . Die Truppen sind im weiteren Vordringen durch den Südteil der Stadt, Die Armee des Generals der Artillerie von Gallwitz erzwang den Donauübergang an vielen Stellen an der Strecke abwärts Semendria und drängte den Feind überall nach Süden vor sich her." Der Balkankrieg hatte damit begonnen , die serbische Grenzverteidigung war im Norden schon durchbrochen , die Strombarrieren , von denen sich die Serben als Schutz sehr viel versprochen, waren nach hartnäckigem Widerstand , der in heftigen Kämpfen niedergeschlagen werden mußte, überwunden . Scbon das war ein Ereignis ersten Ranges zu nennen. Von Schabatz bis Gradiste, auf 140 km spannender Front , setzte die Offensive der Ver1*
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Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt .
bündeten machtvoll ein.
Die im Bericht der Obersten Heeresleitung
genannten weit auseinanderliegenden Übergangspunkte deuteten schon den Rahmen der ersten Operationen an, die bald durch das Eintreten der Bulgaren deutlich den Stempel konzentrischer Vorbewegung erhielten . Die militärische Tat ersten Ranges der Überwindung der Strombarrieren und des Fußfassens auf dem Südufer verdienen in ihren Einzelheiten in den Grundstrichen wenigstens bekannt zu werden , da die Heeresgruppe Mackensen, die in mehr als einjähriger Kriegführung gesammelten Erfahrungen ausnutzte. Der zusammenfassende Bericht aus dem Großen Hauptquartier vom 9. November bietet uns dazu den Anhalt, weshalb er an mehreren Stellen seinem Wortlaute nach angeführt werden soll : „ Der Feind hatte (in der zweiten Hälfte September) wohl Kenntnis von Truppenausladungen, er rechnete aber, wie spätere Gefangenenaussagen bestätigten , nur mit einer stärkeren Besetzung der Verteidigungsstellung der ungarischen Donaulinie. Wie konnte auch an eine Offensive der Verbündeten in einer ganz neuen Richtung gedacht werden, zu einer Zeit, in der die Entente Angriffe größeren Stils auf allen Kriegsschauplätzen vorbereitete ? So vereinigte (Beweis für den verfehlten Aufmarsch) Serbien seine Hauptkraft gegen den Erbfeind Bulgarien, Entente
dessen Haltung
zu entfremden
schien .
sich immer mehr derjenigen der Es galt für die Verbündeten,
Serben möglichst lange in seinem Glauben zu lassen ,
den
um dann mit
voller Kraft an verschiedenen Stellen gleichzeitig serbischen Boden betreten zu können . Welche Schwierigkeiten es macht, einen Fluß zu überwinden, dessen Breitendurchschnitt 700 m und mehr beträgt, dessen Wellen bei der herbstlichen Kossawa denen der See gleichkommen und der zumeist von Höhen überragt wird, die einer feindlichen Artillerie
denkbar günstigste Wirkung ermöglichen , wird auch
jedem Fernstehenden klar sein. Hatten auch nicht die Hauptkräfte der Serben das südliche Donauufer besetzt , so ergaben doch die angestellten Erkundungen , daß der Feind hier ebenfalls auf der Hut war und die Nordgrenzen seines Reichs mit fortlaufenden Verteidigungsanlagen versehen hatte, zu deren Besetzung nicht unerhebliche Truppen . und Artillerie bereit standen . Den Hauptstützpunkt der Verteidigungsanlagen bildete die Festung Belgrad. " 50
Die Lage Belgrads auf einer Donau und Save überragenden, m hohen, nach Norden steil abfallenden Hochfläche, erleichtert
durch die Übersicht und die Schußwirkung gegen Strom, Kriegsinsel und jenseitiges Anland, die Verteidigung. herrschte die Stadt,
Die stärkere Südfront be-
die zu einem starken Platze geworden, mit den
anschließenden sehr starken Höhen eine Kampfstellung liefernd , die
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
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für Frontalangriff an Führer und Truppen außerordentlich hohe Anforderungen stellte . 22„Unter dem Oberbefehl des Generalfeldmarschalls von Mackensen hatte sich der Aufmarsch der Armeen von Köveß nnd von Gallwitz dlanmäßig vollzogen . In den ersten Oktobertagen standen die deutschösterreichisch-ungarischen Armeen im Save-Donau-Dreieck, die deutsche Armee
zwischen Temes- und Karrasfluß ,
An der Savemündung und
im Donaubogen bei Ram sollte zuerst der Übergang erzwungen werden ( 140 km Front) . Dort war die Masse der schweren Geschütze in Stellung gebracht worden
(Ausnutzung der Erfahrung,
den Gegner
durch schwere Artillerie niederzukämpfen ) , dort hatten die Pioniere in mühevoller, nächtlicher Arbeit Brücken- nnd Übersetzmaterial aller Art bereitgestellt.
Vom Feinde war in der Zeit der Vorbereitungen
wenig zu merken,
hin und wieder feuerte
serbische Artillerie vom
südlichen Ufer, doch ohne Erfolg. Hier und dort mahnten serbische Flieger, noch nicht zu offen die Karten aufzudecken . Ihrem zu häufigen Erscheinen wurde indes bald von den inzwischen eingetroffenen deutschen Fliegerabteilungen ein Ziel gesetzt .
In breiter Front über-
flogen sie serbisches Gebiet, bekämpften im Luftkampf ihre Gegner, belegten ihre Arsenale und Materiallager ausgiebig mit Bomben und ergänzten durch ihre Aufklärung das Bild, das man sich an oberster Stelle über den serbischen Aufmarsch gemacht hatte. Am 6. Oktober begann an den genannten Stellen das von Stunde zu Stunde sich steigernde Artilleriefeuer und mit ihm die unmittelbare Vorbereitung zum Donauübergang Das Oberkommando beabsichtigte zunächst , auf den Höhen südlich Belgrads und beiderseits der Anathemahöhe , später rechts und links der Morava Brückenköpfe zu schaffen,
unter deren
Schutz die Truppe befähigt sein sollte , das zur Offensive erforderliche Material auf das feindliche Donauufer zu schaffen Gleichzeitig ausgeführte kleinere Unternehmungen längs der Drina, an der mittleren. Save, sowie an der Donau, zwischen Gradiste und Orsowa, sollten den Feind über die Absichten der Verbündeten im Unklaren lassen. Am Spätnachmittag des 6. Oktobers marschalls
stießen ,
im Beisein des Feld-
von Mackensen,
die
ersten Freiwilligen bei Palanka vom
ungarischen Donauufer ab.
In
schneller Fahrt
wurde der reißende
Strom überwunden und im gespannten Schweigen begleiteten die zurückgebliebenen Kameraden jene braven Thüringer, die als erste Deutsche den serbischen Boden betraten . Noch immer hatte sich beim Feind nichts gerührt , zeitweise grüßte zwar ein serbischer Kanonenschuß von der Anathemahöhe aus , sonst schien aber das feindliche Ufer wie ausgestorben . zu erwarten.
Direkter Widerstand war demnach hier nicht
Trotzdem entschied man sich, den Übergang der Massen
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Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt .
an diesen Stellen nicht
in die Nacht hinein vorzunehmen .
Die steil
aus dem Ufer steigende Goricahöhe konnte in ihren Schluchten feindliche Kräfte bergen, deren Vorstoß bei Dunkelheit den Unseren verhängnisvoll werden konnte.
Am frühen Morgen des 7. Oktobers be-
gann der Übergang der Infanterie an drei verschiedenen Stellen . Komitatschis, die sich in dem Dorfe Ram und seinem hart am Flusse gelegenen malerischen Kastell zur Wehr setzen wollten, wurden überrannt. Was den deutschen Kolben nicht kennen lernte, wanderte auf den zurückfahrenden Pontons in sicheren Gewahrsam.
Mit Berg-
stöcken ausgerüstet, begleitet von zahllosen kleinen Pferden , deren Rücken Munition und Maschinengewehre trugen , erkletterte unsere Infanterie das weglose Höhengelände . Schwache, mit ungenügenden Kräften geführte Gegenstöße der Serben vermochten das Fortschreiten der deutschen Truppen nicht aufzuhalten. Bis zum Abend war die Goricahöhe in unbestirttenem deutschen Besitz, starke Infanterie hatte sich eingegraben, Maschinengewehre waren eingebaut und Gebirgsgeschütze lauerten in Stellung auf den Versuch des Feindes . uns das besetzte Gebiet wieder zu entreißen . Anders stand es mit dem Übergang bei Belgrad. Hauptstadt
Dort verfügte der Feind schon zum Schutze seiner
über starke Artillerie.
Englische und französische Ge-
schütze krönten , mit serbischen gemeinsam, den Kalimegdan , jene der Hauptstadt vorgelegene, weithin sichtbare Zitadelle, und mittlere und schwere Kaliber harrten auf den überragenden Höhen des Topcider und Barnowo ihrer Ziele . War die Wirkung von der Karrasmündung mehr eine moralische,
so
galt
es hier, im schweren Artillerieduell,
erst seine Überlegenheit zu beweisen. Noch war es nicht geglückt , die zum Teil gut eingedeckten , schwer auffindbaren Geschütze zum Schweigen zu bringen , als bereits die Zeit für den Übergang gekommen war. Die gegen Sicht schützende Nacht mußte hier helfend beistehen. Als der Morgen graute, lagen vier österreichisch-ungarische Bataillone am Fuß
der Zitadelle .
Notdürftig
durch einen Bahndamm gedeckt
mußten jene Tapferen in schwerem Kampfe zwölf Stunden ausharren , bis die Nacht die ersehnten Verstärkungen brachte. Deutsche waren unterdes
im
südwestlich
fortlaufenden Übersetzen
auf die
vom Feind besetzte,
Belgrads gelegene Große Zigeunerinsel (deren Gewinnung
ein zweiter Bericht des Großen Hauptquartiers in ihren heroischen Taten geradezu dramatisch schildert ) gewesen . Hier lauerte in dichtem Buschwerk ein gut bewaffneter, zäh sich verteidigender Gegner. Trotzdem viele Pontons,
von Schüssen
durchbohrt, kenterten
oder
auf Minen liefen, trotzdem die Strömung manches Fahrzeug mit sich riß, und trotzdem durch Handgranaten und Maschinengewehre große Lücken in die Reihen gerissen wurden, ließen sich die braven Mann-
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt. schaften nicht
aufhalten,
Sie
drangen
vorwärts
7
und entrissen im
Bajonettkampf dem Feinde Schritt für Schritt . Die Verbindung zum nördlichen Ufer war abgerissen, da sämtliche Übersetzgelegenheiten zerstört,
die sie bedienenden Pioniere außer Gefecht gesetzt worden.
Sechs Kompagnien
hielten
aber gegen eine starke Überlegenheit in
heldenhaftem Kampfe eine notdürftig mit dem Spaten geschaffene , uneinnehmbare Stellung . Der Abend brachte Verstärkungen und bis zum frühen Morgen des 7. Oktobers war das östliche Drittel der Großen Zigeunerinsel in deutschem Besitz. jetzt
Unverzüglich fortgesetzt.
wurde der Übergang auf serbisches Festland Das Säubern der Insel von dem noch haltenden
Feind war nunmehr in zweite Linie gerückt, der Vormarsch zu den die Stadt beherrschenden Höhen in den Vordergrund getreten.
Aber
auch dieser Weg mußte den zäh sich verteidigenden Serben mit Blutopfern entrissen werden , Auch hier waren es wieder die schweren Kaliber, die der Infanterie den Weg zum Siege ebneten. Ihre verheerende Wirkung war den Serben bis dahin nicht bekannt. Am Abend des 8. Oktobers
stand
die Infanterie eines deutschen Armee-
korps auf den Topcider Höhen und besiegelte
damit den Fall der
Stadt Belgrad. Dort kämpften österreichisch-ungarische Truppen im Nordrand und in der Zitadelle einen erbitterten Straßen- und Häuserkampf.
Eine vom Topcider aus zur Verbindung mit den Verbündeten
entsandte deutsche Abteilung erreichte am frühen Morgen die Mitte der Stadt, erstürmte am 9. Oktober bei Tagesanbruch das serbische Königsschloß, das noch vom Feinde besetzt gehalten wurde und hißte auf ihm die deutsche Fahne. Gleichzeitig hatten die Verbündeten den Zugang zum Kalimegdan erkämpft und die Zitadelle mit der österreichischen Kaiserstandarte
gekröut .
Um
den Druck der Umfassung
zu brechen . hatten die Serben Hals über Kopf ihre Hauptstadt geräumt. Von Belgrad und der Goricahöhe schritt die Offensive langsam vorwärts .
In der berechtigten Annahme, der Feind werde dorthin
die Kräfte seiner Nordfront zusammenziehen, konnte zur schwierigsten Arbeit,
dem Übergang gegenüber
der Morawamündung geschritten
werden. In einem deckungslosen , beiderseits des Stroms von Sümpfen durchsetzten Gelände , ohne ausreichende Artillerieste,lung, von serbischen Höhen überragt,
mußte hier der Strom überwunden werden.
Brandenburger und Bayern solilen an jener Stelle Schulter an Schulter dem Feind deutsche Ausdauer und Kraft lehren. Die einsetzende Kossawa erhöhte die Schwierigkeit .
Nach mehrtägigem Ringen mit
menschlicher und elementarer Kraft wurde auch hier die Arbeit vollbracht .
Im Anschluß an die Truppen, die mittlerweile in mehr oder
weniger
leichten
Kämpfen die
Anatemahöhe
überschritten hatten,
8
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
ging es im fortschreitenden Angriff nach Süden weiter, während sich Teile nach dem stark verteidigten Semendria und dem westlich gelegenen, vom Feinde besetzten Höhengelände wendeten. Es kam jetzt darauf an,
möglichst
schnell eine Verbindung mit dem linken
Flügel der Armee Köweß herzustellen und den Donauweg von Belgrad her frei zu machen und der Armee Gallwitz das stromaufwärts bereitgehaltene Brückenmaterial zuführen zu könuen . Am 18. Oktober räumte der
Feind
die hartnäckig
verteidigten
Höhen bei Grocka.
Die Verbindung der beiden Armeeflügel war hergestellt, ufer von Belgrad XI. Armee offen ."
bis
Bazias
vom
Feind
befreit,
das Donau-
der Weg
zur }
Unmittelbar nach dem bewirkten Übergang über die Strombarrieren galt es für den Angreifer , die Serben aus dem Raum zu vertreiben , der als Sammelraum dienen sollte , Brückenköpfe
zu schaffen ,
die den Nachschub vor Ge-
fährdung durch feindliches Artilleriefeuer sicherten , und die Gruppierung vorzunehmen , die den beabsichtigten Offensivoperationen entsprach . Die nächsten Operationsrichtungen der Verbündeten ließen sich zunächst nicht einmal vermuten. Aus den serbischen Berichten war erkennbar, daß der Hauptdruck der Verbündeten gegen die SaveDonaugrenze von Norden nach Süden gerichtet war. Das serbische Pressequartier unterschied drei Fronten , in der Mitte die Belgrader. östlich die Morawa- , westlich die Savefront. In die erstgenannte , bei Belgrad bastionartig
vorspringende,
mündete
bei Belgrad die große
Orientbahn, die Hauptstraße nach Kragujevac und in das Innere der serbischen Bergstellungen , bei Obrenovac , die von Waljewo kommende Kolubara, begleitet von einem Bündel von Straßen und Bahnen nach Südost und Südwest . Auch die Drina war im Westen überschritten . Im Osten mündet bei Semendria in einem Flachlande, an dessen Rand auch Pozarevac liegt, die Hauptader der Morawa, die von mehreren von Süden und Südwesten kommenden Bahnen begleitet wird, Das Vorspringen der Belgradfront um etwa 18 km nach Norden hatte im Gefolge, daß jeder Fortschritt auf der Save- und Morawafront zu einer flankierenden Wirkung auf die Belgradfront führte, um so mehr. als alle Rückzugslinien der Serben auf das Morawaknie zu laufen schienen . Dicht nördlich von Obrenovac, bei Krtinska und Skela, buchtet die Save nach Norden aus , und auch das hat die UmSchon vor Einnahme von Belgrad fassungsmöglichkeit gefördert waren österreichisch-ungarische Truppen in dem ihnen bereits bekannten Gelände der Macwa und Posawina, beiderseits der Kolubara, in serbisches Gebiet eingedrungen . Sie setzten ihr Vorgehen fort und bedrohten durch ihre vorgeschobene Lage den Rückzug des geschlagenen
9
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt . Feindes.
Die Armee Gallwitz hatte nach Überwinden
die serbischen Grenztruppen überall
des Stromes
zum Rückzug gezwungen ,
sich
in Besitz der gegen die Jezawa stark abfallenden Höhen gesetzt und rückte in der Ebene des Morawatals vor. Der Höhenzug , der von der Mündung
der
Kolubara
am rechten Donauufer bis Semendria
hinstreicht , ist für die Verteidigung der Nordgrenze Serbiens von hoher Bedeutung. Sein bei Belgrad vorspringender Teil war erobert, sein Ostabfall in den
Händen
von
Truppen
der Armee
Gallwitz,
die
serbische Grenzverteidigung durchbrochen , damit ein für den Fortgang der Operationen weittragender Erfolg erreicht . Die Meldung des Großen Hauptquartiers vom 11. Oktober: „ Auf der Front zwischen Schabatz und Gradiste ist der Save-Donauübergang vollendet " schloß daher auch die Nachricht von der Sicherstellung des Uferwechsels aller für die Offensive nötigen Mittel ein . Unterhalb von Orsowa waren schon Artilleriekämpfe im Gange , die die dort vorgesehene Überwindung der Donau , die letzte Phase zur Herbeiführung des ersten großen Erfolges auf diesem Kriegsschauplatz und die Gewinnung der Verbindung mit den Bulgaren einleiteten . Noch drei Wochen später, als die Ereignisse in ihrem Verlaufe schon eine selbst für den Blinden erkennbare Summe von Erfolgen gezeitigt , hat , wenn wir vorgreifen dürfen , der französische Ministerpräsident Briand am 3. November in der Kammer eine Erklärung abgegeben , die ihm ,. dem Meister der Phrase, auch das Diplom des Meisters der Lüge eintragen konnte und ihn als einen strategischen Ignoranten erkennen ließ. 門 Frankreich und seine Verbündeten werden die heroische serbische Nation nicht preisgeben , deren Widerstand die Bewunderung der Welt Das jetzige Verfahren Deutschlands auf hervorgerufen hat. dem Balkan beweist den Mißerfolg seiner Anstrengungen auf Weil seine Offensive an der den Hauptkriegsschauplätzen . französischen und russischen Front zusammengebrochen. ist , versucht es , diese Diversion . " Die Lüge von dem Zusammenbruch auf den Hauptkriegsschauplätzen widerlegten glatt die Geschehnisse vor Eintritt in den Balkanfeldzug.
Strategisches Ignorantentum
leuchtete
schon aus der Be-
zeichnung „ Diversion " für den Balkankrieg hervor. Was Briand den Zusammenbruch auf den Hauptkriegsschauplätzen nannte, das bezeichnete die neutrale Kritik ausdrücklich als Beweis unserer Unerschütterlichkeit
auf diesen .
Selbst Sonninos Leiborgan
Giornale
d'Italia “ meinte nach der Einnahme von Belgrad : „ Die Kämpfe auf dem Balkan sind vielleicht entscheidend für den Ausgang des ganzen Krieges " , und der „ Bund " schrieb am 10. Oktober : „ Auf dem Balkan sind die Zentralmächte in großer Offensive begriffen . Nach Erledigung
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt .
10
der diplomatischen Verhandlungen Bulgariens mit den Ententemächten sind Deutsche und Österreicher Ungarn über die Donau- Save gegangen. Der Übergang ist am
6./7 . Oktober zwischen Drinamündung und also auf breitester Front, bewerkstelligt worden . Die Stromschranke konnte kein Hindernis mehr bilden, sobald der Gegner
Eisernem Tor,
sich zahlreichen Streitkräften gegenüber sah, die ihn durch Scheinmanöver über die Übergangspunkte täuschen konnten . Ob die serbische Armee noch in ihrer Defensivstellung bei Kragujevac. am Nordufer des serbischen Morawatales versammelt steht und jetzt ihre Vortruppen von der Donau an sich zieht,
läßt sich nicht erkennen .
Ist es der
Fall, so wird das serbische Heer von der bulgarischen Armee im Rücken. bedroht, wenn diese von Caribrod oder Pirot auf Nisch vorgeht . Selbstverständlich werden die Serben hier durch eine besondere Gruppe den Weg zu verlegen trachten , dadurch aber den konzentrischen Druck von Nord und Süd nicht aufhalten . bische Hauptmacht
Es fragt sich also,
nördlich von Nisch stehen bleibt,
ob die ser-
und zwar auf
die Gefahr hin , eingekreist zu werden , oder im Vertrauen auf die heraneilenden Franzosen und Engländer, die einen großen Flankenmarsch ausführen müßten , um sich mit den Serben zu vereinigen. Selbst wenn diese Vereinigung gelänge, brächte sie den Ententemächten keine Erleichterung der strategischen Lage, solange Griechenland nicht mit von der Partie ist . Unter diesen Umständen kann man sich fragen . ob nicht die Landungsarmee selbständig operiert und in OstMazedonien die Entscheidung zweite Basis in Kavalla . “
sucht.
Dazu
brauchte
sie aber eine
Über die Stärke der Landungstruppen, deren erste Staffel in Saloniki unter Protest Griechenlands am 30. Oktober ausschiffte, schwankten damals die Nachrichten zwischen 150000 und 270000 Mann, beides unzutreffend . Als vorläufiges Operationsziel gab der Vierverband in seinen Blättern zunächst die Sicherung der Bahnlinie SalonikiNisch an. Wichtig genug war die Bahn, die seit Beginn des Krieges · für Serbien , Rußland und Rumänien die unentbehrliche Lebensader dargestellt , für Rußland im Winter auch die einzige Möglichkeit der Retablierung seiner Armeen bildete. Für die Zentralmächte war die Störung der Verbindung mit Saloniki und anderseits die Gewinnung einer solchen mit Konstantinopel von größter Bedeutung. Hauptziel der einsetzenden konzentrischen Operationen war die serbische Feldarmee , Gewinnen des nötigen Bodens zur Sicherung der Brückenköpfe für die Basis des Nachschubs dazu die erste Bedingung .
Es konnte von vornherein fraglich erscheinen , ob die
1
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
11
serbische Hauptaimee in Nordserbien eine Entscheidungsschlacht annehmen werde, da bulgarisches Vorgehen von Ost nach West ihren Rücken bedrohen mußte und sie wohl versuchen würden, sich vor einer Entscheidung Rückenfreiheit zu sichern , anderseits aber eine gewisse Bindung in den erklärlichen Wünschen der Entente nach möglichst langem Entziehen der Bahn Belgrad- Nisch- Pirot für die Benutzung durch die Verbündeten und nach Zeitgewinn bestand. Bei Vorgehen der Bulgaren in der Richtung Nisch gleichzeitig mit unserem Druck nach Süden war es unwahrscheinlich, daß die Serben nördlich der Linie Nisch-Kraljewo stehen bleiben würden. In ihrer Lage spielte aber Zeitgewinn eine sehr große Rolle . Zeitgewinn für die Ausnutzung der großen durchgehenden Bahn , für Landung und Vorbewegung der erhofften Verstärkung, Zeitgewinn um das Zusammenwirken der Zentralmächte mit Bulgarien zu hindern . Am 14. Oktober meldete der Tagesbericht des Großen Hauptquartiers : ,.Der Widerstand der Serben kann unsere Vorbewegung nur wenig aufhalten.
Nördlich Belgrad wurden Dorf Zelesnik und Höhen östlich
beiderseits der Topeiderka gestürmt, der Angriff auf Pozarevac ist in günstigem Fortschreiten. Die Straße Pozarevac- Gradiste ist in südlicher Richtung überschritten", und der unserer Verbündeten fügte hinzu : ..An der unteren Drina warfen unsere Truppen die Serben aus mehreren Gräben.
Nördlich Belgrad wurden dem Gegner mehrere zäh
verteidigte Stützpunkte entrissen.
Serbische Gegenstöße scheiterten
unter großen Verlusten." Am 12. Oktober war auch das Fühlungnehmen zwischen Armeen Köveß und Gallwitz südlich Belgrad bewirkt,
die Gruppierung für
die konzentrische Offensive vollzogen. In der Nacht vom 12. zum 13. Oktober fanden auch Zusammenstöße zwischen den serbischen Heeresgruppe rechtwinklig und augenscheinlich zur Mackensen an der Grenze aufmarschierten bulgarischen Truppen statt und zwar , wie zunächst verlautete , nördlich Nisch an der Eisenbahn und 20 Meilen südöstlich Nisch. 40 km nördlich Knjazevac, an der Mündung der Cerna in dem Timok. liegt die Festung Zeitschar und führte eine Straße in westlicher Richtung nach dem 60 km entfernten , im Tale der großen Morawa liegenden Aleksinac.
Nach dem Tages-
bericht vom 14. Oktober waren unsere Truppen südlich Belgrad in weiterem Vorgehen , die Werke der West- , Nord- . Ost- und Südostfront des festungsartig ausgebauten Pozarewac genommen. Der Bericht unserer Verbündeten gab dabei einige Einzelheiten über das Vordringen aus der Gegend von Belgrad nach Südosten, das Stürmen der
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Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt .
festungsartig stark verschanzten Stellungen auf dem Erina -Bardo , dem Cunac und der Stazora , regellose Flucht des Gegners , der den Befehl hatte , bis zum letzten Mann zu halten, gegen den Awalaberg und den Raum östlich davon unter sehr schweren Verlusten . Am 7. Oktober aber hatten noch die ,,Times " geschrieben, Deutschland sei entweder sehr zuversichtlich oder sehr verzweifelt , oder habe überhaupt keinen bestimmten Operationsplan . Welche Wirkung die eben eingesezte Durchführung des Operationsplans auf die Serben ausübte, sagt uns der zusammenfassende Bericht des Großen Hauptquartiers vom 9.
November : ,,Nunmehr schien den Serben.
die Erkenntnis zu kommen, daß ein starkes Heer von ihnen mehr fordere, als sie geahnt hatten . Aus allen Teilen des Reiches wurde herangeschafft , was irgendwie verfügbar war . Aber selbst bei den kurzen Entfernungen war es nicht möglich, mit den mangelhaften Beförderungsmitteln und trostlosen Wegeverhältnissen Truppen schnell zu verschieben. Immerhin wuchs die Aussicht . einen starken Feind vor die Klinge zu bekommen und damit ihm einen entscheidenden Schlag zu versetzen .
Von der Drina wurden Truppen herangezogen,
die Macwa wurde geräumt, der Negotiner Kreis nach Möglichkeit frei gemacht und von der bulgarischen Front rollten die Divisionen auf der Bahn über Cuprija und Morawatalbahn.
Von jener Front etwas Er-
hebliches wegzunehmen , dazu war es zu spät geworden. “ Am 14. Oktober hatte Bulgarien Serbien den Krieg erklärt .
An
der bulgarischen Grenze lagen die Verhältnisse für eine hartnäckige Verteidigung weniger günstig als im Norden.
Zwischen Strumitza-
Nisch, 300 km Länge aufweisend, verläuft die serbische Ostgrenze . abgesehen von 50 km des nördlichen Teils des Timoktales, ohne Flußsperre an Kämmen unwirtlicher, steiler Mittel- und Hochgebirge, deren Westhang gangbarer als der Osthang ist und gut fahrbare Verbindungen nur bei Zeitschar und Knjazevac im Nischawa- und Wardartale besitzt . Nur die Bahn Nisch-Pirot - Sofia führt über die Grenze, von Küstendil eine Linie bis zur serbischen Grenze heran . Blockhäuser an Kämmen , eventuell neue Feldbefestigungen und die befestigten Plätze Zeitschar, Pirot , Nisch, konnten die Verteidigung der Serben stützen , geschickte Ausnutzung den Vormarsch der Bulgaren im Morawatal und das Zusammenwirken mit den Zentralmächten verzögern.
Die lange Ostgrenze Serbiens mußte anderseits nachteilig auf
die Kräfteverteilung des Verteidigers wirken .
Die Richtung der Bahn
Saloniki Vranja- Nisch südlich von Leskovac und im Timoktale war durch die Nähe der bulgarischen Grenze gefährdet. Eile war für die
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
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Verbündeten angezeigt, da je größer diese, um so mehr die Möglichkeit. . eines wirkungsvollen Eingreifens der in Saloniki gelandeten Truppen ausgeschlossen wurde. Der Tagesbericht vom 15. Oktober enthielt , neben der Meldung von dem weiteren Zurückdrängen der Serben südlich Belgrad , der Inbesitznahme von Pozarevac, auch die beiden kurzen, inhaltreichen Sätze : ,, Die bulgarische I. Armee begann den Angriff auf die serbische Ostgrenze.
Sie nahm die Paßhöhen zwischen Belogradok und Anjevac
in Besitz ". Die Pässe des Zejlavatska- Gebirges , das das rechte Timokufer begleitet, waren im Besitz der I. bulgarischen Armee, damit die erste Vorbedingung für den Angriff über die Timoklinie in der Richtung auf die Morawa und die mögliche Zentralstellung Nisch erfüllt . Wir werden freilich sehen . daß es im Timoktale starken serbischen Kräften vorübergehend gelang, der bulgarischen Offensive zwischen Zeitschar und Knjazevac Einhalt zu gebieten.
Nach dem Fall von Pozarevac
konnte die Armee Gallwitz mit Zuversicht die Vorbewegung im Morawatal und, da auch der kleine Ort Smoljenac, etwa 11 km südöstlich Pozarevac auf der Höhe östlich der Mlawa, genommen worden, auch im Mlawatale , die zu einem Anschluß an die bulgarische Armee führen mußte , fortsetzen . Am 16. Oktober meldete der Tagesbericht die Annäherung der Verbündeten in Verfolgung des Gegners im Raume Belgrad auf Sturmentfernung an die Avala - Befestigungen , die Einnahme von Stellungen auf den Höhen südlich Venca , das Erkämpfen des Überganges über die Grenzgebirge zwischen Negotin und Strumitza an vielen Stellen , das Nehmen der Ostwerke von Zeitschar durch die Bulgaren . An demselben Tage lehnte Rumänien das russische Durchzugsverlangen ab . Zieht man die bulgarischen Meldungen heran, so bedrohte deren rechter Flügel die Bahnstrecke Negotin- Zeitschar (dessen Einnahme den Bulgaren den Weg in den Rücken der nördlich stehenden Serben öffnen würde) , Knjazevac- Nisch, ihr linker , dessen Opera onsbasis bei Strumitza lag, die Fortsetzung der genannten Bahnlinie , die über Uesküb - Köprülü in das griechische Gebiet führt und bei Saloniki endete. Nach feindlichen Nachrichten sollten Landungstruppen zur Bahnsicherung schon nach Serbien abgegangen, an dem Warda, westlich des Doiransees mit bulgarischen Abteilungen zusammengestoßen sein. Nach dem Tagesbericht der Verbündeten vom 17. Oktober nahmen österreichisch-ungarische und deutsche Bataillone in umfassendem Angriff von Nord und West am 16. Oktober beiderseits der
Bahn
Belgrad-Palanka
den beherrschenden
Avalaberg,
Vk.
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Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
Kamien und die Höhen südlich von Ritopak (an der Donau) , womit das Höhengelände südlich Belgrad in der Hand der Verbündeten war, während die Armee Gallwitz von der Poduna- Polje den Feind hinter die Ralja (südwestlich Semendria) und die Höhen bei Supina und Makei warf, die Armee Bojadjeff den Übergang über den unteren. Timok erzwang, östlich Knjazevac den 1198 m hohen Glogowica - Berg erstürmte, bulgarische Truppen auch in der Richtung auf Pirot vordrangen. Am folgenden Tage hatten die Bulgaren Muslin Percin (nördlich Pirot ) besetzt und waren südlhei über Egri-Palanka vorgedrungen In der Macwa begann der Feind zu weichen, beiderseits der Morawa gewannen deutsche Truppen weiteren Raum, nahmen südlich von Pozarewae M Crnion und Bozevaz und setzten südlich Belgrad das Vorschreiten fort. Infolge des gelungenen Durchbruchs in der Richtung
auf Ripanj
waren
die
serbischen
Flügel bei
Grocka und Obrenovac nicht länger imstande , zu halten und nahmen beiderseits der Kolumbaraniederung übergesetzte Truppen Branic.
Von der Armee Gallwitz wurde mit dem rechten Flügel die
Gegend östlich Scone , das Höhengelände bei Lucica und bis Misljenovac genommen. Die Armee Bojadjeff drang gegen Zeitschar- Knjacevac über Inowo und gegen den Kessel von Pirot weiter vor, während andere bulgarische Truppen im oberen Morawatal Vranja nahmer und weiter südlich die Linie Egri-Palanka - Stip schon überschritten . Der Tagesbericht vom 20. Oktober meldete bereits das Gewinnen starker Stellungen auf dem Sultan Tepe
südöstlich Egri - Palanka
und das erfolgreiche Vordringen auf Kumanowo durch bulgarische Truppen, erneutes Werfen des Feindes durch die Armee Gallwitz südöstlich Pozarevac in der Richtung auf Petrovac. In Tagen war durch den neuen Vierverband mehr geleistet . als von den Italienern in der gleichen Anzahl von Monaten.
Schon am 19. November meldete der Telegraph aus Sofia
die Besetzung der mazedonischen Städte Istip und Radowista durch die Bulgaren, die mit dem Besitz von Sultan Tepe auch die Straße Küstendil- Egri-Palanka - Kumanowo,
sowie
den Zugang in das
Bregalnitzatal beherrschten und den Besitz der strategisch wichtigen Punkte dieses Teiles von Serbisch Mazedonien waren. Nördlich von Ripanj dauerten die Kämpfe fort, südlich von Lucica-Bozevac wurde der Feind wiederholt geworfen. Durch die Einnahme von Vranja hatten die Bulgaren die Pforte für ein Vorgehen der Ententemächte geschlossen und den Weg nach Nisch gesperrt . Der bulgarische , von Parallelaktionen im Süden von Egri- Palanka und Zarevoselo begleitete Vorstoß
15
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt .
im oberen Morawatale brachte die im Norden kämpfenden serbischen Heeresteile um eine ihrer wichtigsten Rückzugslinien. Am 20. Oktober veröffentlichte Agence Havas eine amtliche Mitteilung aus Nisch, die, obwohl sie noch zugunsten der Serben färbte , doch die Lage als immer ernster werdend bezeichnete und dann fortfuhr : ,,Auf der Nordfront halten die Serben die Linie AlexandrowacJolubac
Azanje- Kosmaj und das rechte Ufer der Kolubara , auf der
Ostfront die Linie Zeitschal - Knjazevac-Vlasina .
Aber die Bulgaren
haben die Stadt Vranja genommen und die Linie nach Saloniki an mehreren Stellen durchschnitten. Der Widerstand ist verzweifelt und heldenmütig, aber der starke Druck der Österreicher und Deutschen im Norden und derjenige der bulgarischen Massen bedrohen ernstlich die serbische Armee , die jetzt von Saloniki abgeschnitten ist .
Die An-
kunft der verbündeten Truppen wird mit Besorgnis erwartet ." Die Besorgnis sollte noch länger dauern, das
Schicksal der
serbischen Armee besiegelt sein , ehe der Vierverband wieder eine
verpaßte
Gelegenheit
verzeichnend -
mit
genügenden Kräften eingriff. Am 21. Oktober meldete die oberste Heeresleitung die Verfolgung des langsam weichenden Feindes auf der ganzen Front durch verbündete Truppen, welche die Serben in südlicher Richtung aus den starken Stellungen östlich und südlich Ripanj geworfen hatten und mit den Vortruppen in die Linie Stepojewac - Leskowac- Raba gelangten Ferner konnte westlich der Morawa ein Vordringen deutscher Truppen über Selewac, östlich über Walo skido - Rasonac - Ranovac
gemeldet werden ; ferner
Kämpfe bul-
garischer Truppen bei Negotin und das Erreichen der Straße Zeitschar-Knjacevac. geschrieben :
Gleichzeitig wurde aus dem Kriegspressequartier
,,Die Harmonie in den kombinierten Operationen gegen Serbien tritt heute bereits in voller Deutlichkeit in die Erscheinung. Die Heeresgruppe Mackensen hat südlich der Save und Donau eine gerade Front erreicht, schon die Macwa , Obrenovac mit beiden Ufern der Kolubara, das Bergland südlich von Belgrad mit allen seinen vorbereiteten Stellungen, sowie das ganze breite Tal der unteren Morawa und Pozarewac bis zum unteren und mittleren Pek hinter sich gebracht . Am weitesten nach Süden in dieser Linie ist der Ostflügel der Armee Gallwitz vorgedrungen . der schon beiderseits des Morawatals sich auf Petrovac vorschiebt. Mit ganz geringen Ausnahmen stehen jetzt die Armeen Köveß und Gallwitz schon in den Anfängen eines nach Süden immer schwieriger
16
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt .
werdenden Gebirgskriegs in breiter geschlossener Front , einem äußerst zähen Feinde gegenüber. Die Bulgaren haben mittlerweile alle nach Serbien führenden Einbruchstellen mit starken Kräften in überraschend kurzer Zeit gewonnen und bilden heute schon mit ihren zum Teil noch räumlich getrennten Kolonnen eine fast gerade von Norden nach Süden verlaufende Front, die zur unserigen im rechten Winkel steht und sich auf der ganzen Linie systematisch vorschiebt. Die Bulgaren haben bei Forcierung der Grenzgebirge , abgesehen von dem erbitterten Widerstand der Serben, ganz enorme natürliche Hindernisse überwunden und sind in Anbetracht dessen mit unglaublicher Schnelligkeit weitergekommen .
Wohl der bedeutendste ihrer schon
erzielten Erfolge ist die Gewinnung von Vranja an der Hauptbahn Saloniki- Nisch .
Der Erfolg nimmt den Serben nicht nur die einzige
bis an ihre Front führende Eisenbahn, sondern auch die längs dieser verlaufende gute Landstraße und sonst die Verbindung mit den englischfranzösischen Hilfskorps und den ganzen , südlich von Vranja stehenden eigenen Truppen . An relativ leistungsfähigen Linien bleibt den Serben nur noch der südlich von Vranja bei Üsküb abzweigende Bahnflügel und außerdem nahe seinem Ende die Straße von Pristina nach Nisch. Das
bedeutet
einen
riesigen
Umweg,
große
Verzögerungen
und
Transportschwierigkeiten, da die Querlinien für den Nachschub der serbischen, nach Osten gerichteten Front nur über einen 70 km breiten, wegearmen Gebirgsstock führen . Weiter im Süden hat sich für die Serben gleichfalls eine sehr böse Lage entwickelt, da die Bulgaren schon Istip erreichten, das 100 km von der bulgarischen Grenze und nur noch einen schwachen Tagemarsch von der letzten nach Serbien führenden Bahnlinie liegt .
Jedenfalls sind die Bulgaren jetzt
die Herren der Owtsche Polje und stehen nahe am Wardar. Nach dem siegreichen Kampf bei Egri-Palanka auf dem Wege nach Kumanowo haben die Bulgaren heute schon einen großen Teil Mazedoniens in Händen und ein Stück der gegen sie kämpfenden serbischen Front von deren normalen Verbindungen abgetrennt .
Auch im nahen
Nordosten von Nisch haben die Bulgaren die serbischen Sperrstellungen bei Knjacevac und Inovo überrannt , so daß die serbische Zentralstellung bei Nisch von zwei Seiten bedroht ist. Das Vordringen der Bulgaren im Becken von Pirot und westlich, längs der Nischawa wird dadurch ungemein erleichtert .
Die Umgehung von Nordosten ist sehr
wertvoll, wie auch ganz im Norden der bulgarischen Angriffsfront die Wegnahme des Einfallwegs nach Zeitschar, von wo Straße und Flügelbahn in das mittlere Morawatal führen. “
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Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt. Der Tagesbericht vom 22.
Oktober meldete , daß
die Armee
Bojadjeff bei Knjazevac weiter vorwärts gekommen war , Kumanowo und Veles genommen , südlich von Strumitza die Serben über den Wardar geworfen waren, und daß Teile von der Armee Köveß in die Linie Arnajewo - Slatinaberg, Armee Gallwitz, Saranowac- TrnowaRanowac gelangt waren. In der Linie Vranja-Kumanowo - Weles beherrschten die Bulgaren an drei Punkten die Linie, auf welcher den Serben Hilfe kommen konnte. Man durfte sagen, daß jede Hilfe zu spät komme ; das Heer, das im Raume Strumitza den Bulgaren in die Flanke fallen sollte,
war geschlagen und über den Wardar geworfen, Ab-
teilungen der Landungstruppen waren in die Niederlage von Strumitza verwickelt, die Bulgaren hatten die Schlacht bei Valando wo gegen Serben und Franzosen geschlagen .
Am 23. Oktober
konnte die Obeiste Heeresleitung, wenn wir im Westen beginnen, die Erzwingung des Drinaüberganges bei Visegrad und Gewinnung der östlich vorliegenden Höhen, das Räumen feindlicher Stellungen am Kosmajberg durch Armee Köveß, das Werfen des Gegners östlich Palanka über die Jasenica und östlich der Morawa aus den Stellungen bei Alexandrovac-Orljewo durch die Armee Gallwitz und durch den beiderseitigen Druck auch das Zurückgehen der noch an der Slatinahöhe stehenden Abteilungen melden. Die serbischen Stellungen an der Jasenica , bei Palanka und bei Petrovac zeigten eine vielfach gebrochene Linie, weshalb Flankierung durch den Angreifer möglich waren. Die Bulgaren setzten sich in Besitz von Negotin und Raljewo , standen östlich und südöstlich von Knjazevac im fortschreitenden Angriff und hatten südöstlich Pirot serbische Angriffe abgewiesen. Die nächste Widerstandslinie der Serben hatte, so urteilt Strefleurs Militärblatt Nr . 49, wohl eine günstigere Lage , indem sie in einem flachen Bogen, auf den Höhen südlich Lazarovac-Arangjelovac - Topola , weiter südlich der mittleren Jasenica und des Racabaches verlief und östlich der Morawa im Berglande von Petrovac und Kucevo gute Stützpunkte fand.
Dennoch ist (wie hier vorgreifend bemerkt werden
soll) auch die Bezwingung dieser Positionen alsbald gelungen, da einerseits ihre linke Flanke von der Kolubara her bedroht wurde , anderseits die Sorge um den weiteren Rückzug den Verteidigern längeres Verharren in den einzelnen Abschnitten verbot.
Die Rückzugsstraßen
und Höhenzüge führen nämlich aus den erwähnten
Räumen in
exzentrischer Richtung gegen Südwest (Arangjelovac - Cacak) , (Palanka
Süd
Krusevac) und Südost (Petrovac- Zeitschar ) auseinander.
In Athen tobte unterdes ein Diplomatenkampf, in dem die Entente2 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 532.
18
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt .
mächte Griechenland,
als zur Unterstützung
Serbiens verpflichtet ,
binden wollten , Griechenland mit vollem Rechte diese Verpflichtung ablehnte, zu den Mittelmächten und Bulgarien doch größeres Vertrauen bewies und die strikte Fortsetzung seiner Neutralität erklärte. Bulgarien legte sich in bezug auf Operationen eine gewisse Bindung durch die Erklärung auf, in seinem Operationsplan sei keinerlei Anschlag
auf
griechische Gebietsteile enthalten und bezeichnete diese Bindung nur dann als fortfallend, wenn Truppen der Mittelmächte genötigt sein sollten, in König Constantins Gebiet einzufallen . um Truppen der Entente zu verfolgen , denen die Regierung erlaubt hätte, in griechisches Gebiet einzudringen . Die britische Flotte bombardierte unterdes ohne militärischen Erfolg Dedeagatsch.
Üsküb war von der Zivil-
bevölkerung schon geräumt . Am 24. Oktober konnte die oberste Heeresleitung melden , daß die Armee Köveẞ östlich der Lucavica die Serben weiter in südlicher Richtung zurückwarf, Armee Gallwitz bei Palanka das Südufer der Jasenica gewonnen, weiter östlich die Linie Rakinac -Ranovac nach heftigem Widerstand der Serben erreicht , bei Orsowa die Donau überschritten, der Feind aus dem Bergland von Kladovo vertrieben worden, die Armee Bojadjeff halbwegs Zeitschar - Knjazevac das westliche Timokufer besetzte. Durch die Eroberung des gebirgigen Südufers der Donau bei Orsowa war ein wichtiger Schritt zur Verbindung mit der bei Negotin kämpfenden bulgarischen ersten Armee getan . Negotin lag unter schwerem bulgarischem Feuer, Pirot wurde von schwerer bulgarischer Artillerie beschossen. Und in London fabelte man , die Krisis könne nicht lange mehr dauern , General Sarail versammle seine Truppen zunächst im Raume Gewgheli, stoße auf Üsküb vor und werde die Bulgaren an weiterer Vorbewegung nach Westen hindern .
Als wenn das im Handumdrehen
zu bewirken, das Schicksal der Serben dadurch noch zu wenden gewesen wäre ! Bei Visegrad war der Gegner von den Höhen östlich der Drina. vertrieben. Am 23. Oktober abends lief, von Osten gerechnet, die Front der Verbündeten bei Goluvac an der Donau über den Pek hart nördlich Ranowac, über die Mlawa südlich Orljewo, über die Morawa östlich Trosovac ; dann scharf nach Süden, wie ein Keil bei Palanka (wo die Serben am 23. Oktober über Lug-Jasenica geworfen wurden) die Bahn Belgrad-Palanka-Nisch durchschneidend (ein Keil, der die Serben zur Aufgabe auch des Makovicarückens zwang , um so mehr, als auch die Armee Köveß einen solchen in die durch Flankierung erschütterte
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
19
Kosmajstellung hineingetrieben ) , darauf nach Nordosten über Acanja― Mladenovac über die Kosmajhöhe , nördlich Arnajewo über die Kolubara . Äußerst glückliches Zusammenarbeiten der verbündeten Armeen hatte eine Reihe bedeutender Erfolge in einem sehr schwierigen Gebirgsfeldzuge errrungen. Nach dem Tagebericht vom 25. Oktober war Valjewo von österreichischer Kavallerie besetzt , hatte sich die Armee Köveẞ kämpfend Arangjelowac genähert und die Linie Lazarevac-Rabcovar erreicht . Westlich der Kolubara waren die Tamnawaübergänge genommen (während bei Visegrad der Brückenkopf erweitert wurde ) , die Armee Gallwitz hatte südlich der Jasenica die beherrschenden Höhen von Banicina gestürmt und war in der Morawaebene Zabani nehmend, östlich bis Presednahöhe südlich Petrovac -Meljnica , im Pektal bis auf die Höhen von Kucewo gelangt. Die bei Orsowa übergegangenen Truppen waren weiter nach Süden vorgedrungen und mit ihrem linken Flügel nach Sip an der Donau gelangt.
Die Armee Bojadjeff hatte
20 km nördlich Pirot den Kamm zwischen den Gipfeln DernovaGlava und Mirkovac genommen . Am 21. Oktober hatte der Bund geschrieben: 99 Die Balkanoffensive der Deutschen und Österreicher zeigt eine sorgfältige Kombination mit dem bulgarischen Vormarsch. Am 19. Oktober legte die deutsche Meldung eine Reihe von Kampforten fest , die einen Überblick über die Lage gestatten. Danach haben die bulgarischen Streitkräfte ihre Aufgabe mit großer Energie wahrgenommen. Diese besteht darin , in der rechten Flanke und im Rücken der Serben möglichst rasch bis zu den vitalen Punkten durchzustoßen , um dadurch die serbische Defensive zu entwurzeln , während Mackensen, bildlich gesprochen, den Stier bei den Hörnern hält. Die allgemeine Angriffsrichtung Mackensens wird durch die Täler der Kolubara , Morawa, Mlawa und des Pek bezeichnet, durch welche die Stoßtruppen sich parallel ins Innere des Landes bohren , um die serbische Defensive des Vorteils einer zentralen Aufstellung am Ausgang der Morawatalenge zu berauben und die Überflügelung einzuleiten . Der rechte Flügel der ersten bulgarischen Armee hatte die Ostforts von Zeitschar genommen, sich gegen Knjacevac vorgekämpft , Inowo erreicht, den linken Flügel gegen Pirot vorgetrieben. war südlicher aus
Die zweite bulgarische Armee
dem Raume Küstendil vorgegangen und hatte
in überaus glücklichem Vormarsch schon das Morawatal bei Vranja erreicht, damit die Lebensader der serbischen Verbindungen , die Bahn Saloniki - Üsküb - Vranja- Nisch an wichtigen Punkten durchschnitten. Einer anderen Kolonne gelang der Durchbruch der serbischen Vorverteidigung bei Egri- Palanka und Einnahme von Kumanowo , 2*
20
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
einer dritten der Einbruch in das Bregalnitzatal in der Richtung auf Istip. Am äußersten linken Flügel der Bulgaren wird im Raum Strumitza und zwar in Richtung Radowista- Rabrowo gekämpft .
Über das
Eingreifen der englisch-französischen Truppen, von denen höchstens drei Divisionen zur Stelle sein können, verlautet noch nichts. (Walandowo ?) Aus Saloniki ging vom 24. November die Meldung ein, daß bis dahin rund 58000 Mann, 100 Geschütze französisch-britischer ( 19000 ) Truppen gelandet , rund 20000 nach Serbien abgegangen seien.
Aus
Athen kam die Meldung von der Überreichung einer Drohnote der Ententemächte betreffend die Landungen an die griechische Regierung, aus Sofia die erfreuliche Kunde, daß Üsküb in Händen der Bulgaren sei. Athener Blätter sprachen damals schon offen aus , man habe nicht die Verpflichtung, Serbien zu unterstützen und verhehlte nicht die Ansicht , daß die Entente nicht zeitig genug 150000 Mann Hilfe senden könne, erst recht nicht 400000, wie nötig erschienen . Üsküb lag noch 35 km von der albanischen Grenze entfernt . Nach Wiener Nachrichten. vom 26. Oktober batten die Serben im
Raume Üsküb eine
ent-
scheidende Niederlage erlitten und waren, von den Bulgaren heftig verfolgt, auf den Paß von Katschanik zurückgeworfen worden . In den Kämpfen bei Visegrad waren neben serbischen auch montenegrinische Bataillone festgestellt worden . Am 26. Oktober meldeten Pariser Blätter die bevorstehende Umbildung des Ministeriums als sicher und an demselben Tage gaben die ,,Times" zu, der Kampf zwischen Krivolac und Strumitza sei am 22. Oktober zu Ende gegangen , die serbischen und französischen Truppen geschlagen worden und würden von den Bulgaren verfolgt . Der Tagesbericht der obersten Heeresleitung vom 27. Oktober enthielt einen kurzen, eine gewaltige Perspektive, nicht nur auf den Fortgang der Operationen , sondern auf die Weltgeschichte der Zukunft erschließenden Satz : ,, In Ljubicovac ( an der Donau) , östlich BrzaPalanka wurde die unmittelbare Verbindung mit der Armee des Generals Bojadjeff durch Offizierpatrouillen hergestellt.
Auf einem Gebiete ,
das einen Teil des Kampfkreises darstellen dürfte, den sich das bulgarische Heer unter Führung seines Königs heute in glänzendem Feldzug schon eroberte , reichten in enger, jetzt auch bald zum Gefechtsanschluß gedeihender Kameradschaft die Waffenbrüder sich die Hand, wurde das Schlußglied in die Kette eingefügt, die von den Ufern der Nordsee bis zum Persischen Golf den Strom der kulturellen, wirtschaftlichen und Handelsentwickelung eine andere Bahn vorzeichnet, als unsere
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
21
Gegner sie gewollt . Die Herstellung der taktischen Verbindung zwischen den Innenflügeln der Armeen der Zentralmächte und ihres ruhmreichen bulgarischen Verbündeten, die Freilegung der Donau als Wasserstraße über Bulgarien nach Konstantinopel und der sich im Anschluß an diese Ereignisse schon vorbereitende entscheidende Kampf um Besitz des zweiten Weges nach dem Orient, der Bahn im Morawatel über NischPirot - Sofia , drücken diesem Feldzugsabschnitt seinen besonderen Stempel auf.
Die Armeen der Generale von Köveß und Gallwitz ,
so meldete im übrigen der Bericht, haben den Gegner überall, wo er sich stellte , geworfen .
Mit den Hauptkräften wurden die allgemeine
Linie Valjewo - Morawci-Topola erreicht, östlich davon die Jasenica . Raca und beiderseits Svilajnac die Resawa überschritten . ist Neresnica erreicht .
Im Pektale
Der rechte Flügel der Armee Bojadjeff folgt
dem Gegner von Negotin in nordwestlicher und südwestlicher Richtung. Um den Besitz von Anjazevac wird weiter gekämpft. Die Armee Gallwitz war bis auf 15 km an Kragujevac herangelangt . Aus Sofia traf am 17. Oktober die erfreuliche Mitteilung von der Besetzung von Knjazevac und vom Erstürmen der mächtigen Stellung von Dernova Glava, des Schlüssels zum Festungsrayon und Pirot , ein. Am 28. Oktober enthielt auch der Tagesbericht die Nachricht der Einnahme von Zeitschar und Knjazevac durch die bulgarische erste Armee , des Überschreitens des Timok in breiter Front nördlich Knjacevac und des Besetzens der Schlüsselhöhen 25 km nordwestlich Pirot . Schon der folgende Tag brachte die Meldung von der Eroberung Pirots durch die I. bulgarische Armee, vor welcher der Gegner auf der ganzen Front wich.
Südlich von Visegrad war der Feind geworfen.
östlich davon über die Grenze zurückgedrängt, westlich der Morawa die allgemeine Linie Slavkovica- Rudnik- Cunic- Batocina erreicht , südlich von Svilajnac die feindlichen Stellungen beiderseits der Resava gestürmt. Am folgenden Tage stürmten die Armeen Köveß und Gallwitz feindliche Stellungen , Armee Bojadjeff setzte die Verfolgung fort . Der Tagesbericht vom 31. Oktober meldete, daß deutsche Truppen der Armee von Köveß Grn . Milanovac genommen und den Feind aus seinen Stellungen südlich der Svebonica geworfen hätten ; die Armee Gallwitz drängte den Gegner beiderseits der Morawa weiter zurück. Am folgenden Tage waren die Höhen südlich von Gin. Milanovac im Besitz der Truppen der Armee Köveß, Kragujevac in deutscher Hand . östlich der Morawa der Trivunovoberg genommen , die Armee Bojadjeff am 30. Oktober in die allgemeine Linie Höhe von Planinica - Slatina , östlich Sborljig , westlich Bela -Palanka , östlich Wlasotince, gelangt.
.
Abschnitt
zweiter
und
erster
Balkankricges
Des
223
Am folgenden Tage war der Austritt aus dem Bergland von Grn . Milanovac ins Tal der westlichen Morawa erzwungen, Cacac besetzt , beiderseits der Morawa die allgemeine Linie Bagvodan- Despotovac überschritten. Der Tagesbericht des 31. Oktober meldete Uzice besetzt, die Straße Cacak- Kragujewac beiderseits der Morawa nach heftigem Widerstand des Feindes überschritten. Die Armee Bojadjeff hatte westlich Planinica , beiderseits der Straße Zeitschal - Paracin den Feind geworfen , den Brückenkopf von Svrljig genommen, den Svrljiski- Timok überschritten und drang über den Plesberg und die Gulianca nach dem Nischwatale vor. Die im Nischwatal vorgegangenen Kräfte mußten vor stark überlegenem serbischem Angriff ausweichen und behaupteten den Bojowberg westlich Bela-Palanka . Lief am Schluß des Oktober die Front
der Verbündeten von
Boljatin an der Donau südöstlich Neresnica über den Pek, über die Mlawa , über Slatina südöstlich Lapowo über die Morawa , südlich der Raca, südlich Topola , südlich Moravci und südlich Valjewo , so wurden bis zum 3. November die Serben über die Linie Visegrad-Cacak Bagovdan- Despotovac zurückgedrängt, das wichtige Kragujevac in deutsche Hand gebracht, und war es den Bulgaren gelungen, nicht nur Zeitschar - Knjacevac-Pirot schnell zu nehmen, sondern die Serben auch über die Wasserscheide zwischen der südlichen Morawa und Timok zurückzuwerfen.
Die bulgarische Front verlief in diesem Ab-
schnitt etwa halbwegs der Morawa und der bulgarischen Grenze von Boljewo über Slatina bis Vlasotince (östlich Leskovac).
Der linke
bulgarische Flügel beherrschte flußaufwärts von Vranja nach Einnahme des Katschanikpasses das ganze südliche Tal der Morawa. Streffleurs Militärblatt Nr. 50 gibt die Verteilung der serbischen Streitkräfte um diese Zeit , wie folgt, an : serbischen Armee beginnt recht kritisch zu werden.
Die Situation der Unter dem Ober-
kommando des Kronprinzen ( Generalstabschef Oberst Pavlovic , dem je ein russischer, französischer und britischer Offizier als Ratgeber zur Seite steht ) kämpft die I. Armee ( General Misic) gegenüber dem rechten Flügel und der Mitte unserer Armee Köveß , weiter im Anschluß gegen Osten, wich die II. Armee ( General Bojovic ) vor den verbündeten Armeen Köveß und Gallwitz zurück. Nach ihrer Widerstandskraft und Frontausdehnung scheint sie die stärkste zu sein. Östlich der Morawa trachtete die III. Armee (General Stepanovic ) im Raume Negodin- Pirot und südlich anschließend die IV . Armee (General Jurisic- Sturm ) das Vordringen der Bulgaren aufzuhalten . Speziell der linke Flügel Sturms wurde trotz tapferer Gegenwehr zu-
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
23
erst aus dem Owee Polje über Kumanowo Üsküb , dann auf den Kacanicpaß und das obeiste Tal der südlichen Morawa zurückgeworfen , so daß er jetzt die letzte Höhe des Kossova Polje (Pristina ) deckt . Eine Folge der Verdrängung des rechten Flügels der IV. serbischen Armee ist die völlige Abtrennung mehrerer serbischen Brigaden ( General Bozovic), die am südlichen Wardarufer Anschluß an die Ententetruppen suchen dürften. Betrachtet man die Lage der Nord- und Ostfront, so ergibt sich der Schluß , daß die Serben einer großen Entscheidung jedenfalls ausweichen wollen." Der
Bund" urteilte am 3.
November : ,,Was vom serbischen
Heere noch im Raume von Krusevac steht, ist nahezu völlig eingekreist. Nur noch zwei große Verbindungen führen aus diesem Raum nach Südwesten, die eine durch das Ibartal über Kraljevo und Kursumlja , die andere läuft im Tale der großen Morawa aufwärts nach Nisch und von dort über Prokuplje durch das Toplikatal ebenfalls nach Kursumlja . Pristina liegt in der Luftlinie 53 km südöstlich von Kursumlja .
Außer
den genannten Straßen gibt es in dem übrig gebliebenen Operationsraum nur noch Karrenwege und Saumpfade, auf denen Artillerie und Roß kaum gerettet werden können.
Solange Nisch sich hält und das
Morawatal nicht von Osten her bedroht wird , können die Serben ihren Rückzug von Jagodina und Krusevac her über Alexinac in der Richtung über Prokuplje und Kursumlja noch vollziehen .
Der Rückzug von
Kraljewo durch das Ibartal ist von Cacak her schon stark gefährdet . Schlimm ist für die Serben der von den Bulgaren geübte Druck zwischen Zeitschar und Vranja .
Der Nordflügel der Armee Bojadjeff strebt von
Zeitschar über Planinika-Lukowo nach Paracin, wo das große Morawatal südlich von Jagodina erreicht würde. Bei Lukowo können sich die Serben setzen, wenn ihnen die Verhältnisse in ihrem Rücken dieses gestatten. Da aber nach dem Fall von Kragujevac und Bogrdan auch Jagodina bereits bedroht erscheint und im Tale der Resawa schon Despotovac , südöstlich Svilajnac, und nördlich Paracin , erreicht ist , so bringt längeres Säumen auch hier Verderben.
Auf der nächsten
südlichen Ostwestverbindung Knjazevac - Aleksinac ist von Bojadjeff seit dem 31. Oktober die Höhe südlich von Slatina und damit die Paßhöhe der im Morawatal über Soko Banja nach Alexinac ins Tal der Diese bulgarische großen Morawa führenden Straße überstiegen. Kolonne hat noch 42 km bis zum Eintritt ins Tal zurückzulegen , das sie etwa 35 km unterhalb Nisch erreichen würde . Eine dritte Kolonne strebt von Knjazevac in östlicher Richtung über Svrjig nach Nisch und hat etwa die Hälfte des Weges hinter sich gebracht . Im Nischawatal
24
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt .
ist nordwestlich Pirot Bela- Palanka durchschritten .
Weiter südlich
dringen die Bulgaren durch das Vlasinatal und haben Vlasotince, 15 km östlich Lukowo , erreicht . Dieser breit angelegte Vormarsch geht
mit dem
Nord-
und
Südflügel
gegen
Paracin
und
Lescovac , die Lebenspunkte des Morawatales, und führt in der Mitte einen dreigeteilten konzentrischen
Stoß gegen die Zentral-
stellung von Nisch, das jetzt von den Serben als Flankenposition bis in das äußerste verteidigt werden muß , wenn ihr Rückzug nicht schon zum Abfluß der Armee in der Richtung auf Prokuplje geführt hat .“ Da weiter südlich die zweite bulgarische Armee, Todorow, sich bei Vranja behauptet und von Üsküb sogar auf Katschanik in der Richtung Pristinas vorgedrungen ist, also der Raum Pristina-Mitrovica- Nowipazar nach Süden verstopft ist,
so erscheint die Lage
der Serben auch unter diesem Gesichtspunkte kritisch.
Von Weles
bis Gewgeli haben die Bulgaren am äußersten linken Flügel einen Defensivhaken gebildet , auf dem sie mit den französisch-britischen Truppen seit Tagen im Kampfe stehen.
Soviel sich bis jetzt erkennen
läßt, hat diese Aktion auf die allgemeine strategische Lage noch keinen nachweisbaren Einfluß geübt .
Jeder Tag Versäumnis der Saloniki-
unternehmung macht diese gefährlicher, da das serbische Heer, nach seinen verlustreichen Nachhutkämpfen, in seiner unbekannten Reduitstellung schon sehr geschwächt ankommen , oder über die albanischmontenegrinische Grenze gedrängt werden könnte, bevor die Aliierten bulgarischen Boden betreten. Etwas vorschnell haben Zivilstrategen damals von einem ,,serbischen Sedan" gesprochen, wohl nicht zur Freude der obersten Heeresleitung, die in ihren Berichten ihre Ausdrücke mit größter Sorgfalt zu wählen pflegt. Nach dem Tagesbericht vom 4. November standen die verbündeten Truppen dicht nördlich von Kraljewo auf dem 768 m hohen KotlenicVon Zakuta , Vk. ging die im Tagesbericht genannte Linie in
berge.
nordöstlicher Richtung nach Jagodina ins Morawatal. Dieser Knotenpunkt liegt nur noch 15 km von Paracin, wo die wichtige Querbahn von Zeitschar in den Hauptstrang Belgrad- Nisch mündet , beiderseits sind die Bulgaren , von Osten vordringend , bis auf 44 km an Paracin herangekommen, wo sie Boljevac besetzt und überschritten hab . n. Die Armeen Gallwitz und Bojadjeff sind in der Luftlinie keine 50 km mehr voneinander entfernt. Der Angriff auf Nisch war mächtig vorangekommen ,
da
der
den
Bulgaren
erstürmte
Kalafatberg die Nordostfront beherrschte. Für die serbische Armee schien es sich nicht mehr darum zu handeln , wohin
25
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
sie zurückgehen wollte , sondern wohin sie zurückgehen mußte. Der Versuch, das serbische Heer durch Hilfe von außen aus seiner gefährlichen Lage zu befreien , also
ein Entsatzversuch ,
hätte nur dann Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn er mit starker Heeresmacht und in großer Beschleunigung stattfand .
Wir werden sehen,
daß der Vierverband beides zunächst aufzubringen nicht vermochte. Der gemeinsame Kriegsrat , das gemeinsame strategische Gehirn , das vorgeschlagen , aber auch , besonders in Italien als gefährlich bekämpft wurde , weil die leitenden Organe ihre Verantwortung auf ihn. abwälzen könnten, bot auch keine Bürgschaft für die Rettung der Serben. Aus Ententeblättern sickerte der grandiose Plan durch, einen großen Schlag gegen die Mittelmächte zu führen , wenn diese nach Durchstoßung Serbiens ihren Weg durch Bulgarien auf Konstantinopel nehmen würden, und von drei Seiten in die Balkanhalbinsel einzudringen .
Die Briten und Franzosen sollten aus der Linie.
Dedeagatsch- Saloniki, die Russen durch Rumänien und von der Küste des Schwarzen Meeres vorbrechen und endlich ein weiteres Kontingent von Montenegro und Albanien aus den Serben Hilfe und Zufuhr bringen.
Selbst wenn der Plan ausführbar gewesen wäre, hätte
er doch den Stempel der verpaßten Gelegenheit getragen. Unausführbar war er aber von anderen Schwierigkeiten abgesehen, solange nicht Rumänien und Griechenland sich rückhaltlos dem Vierverband verschrieben .
Nach dem Tagesbericht vom 5.
November
war im Morawatal die Ariljehöhe in Besitz genommen und wurde südlich von Cacak der Kamm der Jelica Planina überschritten. Ferner hatten unsere Truppen beiderseits des Kotlenikberglandes den Feind geworfen und beiderseits Kraljewo das Nordufer der westlichen Morawa erreicht ; östlich der Gruza hatte die Armee Gallwitz den Feind über die Linie Godacica Santarovac geworfen, die Höhe südlich des Lugomeir gestürmt und im Tale der Morawa die Orte Cuprija und Paracin besetzt hatte ; endlich standen die Bulgaren schon vor den Forts von Nisch und hatten südlich der Strumitza französische Streitkräfte, die sie angriffen, zurückgeschlagen.
Liest man diese Angaben mit der Karte.
in der Hand, so konnte man die Lage des westlichen Flügels der Serben kritisch nennen . Auf dem rechten Flügel der Armeegruppe Mackensen war das Tal der westlichen Morawa seit mehreren Tagen durchquert,
südlich
Cacak hatten
österreichisch-ungarische
Truppen den Kamm des Jelitzagebirges überschritten , in der Richtung auf das Tal der Gorawitza . 10 km talaufwärts liegt der Ort Arilje, der im Besitz der Armee Köveß war , die nach Westen mit den aus Visegrad vorgedrungenen Truppen Fühlung genommen hatte.
26
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt. Die Front der Verbündeten reichte im weiten ununterbrochenen
Bogen von der herzegowinisch-montenegrinischen Grenze durch ganz Nordserbien und dann längs der bulgarischen Front in einer mächtigen S - förmigen Kurve durch den südserbischen Kriegsschauplatz.
Die Armee Gallwitz stand in der Linie Kraljewo - Paracin.
Der Rückzugsrichtung der Serben entsprechend war das Schwergewicht der Armee etwas nach Westen verschoben.
Jeder neue Tag des strate-
gischen Vormarsches mußte den Kriegsschauplatz verengen und durch den Vormarsch Bojadjeffs machte sich dies auf dem rechten serbischen Flügel besonders bemerkbar. Am 5. November meldete die bulgarische Telegraphenagentur Nisch .
den Einzug
einer bulgarischen Division in
Damit schloß der zweite Abschnitt des Balkanfeldzugs. Das ganze Verteidigungssystem der Serben in der Nordhälfte des Landes war unhaltbar geworden. Mit dem Erreichen von Nisch und der Linie der westlichen Morawa war eine durchgreifende Verschlechterung der
Lage der
Serben und der Aussichten des weiteren Feldzuges für sie eingetreten. Mit Nisch war nicht nur eine Festung den Serben verloren gegangen , sondern auch ein Mittelpunkt von großer politischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Bei Nisch vereinigt sich das Tal der aus Bulgarien kommenden Nischawa mit dem der Morawa, die die große Verkehrsader Serbiens in nordsüdlicher Richtung von Belgrad nach Üsküb bildet.
Nahe oberhalb
von Nisch mündet von Westen her das Toplicatal in die Morawaebene. Dieses bildet den Zugang und Aufstieg in die Berg- und Waldlandschaft , die zwischen den Wasserläufen des Ibar und der serbischen und Es ist aber auch die Verbindung nach Kursumlja- Novipazar und Pristina und damit die
bulgarischen Morawa liegt.
Hauptmarschlinie aus dem Morawat al nach Innerserbien. Dazu kommt , daß Nisch zu dem wichtigsten Bahnknotenpunkt des Landes geworden , an dem sich die großen durchgehenden Linien von Wien über Belgrad, von Konstantinopel über Sofia , von Saloniki über Üsküb schneiden. Der Verlust der Festung und ihrer Armierung war zweifellos für die Serben schmerzlich . bitterer aber noch die gezwungene Aufgabe der ganzen Stellungen. Frontal gegen diese drückte die Heeresgruppe Mackensen , die Bulgaren bedrohten sie aus der Linie Aleksinac - Nisch- Leskovac flankierend und in den Rücken fassend.
Dazu das
bulgarische
Vorgehen von Vranja—
27
Des Balkankrieges erster und zweiter Abschnitt.
Kumanowo -Üsküb , so daß eine Abschnürung der Hauptmasse des serbischen Heeres von den bei Saloniki gelandeten und erwarteten Verstärkungen eintrat. Der Rückzug wurde unvermeidlich ; es war nicht zu erwarten , daß es den Hilfsarmeen gelingen würde , über die Linie Prilep- KrivolacStrumitza hinaus vorzugehen und den bulgarischen Angriff zu brechen sowie im Wardartale Boden zu gewinnen. Es ist nicht ohne Interesse, kurz die fortlaufende Wirkung der folgerichtigen rühren.
Operationen
der
Verbündeten zu be-
Der Verlust von Kraljewo unterband die Verkehrsmöglichkeit
der noch nördlich der westlichen Morawa kämpfenden Serben mit der Rückzugsstraße im Ibachtale nach Nowipazar und verwies diese Heerteile auf die Gebirgsstraßen , die in südlicher Richtung nach Kursumlja und Prokuplje führen . Südlich Cacak versuchten starke serbische Kräfte vergebens , österreichisch-ungarisch e Truppen vom Ibartale und von der drohenden Flankierung der ganzen Nordarmee abzuhalten . Die Einnahme von Paracin und die Festsetzung der Armee Gallwitz am Morawaknie , gegenüber Stalac , hatte , neben der flankierenden Wirkung gegen Westen , den Erfolg , daß die serbische Timokarmee und die
nördlich der
standenen
Bahn Zeitschal -Paracin im Kampf ge-
Truppen eine große
fahrbare Rückzugsstraße
nicht mehr fanden und das Lukowicagebirge auf Saumpfaden überschreiten und daher ihre schwere Artillerie und einen Teil des Trosses zurücklassen mußten. Die Einnahme von Nisch - und hier tritt die Wirkung des konzentrischen Vorgehens
der Verbündeten von
und Osten besonders deutlich zutage
Norden
unterband auch
die große Morawastraße und damit den Abmarsch nach Süden. unter
Es blieb nur Rückzug in südwestlicher Richtung sehr
schwierigen
Bewegungsverhältnissen
in
den
Raum Nowipazar- Mitrowitza - Pristina übrig . Ob Nowipazar als Rückzugsraum überhaupt noch in Frage kam, hing davon ab, ob nicht die Verbündeten von Kraljewo aus das Ibartal sperrten .
Für die
Verbündeten ergab sich , nachdem sie den Keil von Nisch vorgetrieben , die berechtigte Hoffnung , daß die Eroberung der Bahnlinie Belgrad - Nisch- Saloniki , des eisernen Stranges von Berlin bis Konstantinopel, nur noch eine Frage von Tagen sein werde.
28
Moltke und die Anfänge der deutschen Seemacht .
II. Moltke und die Anfänge der deutschen Seemacht .
1 (Zum fünfzigjährigen Gedächtnis . ) ¹) Von Oberst Immanuel.
Die fünfzigjährige Gedenkfeier des Deutsch-Dänischen Krieges vom Jahre 1864 gibt uns Veranlassung zum Rückblick auf die Zeit , wo die damalige preußische Kriegsflotte noch in den Anfängen ihrer Entwickelung stand. Selbst Schulter an Schulter mit der ebenfalls noch kleinen österreichischen Seemacht, gegen die Dänen
die Ostsee zu
war sie nicht in der Lage ,
beherrschen und es
zu ermöglichen ,
daß die Verbündeten den Krieg nach den dänischen Inseln tragen und dem Feinde.den vernichtenden Stoß beibringen konnten . Hierzu kam , daß England mit Eifersucht auf jede Betätigung blickte , die von seiten Preußens in bezug auf die Schaffung einer nennenswerten Seemacht unternommen wurde. Daher konnte das kleine Dänemark der überlegenen Macht des Deutschen Bundes trotzen und war auf seinen Inseln gegen den Angriff auf das Herz des Landes so gut wie gesichert. Kein Geringerer wie Moltke ist es gewesen , der schon damals klar erkannt hat, daß die Größe Preußens und die Zukunft Deutschlands auf einer Seemacht beruhten. Er stand um jene Zeit zwar nicht allein mit seiner Ansicht, hatte aber erhebliche Gegenströmungen und Voreingenommenheiten zu bekämpfen, denn es gab gewichtige Stimmen, die von einer Zersplitterung der preußischen Macht nichts wissen wollten und die Größe Preußens nur auf dem Lande billigen zu dürfen glaubten. Die Erfolge Moltkes in den Kriegen 1866 und 18.0/71 , die noch heute grundlegend für die Heerführung sind und es trotz des Wechsels vieler Verhältnisse
auf lange Zeit
hinaus bleiben werden ,
beruhen auf dem Gedanken des rücksichtslosen Angriffs. Auch gegen die Dänen schlug Moltke ein solches Verfahren vor . Ihm ist es zu verdanken, daß er trotz seiner damals noch nicht unabhängigen Stellung als Generalstabschef die Besetzung Jütlands durchsetzte , den Angriff auf die Werke von
Düppel und den Übergang nach
1 ) Der Aufsatz wurde vor Ausbruch des Krieges geschrieben . Sein Inhalt hat in vollem Umfang Gültigkeit behalten . Eine kurze Ergänzung wurde am Schluß des Aufsatzes vorgenommen. Der Verfasser.
Moltke und die Anfänge der deutschen Seemacht . Alsen betrieb,
geleitet
von dem Bestreben ,
den Feind
29 überall da
vernichtend zu schlagen, wo man seiner habhaft werden konnte. Moltke ging aufs Ganze und hat bereits im Kriege gegen die Dänen diesen Grundsatz zum Ausdruck zu bringen gesucht. Hierzu gehören seine Entwürfe , zur Niederwerfung der Dänen Heeresteile nicht nur auf Fünen , sondern auch auf Seeland zu landen , um dem Feinde in Kopenhagen den Frieden vorzuschreiben .
Um die Gedanken
Moltkes im vollen Umfange würdigen zu können und seine Verdienste an der Ausgestaltung der preußischen bzw. norddeutschen Flotte zu verstehen, ist es notwendig, mit wenigen Worten auf die beiderseitigen Seestreitkräfte 1864 einzugehen. Die dänische Kriegsflotte bestand 1864
aus 31 Dampfschiffen
mit zusammen 386 Geschützen und 50 nur zur Küstenverteidigung geeigneten Ruderkanonenbooten mit 80 Geschützen. Die veralteten Segelschiffe bleiben außer Betracht . Preußen besaß beim Kriegsausbruch 23 Kriegsdampfer mit 117 Geschützen und 22 Ruderschiffe mit 40 Geschützen ; eine Anzahl größerer Fahrzeuge war noch im Bau begriffen . Österreich hat 9 Kriegsdampfer mit 246 Geschützen gegen Dänemark in See geführt. Somit war die dänische Flotte derjenigen der Verbündeten erheblich überlegen . Moltkes Plan
bezweckte
zunächst eine Landung
in Fünen .
Sie wurde bereits in Aussicht genommen, als die Werke von Düppel sich noch im Besitz der Dänen befanden, um letztere auf ihren Inseln zu bedrohen und zur Räumung der Düppeler Schanzen zu zwingen . Am 21. März 1864 berichtet Moltke, daß er mit dem Prinzen Adalbert die
Möglichkeit
erwogen habe,
unter dem
Schutz der
preußischen Flotte Truppen nach Fünen zu werfen . Er untersucht die Vorzüge und Bedenken dieses kühnen Unternehmens , aber er vertraut auf die Wirkung der Überraschung und ist davon überzeugt, daß die Besetzung von Fünen ein wirksames Zwangsmittel gegen die Dänen sein werde. Nach dem Falle von Düppel hält Moltke den Gedanken einer Eroberung von Fünen aufrecht und verstand sich erst dann zu dessen Preisgabe, als politische Verhältnisse den Übergang nach Fünen in Frage gestellt hatten. Man begnügte sich mit dem Übergang nach Alsen; aber nur ungern verzichtete Moltke auf seine Pläne, den Feind im Herzen des Landes zu treffen und hielt bis zur Beendigung des Krieges an diesem Gedanken fest. „ Solange unsere Marine nicht eine Landung auf Seeland ermöglicht " ,
schrieb er damals ,
„ um den
Frieden in Kopenhagen selbst zu diktieren , bleibt nur die Okkupation der Jütischen Halbinsel. " Im Verlauf des ganzen Feldzuges verlor
30
Moltke und die Anfänge der deutschen Seemacht.
er den Gedanken an die Mitwirkung der Flotte nicht aus dem Sinn und setzte immer von neuem alles daran , auf die Ausnutzung der verfügbaren, wenn auch geringen preußischen Seestreitkräfte in der Ostsee zu dringen .
Er fand beim Prinzen Adalbert
lebhafte Unter-
stützung und begeisterten Wiederhall im preußischen Seeoffizierkorps . Am 28. April 1864, zehn Tage nach der Erstürmung der Düppeler Schanzen , räumten die Dänen Fredericia , ihren letzten Stützpunkt auf dem Festlande. Nach Moltkes Absicht sollte der österreichische General v . Gablenz mit einem gemischten Korps die Unternehmung nach Fünen durchführen , aber die Landung scheiterte an den Bedenklichkeiten des Wiener Kabinetts . Mit Zähigkeit hält Moltke die Landung
auch ohne Unterstützung der Österreicher fest
und in der Tat genehmigte König Wilhelm am 24. Juli den Übergang der Preußen nach Fünen . Hierbei war als Voraussetzung gedacht, daß die verbündete Nordseeflotte in die Ostsee einlief, sich mit dem preußischen Ostseegeschwader vereinigte und den Dänen die Seeschlacht anbot, versprach.
von der
Während
sich Moltke den Sieg der Verbündeten
die dänische Flotte
auf
diese Weise gefesselt
war, sollte der Übergang nach Fünen stattfinden . Der Waffenstillstand trat aber bereits in den nächsten Tagen ein, so daß das Unternehmen leider aufgegeben werden mußte . Die Friedensverhandlungen . bei denen Dänemark an England eine starke Stütze gegen die Verbündeten fand , zogen sich bis Ende Oktober 1864 hin . Moltke war damals aufs schwerste enttäuscht, daß das kleine Dänemark den beiden deutschen Großmächten solche Schwierigkeiten machte , und daß letztere dem auf dem Festlande bezwungenen Gegner ihren Willen nicht aufnötigen konnten .
Als daher im Oktober der Wiederausbruch
der Feindseligkeiten nicht unwahrscheinlich erschien, kam Moltke auf den Gedanken der Landung in Seeland zurück. Hierzu schlug er ganz im
geheimen vor,
das preußische II . Korps
bei Stralsund und
auf Rügen zu versammeln und in einer einzigen Nacht nach Seeland zu überführen , wo das auf der Landseite unbefestigte Kopenhagen die schnelle Beute der Preußen werden sollte , ein kühnes, im Erfolg nicht gesichertes, aber nicht unausführbares letztes Mittel , wenn der Friede nicht anders erreicht werden kann . Man hat Moltke in bezug auf diesen Gedanken allzu große Kühnheit vorgeworfen , aber man ist hierzu durchaus Vorschlag wie
alles
nicht berechtigt. andere in
Vielmehr beruht auch dieser
der
Feldherrntätigkeit Moltkes
ernstem Wägen , dem das Wagen folgt .
auf
Moltke hat hiermit die Wege
gezeigt, die die Entwickelung der preußischen, später deutschen Flotte nehmen müsse, um eine wirkliche Waffe in der Hand des Königs und Kriegsherrn zu werden .
Gegen Dänemark hätte die ver-
Moltke und die Anfänge der deutschen Seemacht. einigte preußisch- österreichische Flotte voraussichtlich in der
31 See-
schlacht gesiegt, mindestens aber die Entscheidung so lange hingehalten, bis eine Landung auf Seeland erfolgt war. Die Gefahr bestand lediglich darin . daß sich England in den Krieg mischte und mit einer Flotte in der Ostsee erschien. Aber auch dieses Unternehmen hätte längere Zeit erfordert. Moltke ist bekanntlich aus dänischen Diensten hervorgegangen
und war sehr genau mit den Verhältnissen Dänemarks vertraut, hatte auch dauernde Studien darüber gemacht, wie Preußen sich mit der Zeit eine den Dänen mindestens ebenbürtige Flotte schaffen könne, um im Kriegsfall den Gegner auf seinen Inseln anzugreifen . Von Jugend auf hatte Moltke sich mit diesen Entwürfen beschäftigt und erlebte die Freude, daß unter König Wilhelm I. vieles zur Hebung der preußischen Seemacht geschah. Aber das Ziel war 1864 noch lange nicht erreicht. „ Preußen ist so gut wie ohne Flotte " , schrieb er Anfang 1864, 99 unsere Flottille zählt 2 bis 3 Korvetten, 4 große und 14 kleinere Dampfkanonenboote gegen 18 dänische Kriegsdampfer, unter denen 1 Linienschiff und 4 Fregatten. " Aber Moltke war während des Krieges unermüdlich bestrebt gewesen , die Fertigstellung der
im Bau begriffenen
preußischen Kriegsschiffe zu
betreiben und auf ein Zusammenwirken der preußischen und österreichischen Flotte in der Ostsee zu dringen. dringen . Er war vom höchsten Vertrauen getragen und hoffte auf den Erfolg seiner Sache .
,, Die
getroffenen Vorbereitungen lassen erkennen" , schreibt das preußische Generalstabswerk über den Feldzug 1864 ,,, daß es bei kräftigem Wollen nicht
schwer
fallen kann , auch einem Inselstaat gegenüber
die letzten Folgerungen des Krieges zu ziehen. “ Der von Moltke vertretene Gedanke blieb nicht ungenutzt liegen . Die Erfahrungen des Feldzuges 1864 bildeten vielmehr für König Wilhelm , durch den Prinzen Adalbert und Moltke beraten einen neuen Ansporn, mit der bisherigen Zurückhaltung inbezug auf die Seemacht zu brechen . Allerdings kam es darauf an, sich in Geduld zu fassen, denn es mußten, abgesehen von den finanziellen Schwierigkeiten, noch erhebliche Widerstände überwunden werden , um eine planmäßige Vergrößerung der Flotte durchzusetzen . Zunächst handelte es sich nur darum, daß Preußen die Herrschaft zur See in der Ostsee gewann . Der Krieg 1864 hatte den Erfolg, daß Moltkes Vorschläge durch die Ereignisse als begründet und berechtigt erkannt wurden . Man sah es überall in Deutschland ein, wo man trotz der politischen Zersplitterung noch ein Gefühl für die Ehre des gemeinschaftlichen Vaterlandes empfand ,
daß mindestens gegen die Dänen der Grundstock
32
Moltke und die Anfänge der deutschen Seemacht.
zu einer Bundesflotte gelegt werden (August
1865),
Österreich in
der die
müsse.
Rechtsverhältnisse
Schleswig - Holstein
regelte ,
Im Vertrag zu Gastein zwischen wurde
Preußen und
verabredet, beim
Bundestag auf die Herstellung einer deutschen Flotte Antrag zu stellen . Österreich verzichtete allerdings auf seine Mitwirkung an den norddeutschen Küsten, da es eigene Seeinteressen im Adriatischen Meere hatte .
Der Bund sollte einen Teil der Mittel zur Verstärkung
der preußischen Kriegsflotte aufbringen . Kiel war als Bundeskriegshafen in Aussicht genommen, Preußen sollte seine Ostseehäfen und den Jahdebusen (Wilhelmshafen) ausbauen und den Kanal zwischen der Ost- und Nordsee durch Holstein führen . Moltke war die Seele dieser Vorschläge, denn er hat bereits im Mai 1865 dem Kriegsminister v. Roon die Bedeutung des Kriegshafens und des Kanals dargelegt. die
Er wendete sich gegen eine übertriebene Küstenbefestigung,
sich auf den ganzen Küstensaum
zersplitterte und
vertrat im
Gegensatz hierzu die Schaffung einer seetüchtigen Kriegsflotte,
als
deren Stützpunkt er zunächst Sonderburg vorschlug . Bei der Wahl von Kiel ", schrieb er, ist die Gefahr, daß die bei der Anschaffung einer Flotte bereitgestellten Geldmittel durch Anlage der Flottenstationen verschlungen werden, daß wir anstatt der Schiffe, die uns fehlen , eine Festung erhalten zu den vielen, die schon vorhanden sind. " Er war sogar geneigt, den Kanalbau fallen zu lassen zugunsten der Schaffung einer Flotte , ,,denn der Hieb ist die beste Parade", meinte er. ,,Was nutzt der Kanal, wenn die wenigen vorhandenen Schiffe ihn nicht benutzen konnten, weil sie in der Ostsee dauernd nötig waren ?
Erst heißt es, die Flotte vergrößern, um sich .
wenn auch getrennt durch Schleswig-Holstein , in Nord- und Ostsee gleichzeitig behaupten zu können . " Die Ereignisse von 1866 brachten eine Neugestaltung der Dinge. Preußen wurde die Vormacht in Deutschland, Österreich schied aus , die norddeutsche Flotte erschien auf der See. Kiel wurde der erste Kriegshafen .
Und wenn die Dinge im Laufe der Jahre in mancher
Hinsicht eine andere Wendung genommen haben, als wie es Moltke 1864 erstrebt hat, so bleibt ihm doch der volle Anteil an der Grundlegung und Ausgestaltung der preußisch-deutschen Flotte.
Sie nahm
einen wunderbaren Aufschwung und ist heute eine Stütze der deutschen Macht, Schulter an Schulter mit dem Landheere. In bezug auf den Kanal haben sich, wenn auch auf Umwegen, die gleichen Gedanken verwirklicht, die Moltke damals vertreten hat. Bei genauerem Zusehen erkennt man " , schließt das preußische Generalstabswerk 1864 seine Darstellung, ,, daß schon in dem ersten Feldzug, trotz der beengenden Verhältnisse, jener große Zug der Kriegführung hervortritt
33
Die Entlassung kriegsgefangener Offiziere auf Ehrenwort.
und mehr und mehr sich Bahn bricht , der später zu so mächtiger Entfaltung gelangte und allen drei von König Wilhelm I. geführten Kriegen, ungeachtet ihrer Verschiedenheiten, doch ein gleichartiges Gepräge verleiht." Auch der preußischen Kriegsflotte von 1864 gebührt ein wohlverdienter Anteil am Erfolg. Moltke aber hat gezeigt , daß er mit der Größe seines Geistes die künftige Entwickelung der deutschen Flotte vorausgesehen und schon damals auf ihre Bedeutung zu des Vaterlandes Macht und Sieg hingewiesen hat. Wunderbar ist das Samenkorn aufgegangen, das Moltkes umfassender Geist
hat
pflanzen helfen.
Im Weltkrieg
bedrohte
kein
Feind unsere deutschen Küsten. Englands große Flotte hält sich scheu in ihren eigenen Gewässern und meidet vorsichtig die Entscheidung. Unsere Unterseeboote sind der Schrecken der Feinde und haben durch technische Geschicklichkeit wie durch Kühnheit Gewaltiges geleistet, was unsere Dankbarkeit und Bewunderung, den Neid und die Enttäuschung unserer Feinde erregt hat .
Wo die deutsche
Flagge wehte , im Glück wie im Unglück, da hat sie mit vollen Ehren bestanden .
Volldampf voraus !
III . Die Entlassung kriegsgefangener
Offiziere
auf Ehrenwort.
Von Dr. jur. Everling .
Schon einmal ist in den ,, Jahrbüchern " über dies Ehrenwort gehandelt worden und auch damals unter dem Zwang und Eindruck gegenwärtiger Ereignisse. Es war 1871/72 , als Felix Dahn über den .,Deutsch- Französischen Krieg und das Völkerrecht
wissenschaftlich
Abrechnung hielt. Durchblättert man jene Bände (I S. 79-94 , III S. 51-82 , V S. 113-146 , insbesondere III S. 79 ff. ) , so sieht man mit Staunen , wie jeder neue Krieg, großartiger zwar und gräßlicher jedesmal, dieselben Proben kriegerischer Größe und menschlicher Minderwertigkeit gibt. Zwar werden diesmal nicht , wie es Scherr in seinen Vier Büchern Deutscher Geschichte " feststellt, 145 fran3 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 532.
34
Die Entlassung kriegsgefangener Offiziere auf Ehrenwort.
zösische Offiziere, 3 Kommandanten,
darunter
3 Generale,
30 Kapitäne,
1 Oberst,
2 Oberleutnants,
ihr Wort brechen und wieder die
Waffen gegen Deutschland tragen können . Zwar wird diesmal nicht . wie es Bismarck in dem berühmten Rundschreiben vom 13. Dezember 1870 zu tun sich gezwungen sah, der Reichskanzler feststellen müssen , ,, daß die Begriffe von Ehre wenigstens nicht bei allen Offizieren der französischen Armee diejenigen sind, die von deutscher Seite bei Annahme eines Ehrenwortes als Bürgschaft bisher vorausgesetzt wurden". Die deutsche Heeresverwaltung hat Im Februar meldete die
offenbar das Mißtrauen gelernt.
Agence Havas ", die französische Regierung
sei amtlich davon benachrichtigt worden, daß die gefangenen französischen Offiziere von Deutschland nicht gegen Ehrenwort freigelassen würden ;
sie habe
deshalb
beschlossen ,
daß
auch den gefangenen
deutschen Offizieren künftig nicht mehr die Freiheit gegen Ehrenwort gewährt werden solle . richtig sein.
Die Meldung blieb unwidersprochen .
Damit wären die Artikel 10-12 der
Sie mag
Ordnung" aus dem Haager
Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18. Oktober 1906 (vgl. Artikel 31-33 der Brüsseler Deklaration ) zwischen dem Reich und der Französischen Republik gestrichen . Man entzog das Vertrauen, um es nicht wiederum enttäuscht zu sehen . Denn hat immerhin Frankreich das Verhalten seiner Offiziere damals gerügt,
und hat es beispielsweise den Obersten Thibaudin , der in
Metz gefangen, aus Mainz unter Wortbruch entfloh , in Inaktivität so hat es doch zunächst diese Offiziere in das Heer wieder versetzt aufgenommen, ja direkt zum Wiedereintritt , also zum Wortbruch aufgefordert, und Thibaudin , der damals Divisionär war, wurde später Kriegsminister. An General Ducrot sei noch erinnert, der auf Parole, sich in Pont-à-Mousson zu stellen , nach dem Fall von Sedan entlassen wurde, aber seiner Verpflichtung sich durch die Flucht entzog, und das durch Sophismen zu rechtfertigen suchte . Wenn unsere Heeresleitung aus diesen Geschichtstatsachen ihre Folgerungen gezogen hat , so geschah das ohne Völkerrechtsverletzung. Denn wie schon alle die Verträge, die man euphemistisch Völkerrecht nennt, durch die clausula rebus sic stantibus und die gefährlichere clausula si voluero bedingt sind - man denke an den durch DumDumgeschosse verletzten Artikel 23 des Haager Abkommens, an den Mißbrauch der Genfer Flagge durch Frankreich, der neutralen Flagge durch England , der österreichischen Uniform durch Rußland , an das Bombardement von Lazarettzügen und Städten außerhalb der Kriegssphäre - wenn schon diese beiden Klauseln alle diplomatische Mühe zur Makulatur machen, so ist bei der Entlassung auf Ehrenwort noch
Die Entlassung kriegsgefangener Offiziere auf Ehrenwort.
eine dritte Klausel im Artikel 10 ausdrücklich aufgestellt :
35
,,Kriegs-
gefangene können gegen Ehrenwort
freigelassen werden, wenn die Gesetze ihres Landes sie dazu ermächtigen. " So ist z . B. nach I § 6 Nr. 41 des österreichischen Dienstreglements ,, das Eingehen einer Verpflichtung, während des Feldzuges nicht gegen den Feind zu dienen , unter allen Umständen streng untersagt. " - Weiter bestimmt Artikel 11 : ,,Ein Kriegsgefangener kann nicht gezwungen werden , seine Freilassung
gegen Ehrenwort anzunehmen , ebensowenig ist die feindliche Regierung verpflichtet, dem Antrag eines Kriegsgefangenen auf Entlassung gegen Ehrenwort zu entsprechen. " Gegen diese Freiheit des Gefangenen, sein Wort zu verpfänden , und gegen ihre eigene Entschließung, wie die ,,Agence Havas " sie mitteilte, verstoßen neuerdings die Franzosen , die wahrhaftig im Falle v. Schierstedt bewiesen haben, daß ihre vielgerühmte Ritterlichkeit Beulen und Risse hat . Sie haben mehrfach kriegsgefangene deutsche Offiziere den Kriegsgebräuchen zuwider behandelt, lediglich deshalb, weil jene ihr Ehrenwort, nicht mehr gegen Frankreich und seine Verbündeten zu fechten, verweigert haben . Inbesondere werden -- ich entnehme die offiziöse Darstellung dem „ Tag" ( 13. Juli 1915 , Morgenausgabe Nr. 352/161 ) ,,nach Privatbriefen wie nach dem Berichte des Vertreters einer neutralen Macht etwa 50 deutsche Offiziere , die im Fort Entreveaux in den Alpen interniert sind und die Abgabe des Ehrenwortes verweigerten, in vier stets verschlossenen Räumen gefangengehalten ; sie dürfen sich täglich nur eine Stunde auf einem kleinen Hofe von 10:12 m bewegen, Dieses Verfahren widerspricht
auch sich
nicht gegenseitig besuchen.
den Bestimmungen der Haager Land-
kriegsordnung. Denn nach Artikel 11 darf auf kriegsgefangene Offiziere irgendein Zwang auf Abgabe des Ehrenwortes nicht ausgeübt werden; auch auf Offiziere, die ihr Ehrenwort verweigern , findet daher der Artikel 5 Anwendung, wonach ihre Einschließung nur als unerläßliche Sicherheitsmaßregel und nur während der Dauer der diese Maßregel notwendig machenden Umstände
zulässig ist.
In Deutschland
haben die kriegsgefangenen französischen Offiziere , denen dem deutschen Standpunkt entsprechend die Abgabe des Ehrenwortes überhaupt nicht angesonnen wird, den ganzen Tag über die Möglichkeit , sich frei im Kriegsgefangenenlager zu bewegen
und sich gegenseitig zu besuchen ,
auch ungehindert die ihnen zur Verfügung stehenden Hof- und Gartenräume zu benutzen. Nachts werden sie nicht eingeschlossen , sondern haben nur die Verpflichtung, in ihren Schlafräumen zu verweilen . Die Vorstellungen, die bei der französischen Regierung erhoben worden sind,
um
den deutschen Offizieren
liberale Behandlung zu
verschaffen ,
im Fort Entrevaux sind bisher
eine gleich
erfolglos geblieben . 3*
36
Die Entlassung kriegsgefangener Offiziere auf Ehrenwort.
Auf Anordnung der Heeresverwaltung sind daher, mitgeteilt
wird ,
zunächst
50
wie
französische Offiziere aus
halbamtlich ihren
ver-
hältnismäßig angenehmen Offiziergefangenenlagern in das Fort Zorndorf bei Küstrin übergeführt, wo sie in genau derselben Weise gehalten werden wie die deutsehen Offiziere in Entreveaux. " Ein Zwang zur Abgabe dieses Ehrenwortes widerspricht nicht nur dem Völkerrecht , sondern auch dem Sinn dieser Selbstverpflichtung. Gewissenspflichten können nur freiwillig übernommen werden. Wie im Eid, der mit ,,so wahr mir Gott helfe schließt, Gottes Hilfe im Fall des Meineides oder Eidbruchs, und damit alles Heil in diesem und jenem Leben preisgegeben wird , so wird beim Ehrenwort , das seinem Wesen nach ein Eid ist, die Ehre zum Pfand gesetzt . Die sogenannte ,,äußere Ehre" wird verpfändet ,
das ist die Geltung,
die
jemand im Kreise seiner Standesgenossen genießt , nicht die ,,innere Ehre , die den unantastbaren Wert des Menschen darstellt . Freilich darf man auf diese Unterscheidung sich nicht versteifen, immer wird man von der äußeren Geltung auf den inneren Wert schließen ; jene ohne diesen wird immer nur hohle Schale sein, und wo einer seine Geltung leichthin verloren gab, da ist sein Wert auch nicht mehr unverletzt . Treitschke nennt als das Gegengewicht des unbedingten Gehorsams beim Soldaten das starke Gefühl ritterlicher und persönlicher Ehre .
99 Wer
das irgend bezweifelt, der tastet dem Soldaten sein
einziges Ich an, das ihm noch geblieben ist ; jede Beleidigung ist hier eine Schändung des innerlichsten Wesens des Mannes." Mon epée au roi
l'honneur pour moi .
Es ist übrigens auffallend, daß ,
was den point d'honneur und auch die parole d'honneur angeht , so viele Ausdrücke aus der Sprache eben der Nation genommen sind die gegen den Sinn der Ehrengebote immer wieder verstößt ; auffallend auch, daß nach einer Behauptung Loisons (Du Contrat de Liberté sur Parole, Paris 1904, p . 43 ) die Freilassung auf Ehrenwort zum erstenmal in einem französischen Gesetz vom 25. Mai 1793 erwähnt worden sein soll. Weil beim Soldaten das Ehrgefühl durch Tradition
zu solcher
Stärke und Empfindlichkeit entwickelt ist, hat sich hier das Ehrenwort halten können, das sonst im Rechtsleben immer mehr zurückIm Handelsrecht ist es als Bekräftigungsmittel des getreten ist . Wettbewerbsverbots ausdrücklich verpönt (§ 74a HGB. Novelle vom 10. Juni 1914 ) . Im Strafgesetzbuch genießt es nur da, wo es sich um Übervorteilung Minderjähriger handelt (§ 302 ) strafrechtlichen Schutz. Die Forderung, das Ehrenwort an Stelle des religiösen Eides zu setzen, die besonders zu Anfang vorigen Jahrhunderts ( z . B. von Meister , Leue) aber auch später häufig (z . B. von Bauer , Reichen-
Die Entlassung kriegsgefangener Offiziere auf Ehrenwort.
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bach) erhoben worden ist, fand in Deutschland keine Anerkennung, wohl aber in vielen romanischen Staaten , wie die promesa por el honor nach dem spanischen Gesetz von 1910 zeigt . Die Ehre ist die Geltung unter den Standesgenossen. Das Ehrenwort hat nur da einen Sinn , wo beim Verpflichteten und beim Verpflichtenden , beim Empfänger und Verpfänder des Worts , ein gleichgeartetes Ehrgefühl vorausgesetzt wird . Das führt auf die Herkunft dieser Verpflichtungsform , die neben dem Eid der Richter und Sekretäre des internationalen Prisenhofs (Abkommen Art. 13. 23 ) und neben dem " förmlichen schriftlichen. Versprechen der Besatzung weggenommener feindlicher Kauffahrteischiffe , während der Dauer des Krieges auf keinem feindlichen Schiffe Dienste zu nehmen (Abkommen von 1907 Art. 5 ) das letzte Beispiel derartiger moralischer Garantie
im Völkerrecht ist.
Früher wurde fast
jeder zwischenstaatliche Vertrag feierlich beschworen, das letzte Beispiel zwischen Frankreich und der Schweiz datiert von 1777 ; ebenso ist die Abnahme des Treueides in okkupierten Gebieten, wie ihn Friedrich der Große sich noch von den Schlesiern leisten ließ, abgekommen und im Artikel 45 des erwähnten Haager Abkommens ausdrücklich untersagt . Das im deutschen Recht allgemein der religiöse Eid beibehalten wurde, in vielen Bundesstaaten aber der Thion- oder Verfassungseid im Versprechen des Souveräns,,,bei
Seinem fürstlichen
Wort" (Sachsen , Württemberg, Braunschweig, Schwarzburg- Rudolstadt, Reuß ä. L. ) oder ,,bei fürstlichem Wort und Ehren " ( Sachsen- Weimar, Sachsen-Meiningen, Reuß j . L.) Die Fähigkeit ,
ist, führt
uns auf den Gedanken :
sein Ehrenwort zu geben und die Wirksamkeit dieses
Wortes setzen eine gehobene Stellung voraus .
So ist es seit je Übung
gewesen, daß vornehmlich nur Offiziere auf Ehrenwort freigelassen wurden, wie denn auch die internationale Courtoisie verlangt . daß ein Offizier von höherem Rang als der Verpflichtete das Ehrenwort abnimmt (vgl. Rotermund , Militärstrafgesetzbuch S. 454).
Im Russisch-
Japanischen Krieg wurde bei der Kapitulation von Port Arthur am 2. Januar 1905 nur den Offizieren , Beamten und Freiwilligen diese Entlassung zugebilligt. man sie auf Offiziere . ein Mann , der
Im Deutsch-Französischen Krieg beschränkte Nach den amerikanischen Kriegsartikeln muß
sein Ehrenwort abgibt,
um aus der Gefangenschaft
freizukommen, von seinem Offizier dazu ermächtigt sein . In den beiden Abkommen , betreffend die Neutralen im Landkrieg und im Seekrieg von 1907 heißt es im Artikel 11 bzw. 24 ausdrücklich , daß Offiziere , die sich durch Ehrenwort verpflichten , das neutrale Gebiet nicht ohne Erlaubnis zu verlassen , freigelassen werden könnten . Gegen dies letztgenannte Ehrenwort hat sich jüngst der fran-
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Die Entlassung kriegsgefangener Offiziere auf Ehrenwort .
zösische Flieger Gilbert vergangen, der unter Wortbruch aus der Schweiz entfloh, wo er interniert war , in der Heimat vom Publikum mit Jubel und von Miller and mit einer Umarmung begrüßt wurde, aber einige Tage darauf auf Geheiß seiner Regierung und wiederum unter dem Jubel des Publikums in die Schweiz zurückkehrte. Dieser Vorgang hat manchen über dies Ehrenwort lächeln lassen. Man verwies auf die Nachricht (vgl. Deutsche Tageszeitung vom 15. April 1915, Abendausgabe Nr. 191 ) , daß auch englische Seeleute, die auf dem Hilfskreuzer Kronprinz Wilhelm " gefangen gehalten und gegen das schriftliche Versprechen , nicht mehr gegen Deutschland zu kämpfen, freigelassen worden waren , einstimmig erklärten , sie würden das Versprechen nicht halten. Man sagte, der Krieg sei gefühlloser geworden, wie die Maschinen , die heute so viel entscheiden. Der Krieg werde man deutete auf England von Krämern geführt, die mit Vorteilen, wie mit Zahlen rechnen. Berechnung und Ritterlichkeit aber passen schlecht zusammen . Aus einer ritterlichen Zeit stammt dieses Ehrenwort. Es ist die neuzeitliche Form der Urfehde. Im Mittelalter, als die Ritter einen internationalen Orden bildeten, kam zuerst das Standesgefühl , dann das Stammesgefühl. Hinter den hundertfachen Fehden, die unter den Reichsunmittelbaren nach Willkür vom Zaun gebrochen und beigelegt wurden , stand nicht der Zwang einer nationalen Notwendigkeit. Die Söldner des ausgehenden Mittelalters waren dem Fürsten, der sie in Sold und Brot nahm, durch einen beschworenen Vertrag verbunden,
aber
sie gehörten ihnen nicht so an,
wie heute
im Zeitalter der allgemeinen Wehrpflicht der Soldat seinem Fürsten und seinem Vaterland angehört . Man kann sagen, das Starkwerden des nationalen Gedankens und das System der allgemeinen Wehrpflicht haben dieses Ehrenwort den Boden entzogen. durch die wird,
völlige Freilassung,
Wenigstens soweit da-
die Rückkehr in die Heimat erkauft
entweder unter der Bedingung,
gegen den entlassenden Staat
nicht mehr die Waffen zu tragen , oder unter der härteren Bedingung, in nichts gegen die Interessen des entlassenden Staates zu handeln . Die erstere Bedingung, die nur ein aktives Mitkämpfen verbietet, und von der im Haager Abkommen (Art. 12) allein die Rede ist, wurde. 1870 als zu eng erkannt . Damals wurden die freigelassenen französischen Offiziere zwar nicht an der Front , aber in Garnisondienst , als Etappenkommandanten, Leiter von Waffenfabriken und sogar mit Ausbildung frischer Mannschaften beschäftigt. Darum verlangte man z. B. in der Kapitulation von Sedan die ehrenwörtliche schriftliche Erklärung bis zur Beendigung des Krieges die Waffen nicht wieder zu ergreifen und in keiner Weise gegen die Interessen Deutschlands zu handeln." Ebenso verfuhr man nach Einnahme von Metz und in
Die Entlassung kriegsgefangener Offiziere auf Ehrenwort .
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zahlreichen anderen Kapitulationen, ebenso hat es Japan 1905 gegenüber den Offizieren von Port Arthur gehalten . ,,Offiziere," sagt
der schweizerische Oberst Rüstow in seinem
Werk über Kriegspolitik und Kriegsgebrauch ( 1876 S. 190 ), . , die eine solche Bedingung eingehen, werden sich insbesondere dann , wenn der Krieg noch länger fortdauert - stets in einer sehr traurigen Lage
befinden.
Sie gewinnen die Freiheit, aber sie kehren als Ge-
fangene in die Heimat zurück. Sie nützen dem Vaterland weniger, wie der letzte Dienstuntaugliche, der im Bureau in der Kriegshilfe sich betätigt . Denn jeder Vaterlandsdienst ist gegen die Interessen des feindlichen Staates. Streng genommen - und Gewissenspflichten sind extensiv zu interpretieren anleihe zeichnen . Dies Ehrenwort unmöglich,
darum
können sie nicht einmal Kriegszu halten , ist für den Patrioten
erscheint es recht,
wenn den Offizieren verboten
wird , es zu geben . Während der Heimkehrende als unnützer Esser eine Belastung des Landes ist, das alle Kräfte braucht, und in seiner Untätigkeit
die Stimmung seiner Umgebung schädigt,
hat der Ge-
fangene doch die Möglichkeit, bei wechselndem Kriegsglück befreit zu werden, und die Möglichkeit der Selbstranzionierung der ,,ehrenvollen Flucht" (Schaible) . Indem er diese Möglichkeiten preisgibt, entzieht er sich dem Militärdienst, begeht er ein Verbrechen, das der Fahnenflucht und der Selbstverstümmelung gleichsteht. Noch mehr : er erleichtert den Feind , spart ihm Unterhaltskosten, macht Bewachung-mannschaften zu anderem Dienst frei, seine Heimkehr ist nicht nur kein Zuwachs für den Heimatstaat, sondern vielmehr ein Vorteil für den Feind . Auch trennt er sein Schicksal von dem seiner Kameraden , als Offizier von dem seiner Mannschaften.
Es hatte wohl
Sinn, wenn man dem aus Port Arthur freigelassenen General Stössel den Prozeß machte und ihm vorwarf,
er hätte zugesehen,
wie die
ihm anvertraute Besatzung nach Japan verbracht wurde, während er selbst die Freiheit annahm . Und schließlich darauf ist in der Literatur noch nicht hingewiesen worden indem ein Offizier dem Feinde dies Ehrenwort verpfändet, bricht er seinem Fürsten den Fahneneid. Die Pflicht der Treue 99 bei allen und jeden Vorfällen " nimmt dem Soldaten die Macht , über seine Person zu verfügen . „ Wer auf die preußische Fahne schwört,
hat nichts mehr,
was ihm selber
gehört " , sagt ein Dichter dieses Krieges (Walter Flex) ; er hat auch nicht die Freiheit , diese Freilassung mit seinem Ehrenwort zu erkaufen . In dieser Beurteilung eine Ausnahme für die Verwundeten zu machen, die ohne Hoffnung auf weitere Teilnahme am Kampf heimkehren, ist gegenüber dem völkerrechtlich ohnehin geregelten Gefangenenaustausch unnötig.
Nicht so unbedingt darf man das Urteil in den
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Die Entlassung kriegsgefangener Offiziere auf Ehrenwort.
Fällen
sprechen, wo es sich nicht um Freilassung auf Ehrenwort . sondern um die Gewährung beschränkter Vorteile, größere Bewegungsfreiheit, zeitweilige Rückkehr in die Heimat , handelt. Aber auch hier
ist dieselbe Gefahr für den gewährenden Staat wie das Beispiel des Generals Ducrot 1870 zeigt und der ehrliche Mann bindet sich, um einige Freiheit zu haben, mit seinem Ehrenwort nur um so fester ; sein Wort ist fester als Mauern und Posten . Darum ist dem deutschen Offizier auch hier die Abgabe des Ehrenwortes verboten. An der Frage, ob dem Feinde das Wort zu halten sei , können wir vorübergehen, sie war für den Deutschen niemals eine Streitfrage . Etiam hosti fides servanda , hieß es übrigens schon im römischen Recht . Wie nach Schaibles Worten das feindliche Heer sich selbst dadurch ehrt, daß es das Ehrenwort des Offiziers achtet, so ist der Wortbruch eine Ehrlosigkeit, gleichviel, wem gegenüber er geschah . ., Wird wohl , fragt Schaible (Standes- und Berufspflichten 6. Aufl. S. 23) , die eigene Armee den Offizier, der hierin sein gegebenes Wort brach, wieder in ihre Reihen aufnehmen können ? In der deutschen Armee nimmermehr. " Das Haager Abkommen hat hier eine seltsame doppelte Garantie geschaffen, es sagt von den auf Ehrenwort Entlassenen im Artikel 10 : ,, Sie sind alsdann bei
ihrer
persönlichen Ehre verbunden,
nommenen Verpflichtungen sowohl ihrer eigenen Regierung,
die überals auch
dem Staate gegenüber, der sie zu Kriegsgefangenen gemacht hat, gewissenhaft zu erfüllen . Ihre Regierung ist in solchem Falle verpflichtet, keinerlei Dienste zu verlangen oder anzunehmen, die dem gegebenen Ehrenwort widersprechen . " Dem Feinde gegenüber haftet der Entlassene und sein Heimatstaat, er verpflichtet durch sein Wort sich auch seiner Regiernng gegenüber, und seine Regierung gegenüber dem Feinde. Das Rechtsverhältnis, das sich dort an der geometrischen Figur eines Dreiecks veranschaulichen
läßt,
ist noch
vielseitiger bei
der Entlassung der in neutralen Staaten Internierten : hier wird das Ehrenwort geleistet an den neutralen Staat,
es nutzt vor allem dem
feindlichen Staat , es verpflichtet neben dem Entlassenen dessen Heimatstaat. War das Ehrenwort verboten und wird es doch geleistet , so wird der Konflikt zwischen dem Gefangenen und dem Heimatstaat ausgetragen, es folgt militärische disziplinare Bestrafung . War es erlaubt und wird es vom Heimatstaat nicht geachtet, so verschärft es den Konflikt zwischen den Kriegführenden , es folgen Repressalien , wie 1870 in der Verfügung des Generals Vogel von Falckenstein , der für je eine Entweichung (und Wiedereinstellung in das französische Heer) zehn durch das Los bestimmte andere Offiziere zu strenger Haft unter Entziehung aller Vorrechte eines gefangenen Offiziers auf eine preußische Festung führen ließ .
(Vgl. Geisberg , Bismarck und
Die Entlassung kriegsgefangener Offiziere auf Ehrenwort.
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das Kriegsvölkerrecht, S. 62. ) Wird das Ehrenwort gebrochen , so tritt die Strafe des Artikels 12 des Haager Abkommens ein : ,,Jeder gegen Ehrenwort
entlassene Kriegsgefangene ,
der gegen den Staat,
demgegenüber er die Ehrenverpflichtung eingegangen ist , oder gegen dessen Verbündeten die Waffen trägt und wieder ergriffen wird , verliert das Recht der Behandlung als Kriegsgefangener und kann vor Gericht gestellt werden ." Dieser Artikel gilt gegen Gefangene , die zuwider einem Verbot des Heimatstaates ihre Entlassung nahmen , erst recht. Denn sie haben diesem den Dienst, der ihre gesetzliche und ihre Ehrenpflicht ist, Ehrenwort gebrochen.
abgeschworen und dem feindlichen Staat ihr Der Wortbruch wird bestraft, nicht die Flucht,
diese unterliegt nur disziplinarischer Ahndung. Das ist bemerkenswert , denn beim Meineid vor Gericht wird die falsche Aussage bestraft ; daß sie unter Eid gemacht war, qualifiziert nur das Verbrechen , — beim Bruch des Beamteneides wird die Pflichtverletzung geahndet ; daß dabei der Beamteneid verletzt wurde ,
kann nur die Strafe ver-
schärfen . Hier ist der einzige Fall, in dem der Wortbruch der Strafgrund ist. Die kriminelle Strafe ergänzt die Gewissenstrafe , das Bewußtsein der Ehrlosigkeit. Sie ging seit je von dem ritterlichen Grundsatz aus, daß für den Ehrlosen auf der Erde kein Raum sein soll .
Im
brandenburgischen Kriegsrecht wurde,
wer ,,wider die von
sich gegebene und verbindlich machende Parole handelt als ein Treuloser aufgeknüpffet kan man seiner nicht habhaft werden , so wird er vogelfrey erkläret, und sein Nahme an Galgen geschlagen" (Gnüge , Kriegsrecht, 1750 § 331 ) . Noch heute tritt in den meisten Staaten hier die Todesstrafe
ein.
Wünneberg
(in
seiner Dissertation über
die Entlassung der Kriegsgefangenen auf Ehrenwort, Bonn 1911 , die in vielen Punkten wertvolles Material gibt) , nennt Frankreich . Griechenland, Italien, Amerika , Dänemark. Im Deutschen Reich gilt nach § 159 des Militärstrafgesetzbuchs dasselbe, und zwar nicht nur wie im erwähnten Artikel 12 für den Fall, daß der Gefangene wieder die Waffen nimmt, sondern für jeden Fall der gebrochenen Zusage. Der Krieg, den unser Vaterland jetzt zu führen hat, begann mit einem gebrochenen Ehrenwort . Der russische Generalstabschef gab am 29. Juli 1914 dem deutschen Militärbevollmächtigten sein Wort als Offizier, daß die militärischen Maßnahmen Rußlands nicht auf Deutschland zielten .
Ein
Grund mehr, in diesem Krieg,
der unter
solchen Auspizien begann und unter Rücksicht auf die Erfahrungen des letzten Feldzuges, dieses Ehrenwort weder zu geben noch zu nehmen, das sich (leider) als ein ritterlicher Anachronismus herausgestellt hat und das für den Ehrenmann eine unzerreißbare Kette, für den Gewissenlosen aber eine tückische Waffe ist.
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Die Wehrpflicht und Kriegsmusterung der Untauglichen.
IV . Die Wehrpflicht und Kriegsmusterung der Untauglichen .
Von Oberstabsarzt Dr. Neumann.
Wir sind in Deutschland noch lange nicht am Ende mit unseren Tauglichen, und die Notwendigkeit, auch unter den bisher kraft gesetzlicher Bestimmung als dauernd untauglich Erklärten eine Kriegsmusterung zu halten , die das Gesetz jetzt gestattet hat , ist etwa kein Beweis, daß wir am Ende sind mit der kriegstauglichen Mannschaft . Im Gegenteil. Einmal wird nur ein Teil der damals dauernd untauglich Erklärten jetzt gemustert und zweitens befinden sich unter diesen erfahrungsgemäß sehr viele Prozentzahlen lassen sich heute noch nicht angeben -, die seinerzeit untauglich waren, aber jetzt kriegstauglich sind. Es gibt eine Reihe von Fehlern, welche die volle Dienstfähigkeit
damals ausschlossen, obwohl die Leute an sich gesund
waren, die aber inzwischen durch Zeit und ärztliche Kunst geschwunden oder bis zur vollen Dienstfähigkeit gebessert sind. Es darf nur an den Begriff der allgemeinen Körperschwäche erinnert werden.
Damals ,
im militärpflichtigen Alter, fehlten vielleicht einige Zentimeter, heute hat der Mann das nachgeholt. Damals lag z . B. eine sogenannte nervöse Heizstörung vor, die sich heute gegeben hat, damals lagen vorübergehende Erkrankungen vor, die heute behoben sind, z. B. unausgebildeter Plattfuß, Ohrenleiden, Augenkatarrhe usw.
Nicht weil der Krieg jetzt
vielleicht mehr Leute fordert, sondern weil in der Tat eine ganze Reihe von Fehlern, die an sich damals dauernd untauglich machten in der Zeit der damaligen Militärpflichtzeit , sich heute gegeben haben , sind wir in der durchaus gerechtfertigten Lage, aus diesen Gruppen diejenigen herauszusondern, die jetzt tauglich sind. Man wird nicht vergessen, daß es sich um Leute handelt, die bereits einmal als dauernd untauglich bezeichnet waren.
Es hat daher einer sorgsamen Unter-
suchung bedurft , um Fehler zu vermeiden.
Es handelte sich bei uns
keineswegs darum, lediglich Menschenmaterial zu stellen , sondern nur solches Material, das den Zweck erfüllt . Aus diesem Grunde ist vorgesehen, daß an jedem Tage nur eine bestimmte Zahl zur Durchsicht gelangte. Die Leute sind angewiesen worden, nicht nur ihre Militärpapiere mitzubringen, sondern auch ärztliche Zeugnisse vorzuweisen.
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Die Wehrflicht und Kriegsmusterung der Untauglichen .
Die Gruppierung ist in der für den Krieg vorgeschriebenen Weise erfolgt. Ältere erfahrene Militärärzte und hervorragende Fachärzte sind zur Mitwirkung bei den Musterungen herangezogen worden .
Man hat
Kriegsverwendungsfähige,
Arbeits-
Garnisonverwendungsfähige
und
verwendungsfähige unterschieden ; bei der letzteren Gruppe ist festzustellen gewesen, ob der Mann sich zu den Armierungsformationen oder zu sonstigen, militärischen, seinem Beruf etwa entsprechenden Dienstleistungen noch eignet .
Alles das ist sorgsam geprüft worden .
Auch ist es zugelassen , daß Zurückstellungen wegen zeitigerUnbrauchbarkeit erfolgen, so daß sich Entscheidungen auch aufschieben lassen. So kann z . B. jemand heute bei der Kriegsmusterung als zeitig garnisonverwendungsfähig befunden werden, der später kriegsbrauchbar wird. oder die Arbeitsverwendungsfähigkeit kann eine zeitweise sein, so daß später auch eine andere Gruppierung möglich ist . Im Rahmen der kurzen Skizze lassen sich die Möglichkeiten gar nicht erschöpfen. Eine Reihe von Fehlern macht, wie bisher, dauernd auch arbeitsverwendungsunfähig , so daß hier endgültige Ausmusterung erfolgt.
Für Renten-
bezieher, die dauernd untauglich erachtet waren . ruht die Rente, so lange sie zum aktiven Dienst wieder herangezogen werden. Die Reklamation hat mit der ärztlichen Untersuchung nichts zu tun. Reklamanten sind ja meistens gesund .
Ein besonderes Körpermaß ist
für die Kriegsmusterung nicht vorgeschrieben. Die versuchsweise Einstellung ist gestattet.
Ausgehoben
wird .
grundsätzlich nur , wer nachweislich kriegsbrauchbar ist ; auch die dauernd nur Garnison- und Arbeitsverwendungsfähigen werden für den Krieg ausgehoben, und zwar für den Dienst in der Garnison oder bei den Armierungstruppen. Die sorgsame Beurteilung von Fall zu Fall durch erfahrene Militärärzte bürgt für die sichere Ausführung der Kriegsmusterung. Nicht der Fehler an sich, sondern die Gesamtleistungsfähigkeit ist maßgebend. So ist es gelungen, auch unter den seinerzeit als dauernd Un-
tauglichen zahlreiche Leute zu gewinnen, die kriegsbrauchbar sind. Daher lieb Vaterland magst ruhig sein, auch diese neuen Kriegsbrauchbaren werden ihre Schuldigkeit für das Vaterland tun ! Es konnte somit diesmal die segensreiche allgemeine Wehrpflicht , die seit mehr als 100 Jahren bei uns besteht , restlos durchgeführt werden. Virchow hat seinerzeit die Aushebung das größte biologische Experiment genannt . Ich muß hier darauf verzichten, anzugeben, welche wichtigen . Schlüsse sich aus der Aushebung ziehen lassen . Kriegsmusterung
Jedenfalls bietet die
mit ihrer Übersicht über Jahrgänge
von einem
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Zur Verstärkung von Stellungen.
Menschenalter
Gelegenheit
zu einer
hochinteressanten
Kritik der
Volksgesundheit. Es kann noch hinzugefügt werden, daß die Nachmusterung der Dienstunbrauchbaren durchaus dem Volksempfinden entsprach, und daß ihre Vornahme durchaus ein Akt der Gerechtigkeit war. Daher konnte dieses wichtige Geschäft ohne jede Härte und durchaus gleichmäßig im Deutschen Reiche vorgenommen werden. Die Ergebnisse haben die Erwartung sogar übertroffen, das ist eine trostreiche Erfahrung.
Wenn wir sehen, wie in England der Kampf um die Wehr-
pflicht tobt, wenn wir wissen, daß Frankreich schon vor dem Kriege infolge des Zweikindersystems offenbar kranke Leute einstellen mußte, so sehen wir heute den unendlichen Segen unserer Wehrpflicht , die das deutsche Volk unter die Waffe stellt , eine vaterländische Pflicht, um die uns die andern Staaten beneiden , und die zeigt , daß die Kriegsmusterung Ergebnisse zeitigt, die beweisen, daß wir mit der Volkswehrkraft noch lange nicht am Ende sind.
V. Zur Verstärkung
von Stellungen.
Von Woelki. Oberst z. D.
Je länger der Krieg in und vor Stellungen, um Festungen , Schlüsselpunkte und Gebiete anhält , desto mehr bildet sich wohl die zugehörige Technik, das Verfahren heraus ; immer wieder werden neue Versuche und Anstrengungen gemacht, neue Hilfsmittel erfunden, stärkere Kräfte
und Mittel zur Überwindung bzw. Überbietung ein-
gesetzt. Da wandeln sich denn auch die Ansichten und bisherigen Grundsätze : aus der widerwilligen Anwendung von nur eng beschränkten,
dürftigen
Maßnahmen
wird
leicht
eine
überreichliche
Bevorzugung, an Stelle von höchstens einer " Linie, eine Häufung von Linien und Stellungen : zur Auswahl für wechselnden Bedarf, oder auch zur Irreführung, zur Reserve und besonderen Sicherung usw. Und das alles erscheint denn bald so selbstverständlich und allein richtig, daß man den vorangegangenen entgegengesetzten Standpunkt wenn als überholt oder verfehlt anzusehen versucht sein könnte ,
Zur Verstärkung von Stellungen . man sich
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nicht der unendlichen Fülle und Wechsel von Umständen
und Fällen bewußt bliebe,
die den Gang der Kriegsereignisse zu be-
einflussen in Frage kommen, und viel mehr noch die Lehre bestätigen, daß Normen und Methoden für die Mannigfaltigkeit und Verschiedenartigkeit der Umstände des Ernstfalles nie zureichen , weswenn nun einmal halb solche nicht maßgebend bleiben dürfen , der Hauptzweck einer zutreffenden Kriegsvorbereitung in der Zeitigung von richtigen Auffassungen, eines wirklichen Verständnisses aller mögund die gepflegten Vorübungen und lichen Gefechtslagen liegt , getroffenen Vorkehrungen, in Bereitstellung von allerlei Kriegsmitteln , Einrichtungen, wie Bauten und Geräten, auch wirklich ihrem Zweck entsprechen sollen. Wenn danach im Laufe eines Stellungskrieges , wie er nach Ausauch dehnung, Dauer und Hartnäckigkeit nicht vorgesehen war, wohl nicht vorhergesehen werden konnte , - die bisher übliche Einrichtung der Stelluug (in einer Linie) vielfach als unzureichend sich erwiesen hat, und die Überzeugung sich Bahn brach, daß solche auch in der sorgfältigsten Ausführung und reichlichsten Ausstattung nicht aber den verlangten Grad an Widerstandsfähigkeit gewährleistet. Wiederholung und weiter auch eine Vervielfältigung der Linien , der Stellungen, immer noch nicht die Truppe, wie angestrebt, entlastet, noch allein an sich schon die Sicherheit im wesentlichen bietet , auch
abgesehen von anderen Nachteilen,
die
solche Verteilung mit
sich bringt
; da drängen sich wohl jedem Beteiligten Fragen auf, wie : Sind noch weitere Verstärkungen möglich ? Oder ist der Angriff mit den heutigen Mitteln der Verteidigung durchaus überlegen ? Und: Worauf kommt es schließlich bei der Verteidigung wie beim Angriff stets und vor allem an? Als Aufgaben der Befestigung stehen dabei im Vordergrunde : a) Sicherung der Truppen, sowohl in der Abwehr selbst, als auch in der Bereitschaft ; es kommen also alle Einrichtungen hierbei in Betracht,
die das
rechtzeitige
und wirksame Einsetzen der
Truppen mitsamt ihren Waffen und Hilfsmitteln bezwecken ; soweit sie nicht b) Erschwerung der feindlichen Annäherung schon unter a) fällt , im besonderen durch ein oder mehrere Hindernisse . Ob nun davon der eine oder andere Weg bevorzugt, oder aber beide Mittel nebeneinander und wechselseitig zur Anwendung kommen ; das
muß vor allem betont werden,
daß
die wesentlichste Voraus-
setzung einer erfolgreichen Verteidigung doch immer in der Besatzung , und zwar vornehmlich in moralischer Beziehung liegt, und unter allen Umständen bleibt, derart, daß diese oft
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Zur Verstärkung von Stellungen .
genug allein die summarische Überlegenheit gewährt . Dagegen stellt sich bei näherem Zusehen solche Ansicht , die eine Überlegenheit der Hilfsmittel, und wären es selbst die wirksamsten Waffen , für den Angriff, oder die Verteidigung aus den Erfolgen herleiten möchte , allemal nur als einseitige Befangenheit heraus. Die Art der Anwendung des mehr oder weniger intensiven ,
energischen Gebrauchs
ist es vielmehr , die den Erfolg bringt. Selbstverständlich mit gewenigstens wissen Ausnahmen ! So sind gewiß 42 cm-Geschütze
vorläufig noch
im Angriff wirkungsvoller. als sie es in der Verteidigung sein können : sie dienen eben besonderen Zwecken !
Wichtiger aber ist und mehr zur Geltung kommt, das Moment zum der Überraschung und zwar vorzugsweise im Angriff, Nachteil der abwartenden Verteidigung, deren Kräfte leicht, eben durch Sicherungen gegen Überraschungen vorzeitig verbraucht ( absorbiert) werden . Den Überraschungen zu begegnen, fällt so der Befestigung als eine Hauptaufgabe zu,
und diesem Zweck soll(en) eben das bzw.
die Hindernisse und deren Bewachung dienen . Nun stellt sich gerade diese Aufgabe um so schwieriger, als der Zug der Zeit wohl auf die möglichst schnelle Überwindung von Hindernissen . nicht aber auf deren zumeist langwierige Erstellung gerichtet ist ; die Hast und Ungebundenheit der Neuzeit nimmt lieber mit leichteren Drahthindernissen vorlieb, als daß sie mühsam steile Skarpen herrichtet oder massige Mauern aufführt, die vielleicht, wenn sie schon nicht zerstört (werden), irgendwie vermieden (umgangen) werden können . Des weiteren hierzu mag auf das im (Dezember-) Heft der Jahrbücher in „ Massenheere und Befestigung“ zu „ bedingte Verstärkung" - Aufgeführte verwiesen werden . Das derzeitige Bedürfnis führt ja wohl zu anderen Hilfsmitteln und Formen, wie vor 100, geschweige 400 bis 800 Jahren. Es kann auch sicherlich, entsprechend den veränderten Bedingungen , irgendwie voll befriedigt werden , wenn es erst in ― nicht seinen Grundbedingungen erkannt und gewürdigt ist, aber, solange die Zeitströmung nach Massenhaftigkeit und Nivellierungssucht , nach Universalmittel, Fabrik- und Dutzend -Ware, Gleichheit und Allgemeinheit vorherrscht, Auswahl aber nach Kern- und Feingehalt, nach Art und Umständen nicht gebührend gewertet wird , es sei denn als sportmäßige oder „ effektmachende" Spezialität. Die Umbildung des Kriegswesens nach und durch Aufkommen der Volksheere befindet sich auch noch im ersten Stadium und wird wohl noch manche Probleme zeitigen, die zu lösen um so schwerer fallen muß, je mehr die Völker im friedlichen Wettbewerb aufgehend, nur widerwillig und notgedrungen sich mit den Anforderungen des Krieges abfinden.
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Zur Verstärkung von Stellungen .
Also auch, wenn im besonderen die Kampfart der Verteidigung von Hause aus mißachtet und hintangehalten, unerwartet zum weitverbreiteten Bedürfnis geworden und im höchsten Maße zur Anwendung ansteht. Da wäre es denn zuviel verlangt, daß allenthalben die zweckmäßigsten Maßnahmen gefunden, Vorteile gewonnen und Vorzüge zur Geltung gebracht werden, die man bisher nicht gekannt , geschweige gewürdigt, noch geübt hat ; auch wohl in Verkennung der Kräfte , hüben wie drüben, unerreichbare Ziele steckt und den Truppen zumutet ; ist doch, die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Kräfte auf der eigenen wie entgegengesetzten Seite zutreffend einzuschätzen , in diesem Bereich gerade besonders schwer. Trotzdem , wenn auch schon aus allgemeinen Gründen zu wünschen bleibt, daß die Umstände es erlauben, vor allem die geistigen Kräfte der Führer
wie
das
moralische
Element der Truppen noch
dazu
reichen, an entscheidender Stelle zum Angriff überzugehen , oder auch zu rechter Zeit und am geeigneten Ort die Kriegslage sich hierfür zu schaffen, (so) bleibt die Verteidigung doch nicht nur oft genug unumgänglich, sondern nach wie vor auch lohnend und erfolgreich ; dies selbstverständlich aber auch nur. wenn sie im rechten Geist und mit geeigneten Mitteln wie Kräften aufgenommen und durchgeführt wird. Und dazu gehört wieder eine eingehende Kenntnis und Beherrschung der in Betracht kommenden Mittel,
wie
ihr voller. rücksichtsloser Einsatz durchweg, also, daß damit eine gewisse Überlegenheit über den Gegner gesichert ist . Unter solchen Umständen wird es auch keiner weiteren Verstärkung mehr bedürfen. es wird dann
selbst
das
schwierigste Manöver,
das
es heutzutage
geben kann, der Übergang aus der Verteidigung zum Angriff, nicht nur gelingen, sondern entsprechend um so größeren Erfolg verschaffen . Wenn aber so die eingehende sachgemäße Ausnutzung der vorhandenen Umstände, Mittel und Kräfte als vornehmstes Gesetz für die Verteidigung hingestellt ist, so schließt dies auch auch
jede bezügliche Anpassung, Verbesserung und Ausnutzung ein ; auch das zutreffende Urteil darüber, inwiefern äußerste Kraftentfaltungen und absonderliche Spezialitäten berechtigt und angebracht sind. Und wenn es liebiger stellbar nügend weniger
auch keinem Zweifel
unterliegt,
daß Panzertürme von be-
Widerstandskraft , also auch gegen 42 cm-Geschütze , hersind, so bleibt immer noch die Frage , ob solche auch gesicher zur Geltung kommen ( ?). Wahrscheinlich doch noch Dann aber wird als die bezüglichen (aktiven) Geschütze !
ihre Beschaffung selten genug lohnen . Daß die Anhäufung von Mitteln , der Verteidigung
von noch
Stellungen ,
zweifelhafterem Wert
wie Kräften in
als beim Angriff
48 ist ,
Zur Verstärkung von Stellungen. müßte
solche,
nachgerade
die sich
nicht
auch
zur
Genüge feststehen, -
dessen bewußt
auch für
sind, daß Summanden nicht
Potenzen ergeben , daß aber mit der Anzahl der Teile und Faktoren die Leitung erschwert und in den als schwierig anzunehmenden Entscheidungsmomenten die Gefahr
der Verwirrung vermehrt wird .
allgemeinen dürfte es sich darum mit Anhäufungen , wie Überleistungen ebensowenig zu
rechnen
Im
Masseneinsätzen
empfehlen ,
wie
solche
einseitigen Vorurteile zu fördern , als ob derzeitige Waffen (wie Völker ) im ganzen sich vorzugsweise für die Verteidigung oder den Angriff eigneten.
Außerordentliche Umstände
sprechende Maßnahmen ,
rechtfertigen wohl auch ent-
und besonders große Leistungen berechtigen
auch zu solchen Erfolgen ,
wenn aber das Außergewöhnliche zumeist
durch die Überraschung wirkt, so entzieht es sich auch den gewöhnlichen Regeln und Berechnungen . Wohl lassen sich für außerordentliche Lagen und Leistungen (Gewaltmärsche,
anhaltende heftige Be-
schießungen [Trommelfeuer] , Winterschlachten und dergl . m. ) Erfahrungen sammeln und, wenn auch immer nur teilweise , verwerten , die Hauptwirkung aller bezüglichen Leistungen liegt doch eben in dem Unerwarteten! Wo (denn) die Überraschung nicht gelingt, die Absicht vorher bekannt wird usw. , da liegt der Fehlschlag näher wie der Erfolg und es hängt nur vom Gegner ab, wie schwer der erstere ausfällt. Anders steht es mit der fortschreitenden Entwickelung der Technik und deren Ergebnissen . Wenn man noch vor wenig Jahren mit Leistungen der Angriffsmittel zu rechnen hatte, die jetzt nur noch als recht bescheiden anmuten , so muß man sich jetzt auf Überraschungen gefaßt machen, dementsprechend auch für einen Überschon abgesehen schuß an Widerstandskraft und Sicherheit sorgen , davon, daß man ein richtiges Urteil darüber hat, was überhaupt und was im besonderen vom Gegner zu erwarten ist , und nicht sich alle möglichen Vorteile (Chancen) vorbehält ! - Danach bleiben denn auch die Folgerungen rücksichtslos zu ziehen . Also auch, wenn man mit der vollen Wucht einer anhaltenden Beschießung aus den zeitigen sowohl, was den Zustand der Fernfeuerwaffen zu rechnen hat , als auch und viel mehr noch der BeSicherheit ihres rechtzeitigen Einder satzungen, einschließlich greifens. Und wenn zu fürchten ist, daß die (schwachen) Profile zerstört werden, wie kann man dann noch erwarten , daß auch nur Werke ( Stellung) betrifft,
die Posten ihre Aufgabe erfüllen , die Allarmierungen funktionieren und die Besatzung rechtzeitig zur Stelle ist ? Darauf aber kommt es doch an , wenn einmal die Verteidigung vorzugsweise und zunächst in der wirksamen Feuerabgabe gesucht wird und die dauernde Feuer-
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Zur Verstärkung von Stellungen. bereitschaft
schutzlos
nicht möglich ist .
Daß die heutige Be-
waffnung allein der Infanterie , einschließlich der Maschinengewehre, genügt, jeden Angriff abzuweisen , sofern sie nur einigermaßen zur Entfaltung gelangt, ja , daß sie hierzu eine gegen früher nur geringe Zeit bzw. ein Schußfeld von kaum 200 m bedarf, erleichtert wohl die Aufgabe (der Verteidigung und Befestigung) ; aber dafür sind auch die Mittel und Kräfte des Angreifers um so mehr gewachsen und leicht schon dadurch überlegen, daß sie aus dem Verteidiger unbekannten Stellungen und in solcher Menge eingesetzt werden können , daß es zunächst ausgeschlossen erscheint , dagegen feldmäßig vollausreichenden Schutz
zu schaffen. Das ist auch billigerweise gar nicht zu verlangen ! Vielmehr fällt im Feldkriege die Hauptleistung zunächst in jedem Falle, also auch dem der Verteidigung. den personellen Kräften , den Truppen zu . Um dem eben angeführten übermächtigen Fernfeuer des Angreifers zu begegnen . liegt es darum am nächsten , eine entsprechend stärkere Artillerie aufzubieten, die feindlichen Batterien aber mit Hilfe der Luftfahrzeuge festzustellen . Wenn dann freilich, und soweit die Kräfte des Verteidigers dazu nicht ausreichen , bietet dann , nächst der Ausnutzung des Geländes , die Befestigung in einem gewissen Maße die Mittel, das Mißverhältnis auszugleichen : eben die „ stärkere Form " ! Die Form muß dazu richtig angepaßt sein und kann um so stärker werden , je mehr Gelegenheit (Zeit, Fleiß und Hilfsmittel ) zur Verfügung steht. Ob sie dann als „ uneinnehmbar" oder als unzureichend und vergeblich sich erweist, das kann ihr füglich auch nur soweit angerechnet werden , als sie wirklich durch wie gegen die bezüglichen Kräfte zur Geltung gekommen ist. Der allgemein angewandte von Hause aus
einfache Schützengraben ist ja und seiner Natur nach nur für vorübergehende
Zwecke, nicht aber für wochen- und monatelange Behauptung bestimmt. Aber auch bei vorübergehendem Bedarf ist schon die Art der Anlage und Ausführung wesentlich ; die Hauptgewähr dafür, daß er seinem Zweck entsprechen kann , liegt nicht sowohl in der Masse der angewandten Arbeit,
als in der Auffassung und dem Geschick der Leitenden, in Ausnutzung der örtlichen Verhältnisse wie der zu Gebote stehenden Hilfsmittel. Beispielsweise können nackter Fels
und hoher Grundwasserstand die Anlage von normalen Schützengräben ausschließen und doch zu überaus wirksamen Verstärkungen Gelegenheit geben ; wie denn überhaupt hier wie auch sonst wohl eine geniale Anlage sehr wohl ursprüngliche Stärken umzuwandeln vermag.
Schwächen
Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine Nr. 532.
in
besondere 4
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Zur Verstärkung von Stellungen.
vergessen ist ferner, daß Schntz und Wirkung im natürlichen (latenten) Gegensatz zueinander stehen, also daß auch die. Handhabung, und damit Wirkung selbst nur der Infanteriewaffen Nicht
zu
durch vermehrten Schutz erschwert, ja sogar verhindert werden kann ; also , daß beispielsweise vertiefte Gräben erst wieder durch Auf" tritte , Scharten und Schilde verteidigungsfähig gemacht werden ohne jedoch die in der Umständlichkeit (Komplikation) liegende Erschwernis voll zu beseitigen . Dazu erschweren enge, tiefe Gräben den Verkehr, die Leitung usw. , sind schwerer in ihrer Form zu erhalten (Bekleidung) und werden durch Beschießung leicht zerstört Im großen Ganzen ist so ein zuverlässiger, bleibender (zugeschüttet). Schutz der Truppe bei Abwehr der Angriffe selbst -- feldmäßig Da nun ferner eine Besetzung der Feuernicht zu erreichen. stellung nur für den Moment der Abwehr selbst nötig ist . auch die Truppe nicht tage- und wochenlang in der für die Abwehr hergerichteten Stellung ohne Schaden aushalten kann , eine öftere , beliebige Auswechselung auch nicht durchführbar ist, so werden Unterstände , Untertrete- und schließlich Unterkunfts - Räume erund solche wieder mit verschiedener Widerstandskraft forderlich. bzw. Sicherheit, von derjenigen gegen Schrapnels anfangend bis zu der gegen Volltreffer von schweren und schwersten Mörsern im Planund Zielschießen wachsend ; dazu noch gegen Minen . Handgranaten. Wurfminen und Fallbomben. So verschieden und schwer vorausaber auch die Gefährdung nach Art und Maß (vorher) je nach den stellt, so trifft dies für die Bedingungen der Abhilfe doch noch viel mehr zu ; Zeit , noch dazu kommenden Umständen
zusehen sich
Kräfte, Mittel und örtliche Verhältnisse, dazu Arbeitslust, Geschick und Ausdauer bestimmen den Erfolg ― im Wettstreit mit dem entsprechenden Einsatz des Gegners, und zwar immer den geistigen Kräften mehr, wie den bloßen Mitteln und Waffen , hüben wie drüben ; und die an sich beste Verstärkung hat noch wenig Zweck, wenn sie nicht voll in die Gesamtlage hineinpaßt, noch dem äußersten Gebrauchsfall gerecht wird . So auch (solche) Unterstandsräume, die zwar an sich durchaus sicher sind, deren Besatzung aber nicht die rechtzeitige Feuerabgabe gewährleistet (s . o . ), wie dies namentlich bei Benutzung von Minenstollen zeigt hat. Daß die Verstärkung,
und -häusern
sich
wiederholt
schon ge-
die ein oder mehrere wirkliche Annähe-
rungshindernis (nisse ) bieten können , erfahrungsmäßig am wenigsten ausgenutzt wird, ist schon erwähnt. Ein paar Drahtzäune. auch ein 5 m breites Stacheldrahthindernis,
zumal nur flüchtig und dürftig
ausgeführt , kann doch, selbst wenn es bis zum Sturm intakt geblieben .
Zur Verstärkung von Stellungen . ist, nicht viel Aufenthalt bereiten !
51
Wenn es dazu noch die Stellung
bezeichnet (verrät) , ist es doch oft genug mehr schädlich als nützlich ! Zu einem erheblichen Hindernis aber gehört eben auch ein erheblicherer Aufwand an Mitteln und Arbeit, ja, auch an Sachverständnis und Hingabe, als gemeinhin hierfür verfügbar ist . Ohne entsprechenden Einsatz kann aber hier wie auch sonst in der Technik kein wirklicher Erfolg erzielt werden. Aus dem bisher Angeführten mag wohl zur Genüge hervorgehen, daß es im allgemeinen an Verstärkungsmöglichkeiten nicht gerade fehlt . daß aber die zweckmäßige Anwendung der Mittel von mancherlei Umständen abhängt, von denen besonders das Sachverwie ständnis . der rechtzeitige Entschluß und die volle Tatkraft, auch anderseits die Weiterentwickelung der Lage, die schließlich tatsächlichen Umstände hervorgehoben sind, und aus denen heraus sich die erstrebte Überlegenheit bzw. Stärke im Verhältnis zum Gegner schließlich ergibt. Bezüglich des Prozesses der natürlichen Entwickelung aller in Frage kommenden Kräfte und Umstände im, für und durch den Krieg ( der Kampf ist der Vater aller Dinge " ) geben die bekannten natürlichen Grenzen und Gesetze wohl einen gewissen Anhalt ; zumal die Zeit bleibt immer ein zuverlässiger Faktor bei Bestimmung der zu leistenden Arbeit ;
wenigstens in dem Sinne ,
daß der höhere und
höchste Grad einer Verstärkung mehr an Zeit bedarf als eine leichtere, flüchtige (Verstärkung) .
Danach aber fällt dann die größtmögliche
Verstärkung der ständigen Befestigung (oder auch Befestigung für ständige Zwecke) zu . Daß diese imstande sein muß (und ist) , jeden gewünschten Grad an Verstärkung zu erreichen , ist dann selbstverständlich . Nicht aber, solchen (Grad) auf die Dauer zu behalten ! Weil eben die fortschreitende Entwickelung der Technik usw. immer wieder neue und mehr Verstärkungen erfordert, die nicht so leicht nachträglich anzubringen bzw. auszuführen sind , wie etwa bei der Feldbefestigung. Die Anlagen der ständigen Befestigung bilden eben nach Masse, Festigkeit und Gewicht ein abgeschlossenes Ganze, das ebenso schwer zu ändern , wie es in einem Zuge errichtet ist (während das Wesen wie auch die eigentliche Stärke der Feldbefestigung in der Beweglichkeit und Veränderlichkeit liegt). Ist darum die betreffende ständige Anlage in einem wesentlichen Punkte verfehlt , besondersn nicht
trägt sie im
dem schließlichen Bedürfnis Rechnung, so wird sie
zunächst nur ein notdürftiges Flickwerk werden,
im Laufe der Zeit
aber so viel an Wert und Gebrauchsfähigkeit verlieren , daß sie schließlich hierin einer nur im letzten Moment , eben nach Bedarf 4*
52
Zur Verstärkung von Stellungen .
behelfsmäßigen Befestigung nachsteht, ja , wohl gar durch solche geschützt werden muß, ― wie wir dies zurzeit wohl erleben . Die Überlegenheit der ständigen Befestigung in ihrer eigentlichen Stärke wird aber durch solche mißbräuchliche Praxis nicht berührt ; sie tritt gerade neuen und besonders schwierigen Aufgaben gegenüber ins rechte Licht ; so zurzeit bezüglich der nötig gewordenen Sicherung gegen Angriffe (Feuer) von oben! Gegen die (das) - behelfsmäßig -die Verteidiger im Kampfe selbst kaum höchstens gegen Schrapnels zu schützen sind ; -- wogegen mit den Mitteln der ständigen Befestigung, selbst gegen schwere Beschießung, ein völlig gedeckter Gefechtsstand unschwer herzustellen ist ; der zudem die geringstmöglichen Kräfte (Maschinengeschütze usw. ) zur Abwehr erfordert, wie diesen in nächster Nähe Unterkunft usw. bietet. Desgleichen ist auch
ein in
allen Fällen wirksames,
nehmendes Hindernis mit ständigen Mitteln wohl
schwer zu
zu schaffen ,
das
zudem für die Bewachung und Verteidigung ( Flankierung) gelegener wird, als dies behelfsmäßig möglich ist . Aber auch bei diesem Vergleich, wie überhaupt bei Bewertung der Befestigung und Verstärkung ist nie zu vergessen , daß es sich immer nur um ein Kriegsmittel handelt, das, je nach dem Gebrauch ebenso leicht versagen wie den vollen Erfolg verschaffen kann . Dann aber ist es auch nicht sowohl der erreichte Grad der Verstärkung, noch ihre Masse (Anhäufung von Linien ) , die die rechte Art der Verwendung sichert, vielmehr ist es doch die moralische Potenz oder nach Fichte die Kraft des Gemüts , die Siege erkämpft " Und dazu wieder muß es die Hauptaufgabe der bzw. entscheidet. Verstärkung bleiben , bzw. sie muß in erster Linie darauf gerichtet sein , ( das moralische Element zu heben) und zwar unausgesetzt und in jeder Weise. Sie erfüllt ja auch diese Aufgabe schon dadurch, daß sie einen gewissen Halt (Rückhalt ) gibt , weiter, daß sie die Widerstandsfähigkeit erhöht, das Selbstbewußtsein hebt ; noch mehr freilich , wenn sie zu kraftvollen Ausfällen , wenn nicht zum Übergang zur Offensive Antrieb und Gelegenheit gibt ; also , daß das von Clausewitz geprägte Wort : „Die Verteidigung ist der Schild für um im vollsten Sinne Bestätigung findet. so kräftigere Streiche". Nun ist aber dieses Wort gerade jetzt strittig geworden !
Als ob es,
veränderten Kampfbedingungen der Jetztzeit, Verbindung der beiden Kampfarten , also für losere eine für noch nur Stelle, ohne direkte Verbindung mit dem anderer an den Angriff Zugegeben muß auch behalten ! Geltung Befestigung, der Schilde Beläge für einwandsfreie wenig werden, daß die Erfahrung bisher auch haben Es hat. Ausfälle aus Befestigungen heraus beigebracht unter den wesentlich
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Zur Verstärkung von Stellungen.
schon vor dem jetzigen Kriege weite Kreise, namentlich in Frankreich und Rußland . Ausfälle aus Festungen, - abgesehen von kleineren, örtlichen Unternehmungen zu bestimmten Zwecken . - als aussichtslos verworfen,
während
unserseits immer noch
ein besonderer
Wert auf jede Betätigung des offensiven Geistes gelegt wurde . Inwiefern der zeitige Stellungskrieg Beläge für oder gegen schon beigebracht hat .
mag dahingestellt bleiben . Davor aber möchte denn doch schon gewarnt werden : aus den Vorgängen in Gestalt von großen Aus- und Einbrüchen wie aus tage- und wochenlangem Hinund Hergewoge der Kämpfe direkt Schlüsse für den Wert und Einfluß der Befestigungen in ihren Teilen , Arten und Steigerungen zu ziehen; es sei denn, daß dabei, wie schon hervorgehoben, Kräfte und Werte zu entscheidender Geltung gelangen, die umwäg- und unmeßbar, jede bloße Theorie über den Haufen werfen . Wie auch weiter ( darauf zu achten), daß diese Werte zu mehren und zu pflegen, die Aufgabe j der Kriegsvorbereitung wie zugehörigen Mittels sein muß ; also auch der Befestigung.
Und dieser um so
mehr .
je näher an sich und
durch sie die Bewegungsfreiheit beschränkt und die offensiven Impulse - zunächst brach gelegt würden, wenn sie nicht solche nur eindämmend zurückhält ,
um sie um so
lassen; wozu sie die Elemente ,
mächtiger hervorbrechen
zu
die zur Verwendung auf das positive
Ziel hin geeignet sind, zu sammeln , stärken, ihnen Vorschub zu leisten hat.
Daß solche Aufgabe schwierig, daß sie von vielen Umständen
abhängig und
mit ihnen wandelbar ist ,
kann da nicht befremden .
Nur gilt es immer wieder, die vorherrschenden Ansichten zu revidieren . um den veränderten Umständen gerecht zu werden. Wie dies die Geschichte der "" neupreußischen " Befestigung beweist. Bekanntlich hat gerade dieses System besonders der aktiv - offensiven Verteidigung Rechnung getragen . Bis zu seiner letzten Wandlung bzw. Ausbau am Ende des vorigen Jahrhunderts !
Die Fortslinie, die ursprünglich
so recht eigentlich für die Betätigung des offensiven Elements ausgenutzt werden sollte, wurde damals mehr und mehr geschlossen , für bloße Abwehr verstärkt . (Vgl . die betreffenden Ausführungen unter 99 Zeitgemäße Befestigung" im Oktoberheft der Jahrbücher. ) Das Zurückfallen in die alte Lineartaktik bedeutet sicherlich keinen Fortschritt und kann nicht gelten,
als
der Weisheit letzter Schluß
wenn sie nur auf bloße Abwehr gerichtet ist ; vielmehr
muß nach wie vor, getreu den ruhmvollen Überlieferungen , dem offensiven Element freie Bahn und weitester Vorschub geleistet und eben hierin auch die wirksamste Verstärkung gesucht werden . Natürlich setzt solche Kampfweise einen gewissen Fonds an moralischen Werten schon voraus! Wo solcher nicht vorhanden , noch zu erzielen
54
Literatur.
Aussicht ist, da mag dann freilich nur noch der völlige Abschluß und . die Beschränkung auf bloße Abwehr übrig bleiben ; vielleicht mit dem Trost noch, daß es für die höchste Energie und Not , wenn solche sich einstellen sollte, kein Hindernis gibt !? Zu der Verteidigung aber , wie sie nach Clausewitz sein soll und wie sie die stärkere " Form nur herzugeben imstande ist, gehört denn doch, daß sie über ein nicht zu knappes Maß, wenn
nicht
Überlegenheit
an moralischer
Kraft verfügt, die sie durch entsprechende Anlagen weckt. hebt und fördert.
Literatur.
1. Bücher. Kaiser Wilhelm II. als Deutscher.
Eine Volkstumsstudie von Dr. Hans
Zimmer. (Concordia Deutsche Verlagsanstalt G. m. b . H. in Berlin SW 11. ) Preis M. 1 . In dieser hochaktuellen Schrift wird zum ersten Male der interessante Versuch unternommen , die Gesamtpersönlichkeit Kaiser Wilhelms II. unter einem bestimmten , einheitlichen Gesichtspunkt zu betrachten und zu beurteilen unter dem des deutschen Volkstums . Der Deutsche Kaiser als Deutscher es lag so nahe, das Problem so zu fassen , und doch ist dies bisher nicht geschehen . Um so fruchtbarer und anregender hat sich diese Art der Betrachtung jetzt erwiesen : mit ihr ist der Schlüssel zu dem ganzen Fühlen , Denken und Handeln des Kaisers gefunden , zugleich zu unserem eigenen Verhältnis zu ihm . Das macht die Schrift, mag man dem Verfasser, einem der besten Kenner des Deutschtums , im einzelnen zustimmen oder nicht, für jeden Deutschen wertvoll und fesselnd : sie kann den festen Boden abgeben für jeden , der - jetzt dringender als je - den Kaiser und damit auch die große Zeit richtig zu begreifen wünscht, in der wir leben. Sp. Deutschland und der Weltkrieg . Die Entstehung und die wichtigsten völkerrechtlichen Ereignisse des Krieges unter Abdruck aller wichtigen Dokumente dargestellt von deutschen Völkerrechtslehrern . 210 S. Breslau . J. N. Kerns Verlag (Max Müller) . 1. Die Haager Friedenskonferenzen und der Europäische Krieg. Von Reichsgerichtsrat Dr. Neukamp in Leipzig. Der Ver-
Literatur.
55
fasser zeigt im einzelnen , wie unsere Gegner, vor allem Rußland und England, beim Ausbruch des Krieges die Bestimmungen der Haager Abkommen von 1899 und 1907 verletzt haben und wie die belgische Neutralität, deren Schutz angeblich England zum Kriege getrieben hat , längst von Frankreich wie von England gebrochen war. Weiter stellt er kurz zusammen die schweren Verletzungen des Völkerrechts , deren sich unsere Gegner schuldig gemacht haben durch Gewalttaten gegen Verwundete, Ärzte und Pfleger, durch Eingreifen der Zivilbevölkerung in den Kampf, durch Verwendung von Dum- Dum- Geschossen , durch das englische Verbot von Zahlungen an feindliche Ausländer und die Beseitigung des Patent- und Markenrechtes sowie durch die Behandlung der neutralen Schiffe. Den Grund dafür , daß die Haager Beschlüsse völlig versagt haben, sieht der Verfasser darin, daß die Bestrebungen der im Haag verhandelnden Persönlichkeiten durch die maßgebenden regierenden Kreise nicht genügend unterstützt wurden, daß die Friedensbewegung noch zu jung und schwach ist, und daß es vor allem noch nicht allgemeiner Grundsatz der europäischen Völker ist, im Verkehr der Völker die gleichen ethischen Anschauungen wirksam werden zu lassen wie unter den Individuen . Hiermit verkennt der Verfasser die Triebfedern des politischen Handelns der Völker, denn Politik ist und bleibt ein Kampf um Macht, und aus politischer Macht wird polittsches Recht. Wenn der Verfasser zum Schluß die Meinung ausspricht, durch Erstarken der pazifistischen Bewegung könne man zum Schutze der Kulturentwickelung zu einem Weltbunde und einem obligatorischen Weltschiedsgericht der Völker kommen , so mag man ihn um seinen Glauben beneiden , muß aber staunen, daß er den Kultursegen des Krieges und die Quellen der Völkerkraft so sehr verkennt . 2. Krieg. Leipzig.
Staatenverantwortlichkeit
und der gegenwärtige Von Dr. jur. Herbert Kraus, Privatdozent an der Universität
Vom Standpunkt des Völkerrechts ist der serbische Staat für den Krieg mit Österreich verantwortlich . 3. Notwehr und Neutralität.
Von Josef Kohler .
Wenn unser Feind die Pflichten der Neutralität nicht beobachtet und aus ihrer Verletzung Vorteil zieht, so sind wir berechtigt, ihm in gleicher Weise entgegenzutreten . Ja, wir dürfen ihm auch zuvorkommen, wenn er im Begriffe steht, uns mit Hilfe solcher Neutralitätsverletzungen zu überfallen . Daß dabei der neutrale Staat unverschuldet Schaden leidet, fällt dem Erstangreifenden zur Last. Der Verfasser hat bei seinen Ausführungen unser Verhältnis zu Belgien im Auge gehabt. Heute gewinnen sie erhöhte Bedeutung durch Englands Verhalten gegen die Neutralen zur See . Wir müssen uns schützen gegen die Schäden, die uns durch Englands Neutralitätsverletzungen drohen , auch wenn es auf Kosten der Neutralen geschieht.
56
Literatur.
4. Das Völkerrecht über die Verwaltung in Feindesland. Von Prof. Dr. Stier- Somlo in Köln . Die Grundsätze für die Verwaltung besetzten feindlichen Gebietes werden nach den Beschlüssen der Haager Konferenzen zusammengestellt . 5. Der Volks krieg und das Strafgericht über Löwen . Von Dr. jur. et phil. Christian Meurer, Geh. Hofrat und Professor der Rechte an der Universität Würzburg. Nach Darstellung des Tatbestandes aus den verschiedensten Quellen werden auf Grund der Haager Beschlüsse die Rechte der bürgerlichen Bevölkerung zur Teilnahme am Kriege untersucht. Dabei ergibt sich , daß für die Bürger von Löwen als Bewohner eines bereits besetzten Gebietes auch nicht die Spur eines Rechtes vorlag, den Kampf aufzunehmen . Der Überfall auf unsere Truppen war Mord . 6. Zwei völkerrechtliche Probleme . Von Josef Kohler : Die Vorkriegsgefangenen und Der Krieg und der literarische und gewerbliche Rechtschutz . Die gewalttätige Behandlung der Deutschen im feindlichen Auslande bei Ausbruch und während des Krieges und die unerhörte Verletzung der deutschen Patente und geschützten Marken durch die englische Regierung erweisen das dringende Bedürfnis völkerrechtlicher Regelung dieser Beziehungen für die Zukunft. 7. Die Vorgeschichte und der Ausbruch des Krieges von 1914. Von Dr. Karl Strupp in Frankfurt a . M. In Kürze wird die politische Entwickelung dargestellt, die einerseits zum Deutsch - Österreichischen Bündnis , anderseits zum Dreiverbande führte . Zum Ausbruche des Krieges sind zahlreiche Aktenstücke aus dem diplomatischen Notenwechsel , die sonst schwer zusammenzubekommen sind , abgedruckt und kritisch gewürdigt . Eine wertvolle Arbeit, die auch noch heute , obwohl schon wieder andere politische Fragen auf uns kann .
eindringen,
8. Die belgische Frage . beim Oberlandesgericht Köln .
durchaus
empfohlen werden
Von Dr. Otto Nelte,
Rechtsanwalt
Der Verfasser bejaht die Frage nach der Berechtigung des deutschen Vorgehens gegen Belgien , ohne die politischen Notwendigkeiten zu berücksichtigen, in rein wissenschaftlicher Betrachtung des völkerrechtlichen Tatbestandes . R. Jung.
Zum Weltvolk hindurch!
Von Dr. Paul Rohrbach, Stuttgart. Verlag von J. Engelhorns Nachf. Unter diesem Titel hat R. mehrere Aufsätze zusammengefaßt , die vom 9. August, 1912 bis 31. Oktober 1914 in der „ Jugend " , der „ Hilfe “ und in dem von R. gegründeten „ Größeren Deutschland " erschienen waren und sich auf die bisherige bzw. zukünftige Stellung Deutschlands unter den Weltmächten beziehen . Aus der Fülle der anregenden
Literatur.
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Ausführungen über Deutschlands Stellung vor dem Ausbruch des Krieges dem ersten Abschnitt der Schrift - seien besonders hervor-
-
gehoben die Worte über den Bau und Ausbau unserer Flotte , über die Notwendigkeit, die Türkei zu schützen gegen Rußland und England , über die Popularität eines Krieges gegen Deutschland in Rußland und über die historische, politische und ökonomische Notwendigkeit des russischen Strebens nach dem Süden . In dem zweiten Abschnitt „ Die Würfel fielen " kommt dann der Nationalökonom in R. mehr zu Worte, der immer dringlicher auf die Notwendigkeit der inneren Bereitschaft zum Durchhalten aufmerksam macht, und mit edlem Pathos betont hier auch der Patriot R. das Heilige dieses Krieges, von dem alle nationale Wirrnis, alle Schuld beseitigt ist. Wirtschaftliche Ausführungen machen auch noch den Hauptinhalt des ersten Aufsatzes des dritten und letzten Abschnittes aus, der da verlangt, „ daß die Regierung jetzt die Einsicht und den Mut aufbringt, im Sinne eines aufgeklärten Absolutismus . . . zu handeln ", da „die Zeit vervielfachte Schnelligkeit im Denken , Wollen und Handeln fordert" . Das Ganze klingt dann aus in einen Schlußartikel "9 Wohin muß der Krieg führen ?" mit der Forderung : Bereitschaft zum Frieden , ja , zu gemeinsamer politischer Arbeit mit den Franzosen , Brechung der englischen Seeherrschaft , Beseitigung des Zarismus aus allen Gebieten , die durch Natur und Geschichte zur Teilnahme an der abendländischen Kulturgemeinschaft bestimmt waren und widerrechtlich an Rußland kamen , „dies Ziel im Auge behalten . . . , das heißt Arbeit für das kommende deutsche Weltalter." Diesen Ausführungen hat schon die bisherige Entwickelung der Dinge vielfach Recht gegeben, sie verdienen daher ernsthafte Beachtung bei allen , denen die Zukunft Deutschlands am Herzen liegt. Und auch der Leser, der vielleicht über manche der berührten Fragen anders denkt, wird sicherlich aus einer aufmerksamen Lektüre des Buches manche Anregung schöpfen. Dr. Lühmann.
Beck'sche Chronik des Deutschen Krieges nach amtlichen Berichten und zeitgenössischen Kundgebungen . Jeder Band enthält etwa 30 Bogen nebst 8 Bildnissen , Band II und IV auch Kartenskizzen . und kostet gebunden 2,80 M. Band I bis IV sind auch in einem schmucken Karton für 11,20 M. zu haben . C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck München . Die „Chronik des Deutschen Krieges “ von Beck wird mit dem Erscheinen des vierten Bandes nicht nur ihre alten Freunde erfreuen , sondern sicherlich neue hinzugewinnen . Liegt doch in dem Gebotenen die Erfüllung eines tatsächlichen Bedürfnisses vor. Das Wichtigste und Entscheidendste in dem bisherigen Verlauf des Weltkrieges ist mit kluger Hand herausgegriffen . Tagesberichte, Depeschen , Abhand5 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 532.
58
Literatur.
lungen, Bildnisse unserer Heerführer, Kartenskizzen , alles reiht sich in klarer Ordnung aneinander ; so stellt die Chronik den gleichen Wert dar, sowohl als Orientierungsmittel im Augenblick, wie auch als Nachschlagewerk für spätere Zeiten . Behandelten die drei ersten Bände die Kriegszeit bis Mitte November 1914 , bis Mitte Januar und bis Anfang März 1915 , so schließt der vierte mit den Tagesberichten des 30. April ab . Er ist besonders hervorzuheben durch das in ihm enthaltene Namen- und Sachregister, welches die bisher erschienenen vier Bände zu einem geschlossenen Werk vereinigt. Der fünfte Band endlich enthält die Kriegschronik von Anfang Mai bis Mitte Juni .
Heer und Flotte unserer Feinde sowie der übrigen fremden Mächte . Von P. Wolff, Oberst z. D. Verlag G. Stalling, Oldenburg i. Gr . Preis 40 Pfennig. Das Heftchen bringt in sehr klarer Weise die einem jeden heut so interessanten und für die Verfolgung der deutschen Großtaten zu Land und Wasser unentbehrlichen Angaben über Stärke, Gliederung, Ausbildung und Bewaffnung der in Frage kommenden Streitkräfte . Außer den Heeren unserer Feinde und unserer Verbündeten sind neben den europäischen neutralen Mächten auch die neutralen außereuropäischen Großmächte Vereinigte Staaten , von Nordamerika und China berücksichtigt . Neben den vier Flotten unserer Feinde und derjenigen Österreich - Ungarns sind auch die von Italien und von den W. Vereinigten Staaten sehr übersichtlich und klar behandelt . Deutscher Soldatenfreund . Kalender 1916. Verlag der Evangelischen Gesellschaft, Stuttgart. Preis 15 Pf. , in Partien von 25 und 50 Stück 13 und 12 Pf. Der seit vier Jahrzehnten in der Armee weitverbreitete Kalender gewinnt in diesem Jahre besonderes Interesse durch seine Kriegsberichte und durch einen ausgezeichneten Bismarckartikel zum 100. Geburtstage unseres Nationalheros. Er wird unseren Truppen im Felde hochwillkommen sein. W.
Deutsches Liederbuch. Sechste Auflage ( 12. bis 20. Tausend ) 295 Verlag der Vaterlands , Kriegs- , Volks- und Wanderlieder. Deutschbund- Gemeinde, Berlin . Im Buchhandel durch K. G. Th . Scheffer, Berlin - Steglitz, Preise je nach der entnommenen Zahl von 20 Pf. abwärts. Eine vortreffliche Sammlung, der die weiteste Verbreitung in Armee und Marine und vor allem auch in den militärischen JugendW. abteilungen, Pfadfindern usw. zu wünschen ist .
Literatur.
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II . Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Montanus, Österreich-Ungarn im Weltkrieg. Verlag Hermann Montanus . Kart. 2.- , geb. 2.80 M. 2. Montanus, Belgien . Kart. 2.- , geb. 2.80 M.
Siegen 1915.
Siegen
1915 .
Verlag Hermann Montanus .
3. Kriegschronik der Schlesischen Zeitung. Wilh. Gottl. Korn . 3.- M.
Breslau. Verlag von
4. Kerler, Sieben Monate in den Vogesen, in Flandern und in der Champagne . Briefe aus dem Felde an seine Mutter. München 1916. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung. 1.80 M. 5. Karlemeyer, Sorge für die Hinterbliebenen und Kriegsversorgung. Wiesbaden . Verlag E. Abigt . 1.- M. 6. Un An de Journalisme en Pays occupé. Recueil d'Articles parus dans la 99 Gazette des Ardennes". 1. Novembre 1914-30 . Octobre 1915 . Handpreßgravüre . von Mackensen. 7. Generalfeldmarschall Oldenburg . Gerhard Stalling . Imperialformat 73 : 95 cm 6 M., Folioformat 38:48 cm 2,60 M. , Kabinettformat 21:27 cm 1 M. 8. Sommer, Rolf, Die schwarze Garde. Kriegserlebnisse eines freiwilligen Automobilisten in Rußland 1914/15 . Mit 7 Abbildungen . Berlin 1916. E. S. Mittler u . Sohn . 2 M. , geb. 3 M. 9. Bertling, Entwurf zu einer Anleitung für das Studium der Militärgeographie. Danzig 1915. A. W. Kafemann G. m. b. H. 10. Rohde , Unsere Gefechtsvorschriften und der Balkankrieg. Berlin 1915. R. Eisenschmidt. Brosch . 3,60 M., geb. 4,60 M. 11. Tagebuch des Königs Karl von Rumänien als Ordonnanzoffizier des Kronprinzen Friedrich Wilhelm v. Preußen im Feldzug 1864 . Mit Einleitung von Paul Lindenberg . Stuttgart 1915. Adolf Bonz u . Co. Steif geheftet 0,70 M. 12. v. Michaelis , Die Vorgeschichte des Weltkrieges . burg 1916. Gerhard Stalling . 0,70 M.
Olden-
13. Feldmann , Mit der Heeresgruppe des Prinzen Leopold von Bayern nach Weißrußland hinein . München 1916. C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung.
1,80 M.
14. Endres , Die Türkei , Bilder und Skizzen von Land und Volk. München 1916. C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung. Geb. 5 M. 15. Ahnert , Lachendes Heerlager. 600 lustige Anschriften an Unterständen , Blockhäusern , Schützengräben , Schiffen usw. Nürnberg. Burgverlag . Geh . 1,20 M. , in Leinen geb. 1,80 M. 16. Sommer, August von Mackensen , der Sieger von Lodz und Befreier Galiziens . Lissa i . P. 1915. Oskar Eulitz ' Verlag 0.80 M. 5*
60
Literatur.
17. Dr. Hanfft, Vorsitz und Hauptverhandlung im feldkriegsgerichtlichen Verfahren . Kurze Anleitung, besonders für Vorsitzende . II. Aufl . Berlin 1916. E. S. Mittler u. Sohn . 0,60 M. 18. Buschenhagen u. Lucke, Die Herbstschlacht in der Champagne und im Artois 1915. Berlin 1916. E. S. Mittler u. Sohn . 0,80 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z . D. H. Rohne ) enthält u . a. folgende Arbeiten : Dziobek, Geh. Reg. Prof. Dr .: Die Mechanik und ihre Anwendungen. V. und VI. von
**
Richter, Generalmajor : Wie sind die im RussischJapanischen Kriege gewonnenen artilleristischen Erfahrungen nutzbar gemacht ? II. Die Mitwirkung der Flieger beim Einschießen .
Happach: Welche Umstände und Einflüsse bestimmen die Meßgenauigkeit beim Entfernungsmesser ? Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen .
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam .
VI .
England und die allgemeine Wehrpflicht. Von v. Richter, Generalmajor z. D.
Wenn unsere Feinde unter den Endzielen , die sie sich in diesem Kriege steckten , Auslieferung unserer Flotte an England , Rückgabe Elsaß- Lothringens an Frankreich, Einverleibung Galiziens und Konstantinopels in Rußland aufgenommen hatten, so lassen diese und ähnliche Forderungen keinen Zweifel über das Gewollte . Nicht ebenso klar erkennbar und festumschrieben ist die immer wieder zum Ausdruck gelangende Absicht , die Welt von dem ,,preußischen Militarismus“ zu befreien .
Das Wort in landläufigem Sinne als ,, Vorherrschaft des
Soldatenwesens im staatlichen Leben" gedeutet , würde die auf Beseitigung dieses Zustandes gerichtete Gegnerschaft nicht verständlich machen. Sie kann nur dann eine Berechtigung gewinnen , wenn der preußische Militarismus Gefahren für die anderen Staaten in sich birgt, sei es, daß sie sich durch ihn bedroht fühlen oder in ihrer Entwickelung gehemmt werden .
Denn im Grunde genommen muß es jedem Volke
überlassen bleiben , welches Maß des Einflusses es der Streitmacht auf seine staatlichen Einrichtungen einräumt. Rußland besitzt das der Zahl nach bei weitem größte Heer, Frankreich das im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl stärkste , auf dessen Ausbildung die peinlichste Sorgfalt und auf dessen Ausrüstung Unsummen verwendet wurden und das im staatlichen Leben eine erhebliche Bevorzugung genießt . Gleichwohl spricht man bezüglich beider Länder nicht von Militarismus. Diese Bezeichnung ist lediglich auf den größten Staat Deutschlands und weiterhin auf dieses selbst gemünzt und besitzt deshalb ein von unseren Feinden gefürchtetes Ansehen, weil ihnen unser Volk in Waffen als die gewaltigste Macht erschien und sie mit ihr die Vorstellung der Gegensätzlichkeit
zu jeder freiheitlichen
Entwickelung verbanden .
Die in unseren kriegerischen Einrichtungen aufgespeicherte Kraft war, 6 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 533.
62
England und die allgemeine Wehrpflicht.
wie der jetzige Krieg zur Genüge zeigt, in höchstgesteigerter Entwickelung vorhanden, diente aber nur der Sicherung des Friedens , wofür ein Zeitraum von 43 Jahren spricht , während dessen es nicht an Reizungen zur Auslösung einer Kraftprobe gefehlt hat . Was die Behinderung oder Unterdrückung freiheitlicher Regungen anlangt , so bedarf die darauf gerichtete Besorgnis kurzer Begründung. Durch Anlage und die allgemeine Wehrpflicht sind die Deutschen . zu einem waffentüchtigen Volk geworden, wie kein anderes der Jetztzeit . Die im Heere geforderte und geleistete unbedingte Unterordnung unter die Befehle des obersten Kriegsherrn und die der Vorgesetzten findet sich, wenn schon in anderer, wesentlich gemilderter und je nach den Verhältnissen abgestufter Form ganz allgemein auch zwischen Regierenden und Regierten in ihren staatlichen Wechselbeziehungen. Daß es hierbei gelegentlich nicht ohne Übergriffe oder Bevormundung seitens der Behörden abgeht , die sich ihren Einfluß erhalten oder ihr Ansehen zur Geltung bringen wollen , ist ebenso begreiflich, wie die Abwehr des Volkes gegen wirklichen oder vermeintlichen Druck von oben, um Belästigungen abzuweisen oder zu eng begrenzte BewegungsReibungen, die sich zwischen beiden Gewalten
freiheit zu erweitern .
abspielten, vollzogen sich ohne ernste Erschütterungen. Das anerzogene Pflichtgefühl und die angeborene Vaterlandsliebe erleichterten den Ausgleich sich widerstreitender Interessen . Die Ordnung blieb erhalten und begünstigte Leistungsfähigkeit und Tüchtigkeit . Das begeisterte Herbeiströmen der einberufenen Mannschaften zu den Fahnen bei Ausbruch des jetzigen Krieges , der erstaunlich glatte Verlauf der Mobilmachung, die bewundernswerten Leistungen des Verkehrswesens , das anstandslose Anpassen des Wirtschaftslebens an die veränderten Verhältnisse konnten sich nur durch völlige Unterordnung unter die. Forderungen des Vaterlandes und eine bis ins Kleinste durchgebildete Organisation vollziehen. Unter Leitung der Behörde waren alle Kräfte planmäßig nutzbar gemacht, um das Vaterland gegen jede ihm von außen drohende Gefahr zu wappnen , und als die schwere Stunde schlug, setzte jeder im Reiche seine Persönlichkeit ein , um nach seinen Kräften an Abwehr der uns zugedachten Vernichtung mitzuwirken. Die herrschende Ordnung und das vorhandene Pflichtgefühl trugen das Ihre zur Vollendung bei. In geradem Gegensatz zu unserem, in gewisser Hinsicht patriarchalisch geleitetem Staatswesen, liegen die Verhältnisse besonders in England . Dort gilt die individuelle Unabhängigkeit als oberster Grundsatz .
Jeder ist sich selbst der Nächste und verfolgt die ihm per-
sönlich förderlichen Ziele .
Er zahlt dem Staate seine Abgaben , der
England und die allgemeine Wehrpflicht .
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seinerseits dafür zu sorgen hat , daß jeder Bürger seinem Geschäft ungestört nachgehen kann und Schutz oder Förderung findet , wo ihm auswärts Widerstände entgegentreten. Mit dem Freiheitsgedanken ist die Übernahme der auf Gehorsam beruhenden allgemeinen Dienstpflicht unvereinbar.
Der Engländer glaubt genug getan zu haben,
wenn er das Geld hergibt für ein Söldnerheer, das gerade stark genug ist zur Aufrechterhaltung der Ordnung im eigenen Lande einschließlich der Kolonien, zur Verwendung als Landungskorps bei überseeischen Kriegen und zur Abwehr von Angriffen auf das Inselreich, sofern dies der Flotte nicht gelungen sein sollte . - Das deutsche Autoritätsprinzip erscheint dem Engländer als der Inbegriff unerträglichen Zwanges , die Unterdrückung jeder persönlichen Entwickelung.
Die
allgemeine Wehrpflicht , die in Deutschland von Preußen ausgehend , am längsten und gründlichsten durchgeführt ist und für die Dauer der Zugehörigkeit zum Heere oder zur Marine die Willensfreiheit in Ansehung der Ausübung des Dienstes am meisten beschränkt , faßt er nebst den mit ihr im Zusammenhange stehenden Einrichtungen als ,,preußischen Militarismus “ zusammen . In den meisten Reden von Ministern und Ansprachen von Generalen kehrt die Behauptung wieder, die Freiheit der Welt müsse gegen Aufnötigung des preußischen Militarismus gesichert werden .
Dieser Begriff hat ein Echo in allen
mit uns im Kriege befindlichen oder uns abhold gesinnten Völkern gefunden. Die sich seiner bedienen , müssen von der Überzeugung ausgehen oder sie anderen beizubringen suchen , daß im Falle Deutschland und seine Verbündeten siegen, innerhalb ihres Einflussbereichs ein vernichtender Schlag gegen die individuelle Unabhängigkeit geführt werden solle.
Das klingt an die Furcht vor der russischen Knute an .
Man kann die bezüglichen Behauptungen nur in den Bereich der Phrase verweisen, durch die Schreckgespenster an die Wand gemalt werden sollen . Wenn man die Abneigung der Engländer gegen das als Militarismus bezeichnete Autoritätsprinzip von ihrem Standpunkte aus gelten lassen kann, so muß die in Frankreich zur Schau getragene Abscheu geradezu als Heuchelei gelten . Die dort bestehende allgemeine Dienstpflicht und der trotz demokratischer Verfassung streng aufrecht erhaltene und durchgeführte Grundsatz unbedingten Gehorsams in dienstlichen Angelegenheiten gleichen dem ,, preußischen Militarismus“ wie ein Ei dem anderen. Dies vorausgeschickt, werden die Abneigung und der Widerstand des englischen Volkes gegen den Dienstzwang erklärlich, aber auch die Schwierigkeiten verständlich, welche die Regierung zu Beginn des Jahres 1916 zu überwinden hat , um die Heeresorganisation auf 6*
64
England und die allgemeine Wehrpflicht.
andere Grundlagen zu stellen .
Sie mußte der Not gehorchend , nicht
dem eigenen Triebe folgend, handeln .
Gegen ihre Voraussicht hat der
Krieg einen Umfang angenommen, der das Aufgebot weit größerer Massen notwendig macht, als mit dem Werbesystem aufzubringen . Zwar hat England die Truppenzahl gestellt , zu der es sich seinen Verbündeten gegenüber verpflichtete.
Das geschlossene Übereinkommen
hatte aber die Voraussetzung zur Grundlage , daß den Ententemächten der Sieg über Deutschland mühelos zufallen werde. England brauchte ein nur schwaches Landheer einzusetzen, gewährleistete aber die Beherrschung zur See , verbunden mit Unterbindung aller seinen Feinden günstigen überseeischen Bezugsquellen , und verpflichtete sich , seinen Verbündeten das zur Kriegführung nötige Geld vorzuschießen ; Frankreich und Rußland sollten den Feind zu Lande niederzwingen. Nun hält aber England seine Schlachtflotte in sicheren Häfen zurück, soweit sie nicht zur Sicherung von Truppentransporten oder Schädigung des Handelsverkehrs zwischen neutralen und feindlichen Ländern dient , um sie schließlich als ausschlaggebendes Machtmittel zur Entscheidung einsetzen zu können , und auch das Geld ist ihm so knapp geworden, daß es seine Verbündeten nicht in dem Maße unterstützen kann , wie sie es nötig haben. Es hat einsehen gelernt , daß der Aufwand für eine gewaltige Flotte und zugleich für ein achtunggebietendes Heer seine finanzielle Leistungsfähigkeit übersteigt . Nun aber sind die Verbündeten Englands allmählich zu der Erkenntnis gekommen, daß ihre Söhne für dessen Interessen auf den Schlachtfeldern geopfert werden , weshalb sie nachdrücklich auf Gestellung eines angemessen verstärkten Kontingentes bestehen.
Das Bedürfnis nach kräftigerer
Unterstützung macht sich besonders bei den Franzosen fühlbar , bei denen bereits Mangel an Nachschub zur Geltung gelangt und die auf gemeinsamen Schlachtfeldern den ihnen zugemuteten übermäßigen Tribut nur zu deutlich erkennen.
Ihre Stimmung bringt die Presse
in folgender Forderung zum Ausdruck : ,, Unsere Freundschaft wird jetzt von Albion durch ein gewaltiges Blutopfer , die allgemeine Wehrpflicht, besiegelt werden müssen. Der Alliierte kämpft um seine Zukunft, ebenso wie wir . Deshalb ist es recht und billig , wenn England seine Mitwirkung nicht allein auf Geld und Pulver beschränkt, sondern auch Männer liefert , die für seine Interessen kämpfen."
Aber auch noch
andere Umstände heischten gebieterisch eine Vermehrung des Heeres und seines Ersatzes. Die Verluste , namentlich an den Dardanellen, stellten sich als so gewaltig heraus , daß sie durch Anwerbung nicht mehr ausgeglichen werden konnten. Und auf immer zahlreicheren Punkten des ausgedehnten Ländergebietes entbrannten Kämpfe ,
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England und die allgemeine Wehrpflicht.
an denen sich die Verbündeten nicht beteiligen konnten oder wollten und zu deren Abwehr die aufgebotenen eigenen Kräfte nicht annähernd ausreichten.
Zunächst unternahm es im Auftrage der Regierung Lord Derby, einen ergiebigeren Zustrom Freiwilliger in die Wege zu leiten . Mit Lockungen und Überredung beginnend, suchte er schließlich die Widerstrebenden durch Drohungen , wie Preisgabe der allgemeinen Verachtung, gefügig zu machen , so daß weit eher von einem Zwangsals einem Werbesystem die Rede sein konnte. Auch die Berufung auf die Vaterlandsliebe äußerte keine ausreichende Zugkraft .
Die
Presse hatte den Stand der Dinge für England stets aussichtsreich und den siegreichen Ausgang des Krieges als zweifellos geschildert . Woher da plötzlich die in Ansprachen geschilderte Notlage des Vaterlandes , das nur durch Eintritt der waffenfähigen Männer in das Heer gerettet werden könne ? Es fehlte der Zusammenhang zwischen den rosigen Kriegsberichten und der plötzlich in schwarzen Farben gemalten ernsten Wirklichkeit . Um möglichst schonend vorzugehen und die Wehrpflicht dem Lande annehmbar zu machen, erging der Ruf zunächst nur an die Unverheirateten, von denen sich 1150000 meldeten und 207000 zurückgewiesen werden mußten.
Von den Übrigbleibenden erklärten sich 103000 zu
sofortigem Eintritt bereit, 840000 nach dem Altersgruppensystem Lord Derbys. Die Zahl der ,, Drückeberger" wurde mit 671000 be ziffert, von dem bisherigen Minister Simon im Unterhause aber als viel zu hoch angezweifelt .
Es müßte sich darunter ein erheblicher
Prozentsatz dienstfreier Männer befinden , nach deren Abzug verschwindend wenige Drückeberger übrigbleiben würden.
,, Die Nation
könne ihr Erstgeburtsrecht der Freiheit nicht für ein Linsengericht verkaufen." Den letzten Anstoß zur Einbringung der Zwangsdienstvorlage dürften verbindliche Zusicherungen gegeben haben , die bei den gemeinsamen Beratungen der Entente - Bevollmächtigten gemacht worden sein müssen . Am 5. Januar brachte Asquith die Bill zur Wehrpflicht für die unverheirateten Männer ein und setzte ihre Annahme in erster Lesung mit 300 Stimmen Mehrheit durch, ein Erfolg, bei dem erhebliche Zugeständnisse nicht unwesentlich fördernd mitgespielt haben dürften . So wurden nicht nur die im nationalen Interesse Beschäftigten , alle Iren und solche Personen ausgenommen , die für den Unterhalt anderer einzutreten haben, sondern auch Gewissensbedenken gegen den Kriegsdienst als Grund zur Beschäftigung hinter der Front zuDrückebergern , die sich etwa durch schnelle Verheiratung
gestanden.
66
England und die allgemeine Wehrpflicht .
der Einstellung entziehen möchten , ist diese bequeme Hintertüre durch die Bestimmung verlegt, daß als verheiratet nur solche gelten , deren Ehe vor dem 17. August 1915 geschlossen war. Die stärkste Gegnerschaft gegen den Wehrzwang kommt in der Arbeiterpartei zur Geltung , deren Einfluß auf die Gesetzgebung weit stärker ist als bei uns. Das Verhältnis des englischen Arbeiters regelt sich nach freier Vereinbarung mit dem Staate oder Werkbesitzer, wobei er natürlich möglichst vorteilhafte Bedingungen durchzusetzen sucht. Wohl nicht mit Unrecht fürchtet er zwangsweise Anstellung und Regelung des Lohnverhältnisses zu den dem Staate genehmen Bedingungen nach Annahme der Dienstpflicht, zumal der Munitionsminister die benötigte größere Zahl an Kräften durch freiwilligen Eintritt nicht erhielt .
Zurzeit geht auch das Interesse der privaten
Arbeitgeber dem der Arbeiter insofern gleichlaufend, als die Industrie im Begriff steht , den deutschen Handel an sich zu reißen . Deshalb werden zahlreiche Kräfte gebraucht und ihnen günstige Bedingungen gestellt. Um die Dienstzwangsvorlage , welche die Axt an den Freiheitsbaum legt , unter dem das schrankenlose
Selbstbestimmungsrecht
des Einzelnen gedieh , zu Falle zu bringen, wurde ein Arbeiterkongreß einberufen .
Er erklärte sich mit großer Stimmenmehrheit nach einem
Beschluß des Eisenbahnervereins gegen die Bill.
Die unmittelbare
Folge war, daß die drei Arbeiterminister ihren Austritt aus dem Kabinett erklärten, wodurch dessen Stellung gefährdet erscheint . Zunächst hat der König den Rücktritt der Minister nicht genehmigt. Welche Entwickelung die Dinge weiter nehmen werden, läßt sich bei Abschluß dieser Zeilen nicht übersehen . Die Lage hat sich dahin zugespitzt, daß mit einem Sturze der Regierung und Auflösung des Parlaments gerechnet werden kann , sofern die Verhandlungen mit den Vertretern der Arbeiterpartei nicht einen der Wehrpflicht günstigen Verlauf nehmen. Durch Neuwahlen würde vermutlich eine patriotische Mehrheit zustande kommen, aber auch die Einigkeit der Nation in unheilvoller Weise zerrissen werden, was auf die Verbündeten einen ungünstigen Eindruck hervorrufen muß.
Den Arbeitern wird zu be-
denken gegeben, daß eine neue Regierung wahrscheinlich eine verschärfte Zwangsvorlage einbringen werde.
Ob sie dadurch gefügiger
gemacht werden, bleibt abzuwarten . Sie können sich gegen verschärfte Maßregeln durch einen Dauerstreik auflehnen und dadurch die Verkehrsmittel lahm legen, auch die Versorgung der Flotte mit der so nötigen. Kohle verhindern, Möglichkeiten, die im gegenwärtigen Augenblicke von doppelt verhängnisvoller Wirkung sein müßten . Inzwischen setzt Lord Derby seine Freiwilligenwerbungen fort und dehnt sie auch
England und die allgemeine Wehrpflicht.
67
auf verheiratete Männer aus, um den dringend notwendigen Bedarf an Ersatz möglichst zu decken. Ob sich die allgemeine Wehrpflicht, sofern sie Gesetzeskraft erlangt , als dauernde Einrichtung einbürgert , wird davon abhängen, wie sich das Volk mit ihr abfindet. Viele haben sich mit der Bill in dem Gedanken ausgesöhnt , sie werde einen nur für die Kriegsdauer gültigen Zustand schaffen .
Die Einrichtung kann aber vollen Wert
erst in einer Reihe von Jahren erlangen. Zu ihrer Durchführung gehört die Schaffung von einschlägigen Behörden und Kontrollmaßregeln , mit denen man sich bisher nicht befaßt zu haben scheint . Für die nächste Zukunft werden die mit oder ohne die Dienstpflicht aufgestellten Truppen keinen hohen Kriegswert erhalten .
Nach den starken Ver-
lusten, namentlich an Offizieren, fehlt es an tüchtigem Ausbildungspersonal .
Soweit es noch vorhanden , wird es in der Front gebraucht.
So viel bekannt, hat auch der Kriegsminister, Lord Kitchener , sein Ansehen als Sachverständiger nicht für das Gesetz geltend gemacht . Er mag einsehen, daß mit mangelhaft ausgebildeten Mannschaften wenig Ehre einzulegen ist . Zieht man die mehrfachen Abberufungen von Führern aus leitenden Stellungen in Betracht , denen sie sich nicht. gewachsen zeigten , so dürfte Bernard Shaw mit seiner Behauptung nicht so unrecht haben, daß es nicht sowohl auf neue Soldatenmassen, als vielmehr auf bessere Intelligenz in der Führung ankomme. Gelangt die allgemeine Wehrpflicht zur Einführung , so wird auch England seinen ,,Militarismus " , zwar nach dem Vorbilde, aber nicht nach dem Werte des so angefeindeten und geschmähten ,,preußischen" besitzen.
Könnte es den seinigen zu dem unserigen annähernd gleicher
Güte entwickeln , der seine Vorzüge auf den Schlachtfeldern des jetzigen Krieges , wie überhaupt seiner ganzen Organisation nach, glänzend bewährte , so würde es den damit verbundenen Zwang sicher gern in den Kauf nehmen.
Während der Drucklegung ist die Wehrvorlage in zweiter Lesung deshalb mit großer Mehrheit durchgegangen, weil die irischen Nationalisten auf weiteren Widerstand zu verzichten erklärten . Die Presse zeigte sich über das Ergebnis höchst befriedigt. nicht an Stimmen,
Doch fehlte es auch
die vor Optimismus im Hinblick auf die schroff
ablehnende Haltung des Allgemeinen Bergarbeiterverbandes warnten , der sich fast einstimmig gegen das Gesetz erklärte und seine Zurückziehung forderte, weil durch die Zusicherung der Regierung, industrieller Dienstzwang sei nicht zu befürchten , die Lage nicht geklärt erscheine . Die Behauptung Asquiths, Arbeitgeber und Führer der Gewerkschaften
Neues von den Armeen unserer Gegner.
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hätten der Regierung Unterstützung
zugesichert,
wird mit Vorsicht
aufzufassen sein.
Nicht ernst zu nehmen ist natürlich Lord Derby mit seiner Mitteilung, die Arbeiter seien in ihrem Herzen einig, den Krieg zu einem siegreichen Ende zu führen ; eine der schwierigsten Fragen sei es gewesen, die Berg-, Eisenbahn- und Dockarbeiter an der Dienstannahme zu verhindern! Nach Niederschrift dieser Zeilen bringt der 25. Januar die Nachricht, daß das Unterhaus die Bill über die allgemeine Wehrpflicht mit 338 gegen 36 Stimmen angenommen habe.
Welcher Umfang ihr gegeben
wurde , und welche Zugeständnisse gemacht werden mußten, ist noch nicht zu ersehen . Ob sich die Arbeiter widerstandslos fügen werden, muß die weitere Entwickelung lehren.
VII . Neues
von den Armeen unserer Gegner .
Von Generalleutnant z. D. Rhazen .
I. Frankreich. Wenn diese Zeilen veröffentlicht werden, wird in Frankreich die Frage der Einstellung des
Jahrgangs 1917
und dies wahr-
scheinlich im Sinne der Forderung des Kriegsministers Gallieni also Einreihung am 5. -10. Januar 1916 , entschieden sein . da die absolute Notwendigkeit dazu , behufs Ausfüllung der Lücken in den Iststärken und Sicherstellung des unentbehrlichen Nachschubs , dem Heeresausschuß und dem Parlament nachgewiesen sein wird. Hygienekommission und Heeresausschuß haben sich gegen die Einstellung vor dem 15. April 1916 nachdrücklich gestemmt , und unbeanstandet von der Zensur hat der Abgeordnete Dumont , als Mitglied der Hygienekommission , diesen Jahrgang der 18jährigen ,,als letzte Reserve Frankreichs , als den besten Teil unserer Rasse und unseres Blutes "
bezeichnet, mit deren Einstellung
man auf den Boden der letzten Ersatzquelle gelange. Senator Humbert hat im „ Journal " ausgesprochen , daß man dicht vor der ,, Mobilmachung" der Jahrgänge 1887 und 1888 , d . h . der 48- und 47jährigen , gedienten Leute , stehe , die also die bis zum
69
Neues von den Armeen unserer Gegner.
Wehrgesetz vom 7. August 1913 bestehende Wehrpflichtigkeitsgrenze von 45 Jahren schon weit überschritten habe . Das genannte Wehrgesetz hat die Pflichtigkeit mit dem 19. Jahr beginnen und mit dem 48. Jahre enden lassen , ihre Gesamtdauer also um 3 Jahre vermehrt und der Regierung die Befugnis gegeben , die ausgebildeten und noch wehrfähigen Leute auch über die Wehrpflichtgrenze hinaus im Falle einer allgemeinen Mobilmachung zum Dienst heranzuziehen .
Dazu bedarf die
keiner neuen gesetzlichen
Regierung also
Ermächtigung .
Daß man schon
zu Beginn des vorigen Jahres daran gegangen ist , Bataillone auch aus bedingt Tauglichen zu bilden , hat die ,, Humanité" nach eigenen Beobachtungen vor etwa 3 Monaten festgestellt und Bilder von Bataillonen entworfen , die damals schon 8 Monate im Elsaß in der Kampflinie standen . Da deren Leute zum mindesten doch eine mehrmonatliche Ausbildung erhalten haben mußten, ehe man sie ins Feld sandte, so könnte deren Einbeorderung nicht nach dem 1. Januar 1915 erfolgt sein.
Diese Bataillone bestanden , nach der ,, Humanité", aus
Hilfsmannschaften (Leuten der Hilfsdienste) und früher Zurückgestellten (die auch bei 6 maliger Siebung früher nicht waffendienstfähig befunden sein mußten) von über 40 Jahren , zumeist mit körperlichen Fehlern oder Gebrechen behaftet. Gegenwärtig liegt der Kammer ein Gesetzentwurf vor, der die bei Aufstellung der Rekrutierungslisten früher ,,Übersehenen
bis zum 50. Lebensjahre zwingen will, sich bei den
Rekrutierungsbüros zu melden und man geht wohl nicht weit fehl , zumal nach dem von Humbert Ausgeführten, wenn man annimmt, daß in absehbarer Zeit in Frankreich der Gedanke kommen wird , die Pflichtigkeit für alle bis zum 50. Lebensjahre auszudehnen . Am 3. Dezember wurde ein vom Kriegsminister Gallieni (ErsatzMillerand) vorbereiteter, vom Präsidenten der Republik vollzogener Erlaß bekannt gegeben, der eine von der französischen
Re-
gierung bewirkte , einschneidende Neuerung darstellte . Über ihr Ziel kann man zunächst verschiedener Ansicht sein , denn die Begründung durch Gallieni,,,man strebe damit die einheitliche
Leitung
der
Operationen
auf
allen
Kriegsschau-
plätzen an ", bot noch keine Bürgschaft dafür, daß man im ganzen Vierverbande der Vereinheitlichung der militärischen Leitung näher kommen würde . Tatsächlich hat auch heute die Entente eine einheitliche militärische Leitung nicht. Vielleicht erhoffte man aber von einem gemeinsamen ,, Kriegsrat " Beseitigung von Mißverständnissen , Frankreich und Rußland erwarteten von England
70
Neues von den Armeen unserer Gegner.
endlich eine Anspannung aller seiner Kräfte und England ist deren scharfes Ausblicken nach dem Ergebnis der Derbyschen Rekrutierungsmaßnahmen höchst peinlich. Paris ,
Druck von Petersburg,
Rom hat die britische Regierung während des Druckes ja
auch zur Einbringung des ,, Dienstpflicht- Gesetzes " gezwungen, er soll sogar
bis zur Drohung mit Zurücktreten vom Londoner Vertrag,
der Sonderfrieden verbietet, gegangen sein.
Die
Begründung des
Erlasses durch Gallieni wies auf die Neuregelung des Verhältnisses zwischen Regierung und Oberkommando durch Erlaß vom 28. November 1913 hin. Dieser Erlaß betonte, die Regierung sei allein geeignet , das politische Ziel eines Krieges festzusetzen und, wenn sich dieser auf mehrere Grenzen erstrecke , den Hauptgegner zu bezeichnen . Die Regierung stellte dann nach dem Grade der Bedeutung den mit dem Oberkommando auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen betrauten Generalen die nötigen Hilfsmittel zur Verfügung . Buchstäblich genommen hatte danach die Regierung , die den Hauptgegner bezeichnet , die Kräftezuweisung bestimmt , die Oberleitung , wie in der Zeit der Revolution . In der Praxis war logisch die Bestimmung bezüglich des Kräfteausmaßes nicht einzuhalten , denn der auf dem Hauptkriegsschauplatz (der ja in diesem Kriege ganz außer Zweifel stand) leitende Oberstkommandierende mußte die Kräfte , die zur Lösung seiner Aufgabe nötig waren , bemessen und den Zeitpunkt seiner Operationen bestimmen können . Wenn nun durch Erlaß vom 3. Dezember Joffre, der bis dahin ,, commandant en chef du groupe principal des armées ", das heißt ,, Oberführer der wichtigsten , Deutschland bestimmten Gruppe von Armeen"
nach seiner im ,,lettre de service" schon im Frieden ausgesprochenen Mobilmachungsbestimmung, war, zum ,, commandant en chef des armées françaises ", d. h. zum eigentlichen Generalissimus
dem nur die Truppen im Ressort des Kolonialministeriums und in Nordafrika nicht unterstehen ernannt wurde, so trat damit eine Änderung der Grundsätze der Revolutionszeit insofern ein, als eine einzige Person den Oberbefehl über sämtliche Armeen der Republik erhielt. Gallieni begründete diese Änderung im Erlaß dem Sinne nach wie folgt : ,, Die Erfahrung hat gelehrt , daß die unentbehrliche Einheit der Leitung nur durch das Vorhandensein eines einzigen Chefs der Armeen gesichert werden kann. "
Das logische
Äquivalent der Verantwortung für alle militärischen Operationen muß für den obersten Chef der Armeen dann aber auch die Freiheit in der Verteilung der Kräfte sein , so daß die
Neues von den Armeen unserer Gegner.
71
Regierung von ihren Machtbefugnissen einen Teil auf Joffre übertragen , dafür aber auch die ganze Verantwortung , auch z . B. für Fortsetzung des Dardanellenabenteuers und der Expedition nach Saloniki , bzw. deren Aufgeben , auf dessen Schultern abgewälzt hat.
Joffre hätte damit also nicht nur die Operationen in Frankreich, sondern auch in Süd-Mazedonien und an den Dardanellen , evtl. auch in Egypten - selbstverständlich nur soweit französische Truppen in Frage kommen Sicherstellung
der
zu leiten .
Die Folge war nicht eine
Einheitlichkeit der britisch-französischen
Kriegsführung im Orient , sondern eine Scheidung , denn Sarrail unterstand nun Joffre, es war also ausgeschlossen, daß man ihn in Süd-Mazedonien etwa einem britischen Führer unterordnete. Für den französischen Schauplatz hat die französische Regierung, indem sie Joffre zum Höchstkommandierenden aller französischen Armeen " ernannte, zweifellos damit gerechnet, England würde damit einverstanden sein , die Oberleitung hier in französische Hand zu legen. Damit war aber, solange French in Frankreich „ Oberkommandierender der britischen Truppen" blieb , wohl kaum zu rechnen, denn 1. bestanden zwischen Joffre und French unverkennbar Reibungsflächen , 2. war es wohl kaum tunlich , den Feldmarschall French dem Divisionsgeneral Joffre unterzuordnen .
Unmöglich
war es aber erst recht , seit die weiter unten zu berührende Änderung in der Dienststellung Castelnaus eingetreten und Kitchener sich, entgegen seiner an Ort und Stelle gewonnenen und von French geteilten Ansicht , am 9. Dezember von den Franzosen und Russen breitschlagen ließ , für die Fortsetzung des Saloniki - Unternehmens einzutreten. French erbat , nach britischen amtlichen Angaben, die Enthebung von seiner Stellung und wurde, unter Verleihung der Viscountwürde , zum ..Obersten kommandierenden Feldmarschall der Armeen des Königreichs" ernannt . Äußerlich erhielt er damit etwa die Stellung, wie Joffre- aber nur äußerlich, denn der fünfköpfige Kriegsrat , dem als ,, spiritus rector" Kitchener angehörte, hat in denselben Fragen zu entscheiden , die zu Frenchs Ressort gehören. An Frenchs Stelle wurde Haig, bis dahin kommandierender General I. Armeekorps (dem der ältere SmithDorrien, nach Ostafrika geschickt , weichen mußte), Oberkommandierender der britischen Truppen in Frankreich - Flandern . In Artikel 1 , zweiter Absatz , des Erlasses vom 3. Dezember finden wir auch den Satz : ,, Die Ausführung des vorliegenden Erlasses wird durch Dekrete und besondere Instruktionen geregelt . " Eines dieser
72
Neues von den Armeen unserer Gegner.
Dekrete hat die Änderung in der Dienststellung Castelnaus gebracht, ist aber , dem Wortlaute nach , nicht bekannt geworden. ,, Temps " schrieb am 6. Dezember schon, gleichzeitig mit dem Erlaß, der Joffre zum ,, Chefkommandanten aller französischen Armeen" ernannte, hat sich der Ministerrat auch mit der Ernennung eines
Oberführers
für
die
Nordostarmeen
beschäftigt
und die Regierung , in Übereinstimmung mit Joffre , beschlossen , einen ,,officier général" zu dessen Unterstützung zu ernennen , der , in ständigem Kontakt mit dem Generalissimus , die Operationen an der französischen Front leitet . ..Petit Parisien " meldete später, nach dem Joffre zum Chefkommandanten der französischen Armeen ernennenden Erlaß sei die Stellung eines ,, Generalstabschefs " für diesen zuständig und Joffre habe dazu Castelnau gewählt. Enthält der dem Wortlaut nach nicht bekannte Erla B der Ernennung für Castelnau die Bezeichnung , major général “ , so würde damit noch nicht ausgesprochen sein , daß Castelnau für Joffre die Oberführung in Frankreich zu übernehmen habe , wenn nicht das wir wiederholen ausdrücklich - seinem Wortlaute nach nicht bekannte Ernennungsdekret nicht die bisher geltenden Bestimmungen bezüglich Aufgaben des Generalstabschefs zugleich umgeworfen hat. Castelnau als ,, aide "
Bezeichnet die Ernennung
Joffres , so wäre damit
ausgesprochen ,
daß er diesen in der Truppenführung ersetzen könne . Der Termin des Gesuchs French um Enthebung von seiner Stellung läßt darauf schließen , daß Castelnau als Vertreter Joffres bestimmt worden ist .
Man hat vielfach behauptet, Joffre, als ,,Chef-
kommandant der französischen Armeen" , Vorsitzender im gemeinsamen Kriegsrat des Vierverbandes, sei
in
dem
Sinne
kaltgestellt
worden, wie s . Zt . Daun als Vorsitzender des ,, Hofkriegsrats" unseligen Andenkens Maria Theresias. Castelnau hat in der ersten Kriegsphase, die I. Aimee , Dubail und die zweite als Armeegruppe kommandiert, ihm entstammte der Gedanke der nicht erfolgreichen Einbrüche über Mühlhausen, er war an der vom Kronprinzen von Bayern gewonnenen Schlacht zwischen Metz und den Vogesen beteiligt, übernahm dann im Somme-Abschnitt neben Maunoury, der den bekannten Flankenstoß führte , eine neu gebildete Armee und hat endlich die Armeegruppe in der Champagne, die auch den erfolgreichen Durchbruch nicht bewirken konnte, kommandiert. Daß man Castelnau den Rang eines .,Heeresgruppenführers“ beließ, war selbstverständlich , wenn er in Frankreich die Führung übernehmen sollte , da auch Foch dieser Rang besitzt und tatsächlich
133 73
Neues von den Armeen unserer Gegner. ausübt .
Während der Drucklegung hat Gallieni einen Gesetzentwurf,
betreffend Verjüngung des Offizierkorps , dem Parlament vorgelegt , der höchst einschneidender Natur ist und in der Armee viel böses Blut setzen kann.
Mit seinem Inhalt werden wir uns demnächst zu
beschäftigen haben. Auf der Suche nach Menschen ist auch II. Rußland. Zwei jüngst bekannt gewordene Verordnungen und der eben unterzeichnete Geheimerlaß des Zaren, der die zwangsweise,
mit
dem
18. Lebensjahr beginnende Aushebung in Finnland
befiehlt ,
streben sämtlich dem Ziele zu , eiligst an Mannschaft zusammenzukratzen , was sich im weiten Russischen Reiche auftreiben läßt. daß das
Sie sind das amtliche Eingeständnis dafür ,
Bedürfnis
des
Heeres nach Auffüllmaterial ge-
waltig an Umfang und brennend dringender Art ist . Jede der drei Maßnahmen trägt einen besonderen Stempel. Noch sind nicht 3 Monate vergangen, seit der Zar durch Manifest die der Duma abgezwungene Erschließung der als letzte zu betrachtenden Mannschaftshilfsquelle erlaubte , der Reichswehr
II .
Aufgebots , d. h. der
23 Jahrgänge der bei der Aushebung ohne ärztliche Untersuchung als unentbehrliche Familienstützen und bedingt Taugliche , die , im Frieden vom Dienst befreit , dem genannten Aufgebot überwiesen wurden. Eine Moskauer Nachricht berichtete zunächst die Einbeorderung der Jahrgänge 1912-11-10 der Reichswehr II. Aufgebots . Damit würde , implicite , ausgesprochen sein , daß die Jahrgänge 1915-14-13 Reichswehr II. Aufgebots schon unter den Fahnen sein mußten und zur Deckung der Massenabgänge nach kurzer Ausbildung wahrscheinFür lich schon als Ersatzmannschaften eingereiht wurden. das Zutreffen der Nachricht von der erfolgten Einbeorderung der Jahrgänge 1912-10 Reichswehr II . Aufgebots sprach die aus Petersburg über Stockholm kommende Meldung, wonach die Polizeichefs den Befehl erhielten, innerhalb 7 Tagen die Anzahl der waffenfähigen und noch nicht eingestellten Leute der Jahrgänge 1909 bis 1900 (also 10) festzustellen. Man muß also
Jahrgänge 1915 bis 10 (das heißt 6 ) der
Reichswehr II . Aufgebots als bereits eingestellt , Jahrgänge 1909 bis 1900 als zum mindesten unmittelbar vor der Einbeorderung stehend , wenn nicht zum Teil schon einberufen , ansehen. Im ganzen
16
Jahresklassen
Reichswehr
II.
Aufgebots .
74
Neues von den Armeen unserer Gegner.
Danach blieben nur noch die 7 ältesten Jahrgänge der unausgebildeten Reichswehr II. Aufgebots übrig, und dies auch nur dann , wenn nicht die bis jetzt bei der ärztlichen Untersuchung von
sich
gemachten
üblen
Nach ,, Birshewija Wjedomosti“ hat
und
einzustellenden Reichswehrleuten Erfahrungen wiederholen .
II.
Aufgebots
damit kommen wir zu der zweiten Maßnahme
der geringe Ertrag
der Reichswehr II. Aufgebots an Waffenfähigen den Kriegsminister zur
Forderung
baldigster Einstellung
des
Re-
krutenjahrgangs 1918 veranlaßt. Bei der sehr späten Entwickelung in Rußland, wo man bei den Aushebungen der normal mit 21 Jahren einzustellenden Leute im Frieden schon eine sehr große Zahl der im ersten und zweiten Jahre als nicht hinreichend körperlich entwickelt findet, würde Jahrgang
1918
jetzt
nur
unreifes
material liefern , reines Kanonenfutter.
Jungen-
Daß die ,,Birshewija
Wjedomosti" sich die Nachricht von der bevorstehenden Einbeorderung des Jahrgangs 1918 nicht aus den Fingern gesogen haben kann, geht daraus hervor , daß, nach einem über Stockholm kommenden Petersburger Telegramm, der Minister des Innern alle Schulbehörden . benachrichtigt hat und zwar ohne Angabe der Jahreszeit — Jahrgang 1919 werde schon 1916 einbeordert werden. Aus derselben Quelle stammt die Meldung, daß beim Kriegsbeginn die Ausfälle wegen Untauglichkeit
bei
der
Landwehr (gemeint
ist Reichswehr I. Aufgebots) nicht über 15 % betragen hätten, jetzt aber 60 %. Da jetzt die Reichswehr II . Aufgebots , wie vorher bewiesen , in großem Umfange bei Einbeorderung und ärztlicher Untersuchung in Frage steht, so hat man damit einen Beleg für den geringen Ertrag dieser letzten Hilfs quelle an Einstellungsfähigen. Die Hoffnung , baldigst ein neues , gut geschultes , fest eingerahmtes Heer zu erhalten , muß eine sehr starke Enttäuschung werden. Denn auch von der Wirkung des Geheimerlasses des Zaren, betreffend die Zwangsaushebung in Finnland - ein neuer Bruch von Finnland gegebenen zarischen Versprechungen wird nicht sehr viel zu erwarten sein.
Man vergißt die von 1902 bis 1905 in Finnland
gemachten , für die Regierung wenig angenehmen Erfahrungen ! 1902 wurde die eigene finnische Militärorganisation, mit eigenem Offizierkorps, beseitigt .
rein
finnischem Ersatz ,
eigener
Kommandosprache ,
Für 1903 war die erste von der russischen Regierung be-
fohlene, vom Landtag verworfene Zwangsaushebung angesetzt. 1
finnisches
Garde-,
8 selbständige finnische
Schützenbatailone,
1 finnisches Dragonerregiment , hatten die Truppen gebildet , die, außer dem einen Gardebataillon, nur in Finnland untergebracht werden
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen .
75
Eingeborene Finnländer waren bis dahin nur finnischen
durften.
Truppen zugeteilt worden ; die Dienstpflicht hatte 5 Jahre , davon , mit dem 21. beginnend, 3 Jahre bei der Fahne , 2 in der Reserve. betragen.
Dann folgte bis zum 40. Jahre Landsturm, der ausschließ-
lich zur Verteidigung des Großfürstentums verwendet werden durfte . Über den Ergänzungsbedarf überschießende Waffenfähige wurden der Reserve mit im ganzen 90 Tagen Übungspflicht in 3 Jahren zugeteilt . Bei der ersten, 1903 stattgefundenen Zwangsaushebung fehlten über 15000, trotz starken russischen Garnisonen im Lande, nicht 1 Mann konnte ausgehoben werden. die
Thronrede
die
Schon im Dezember 1903 kündete
Beschränkung
der
Rekrutierung
an ,
die vom 1. Mai 1905 ab völlig eingestellt wurde. Nach Verfügungen des Zaren sollte Finnland jährlich 10, später 20 Millionen zu den Heereskosten beitragen.
Der Einspruch des Landtages , der
wohl freiwillig , aber nicht gezwungen Beiträge liefern wollte, bileb ungehört.
Während des Krieges hat die russische Regierung willkürlich
Finnland Kriegskostenbeiträge auferlegt .
Der Geheimerlaß des Zaren
wiederholt jetzt , verschärft, den von 1902 bis 1905 verunglückten Versuch. Das Ergebnis wird das gleiche sein , wie damals , und das unter gefährlicheren Umständen für Mütterchen Rußland , das ankommt.
auf dem
Bodensatz
seiner
Ersatzquellen
VIII.
Die
Organisation
herzogtum Posen
der
Landwehr
im
Gross-
durch den ersten komman-
dierenden General in demselben den Generalleutnant August von Thümen . ')
Um die Aufgabe der Organisation der Landwehr durchzuführen berichtete der kommandierende General am 28. Juni 1815 an den damaligen Kriegsminister
Generalleutnant von Boyen aus
Posen :
1 ) Nach hinterlassenen Papieren und offiziellen Akten des Kriegsministeriums bearbeitet von seinem Enkel , dem Major Carl von Thümen in Liegnitz im Anschluß an den Aufsatz über die Besitznahme der neu . erworbenen Provinz Posen im Jahre 1815 durch den Generalleutnant August von Thümen in der April- Nummer 1915 der Jahrbücher.
76
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen.
,,Nach meiner Ansicht kann man nie sagen , daß man Herr des Landes sey, so lange man nicht durch feste Plätze des Besitzes desselben versichert ist , denn solche festen Punkte sichern allein den Besitz gegen innere und äußere Feinde, indem sie zur Sicherheit aller Kriegsmittel dienen und der Verteidigung Einheit geben .
Ohne sie kann man sich
nicht konzentrieren, ein einziger unglücklicher Zufall kann den Verlust des ganzen Landes hervorbringen .... Ich lasse jetzt Obornick und Schrimm rekognoszieren , diese beiden Punkte scheinen mir die vorzüglichsten, um sich den Besitz des Großherzogtums zu versichern ; denn die Flüsse sind als die Adern , und die Gebirge als die Knochen des Körpers zu betrachten. Daß man nun aber erst die Genehmigung der benachbarten Kabinette nachsuchen soll, wird die Sache sehr aufhalten , ich würde deswegen unmaßgeblich vorschlagen ; daß Seine Majestät meinen Vorschlag insofern billigten, und Sich die Zustimmung der benachbarten befreundeten Kabinette nur vorbehielten, denn bis diese eingehen , kann die Arbeit halb vollendet sein." In dem gleichen Bericht bittet Thümen dringend um Übersendung eines alten erfahrenen und eines jungen Ingenieuroffiziers zu dessen Hülfe . ,, Ich möchte so gerne auch in militärischer Hinsicht zum Besten und zur Sicherheit dieser Provinz etwas tun ; und bitte Euer Eczellenz recht inständigst, mir doch darin zu unterstützen, denn ohne Ihren Beistand und ohne Hülfe wirklicher Handwerksverständiger komme ich nicht zum Zweck. “ Einen tiefen Einblick gewährt dieses Schreiben auch in die Ersatzformationen : ,, Den Auftrag wegen Formation der beiden Ersatzbataillone habe ich bei der Besitznahme des Großherzogtums gleich berücksichtigt, und mir deswegen die Seelenzahl einreichen lassen . Es würde zur Komplettierung dieser beiden Bataillone , von 550 Seelen uhngefähr ein Mann' auszuheben gewesen seyn , indessen ist mir unterm 6ten durch des Herrn Staatskanzlers Durchlaucht bekannt gemacht worden, daß Sr. Majestät der Kaiser von Rußland die Rückgabe der aus dem Großherzogtum Posen ausgehobenen Soldaten zu den 12 Polnischen Regimentern, welche im Herzogtum Warschau formiert worden sind, bewilligt haben ; ich stehe darüber mit dem Fürsten Adam Czartoryski zu Warschau in Korrespondenz , um so schnell als möglich diese Rückgabe zu bewirken , ich erhalte dadurch so viel Menschen zurück, daß nicht allein 2 sondern 3 Bataillons formiert. werden können, und da dies größtenteils ausexerzierte Leute sind, so wird man auch nicht an Zeit verlieren, wenn man dagegen ganz rohe Leute jetzt gleich ausheben müßte .
Übrigens ist es auch wohl sehr
gut, wenn eine solche Aushebung fürs erste noch vermieden werden
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen.
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kann, weil bei der Neuheit der Besitznahme die Furcht vor den Soldaten Um indessen vorläufig manchen über die Grenze treiben könnte. nicht ganz untätig zu sein, und um der Nation den Weg offen zu lassen , um guten Willen zu zeigen und sich dadurch einige Verdienstlichkeit zu erwerben, nehme ich Freiwillige an und befördere so viel als möglich solche freiwillige Anerbietungen, ich habe diejenigen , so sich freiwillig melden, in 2 Klassen geteilt : Diejenigen die sich selbst armieren und bekleiden, sowie diejenigen, welche Schulkenntnisse haben und durch freiwillige Beiträge armiert und bekleidet werden können , gehören zur 1. Klasse der freiwilligen Jäger, werden so gekleidet, und können sich das Regiment wählen bei dessen Detachement sie eintreten wollen . Diejenigen welche kein Vermögen haben, sich selbst einzukleiden , und denen die gewöhnlichen Schulkenntnisse fehlen, werden als Freiwillige bei den Ersatzbataillons eingestellt. Von der ersten Klasse habe ich bereits einige 60 eingekleidet , 24 sind schon zur Armee abgegangen, und die übrigen werden den 3ten Juli folgen.
Von der 2ten Klasse sind cirka 100 bei den Ersatz-
bataillons eingestellt.
Außerdem haben sich verschiedene als Frei-
willige bei den Husaren engagiert und equipiert . Die National- Güter und Königlichen Domänen-Pächter haben sich erboten durch ihre Söhne und Verwandte eine ganz berittene und equipierte HusarenEskadron zu stellen , welche bis zum 3ten August c. ausgerüstet und zum Abmarsch bereit sein soll.
Ich habe Sr. Majestät heute meine
Meldung darüber gemacht ; habe von Drossen von der übrig gebliebenen 4ten Schwadron 1. Leibhusaren Regiments ein Detachement von 30 alten Husaren und alten Pferden herbeibeordert , um die jungen Leute bis zu ihrer kompletten Ausrüstung, auf den alten zum Felddienst nicht mehr brauchbaren Pferden ausbilden, und ihre jungen Pferde durch die alten Husaren anreiten zu lassen. Auch hat sich der Adel im Großherzogtum erboten , ein komplettes National- Ulanen - Regiment auszurüsten und beritten zu machen , hierdurch scheint mir vorläufig mehr gewonnen zu sein, als wenn man gleich mit gewaltsame Aushebungen den Anfang gemacht hätte ; indessen muß man sich durch alle diese gute Anerbietungen nicht einschläfern lassen, ich weiß es gibt hier noch viele unruhige und Schwindelköpfe . Beinahe alle Polen , welche in der französischen Armee gedient haben, sind heimliche Feinde. von Preußen, und haben sogar noch heimliche Durchstechungen mit Frankreich .
Auch die Weiber sind uns nicht hold, sie schwärmen und
träumen immer noch von einem selbständigen polnischen Reiche und von einem Vaterlande, so wie die Juden vom Messias , und wenn sie von Frankreich keine Hülfe mehr zu erwarten hätten, so würden sie 7 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine Nr. 533.
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Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen.
auf eine Uneinigkeit zwischen Rußland und Preußen zu wirken suchen , und ihre Hoffnung hierauf setzen.
Man muß also stets auf seiner Hut
sein , und sobald wir einen Frieden erkämpfen, muß es das erste sein, den jungen polnischen Adel unter die Militärgesetze der übrigen Preußischen Provinzen zu stellen , damit sie zum Kriegsdienst gezwungen und durch Einstellung in den Regimentern der alten Provinzen von hier entfernt werden. " Diesem Bericht folgte eine besondere Eingabe an den König in denselben Angelegenheiten vom 8. Juli aus Posen folgenden Inhalts : ,,Bei der jetzigen politischen Lage, und da Euer Königlichen Majestät Armee größtentheils entfernt und in Frankreich beschäftigt ist, halte ich es für meine Pflicht Allerhöchstdenenselben vorzuschlagen : Zur Sicherheit und Erhaltung der innern Ruhe in dieser Provinz einige Punkte als Glacis de moment mit Erdwerken, welche einem gewaltsamen Angriff wiederstehen können, befestigen zu lassen. Euer Königliche Majestät haben jetzt hierzu die beste Gelegenheit , indem die 9 Landwehrbataillone, welche das Großherzogtum besetzt haben , hierzu gebraucht werden können und es auf diese Art Euer Königlichen Majestät Kassen wenig Kosten machen wird.
Ich habe in dieser Hin-
sicht schon die Provinz rekognoszieren lassen, und finde dazu das Städtchen Schrimm,
die Gegend von Obornik und Nakel für die
wichtigsten Punkte. Mit Schrimm müßte der Anfang gemacht werden , alsdann Nakel und zuletzt Obornik an die Reihe kommen. Wenn Euer Königliche Majestät dies bewilligen, und mir ein Paar Ingenieurs zum Bau schicken, so will ich gleich damit anfangen und hoffe vor Eintritt der schlechten Jahreszeit schon die Hauptsache gethan zu haben.
Die Zustimmung der hohen Alliirten kann immer noch ein-
gezogen werden, wenn Eure Königliche Majestät nur die Gnade haben gez. v. 1hümen . “ mir vorläufig dazu zu authorisieren. Nachdem nun vom Kriegsministerium an das Generalkommando in Posen am 7. November 1815 der Befehl zur Leitung der Organisation der Landwehr in der Provinz abgegangen und am 20. Janur 1816 von demselben bestimmt worden war , daß zwei Posensche Landwehrregimenter zu je 4 Bataillonen mit Hilfe eines für jeden Kreis zu ernennenden Militärkommissarius errichtet werden sollten , erließ der Oberpräsident von Zerboni di Sposetti unter dem 19. Februar 1916 eine besondere Verfügung, betreffend die Landwehreinrichtung im Großherzogtum, worin gesagt war, daß die Kosten der ersten Einkleidung und Ausrüstung der Landwehrregimenter von den Landeseingesessenen gemäß Verfügung des Staatskanzlers aus Paris vom 16. Oktober 1815 zu tragen wären, und daß daher für jeden Bataillons-
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen .
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bezirk jetzt die Kosten für Bekleidung und Ausrüstung von 6400 Mann Infanterie und 690 Mann Kavallerie, sowie für die zugehörigen Feldgeräte für die Truppen und ein Zeughaus zur Aufbewahrung aller dieser notwendigen Gegenstände zu beschaffen wären. Zur Erleichterung der Provinz bewillige der Finanzminister einen Vorschuß von 70000 Talern . Die Kreisstände sollten Ausschüsse wählen , welche unter dem Landrate stehen. Diese rufen alle Männer vom zurückgelegten 20. bis zum beendeten 32. Lebensjahre ein , und suchen aus ihnen in Verbindung mit einem Militärkommissarius und einem Arzte die brauchbaren Landwehrleute aus.
Von der Gestellung sind indes Geistliche, Lehrer und
Juden ausgeschlossen, von denen letztere aber Rekrutengelder zahlen . Aus den Brauchbaren werden zuerst die freiwillig eintretenden herausgenommen, die übrigen losen um den Eintritt mit zwanzig Prozent Zusatz zum Bedarf. Reklamationen sind zulässig für einen angesessenen Landwirt und Familienvater, für einen einzigen Sohn einer Witwe Die ausgelosten Mannschaften oder eines arbeitsunfähigen Vaters. einzustellen die anderen bis zur etwaigen Februar und sind sofort noch im Einberufung zu entlassen. Nach der Auslosung ist sofort zur Wahl der Offiziere zu schreiten , welche als solche dem Generalkommando vorzuschlagen sind, und zwar in der Zahl von 48 Leutnants für die Provinz , die übrigen, besonders höhere Stellen besetzt Sr. Majestät der König. Eine nähere Bestimmung über die Bildung der Landwehrbataillone hatte schon das Kriegsministerium am 31. Oktober und 10. November 1815 getroffen. Danach soll das Landwehrbataillon aus 800 Köpfen, die Landwehrschwadron aus 150 Pferden bestehen . Zum Stamm der beiden
zu
bildenden
Landwehrinfanterieregimenter
sollen
Unter-
offiziere und Gemeine vom 3. und 4. ostpreußischen und 17. Linieninfanterieregiment gegeben werden . Das erste Landwehrregiment wird mit je einem Bataillon in Rawitsch, Guhrau , Hernstadt und Lissa und Fraustadt oder Karge, das zweite mit je einem Bataillon in Rawitsch, Guhrau, Hernstadt und Trachenberg oder Wohlau gebildet werden. Zu jeder Kompagnie werden für zwei Monate 30 Mann eingezogen , dann wieder 30 Mann und so fort in sechs Monaten vom November bis Ende April also 90 Mann und per Regiment 1440 Mann ; im Mai kommt dann der Rest heran und danach für zwei Monate alle bisher eingezogenen Leute zur Vollendung der Dienstkenntnisse .
In jedem
Regierungsbezirk wird ein höherer Offizier als Inspekteur an die Spitze der Landwehr, und zwar im Bezirk Posen der Generalmajor Prinz Biron von Kurland, in Bromberg der Oberst von Both, bisher Chef des Generalstabes beim Generalkommando in Posen , gestellt . Zugleich wurde bestimmt, daß die Bildung der Landwehr im Kulmischen und 7*
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Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen.
Michelauschen Kreise vom Generalkommando in Königsberg besorgt werden sollte. Zur Organisation der Landwehr mußten zuerst Feststellungen über die Seelenzahl in der Provinz gemacht, sogenannte Stammrollen , wie sie noch heute zum Zwecke der Aushebung bestehen , aufgestellt werden.
Hiermit wurden Magistrate, Grundherren und Pächter be-
auftragt ; diese sowohl wie Bürgermeister und Schulzen betrieben die Aufstellung sehr lässig und ungenau .
Nach einem Bericht Thümens
an den Kriegsminister General von Boyen vom 22. Mai 1816 hatte das Generalkommando deshalb aus pensionierten Offizieren und Gendarmerieoffizieren in Übereinstimmung mit dem Oberpräsidenten Kreiskommandanturen ernannt, welche nicht allein viele Herumtreiber und Zigeuner festgenommen und dem
Gericht überliefert hätten,
sondern dann auch, nachdem hiergegen von Seiten der Landräte und Bürgermeister Einspruch erhoben wäre , beim Kantongeschäft verwandt wären, weil noch am 11. März 1816 neun Monate nach der Besitznahme die Losung zur Landwehr nur nach ungefährer Angabe und Abschätzung hätte erfolgen können . Es hätte sich deshalb herausgestellt , daß die Militärkommissarien und Landräte in den Gemeinden selbst die Kirchenbücher einsehen , die Stammrollen berichtigen und die Leute persönlich besichtigen mußten. Thümen fährt dann in diesem Bericht fort und setzt auseinander, daß diese Provinz nicht so wie die alten Provinzen behandelt werden könne, weil der größte Teil der Bewohner der preußischen Regierung noch abgeneigt , der Adel und die Großgrundbesitzer dadurch gekränkt wäre, daß sie nicht mehr Gelegenheit hätten, durch Geld, Bestechungen und sonstige Ränke sich unrechtmäßiges Gut anzueignen , weil ferner die Geistlichkeit die Aufklärung der Massen bedauert , indem sie dadurch ihren Einfluß verliert und die große Menge nicht mehr durch Aberglauben beherrschen kann, denn die niederen Stände ständen gänzlich unter der Gewalt des Adels und der Geistlichkeit.
Überdies
herrsche große Abneigung gegen den Soldatenstand, eingezogene Leute liefen wieder fort und fänden nach achtmonatlicher Besitznahme der Provinz noch Schutz bei Grundherren und Schulzen.
Die bekannte
polnische Unordnung wäre noch nicht auszurotten gewesen und daher das Land noch nicht reif für die neue Landwehrordnung. 30 Mann wären per Kompagnie zur Landwehr eingezogen worden, die jedoch meistens aus besitzlosen Leuten aus Polen beständen, die nach Ableistung der Übung nicht beurlaubt werden wollten, sonst müßten sie Desertionen seien vielfach vorgekommen über die Grenze gehen . und die Leute hätten in die zweite Klasse des Soldatenstandes ver-
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen . setzt und mit Stockschlägen bestraft werden müssen.
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Solche Leute
wären an die Ersatzbataillone abgegeben , weil die Landwehr keine zweiklässigen haben sollte, da nun die Ersatzbataillone aufgelöst wären, so müßte das Generalkommando um nähere Bestimmung bitten. Vor allem seien indes Militärkommissarien zur Unterstützung der Landräte und Bürgermeister nötig, die am besten aus verabschiedeten Offizieren zu entnehmen wären. Um diesen ihre Tätigkeit zu vergütigen , sei aber leider kein Fond vorhanden und deshalb bäte Thümen um Angabe der Kasse , aus der diese Offiziere bezahlt werden sollten . Vom
Kriegsministerium
erfolgten
darauf darauf
verschiedene
Be-
stimmungen über die Errichtung der Landwehr, die dem Generalkommando als Richtschnur dienten. Da die Provinz in die beiden Regierungsbezirke Bromberg und Posen geteilt wurde, so wurde am 4. April 1816 festgesetzt , daß im Bezirk Posen acht und im Bezirk Bromberg vier Bataillonsbezirke errichtet werden sollten, auch müßte darauf Rücksicht genommen werden, daß auch einzelne Leute zu einem Gardeoder Grenadierregiment ausgehoben werden könnten und daß man allmählich von zwei auf sechs aufzustellende Landwehrregimenter übergehen könnte. Am 30. Mai desselben Jahres folgte eine Bestimmung , nach der auch aggregierte Offiziere als Offiziere bei den Landwehrinfanterieregimentern herangezogen werden sollten , namentlich da im polnischen Adel wenig Neigung vorhanden wäre Landwehroffizier zu werden.
Indessen läßt sich das Kriegsministerium auch am 20. Sep-
tember darüber aus, daß freiwillig fortdienende junge Polen, deren Anstellung im stehenden Heere vorteilhaft sein würde, wenn sie Dienstkenntnisse gesammelt , die Examina zum Portepeefähnrich und Offizier bestanden hätten, dem Könige zur Beförderung zum Offizier vorgeschlagen werden könnten. Gemäß der alten Verfügung zur Aufstellung von zwei Landwehrregimentern in jedem Regierungsbezirk erfolgte dann am 4. November 1816 die Kompagnie- , Bromberg wie folgt :
Bataillons- ,
1. Regiment 1. Bataillon Fordon
Regimentseinteilung im Bezirk
1. Kompagnie Polnisch - Krone. 2. Bromberg. 99 Labischin . 3. 99 4.
2. Bataillon Schönlanke 5. 6.
99
Exin. Lobsens .
Chodziesen und Czarnikau.
7.
Schönlanke.
8.
Filehne.
82
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen .
2. Regiment 1. Bataillon Bromberg
1. Kompagnie Gniewkowo . 2. Strzelno .
3. 4. 2. Bataillon Gnesen
Mogilno. 99
Witkowo.
5.
Pudewitz.
6.
Kletzko .
7. 8.
Zernitzki . 99
Wongrowitz . Nachdem schließlich noch festgestellt war, daß im Regierungs-
bezirk
Posen
etwa 78500 , im Regierungsbezirk Bromberg etwa 70000 Seelen an Einwohnern auf einen Bataillonsbezirk kämen, be-
stimmte das Kriegsministerium am 2. Dezember 1816 , daß nach Beendigung der Aushebung zum stehenden Heere im erstgenannten Bezirk 7, im zweiten 5 Bataillone Landwehr 1. und 2. Aufgebots , und zwar mit 10 Bataillonsstämmen mit dazu gehöriger Kavallerie, das heißt im Posenschen Bezirk 7 und im Bromberger 3 aufzustellen wären, und am 9. Januar 1817 erging eine Kabinettsordre , welche die Benennung der Landwehrregimenter in 1., 2. , 3. Posensches , Posen-Brombergisches und Brombergisches Landwehrregiment festsetzte . Für die so bezeichneten 5 Landwehrregimenter sollten außerdem aus dem vormaligen 1. und 2. Posenschen Landwehrkavallerieregiment 2 Schwadronen formiert werden. Es gab damals im Bezirk Posen 13 und im Bezirk Bromberg Diese endgültige Aufstellung von 5 Landwehrregimentern
6 Kreise .
in der Provinz geschah auf Grund der nachfolgenden Kabinettsordre , welche an den Minister des Innern von Schuckmann und den Kriegsminister General von Boyen gerichtet war.
Sie lautete :
,, Ich habe beschlossen, daß , da es in mehrerer Hinsicht gut sein könnte , den in dem Großherzogthum Posen zu errichtenden LandwehrRegimentern größere Ergänzungsbezirke zu geben, gegenwärtig statt der nach der Seelenzahl sonst ausgeworfenen 6 Landwehr- Regimenter nur 5 Landwehr- Regimenter in den beiden Regierungsbezirken dieser Provinz formiert werden sollen und mache Ihnen solches hierdurch zur Veranlassung des
Nöthigen bekannt .
Dem Generallieutenant
von Thümen habe ich bereits unmittelbar davon Kenntniß gegeben. Potsdam den 25. November 1816.
gez. Friedrich Wilhelm. Eine nähere Erklärung über die befohlene Veränderung der Anzahl der Landwehrregimenter von 6 auf 5 gibt dann Thümen noch in einem Bericht an den Kriegsminister vom 4. Dezember 1816, worin er auf einzelne Fälle und Personen zurückgeht. Dieser Bericht lautet wie folgt :
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen .
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,, Sr. Majestät der König haben mittelst Kabinetsordre vom 25. v. M. zu bestimmen geruht, daß in beiden Regierungsbezirken der Provinz anstatt sechs jetzt nur fünf Landwehr Regimenter formiert und daß darnach auch die Eintheilung der Ergänzungsbezirke abgeändert werden soll . Wenn Sr. Majestät sich aber noch nicht darüber ausgesprochen haben,
wie viel Regimenter auf jedes
Regierungs-
departement kommen sollen, so ersuche ich Ew. Excellenz ganz ergebenst hierüber noch die Allerhöchste Willensmeinung Sr. Majestät des Königs einzuholen und mir solche bekannt zu machen .
Da die
Seelenzahl des Posener Regierungsdepartements stärker als die des Bromberger Regierungsdepartements ist, so würde wohl anzunehmen sein, daß auf das erstere drei und auf das letztere zwei Regimenter angenommen werden müssen , allein das Verhältniß der Seelenzahl wird dabei doch noch nicht ganz gleich sein , indem das Posener Regierungsdepartement 550000 und das Bromberger 210000 Seelen hat . Sobald ich den Willen Sr. Majestät darüber weiß, kann zwar die Vertheilung der jetzt exercirt und bekleideten Mannschaft sowie auch der Waffen, Montirungsstücke pp . für fünf Regimenter auf dem Papier ausgearbeitet werden, allein die Ausführung wird doch nicht eher als zu der Zeit geschehen können , wenn die Mannschaften bei ihren Kadres erst wieder eingezogen sind, weil es ohne Verwirrung und Schaden nicht auszuführen ist , wenn jetzt alle Waffen, Montirungsstücke, Lederzeug pp. aus den Aufbewahrungsorten auseinander genommen, vertheilt und nach andern Städten transportirt werden sollen, auch würde dieser Transport für die Provinz nur unnöthige Kosten machen, welche vermieden werden können , wenn die Ausführung so lange bleibt, bis die Leute wieder eingekleidet, Waffen und Lederzeug ausgegeben, und sie damit nach dem neuen Vertheilungsplan zu ihren Bataillonen geschickt werden. Wenn nun aber auch Sr. Majestät anstatt 12 nur 10 Bataillonskommandeurs, 10 besoldete Kavallerie Kadreoffiziere und 10 besoldete Rechnungsführer und Adjutanten in Rücksicht der neuen Bestimmung ernannt haben, so fehlen bis zur Ausführung der neuen Eintheilung von jedem Charakter zwei Offiziere ; damit nun aber jetzt schon, soviel es sich thun läßt , der Wille des Königs erfüllt , und nicht mehr Offiziere ernannt werden dürfen, als hernach nöthig sein werden, so schlage ich unmaßgeblich vor, daß der Major von Arnim die beiden hier in Posen stehenden Bataillonskadres bis zur neuen Eintheilung übernehmen und daß der Kapitain von Uttenhofen, der beim (4. ostpreußischen ) 5. Infanterie Regiment aggregirt worden ist, so lange das Kommando über den Kadre in Krotoschin behalte , und vom Regiment kommandirt geführt werde. Alsdann würden keine neuen
84
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen .
Bataillonskommandeurs mehr nöthig sein.
Ebenso kann der von
Sr. Majestät zur Besoldung akkordirte Lieutenant Giszitzki die beiden hier in Posen befindlichen Kavallerie Kadres kommandiren, allein in Zduny würde der Lieutenant Kowalski, welcher nach der Bestimmung Sr. Majestät unbesoldet beurlaubt werden soll, bis zur Ausführung der neuen Eintheilung zur Aufsicht über das Sattelzeug, die Waffen und Montirungsstücke als Kommandeur des dortigen Kavalleriekadres besoldet bleiben müssen. Wenn nun hierdurch zwei Bataillonskommandeurs und ein Kavallerieoffizier erspart werden, so werden doch der Adjutant und Rechnungsführer bei jedem Kadre nicht entbehrt werden können. Ich schlage daher unmaßgeblich vor , die Lieutenants Hackebeck und Roski , welche geprüft und Sr. Majestät zur Anstellung bei der Armee eingegeben sind , bei dem Bataillonskadre in Zduny und hier als Rechnungsführer so lange zu lassen , und wenn sie bei Linien Regimentern eingetheilt werden , so können sie dort kommandirt geführt werden . Was die neue Eintheilung der Ergänzungsbezirke anbelangt, so wird die alte doch noch so lange beibehalten werden müssen, bis die ergangenen Bestimmungen über die Ersatzmannschaften und deren Aushebung vollzogen ist, weil alle die Bestimmungen auf sechs Regimenter und ebensoviel Ergänzungsbezirke lauten. Sobald dieses Geschäft beendigt ist , kann die neue Eintheilung in 5 Ergänzungsbezirke um so eher entworfen werden, da sie jetzt überdem eine ganz neue Eintheilung für die Bataillons- und Kompagnie-Bezirke nöthig gemacht haben würde .
Bis dahin müssen aber
auch die jetzt angenommenen Kompagniebezirke bleiben , um aber die 8 Feldwebels zu ersparen, welche bei Verminderung von einem Regiment eingehen würden, so müssen bei verschiedenen Bataillons einem Feldwebel zwei Kompagniebezirke zur Aufsicht übergeben werden, und dies letztere ist um so besser auszuführen , wenn man hierzu vorzugsweise die größten Städte wählt, wo der Feldwebel die Leute der Kompagnie in seinem Aufenthaltsorte hat, und von dort aus also sehr leicht noch die Aufsicht über eine zweite Kompagnie übernehmen kann . Endlich muß ich noch bemerken , daß in die Rapports der Landwehren noch so lange bis die neue Eintheilung ausgeführt ist, wohl sechs Regimenter geführt werden müssen .
Ich
ersuche Ew.
Excellenz mir hierüber Ihre Meinung zu eröffnen." Am
8.
Januar
1817 teilte der Kriegsminister dem General-
kommando in Posen mit, daß der frühere polnische General von Koczinsky sich um Anstellung in der preußischen Armee beworben habe, und bat ihn gleichzeitig um seine Meinung darüber. Da die Antwort Thü mens auf diese Mitteilung die damaligen Verhältnisse in der Provinz sehr
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen.
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offenkundig und verständnisvoll darlegt, so wird diese darin ausgesprochene Meinung des Verfassers wörtlich wiedergegeben. Die Antwort Thümens vom 16. Januar 1817 hat folgenden Wortlaut : ,,Ew. Exzellenz haben mir in Ihrer geehrten Zuschrift vom 8ten eröffnet, daß der General von Koczinsky Schritte getan hat , um in preußische Dienste zu treten , und daß Sr. Majestät vielleicht auch seine Wünsche erfüllen werden . Ich halte es daher für meine Pflicht darüber zu bemerken, daß es allerdings einen günstigen Eindruck machen wird, wenn Sr. Majestät einen ehemaligen polnischen General in Ihre Dienste anstellen, indem bis jetzt alle Offiziere höheren Ranges nur bei der polnischen Armee in Warschau Dienste genommen haben und dort angestellt sind. Bis jetzt sind die Polen darin noch ganz einig, daß alle ihre geheimen Wünsche und Hoffnungen nach Warschau und was dahin Bezug hat , nach Dresden und Paris gerichtet sind ; wenn sich aber Leute von Vertrauen und Anhang in der Nation finden, welche sich öffentlich für Preußen erklären und Stellen annehmen, so werden sich bald zwei Parteien bilden, durch welche man das Gleichgewicht halten kann . Der General Koczinsky hat viele Feldzüge unter Napoleon mitgemacht und ist ein erfahrener Soldat ; allein er spricht nur polnisch und französisch und versteht gar kein Deutsch, es wird also schwer werden , ihm hiernach in der Armee eine angemessene Anstellung zu geben. Übrigens bleibt es immer eine sehr schwierige Aufgabe, den polnischen Adel für die preußische Verfassung zu gewinnen. Der Adel ist seit vielen Jahrhunderten gewohnt , wegen seiner Geburt und seines. Vermögens vor seinem Mitbürger große Vorzüge zu genießen. Er wird sich so leicht nicht dazu entschließen , solche aufzugeben und wird immer unzufrieden und der Regierung abgeneigt bleiben, wenn er dazu gezwungen wird. Während des französischen Einflusses wurde zwar viel von Gleichheit der Rechte gesprochen ; allein wenn der Adel nur dem Kaiser und seinen Umgebungen Geld gab , so ließ man ihm gern seine Vorrechte. Selbst bei der Armee hat man Leute von hoher Geburt, wenn sie das Vermögen hatten , auf ihre Kosten Mannschaften zu stellen und zu equipieren bei der revolutionären Organisation, auch wenn sie nie gedient hatten, gleich zu Staabsoffizieren und zu Generalen erhoben. Dies hat den Adel also noch mehr exaltiert und keineswegs zur Gleichheit gestimmt , denn er gibt auch wohl sein Geld , wenn er nur damit prahlen und seine Vorrechte behalten kann. Der einzige richtige anständige und der Würde der preußischen Regierung angemessene Weg ist durch Gerechtigkeit und kraftvolles
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Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen.
Benehmen die Achtung und endlich die Neigung der Nation zu gewinnen.
Durch Schmeicheleien und Belohnungen, welche noch nicht
verdient sind, macht man nur Undankbare , die sich einbilden , man fürchte sie und suche darum sie zu gewinnen.
Durch Gewalt richtet.
man eben so wenig etwas aus, sondern erbittert nur noch mehr , erzeugt notgedrungene Unterwerfung, aber keine Anhänglichkeit , man muß also von Anfang sehr mäßig, schonend und behutsam zu Werke gehen, dabei aber mit unerschütterlichen festen Sinn das vorgestellte Ziel vor Augen behalten. das heißt hier der Adel Die Nation
hat viel ähnliches mit
den Franzosen und ist durch die letzten Verbindungen ihnen noch ähnlicher geworden . Sie sehen nur auf das Äußere, sind sehr geschmeidig und liebenswürdig und suchen dadurch den Mangel an wahrer Sittlichkeit und Rechtschaffenheit zu ersetzen. Es kommt also nur auf den Maßstab an, dessen man sich bedienen will, um sie zu beurtheilen ; wer mit ersteren zufrieden ist und letzteres nicht nöthig hat, kann auch mit sie fertig werden. Wenn diese Bemerkungen Ew. Exzellenz freilich schon bekannt sein werden und nur Wiederholungen sind, so hoffe ich doch Sie werden. sie um der Wahrheit willen nicht ganz überflüssig finden. " Das Kriegsministerium erklärte sich mit den ausgesprochenen Ansichten einverstanden und hielt es auch für den einzig richtigen und der Würde der preußischen Regierung angemessenen Weg, durch Gerechtigkeit und kraftvolles Benehmen die Achtung und endlich die Neigung der Polen zu gewinnen. Im Januar 1817 fehlten noch an den von den Kreisständen zu wählenden Landwehroffizieren für die 5 Landwehrregimenter in der Provinz 134 Offiziere , die allmählich beschafft werden sollten. Auch wurde am 28. Mai dieses
Jahres im Regierungsbezirk Posen der Oberst
von Anhalt als Inspekteur der Landwehr eingesetzt , und am 13. Juni 1817 die Bildung von 7 Bataillonen Infanterie und 7 Schwadronen Kavallerie zur Landwehr von der Posener Regierung in deren Bezirk genehmigt . Es bestanden bisher nur 13 Kreise im Regierungsbezirk Posen und 6 im Regierungsbezirk Bromberg. Im Dezember 1817 genehmigte indes der König eine neue Kreiseinteilung, wonach zu den bisherigen Kreisen Krotoschin, Peisern, Kröben, Fraustadt , Schrimm, Kosten, Bomst , Meseritz , Obornik, Schroda und Posen noch die Kreise Pleschen, Schildberg , Adelnau , Birnbaum, Buck, Samter, Posen - Stadt , Posen- Land, Ostrowo kamen, und da wie schon bemerk , Peisern wieder an Rußland abgetreten wurde , so bestanden dort 18 Kreise , von denen nach der Bestimmung vom 4. April 1818 4480 Mann In-
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen .
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fanterie und 483 Mann Kavallerie = 4963 Mann zur Landwehr gestellt werden mußten . Am 19. April 1817 berichtete der Kriegsminister an das Generalkommando in Posen , daß Sr. Majestät die Absicht habe, eine Posener Garde- Landwehr- Eskadron zu errichten , dieselbe kam dann in Stärke von etwa 130 Mann nach Berlin in Garnison und später zu dem damals 2. Garde-Ulanen- (Landwehr- ) Regiment genannten Truppenteil. Als der König Friedrich Wilhelm III. im Mai 1818 zum ersten Male in die. neuerworbene Provinz kam, wurde diese Schwadron am 28. April nach der Stadt Posen in Marsch gesetzt , um dort beim Empfange des Königs zugegen zu sein. Im Januar 1820 erging ein Kabinettsbefehl des Königs , der die Landwehr der Provinz anderweitig als bisher formieren sollte.
Dieser
wurde dem Kriegsminister zugeschickt und von diesem dem Generalkommando zur weiteren Veranlassung überwiesen.
Die Änderung der
bisherigen Organisation bezweckte hauptsächlich die Verschmelzung des polnischen Elementes der Einwohner mit dem deutschen .
Der
Bericht, der zugleich einen Entwurf zur Einführung enthielt , und den das Generalkommando am 11. Januar 1820 einschickte, hatte folgenden Wortlaut : Ich sehe mich veranlaßt wegen der Bestimmung zu der neuen Formation Folgendes in Erinnerung zu bringen : Die Landwehr dieser Provinz ist nicht so, wie die Landwehr der andern Provinzen schon im Jahre 1813 errichtet und hat auch nicht den Vortheil, daß sie größtentheils aus schon im stehenden Heere gedienten Leuten besteht , sondern erst nach der Besitznahme dieser Provinz ist unter dem 15. Juni 1815 die Verordnung ergangen, daß zwei bleibende Landwehr Infanterie und zwei Kavallerie Regimenter errichtet werden sollten ; diese haben bis zum Oktober 1816 bestanden und unterm 25. November 1816 ist bestimmt, daß aus diesen beiden Infanterie und zwei Kavallerie Regimentern 5 Landwehr Infanterie Regimenter und 10 Schwadronen formirt werden sollten. In dieser letzten Verordnung, als auch in einer Bestimmung vom 7. Dezember 1816 ist festgesetzt , daß weiter keine Aushebung für die Posener Landwehr stattfinden, sondern daß blos die vorhandenen schon ausgebildeten Leute in 5 Regimenter vertheilt werden sollten, wobei noch angenommen wurde, daß diese Landwehr Regimenter erst succesive durch diejenigen , welche ihre Dienstjahre im stehenden Heere und bei der Kriegsreserve abgedient, zur Landwehr übertreten, vermehrt werden sollten. Nach diesen Bestimmungen ist in der Provinz verfahren, die beiden Infanterie und Kavallerie Regimenter sind aus lauter Rekruten zu-
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Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen.
sammengesetzt, indem sich keine gedienten Soldaten unter 32 Jahren. in der Provinz befanden . Alle , welche seit dem Jahre 1807 zum Militär ausgehoben sind, befinden sich noch gegenwärtig bei der polnischen Armee und ihre Zurückgabe als Eingeborene ist unter dem Vorwande verweigert, daß sie die polnische Armee nicht verlassen wollen, sondern es vorziehen dort zu bleiben und fortzudienen. Jedes Infanterie Regiment ist bei der ersten Formation aus vier Bataillonen , das Bataillon 800 Köpfe zusammengesetzt und jedes Kavallerie Regiment zu vier Schwadronen zu 84 Mann. Die ganze Summe der Infanterie bestand aus 6400 Mann, von welchen in 10 Bataillons vertheilt jedes Bataillon 640 Mann erhalten hat. Bei der Kavallerie bestand jede Schwadron aus 84 Mann in Summa beide Regimenter aus 674 Köpfen , jedoch konnte jede Eskadron 67 Köpfe erhalten . Diese Anzahl ist nun bis jetzt als Etat beibehalten . Alles was durch Not, Desertion, Invalidität oder Alter abgegangen ist, ist durch Leute vom 20. bis zum 26.
Jahre , welche nicht zum
stehenden Heere nöthig gewesen sind, ersetzt worden, und die Landwehr ist nur durch diejenigen, welche ihre Dienstjahre im stehenden Heere und bei der Kriegsreserve ausgedient haben, succesive vermehrt . Wenn aber vor dem Jahre 1815 keine Aushebungen hier in der Provinz haben stattfinden können , so ist dieser Zuwachs für die Landwehr sehr geringe , indem erst im Jahre 1820 die Leute, welche 1815 ausgehoben worden. sind, zur Landwehr übergehen.
Die Bestimmung zu 3 in der Aller-
höchsten Kabinetsordre, nach welcher immer 1100 Mann per Bataillon in den Listen geführt und vollständig erhalten werden sollen, wird hier also noch nicht stattfinden können , weil nach der gegenwärtigen Stärke die neue Formation, die Landwehr Bataillone cirka zu 900 Mann Infanterie , die Kavallerie per Eskadron zu 140 Mann und die Artillerie per Bataillon zu 69 Mann stark sein wird. Hiernach muß ich also bitten bei Seiner Majestät dem Könige anzufragen, ob dieser Etat fürs erste hier noch bleiben, und die Vermehrung erst succesive eintreten, oder ob bei der bevorstehenden Übungszeit zur Verstärkung der Landwehr in der Provinz Aushebungen stattfinden sollen. Nach meiner Kenntniß von den Localverhältnissen muß ich für die succesive Vermehrung stimmen, indem eine so starke neue Aushebung zur Landwehr in der Provinz einen sehr übeln Eindruck machen würde. Die nach der Allerhöchsten Kabinetsordre bestimmte Formation würde nur in folgender Art nach beiliegendem Tableau geschehen können : Nach dem Tableau sind zwar die Garnisonen für das Posen- Bromberger Regiment Karge und Schönlanke bestimmt, allein ich muß dagegen vorstellen, wie in Karge sich noch kein Zeughaus befindet, und
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die Waffen und Montirungsstücke bis jetzt in einem Hause untergebracht sind, welches vom Grafen von Unruh gemiethet ist , der nun sein Haus zurückhaben will , es findet sich dort also keine Gelegenheit um die Waffen und Montirungsstücke von Bataillonen unterzubringen , sondern es kann nothdürftig nur das 1. Bataillon dieses Regiments dort stehen bleiben, Schönlanke ist nur für die beiden Bataillone dieses Regiments zu weit entfernt, indem die Landwehrmänner des Gnesener, Schrodaer Kreises pp . 20 bis 30 Meilen bis zu ihrem Sammelplatze zu marschieren haben würden .
Ich muß also nach den Local-
verhältnissen für diese beiden Bataillone Posen in Vorschlag bringen , denn wenn das hiesige Zeughaus auch nicht so viel Raum hat , so können die übrigen Waffen in die neuerbauten Artillerie und Train Remisen füglich untergebracht werden .
Das Bromberger Landwehr Regiment
hat jetzt nur zwei Bataillone , es kann also nur in 6 Kompagnien eingetheilt werden.
Nach dem Tableau würden die 6 andern Kompagnien
von dem 2. Frankfurter Regiment genommen werden, und hiernach würden die 6 Kompagnien von diesem in der Art, wie das Tableau besagt , zusammengesetzt werden müssen . Für das Bromberger Regiment habe ich das 1. Bataillon in Bromberg angenommen und ich muß es Sr. Majestät unterthänigst anheimstellen, ob Sie Schönlanke oder Landsberg zur Garnison für das 3. Bataillon bestimmen wollen , indem es für die Landwehrmänner ungefähr gleich weit ist , ob sie aus dem Czarnikower oder Chodziesener Kreise nach Landsberg gehen, oder die Neumärker in Schönlanke sich versammeln : Ein zweites Aufgebot ist nach der Bestimmung vom 15. Oktober 1817 noch nicht organisirt , sondern es heißt darin : , in Hinsicht der Hindernisse, welche das Königliche Ministerium des Innern angegeben , wird zwar das zweite Aufgebot noch nicht gleich formirt , die Idee zu dieser Formation muß aber auch in Posen erhalten und successive verwirklicht werden." ,,Hiernach sind nun zwar keine Leute zum zweiten Aufgebot besonders ausgehoben und vereidet , sondern nur die, welche wegen ihres Alters aus dem ersten Aufgebote der Landwehr ausgetreten , oder die , welche als Halbinvalide aus der Landwehr und Kriegsreserve haben ausscheiden müssen, sind zum zweiten Aufgebote gerechnet , so daß für jedes Bataillon cirka 200 Mann zum zweiten Aufgebote angenommen werden können . Seine Majestät der König werden also hierüber noch näher bestimmen, ob das zweite Aufgebot auch nur succesive errichtet oder gleich mit einem Male formirt werden soll, wobei ich bemerke , daß sich keine gediente Soldaten über 22 Jahr alt in der Provinz be-
90
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen.
finden, das zweite Aufgebot müßte also aus Rekruten oder ganz ungeübten Leuten zusammengesetzt werden. Ein Königlich
Hochverordnetes Kriegsministerium ersuche ich
ergebenst , hierüber Sr. Majestät dem Könige Vortrag zu machen und das Tableau vorzulegen ; wenn Sr. Majestät es genehmigen , so können alsdann die Karten dazu sogleich angefertigt werden . "
Zur näheren
Erläuterung des Tableaus wird dann noch hinzugefügt : „ Ich bemerke dabei, daß bei der Eintheilung des Bromberger Regiments das 1. Bataillon nicht ungetheilt hat bleiben können , indem die Localverhältnisse es nöthig machen, daß die Kreise , welche an die Neumark gränzen , dazu gewählt werden mußten, um mit den zwei Kompagnien des 2. Frankfurter Landwehr Regiments kombinirt zu werden.
In Hinsicht dieser
beiden Kompagnien habe ich auch nicht bestimmen können, welche Officiere bleiben , oder welche ausscheiden müssen, indem es darauf ankömmt, was für Officiere aus der andern Provinz hierzu noch übrig bleiben.
In Rücksicht auf diese Provinz bleiben zu den beiden Kom-
pagnien zu vertheilen der Obristlieutenant von Dieterich als Bataillonskommandeur, der Lieutenant Klar als Adjutant und Rechnungsführer und der Rittmeister von Fiebig als Kommandeur des Kavalleriekadres. Im Übrigen bleiben in dieser Provinz zwei Stabsofficiere als Bataillonskommandeure übrig ; Seine Majestät der König werden also bestimmen , welche beide ausscheiden sollen.
Adjutanten oder Rechnungsführer
sind überzählig, indem die beiden von der 9. Division dazu kommandirten Officiere der Lieutenant von Mauschwitz und Lieutenant Schönheide wieder bei ihren Regimentern eintreten können. Ebenso verhält es sich mit den Kommandeurs der Kavallerie Kadres. Durch den Abgang des Lieutenants von Wedel- Parlow ist bereits eine Stelle vakant und der 2. Überzählige ist der Lieutenant Beczwarsowski , welcher vom 6. Ulanen Regiment dazu kommandirt ist , und nun beim Regiment wieder eintreten kann. An Feldwebel, Wachtmeister und Unterofficiere und Gemeinen werden in der Provinz überzählig : Bei der Infanterie 10 Feldwebel,
es mankiren
10 Kapitaind'armes, 10 Gemeine ,
bei der Kavallerie überzählig 2 Wachtmeister, 2 Trompeter, 8 Gemeine inkl . Kurschmiede , 14 Pferde . Was von diesen ganz oder halbinvalide ist, was seine Zeit ausgedient hat , und beurlaubt sein will,
oder was fortzudienen Lust
hat, darüber erwarte ich die Berichte der Bataillonskommandeure in
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen.
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einigen Tagen und werde ich bis zum 27. d . Mts . die speciellen Listen davon einsenden. Vorläufig ersuche ich Ein Hochverordnetes Kriegsministerium zu bestimmen, bei welchen Garnisonbataillonen die Halbinvaliden und zu welchen Linien- Regimentern die Leute geschickt werden sollen, welche fortdienen wollen .
Gewehre und Säbel werden
in dieser Provinz nicht überzählig, vielmehr sind, wenn für jedes Bataillon nur 1000 Gewehre vorräthig sein sollen , noch 969 Gewehre nöthig . Sollen , so wie es die Kabinetsordre besagt , für jedes Bataillon 1200 Gewehre in den Zeughäusern befindlich sein, so fehlen in der ganzen Provinz noch 2469. Wenn jedes Bataillon 290 Säbel haben soll , so fehlen 556 Säbel . Munitions- und Bataillons-Wagen werden in Lissa und Karge überzählig und können von dort aus in das nächste Depot nach Glogau gesandt werden.
Die beiden Kompagnien zu dem kombinirten
Bromberg -Frankfurter Regiment haben die Wagen für ein Bataillon, die beiden Kompagnien des Frankfurter Regiments können solche also abgeben.
In Rücksicht der Vertheilung der Waffen , Montirungs-
stücke , Sattelzeug etc. schlage ich unmaßgeblich vor, daß solche bis zur nächsten Übungszeit in den Zeughäusern, wo sie sich jetzt befinden, verbleiben, daß die Leute so wie ehemals dort zusammen kommen, und wenn sie vollkommen eingekleidet und bewaffnet sind, nach ihren neuen Garnisonen marschieren, wodurch alsdann die Transportkosten erspart werden, und alles besser im Stande bleibt , als wenn es verpackt transportiert werden muß.
Die 14 überzähligen Pferde sind so ,
daß ein Theil davon bei der Linienkavallerie und der übrige bei der Gensdarmerie gebraucht werden kann. Wohldasselbe ersuche ich darüber zu bestimmen, wohin diese Pferde abgegeben werden sollen. Hiernach glaube ich, daß in Rücksicht der Provinz alles was auf die neue Formation Bezug hat , erledigt ist und sobald die Entscheidung darüber und die Antworten eingehen, kann die neue Formation als vollzogen angesehen werden. Gehen diese Antworten noch vor dem 12. Februar hier ein, so können die Rapporte für den künftigen Monat schon nach der neuen Formation ausgearbeitet und eingereicht werden. Sobald die Bezirkseintheilung genehmigt ist , können in Zeit von 14 Tagen die Karten gezeichnet und eingeschickt werden , indem aus den statistischen Tabellen die Seelenzahl der Dörfer zu ersehen und es sich also leicht bestimmen läßt, welche Dörfer von dem einen Kreise zur verhältnismäßigen Seelenzahl an den daranstoßenden Kompagniebezirk abgegeben werden müssen . "
(S. Tabelle S. 92 )
In dem darauf folgenden Schreiben vom 27. Januar des Kriegsministeriums sprach dasselbe seine volle Zustimmung zu den Vorschlägen des Generalkommandos aus. Dasselbe lautete : ,, Die beiden
. 14
FrankfurtBromberger
.19
.33 . 35
10 .
1.
. 3
. 2
. 1
. 3
2.
. 1
Nummer der Regimenter
PosenBromberger
Posensches
Namen der Landwehr R - egimenter Division Bataillone
068 29 22 889
957 51
112 249
641 107
Schönlanke oder Landsberg
Bromberg
Posen
Posen oder Trzemeczno
Karge 405 115
358 107
Zduny
Krotoschin
Lissa
Garnisonen
616 104
104030
113 287
Seelenzahl des BataillonsBezirks
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen.
Kompa 2. Czarninie kower Chodziesener Bataillons 3. des
Fraustädter 9521 44 Schrimmer 34513 Kostener 822 33 32 946 Adelnauer Schildberger 544 35 544 23 Pleschener . chiner 12 000 Krotos vom 757 28 Rest der Krotoschiner vom Kröbener 314 52 Wreschener 545 23 Bomster 32 456 Meseritzer 26 600 . Birnbaumer 26 514 Bucker 835 29 Gnesener 790 26 Wongrowitzer 290 26 Mogilnoer 20150 128 28 Schrodaer Posene 6000 vom r Rest der 949 44 Posener vom Samterscher 28 023 669 34 . Oborniker Bromberger 363 31 Inowrazlawer 021 32 Schubiner 249 24 Wirsitzer 24616
Seelenzahl Kreise ihrer mit
92
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen.
93
gefälligen Schreiben vom 11. und 19. d. M. , worin das Generalkommando von den in Beziehung auf die Allerhöchst befohlene Formation der Landwehr erlassenen Anordnungen Mittheilung macht, sind dem Kriegsministerium richtig zugegangen. Die beigefügten Tableaus der hiernach zu verändernden Bezirkseintheilung, sowie die Vorschläge zur Feststellung der Bataillonsstaabsquartiere, der Stärke der Landwehrregimenter und zur Bestimmung über die von den Stäben ausscheidenden Officiere sind Sr. Majestät dem Könige zur Allerhöchsten Entscheidung vorgelegt worden. " Auf die übrigen in Anfrage gestellten Punkte erwidert das Kriegsministerium ergebenst folgendes : ,,Die überzählig werdenden Leute der Stäbe , welche fortdienen wollen, werden den Regimentern der 9. Division übergeben. Über die Ganz- und Halb- Invaliden wird, wie in dem Circular vom 6. d. M. bemerkt ist, das erste Departement des Kriegsministerii auf die diesfälligen vorschriftsmäßigen Eingaben bestimmen, und bei Anerkennung derselben dann gleich die in den angrenzenden Königlichen Generalkommandos stehenden Garnisonbataillone bezeichnen, denen diese Leute zuzutheilen sind.
Mit dem vom Generalkommando gemachten
Vorschlage, daß die Vertheilung der Waffen , Montirungsstücke pp . zur Ersparung der Transportkosten bis zur nächsten Übung ausgesetzt werde , ist das Kriegsministerium völlig einverstanden, und es werden. Wohldemselben die weiteren
Benachrichtigungen wegen der Voll-
zähligmachung der fehlenden Waffen und der Ablieferung der überzähligen Munitions- und Bataillons-Wagen und Montirungsstücke pp . beziehungsweise von dem ersten, vierten und fünften Departement des Kriegsministeriums zugehen. Da nach der Äußerung des Generalkommandos die überzähligen 14 Pferde zum Theil so beschaffen sind, daß sie der Linienkavallerie zugetheilt werden können, so stellt das Kriegsministerium ergebenst anheim, die dazu vollkommen brauchbaren theils den Kavallerieregimentern der neunten Kavalleriebrigade, theils der Artillerie überweisen zu lassen, die hierzu nicht ganz geeigneten sonst aber brauchbaren aber an die Gensdarmerie abzugeben. " Hierin sind die Grundlagen für die durch den kommandierenden General im Großherzogtum Posen herbeigeführte Organisation der Landwehr in der neuerworbenen Provinz enthalten . Durch die spätere Neueinrichtung des noch jetzt bestehenden 5. Armeekorps, wobei der Regierungsbezirk Bromberg zum 2. Armeekorps und der Regierungsbezirk Liegnitz zum 5. Armeekorps geschlagen wurde , ist dann freilich eine wesentliche Änderung in der Organisation der Landwehr in der 8 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 533.
94
Die Organisation der Landwehr im Großherzogtum Posen.
Provinz Posen herbeigeführt worden.
Diese Einrichtung erfolgte aber
erst, nachdem der erste kommandierende General im Großherzogtum Posen Generalleutnant August von Thümen auf sein Ansuchen am 26. Januar 1820 den erbetenen Abschied erhalten hatte, nachdem er am 23. Juni 1819 unter Beteiligung der Militär- und Zivilbehörden des Adels und der Geistlichkeit sowie der Bürgerschaft Posens die Feier seines 50jährigen Dienstjubiläums begangen hatte.
Unter den
vielen Ehrengeschenken, welche an diesem Tage dem Jubilar überreicht wurden, befand sich auch das lebensgroße Ölbild desselben als des Stifters der Posener Landwehr, welches ihm im Namen des Landwehroffizierkorps durch den Inspekteur
der Posener Landwehr Herrn
Obersten von Anhalt beim Festmahle im Zeughause von Winiary zum Andenken für die Familie übergeben wurde . Gedicht schloß mit den Worten :
Ein dabei dargereichtes
Wehrmänner , laut laßt Eure Hörner schallen , Daß jede tapfere Brust sich mit erfreut . Noch blüht dem Jubelgreis das frische Leben , Und sollt' er noch einmal das Schwerdt erheben , Dann Vater, rufe nur : wir sind bereit . Der sich in diesen Worten aussprechende Geist der hingebenden Vaterlandsliebe und nie rastender Tatkraft hat sich dann später in den Feldzügen von 1866 und 1870/71 , am meisten aber in den Kriegsjahren der Jetztzeit aufs Glänzendste bewährt. In dem großen Saale des Schlosses Caputh bei Potsdam, wo der Generalleutnant von Thümen bis zu seinem Ende am 15. März 1826 zubrachte, hängt noch heute das erwähnte lebensgroße Bild desselben umgeben von den Darstellungen der wichtigsten Kriegsbegebenheiten aus dem Leben des Verstorbenen, nämlich vom Gefecht bei Schnellenwalde am 1. Januar 1779, der versuchten Erstürmung von Lübeck am 5. November 1806 , der Schlacht bei Dennewitz am 6. September 1813 und der Einnahme der Festung La Fère am 28. Februar 1814. Eine Nachbildung dieses großen Ölbildes verlieh die Familie dem neuen Generalkommando in Posen bei dessen Einweihung, und ein Brustölbild seines Großvaters schenkte der Verfasser dieses Aufsatzes dem neuen Rathause in Spandau, nachdem am 27. April 1913 die 100 jährige Wiederkehr der Befreiung Spandaus daselbst in seinem Beisein feierlich begangen worden war.
95
Die Niederlande und der Krieg .
IX . Die Niederlande
und der Krieg .
IV¹) . Seit der letzte Bericht erschienen, haben Armee und Flotte der Niederlande , die Erfahrungen des noch währenden Weltkrieges ausnutzend, auf manchem Gebiete beachtenswerte Fortschritte zu verzeichnen.
Politische Blätter sind in der Beurteilung von geplanten
und bewirkten Maßnahmen, besonders auch beim Heere, stellenweise Irrwege gegangen.
Das trifft unter anderem zu, wenn in der für den
25. November 1915 angeordneten Maßnahme eine ,, Abrüstung in den Niederlanden " gesehen werden sollte.
Dabei handelt es sich
um die Heimsendung des Landwehrjahrgangs 1908 (Milizaushebung 1900 ) , der von Beginn der Mobilmachung an unter den Waffen wai und jetzt seinem bürgerlichen Berufe wiedergegeben und erhalten wird , wenn nicht außerordentliche Verhältnisse mobile Wieder verwendung fordern . In der Heimat wurde er administrativen und territorialen Einheiten zugerechnet . Bei
Beginn der
Beratung
des
Landsturmerweiterungsgesetzes
im Mai 1915 war der älteste, damals unter den Waffen stehende Landsturmjahrgang 1907 (Milizaushebung 1899) schon in gleicher Weise in die Heimat entlassen worden und das genannte Gesetz hatte bei seiner Annahme das gleiche den im Alter folgenden dienenden Landwehrjahrgängen in Aussicht gestellt, so zwar, daß die entsprechende Zahl von Landwehrleuten nach und nach entlassen werden sollte , sobald die einzuberufenden Landsturmleute , mit der Jahresklasse 1914 beginnend, bei den Depots die erforderliche Schulung erhalten und sie in den Landwehreinheiten ersetzen könnten. Nach ärztlicher Untersuchung stellte man am 25. August die waffenfähigen , unausgebildeten bis dahin aus bürgerlichen
Landsturmleute des Jahrgangs 1914
Rücksichten vom Dienst Befreite, bzw. Freigeloste (Losung bei Jahrgang 1915 und 1916 fortgefallen) in die Depots zur Schulung ein. Nach den von den besichtigenden Vorgesetzten gewonnenen Eindrücken hielt man am 25. November die Schulung für soweit gefördert , daß man sie in die Landwehreinheiten einreihen und die entsprechende Anzahl von Leuten des ältesten dienenden Landwehrjahrganges
1908
ihrem
Zivilberufe
wiedergeben
1 ) Vgl. den Aufsatz im Augustheft v. J. 8*
konnte.
96
Die Niederlande und der Krieg .
Mit der Einstellung der Landsturmleute der Jahrgänge 1913 und 1912 zur Übung bei den Depots hat man nicht gewartet , bis Jahrgang 1914 seine Schulung abgeschlossen hatte , sondern hat sie vielmehr in kurzen Zwischenräumen , am 1. Oktober und 1. November, eingestellt. Spätestens mit dem 1. Januar bzw. 1. Februar 1916 wird also wieder eine entsprechende Anzahl von Leuten der jetzt unter den Waffen stehenden Landwehrjahrgänge 1909 (Milizaushebung 1901 ) und 1910 (Milizaushebung 1902 ) in die Heimat entlassen werden können . Abrüstung ist das also nicht , sondern Ersatz von Leuten der von oben im Alter folgenden Landwehrjahrgänge durch die gleiche Anzahl von fertig geschulten Landstürmern in umgekehrter Altersfolge . Die Landwehrjahrgänge 1907/8/9 (Milizaushebungen 1899/1900/01 ) , deren Zugehörigkeit zur Landwehr durch Gesetz vom 1. Juli 1915 schon bis zum 31. Dezember 1915 verlängert worden, mußten zu dem letztgenannten Termin , wie der Kriegsminister bei einem vorliegenden Gesetzentwurf erläuterte, aus der Landwehr entlassen und zum Landsturm übergeführt werden.
Die Landwehrjahrgänge 1907 und 1908
sind, wie oben schon bemerkt, bereits in die Heimat beurlaubt , für Jahrgang 1909 stellte der Minister zum 31. Dezember 1915 dasselbe in Aussicht . Es erscheint aber - und das will der vorliegende Gesetzentwurf
wünschenswert, sie, damit sie in Besitz von Waffen , Be-
kleidung und Ausrüstung bleiben können, nicht zum Landsturm überzuführen, sondern noch in der Landwehr zu belassen.
Ein anderer
Gesetzentwurf betrifft die Verlängerung des Gesetzes vom 29. Juli 1915, das die längere Indiensthaltung der ältesten Milizjahrgänge anordnete . Die Begründung des Ministers wies dabei aber auf den Weg hin , der in absehbarer Zeit auch zu ihrer Beurlaubung in die Heimat führen wird. Die einberufenen, bzw. noch einzuberufenden Jahrgänge des unausgebildeten Landsturms werden es, so sagte der Minister, ermöglichen , nach und nach auch die Jahrgänge heimzusenden, die heute noch in der Miliz dienen , zu normaler Zeit aber schon in die Landwehr versetzt wären .
Das gilt z . B. von den im Milizdienst stehenden Aus-
gehobenen 1906 , die zum 1. August 1914, 1907 die zum 1. August 1915 normal in die Landwehr überzuführen waren, bei den unberittenen Truppen am 31. Dezember auch überführt werden. Die jetzt verlangte Verlängerung des Verbleibens in der Miliz beschränkt sich auf die Ausgehobenen 1908 der unberittenen Truppen , 1906 und 1907 der berittenen , 1906/07 der Torpedisten, 1909 und 1910 der Seemiliz , die überhaupt keine Landwehrpflicht haben . Ein ungefähres Bild der am 25. November 1915 eingetretenen
97
Die Niederlande und der Krieg.
Entlassungen gewinnt man, wenn man die amtliche Mitteilung über die Ergebnisse der Aushebung des Jahrganges 1914 näher betrachtet. Von 60171 in den Rekrutierungslisten dieses Jahrgangs erscheinenden Dienstpflichtigen wurden 25 830 für Land- und Seemiliz (500 ) ausgehoben, 17626 dienstuntauglich befunden, und vom Dienst im Frieden , wegen aktiven Dienens eines Bruders, oder im gleichen Jahre ausausgehobenen Zwillingsbruders , Eigenschaft als einziger
Familien-
ernährer usw. befreit : 14449. Dazu waren noch Ausgeschlossene und unterdeß Verstorbene zu rechnen . Von den Befreiten wurden, gemäß Landsturmgesetz 1915, als waffenfähig beim Landsturm 12 000 eingereiht . Aus denselben Gründen waren in den Jahrgängen 1912 , bzw. 1911 vom Dienst befreit worden 11597 , bzw. 7800 , wozu man aber noch die Freigelosten zählen muß.
Bei ihnen wird man auch rund
12, bzw. 11000 als im Landsturm jetzt einbeordert rechnen können . Bis zum 1. März 1916 wird man rund 35 000 ausgebildete junge Landstürmer haben , also etwa zwei Landwehrjahrgänge , 1909 und 1910, in die Heimat beurlauben dürfen , ohne
daß eine
Schwächung des Bestandes der mobilen Einheiten einträte. Damit ist die Nachricht von der
Abrüstung" genügend
widerlegt. In der Begründung der Forderungen seines Budgets für 1916 hat der Kriegsminister Bosboom die Art von dessen Aufstellung dahin orläutert, daß er, bei den außergewöhnlichen Verhältnissen, unter denen es eingebracht werde, es für zweckmäßig halte, wie für 1915 , so auch für 1916 mit einem Friedensbudget zu rechnen, das dann durch Kriegs- ( Krisis- ) Kredite in seinen
Sonderausgaben ergänzt
werde.
Einen neuen Kriegskredit von 50 Millionen hat man soeben angefordert.
Der mobile Zustand übt . so führte der Minister aus,
trotzdem seinen Einfluß, aber nach der Richtung der Verminderung der normalen Ausgaben , da die Manöver in größeren Verbänden, die Übungen von Leuten des Beurlaubtenstandes der Miliz und Landwehr , der Ankauf von Pferden , die sonst im normalen Friedensbudget für 1916 erscheinen müßten , fortfallen. Dazu treten noch andere , im mobilen Zustande liegende Gründe , vor allem auch die Möglichkeit der Verwendung von Vorräten, die 1914 und 1915 durch bewilligte Sonderkredite beschafft worden sind . Im ganzen rechnet man den genannten Gründen mit Minderausgaben von
aus
3429016 Fl. Dem stehen aber auch Steigerungen der normalen Ausgaben gegenüber : an Personalbesoldung 290879, Bekleidung und Ausrüstung 85169,
Kasernierung,
Stallungen 225000,
Erweiterung
der Luftschifferabteilung 127800 , Gebäude für topographische Ab-
Die Niederlande und der Krieg .
98
teilung 40000 , Erneuerung von Lagermaterial 68300 , Übungsplätze 950 000 , während für Verpflegung von Unteroffizieren und Mannschaften 172265, für Fourage 178787 und für Verpflegungsvorräte 145000 Fl . weniger verlangt werden. Die Vermehrung der Zahl der Reserveoffiziere bedingt eine Mehrausgabe von 190000 Fl. , für Geniedienst
sind außerordentliche
Ausgaben von 950000
Fl.
vorgesehen. Der Gesamtbetrag des normalen Kriegsbudgets für 1916 erreicht die Summe von 35 001 680 Fl. , während für 1915 , durch Gesetz vom 13. Februar 1915. 33 459 976 Fl. bewilligt wurden, über welche die jetzige Forderung also um rund 1,6 Mill. Fl. hinausgeht . An organisatorischen Neuerungen bringt das Budget zunächst die Bildung je einer 4. Abteilung zu zwei fahrenden Batterien bei den beiden Feldartillerieregimentern, die noch keine solche besitzen.
Diese
Abteilungen werden auf Kriegsfuß aufgestellt und sollen bei der Demobilmachung auf Friedensfuß weiter bestehen bleiben. Auf diese Weise hat man bei jeder Division fortan 8 Batterie - Einheiten , von denen sich jede für Gefechtszwecke in zwei Batterien zu 3 Geschützen , 6 Munitionswagen, 1 Vorratswagen zerlegt , so daß 16 Gefechtsbatterien zu 3 Geschützen , also 48 Geschütze sich ergeben, gegen früher 36 bei der Division .
Die Not-
wendigkeit der Ausstattung einzelner Abteilungen mit leichten Feldhaubitzen stellt der Minister in baldige Aussicht . Obwohl, so erläuterte der Kriegsminister, es noch nicht an der Zeit ist , aus den im Kriege gemachten Erfahrungen im Luftschiffer- und Fliegerdienst dauernd gültige Folgerungen zu ziehen , so können doch über den weit reichenden Einfluß auf Krieg- und Kampfführung keine Meinungsverschiedenheiten bestehen. Ist dieser Einfluß schon im Beginn des Krieges hervorgetreten, so weit mehr noch, als der Bewegungs- in Stellungskrieg überging, die Kavallerie die Aufklärung nicht mehr leisten konnte, und man bezüglich dieser vielmehr auf Fliegerdienst angewiesen war und sich in vielen Fällen für die Zielerkundung und Feuerleitung der Artillerie auf ihn verlassen mußte, und als endlich die Flugzeuge auch eine angreifende und abwehrende Kraft gegen feindliche äußerten . Die Luftaufklärung greift so sehr in alle militärischen Dienste ein, daß der Besitz eines gut organisierten Fliegerdienstes für ein Heer, das nicht hinter dem Gegner zurückbleiben will , eine unabweisbare Bedingung ist. Das gilt, so legte der Minister dar , besonders auch für unser, mit nur wenig Kavallerie ausgestattetes Heer, das gezwungen ist, in Geländen mit geringer Übersichtlichkeit und schwierigen Verbindungen zu kämpfen.
Das Bedürfnis nach Flugzeugen ist in den
99
Die Niederlande und der Krieg.
abgelaufenen Kriegsmonaten stark empfunden worden , und der Kriegsminister hält es daher, zumal die Schwierigkeiten der Flugtechnik jetzt überwunden sind, für seine Pflicht, in dem neuen Budget wieder Beträge für die weitere Ausgestaltung der Luftschifferabteilung anzufordern . Eine weitere Forderung betrifft die Beschaffung
moderner
schwerer Geschütze für Festungsartillerie , und dafür verlangt das Budget zur Beschaffung von 8 Haubitzen mit Munition , 528 000 Fl. Dabei betonte der Minister gleichzeitig, das Einschlagen eines neuen Weges zur Beschaffung der nötigen schweren Geschütze sei geboten, da man, jährlich nur eine kleine Anzahl beschaffend, Jahre gebrauchen werde , ehe man zur Deckung des Bedarfs gelange . Deshalb soll , damit eine baldige und umfassende Beschaffung möglich ist , ähnlich , wie es für die Ergänzung der Küstenverteidigung geschehen, ein Fonds gebildet werden , und zwar so bald als möglich .
Da man 1916 einen
Vorrat an Patronen und Artilleriemunition besitzen wird, der größer ist, als ihn der Vorgänger des Ministers vorsah (das ist aber auch nach den Erfahrungen des Krieges sehr nötig ! ) , so werden 1916 Mittel für die Vermehrung der Munition nicht verlangt . Neu geschaffen wird eine Scheinwerfer- und FunkenspruchKompagnie , die im Frieden in den Verband der treten soll.
Genietruppen
Die Erfahrungen , die man mit dem bei der Mobilmachung errichteten Etappenkraftfahr - Verpflegungsbataillon gemacht hat, veranlaßten den Minister zu der Forderung, dieses bei der Demobilmachung nicht wieder aufzulösen, sondern als Kern in solchem Umfange bestehen zu lassen, daß es das Heer bei der Mobilmachung mit dem nötigen Kraftfahrdienst zu versehen vermag . Zur Verminderung der Kosten der Instandhaltung des bei der Mobilmachung beschafften sehr umfangreichen Kraftwagenparks soll mit einer besonders vertrauenswürdigen Persönlichkeit ein Mietsvertrag für den Frieden abgeschlossen werden, der, nach Instandhaltung des Materials in kriegsfertigem Zustande, noch einen bedeutenden Überschuß für den StaatsDer schatz ergibt und jährlich im Kriegsbudget aufgeführt wird. Kriegsminister trifft in seinem Budget auch Vorkehrungen für der Fall der Demobilmachung, betreffend die Verwertung der großen Vorräte an Weizen , Hafer, Hülsenfrüchten und Steinkohlen , die man mit Rücksicht auf alle möglichen Fälle für das mobile Heer und die Festungen bereitgelegt hat. Dazu sollen Getreidesilos mit Mahlgelegenheiten gebaut werden , deren Kosten auf 785 000 Fl. geschätzt werden , von denen das Budget 1916 als erste Rate 150000 Fl . verlangt .
100
Die Niederlande und der Krieg. Das Marinebudget erscheint mit 27136 962 Fl . , d . h. rund
7 Millionen Fl. mehr , als für 1915 bewilligt wurden .
Die
rein militärischen Ausgaben belaufen sich auf rund 23,3 Mill. gegen 16,4 Mill . , die für 1915 bewilligt wurden ; nicht rein militärische auf rund 3,8 Mill. gegen 3,75 Mill. für 1915. Dazu 6000 Fl. für unvorhergesehene Ausgaben.
Unterabteilung II, mit rund 13,3 Mill . Fl. gegen
6,5 Mill . für 1915 , findet ihre Erklärung in den Mehrausgaben von 6,5 Mill. für Material ; Bauten bei Privatwerften beanspruchen rund 4,6 Mill. ,
Anschaffung, Einrichtung und Erhaltung von Torpedo-
lanzier-Einrichtungen rund 380000 Fl. , endlich sind Mehrausgaben für den Marineluftschifferdienst mit rund 98000 Fl. vorgesehen. Im Jahre 1916 soll das Flottenkasernenschiff van Galen ausrangiert und verkauft werden , wofür 250000 Fl. angesetzt sind. Von den Mehrausgaben des Budgets 1916 kommen rund 5,4 Mill. auf Neubauten . für welche rund 6,83 Mill. gegen rund 1,5 Mill . im vorigen Jahr angesetzt sind . Im übrigen sind Mehrkosten zu verzeichnen : bei Verwaltung rund 0,044 , Material der Seemacht rund 1,2 Mill., Personal der Seemacht 0,32 , für Pensionen 0,05 und für nicht rein militärische Ausgaben rund 0,065 Mill . Fl. Im Budget werden verlangt für den Bau von zwei Schnellkreuzern als Rate der Betrag von 3,5 Mill. , für 4 große Unterseeboote als Rate rund 2,5 Mill. , von denen die Hälfte dem indischen Budget zufällt ; für die Fortsetzung des Baues der Torpedoboote 1-4 = 0,082 Mill . Fl . , für einzelne Arbeiten im Marine-Etablissement Amsterdam für Torpedoboote Z. 5-8 = 1000 Fl . , für Unterseeboote VI und VII ebenfalls 1000 Fl . , endlich für Garantieprämie für die Motoren des Panzerbootes Friso rund 4000 Fl . , zusammen rund 6,8 Millionen.
Wie schon bei Begründung des Budgets 1913 mit-
geteilt wurde, ist durch einen Sonderkredit der Bau der Torpedoboote Z. 1-4 durch die Vulkanwerft der niederländischen Schiffsbauwerft und der niederländischen Fabrik für Werkzeuge und Eisenbahnmaterial übertragen worden , und gegen 900 000 Fl. , die dafür 1915 bewilligt wurden, sind 1916 als Schlußrate 820000 Fl. beantragt . An großen Herstellungsarbeiten bei dem schwimmenden Material sollen auf den Reichswerften Willemsoord und Hellevootsluis an den Panzerdeckschiffen Gelderland und Zeeland bewirkt werden, während die umfassenden Reparaturen , die an den Panzerschiffen Hertog Hendrik und Heemskerk, die sehr lange im Dienst waren ,
nötig sind , und auch
Maschinenreparaturen , Privatwerften und Fabriken übertragen werden. Für Schaffung eines pyrotechnischen Laboratoriums in Leyden wird 1916 eine erste Rate von 43000 Fl. von im ganzen 150000 Fl . verlangt. Für Gehälter, Besoldungen , Zulagen des Personals der Marine werden
Die Niederlande und der Krieg . 180000 Fl . , für Verpflegung 196000 Fl. mehr gefordert.
101
Besondere
Maßnahmen werden für die Beseitigung des Mankos an Seeoffizieren getroffen werden.
des
Von großem Interesse ist die Vorgeschichte der Vergebung Baues der beiden im Marinebudget vorgesehenen Schnell-
kreuzer , gerade auch für uns , die aus Angaben der Haagschen Korrespondenzbüros zu ersehen sind. Als die Regierung zur Forderung der Bausumme für 2 Schnellkreuzer und 4 große Tauchboote zur Verstärkung der Flotte, besonders auch im Interesse der Verteidigung von Niederländisch- Indien , im Marinebudget entschlossen war , richtete der Marineminister am 22. März 1915 an vier niederländische Schiffsbaugesellschaften die Anfrage, ob sie geneigt seien, sich an dem Wettbewerb um den Bau zu beteiligen; der Bau sollte auf niederländischen Werften. erfolgen.
Da man aber bis dahin in den Niederlanden derartige , sehr hohe Anforderungen stellende Schiffe nie gebaut , so stellte die Regierung die Bedingung, daß der Bau unter Bürgschaft und Leitung einer auswärtigen Werft bewirkt werden solle, die sich in derartigen Bauten schon einen Ruf erworben. Bezüglich Namen und Nationalität der ausländischen Werft legte die Regierung
keinerlei Beschränkung auf.
Da die niederländischen , aufgeforderten Gesellschaften mit britischen und deutschen in Verbindung standen, so wurde damit gerechnet, daß sowohl britische, als deutsche Entwürfe zur Vorlage kommen würden und man aus den Erfahrungen beider Länder Nutzen ziehen könne . Die niederländischen Gesellschaften erklärten sich zur Bauübernahme gern bereit und forderten
zunächst folgende britische zur Einsendung von Entwürfen auf : Gesellschaft Schelde : die Coventry Syndicale ; Niederländische Schiffsbaugesellschaft : Vickers, Barrow ; Rotterdamer Trockendock- Gesellschaft : Scot- Glasgow, Armstrong : Gesellschaft Fijenoord : Armstrong, Swan . Die britische Admiralität verbot den Gesellschaften aber den Bau, da ihre ganze Tätigkeit von Groß- Britannien in Anspruch genommen würde. Die Fijenoord- Gesellschaft kam unterdes zur Einigung mit der Germania ( Krupp ) in Kiel , mit welcher sie in Verbindung stand, und erklärte sich zum Bau beider Schnellkreuzer nach Entwürfen der Germania , im Verein mit der Gesellschaft Schelde , bereit , die Schiffsbaugesellschaft Amsterdam zur Einigung mit Vulkan, Hamburg, nach dessen Entwürfen sie einen Kreuzer bauen wollte. Diese beiden Angebote erhielten , nach Prüfung der Entwürfe , vom Marineministerium den Vorzug, das aber, um nicht fast alle Schiffsbauaufträge ausschließlich auf den Süden des Landes entfallen zu lassen, eine Änderung in der vorgesehenen Verteilung des Baues von Unterseebooten vornahm.
Die Niederlande und der Krieg .
102
In der richtigen Erkenntnis, daß der jetzige Weltkrieg sicherlich nicht zur Abrüstung führen wird , sondern daß nach den Erfahrungen des Krieges eine
Hebung
der
Wehrkraft der
Niederlande.
geboten sein wird , hat die Regierung die Vorlage einer Wehrund einer Flottenbeitragssteuer für erforderlich gehalten . Hebung der Heereskraft und der Landesverteidigung beanspruchen , nach ihrer Ansicht , jährlich mindestens 5 Mill. Mehr ausgabe, die namentlich auch mit Rücksicht auf die Verteidigung von Niederländisch-Indien nötige Ausgestaltung der Flotte jährlich 6 Millionen . Artikel 180 des Staatsgrundgesetzes legt allen Niederländern die Pflicht auf, zur Verteidigung von Gebiet und Unabhängigkeit der Niederlande beizutragen , eine Pflicht , die auch auf die in den Niederlanden angesessenen ,, Nicht- Niederländer " ausgedehnt werden kann . Nach Abschnitt 2. Artikel 189, soll das Gesetz regeln :
1. Die Pflicht zum Kriegsdienst . 2. Pflichten , die denjenigen auferlegt werden können , die nicht zur Land- oder Seemacht gehören. Während der Friedenszeit blieb aber die Regelung zu 2. toter Buchstabe und eine Reihe von Jahren hindurch wurde der dem Geist des Grundgesetzes nicht entsprechende Zustand geduldet , daß ein Teil der Nation an der Vorbereitung der Landesverteidigung teilnahm , weitaus der größere aber davon befreit war. Wie die Heranziehung zu 2. zu regeln sei, schrieb das Grundgesetz nicht vor , ließ den späteren Gesetzgebern also volle Freiheit.
Die in kleinen Staaten ver-
hältnismäßig höher, als in großen Reichen, ausfallenden Kosten einer modernen Wehrkraft wiesen auf eine Wehrsteuer hin , eine vom Staate, nach Maßgabe der größeren oder geringeren Entlastung vom persönlichen Dienst, aufzulegende Besteuerung , wie sie in Serbien , Rumänien, Bulgarien , Schweiz und Österreich- Ungarn besteht . Zu dieser Regelung konnte man in den Niederlanden schreiten, nachdem die militärischen Verpflichtungen durch Miliz- , Landwehrund Landsturmgesetz festgelegt worden. Da nach dem Gesetz jeder nach seinem Vermögen zur Landesverteidigung beitragen soll, so werden Einkommen-
und
Vermögenssteuer der
Wehr-
steuer zugrunde gelegt , die einen prozentualen Zuschlag zu diesen ausmacht.
Da nach dem Grundgesetz die zu Besteuernden Nieder-
länder oder 99 im
Lande
angesessene Nichtniederländer " sein
sollen, so kommen sowohl Männer als Frauen , Minderjährige als Mündige in Betracht , die zur Aufbringung der Steuer imstande sind und nicht zur Land- oder Seemacht gehören.
Wer nicht dient
oder gedient hat , soll als Maximum 24 % der Einkommen- bzw.
Literatur.
103
Vermögenssteuer als Wehrsteuer jährlich zahlen, wer Land- oder Seemacht angehört , für diese Zeit entlastet sein, für die Zeit , nachdem er ausgeschieden , aber auch Wehrsteuer entrichten, jedoch nur 9 % , von 5/8 also befreit sein. Die Schaffung einer Flottensteuer für bestimmte Kategorien begründet die Regierung damit , daß die Verteidigung von Niederländisch - Indien , die wesentlich von ciner brauchbaren Seemacht abhängig, im Interesse jedes Niederländers, vor allem derjenigen liegt , die in Form von Dividenden , Tantièmen , Besoldungen aus Indien besondere Bezüge genießen. Diese sollen daher zu einer jährlichen Flottensteuer herangezogen werden , die einen prozentualen Zuschlag zur Vermögens- , bzw. Einkommensteuer darstellt. Nicht in den Kolonien des Reiches gelegenes unbewegliches Vermögen soll zunächst frei bleiben.
Von der Besteuerung wird erst
Vermögen betroffen, das nicht unter 51000 Fl . beträgt, bzw. Einkommen (nicht aus Vermögen), das mindestens 5000 Fl . jährlich erreicht. Der Ertrag der Flottensteuer soll die Mittel für die Durchführung eines Flottener weiterungsplanes liefern. Eine Anleihe, die den ganzen Betrag der Flottenerweiterung enthält , soll durch die Flottensteuer amortisiert werden, und zwar jährlich mit 6 Millionen. 18.
Literatur.
I. Bücher. Wilhelm II. Friedenskaiser oder nicht? Von Chefredakteur P. Heinsick.
Oskar Born , Verlag, Leipzig.
Geh. 1 M., geb. 1,60 M.
Das kleine, sachlich geschriebene Werkchen will uns den Kaiser im Lichte seines steten Friedenswillens und Friedenswollens zeigen und hat sich eine große Literatur zunutze gemacht, diese mit Fleiß und Sachkenntnis verwertend . Alle die kernigen, teils großzügigen Friedensworte des Kaisers werden hier wieder in Erinnerung zurückgerufen. Durch mehr als zwanzig Jahre der kaiserlichen Regierung zieht sich immer mehr der gleiche starke Faden , der Wille , ein Friedenskaiser sein zu wollen , ein Friedenskaiser im vollsten Sinne des Wortes , doch in voller Erkenntnis der tiefsten Wahrheit : Wenn du den Frieden willst, so rüste den Krieg. Dieser Grundsatz ist unser P. H. heutiger militärischer Erfolg !
104
Literatur.
Taschenbuch des Militärrechts für Kriegszeiten . Herausgegeben von Heinrich Dietz , Kriegsgerichtsrat. Rastatt, Hofbuchdruckerei K. u . H. Greiser, 1915. Zweiter Band ( Nachtrag zur 1. und 2. Auflage). 224 Seiten , Queroktav, gebunden 3 M. Wer in dem Gebiet des militärrechtlichen Schrifttums Umschau hält , trifft allenthalben auf den Namen Dietz . Das erste Militärrechtslexikon , das „ Handwörterbuch des Militärrechts" , die erste Fachzeitschrift, das „ Archiv für Militärrecht" ( bisher 5 Bände) , die erste Sammlung militärrechtlicher Einzelschriften ( „ Abhandlungen und Studien “ ) , die jetzt zweibändigen „ Verhandlungen des deutschen Militärjuristentages" zeigen ihn , den Herausgeber, als bahnbrechenden Organisator, in einer Reihe von Kommentaren (Disziplinarstraf- , Beschwerde-, Ehrengerichtsordnung) und einer großen Zahl von Einzelabhandlungen tritt seine umfassende Sachkenntnis und seine klare Kunst der Darstellung uns entgegen . Dietz war darum der Berufene, das „ Taschenbuch des Militärrechts " herauszugeben , von dem er im Vorwort mit vollem Recht rühmen kann : „ Sein praktischer Nutzen für die Militärbefehlshaber aller Dienstgrade , für die zahlreichen Offiziere , die bei der Mobilmachung und im Laufe des Feldzugs mit Aufgaben des Gerichtsoffiziers und sonstigen Rechtsangelegenheiten betraut wurden , für die Gerichtsherren , die Verhandlungsleiter und die Militärjuristen ist erwiesen ." Dies Buch kam gerade zur rechten Zeit. Kein anderer Staat verfügt über eine solche systematische Zusammenstellung des Militärrechts für den Gebrauch im Krieg. Das Buch , schon nach Format und Einband geeignet bequem mitgeführt zu werden , ist kein Kompendium von Streitfragen , sondern eine Gesetzsammlung und zugleich ein Wegweiser in Stich- und Schlagworten, jedem verständlich, in klarer und knapper Darstellung, die sich nicht scheut, mitunter einen politischen Seitenhieb zu tun (vgl . z . B. unter „ Falsche Flagge" , Nachtrag S. 489). Die kriegerischen Ereignisse, deren schnellem Fortgang das Recht schneller folgen muß als veränderten Verhältnissen im Frieden, haben den Nachtrag notwendig gemacht, der über Waffengebrauch und Belagerungszustand (auch in Bayern) , über Militärversorgung die einschlägigen Bestimmungen , ferner für die Kriegszeit wichtige Gesetze (Staatsangehörigkeit, Spionage usw, ) , Erlasse und Verordnungen (Kriegszustand , Kriegsleistungen , Rechtspflege , Begnadigungen usw.), ferner ein Kriegsrechtlexikon aus der Kriegserfahrung für den Kriegsgebrauch geschrieben , und schließlich eine Zusammenstellung von Militärrechtsliteratur bietet. Vielleicht macht der weitere Gang der Ereignisse einen weiteren Anhang erforderlich ; für diesen Band wird mancher Offizier und Jurist im Felde und daheim dem Verfasser dankbar sein . Unter den Mitarbeitern finden wir eine Reihe bekannter Namen . Das Buch wird gewiß, wie der Verfasser es sich wünscht, „ dazu beitragen , den deutschen Sinn für Recht und Gerechtigkeit auch in diesen Kriegszetien zu wahren und zu mehren".
Literatur. Mit Bismarck daheim und im Felde.
105 Kernworte aus seinen Briefen
und Reden, zusammengestellt von Horst Kohl. Mit einem Bildnisse nach Lenbach . Verlag Edwin Runge , Berlin -Lichterfelde . Preis geheftet 60 Pf., geb. 1 M. Nur ein so gründlicher Bismarck-Kenner und Forscher, wie der Verfasser es ist, war imstande , uns eine so wertvolle Gabe zum 100. Geburtstage unseres Bismarck zu geben , doppelt wertvoll in der jetzigen Zeit ! Denn wer wollte es nicht mit Freuden begrüßen , wenn uns jetzt ein Spiegelbild der europäischen Völker, wiedergegeben in wörtlichen Äußerungen des Altreichskanzlers, geboten wird ! Diesem größten Teile des Heftes schließt sich noch ein zweiter mit der Überschrift „Allgemeines" an, in dem der Bismarckverehrer nicht minder wertvolle Äußerungen unseres Helden über Politik, Krieg und Frieden , Glaube, Religion, Christentum , Sprüche der Weisheit und Geflügelte Worte findet. Kein Bismarckfreund wird das Heftchen missen mögen , W. wenn er einmal einen Blick hinein getan hat. Kommentar zu der (Schweizerischen) Militärstrafgerichtsordnung vom 28. Juni 1889. Von Bundesrichter Dr. A. Stooß , Oberstleutnant der Justiz in Lausanne . Bern 1915 Verlag Stämpfli u. Co. XLVIII und 268 Seiten . Kart. 4 M. Die schweizerische Militär- Strafgerichtsordnung ist für den deutschen Militärjuristen schon rechtshistorisch interessant, weil sie nach ihrer Entstehungszeit zwischen unsere bürgerliche Strafprozeßordnung ( 1877 ) und unsere Militär- Strafprozeßordnung (1898 ) fällt, und weil die erstere ihr, wie Stooẞ (Einl . S. V) sagt, „ als direkte Quelle" gedient hat . Nicht nur formale Unterschiede von unserer Gesetzessprache fallen bei ihrer Lektüre auf, z . B. ist „ Kassation " unsere Revision , eine Berufung fehlt, „ Revision" bedeutet unser Wiederaufnahmeverfahren , sondern auch materielle, z . B. die Verbindung von Straf- und Zivilprozeß in den Artt. 107 ff. , wo die Schadenersatzentscheidung, nicht nur die Zuerkennung einer Buße (wie in StPO . §§ 442 ff. , StGB. §§ 188 , 231 ) den Militärbehörden überlassen ist - ein Rechtsgebrauch übrigens , der viel für sich hat, da tatsächlich „ in den meisten Fällen , z . B. bei Diebstählen, Unterschlagung, Betrug, der Zivilpunkt mit der Straffrage abgeklärt ist" (Botschaft des Bundesrats vom 10. April 1888 ), und der der rechtlichen und prozessualen Sonderstellung des Militärs mindestens da entspricht, wo zwei Militärpersonen als Täter und Verletzter die Parteien bilden . Ein Vorzug des Gesetzes ist seine Einfachheit in Inhalt und Form ; man merkt noch manchmal, daß der Bundesrat ursprünglich ein Militärgesetz hatte schaffen wollen , das „ im Dienstbüchlein des Soldaten abgedruckt" und dessen Verständnis angepaẞt werden sollte. Freilich braucht ein Prozeßgesetz weniger dem allgemeinen Verständnis zugänglich zu sein , als das Strafgesetz selbst, das die Normen enthäit, aber gerade der Militärprozeß, der zum Teil in den Händen von nicht juristisch geschulten Gerichtsoffizieren liegt, sollte möglich verständlich dargestellt werden und möglichst wenig
106
Literatur.
umständlich zu handhaben sein . Dem dahingehenden Bestreben des vorliegenden Gesetzes schließen sich die klaren Erläuterungen, die A. Stooẞ offenbar ein Verwandter des Wiener Strafrechtslehrers , der an den Vorarbeiten zu unserem künftigen Strafgesetzbuch tätigen Anteil genommen hat - zu den einzelnen Artikeln gibt, mit Erfolg an. Stooß bietet neben reichem historischen Material, neben Verweisen auf die deutsche und französische Literatur und Judikatur kurze Richtlinien , die den Kommentar zu einem brauchbaren Handbuch machen , zumal in dieser Zeit, wo auch die Schweiz zum Schutz ihrer Neutralität ihre waffenfähige Mannschaft unter die Fahne gerufen hat. Zwischen Aisne und Argonnen .
Eindrücke und Erlebnisse an der
Schlachtfront von Erich Köhrer , mit 36 Abbildungen . Concordia, Deutsche Verlagsanstalt G. m. b. H. in Berlin SW . 11. Preis 1 M.
Der Verfasser, welcher als Begleiter eines Liebesgabentransports das Schlachtfeld besuchte, tritt als Augenzeuge auf, und führt uns mitten in die interessantesten Einzelheiten des Kriegslebens . In lebendiger Schilderung läßt er uns Einblick tun in Naturschönheit und Schlachtgewühl ; er führt in Schützengräben und Erdhöhlen , läßt die wunderbare Art des modernen Artilleriegefechtes miterleben, und zeigt die Verwüstung des Kampfgebietes, wie das Elend seiner Bewohner. Über allem aber steht der deutsche Soldat, Offizier wie Linien- und Landwehrmann , mit seiner unvergleichlichen Pflichttreue, seinem tiefen , warmen Gemüt, und mit seiner Zuversicht und dem Willen zum endlichen Sieg ! Guter Bildschmuck veranschaulicht die lebendigen Worte. Durch den geringen Preis sollte die gediegene Broschüre M. D. vielen zugänglich gemacht werden . Meine Erlebnisse in Frankreich 1870/71 . Kriegserinnerungen eines Füsiliers vom Infanterie- Regiment Nr. 55 von August Otto. 346 Seiten. Verlag Gerhard Stalling in Oldenburg i . Gr. Geheftet 1,75 M. , gebunden 2 M. Zur Zeit des jetzigen großen Weltringens ist der Verlauf des Krieges 70/71 uns nicht wertlos geworden , sondern tritt vielmehr von neuem in den Vordergrund ; gründet sich doch auf ihn die 40jährige Geschichte des Deutschen Reiches , und somit auch die große Zeit, in der wir jetzt stehen . Schlichte Tagebuchblätter eines einfachen Soldaten sind es, die sich uns darbieten . Der Leser erwarte nicht eine großzügige Übersicht über den Verlauf des Krieges ; diese ist uns von anderen Seiten so reichlich dargeboten worden , daß wir gern ein Buch zur Hand nehmen , welches uns die unmittelbare Empfindung des einfachen Mannes in seinen eigenen Erlebnissen wiedergibt, und zwar äußert sich diese gleich lebendig in der Schilderung von Gefahren und Nöten , von fast übermenschlichen Anstrengungen und Entbehrungen, als auch in solchen von ersehnten Ruhepausen , die einen frischen Humor reichlich zu seinem Recht kommen lassen. Schöne Einblicke
Literatur.
107
tut man in das Verhältnis von Offizieren und Mannschaften, wie auch der Mannschaften untereinander. Da die Aufzeichnungen anfänglich nicht für den Druck, sondern nur für die eigene Erinnerung bestimmt waren, wirken sie doppelt ursprünglich und lebendig. Man erfreue sich selber an dem Werk und gebe es dann an Lazarette weiter der deutsche Soldat von 1870 und 1915 sind sich so verwandt , daß sie sich sofort verstehen werden . M. D. Die werdende Macht. Von Otto von Gottberg. Berlin . August Scherl G. m. b. H. Geb. 4 M. „ Die werdende Macht" ist unsere herrliche Flotte. Wenn es wirklich noch eines Beweises bedarf, daß sie vom Werden und Lernen zur Reife und Meisterschaft gediehen ist , dann liefern Gottbergs treffsicher gezeichnete Marineoffiziere und blaue Jungen diesen Beweis aufs überP. H. zeugendste selbst . Als Adjutant in Frankreich und Belgien. Otto von Gottberg hat manchen oder eigentlich jeden Krieg neuerer Zeit als Zuschauer beschrieben . Heute schildert er uns in einem Buch , das unter obigem Titel bei August Scherl G. m. b . H. zum Preise von 1 M. erschien , seine Erlebnisse als Mitkämpfer an unserer Westfront. Das Glück, das ihn in früheren Feldzügen stets dorthin führte, wo es zu schauen gab , blieb ihm treu , denn wenigen unserer Feldgrauen dürfte es einmal beschieden sein, auf ein gleich buntes , packendes und vielseitiges Erleben zurückzublicken. Wer draußen in Ost oder West Verwandte hat, wird beim Lesen des Buches mit Freude sehen , daß der Kampf unseren Soldaten auch Heiteres bietet. Über Leiden und Verluste gleitet die Erzählung hinweg. P. H. Friedrich der Grosse und sein Heer.
Von Dette.
Göttingen , Van-
denhoek & Rupprecht. Geh . 2,80 M. Ein fleißiges Buch, das gestützt auf ein reiches Quellenmaterial in kritischer Form die Arbeit des großen Königs beschreibt und beleuchtet. Die Einteilung des Stoffes ist klar und übersichtlich , die P. H. Darstellung knapp und packend. ,, Das deutsche Herz ". Feldpostbriefe unserer Helden . Der Krieg, von unseren Kriegern selbst erzählt ! Das ist der große Reiz dieser Sammlung von Feldpostbriefen aus Ost und West, von See und Übersee, die im Verlag von August Scherl G. m. b. H. erscheint. P. H. Preis 2 M. ,,Deutsche Heldenlieder" . 2 M.
Berlin , August Scherl G. m. b. H.
Brosch .
Eine Sammlung der besten Gedichte, aus der Fülle, die uns der Krieg in so reicher Menge gebracht hat. Eine Auswahl, wohl wert, im Gedächtnis der Miterlebenden und der Kommenden weiter zu leben .. P. H.
108
Literatur .
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt. ) 1. Chronik des Deutschen Krieges . VI. Band . Becksche Verlagsbuchhandlung . Geb. 2.80 M.
München .
C. H.
2. Prigge, Dardanellen - Kriegstagebuch . Weimar 1916. Verlag Gustav Kiepenheuer. Kart. 2.- , geb. 3. M. 3. Immanuel, Wie wir die westrussischen Festungen erobert haben. Ein Beitrag zur Geschichte des Weltkrieges . Berlin 1916. E. S. Mittler & Sohn . 1.75 M. 4. v. Pastor, Konrad von Hötzendorf. Ein Lebensbild . Freiburg i. Br. 1916. Herdersche Verlagsbuchhandlung. Kart. 1.40 , geb. 2.— M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z. D. H. Rohne) enthält u . a. folgende Arbeiten : A. S .: Der Tag von Lens. Pilgram , Militärbaumeister : Über den Einfluß schnell vorübergehender Gasdrucke auf die Formänderung und Beanspruchung eines Geschützrohres. Krebs , Wilhelm : Die Hörweite des Geschützdonners . III u . IV. Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen.
A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber) , Potsdam.
X.
Einige kurze militärische Betrachtungen. Von Frhr. v. Welck, Oberstleutnant a. D.
Über ,, Kriegsziele " darf, ganz berechtigter Weise , vorläufig nicht geschrieben werden, obgleich es gewiß wertvoll wäre , die Ansichten und Wünsche von verschiedenen Seiten und von verschiedenen politischen Parteien kennen zu lernen .
Aber die alte Regel, daß man das
Fell nicht verteilen soll, ehe der Bär erlegt ist, hat noch immer und auch im gegenwärtigen Falle seine volle Berechtigung und somit seine Gültigkeit . Nächst dem darf man wohl annehmen , daß die Meinungsverschiedenheiten nicht gar so groß sind. Einmütig im ganzen deutschen Volke ist jedenfalls der Wille , daß der Friedensschluß nach siegreich beendetem Kriege Gewähr bieten muß für einen dauernden Frieden und die Mittel, unsere unbedingte Selbständigkeit politischer, militärischer, merkantiler und industrieller Hinsicht Lande und zu Wasser zu stellen.
Die Frage ,
erzielen sei , wird
in zu
für alle Zeiten und uneingeschränkt sicher wie
diese
Sicherstellung am besten zu
natürlich verschieden beantwortet.
Hier kommt
in der Hauptsache die Verschiedenheit des politischen Standpunktes zur Geltung. Alle diese Fragen können naturgemäß ihre Beantwortung erst finden, wenn der Krieg beendet ist und seine Ergebnisse fest stehen. Dann erst , wenn die Waffen ruhen, kann die Tätigkeit und Wirksamkeit der Diplomaten und der Staatsmänner einsetzen. Daß wir dieser Arbeit. mit dem gleichen Vertrauen entgegen sehen können, wie bis dahin dem unserer Kriegsleiter und unserer unvergleichlichen Truppen , das ist nicht allein unsere Hoffnung , sondern auch unsere feste Gewißheit. Auch aus diesem Grunde halten wir es für richtig , daß jetzt auf jede Besprechung der ,,Kriegsziele" verzichtet wird. Neben diesen Kriegszielen und Kriegsfolgen,
die sich auf die
politische Gestaltung des größten Teiles der Erde und auf das gegen9 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine Nr. 534.
110
Einige kurze militärische Betrachtungen .
seitige Verhältnis der jetzt im Kampfe stehenden Völker beziehen werden, wird aber der Krieg auch einen umfassenden Einfluß ausüben auf die innerpolitischen Verhältnisse aller beteiligten Länder , also auch unseres deutschen Vaterlandes. Wir denken , daß es namentlich Verfassungs- und Organisationsfragen sein werden, die in den Vordergrund treten . Unter den letzteren werden die Fragen der militärischen Organisation in ihrer verschiedenen Abgrenzung naturgemäß eine große, wohl die größte Rolle spielen , da wir doch dem Waffenerfolg in erster Linie die Neugestaltung verdanken .
Der Welt-
krieg, der jetzt , wo wir dies schreiben, seit 19 Monaten währt , hat in vielen Beziehungen gänzlich neue Erscheinungen und im Zusammenhang damit neue Lehren in bezug auf die zur Kriegführung dienenden Mittel, in bezug auf Bewaffnung und Waffenausnutzung, in bezug auf die Verwendung der Truppe und auf die Potenzierung der Leistungsfähigkeit , im allgemeinen in bezug auf Strategie und Taktik gezeitigt , so daß es mühevoller Arbeit bedürfen wird, um hierin Überblick und Klarheit zu schaffen . Es würde unser Wissen und nächst dem den uns zur Verfügung stehenden Raum weit über schreiten, wenn wir hier auch nur oberflächlich die wichtigsten Neuerungen, die der Krieg geschaffen hat , besprechen wollten , Neuerungen , die noch vor wenigen Jahren die kühnste Phantasie nicht hätte ausdenken können , aber einen flüchtigen Blick dürfen wir auf das gesamte Gebilde unserer Armee, wie es sich uns seit 19 Monaten zeigt in seiner gänzlichen Verschiedenheit von früheren Lehren und Erfahrungen , werfen und dem Eindrucke , den wir an der Hand der allerdings sehr diskret gehaltenen Kriegsberichtserstattung empfangen haben, Worte leihen . Stellt man einen Vergleich an zwischen unseren Armeen, die heute in West, Ost und Süd weit im Feindesland stehen , in bezug auf Organisation, Leitung , Bewaffnung, Kampfweise usw. und unseren Armeen, die vor 45 Jahren in Frankreich kämpften, so glaubt man, nicht in ein anderes Jahrhundert, sondern in ein anderes Zeitalter versetzt zu sein , und den alten Mitstreitern aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts fehlt oft nicht allein das rechte Verständnis , sondern auch der richtige Maßstab zur Beurteilung . Als im August 1914 der Krieg zum Ausbruch kam , da schien es zunächst , als würde er sich in bekannten Bahnen entwickeln :
Armeekorps wurden
zu Armeen vereinigt
und
große
Kavalleriekörper waren vor der Front , auf deren Zusammenstoß mit der feindlichen Reiterei, der im Westen wie im Osten seitens unserer Gegner die gleichen Aufgaben zugeteilt waren, man rechnete ; diesen Kavalleriekämpfen sollten große entscheidende Feldschlachten und
Einige kurze militärische Betrachtungen .
111
das Vordringen in Feindesland folgen. So hatte der Krieg gegen Frankreich im Jahre 1870 begonnen , und nicht allein für den Laien , sondern auch für den Fachmann , der nicht die Möglichkeit gehabt hatte, allen Veränderungen der Kriegslehren seit 40 Jahren zu folgen , lag eigentlich kein Grund vor , an eine vollständige Änderung und Neugestaltung derselben zu denken . Wir glauben sogar , daß auch recht einsichtsvollen und gut orientierten Fachmännern große Überraschungen durch die erste Entwicklung des Krieges bereitet wurden . Daß die Kampfweise der Infanterie und vielfach wohl auch die der Artillerie und Kavallerie eine andere sein werde und sein müsse, als vor 45 Jahren , das war ja selbstverständlich, und schon die letzten Kriege im Osten - Russischhatten die nötige Unterlage dazu Japanischer und Balkankriege geboten; aber daß der ganze Feldkrieg sich nach wenigen Wochen zu einem Stellungskriege umwandeln würde , und daß es nach 19 Monaten im Westen zu keiner entscheidenden Schlacht und im Osten zwar zu vernichtenden Niederlagen des Feindes , aber trotzdem nicht zu seiner Ausschaltung kommen könne , das war nicht vorauszusehen . Unvorbereitet auf die neue Gestaltung der Kampfweise war keine der Armeen, die von Anfang an aufeinander stießen. Namentlich war es wohl die Infanterie , die seit vielen Jahren schon in der Weise ausgebildet wurde, wie es die heutige Taktik verlangt, und die von den Verhältnissen gebotene Verwendung der Infanterie bot weder für unsere , noch für die der französischen und englischen Armee Überraschungen , insoweit es Formation und Angriffsweise betraf.
Vielfach
neu war hingegen die ausgiebige Verwendung der Infanterie als Pioniere. Wohl galt der Spaten schon als wichtige Hilfswaffe aller Waffengattungen, aber die Schwierigkeit der Durchführung größerer und durchgreifender Übungen , Schwierigkeiten , die durch die Kürze der Dienstzeit , durch die Mannigfaltigkeit der geforderten Ausbildung, nächst dem aber durch die Geländeverhältnisse und - nicht zumindest
durch
finanzielle
Rücksichten
hervorgerufen
traten vielfach hemmend und hindernd in den Weg.
wurden ,
Hand in Hand
mit der Ausdehnung der Spatenarbeit ging der Minenkrieg, früher nur von den Pionieren geübt , jetzt Kampfform aller Waffengattungen . Ganz neu war der Kampf mit Handgranaten, Minenwerfern usw.
Auch hinsichtlich der Verwendung der Maschinengewehre und der Die schweren Artillerie sind wichtige Veränderungen eingetreten . einflußreichste Neuerung bietet die Ausgestaltung des Flieger- und Luftschiffwesens. Waren schon im Balkankriege die Flugzeuge vielfach zu Erkundungs- und Aufklärungszwecken verwendet worden , so sind sie jetzt eine mächtige Kampfwaffe geworden . Formationen , 9*
112
Einige kurze militärische Betrachtungen.
die wir in der deutschen Armee noch nicht erprobt hatten , wie die Gebirgsartillerie und die Skiläufer, spielen jetzt eine hervorragende Rolle. Inwieweit diese im jetzigen Stellungskriege gemachten Erfahrungen Einfluß haben werden auf die spätere Ausbildung und Verwendung der Truppe , das wird erst die Zukunft lehren. Aber gewisse Fundamentalerscheinungen können doch jetzt schon festgestellt werden . Wir rechnen hierzu das gemeinsame Wirken aller Waffengattungen unter mehr oder weniger durchgeführtem Wegfall ihrer Verschiedenheit : Die Feldbefestigungen in einer Ausdehnung, die bis dahin unbekannt war — werden, wie schon erwähnt , nicht mehr von den Pionieren allein ausgeführt , sondern ebenso von der Infanterie und Kavallerie , ganz abgesehen von den zu diesem besonderen Zwecke gebildeten Armierungstruppen ; die Bedienung am Geschütz , am Telegraph und Telephon , sowie an allen Arten von Beobachtungsstellen fällt allen Waffengattungen zu . Der außerordentlich große Bedarf an Offizieren , der durch die fortdauernde Vermehrung, Ergänzung und Neuausbildung der Armee entsteht, ist vielfach nicht durch die Offiziere der eigenen Waffengattung allein namentlich bei der Infanterie - zu decken , sondern er erfordert Abgaben von den anderen Waffen , speziell von der Kavallerie, und wir finden eine große Anzahl von Offizieren, die bei anderen Waffengattungen , im Felde sowohl wie bei den Ersatztruppen , Dienst tun und die diese Stellungen vollwertig ausfüllen.
Gewiß ein
herrliches Zeugnis für Leistungsfähigkeit , Pflichtbewußtsein und für treue Kameradschaft ! Während unsere Gegner, namentlich die Engländer und die Russen , in empfindlichster Weise an Offizieren Mangel leiden , die geeignet sind, die Truppen auszubilden , zu führen und auf ihren Geist einzuwirken , haben wir in unseren Reserveoffizieren ein Material gefunden , das alle Erwartungen und Hoffnungen, die man auf sie setzte , weit übertroffen hat.
Alle Berufszweige, alle Stände stehen als Reserveoffiziere
in der Front oder an anderen verantwortungsvollen Stellen , nicht allein als Kämpfer und Arbeiter, sondern auch als Erzieher und leuchtende Vorbilder. Einen Unterschied zwischen aktiven Offizieren und Reserveoffizieren gibt es kaum noch, denn auch die Scheidungen , die durch politische oder religiöse Stellung hervorgerufen wurden , sind im Laufe des Völkerkrieges geschwunden und es gibt nur noch einen Deutschen Offizier. Der Arzt, der Advokat , der Professor , der Lehrer , der Künstler und der Handwerker
alle führen ihren Zug oder auch die Kom-
pagnie, alle setzen mit gleicher Begeisterung und Selbstverleugnung Blut und Leben ein für das geliebte Vaterland und für das Wohl der
Einige kurze militärische Betrachtungen .
113
Untergebenen und der Kameraden , und die Leistungsfähigkeit steigert sich im Verhältnis zu den Anforderungen, die gestellt werden müssen. Man sehe nur, wie viele Leutnants Kompagnie- oder Batterieführer sind , wie viele Hauptleute an der Spitze der Bataillone usw. stehen . Aber nicht genug hiermit ! Herzerhebend ist es, wenn man betrachtet, wie viele alte Offiziere , die längst zu einer Dienstleistung nicht mehr verpflichtet waren , sich begeistert wieder zur Verfügung gestellt haben, um nicht nur in Stellungen hinter der Front , sondern in vorderster Linie an der Front wieder zur Waffe zu greifen und Gesundheit , Blut und Leben dem Vaterlande freudig zum Opfer zu bringen. Hier müssen wir ferner noch einer Kategorie unserer ålten Kameraden gedenken , die in hingebendster Weise dem Vaterlande dienen und den an sie gestellten Anforderungen in jeder Hinsicht entsprechen . Es sind dies die alten Unteroffiziere , die als Offizierstellvertreter und als Feldwebelleutnants dem ersten Rufe ihres Kaisers wieder gefolgt sind , und denen jetzt zum großen Teil die so überaus wichtige Ausbildung des Ersatzes obliegt . Man sieht bei unseren Ersatztruppen verhältnismäßig nur sehr wenige Offiziere , sondern die Stellen sind zum weitaus größten Teil mit alten Unteroffizieren besetzt, und wir haben keinen gehört , der nicht mit freudigem Herzen seinen bürgerlichen Beruf aufgegeben , Frau und Kinder verlassen hätte , um sich dem Vaterlande und der Armee dienstbar zu machen . Solch' eine Armee , solch' ein Volksheer im besten Sinne des Wortes , kann nicht besiegt werden. Die russischen Horden und die englischen Söldner kämpfen nicht gegen die deutsche Armee , sondern gegen das deutsche Volk! Wir schließen diese flüchtigen Betrachtungen , indem wir auf den Schluß von Houston Stewart Chamberlain's jüngster vortrefflicher Schrift : ,,Politische Ideale" hinweisen¹) .
Er macht den ,, zögernden
Versuch, die zukünftige Gestaltung des Staates (des deutschen ) zu erraten“ und schreibt : ,, In dem deutschen Volksheer ist jeder Soldat des anderen Kamerad, der jüngst Eingereihte der des obersten Kriegsherrn ; das Gefüge bildet eine Familie ; was alle gleich macht, ist die Verpflichtung bis zum Tode und der dem gleichen Ziele gewidmete Dienst ."
,,Den Idioten , die über den Militarismus wehklagen , ist zu
erwidern , daß dieser Begriff gerade in Deutschland keinen Sinn mehr besitzt ; in dem Heere steht das erste große Stück des neuen Staates da, das Bollwerk für deutsche Freiheit -- nämlich dafür, daß Deutschland ,,frei" sein wird, sein Ideal eines Kulturstaates inmitten einer
1 ) H. St. Chamberlain , Politische Ideale.
München 1915.
114
Das Ende des Dardanellen - Unternehmens.
feindlichen, der Unkultur verfallenen Welt zu errichten.
Ohne Armee,
ohne diesen großartigen Bund der heilig ernsten Kameradschaft , der fraglosen Unterordnung aller,
unbekümmert
um Stand,
wie
um
politisches und kirchliches Bekenntnis , wäre schon heute alles verloren "
XI . Das Ende des Dardanellen-Unternehmens. ')
Von v. Richter, Generalmajor z. D.
Die entscheidenden Kämpfe um Besitzergreifung der Halbinsel Gallipoli hatten, wie im Novemberheft 1915 geschildert , im August v . J. stattgefunden. Zu ihnen waren von den Verbündeten starke Kräfte eingesetzt und viel Munition aufgewendet . Sie wurden in der Anafartaebene durchgeführt, wobei die Truppen der beiden anderen Landungsstellen bei Ari Burun und Sedd ul Bahr unterstützend mitwirkten Als Endergebnis blieb, daß die Türken die von ihnen besetzten Höhen behaupteten, Engländer und Franzosen nicht über ihre Anfangsstellungen hinaus Gelände zu gewinnen vermochten . Die schweren Verluste und Anstrengungen hatten die Kräfte der Angreifer erschöpft und verWie schon in der ursachten das Abflauen der Unternehmungen . zwischen den großen Schlachten liegenden Zeit kam es auch weiterhin fast täglich zu Kämpfen zwischen den Artillerien , an denen sich in der Regel auch die Geschütze der anwesenden Schiffe beteiligten . Hierbei wurden Verschanzungsarbeiten zerstört, Fliegerschuppen und Flugzeuge . Kreuzer und Transport dampfer beschossen , der Verkehr zwischen Schiffen und Landungstruppen belästigt usw. Durch kleinere Unternehmungen suchte man dem Gegner Teile seiner Anlagen zu entreißen, Minenkrieg und Handgranaten spielten eine gewisse Rolle , Stickgase wurden angewendet, kurz nichts unterlassen , um den Feind zu beunruhigen und zu schädigen .
Durch diese
natürlich nennenswerte Erfolge nicht erzielt.
kleinen Mittel wurden Vereinzelt erhoben sich
die Kämpfe zu größerem Umfange , so am 23. September, bei denen die Australier erhebliche Verluste erlitten, und am 6. November, an 1) Erläuternde Skizze siehe Novemberheft 1915 .
115
Das Ende des Dardanellen - Unternehmens .
welchem Tage gegen den linken Flügel der Türken bei Sedd ul Bahr 1300 Geschosse gefallen sein sollen , deren Wirkung ihrer Masse aber in keiner Weise entsprach. Für den 18. November stand die Ankunft des englischen Kriegsministers Lord Kitchener bevor, der sich von dem Stand und den Aussichten der Dinge überzeugen und darüber nach London berichten sollte. Die am 14. und 15. November von allen drei Landungsplätzen aus unternommenen größeren Gefechte scheinen den Zweck verfolgt zu haben, den hohen Besuch mit der Meldung günstiger Ergebnisse empfangen zu können.
Die am Tage seiner Anwesenheit ins Werk
gesetzten Angriffe dienten eingestandenermaßen dazu , Lord Kitchener Gelegenheit zu geben, sich ein eigenes Urteil über Verwendung und Verhalten der Truppen sowie die zu bewältigenden Schwierigkeiten zu bilden . Trotz enormer Munitionsverschwendung und gänzlicher Opferung einiger Kompagnien Kolonialtruppen war nichts erreicht worden . Vom 19. Dezember werden wütende Angriffe der Türken bei Anafarta und Ari Burun, der Engländer und Franzosen bei Sedd u Bahr gemeldet und als ihr Ergebnis tritt das Verschwinden der Verbündeten von den erstgenannten Landungsstellen zutage. Die Vorgänge hierbei werden von beiden Gegnern sehr verschieden geschildert . Die Türken stellen sie so dar , daß sie in der Nacht vom 18. zum 19. und am Morgen des 19. Dezember nach heftiger artilleristischer Vorbereitung ihre Angriffsbewegungen begannen, auf die die Truppen nach dem langen Verharren in der Verteidigung schon sehnsüchtig gewartet hätten . Erkenntnis des unaufhaltsamen Vordringens gegen die
In
Westküste
von Gallipoli hätte der Feind in der Nacht vom 19. zum 20. Dezember unter Zurücklassung seiner Kranken und Verwundeten die bei Anafarta und Ari Burun kämpfenden Truppen eingeschifft ; trotz dichten Nebels seien sie verfolgt worden . An den betreffenden beiden Stellen soll auch nicht ein feindlicher Soldat zurückgeblieben und die Beute groß sein. Zur Entlastung der Einschiffung sei von den feindlichen Truppen bei Sedd ul Bahr mit allen Kräften ein erfolgloser Vorstoß gegen die dortige türkische Stellung unternommen worden. Dagegen besagt ein französischer Bericht, daß nach gemeinsamem Plane des englischen und französischen Generalstabes beschlossen war . die an der Westküste von Gallipoli gelandeten Truppen an einem anderen Kriegsschauplatz zu verwenden, da sie auf ihrem bisherigen Kampfplatze nur von geringem strategischem Werte gewesen seien. Die Einschiffung der Truppen und des Kriegsgeräts habe sich zur gewollten Zeit unter den günstigsten Umständen und unbehelligt von den Türken vollzogen . In ähnlichem Sinne äußerte sich Lord Kitchener
116
Das Ende des Dardanellen - Unternehmens.
im Unterhause.
Das Zurückziehen der Truppen , die an mehreren
Punkten Fühlung mit dem Feinde hatten , sei unter dem Schutz starken Seenebels erfolgt, ohne daß die Türken es merkten . Die Behauptungen der beiden Berichte stehen sich in wesentlichen Punkten unvermittelt gegenüber. Da Vermutungen ausgesprochen sind, als hätten unsere Verbündeten durch rechtzeitiges, kraftvolles Zufassen dem abziehenden Feinde größeren Abbruch tun oder ihn sogar ins Meer treiben können , so sei versucht, den mutmaßlichen Ereignissen nachzuforschen . Als sicher ist anzunehmen, daß die Einschiffung der gelandeten Truppen aus eigenem Entschluß der Führer und völlig planmäßig erSie wurden zur Besetzung Salonikis als die zunächst verfüg-
folgte.
Gewichtige Stimmen hatten sich gegen ihr ferneres Belassen auf Gallipoli ausgesprochen und der den Oberbefehl führende General Monroe hatte bereits im November den Abzug befürwortet .
baren gebraucht .
weil der Nachschub ungewöhnliche Schwierigkeiten verursache und die Türken erhebliche Verstärkungen an Artillerie erhalten hätten , eine Behauptung, die von diesen selbst auch bestätigt wurde. Das Einschiffen mußte ungesehen vom Feinde und möglichst geräuschlos erfolgen Deshalb wurde dazu die Nacht gwählt und der bei Anbruch des Tages herrschende Seenebel als willkommener Bundesgenosse begrüßt . Zur Abwehr entsandter türkischer Patrouillen wird die stets bestehende , vielleicht verstärkte Sicherungslinie unverändert an der gewohnten. Stelle belassen sein . hinter ihr
Vor Weggang des Nebels konnte der Feind die Truppenbewegungen nicht wahrnehmen .
stattfindenden
Die nicht völlig zu vermeidenden Geräusche brauchten nicht auf eine Einschiffung hinzudeuten und wurden vermutlich durch den von Aber Sedd ul Bahr herüberdringenden Kanonendonner übertönt . selbst wenn Verdacht bei beginnendem Tageslicht geschöpft und zurückgemeldet wurde , so verging doch eine gewisse Zeit , bis der Angreifer den Abstand von einigen Kilometern mit angemessen starken Kräften zurückgelegt hatte, so daß es nicht undenkbar erscheint , daß die Ententetruppen ziemlich ungerupft davon kamen . Aber durch Streufeuer ihrer Artillerie hätten die Türken das Einbooten kräftig stören. Entfernung und Seitenrichtung nach den verschiedenen können. Stellen des Ufers mußte ihnen aus vorhergehenden Kämpfen ausreichend bekannt sein. Erhielten sie aber während der Nacht und des Nebels keine Kenntnis von dem Geschehnis , so lag kein besonderer Anlaß zum Schießen vor. Nun scheinen bei Eintritt genügender Helligkeit noch Transportschiffe in Tragweite der Geschütze wahrgenommen zu sein. Dafür, daß diese unbehelligt blieben, gibt das Pressebureau
Das Ende des Dardanellen- Unternehmens .
des türkischen Kriegsministeriums folgende Erklärung :
117
,, Das ganze
Geheimnis des Erfolges des Rückzuges beruht in dem Schutz durch die Genfer Flagge. Die Engländer brauchten , wie schon mehrere Male , Hospitalschiffe zum Transport gesunder Soldaten und Kriegsgeräts“. Daß die Türken die Genfer Konvention peinlich beachten , ist bekannt und durch Augenzeugen aus neutralen Staaten bestätigt. Wenn man auch den Engländern einräumen darf, daß die technische Anlage und Durchführung des Rückzuges als eine tüchtige Leistung anzusehen ist, so würde dies Zugeständnis doch eine wesentliche Einschränkung durch den Mißbi auch der Genfer Flagge erfahren . Außer Verwundeten und Kranken scheinen keine Gefangenen in die Hände der Türken gefallen zu sein, auch Geschütze wurden ihnen nicht zur Beute. Daraus läßt sich ebenfalls entnehmen, daß es zu belangreichen Kämpfen nicht mehr kam. Die zurückgelassenen Gegenstände bestanden in der Hauptsache in Bekleidungs- und Lebensmitteln, zum Teil von beträchtlichem Umfange, auch in etwas Munition. Die wertvollere Ausrüstung war weggeführt , ein Umstand, der dafür spricht, daß das Aufräumen und Verladen nicht überhastet zu werden brauchte . So blieb nur noch die Südspitze von Gallipoli bei Sedd ul Bahr in der Hand der Verbündeten und zwar hauptsächlich der Franzosen. Hier wurde weiter gekämpft und besonders in der Nacht vom 29. zum 30. Dezember herrschten heftiges Gewehrfeuer und Bombenkämpfe , am Nachmittag des 30. Dezember durch Artilleriefeuer , auch aus Schiffsgeschützen verstärkt. Wiewohl keine Aussicht bestand mit der geringen Truppenzahl zu erreichen , was mit der viel größeren nicht gelungen war, so sollte anscheinend der Welt doch gezeigt werden , daß man das Dardanellenunternehmen noch hartnäckig weiter betreibe . Die Sperrung der Meerenge hätte die überlegene Flotte sehr wohl ganz allein übernehmen können. Als dann am 9. Januar aus Konstantinopel gemeldet wurde, der Feind sei in der Nacht unter großen Verlusten vertrieben , war die Überraschung doch allgemein. Auch bei diesem Vorgange gehen die beiderseitigen Berichte weit auseinander. Die Türken wollen aus verschiedenen Anzeichen , wie Anwesenheit zahlreicher Transportschiffe vor den Landungsstellen und Benutzung von Hospitalschiffen während des Tages zum Wegschaffen von Truppen , schon seit dem 4. Januar auf die bevorstehende Räumung von Sedd ul Bahr geschlossen haben.
Dementsprechend
hätten sie alle Vorbereitungen getroffen, um die Flucht verlustreich zu gestalten.
Am 8. Januar gingen sie nach ausgiebiger Vorbereitung.
durch Artillerie und geworfene Bomben mit starken Aufklärungsabteilungen in der ganzen Front vor. Der Feind suchte durch das
Das Ende des Dardanellen - Unternehmens .
118
Feuer zahlreicher auf seinem linken Flügel vereinigter Kriegsschiffe , durch Infanteriefeuer aus
Schützengräben und Handgranaten den
Angriff abzuwehren , was ihm auch bis gegen Mittag gelang. In der Nacht vom 8. zum 9. Januar um 3 Uhr wurde, als der Beginn der Rückzugsbewegung erkannt war, in der ganzen Linie vorgestoßen, worauf ein Teil der feindlichen Truppen unter dem Schutz der feuernden Schiffsgeschütze zu den Landungsstellen floh , ein anderer durch Sprengen zahlreicher Minen den Vormarsch aufzuhalten suchte.
Nunmehr er-
öffneten die weittragenden türkischen Geschütze heftiges Feuer gegen die Landungsstege, die Landbatterien beschossen die feindliche Nachhut und brachten ihr zahlreiche Verluste bei und die Gebirgsgeschütze begleiteten den Nahangriff der Infanterie.
Was nicht dem wirksamen
Artilleriefeuer erlag, sei von der Infanterie niedergemacht worden . Hiernach mußte man auf zahlreiche Verluste der Verbündeten gefaßt sein.
Die Türken erwähnen aber nur Tote , die sie beerdigen mußten ,
keine Gefangenen . Außerdem wird die Versenkung eines Transportschiffes durch Artilleriefeuer berichtet , das von zahlreichen Batterien des europäischen und asiatischen Dardanellenufers während der Nacht dauernd gegen die feindlichen Einladestellen und Verbindungswege zum Strande gerichtet war. Von den Verbündeten behaupten die Franzosen, daß die Räumung glatt ohne Verluste und von den Türken bis zum 9. Januar früh unbemerkt verlaufen sei.
Das gesamte Kriegsgerät sei fortgeschafft mit
Ausnahme von sechs eingebauten , unbrauchbaren und gesprengten Marinegeschützen .
Die Türken sollen das Feuer erst am 9. Januar
um 4 Uhr morgens eröffnet haben, als die Einschiffung bereits beendet war. Nach der Meldung des Generals Monroe hätten die Türken schon am 7. Januar nachmittags mit heftigen Angriffen auf die englische Stellung begonnen und ihn bis zum Bajonettkampf, aber erfolglos vorgetragen. Die Verluste werden mit 5 Offizieren tot und 130 Mann tot oder verwundet angegeben, Gefangene nicht erwähnt. Ein heftiger Sturm habe das Einschiffen in der Nacht zum 9. Januar ungemein erschwert, es sei aber um 4 Uhr morgens beendet gewesen.
Die Gesamt-
zahl der zurückgelassenen und gesprengten Geschütze beziffert General Monroe zu 17 , während die Türken nur 15 vorgefunden haben wollen. Auffallend ist die Verschiedenheit der Daten für den Beginn der Schlacht . Da ihn Türken und Franzosen übereinstimmend auf den 8. Januar verlegen, dürfte dieser Tag zutreffend sein . Außer den erwähnten Geschützen erbeuteten die Türken bedeutende Mengen Munition , 100 Munitions- und 2000 gewöhnliche Fahrzeuge,
Das Ende des Dardanellen- Unternehmens . viel
Sanitätsmaterial,
Automobile,
Massen
von
119 Lebensmitteln ,
Fourage usw. Viele Gegenstände waren vergraben oder ins Meer geworfen. Nach Art und Zahl der im Stich gelassenen Gegenstände darf darauf geschlossen werden , daß die Zeit zur Beendigung des Einschiffens knapp wurde. Die Verluste der Engländer auf Gallipoli bis zum 11. Dezember 1915 bezifferte Staatssekretär Tennant an Toten , Verwundeten und Vermißten mit 4985 Offizieren , 108008 Mann , zusammen 112993 Köpfen. Außerdem sollen bis zur angegebenen Zeit 96682 Mann wegen Krankheiten in Hospitäler aufgenommen sein.
Da die Durchschnittsstärke
der Truppen von verschiedenen Seiten auf 200000 Mann angegeben wird, so muß ein sehr reichliches Auffüllen stattgefunden haben . Wie hoch sich die Verluste auf 100 Mann belaufen , läßt sich nicht zuverlässig ermitteln , da die Gesamtstärke nicht bekannt ist .
Schätzungsweise
müssen mehr als 60 auf das Hundert in Abgang gekommen sein. Am 10. Januar gab der Minister Asquith im Unterhause eine Erklärung ab, in der er es als wunderbar bezeichnete , daß der Rückzug der englischen Truppen nur den Verlust eines einzigen Mannes zur Folge hatte.
Der Vorgang würde stets einen hervorragenden Platz in
der englischen Geschichte einnehmen und
die Offiziere, die diese
Operation leiteten , verdienten die größte Anerkennung. Der amtliche Bericht des Generals Monroe über den Verlust von 135 Toten und Verwundeten kennzeichnet die Erklärung entweder als völlige Ahnungslosigkeit über die Tatsachen oder, um die Bedeutung des Miẞerfolges abzuschwächen, als bewußte Unwahrheit .
Mag auch die Leitung für
Vorbereitung und Durchführung des Abzuges alle Anerkennung verdienen, so besteht doch kein Grund, sie als eine bewundernswerte Tat von geschichtlicher Wichtigkeit zu feiern.
Es liegt Methode in der
jedes berechtigte Maß überschreitenden Anerkennung.
Der unrühm-
liche Ausgang des Dardanellenunternehmens soll der Welt gegenüber zu einer Glanzleistung abgestempelt werden. Man rechnet damit, daß eine von dem Vertreter der Regierung im Unterhause abgegebene Erklärung ihren Eindruck im Auslande nicht verfehlen wird, und so gelingt das Zauberstückchen , Weiß in Schwarz zu verwandeln .
Das
ist das Verfahren , um das Herrenvolk der Engländer und seine Bundesgenossen als auf dem Wege zum endgültigen Siege ansteigend darzustellen . Mitte Oktober 1915 wurde General Hamilton, der bis dahin mit dem Oberbefehl betraut war , abgelöst und nach London berufen, um seine Tätigkeit als Führer zu rechtfertigen.
Es müssen schwere Vor-
würfe gegen ihn erhoben sein , deren Besprechung im Unterhause mit der Begründung abgelehnt wurde, daß sie überflüssig sei .
Zu einer
120
Das Ende des Dardanellen - Unternehmens .
Untersuchung durch Sachkundige fehle es an verfügbaren, zuständigen Offizieren und die Zahl der zu vernehmenden Zeugen sei so umfangreich , daß eine unzulässige Schwächung der Front eintreten müßte ! Immerhin ist aus dem Bericht des Generals Hamilton , der durch die Zeitungen im Dezember besprochen wurde, so viel an die Öffentlichkeit gedrungen . daß man sich über seinen Inhalt in gewissen Grenzen ein Urteil bilden kann .
In der Hauptsache handelt es sich um die Schlacht vom 6. bis
8. August , die im Anschluß an die Landung bei Anafarta stattfand und für deren Scheitern General Hamilton verantwortlich gemacht war. Gleich zu Beginn des Unternehmens war General Stopford, der die Landung an der Suvlabucht im besondern zu leiten hatte , im dringendsten Augenblick nicht zu finden , wodurch zwei Brigaden ohne Führung dastanden , während der General und die Marinebehörden darüber stritten , wo der Rest der Truppen gelandet werden solle . Letztere setzten ihren Willen durch und die neuen Truppen kamen deshalb zu spät .
Dadurch ging der Vorteil der Überraschung verloren
und den Türken blieb erstmals Zeit, Verstärkungen heranzuziehen . Als dann General Stopford seine Unterführer zum Angriff drängte . erklärten diese ihre Truppen für so erschöpft, daß sie den Befehl nicht ausführen könnten. Auch den Befehlen des Generals Hamilton wurde ein non possumus entgegengesetzt und Vorschläge der Unterführer erschienen ihm wiederum nicht erfolgversprechend . Unter solchen Umständen langte die Tapferkeit der Truppen nicht aus, die Fehler der Führung auszugleichen. Australier und Neuseeländer sollen mit Todesverachtung vorgestürmt sein und anfangs erhebliche Vorteile errungen haben .
(Aus den Anfangsbuchstaben der Worte, aus denen
sich der Name der Truppenabteilung zusammensetzte : ,,AustralienNew-Zeeland- Army- Korps " entstand der Name Anzak" , der als Ehrenbezeichnung erhalten blieb und auch auf das betreffende Angriffsfeld übertragen wurde . )
Aber ihre Verluste waren ungeheuer
und die von der Suvlabucht her erwartete Unterstützung traf nicht ein. So blieben von 10500 Mann 6000 auf dem Felde der Ehre und gleichwohl war kein entsprechendes Ergebnis zu verzeichnen.
Neben diesen
und ähnlichen Beweisen von Tapferkeit wirkt das Verhalten der Truppen des Generals Birdwoods komisch, die sich nach ihrer Landung so versteckt haben sollen, daß die eigene Armeeleitung sie drei Tage lang nicht finden konnte! Man kann sich der Ansicht nicht verschließen, daß die Landung selbst nicht bis ins kleinste sorgsam vorbereitet war, wie es unter so schwierigen Umständen hätte erfolgen müssen, um überraschend und von vornherein mit überlegenen Kräften auftreten zu können.
General
Das Ende des Dardanellen- Unternehmens .
121
Hamilton scheint nicht die erforderliche Autorität besessen zu haben. um seinen Befehlen den nötigen Nachdruck zu geben, vorausgesetzt , daß seine Unterführer nicht zu begründeter Ablehnung Anlaß hatten. Im allgemeinen fehlte es an verständnisvollem Zusammenwirken der Führer und Truppen .
Mit einzelnen Glanzleistungen ohne sachgemäße
Unterstützung der Mitkämpfer war eine so schwierige Aufgabe , wie die hier vorliegende , nicht zu bewältigen.
Das Landungskorps war eben
erst aus verschiedenen Erdteilen her zusammengezogen , aber nicht zu gemeinsamem Handeln zusammengeschweißt . Daher sind die begangenen Fehler nicht zu verwundern. Der Bericht des Generals Hamilton gewährt auch einen Einblick in die Anstrengungen und Leiden der Mannschaften während der Gefechtstage. Die unerträgliche Hitze und fortwährenden Kämpfe in schwierigem Gelände führten zur Erschöpfung
und zwangen dazu .
eine zwölfstündige Ruhepause eintreten zu lassen, die ebenfalls von den Türken zum Heranziehen von Verstärkungen ausgenutzt werden konnte und wurde.
Sehr fühlbar machte sich der starke Mangel an
Wasser, das von den benachbarten Inseln erst herangeschafft werden . mußte. Aus diesen verschiedenen Umständen erklärt sich auch die hohe Zahl Kranker. Die von den Türken gemachte sehr große Beute nach Art und Zahl der verschiedenen Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke , der verschwenderischeVerbrauch an Munition , der Bedarf an Lebensmitteln usw. lassen eine Vorstellung zu , was alles herbeigeschafft werden mußte, um mit dem Unternehmen durchzuhalten. daraus entstanden sein !
Und welche Kosten mögen
Einen annähernden Begriff davon läßt das
Eingeständnis Mr. Asquiths im Unterhause anfangs Novembar 1915 zu , in dem er von ernster Finanzlage spricht und die Kosten für den einzelnen Soldaten auf jährlich 3000 bis 5000 oder gar 6000 M. eingesteht . Die Höchstzahl dürfte auf das Dardanellenunternehmen entfallen sein. Mit solchen Aufwendungen kann auch das reichste Volk auf die Dauer nicht durchhalten! Der Versuch der Engländer und Franzosen , sich die Wasserstraße nach Konstantinopel zu eröffnen , bei dessen Beginn sie nach den Ausspruche Lord Churchills nur einige Meilen vom Siege entfernt waren , hat sich zu einem glänzenden Fiasko gestaltet . Das Scheitern bedeutet einen schweren Schlag gegen das Ansehen der Verbündeten bei den mohammedanischen Völkern. Ihre Erhebung, die durch die Entfaltung der heiligen Fahne nicht recht in Fluß kam, erhält neue Anregung. die sich bereits an der Westgrenze Ägyptens, in Arabien und Persien bemerkbar macht.
122
Des Balkankrieges dritter Abschnitt .
XII .
Des Balkankrieges dritter Abschnitt.
Von Rhazen , Generalleutnant z. D. ¹ )
Als am 7. Oktober v. J. der Tagesbericht aus dem Großen Hauptquartier des Vordringen österreichisch-ungarischer Truppen im Tale der westlichen Morawa über Slatina hinaus , das Erzwingen des Flußüberganges beiderseits von Kraljewo -- das nach heftigem Straßenkampf von brandenburgischen Truppen genommen wurde und 130 Geschütze Beute lieferte , das Eintreffen unserer Truppen dicht vor Krusevac meldete , waren, mit der Eroberung von Nisch , Kragujevac und Kraljewo , die lebendigen Widerstandszentren Serbiens gefallen.
Die Verbindung der nördlich der Nischawa operierenden
Armeen Bojadjeff mit der Armee Gallwitz war nicht nur hergestellt, sondern auch eine derart günstige operative Lage geschaffen, daß die Vorbewegung der einen Armee den der anderen gegenüber stehenden Feind in der Flanke faßte. Das Überschreiten der westlichen Morawa an drei Punkten , zu denen als vierter bald Krusevac kam ,
sicherte
den Armeen Köveß und Gallwitz ein Vordringen in breiter Front. Die flankierende Wirkung der Armee Bojadjeff auf die im Raum westlich der Binaca Morawa befindlichen serbischen Heerteile mußte die Überwindung der südlich Stalac der Armee Gallwitz entgegenstar renden Jastrebac-Planina erleichtern .
Die im Tale der bulgarischen Morawa
vorgehenden bulgarischen Truppen waren in die Ebene von Leskovac eingetreten.
Bei Krivolac- Prilep - Strumitza war ein britisch-fran-
zösischer Offensivversuch schon geworfen . Petersburger Meldungen besagten, der
Sarrail sehe
die
bis
dahin bei
Saloniki
Oberkommandierende
gelandeten
(angeblich)
150000 Briten und Franzosen für die Operationen als nicht ausreichend an und wolle das Eintreffen von Verstärkungen erst abwarten. Mit der am 2. November 1915 eingesetzten allgemeinen Offensive gegen Montenegro, die langsam fortschritt , sollte auch die noch offene vierte Seite den Serben verschlossen werden. In seiner Nummer vom 8. November sprach der
Bund" sein
Urteil über die Lage, dem Sinne nach, wie folgt aus : Der serbische Feldzug nähert sich, soweit es sich um das Ringen des serbischen Heeres ' ) Vgl. den Aufsatz im Januarheft.
Des Balkankrieges dritter Abschnitt .
123
mit der Invasion handelt, seinem Ende. Schon hat sich als letzte Staffel der Offensivarmeen eine vierte Kräftegruppe in Bewegung gesetzt, um auf der Westfront den Angriff gegen Montenegro vorzutragen.
Während bisher dort nur bei Visegrad, am linken Flügel,
ge-
kämpft wurde , ist es nun auch auf dem rechten Flügel zu größeren Kämpfen gekommen . Dort hatten die Montenegriner bei Trebinje eine Sperrstellung inne , die, nach österreichischen Berichten, am 6. November durchbrochen worden ist. In der Richtung von Cacak auf Kraljewo haben die Österreicher Slatina genommen .
In heftigem Kampfe ist Kraljewo von den Deut-
schen erobert worden . Nach der deutschen Meldung vom 6. November wird die Verfolgung der Serben
in östlicher Richtung fortgesetzt .
Da die serbische Hauptrückzugslinie aus dem oberen westlichen Morawatale von Kraljewo zunächst in südöstlicher, dann in südlicher Richtung, das Ibartal aufwärts über Bogutowac nach Raska führt , so sind die von Kraljewo südöstlich abziehenden Serben in Gefahr, zwischen Kraljewo und Krusewac abgeschnitten zu werden . sich aber nur um eine abgesprengte, Nachhut von nur geringer Stärke .
Vielleicht handelt cs
zur Aufopferung bestimmte
Die durch das Gruzatal dringende
deutsche Abteilung hat Studal, 40 km westlich Krusewac, erreicht . Diese letzte Sperrfestung im westlichen Morawatale sicht den Feind jetzt vor ihren Toren und wird kaum längeren Widerstand zu leisten vermögen.
Stalac wird schon besetzt sein.
Die Serben beginnen der
Verfolgung zu erliegen, die vermehrte Zahl von Gefangenen , starke Verluste an zurückbleibendem Material sind ein Zeichen der Hoffnungslosigkeit ihrer Lage.
Die bulgarische Armee Bojadjeff hat mit dem
rechten Flügel auf der Linie Zeitschar-Paracin die Verbindung mit der Armee Gallwitz hergestellt , auf der Linie Knjacevac-Aleksinac Sokobanja erreicht und dringt auch mit dieser zweiten Kolonne rasch . vorwärts .
Der konzentrische Angriff auf Nisch hat die Mittelgruppe
Bojadjeffs am 5. November in Besitz dieser Festung gebracht ; das Gros der um Nisch stehenden Serben ist in der Richtung auf ProkupljeKursumlja abgezogen . Der linke Flügel Bojadjeffs hat im Vlasinatale weitere Fortschritte gemacht und steht vor Leskowac. Todorows Bewegungen sind abhängig von der Entwicklung der Verhältnisse im Südabschnitt die Folge zeigt , daß sie auch durch die Verhältnisse an der bulgarischen Morawa (und zwar in der Richtung der Defensive ) beeinflußt wurden, wo die Serben das nur sehr langsame Folgen des bulgarischen Brückentrains der Armee Bojadjeff geschickt gegen. diese ausnutzte
, wo die Bulgaren gegen die sich verstärkenden Fran-
124
Des Balkankrieges dritter Abschnitt .
zosen und Serben in der Defensive stehen . Mit dem Engpaß von Katschanik hat sich indes Todorow eine Schlüsselstellung erkämpft , deren Behauptung für ihn äußerst wichtig ist . Ob er auch in der Lage war, im oberen Wardartal auf Kalkandelen vorzustoßen, und sich damit der einzigen Nordsüdverbindung nach Monastir (abgesehen von der von der Bregalnitza über Pristina dorthin führenden
Hauptstraße)
zu bemächtigen , ist noch nicht klargestellt . Die Kämpfe im Raume Strumitza haben noch zu keiner Entscheidung geführt . Engländer und Franzosen sind dort auf der Front Kriwolac-Rabrowo in Stellungskämpfe verwickelt , die wohl mehr defensiven, als offensiven Charakter haben und vielleicht nur zur Offenhaltung des Operationsraumes von Prilep bestimmt sind .
Über die Zahl der Alliierten ist man noch im
Ungewissen, zu erfolgreicher Offensive sind sie nicht befähigt .
Wie
es scheint , kämpfen die Alliierten am unteren Wardar in der Verteidigung und halten sich mit Mühe den bulgarischen Angriff vom Leibe (wie wir sehen werden , hatte Todorow aber einige Zeitlang noch eine defensive Flankenschutzaufgabe für die an der bulgarischen Morawa kämpfende Armee Bojadjeff zu lösen , was er freilich so offensiv, wie ihm möglich gestaltete ) .
Der Aufmarschraum, den sie sich dadurch sichern wollen ,
wird keine Operationen mehr sehen , die von Einfluß auf den zu Ende gehenden serbischen Feldzug sein können .
Es müßte sich um
eine
völlige Neuaufnahme des Balkanfeldzuges durch die Allierten , d . h. , um eine überseeische Expedition größten Stils handeln , die einer unzerstörbaren Basis von vornherein entbehrte. Da mit Nisch, KrajugevacKraljewo die lebendigen Widerstandszentren Serbiens gefallen , wird sich der weitere Feldzug, sobald der Mündungswinkel der beiden Morawen ausgeräumt und der letzte Lebenspunkt an der bulgarischen Morawa, Stadt und Landschaft Leskowac, genommen ist , abseits der Hauptschlagader des Landes, im Sandschak Novi-Pazar und in der Landschaft Kossowo , abspielen. In Anpassung an die Verhältnisse ist der Feldzug, der am 5. Oktober an der Donau begann , und in der Kombination des strategischen Vormarsches von drei Seiten mustergültig bleibt , ohne Überstürzung, aber mit unbezwinglicher Energie geführt worden. “ Als diese Beurteilung erschien , war Leskowac, am folgenden Tage
auch Aleksinac , damit das an Hilfsquellen reiche Becken der Binaca Morawa in bulgarischen Händen , Krusevac, die westliche überschrittene Morawa und die Höhen südlich Kraljewo in denen der Verbündeten . das
Die Freunde Serbiens sahen sich nicht nur durch
Ausbleiben
einer Entscheidungsschlacht im Raume von Kragujevac getäuscht , sondern auch in der Erwartung eines Entscheidungskampfes an den Rändern der Höhen südlich der
125
Des Balkankrieges dritter Abschnitt. westlichen Morawa.
Am 11. November war die bulgarische Morawa
an mehreren Stellen durch die Arme Bojadjeffs überschritten , die Verfolgung auf der ganzen Front im guten Fortschreiten. Nach Verzicht auf die Verteidigung des Morawaabschnittes durch die Serben konnte man gespannt sein, wie sie ihre Armeen in die Richtung Novi-PazarMitrowitza bringen würden . Daß es ohne starke Einbußen nicht möglich sein werde, war sicher. Hatte Todorow die nötige Armfreiheit, so konnte das Tempo seiner Vorbewegung entscheidend werden für den serbischen Rückzug, je schneller dieses in Richtung auf Mitrowitza , um so enger mußte die Rückzugsfront der Serben werden , die durch vom Ibartale vorgehende Kolonne auch von Norden eingeschnürt wurde. Am 15. November meldeten britische
und italienische Blätter
einen für die Serben ungünstigen Verlauf der Kämpfe am Katschanikpasse , das Streben der Franzosen, sich mit dem linken Flügel über die Czerna nach Westen vorzuschieben , um Anschluß an die im Raum Prilep und Monastir stehenden , von der Hauptarmee abgesprengten serbischen Abteilungen zu gewinnen , die gegen von Veles in Richtung Prilep-Monastir
vordringende
bulgarische
Kolonnen ,
denen
sie
am Babunapa Halt gebieten wollten , einen harten Stand hatten. Bulgarische Nachrichten vom 14. November meldeten die Einnahme von Prokuplje , das Werfen der Franzosen auf das westliche Czernaufer durch bulgarischen Gegenstoß, südlich Veles , die Annäherung deutscher Truppen von Norden an Kursumlja , die Besetzung des ganzen Toplicatals und den Fall des Katschanikpasses nur noch als Fragen von Tagen . Am 17. November lief die Front der Vierbundtruppen von östlich Kalkandelen , südlich Katschanik in einem nach Norden ziehenden Bogen über Oruglica , dann westlich Leskowac nach Nordwesten gebogen, hart nördlich von Kursumlja , nördlich Raska über Javora mit einem Vorsprung gegen Süden , gegen Novi Varos , südlich Uwac über den Lim . Reuter meldete an demselben Tage die Bedrohung von Prilep und in zweiter Linie Monastir durch umgehende Bewegungen gegen den Babunapaß, Corriere della Sera eine dort von den Serben verlorene Schlacht, ,,Petit Journal" schrieb, unbeanstandet durch die Zensur , im ganzen Orient bestehe die Überzeugung, Rußland sei so gründlich geschlagen , für einen ernsten Feldzug in absehbarer Zeit nicht mehr fähig, die französisch-britische Expedition habe die Serben . nicht retten können . Ohne sich vom Feinde lösen gekonnt zu haben , waren die serbischen Divisionen zu dem konzentrischen Rückzug in der Richtung auf NoviPazar , Mitrowitza-Pristina gezwungen , der ihren Raum immer mehr 10 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 534.
126
Des Balkankrieges dritter Abschnitt.
beschränken und sie auf eine immer geringer werdende Zahl von Linien anweisen mußte. Am 19. November waren die Serben durch die Waffen der drei verbündeten Heere aus dem letzten Streifen altserbischen Bodens vertrieben, kämpften Truppen der Armee Gallwitz südlich des Prepolacsattels , die Armee Bojadjeff im Gebiete der Goljaka- Planina . Am folgenden Tage erzwangen österreichische Truppen gegenüber den Montenegrinern den Übergang über die obere Drina , besetzten deutsche Truppen der Armee Köveß Novi-Pazar, wurde der Gegner im Ibartal geworfen , und begannen die Armee Gallwitz und der rechte Flügel Bojadjeffs einen mehrtägigen Kampf um den Austritt in das Labtal, nördlich Pristina . Am 21. November schrieb der ,,Bund" : ,, Sobald die Verfolger von Sjenica und Raska her Novi-Pazar und von Kursumlja her den Paß von Prepolac in der Richtung auf Pristina erreicht haben , kämpfen die Serben, wenn sie diesen Todeskampf nicht durch auflösende Flucht über Ipek , Djakowo und Prisren nach Albanien ausweichen wollen , auf dem klassischen Amselfelde ihre letzte Schlacht. Betrachten wir (was es ja schon nicht mehr war ) Novi-Pazar als Außenposition , die schon aus dem Zusammenhange fällt, so erhalten wir als serbischen Verteidigungsraum heute nur noch ein Gebiet von wenigen Quadratkilometern, das sich am besten als ein Kreis bestimmen läßt , der mit 40 km um Pristina beschrieben wird und als wichtigste auf oder an der Peripherie
gelegenen Punkte Mitrowitza ,
Pozevac, Giljan und Varos begreift .
Prepolac,
Rapotowa,
Nun ist aber Giljan bereits von
den Bulgaren erobert, damit der vorbezeichnete Kreis aufgerissen worden, Pristina gefähr det, die Paßstellung von Katschanik im Süden. bedroht .
Katschanik liegt noch etwas außerhalb der Peripherie , und
zwar 15 km südöstlich von Varos .
Hier ist bekanntlich der südliche
Zugang zur Landschaft von Pristina , den die Serben verzweifelt verteidigen . Die serbischen Streitkräfte , die bei Mitrowitza-Pristina zusammengedrängt werden, haben mit den im südlichen OperationsraumMonastirPrilep kämpfenden Serben - die durch den von Üsküb nach Kalkandelen vorgeschobenen Querriegel von der Hauptmacht abgeschnitten sind, und, von der bulgarischen Südarmee auf zwei Fronten , über Kalkandelen, Gostiwar und Veles - Rabiowo angegriffen , am Zusammenbrechen sind keine Verbindung mehr. Erfolglose Versuche des
britisch-französischen
Expeditionskorps ,
sie
durch
Einnahme
einer Flankenstellung auf der Wardarlinie zu entlasten, und dann , durch Verschiebungen hinter dieser Schutzfront, über Kriwolac und Gradsko direkt zu unterstützen, zeigen, daß ein wohl angelegter kon-
127
Des Balkankrieges dritter Abschnitt.
zentrisch wirkender Operationsplan durch Nebenaktionen vielleicht gehemmt , aber nicht unterbunden werden kann . Die französischen Truppen, die sich bei Gradsko in die linke Flanke der bulgarischen Babunatruppen einzuschieben suchten , sind offenbar selbst umfaßt und geworfen worden . Darauf ist der Babunapaß dem bulgarischen Angriff erlegen und im raschen Vorstoß Prilep erobert worden. Die Tage von Monastir sind gezählt. Das britisch-französische Expeditionskorps ist bereits schwer gefährdet , seine linke Flank" hängt in der Luft. " Bei darum
den
Kämpfen
gehandelt ,
ob
in
Südmazedonien
es den
hatte
Entente truppen
es
sich
gelingen
werde , mit den abgesprengten, in die Gegend von Prilep gedrängten serbischen Teilen Verbindung zu gewinnen , durch einen gemeinsamen Stoß von Süden die Flanke der bulgarischen Gesamtarmee zu treffen und den Nord- und Südfront spaltenden Keil zurückzudrängen .
Je
weiter die Bulgaren , nach Einnahme von Prilep (bulgarischerseits , ebenso wie die Besetzung von Gostivar und Kalkandelen , wie die Einnahme von Gilany nach Durchbrechen des Zentrums der zurückweichenden Serben, auf den 16. November datiert ) vordrangen, desto länger mußte der von den Entente truppen zum Schutze der linken Flanke anzubauende Defensivflügel werden . Die Erfolge der Bulgaren in Südmazedonien erlaubten der nördlich. davon vordringenden bulgarischen Armee , durch einen Stoß in nordwestlicher Richtung die zurückgehenden Serben direkt in die Flanke zu treffen.
Von zwei wiederum konzentrisch vorgehenden
Angriffsgruppen hatte die eine (über Novi - Pazar ) Mitrowitza , die zweite Pristina zum Ziel. Im Sturmschritt näherten sich die Verbündeten, zum Teil unter heftigen Kämpfen , den genannten Hauptpunkten auf dem historischen Amselfelde.
Der Tagesbericht vom 23. November meldete erneutes
Werfen der Serben nördlich Mitrowitza , nördlich und nordöstlich Pristina durch österreichische und deutsche Truppen , südöstlich davon durch bulgarische.
Um den Besitz von Pristina tobte von drei Seiten
ein heftiger Kampf. Das wuchtige Vorstoßen der Gallwitzschen Truppen (in dessen Folge die Höhen von Prepolac genommen , der Übergang über den Labfluß beiderseits Podujewo erzwungen und die Talebene der Prvenitza überschritten wurde ) gegen den Gebirgsstock des Grodez , zwischen Labfluß und Sitnika, und das Gewinnen wichtiger strategischer Punkte im Raum von Pristina brachen den zähen serbischen Widerstand auf den Randhöhen des Amselfeldes.
Auch nordwestlich Mitrowitza
war das Gelände beiderseits des Ibar, das zu zähem Widerstand be10*
Des Balkankrieges dritter Abschnitt .
128
sonders geeignet, durch die Armee Köveß zu überwinden , bis am 24. November aus dem großen Hauptquartier der Draht die freudige Kunde in die Welt trug : ,,Mitrowitza ist von österreichischen , Pristina von deutschen
Truppen genommen . Die Serben sind westlich Pristina über die Sitnika zurückgeworfen. " Der letzte Streifen des alten Sandschak Novi- Pazar , der sich aus dem Knie des oberen Ibar und dem Tale der Sitnika zusammensetzt , hätte wohl die Basis für einen länger dauernde Verteidigungskampf Die Eckpfeiler des Restes der serbischen Armee abgeben können . dieses
Raumes,
Novi-Pazar und Pristina , umgeben als
wirksamer
Schutz leicht zu verteidigende Bergstellungen, und dem Zentrum , Mitrowitza , lagerte gegen Osten ein großer Gebirgsstock vor. Nach Norden und Osten wäre ein Verteidigungsheer freilich von jeder Verbindung abgeschnitten gewesen, nach Westen hätte die Verbindung mit Ipek und Djakowo, nach Südwesten über Priszren noch offen gestanden .
Der serbischen Tragödie letzter Akt begann .
Bezüglich der Ententetruppen schrieb Magrini seinem
Blatte
damals , es sei , wenn nicht baldigst Verstärkungen einträfen , klug, Saloniki aufzugeben und auch auf die Fortsetzung des Balkanfeldzuges zu verzichten und anderwärts die Entscheidung zu suchen. Die Serben hatten sich besonders gegen die ihren rechten Flügel bedrohende 1. Bulgarische Armee, die beiderseits Pristina vorstrebte, und die vom Prepolacsattel vorgedrungenen Kolonnen Gallwitz hartnäckig gestemmt. Gelang es ihnen, ihren rechten Flügel vor dem Aufgerolltwerden zu bewahren , so konnten sie von Mitrowitza aus langsam abbauen und einen einigermaßen planmäßigen Rückzug auf Ipek anzutreten versuchen . Durch die Wegnahme von Mitrowitza am linken und die Umfassung bei Pristina am rechten Flügel wurde ausgedehnter Widerstand hinfällig. Das Kriegspressequartier schätzte die Zahl der bis dahin gefangenen Serben nicht unter 100000 und die Beute auf ungeheures Kriegs- und Verpflegungsmaterial ein . Über Mitrowitza und Pristina war der Stoß in das Herz der serbischen Hauptarmee geführt , bei welcher, ein Zeichen für den beginnenden inneren Zusammenbruch, einzelne Meutereien schon erkennbar geworden und ein Regiment dritten Aufgebots sogar seinen Kommandeur erschossen hatte. Daß manche starke Teile dieser in mehrere Gruppen auseinanderfallenden Hauptarmee versuchen würden , sich dem direkt nach Westen in steilere, weglose Gebirge gerichteten Druck der Verfolgung zu entziehen und gegebenenfalls auf Umwegen Monastir zu erreichen, war anzunehmen.
Das Gebirge, das parallel dem Sitnikaflusse, im Mittel
Des Balkankrieges dritter Abschnitt.
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900 bis 1000 Meter hoch sich hinzieht , eignete sich, infolge starker Niederung und Bewaldung, zu zähem Widerstand auch für kleinere Abteilungen gegen stärkere Kräfte. Von einem planmäßigen Rückzuge des serbischen Heeresrestes konnte aber bei dem heftigen Nachdrängen Konzentrisch erfolgte der der Verfolger wenig mehr die Rede sein. weitere Vormarsch der Truppen der Mittelmächte und Bulgaren.
Hatten diese ihr nächstes strategisches und politisches Ziel , die für uns und die Türkei (die dadurch erst zu voller Kraftäußerung gelangen konnte) , dringend notwendige , sichere Verbindung durch den Balkan , erreicht, indem sie die Hindernisse aus dem Wege räumten, den Widerstand der serbischen Armee vernichteten , serbisches Gebiet in die Hand nahmen , so war anderseits der strategische der Entente , rechtzeitige Stärkung der serbischen Armee durch Truppen und Material derart, daß diese dem Willen Gegenzug
der Mittelmächte einen Riegel vorschieben
gekonnt hätte , völlig Deren Kriegführung hatte nur noch ein politisches Ziel. Am 28. November, an dem die Bulgaren dem im Ausweichen nach Süden ein Heil suchenden und dabei in das ausgespannte Fangnetz mißlungen .
laufenden serbischen Heerteil eine neue schwere Schlappe beibrachten , ihm reiche Beute an Gefangenen ( 15000) und Geschützen abnahmen , in Prisrend , dem bald Ljuma folgte , einzogen , verließen die Serben auch Katschanik und zogen in der Richtung auf Albanien ab . Die Bahnlinie Mitrowitza-Üsküb fiel völlig in die Hand der Verbündeten , südwestlich Mitrowitza wurde Rudnik besetzt , und wieder eine große Zahl von Gefangenen gemacht . Da konnte die oberste Heeresleitung einen kurzen Rückblick auf den Verlauf des Balkanfeldzuges in Grundstrichen mit den Sätzen beginnen: ,, Mit der Flucht der kärglichen. Reste des serbischen Heeres in die albanischen Gebirge sind die großen Operationen gegen dasselbe abgeschlossen. Ihr nächster Zweck, die Öffnung freier Verbindung mit Bulgarien und dem Türkischen Reiche ist erreicht .
Mehr als 100000 Mann , d. h. die Hälfte der serbischen
Wehrkraft, sind gefangen, ihre Verluste im Kampfe und durch Verlassen der Fahnen nicht zu schätzen, 502 Geschütze , darunter schwere , und vorläufig unübersehbares Kriegsmaterial, wurden erbeutet. Die deutschen Verluste dürfen wohl mäßig genannt werden , so bedauerlich sie an sich auch sind. Unter Krankheiten hat die Truppe überhaupt nicht zu leiden gehabt . " Genau acht Wochen hatte die Niederwerfung der serbischen Armee erfordert. Weder unergründliche Wege, noch unwegsame, tief verschneite Gebirge, weder Mangel an Nachschub, noch an Unterkunft hatten das Vordringen der Verbündeten irgendwie zu hemmen ver-
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Des Balkankrieges dritter Abschnitt.
mocht.
Ein rascher Feldzug , der gewaltige Hindernisse überwand ,
lag hinter diesem , neue Macht für neue Aufgaben des Weltbrandes wuchs dem Vierbunde dadurch zu , auch in den nun zu voller Ausgestaltung fähigen osmanischen Streitkräften . Man rechnete den 15. bulgarischen Mobilmachungstag , als Feldmarschall von Mackensen die Bewältigung der Donau- Save- Barriere begann und die ersten Staffeln der britisch-französischen Hilfsexpedition mit den Landungen Raum und Zeit berücksichtigend , in Saloniki einsetzten . mußten die Ententemächte sich damals sagen , daß ihre Hilfe für Serbien nur in dessen südwestlichem Teile wirksam werden könne .
Die Mobilmachung Griechenlands wollte den Kampf fremder Mächte auf seinem Gebiete vermeiden , gegen den Durch-
zug der Ententemächte war es wehrlos . Daß die Bulgaren auf griechischen Boden einbrechen würden , war zunächst nicht unbedingt zu befürchten . Daß ein in den Krieg eintretendes Bulgarien aber die Ostgrenze Serbiens anfassen würde , war bestimmt zu erwarten . Zum Vorstoß im Wardartale war die Ententegruppe nur dann befähigt , wenn sie , die Südarmee sprengend , sicher war , die Vereinigung mit den Serben zu erzwingen . Für die Kräfte , die der Vierverband zunächst aufbringen konnte , erschien es geboten ,
bulgarische
möglichst ungerupft und schnell in den Raum zu gelangen , von dem aus die Serben taktisch und materiell unterstützt werden konnten . Das wies auf einen Vorstoß gegen den Raum MonastirOchrida hin, den man spätestens , sofort mit Einrichtung von Nachschubslinien nach Durazzo und Prisren auf albanischem Boden beginnend , drei Wochen nach der Landung erreichen mußte . Daß nichts von alledem geschah , beweist , daß beim Vierverbande nicht nur das Wollen , sondern auch das Können mangelte . Für
den
Vierbund
rechnet
die
rasche
Beendigung
des
serbischen Feldzuges zu den besten Leistungen des Weltkrieges . Die bulgarische Armee Todorow hat dazu ihr gutes Teil beigetragen , die schweren Niederlagen der Ententetruppen in Südmazedonien sind ihr Verdienst. Ihre Operationen verdienen eine kurze Beleuchtung. Am 1. November lief die Front der Verbündeten gegen Montenegriner und nach Westen weichende Kräfte der Serben von der Cehotina östlich Foka , über Boljanic, nördlich Plevelje , westlich Prijopolje nach Süden biegend, den Ostrand der Metoja berührend, westlich Prisren und weit westlich Kalkandelen . Zwischen Prilep und Monastir hatten die Bulgaren den Übergang über den Czernafluß schon erkämpft , die Umfas-
131
Des Balkankrieges dritter Abschnitt.
sung der linken Flanke der Franzosen begann sich bereits abzuzeichnen . Auf der inneren Linie mit großem Erfolge kämpfend, konnte der Vierbund die entstandene Handlungsfreiheit in viel höherem Maße ausnutzen als der Vierverband. Haben wir bei der zur Heeresgruppe
Mackensen
gehörenden
I.
Bulgarischen
Armee
Bojadjeff vom 14. Oktober bis zum Abschluß der großen Operationen
gegen
die
Serben
einen
ununterbrochenen
Bewegungskrieg beobachten können , so bietet die Kriegführung bei der II . Armee , Todorow , ein sehr wechselndes Bild von rascher Offensive , unterbrochen durch längere Defensive .
Ein Gesamtbild aber , das an Leistungen und
Erfolgen nicht weniger reich als bei
der
I.
Armee ist .
Aus dem Raume Küstendiel - Strumitza ihre Operationen über die serbisch-bulgarischen
Grenzgebirge
beginnend,
gewann
die
Armee
Todorow schon am 17. Oktober die Linie Egri Palanka - Stip , während eine Verbindungsgruppe zur Armee Bojadjeff im Tale der bulgarischen Morawa Wranja besetzte und die Bahn Saloniki- Nisch unterbrach . Was ihr an serbischen Kräften damals gegenüber gestanden hat , wissen wir nicht genau .
Daß es eine Anzahl von Divisionen gewesen
sein muß, geht aus der amtlichen Angabe über den serbischen Aufmarsch mit den Hauptkräften gegen Osten , sowie daraus hervor , daß die Bulgaren am 18. und 19. Oktober zwischen Kumanowo und Egri Palanka am Sultan Tepe , wie Wardar, auf sehr starken Widerstand stießen . Am 16. Oktober soll der Abtransport von Ententetruppen nach Gewgheli begonnen haben . Dem linken Flügel der Armee Todorow fiel daher die Aufgabe zu , nicht nur östlich Veles die Serben , sondern in der Gegend der Station Strumitza auch die dort eingetroffenen Franzosen anzugreifen, um die Trennung beider zu bewirken und dauernd aufrecht zu erhalten . Als am 20. November Kumanowo und Veles erreicht waren , und die Serben zum Teil nach Westen 9, zum Teil nach Süden , die Franzosen bei der Station Strumitza über den Wardar zurückgedrängt waren , konnte man den ersten Teil der Aufgabe als erfüllt ansehen . Nunmehr mußte aber - für die Flügel wenigstens
ein Stocken der raschen Offensive eintreten, da es Aufgabe
des linken Flügels blieb, die Vereinigung der bei Veles geworfenen Serben mit den Franzosen zu hindern , die rückwärtigen Verbindungen nach Bulgarien gegen Flankenschikanen von Saloniki aus zu schützen , und der rechte Flügel vom 21. Oktober ab kräftige Vorstöße der Serben aus Pirot abzuweisen hatte. Die Mitte drängte die Serben von Üsküb aus langsam gegen den Katschanikpaß .
Üsküb , Veles , Stip
und Kumanowo wurden bereits bulgarischer Verwaltung unterstellt .
132
Des Balkankrieges dritter Abschnitt.
In der allgemeinen, am 30. Oktober ungefähr erreichten Linie Vranja— Katschanikhöhen-westlich Üsküb-Babuna Planina - Unterlauf der Czerna - Krivolac- Plausgebirge- Belasika Planina
hatte die Armee
Todorow im Raum Katschanikpaß mehrere serbische Divisionen und im Babunagebirge sicher einige Brigaden sich gegenüber .
Im Czerna—
Wardarwinkel stand sie im Kampfe gegen 2-3 französische Divisionen , zwischen Rabrowo - Nordufer des Doiransees waren britische Abteilungen gemeldet . Die Ententemächte mußten an Beschleunigung der Ausschiffungen denken, wenn sie den Serben rechtzeitig Hilfe bringen wollten .
Die
Serben wußten, daß der Rückzug vom Halten des Südflügels abhing. Todorow sah sich, bei dem an der langen Front eingetretenen Kräftegleichgewicht , veranlaßt , nur das gewonnene Gelände zu behaupten und die Monastirgruppe weiter zu isolieren . Die Zeit vom 3. bis 12. November brachte für die Armee Todorow schwere, aber erfolgreiche Stellungskämpfe . Dem Streben der bulgarischen I. Armee , die bulgarische Morawa zu überschreiten , stellten die Serben auf dem Westufer starke Nachhuten entgegen. Das bulgarische Brückenmaterial hatte auf den miserablen Straßen der Armee nur langsam folgen können. Die Lage ausnutzend , versuchten die Serben nördlich Vranja , wenig später nördlich Katschanik bei Giljan , ihren rechten Flügel bei Katschanik verstärkend , einen Keil zwischen die I. und II. Bulgarische Armee zu treiben.
Die serbischen Stöße mißlangen .
Über die untere
Czerna waren die Franzosen vorgestoßen, um mit den Serben zwischen Fluß und Prilep Verbindung zu gewinnen .
Sie wurden von Todorow
geworfen, ein Beweis dafür , daß er auch zunächst defensive Aufgaben offensiv zu lösen suchte, wenn sich die Möglichkeit dazu bot . Am 18. Oktober hatten die inneren Flügel der I. und II. Bulgarischen Armee nord westlich Vranja , auf der Goljak Planina , die Verbindung aufgenommen und begann die Entlastung des rechten Flügels Todorows. Während der linke Flügel der I. Armee die auf dem Amselfelde geschlagenen Serben über Tetowo- Gostiwar- Krzewo weiter verfolgte , die Babunastellung unhaltbar machte und während sich bei PrisrenLjuma der letzte größere Akt des serbischen Dramas abspielte , drang Todorows Armee langsam auf Monastir vor und zwang die Franzosen aus dem Cznerna- Wardarwinkel. Wehten seit dem 3. Dezember die Fahnen der Verbündeten über Monastir , so blieb der nunmehr verstärkten Armee Todorow noch die Erledigung der Entente truppen , deren Stärke später auf 170000 Mann , 730 Feld- und Gebirgs- und 80 schwere Geschütze festgestellt worden ist und die zu beiden Seiten des
133
Des Balkankrieges dritter Abschnitt. Wardar in seit Wochen vorbereiteten Stellungen standen .
Todorow
kann den Ruhm in Anspruch nehmen , mit Blut und Eisen die qualitative über
die
Überlegenheit der bulgarischen
Truppen
französisch - britischen in die Kriegsgeschichte ein-
getragen und die nicht wieder gut zu machende politisch-militärische Katastrophe der Entente im Orient eingeleitet zu haben. Engländer und Franzosen haben im Wardartale und an den durch dessen Nebenflüsse gebildeten Abschnitten Kämpfe ums Leben zu führen gehabt.
Ihre zum Schutz von Gewgheli , wo Sarrail mit Rück-
sicht auf die ,, spätere Offensive" eine große Menge von Kriegsmaterial aufgestapelt hatte, auf Kriwolac und die Czerna vorgeschobene Stellung, an der sie reichlich lange geklebt hatten , war aus Besorgnis , abgeschnitten zu werden , schon etwas früher aufgegeben worden .
Am 9. November
warfen dann ein frontalerDurchbruch, eineUmfassung durch dieMarianska Planina und ein Stoß auf dem linken Flügel, welchen weder die Division Bailloud, noch die weiter östlich gestaffelten Engländer zu verhinde n vermochten, die Franzosen, die auch die Enge von Demi - Kapu nicht zu halten vermochten, auf Gewgheli und die westlich anliegenden Höhen , wie östlich an den Warda . Zwischen dem linken Wardarufer und Doiran trieben Durchbruch und Umfassung des rechten Flügels die Franzosen-Briten aus der starken vorbereiteten Stellung auf den Höhen der Belasika Planina , beiderseits der Straße Rabrowo - Doiran , in das Kozluderetal, wo sie schwerste Verluste erlitten , und sprengte in der Verfolgung eine mazedonische Division Franzosen und Briten nach Südwesten bzw. Südosten auseinander. Die Schlacht von DoiranGewgheli , eine der blutigsten der Weltgeschichte , gegen eine Front mit rund 5000 Mann auf den Kilometer, ist eine glänzende Waffentat der Bulgaren . Doiran und Gewgheli waren in bulgarischer Hand, die stark zerflederten, um 2 Divisionen ärmeren Briten und die mehr als dezimierten Franzosen suchten jenseits der griechischen Grenze bei Kilindir Karazuli Rettung , an welcher die Bulgaren aus politischen Rücksichten auf Griechenland zunächst Halt machten. Dies der Inhalt eines der letzten Akte des III. Abschnittes des Balkankrieges. Das Schlußsiegel setzte dann unter diesen die Räumung von Gallipoli, die folgen mußte, nachdem der Korridor von Belgrad nach Konstantinopel geöffnet und damit für die Türkei eine Lebensfrage, für den Vierbund eine kriegsentscheidende, gelöst war. Dem Prestige des Vierverbandes im Orient war eine unheilbare Wunde geschlagen. Dazu kam die bedingungslose Bitte Montenegros um Frieden , nachdem der Lowtschen, Cetinje, Berane gefallen waren, und die fortschreitenden konzentrischen Operationen
der Truppen
Sarkotic- Köveß und der
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Des Balkankrieges dritter Abschnitt.
Bulgaren dem Rest der Montenegriner nur die Wahl ließen , zu kapitulieren oder zu verhungern . Die vorhergehenden Ereignisse hatten. den Beweis erbracht , daß die österreichisch-ungarische Heeresleitung es meisterhaft verstanden hat ,
der enorme Ausdauer, Geduld , Zeit
und Anstrengung fordernden Schwierigkeiten Herr zu werden, die Gelände , Umgruppierung , Nachschub und Verbindungen auftürmten , und unbeirrt an dem als richtig erkannten Operationsplan festzuhalten . Wochen hindurch war, unter Sicherung der Paralinie, abwärts Mojkovac die Säuberung des Raumes nördlich der Linie BjelopoljeGodusa
Ipek von montenegrinischen und serbischen Banden , ander-
seits die Bereitstellung der Kräfte für die weiteren Operationen zu bewirken gewesen. Am 5. Januar etwa war die Neugruppierung der Kräfte an der montenegrinischen Grenze erkennbar und der Nachschub an Verpflegung für die Truppen König Nikitas über die Adria durch die Tätigkeit der Flotte Österreich- Ungarns ziemlich unmöglich gemacht . Man konnte sich schon fragen , ob der Herrscher der schwarzen Berge den Kampf auskämpfen, oder die Folgerungen aus der ziemlich trostlosen Lage ziehen würde. Am 6. Januar warf ein Teil der Heeresgruppe Köveß in hartnäckigem Kampfe Montenegriner aus ihren Stellungen in der Linie Mojkovac- Gudsa -westlich Rozaj-Ipek, am 8. Januar aus einer anderen, wenige Kilometer südwestlich der vorgenannten , während gleichzeitig Kräfte an der Herzegowinischen Grenze (amtliche montenegrinische Berichte hatten am 5. November gegen ihre sonstige Gewohnheit von starken feindlichen Truppensammlungen bei Trebinje und Bileca gesprochen) und im Gebiete der Bocche di Cataro, hier mit Unterstützung der Flotte, die Offensive aufgenommen hatten. Der gemeinsame konzentrische Angriff der beiden , untereinander über 100 km entfernten Kräftegruppen führte in den nächsten Tagen zu lohnenden Erfolgen.
In Nordmontenegro wurde der Gegner in die
allgemeine Linie Mojkovachöhen-südlich Berane - halbwegs Ipek-Plava geworfen, in Südwestmontenegro die außerordentlich starke , befestigte Grenzhöhe des Lowtschen am 10. Januar erstürmt . Der Fall der Landeshauptstadt, die Gewinnung einiger der wenigen brauchbaren Straßen , die immer mehr zunehmende Hebelwirkung der getrennten Kräftegruppen unserer Verbündeten mußten für die Montenegriner zum mindesten die brennende Frage nach einem neuen günstigen Verteidigungsraum zur Folge haben , der, wenn die Zufuhr vom Meere unterbunden war, im eigenen Lande schwer gefunden werden konnte . Bulgarische Kräfte im Drinatal und bei Elbassan, das Angreifen der Gebirgsmauer Montenegros auch von Südwesten her, indem die rechte österreichische Kolonne von Badua , an der Adria , gegen den Nordwall
135
Des Balkankrieges dritter Abschnitt.
des Karst vorging und den direkten Angriff deckte , indem die linken Kolonnen über Grab- Grabowo , nordwestlich Cetinje , den Zugang zur Gebirgsmasse erzwangen und den Weg bei Bileka, nördlich Trebinje. freilegten, das Vorrücken in einer von Badua über Cetinje- GrabGrabowo -Bileca laufenden Front , der Druck des von Berane in der Richtung Andrijewica vorrückenden Angriffs Köveß ' , wie auf Plava und Gusinje das alles ließ nur ein Ausweichen auf den Skutarisee zu, den Auszug aus dem eigenen Lande und die unsichere Basierung auf die Schiffe der Entente. Am 16. Januar lagen beim Angreifer bestimmte Anzeichen dafür vor, daß König Nikita , der schlaue Politiker, die Grenzen seiner Widerstandsfähigkeit
erkennen
und
die politische
Lösung
suchen
werde , wie er sich tatsächlich am 13. Januar ja mit einem direkten Handschreiben, den Frieden erbittend, an Kaiser Franz Josef gewendet hat und wie seine Regierung am 16. Januar die bedingungslose Waffenstreckung formell annahm .
Daß er danach sein Land verließ , nach
Lyon ging, bedeutete , da die Waffenstreckung fortging, Wukowitsch und 2 Generale sich den Österreichern stellten - faktisch sowohl in politischer wie militärischer Beziehung wenig.
Es ist eine rein
formelle Frage, ob nun auch der Friede geschlossen werden kann . Militärisch ist Montenegro wie Serbien erledigt . Montenegros Friedensbitte bekundete urbi et orbi, daß bei ihm das Vertrauen auf den Sieg des Vierverbandes verloren gegangen , wie dasjenige auf seine wirksame Hilfe schon lange verloren war.
Viele Anzeichen sprechen dafür , daß
der König der schwarzen Berge dem Druck der Entente und namentlich der für die italienische Dynastie fürchtenden Königin Elena gefolgt ist, indem er sein Wort brach, wenn man sich auch in Italien wenig politische Erfolge von der Flucht verspricht, wo ,, Corriere d'Italia" unbeanstandet durch die Zensur schreiben durfte : ,,Die Entente erlebt durch die Miẞerfolge und die innere Uneinigkeit eine der schwersten Krisen." Aus
der
Vierverbandmauer
war
ein
Stück herausgeschlagen ,
sie hat zu bröckeln begonnen. Dieses Bröckeln wird auch wahrnehmbar in den Vorwürfen, die in der Presse der Vierbundmächte die einzelnen Glieder gegeneinander erheben , Italien gegen FrankreichEngland- Rußland, diese gegen Italien , dem sie allein die Schuld der Zertrümmerung Serbiens und Montenegros in die Schuhe schieben . möchten. Rußland können die Vorwürfe am wenigsten treffen , wenn auch gesagt werden muß, daß ebenso wenig , wie seine erste Offensive in Wolhynien den Oktoberfeldzug der Mittelmächte und Bulgariens gegen Serbien zu verzögern vermochten, die bis tief in den Januar
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Des Balkankrieges dritter Abschnitt.
hinein währende ,, Neujahrsschlacht " den Angriff gegen einzigen Freund ins Stocken bringen konnte.
Rußlands
Unbestreitbar hat bei
den Russen der Nebengedanke bestanden, Rumänien noch zum Anschluß zu zwingen, als sie, da ein Durchbruch durch Rumänien mit den zusammengerafften Kräften nach dem Balkan sich als untunlich erwies , diese Massen zum wilden Ansturm gegen die Grenzwehr ÖsterreichUngarns in der Bukowina und Ostgalizien mit Geschützen . Maschinengewehren , Kosackenpeitschen im Rücken trieben und, unter Hekatomben von Opfern , nur den Beweis lieferten, daß in absehbarer Zeit Rußland zu einer großen strategischen Offensive nicht mehr fähig ist . Umsomehr häuften sich die Vorwürfe auf Italien. Handelten Briten und Franzosen ehrlich, so mußten sie zugeben, daß sie die Bemühungen , die Serben zu unterstützen , selbst zum Scheitern brachten , da sie zu spät und unzweckmäßig unternommen wurden, und da ihre Heeresleitung wieder einmal eine verpaßte Gelegenheit verschuldete , da sie nicht rechtzeitig mit mindestens 200000 Mann bei Üsküb oder Monastir eintraf.
Wollten sie objektiv verfahren , so mußten sie sich
auch fragen, ob Italien ,
das
in den vier Isonzoschlachten rund
600 000 Mann, die Hälfte seiner Feldarmee I. Linie, geopfert hatte , zur Unterstützung von Serbien und Montenegro überhaupt nicht mehr als höchstens 50000 Mann entsenden könne , die es bei Valona und Durazzo versammelt hatte. Von der enormen Schwierigkeit , bei der Beherrschung der Adria durch die Unterseeboote der Mittelmächte , eine Armee an den offenen Reeden Albaniens zu landen und ihren Nachschub sicher zu stellen, ganz abgesehen, rechnete Cadorna mit der Möglichkeit eines Durchbruchs für Österreich- Ungarn , die im Lande eine starke Reserve verlangte und Abgaben aus der Kampflinie verbot , deren Auffüllung schon fast den ganzen Landsturm in Anspruch genommen hatte .
Eine kurze Spanne Zeit hätten die Italiener gehabt und verpaßt einen Durchbruch zu versuchen, wenn sie im Mai, sofort nach der Kriegserklärung , gleich bereit gewesen und den Stoß angesetzt hätten, woran sie vielleicht ungenügende Leistung der Apenninenbahn gehindert, oder wozu der kühne Vorstoß der österreichisch-ungarischen Flotte in der ersten Kriegsnacht ihnen den Schneid genommen hat. Von da ab konnte man all ihren opferreichen Vorstößen nur den Stempelzu spät " aufdrücken . - Operationen in Albanien, bei denen österreichisch-ungarische und bulgarische Truppen bis jetzt genannt sind, haben gegen die Italiener bei Valona und die Reste der Serben und nicht entwaffnete ,,kleine" Teile der Montenegriner schon begonnen.
Die militärischeVorbereitung u. die Jugendorganisationen in Österreich.
137
XIII .
Die militärische Vorbereitung
und die
Jugendorganisationen in Österreich. Von 衢 Professor Brossmer,
Leutnant im Infanterie - Regiment 169.
Ähnlich wie in Deutschland Freiherr von der Goltz für die Wehrhaftmachung der Jugend schon zu einer Zeit ( 1876) eintrat, in der die praktische Verwirklichung dieses Gedankens noch an den Vorurteilen. des Tages scheitern mußte, hat auch in Österreich G. Ratzenhofer, damals Hauptmann im Generalstab , bereits 1881 Sinn und Bedeutung der Jugendwehren in seinem auf wissenschaftlicher Grundlage stehenden Unter dem oft erDie Staatswehr" eingehend untersucht . Buche wähnten Gesichtspunkte der Verkürzung der aktiven Dienstzeit und unter starker Betonung einer notwendigen Vorbildung im Turn- und Schießdienst gewann die Frage stetig an vielseitiger Beachtung . Der Grundgedanke einer umfassenden, planvollen , sittlichen und körperlichen Vorbildung besonders der schulentlassenen Jugend faßte bald in den Ministerien festen Fuß und veranlaßte eine Reihe wichtiger Bestimmungen der Unterrichtsbehörde und des k. k. Ministeriums der Landesverteidigung über Turnen , Spiel und Sport aus den Jahren 1890 , 1904 , 1908 und 1909. Eine im Januar 1910 im k. k. Ministerium für
Kultus und
Unterricht abgehaltene ,, Enquête" stellte in ver-
schiedenen Referaten die spezielle militärische Vorbereitung der Jugend in den Vordergrund . In strengem Gegensatze zu der Meinung deutscher leitender Offiziere wurde gerade von Angehörigen des österreichischen Heeres auf die ernste Bedeutung der Schießübungen mahnend hingewiesen, ihre Einführung in den Mittelschulen unbedingt gefordert und ihre Ausübung bei den Jugendorganisationen durch den Anschluß an Schützenvereine verlangt . Auch von maßgebender pädagogischer Seite kam der Wunsch, in den letzten zwei Klassen der Mittelschulen den Schießunterricht , in dem vorhergehenden Jahrgang den Fechtunterricht einzuführen . Noch in dem gleichen Jahre ging den Mittelschulen vom k. k. Landesverteidigungsministerium ein ,, Programm für den fakultativen Schießunterricht und die Vornahme von Schießübungen an Mittelschulen und verwandten Anstalten" zu .
Geeignete.
138
Die militärischeVorbereitung u. die Jugendorganisationen in Österreich .
Lehrkräfte sollten von 1913 an in besonderen, vom Ministerium für Landesverteidigung eingerichteten Kursen ihre Ausbildung erhalten. Hiermit wurden in Österreich von Grund auf Bestrebungen für den Schießdienst gefördert, die im Deutschen Reiche nur für die Dauer des Krieges im Hinblick auf die verkürzte Frontausbildung eine wohlwollende Unterstützung durch das Kriegsministerium genießen.
Der
österreichische Lehrplan für den Turnunterricht vom 27. Juni 1911 bringt Geländespiele als vorgeschriebenen Übungsstoff. Das Unterrichtsministerium hat weiterhin durch Erlaß vom 6. April 1915 die Verwendung des Exerzierreglements für die k. k. Fußtruppen in den obligaten Turnstunden zur Bildung der einfacheren militärischen Formen einschließlich der Schwarmlinien genehmigt . So reihten sich Wünsche und gesetzliche Bestimmungen , von den regierenden Kreisen ausgehend, hintereinander und bezweckten die Beachtung und Anwendung aller als wertvoll erkannten Grundsätze an dem für die Ausbreitung und Befestigung einer ausgeprägt nationalen und monarchischen Staatsidee so wichtigen Material der Jugendlichen zwischen dem Knabenalter und den Mannesjahren .
Doch frühzeitig
war die theoretische Erkenntnis dieser wichtigen Grundlagen einer Erhaltung staatlicher Macht auch in Österreich- Ungarn der wirklichen Sammlung der Jugend in zweckmäßigen und weitfassenden Verbänden erheblich vorausgeeilt .
Das hohe Verdienst des ersten praktischen
Versuches in dieser Richtung gebührt dem Hauptmann a . D. Franz Opelt, der im Mai 1906 zum ersten Male österreichische Schüler in Wien-Erdberg zu einem sogenannten „,Knabenhort" vereinigte .
Aus
eigener Anschauung lernte Hauptmann Opelt den natürlichen Spieltrieb der Knaben in zwei Parteien mit einfacher soldatischer Unterlage kennen. Er sah die Konflikte , zu denen ein solch regelloses Treiben inmitten der arbeitsreichen und belebten Vorstadt führen mußte. Daher kam er auf den Gedanken , die Knabenscharen aus der staubigen und rußigen Stadtluft hinaus auf den Wiesenteppich und in die Waldesstille zu führen und dort ihrem wilden Hang nach körperlichem Messen durch feste Gesetze und kluge Leitung eine klare und gesunde Richtung zu geben.
Eine Bewegung, die so ureigentlich den vollen Inhalt der
unruhigen Knabenseele umfaßte, mußte rasch blühen und wachsen. Und so war es auch . Schon nach wenigen Wochen folgten 300 Zöglinge der neuen Fahne , und im Frühjahre 1907 standen 6800 ,, Wiener Buben“ aller städtischen Gemeindebezirke leidenschaftlich im Dienste der Knabenhorte. Aus ihnen entstand im Jahre 1907 der ,,Verband militärisch organisierter Knabenhorte Wiens". Die Wiener Gemeindeverwaltung griff diese treffliche Idee auf, ging zur Gründung weiterer
Die militärische Vorbereitung u. die Jugendorganisationen in Österreich .
139
Horte über und gab 1908 bis 1912 einen Betrag von 600000 Kronen für diesen vaterländischen Zweck aus.
Der natürliche Gang des Heranreifens des Knaben zum Jüngling erheischte gebieterisch eine Organisation, die eine allgemeine und militärische Erziehung unter den Gesichtspunkten und Erfordernissen des Jünglingsalters berücksichtigte . So entschloß sich Hauptmann Opelt im Jahre 1907 auf den Knabenhorten ,, Jünglingshorte “, sogenannte ,, Jugendwehien" aufzubauen , die bis 1908 14 Abteilungen mit ungefähr 800 Teilnehmern umfaßten. Nun galt es, die noch zaghaft und zerstreut da und dort emporkommenden Blüten zu sammeln. Mit freudiger Unterstützung vaterländisch tief empfindender Männer gründete der auf diesem Gebiete so verdienstvolle Hauptmann im Jahre 1908 den Reichsbund der Jugendwehren und Knabenhorte Österreichs. Starke, die Ausbreitung dieser patriotischen Bewegung sehr hemmende Reibungen ergaben sich mit den Schulbehörden. Zudem zeigten die staatlichen Zentralstellen wenig Vertrauen zu der Entwicklungsfähigkeit des Bundes und hielten darum mit moralischem Schutz und materieller Unterstützung zurück . Die Klärung erfolgte jedoch bald durch schriftliche und mündliche Verhandlungen des Bundespräsidenten k. k. Ministerien.
und
des
Präsidialrats
den
mit
zuständigen
Als schöne Früchte dieser eingehenden Verhand-
lungen ergaben sich veränderte Statuten und als Ergänzung und Kommentar zu ihnen ein Normalbeschäftigungs- und ein Normalorganisationsplan. Seit 1912 genoß der Reichsbund der Jugendwehren und Knabenhorte den wichtigen Vorteil der offiziellen Anerkennung aller staatlichen Behörden . Nach außen wurde diese erfreuliche Einheitlichkeit des Wirkens in der allgemeinen und militärischen Jugenderziehung durch Verleihung des Titels : ,,kaiserlich-königlich"
und des Reichs-
adlers in Schild und Siegel durch den Kaiser Franz Joseph dargetan. Nun ging es allenthalben wacker vorwärts. Viele Einzelorganisationen traten dem k. k. Reichsbunde bei. Pfadfinderkorps , katholischdeutsche Jugendvereine aus allen Landesstellen, das von dem unermüdlichen Hauptmann Opelt erst kurz vorher gegründete ,, Wiener Jungschützenkorps " mit 900 Jungschützen in 17 Bezirksvereinen u . a . m. wollten Bausteine des Ganzen sein .
Ende 1912 gehörten dem Reich-
bunde 682 Ortsgruppen mit 33000 Zöglingen an .
Geld und Material
von manchen Seiten unterstützten die Bestrebung in praktischer Hinsicht . Das k. k. Ministerium für Landesverteidigung schenkte dem Verbande 8000 Werndl- Karabiner, die als Exerzier- und Schußwaffe auf die Jugend eine große Anziehungskraft ausübten.
140
Die militärische Vorbereitung u . die Jugendorganisationen in Österreich . Geschickte Propaganda, wobei unter Aufwand erheblicher Mittel
das große Hindernis der herrschenden Vielsprachigkeit überwunden werden mußte , die gute Art der Organisation und ein abwechslungsreicher Beschäftigungsplan füllten die Reihen , so daß Ende 1913 die Zahl von 783 angeschlossenen Vereinen mit 36903 Jungmannen erreicht wurde. Die Statuten setzen fest , daß die Knabenhorte sich der Jugend der Volks- und Bürgerschulen zwischen dem 7. und 14. Lebensjahr anzunehmen haben . Ihr Wirkungskreis umfaßt einmal die tägliche Beschäftigung für Knaben, welche der häuslichen Aufsicht entbehren , während der andere Teil nur an schulfreien Nachmittagen herangezogen werden soll .
Die Jünglingshorte schließen die 15-20 jährige erwerbende Jugend in sich, und zwar getrennt für Lehrlinge, Gehilfen . Arbeiter und Bauern . Die Jugend der Mittelschulen, der Lehrerbildungsanstalten und der mittleren Fach- und Spezialschulen werden getrennt nach Schulkategorien zu Kameradschaften vereinigt . Außerdem kann der k. k. Reichsbund auch andere Jugendorganisationen , wie Studentenverbindungen , Jugendbündnisse , Jugendturnen und Sportvereinigungen aufnehmen, insofern sie auch militärische Vorbereitung bezwecken . Dem weiteren Kreise entsprechend wurde durch die Vollversammlung vom 29. Januar 1914 der amtliche Titel in : ,,k. k. Reichsbund der patriotischen Jugendorganisationen Österreichs “ umgeändert . Alle Jugendorganisationen des Bundes sind dem Betriebe nach Beschäftigungs- und Geselligkeitsstätten, dem Zweck nach Erziehungszum Teile auch Fürsorgeinstitutionen . Allgemeine Erziehung und militärische Vorbereitung sollen gemeinsam das Fundament des patriotischen Geistes , der vaterländischen Empfindung und dynastischer Anhänglichkeit bilden. Der Reichsbund gliedert sich in Landes-, Bezirks- und Ortsverbände.
Bundesleitung und Bundesversammlung stehen als
maßgebende Faktoren an der Spitze.
Die Bundesleitung setzt sich aus dem Präsidium , dem Prädidalrat und dem Bundesrat zusammen.
Im Präsidialrat sitzen die Obmänner des pädagogischen und des militärischen Beirats , zweier sehr zweckmäßiger und nachahmungswerter Körperschaften .
Der pädagogische Beirat , aus fünf Männern der ver-
schiedenen Schulkategorien und aus fünf in der Jugendfürsorge praktisch tätiger Jugendfreunde bestehend, wird wie der militärische Beirat von der Vollversammlung durch Wahl bestimmt. Zum militärischen Beirat zählen zehn erfahrene , nicht aktiv dienende Offiziere . Die näheren Einzelheiten der allgemeinen und militärischen Erziehung sind in gründlicher Ausführlichkeit in dem von dem k . k . Ministerium des Innern genehmigten Normalbeschäftigungsplan niederDer Grundsatz einer engen Zusammenarbeit von Elternhaus .
gelegt.
Die militärische Vorbereitung u . die Jugendorganisationen in Österreich.
141
Schule und Jugendorganisation wird als erste Bedingung eines harmonischen Erziehungserfolges erkannt und verlangt. Zu diesem Zwecke sollen die allmonatlichen Elternabende die Möglichkeit eines engeren Verkehrs und eines regen Gedankenaustausches zwischen Eltern , Die Beschäftigungsarten der Führern und Schulmännern schaffen . allgemeinen Erziehung entsprechen nach Methode und Inhalt ungefähr den Forderungen des Jungdeutschlandbundes : Geländespiele , Sport, vaterländische Unterhaltung, belehrende Vorträge , Besichtigungen und Wandertage.
Was aber den österreichischen Verband von
den Anschauungen des Jungdeutschlandsbundes streng scheidet , ist der ausgesprochene Hinweis auf eine militärische Vorbereitung. Dieser naheliegende Umstand ist bei uns bis zum heutigen Kriege bewußt Die praktischen Übungen erfolgen gemäß den abgewiesen worden. jeweiligen, österreichischen militärischen Vorschriften .
Sie umfassen
einfachen Aufstellungs- und Bewegungsformen , Erkundigungs-, Marsch- und Unterkunftsübungen, Hinterhalte und Überfälle, Scheibenschießen, Kartenlesen und Orientierung. die Einübung
der
In der Heranbildung guter Schützen sieht man bei unseren Bundesgenossen erziehung.
einen
Hauptzweck
der
militärisch-praktischen
Jugend-
Der Schießunterricht beginnt daher schon in den Knaben-
horten als Kapselschießen. Vom 17. Jahre an wickelt sich das Jugendschießen nach den Bestimmungen der militärischen Schießinstruktion ab. Dieser Punkt stellt sogleich die Stelle weitesten Auseinandergehens oft gleichlaufender Bestrebungen dar .
Der Beschäftigungsplan weist
durch alle Stufen hindurch auf das wichtige Moment der Anerziehung militärischer Tugenden hin, wie Ordnung , Disziplin , Besonnenheit , Mut, Geistesgegenwart , Entschlossenheit und Ritterlichkeit. Nicht wenig verlangt der k. k. Reichsbund in der Gesamtheit seiner klar aufgebauten Ausbildungsgrundsätze. Aber Führer und reifere Zöglinge finden in den beiden ausgezeichneten Hilfsbüchern von Hauptmann Oskar Jory ,, Geländeübungen“ und „ Der Jungschütze " ( Seidel , Wien) vortreffliche Stützen . Auch das k. k Ministerium für Landesverteidigung nimmt tätigen Anteil an der Ertüchtigung der nationalen Jugendorganisationen , indem es die Truppenkommandanten anweist , unter den freiwillig sich meldenden Hauptleuten und älteren Oberleutnants die Auswahl zu treffen . Bei Jugendorganisationen, die nicht dem k. k. Reichsbund angehören, dürfen sich Offiziere nicht betätigen. Die Einflußnahme des Offiziers erstreckt sich nur auf die Bildung eines geeigneten Führerpersonals , auf die Leitung von Felddienst und Schießübungen . Exerzierübungen mit der Jugend und die ÜberJahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 534.
11
142
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport.
nahme der vollständigen Leitung einer Jugendorganisation sind dem Offizier nicht gestattet. Die harten Erfordernisse des tobenden Weltkrieges , der ÖsterreichUngarn wild umbraust , haben die Militärbehörden zu deutlicher Bekanntgabe ihrer dringenden Wünsche während dieser eisernen Zeit. veranlaßt . Diese amtlichen Kundgebungen bestehen in einem ,,Aufruf“ des Ministers für Landesverteidigung, Freiherrn von Georgi , vom 15. Juni 1915, einem Erlaß des k. k. Ministeriums für Landesverteidigung vom 14. Juni 1915 und in ,, Richtlinien" für vorbereitung .
die
militärische
Jugend-
Im Aufrufe werden alle jungen Männer vom 16. Lebens-
jahr ab aufgefordert , sich in freiwilliger Weise einer frühzeitigen Vorbereitung für den Kriegsdienst zu unterziehen.
Die Richtlinien geben
Stoff und Umfang der Arbeit an und decken sich vollkommen mit den entsprechenden Vorschriften für die deutsche Jugendwehr.
Der Erlaß
gibt Winke für die Aufstellung und Beteiligung der Mannschaften ; zugleich erteilt er einige methodische Ratschläge .
Die österreichische
Kriegschöpfung ist der deutschen Jugendwehrbewegung in allen Stücken nachgebildet . Möge aus beiden vaterländischen Einrichtungen die gleiche herrliche Saat aufgehen !
XIV .
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport.
Von M. Reuter, K. Bezirkstierarzt a. D.
I. Schon in den ältesten Zeiten war der Hund der unmittelbare Genosse des Menschen , und in der Geschichte des Altertums begegnen uns bereits Hunde als Teilnehmer an den Kriegen, sowohl beim Angriff, als der Verteidigung. Diese Kriegshunde waren abgerichtet , den anstürmenden Feind auf Befehl von selbst anzugreifen oder meuchlings zu überfallen . Die Cimbern und Teutonen , die Alemannen , Gallier und andere Völker führten auf ihren Feldzügen Kriegshunde mit sich, die tapfer in den Kampf mit eingriffen und auch die Wagenburgen verteidigen halfen. Auch die Griechen und Römer bedienten sich der
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport.
143
Kampfkraft der Hunde , und im Mittelalter stellten Spanier und Engländer Blut- oder Schweißhunde ein , besonders wenn es galt , die Eingeborenen in ihren Bergwäldern und den Dickichten ihres Landes aufzusuchen . Römische Schriftsteller berichten vom Gebrauch der Kriegshunde, in Darstellungen auf Denkmälern ist er erkennbar und auf der Marc Aurel- Säule ist zu sehen, wie ein Hund in der Flanke der Streiter an der Schlacht teilnimmt. Ebenso schildert ein herkulanisches Flachbild Hunde als Verteidiger einer Burg, und die Schilderungen aus der griechischen Geschichte berichten nicht selten von Kriegshunden , ja sogar von Kriegshundbataillonen, als Vorhut des Heeres . Der Kriegshund alter Zeit war ausgezeichnet durch ungewöhnliche Wildheit und Bissigkeit, auch durch Verschlagenheit und Hinterlist ; er mußte von stattlicher Größe und Stärke sein und ein abschreckendes Äußere haben, lauter Dinge, deren der heutige Kriegshund entbehren kann. Dieser ist kein Kämpfer mehr und leistet doch unschätzbare Dienste, Dienste ganz anderer Art als seine geschichtlichen Vorgänger. Gegen unsere Feuerwaffen und Vernichtungswerkzeuge würden auch die stärksten und wütendsten Hunde vergeblich anrennen. Aber wohl können wir uns der gehobenen Geisteskräfte des Hundes , seiner feinen Sinne , seiner Gelehrigkeit und Folgsamkeit bedienen. In dieser Hinsicht kam der neuzeitliche Kriegshund zuerst durch die Franzosen in Algier, später im Türkenkriege , auch im RussischJapanischen Kriege zur Verwendung. Seine Tätigkeit bestand in der Überbringung von Meldungen von und zur Vorpostenkette , in Vermittelung des Verkehrs unter den Patrouillen , als Begleiter der Nachtposten . Er war in der Hauptsache ein Boten- und Wachhund . Von nennenswerten Leistungen hat man freilich wenig oder nichts vernommen , wie wir ja auch über die Leistungen der im gegenwärtigen Krieg verwendeten Hunde, soweit sie nicht im Verwundetendienst beschäftigt sind, nur unvollkommen unterrichtet sind.
Allein seitdem
hat sich die Ausbildung der Hunde für den Krieg bedeutend gehoben . Trotzdem jetzt andere Verkehrs- und Beförderungsmittel zu Gebote stehen , leistet auch heute der Hund Dienste bei den Nachtstreifwachen und Vorposten, wo er sorgsam auf alles Verdächtige zu achten , das Gelände abzusuchen, aufzuklären und menschliche Spuren auszuarbeiten , Meldungen zu überbringen und die Verbindung unter den einzelnen Feldwachen aufrecht zu erhalten hat : wie er denn auch außerdem bei der Bewachung von Magazinen , Munitionslagern, Schuppen, Gefangenenlagern, Bahndämmen, Brücken, Tunnels und wichtigen Gebäuden zu Hause und im Kriegsgebiet umfangreiche Verwendung findet . Bei Beginn des jetzigen Krieges ist es vorgekommen, daß vorgeschobene 11*
144
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport.
Posten von herangeschlichenen Soldaten der farbigen Hilfsvölker unserer Feinde niedergedolcht wurden . Um ihre Mannschaften vor so unwürdigem Tode zu bewahren , hat man verschiedentlich mit Erfolg den gefährdeten Posten Hunde als Begleiter mitgegeben. Immerhin ist aber der Wach- und Vorpostenhund bei weitem nicht von der Bedeutung wie der Sanitätshund , weil ersterer durch anderweitige Maßregeln zu ersetzen , dieser gar nicht zu entbehren ist.
Im
Sanitätshund erreicht der neuzeitliche Kriegsbund seine höchste Vollendung und rückt scharf vom Kriegshund vergangener Tage ab. Er soll nicht mehr Wunden schlagen, sondern Er ist also ein barmherziger Samariter.
Verwundete retten .
Aber nicht jeder Hund und nicht jede Rasse eignet sich für diesen Dienst, wie auch die Anlernung im Frieden nicht leicht war und oft auch bei der besten Veranlagung keine befriedigenden Ergebnisse zeitigte. Auch hier wurde der Krieg selber zum Lehrmeister. Es lag nahe, daß man die sog . Polizeihundrassen , den deutschen Schäferhund, den Dobermannpinscher, Airedale Terrier und Rottweiler zunächst allein zum Sanitätsdienst zuließ, womit natürlich nicht gesagt sein soll , daß auch andere Rassen nicht gleich geeignet sein könnten . Natürliche Veranlagung und gute Führung vorausgesetzt, wird stets derjenige Hund die besten Leistungen aufweisen, auf dessen Ausbildung die höchste Sorgfalt verwendet worden ist. Nach dem Äußern sind mittelgroße Tiere am ehesten geeignet ; übermäßig groß gezüchtete Hunde lassen an Ausdauer und Schnelligkeit zu wünschen übrig . Die Farbe soll nicht grell und leuchtend , am wenigsten weiß sein , oder die Hunde müßten , wie es in der türkischen Armee mit Pferdeschimmeln geschieht , umgefärbt werden, um sie mit Gelände und Reiter in Einklang zu bringen, was mit einer einprozentigen Lösung von Kaliumpermanganat zu erreichen ist . Am ungeeignetsten sind Jagdhunde, da sie der Jagdleidenschaft huldigen , zur Unzeit bellen und oft die Truppe verraten Von mancher Seite werden in Rücksicht auf das Geschlechtsleben nur männliche Hunde , Rüden , empfohlen, während andere vorschlagen , in den Hauptlaufzeiten , also im Frühjahr und Herbst, nur Hündinnen arbeiten zu lassen , da wohl die meisten Rüden in dieser Zeit lieber pro ,,Venere" als pro ,, Marte" tätig sind.
Hierbei ist aber zu berück-
sichtigen , daß hitzige Hündinnen oft unter starkem seelischen Druck zu leiden haben und daher unlustig zur Arbeit sind . Der Rüde dürfte in jedem Falle vorzuziehen sein, zumal er im Drang angespannter Arbeit von geschlechtlichen Erregungen abgehalten wird. Mehr als Körperbeschaffenheit und Geschlecht kommt ein hochentwickeltes Sinnesleben in Betracht , besonders bei dem chemischen
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport.
145
Sinnesorgan, dem Geruch, aber auch für Auge und Ohr.
Außerdem
spielt die Gemütsart eine sehr große Rolle. Der Hund soll eher gutartig als bissig, er soll folgsam, nicht handscheu und widerspenstig, und muß an Gehorsam gewöhnt sein. Mit dem Donner der Geschütze und dem Schlachtenlärm wird er vertraut ; er läßt sich schußfest machen und diese Eigenschaft wird schon in den Truppenstandorten Sanitätshunden beigebracht .
den
Die meisten Schwerverwundeten können erst im Dunkel der Nacht oder Dämmerung
aufgesucht werden .
In den Schlupfwinkeln ,
im
Dickicht und Gestrüpp , wo kein menschliches Auge und Ohr die Unglücklichen ausfindig machen kann , spürt sie der Hund auf und macht von seinem Funde Meldung auf dem Wege des Verbellens , d. h. er bellt so lange am Fundort , bis der Führer erscheint , oder, und dieses Verfahren hat sich allein bewährt und wird ausschließlich angestrebt . er ,,verweist " , indem er zum Führer eilt und ihn auf der Spur zur Fundstelle geleitet . Anfangs hat man auch die Sanitätshunde mit stärkenden Erfrischungen für die Verwundeten versehen .
Dies erwies sich als un-
zweckmäßig, da dieser Ballast am Laufen und Suchen hindert und die Verwundeten in der Regel so ermattet und entkräftet sind, daß sie von der gebotenen Zehrung gar keinen Gebrauch machen können . Über die Leistungen eines jeden Sanitätshundes wird Buch geführt . Tausende von Verwundeten , die ohne Sanitätshunde in Nacht und Kälte elend verschmachtet oder verkommen wären , konnten gerettet werden . In einer einzigen Nacht hatte ein Hund 8 , ein andermal sogar 15 Verwundete, dazu noch im zerklüfteten Berggelände der Kaipathen , vom schrecklichen Tode in Schnee und Eis errettet .
In einem
weiteren Falle grub der Hund den meterhoch mit Schnee bedeckten Soldaten aus . In den Karpathen kam es nach den Mitteilungen des Vereins für Sanitätshunde, Braunschweig, vor , daß ein Hund, als er mit seinem Führer an einem Zug mit toten Kriegern , die beer digt werden sollten , vorbeiging, längere Zeit hinter dem Führer zurückblieb und sich in auffälliger Weise mit einem vermeintlichen Toten zu schaffen machte , obwohl die Hunde sonst für Leichname kein Interesse zeigen und auch nach dieser Richtung hin sehr genau zu unterscheiden wissen. Darauf verwies der Hund seine Entdeckung dem Führer , der angeblich Tote wurde einem Arzt übergeben , der Starrkrampf feststellte und die Überführung in ein Lazarett anordnete .
Ferner
liefen Nachrichten ein , nach denen ein einziger Sanitätshund in einer Nacht bis zu neunzig Schwerverwundeten das Leben gerettet hatte, und man darf noch manche andere unerhörte Leistung dieser vier-
146
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport.
füßigen Samariter im Verlaufe des Krieges erwarten .
Wenn man be-
denkt , daß in den Stellungskämpfen das Absuchen des Gefechtsfeldes erst bei Nacht vor sich gehen kann , daß meist die Benutzung von Licht , von Scheinwerfern und Fackeln unzulässig ist , so kann man sich erklären , daß im Anfange des Krieges , als die Sanitätshunde noch fehlten oder nicht in ausreichender Zahl vorhanden waren , trotz wiederholten Absuchens der Wälder und Verstecke noch nach Verlauf mehrerer Tage Unglückliche gefunden wurden . So ist es denn kein Wunder, daß auch zahlreiche Führer mit dem Ehrenzeichen des Eisernen Kreuzes geschmückt wurden , und wenn dereinst unsere tapferen Feldgrauen ihren siegreichen Einzug in die Heimat halten, dann haben auch unsere vierbeinigen Helden ihren Siegeskranz aus deutschem Eichenlaub verdient. Eine untergeordnete , aber dennoch im Winterfeldzug und für die Kämpfe im Hochgebirge nicht zu unterschätzende Bedeutung hat der Kriegsziehhund .
Bisher hat nur die belgische Armee eine Art
kräftiger Fleischerhunde zum Ziehen von auf Rädern mit Luftreifen laufenden Maschinengewehren und von Schnellfeuergeschützen benutzt . Die Tiere haben sich im allgemeinen gut bewährt und seinerzeit auch bei Lüttich eine Rolle gespielt .
Belgien ist überhaupt das Land, das
den Hund in der vielseitigsten Weise ausnutzt .
Abgesehen von der
Verwendung als Wach-, Schutz- , Begleit- und Jagdhund hilft der Hund auch der Bäuerin bei der Butterbereitung - fast in jedem Bauernhause Belgiens sieht man an der Küchenwand ein großes Rad , das von einem Hund bewegt wird und eine Buttermaschine treibt - sowie bei der Beförderung des Gemüses und der Milch .
Ebenso werden in
der österreichischen Armee Ziehhunde verwendet .
In den Karpathen
haben sich die Sankt Bernhardshunde für die Begleitung von Schneeschuhläufern , sowie zur Fortbringung von Schlitten und selbst von Maschinengewehren in hohem Grade bewährt . Der Hund ist von Haus aus Zehengänger, kein Zugtier , kann aber sehr gut als solches gebraucht werden .
Neben Belgien , Holland und
vielen Gegenden Deutschlands beweisen dies ganz besonders die nordischen Gebiete , wo neben dem Renntier der Hund das eigentliche Zugtier ist .
Gerade die Eigenschaft eines Zehengängers befähigt ihn
leicht, über die Eis- und Schneefelder, anderseits aber auch über steilen. und unebenen Boden hinwegzugleiten . Jedenfalls wird auch die deutsche Armee zur Entlastung von Mannschaften und Pferden sich der Ziehhunde da bedienen , wo es angezeigt erscheint . An Hunden ist ohnehin in keinem Lande Mangel, es läßt sich auch jeder kräftige , derb behaarte Hund mit breiter Brust sehr leicht und rasch an den Zug gewöhnen
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport.
147
und gefühlige Vorurteile haben heutzutage keine Berechtigung mehr . Übrigens würde mancher andere Hund den Ziehhund um sein Los beneiden, so namentlich der den Strahlen der Sonne ausgesetzte Kettenhund oder der zum Nachlaufen hinter seinem Radler bestimmte Begleithund.
II. Betrachten wir alle kriegführenden Nationen, auch unsere Verbündeten, so müssen wir die erfreuliche Wahrnehmung machen , daß die Geisteskraft und Tüchtigkeit des Deutschen auch in seinem Kriegshund zum Ausdruck gekommen ist . Er überragt selbst nach dem Urteil aus Feindesland die Kriegshunde aller Länder durch seine Leistungen . Und wem gebührt das Verdienst an diesen Erfolgen ?
Einzig und
allein dem deutschen Hundesport ! Dieser hat sich aus kleinen Anfängen , die bis ins Jahr 1863 zurückgehen , zu einer stattlichen Bewegung entwickelt, mit dem Ziele, in den Wirrwarr der vorhandenen . Rassen Ordnung zu bringen , den Hund als solchen nach seinem Typus , seinem Äußern und bei Gebrauchshunden nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Geltung zu bringen, das Züchtungsverfahren selbst nach bestimmten Grundsätzen und durch die Anlage von Stammbüchern zu regeln , minderwertige, ungeeignete Tiere auszuscheiden , und die Reinzucht an Stelle der Willkür- und Bastardzucht zu setzen . Auf diese Weise entstanden im Laufe der Zeit Zuchtvereine für alle berechtigten Rassen.
,, Durch Typ zur Leistungsfähigkeit " und umgekehrt lautete
für die Gebrauchshundezucht die Losung. (Auffällig muß es erscheinen , daß als Gebrauchshunde das Reichsseuchengesetz nur die Zieh- , Hirtenund Jagdhunde, früher auch die jetzt verpönten Fleischerhunde kennt . ) Aber wie für die Kriegführung , erkannte man auch damals schon für die Hundezucht , daß das ,, mens sana in corpore sano " der Alten , wonach Körper und Geist von Natur aus in einem gewissen Unabhängigkeitsverhältnis zueinander stehen könnten , dahin verstanden werden. müsse , daß ,, der Geist es ist, der sich den Körper baut" . Nach diesem Grundsatze und auf dem Wege der freien Vereinigung erreichte man das, was man bei den geordneten Zuchten der nutzbaren Haustiere unter Mitwirkung
auch geldlicher Art
und Aufsicht des Staates
im Interesse der Volksernährung, der Wehrfähigkeit und aus volkswirtschaftlichen Gründen zu erzielen strebt . Freilich ist der Hund kein Tier, das mit ,, Butter versorgt " , allein desto mehr Vorzüge psychischer Art sind diesem Vierfüßler eigen , um ihn unentbehrlich und unersetzlich zu machen. Dies sollten vor allem jene berücksichtigen ,
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport . 148 die in dieser Kriegszeit so gern und urteilslos von einer ,, Hundeplage “
sprechen . Gerade jetzt ist der Hund mehr als sonst nötig . Die wie Pilze aus dem Boden geschossenen Vereine , an deren Spitze meist erfahrene Kynologen stehen , fühlten bald das Bedürfnis , sich eßen . Ein kleinerer Teil zu größeren Organisationen zusammenzuschli n io miss vereinigt , während sich neben ist in der Delegiertenkom ig ev ng von ihr die Rass ereine kräftig entwickelten dieser und unabhä So kam ein gesunder Fortschritt in den jungen Sport, allgemeine und en und Prüfungen der Gebrauchshunde wurden Rasseveranstaltung abgehalten und bildeten bald eine regelmäßige Erscheinung des kynologischen Lebens . Außerdem wurde auch das wissenschaftliche Gebiet , die Kynologie , gepflegt und alle diese Regungen und Ziele fanden in einer fachmännisch und geschickt geleiteten Presse den vermittelnden Ausdruck . Die Mitglieder wurden mit allen Fortschritten und Neuerungen vertraut gemacht ; so befand sich der deutsche Hundesport in einem ständigen Vorwärtsstreben und vervollkommnete sich immer Die Zucht und das Halten von Hunden wurde plan- und erfahrungsgemäß gehoben , einträglicher und fruchtbarer , hygienische Verbesserungen und die Erkenntnis von den gefährlichen Krankheiten halfen mit ; die Gesetze der Zucht wurden Hand in Hand mit den Lehren
mehr.
der Wissenschaft praktisch erprobt , durch geschickte Inzucht wurden die vorhandenen Rassen veredelt und durch Kreuzung neue brauchbare eit der und reizvolle geschaffen . Die höchstmögliche Leistungsfähigk ng tu al en hen h n m eh l, Mitteln r all mit ma wa das Zie nac de Hund deutsc strebte , gewiß keine leichte Aufgabe und um so schwerer , als die Hundezucht bei uns sehr vernachlässigt worden war und der Sport nur wenige Rassen rein vorfand , als er seine Arbeit begann . Fast alle benachbarten Staaten wiesen damals einen höheren Stand auf und konnten den Ruhm für sich in Anspruch nehmen , auf dem Gebiete der Tierzucht im allgemeinen und der des edlen Hundes im besonderen bahnbrechend vorgegangen und weit voraus zu sein . Wie schon Caesar in seinem ,,Bellum gallicum " erwähnt , besitzt der Brite jene besonnene Zähigkeit und Ausdauer , die Grundlagen der züchterischen Begabung , von Natur aus, Eigenschaften , zu denen sich die wirtschaftliche Wohlhabenheit d des Volkes und des Einzelnen erfolgverheißen gesellen . In der Tat stand England mit seiner Hundezucht stets an der Spitze und wurde für uns und alle Völker vorbildlich . Freilich entspringt sein Sport nicht aus den idealen Beweggründen , die den deutschen Züchter begeistern, und sein Streben ist nicht auf die selbstlosen Ziele gerichtet , wie bei uns. Der Engländer treibt Parade- und Sportzucht und der greifbare Gewinn allein ist ihm höchste Befriedigung . Eine Liebhaber-
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport. 149 zucht in unserem Sinne kennt er nicht , ihm ist die Hochzucht des Hundes nicht Gemüts- oder Herzenssache , nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Auch hier bleibt sich der Engländer treu , auch Persönlichkeitsmensch der ausgesprochene Selbstling hier ist er der . ,
Der deutsche Hundesport hat die Zuchtleistungen Englands rückhaltlos anerkannt und bewundert; er hat sich nicht nur seine Erfahrungen zur Richtschnur genommen, sondern auch keine Ausgaben gescheut, englische Vollbluthunde bei uns einzuführen , heimische verwandte Arten damit aufzubessern und englische Rassen in eigene Zucht zu nehmen . Wir verdanken englischer Zucht die Blüte der eigenen, die heute Dank deutschem Fleiß und deutscher Willenskraft würdig neben ihrer Vorgängerin und Lehrerin steht. tsche ist ein r Deu Züchter von umfassender Bedeutung geworden De un d hat ganz neue , eigene Wege gefunden und verfolgt , und wenn er kein anderes Verdienst hätte , als den Polizei- und Sanitätshund geschaffen zu haben , wahrlich, es wäre Ruhm genug. Kein Geringerer als der englische Major Richardson , der anerkannte Fachkenner auf diesem Gebiet , schrieb ganz im Anfange dieses Krieges : ,, Auch die Franzosen haben Wachhunde in ihren Laufgräben und bei ihren Vorposten , aber die Deutschen sind ihnen weit voraus und haben wohl 6000 ausgezeichnet abgerichtete Hunde bei sich. " Und dies Zugeständnis macht er , ohne daß ihm dies bis dahin die weit größeren und bewunderungswürdigen Leistungen unserer Sanitätshunde bekannt waren, gegen die alle anderen weit zurückbleiben . Alle Erfolge mit dem Kriegs- und Sanitätshund verdanken wir Nach dem Feldzuge gegen Frankreich dem deutschen Hundesport . im Jahre 1870/71 veröffentlichte Oberst von Meerheimb eine Schrift, in der er an den Kriegshund folgende, auch heute noch gültige Forderungen stellt : ,,Bei einem Gewicht von 25-30 Kilogramm soll er eine durchschnittliche Höhe von 50 cm haben , durchweg gute Muskelbildung , einen kurzen Rücken , geräumigen Brustkasten , kräftige Lenden , richtig gestellte Läufe , harte Ballen , einen langen Fang und ein gutes. Gebiß besitzen . Der Behang soll mittellang, besser kurz sein und das Haar rauh, mindestens hart und von unscheinbarer Farbe . Daß zur Erfüllung der dem Kriegshund gestellten Aufgabe ein hoher Grad von Verstand , die Abwesenheit jeglicher Jagdgelüste und eine gute Gesundheit gehören , wozu ein scharfes Gehör und ein ebensolches Sehvermögen treten müssen, ist selbstverständlich. " Im Jahre 1891 trat E. von Otto mit seiner Schrift ,, Der Kriegshund" hervor , in der er den Airedale - Terrier als den geeigneten Hund bezeichnet. Von der Behörde angestellte Versuche ergaben die Richtigkeit seiner BehaupUnd der Airedale wurde neben dem deutschen Schäferhund tung.
150
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport.
amtlich angenommen und damit gleichsam der Stammvater des Kriegshundes. Damals handelte es sich nur um Melde-, Wach- oder Vorpostendienste . Der eigentliche Begründer des Sanitätshundewesens wurde aber der Hofmaler Johannes Bungartz (vgl . auch den Aufsatz d. kynol. Zeitschrift ,, Hundesport u . Jagd" , Bielefeld, Heft 21/22 , 1915.
Verfasser J. Berta , Erfurt) durch seine praktischen Versuche
und die Herausgabe seines Buches ,,Der Hund im Dienste des roten Kreuzes" . Unablässig wies dieser Tiermaler in Wort und Bild auf die Bedeutung eines Sanitätshundes in zukünftigen Kriegen hin. Die Gegenwart hat seine Vorschläge verwirklicht und seine Erwartungen und Verheißungen glänzend bestätigt ; ihm gebührt die Ehre des Erfolges zuerst .
Im Jahre 1893 rief Bungartz in Aachen den Deutschen
Verein für Sanitätshunde ins Leben , dem er die Aufgabe stellte , Hunde für den Sanitätsdienst auszubilden und die fertig abgerichteten unentgeltlich an die Sanitätskompagnien abzugeben. Um ihre Tauglichkeit für diesen Dienst vor Augen zu führen, beteiligte sich der unermüdliche und von der Bedeutung seines Werkes erfüllte Mann mit vier seiner Zöglinge an der großen Krankenti ägerübung des 8. Armeekorps in Coblenz . Ihre Leistungen fanden um so mehr Beifall , als sie in einem unbekannten Gebiet und unter den denkbar schwierigsten Verhältnissen zu arbeiten hatten. So fanden sie bei einer Nachtübung innerhalb zwanzig Minuten noch 12 Verwundete im dichtesten Gebüsch auf. Bei einer Tagübung war das Ergebnis noch überraschender, in der gleichen Zeit fanden die Hunde 18 verborgene Verwundete . Von dieser Zeit an wurde der Ausbildung von Sanitätshunden vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt , bis sie bei Ausbruch des Krieges mit aller Macht in die Hand genommen wurde. Mit einem Male war der Sanitätshund Wirklichkeit geworden .
Unter der Schirmherrschaft
des Großherzogs von Oldenburg bildete sich der Deutsche Verein für Sanitätshunde. Der Verein für deutsche Schäferhunde stellte alle seine reichen Kräfte und Mittel in den Dienst der schönen Sache und überall im deutschen Vaterlande richteten sich örtliche Stellen ein, denen die Anwerbung von Führern und Hunden und ihre Ausbildung anvertraut war . Ebenso wurden in den eroberten Gebieten Ausbildungs- und Prüfungsstellen gegründet und zur Wahrung einheitlicher Gestaltung des Ganzen und steter Förderung zwei aufsichtsführende Offiziere, Herr Oberleutnant Most für den westlichen , Herr Oberleutnant Itzerott für den östlichen Kriegsschauplatz ernannt . Durch persönliche Meldungen und Berichte an das Große Hauptquartier wurde die Arbeit der Sanitätshundführer genau geregelt,
151
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport .
so daß bei dem warmen Interesse , das die Heeresleitung an der sachgemäßen Entwickelung der ganzen Einrichtung stets gezeigt hat , ein erfolgreiches Arbeiten auch für die Zukunft gesichert ist.
Es ist
auch keineswegs ausgeschlossen , daß die Tätigkeit und Verwendbarkeit der Sanitätshunde noch erweitert werden kann, vor allem durch den Dienst als Postenhund, wenn keine ausreichende Arbeit für den Hauptberuf vorliegt. Es wäre aber erst festzustellen , ob sich beide Tätigkeiten vereinigen lassen, ohne daß die eine der anderen schadet . Das
Sanitätshundewesen
Kynologie , im deutschen
wurzelt
in
der
deutschen
Hundesport , wenn es auch heute
einen volkstümlicheren Charakter trägt und eine ganz andere Form angenommen hat, als sie zu Friedenszeiten war. Der Verwundetendienst bewegt sich in wohldurchdachten , großzügigen Bahnen und ist nach weiser Voraussicht geregelt .
Eine gewaltige Körperschaft von
Berufsbeamten tritt in Tätigkeit und da braucht es nicht Wunder zu nehmen, wenn die Mitarbeit des Hundes nicht gleich und mühelos in diesem Rahmen unterzubringen war, wenn mancher Grundsatz verlassen , die zugelassenen Rassen bestimmt wurden und Schwierigkeiten entstanden , die erst dadurch beseitigt wurden, daß man die Führer und Hunde den Sanitätskompagnien zuteilte .
Jedenfalls ist
man behördlicherseits bestrebt, die neue Erscheinung der Sanitätshunde vorteilhaft zur Geltung zu bringen und sie geschickt und wirksam in das ganze so wundervoll geregelte Getriebe unserer Kriegsmaschine einzufügen. Das durch die Arbeit einzelner Geschaffene erfährt im ernsten Dienst erst die rechte Vollendung und Ausnutzung. Aber die Grundlage für das
Gedeihen des deutschen
Sanitätshunde wesens jetzt und in alle Zukunft ist das Verständnis für die Hundezucht , das unser hochentwickelter Hundesport hervorgerufen , und die planvolle Tätigkeit dieses selbst . Die beiden deutschen kynologischen
Großverbände
der Dele-
giertenkommission und des Kartells der stammbuchführenden Rassevereine , zu dem auch der umfassende , großzügig geleitete Verein für deutsche Schäferhunde gehört , haben sich selbstlos in den Dienst der vaterländischen Sache gestellt und ihr Bestes beigetragen.
Und wie
sie im Kriege einig und gemeinsam sind im Ziel und Streben, so mögen sie demnächst auch im Friedenswirken in Kraft und Einigkeit zusammenstehen zu des Ganzen Heil , zu des deutschen Hundesportes Größe und Ehre ! Wenn wir auch von den Leistungen des Kriegshundes, den sie geschaffen, absehen , verdient die deutsche Kynologie auch nach dem
1
"
152
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport.
Kriege weit mehr Beachtung , als ihr bisher geschenkt wurde.
Wohl
hat die Hundezucht als solche nicht die Bedeutung wie die der nutzbaren Haustiere . Sie ist in der Hauptsache Sport- und Liebhaberzucht , aber deswegen stellt sie doch einen nicht unwesentlichen Teil unseres Nationalvermögens dar, und daß der Hund als Nutztier nicht aus unserer Zeit ausgeschaltet ist , beweist allein schon seine Verwendung im Zug, die trotz dem Pferd und trotz allen technischen Verbesserungen im Kriege wie im Frieden nicht entbehrt werden kann . Nicht minder ist der Hundesport ein Stück unserer Volkskultur, denn er ist für die Jagd von unmittelbarster Bedeutung, und die Zucht der jagdlichen Gebrauchshunde ist eine seiner vornehmsten Aufgaben . Im Deutschen Reiche werden etwa 400000 Jagdscheine ausgestellt . Rechnet man nur auf jeden achten Jäger einen Hund , so ergibt sich allein für dieses Gebiet der Jagd ein Bedarf von 50000 Rassehunden , deren Wert allein schon mit 10 Millionen Mark anzunehmen ist. Zweifellos ergeben die übrigen Gebrauchshunde , die im Polizei- und sonstigen Berufsdienst tätig sind, eine vielleicht noch höhere Summe, und daß die sog. Luxushunde mit ihren häufig ganz ungewöhnlichen Zuchtwerten nicht zurückstehen, brauchen wir denen nicht zu versichern , die nur einen flüchtigen Blick in den kynologischen Sport getan haben . Das im deutschen Hundebestand ruhende Nationalvermögen ist so wesentlich , daß es die höchste wirtschaftliche und soziale Beachtung verdient , und daß die Heeresleitung allen Grund hat , mit diesem Hilfsmittel zu rechnen , wird nach den Erfahrungen im jetzigen Kriege unbestreitbar sein . Die zukünftige Kriegsbereitschaft wird sich auch auf den Hund ausdehnen und die leitenden Behörden werden schon während des Friedens dem Sport , der allein die Vorarbeit auf sich genommen, erhöhte Aufmerksamkeit schenken. Als der Krieg erklärt war, riefen englische Zeitungen : ,, Bindet die Kriegshunde los !" Was sie im Bilde ausdrückten, muß bei uns Wirklichkeit werden : Wenn wir wieder einmal genötigt werden , das deutsche Schwert zu ziehen , dann möge es auch nicht an unseren vierfüßigen Helfern fehlen ; dann wird ein besser gestellter und mehr geachteter Hundesport dafür gesorgt haben, daß Tausende von hilfreichen Hunden bereit stehen , wenn der König das Volk zu den Waffen ruft. Hundesport und Hundehaltung haben somit im heutigen Staat eine hohe Berechtigung und bilden einen Kulturzweig , der sorgsamster staatlicher Förderung wert und nicht bloß dazu da ist , geduldet“ und ob seiner vermeintlichen Nachteile bekämpft zu werden. Jede Tierzucht hat ihre kleinen Schäden und Unbequemlichkeiten für den Nebenmenschen , aber keine wird durch beschränkende Bestimmungen
Der Kriegshund und der deutsche Hundesport.
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und Unfreundlichkeiten so beeinträchtigt und so ausschließlich von dieser Seite betrachtet , als die des edlen Hundes. Gegen die Gefahren, die der Hund für Sicherheit , Eigentum und Leben bietet , werden immer neue polizeiliche Vorkehrungen, beschränkende , ja ausrottende Bestimmungen und ungewöhnlich drückende Steuern gefunden , wo die Die Tollwut bestehenden Gesetze vollständig ausreichen würden . bestimmungen enthalten Härten , die ohne Nachteil beseitigt werden könnten , und es
ist
seuchengesetzlich gestellt wird .
Ungerechtigkeit ,
eine
den
nicht
übrigen
daß der
Haustieren
Hund gleich-
So werden nach einer Bestimmung des Viehseuchen-
gesetzes für solche Haustiere , die auf polizeiliche Anordnung getötet, dann aber als gesund und seuchenfrei erkannt wurden, angemessene Entschädigungen gezahlt , für die so beseitigten Hunde aber nicht.
Gleichstellung
des
Hundes
mit den übrigen gesetz-
lich anerkannten Haustieren ist heute mehr denn je eine Forderung der Billigkeit und ausgleichenden Gerechtigkeit. Die deutsche Hundezucht und der ihr dienende Sport hat gezeigt , was er kann , und ein Recht auf Achtung und Beachtung. Er ist zu gut und zu wertvoll für das Staatsganze , als daß er nur die Härten des Gesetzes , nicht auch seine Wohltaten erfährt .
154
Literatur.
Literatur.
I. Bücher. Handbuch für Heer und Flotte. Enzyklopädie der Kriegswissenschaften und verwandter Gebiete. Herausgegeben von Georg v. Alten , Generalleutnant z . D. , fortgeführt von Hans v. Albert, Mit zahlreichen Tafeln , Tabellen , Karten , Hauptmann a. D. Plänen und Textillustrationen. Band VI. Deutsches Verlagshaus Bong & Co. Berlin W 57. 26 M. Mitten im gewaltigsten Kriege, den die Menschheit erlebt hat, ist ein neuer Band des bedeutendsten kriegswissenschaftlichen Werkes der Gegenwart erschienen , der sechste Band des bekannten Altenschen „Handbuches für Heer und Flotte" , er reicht von „ Leissègues" bis „ Österreich-Ungern " , umfaßt 930 Seiten und enthält 30 Tafeln, 227 Abbildungen im Text, sowie zahlreiche Tabellen und sonstige Beilagen. Herausgeber und fast sämtliche Mitglieder der Schriftleitung stehen im Felde. Durch den Mangel an Arbeitskräften ist das Erscheinen verzögert worden . Der Herausgeber macht darauf aufmerksam , daß niemand einen Versuch , die Ereignisse des Krieges schon jetzt zu sichten und zu behandeln , von einem wissenschaftlichen Werke erwarten kann , das müsse späteren Bänden vorbehalten bleiben . Eine eingehende Beschäftigung mit dem gewaltigen Bande zeigt, daß er auch an Reichhaltigkeit des Inhalts alle bisherigen weit übertrifft. Es ist unmöglich , im Rahmen einer kurzen Besprechung auch nur eine knappe Übersicht über die nach Tausenden zählenden Aufsätze zu geben, die nicht ein einziges von den vielen Gebieten der Kriegswissenschaften unberücksichtigt lassen. Deshalb müssen wir uns an dieser Stelle mit wenigen Stichproben und Beispielen begnügen. Unter den Lebensbeschreibungen ragt die von „ Moltke“ durch ihre große Anlage, geistvolle Durchführung und warmherzige Fassung hervor ; sie dürfte das Beste darstellen , das bisher über den großen Strategen geschrieben worden ist. Ihr Verfasser ist der General der Infanterie Freiherr von Falkenhausen , einer unserer jetzigen Heerführer im Felde . Aus seiner Feder stammt auch der interessante Aufsatz 99 Operationen " . Als ein Gegenstück zum Aufsatz „ Moltke " kann man die ebenfalls ungemein lehrreiche und nach den neuesten Quellen bearbeitete Lebensbeschreibung des unrühmlich bekannten „Massenbach" bezeichnen , verfaßt von Major Freiherrn von Hoverbeck gen . v . Schönaich. Generalmajor von VoB, vor dem Feinde gefallen , bietet im Aufsatze „Literatur" einen lückenlosen Überblick über die gesamte Militär- und Marineliteratur seit dem Altertum . In erschöpfender Darstellung der einzelnen Staaten mit ihren Heeren und Kriegsflotten sind diesmal „ Luxemburg" , „ Marokko “ , „ Mexiko “, „ Montenegro ", „Niederlande", „Norwegen" und „ Österreich - Ungarn " behandelt worden .
Vorzüglich ist der Aufsatz „ Offizier" , der die Entwickelung
Literatur.
155
dieses wichtigen Berufes vom Altertum bis zur Gegenwart in allen größeren Staaten schildert, aus der Feder des Oberstleutnants Freiherrn v. d. Osten - Sacken und v. Rhein. Aus dem Gebiete des Waffenwesens sei auf die reich illustrierten Abhandlungen „ Maschinengewehre" (Major Fleck) , „ Mörser" (Hauptmann Bönisch) und „ Munition " hingewiesen . Die „ Luftfahrt" behandelt Hauptmann Romberg . Unter den zahlreichen Artikeln über Truppenführung interessieren besonders „Lineartaktik" von General der Infanterie v. Zwehl , „ Marsch “ , Minenkrieg" von „Nahkampf“. Recht aktuell ist der Aufsatz Oberstleutnant Frobenius. Reich ist die Militärgeographie bedacht . Außer den zahlreichen Länderbeschreibungen dienen ihr die zum großen Teil mit trefflichen Skizzen versehenen Aufsätze „ LombardischVenezianische Tiefebene “ , „ Maas “ , „ Mosel “ , „ Mittelmeer" , Narew- Njemen - Linie “ , „ Neue holländische Wasserlinie“ , „ Nordsee" (Fregattenkapitän Walther) , „ Oder" (Major von Schreibershofen). Von hohem allgemeinem Interesse sind die größeren Abhandlungen „Militärmission “ , „ Neutralität“ ( Professor Dr. Triepel) , von besonderem Interesse in Hinblick auf den gegenwärtigen Krieg: „Lüttich“ , „Lille" , „ Maubeuge " , „ Namur" , „Ostende " . Der im Kampte gegen Rußland gefallene Oberleutnant v . Stuckrad hat zwei überaus mühsame, sehr verdienstvolle Arbeiten geliefert : Er hat die „Marineminister" aller größeren Staaten in chronologischer Reihenfolge aufgeführt und die Löhnungssätze in den einzelnen Heeren und Kriegsflotten zusammengestellt und verglichen . Sehr glücklich ist die Würdigung von Liliencron " durch Oberstleutnant Hoppenstedt. Ein Buch im Buche bildet der Aufsatz „ Orden und Ehrenzeichen “ vom Regierungsassessor und Kammerjunker Dr. v. Hessenthal , mit sechs künstlerisch vollendeten Ordenstafeln und einer Reihe von lückenlosen Tabellen sämtlicher Orden aller Staaten, in dieser Vollständigkeit Balck. unvergleichlich und bisher unbekannt. Chronik des Deutschen Krieges . Sechster Band : 450 Seiten mit 4 Kärtchen . C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck in München . Preis gebunden 2,80 M. Mit Freuden wird das Erscheinen des 6. Bandes begrüßt werden . Er steht auf der Höhe der fünf bereits erschienenen Bände, und umfaßt die Zeit von Mitte Juni bis Mitte Juli 1915. Jede neue Ausgabe ist ein neuer Beweis der gediegenen , streng sachlichen Arbeit und M. D. sei bestens empfohlen . Die schwarze Garde. Von Rolf Sommer. Kriegserlebnisse eines freiwilligen Automobilisten in Rußland 1914/15 . Mit 7 Abbildungen . Berlin. 1916. E. S. Mittler & Sohn . 2 M. , geb. 3 M. Nach dem Osten führt uns das vorliegende Buch mitten hinein in Kampfgetümmel, Liebesarbeiten , in Ruhe- und Erholungspausen , Kampf und Sieg ! Immer vorwärts -— schnell , schnell, immer ist irgend ein dringender Auftrag zu erledigen , immer scheinbar Unmögliches möglich zu machen!
156
Literatur.
Wie wichtig und unentbehrlich die Leistungen der Kraftfahrzeuge im gegenwärtigen Weltkrieg sind, davon mag sich jeder selbst überzeugen, der diese lebendigen Schilderungen des freiwilligen Automobilisten auf sich wirken läßt -— - er wird nicht nur hieran Genuß haben , er wird einen lebhaften Einblick in das gesamte Kriegsleben und in M. D. die Verhältnisse der Ostarmee tun können .
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Maſsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Floericke, Bulgarien und die Bulgaren . Stuttgart . Franckh'sche Verlagshandlung. 1 M. 2. Briefe aus dem Felde. Für das deutsche Volk herausgegeben von der Zentralstelle zur Sammlung von Feldpostbriefen im Märkischen Museum zu Berlin . Oldenburg 1916. Gerhard Stalling . 7,50 M. 3. Gersbach, Verfassung und Verwaltung des Deutschen Reiches (in Frage und Antwort) . 26. - 28 . Tausend . Berlin . Kameradschaft Wohlfahrtsgesellschaft m. b. H. 0,60 M. 4. Marck, Deutsche Staatsgesinnung. München 1916, C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung. Geheftet 1,20 M. 5. Immanuel, 16 Monate Krieg. Volkstümliche Darstellung des Weltkrieges vom August 1914 bis November 1915. Fünfte Auflage. Berlin 1916. E. S. Mittler & Sohn. 2,50 M. 6. Thiem, Keimfreies Wasser fürs Heer. Leipzig 1916. der Internationalen Zeitschrift für Wasserversorgung . 1 M,
Verlag
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z. D. H. Rohne) enthält u . a. folgende Arbeiten : Rothe, Rudolf : Über die Treffwahrscheinlichkeit eines Zieles. I. ** Die schweizerische Artillerie. *
Körner: Was kann die allgemeine Wehrpflicht England für den Augenblick nützen ? Krebs, Wilhelm: Die Hörweite des Geschützdonners . V. Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam
XV. Frankreichs
Selbstlob
Kriegsausbruch und
dicht
vor
dem
seine Selbstkritik
nach 1½ Kriegsjahren .
Von Rhazen, Generalleutnant z. D.
Während im Februar 1916 Menschikow- und mit ihm Professor Migulin in der ,, Nowoje Wremja " ehrlich genug war , die Legende zu zerstören, Deutschland habe speziell für 1914 den Krieg vorbereitet , hat der französische Unterstaatssekretär Thomas einem Vertreter des ,, Secolo " in Rom zu hören gegeben, Frankreich sei für den Krieg im
Jahre
1914 völlig unvorbereitet gewesen .
Er kann damit nur die Vorbereitung von längerer Hand her im Auge gehabt haben, denn die unleugbare Tatsache , daß die allgemeine Mobilmachung, ja Aufmarschtransporte in Frankreich schon im Gange waren, lange bevor die Kriegserklärung erfolgte, gehört unwiderleglich der Geschichte an. Wenn man in Frankreich den Krieg auch nicht gerade für 1914 ein bis zwei Jahre später wäre er der französischen
vorbereitet hat
Heeresleitung in mancher Beziehung erwünschter gewesen
so wider-
strebt Thomas Behauptung der erkannten Wahrheit , daß Frankreichs mit Hochspannung 1913/14 betriebene Rüstungen nur einem Kriege ,,ad hoc" dienen konnten und daß man nach Bereitschaft in absehbarer Zeit strebte . Heute, wo schon Rufe nach dem rettenden Mann, heiße er Joffre, oder Gallieni , Chef oder Diktator,
Clémenceau
spricht sogar von einer ,,Dynastie Poincaré" - vernehmbar werden, wo der Berichterstatter des Heeresausschusses in der Kammer , Paté, darin mit Senator Humbert übereinstimmend, zugeben mußte , daß Frankreich bezüglich der Einstellung wehrfähiger Mannschaften vollständig am Ende seiner Leistungsfähigkeit angekommen und Untaugliche und Krüppel an die Front geholt hat, weil es wehrfähige Reserven zum Schließen der Lücken nicht mehr besitzt, ist die damalige Berechnung freilich als falsch erwiesen. 12 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 535.
158
Frankreichs Selbstkritik nach 11/2 Kriegsjahren . Einen schlagen deren Beweis für die Vorbereitung auf
den Krieg ad hoc , als die Rückkehr zur dreijährigen , von Rußland ja auch dringend verlangten Dienstzeit mit ihren Begleiterscheinungen im Jahre 1913 kann es wohl kaum geben . Zu übersehen ist dabei nicht , daß es nicht Schuld der Regierung war - die Unruhen im Mai 1913, und im Herbst neu zu erwartende veranlaßten vielmehr dazu - daß dem Gesetz vom 7. August 1913 nicht rückwirkende Kraft auf die bis zum Herbst 1913 dienenden Jahrgänge gegeben wurde , und daß man sich , um vom Herbst 1913 ab die dreijährige Dienstzeit durchgeführt zu sehen , auf verfrühte Einstellung der 20jährigen und auf nur einen Monat auseinanderliegende Einstellung von zwei Rekrutenjahrgängen , 1912 und 1913 , einigte.
Damit hatte man im Herbst 1913 nicht 160 bis
180000 Mann mehr an Ausgebildeten unter den Waffen , sondern zwei Rekrutenjahrgänge , neben einem ein Jahr dienenden .
Die vor-
übergehende Häufung von Unausgebildeten war aber im April 1914 überwunden.
Da es Bestimmungen über Kapitulationen auf 1½ und
112 Jahr mit Soldzulage und erhöhtem Handgeld , je nach den Garnisonen, enthielt, gab das Gesetz auch die Mittel, das Ausbildungspersonal und die Zahl der ausgebildeten unter den Waffen bleibenden Leute während der Übergangszeit bis zur vollendeten Schulung der Rekruten zu steigern. Das Wehrgesetz vom 7. August 1913 sollte in Frankreich selbst rund 710000 Mann für den Dienst mit der Waffe , 50000 für Hilfsdienste, in Algerien, Tunesien und Marokko mindestens 60000 Mann Arabertruppen und Legionäre , 13000 Mann Senegalneger, im Frieden , außer 35000 Offizieren und Beamten, im Durchschnitt rund 833000 Mann Friedensstärke ergeben, das heißt um rund 180 bis 200000 Mann über die frühere hinausgehen . Die Kriegsstärke wuchs durch das Gesetz um drei, den jüngsten und zwei alte Jahrgänge. Die mächtig gesteigerte Friedensstärke bot die Möglichkeit, einem starken Teil der Einheiten , nicht allein an der Ostgrenze , Friedensetats von 4/5 der mobilen Stärke bei den Fußtruppen , von ganzer Stärke des fechtenden Teiles bei den berittenen Truppen , damit also einen hohen Grad von Bereitschaft und Sicherheit schleunigster Mobilmachung zu geben und daneben auch mit einem Schlage umfassende Neubildungen zu bewirken und für das Heer der ersten Linie mit diesem gleichzeitig mobil werdende Reserveformationen , einschließlich aktive im Frieden schon vorhandene Führer und Stämme , bereit zu stellen . Wir weisen nur auf die Neubildung des XXI . Korps , Epinal, aus einer Division des VII. Korps und einer neu aus Festungsregimentern entwickelten , auf die Steigerung der Jägerbataillone, Vermehrung der Zuaven-,
Frankreichs Selbstkritik nach 11½ Kriegsjahren .
159
Neugliederung der Fremden-, Vermehrung der Turkoregimenter, auf die Neubildung von 2 Kavallerieregimentern , 12 fahrenden , 14 reitenden , 2 Gebirgs-, 37 schweren Batterien, 21 Pionier- , 6 Eisenbahn-, 2 Funker- , 7 Fahrerkompagnien , 22 Scheinwerferzügen hin . Zu den 7 Luftschifferund Fahrerkompagnien , 10 Fliegerzügen , die im Budget 1913 erschienen , waren zunächst 2 neue Luftschifferkompagnien, 20 Fliegerzüge vorgesehen und 27 Feldfliegerabteilungen für Oberkommandos und Armeekorps, 5 Festungs- , 6 Küstenfliegerabteilungen, 10 Fliegerzüge für Kavalleric , 20 für Artillerie im Mobilmachungsplan 1914 angesetzt.
Die anfangs 1913 die Zahl
370 erreichenden Flugzeuge
sollten in demselben Jahre noch auf 600 wachsen und Panzereinsitzer und Mehrsitzer hinzutreten . Dicht vor der Mobilmachung , am 12. Juni 1914, wurde dann eine erweiterte Neugliederung des Flugwesens genehmigt, die methodisch vor dem Kriegsbeginn nicht mehr durchgeführt werden konnte und zum Teil improvisiert werden mußte . An Zahl der brauchbaren Flugzeuge war uns Frankreich beim
Kriegsbeginn
entschieden
überlegen
und hat
diese
Überlegenheit eine ganze Zeit lang behauptet . Während des Krieges erst sind wir unbestritten an Material und Personal erdrückend in die Vorhand gekommen. Spricht das Angeführte für die Vorbereitung des Krieges in Frankreich , so nicht minder die Tatsache, daß wir in der ersten Kriegsphase nicht nur Reservedivisionen , deren Zahl gegenüber der planmäßigen entschieden bald verdoppelt worden ist
in Südmazedonien wird eine
115. Division genannt und bald auch neu formierte (Reserve-) Korps , sondern auch Territorialdivisionen im Felde treffen . Bekannt ist weiter , daß lange vor der Mobilmachung schon in Amerika sehr umfassende französische Pferdeankäufe bewirkt wurden.
Daß Frankreich 1913
allein für schwere Artillerie 50 Millionen ausgeworfen , im Jahre 1914 eine 10,5 cm- Kanone mit großer Schußweite in der Abnahme (nach französischen Nachrichten 200 Stück) begriffen war, daß es eine 12 cmFeldhaubitze in Versuch hatte, daß für die Artillerie der Festungen 1913/14 rund 49 Millionen aufgewendet wurden und an Belagerungsmaterial 1912/14 der 21 cm-Mörser und die 15 cm- Haubitzen aptiert wurden , und daß endlich eine lange 15 cm- Kanone und ein 28 cmMörser in Versuch standen , hat uns ,,Figaro " am 29. Juli 1914 gesagt und, übereinstimmend mit ,,France Militaire " , hinzugefügt , die Hauptanstrengungen seien auf das Material der schweren Artillerie gerichtet. gewesen. Daß die Neubewaffnung hier nicht vollkommen durchgeführt war, als der Krieg begann, ist eine andere Sache . Diese Skizze dessen, was an Rüstungsmaßnahmen 1913/14 in Frankreich bewirkt worden , reicht, obwohl sie nur in Grundstrichen 12*
160
Frankreichs Selbstkritik nach 11
Kriegsjahren.
erfolgte , wohl aus , entgegen den Thomasschen Behauptungen zu beweisen, daß der Krieg in Frankreich mit Hochspannung vorbereitet worden ist. Als der Weltkrieg begann , war in den französischen Blättern die
feste Zuversicht zu lesen, eine französische sofort bereite Feldarmee von 3 Millionen , russische Massen erster Linie von 7 Millionen, hinter denen 3 bzw. weitere 10 Millionen ständen , würden die Mittelmächte Heute hat Frankreich, wie wir sehen werden , die letzte Windung der Rüstungsschraube angezogen , schon untaugliche Elemente einbegreifend, Rußland ist auf dem tiefsten Boden
baldigst erdrücken .
seiner Ersatzquellen angekommen , der bei Kriegsausbruch noch nicht gezählte wortbrüchige frühere Teilnehmer des Dreibundes, Italien, der im Mai 1915 1 Million Österreich-Ungarn zu fesseln , oder, wenn ihre Grenzmauer etwas schwächer wäre , diese in kürzester Zeit über den Haufen zu rennen vorgab, zittert heute davor , zu größeren Entsendungen nach auswärts gezwungen zu werden . England sieht im Militarismus vergeblich seine letzte Hilfe und renommiert mit Zahlen, die es gleichzeitig niemals unter den Fahnen haben kann und jetzt schon als unrichtig zugeben mußte, während der britische General Hatton die drei von Kitchener vorausgesagten Kriegsjahre nicht für ausreichend hält , die Mittelmächte nieder zu werfen . Die belgische Armee ist nur noch ein Rest, Serbien und Montenegro sind militärisch erledigt . Noch reden in Frankreich die Regierung und ein Teil der Presse von der ,,Sacrée Union" . Die führenden Männer Frankreichs nehmen nach außen nur auf die Stimmung von Paris Bedacht .
Aber selbst
in Paris ist , trotz der Regiekünste des Präsidenten der Republik und seiner Gefolgschaft, die Stimmung nicht mehr von dem Optimismus getragen, der sich zu Kriegsbeginn kundgab . An leitender Stelle rechnet man mit toten Zahlen und hofft dabei immer noch auf Erfolg der Entente wegen der Zahlenüberlegenheit .
Im Volke ist diese Meinung
absolut nicht allgemein , denn stellenweise tritt bei ihm doch auch der Gedanke auf, daß die geistigen Elemente im Kriege ihren hohen Wert haben. In den letzten Wochen ist für den , der zu beobachten versteht, wohl erkennbar gewesen, und ist es ein Anzeichen für die Wandlung der Stimmung in manchen Kreisen Frankreichs , daß selbst der Glaube an den Marnesieg einigermaßen ins Wanken gekommen ist. Man hat die Frage gehört , die sogar noch eine wirksame Vervollständigung durch den Hinweis auf den erfolgten Zutritt Italiens erfahren müßte : Wie kommt es, daß wir, die doch die Deutschen an der Marne geschlagen haben, seither nichts mehr erreichten, obwohl uns damals nur 100000 Engländer, und nicht einmal genügend zuverlässig,
Frankreichs Selbstkritik nach 1½ Kriegsjahren.
161
und Maunoury fast in das Verderben bringend , unterstützten , während heute über eine Million britische Verbündete an unserer Seite kämpfen (und über eine Million Italiener starke Kräfte deutscher Verbündeter fesseln) ?
Nacheinander wurden Mangel an Munition , dann nicht ge-
nügende und rechtzeitige britische Hilfe, dann wieder Mängel an Munitionsbereitschaft und in den Dienstzweigen als Ursachen des Stockens genannt und endlich eine Neuregelung
in
den Befehls-
verhältnissen im britisch-französischen Lager als das Mittel bezeichnet , die Stockungen zu beseitigen und die alte Überlegenheit strahlend wieder hervortreten zu lassen .
Frankreich, das ,,militärische Gehirn
der Entente", könne absolut die Führung beanspruchen , war in den französischen Blättern zu lesen. Wir werden sehen, wie dieser Forderung entsprochen worden ist. Schon hier darf und muß aber darauf hingewiesen werden , wie heute bereits wieder die Richtigkeit des Erfahrungssatzes hervortritt, daß das Endlos aller schlecht geführten Staatenverbindungen, die im Vertrauen auf große numerische Überlegenheit Welteroberungen planen , immer der Zerfall ist . Die selbstsüchtigen Kriegsziele der Verbandglieder -- und dessen wolle man sich erinnern da, wo von dem neuen großen Ententekriegsrat die Rede sein wird, — schließen dann eben jene einheitliche Kraftentfaltung aus, die nur Bündnissen eigen ist , deren sittliche Grundlagen im Existenzkampf und in der Erhaltung der höchsten Kulturwerte wurzeln .
Diese Er-
kenntnis muß endlich auch den Völkern des Vierverbandes aufdämmern, mögen ihre Regierungen auch durch zusammengeleimte Äußerlichkeiten sie über das beginnende Abbröckeln noch länger zu täuschen suchen. Im Juli 1914 mit Poincaré aus Petersburg, wo er zum ,,laudator" der ,,bewundernswerten russischen Armee" in seinem Blatte bestellt gewesen, heimkehrend , schrieb der Chefredakteur der ,,France Militaire": ,,Im engsten Kontakt mit den Organen lebend, die uns, dank rastloser Arbeit ein glorreiches Morgen gesichert haben, habe ich die Pflicht, auszusprechen, daß ich im Kriegsministerium , in den Vorzimmern des Ministers und im Großen Generalstabe
nie größere Ruhe und
Entschlossenheit gefunden habe . Das Vertrauen ist unbeschränkt. Mit eisiger Ruhe sehen höhere Führung und Generalstab , wie die ganze Armee und Nation, dem entgegen, was kommen soll . Der Generalissimus erklärte offen, alle bis zu dieser Stunde befohlenen Maßnahmen seien. mit der Sicherheit eines Uhrwerks ausgeführt worden . Wir bieten Europa das Bild einer Nation , die Bewunderung abzwingt und die auch
Siege erzwingen kann ,
wenn
das
Schwert gezogen
wird. " Als einen der Hebel des Vertrauens zum Erfolge hob die ,, France Militaire" damals auch ,, die sichergestellte Einheit der Gesichtspunkte der Führung" hervor.
162
Frankreichs Selbstkritik nach 11½ Kriegsjahren . Ist das Vertrauen in Frankreich heute noch unbeschränkt ? In das unbeschränkte Vertrauen zur Einheit der Gesichtspunkte
der Führung haben die Geschehnisse der ersten Kriegsphase, hat Joffres notwendiges Einschreiten gegen eine Anzahl von Armee- Oberkommandierenden und kommandierenden Generalen¹) , wie die von ihm selbst gegebene Begründung , schon eine Bresche schlagen müssen .
Daß eine
Einheitlichkeit der Leitung nicht bestanden hat, nachdem doch Joffre über ein Jahr schon als ,, Oberkommandierender der wichtigsten (gegen Deutschland bestimmten, d. h . in diesem Kriege alle auf französischem Boden vorhandene Streitkräfte umfassenden ) Gruppe von Armeen " fungiert, hat der Erlaß vom 3. Dezember 1915 und seine Begründung durch Gallieni bewiesen . Der Erlaß vom 28. Oktober 1913 betonte , die Regierung sei allein geeignet, das politische Ziel eines Krieges festzusetzen, den Hauptgegner zu bezeichnen , nach dem Grade der Bedeutung den mit dem Oberkommando auf den verschiedenen Schauplätzen betrauten Generalen die nötigen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, so daß, buchstäblich genommen, die Regierung die Hauptschauplätze
und
Kräfte zuweisung
bestimmte ,
Oberleitung hatte , wie zur Zeit der Revolution .
also
die
Daraufhin wurde ,
damit die einheitliche Leitung der Operationen auf allen Kriegsschauplätzen anstrebend , Joffre zum ,, Chefkommandanten aller französischen Armeen " ernannt.
,,Die Erfahrung hat gelehrt, daß die unentbehrliche
Einheit der Leitung nur durch das Vorhandensein eines einzigen Chefs der Armeen gesichert werden kann" , begründete Gallieni die Neuerung und gab durch deren Notwendigkeit selbst ausdrücklich zu , daß sie bis dahin nicht bestanden hatte . Dem Anschein nach übertrug die Regierung von ihren Machtbefugnissen einen Teil auf Joffre , dafür aber auch die ganze Verantwortung z . B. auch für die Fortsetzung des Dardanellenabenteuers und die Expedition von Saloniki . Sarrail wurde damit Joffre unterstellt , konnte also in Südmazedonien nicht einem britischen Führer unterstehen, und im Verfolg ist ja auch Sarrail zum Obersten Führer der dort vorhandenen und einzusetzenden Ententetruppen ernannt worden . Dem Oberkommandierenden der französischen Armee war damit aber der Chefkommandierende der britischen Truppe in Frankreich - Flandern noch nicht untergeordnet , die Schwäche der Koalition bestand weiter. Ist nun die Schaffung des neuen ,, Obersten Ententekriegsrats “, die man als Ergebnis der sonst so gut wie ergebnislosen Romfahrt 1 ) Nach französischen Angaben sind von den bei Kriegsbeginn vorhandenen zur Führung von Armeen ausersehenen 11 Mitgliedern des Oberen Kriegsrats nur noch 5 in aktiver Verwendung , von 21 kommandierenden Generalen nur noch ,,einer" auf seinem Posten.
Frankreichs Selbstkritik nach 11½ Kriegsjahren .
163
Briands rühmte , ehe man sie , soweit Italien in Frage kommt , sicher hat, als ein Beweis des Vertrauens zu dem bisherigen Pariser Kriegsrat anzusehen, oder als ein Beleg für das Mißtrauen ? Bietet der neue Oberste Ententekriegsrat die Gewähr dafür, daß die in der Einheitlichkeit der Leitung des Krieges bei unseren Gegnern hervorgetretenen Mängel beseitigt werden ?
Man ist berechtigt, mit ,, Nein" zu ant-
worten und hinzuzufügen , daß das angestrebte Ziel durch organisatorische Maßnahmen überhaupt nicht erreicht werden kann . Im Vierverbande kann man bestenfalls nur von einem der Verbandsmitglieder sagen, daß politische und militärische Gewalt in einer Hand liegen, nämlich von Rußland, wo der Zar noch immer ein gegenteiliger Ukas ist noch nicht erschienen- den Oberbefehl führt.
In England und Frankreich (siehe auch weiter unten) wie auch
in Italien, liegt die verantwortliche
Regierungsgewalt, die oberste
Heeresleitung eingeschlossen , in der Hauptsache in den Händen des Staatsministeriums, an dessen Weisungen bezüglich der Kriegführung auch die Oberbefehlshaber von Heer und Marine gebunden sind .
Und
zwar so, daß alle Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung für den Staat durch Mehrheitsbeschlüsse der betreffenden Staatsministerien entschieden werden .
Bei der beträchtlichen Zahl von Mitgliedern der
Ministerien beansprucht deren Herbeiführung Zeit , die
selbst wenn
volle Einigung schließlich zustande kommt - verpaßte Gelegenheiten nach sich ziehen kann . ,, Selbst wenn volle Einigung zustande kommt “ , sagen wir nicht ohne Grund, denn zweifelhaft und erst durch die Praxis die dies bis jetzt nie getan - zu erweisen bleibt es, ob die Autorität des gemeinsamen obersten Kriegsrats gegenüber den Chefkommandierenden und den Kriegsleitungen der Einzelstaaten ausreichen wird, gegen deren Ansicht die seinige ausfällt . Am 20. Februar 1915 schrieb der ..Neue Freie Presse" dem Sinne nach : ,, Die Stimmung der französischen Armee vor dem Feinde ist im wesentlichen unerschüttert, wenn auch nicht zu verkennen ist , daß die den Franzosen angeborene Leichtigkeit , sich in primitive Verhältnisse zu schicken , ihr im Schützengrabenkrieg auf die Dauer gefährlich geworden ist ... Erst mit der Enttäuschung , die auf die mit taktischen Teilerfolgen einsetzende und mit einem vollen strategischen Mißerfolg endende Septemberoffensive gefolgt ist , beginnt sich in der französischen Armee die Kritik in stärkerem Maße zu regen und nach Ausdruck zu ringen . Aber nicht das ist bezeichnend für die Stimmung im französischen Heere , sondern die Kritik, die von den Soldaten an den politischen Verhältnissen hinter der Front und an den britischen Bundesgenossen und Waffengefährten geübt wird.
Die großen Boulevard-
164
Frankreichs Selbstkritik nach 1½ Kriegsjahren.
blätter , die früher im Schützengraben geradezu verschlungen wurden , werden jetzt achtlos beiseite geworfen , oder, mit Randbemerkungen versehen , zurückgeschickt . Das Offizierkorps ist lange zu der Überzeugung gekommen , daß die politischen Einflüsse auf die Landesverteidigung und die aktive Kriegführung zurückgedrängt werden müssen . Ob sich zwischen Armee Kluft öffnet, eine Regierung parlamentarischer und werden die nächsten Monate erkennen lassen. besteht ,
eine
daß
gesteigerte
in
Nervosität
Gewißheit der
fran-
zösischen Armee Platz gegriffen hat , und eine Fortsetzung des Krieges in der bisherigen Weise nicht mehr erlaubt. unausbleibliche Gegensatz zwischen Militär- und
Der
Zivilgewalt in Frankreich drängt zur Austragung und die Stimmung in Paris wird dadurch stärker beeinflußt , als es aus der Ferne sichtbar ist." Das Blatt ist der Ansicht , daß Briand schon alle Mittel treffe , um für die Zukunft wieder ,, ministeriable" zu sein und Poincaré glaube wohl , trotz seiner bombastischen Reden und Frontbesuche im Innern, selbst nicht mehr an den Schlußerfolg der Entente. Zwar ist der Antrag der geeinten Sozialisten , einen parlamentarischen Ausschuß auch für die Kontrolle von Führung und Kampfesweise - der doch wohl nicht als ein Symptom übergroßen Vertrauens betrachtet werden dürfte - und das Drängen auf einen ,, Wohlfahrtsausschuß bei den Armeen im Felde", dem die Führer für seine Tätigkeit jede Beihilfe und Erleichterung zu verschaffen hätten , abgelehnt worden.
Aber bei dem Ferryschen Antrag des Armeeausschusses der
Kammer ( dessen Besprechung mit einer Stimmenmehrheit verschoben wurde , die nur durch den Beitritt der Rechten nicht zur Minorität für Briand geworden ist) , das Kontrollrecht des Parlaments auch bei den mobilen Streitkräften zu sichern , fiel Ferrys Äußerung, die Regierung habe es so weit kommen lassen , Hauptquartier
selbst
daß das Große
Regierung geworden sei .
Es wurde
von einer militärischen Nebenregierung gesprochen, von dem Bestehen
eines
die
Einheitlichkeit
völlig
ausschließenden
Dualismus zwischen Zivil- und Militärgewalt , von denen die
Kammer
die letztere
der
ersteren unbedingt unter-
geordnet sehen will. Das spricht deutlich genug für das Mißtrauen gegen Regierung und Heeresleitung , ebenso wie der Versuch, Reibungsflächen zwischen ersterer (einschließlich Kriegsminister , der ja ihr Mitglied) und Generalissimus bloßzulegen .
Bei dem von Briand
nicht zu verkennenden Willen der Kammer, die Militärgewalt der Zivilgewalt unbedingt unterzuordnen , ,,soll die militärische Ent-
Frankreichs Selbstkritik nach 1'2 Kriegsjahren .
165
schlußfreiheit des Oberkommandos aber nicht gehemmt werden " - ein Problem, das im Kriege wohl kaum zu lösen ist , obwohl der Erlaß vom 3. Dezember, der die erweiterte Stellung Joffres schuf und diesem logisch größere Machtbefugnisse zuweisen mußte , es zu versuchen schien. Was die weißen Lämmer in Frankreich , Italien und Rußland noch immer nicht begreifen, ist die britische Auffassung von der Einheitlichkeit , die der Oberste Ententekriegsrat sicherstellen soll, nämlich daß Alle das tun , was England will und ihm dienlich ist . In der ,,Humanité" vom 17. Februar war zu lesen : ,,Alle Welt weiß , daß seit Kriegsausbruch bei den militärischen Operationen wie dem diplomatischen Vorgehen keinerlei Einheit der Gesichtspunkte obgewaltet hat . Wir können die Leiden unseres Heeres nie genug loben, den beneidenswerten Mut, den es entwickelt hat , Streitkräften die Spitze zu bieten, die ihm an Menschen wie Kriegsmaterial schlangweg überlegen waren. “ Nicht unbeschränktes Vertrauen ist heute die Signatur der Stimmung in Frankreich, sondern nervöse Unruhe .
In der ,,Humanité", die auch
betont, der Kriegsminister Millerand sei ein Opfer der Militärbureaukratie geworden, führt der Sozialist Renaudel eine Reihe von Beispielen an, in welchen das Parlament eine bessere Organisation der Armee durchgesetzt habe ; ,, Figaro " bestreitet den Sozialisten das Recht , sich bei ihren Reklamationen gegen die Armeeverwaltung auf Klagen und Beobachten Wünsche der Soldaten in Schützengraben zu berufen. wir das Barometer für die Stimmung im Lande Frankreichs, das doch einigermaßen die Presse darstellt, etwas weiter , so ist es doch als eine symptomatische Erscheinung zu betrachten, daß gerade die Seiten , die , ihren politischen Grundsätzen nach , bis heute die eigentlichen Träger der radikalen Republik sind , dauernd laute Klagen erheben über den allgemeinen Marasmus , dem die Verwaltung der Republik verfallen sei . So Senator Humbert im ,,Journal" (19. Februar) .
Je mehr sich Monate an Monate reihen , desto
mehr sind die Verwaltungen und großen Generalstäbe in ihre alten Gewohnheiten zurückgesunken . Sie schlafen beim monotonen KanonenDer Krieg erscheint ihnen nicht mehr als Krise, als eine schmerzliche und brutale Konvulsion , sondern als ein chaotisches Während wir Leiden, an das man sich nach und nach gewöhnt hat .
gebrüll ein.
aber abwarten, handeln unsere Feinde . erstatten, Noten wechseln ,
Während wir noch Berichte
Gespräche austauschen ,
Reden halten ,
schlagen sie zu ." Am 13. Februar schrieb Humberts Parteigenosse Depierre im ,, Radical " über Marasmus in Verbindung mit reaktionären Machenschaften im Operationsgebiet : ,, General Joffre ist ein republika-
166
Frankreichs Selbstkritik nach 1/2 Kriegsjahren.
nischer General.
Einverstanden.
Das hindert aber nicht , daß an der
Front und hinter ihr die Vorteile aller Art im allgemeinen den Reaktionären zugefallen . General Joffre ist ein Schlachtenlenker von großer Ruhe. Zugegeben. Das hindert aber nicht, daß wir seit 18 Monaten. in denselben Schützengräben liegen.
Man frage doch die Soldaten an
der Front, die unparteiischen Geister unserer Ambulanzen und Spitäler und wird Erbauliches hören . Wir können doch kaum auf das heilige Herz Jesu zählen , um die Deutschen von unserem Boden zu vertreiben, oder den preußischen Militarismus zu brechen . Wir müssen den Deutschen zuvorkommen, statt uns von ihnen leiten zu lassen. Der Sieg kann nicht dekretiert werden, er ist der Gefährte der Aktion und der Kühnheit ." Vertrauen zur Regierung kann es auch nicht gerade erwecken, wenn der Historiker Aulard im ,,Journal" am 11. Februar seine warnende Stimme wiederholt erheben mußte gegen die Illusion , in welcher planmäßig die öffentliche Meinung Frankreichs durch Verheimlichung der wahren Lage an den Fronten und in den feindlichen Ländern erhalten werde . ,,Was noch schlimmer ist, als die Ungewißheit , in welcher man uns läßt , das ist jene amtliche Täuschung, die darin besteht , durch parteiische Auswahl von Nachrichten aus dem Auslande den französischen Volke bewußt eine falsche Auffassung der Lage beizubringen . Man läßt nur Tatsachen und Gerüchte veröffentlichen , die eine Schwächung Deutschlands und seiner Verbündeten anzeigt . Man schaltet alle Nachrichten aus , die uns für unsere Hoffnungen unangenehm sind. Man versetzt die Nationen in den Glauben , daß eine große Anstrengung nicht mehr notwendig sei und das lähmt unsere Energie, schwächt unseren Willen und verzögert den endlichen Sieg. Es ist unbillig und gefährlich, daß die Bürger unserer Republik über ihre eigenen Angelegenheiten weniger aufgeklärt sind als die Untertanen des Kaisers ."
Bei der durch die wiederholten deutschen Teilangriffe — wir nennen nur Vimy , La Bassée , Frise, Tahure, Heidweiler, an der Westfront und ihre Erfolge dauernd gesteigerten (und sicher durch den am 22. glänzenden Erfolg nördlich Verdun
den
Höhepunkt erreichenden )
Nervosität , die zu der Annahme zu berechtigen schien , nicht nur das Publikum , sondern auch die Truppen in der Front könnten in dem bis dahin an den Tag gelegten Vertrauen erschüttert sein, veranlaßte das Kriegsministerium, in das ,,Echo de Paris" einen Beruhigungsartikel über die Lage zu lanzieren .
In ihm hieß es u . a.:,,Wir sind über die
Stärke der herangeführten
deutschen
Truppen nicht unterrichtet.
Wir müssen die Anstrengungen des Feindes auf die verschiedenen Teile unserer Front mit größter Ruhe verfolgen .
Wenn hier und dort
infolge eines besonderen Angriffes es dem Gegner gelingt , in einige
Frankreichs Selbstkritik nach 12 Kriegsjahren .
167
unserer vorgerückten Stellungen festen Fuß zu fassen , so müssen wir jede Entmutigung von uns weisen , die größte Kaltblütigkeit und unerschüttertes Vertrauen in den festen Zusammenhang unserer Linien bewahren." Hervé suchte das Vertrauen durch die Versicherung zu heben, die französische Armee an der Westfront sei an Zahl weit überlegen und ,,Temps " schrieb jüngst erst wieder, für Frankreich gebe es nur einen Frieden , den es selbst diktierte. Dasselbe Blatt versuchte über die schon vor dem 22. Februar erlittenen Schlappen durch die Behauptung zu beruhigen, die deutschen Angriffe seien immer nur mit sehr geringen Truppenstärken unternommen worden , die Deutschen brauchten aber nach und nach ihre Kräfte auf. Wenn sie versuchen wollten, etwa bei Verdun, wo der ,,Löwe von Verdun", Sarrail , seit 18 Monaten sorgfältigst ausgebaute Stellungen für die Verteidigung des Vorgeländes des Platzes geschaffen habe , in die französischen Linien einzudringen, so würden sie einen Mißerfolg schwerster Art erleben. Um so peinlicher muß das Blatt seinen falschen Kalkul nach dem deutschen Kampferfolg gerade nördlich von Verdun , als durch die Praxis an den Pranger gestellt empfinden . Wenn ,,Temps " , wie bemerkt , von den nach und nach erfolgendem Aufbrauchen der deutschen Kräfte sprach , so hindert das nicht, daß die Enttäuschung über das, was Asquith und erst recht Kitchener nicht verrieten , was die ,,Times "
aber
ausplauserten, gerade be-
stürzend wirkte, nämlich, daß der ganze Ertrag des Dienstzwanggesetzes , trotzdem man bis zum März alle Unverheirateten bis zum 40. Lebensjahre einberufe und damit den Weg für die Einbeorderung , nach einem Monat Vorankündigung , auch für die Verheirateten bis zum 40. Lebensjahre freilegte, nicht mehr als höchstens 600000 Mann aufweisen könne . Das bedeutet in einfaches Deutsch übersetzt , daß von einem Kraftzuwachs (den Joffre in seinen Äußerungen gegenüber dem Vertreter der ,,Associated Press “ als unabweisbare Vorbedingung für eine durchgreifende , die deutsche Linien bis zum Wiederbeginn des Bewegungs- und deutschen Vertreibungskrieges durchstoßenden , 400000 Mann kostenden Durchbruch bezeichnete), nicht nur keine Rede sein könne , sondern daß es absolut zweifelhaft ist, ob man die im Felde stehende Armee während des Jahres 1916 überhaupt vollzählig zu erhalten die Sicherheit hat . Wenn man sich der im Parlament bei den Beratungen über die Derbyrekruten aufgestellten Rechnung erinnert, die 15000 Mann Nachschubsbedarf für die im Felde stehenden Truppen pro Woche als nötig erklärte , so errechnete man in Frankreich unschwer , daß der Ertrag des Dienstzwanggesetzes nur
der für
ein Jahr
notwendigen
1,8 Millionen
Er-
Frankreichs Selbstkritik nach 11/2 Kriegsjahren .
168
gänzung decken könne . Die ,, Nation " ( 13. Februar) hielt mit ihrer bitteren Enttäuschung über diesen kalten Wasserstrahl nicht zurück ; sie brachte den tiefen Mißmut Frankreichs über England zum Ausdruck, das, während Frankreich 700000 (und das ist noch viel zu niedrig angegeben !) Tote und 800000 Krüppel habe , nur 130000 Tote und ebensoviel Krüppel beklage . setzen und es
sei
Geld könne doch die Toten nicht ereine bittere
Ungerechtigkeit , daß in einem Kampf um Leben und Tod aller Demokraten der Welt , die einen nur ihr Geld , die andern ihr Blut opfern sollten . Das Barometer französischer Hoffnung auf Italiens aktive , kräftige Beihilfe in Saloniki erlebte einen starken Rückschlag durch das Ergebnis der Romfahrt Briands , die ,, Corriere d'Italia“, soweit das eigene Land in Betracht kam, dahin zusammenfaßte : ,, Immerhin ist ein prinzipielles Einvernehmen erzielt . staatssekretärs
bestätigen,
daß
die
Die Äußerungen des Munitionsgetroffenen
praktischen
Ab-
machungen einen Austausch von Munition und Kriegsmaterial, sowie die Anwerbung italienischer Arbeiter für französische Munitionsfabriken , nicht aber den Austausch größerer Truppenkörper zwischen den verschiedenen Fronten beträfen . " Nach ,, Giornale d'Italia" habe sie Briand damit abgefunden , daß Briten und Franzosen bei Saloniki ohne Italien auskommen müßten und das Blatt schloß aus Briands Trinkspruch , daß Frankreich begriffen habe, ein wie schwerer Irrtum es sein würde , bewaffnete Streitkräfte von der italienischen Front auf andere Kriegsschauplätze zu übertragen . Wenn der für absehbare Zeit erhoffte starke britische Machtzuwachs ausbleibt, Italien unter keiner Bedingung für diesen Ausfall in Frankreich ein Äquivalent liefert, so liegt die Frage für denkende Franzosen nicht fern , ob man die für eine
neue ,
die
im
September /Oktober
1915
an
Umfang
wesentlich übersteigende Offensive notwendige Maße sich aufzustellen zutraut .
Im ,,Temps " erklärte General Lacroix die
Zermürbungstätigkeit, auf die man so große Hoffnungen gebaut, Deutschland gegenüber für mißlungen und erkannte in seinen Schlußsätzen indirekt die bisherige Überlegenheit Deutschlands und seiner Verbündeten in der Entschlossenheit zur Offensive an . Sollte Lacroix danach heute , am 26. Februar 1916, seine Ansicht auf Pflicht und Gewissen aussprechen müssen, so könnte er nicht anders als zugeben, daß der deutsche Offensiventschluß der Obersten Heeresleitung im Westen wiederum das Gesetz des Handelns gegeben und der franzzösischen wieder gezeigt habe , daß die deutsche Heeresleitung jeweils Ort und Zeit bestimmt, wo sie den Stoß führen will, der dann auch sitzt und die gebrachten Opfer lohnt .
Er würde sich zu dieser Selbst-
Frankreichs Selbstkritik nach 1/2 Kriegsjahren.
169
kritik um so mehr bekennen müssen, als ,,Temps " jüngst verkündet hatte , die Deutschen beabsichtigten den großen und entscheidenden Durchbruch bei Verdun zu führen, wo man aber gründlich darauf vorbereitet sei, und der deutsche Stoß jetzt in kürzerer Zeit mehr an Boden gewonnen hat , als Joffre in seinen fünf Offensiven bei der größten Kraftaufbietung jemals zu nehmen vermochte. Wie arg er sich verhauen hat, als er, nachdem die deutsche Offensive nördlich Verdun schon zwei Tage dauerte, in der ,,Liberté" noch als ganz verfehlt bezeichnete , wird dem Oberstleutnant Roussée die Erstürmung des Forts Doaumont schon am vierten Tage genügend zu Gemüt geführt haben¹). Am 29. Juli 1914 war in der ,,France Militaire" zu lesen : ,,Unsere Kavallerie und Infanterie sind durch ihre Dienstzeit, Organisation und besonderen Eigenschaften allen denkbaren Gegnern überlegen“ . Auf die ,, Siege, die erzwungen werden können , wenn das Schwert gezogen wird", hat uns die Entente schon lange warten lassen . Die trotz ihrer gewaltigen Einsätze niedergebrochenen Joffreschen Offensiven im Stellungskriege, die gelungenen deutschen , darunter die heutige¹ ) , noch dazu gegen eine Fortslinie geführte , stellen wohl das Zeugnis aus , daß deutscher Angriffsgeist vor nichts zurückschreckt , und daß französische Artillerie es nicht vermocht hat , die deutsche erfolgreich zu bekämpfen .
Ein französischer Offizier sprach schon am 24. Januar
1916 im ,, Oeuvre " die im Feld lange erkannte Wahrheit aus, daß selbst im Stellungskriege, während dessen man in Frankreich das Geschützmaterial aus allen nicht genommenen Festungen in die Stellungen geschafft hatte und über 14 Monate fieberhaft neue Geschütze herstellte , der britisch · französischen Artillerie deutsche die mindestens gleichwertig sei und von dem Feldsoldaten gefürchtet werde . Deutsche Flieger hätten ihrer Artillerie dabei erfolgreich geholfen , die deutsche Infanterie habe , dank ihrer moralischen Kraft, in ihrem unwiderstehlichen Drang vorwärts und ihrer felsenfesten Siegeswillen die Hauptträger des Erfolges , zu welchem auch das Moment der Überraschung mächtig mitgewirkt habe . Sieben Armeekorps haben uns die französischen Kampfberichte für den Stoß ¹ ) Die während des Druckes eingetretenen Geschehnisse im Raume Verdun haben die Zahl der scharfen französischen Selbstkritiken zum Teil durch selbst während der noch dauernden Schlacht um Verdun eingetretene durchgreifende Personenwechsel ( Humbert, Gallieni) zum Teil durch scharfe Angriffe im Parlament (z. B. Humbert, Ferry) und in der Presse derart wachsen lassen, daß uns heute der Raum fehlt, ihren tiefen Eindruck machenden Inhalt auch nur in Grundstrichen wiederzugeben. Wir müssen dies einer späteren, das Stimmungsbarometer in Frankreich weiter beobachtenden Darstellung vorbehalten .
170
Frankreichs Selbstkritik nach 11½ Kriegsjahren.
einsetzen lassen, um ihre Nieder lage entschuldigen zu lassen ; wir glauben . nicht, daß man diese Kraft dazu notwendig gehabt hat, uns auf der ersten Stoßfront entwickeln zu können .
ein
Am 28. Juli 1914 nannte die ,,France Militaire" den Fliegerdienst ,, unvergleichliches Instrument " . Heute sprechen dem
deutschen Fliegern nicht nur die Oberste Heeresleitung und die Geschehnisse an Kampf- und Aufklärungsflugzeugen die unbedingte Überlegenheit zu , sondern ,, Temps " selbst muß den französischen Fliegerdienst als dem deutschen unterlegen bezeichnen und Gallieni , nach dem Fiasko von Paris , ihn im Parlament auf das schärfste verurteilen lassen . Am 28. Juli 1914 sagt uns ,,France Militaire", Frankreich werde die Hauptentscheidungen im Kriege nicht im Festungskriege, sondern in offenen Feldschlachten suchen , für die der Aimee ihre besonderen Qualitäten in den letzten Jahren wiedergegeben worden seien , nämlich der Geist der Offensive und der Wille zu siegen .
Und seit 16 Monaten
führt diese besonders befähigte Armee einen festungsartigen Stellungskrieg .
,, Unsere jüngst reorganisierte Führung , fuhr das Blatt fort ,
hat ihre Aufgabe nach dieser Richtung völlig begriffen.
Die mit ihren
hohen moralischen Qualitäten ein harmonisches Ganze bildende Armee arbeitet wirksamst an Verständnis und Ausführung der von der Leitung. gegebenen Befehle mit “ und rühmt dann das musterhafte Zusammenwirken von Truppen und Dienstzweigen.
An dem Inhalt der
erstangeführten Sätze haben die Ereignisse genügend praktische und scharfe Kritik geübt. Was die Dienstzweige anbetrifft , so ist es wohl nicht als Beweis besonderen Vertrauens anzusehen gewesen, daß das Parlament als seine Aufpasser für die Verwaltung der Armee die Schaffung von vier Unterstaatssekretären für Munition und Bewaffnung, Sanitätsdienst , Intendantur und Transportwesen und endlich für das Flugwesen für nötig hielt , den mit der Leitung des letztgenannten Betrauten, Besnard , nach dem Fiasko bei Paris als seiner Aufgabe nicht gewachsen durch einen militärischen Fachmann unter Aufsicht des Kriegsministers ersetzte und 87 Millionen für das Flugwesen neu auszuwerfen gezwungen war. Weiter erinnere man sich der zahllosen Kritiken der Dienstzweige , der Militärverwaltung, des Sanitätsdienstes, der Munitionsbeschaffung aus jüngster Zeit , der scharfen Verurteilung durch Senator Chéron im ..Journal" am 13. Januar und der Tatsache, daß der Kriegsminister im Parlament die Beschwerde des Abgeordneten Accambray über schreiende Mängel der Militärverwaltung und der Dienstzweige als berechtigt zugeben mußte. Das unerschütterliche Vertrauen müßte ein mehr als felsenfestes sein, wenn es dabei standhalten sollte .
Am 23. Februar erklärte Humbert im ,, Journal“ : „ Die
Frankreichs Selbstkritik nach 11/2 Kriegsjahren .
171
Munitionsfabriken befinden sich aus Mangel an Arbeitern in äußerster Not . Die Truppenkommandeure verweigern die Abgabe brauchbarer Arbeiter, weil diese in der Front unentbehrlich seien. Die Depots ent halten nur unfähige, dienstuntaugliche Leute .
Gallieni glaubt zwar, durch die jüngst eingezogenen Ungeschulten 48- und 47 jährigen die an die Munitionsfabriken abzugebenden Leute aus der Front ersetzen zu können.
Ein einziger Ausweg bleibt, England muß Ersatz schaffen für in die Munitionsfabriken abzugebenden Soldaten . Frankreich braucht bisher schon solche Blutopfer, daß es deren möglichen Höhepunkt . bereits überschritten hat." Wir haben Eingangs ausgesprochen , Frankreich habe die letzte Windung seiner Rüstungsschraube schon angezogen, indem es bereits Untaugliche einberief.
Humberts vorstehende Erklärung deckt sich
nur mit schon früher seinerseits abgegebenen , und am 8. Februar 1916 hat der Berichterstatter des Heeresausschusses der Kammer, Paté, das Ergebnis des französischen Systems des Ausfüllens von Lücken , mit folgenden Sätzen gezeichnet : ,, Nicht aus denjenigen , die man bisher allein noch in der einzigen Luft gelassen , in der sie als möglich angesehen werden konnten, kann künftig ohne Schaden ein Ersatz genommen. werden .
Sie werden den ruhmreichen Reihen unserer Kämpfer kein
erfrischendes Blut einflösen , dagegen wird der arbeitende Teil unseres Landes den schwersten Schaden davon haben . Ich versichere dem Kriegsminister, daß alle meine an Ort und Stelle gesammelten Auskünfte meine Beobachtungen bestätigen.
Es ist nicht ein Offizier , der
nicht den wirklich geringen Nutzen von Mannschaften bezeugt hätte, die ohne genügende militärische Ausbildung durch die jüngsten NachWas sie an Verstärkungen musterungen herangeholt worden sind. der Truppen an die Front bringen, ist durchaus minderwertig. " Der Berichterstatter sprach unverhohlen aus , daß Frankreich für die weitere Einstellung wehrfähiger Mannschaften am äußersten Ende seiner Leistungsfähigkeit angekommen sei und nur deshalb Untaugliche und Krüppel an die Front geholt habe , weil es kriegsbrauchbare Reserven nicht mehr besitze . Das Bewußtsein , sich zu erschöpfen,. leuchtete auch aus Soldatenbriefen heraus, die den in der Heimat Gebliebenen den unglaublichen Rat gaben, die Bestellung des Bodens zu unterlassen, um den Krieg zu beendigen. Mit hohen moralischen. Qualitäten deckt sich das wohl nicht ! Wenn die Kritik in Frankreich nicht noch schrankenloser zum Ausdruck kommt , wenn in der Pressenoch Siegesrufe stets von Fronten verbreitet werden, die am meisten verloren haben , so verdankt man das der Zensur, die auch scharf darüber wacht, daß die amtlichen Berichte von feindlicher Seite der Nation vorenthalten werden .
Die immer wiederholten Siegesversicherungen
172
Das französische Festungsnetz längs der deutschen Grenze.
der eigenen amtlichen Stellen finden den Glauben der eigenen Bevölkerung nicht mehr , wie der niederländische Staatsminister Dr. Kuyper jüngst im ,, Standaard " schrieb . Man spürt eifrig feindlichen Blättern nach , um einmal die Wahrheit der Tatsachen von Front und Gefechtsfeldern zu erfahren , durch Gewohnheit zu der Überzeugung gelangt , daß , psychologisch betrachtet , die französisch-britischen Siegesrufe um so weniger Glauben verdienen , je lauter die amtliche Posaune sie in die Welt trägt !
XVI . Das französische Festungsnetz längs der deutschen Grenze . (Mit einer Übersichtskarte .) Von
Riensberg, Oberst z . D.
Die französische
Landesverteidigung
Grenzen seit alten Zeiten auf
stützt
die
Deckung
der
eine möglichst große Zahl von Be-
festigungen. Es ist das Kordonsystem gegenüber dem deutschen Radialsystem.
Unter Vauban, dem berühmten Festungserbauer des 17. Jahr-
hunderts , hatte das französische System seinen Höhe- und Glanzpunkt erreicht.
Im Feldzuge 1870/71 entsprachen den französischen
Festungen in keiner Weise den gehofften Erwartungen.
Dies konnte
aber nicht dem System zur Last gelegt werden, sondern es war auf schlechte Verfassung und Ausrüstung zurückzuführen. Festungen öffneten nach kurzer Belagerung
Die meisten
dem Sieger ihre Tore ,
und Paris , die Zentralfestung wurde nach der verhältnismäßig kurzen Einschließung von vier Monaten zur Übergabe gezwungen .
Infolge
dieser schlechten Erfahrungen haben die Franzosen nach dem Kriege auf besseren Ausbau und tadellose Ausrüstung ihrer Festungen besonderen Wert gelegt. system festgehalten.
Man hat aber am althergebrachten Festungs-
Die Zahl der Befestigungen längs der deutschen .
Grenze ist sogar noch wesentlich
vermehrt
worden .
Die Haupt-
festungen sind reichlich mit weit vorgeschobenen Forts umgeben worden , wodurch die Beschießung der Städte und möglichst auch die vollständige Einschließung der Festungen verhütet werden sollte. Bei
Das französische Festungsnetz längs der deutschen Grenze.
173
der Anlage der Werke hat natürlich das Gelände weitgehende Berücksichtigung gefunden .
Das Vaubansche Bastionärtracé mit seinen un-
biegsamen, mechanisch festgelegten Linien und Winkeln hat dem schmiegsamen Polygonalsystem weichen müssen . Die Festungen wurden zur besseren Übersicht ihrer Größe entsprechend in vier Klassen geteilt. Die Sperrforts , die als selbständige Werke strategisch wichtige Straßen sperren und Festungen untereinander verbinden , bilden die fünfte Klasse. Zur Vereinfachung der Verwaltung hat man indessen in neuerer Zeit die Befestigungen nur in drei Klassen eingeteilt . Die Sperrforts , gewissermaßen die kleinsten Festungstypen , sind völlig sturmfrei und mit allen Mitteln passiven Widerstandes ausgerüstet. Die größeren Geschütze sind in Panzertürmen aufgestellt , und alle technischen Errungenschaften bis auf elektrische Beleuchtung und Kraftübertragung sind zur Erhöhung des Widerstandes nutzbar gemacht worden . Die Größe der Sperrforts ist je nach ihrer Wichtigkeit durch Armierungen von 40 bis 60 Geschützen und Besatzungen von 400 bis 1000 Mann gekennzeichnet . Die Besetzung erfolgt bereits im Frieden durch die vierten Bataillone und die 7. und 8. Batterien der Korpsartillerieregimenter.
1
Der Abstand zwischen den einzelnen
Werken beträgt in der Regel 6-8 km , so daß die gegenseitige Unterstützung durch Artilleriefeuer in der wirksamsten Weise gewährleistet ist . Der teilweise ungünstigen Gestaltung der neuen Grenze gegen Deutschland ist besonders Rechnung getragen worden . Die militärischen Grenzlinien sind der natürlichen Verteidigungsfähigkeit angepaßt und trennen sich daher häufig von der politischen Grenze . Unter geschickter Ausnutzung des Geländes mit seinen natürlichen Hindernissen ist die ganze deutsche Grenze mit einer doppelten Reihe von BeDer vom Ingenieurgeneral Seré festigungsanlagen gesichert worden. de Rivière aufgestellte erste Entwurf des ganzen Festungsnetzes fand 1874 in der Nationalversammlung seine Bestätigung und ist im wesentlichen zur Ausführung gelangt ; obwohl die veranschlagten Kosten erheblich überschritten sein sollen . Im Laufe der Zeit, besonders in den letzten Jahren sind dann noch wesentliche Aufwendungen zur Verbesserung der Armierung gemacht worden. Das Festungsnetz gegen Deutschland stützt sich nun im Norden in erster Linie auf die obere Maas und die sie begleitenden Höhen , und in zweiter Reihe auf eine Hügelkette , welche die Champagne- vom Pariser Becken trennt. Im Süden gewähren in erster Linie die obere Mosel und Südvogesen , und in zweiter Reihe das Plateau von Langres mit dem Côte d'or- Gebirge und der Morvanterrasse die entsprechende 13 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 535.
曇
174
Das französische Festungsnetz längs der deutschen Grenze.
natürliche Anlehnung.
Die Grundidee dieses Festungsnetzes besteht
in einer Zerlegung des ganzen östlich von Paris gelegenen Gebietes in eine Reihe von Sektoren, deren Mittelpunkt die Hauptstadt bildet . Die nach der Ostgrenze auseinander laufenden Linien sind dabei möglichst so angeordnet , daß die Unterstützung in flankierender Weise erfolgen kann.
des
An Hand der Übersichtskarte sollen die fortifikatorischen Anlagen Festungsnetzes gegen Deutschland nachstehend im einzelnen
verfolgt werden . A. Die erste Verteidigungslinie . Sie beginnt im Norden an der belgischen Grenze bei Montmédy, läuft über Verdun am rechten Maasufer aufwärts und springt bei Toul auf die Mosel über. Diesen Fluß begleiten die Befestigungen auf beiden Ufern über Epinal bis zur Quelle und erreichen südlich von Belfort nach einer Ausdehnung von rund 270 km die Schweizer Grenze. Die Maaslinie wird auf dem rechten Ufer von Dun bis Neufchateau von einem stark bewaldeten Höhenzuge, einem Ausläufer der Vogesen begleitet. Die westlichen Hänge senken sich allmählich nach dem Flusse , während der Osthang steil nach dem Plateau von Woèvre abfällt.
Dies ist der gemeinsame Name für eine weite wellige Ebene,
die nördlich von Toul zwischen der Mosel und den Maashöhen liegt . Im allgemeinen überragen die bewaldeten Höhen die Hochebene um etwa 100 m.
Sie enthalten eine große Zahl vorzüglicher , natürlicher
Verteidigungsstellungen und erschweren jede Annäherung.
Weniger
günstig liegen dagegen die Verhältnisse zwischen dem Nordhange der Höhen bei Dun und dem Südhange der Ardennen an der belgischen Grenze. Diesen etwa 30 km breiten Abschnitt durchzieht das Tal des Chiers.
Es ist eine von natürlichen Hindernissen entblößte Lücke ,
die nur durch die kleinen Festungen Montmédy und Longwy in unzureichender Weise gesichert ist . Montmédy, das die Bahnlinie Diedenhofen- Mezières sperrt , sollte angesichts der Wichtigkeit seiner Lage eigentlich mit Forts umgeben werden.
Die Ausführung ist indessen
unterblieben, wie die ganze Befestigung an der belgischen Grenze nach Enthüllungen des Senator Humbert vernachlässigt worden ist.. Longwy soll die Bahnen nach Belgien und Luxemburg sperren . Zur besseren Erfüllung dieser Aufgabe war die Anlage von Sperrforts an dem Eisenbahnknotenpunkt Longwyon, 20 km östlich von Montmédy, und bei Damvillers, 20 km südlich von Montmédy geplant , aber auch nicht ausgeführt worden. Die Vernachlässigung des Abschnittes nördlich von Dun ist wohl hauptsächlich auf die günstige Beschaffenheit des rückwärtigen Geländes und die flankierende Lage von Verdun zurück-
Das französische Festungsnetz längs der deutschen Grenze. zuführen.
175
Außerdem ist die Maas zwischen Verdun und Sedan ihrer
Tiefe, Breite und starker Strömung wegen schwer zu überschreiten. Vor allem bieten aber die dahinter liegenden Argonnen vortreffliche Stellungen zur Abwehr , so daß die paßartigen Übergänge und Bergstraßen leicht gesperrt werden können. Südlich der Lücke hat Verdun seit der Abtretung des wichtigsten Teiles der Mosellinie zwischen Metz und Diedenhofen eine hohe Bedeutung erlangt und ist demzufolge in eine starke Lagerfestung umBesonders springt die strategisch günstige Lage gestaltet worden . von Verdun auf dem kürzesten Schienenwege zwischen Metz und Paris in die Augen . Die Stadt liegt tief im Maastal und besitzt selbst keine Verteidigungskraft ; sie ist aber von einem ausgedehnten Fortsgürtel umgeben, der die umliegenden Höhen in einer Ausdehnung von über 40 km krönt . Die weit vorgeschobenen Forts stehen im Süden mit den Sperrforts der Maaslinie in Verbindung ; und im Osten reicht die Verteidigung des befestigten Lagers bis zur Eisenbahnstation Etain . Zur Besetzung aller Werke soll eine Besatzung von 30000 Mann erforder lich sein. Südlich von Verdun ist das rechte Maasufer von einer ununterbrochenen Kette fortifikatorischer Anlagen bis zu den westlichen Forts der Festung Toul begleitet .
Diese Befestigungen erschweren die An-
näherung an die Maas und begünstigen eine französische Offensive gegen die Mosel .
Sie sind gedacht als Bollwerk zur Deckung des Seine-
beckens, als Damm, an dem sich beim Beginn des Krieges die Wogen der deutschen Angriffe brechen sollen , und als sichere Sperre der wichtigen Straße Pont-à-Mousson-Commercy- Bar-le-Duc- Paris . Im Kriege 1870/71 war dies der direkteste Bahnweg nach Paris , der damals durch die noch kleine Festung Toul lange gesperrt war. Die Sperrforts , die eigentlichen Stützpunkte dieser Verteidigungslinie, sind der strategischen Wichtigkeit entsprechend besonders stark ausgebaut und in ihrer Anlage durch das Gelände vorzüglich begünstigt . Sie beherrschen zunächst alle Hauptstraßen und ermöglichen in leichter Weise die Sperrung der Nebenwege . Ein Übergang über die Maas, die nur auf den vorhandenen Brücken und vereinzelten Furten überschritten werden kann, ist unter diesen Umständen nicht wohl ausführbar ; zumal die für Sprengungen vorbereiteten Brücken leicht unbrauchbar werden und ein Brückenschlag unter den Kanonen der Sperrforts unausführbar erscheint .
Auf die gegenseitige Unterstützung der Forts ist Bedacht
genommen. Große Zwischenräume, wie sie ursprünglich zwischen Sperrfort Gironville und Fort Lucey - 13 km - und zwischen den südlichsten
Sperrforts Pagny-la- Blanche-Côte und Bourlemont bei
Neufchâteau -
17 km
bestanden, sind durch Neuanlagen bei Boucq 13*
176
Das französische Festungsnetz längs der deutschen Grenze.
und bei Côte-de- Julien ausgeglichen worden.
Außerdem sind zur
besseren Deckung des breiten Tales von Spada mit der kürzesten Straße von Metz nach Bar-le-Duc fortifikatorische Anlagen bei les Paroches ausgeführt worden. Mit ausreichenden Kräften werden die Sperrforts der Maasbefestigung ihre Aufgaben in aktiver Verteidigung unschwer erfüllen können. Toul vermittelt vermöge seiner geographischen Lage und eines verbindenden Höhenzuges den natürlichen Übergang von den Befestigungen der Maas zu denjenigen der Mosel.
Der Ort hat ebenso
wie Verdun durch die neue Grenze seine hohe strategische Bedeutung erhalten, und ist demzufolge in einen Waffenplatz erster Ordnung umgewandelt worden.
Die Festung soll der französischen Hauptarmee
als Sammelplatz und Ausfalltor dienen und etwaige feindliche Vorstöße im Norden oder Süden flankieren.
Die Eisenbahn Straßburg-
Paris bleibt natürlich durch Toul besonders gesperrt. Die von zahlreichen Forts umgebene Stadt ist in ihrer Widerstandskraft der Festung Verdun zu vergleichen. Der Gesamtumfang beträgt ebenfalls rund 40 km. Allerdings sind die Zwischenräume zwischen den einzelnen Forts teilweise verhältnismäßig groß. Zwischen dem nördlichen Fort St. Michel, das nur 1,5 km von der Enceinte entfernt liegt, und dem östlichen Nachbarforts Villey-le- Sec sind es über 9 km . Die Lücken sind besonders durch vorgeschobene worden.
Feldwerke in geschickter
Weise
geschlossen
Die Befestigungen bei Gondreville entsprechen diesem Zweck.
Außerdem verbietet im Osten das Plateau von Haye mit drei Einzelwerken die Annäherung.
Im Süden reicht die Befestigung bis zum
Sperrforts Pont - St . Vincent , das 16 km von der Stadt entfernt liegt . Das dazwischen liegende Gelände ist durch die Mosel mit ihren steilen Ufern ausreichend abgeschlossen , zumal es an Annäherungswegen mit Brücken fehlt. Auch zwischen Pont- St . Vincent und der Festung Epinal ist die Mosellinie durch fortifikatorische Anlagen nicht unmittelbar verstärkt . Die Lücke im Festungsgürtel der Grenzbefestigungen
beträgt
rund
50 km ; sie ist allein durch schwache Befestigung der vorgeschobenen Meurthelinie gesichert.
Hier liegen die kleinen Sperrforts Bouxières-
aux-Dames und Manonvillers, sowie die vorgeschobenen Werke auf dem Plateau von Arracourt und bei Amance, 9 km östlich von Frouard. Diese in unmittelbarer Nähe der Grenze liegenden Werke sollen lediglich die Zugangswege sperren. Außerdem ist die Stadt Nancy, deren Befestigung besonders von dem Oberst Denfort- Rochereau, dem tapferen Verteidiger von Belfort, gefordert wurde, nach einigem Zögern durch die Sperrforts St. Nicolas und Luneville gesichert worden.
Das französische Festungsnetz längs der deutschen Grenze .
177
Dessenungeachtet bleibt wohl nicht unbeabsichtigt eine weite Lücke in der Festungslinie zwischen Toul und Epinal bestehen . Das Vordringen durch dieselbe würde dem Hineingehen in eine ungeschickt gestellte Falle gleichen .
Der Angreifer wäre in beiden Flanken und in
der rückwärtigen Verbindung bedroht ; während der Verteidigung alle Vorteile von vorbereiteten Stellungen und Möglichkeiten zustatten kämen .
In Frankreich sind Führer und Truppen über diesen Grenz-
abschnitt sicherlich sehr gut unterrichtet .
Südlich der Lücke hat Epinal besonders als Flankenstellung strategische Bedeutung und ist daher in einen großen Lager- und Waffenplatz umgewandelt worden. Jedes feindliche Vorgehen im Norden des Platzes ist in Flanke und Rücken gefährdet ; während die südlliche Umgehung der Festung durch Geländebeschaffenheit und fortifikatorische Anlagen ausgeschlossen ist ; wie überhaupt die Südvogesen ihrer schwierigen Gebirgsdefiléen wegen für größere Unternehmungen wenig geeignet sind. Die Stadt Epinal selbst ist nicht befestigt , aber durch einen Gürtel von acht Forts ausreichend gesichert. Die ursprüngliche Idee , nur das rechte Moselufer als starken Brückenkopf zu befestigen, ist aufgegeben worden , da die gesicherte Unterbringung einer großen Besatzung als unerläßliches Bedürfnis anerkannt wurde. Zur erfolgreichen Erfüllung der schwierigen Aufgabe als Manöverfestung ist eben eine große Besatzung erforderlich ; andernfalls würde der Platz zur untergeordneten Bedeutung eines Sperrforts herabsinken . Östlich von Epinal sind die Vogesenpässe noch durch die Befestigungen bei Rambervillers , St. Dié und Bruyères gedeckt . Im Hinblick auf den Verlauf der politischen Grenze, die südlich des Donon dem Vogesenkamme folgt, ist die Ausführung dieser Anlagen auf dem Westhange mit Schwierigkeiten verknüpft gewesen. Im besonderen sind auch außerordentliche Sicherungen im Norden erforderlich gewesen, weil nördlich vom Donon beide Vogesenhänge von Deutschland beherischt werden .
Außerdem waren weitgehende hygienische Maßnahmen erforderlich , da sich die Vogesenhochebene als ungesund erwiesen hat , worunter die Besatzungen der Werke leiden . Die Befestigung der oberen Mosel von Epinal bis zur Quelle trägt einen durchaus defensiven Charakter.
Die Sperrforts liegen auf dem
Sie haben den alleinigen Zweck, die Hauptstraßen des Abschnittes zur Verhinderung von größeren Truppen durchzügen zu sperren. Nach ihrer Lage sind die Sperrforts sturmfrei und bedürfen linken Ufer .
keiner gegenseitigen
Unterstützung.
Die verhältnismäßig großen
Zwischenräume bis zu 12 km erscheinen danach unbedenklich, wenn man die Gefahr des Aushungerns , die durch schlechte Wasserversorgung noch erhöht wird, außer acht läßt .
178
Das französische Festungsnetz längs der deutschen Grenze.
An diesen Fortsgürtel der oberen Mosel reihen sich im Süden die Endbefestigungen der Trouée de Belfort an. Dieselbe besteht in einer Einsenkung zwischen den Vogesen und dem Jura und hat vom südlichen Vogesenhange bis zur Schweizer Grenze eine Ausdehnung von 32 km.
Die Bedeutung dieser Ebene als Einmarschgebiet liegt in der
Bedrohung des Plateaus von Langres.
Dieses Plateau könnte von
einer erfolgreich vordringenden Armee im Rücken gefaßt werden , wodurch Paris in weiterer Ferne vom Süden abgeschnitten würde . Die Befestigungen der Trouée sind ihrer strategischen Wichtigkeit entsprechend außerordentlich stark. Alle Straßen, die größtenteils in Belfort und Montbéliard zusammenlaufen, sind mit allen Mitteln der Abwehr sicher gesperrt . Belfort , nur 12 km von der Grenze entfernt, ist als Hauptstützpunkt in eine Lagerfestung erster Klasse umgewandelt worden. Die ehemalige widerstandsfähige Festung von 1870 Stadtenceinte mit Zitadelle bildet heute zwar noch den Kern des Waffenplatzes ; und vier Forts im übrigen liegt aber die Verteidigungslinie im vorgeschobenen, ausgedehnten Fortsgürtel. Von der Stadtenceinte sind die Forts durchschnittlich 6 km entfernt. Im Norden ist das sehr starke Forts Giromagny 10 km auf den Vogesenkamm hinausgeschoben . Es stellt die Verbindung mit den Befestigungen der oberen Mosel her, und reicht dem südlichen Sperrforts Ballon de Servance, das nur 3 km von der Grenze entfernt liegt, die Hand. Der Umfang des Fortsgürtels von Belfort ist größer Zwischen den Forts werden vorgeschobene zahlreiche als 40 km . Batterien und Feldwerke ständig unterhalten. An die Verteidigungslinie von Belfort schließt sich im Südwesten die Befestigung von Montbéliard an. Sie besteht außer dem verteidigungsfähigen Schloß aus zwei Forts , von denen das nordöstliche Forts de la Chaux von dem südwestlichen Werk von Belfort, dem Forts de Bermont, nur 7 km entfernt liegt .
Südlich von Montbéliard sind
schließlich nur noch zwei Straßen zu decken. Sie führen längs der Schweizer Grenze durch das rauhe, unwegsame Lomontgebirge und werden durch den widerstandsfähigen Sperrforts Pont de Roide und Blamont gesperrt . Diese bilden den südlichen Abschluß der ersten Verteidigungslinie .
B. Die zweite Verteidigungslinie. Die zweite Reihe der Grenzverteidigung gegen Deutschland besteht in der Hauptsache aus einer Anzahl größerer Lagerfestungen , die vorzugsweise als Depot- und Manöverplätze Verwendung finden sollen. Hinter, d. h. westlich der Maas liegen diese Festungen- La Fère , Laon , Reims und das Sperrfort Vitry le François - auf einem Berg-
Das französische Festungsnetz längs der deutschen Grenze.
179
rücken , welcher Paris in einem großen Bogen umschließt . Diese Hügelkette trennt die baumlose Champagne von dem fruchtbaren, reich bevölkerten Pariser Becken . Sie wird von allen aus Deutschland nach Paris führenden Straßen durchschnitten und bietet zur Sperrung derselben gute Verteidigungsstellungen . Von einer fortlaufenden Befestigung des ganzen Kreisbogens nach Art der ersten Verteidigungslinie hat man der hohen Kosten wegen abgesehen . Dem nördlichen Teil zwischen La Fère und Reims ist besondere Aufmerksamkeit zugewandt worden.
La Fère im Oisetal hat als Eisenbahnknotenpunkt
und nördliches Pivot der Festungslinie besondere strategische Bedeutung. Die 1870 nur schwach befestigte Stadt ist heute von Forts umgeben und in einen starken Waffenplatz verwandelt worden.
Im
Südosten schließt sich das Festungsgebiet von Laon unmittelbar an. Die Festung besitzt ebenfalls einen Fortsgürtel und wird für stark und widerstandsfähig gehalten . Die zunächst liegenden Forts von La Fére und Laon sind nur 10 km voneinander entfernt ; beide Plätze Weiterhin wird die Verbindung bilden also ein Festungssystem . zwischen der Oise und Aisne durch die Sperrforts Malmaison und Condé hergestellt .
An der Aisne liegt ferner das schwach befestigte
Soissons . Östlich an der Vesle , einem linken Nebenfluß der Aisne, folgt Fast alle Reims , das als Haupteisenbahnknotenpunkt wichtig ist. aus Deutschland kommenden Eisenbahnlinien führen über diesen Ort. Die Stadt selbst ist unbefestigt geblieben ; die umliegenden Höhen sind aber mit Forts gekrönt worden. Die Festung wird für stark gehalten , zumal die westlichen Forts , unabhängig von der Einnahme der Stadt , noch behauptet werden können. Südlich von Reims liegt Epernay an der Marne. dieser Stadt war geplant.
Die Befestigung
Der Ort sollte in den Festungsbereich von
Reims hineingezogen werden .
Der zu großen Ausdehnung und wahr-
scheinlich der zu hohen Kosten wegen ist der Plan aufgegeben worden. Ebenso verhält es sich mit der Umgestaltung der südwestlich von Epernay gelegenen kleinen Stadt Nogent-sur- Seine. Man hat von der geplanten Befestigung abgesehen und sich damit begnügt, zwischen beiden Orten vorgeschoben das Eisenbahnsperrfort Vitry-le-François zu errichten .
Es folgt nun ein weites , unbefestigt gebliebenes Gebiet zwischen Marne und der Seine. Die absichtlich offen gelassene Lücke oberen der in der ersten Verteidigungslinie zwischen Toul und Epinal ist gewissermaßen nach Westen auseinanderlaufend erweitert worden . Die Entfernungen zwischen den nördlichen und südlichen Befestigungen der zweiten Verteidigungslinie überschreiten hier 100 km. Im Süden stützen sich die Verteidigungsanlagen auf das Plateau von Langres mit seinen
180
Das französische Festungsnetz längs der deutschen Grenze.
südwestlichen Ausläufern .
In der großen Lücke bis zum nördlichen
Festungsgebiet weist das Gelände an der oberen Marne und Aube günstige Verteidigungsstellen auf.
Der hauptsächliche Schutz der
Lücke ist jedoch in der flankierenden Lage des Plateaus von Langres zu erblicken .
Letzteres bildet gleichzeitig den Kernpunkt der Ver-
teidigung des Seine- und Saônebeckens . Das Gebirgsgelände ermöglicht eine nachhaltige , erfolgreiche Verteidigung, der die reichen Hilfsquellen des südlichen Frankreich zur Verfügung stehen. Das Plateau hat die ungefähre Kreisform von etwa 11 km Radius. die Lagerfestung Langres.
In der Mitte liegt
Außer der vorstehend gekennzeichneten ,
strategisch günstigen Lage ist der Platz auch noch als Eisenbahnsperrpunkt von Bedeutung .
Die Stadt ist von einem ausgedehnten Forts-
gürtel umgeben, dessen Umfang über 50 km beträgt. Diese große Ausdehnung des Platzes ist den wichtigen Aufgaben als Manöverfestung angepaßt. Im Süden von Langres liegt das Festungsdreieck BesançonDijon- Chagny mit dem Saônesperrfort Auxonne . Diese Befestigungen bilden das eigentliche Reduit Frankreichs. Es wird durch die künstliche Verstärkung der natürlichen Verteidigungsstellungen und durch die gegenseitige Unterstützung der einzelnen Werke für uneinnehmbar und unangreifbar gehalten . In diesem Gebirgsgelände sollen sich erforderlichenfalls die Reservearmeen Frankreichs zum Schutze von Paris sammeln .
Diese sollen gestützt auf das weiter südlich liegende,
stark befestigte Lyon alle Unternehmungen gegen Paris durch ihre Flankenstellung bedrohen . Die Lagerfestung Besançon liegt ungefähr 80 km von Langres und auch von Belfort entfernt.
Sie sperrt im Doubs- und Oignontal
die nach dem Süden führenden Straßen und ist der eigentliche Schlüssel der Franche Comté. Die Festung steht an Größe und Ausdehnung Langres nicht nach . reichs gehalten.
Sie wird für eine der stärksten Festungen Frank-
Ebenso sind auch Dijon und Chagny zu bedeutenden
Waffenplätzen von großem Umfange ausgebaut worden . Den Abschluß der zweiten Verteidigungslinie bilden die Sperrforts Salins und de Joux an der Schweizer Grenze .
Der Wert des geschilderten französischen Festungsnetzes gegen Deutschland ist bisher sehr verschieden beurteilt worden . Eine eingehende Besprechung des Wertes muß späteren Zeiten vorbehalten bleiben.
Kriegswissenschaft.
181
XVII.
Kriegswissenschaft . Durch- und Einbrüche der Front. Von Woelki, Oberst z. D.
Der zeitige Krieg ist wohl dazu angetan , die Beziehungen von Krieg und Wissenschaft zu beleuchten, im besonderen darzulegen , welchen Wert die Wissenschaft überhaupt und im ganzen , und wie weit deren Teile , die auf den Krieg hinzielen und von ihm abhängen , als auf der Höhe der Zeit und deren Bedürfnissen stehend , sich bewährt, oder aber sich als überständig oder verfehlt gezeigt haben . Den so sich ergebenden Fragen in ihrem vollen Umfange auf den Grund zu gehen, ist es zwar noch nicht ganz an der Zeit , noch silent Musae inter arma, noch sind die Kräfte bei der Arbeit , die Prozesse im Gange und noch darf das Getriebe nicht vor aller Welt freigelegt werden . Daneben und dazwischen aber findet sich noch überreichlich Gelegenheit und Stoff, der bei einiger Vorsicht eine Erörterung nicht nur verträgt , sondern auch schon einer Aufklärung dringend bedarf, Felder, die nicht zu früh bereitet , Bahnen und Richtlinien , die zu bestimmen und zu stecken nicht früh genug begonnen werden kann , und auch wohl Bausteine und andere Materialien , die beigebracht werden können, um der Ergründung der immanenten Wahrheiten näher zu kommen, wie deren praktische Verwertung zu fördern . Wenn auch von den Ansichten und Aussprüchen alter Haudegen, die sich wohl wie eine ,, Verachtung von Vernunft und Wissenschaft “ ausnehmen , hier füglich abgesehen werden kann , so muß doch anerkannt werden, daß eine restlose Verbindung von Krieg und Wissenschaft , derart, daß der Krieg als wissenschaftlich voll und ganz verarbeitet gelten , wie auch in Wesen und Verlauf ganz auf der Wissenschaft begründet werden kann, also , daß ihm von und aus ihr nur Gewinn, nicht aber auch Schaden erwachsen, --- noch lange nicht erreicht ist, vielmehr in gewissen Beziehungen ein Problem bleiben wird. Wie auch sonst wohl die Praxis nur soweit mit und in der Wissenschaft aufgeht , als die letztere mit dem gemeinen Verstande zugänglich ist .
Von
genialer Intuition also abgesehen . Die Kriegskunst wird wenigstens als solche stets schwer zu definieren und niemals wohl - festzulegen sein.
Auch wenn man schon von den unvermeidlichen Besserwissern ,
die ohne eigentliche Verantwortung und hinterher die Vorgänge , wie
182
Kriegswissenschaft .
sie ihnen gerade bekannt geworden , kritisieren , und auch von solchen Stubengelehrten und Bureaukraten absehen möchte , die eingehende Anleitungen und strikte Vorschriften für jeden Fall geben zu können vermeinen ; vielmehr scheint sich der Unterschied zwischen Theorie und Praxis noch allemal zu vergrößern , je mehr man auf das Wesen der Elemente , die den gewünschten Erfolg bedingen , eingeht . Und wenn es auch uns erfreulicherweise bisher an erfolgreichen Männern der Tat , die sich wohl als Meister der Kriegskunst erwiesen haben, nicht gefehlt hat, es auch anderseits einzelnen Theoretikern - unter den vielen , die es versucht
wohl in hohem Grade gelungen ist ,
durchaus überzeugend die Vorbedingungen für den Erfolg, wie das Spiel der Kräfte und alle in Betracht kommenden Umstände vorzuführen also synthetisch wie analytisch den Stoff zu meistern
, so haben
diese letzteren doch weder Gelegenheit gehabt , ihre Ansichten und Axiome in die Tat umzusetzen, noch haben die Ersteren ihre Taten rückhaltlos bis auf den Grund wissenschaftlich verarbeitet .
Zumeist
wohl schon deshalb nicht , um dem Verdacht der Zustutzung der Vorgänge zu entgehen ; die demonstratio ad hoc liegt da eben zu nahe , und eine gewisse unbewußte Voreingenommenheit ist schlechterdings nicht zu umgehen , schon abgesehen von der einseitigen Beschränktheit auch des freiesten Blicks und besten Willens. Wenn aber als der Weisheit letzter Schluß angesehen werden möchte : ,,den Umständen entsprechend , zweckmäßig zu handeln “ (wohl nach dem Satze Napoleons : ,, Im Kriege entscheiden die Umstände alles " ) , oder wenn Moltke ,, die Kriegführung ( als) eine Kunst " ansah , ,,der viele Wissenschaften dienen ", ja , wenn auch mehr wissenschaftliche Naturen, wie vor allem v. Clausewitz , das Wesen des Krieges gründlicher
wissenschaftlich
zergliedern
und
darzulegen
versucht
haben ; weder ist es bisher gelungen , dies Ziel einwandfrei und voll überzeugend zu erreichen , noch würde auch eine weitere Verarbeitung und Festlegung zu einem wirklichen Abschluß , geschweige praktischen Nutzen führen . Denn ,, niemals kann die Historie (mit ihren Lehren) sich das Leben unterwerfen".
Der menschliche Geist
läßt sich eben nicht soweit einfangen und zügeln , daß nicht seine Weiterentwickelung immer neue Rätsel und überraschende Lösungen brächte. Anderseits gilt das bekannte Wort des Heraklit : ,,Der Kampf ist der Vater aller Dinge" also doch auch der Wissenschaft !, auch nur in einem gewissen Sinne und bedingt , so daß man wohl zu dem Schlusse gelangen mag : Krieg und Wissenschaft fördern und ergänzen sich wohl, aber immer nur mit Unterschied , teilweise und bedingt. Und zwar nicht nur , noch durchaus , mit dem Unterschiede , den seinerzeit Moritz von Sachsen angegeben hat : ,,Alle Wissenschaften haben
183
Kriegswissenschaft.
Grundsätze und Regeln, der Krieg hat keine " ; auch nicht einmal durch den schon erwähnten Umstand, daß es bisher nicht gelungen ist, die Kriegswissenschaft , wie es wohl den Theoretikern als höchstes Ziel vorschweben mag,,, zu einem einheitlichen , wissenschaftlichen System zusammenzufassen " ; vielmehr fordert letztere Idee denn doch wohl den Einwurf heraus : Sind denn Grundsätze und Systeme wirklich die Krone , ja auch nur die notwendigen Bestandteile von ,,Vernunft und Wissenschaft" ?! Hat es doch der gewiß philosophisch gerichtete und beanlagte Clausewitz für nötig gehalten , die Feldherren davor zu warnen : ,, sich nicht mit philosophischen und philologischen Klügeleien zu befassen “ ! Und das mit gutem Grund ; der immerhin beschränkte menschliche Geist verliert sich eben in seinen Abstraktionen und Folgerungen nur zu leicht in blendende Theorien , wenn nicht gar , im Hochgefühl seiner Überlegenheit innerhalb seines Kreises, in überheblich
bewußten
einzwängende Vorschriften und Schemata
, während der Krieg,
als gewaltigste Form der Lebensprozesse, in unendlicher Mannigfaltigkeit sich selbstherrlich auch noch ganz anders , als vorbedacht , äußert und weiter entwickelt, wo auch der oft nur vermeintliche Zwang der Verhältnisse immer noch einen - vermeintlich ganz besonderen Fall zeitigt, für den die seitherige Theorie eben nicht zureicht.
Wenn
dann noch das richtige Erfassen und Ausnutzen der Umstände im Widerspiel der Kräfte von so überwiegendem Wert ist, so kommt es auch in Wirklichkeit nicht sowohl auf die durchaus rein wissenschaftliche Richtigkeit und Wahrheit , als auf das im Verhältnis zum Gegner mehr zutreffende Erkennen und Ausnutzen der Umstände und Verhältnisse an . Wie denn auch erfahrungsmäßig es mehr die durchdringende Erkenntnis der Lage, wenn schon nicht geniale Intuition , wie die Tiefe der Gedanken und Größe der Absichten , mehr die Kraft des Willens , wie die Schärfe der Logik ist, auf der die Kriegskunst beruht . Keineswegs und niemals aber sind die treibenden Kräfte und maßgebenden Umstände so einfach und selbstverständlich, wie sie nachträglich wohl erscheinen und gedeutet werden , also , daß man sie wohl fein säuberlich in Systeme und Theorien zum Anhalt für späteren Bedarf - bringen könnte . Und wie überraschend einfach und, nach dem bekannten Wort Oxenstierna's,,,mit wie wenig Verstand" auch die Kriege geführt werden mögen, die Verschiedenheit und der Wechsel der einzelnen Lagen bleiben immer noch unübersehbar groß, und die entscheidenden Faktoren, zumal von außen, schlechterdings unbestimmbar.
Das zeigen uns bei eingehender Prüfung alle in Frage
kommenden, gegenwärtigen wie früheren Vorgänge und Kampfarten ;
184
Kriegswissenschaft .
so auch die Ein- und Durchbrüche , die ja gerade jetzt im Vordergrunde des Interesses stehen. Ohne das zulässige Maß der zeitigen Erörterung dieser noch im Fluß befindlichen Vorgänge zu überschreiten, läßt sich jetzt , Anfang 1916, Wesen und Ergebnis der bisherigen Stellungskämpfe wohl wie folgt zusammenfassen: Der Stellungskrieg hat sich zu Formen und Zuständen entwickelt , die wohl den zeitigen Maßnahmen und deren Kampfmitteln wie den vorliegenden Aufgaben entsprechen , von den bisherigen Kampfarten aber nicht unwesentlich abweichen . Es sind nicht so die Verhältnisse und Bilder des Feld- wie die des Festungskrieges , die vorherrschen . So auch betreffs der in Frage stehenden Durchbrüche . Für diese müssen doch füglich vor allem die Stellungen selbst, ihre Art , Form , ihr Grad der Befestigung, die Stärke der Besatzung wie Kraft der Verteidigung - mit allen in Betracht kommenden Mitteln bestimmend und maßgebend sein, mithin sich im ganzen ein Verfahren ergeben . das für die großen Entscheidungskämpfe bisher nicht üblich war. der Begriff der Durchbruchsschlacht , wie ihn z . B. v. Blume in seiner ,, Strategie" ( S. 168) festgelegt hat . So Bestehen bleibt wohl
besonders bezüglich der Gefahren des Einbruchs , wie der Wirkungen des gelungenen Durchbruchs : ,,Aber das Eindringen an einem oder dem andern (schwachen Punkte) verspricht in den seltensten Fällen entscheidenden Erfolg, weil der Verteidiger zu viele , von dem örtlichen Mißerfolg unberührt gebliebene Kräfte an der Hand und ausreichende Zeit behält, um sie gegen die eingedrungenen , räumlich beengten Angreifer umfassend in Tätigkeit zu setzen. " S. 203 . Dies kann für den Stellungskrieg nur dann volle Geltung haben, wenn die Verteidigung der des Feldkrieges völlig entsprechend geführt würde . Das aber wäre, wenigstens theoretisch , nicht zweckentsprechend ; mag auch die Wirklichkeit andere Bilder und Variationen zeigen , namentlich die unwägbaren Kräfte die Verhältnisse ändern und .den Formen den entscheidenden Wert erst geben . Demgegenüber stellt sich freilich der wirkliche Verlauf der Kämpfe , wie deren Ergebnis vielfach anders und verschieden , zumal nach Auffassung der beteiligten Gegner . Da ist es denn wohl recht interessant, was der englische Minister Churchill hierzu bei seiner Verteidigung bezüglich des Dardanellenunternehmens vor dem Unterhause erklärte : ,,Es ist in diesem Kriege bewiesen, daß gute Truppen, die richtig von Artillerie unterstützt werden , gegenüber jeder Verteidigung einen unmittelbaren Fortschritt von 2-3 Meilen (engl. ) machen können , wie bei Neuve Chapelle, Loos , Souchez. Solcher Fortschritt auf Gallipoli hätte das Schicksal der
185
Kriegswissenschaft .
türkischen Armee auf dem Vorgebirge erledigt, hätte vermutlich die ganzen Operationen entschieden" usw.
Nun ist ja Churchill kein Berufsmilitär ; seine Autorität aber, auch in militärischen Fragen, war- und ist es vielleicht noch trotzdem in England groß , wie seine Laufbahn beweist .
Er wußte jedenfalls ,
,,wie es gemacht wird", auch wenn und wo man nicht die Wissenschaft und Technik voll beherrscht : er hatte eben auf ,, Sachverständige" zurückgegriffen . Auf solche berief er sich auch bezüglich des Dardanellenunternehmens . Als ob damit seine Verantwortung abgetan wäre ! Die Sachverständigenausflucht gilt ja auch anderwärts ; nicht nur in England wird die Wissenschaft nur auf diesem Umwege so nach Bedarf herangezogen.
Es leuchtet auch wohl ein , daß bei dem heutigen Um-
fang von Spezialitäten nur ein seltenes Genie ein genügend sicheres Urteil über alle in Betracht kommenden Zweige der Wissenschaft und Technik haben kann ; auch, daß gerade die tüchtigsten Techniker und Spezialisten sich nicht gerade für die entscheidenden Stellen, wo allgemeines Urteil und kurzer schneller Entschluß erstes Erfordernis ist , zu eignen pflegen ; aber ebenso nahe liegt es doch, was auch die Erfahrung immer wieder bestätigt , daß das Einholen von Gutachten nur verhältnismäßig wenig und recht bedingten praktischen Wert haben kann . Man denke sich in die Stelle des von Churchill hinzugezogenen Admirals Fisher.
Was konnte und sollte er wohl zu dem
Plane sagen ? So durchaus widersinnig und aussichtslos, wie es wohl von der Gegenseite hinzustellen beliebt wurde, war es denn doch nicht . Einstehen aber konnte der Sachverständige für solch ein Unternehmen erst recht nicht , schon weil die Ausführung nicht in seiner Hand war , und auf das ,, Wie" der Ausführung kam es gerade in diesem Falle , in Anbetracht der vagen Voraussetzungen , doch ganz besonders an! Und das Gutachten der beteiligten , für die Ausführung in Aussicht genommenen Generale und Admirale ? Die waren wieder Partei und entsprechend befangen, wollten nicht versagen und
setzten im
übrigen die erforderlichen Vorbedingungen und entsprechenden Vorbereitungen voraus bzw. der obersten Stelle anheim! Wie das wohl jeder, der die einschlägigen Subordinationsverhältnisse kennt , nicht anders erwartet . Wie anders stellt sich das Verhältnis , wenn die Lage mit allen Umständen , gleichsam von einer höheren Warte , von einem überlegenen Geiste überschaut und daraufhin der Entschluß wie Pallas Athene aus dem Zeuskopfe hervor springt !
Wenn der Wille von dem
Feuer der Überzeugung durchglüht , alles in Begeisterung versetzt ! Dann und so erst kommt wohl auch die Wissenschaft zur vollen Entfaltung und stärksten Wirkung. Churchill begründet (s . oben) das Gallipoliunternehmen mit den,
186
Kriegswissenschaft .
seiner Meinung nach , feststehenden Tatsachen , Erfahrungen und Ergebnissen der vorangegangenen Stellungskriege, im besonderen den von den Alliierten schon erreichten Erfolgen. Und als früherer Kriegsberichterstatter ist er von seiner Ansicht und Wissenschaft wohl überzeugt, und findet auch bei seinen Landsleuten ziemlich rückhaltlose Zustimmung. Was er aber als erwiesen hinstellt , hält einer nüchternen gründlichen Untersuchung nicht stand und wird auch von seinen Gegnern beanstandet ; seine wissenschaftliche Begründung ist demnach strittig, und zwar in jeder Beziehung und besonders in bezug auf ihre Folgerungen und Anwendung.
Ihr fehlt offenbar die solide Grundlage
von zugehörigen Kenntnissen und gereifter Erfahrung, ohne die auch der schärfste Verstand nicht eine zutreffende Auffassung erlangen kann ; eine solche aber ist dann doch Vorbedingung für jede weitere Folgerung. Darum schon mag als passendes Seitenstück noch eine Äußerung zu derselben Frage von dem ebenso bekannten wie berüchtigten Oberst Repington hier Platz finden , der als früherer Berufsoffizier , langjähriger Kriegs- und Manöverberichterstatter und nunmehriger Mitarbeiter der ,,Times" sich als besondere Autorität in militärischen Fragen gibt , auch wohl in England als solche angesehen wird.
Welcher wirkliche
Wert freilich ihm nur zufallen kann, geht schon aus der nachstehenden Probe hervor, der noch vorausgeschickt werden mag , daß seine Ratschläge gewissermaßen mit der Entwickelung des
Stellungskrieges.
und Bedürfnisse der Alliierten Schritt gehalten haben ; noch vor kurzem hat er denn auch den schrittweisen Durchbruch unter Benutzung der vermeintlich überlegenen Artillerie vertreten , während er nachstehend mehr für die Abnutzung und Zermürbung des Gegners Propaganda macht. 99 Wir müssen den Gedanken , die deutschen Linien zu durchbrechen, vergessen .... Unsere Artillerie und unsere Munitionsvorräte wachsen derartig, daß wir es uns leisten können , den Feind aus seinen Gräben . öfters bloß durch Artilleriefeuer zu vertreiben . Wenn man die ersten feindlichen Schanzlinien und die Hindernisse zerschossen, die deutsche Artillerie wirksamst bekämpft hat , kann unsere Infanterie den gewonnenen Boden besetzen und befestigen.
Als-
dann ist der Vormarsch unserer Artillerie abzuwarten, bevor der Angriff fortgesetzt wird.
So können wir hoffen, dem Feind größere Verluste
zuzufügen , als wir selbst erleiden ....
Unser Hauptziel ist jedoch,
jeden Monat 200000 Deutsche zu töten oder zu verwunden .
Nirgends
ist es leichter für uns , Deutsche umzubringen, als in den jetzigen Selbst wenn der Feind die gegenwärtigen Stellungen im Westen. Stellungen halten würde , könnten wir ihm so schwere Verluste beibringen, daß er schließlich zugrunde gehen muß....
Bei jeder bis-
Kriegswissenschaft.
187
herigen Schlacht im Westen haben wir einen stetig wachsenden Erfolg gehabt . Da die Zahl unserer Kanonen , Haubitzen und Granaten ständig wächst , können wir jeden neuen Angriff mit größerem Vorteil unternehmen, jeden feindlichen Angriff aber unter immer größeren Opfern für den Feind abschlagen" usw. (Mil. Woch. Bl . 19/20 , 1916 ) . So anmaßend nun und voreingenommen - parteiisch diese Ausführungen auch sind , und soviel Anklang und Widerhall sie auch bei den Alliierten finden mögen , Neues bringen sie kaum und ebenso gering ist ihr wissenschaftlicher Wert. Der Angriff auf hintereinander liegende Stellungen nacheinander ist doch das natürlich Gegebene, wenn anders die Stellungen zweckentsprechend angelegt sind, und über die Fernwirkung der zeitigen Kriegsmittel wie deren erreichbare Erfolge haben die Beteiligten Truppen sich wohl ihr Urteil gebildet ; ob das freilich mit dem des Oberst Repington übereinstimmt , ist eine Sache für sich . Nun ist es aber auch wohl möglich , daß Repington seine Ratschläge so öffentlich nur Preis gibt, um irre zu führen, abzulenken oder mit sonst einem Hintergedanken .
Den Feind im gewünschten
Sinne zu beeinflussen , ist wohl kaum weniger wichtig , als bestimmt zu wissen, ob er die bisherigen Versuche aufgibt , welches Verfahren unserseits fortan den meisten Erfolg verspricht , u. dgl . Darauf hier weiter einzugehen, wird aus naheliegenden Gründen nicht beabsichtigt, es wird für den vorliegenden Zweck genügen, auf den bekannten Verlauf des Stellungskrieges , wie ihn unsere amtlichen Berichte darstellen , hinzuweisen. Danach aber steht es fest , daß wir im Osten mehrfach Durchbrüche mit vollem Erfolge durchgeführt, im Westen aber solche nicht versucht haben, daß dagegen unseren Gegnern solche überhaupt noch nicht gelungen sind .
Den nächstliegenden Schluß aus diesen Tatsachen zu
ziehen, geschweige offen zuzugeben , ist von unseren Gegnern vorerst nicht zu erwarten . Vielmehr quälen sie sich immer um neue Ursachen des Mißlingens wie um neue Verfahren , die einen Umschwung herbeiführen sollen .
Daß ihre Mißerfolge nicht den strategischen Anlagen
oder der taktischen Leitung zuzuschreiben sind , bezeugt ihnen u . a . neuerdings Hans Delbrück in den Preuß. Jahrbüchern vom Januar 1916 : ,,Die letzte große Offensive im Westen vom 25. September 1915 wird ihrer strategischen Anlage nach jeder militärischen Kritik standhalten." Ferner: ,,Die Fehler die Joffre und Churchill (in ihren Plänen) gemacht haben (sollen) , sind weniger ibre Fehler , als unsere und unserer Verbündeten Tugenden " , und schließlich : ,,Es ist der Ruhm unserer Braven , an deren granitenem Willen alle feindliche Kunst und Kraft zerschellt ist".
Und diese Gegenleistungen und -wirkungen werden denn wohl
188
Kriegswissenschaft .
auch weiter die schönst-ausgeklügelten Pläne und Methoden unserer Gegner zunichte machen . Daß daneben die Grundstellung, wie die Vorbedingungen des zeitigen Stellungskrieges eigentümliche sind, daß im besonderen die gewaltigen Mittel der neuen Technik, zumal des Fernfeuers immer mehr zur Geltung kommen und vorherrschen , je mehr eben die Kriegshandlung an Beweglichkeit verliert bzw. örtlich wird, ist immer noch Ebenso gewiß ist auch wohl, daß die Verteidigungs-handlung dadurch , daß sie örtlich gebunden ist , und einrichtung auch eine gewisse Beschränkung erleidet, so daß mit dem Anwachsen wichtig genug .
des Angriffs in Kräften und Mittelnderen angemessenen Gebrauch der Angriff auch gegen die an sich ,, stärkere Form " vorausgesetzt wohl in Vorteil kommen kann , wenn eben: ,,Die auf Tüchtigkeit beruhende Überlegenheit für den Angriff mindestens die gleichen Vorteile gewährt, wie überlegene Zahl, zumal sie auch auf beschränktem Raum zur Geltung kommt und zur erfolgreichen Durchführung eines rein frontalen Angriffs befähigt " (v. Blume, Strategie S. 171 ) .
Die vorstehenden Bemerkungen zu den angezogenen Äußerungen von Churchill und Repington , die zu vermehren wahrlich nicht schwer wäre, dürften wohl genügen , um zu zeigen , was es mit der Kriegswissenschaft , ― in solchen Fällen zumal , auf sich hat, und im besondern auch ein anschauliches Bild geben, auf welche Schwierigkeit überhaupt die Verwertung der Kriegswissenschaft stößt : wie unendlich unsicher schon die zugrunde liegenden Erkenntnisse , wie groß die Hindernisse sind, die sich gegen das Durchschauen der fraglichen Zu- und Umstände auftürmen und, vor allem, wie Widerstände und Gegenmittel auch die schönsten Pläne und Berechnungen sie nicht im angestrebten Sinne noch Maße zur Wirksamkeit und zum Erfolg gelangen lassen können . Aber auch im weiteren Verfolg noch : daß alles Sichten und Hinstellen von vermeintlich sicheren Grundsätzen , wie auch das Aufstellen von Theorien, Lehrformen, geschweige Anleitungen für den Gebrauch, dem eigentlichen Wesen des Krieges , soweit dies eben sich in einem Aufbieten und Gegenarbeiten aller Kräfte darstellt , nicht entspricht . Die geistigen Kräfte lassen sich nicht einfangen, noch, ohne sie zu verkümmern, binden . In diesem Sinne muß wohl dem oben angezogenen Ausspruch des Moritz v. Sachsen Recht gegeben werden und dem so wenig wissenschaftlich anmutenden ,, System von Aushilfen " des Feldmarschalls v. Moltke der Vorzug gegeben werden vor allen Abstraktionen und Deduktionen , die wohl auf bekannt gewordenen Geschehnissen beruhen, nicht aber dem Fortschreiten des menschlichen Geistes wie den kommenden Zeitbedürfnissen gerecht werden können .
Und schließlich : Wenn nach Moltke ,, Der
189
Kriegswissenschaft.
Weg vom Wissen zum Können weit ist ", so ist doch die volle Gültigkeit wie richtige Auffassung des betreffenden Wissens nicht minder wichtig bzw. von Moltke vorausgesetzt .
Und ebenso hängt eine erfolgreiche
Verwendung von der richtigen und vollständigen Verarbeitung des Wissens ab . Denn sonst mag es noch immer unfruchtbar bleiben , wenn nicht
zum schädlichen Ballast werden ;
zumal
im
Kriege,
wo nur ,,vollste Betätigung in schärfster Ausprägung" gilt und zum Ziele führt.
Vorstehende, vor den Kämpfen vor und um Verdun verfaßten Ausführungen zu berichtigen, liegt bisher (am 27. 3. 16) noch keine Veranlassung vor.
So gewaltig, bedeutsam, ja auch wohl überraschend
diese Vorgänge nach Anlage und Verlauf auch immer sein und weiterhin sich noch gestalten mögen , so bieten sie eigentlich doch keine neuen Momente,
die
als
Lehre und Anhalt
für Ausnutzung und Wieder-
verwendung allgemein zutreffend eingeschätzt könnten. wenn
und festgelegt werden
Das gilt auch betreffs der Festungen , über deren Wert,
nicht gar Existenzberechtigung,
man immer wieder
einzelne
Vorgänge als besonders beweiskräftig vielfach anzusehen geneigt ist . Daran , daß das Bedürfnis nach Rückhalten und Stützpunkten nach wie vor geblieben, nur
wenn nicht gar gewachsen, ist ,
noch darum handeln kann,
wie daß es sich
diesem Bedürfnis mit zeitgemäßen,
den aufkommenden Angriffsmitteln
entsprechenden Gegenmitteln zu
begegnen, können die schon erfolgten und noch zu erwartenden einschlägigen Vorgänge nichts ändern . Eher und mehr bliebe wohl auch daraufhin hervorzuheben - bzw. aus den letzten Vorgängen zu entnehmen
, daß wichtiger und nötiger als noch so gewaltige Kriegs-
mittel und starke Formen sich nach wie vor die geistigen und moralischen Kräfte erwiesen haben , deren Entfaltung und Ausnutzung demnach im weitesten Grad und Umfang es vor allem vorzusorgen gelte.
Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 535.
14
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Amerikanische Stimmen über den ,,Militarismus“.
XVIII . Amerikanische Stimmen über den ,,Militarismus “.
Von Frhr. von Welck, Oberstleutnant a. D.
Im Jahre 1911 erschien in der bekannten amerikanischen Wochenschrift ,,The Outlook “ , und zwar in der Nummer vom 3. Juni ein Aufsatz mit der Überschrift : ,, Die Unkenntnis der Macht " (The ignorance of valor) .
Er erhält dadurch erhöhten Wert , daß Theodor Roosevelt
als Mitherausgeber dieser Zeitschrift bezeichnet wird und vielfach auch Mitarbeiter ist .
Dieser Aufsatz bespricht zunächst eine im Jahre
1909 unter dem Titel : ,, Die Macht der Unkenntnis " (The valor of ignorance) erschienene Schrift von Homer Lea . Sie bildet eine Verteidigung des Militarismus und wird vom Outlook allen denen zur sorgfältigsten Beachtung empfohlen , die an eine Verminderung der Volksbewaffnung, an eine Erleichterung der Militärlasten glauben und die eine Berufung an das Recht höher stellen wollen, als die an die Macht . ,, Wir empfehlen sie deshalb " , heißt es ,,,weil sie wenigstens der Form nach Gründe angibt für Ansichten ,
die in verschiedenen unserer Zeitungen aus-
gesprochen wurden und in gewissen Kreisen unserer Bevölkerung Eingang gefunden haben “.
„ Wir haben ", heißt es weiter,,, dieses
Buch , welches die Aufstellung einer größeren Flotte und eines stärkeren stehenden Heeres fordert, mit Interesse gelesen , weil wir der Ansicht sind, daß unsere Flotte stark genug ist , um diejenigen Funktionen auszuüben, die nötig sind für eine so friedliche Nation wie die der Vereinigten Staaten, und weil wir an die Möglichkeit
schieds-
gerichtlicher Entscheidungen in Kriegsangelegenheiten glauben “ , H. Lea spricht sich hierüber folgendermaßen aus : ,, Kein Mensch ist so eingebildet und keiner hängt fester an den Rockschößen falscher Götter als der , der genug Erziehung genossen hat , um zu lesen , aber nicht genug gelernt hat um unterscheiden zu können , was falsch und was wahr ist .
Wegen der
Vorherrschaft dieser oberflächlichen.
Erziehungsweise in den Vereinigten Staaten hat jedes „ ism " seine Nachbeter, jede Art von religiösem Wahnsinn ihre Tempel und ihre Apostel, jeder Geisterseher seine Gläubigen und jede Art von Verrücktheit ihre Anhänger .
Gewöhnlich sind diese Täuschungen nur schmerz-
lich für den Einzelnen der nicht der Beachtung wert ist ; wenn aber der Irrtum imstande ist , sich soweit zu verbreiten, daß er das Wohlsein des ganzen Volkes bedroht, dann ist es Zeit , auf das Blendwerk seiner
Amerikanische Stimmen über den „,Militarismus“.
191
Hoffnungen und auf den Flugsand , auf dem seine Aspirationen aufgebaut sind, hinzuweisen . Zu dieser Klasse von Schwärmern rechnen wir die Anhänger der internationalen Schiedsgerichte und der Entwaffnung , die so nachdrücklich bestrebt sind , durch hilfreiche Politiker, durch Feminismus, Klerikalismus, Sophismus und andere derartige Hilfskräfte die schon sehr getäuschte Republik ganz in den Sumpf zu locken , aus dessen tödlichen Ausdünstungen keine Rettung mehr möglich ist ." Hierzu bemerkt der Artikel des Outlook : ,,Dieser bescheidene Patriot ist zur Rettung dieses getäuschten Landes nicht zu früh gekommen, denn dieser schreckliche Irrtum eines internationalen Schiedsgerichtes hat sich schon bis in die Kreise seiner Advokaten , der Rektoren jüdischen , proder Hochschulen, der Mehrheit der Geistlichkeit vieler, wenn nicht aller testantischen und römisch-katholischen — unserer bedeutendsten Rechtslehrer, der meisten Handelskammern und Handelsämter , der Präsidenten der Vereinigten Staaten , der Staatssekretäre des Englischen Auswärtigen Amtes und bis in die der leitenden Publizisten in beiden Ländern und vieler maßgebenden Persönlichkeiten in Heer und Flotte verbreitet . Was aber noch ernster ist , das ist , daß dieser Irrtum seit etwa 100 Jahren erfolgreich gewirkt hat und verantwortlich ist für die Hundertjahrsfeier des Friedens zwischen Amerika und England , die im Jahre 1914 gefeiert werden soll " ( 1911 geschrieben) . ,,Das Buch von Lea bietet" , schreibt Outlook,,, manches Wahre. Es ist wahr , daß Amerikas Macht zum Teil die Macht der Unwissenheit ist , zum Teil ist es eine Macht des Selbstbewußtseins .
Es
ist wahr, daß der Ozean nicht länger eine Grenze bildet zwischen den Vereinigten Staaten und den bewaffneten Mächten östlich und westlich von uns ; daß der Atlantische Ozean nicht gesichert ist gegen England oder Deutschland und der Stille Ozean gegen Japan . Es ist wahr , daß Deutschland eine Flotte hat, stark genug, um eine Viertelmillion Soldaten über den Atlantischen Ozean zu befördern und Japan die nötigen Schiffe , um eine gleiche Zahl über den Stillen Ozean zu führen , und daß wir weder eine Flotte, noch Truppen haben, um ihre Landung an unserer Küste zu hindern . Es ist wahr , daß unsere jetzige Flotte , die , ehe der Panamakanal vollendet ist ( 1912) nicht vereinigt werden kann , entweder eine Küste unverteidigt lassen oder auf zwei Küsten verteilt werden muß und somit beide ungeschützt und die Flotte außerstande läßt , sich selbst zu verteidigen. Es ist wahr, daß Japan gegen unsere Eroberung der Hawaischen Inseln protestiert und diesen Protest nie zurückgezogen hat, daß wir mit unserer einfältigen Politik, die die Einwanderung ungezählter Japaner nach diesen Inseln gestattet und ihre Naturalisierung als Amerikaner verboten hat, erreichten, daß in Hawai mehr als 14
Amerikanische Stimmen über den ,, Militarismus “.
192
6000 Japaner sind, von denen viele Veteranen aus dem RussischJapanischen Kriege, und daß beim Ausbruch eines Japanisch- Amerikanischen Krieges diese 6000 Japaner sich wahrscheinlich als Japaner und nicht als Amerikaner erweisen würden . Viele Amerikaner kennen diese Verhältnisse nicht und brauchen sie nicht zu kennen .
Unser großes Wachstum an Reichtum und Be-
völkerung und unser leichter Sieg über Spanien, hat einen Nationaldünkel erzeugt, dessen es nicht bedurfte : wir gefallen uns darin, uns für die größte Nation der Erde zu halten , was einfach nicht wahr ist . Für den Fall eines Krieges ist Amerika nicht mehr als eine Macht zweiten Ranges . Hiermit ist alles gesagt , was zugunsten der lauten Forderung des Militarismus, wie sie von H. Lea interpretiert wird, gesagt werden kann. Daß , wenn ein Krieg mit Japan ausbrechen sollte , dieses Hawai und die Philippinen besetzen würde , ehe die Vereinigten Staaten zu ihrer energischen Verteidigung schreiten könnten , ist sehr wahrscheinlich ; und daß eine zahlreiche feindliche Armee an unserer pazifischen Küste landen und sie vom Meer bis zum Gebirge besetzen würde , ist nicht unmöglich.
Solch eine Besetzung würde unserem Küstengebiete einen
Schaden zufügen, etwa wie der durch ein Erdbeben oder durch die Feuersbrunst von St. Franzisko verursachte und würde außerdem eine nationale Demütigung bedeuten .
Aber der Gedanke, daß eine
Nation, die in ihrer Kindheit mit einer Bevölkerung von drei oder vier Millionen nicht durch England unterworfen werden konnte , jetzt im Zustande der Mannbarkeit und mit einer Bevölkerungszahl von 90 Millionen, von Japan könnte unterworfen werden , das ist ein Märchen , das durch eine unverdaute Masse von Tatsachen , Zahlen und von gelehrten Theorien aufgebracht worden ist. " Outlook vertritt die Ansicht , daß es bald überhaupt keine Kriege mehr geben wird (Der Aufsatz stammt aus dem Jahre 1911 !) . . Die Welt geht vorwärts" , heißt es ; ,,Wir kommen in das Zeitalter, in dem die Völker ihre internationalen Beziehungen ausbauen und eine internationale Einigkeit ins Auge fassen. Zwei Kriegsursachen der Vergangenheit sind schon verschwunden . Die eine war die Gier nach Gewinn. Viele der alten Kriege waren
Raubzüge .
Moralische und gesellschaftliche Entwickelung
machen diesen Kriegen unter zivilisierten Nationen ein Ende ( ?) . Eine zweite häufige Ursache der Kriege bildeten Religionsstreitigkeiten ; diese werden ganz gewiß keinen Krieg mehr hervorrufen . Zwei andere Ursachen in unserer Zeit sind nationale Mißverständnisse und Handelsrivalitäten ; diese Zwistigkeiten können durch Schiedsgerichte beglichen werden . Handelskriege , d . h . solche , die den Zweck verfolgen Schulden einzuziehen oder durch Gewalt Handelsrivalitäten zu lösen, können nie durch ethische Grundsätze gerechtfertigt werden.
Der
1
193
Amerikanische Stimmen über den ,,Militarismus“.
kommerzielle Wettstreit gesitteter Nationen kann stets in einem Sinne ausgefochten werden , der ihre freundschaftliche , nicht ihre feindselige Annäherung hervorruft." Als dies geschrieben wurde , wußte man noch nichts von den englischen Aushungerungsplänen ! , Nur der Mann , der bloß rückwärts schaut , kann nicht an die Kein vernünftiger Zukunft des internationalen Friedens glauben. Mensch wird Schiedsgerichte für ein Universalmittel halten , das alle Kriege unmöglich macht.
Es hat stets gegeben und wird stets
geben Fragen, die keine Nation einem Schiedsgericht unterwerfen kann, schon aus dem Grunde nicht , weil die Wirksamkeit internationaler Schiedsgerichte zur Voraussetzung haben müßte, daß alle Nationen einen gleich hohen Grad von Zivilisation erreicht haben, der es gestattet,
auftauchende Fragen
unbedenklich
dem Urteil
eines
un-.
abhängigen Gerichtshofes zu unterbreiten." Aber im Prinzip vertritt Outlook die Ansicht, daß die Zeit der internationalen Schiedsgerichte und damit die Zeit des Weltfriedens für die zivilisierten Nationen kommen muß und kommen wird. Diese energisch vertretene Ansicht des angesehenen amerikanischen Blattes ist es , die uns veranlaßte, diesem Aufsatze hier unsere Aufmerksamkeit zu schenken . Er ist , wie gesagt , im Jahre 1911 geschrieben , und heute würde der Verfasser zugeben müssen , daß er sich grausam getäuscht hat !
Kein Schiedsgericht hätte den Ausbruch des Welt-
krieges von 1914 verhindern können , der
seit Jahren
von unsern
zivilisierten Nachbarn gewünscht und mit allen Mitteln vorbereitet wurde. Der Gedanke eines Weltfriedens ist ein frommer Wunsch, der, so lange die Erde steht und so lange es Menschen mit menschlichen Fehlern und Leidenschaften gibt , wohl nie in Erfüllung gehen wird, und deshalb wäre es sehr falsch, wenn man die Waffen nicht bereit halten, sondern an eine Abrüstung denken wollte . Wenn Outlook seine Betrachtungen mit den Worten schließt : ,,Die Welt hat solch einen Grad moralischer Entwickelung erreicht , daß die Völker , die den Wunsch hegen, gegen andere Recht zu üben und nichts als Recht für sich selbst beanspruchen , dieses Ziel weit besser durch den Appell an einen Gerichtshof, als durch die Gewalt der Waffen erreichen können " , so drängt sich die Frage auf : was würde der Verfasser heute sagen , wenn er in unparteiischer Weise betrachtet und urteilt ? Dann würde er sich überzeugen, daß unsere Gegner, namentlich England , nicht zu den Nationen gerechnet werden können , die sich auf den Standpunkt des Rechts und der Friedensliebe stellten . Vielleicht fühlt er sich dann aber auch veranlaßt , das Verfahren seiner Landsleute , Deutschland gegenüber, richtig zu bewerten .
194
Die Irländer als Soldaten.
XIX . Die Irländer als Soldaten .
Von Dr. Ernst Schultze.
I. Von jeher haben die Engländer es meisterhaft verstanden , ihre eigenen Zwecke durch Kraft , Blut und Geld Anderer zu erreichen . Sorgfältig ward dies den Werkzeugen englischer Staatskunst verborgen, und die Geschichtsschreibung dieses Volkes hat das ihrige getan, allen Ruhm für dieses in Anspruch zu nehmen , auch wenn er anderen gebührte .
Nur selten schwang man sich zu offener Aner-
erkennung fremder Verdienste auf
wie etwa der ältere Pitt , durch
die Größe Friedrichs II. gepackt , im Parlament zugab : Kanada sei für England durch die preußischen Truppen auf den Schlachtfeldern Europas erobert worden. Eine brauchbare englische Kriegsgeschichte gibt es bis heute nicht . Kein Sohn Albions hat , wenn er sich an die Aufgabe wagte, etwas anderes geschrieben als eine mehr oder weniger einseitig gefärbte Darstellung, die allen Ruhm auf seine Nation wälzt , während sie der gewaltigen Verdienste anderer überhaupt nicht oder nur nebenher gedenkt . Nichts ist dafür bezeichnender als die Art, wie man sich um die Anerkennung des preußischen Eingreifens in die Schlacht bei Waterloo herumzudrücken versuchte. Bei Quatrebas gelang es Wellington nicht einmal mit 37000 Mann , 20000 Franzosen zu besiegen, und bei Waterloo wäre er wahrscheinlich ganz vernichtet worden, hätte ihn nicht um 4 Uhr das Erscheinen Blüchers gerettet. Quittiert wurde das mit dem Undank, der in England gegenüber jeder ausländischen Hilfe üblich ist . Man ist sich dessen nicht einmal bewußt, glaubt vielmehr, mit ein paar schönen Redensarten oder mit vorübergehendem maßlosem Begeisterungstaumel , wie er Blücher bei seinem Empfang jenseits des Kanals zuteil ward , alle Dankesschuld zu tilgen. Über den schmachvollen
Undank
Wellingtons
gegen
Blücher äußerte sich z . B. Gneisenau kräftig in einem Briefe an Raumer. Aber bei diesem Undank blieb es : die Engländer behaupten noch heute , die Schlacht bei Waterloo hätten sie gewonnen , und sie hätten dort bewiesen , daß sie das erste Heer der Welt besäßen . In den Augen des echten Briten gibt es in der ganzen Kriegsgeschichte keine glänzenderen Taten als die von englischen Regimentern
195
Die Irländer als Soldaten. oder englischen Feldherren
ausgeführten .
Friedrich
der Große ?
Napoleon ? Nun ja , sie gelten ein wenig ; aber Wolfe, Wellington , Lord Roberts und andere Briten übertreffen sie doch wohl. Allerhöchstens für Napoleon wird eine Ausnahme gemacht — weil er nämlich durch Englands Hilfe zu Boden gerungen ward. Das änderte die Sache immer ; wie sich auch in dem Weltkrieg des Jahres 1914/15 die eigenartige Erscheinung zeigte, daß Schiffe oder Truppenteile , die mit den Engländern gefochten hatten, nachdem sie bezwungen waren , ihrer ungeheuren Tapferkeit wegen von ihnen selbst in den Himmel erhoben . wurden .
Man erhöht dadurch die eigene Leistung... Gewiß hat auch die englische Kriegsgeschichte hervorragende Taten aufzuweisen. Aber welches Volk hätte nicht in seiner Geschichte einige solcher strahlenden Blätter ? - Vor allem aber : sind die Heldentaten englischer Kriegszüge wirklich von englischen Soldaten erfochten worden ? Oder haben nicht Fremde , in britischen Regimentern fechtende oder von englischen Geschichtsschreibern ohne weiteres als Briten für die Nachwelt in Anspruch Genommene einen wesentlichen , vielleicht gar den Hauptteil der britischen Kriegsarbeit geleistet ? Bei weitem die Mehrzahl der englischen Geschichtsschreiber gibt uns auf diese wichtige Frage keine Auskunft.
Entweder stellen sie sie
überhaupt nicht, oder sie gleiten mit ein paar Worten, verlegen oder dünkelhaft , über sie hinweg . Selbst Macaulay, der sich der Ehrlichkeit befleißigt, dem aber doch der britische Nationalstolz immer wieder die Feder führt und die Tatsachen färbt, behauptet, die Eroberung Indiens sei , trotz ungeheurer Überlegenheit der Zahl seiner Einwohner , den ,,unwiderstehlichen Kindern der See" durch ihre glänzende Tapferkeit in kurzer Zeit gelungen. Ist auch die Behauptung ehrlich gemeint, so ändert das nichts an der Tatsache , daß sie unwahr ist. In Wirklichkeit ist Indien nicht
durch englische ,
sondern durch in-
dische Truppen erobert worden . Nicht einmal der Gedanke , die Einwohner nach europäischem Muster zu drillen und sie unter weißen Offizieren fechten zu lassen, ist im Geiste eines Engländers geboren : vielmehr hat Robert Clive sie von seinem Gegner , dem genialen Franzosen Dupleix, übernommen ; daß er sie besser , weil dauernd anwenden konnte, hatte er nur der größeren Stetigkeit der auswärtigen Politik seines Landes zu danken. Genau wie dieser Fall liegen tausend andere . Die Engländer sind überzeugt , weil sie das in ihren eigenen Geschichtsbüchern immer wieder lesen, daß sie die kriegstüchtigste Nation der Welt seien obwohl ihre Kriege ihnen regelmäßig eine Menge von Niederlagen gebracht und fast immer grobe organisatorische Unfähigkeit aufgedeckt haben . Aber darüber gleitet man hinweg. Die Schlacht
196
Die Irländer als Soldaten.
bei Blenheim ist in britischen Augen ebenso glorreich wie die bei Sedan. Fast allgemein herrscht die Ansicht , der Napier , ein Napoleonschwärmer und Franzosenfreund , in seiner Geschichte des Halbinselkrieges gegen Napoleon Ausdruck gab : der englische Soldat vereinigt alle Vorzüge anderer Nationen
er sei ebenso gehorsam wie der Deutsche , ebenso
feurig wie der Franzose , ebenso standhaft wie der Russe , nur stärker und ausdauernder als sie alle . Wer die englische Kriegsgeschichte kennt, fragt sich fast auf jeder Seite : Wo sind hier die Irländer ?
Ohne die Kinder der grünen
Insel ist ein englisches Heer seit anderthalb Jahrhunderten einfach nicht denkbar . Wollte man alles , was irischer Mut und irische Fähigkeit für die Kriege Englands leisteten , aus der Geschichte fortstreichen so würden die kriegerischen und politischen Erfolge Englands bedenklich zusammenschrumpfen .
Und es waren nicht etwa nur arme Kerle , die
sich in der Not von England kaufen ließen , um als Söldner ihre Haut zu Markte zu tragen ; vielmehr haben gerade auch irische Offiziere und Feldherren Hervorragendes geleistet .
Besäßen wir eine kritische
Geschichte des englischen Kriegswesens , so würde sich wahrscheinlich sogar die Tatsache ergeben, daß die Leistungen der Iren hervorragender sind als die der Engländer. Auch die Schotten haben sich glänzend geschlagen , auch sie haben in der englischen Kriegsgeschichte deutliche Spuren hinterlassen . Iren höherer Ruhm.
Zweifellos aber gebührt den
Der Engländer selbst pflegt wenig kriegerisch zu sein - was nicht etwa bedeutet, daß er keinen Mut habe .
Aber schon sein Phlegma
hindert ihn , sich in den Soldaten- oder Offiziersrock hineinzuwünschen , und wenn er darin steckt, so ist er nicht schnell, in der Regel auch nicht begabt genug, um dem Befehl zu folgen, ihm gar zuvorzukommen , die Lage blitzartig zu erkennen , ihre Gunst sofort auszunutzen, oder ihre Ungunst abzuwehren . Der Ire dagegen ist leichtblütig und beweglich , er liebt die Abwechselung und zeichnet sich durch geistige Regsamkeit sowie durch einen Frohsinn aus , der nicht einmal durch schwere Schicksale gebrochen werden kann ; wie könnte man sonst , nach jahrhundertlanger Gewaltherrschaft der Engländer , in Irland noch singen, tanzen und fröhlich sein !? Selbst wenn der Ire seiner heißgeliebten Insel den Rücken kehrt, weil ihm die Unterdrückung zu arg geworden ist , behält er sein fröhliches Temperament, und wenn er auch Albion als das größte Übel in der Welt haßt, so bleiben ihm doch leichter Sinn , Regsamkeit und die schöne Fähigkeit, sich auch über unscheinbare Dinge zu freuen. In der Tat haben die Irländer den Briten die tüchtigsten Soldaten , Offiziere und Feldherren geliefert . Ihre Zahl
war nicht selten außerordentlich groß .
Man hat berechnet , daß seit
197
Die Irländer als Soldaten .
1780 nicht weniger als 5 Millionen Iren in englischen Kriegsdiensten gestanden haben ; dabei betrug die Bevölkerung der Insel auf ihrem Höchststande , Anfang der
vierziger Jahre
des
19. Jahrhunderts ,
81,Millionen Köpfe ; während sie sich dann durch eine in aller Geschichte beispiellose , durch Not und Verzweiflung über die Fremdherrschaft hervorgerufene Massenauswanderung um viele Millionen verminderte , so daß die Bevölkerung Irlands noch heute nur wenig mehr als 4 Millionen beträgt . Allein im Jahre 1798 dienten
in
der englischen Marine etwa
80000 Irländer ; nahm sich aber der Matrose heraus, irisch zu sprechen , so wurde er erbarmungslos gepeitscht . Dank haben die Iren , die ihr Blut für England verspritzten, selten geerntet . Nicht einmal ihre Tüchtigkeit ward gebührend anerkannt - ja meistens stellt man sich in England, als seien die Zahl der Irländer ebenso wie ihre Leistungen nur unerheblich gewesen . * Schon früh in der irischen Geschichte finden sich Männer , die um Sold Kriegsdienste nahmen ; sie führten den Namen ,,amus". Später zogen sie in Banden im Lande umher, um ihre Dienste auszubieten.
Es scheint , als ob damals , wenigstens zur Dänenzeit ,
Ausländer mindestens ebenso stark am Söldnerwesen beteiligt waren wie die Einwohner. ,, Die Engländer teilten sie in , kernes ' und , gallowglasses ' , Leichtund Schwerbewaffnete , ein .
Der
kerne ' war der Leichtbewaffnete ;
der gallowglass ' , der Schwerbewaffnete , findet sich in der alten irischen Zeit nicht.
Wahrscheinlich ist die Rüstung der Schwerbewaffneten
den Iren erst durch die Dänen bekannt geworden, die während der verheerenden Einfälle die Eingeborenen zur Bewunderung ihrer , glatten , reichen , dreifachen, schweren, sicheren , glänzenden Panzer
zwangen .
Daher heißt Schwerbewaffneter ursprünglich soviel als fremder Söldner ; des ,brehon kleines Handbuch spricht ausdrücklich von diesem. Diese Schwerbewaffneten waren wohl die ersten Söldner, die Irland kannte ; vielleicht fällt der Ursprung des Söldnertums mit der Ankunft dänischer Schwärme zusammen, die von den irischen Häuptlingen in Dienst genommen wurden . ... Die Verwendung solcher fremden Söldner wurde ein beliebtes
Hilfsmittel irischer Häuptlinge¹ )." Die eigentliche Söldnerzeit begann erst , seitdem die Engländer sich dort festgesetzt hatten . Namentlich seitdem Jakob I. zahlreiche ¹) Dr. Moritz Julius Bonn : Die englische Kolonisation in Irland. Stuttgart-Berlin : Cotta 1906. Band 1. S. 55 f.
198
Die Irländer als Soldaten .
Konfiskationen angeordnet , mehr noch seitdem Cromwell in Irland mit Feuer und Schwert gewütet hatte, stieg die Auswanderung und zugleich mit ihr die Neigung der Irländer, sich als Söldner irgendwo anwerben zu lassen . Die Zahl der Iren , die nach den Cromwellschen Verwüstungen in die festländischen Heere eintraten , wurde von Petty auf nicht weniger als 40000 geschätzt - für jene Zeit eine gewaltige Ziffer. Namentlich der alte irische Adel zeichnete sich unter fremden Fahnen aus¹ ) . Zahlreich sind die Gräber irischer Offiziere und Soldaten in fremden Kirchen oder fremder Erde .
Sie genossen einen hohen
Ruf, wie schon Edmund Spenser zur Zeit Elisabeths bezeugt . Die Engländer zwar warfen den Iren vor , sie seien feige und als Soldaten unbrauchbar ; in der Tat schlugen sie sie wiederholt in die Flucht .
Nicht
minder zahlreich sind jedoch die Beispiele heldenmutigen Widerstandes der Irländer, und manche englische Truppe ward von ihnen geschlagen oder vernichtet. Der Vorwurf der Feigheit ward gegen die Iren namentlich seit der Schlacht am Boyne ( 1690) erhoben ; so weit ich sehen kann , ist dies der einzige Fall, in welchem ganze irische Regimenter flohen . Die Engländer konnten damals das menschenfreundliche Lied dichten , das noch heute gern angestimmt wird : ,,Up to jour knees in Irish blood , Up to jour knees in slaughter ! Oh, we killed tenthousand Irishmen At the battle of the Boyne water !"
Ohne Zweifel : die Irländer waren am Boyne schimpflich geflohen , Die englischen mit Ausnahme einiger tapferer Reiterregimenter . Parteigänger Jakobs II. , die sich mit ihrem geflohenen Fürsten am französischen Hofe in St. Germain aufhielten, nannten die Iren nie anders als ein Volk von Memmen und Verrätern, und die Franzosen, die mit ihnen auf derselben Seite fochten , waren so erbittert, daß sich irische Kaufleute , die seit vielen Jahren in Paris ansässig waren, nicht in den Straßen zeigten durften , wollten sie nicht vom Pöbel beleidigt werden. Der englische Dünkel suchte geradezu nach einer Erklärung dafür, wie es möglich gewesen sei , daß wenigstens die Reiter so tapfer 1 ) Thackeray zieht in seinem „ Arthur Pendennis" (World Library, Ward, Lock & Co. , S. 308) einen Vergleich zwischen den zahlreichen Iren, die im 19 Jahrhundert englische Zeitungen und Zeitschriften sich bekämpfender Richtungen herausgaben, und den Ire, die früher in allen Heeren zu finden waren : „ Many of our Journals are officered by Irish gentlemen, and their gallant brigade does the penning among us, as their ancestors used to transact the fighting in Europe ; and engage under many a flag, to be good friends when the battle is over."
Die Irländer als Soldaten.
199
gefochten hatten ; es erschien kaum möglich , daß dies Männer keltischer Abstammung waren ― offenbar mußte man in ihnen Nachkommen der alten Engländer des Sachsengebiets sehen ; oder wenn es denn wirklich Iren waren, so mußten sie kurz vor der Schlacht mit Branntwein berauscht worden sein.... gerechterweise zurück.
Macaulay weist diese Annahmen
Er meint ferner : ,, Selbst bei der Infanterie ,
so undiszipliniert und desorganisiert sie war , fand sich viel Mut , nur wenig Ausdauer . Anfälle von Begeisterung und Anfälle von Entmutigung wechselten miteinander ab .
Das nämliche Bataillon, das
jetzt in panischem Schrecken die Waffen wegwarf und um Pardon bat , focht bei einer anderen Gelegenheit mit großer Tapferkeit .
In der
Schlacht am Boyne war der Mut der ungeübten und schlecht kommandierten Kernen auf den Nullpunkt gesunken . Als sie sich in Limerick wieder gesammelt hatten, war ihr Blut in Aufruhr. Patriotismus , Fanatismus, Scham, Rachedurst und Verzweiflung hatten sie über sich selbst erhoben. Offiziere und Mannschaften verlangten einstimmig , daß die Stadt bis aufs äußerste verteidigt werde " ). Die glänzende Verteidigung von Limerick hat dann selbst den Briten die Augen geöffnet. Auch wäre die falsche Ansicht von der allgemeinen Feigheit der irischen Soldaten gar nicht entstanden, hätten nicht Dünkel und Haß sie den Engländern eingegeben . Noch waren sie außer sich über die Beleidigung, die ihnen der abgesetzte oder vielmehr geflohene Jakob II . zugefügt hatte , als er , noch im Besitz des Thrones, aus Dublin irische Truppen heranzog , um sie in England zu verwenden. Von der dünkelhaften Überhebung der Engländer gewinnen wir eine richtige Vorstellung nur , wenn wir darüber einen englischen Geschichtsschreiber hören : ,, Selbst die Ankunft einer Brigade von Ludwigs Musketieren würde keine solche Entrüstung und Beschämung hervorgerufen haben, als sie unsere Vorfahren bei dem Anblick der aus Dublin ankommenden papistischen Kolonnen empfanden , die sich mit militärischem Gepränge auf den Landstraßen fortbewegten . Kein geborener Engländer betrachtete damals die Ureinwohner Irlands als seine Landsleute . Sie gehörten nicht zu unserem Zweige der großen menschlichen Familie , die unterschieden sich von uns durch mehr als eine moralische und intellektuelle Eigentümlichkeit , welche der Unterschied der Lage und der Erziehung , so groß derselbe auch sein mochte , nicht genügend erklärte . Sie hatten ein anderes Aussehen und eine andere Muttersprache. Wenn sie englisch sprachen war ihre Aussprache fehlerhaft ; ihre Phraseo-
¹ ) Macaulay : Geschichte von England seit der Thronbesteigung Jakobs II. Deutsch. Leipzig : Friedlein , 1856. Kapitel 16, S. 38 f.
200
Die Irländer als Soldaten.
logie war holprig, wie immer bei denen , die in einer Sprache denken und ihre Gedanken in einer anderen ausdrücken. Sie waren daher Ausländer , und zwar die am meisten verhaßten und verachteten von allen Ausländern ; am meisten verhaßt deshalb, weil sie seit fünf Jahrhunderten stets unsere Feinde gewesen waren, und am meisten verachtet, weil wir sie besiegt , unterjocht und ausgeplündert hatten .... Er wußte, daß mehr als einmal große Massen von Iren vor einer kleinen englischen Streitmacht geflohen waren, und daß eine kleine englische Kolonie die ganze irische Bevölkerung niedergehalten hatte, und daraus zog er den selbstgefälligen Schluß, daß er von Natur ein höher stehendes Wesen sei als der Irländer , denn so erklärt ein herrschender Stamm immer sein Übergewicht und entschuldigt damit seine Tyrannei . Jetzt werden die Irländer allgemein als ein Volk anerkannt, das in bezug auf Lebhaftigkeit, Mutterwitz und Beredsamkeit einen hohen Rang unter den Nationen der Erde einnimmt, und daß sie bei guter Leitung vortreffliche Soldaten sind,. haben sie auf 100 Schlachtfeldern bewiesen . Gleichwohl ist es gewiß, daß sie vor anderthalb Jahrhunderten auf unserer Insel allgemein als ein dummes und zugleich feiges Volk verachtet wurden . Und ein solches Volk sollte mit bewaffneter Hand England in Schach halten , während des letzteren bürgerliche und kirchliche Verfassung vernichtet wurden! Das Blut der ganzen Nation kochte bei diesem Gedanken. Von Franzosen oder Spaniern besiegt zu werden , würde im Vergleich damit noch als ein erträgliches Los erschienen sein , denn die Franzosen und Spanier waren wir gewohnt als uns ebenbürtig zu betrachten . Wir hatten zuweilen ihr Glück beneidet, zuweilen ihre Macht gefürchtet , zuweilen uns zu ihrer Freundschaft gratuliert . Bei all unserem schroffen Stolze gaben wir zu, daß sie große Nationen waren und daß sie sich in den Künsten des Krieges und des Friedens ausgezeichneter Männer rühmen konnten . Aber von einer tief unter uns stehenden Kaste beherrscht zu werden, war eine Schmach , gegen die jede andere Schmach nichts war . Die Engländer fühlten dasselbe , was die weißen Bewohner von Charleston oder Neu- Orleans fühlen würden, wenn diese Städte Negergarnisonen erhalten sollten . Die wirklichen Tatsachen würden schon hingereicht haben, um Besorgnis und Unwillen zu erregen ; die wirklichen Tatsachen aber verschwanden in einer Masse verworrener Gerüchte, die unaufhörlich von einem Kaffeehaus zum anderen, von einer Bierschenke zur anderen flogen und auf jeder Station ihrer Wanderung immer wunderbarer und erschreckender wurden¹ ) ." 1690 , nach seiner Flucht, suchte Jakob II. eine irische 1 ) Macaulay : Geschichte Englands .
Kapitel 9.
S. 26 f.
201
Die Irländer als Soldaten .
Armee zu bilden , um mit ihrer Hilfe England wieder zu gewinnen. Etwa ein Drittel dieser Streitmacht bestand aus französischem Fußvolk und irischen Reitern , beides ausgezeichneten Truppen, während die Die irischen Dragoner waren übrigen zwei Drittel nichts taugten . schlecht , das irische Fußvolk noch schlechter.
Man behauptete, ihre
gewöhnliche Art zu kämpfen bestehe darin , daß sie ihre Gewehre einmal abfeuerten und dann mit dem Geheul ,,Pardon " und ,, Mord" davonliefen . Wie sollte es aber wohl zugehen , daß eine Nation, die imstande war, ausgezeichnete Reiterregimenter zu stellen, nicht fähig sein sollte, auch brauchbare Fußsoldaten auf die Beine zu bringen und andere ebenso tüchtige Dragoner ?
Offenbar lag der Fehler nicht sowohl bei
den einzelnen Soldaten als in der kriegerischen Ausbildung oder der Heeresorganisation .
In der Tat war das Menschenmaterial , das
die Irländer für ihre Truppen stellten, ausgezeichnet .
Der fran-
zösische Gesandte , Avaux, der den Krieg im Hauptquartier Jakobs mitmachte, rühmte in den Berichten an seine Regierung , daß die Irländer ein auffallend schöner , großer und wohlgebauter Menschenschlag seien, persönlich tapfer, der Sache , für die sie kämpften , aufrichtig zugetan und gegen die englischen Kolonisten heftig erbittert . Wenn sie trotz ihrer Kraft und ihrem Mut beständig geschlagen würden , so liege dies daran , daß weder Tapferkeit noch Mut oder patriotische Begeisterung am Tage der Schlacht die Disziplin ersetzen könnten . Die Infanterie sei schlecht bewaffnet und schlecht eingeübt .
Überall,
wohin sie komme, ließe man sie plündern , denn der Sold sei äußerst Deshalb habe sie räuberische Gewohnheiten angenommen. gering. Kaum ein einziger Offizier sei bei dieser Truppe , der fähig wäre , sie ihre Pflicht zu lehren . Selbst ihre Obersten seien , wenn auch im allgemeinen Leute aus guter Familie , doch ohne militärische Erfahrung. Die Hauptleute aber seien Metzger , Schneider oder Schuhmacher , und nicht einer unter ihnen kümmere sich um die Ausrüstung , Einübung und Versorgung seiner Leute mit dem Notwendigsten .
Nicht
viel besser als das Fußvolk seien die Dragoner . Nur die Reiterei müsse mit wenig Ausnahmen als vortrefflich bezeichnet werden.
Fast alle
irischen Edelleute , die einige militärische Erfahrung besäßen , bekleideten Offiziersstellen in der Kavallerie .
Durch ihre Bemühungen
seien einige Regimenter gebildet und einexerziert worden, die Avaux allen , die er je gesehen, gleichstellte. Nicht also den Fehlern des irischen Charakters dürfe die Untüchtigkeit der Fußsoldaten und der Dragoner zugeschrieben werden, sondern den Mängeln der irischen Verwaltung . Wenige Monate später konnte Avaux nach Frankreich berichten , daß die Irländer unter niederdrückenden Verhältnissen mit erstaun-
202
Literatur.
licher Tatkraft ihre Truppen verbessert hätten .
Die Offiziere, über
deren Unbrauchbarkeit und Untätigkeit er so oft geklagt habe , hätten ihre Lethargie plötzlich abgeschüttelt ; die
Rekruten strömten zu
Tausenden herbei, bald waren die durch die Belagerung von Londonderry bedenklich gelichteten Reihen wieder übervoll, und nach einem überraschend kurzen Zeitraum war die irische Armee zu einer gewichtigen Macht geworden¹ ) . (Schluß folgt . )
Literatur.
I. Bücher. Die Mechanik und ihre Anwendungen. Von Dr. Otto Dziobek , Geheimer Regierungsrat, etatsmäßiger Professor an der Militärtechnischen Akademie und Dozent für höhere Mathematik an der Technischen Hochschule zu Charlottenburg. Bath . Preis 3, - M.
Berlin 1916.
Georg
Jeder Lehrer, der in Waffenkunde oder Schießlehre zu unterrichten hat, weiß , wie schwer für die meisten Schüler das Verständnis des Unterrichtsstoffes ist, weil ihnen die dafür unentbehrlichen Grundbegriffe der Mechanik -- Geschwindigkeit, Beschleunigung, Kraft, Arbeit usw. - unklar sind. Ja, die Lehrer selbst müssen, wenn sie ehrlich sind, zugeben, daß sie sich selbst erst während ihrer Lehrtätigkeit zu einer vollen Klarheit durcharbeiten müssen . Ich gestehe das für meine Person ohne weiteres zu , obwohl ich auf der Kriegsakademie drei Jahr lang höhere Mathematik und Mechanik gehört habe . Man vergißt eben im Laufe der Jahre so manches wieder. Diese Tatsache hat mich bewogen, den Herrn Verfasser zu bitten, sich über diese Grundbegriffe in einer auch mathematisch nur wenig vorgebildeten Lesern der von mir herausgegebenen Artilleristischen Monatshefte verständlichen Weise auszusprechen . Die dort erschienenen Aufsätze sind in dem vorliegenden Buche zusammengestellt. Der Herr Verfasser hat es verstanden, den spröden Stoff in höchst anziehender Weise darzustellen , wozu zahlreich eingestreute Beispiele aus dem täglichen Leben und der Schießlehre beitragen . Besonders reizvoll sind kleine Abschweifungen in das Gebiet der Philosophie, begleitet von Zitaten aus der größten deutschen Dichtung „ Faust" . Das Studium dieses Buches ist allen Offizieren warm zu empfehlen , vor allem aber solchen, die zu einer Lehrtätigkeit über Waffen oder Schießen berufen sind ; sie werden dem Verfasser für die ihnen in so eleganter Form gebotene Belehrung sehr dankbar sein . H. Rohne. 1) Macaulay a. a. O.
Kapitel 14.
S. 30 ff.
Literatur.
203
Kriegs- Geographie. Von Bruno Clemens , Band 4 der Sammlung „ In den Gluten des Weltbrandes." Verlag von Kurt Kabitzsch . Würzburg . Broschiert 2 M. , gebunden 2,40 M. Die ungeheure Weite des Kriegshorizontes hat bei uns dazu geführt, den Krieg als geographisches Problem aufzufassen . So entstand die von dem bekannten Geographen Clemens zuerst als „ KriegsGeographie" bezeichnete Wissenschaft, die zeigt, welchen Anteil der Boden, das Klima und die Volksart an der politischen Haltung der Völker hat. Er hat nun in dem vorliegenden Buche die ganze in Frage kommende Erde als Kriegs- Geographie betrachtet und damit einen Beitrag geliefert, der zum Verständnis des ganzen Verlaufes des Weltkrieges ungemein wichtig ist. Das mit 16 Karten ausgestattete Buch behält seinen Wert über P. H. die Dauer des Krieges hinaus. Belle-Alliance (Verbündetes Heer). Berichte und Angaben über die Beteiligung deutscher Truppen der Armee Wellingtons an dem Gefecht bei Quatrebas und der Schlacht bei Belle-Alliance. Von Dr. J. v. Pflugk - Harttung. Geh . Archivrat und Universitätsprofessor a. D. Berlin 1915. R. Eisenschmidt. Die Entscheidung, die im Jahre 1815 bei Belle-Alliance erfochten wurde, gilt gewöhnlich als ein englischer Sieg, obwohl er in Wirklichkeit in der Hauptsache als ein deutscher bezeichnet werden muß, Es standen nämlich an 160 000 deutsche Truppen im Felde neben 32000 Engländern und 24000 Niederländern. Die Deutschen bildeten also zwei Drittel der Streitkräfte. Selbst im Wellingtonschen Heere überwogen die Deutschen mit 36000 Mann . Die Leistungen der deutschen Truppen sind bisher aber nicht gebührend gewürdigt und berücksichtigt worden. Die ganze Geschichtsschreibung ist parteiisch und vom englischen Standpunkte beeinflußt. Sie wird den Deutschen nicht gerecht. Dafür treten die Engländer und selbst die Niederländer in den Vordergrund , obwohl deren Leistungen mitunter recht viel zu wünschen übrig ließen . Über die Tätigkeit der deutschen Truppen fehlt es an genügendem leicht zugänglichem Material. Wir müssen es daher dem Herrn Verfasser zu Dank wissen, daß er durch seine neueste Veröffentlichung diese Lücke ausgefüllt hat. Die Berichte der deutschen Truppen werden hier in getreuem Wortlaute wiedergegeben , zunächst derjenigen, die sich im Wellingtonschen Heere befanden : die der Deutschen Legion , der Hannoveraner, Braunschweiger und Nassauer . Es war eine mühevolle Arbeit, diese verschiedenen Berichte in den einzelnen Archiven aufzuspüren und zu sammeln . Niemand war dazu aber geeigneter als der Herr Verfasser, dem wir schon mehrere wertvolle und gehaltvolle Arbeiten über diesen Feldzug verdanken und der die Archive und die älteren Veröffentlichungen dabei auf das Genaueste durchsucht hat. Es wird hier ein außerordentlich wertvolles Material dargeboten, an dem kein Forscher und Schriftsteller, der sich über jenen Feldzug unterrichten will, vorbeigehen kann. Wir können derartige Quellensammlungen mit großer Freude begrüßen und wünschen ,
201
Literatur.
daß sie auch von den ausländischen Geschichtsschreibern recht häufig und ausgiebig benutzt werden, damit den deutschen Truppen endlich v. S. eine gerechte Würdigung zu teil wird.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Maſsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher“ nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht staft.) 1. Bleeck-Schlombach, Allah il Allah. Mit den Siegesfahnen an den Dardanellen und auf Gallipoli. Leipzig 1916. Verlag von Otto Gustav Zehrfeld . Geh. 1 , — in Leinen 2, — M. 2. Dziobek, Die Mechanik und ihre Anwendungen . Georg Bath . 3, - M.
Berlin 1916.
3. Haedecke, Die Schlacht bei Dennewitz ein Sieg Bernadottes . Berlin SW 1916. Verlag Schall & Reutel. 1.- M. 4. Immanuel, Serbiens und Montenegros Untergang. E. S. Mittler & Sohn . 2 , - M.
Berlin 1916.
5. Tanner, Frontberichte eines Neutralen . Berlin. Aug. Scherl, G. m. b. H. 3, - M.
Galizien und Bukowina .
6. Hellwig, Weltkrieg und Aberglaube . von Wilhelm Heims. Geh. 2,40, geb. 3,20 M.
Leipzig
1916.
Verlag
7. Sanitätsbericht über die Kgl. Bayrische Armee für die Zeit von Oktober 1911 bis 30. September 1912. Bearbeitet von der MedizinalMünchen 1916 . abteilung des Kgl. Bayrischen Kriegsministeriums . 8. Doerner u. 'Isendahl. Flugmotoren . 2. Auflage. Rich. Schmidt & Co. In Leinen geb. 2,80 M.
Berlin 1916.
9. Die Schlachten an der Marne, 6. bis 12. September 1914. Berlin 1916. E. S. Mittler & Sohn . 1 , — M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z . D. H. Rohne) enthält u . a. folgende Arbeiten : Rothe, Rudolf : Über die Treffwahrscheinlichkeit eines Zieles . II. Riensberg, Oberst z. D.: Das Verhältnis des mittleren zum höchsten Gasdruck in den verschiedenen Feuerwaffen unter besonderer Berücksichtigung des Pulvereinflusses. Andor von Huberth, Diplomingeneur : Windmessungen . Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam
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in 1916
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in 1916
kowina Verlag
die Zeit edizinal
n 1916. ·
n 1916.; 1914.
den .D.
II.
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Zu : Das französische Festungsnetz längst der deutschen Grenze. Von Riensberg , Oberst z . D.
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Terras Übersichts- Karte
des Festungsnetzes
längs der französischen Ostgrenze.
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XX . Die Irländer
als
Soldaten .
Von Dr. Ernst Schultze.
(Schluß.) Die lehrreiche Kriegsgeschichte jener Jahre soll hier nicht erzählt werden . Nur darauf kam es an , zu zeigen, daß der infolge der Schlacht am Boyne von den Engländern gegen die Iren erhobene Vorwurf der Feigheit in seiner Allgemeinheit ganz und gar nicht zutrifft, daß vielmehr statt Mangels an Mut andere Ursachen die Erscheinung erklären und daß die irischen Truppen mit dem Augenblick, wo sie gut eingeübt und einigermaßen vernünftig geleitet wurden , Treffliches leisteten . Sie haben das in den nächsten beiden Jahrhunderten, vielfach in englischem Solde , glänzend bewiesen. Die englische Wirtschaftspolitik in Irland sorgte bewußt oder unbewußt dafür , daß regelmäßig bedeutende Menschenmassen aus der grünen Insel zur Verfügung standen, brauchte man sie zur Einreihung in das englische Heer . Wer dem katholischen Glauben huldigte -- mehr als neun Zehntel der Bevölkerung !
war durch eine schmachvolle Gesetzgebung wichtiger
bürgerlicher Rechte beraubt. Gleichzeitig betrachteten die Engländer es als Verbrechen, wollte ein Irländer Katholik oder Protestant ihnen Wettbewerb machen . Wo ein Gewerbezweig in Irland blühte , ward er absichtlich beschnitten. Nichts sollte dort hergestellt werden , was man gern auch in England erzeugt hätte . Nur zwei Beispiele . Die irische Leinenindustrie erwürgte man absichtlich und rücksichtslos . Nahmen ferner irische Fischer sich heraus, Heringe nach England zu bringen, so liefen sofort beim englischen Parlament Petitionen ein, es möchte diese Beeinträchtigung des heimischen Marktes unterbinden. So verließen denn nicht nur Tausende von Katholiken die Insel , um auf das europäische Festland oder nach Amerika auszuwandern , auch große Scharen der begünstigten Protestanten entschlossen sich dazu. Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 536.
15
206
Die Irländer als Soldaten .
Das Volk aber kam um so mehr in die Gefahr des Verhungerns , als neben der Erdrosselung des irischen Gewerbes die Verwandlung des urbaren Bodens in Weideland einherging.
Um das Jahr 1725 meinte
Erzbischof Boulter , hierin läge die Ursache, daß sich ein ungeheurer Strom von Rekruten aus Irland in die Heere des Festlandes ergo B. *
* *
Auf dem Festlande wußte gar mancher Heerführer die bedeutenden militärischen Fähigkeiten der Iren anzuerkennen und zu
nutzen .
Während die Engländer in ihrem Dünkel lange Zeit versäumten, die soldatischen Neigungen und Tugenden der Irländer für sich nutzbar zu machen , während sie namentlich davor zurückschreckten , irische katholische Namen mit englischen Waffentriumphen in Berührung kommen zu lassen , strömten Zehntausende kräftiger, mutiger und fähiger Iren in die Heere des Kontinents .
In England beschäftigte
man sich lieber damit , große Untersuchungen darüber anzustellen , ob auch kein zweifelhafter Protestant in den Reihen des Heeres zu finden sei . Geriet jemand auch nur in den Verdacht des Katholizismus , so wurde er eingesperrt und mußte das Regiment verlassen , selbst wenn ein sicherer Beweis nicht gegen ihn vorlag .
Wurde gar heraus-
gebracht , daß ein englischer Soldat in einem irischen Regiment Paptist sei, so konnte es sich ereignen , daß er vor ein Kriegsgericht gestellt und verurteilt wurde, dreimal durchs Regiment gepeitscht und dann unter Trommelschlag aus der Garnison gejagt zu werden¹ ) . Im Jahre 1713 klagte die Grand Jury von Dublin bitter darüber , daß in vielen Teilen des Landes täglich Anwerbungen vorgenommen würden,
und
viele
Provinzbeamte
erhoben
die
gleiche
Klage.
1721 teilte der Herzog von Crafton den Lords Justices mit, die Admiralität habe Nachricht erhalten, daß nicht weniger als 2000 Mann in den Bergen von Dungarvan lägen , um auf Schiffe zu warten, die sie nach Spanien führen sollten.
Oder die englischen Behörden wurden .
bedenklich, weil die Papisten , die sich für irgendeinen fremden Dienst hatten anwerben lassen, sich in so großer Zahl öffentlich zeigten,,, daß zu befürchten stehe , die Zivilmacht werde allein nicht imstande sein , sie zu zerstreuen" lich an
die
weshalb um Truppen gebeten wurde , die nament-
Küsten zu senden seien, von wo sich binnen kurzem
20000 Mann eingeschifft hätten oder bereit ständen, sich einzuschiffen 2) . Und doch war es bei der Zerrissenheit und dem Buchtenreichtum der irischen Küste unmöglich, sie scharf zu überwachen, so daß die 1 ) Siehe Beispiele dafür bei Lecky : Geschichte Englands im 18 Jahrhundert. Deutsch. Leipzig - Heidelberg : C. F. Winter, 1880. Band 2. S. 428 . 2 ) Lecky a. a. O. Band 2. S. 429.
207
Die Irländer als Soldaten.
,,wilden Gänse", wie man die Auswanderer nannte, in der Regel unangefochten entkommen konnten . Namentlich war der Verkehr mit Frankreich rege , der auch durch den umfangreichen Schmuggelhandel begünstigt wurde , wie er bei den scharfen Maßnahmen der engAlle Anstrengungen , lischen Handelspolitik selbstverständlich war. die Anwerbung von Iren für das Ausland zu verhindern, blieben vergeblich.
,, Sehr oft sah man dem Sarge einer alten Frau eine lange
Schar scheinbar ehrsamer und anständiger Leidtragender bis auf einen der vielen einsam im Gebirge zerstreut liegenden Kirchhöfe folgen , wo dann der Werber, ohne bewacht und beargwöhnt zu werden , seine Leute aussuchen und für den französischen Dienst annehmen konnte . Einige gerichtliche Verfolgungen kamen vor , und im Jahre 1726 wurde ein Mann, namens Nowland , zum Tode verurteilt und mit allen schauderhaften, in Hochverratsfällen üblichen, metzgerhaften Grausamkeiten hingerichtet , weil er Leute für den Prätendenten angeworben hatte . Zwei andere , Mooney und Maguirk, wurden in Dublin wegen Anwerbung fürs Ausland im Jahre 1732 hingerichtet ). "
Dann aber entschloß
sich die Regierung, das Übel , das sie doch nicht hindern konnte , zu dulden .
Ja sie war eine zeitlang froh , auf diese Weise die tat-
kräftigsten Katholiken los zu werden
wenn sie sich nur
nicht von einem Lande anwerben ließen, mit dem England gerade im Kriege begriffen war. Erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts scheinen die Engländer endlich bedauert zu haben , daß sie bisher nicht verstanden hatten , für militärische Zwecke die irische Volkskraft nutzbar zu machen , während Frankreich und
Spanien ,
Neapel und Österreich in ihren
Armeen tausende junger und tapferer Iren fechten ließen.
Vom Ende
des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ereignete sich kaum ein militärischer Zusammenstoß im mittleren oder westlichen Europa , an dem nicht Iren beteiligt gewesen wären . Als Prinz Eugen unvermutet Cremona angriff, retteten sie die Stadt . Bei Melazzo auf Sizilien errangen sie für Spanien den Sieg über die Deutschen . Als sich im Kriege Wilhelms III . gegen Jakob II. 14000 Irländer bei Limerick ergeben mußten, war ihnen zugesichert worden, sie dürften in französische Dienste treten . Fast alle machten sie davon Gebrauch . In den nächsten Jahrzehnten standen in der französischen Armee Zehntausende von Iren.
In der Schlacht bei Fontenoy fochten sie erbittert gegen die Engländer ; sie gehörten zu der Sturmkolonne , deren Angriff die englischen Reihen durchbrach . Gleichzeitig besoldete Spanien lange Zeit hindurch fünf irische Regimenter .
1 ) Lecky a. a. O.
Band 2.
S. 429 f.
15*
In
208
Die Irländer als Soldaten.
Neapel gab es noch 1760 ein solches . Im österreichischen Heere waren irische Soldaten und Offiziere sehr häufig. Gar Auch im preußischen Heere waren Irländer zu finden . mancher unter den ,,langen Kerlen " Friedrich Wilhelms I. war ein Kind der grünen Insel . Für mehr als einen hat uns die Geschichte den Namen aufbewahrt ; so für Mac Doll, einen besonderen Liebling des Königs , der einmal in eine tragikomische Geschichte verwickelt ward, als ihm Friedrich Wilhelm eine besondere Wohltat erweisen wollte. Der König begegnete beim Spazierritt vor den Toren Potsdams einem prächtig und hoch gewachsenen Bauernmädchen ; sofort war sein Entschluß gefaßt, Mac Doll damit glücklich zu machen. So rief er die Schöne zu sich heran und trug ihr auf, einen Brief, den er sofort niederschrieb, an den Obristen v. Einsiedel in Potsdam abzugeben . Aber ww das hohe Trinkgeld ein ganzer Gulden das er dem Mädchen gab, machte es stutzig, weil es zu gut wußte , daß der König mehr als sparsam war. Lesen konnte sie zwar nicht , aber sie witterte Gefahr . Um ihr zu entgehen, übergab sie den Brief zugleich mit dem Gulden einer alten buckligen Hökerin unter der Bedingung, daß sie das Schreiben sofort dem Obristen v. Einsiedel einhändigte. Glückstrahlend machte sich die Alte auf den Weg - um von dem Obersten alsbald festgehalten zu werden, da das Schreiben den Befehl enthielt , die Überbringerin des Briefes sofort mit dem Flügelmann Mac Doll zu verheiraten . Da man daran gewöhnt war, daß der König die seltsamsten Einfälle hatte , erhielt der Garnisonprediger den Befehl, die Trauung augenblicklich zu vollziehen , und obwohl der unglückliche Ire heftig protestierte , verlangte der Oberst achselzuckend , der Befehl des Königs müsse sofort ausgeführt werden . Als letzterer am folgenden Tage Mac Doll zu sich heranrief und ihn schmunzelnd fragte, wie er mit der für ihn getroffenen Wahl zufrieden sei , machte der Irländer ein saures Gesicht und erklärte offen, er sei gar nicht zufrieden. Der König konnte das nicht begreifen, blieb aber gnädig und befahl dem Flügelmann , mit seinem schönen jungen Weib nach der Tafel auf das Schloß zu kommen, um sich sein Hochzeitsgeschenk zu holen. Als jedoch das junge Ehepaar dort antrat , geriet Friedrich Wilhelm außer sich : solche verfluchte Vogelscheuche sei dem armen Kerl angetraut worden ?
Wütend drang er auf die Alte ein . So erfuhr er, wie sie zu dem Brief gekommen war. Kurz entschlossen ließ er den Garnisonprediger holen , und ohne auch
nur einen Bericht an das Konsistorium zu machen oder andere gesetzliche Formen zu erfüllen , erklärte er die kaum geschlossene Ehe aus königlicher Machtvollkommenheit für aufgelöst¹) . 1 ) Adolph Streckfuß : 500 Jahre Berliner Geschichte . Berlin 1880. S. 310 f.
3. Auflage .
209
Die Irländer als Soldaten.
In größeren Mengen haben irische Soldaten, regimenterweise oder in noch größeren Verbänden , in zahlreichen Schlachten des 18. Jahrhunderts mitgekämpft. Spanien, wo die irischen Katholiken Jahrhunderte lang vor den religiösen Bedrückungen der Engländer Zuflucht suchten , hatte lange Zeit fünf irische Regimenter in seinem Dienst . Die religiöse Überzeugung durchbrach damals noch oft die nationale Zugehörigkeit .
Lecky macht als Beispiel für diesen entnationali-
sierenden Einfluß religiöser Verfolgung auf die Schlacht bei Almanza aufmerksam : ein englischer General kommandierte damals die französischen Truppen , während die Engländer unter einem franDen besten Truppenteil der englischen zösischen General fochten . Armee bildete ein Regiment hugenottischer Flüchtlinge unter Cavalier , dem heldenmütigen Führer der Camisarden , während an ihrer Besiegung die irischen Truppen Berwicks und O'Mahonys ihren vollen Anteil hatten¹ ) . Besonders häufig haben Irländer auf Seite Frankreichs gekämpft. Machte doch die geographische Nähe es besonders leicht, dorthin zu kommen .
Fast jeder Ire, der auswandern wollte , namentlich wenn
ihm daran lag , England zu vermeiden , mußte französischen Boden betreten. Von hier erwartete man sehnsüchtig die Befreiung vom englischen Joch ; alle Aufstandsversuche der Insel sind bis in die letzten Jahre des 18. Jahrhunderts von Frankreich unterstützt worden, oder die Unterstützung war doch zugesagt . So fochten denn irische Truppen auf französischer Seite
bei Blenheim, Ramillies,
Oudenarde
und
Malplaquet, ferner in den Feldzügen Vendômes bei Luzzara , Cassano , Calcinato, Friedlingen und Speier, unter dem Befehl von Catinat bei Piemont , in den Feldzügen Berwicks in Flandern und Spanien . In Irland selbst unterhielten die Engländer ein Heer von etwa 12000 Mann selbstverständlich auf Kosten der Insel, nicht auf eigene .
Diese Truppe ward zur Aufrechterhaltung der Ordnung
namentlich auch in den entlegeneren Teilen geschätzt . Sobald England jedoch anderswo Soldaten brauchte , wurden sie zurückgezogen, um sie an beliebiger Stelle einzusetzen. Bis um die Mitte des 18. Jahrhunderts erlaubte man den Katholiken nicht, in das britische Heer einzutreten .
Erst allmählich wurde man
zweifelhaft, ob man nicht durch dieses Verbot eine große Zahl mutiger Männer und ausgezeichneter Soldaten den britischen Fahnen fernhielt und sie ausländischen Heeren in die Arme trieb.
Nur irische Pro-
testanten wurden zugelassen ; manch einer von ihnen nahm eine
1 ) Lecky a. a. O.
Band 2.
S. 283 f.
210
Die Irländer als Soldaten.
angesehene Stellung im britischen Heere ein .
Das Kavallerieregiment
des Lord Ligonier bestand fast ausschließlich aus solchen , und zumal die glänzende Rolle , die es in der Schlacht bei Dettingen spielte , fand in England lebhafte Anerkennung ; die Verteidiger der Charter Schools , einer Art Zwangsbekehrungsschulen, die von der irischen Bevölkerung gehaßt wurden , suchten aus den Verdiensten dieses Regiments Gründe für das Bekehrungssystem zu ziehen . Erzbischof Boulter, der 1726 dem Herzog von Newcastle empfahl , Irland zum Werbeplatz zu machen, wünschte jedoch dringend, daß als Rekrut nur angenommen werden dürfe , wer nachweisen könne , daß er Protestant und Sohn eines Protestanten sei. Da man anderseits Leuten , die Irländer für fremde Heere anzuwerben suchten , den Prozeß zu machen pflegte , so blieb die irische Bevölkerung in einer elenden Zwickmühle : im Lande bleiben konnte ein erheblicher Teil des männlichen Zuwachses nicht, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse sich durch den englischen Druck dauernd verschlechterten ; für das englische Heer durften sie sich nicht anwerben lassen, weil nur Protestanten genommen wurden ; und für eine fremde Armee sollten sie sich auch nicht anwerben lassen . Nur ab und zu duldete man dies ; beispielsweise war 1741 der Sieur de la Mar, ein Offizier in Fitz- James' Kavallerieregiment , wegen Anwerbung von Leuten in Irland für ausländische Dienste angeklagt ; da der französische Gesandte energisch für ihn eintrat , wurde die Anklage auf Befehl der Regierung niedergeschlagen ,,,in Anbetracht der Menschenfreundlichkeit, die ein französisches Geschwader der Mannschaft der Schaluppe , Wolf' erwiesen , die aus 3 Offizieren und 62 Matrosen bestand die an eine unbewohnte Insel, die kein süßes Wasser hatte , geworfen und von den Franzosen gerettet wurde " ) .
* Es ist
ungemein kennzeichnend,
* daß
die
Ausschließung
irischer Katholiken von den Ämtern oder Stellungen, die den Protestanten offen standen, zuerst für Heer und Flotte aufgehoben wurde .
Die Abneigung des Engländers , seine eigene Haut
für die Zwecke seines Staates zu Markte zu tragen , war damals nicht weniger ausgesprochen denn heute . Es mangelte daher oft an Soldaten, während die Nachfrage nach ihnen um so größer und dringender wurde , je mehr sich England in kriegerische Unternehmungen großen Stils einließ . Das britische Weltreich ist zum großen Teil durch die fast ununterbrochenen Eroberungskriege im 18. Jahrhundert aufgebaut worden , wenn es auch heute sich aus wesent¹ ) Lecky, Band 2, S. 431 .
211
Die Irländer als Soldaten.
lich anderen Stücken zusammensetzt als damals ; der Verlust des wertvollsten Teiles der damaligen Besitzungen , der 13 nordamerikanischen Kolonien,
durch den Unabhängigkeitskrieg der
Jahre
1776-1783
wurde später durch andere Eroberungen oder Besetzungen gutgemacht . Jedenfalls brauchte man Massen von Soldaten. Da England selbst sie nicht in ausreichender Zahl stellte, so mußte man Umschau halten , woher man Kanonenfutter beziehen könne .
In Indien half man sich
durch Anwerbung oder zwangsweise Einstellung von Eingeborenen . In Europa bildete man das System der Subsidienzahlungen an verbündete Staaten aus , die dafür ihre Menschenkraft opfern mußten. Öder man kaufte sich von deutschen pflichtvergessenen absoluten Fürsten Soldaten , um mit ihnen englische Kriege auszufechten . Aber das alles reichte nicht aus : man brauchte mehr Menschen .
Deshalb ent-
schloß man sich, die Furcht vor dem Papismus fallen zu lassen , um die soldatischen Fähigkeiten der Irländer für englische Zwecke auszunutzen . Zudem empfand England es unbehaglich , daß die Heere Frankreichs und Spaniens , Österreichs und Neapels viele tausende junge Irländer umfaßten, die tapfer und tüchtig ihren Mann standen, so daß gar manche Siegestat auf den Schlachtfeldern des Festlandes mit irischen Namen verknüpft warwährend England , der Herr dieser Insel , ihre Menschenkraft für seine Armee noch kaum verwendet hatte. In den Kriegen des älteren Pitt zeigte sich der Rekrutenmangel zum erstenmal so scharf, daß man zunächst ein Auge gegen die alten Bestimmungen und Gewohnheiten zudrückte : auf Anregung des Herzogs von Bedford wurden 1758 oder 1759 etwa 1200 Matrosen in den katholischen Gegenden Irlands angeworben ; gleichzeitig ward indessen das Verbot wiederholt, Katholiken zur Armee zuzulassen. 1762 rühmte man das tapfere Verhalten der irischen katholischen Matrosen bei Belleisle und bei der Eroberung von Martinique. Neun Jahre später wird plötzlich erwähnt , daß ein großer Teil der in Irland stehenden Infanterieregimenter sich aus Katholiken zusammensetze
guten Soldaten , die sich im letzten Kriege stets brav gehalten
hätten, namentlich bei Quebec , wo eines dieser Regimenter, das des Lord Townshend, fast ganz aus Katholiken zusammengesetzt gewesen sei.
So groß sei ihre Tüchtigkeit , daß General Wolfe an ihrer Spitze
angegriffen habe . Nun häuften sich die Pläne , irische Soldaten für englische Zwecke anzuwerben. Einmal bestand der Plan, 7 irische katholische Regimenter für Portugal in Dienst zu stellen ; der Obersekretär Hamilton hatte das angeregt und bei Hely Hutchinson Befürwortung gefunden. Selbst im Oberhaus traten warme Verteidiger des Planes auf. Aber ein Teil des protestantischen Kleinadels (Gentry) erhob unter Führung
212
Die Irländer als Soldaten.
des Earl von Carrick heftigen Widerspruch gegen die Entsendung solcher Truppen¹) . Wenige Jahre darauf finden wir die Iren in Amerika , als 1776 der Aufstand gegen England losbrach , wie ein Mann auf Seiten der Revolution stehend . Abermals offenbarte sich ihre soldatische Tüchtigkeit : unter Washington ernteten irische Offiziere und Soldaten Lorbeeren. Der aus Donegal stammende Montgomery, der sich unter General Wolfe bei der Einnahme von Quebec besonders ausgezeichnet hatte , war einer der ersten, die im Unabhängigkeitskrieg unter Washington ein amerikanisches Kommando erhielten . Das berühmte pennsylvanische Linienregiment bestand hauptsächlich aus seinen Landsleuten . Um das Jahr 1778 standen etwa 15000 Iren in fremden Heeren, eine vielleicht noch größere Anzahl nahm andere Stellungen auf dem europäischen Festland ein . Bei jeder Gelegenheit wanderten neue Scharen aus ; diejenigen , die zurückblieben, waren in einem beträchtlichen Teil Irlands in solches Elend hinabgesunken , daß sie ,,kaum noch das Aussehen menschlicher Geschöpfe" hatten .
Im Jahre 1779 erhob
ein Schriftsteller die Anklage : in England gebe es außer in den Städten kaum etwas wie Armut im Vergleich zu dem, was man überall in Irland fand²). In den Kriegen, die England während des 19. Jahrhunderts führte , haben Irländer Hervorragendes geleistet . Sowohl in dem Halbinselkriege wie in der Krim, in Indien und an anderen Stellen des britischen Weltreiches boten sie mit derselben Kühnheit , die sie von je her auszeichnete , allen Gefahren die Stirn . Der irische Soldat, mehr vielleicht noch der irische Sergeant war geradezu ein Typus in der englischen Armee ; Kipling läßt den Helden seines Kolonialromans ,,Kim" von einem irischen Soldaten in Indien abstammen. Nicht weniger Ruhm erwarben sich die Söhne der grünen Insel in der britischen Flotte . Der irische Midshipman hat sich durch seine Tapferkeit ebenso guten Ruf erworben , wie durch seine gute Laune und seinen übersprudelnden , Humor .
stets
nach irgendeinem
Streich Ausschau haltenden
Selbst die dünkelhaftesten Engländer haben in Büchern , die
die ,,unvergleichlichen " Ruhmestaten der britischen Armee für Jugend und Volk in den Himmel hoben - ich nenne etwa Fitchett , dessen Bücher in gewaltigen Auflagen Absatz fanden Treue der Iren unter dem Union Jack gerühmt. * *
die Tapferkeit und
Trotzdem darf man sich nicht über die Tatsache hinwegtäuschen lassen , daß die Stimmung der irischen Nation nach wie vor 1) Lecky, Band 4, S. 485 f. 2 ) Näheres bei Lecky , a. a. O. , Band 4, S. 472.
Die Irländer als Soldaten.
213
englandfeindlich blieb . Gewiß nahmen viele Irländer Dienst im britischen Heere , und manche von ihnen wurden treue Briten . Die Engländer aber mochten auch sie in der Regel nicht . In ruhigen Zeiten trat dies selten hervor ; nach Abschluß der napoleonischen Kriege folgten aber beinahe drei Menschenalter einer ruhigen , ungebrochenen Entwickelung .
Während dieser ganzen Zeit fanden nur
Kolonialkriege statt , die die inneren Gegensätze in Großbritannien nicht aufregten ; auch der Krimkrieg , der einzige europäische Kampf, an dem England während dieser Zeit beteiligt war, tat dies nicht . Plötzlich indessen nahmen die Dinge wieder ein anderes Gesicht an , als England unter der Führung des Kolonialministers Chamberlain in Gewalttätigkeit und Skrupellosigkeit ein echter Engländer die südafrikanischen Burenrepubliken zu erdrosseln suchte. Daß Irland innerlich für England ganz und gar nicht gewonnen war, zeigte sich nun von neuem . auf der grünen Insel .
Geradezu erbittert war die Stimmung
Es konnte sich ereignen, daß nach großen eng-
lischen Niederlagen in den irischen Hauptstädten geflaggt wurde und daß deren Bevölkerung jubelnd durch die Straßen zog. John Redmond, damals noch ganz in der Opposition , während er in den letzten Jahren nach dem (noch zu schaffenden ) Sessel des irischen Ministerpräsidenten schielte und daher englandfreundlich wurde , veröffentlichte zu Beginn des Burenkrieges einen treffenden Vergleich des Freiheitskampfes der Buren mit dem Freiheitskampf der Engländer gegen die spanische Armada. Allein die Stimmung war noch nicht so aufgeregt wie heute, so daß England sich vor einer Knebelung der irischen Presse, wie sie seit Dezember 1914 üblich ist , wohlweislich hütete . Der Ausbruch des Englandhasses, der während des ganzen Burenkrieges anhielt , wiederholte sich in dem Weltkriege der Jahre 1914-16 .
Obwohl England noch nie mit solcher Inbrunst die Werbe-
trommel gerührt hat, meldeten sich in Irland außerordentlich wenig Männer .
Die verhältnismäßig nicht allzu ungünstigen Zahlen, die
ursprünglich dafür angegeben wurden, haben sich als falsch herausgestellt.
Die halbamtlichen englischen Veröffentlichungen gaben Mitte
Januar 1915 an , es hätten sich 115000 Irländer zur englischen Armee gemeldet ; wie spätere Berechnungen zeigten, waren es nicht mehr als 30000 ! Vor einer Versammlung in Dublin stellte im Juni 1915 Redmond die Behauptung auf, es hätten sich bis zum 6. Juni 120741 Iren zu den englischen Fahnen gemeldet , und zwar 71494 Katholiken und 49247 Protestanten .
Einige Monate früher hatte derselbe Redmond
kühnlich behauptet , in das englische Heer seien 250000 Iren eingetreten , um ,,für die Freiheit " zu kämpfen War die letztere Ziffer falsch, so gewinnt aber auch die erstere
214
Die Irländer als Soldaten.
-120741 irische Freiwillige bis zum 6. Juni 1915 - ein klägliches Gesicht, sobald man sie näher untersucht . Zunächst einmal ist es schon auffallend genug , daß in Irland mit seiner überwiegend katholischen Bevölkerung die Zahl der katholischen Freiwilligen die der protestantischen noch nicht einmal um 50 % übersteigt . Außerdem vermied Redmond geflissentlich, die wichtige Tatsache zu erwähnen , daß unter den Männern , die sich anwerben ließen , ein sehr großer Teil dies nur unter der ausdrücklichen Bedingung tat, nur für den Dienst in Irland selbst verwendet zu werden . Bis zum 20. April 1915 wurden nicht weniger als 35432 solcher Rekruten allein in der Provinz Ulster gezählt , in den übrigen Provinzen der Insel zusammen fast 15000.
Bis zum
20. April hatten also mehr als 50000 Mann sich nur unter der ausdrücklichen Bedingung anwerben lassen , daß sie nicht auf das Festland oder an die Dardanellen oder nach Ägypten geschickt , kurzum überhaupt nicht außerhalb der Heimat verwendet werden dürften . Selbst angenommen , die Zahl dieser ,, nichtkämpfenden “ Rekruten sei zwischen dem 20. April und dem 6. Juni nicht weiter gewachsen , so würden von den 120741 irischen Rekruten, die Redmond angab, nur 70000 für den Dienst auf dem Festland oder an anderer Stelle zur Verfügung stehen. Ende Juli 1915 veröffentlichte die Times eine Reihe von Aufsätzen über die Ergebnisse der Werbung in Irland , die sicher nicht zu ungünstig gefärbt sind . blick .
Sie gestatten einen lehrreichen Ein-
Mit der eben aufgestellten Berechnung deckt sich das Ergebnis
beinahe : die Times gibt an, daß seit Kriegsausbruch bis Mitte Juni 1915 in die britische Armee 70000 Irländer eintraten , und zwar 30000 Katholiken und 33000 Protestanten .
Wie wenig die eigentlich irische
Bevölkerung daran beteiligt ist, zeigt abermals dieses Mißverhältnis der beiden Bekenntnisse und mehr noch die Tatsache , daß auf die Provinz Ulster allein 40000 Rekruten entfielen , so daß für die ganze übrige Insel nur 30000 bleiben. Von den 37000 Katholiken sind 10000 auf Ulster zu rechnen .
Man kann wohl annehmen , daß sie wie der
größte Teil der 40 000 Männer, die sich hier anwerben ließen, von Engländern oder Schotten abstammen , also Feinde der Irländer sind, wie wir aus den erbitterten Parteikämpfen , Straßenaufzügen und Vorbereitungen zum Bürgerkrieg in der Zeit des Kampfes um die Homerule -Vorlage wissen . Der Berichterstatter der Times nimmt für die Zeit von Mitte Juni bis Juli , für die er keine genauen Angaben zur Verfügung hat, 5000 Rekruten an und stellt dann fest : die insgesamt 75000 irischen Rekruten seien nicht mehr als der vierte Teil der irischen Männer zwischen 19 und 40 Jahren, deren Gesamtzahl 660000 betrage .
Noch ungünstiger stelle
215
Die Irländer als Soldaten.
sich das Ergebnis der Werbung dar, wenn man einzelne Grafschaften oder Orte oder bestimmte Volksklassen ins Auge fasse . Die höheren Stände hätten eine beträchtliche Anzahl Rekruten gestellt , die Tagelöhner seien ebenfalls einigermaßen stark beteiligt , während die kaufmännischen Angestellten ebenso wie die Bauernsöhne sehr spärlich vertreten seien , obwohl sie beinahe die Hälfte der 660000 Männer ausmachten. Die Ladengehilfen dünkten sich zu gut , um den Soldatenrock anzuziehen, die Bauernsöhne dagegen erklärten , sie seien zu Hause unentbehrlich . Tatsächlich liege die Sache indessen so , daß sie dort das beste Leben hätten, die Bedeutung des Krieges (natürlich vom englischen Standpunkt) sehr wenig empfänden und gerade durch den Krieg in ihrem Hauptberuf, der Viehzucht , mehr als früher verdienten.
Übrigens habe der irische Bauernstand ganz besonders wenig
zu dem Erfolg der Kriegsanleihe beigetragen . Schon im März war aus einem Briefe von Sir Edward Carson , dieses ungekrönten Königs von Ulster, an die Times hervorgegangen , daß die Rekrutierung in den einzelnen Teilen Irlands ganz verschiedene Ergebnisse hatte . Carson suchte zu beweisen , daß die Äußerung der Times , die Rekrutierung in Irland sei besonders schlecht , nicht zutreffe . Als Gegenbeweis führte er an , daß sich in Ulster bis Ende Februar 32000 Rekruten gestellt hatten oder 205 auf je 10000 Einwohner. Sechs Grafschaften der nordöstlichen Ecke stellten allein 30000 oder 240 auf je 10000 , die übrigen Grafschaften der Provinz allerdings zusammen weniger als 2000 dafür aber Belfast 18600 oder 465 auf je 10000. Die ungünstige Kritik über das Ergebnis der Anwerbung in Irland müsse daher vor Ulster Halt machen. Dies war richtig, da eben Ulster nicht Irland ist . Es stellt , vom irischen Nationalstandpunkt gesehen , nichts anderes dar als einen Pfahl im Fleische der Insel.
Die englische Ansiedelungspolitik,
die keine anderen Mittel kannte als die gewaltsame Ausrottung oder Vertreibung der
Eingeborenen
und ihre
systematische
Rechtlos-
machung, um an ihre Stelle Engländer zu setzen, hat namentlich im 17. und 18. Jahrhundert in Ulster eine Bevölkerung aus englischem und schottischem Blut angesetzt, die aber so wenig verstand, sich mit der einheimischen auf erträglichen Fuß zu stellen , daß bis heute die gegenseitigen Gefühle geradezu erbittert sind . Fast kann man behaupten : an der Stellungnahme Ulsters könne man die des übrigen Irland dadurch ablesen , daß man von der letzteren genau das Gegenteil annimmt. Auch im vorliegenden Falle trifft dies zu .
Der Erfolg der Werbe-
tätigkeit in den eigentlich irischen Teilen der Insel ist geradezu jämmerlich .
So haben sich in der Grafschaft Sligo , die 90000 Ein-
216
Die Irländer als Soldaten .
wohner zählt, in sieben Monaten ganze 321 Rekruten gemeldet ; aus Kings County mit 60000 Einwohnern ließen sich in derselben Zeit 329 Mann anwerben .
Selbst englische Quellen gaben im Mai 1915 an ,
bisher sei für jede irische Grafschaft eine Durchschnittszahl von 350 Rekruten erreicht. Auf je 100 Köpfe der Bevölkerung entfiel bis zum Juli 1915 unter der Landbevölkerung der drei Provinzen außer Ulster Connaught, Munster und Leinster weniger als 1 Rekrut auf 100 Köpfe . Bei allen diesen Zahlen scheinen außerdem die irischen Reservisten mitgezählt zu sein , die verpflichtet waren, sich beim Ausbruch eines Krieges zu stellen. Ihre Zahl zusammen mit den schon in Friedenszeiten dienenden aktiven irischen Soldaten kann man auf 30000-35000 schätzen. So ist das Ergebnis der englischen Werbung in Irland geradezu kümmerlich gewesen ein deutlicher Beweis für die Ansicht, der die Eingeborenen über den Krieg huldigen . für die
englischen
Es kamen Dinge vor, die
Wünsche geradezu
beschämend sind.
So wurde in Carrich-on- Suir von der Behörde der Vorschlag gemacht, der Wei besergeant solle jeden Tag ins Armenhaus gehen , um die dort eintreffenden Landstreicher für die Armee heranzuziehen . Die Aimenverwaltung hatte erklärt , sie finde die Verpflegung der Tramps — ihre Zahl ist im Kriege offenbar größer als sonst unter den herrschenden Umständen zu teuer , man könne sie dadurch entlasten, daß man diese Leute ins Heer stecke . Der Englandhaß und meist auch die Deutschfreundlichkeit der Irländer ist im Laufe des Krieges oft unverhohlen zutage getreten . Die ,,Morning Post " beklagte sich Anfang April 1915 bitter über die sträfliche Gleichgültigkeit der Behörde , die gestatte, daß aufrührerische Literatur von ausgesprochen deutschfreundlichem Charakter im ganzen Süden und Westen der Insel verbreitet würde . Selbst in Dublin hätte Larkin, ein Führer der Arbeiterpartei, Monate hindurch einen hochverräterischen Kreuzzug predigen dürfen . Die irischen Nationalisten seien 50 Jahre lang dahin belehrt worden , daß die britische Armee aus gemieteten Meuchelmördern, dem Abschaum der Arbeitshäuser und Gefängnisse , zusammengesetzt sei . Während der jetzigen Regierung sei die Propaganda gegen die Anwerbung das einzige Verbrechen, das straflos begangen werden dürfe . Man versteht diese Wut, wenn man von den heftigen Kundgebungen hört , die sich in den letzten Monaten wiederholt ereigneten. Als Ende Mai 1915 irische Freiwillige aus Dublin und Cork durch Limerick marschierten, wurden sie durch Frauen und junge Männer , die Verwandte darunter hatten, mit lauten Schmährufen empfangen
Die Irländer als Soldaten . und mit Steinen beworfen .
217
Man gab blinde Schüsse auf die Angreifer
ab, ohne daß es gelang, sie zu vertreiben ; so daß man das Regiment noch am selben Abend in aller Eile aus Limerick entfernen mußte. Im Unterhause fragte schon am 6. März 1915 der Unionist Mac Neill, ob der Staatssekretär für Irland auf die Verteilung eines Flugblattes. in den verschiedenen Teilen Irlands aufmerksam gemacht worden sei, in dem es heißt , Kitchener traue sich zu , daß er 100000 Irländer überlisten, beschwatzen, betrügen oder gewaltsam zwingen könnte , sich für die demoralisierte, dekadente , verbrecherische und bluttriefende britische Armee anwerben zu lassen.
Das Flugblatt enthalte noch
andere landesverräterische Ausdrücke, um die Iren aufzufordern , sich nicht anwerben zu lassen.
Ein Vertreter der Regierung erwiderte ,
es liege nicht im öffentlichen Interesse , die getroffenen Maßregeln bekannt zu geben ; tatsächlich hätten die Bemühungen der Behörde schon zu einer erheblichen Abnahme der Verbreitung anstößiger Flugschriften und Zeitungen geführt und würden noch fortgesetzt . Um eine Vorstellung von dem zu geben, was von den Irländern noch als gemäßigte" Flugschrift betrachtet wird, seien zwei Beispiele angeführt : Man hat jetzt eine kurze irländische Fabel ,,Des Löwen Anteil“ wieder aufgefrischt , die in der ,, Irish World ", einem Blatt der amerikanischen Iren , vom 29. Dezember 1877 erschien . Sie stellt die ungeheure Selbstsucht Englands an den Pranger , indem sie erzählt , wie ein englischer Löwe , ein irischer Wolfshund, ein schottischer Fuchs und ein waliser Jagdhund ein Schutz- und Trutzbündnis miteinander schließenund wie es dem Fuchs und den Hunden ergeht . Der Fuchs redet listig nur dem Löwen zu Gefallen , der Jagdhund wagt überhaupt nichts zu sagen und nur der Wolfshund bricht in eine erbitterte Anklagerede aus , als der Löwe bei der Teilung der Beute behauptet, er habe den Anspruch nicht nur auf das erste, sondern auch auf das zweite Stück, weil bei allen Zusammenstößen mit dem Feinde sein Mut und sein Ruhm den Ausschlag gegeben hätten .
Da kann sich der Wolfs-
hund nicht halten und schleudert dem Löwen ins Gesicht :
,,Ihrer Behauptung widerspreche ich mit Unwillen . Irische Tapferkeit und irischer Elan haben ihren vollen Anteil am Kampfe gehabt . Wer waren die Connaught - Schützen ? Wer gewann bei Waterloo ? Sie müssen daran denken, daß von dem ersten militärisches Genie entfaltete , das ihn an sein er dem in an, Erfolge
Wer war Wellington ?
erste Stelle in der Geschichte der modernen Kriegskunst rückte , bis zu dem letzten, unübertrefflichen Kampfe, der seinen Namen undie irischen Soldaten, von Assaye bis Waterloo sterblich machte mit denen Ihre englische Armee angefüllt war (zu einem Schilling
Die Irländer als Soldaten.
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für den Tag) , die unzertrennlichen Helfer seines Ruhmes waren, mit dem seine unvergleichlichen Erfolge gekrönt wurden ! Wessen Arme waren es , die mit Ihren Bajonetten zu Vimiera durch die Schlachtreihen brachen ?
Wessen verzweifelter Mut stürmte die Wälle und füllte die
Wallgräben von Badajos ? Wessen Hände waren es , die Ihr räuberisches Banner über Indien , durch Afrika und bis zur chinesischen Mauer 66 Wessen
trugen ?
Hier macht der Löwe der Unterhaltung ein Ende , indem er den Wolfshund zur Ordnung ruft , ihn als Rebellen erklärt und auch das dritte Stück kraft seines Vorrechts für sich in Anspruch nimmt ; das vierte Stück aber so setzt er mit boshaftem und wildem Grinsen hinzu
möge nehmen, wer es wage ! -
Das zweite Beispiel sei einer irischen Flugschrift entnommen, die unter dem Titel ,, Irland , Deutschland und der nächste Krieg" einige Monate nach Ausbruch des Weltbrandes erschien . Da werden unter anderem die Kriegsmeldungen des Reuterbureaus verspottet : ,,Die deutsche Flotte ist abermals versenkt worden . Der englische 99 Kreuzer Schmutzschmähung" ist unglücklicherweise gescheitert . Man vermutet, daß er gegen den treibenden Kadaver eines toten Seepferdes gestoßen ist.
25 Mann der Besatzung starben vor Schreck. . . .
Sir John French berichtet , daß unsere Armee dieser Tage drei Schritte vordrang. Zwischen unseren Streitkräften und Berlin steht nichts mehr, außer der deutschen Armee .... sind sehr gering.
Unsere Unfälle an der Front
20 Offiziere wurden zufällig durch Sturz von den
Pferden getötet . Sie waren zwar vorher von deutschen Kugeln getroffen, aber es war der Sturz , der sie tötete .... Der ,, Churchill " , eines unserer veralteten Kriegsschiffe, ist zufällig mit 50 Mann Besatzung (auch veraltet) gesunken .
Das Unglück wurde durch einen vulkanischen
Ausbruch verursacht , der durch eine Ansammlung von Heringsknochen am Meeresgrund hervorgerufen wurde....
Lady Aberdeen ist eifrig
damit beschäftigt , ihre vor mehreren Jahren begonnene Sammlung irischer Mikroben zu vervollständigen .
Diese sollen bei der ersten
günstigen Gelegenheit auf die deutschen Soldaten losgelassen werden... Die irischen Freiwilligen sind feig wie immer und weigern sich , in die Armee einzutreten , obgleich die Regierung sich sehr eifrig mit der Altersversorgung der Veteranen beschäftigt und die Errichtung 100 neuer irischer Armenhäuser ins Auge gefaßt hat. " England hat sich gegen solche Angriffe mit allen Mitteln zur Wehr gesetzt. Die in New York erscheinende ,, Irish World" vom 12. Juni 1915 brauchte mehr als sieben große Spalten , um einen Überblick über die wichtigsten Gerichtsverfahren zu geben, die im Laufe einer einzigen Woche in Irland wegen Hochverrat, Aufruhr, Propaganda
Die Irländer als Soldaten .
219
gegen die Rekrutierung usw. eingeleitet worden waren. Jede Nummer dieses Wochenblattes enthält ähnliche Aufstellungen . In Irland selbst dürfen die Zeitungen solche Dinge nicht bringen . Sie werden sonst rücksichtslos unterdrückt. Von, Dezember 1914 bis April 1915 wurden nicht weniger als zehn irische Zeitungen aufgehoben . Um den ,,Irish Worker" zu unterdrücken, drangen Offiziere und Polizisten in die Druckerei des Blattes und zerstörten Maschinen und Typen ; aus den Druckerpressen wurden die Zylinder entfernt und in die Keller des Schlosses in Dublin gebracht . Aber alle Gewalt erweist sich als fruchtlos . Obwohl die Polizei eifrig auf die Nummern der nationalistischen irischen Blätter fahndet , deren Verkauf und Verbreitung streng verboten ist , findet man immer wieder Mittel, sie herzustellen ; sind sie aber erst gedruckt , so geht die Verbreitung mit solcher Windeseile vor sich, daß nichts dagegen auszurichten ist . So überwachte die Polizei tagelang die Druckerei des ,,Irish Freeden" , um das Weitererscheinen des Blattes zu verhindern. Trotzdem wurde es fertiggestellt und expediert ; bei den Zeitungsverkäufern war nicht eine Nummer mehr zu finden , als man sie beschlagnahmen wollte. Es arbeitet eben beinahe alles, was irisch ist , gegen die Engländer zusammen. Die Rekrutierungsplakate werden abgerissen, die Schriften gegen die Anwerbung sind im ganzen Lande zu finden, obwohl sie streng verboten sind, und es hat sich mehr als einmal ereignet , daß Werbesergeanten oder Werbesoldaten verprügelt wurden . Sehr oft lassen die Iren Deutschland hoch leben selbst auf die Gefahr hin, dafür ins Gefängnis zu kommen.
In den ersten Monaten
glaubte die englische Regierung, noch nicht die äußersten Mittel gegen Irland anwenden zu sollen, weil sie fühlte , daß sie sich damit für alle. Zukunft der Möglichkeit berauben würde , die Bevölkerung seelisch zu gewinnen .
Indessen wurden in aller Öffentlichkeit so scharfe Reden
gegen England und für Deutschland gehalten¹ ) , daß alsbald an Stelle dieses Systems das entgegengesetzte der rücksichtslosen Erdrosselung jeder deutschfreundlichen Äußerung trat . Anfang Juni wurde in Belfast ein Mann zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt , weil er gesagt hatte : ,,Warum sollte nicht Kaiser Wilhelm unser Herrscher sein anstatt Georgs V. ?"
Wegen ähnlicher Äußerungen wurden im Laufe einer
einzigen Woche
wieder nach der ,, Irish World " vom 12. Juni —
in Dunlavin, Wicklow, Dublin, Arklow, Blarney, Kingstown mehrere Angeklagte zu Zwangsarbeiten verurteilt. Genährt wird dieser Englandhaß von den Irländern in Nord1) Siehe Beispiele in meinem Aufsatz : Irland und Deutschland ( in der Zeitschrift ,,Das größere Deutschland " vom 20. März 1915 ) .
220
Die Irländer als Soldaten.
amerika .
Unter ihnen ist die Zahl der unversöhnlichen Feinde Eng-
lands besonders groß , weil alle diejenigen , die unter der Herrschaft Albions besonders litten, oder die es nicht vergessen konnten , wie ihre Eltern oder Vorfahren unter der Fremdherrschaft seufzten , ihrer Heimat den Rücken kehrten . In England empfindet man diese Hunderttausende, nein Millionen Köpfe starke Partei in Nordamerika heute überaus unbehaglich ; früher dachte man nicht , dass sie s o stark werden könnte. Auch haben die Iren in Nordamerika die englischeBehauptung, dieses Volk eigne sich durch seinen Leichtsinn und seine Faulheit nicht dazu , wirtschaftlich vorwärts zu kommen , Lügen gestraft . England hat sich sehr zu seinem Schmerz von dem Gegenteil überzeugen müssen, da die Summen , die von den nordamerikanischen Iren nach Europa geschickt werden , um einer englandfeindlichen Agitation zu dienen , in die Millionen gehen . Seit Ausbruch des Krieges haben die irischen Landsleute in den Vereinigten Staaten ganz besonders dahin zu wirken gesucht , was sie schon im Frieden niemals aus den Augen verloren, vor der Anwerbung für das englische Heer zu warnen . Ja sie scheinen noch weiter gehen zu wollen : im Dezember war davon die Rede , daß sich eine irische Brigade bilden solle , deren Ziel den uralten Traditionen Irlands besser entspräche . Wie weit dieser Plan zur Ausführung gelangte , ist mir nicht bekannt .
Mindestens
hat er die Folge gehabt, daß die kanadische Regierung Befürchtungen hegte , die in den Vereinigten Staaten lebenden Iren könnten einen Angriff auf Kanada planen .
Da die Regierung der Union nicht
über größere Truppenmassen verfügt, so hielt man einen Einfall bewaffneter Irländer in Kanada um so eher für möglich , als sie über große Geldmittel verfügen und daher auch imstande sein würden, bei geschickter Organisation bedeutende Vorräte von Waffen und Munition in geheimen Niederlagen zu sammeln . Da der größte Teil der kanadischen Truppen nach Europa entsandt war , so wurde der kanadischen Regierung etwas schwül zumute ; es soll in den ersten Monaten des Jahres 1915 zwischen London und Ottawa ein lebhafter Meinungsaustausch über diese Frage stattgefunden haben . Was die Englandfeindlichkeit der Irländer für England militärisch bedeutet, hat sich nicht nur in dem Mißerfolg der Anwerbung auf der grünen Insel gezeigt .
Ebenso peinlich ist für England die Tat-
sache, daß es eine erhebliche Truppenmacht in Irland stehen lassen muß , um dort für alle Fälle gegen Aufruhrversuche der Bevölkerung gerüstet zu sein . Mindestens 70000 Mann Truppen mußte die britische Heeresleitung dort belassen, von denen man hofft, daß sie zusammen mit dem Polizeikorps von 12000 Mann ausreichen würden ,
Die Irländer als Soldaten. um die innere Ruhe zu verbürgen .
221
Auch muß man weiter die Ulster-
freiwilligen hinzurechnen , die sich vor einigen Jahren für den Kampf gegen die Durchführung des Homerulegesetzes bewaffnet hatten und noch heute unter der Waffe stehen .
Da sie größtenteils Protestanten
sind und von Engländern oder Schotten abstammen , könnte man sich wundern , daß sie nicht in weit größerer Zahl der Werbetrommel für den auswärtigen Dienst gefolgt sind . Vielleicht rechnen sie damit, daß nationalistische Bewegungen in Irland emporkommen könnten , zu deren Unterdrückung die Regierung ihre Hilfe benötigen werde. Es handelt sich um etwa 80000 Mann, so daß man annehmen kann , daß England das irische Polizeikorps ungerechnet etwa 150000 Mann nicht auf den Kriegsschauplatz werfen darf, weil sie zur Niederhaltung der irischen Bevölkerung unentbehrlich sind.
Von
diesem Gesichtspunkt gewinnt der Umstand an Bedeutung , daß Carson im März erklärte , der Vorschlag der Times, er möge gemeinschaftlich mit Redmond einen Aufruf an die irische Bevölkerung erlassen , sich in größerer Zahl zum Heeresdienst zu melden, sei zwecklos und seine Befolgung würde falsch ausgelegt werden können . Nichts Kennzeichnenderes aber für die gegenwärtige Lage läßt sich denken als das Verhalten der irischen Nationalfreiwilligen , der ,,National Volunteers ".
Sie kümmern sich um den Krieg
nicht im geringsten . Anfang April 1915 veranstalteten sie , 25 000 oder gar 30000 Mann stark, in Dublin eine Parade, die von Redmond abgehalten wurde . Wie es heißt , hat er als Dank für seine Bemühungen um die Anwerbung für das englische Heer in Irland die Anerkennung dieser bewaffneten Freiwilligen erhalten, die sich weigerten, in ,,des Königs" oder vielmehr, wie es in England nun stets heißt, in ,, Kitcheners Heer" einzutreten . Auf der anderen Seite wird berichtet, Redmond habe allen Einfluß auf seine irischen Stammesgenossen verloren , und er habe zwar bei der Parade anwesend sein dürfen , doch aber mehr als Zuschauer denn als Führer, während die maßgebenden Männer nun Dolin und Dillon seien .
Die englischen Blätter berichteten über diese
Parade mit äußerstem Mißbehagen : es handle sich um ein unzeitgemäßes und provokatorisches Schauspiel, dessen Ziel ein zweifaches sei : Ulster zu bedrohen , und gewisse Parlamentarier zu unterstützen , die Kitchener bewegen wollen , die ,, National Volunteers " als irisches Verteidigungsheer in die Armee aufzunehmen und sie auf Staatskosten zu unterhalten. Sogleich tauchte die Frage auf: ob nicht in solchem Falle auch
den ,, Ulster Volunteers " , also der gegnerischen , von Carson geschaffenen Truppe , dieselben Rechte einzuräumen seien , so daß die Regierung in dieser ernsten Zeit die Kräfte des Landes auf die Bildung zweier feindlicher Armeen in Irland verschwenden würde , die man 16 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine Nr. 526 .
222
Die Irländer als Soldaten .
nicht auf die Schlachtfelder des Festlandes schicken dürfe , sondern die bereit gehalten werden müssten , bis der Krieg vorüber sei — um sich dann gegenseitig an die Kehle zu springen .
Was die ,, Morning
Post" darüber schrieb, gewährt einen so klaren Einblick in die englische Stimmung, daß es hier wörtlich wiedergegeben sei : ,,Dann machte sich Asquith in Dublin der erstaunlichen Dummheit schuldig , den nationalistischen Freiwilligen in zweideutiger Weise
Hoffnung auf
zu machen.
Anwerbung für Verwendung im Inlande
Diese Andeutung verbreitete sich wie ein Präriefeuer,
und die Leute waren überzeugt , daß sie in Kitcheners Armee eintreten könnten, ohne im Auslande Dienst tun zu müssen .
Glück-
licherweise weigerte sich Lord Kitchener , auf diesen wahnsinnigen Vorschlag einzugehen und Leute auf Kosten der Steuerzahler auszubilden, die vom Dienste im Auslande befreit waren. Inzwischen wurde, dank dem Einfluß der amerikanischen Iren und der verräterischen, von Deutschland unterstützten Presse die Autorität von Mr. Redmond untergraben .
Er mußte sich schließlich damit
begnügen, den ,, Führer “ zu markieren , und im übrigen die meuternden Freiwilligen als Retter des Vaterlandes zu bezeichnen . Auf diese Weise wurden , patriotische
Kundgebungen der Freiwilligen im
ganzen Lande zustande gebracht, bei denen die Sprecher unter der Maske von Werbeagenten den Zuhörern versicherten, daß es ihre oberste Pflicht wäre, zu Hause zu bleiben und sich für die Verteidigung von Homerule gegen den Widerstand von Ulster bereit zu halten. Der Höhepunkt in diesem Feldzuge von Wahnwitz und Herausforderung wurde am Ostersonntag erreicht, als 30000 rüstige, waffenfähige Leute in öffentlicher Parade ihre Weigerung , das Land zu verteidigen, zur Schau tragen durften , ohne daß auch nur ein Wort zugunsten der Rekrutierung an sie gerichtet worden. wäre . Der Zweck dieser Kundgebung ist ein doppelter : erstens soll sie als Drohung gegen Ulster gelten, und zweitens einen Druck auf Lord Kitchener ausüben, damit er die nationalistische Armee auf Kosten des Staates ausbilde .
Bedenkt man , daß die Freiwilligen
von Ulster das gleiche fordern müßten, so ergibt sich die furchtbare Verantwortung, die die Regierung durch Eingehen auf solchen Wahnwitz auf sich laden würde . Die Kriegsmittel würden zur Ausrüstung und zur Ausbildung zweier feindlicher Armeen mißbraucht werden, die, anstatt auf den Schlachtfeldern der Nation verwendet zu werden , bis zur Beendigung des Krieges an der Leine gehalten würden , um dann losgelassen zu werden, und sich gegenseitig an die Gurgel zu fahren .“
223
Die Irländer als Soldaten.
An der Begründung und Ausbildung der irischen Freiwilligenkorps hatte früher Sir Roger Casement rühmlichen Anteil. So herrschte denn auch unter den ,, National Volunteers " sein Geist , nicht der Redmonds . Voller Entrüstung mußte die englische Presse daher berichten , daß bei der Frühlingsparade dieser Nationalfreiwilligen im Phönixpark in Dublin 25000-30000 kräftige Söhne Erins vorbeimarschiert seien ,
ohne sich auch nur im mindesten um Englands
,,Freiheitskampf “ zu kümmern. *
Bei der Größe der gegenwärtigen Mißstimmung kann es nicht wunder nehmen, daß sich an der Front wiederholt Zusammenstöße zwischen
irischen
und
englischen
Regimentern
ereignet
haben sollen . Kurz vor Ausbruch des Krieges waren bereits unliebsame Dinge vorgekommen .
Am 26. Juli 1914 waren die Dubliner irischen
Nationalfreiwilligen zum Hill of Howth gezogen, als sich das im Hafen liegende Kriegsschiff gerade auf eine Streiffahrt nach Süden begeben hatte .
Diese günstige Gelegenheit benutzte ein Segelschiff, um eine
große Zahl von Gewehren und 260000 Patronen zu landen , die für die National Volunteers bestimmt waren .
Die damalige Absicht der Re-
gierung, ihre Versorgung mit Waffen zu unterbinden , war also mißlungen. Sie bewaffneten sich mit den ungeladenen Flinten , der Rest wurde mitsamt der Munition in bereitstehenden Automobilen in Sicherheit gebracht .
Als die Freiwilligen friedlich , wenn auch in gehobener
Stimmung zur Stadt zurückmai schierten , trat ihnen plötzlich das englische Besatzungsregiment, die sogenannten ,, Scotch Borderers ", entgegen
keine schottische Truppe, sondern eine rein englische .
Mit gezogenem Säbel wurden die Irländer aufgefordert, ihre Waffen abzuliefern .
Als sie sich weigerten, gingen die Soldaten vor und ent-
waffneten etwa 20 Freiwillige . Allein nun erfaßte die übrigen die Wut , und mit den ungeladenen Gewehren begannen sie den Kampf gegen die gutbewaffnete englische Truppe. Mit dem Kolben wurde die waffengeübte englische Garnison in die Flucht geschlagen ; die Polizei , die vom Militär zu Hilfe gerufen wurde, verweigerte den Dienst . Auf der Flucht in die Garnison feuerten die Scotch Borderes wie es heißt, aus Zorn über ihre Niederlage
auf die wehrlose Bevölkerung, wodurch
mehr als 50 Personen verwundet und 3 Frauen getötet wurden .
Ein
Sturm der Entrüstung erhob sich und fegte durch das ganze Land. Die irischen Regimenter drohten mit offener Empörung . Die Wut über den Straßenkampf vom 26. Juli in Dublin war bei den Iren um so größer, als sie wußten, daß den Ulsterleuten eine durchaus verschiedene Behandlung zuteil geworden war .
Es mag der Regierung 16 *
224
Die Irländer als Soldaten .
damals nicht unlieb gewesen sein, daß der Ausbruch des Krieges es möglich machte, die eigentlich irischen Truppen rasch aus der Insel herauszuziehen und auf den Kriegsschauplatz zu werfen . Was sich in den nächsten Wochen ereignete , ist noch nicht mit Sicherheit festgestellt .
Es scheint , daß folgendes geschah.
Das irische Füsilier regiment von Munster schoß an der Front jenes englische Regiment (die King's Own Scotch Borderers ) zusammen . Die irisch-amerikanische Zeitung ,, Gaelic American" nennt die Soldaten dieser Truppe den Abschaum der englischen Großstädte .
Der ,, Gaelic
American" behauptete, jeder irische Soldat habe nur auf eine Gelegenheit gewartet, um für den ,, Mord " vom 26. Juli Rache zu nehmen und an diese ,,Feiglinge " heranzukommen.
Die Munsterfüsiliere hätten
eines Abends diese Gelegenheit gefunden und sofort benutzt .
Sie
überschütteten die Scotch Borderers mit einer Salve nach der anderen, und da sie auf kurze Entfernung schossen , verfehlten wenige Kugeln ihr Ziel . Obwohl die Offiziere verzweifelte Anstrengungen machten, das Regiment zum Einstellen des Feuers zu bewegen, geschah dies erst , als das Werk der Rache vollendet war. Einer der ersten, die fielen, war der Major, der in Dublin den Befehl zum Feuern gegeben hatte . Nur ein kleines Häuflein der Scotch Borderers entkam dem Blutbade .
Der Vorfall sei nachher
so
berichtet
der ,, Gaelic
American" in der englischen Presse so dargestellt worden , als hätten. die Munster füsiliere in der Dunkelheit die Scotch Borderers für ein deutsches Regiment gehalten. . Nachher wurden die Munsterfüsiliere in derselben Schlacht von den Deutschen angegriffen und völlig vernichtet. Der ,, Gaelic American “ schrieb darüber : ,,Die Deutschen bewunderten ihre glänzende Tapferkeit und versuchten sie zu retten , indem sie ihnen zuriefen, sich zu ergeben. Aber ihr Blut war durch den Kampf in Aufruhr , und sie weigerten sich . Sie waren nahezu alle niedergemetzelt , als ihre Landsleute aus dem Hochland ihnen zu Hilfe kamen und einen Rest retteten . Ihre Opferung war bezeichnend für die Unfähigkeit und die Vernachlässigung der üblichen Regeln der Kriegsführung bei den Offizieren der britischen Armee. Als man beschloß , zurückzugehen , wurde ein Zweiradfahrer zu den Munsterleuten geschickt , dann kümmerte sich niemand mehr darum, und die Engländer gingen zurück, so rasch ihre Beine sie tragen konnten . Der Radfahrer wurde getötet, und der Befehl zum Rückzuge erreichte die Munsterfüsiliere niemals. Sie fochten bis zum Ende für eine schlechte Sache in ihrer irrigen Auffassung von der Ehre Irlands ' , indem sie ihre Bajonette und Gewehrkolben mit der Kraft der Verzweiflung gebrauchten,
225
Die Irländer als Soldaten .
bis sie überwältigt wurden . In jeder anderen Armee wäre der für die nutzlose Opferung verantwortliche Offizier vor ein Kriegsgericht gestellt und bestraft worden.
Aber in der britischen Armee sind
solche ,bedauerns werten Zwischenfälle in der Übung und gehen vorüber , ohne daß man sie bemerkt." Wie es nun auch mit der Zuverlässigkeit der einzelnen hier wiedergegebenen Tatsachen stehen mag - mindestens das zeigt dieser Bericht des ,, Gaelic American " , daß unter den irischen Truppen heftige Mißstimmung gegen die Engländer herrschte und daß sie sich bei einigen zu förmlicher Wut steigerte . Es ist dieselbe Stimmung , die in einer der irischen Flugschriften vor der englischen Rekrutierung mit den Worten warnte : ,, Jeder , der in England Dienste nimmt, verkauft sein Land und geht zu seinen Feinden über. Wir haben lange genug für England gekämpft , fortan soll England seine Schlachten selbst durchfechten , es soll die herabgekommene Bevölkerung seiner Spelunken bewaffnen und drillen , die Männer aus den irischen Bergen und Triften werden nicht mehr kommen !" Schade nur, daß dieser Krieg so schnell ausbrach, daß eine ganze Anzahl irischer Regimenter gegen uns in den Kampf geschickt werden konnte .
So haben wir auch gegen dieses Volk wie gegen so manches
andere kämpfen müssen , weil die Engländer verstanden , sie für sich bluten zu lassen.
In unserem Gefangenenlager in Limburg ist
eine ganze Anzahl irischer Kriegsgefangener untergebracht . Bis Anfang Mai 1915 waren es etwa 2300. Der Pabst entsandte eigens aus Rom den Dominikanerpater Crotty, um ihre Seelsorge zu übernehmen . Die meistens rothaarigen und blauäugigen Irländer haben in dem Gefangenenlager, ihrer Leidenschaft für das Schauspiel gemäß , ein ,, irisches Theater “ begründet - wie man auch in England in der Regel keine besseren Schauspieler sehen kann als solche aus der grünen Insel. * * * Es wäre sehr zu wünschen , daß es den Bemühungen Sir Roger Casements, der unter seinen Landsleuten eine geistige Macht bedeutet, gelänge, sie sämtlich, sind sie nun daheim geblieben oder stehen sie im Felde, davon zu überzeugen , daß Deutschland gegen Irland nichts Böses im Schilde führt, daß vielmehr unser grüne
Insel
von
weittragender
Sieg auch für die
Bedeutung werden kann .
Noch inniger wollen wir hoffen , die Dinge möchten tatsächlich dahin führen, daß die Vergeblichkeit der englischen Anwerbungsversuche bei den eigentlichen Irländern durch die Überzeugung gekrönt wird , daß der englischen Heeresmacht eine bedenkliche Schädigung zuteil wird, wenn sich die Söhne der grünen Insel nicht wie bisher im Frieden . in reicher Zahl anwerben lassen.
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Die Irländer als Soldaten.
Ohne
Iren ist
ein
schlagkräftiges
englisches
Heer ,
das nicht etwa aus der Wehrpflicht emporwächst , schwer denkbar.
Nicht nur ihre Tapferkeit ist dort unentbehrlich
auch
ihre Beweglichkeit , ihre Klugheit , ihre Selbständigkeit können die Engländer nicht missen . Rasches und folgerichtiges Denken ist durchaus nicht Sache des Engländers, und noch weniger das blitzartige Erkennen einer plötzlich veränderten Lage . In jeder Schlacht aber sind diese geistigen Fähigkeiten für den Feldherrn , für seine Unterführer und für die Truppe von höchster Bedeutung. Vielleicht sind die zahlreichen
Niederlagen , die sich das englische Heer fast in jedem
Kriege zugezogen hat , zum nicht geringen Teil auf diese geistige Schwerfälligkeit des
Briten zurückzuführen.
Um nur wenige
Beispiele aus einer kurzen Reihe von Jahren zu nennen , sei auf die gänzliche Vernichtung britischer Streitkräfte durch die Zulus im Januar 1879 bei Isandula und Rorkes Drift aufmerksam gemacht ; ferner auf den Untergang, den die Afghanen am 27. Juli 1880 der Brigade des Generals Burrow bereiteten ; auf die schwere Niederlage , die den Engländern durch die Buren im Februar 1881 auf dem Majubaberge und bei Laingsnek zugefügt wurde ; und auf das klägliche Scheitern der englischen Expedition unter Lord Wolseley 1883-1885 . In der Regel hat England seine Kriege weder durch strategische noch durch taktische Tüchtigkeit gewonnen, vielmehr ist es nach vielen Niederlagen meist nur deshalb Sieger geblieben, weil es das Schwergewicht
seiner
Geldmacht in die Wagschale werfen konnte ,
das ihm ermöglichte, einen Krieg beliebig lange fortzusetzen und in der Regel auch beliebig viele Söldner fremder Abstammung für seine Zwecke bluten zu lassen . Beides ändert sich jetzt von Grund auf: unter der finanziellen Riesenlast dieses Krieges, der England schon bis jetzt mit doppelt so hohen Schulden beschwert hat , als Heer und Flotte ihm in Krieg- und Friedenszeiten während des
ganzen kriegerischen
Jahrhunderts
von
1688-1788
kosteten, drohen auch die starken Schultern John Bulls zusammenzubrechen, und mindestens das ist klar, daß er sich einen ähnlichen. Krieg schon aus finanziellen Gründen in absehbarer Zeit nicht leisten kann .
Zweitens aber dürfte sowohl den Indern, wie noch mehr den
Irländern die
Lust vergehen ,
in Zukunft noch ihre
Haut
für England zu Markte zu tragen , so daß letzteres vor die Wahl gestellt sein wird , entweder eine ehrlichere und großzügigere Politik zu treiben , die auch anderen Völkern einen Platz an der Sonne gönnt, oder aber die eigene Volkskraft in bisher unerhörtem Maße in den Kriegsdienst zu stellen. Ob indessen die Wehrpflicht sich in England neben der Er-
Die Irländer als Soldaten.
227
haltung einer Riesenflotte durchführen lassen wird, ist ebenfalls schon durch die Riesenkosten, mit denen England durch diesen Krieg auf Menschenalter hinaus belastet wird, fraglich geworden . Noch fraglicher wird die Möglichkeit der Durchführung aus politischen Gründen . Keine Frage aber kann es sein, daß sich die Irländer der Einführung der Militärdienstpflicht auf das schärfste widersetzen werden , so lange sie unter englischer Herrschaft stehen. Mehrere hundert junge irische Farmer sind letzthin nach Amerika geflüchtet , weil sie keine Neigung haben, für England Waffen zu tragen . Sollte die britischen Staatsmänner die Lust anwandeln, die Durchführung der Dienstpflicht jetzt oder später in Irland mit Gewalt zu versuchen , so läßt sich nach den bisherigen Erfahrungen mit einiger Sicherheit annehmen, daß dies gleichbedeutend mit einer Revolution sein würde . Seit dieser Aufsatz geschrieben wurde , ist in England die Wehrwenn auch mit Einschränkungen, pflicht gesetzlich eingeführt die der Regierung höchst unbequem sind und die sie nun trotz dem Widerstande der Verheirateten , der Munitions- und Bergwerksarbeiter und anderer Gruppen gewaltsam oder auf Schleichwegen zu beseitigen sucht. Nur eins wagt sie nicht zu beseitigen : die Ausnehmung Irlands von der Wehrpflicht. Man ist sich völlig darüber klar, daß dies auf der grünen Insel die Revolution bedeuten würde. Die englischen Ist doch die Stimmung dort recht bedenklich . wie die ,, Morning Zeitungen enthalten sich zwar seit einigen Monaten ,, aus lobenswerten vaterländischen Post" vom 16. März 1916 schrieb Gründen“ der Kommentare über die Stellung Irlands ; nun aber entwickle sich die Lage dort mit solcher Geschwindigkeit und in so ernster Art, daß Schweigen nicht länger angängig sei . Das Blatt berichtet : Im ganzen Süden und Westen wird ein kräftiger und organisierter Feldzug gegen die Rekrutierung entfaltet, durch die Verbreitung von verräterischen deutschfreundlichen Flugblättern und dergleichen unterstützt , augenscheinlich ohne Behinderung durch die irischen Behörden. In den letzten Monaten wurden mehrere Personen in Dublin wegen Vergehens unter dem Reichsverteidigungsgesetz angeklagt und verhört , stets aber durch die Geschworenen freigesprochen ; das Ergebnis wurde dann mit lärmendem Beifall, auch im Gerichtshof selbst , aufgenommen . Bei allen diesen nutzlosen Anklagen fand das Verhör vor einem gewöhnlichen Geschworenengericht statt . Man erwartet mit Ungeduld die Zeit , wo die Regierung die ihr zustehende Vollmacht benutzen wird, um solche Fälle entweder vor besonderen Geschworenen oder vor dem Militärgerichtshof zu verhandeln . Noch Schlimmeres ereignete sich in Cork. Dort trat ein Ausschuß
228
Die Irländer als Soldaten .
aus Abgesandten der verschiedenen religiösen und politischen Parteien zusammen, um am irischen Nationalfeiertage , dem St. Patrickstage, eine Kundgebung zu veranstalten. Das Anerbieten der Militärbehörden, dazu ein größeres Truppenkontingent
aus den irischen
Regimentern zu entsenden , wurde von dem Ausschuß, der hauptsächlich aus Sinn Fein-Freiwilligen und ähnlich Gesinnten bestand , mit überwältigender Mehrheit unter der Begründung zurückgewiesen , daß ,, die britische Armee Irland feindselig besetzt habe, und daß es für die Belgier nicht so töricht sein würde, eine Abteilung des deutschen Heeres einzuladen ,
an einer belgischen Landes demonstration teilzu-
nehmen, wie für die Iren , die Anwesenheit britischer Soldaten hinzunehmen." Ein Abgesandter verkündete, die Sinn Fein-Freiwilligen hätten die Absicht , an der Kundgebung durch eine bewaffnete Truppenmacht von 2000 Mann mit geladenen Gewehren teilzunehmen . Wie weit die amerikanischen Iren mit den lebhaften Äußerungen der Englandfeindschaft in Irland in Verbindung standen, kann heute nicht erörtert werden . Es sei nur auf die Tatsache hingewiesen , daß die Iren in den Vereinigten Staaten während dieser selben Monate. große Kundgebungen heftiger Englandfeindschaft veranstalteten . Auch die irischen Frauen rühren sich. Die Gräfin Markievicz , in deren Hause vor wenigen Wochen die Polizei aufrührerische Schriften und eine Druckerpresse beschlagnahmt hatte, hielt am 6. März 1916 in der Stadthalle in Cork in einer Versammlung der Frauenabteilung der Sinn Fein-Partei eine Rede des Inhalts : die Männer Irlands wüßten jetzt , daß der
einzige Weg ,
mit England zu verhandeln ,
der wäre , daß man Flinten in der Hand hätte. Die Engländer hätten nicht gewagt , in Irland die allgemeine Wehrpflicht einzuführen , weil die irischen Freiwilligen bewaffnet wären . Irland habe gesehen, daß es von den Zeppelinen befreit geblieben sei .
Die Grabschrift für
Robert Emmet (irischer Freiheitskämpfer am Ende des 18. Jahrhunderts) könnte nur in englischem Blute mit Schwertern in der Hand von Iren geschrieben werden .
Zweifellos ist die Lage in Irland also für die englische Regierung recht unbehaglich geworden .
Auch wenn man sich darüber mit der Ansicht hinwegzutäuschen sucht , es handle sich nur um eine lärmende Minderheit ,,treuloser und unzufriedener Personen", wie es in den englischen Zeitungen heißt, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß für England so gut wie niemand Partei ergreift, und daß die Möglichkeit der Werbung von Iren zum Heeresdienst dadurch noch weiter beeinträchtigt wird. Das britische Kriegsamt veröffentlichte am 1. Februar 1916 eine Statistik, wonach sich seit Ausbruch des Krieges in
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina .
229
Irland 145 869 Mann für den Dienst in Heer und Flotte gemeldet haben, wovon 86227 Mann auf das Heer entfielen . Danach würde die Zahl der Irländer in englischen Diensten seit dem Sommer 1915 nur ganz unerheblich gestiegen sein . In der Tat gibt es - mit Ausnahme der protestantischen Ulsterkreise - niemand in Irland, der der englischen Werbung Vorschub leistet.
Nicht einer der irisch-katholischen
Bischöfe hielt eine Rekrutierungsrede . Einer unter ihnen , Dr. O'Dwyer, Bischof von Limerick , kritisierte England sogar wiederholt . Den Fastenhirtenbriefen, die in sämtlichen römisch-katholischen Kirchen Irlands am Sonntag 5. März 1916 verlesen wurden , lag zwar, englischen Blättern zufolge, die Annahme zugrunde, daß die Deutschen die Feinde des Rechts und ,,unsere Feinde" seien . Aber es wurde auf den Krieg in sorgfältig gewählten Worten Bezug genommen , und es wurde keine unmittelbare Ermahnung an die jungen Männer gerichtet, in das Heer einzutreten . Die Hoffnung Englands, aus den zu Soldaten wie geschaffenen Irländern Kanonenfutter für sein Heer bilden zu können , dürfte für diesen Krieg zerronnen sein .
XXI .
Die Neujahrsschlacht in
Galizien und der
Bukowina .
Von Rhazen, Generalleutnant z . D.
Bis tief in den Februar 1916 hinein hat die österreichische Presse , haben Oberste Heeresleitung und Kriegspressequartier den immer wieder auftauchenden und zweifellos politischen Zwecken dienenden russischen Lügen entgegentreten müssen, nach denen eine nach dem Abflauen der ,, Neujahrsschlacht " eingesetzte russische Offensive die Streitkräfte der Mittelmächte in Galizien und der Bukowina an mehreren Teilen der Front erheblich zurückgedrängt hätte.
Daß in diesen russischen Erfolgmeldungen
vor allem auch politische Ziele verfolgt wurden beweist der Wert , den man russischerseits darauf legte, daß diese falschen Siegesmanifeste auch in Rumänien gehört würden. Letzthin, so schrieb am 5. März d. J. das Kriegspressequartier, sprach das russische
230
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina.
Blatt ,, Ruskije Slowo " von gegen die russischen Schützengräben angeblich bei Michalcze gerichteten und abgewiesenen Angriffen unserer Truppen und wollte aus dieser an und für sich falschen Behauptung die weitere Unwahrheit ableiten , daß die Russen den Djnester bei Uscieczko überschritten und sich der benachbarten Übergänge am Südufer bemächtigt hätten. Auch ,, Ruskije Invalid" vom 12. Februar behauptete, daß die Russen den Djnester bei Uscieczko überschritten hätten und daß ihr Vormarsch den südlich des Djnester gelegenen Abschnitt unsere Stellungen bei Czernowitz bedrohe . Diese und ähnliche russische Erfolge an den erwähnten Fronten sind willkürlich erfunden. Es ist eine in unseren amtlichen Berichten im Laufe der letzten sechs Monate wiederholt erwähnte Tatsache, daß die russische Front schon seit mehr als einem halben Jahre nur mehr auf den an
der
bessarabischen Grenze , südlich des Djnestr , verläuft .
nach
Osten
gerichteten
Frontteil
unmittelbar
Das
ist jener Frontteil, wo bei Toporoutz und Rarancze die Russen auch in
der
Neujahrsschlacht
wiederholt
vergeblich versuchten ,
weiter
vorzudringen . In Galizien sind die Russen auf keinem Punkt südlich des Djnestr bzw. am rechten Ufer. Die oft erwähnte Ortschaft Uscieczko liegt auf dem nördlichen Ufer und wurde nicht in letzter Zeit durch die Russen besetzt , sondern liegt schon seit dem Sommer vorigen Jahres in der russischen Front . Die Russen haben weder hier noch sonstwo in Galizien den Djnester überschritten.
Gleich unmittelbar nordwest-
lich Usziczlko ist die Brückenschanze bei Michalcze nördlich des Djnester seit Abschluß unserer vorjährigen Herbstoffensive unverändert in unserem Besitz und an den anderen Frontteilen, wie speziell nördlich Zalesczyki , verläuft unsere Front weiter nördlich des Djnester . Überhaupt ist unsere Front an der Strypa , am Djnester und in der Bukowina seit Abschluß unserer oben erwähnten Herbstoffensive an allen Punkten völlig unverändert. “ Damit ist auch ein maßgebendes Urteil über die Erder 99 Neujahrsschlacht " gefällt , die man man die
gebnisse
„ politische " genannt hat ,
und eine politisch - strategische
Doppelschlacht nennen darf , weil weder das strategisch , noch das politisch gewollte Ziel erreicht wurde und weil der gewaltige Einsatz an Blut , den man gering gerechnet , auf 100 000 worden ist .
Opfer
annehmen kann ,
vergebens
gebracht
Ebenso wenig, wie vorher Serbien, hat Rußland durch
die Neujahrsschlacht seinen ,, einzigen Freund auf dem Balkan“ zu retten, Franzosen und Briten in Südmazedonien zur Offensive zu befähigen und Rumänien auf die Seite der Entente zu ziehen, noch viel weniger die weiter liegenden unten zu berührenden Ziele zu erreichen
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina. vermocht .
Die Bilanz des ersten Teiles der Doppelschlacht
231 daß
eine zweite unmittelbar folgen würde , wußte das österreichische Hauptquartier damals noch nicht - zog ein kurzer Tagesbericht vom 18. Januar 1916 : ,, Da auch der gestrige Tag keine besonderen Ereignisse brachte , kann die Neujahrsschlacht in Ostgalizien und an der bessarabischen Front , über die aus naheliegenden militärischen Gründen die Tagesberichte keine eingehenden Angaben bringen konnten, als abgeschlossen betrachtet werden . Unsere Waffen haben an allen Punkten des 130 km breiten Schlachtfeldes einen vollen Sieg davon getragen.
Unsere über
alles Lob erhabene Infanterie , die Trägerin aller Entscheidungskämpfe , hat - von der Artillerie sehr verständnisvoll und geschickt unterstützt
alle Stellungen gegen eine örtlich oft vielfache Überlegenheit behauptet." Die große Neujahrsschlacht im Nordosten Österreichs begann am 24. Dezember vergangenen Jahres und dauerte -- nur an einzelnen Tagen durch Kampfpausen unterbrochen - bis zum 15. Januar , ins-
gesamt also 23 Tage ohne die Nachzuckungen des zweiten Abschnittes, die man damals noch nicht ahnte . Zahlreiche Regimenter standen in dieser Zeit durch 17 Tage im heftigsten Kampfe . Russische Truppenbefehle , Aussagen von Gefangenen und eine ganze Reihe von amtlichen und halbamtlichen Kundgebungen aus Petersburg bestätigen , daß die russische Heeresleitung mit der Offensive ihres Südheeres große militärische und politische Zwecke verfolgte. ,,Diesen Absichten entsprechen auch die Menschenmassen, die der Feind gegen unsere Fronten angesetzt hat.
Er opferte , ohne irgend-
einen Erfolg, mindestens 70000 Mann an Toten und Verwundeten und ließ nahezu 6000 Kämpfer als Gefangene in unserer Hand.
Der
Truppenzusammensetzung nach haben am Siege in der Neujahrsschlacht alle Stämme der Monarchie Anteil. Der Feind zieht neuerlich Verstärkungen heran. "
Nachdem es den Russen Ende September
gelungen war, ihre Kräftegruppen aus dem Raume Wilna in östlicher Richtung herauszuziehen, und nachdem anderseits die Oberste Heeresleitung die gewollte Widerstandslinie erreicht hatte , stellten die Russen am 30. September einen mißglückten Versuch gegen die Bahn Wilna -Dünaburg an, am 3. Oktober in dem rund 70 km messenden Abschnitt beiderseits des Naroczsees zwischen Postawy und der Wilija ein erfolgloses Vorbrechen , und hatten am 5. Oktober ihre Angriffsfront bis nördlich des Dryswiatysees und südlich der Wilija etwa auf das Doppelte verbreitert. Nachdem sie mit demselben Ergebnis nur an schweren Verlusten am 6. Oktober im Abschnitt zwischen Wilija und Bojinskojosee den Durchbruchsversuch erneuert, war ihre Angriffslust entschieden abgeflaut, Verschiebungen waren eingetreten , so daß wir im November
232
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina.
nur einen nebensächlichen russischen Angriff an der Wilija , Mitte Dezember im Gebiete des Dryswiaty- und Naroczsees zu verzeichnen haben . Der Schwerpunkt war augenscheinlich nach Süden verschoben . In der Zeit vom 15. bis 22. Dezember waren nördlich sowohl, als südlich des Pripjet fast täglich Erkundungs- und Patrouillenkämpfe zu verzeichnen gewesen . Nur am Korminbache wurde ein größerer russischer Vorstoß von den Truppen der Armee Erzherzog Josef Ferdinand abgewiesen. Die nächste Zeit mußte zeigen, ob die Aufklärungskämpfe den Auftakt zu größeren feindlichen Unternhemen waren , oder nur die Bestimmung hatten , als Verschleierung anderer Ziele zu dienen.
Nach unverbürgten Nachrichten sollten Truppen aus
Bessarabien abgeschoben worden sein. Um diese Zeit war es , als man in Rußland einen der brauchbarsten Generale, Ruskij , zum zweiten Male des Kommandos der sehr wichtigen Nordarmeegruppe enthob. Ruskij hatte , seit der Zar selbst die Oberführung übernommen, die Deckung Petersburgs als Aufgabe gehabt und hatte die Dünalinie und weiter rückwärts die befestigte Linie Reval Walck organisiert . Seine Enthebung ließ auf Differenzen grundsätzlicher Art schließen .
Ruskij galt im russischen Heere in der
damaligen Lage als Vertreter wohl überlegter strategischer Defensive und scharfer Feind der exzentrischen Offensive , die gerade im Süden schon wiederholt üble Ergebnisse gezeitigt hatte, damals aber, wie auch die folgenden Geschehnisse bewiesen, von der russischen obersten Heeresleitung wieder gewählt werden sollte .
Iwanow hatte
also obgesiegt und wahrscheinlich hatte auch der gemeinsame obere Kriegsrat nach derselben Richtung eingewirkt, obwohl sie einen Umschwung der Gesamtlage kaum herbeiführen konnte . Gegen den 20. Dezember schienen die Verschiebungen der an der unteren Donau neu gebildeten und vom Zaren besichtigten Verbände vorläufig beendigt zu sein , da damals der russische Telegraph in das neutrale Ausland wieder freigegeben wurde (was aus Wien auch damit erklärt wurde , daß die russischen Befestigungen am Pruth und Djnester vollendet seien, die in der Schaffung nicht durch fremde Augen beobachtet werden sollten) , und da die lebhafte Tätigkeit zahlreicher Aufklärungsabteilungen und Jagdkommandos einsetzte . Man durfte damit rechnen , daß die Russen an irgendeiner Stelle der 800 km langen Front etwas Größeres unternehmen würden . Am 22. Dezember meldete die Oberste Heeresleitung unserer Verbündeten ,, stellenweise Atille iekämpfe und Geplänkel". Am 23. Dezember ,,keine besonderen Ereignisse". Am 24. Dezember ,,Angriffsversuche der Russen gegen Teile
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina.
233
der bessarabischen Front wurden unter schwersten Verlusten für den Feind abgewiesen ". Russische Weihnachten sollten nach des Zaren Befehl in Czernowitz , womöglich zugleich mit dem unmittelbaren Anschluß Rumäniens , Seit dem Weihnachtsabend begann daher an der gefeiert werden. Front der Armee Pflanzer- Baltin die Schlacht . Am Weihnachtsabend (24. Dezember) setzte eine starke Artillerievorbereitung mit schwerem und schwerstem Geschütz, zum Teil japanischen Ursprungs , und einer wahren Verschwendung von Munition aus derselben Quelle gegen die bessarabische Front unserer Verbündeten ein . Der Artillerievorbereitung folgte das Vorgehen starker Infanteriekräfte gegen den genannten Raum , wo die Stellungen der Verbündeten um jeden Preis durchbrochen werden sollten. Die Angriffe mißlangen sämtlich und der Tagesbericht vom 25. Dezember konnte auch melden , daß die feindlichen Kräfte , die sich nach dem abgeschlagenen Angriffsversuch vom 24. Dezember östlich von Rarancze ,
dicht vor der österreichischen Stellung , ein-
gegraben hatten, wahrscheinlich um von dort aus, stark aufgefüllt , den Versuch zu wiederholen , durch nächtlichen Überfall vertrieben An demselben Tage wurden russische Aufklärungsworden seien. abteilungen im Sumpfgebiet der Polesje , im Nordwesten von Czartorysk und bei Berestiany geschlagen. Am 27. Dezember waren im Raum nächst Toporoutz,
an der bessarabischen Grenze und am Djnestr
östlich von Zalesczyki , unter unausgesetztem Trommelfeuer, fünf- bi, sechsmal erneute Angriffe abzuweisen. Die Hauptanstrengungen der Russen richteten sich gegen den Abschnitt zwischen Pruth und Waldzone nördlich Toporoutz , gegen die während des ganzen Vormittags Trommelfeuer und in den ersten Nachmittagsstunden fünf Infanterieangriffe erfolgten . Daran schloß sich ein 15-16 Glieder tiefer Massenangriff, der unter schwersten Verlusten im Artilleriefeuer zusammenbrach, ebenso wie russische Vorstöße nördlich des Dnjestr. Der genannte Raum bildete aber nicht das einzige Angriffsziel . Das am 28. Dezember erfolgte Zurückziehen einiger Sicherungsabteilungen aus den vorgeschobenen Stellungen östlich Burkanow näher an die Hauptstellung vor starken russischen Kräften deutete an, daß die russische Angriffsfront sich nach und nach auch gegen Nordwesten fortsetzte . An der bessarabischen Grenze wiederholte der Feind am 28. Dezember seine von starkem Artilleriefeuer ein geleiteten Angriffe in der Tags zuvor geübten Art.
Seine Angriffs-
kolonnen brachen überall, stellenweise knapp vor den Hindernissen , im Geschütz- und Kleingewehrfeuer unter schweren Verlusten zu.sammen. Am 29. Dezember erreichte der
Kampf seinen
Höhe-
234
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina
punkt an Ausdehnung und Heftigkeit . Bei Toporoutz , am an der Serethmündung , an der unteren und Djnestr , an mittleren
Strypa ,
nördlich
Burkanow ,
war
eine
große
Schlacht im Gange , in die auch Teile der Armee Graf Bothmer flankierend eingriffen . Die Russen wurden überall unter außergewöhnlichen Verlusten geworfen. Der Tagesbericht unserer Verbündeten vom 30. Dezember betonte ja auch selbst , daß am 29. Dezember die russischen Angriffe sich nicht nur gegen die bessarabische Front , sondern auch gegen die Stellungen östlich der unteren und mittleren Strypa richteten, und in dem Bericht unserer Obersten Heeresleitung heißt es : ,, Bei der Armee des Generals Grafen Bothmer wiesen österreichisch-ungarische Truppen den Angriff starker russischer Kräfte gegen den Brückenkopf von Burkanow an der Strypa ab . “ Neben starken blutigen Verlusten büßte der Feind etwa 900 Gefangene ein. Aus Czernowitz wurde am 29. Dezember gemeldet : ,,Die Wirkungen der mißlungenen russischen Angriffe sind jetzt zu übersehen . Die Russen dürften 15000 Mann verloren haben . Bis in die Höhe der Drahtverhaue liegen Haufen russischer Leichen, eine Anzahl von solchen sind in den Drahtverhauen hängen geblieben .
Stellenweise wurden
20 Reihenangriffe gemacht, wobei die russischen Mannschaften geradezu niedergemäht wurden. Bei der Sturmvorbereitung wurde von den Russen ein so heftiges Trommelfeuer abgegeben , daß innerhalb einer Stunde an einer Stelle bis zu 400 Geschosse niederfielen . Die Russen scheinen an dieser Front überreichlich Munition gehabt zu haben . Die zum Angriff angesetzten russischen Mannschaften bestanden aus Blutjunge mehreren Reichswehr- und Tscherkessenregimentern . russische Knaben und Greise waren am Sturm beteiligt .“ Verliefen der 30. und 31. Dezember am Dnjester und der bessarabischen Grenze etwas ruhiger , so richtete der Gegner gegen die Brückenköpfe an der Strypafront Massenangriffe , die ihm starke blutige Verluste , aber keinerlei Vorteile einbrachten. Das Vorgelände der Strypafront zwischen Buczacz und Wisniewczyk war auch am 30. Dezember der Schauplatz wiederholter, mit starken Kräften geführter russischer Angriffe . Im Vorgelände dieses Raumes, wo über Dobropole die Straße , die von Strusow am Sereth nach Buczacz führt , streicht von Norden nach Süden, parallel der Strypa , ein 380-390 m hoher Rücken , der mit steilen Rändern zur Strypa abfällt . Starke russische Kräfte drangen hier wie an den vorhergehenden Tagen in dichtmassierten Sturmkolonnen gegen die Infanterie vor , um deren Stellung zu durchbrechen. In diese eng geschlossenen Kolonnen schlug das Infanterie- und Artilleriefeuer mit Erfolgen ein, die das sonstige Maß gewaltig überstiegen . In das Sperrfeuer der Artillerie geratene Russenmengen ergaben sich
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina.
235
scharenweise .
Knabenhafte Jünglinge und Greise lagen unter den Toten gemischt . Vorstöße unternahmen die Russen auch an der Ikwa, der Putilowka ,
am Styr und am Korminbach, die aber von der verbündeten Obersten Heeresleitung zunächst mehr als Demonstrationen betrachtet wurden , während diejenigen an der bessarabischen Grenze (und an der Strypa) sehr ernste Einschätzung und Gründe politischer Natur als die Veranlassung dieser noch nicht abgeschlossenen Offensive Annahme fanden, bei welcher auch wohl die Truppenmassen zur Verwendung gekommen sind, die die Russen in den ersten Dezember wochen im Süden Bessararabiens versammelt hatten . Die Ereignisse haben diese Annahme voll bestätigt und darüber hinaus auch noch von anderen Schauplätzen herangezogene umfassende Verbände zum Einsatz kommen sehen . Nach dem Bericht des Generalstabes unserer Verbündeten hatte am 30. Dezember an der bessarabischen Front die Tätigkeit des durch die letzten Kämpfe stark erschöpften Gegners augenscheinlich etwas nachgelassen. Eine Kampfpause schien nicht unmöglich . Die Verluste der Russen überstiegen überall das gewöhnliche Maß. In der Neujahrsnacht und an den folgenden Tagen kehrte aber auch am Dnjestr und bei Toporoutz die Angriffslust der Russen wieder zurück. Das neue Jahr wollten sie um jeden Preis mit einem Erfolge beginnen . Sie unternahmen am Neujahrstage außerordentlich heftige Angriffe , an der Strypa , im Nordosten von Buczacz und im Raume von Burkanow . Alle Angriffe scheiterten kläglich, auch südlich von Dubnow und bei Berestiany, unweit des Korminbaches, gegen Abteilungen der Armee Erzherzog Josef Ferdinand. Augenscheinlich hat die russische Heeresleitung , um die öffentliche Meinung durch einen Erfolg zu heben, die Weisung gehabt , die Angriffe in der Neujahrsnacht an mehreren Punkten mit dichten Massen zu unternehmen . Sehr heftig waren am 1. Januar nachmittags auch die Angriffsstöße gegen die Stellungen im Raum von Toporoutz , im Nordosten von Czernowitz, die mit immer Die Karpathentaktik neuen Kräften unternommen wurden. blutigen Andenkens schien hier wieder aufzuleben. Sechs russische Regimenter gingen hier gegen den stark in der Minderzahl befindlichen Verteidiger vor, um mit blutigen Köpfen zu weichen . Am Neujahrstage lautete der Tagesbericht unserer Verbündeten : ,,Die Schlacht in Ostgalizien dauert unvermindert heftig an, das Schwergewicht der Kämpfe lag auch gestern (31. Dezember) an der mittleren Im Raume nordöstlich Buczacz traten kuz und unteren Strypa . nach Mittag die russischen Artilleriemassen in Tätigkeit, deren Feuer bis in die Abendstunden ununterbrochen fortdauerte . Dann ging der Feind zum Angriff über . Seine Kolonnen drangen in zahlreichen An-
236
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina.
griffswellen stellenweise vier- bis fünfmal bis zu unserenDrahthindernissen vor , brachen aber immer und überall unter der verheerenden Wirkung unseres Feuers zusammen. In der Nacht zog sich der Gegner , hunderte von Toten und Verwundeten liegen lassend , in seine 6 bis 1000 Schritt entfernte Ausgangsstellung zurück.
Auch die Angriffe , die die Russen
bei Jaslowiec , südlich Buczacz und bei Uszieczko, am Dnjestr, unternahmen, erfuhren dasselbe Schicksal, wie die an der mittleren Strypa . An der bessarabischen Front verlief der Tag abermals verhältnismäßig ruhig.
Die Stellungen der Armee des Grafen Bothmer an der oberen
Strypa und der Heeresgruppe Böhm-Ermolli an der Ikwa standen unter starkem feindlichem Artilleriefeuer. " Der Bericht des folgenden Tages läßt die weitere Ausdehnung der Schlacht erkennen : ,,Der Feind nahm nun auch seine Offensive gegen die bessarabische Front der Armee Pflanzer-Baltin wieder auf. Nachdem er schon in der Neujahrsnacht zweimal und an dem darauf folgenden Vormittage ebenso oft vergeblich versucht hatte , in unsere Stellungen einzudringen , führte er 1 Uhr nachmittags gegen die Verschanzungen von Toporoutz einen erneuten starken Angriff aus , der von den tapferen Verteidigern im Handgemenge abgeschlagen wurde . Zwei Stunden später drangen im selben Raume 6 russische Regimenter vor, die zum größten Teile abermals geworfen wurden .
Die Verluste
des Gegners sind ungewöhnlich groß . Auch unsere Strypafront, nordöstlich Buczacz , griff der Feind am Neujahrsmorgen an. Der Angriff miẞlang ebenso , wie ein russischer Vorstoß auf eine Schanze nordöstlich Burkanow, die auch durch die Batterien der Armee Bothmer flankiert werden konnte." Am folgenden Tage setzte sich der erbitterte Kampf an der bess' arabischen Front fort .
Sein mit aller Gewalt angestrebtes Ziel, die Linie
unserer Verbündeten im Raume Toporoutz zu durchbrechen , erreichten die Russen nicht.
An der unteren Strypa, am Korminbach und am
Styr wurden zu derselben Zeit russische Vorstöße abgewiesen . Am 2. Januar waren Tausende von toten Russen vor den Stellungen der Verbündeten zu zählen. Wenn man noch die beiden folgenden Tage, den 3. und 4. Januar in den Kreis der Betrachtung zieht , an deren ersterem der Gegner die Durchbruchsversuche bei Toporoutz an der bessarabischen Grenze mit starkem Kraftaufgebot, aber mit gleichem Mißerfolg, fortsetzte (besonders hartnäckige Nahkämpfe waren auch östlich Rarancze zu beobachten), und wo er auch an der Brückenschanze bei Uszieczkow, wie im Raume östlich von Buczacz, nur die Leichenhaufen vermehrte und ganze Bataillone vernichtet sah, an deren letzterem Tage die verbündeten Truppen in Ostgalizien und der Bukowina wiederum siegreiche Defensivkämpfe führten, wo an der
237
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina.
bessarabischen Front die Stellungen bei Toporoutz und östlich von Rarancze, wie an dem Brückenkopf bei Uszieczkow sämtliche russische Gewaltstürme abgewiesen wurden, so mußte man zu folgenden Eindrücken gelangen : Die größte bessarabischen
Heftigkeit Grenze
auf,
wiesen wo
die
Kämpfe
russische
an
der
Durchbruchs-
versuche in der Richtung auf Czernowitz besonders scharf einsetzten. Die Teiloffensive der Russen , die den Rammstoß gegen den rechten Flügel der Verbündeten zum fast zwölftenmal ansetzten , erreichte nicht einmal einen Achtungserfolg , veranlaßte die Verbündeten nicht einmal zu Kräfte verschiebungen . Am 6. Januar schrieb der ,, Bund" : ,, Die befestigte Front verläuft hier an der Rakitna , einem linken (bei Nowosielitza einmündenden und nordöstlich von Toporoutz entspringenden) Nebenfluß des Pruth . Es handelt sich also um den Abschnitt , der in nordsüdlicher Richtung den Raum
zwischen Dnjestr und Pruth deckt.
Haben die Russen
hier (wie sich später ergeben hat ) ihre Hauptkräfte angesetzt , so leiten sie zweifellos naheliegende Absichten auf einen äußerlich rasch sichtbaren Erfolg , der in der Einnahme von Czernowitz , das 15 km von Toporoutz liegt , wo augenblicklich gekämpft wird , einen kräftigen Ausdruck finden würde . Bemächtigen sich die Russen der Straßen ToporoutzCzernowitz , Rarancze - Czernowitz, so haben sie Aussicht , dicht an Czernowitz heranzugelangen .
Damit würde aber nicht
gesagt sein , daß ihnen ein Durchbruch gelungen wäre , da hinter dem Rakitnaabschnitt noch eine breite Tiefenlinie läuft , hinter welcher sich ein Höhenzug von 3-500 m erhebt und die Zugänge zum Raume Kotzman - Czernowitz abschließt und deckt . Es ist anzunehmen, daß diese Linie seitens der Österreicher genügend stark befestigt und armiert ist . Weiter nördlich haben die Russen einen stärkeren Angriff bei Uszieczkow am Dnjestr , und zwar 17 km nordwestlich Zalesczyki, angesetzt ; den Brückenkopf aber auch dort wiederum nicht zu nehmen vermocht. Auch bei Buczacz an der mittleren Strypa erneuern sie ihre Versuche, die österreichische Front zu durchbrechen , mit traditioneller
Hartnäckigkeit , doch ist ihnen auch hier ein auswertbarer Erfolg nicht beschieden gewesen .
Die
Kämpfe können indes heute noch
nicht als abgeschlossen betrachtet werden. " Die ,,Front in Nordosten bis zu den Karpathen “ zu durchbrechen blieb aber Leitsatz der russischen Obersten Heeresleitung . Auf einer fast 130 km breiten Front , die sich von der bessarabischen Grenze
bei Nowo- Sielica über Rarancze - Toporoutz, dann unmittelbar südlich 17 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 536.
238
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina.
des Dnjestr über Okna, weiter über die brückenkopfartigen Anlagen auf den Höhen nordöstlich Zalesczyki und dem 15 km von diesem entfernten Uszieczkow, dann auf den Höhen östlich der Strypa bis in den Raum südwestlich von Tarnopol erstreckt, hatte der Kampf besonders um die Stellungen der Armeen Pflanzer- Baltin und Graf Bothmer seit 14 Tagen getobt.
Wiener Militärkritiker nahmen an,
daß die russischen Offensivstöße Teile einer allgemeinen Aktion seien. Am 7. Januar in den Morgenstunden entbrannte der Kampf nordöstlich Buczacz , gegen Mittag auch bei Toporoutz und Rarancze mit erneuter Heftigkeit . In Anlage und Durchführung , man kann sagen im Charakter , unterschieden sich die beiden Angriffe aber wesentlich.
Durch Morgennebel begünstigt, wurde der
Kampf bei Buczacz überfallartig geführt, brachte die Russen bis in einen Teil der ersten Gräben hinein und dicht an die Batterien heran, aber ebenso schnell durch einen Gegenstoß wieder zurück. Bei Toporoutz und Rarancze ging den , unter Verachtung der schwersten Menschenopfer wiederholt nach den oft beobachteten Methoden unternommenen , in bis zu 20 Sturmwellen geführten und im Handgemenge gründlich abgewisenen Angriff ein zu Mittag beginnendes Trommelfeuer voraus. Auch am Dnjester standen während des ganzen Tages die Linien der Verbündeten unter starkem Artilleriefeuer . Am Styr vereitelte die Artillerie durch konzentrisches Feuer einen Versuch der Russen , den Kirchhof nördlich Czartorysk wiederzugewinnen . In den Neujahrstagen haben die Kämpfe , wie sie selbst zugeben , den Russen an Toten etwa 5000 gekostet. In Bessarabien war das Gebiet zwischen Odessa , Reni
und Ungheni als Kriegszone erklärt ,
die in Südbessarabien versammelten Streitkräfte waren in der Hoffnung auf Erfolg eines Durchbruchs auf Czernowitz von Iwanow herangezogen und in den Tagen des 8. bis 9. Januar , die in der Heftigkeit der Kämpfe einiges Abflauen zeigten , umgruppiert worden .
In welchem Umfange
Iwanow Kräfte damals zur Verfügung gestanden haben , läßt sich genau nicht feststellen , sondern nur oberflächlich schätzen. Wenn Iwanows Heeresgruppe von vornherein 8 Armeekorps , oder mehr betragen hat, und die aus Südbessarabien herangezogenen Verstärkungen nach Wiener Angaben sich damals auf 5 Korps und eine gemischte Brigade belaufen haben, so wären mindestens 13/4 Korps in Rechnung zu stellen. (Schluß folgt . )
239
Das russische Kriegspferd .
XXII. Das russische Kriegspferd .
Von M. Reuter, K. Bezirkstierarzt a . D.
Im gegenwärtigen Weltkriege beansprucht ein hervorragendes Interesse das russische Pferd .
Rußland überragt mit seinem Reich-
tum an Pferden alle Länder der Erde. Graf Dominik Hardegg berechnet den Pferdebestand im europäischen Rußland in 63 Gouvernements auf 24148828, im asiatischen Rußland in 27 Gouvernements auf 9017481 Stück.
Ihssan Abbidin, Professor an der Militärtierarznei-
Hochschule Konstantinopel schätzt den russischen Pferdebestand in einer Abhandlung über ,,Die Pferderassen und die Pferdezucht im Osmanischen
Reiche ", abgedruckt in der
99 Berliner
tierärztlichen
Wochenschrift von 1915 in Europa nur auf 22696415. selben kommen in Rußland auf den km .
• • 4,15 Pferde
in Deutschland
.
in Ungarn in Frankreich
8,60 6.00
·
· 6,00
in der Türkei
Nach dem-
99
2,00
Ein Kenner russischer Verhältnisse nahm seinerzeit in einem Artikel ,, Rußlands Pferde und Rußlands Chausseen" in der ,, Neuen Züricher Zeitung" vom 4. April 1914 als militärischer Berichterstatter rund eine Summe von 30 Millionen Pferde für Rußland an, und spricht die Anschauung aus , daß Rußland die ,, Hälfte " aller Pferde der ganzen Welt besitzt .
Deshalb dürfte die schätzungsweise erhobene Ziffer in
Wirklichkeit noch höher sein .
Allein gleichwohl ist die Berechnung
in kosmopolitischer Hinsicht nicht zutreffend, da der Weltpferdebestand auf über 92 Millionen Stück zu schätzen ist. Am reichsten an Pferden ist der östliche Teil des europäischen Rußlands , die Gouvernements Samara, Orenburg , Astrachan , dann die Kirgisensteppe und Westsibirien, woselbst 100 Pferde auf 100 Einwohner kommen.
In Polen und im Kaukasus treffen jedoch nur 10 Pferde
auf 100 Einwohner.
Die Preise für Pferde sind und waren in Rußland
im Verhältnis zu Deutschland und den angrenzenden Ländern stets unverhältnismäßig niedere .
Die russische Heeresverwaltung war auch
immer bestrebt, wobei es ohne die gewohnten Unterschleife und sonstigen unlauteren
Manipulationen beim Ankauf niemals
abgegangen ist . 17*
240
Das russische Kriegspferd .
auf möglichst billigem Wege unter Vermeidung hoher Transportkosten ihre Remontepferde aus denjenigen Gegenden zu beziehen , in welchen die Pferde einen anerkannt niederen und ständigen Preis haben . Oft mag aber auch das Sprichwort ,,nach Geld nach Ware" sich bewährt haben, wie denn auch tatsächlich in der russischen Armee ein. sehr unterschiedliches Pferdematerial nach seinem Exterieur vertreten ist .
Es hält oft schwer, einen bestimmten Charakter für die An-
forderungen (nicht für die Rasse als solche ) , die die Militärverwaltung bei dem Erwerb ihrer Pferde zu stellen hatte, herauszufinden , wenn auch dem Laien in der Pferdebeurteilung in den Pferdelazaretten und Erholungsheimen der Garnisonen das russische Beutepferd sofort auffällt. Die russische Pferdezucht wird nämlich zu einem Teile auf methodischem Wege im Sinne einer bestimmten Zuchtwahl durch Inzucht wie durch Kreuzung und Veredelung mit von auswärts eingeführten Rassen betrieben .
Die Gestütszucht entspricht ganz der
deutschen. Sie bewegt sich in geordneten Bahnen , ist staatlich organisiert oder vom Staate beaufsichtigt . wie private Gestüte .
Es gibt staatliche oder Reichsgestüte ,
Außerdem wird in Rußland- und dies scheint
der vorwiegende Betrieb zu sein - die Pferdezucht in Herden (Tapuny) bewerkstelligt .
Es ist dies die freiere und mehr ungebundene Zucht-
wahl insofern , als dieselbe zwar vorwiegend oder sogar fast ausschließlich auf dem Wege der Inzucht betrieben wird, aber die Zulassung zur Zucht, die Zuchtauswahl der Tiere selbst in Hinsicht auf ihre Eigenschaften einer besonderen staatlichen Kontrolle nicht in dem Maße wie bei den Gestüten unterstellt ist .
Die Zucht ist hier mehr in das
Ermessen der einzelnen Pferdebesitzer gestellt.
Auch kommt das
Prinzip der freien Liebe bei diesen Zuchttieren , insoweit die Zucht in den ausgedehnten Steppengebieten in Frage kommt , vielfach zum Ausdruck. Manche derartige Pferderassen galten bis in die neueste Zeit hinein sogar noch als ,,halbwilde ". Die Tapunyzucht findet denn auch vorzugsweise in den Steppen- und Schwarzer de - Gouvernements , im Kaukasus und in Mittelasien statt . Nach einer letzten Schätzung zählte man vor dem Kriege in Rußland 30 Krongestüte mit 2899 Hengsten und 1910 Privatgestüte mit 5138 Hengsten und 37619 Stuten . Die Zucht in Herden wird fast ausschließlich in den Steppen betrieben, in erster Linie von Kosaken , dann durch Kalmücken und Kirgisen.
Unter den verschiedenen Rassen ist weitaus
am stärksten vertreten das russische Bauernpferd , das im Norden , Osten und Südwesten von kleiner, unscheinbarer Gestalt, wegen schlechter Ernährung,
im Zentrum dagegen,
in der Gegend von
Moskau, Jaroslaw, Tambow und Woronesch höher und kräftiger gebaut ist und sich besonders für militärische Zwecke als Zugpferd
Das russische Kriegspferd . eignet.
241
Offenbar in Vorbereitung des Krieges wurde in den letzten
Jahren von der Regierung sehr viel für die Verbesserung des russischen Bauernpferdes getan . Auf diese Weise kam der vorzügliche Traber ( Orlow) im Gouvernement Woronesch zustande , hervorgegangen aus einer Vermischung von Blute .
orientalischem und holsteinisch- dänischem
Derselbe besitzt eine sehr geräumige und rasche Aktion im
Trabe und wird in der Armee als Wagen- wie Artilleriepferd verwendet . Trotz aller Vorzüge des russischen schweren Zugpferdes ist dasselbe aber in seinen Gliedmaßen bei weitem nicht so widerstandsfähig als manche deutsche Rasse . So waren in Sibirien bei den schlechten Wegeverhältnissen oft die besten russischen Zugpferde nicht zu gebrauchen . Sie versagten schon nach kurzer Zeit . ochsen eingestellt werden.
Es mußten dafür schwere Zug-
Diese bewährten sich in jenen , weit vom
Verkehr abgelegenen Bezirken beim Bergwerksbetrieb , z. B. bei der Kupfermine Spassky in Sibirien , nachdem dort die Transportmöglichkeit eine Lebensader für derartige Industrieen bildet, derart , daß denselben allein nach der Ausschaltung der Pferde ein gewinnbringender Betrieb zu verdanken war .
Ähnliche Erfahrungen hat man auch mit
dem russischen Zugpferde im Kriege gemacht . Dasselbe entspricht keineswegs immer seinem Rufe . Die russische Kavallerie verwendet zur Ergänzung ihrer Bestände hauptsächlich vier Rassen ; das Donsteppenpferd ,
ein angeblich ausgezeichnetes Kavalleriepferd von
großer Leistungsfähigkeit . Es wurden jährlich mehr als 5000 Remonten abgestellt, von den etwa 130 Tabunen mit 22000 Mutterstuten , ferner die Kalmückenrasse im Gouvernement Astrachan, mit etwa 30000 Mutterstuten, endlich noch die Kabardinrasse in Ziskaukasien mit etwa 45000 Mutterstuten und die Kirgisenrasse am linken Wolgaufer. Außerdem finden sich noch bessere und größere für Militärzwecke geeignete Pferde in der Ukraine , und zwar zeichnen sich hier besonders die Karabaks aus. Dieses ist der Pferdebestand der Armee für die immobile Formation. Das meiste Interesse bieten die Kosakenpferde .
Der Russe
sagt Kasák , im Plural Kasáki. Man kann nicht vom Kosakenpferde berichten, ohne auch seines Reiters zu gedenken. Das Wort ,,Kasak" ist nach seinem Ursprunge nicht vollkommen aufgeklärt . Manche leiten es ab von ,, Kasa ", russisch ,,Ziege " und bezeichnen damit ärmliche Leute, welche ehemals nur im Besitze einer Ziege waren.
Sicher ist
nur, daß innerhalb des 13. und 15. Jahrhunderts zahlreiche Flüchtlinge während der Tartarenherrschaft, aus Furcht vor jenen oder des ewigen Kriegens müde, und zwar aus verschiedenen Teilen des Reiches , sich in bestimmten Gebieten (die eigentlichen Kosakenterritorien ) niedergelassen und ihre Eigenart als Reiter volk und Pferdezüchter
242
Das russische Kriegspferd .
bewahrt haben .
Dieselben haben im Laufe der Zeit immer weiteren
Zufluß erhalten und sich auf diese Weise auch mit anderen Völkerschaften vermischt. Wenn man von Kosaken spricht , so stellt man sich im allgemeinen darunter ein Reitervolk vor , wilde Krieger, die von Kindsbeinen an mit dem Pferde vertraut , mit diesem aufgewachsen und gewissermaßen verwachsen sind. Kosaken dienen grundsätzlich in der russischen Armee als Reiter und bringen auch meistens bei ihrer Stellung ihre Pferde selbst mit ; sie geben denn auch der russischen Kavallerie eine ungeheure numerische Überlegenheit über alle anderen Staaten . Es gibt 11 Kosaken- ,, Woiskos " , ins deutsche übersetzt ,, Heere ". Die Stärken sind sehr verschieden. In Europa unterscheidet man das Don- Heer, das im Frieden bereits 116 Sotnien oder Eskadrons hat , am Kaukasus das Kuban- oder Terek- Heer , an der unteren Wolga das Astrachan - Heer, am Uralflusse das Ural- Heer und am Uralgebirge das Orenberg - Heer.
Das Ussuri- Heer hat nur eine Sotnie .
Die asiatischen Kosaken weisen nur ein eigentliches Heer mit einem Innenbezirk, nämlich das sibirische auf, während die vier übrigen des asiatischen Kontingents, die von Ssemirjetschemsk ,
Trans-
baikal , Amur und Ussuri Grenzgebiete gegen China bilden.
Nur
das Don- Heer ist ein zusammenhängendes Ganze, alle übrigen sind mit Landesteilen , die nicht zum Heeresgebiete gehören , durchsetzt oder , wie beim Astrachan- Ssemirjetschemsk- Heere in eine Reihe einzelner Parzellen aufgelöst. Das wertvollste Kosakenpferd ist das der Don- Kosaken , von Wuchs klein , mager und leicht , aber feurig , es hat feste Hufe und einen starken Rücken.
Zu Krankheiten ist es wenig geeignet , es ist äußerst
unempfindlich und nimmt mit jedem Futter vorlieb.
Solche Beute-
pferde sind jetzt auch in der deutschen Armee sehr geschätzt .
Das
Pferd der transdonischen Steppe dagegen , welches zur Remontierung der regulären Kavallerie dient , zeichnete sich bisher durch größeren Wuchs, geringere Kraft und Feuer, weniger festen Huf, tiefliegende Augen und Senkrücken, sowie durch große Neigung zu Krankheiten aus . Es ist somit ein sehr bedeutender Unterschied unter den Kosakenpferden vorhanden . Im Gegensatz zur regulären Kavallerie reitet der Kosak ohne Sporen mit der Nagaika , der Peitsche , die Pferde sind nur auf Trense gezäumt , das erste Glied führt bei den meisten Kosakenheeren die Lanze, während die Kavallerie keine Lanzen hat . Die wertvollste militärische Fähigkeit des Kosaken ist noch heute seine Reitkunst von dem Auftreten eines Kosakenkunstreiters mit einer Parade- oder Glanzleistung in einem Zirkus wird man aber
Das russische Kriegspferd . kaum je gehört haben
243
, seine Vertrautheit mit demPferde umzugehen
und auch das wildeste Pferd gefügig zu machen . Allein auch diese Fähigkeiten sind immer geringer geworden und haben mit dem Rückgange der Pferdezucht an Wert verloren . Schon im Japanisch- Russischen Kriege haben die Kosaken als Kämpfer und Reiter versagt, angeblich wegen schlechter Führung , und der gegenwärtige Krieg hat den Nimbus , mit welchem sich die Kosakenreiter zu umgeben verstanden , völlig verscheucht . Die numerische Überlegenheit der Kosaken - dieselben stellen im Fried n einen Pferdebestand von 70000 , welcher im Krieg auf über 270000 Stück geschätzt werden darf
ist noch keineswegs als ein Zeichen ihrer
wirklichen und den Gegner Achtung gebietender Stärke anzusehen. Die Kosaken , jene Stützen des russischen Thrones, entlehnten ursprünglich in Sitte und Brauch viel von den Tartaren , sie führten ein Nomadenleben als kühne Fluß- und Seeräuber, bis sie sich zu den die Steppe beherrschenden Reiterstämmen ausbildeten . Jedenfalls waren die ursprünglichen Kosaken Leute, die ohne feste Wohnsitze und ohne bestimmte Staatsangehörigkeit lebten ; gemeinsame Gefahren scheinen sie zu einem Zusammenschluß gezwungen zu haben . Ihrer Traditionals Räuber, Plünderer, Mordbrenner, namentlich wenn es sich um wehrlose Leute handelt , sind die Kosaken stets treu geblieben. Es beweist dies auch ein alter das Raubritter- und Räuberleben der Saporoger - Kosaken kennzeichnender
Spruch:
99 Wer das
Land bebaut und Getreide säet , den soll man schlagen, bis er stirbt. " Auch die Kampfesweise der Kosaken ist eine perfide und hinterhältige . So wurde vom Felde berichtet , daß sich dieselben katzenartig an die dem Feinde abgewandte Seite des Pferdes hängen, um den Eindruck zu erwecken, dieses sei reiterlos . Im gegebenen Augenblick schwingen sie sich wieder in den Sattel, eine Taktik, welche häufig beobachtet wurde. Nach alledem darf der Kösak mit seinem Pferde im modernen Kriege und gegenüber einem ernsten Gegner mehr und mehr als eine tragikomische Figur beurteilt werden. Erwähnenswert ist noch eine ganz besondere Art von ReitDieselben werden als Jagdrennpferde rennpferden in Rußland. den Jagdverwendet und passen sich an den Jagdlaikentypen hunden (Verbellern )
; es kommen für solche Zwecke die kaukasischen
Gebirgspferde , die kalmückischen Steppenpferde und die Rasse vom Don, die gemeinsam mit den Laikis auf Wild, auch Haarraubwild, verwendet werden , in Betracht .
Jagdlaiki und Reitrenntiere sind die
unzertrennlichen Gefährten und Freunde der russischen Gebirgsjäger auf Haarwild, der Lamuten und Tungusen .
Es sind dies Jäger des
244
Das russische Kriegspferd .
Gebirgsurwaldes , die nomadisierenden Bewohner des Stanoivoigebirges mit seinen Vorzweigen . Wie die Hunde als unermüdliche und beste Verbeller der Welt - es kommen ganz bestimmte Rassen mit verschiedenen Typen in Betracht - , bekunden auch diese Jagdrennpferde eine
außerordentliche
Ausdauer,
Schnelligkeit
und
Behendigkeit .
Solche Tiere bewähren sich auch als Reitpferde für schnellstes Tempo und wegen ihrer großen Genügsamkeit in bezug auf Verpflegung im Gebirgskriege . Überhaupt haben sich jetzt unter deutscher und österreichischer Führung die russischen Steppenpferde , gegen die bald nach Beginne des Krieges gewisse Vorurteile bestanden hatten, sogar gut bewährt . Der niedere Typus für das Reitpferd hat sich beim Steppenpferd ähnlich wie bei dem früher wenig geachteten unansehnlichen ruthenischen Bauernpferd im Gebirgskrieg weit zweckmäßiger erwiesen als jener der verfeinerten Schläge mit dem hohen Körpermaß. Dem russischen Kriegspferd kommt zustatten der Umstand , daß in Rußland die Pferde vor dem vierten Lebensjahr nicht eingespannt. werden.
Manche Steppenpferde werden überhaupt nicht beschlagen,
andere , und zwar Bauernpferde, werden nur im Winter beschlagen . Übrigens liegt der Hufbeschlag in Rußland noch sehr im argen . russische Hufeisen zeigt eine sehr wesentliche Verschiedenheit .
Das Dem
Hufbeschlag wurde bis jetzt nur wenig Sorgfalt gewidmet . Nach dem Berichte von Militärtierarzt Dr. Habacher ,,Tierärztl. Zentralbl. " 1915 , S. 358
standen bei den erbeuteten Pferden der Russen primitiv aus-
gearbeitete Schraubstolleneisen sowie Sommereisen zur Verwendung , Zugpferdeisen am äußeren Eisenarm neben dem Griff mit einem kleinen Seitengriff versehen. schmale Querstange .
Das geschlossene Hufeisen besitzt eine sehr
Der Nachschub von Materialien zum Hufbeschlag funktioniert in der russischen Armee überaus unzulänglich. Für den Felddienst werden . von Habacher statt der zwei Reserveeisen vier komplett ausgearbeitete , mit Stahlplatten versehene Schraubstolleneisen zur Verpackung auf den Sattel begutachtet . Es ergäbe sich dabei der Vorteil, einen vollständigen Beschlag in einer Zeit auszuführen , in welcher der Nachschub nicht funktioniert. Das mangelhafte Beschläge des russischen Kriegspferdes hat sich bisher in sehr nachteiliger Weise im Felde bemerkbar gemacht und manche Beweglichkeit der Truppe vereitelt. Wenn man das Verhältnis des deutschen mobilen Armeebestandes von Pferden in analoger Weise auf Rußland anwendet und bedenkt , daß Rußland im Gegensatz zu allen anderen Ländern ohne jede fremde Einfuhr für wirtschaftliche und militärische Zwecke mit seinen Pferden
Das russische Kriegspferd .
245
bestehen kann, so müßte man hier mit einem geradezu unerschöpflichen Kontingent an Pferden für die Armee im Kriege rechnen können . Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erließ Rußland ein Verbot der Pferdeausfuhr an der Westgrenze (verbunden mit einem Verbot der Haferausfuhr ). Man betrachtete dasselbe als das Anzeichen einer schweren deutsch-russischen Verstimmung . Anfangs April 1914 trat ein gleiches Verbot (mit gleichzeitiger Bewilligung von sehr bedeutenden Krediten für den Bau von strategischen Chausseen nach der Westgrenze Rußlands) in Kraft . Ohne durch solche gegen Deutschland und Österreich gerichtete Maßregeln den , wie sich später herausgestellt hat , planmäßig vorbereiteten Krieg in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen, hätte sogar bei gestatteter Ausfuhr der Armeebestand noch keineswegs gelitten . So bedeutend ist das Material an Pferden in dem ungeheuren russischen Reiche . Allein wie das Menschenmaterial, entspricht auch das Pferdematerial im Kriege nicht immer den Erwartungen . Selbst die sprichwörtliche Genügsamkeit und Ausdauer haben beim russischen Kriegspferd gar oft versagt . Es gibt ebenso unterschiedliche Völker als Pferde in Rußland. Letztere sind in der Armee vorwiegend als solche leichteren Schlages , nämlich die Steppenund Kosakenpferde , vertreten . Doch gibt es auch nach dem Körperumfange schwere , mittelschwere und selbst solche schwersten Schlages , also nach der Widerristhöhe niedere , kleine , mittelgroße und große Tiere und nach der Rasse und dem Temperament Kalt- und Warm- und Halbblüter. Die zahlreichen russischen Beutepfer de lassen leicht diese Signatur erkennen . Vorwiegend ist das kalte und Halb - Blut, das kleine und niedere Steppenpferd, und zwar ausschließlich im Dienste der Kavallerie stehend . Bekannt ist , daß der russische Slawe , der Stockrusse, ein wenig ausgebildetes (aber keineswegs unbildungsfähiges), vielfach infolge übermäßigen Alkoholgenusses degeneriertes Nervensystem besitzt.
Man bezeichnet den Stockrussen als wenig intelligent ,
geradezu als stupid . Ganz die gleiche Erscheinung wird bei den russischen Kriegspferden beobachtet . Die vielgerühmten Kosakenpferde der russischen Kavallerie , in welcher vor dem Kriege mancher Pessimist den gewichtigsten Faktor der russischen Überlegenheit gegenüber dem deutschen Heer gesehen hatte , vermochten bisher trotz ihrer Übermacht dem deutschen und österreichischen Kontingent nicht standzuhalten.
Erbeutete russische Kriegspferde der Kavallerie
waren für die analoge deutsche Waffengattung in der Regel ungeeignet. Im Kampf und Getümmel der Schlacht rasen diese Pferde wirr durcheinander , hören auf kein Signal mehr und lassen sich nur schwer einfangen, ganz anders bei den deutschen Kriegspferden. Man könnte. glauben, auch diesen wäre die Intelligenz und im entscheidenden.
246
Das russische Kriegspferd .
Moment die Geistesgegenwart ihrer Herren eigen.
Die meisten der er-
beuteten Russenpferde waren anfangs nur als Zugpferde in der deutschen Armee zu verwenden, oder sie mußten erst längere Zeit in den Remontedepots und in den Garnisonen für die Kavallerie trainiert werden. Die intellektuellen Fähigkeiten des russischen Kriegspferdes stehen in keinem Verhältnis zu seiner körperlichen Widerstandskraft.
Gegen
die Unbilden der Witterung , Strapazen und Krankheiten sporadischer anders bei infektiösen besitzt das Steppenpferd, jedoch Natur nur dieses, eine sehr weitgehende Resitenz . klärlich .
Es ist dies auch er-
Die Steppenpferde kommen in ihrer Haltung infolge des vor-
wiegenden Aufenthaltes im Freien, und zwar ohne Rücksicht auf die Jahreszeit , sowie infolge der reichlichen Ernährung dem Naturzustande , am nächsten. Bei diesen heilen auch Schußwunden am leichtesten und selbst gefährliche Verletzungen, die bei anderen Tieren ungünstig zu beurteilen sind, berechtigen hier oft noch zur Wiederverwendung Rheumatische Erkrankungen , Ernährungsstörungen erder Tiere . langen bei den Steppenpferden nur selten einen gefährlichen Charakter, desgleichen manche Lahmheiten .
Auch vermag sich das abgehärtete
Steppenpferd leichter in unhygienische Verhältnisse einzufinden wie die aus der vorwiegenden Stallhaltung hervorgegangenen russischen Pferde . So kommt die Untugend des ,, Koppens ", bestehend in dem Verschlucken von Luft mit oder ohne Geräusch, nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ein rechtlich erheblicher Fehler, bei den Steppenpferden überhaupt nicht vor.
Man führt dies auf die naturgemäße Ernährung
der Fohlen zurück, indem dieselben schon frühzeitig Rauhfutter erhalten und damit von der Untugend abgelenkt werden . Allein diese , den russischen
Steppenpferden nachgerühmte Widerstandsfähigkeit,
vermag nicht standzuhalten gegenüber den Infektionsstoffen , den Seuchen und namentlich den verschiedenen tierischen und pflanzlichen Schmarotzern . Kein Land der Welt wird so sehr von Seuchen der Menschen und Tiere heimgesucht, wie das russische Reich.
Diese
Erscheinung tritt auch im russischen Pferde bestand zutage . Außerdem besitzt Rußland , dieses neueste Kulturland, sehr unzulängliche sanitäre , wie veterinäre Einrichtungen.
Die Bestechlichkeit und Un-
zuverlässigkeit der einschlägigen Beamten vereiteln auch oftmals Erfolge in der Seuchentilgung . Eigentümlich ist es aber bei diesem Weltkriege , in dem so verschiedene Heeresmassen aus allen Teilen der Welt zu kämpfen haben, daß die ansteckenden Krankheiten ( die sogenannten ,,Kriegsseuchen" ) der Menschen und Tiere , insbesondere der Pferde. bisher weit weniger zum Ausbruch gekommen sind als in allen umfangreicheren Kriegen der früheren Zeit , und zwar selbst bei den russischen Kriegspferden .
Nur die Rinderpest , diese in Rußland
247
Das russische Kriegspferd .
stationäre Seuche, und eine Begleiterin des siebziger Krieges , ist einmal in der Gegend von Brest-Litowsk aufgetreten, konnte aber auf ihren Herd beschränkt und rasch getilgt werden. Selbst der Rotz und die Brustseuche haben sich in Rußland bei den Pferden nicht in dem Maße , wie zu erwarten gewesen wäre, bemerkbar gemacht . Desto mehr tritt aber das Hautungeziefer bei den russischen Pferden infolge der unreinlichen Haltung auf. Ganze russische Kavallerieund Artillerieregimenter sind in ihrem Pferdebestand, gleich den Mannschaften , oft verlaust und Pferde in Massen durch Räude ,, vergrindet " . Die Pferderäude , welche bisher in Deutschland nur ganz selten beobachtet worden ist . - Verfasser lernte während einer nahezu vierzigjährigen tierärztlichen Praxis nur zweimal Räude bei je einem Pferde kennen , ein Fall betraf das Pferd eines durchziehenden Zigeuners ist als Schmutzkrankheit auch die Signatur des russischen Kriegspferdes . Sie entspricht in gewissem Sinne dem Nationale bzw. Essentiale des Russen nach der Kleiderlaus und dem Flecktyphus. Die Milbe der Pferderäude Sarkoptes und Dermatokoptes - Milbe ist auch der Erreger der menschlichen Krätze oder Schäbe , sowie der Räude des Hundes. Infolgedessen ist die Pferderäude , welche ungemein leicht übertragbar ist , und zwar sowohl direkt als indirekt durch Träger und Zwischenträger, jetzt auch im deutschen Heere , wo dieselbe früher so gut wie gar nicht bekannt war, ziemlich stark verbreitet . Es sind daher bei allen Armeekorps zu ihrer wirksamen Bekämpfung einheitliche Vorschriften erlassen. Pferderäude ist keine tödliche Krankheit.
Ihre Behandlung ist aber wegen
der Größe des Heilobjektes sehr mühsam und kostspielig . Auch kehrt die Krankheit , wenn sie getilgt ist , gerne wieder . Die Milbe der Pferderäude vermag sich lange Zeit außerhalb des Körpers lebensfähig zu erhalten . Auf Wiederkäuer und andere , als die genannten Tiere, ist sie nicht übertragbar. Auch beim Menschen hält sich die Pferdemilbe weniger lange als diejenige der eigentlichen Krätze . Das russische Kriegspferd ist aber nicht bloß der Träger spezifisch tierischer Parasiten, wie der Räudemilben , Lausfliegen, Haarlinge , es kann auch mit den menschlichen , wie mit der Kleiderlaus , den Flöhen und Wanzen, analog den Reitern, Führern und Begleitern der Pferde behaftet sein. Keine Armee der Erde weist in ihrem Pferde- und auch Menschenmaterial soviel Unrat russische .
und Ungeziefer
auf
als
die
99Und Rußland kämpft bis zum letzten Muschik für Zivili-
sation und Kultur und gegen die Vorherrschaft der in Deutschland verkörperten Barbarei !" Im Winterfeldzug, in welcher Jahreszeit die Parasiten auf der Körperoberfläche und in der Bedeckung der Tiere Schutz gegen die Kälte suchen, macht sich dieser Mißstand
Literatur .
248
ganz besonders bemerkbar. Der Flecktyphus , als Lagerungs- oder Schmutzkrankheit bezeichnet, weil fast ausschließlich durch die Kleiderlaus übertragbar, wurde stets mehr im Winter als im Sommer beobachtet .
Diese Erscheinung tritt in Rußland auch bei den an-
steckenden, auf einem tierischen oder pflanzlichen Parasiten basierten Hautkrankheiten , neben der Räude besonders bei den verschiedenen Flechtenarten der Kriegspferde hervor. Vor dem russischen Kriegspferd als solchem braucht die deutsche Armee ebensowenig als vor dem russischen Kämpfer zu bangen. Unsere phänomenalen , man
möchte
fast sagen,,, märchenhaften"
Erfolge
gegenüber der russischen Übermacht haben dies bewiesen und werden auch in Zukunft noch weiter hiervon Zeugnis ablegen.
Allerdings
war man nicht darauf in Deutschland vorbereitet, daß die dem russischen Soldaten und Pferde anhaftenden ,, Kampftiere", zu deutsch die „ Verlausung“ und „, Vergrindung" so großen Schaden , wie er durch dieselben im Felde und auch im Binnenlande bereits eingetreten ist , anrichten können , unter dem aber der Russe selbst noch mehr als seine Gegner im Kriege zu leiden hat.
Literatur.
I. Bücher. Die Türkei .
Bilder und Skizzen von Land und Volk.
Von F. Endres ,
Kgl. bayer. Hauptmann im Generalstabe, Kaiserlich ottomanischer Major a. D. München , C. Beck. 300 S. Preis geb. 5 M. Dem Verfasser war in seiner Eigenschaft als Major im türkischen Generalstabe in mehrjährigem Aufenthalt Gelegenheit geboten , die Türkei genau kennen zu lernen . Die durch ernstes Malarialeiden erzwungene Untätigkeit drückte ihm die Feder in die Hand . Sein für weiteste Kreise bestimmtes, fesselnd geschriebenes Buch wird sich als besonders geeignet erweisen , dem deutschen Volke das jetzt so nötige Verständnis des verbündeten Landes und Volkes zu vermitteln . Behandelt werden Gesellschaft und Sitte (wir verweisen besonders auf den Abschnitt ,, Der Islam als Religion " ), Zur neueren Geschichte der Türkei, Völkische Verhältnisse im türkischen Reiche, Volkswirtschaftliches , Von türkischer Kunst und Literatur. Eigene Beobachtung und genaue Kenntnis der einschlägigen Literatur haben ein Bild entstehen lassen, was in allen Teilen ernste Beachtung verdient. Besonders mache ich auf den interessanten Abschnitt aufmerksam : Die Zeit der Revolution ; hervorgehoben wird hier das Verdienst Enver Paschas und Talaat Beys um die Gesundung der Türkei in der kurzen Zeit zwischen dem Ende des Balkankrieges und der Parteinahme für die
Literatur.
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Mittelmächte. Den Gegensatz zwischen Osmanen und Arabern hätte ich schon mit Rücksicht auf manche andere Fragen (Khalifat u . a. , Verlegung der Hauptstadt) gern eingehender behandelt gesehen. Das gut geschriebene Buch, das bereits nach 3 Monaten in 2. Auflage erBalck. schienen ist, kann ich besonders empfehlen. Im Krieg in Paris. Beobachtungen eines deutschen Journalisten in Paris 1915. Von C. A. Bratter. Berlin . Concordia Deutsche Verlagsanstalt. Ein deutscher Journalist hatte den Mut, unter geschickter Maskierung mitten im Dröhnen der Kanonen von Genf aus nach Paris zu reisen und sich dort anderthalb Wochen mit berufsmäßig geschulten Augen umzuschauen . Und nun berichtet er, was er gesehen und erlebt hat. Er fand ein innerlich morsches, haltloses , intellektuell tief gesunkenes Volk, ein Volk ohne Stütze, das nach den ersten entscheidenden Schlägen in sich selbst zusammenbrechen wird. Sein Haß ist in hellen Wahnwitz übergeschnappt, seine aus diesem Höllengrimm geborene Phantasie wälzt sich in Kot und Unflat, seine vorgebliche Siegeszuversicht ist in Wirklichkeit die fieberisch erregte Gewinnhoffnung des Roulettespielers in Monte Carlo. " (Beobachtungen in der zweiten Januarhälfte vorigen Jahres .) In einer Reihe fesselnd geschriebener Bilder zeigt der Verfasser, wie sich das Leben in Paris abspielt, er hebt treffend die charakteristischen Eigenschaften hervor, vergleicht das jetzige Paris mit dem früheren und gibt auf diese Weise die Grundlagen, auf denen sich das vorher mitgeteilte Urteil aufbaut. Wenn man die verschiedenen Skizzen gelesen hat, muß man dem Verfasser in seinem zwar harten , aber zutreffendem Urteil vollkommen zustimmen . Die Kenntnis des französischen Volkscharakters, er sich unter der Einwirkung des Krieges gibt, die allgemeine Stimmung des Volkes sind wichtig für uns alle, um die wahren Stimmungen, die wirklichen geistigen und seelischen Triebkräfte des heutigen Frankreichs kennen zu lernen . Man gewinnt dadurch eine feste Grundlage, auf der sich zuverlässige Urteile und Berechnungen aufbauen lassen. Der Verfasser hat es außerdem verstanden, seine Eindrücke in einer sehr fesselnden und anregenden Weise wiederzugeben, so daß man das Buch mit einem wahren Genuß liest. Mit einem durch geschichtliche und kulturhistorische Studien gereiftem Blick werden die Erscheinungen des täglichen Lebens beobachtet und nach ihren Ursachen und Beweggründen beurteilt. Besonders anregend ist das Buch für alle diejenigen , die Paris selbst kennen und die nun sehen, wie sich die Verhältnisse unter dem Einflusse des Krieges verändert haben . Wir können dieses Buch auf das wärmste v. S. empfehlen.
ant Meine Abenteuer als Spion . Von Generalleutn Sir Robert Badenen Powell . Aus dem Englisch übersetzt von Reinhold Anton . ndos g Mit Genehmigun des Generalkomma des XIX . Armeekorps . Mit vielen Illustrationen . Verlag Otto Gustav Zehrfeld . Leipzig . Preis 1 M.
250
Literatur.
Der Verfasser ist in Deutschland weniger durch seine militärischen Fähigkeiten als durch seine Tätigkeit als Gründer und Förderer der. englischen Pfadfinderbewegung bekannt. Während des jetzigen Krieges hat er eine aktive Kommandostelle nicht bekleidet, an Stelle davon hat er des öfteren geredet und obendrein ein Buch über seine Tätigkeit als Spion herausgegeben, von dem es eigentlich zweifelhaft erscheinen mag, ob er seinem Vaterlande damit einen besonders großen Dienst erwiesen hat. Unbedingt ist Baden - Powell einer der erfolgreichsten Spione des britischen Heeres gewesen . Dieses Urteil bleibt auch bestehen , wenn man die Hälfte dessen , was er berichtet, als unwahrscheinlich abzieht . Seine Berichte und Meinungen über Deutschland sind ein Gemisch von Wahrheit, Dichtung und Übertreibung. Mit einer für einen Briten etwas ungewöhnlichen Phantasie sieht er überall dort Erfolge seiner eigenen Tüchtigkeit, wo ihm die Dummheit oder Unvorsichtigkeit der Auszuspionierenden zu Hilfe kam . Köstlich wirkt auch die Überhebung, mit der er die nichtbritische Spionage als zwecklos und unnütz abtut, und namentlich die angeblich außerordentlich großzügige deutsche Spionage ist stets an der ebenso außerordentlichen britischen Schlauheit gescheitert. Als beste Antwort sei auf den Prozess hingewiesen, in dem sich der Admiral des englischen Mittelmeergeschwaders zu verantworten hatte, weil er unsere „ Goeben “ und 99„ Breslau“ aus dem Hafen von Messina hatte entkommen lassen . In seiner Verteidigungsrede führte nach englischen Zeitungsmeldungen der Admiral an , daß er einen drahtlosen Befehl erhalten hätte , seine Schiffe an der und der Stelle zusammenziehen . Dieser Befehl sei in den Zeichen des Geheimcode abgefaßt gewesen , der nicht einmal den Schiffskommandanten , sondern nur den Kommandierenden Admiralen und ihren Stellvertretern zugänglich und bekannt sei. Der Befehl war aber, wie sich erst später herausstellte , ein Funkspruch von der „ Goeben" ! Infolgedessen mußte der ganze Geheimcode der englischen Marine von Grund aus umgeändert werden . Nach allgemeinen Betrachtungen über die verschiedenen Arten. von Spionen, Verständigungsmöglichkeiten usw. berichtet der Verfasser über seine Abenteuer als Spion in Dalmatien , der Türkei , Bosnien , Italien und anderen Ländern . Eines der fesselndsten Kapitel ist der Ausspionierung von Festungsanlagen gewidmet , das seinen Reiz noch besonders dadurch erhält , daß eigene Zeichnungen des Verfassers sie erläutern . Für den Spion kommt es natürlich in erster Linie darauf an, seinen militärischen Aufzeichnungen ein äußerlich harmloses Gewand zu verleihen, damit im Falle einer Verhaftung oder Durchsuchung seiner Papiere diese nichts Verdächtiges enthalten. So muß er nach. „ Verkleidungen " suchen , die ihm selbst alle Geheimnisse offenbaren , einem anderen aber als Skizzen eines Sammlers oder Fachgelehrten erscheinen müssen . In die Umrißzeichnung eines Schmetterlings war mit einfachen Linien der Grundriß eines Forts und auch der Standort und die Stärke der Geschütze eingezeichnet . Die rechts und links des Schmetterlingsleibes über die Flügel laufende Zeichnung enthält die Gestalt des Forts, wobei der Schmetterlingskopf nach Norden weist .
Literatur.
251
Die Zeichen auf den Flügeln zwischen den Linien haben nichts zu bedeuten, die auf den Linien dagegen geben Aufschluß über Art und Größe der Geschütze . Die beiden gezackten Kleckse auf dem unteren Flügelpaar bezeichnen schwere Geschütze von über 15 cm-Kaliber. Ein kleiner schwarzer Kreis gibt Feldgeschütze und zwei Punkte hart an der Linie Maschinenkanonen oder Maschinengewehre an. Der Standort der Geschütze ist in der Schmetterlingsskizze durch Weiterführung der betreffenden Linien innerhalb des Fortsumrisses derartig bezeichnet, daß der Endpunkt der Linien die Stellung des Geschützes angibt. Eine in der Tat hervorragende Leistung auf dem Gebiet des Eine geradezu Verbergens ist auch die Skizze eines Efeublattes. geniale Arbeit ist die Zeichnung eines Schmetterlingskopfes . Um jeglichen Argwohn zu verschleiern , schrieb Baden- Powell in sein Skizzenbuch : „Kopf des Dulafalters, durch ein Vergrößerungsglas gesehen. Etwa das Sechsfache der natürlichen Größe." Und was stellt nun dieses Falterköpfchen in Wirklichkeit dar ? Ein Fort auf einer Bergspitze, das zum Zweck einer Flußsperre angelegt ist. Man wird zugeben müssen , daß eine gehörige Portion Scharfsinn und Geschicklichkeit dazu gehört, um derart irreführende Zeichnungen zu erfinden. In der Tat muß Baden- Powell, wie aus seinen Erzählungen hervorgeht, ein außerordentlich geschickter Spion gewesen sein . Was er sonst noch erlebt, die oftmals sehr kritischen Lagen, in die er bei der Ausspionierung militärischer Geheimnisse geriet, seine Festnahme und seine Flucht mag ein jeder selbst nachlesen . Nochmals sei aber ausdrücklich davor gewarnt , seinen tendenziösen Behauptungen über Deutschland Glauben zu schenken . Daß unsere Militärbehörde das Werk freigegeben hat, beruht vermutlich auf der Erwägung, daß unser Volk daraus größere Vorsicht jedem Fremden gegenüber lernen kann. Hoffentlich wird dieser Zweck erreicht. Balck. Die Entscheidungsschlachten der Weltgeschichte von Marathon bis Tsushima. Ein Buch vom Ringen der Völker um die Machtstellung in alter und neuer Zeit. Herausgegeben von Walter Heichen. 472 Seiten mit 12 Bildnissen , 22 Karten, Plänen und Darstellungen von Schlachten . Altenburg. Preis 5 M.
Verlag von Stephan Geibel in
Als Vorbild und leider teilweise auch als Quelle hat Creasys Buch " The Decisive Battles of the World from Marathon to Waterloo “ gedient . Wir bedauern dieses, da infolgedessen so manche neuere Quellen für die Zeit bis Waterloo nicht benutzt sind, auch vermissen wir für diese neuere Zeit die Veröffentlichungen der Generalstäbe der beteiligten Heere . Für Leipzig sind z. B. längst überholte Werke wie Beitzke , Förster u . a. aufgeführt, während die neueste Darstellung des Generals v. Friedrich erst die Grundlage für eine Schlachtendarstellung geschaffen hat. Dieses sei nur als Beleg angeführt. Heichen gliedert seinen Stoff in 43 Kapitel, deren jedes eine Schlacht vorführt . Jedoch nicht etwa in dem Sinne, daß der Verfasser sich darauf beschränkt, eine Schilderung des Kampfverlaufes zu geben ,
252
Literatur .
sondern wir erfahren die Ursachen , die zu dem Kriege führten , welchen die betreffende Schlacht entschied , wir werden in die Lage versetzt, die Mittel zu prüfen , die die auf beiden Seiten kämpfenden Parteien mitbrachten , und wägen die Folgen des Krieges ab. Sehr dankenswert ist die jedem Kapitel angefügte Übersicht über die weltgeschichtlichen Geschehnisse bis zur nächsten Schlacht. Balck.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher . (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Maſsgabe ihrer Bedeutung und des verfagbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Humboldt-Akademie Freie Hochschule. Vorlesungsverzeichnis für das 2. Vierteljahr 1916. April- Juni. 38. Studienjahr 1915/16. 2. Chronik des Deutschen Krieges. Band VII und Ergänzungsband. München . C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung. Geb. 2,80 M. 3. Boruttau . Die Arbeitsleistungen des Menschen . Einführung in die Arbeitsphysiologie. Aus Natur und Geisteswelt, Nr. 539. LeipzigBerlin 1916. B. G. Teubner. Geb. 1,25 M. 4. Blau. Das Automobil . III . Aufl . Aus Natur und Geisteswelt, Nr. 166. Leipzig- Berlin 1916. Geb. 1,25 M. 5. Dietz, Disziplinarstrafrecht, Beschwerde recht, Ehrengerichtsbarkeit für Heer, Marine und Schutztruppen . Rastatt 1916. K. u . H. Greiser. 6. Galm , Merkbüchlein für Kriegsteilnehmer, deren Angehörige und Arbeitgeber über die Kranken- , Invaliden- , Unfall- und Angestelltenversicherung, sowie über die Kriegswochenhilfe. Aschaffenburg. Verlag der Krebsschen Buchhandlung. Stück 0,20 M. , 100 Stück 15, - M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z. D. H. Rohne) enthält u. a. folgende Arbeiten :
Riensberg, Oberst z. D.: Das rauchschwache Pulver. Unter der Herrschaft der schweren Artillerie. Krebs , Wilhelm : Die Hörweite des Geschützdonners. VI. Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
1
XXIII. Vom Fahneneid. Von
Dr. jur. Friedrich Everling¹ ) .
Vom Fahneneid ist auch im Frieden
viel geredet
worden.
In
Parlamenten, auf Kanzeln und Kasernenhöfen . Doch muß eine Zeit anders sein als der letzte Friede es war, um seinen ganzen Gehalt werten zu können . gegeben hat
Der Krieg, der dem Pathos sein Recht wieder wie ein feinsinniger Politiker es ausdrückte ver-
langt von Tausenden, daß sie ihren Schwur mit ihrem Blut besiegeln . Heute wird alles eingesetzt für den einen patriotischen Zweck, militärische , wirtschaftliche und moralische Größen. Man kann diese letzteren nicht nach Zahl und Maß bestimmen. Man kann nicht sagen, wie viel Armeekorps der Fahneneid wert ist. Und doch erscheinen, wie Clausewitz es ausdrückt, die physischen Kräfte im Krieg fast nur wie ein hölzernes Heft, während die moralischen das edle Metall , die eigentliche blank geschliffene Waffe sind " . Der Fahneneid soll diese Waffe schärfen und blank erhalten . Darum geziemt es uns Daheimgebliebenen , über seine Bedeutung nachzudenken , von seiner Wirkung werden die Heimkehrenden erzählen können . Man hat manchmal gefragt , welche Fakultät, welcher Beruf für die Beurteilung dieses Instituts zuständig sei. ein religiöser Eid ist,
der Jurist,
da es
Der Theologe,
da es
eine Rechtseinrichtung
ist,
der Politiker, denn bei jeder politischen Krise stieß man sich irgendwo an diesem Eid , der Philosoph - die Wirkungen des Eides liegen ja auf ethischem und ästhetischem Gebiet oder der Soldat , der ihn schwört und in Krieg und Frieden unter seinem Schatten steht. In Wahrheit sind sie alle beteiligt und außer ihnen noch der Historiker und Literarhistoriker, die seine Wirkung aufzeichnen. ¹) Wir verweisen hier auf den Aufsatz des gleichen Verfassers in D. Schriftltg... Nr. 523, 1915 „ Seine Majestät an Seine Offiziere ". 18 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 537.
254
Vom Fahneneid . Weil der Eid ein Grenzgebiet ist,
eine rasche
Kritik und,
wie
trat in der Literatur häufig
Hubrich rügt ,
eine gewisse Oberflächlichkeit der Anschauungsweise zutage, und weil der Eid religiöse und politische Glaubensfragen berührt, fand sich oft ungeschultes Interesse zum Kritisieren verleitet, und im Tageskampf zeigt manche Äußerung mehr Leidenschaft als Überlegung. ❤ Eidesnot " besteht, wie Schon durch die Frage : ob man
Daß in religiöser Beziehung eine die Theologen sagen, ist zweifellos .
überhaupt schwören dürfe ; dann : ob der gegenwärtige staatlich normierte christliche Eid der rechte sei ; und schließlich : ob dieser Eid in der Praxis nicht mißbraucht würde . Die erste Frage ist stets von vielen verneint worden. tum
fand die
Sophistik
heraus,
daß
man
einen
Im Alter-
auf die
Dauer
wirkenden, also einen promissorischen Eid , überhaupt nicht leisten könne, da der Mensch sich ständig ändere und heute nicht wisse, wie er morgen geartet sei. Aber das sittliche Selbstbewußtsein überdauert diese Handlungen . soll der Eid überwinden .
Und gerade die Wandelbarkeit des Willens
Andererseits haben tiefreligiöse Menschen eingewendet, man dürfe einen religiösen Eid nicht leisten . Aber jeder Eid ist religiös , selbst wenn man sowohl den Begriff Eid unter Einbeziehung der eidesstattlichen Versicherung, des Ehrenworts usw. (dagegen z . B. als auch den Begriff Religion - als das Verhalten Hartlieb) ― - ganz weit faßt. gegenüber des Metaphysischen
Als zum erstenmal das gegebene Wort nicht glaubwürdig genug war - der Andere verlangte bessere Bürgschaft - als alles Vieh und Felder, Kleider und Waffen verpfändet oder als unzureichend zurückgewiesen worden war, da griff der Mensch in das Reich der Religion. Er setzte juratorische Kautionen . Er nannte ein Gut, das ihm teuer war, eine Macht , die es vernichten konnte, und tat dies in dem Glauben ,
diese Macht werde an diesem Gut im Fall des Eidbruchs
sich verderblich zeigen .
Diese drei Merkmale gehören zu jedem Eid,
auch wenn sie, wie es die Regel ist, nicht alle drei genannt werden . Wenn eine Mutter schwört
beim Haupte meines Kindes " ,
so
setzt
sie dies teure Haupt dem Verderben aus ; wenn ein Mann sein Ehrenwort gibt, so gibt er seine Ehre preis, falls er sein Versprechen bricht. Die rächende Macht ist im ersten Falle irgendeine Fügung, im
zweiten das vernichtende Urteil der
eigenen Gewissens. horsam
Wenn der Soldat also
Standesgenossen schwört
Treue
und des und Ge-
bei Erfüllung seiner Berufs- und Standespflichten „bei Gott
dem Allwissenden und Allmächtigen “
und
„ so wahr mir Gott helfe ,
255
Vom Fahneneid .
so ist das verpfändete Gut : Gottes Hilfe, die rächende Macht : Gottes Allmacht und sein Gottesglaube gibt dem Schwörenden die Gewißheit, Diese dre daß dem Eidbruch die himmlische Strafe folgen werde . Merkmale, die dem Eidgebenden dunkel vorschweben ,
auch wenn er
nur sagt: ich schwöre,
aus religiösen
auch wenn
er
als
Mennonit
Gründen den religiösen Eid verweigert , und mit der in Hinblick auf göttliches Gebot, göttliche Macht und Strafe gesprochene Beteuerungsformel tatsächlich einen Eid leistet , diese drei Merkmale sind bislang, trotz Hirzels tiefgründiger Forschung in der Antike und Laschs kenntnisreicher Schrift über den Eid nicht genügend klar geschieden worden.
Der Eid ist also letzten Endes
ein
Vertrag,
ein Verpfändungs-
vertrag. Letzten Endes müsste bei jeder Eidesleistung zuerst festgestellt werden, woran der Eidgebende glaubt, und danach die rächende
Macht genannt werden, sodann, welches Gut dem Eidgebenden teuer genug ist, daß er seinem Verlust die Nachteile, die das Halten des Eides bringen kann, vorzieht. Dabei hätte der
Gegner die Entscheidung, genau so, wie bei Vertragsstrafe, einer Hinterlegungssumme, einer
Verabredung einer Dabei Hypothek.
würde,
oder wer an keine
wer kein
Gut mehr
zu verlieren
hat,
strafende Macht mehr glaubt, eidesunfähig sein. Diese vertragliche
Grundlage
vermischte
sich,
als
bestimmte
Schwurformeln üblich wurden und vollends, als der Staat eine religiöse Formel gesetzlich bestimmte . Fahneneid,
vom 5. Juli 1831
mit
für den preußischen
Diese Formel
den wir betrachten,
ist sie in der Allg. Kabinettsorder
Ergänzungen vom 19. Dezember 1867
(für
Nichtpreußen) und 12. Dezember 1878 (für Elsaß- Lothringer) niedergelegt diese Formel richtet sich nach den herrschenden Anschauungen der christlichen Kirche . Damit spitzt sich die Frage,
ob man überhaupt,
und ob man
einen religiösen Eid schwören dürfe, dahin zu , ob man diese christliche Formel ableisten darf. In der Ablehnung treffen sich strenggläubige Christen mit solchen, die dem Christentum fernstehen. sagen :
Im Alten Testament hieß es
sollst du fürchten,
ihm sollst du
zwar
dienen
Jene
den Herrn deinen Gott und bei
seinem Namen
schwören" (V. Mos . 10 , 30) und " wer bei Gott schwöret, wird gerühmet werden " (Ps . 63 , 12) ; dem stehen aber im Neuen Testament (Matth. 5, 33 ) die Worte gegenüber : aller Dinge nicht schwören sollt. "
„ Ich aber sage euch ,
daß ihr
An diesem μὴ ὅλως kommt
grammatische Auslegung nicht vorbei.
Die
Konsequenz
Mennoniten und verweigern die Eidesleistung.
ziehen
die die
Ihre Weigerung ist
durch Kriegsministerial-Erlaß vom 28. Januar 1869 erneut sanktioniert. 18*
256
Vom Fahneneid .
Hier ist bestimmt, daß sie mit Ableistung eines Eides verschont und die erforderliche Zusage mittelst Handschlags angenommen wird. wurde schon erDaß dies ein Eid ist ― oder eine leere Formel wähnt. Gegenüber dem Eidesverbot der Bergpredigt wird angeführt " wie überhaupt in der Bergpredigt, so seien auch hier ideale Forderungen aufgestellt (Wiehe). Noch mache aber das Mißtrauen unter den Menschen den Eid als „ Konsequenz der einer „ bedauerlichen Notwendigkeit “ (Lemme).
Sünde " (Rothe) zu Ein Beweis dessen
sei der Eid, den Christus selbst (Matth . 26 , 63f) leistet . meine ich, darf man nicht vergessen , daß
Und endlich .
unter Deutschen zu allen
Zeiten der Eid heiliger gehalten worden ist,
als
unter den anderen
Völkern, insbesondere heiliger als unter den Juden zu Jesu Zeit. Manche setzen dem Eidesverbot auch das Bibelwort : „ Seid untertan eurer Obrigkeit " entgegen. Das involviert den Vorwurf gegen den Staat,
er zwinge zu einer unchristlichen Handlung.
er dies könnte , folgt aus seiner Souveränität.
Daß
Daß es nicht in seiner
Absicht liegen kann, folgt aus Artikel 13 der preußischen Verfassung. dem Grundsatz vom christlichen Staat. Und daß er auch den Vorwurf in dieser Richtung vermeiden will, sicht auf die Mennoniten.
zeigt
die gesetzliche Rück-
Diese Rücksicht auf religiöse Empfindung geht noch weiter. Kriegsministerialerlaß vom 27. Dezember 1866 bestimmt : wendung von Zwangsmitteln
„ Die
Ein An-
zur Herbeiführung der Eidesleistungen
erscheint gesetzlich ebenso unstatthaft,
als
von Strafen wegen der Eidesverweigerung" .
die
etwaige
Verhängung
In solchen Fällen wird
vielmehr dem Rekruten zu Protokoll eröffnet, daß er ebenso behandelt werden würde , als ob er den Eid wirklich abgeleistet habe. Offizier freilich,
wo
im Fahneneid der
Untertaneneid,
Bei dem
den er als
Soldat leistet, und der Diensteid , den er als Berufssoldat leistet, vereinigt sind, wird analog dem Fall des Beamten, der den Beamteneid nicht leisten will, in einer Weigerung ein Grund zur Dienstentlassung zu sehen sein.
Einmal, weil die Dienstentlassung wohl als ein Nach-
teil, aber nicht als eine Strafe aufgefaßt werden muß, und dann weil der Staat gerade bei den Untertanen, nehmsten Dienstverhältnis stehen,
die als Offiziere in dem vor-
das die
Welt kennt,
weder eine
Abweichung von der christlichen Basis, auf der er ruht, dulden , noch auf die besondere Sicherheit, die der Eid gibt, verzichten kann. In der Literatur liest man allenthalben , der Fahneneid würde kommandiert . Daraus entnehmen die einen , daß er eine petrefakte Formel ohne Inhalt sei feierliche Worte, und die Andern, daß "gezwungener man seine Bedeutung und Heiligkeit mißbrauche Eid ist Gott leid " ; daraus folgern wieder manche, daß er nicht ver-
257
Vom Fahneneid.
bindlich sei,
weil
er nicht freiwillig wäre .
Diese Folgerungen sind
nicht richtig, denn die Voraussetzung ist falsch .
Der Fahneneid hebt sich gerade dadurch ab gegenüber dem Zeugeneid und dem Offenbarungseid , daß er nicht durch Beugestrafen erzwungen wird . Gewissenspflichten , wie sie der Eid begründet , und Gewissensstrafen, wie sie der Schwörende auf sich nimmt, können nur freiwillig übernommen werden . Zu dem Vertrag, der grundsätzlich zwischen
den Parteien beim
Eide geschlossen würde , kommt eine Art vertraglicher Übernahme der Strafe, die aus den Worten 99 so wahr mir Gott helfe " zu entnehmen ist.
Und zwar ist diese Strafe solcher Art,
daß sie,
der höchsten
Gerechtigkeit anheimgestellt , aber schon im Diesseits im wirksam , keinen Fall ungestrafter Pflichtverletzung zuläßt . imperfecta gibt es gegenüber dieser Strafart nicht.
Gewissen Eine lex
Es gibt keinen
Freispruch mangels Beweises , keine Straffreiheit wegen Geringfügigkeit der Tat, keinen Strafaufschub und keine Verjährung . sich die Strafe völlig dem Vergehen an,
Vielmehr paßt
nur mit der Besonderheit,
daß , je feiner ein Gewissen ist und je seltener
es straffällig werden
wird , um so schärfer wird es im Fall einer Pflichtverletzung sich selbst das Urteil sprechen . Das Gewissen ist die Fähigkeit sittlicher Selbstbeurteilung. Eine Fähigkeit , die automatisch wirkt man liest das bei Shakespeare (Richard der Dritte I, 4) : gefährlich Ding, es macht einen zur Memme.
„ Es
ist
ein
Man kann nicht stehlen,
ohne daß es einen anklagt , man kann nicht schwören, ohne daß es einen zum Stocken bringt. " So das „ gesetzgebende Gewissen “ , wie Wundt sagt, ebenso soll der Eid das „ antreibende " tende Gewissen " wach halten. Die Worte
So wahr mir Gott helfe
und
enthalten
das „ rich-
eine bedingte
Selbstverfluchung. 99Eine Selbstverfluchung, also eine Roheit . . . ein gemeiner Frevel " , ruft Palmer aus. Eine widerchristliche Verfügung über sich selbst , meint Wuttke , eine frevelhafte Aufforderung an Gott, daß dieser selbst da verdammen müsse , wo er eigentlich begnadigen möchte. " Auch Martensen nennt es irreligiös , Gott dem Herrn vorschreiben, wenn er strafen solle. etwas 19 vorgeschrieben " ?
Aber wo
wird hier
Wird nicht gerade mit den Worten
„ so
wahr mir Gott helfe " Art und Maß der Strafe, ihre Verhängung und ihr Erlaß in die Hand des Höchsten gegeben ? Nicht eine Gotteslästerung (Kulemann) ist der Eid , sondern vielmehr nach Luthers Worten „ ein sehr schöner Gottesdienst und Anrufung.
Denn wer da
schwöret, der bekennet,
Gunst anruft .
daß er Gott um Gnade und
und von ihm warte , daß er ihn schützen und ihm helfen wollte, und daß
258
Vom Fahneneid.
er ihm selber göttliche Rache und Strafe fluche, wo er mit dem Eid jemand betrüge“ . Der Eid selbst ist kein Mißbrauch der Religion , wohl aber der Mißbrauch des Eides , der zweifellos häufig vorkommt. Zweifellos leistet den Fahneneid manch Einer, der Atheist schwört
einen
der nicht glaubt,
Meineid
und manch Einer, der nicht weiß,
was
in diesem engeren Sinne -
was er sagt,
als feierliche Formel unüberlegt abgeleistet.
mancher Eid
wird
Die Eidesgegner, die ihn
mit Überlegung verweigern, handeln da moralischer. Aber soll wegen dieses möglichen Mißbrauchs der Eid abgeschafft werden ? Soll deshalb „ das letzte Band " , wie Bauer sich ausdrückt, zwischen Staat und Religion zerschnitten werden ? Wir haben einen christlichen Staat, nicht einen religionslosen , wie Mauthner behauptet, und es handelt sich hier nicht um eine konfessionelle Moral ™ (Reichenbach) ,
sondern
irdischen Organisation
um
die
Durchdringung
mit religiösen Gedanken.
der
höchsten
Man soll nicht aus
Rücksicht auf die Heiligkeit der Religion ihre Wirksamkeit ausschalten das hieße , sein Gold aus Angst vor Dieben vergraben . Seine Majestät der Kaiser hat 1896 bei einer Rekrutenvereidigung ausgesprochen : „ Ebenso wie die Krone ohne Altar und Kruzifix nichts ist,
ebenso ist das Heer ohne die christliche Religion nichts. “ Prinz Friedrich Karl hat einmal gesagt : „ Ein guter Christ kann kein schlechter Soldat sein " ,
und
umgekehrt
lautet ein Kaiserwort :
„ Ein guter Soldat ist auch ein guter Christ" . Gerade
der
Fahneneid
ist
der
Glauben den Herzen näher zu bringen . herr in einer Ansprache geführt.
an die
beste Anlaß,
einen kräftigen
Das hat der Oberste Kriegs-
Marinerekruten in Kiel
Es heißt da von unseren Vorfahren :
1894 aus-
,,Wie sie einst gegen
die Römer in den Krieg zogen, stiegen sie über die Berge und sahen sich plötzlich den gewaltigen Heeresmassen gegenüber . Da wußten sie, was für ein schwerer Augenblick bevorstand. Ehre,
indem
sie zuerst beteten
und dann,
Sie gaben Gott die
mit Ketten
zusammen-
geschlossen, Mann an Mann sich auf den Feind warfen und ihn besiegten. Nun , die wirklichen Ketten brauchen wir nicht mehr, wir haben eine kräftige Religion und den Eid . Bleibt dem treu und denkt daran, mögt ihr im Inlande oder Auslande sein ! Haltet eure Fahne hoch, die hier schwarz-weiß-rot vor euch steht und denkt an euren Eid, denkt an euren Kaiser!" Die landesväterliche Mahnung : „ Vergeßt nicht, was euch eure Eltern schon gelehrt haben : Religion und Gottesfurcht. Dann werdet ihr euch auch wohl fühlen in euren Dienstverhältnissen “ ,
kehrt bei den Rekrutenvereidigungen,
denen in
Berlin und Kiel Seine Majestät regelmäßig beiwohnte, immer wieder.
Vom Fahneneid.
259
Richtig führt Scheibert in seinem Offiziersbrevier aus : „ Wenn auch die Armee nie ein Konvent von Betschwestern werden wird oder soll, so ist doch die Gottesfurcht das einzige Bindemittel, welches Leugnen die Leute erst das den Soldaten an die Fahne fesselt . Dasein Gottes in ihren Herzen, so verliert die Treue zum Kaiser ihren Halt, der Eid seine Bindekraft. "
Wer also
oft
nur in wei-
bischer Popularitätshascherei “ den Mannschaften die Religion aus dem Herzen wegspottet , der „ frevelt sinnlos an dem Heer und dem Vaterlande" . Der Eid ist gegründet auf die Religion , die Treue auf den wer aus diesem Gebäude Eid, die Kraft des Heeres auf die Treue den grundlegenden Stein herausreißt, hat Mitschuld an dem ganzen Zusammenbruch. Für manchen Mann ist der Fahneneid der einzige tiefe religiöse Hier, wo Tausende schwören und alle Eindruck seines Lebens . Das männliche in Waffen, schämt er sich seines Gefühls nicht. Empfinden bedarf, wo es weichere Regungen äußert, eines Gegenwie es der militärische Ton und der straffe Dienst darstellen. So erklärt sich auch der seltsame Gegensatz in den tausend
gewichts,
Geschichten und Bildern aus dem Felde , die das reiche Gemüt unserer Soldaten gerade inmitten ihrer grausamen Kriegsarbeit offenbaren . Eine Reihe von Verfügungen über die religiöse Vorbereitung auf den Eid, die neben der militärischen in der Instruktionsstunde gebotenen hergeht, zeigt, wie hoch sie bewertet wird. Bei dem Akt der Vereidigung selbst ist das Vorsprechen der Formel heute von dem Militärgeistlichen auf den Adjutanten oder den eidnehmenden Offizier übergegangen, der seinerseits als „ untersuchungsführender Offizier“ den Auditeur (Kriegsgerichtsrat) zunehmen, abgelöst hat.
in
der Funktion,
den
Eid
entgegen-
Noch in einer Verfügung vom 30. Juni 1831
konnte nur in Ermangelung eines Auditeurs ein Offizier — an dessen Stelle bei Vereidigung von Militärärzten ein Sanitätsoffizier trat Eidnehmender sein. Man hielt nämlich lange Zeit den Eid für eine gerichtliche Handlung, weil er vor Gericht am häufigsten und dem großen Publikum am wirkungsvollsten entgegentritt. Weil er im Prozeß durch Beugestrafen erzwungen und seine vorsätzlich oder fahrlässig falsche Ableistung mit kriminellen Strafen bedroht ist. In der Eidesliteratur wird heute noch unter Eid schlechthin der Gerichtseid gemeint und behandelt. Zumal die Eidesliteratur größtenteils die eingangs erwähnte Eidesnot betrifft und diese wieder am schärfsten vor Gericht in Erscheinung tritt , wo der Eid täglich dutzendfach und oft um
einer Geringfügigkeit willen geleistet wird .
Vorwurf trifft den Fahneid nicht. Tode
des
Schwörenden
oder
Dieser
Seine Wirkung endet nur mit dem
seines
Königlichen Herrn.
Daß sein
260
Vom Fahneneid.
Die Inhalt nicht geringfügig ist, wird noch besprochen werden. Literatur über den Fahneneid - überhaupt den politischen Eid ist im Verhältnis zu seiner hohen Bedeutung und dem reichen Material recht gering.
Eine
gibt es nicht.
Vom theologischen Standpunkt haben sich Huyssen
erschöpfende Monographie über den Fahneneid
und Wiehe dazu geäußert, als militärische Schriftsteller sind v. Gillhaussen und v. Estorff hervorzuheben.
Im
übrigen finden sich
fast in jedem Instruktionsbuch militärische Anmerkungen dazu , so gut wie in fast jedem Staatsrecht juristische Erörterungen.
Die erste juristisch wichtige Frage ist : Ist der Fahneneid eine bloße feierliche ,,rechtlich bedeutungslose Förmlichkeit" (Bornhak) oder schafft er Rechtspflichten ? Das Reichsmilitärgericht , unser ,,Reichsgericht in Uniform ", hat in einem Erkenntnis vom 12. März 1902 dahin geurteilt, daß der Fahneneid als ,, ein den Schwörenden zu erhöhter pflichtgemäßer Aufmerksamkeit und zu gewissenhafter Erfüllung der Dienstobliegenheiten anspornender religiöser Akt aufzufassen ist. " Damit ist gesagt, daß durch den Fahneneid neue Pflichten nicht geschaffen, aber die bestehenden bekräftigt wurden. Diese Pflichten , Treue gegen den Landesherrn, Gehorsam gegen den Kaiser, Erfüllung der Berufspflichten, Wahrung der Standespflichten - sind Rechtspflichten, nicht , lediglich moralische Verbindlichkeiten . “ Ferner hat
hinsichtlich
des Eidgebenden,
des
Soldaten,
das
Reichsmilitärgericht ausgesprochen, daß die Eigenschaft als Militärperson von der vorgängigen Ableistung des Fahneneides nicht abhängig ist. Der Eid begründet also weder die Stellung als Soldat , noch kennzeichnet er den Eintritt ins Heer, noch ist er für die Berechnung des Dienstalters maßgebend , alles im Gegensatz zum Beamteneid, mit dessen Leistung in Preußen der Referendar Beamter wird, vor dessen Leistung der Notar Diensthandlungen
nicht vornehmen
soll, und von dessen Leistung ab nach dem Pensionsgesetz im Zweifel die Dienstzeit gerechnet wird. Hinsichtlich des Eidnehmenden haben sich zwei Meinungen gebildet,
die eine
vertreten durch Hermann
Schulze ,
Bornhak ,
Brockhaus , die andere durch Laband , Meyer und die Mehrheit, die erste unitarischer Natur, die zweite föderalistischer . Die erste geht davon aus, das deutsche Heer sei ein einheitliches , der Deutsche Kaiser,
der den Oberbefehl führt und nach Artikel 64 der Reichs-
verfassung einen Anspruch hat auf eidlich zugesicherten Gehorsam , sei also der materiell Eidnehmende. Der Landesherr, den der Eid nenne, sei nur formell Empfänger des Eides, die Treue, die ihm geleistet werde , sei , wie Bornhak sagt, bloße moralische Verbindlich-
261
Vom Fahneneid . keit, wie Brockhaus meint :
Untertanen-,
nicht militärische Treue .
Der ganze Eid gelte dem Kaiser, die alte Form sei nur in schonender Weise" beibehalten. Diese Ansicht, die sich bestrebt, das Deutsche Heer,
militärisch
das
und politisch,
nach Gesinnung und Wirkung
eines ist in herrlicher Einheit, auch juristisch als einheitliches hinzustellen, ist im Unrecht. Sie tut dem Wortlaut des Eides Gewalt an,
der
in
Wilhelm II . ,
Preußen
99 Seiner Majestät
dem
König
meinem Allergnädigsten Landesherrn " ,
dem König von Bayern,
in Anhalt dem Fürsten ,
von
der
in
Preußen Bayern
in Hamburg dem
Senat und in Elsaß-Lothringen dem Kaiser geschworen wird , weil Diese Ansicht vergißt die eben dort der Kaiser der Landesherr ist . Entstehung des Reichs und übersieht die Militärkonventionen , die übereinstimmend es bei dem Eid an den Landesherrn belassen . Sie setzt das historisch Gewordene lichen Konstruktion ,
beiseite
und macht eine
erheblichen Inhalt des Fahneneides .
zugunsten einer
staatsrecht-
spätere Einfügung zum allein Die
Liebe zu
Alldeutschland ,
die Freude an des Reiches Macht und Herrlichkeit braucht uns nicht die überkommenen wohlberechtigten Staats- und Stammeseigentümlichkeiten vergessen lassen. Der Eid wird dem Landesherrn geleistet,
die Treue gilt
nach
wie vor dem Landesherrn, auch der Gehorsam gegenüber dem Obersten Kriegsherrn wird dem Landesherrn geschworen. Damit wird die Verantwortung im Konfliktsfall zwischen Staatswohl und Reichswohl in das Gewissen des Landesherrn verlegt. Damit wird der unbedingte Gehorsam durch die Untertanentreue dem Landesherrn und durch dessen Bundestreue dem Kaiser gewährleistet. kaum irgendwo die Eigenart des Reiches ,
Schöner spiegelt sich
das bei aller Mannigfaltig-
keit eines ist, gefügt aus Jahrhunderte alten Blöcken von verschiedener Form aber gleich festem Gestein , zu einem Bau verbunden durch die Treue zu Fürst und Vaterland und weiter zu Kaiser und Reich . Ohne diese Treue hätte ein so kompliziertes Staatswesen nie Gestalt bekommen und nie Bestand haben können, Bestand auch bei einem Ansturm der ganzen Welt.
Hinsichtlich des Eidesinhalts sei hier nur
angedeutet - der Versuch eines juristischen Kommentars zum Fahneneid ist im Archiv für öffentliches Recht" , 35. Band, Heft 2 , S. 167 ff. erschienen daß der Eid für Offiziere und Mannschaften in Preußen nur darin sich unterscheidet : der Soldat verspricht 29 die mir vorgelesenen Kriegsartikel und die mir erteilten Vorschriften und Befehle genau befolgen" zu wollen , der Offizier nennt statt der Kriegsartikel , dieser Sittenlehre für die Mannschaften , die man früher „ Soldatenspiegel" genannt haben würde, wenn sie damals schon eine feste Satzung und nicht nur ein bei der Werbung jeweils neu geschlossener
262
Vom Fahneneid .
Vertrag gewesen wären - der Offizier nennt statt dessen die „ Kriegsund Dienstgesetze. " Ferner sei bemerkt, daß die Zusicherung unbedingten Gehorsams an den Kaiser im Eid der Preußischen Staatsangehörigen in Wegfall kommt, weil hier der Landesherr der Oberste Kriegsherr ist. Endlich sei erwähnt, daß im Fahneneid keine Verfassungsklausel wie im Beamteneid usw. sich findet.
Vielmehr bestimmt Artikel 108 der Preußischen Verfassung ausdrücklich Eides
und damit kommen wir auf die politische Seite des Eine Vereidigung
des Heeres
auf die Verfassung findet
nicht statt. " Negative Verfassungssätze sind immer ein Beweis, daß hier eine Forderung abgewiesen wurde, und meistens Anzeichen dafür, daß hier der politische Kampf besonders heftig war. Im Verfassungsentwurf der Frankfurter Nationalversammlung von 1849 findet sich der Satz : „ In den Fahneneid ist die Verpflichtung zur Treue gegen das Reichsoberhaupt und die Reichsverfassung an erster Stelle aufzunehmen. " In Frankreich wurde 1790 die Formel dekretiert :
39 de rester fidèles à la nation ,
à la loi,
au roi ,
à la constitution. " Dieser Eid klang gut, mußte jährlich wiederholt werden das ist bezeichnend und wurde bald abgeschafft. In Bayern und Kurhessen mußten in der ersten Hälfte des SO vorigen Jahrhunderts die ,, Staatsdiener des Militärstandes" nannte man die Offiziere und Militärbeamten die Verfassung beschwören (darüber in Thudi chums Geschichte des Eides, 1911 ) . Der demokratische Wortführer Bluntschli führt aus, die Verpflichtung, das Grundgesetz zu beobachten , soweit sie selbständig handelt,
" trifft unbedingt jede Militärperson, den Führer einer Patrouille nicht
weniger als den obersten Befehlshaber des Heeres" (man denke sich eine verfassungswidrige Patrouillenführung, man denke aber auch daran, daß grundsätzlich selbständig aus nicht abgeleiteter Befehlsgewalt heraus nur der Oberste Kriegsherr handelt) . Wenn der Ausdruck ,, oberster Befehlshaber" auf den König zielt, so mögen die Anhänger Bluntschlis sich am Artikel 54 V.U. beruhigen . Der Verfassungseid solle, sagt Bluntschli ,,, die wichtigsten Pflichten der öffentlichen Diener bekräftigen, " darum dürfe ,, der Verfassungseid des Heeres ohne Inkonsequenz nicht umgangen werden " . Der ehrenvolle Beruf des Soldaten ist mit dem Titel ,,öffentlicher Diener" sehr sinnig charakterisiert, die Treue zum Könige, bedingte,
eiserne,
aber die
wichtigsten Pflichten des Soldaten :
die Tapferkeit,
das Ehrgefühl und der un-
blinde Gehorsam" (in
einer Rede Seiner Majestät
vom 16. Juni 1898 ),
diese
wichtigsten Pflichten wird man in der
Verfassung vergeblich suchen.
Daß Bluntschli auf den Einwand ,
263
Vom Fahneneid .
das Verfassungsrecht liege von dem Berufskreise der Militärpersonen weiter ab, unter anderem erwidert : Jeder Truppenmarsch böte Gelegenheit zu Eingriffen
in die Freiheit
der Person
und des Eigentums ,
zeigt recht belustigend , wie man die Theorie vom Verfassungseid des Heeres verfocht , Königs
anstatt kurz und klar einzugestehen , daß man des ausspielen wollte. Aber ་་ diese
Soldaten gegen den König
Theorie, die heute in ihrer Gefährlichkeit erkannt ist, ging im Jahre 1848 siegreich durch die Welt , überall verlangte man die Vereidigung des Heeres auf die Verfassung" (Treitschke ) . So auch in Preußen . Ein allgemeiner Bescheid an die Deputationen von Breslau und Liegnitz vom 22. März 1848 versprach : ,,Außerdem werde Ich das stehende Heer auf die neue Verfassung vereidigen lassen. " Der damalige Ministerpräsident Graf ArnimBoitzenburg hat in seinen vornehmen und überlegten Ausführungen ,,über die Vereidigung des Heeres auf die Verfassung" für diese Zusage die verfassungsmäßige Verantwortung übernommen, zugleich aber nachgewiesen,
wie vieles gegen
einen solchen
Einmal ist es
zweiten"
und
zwie-
die ,,Wandelbarkeit jeder auch
spältigen Eid spricht. noch so vollkommenen und bewährten
Verfassung,"
infolge
deren
,,einzelne Personen fünfzehn verschiedene Verfassungen ihres Landes erlebten und beschworen haben". Freilich beschwört der Soldat das aber es wird auch der künftigen Halten der Dienstgesetze deren Inhalt weit weniger einschneidend und weit weniger überraschend neu gestaltet werden , als der Verfassungsinhalt in politisch bewegten Dort bedingt die Zweckmäßigkeit , hier die politische Zufälligkeit die Veränderungen . Die Verfassung ist wandelbar. ,, Der
Zeiten.
König dagegen",
sagt Arnim - Boitzenburg ,,,dem das Heer Treue
schwört, ist, so lange er überhaupt auf Erden weilt, der Person nach unwandelbar; er ist der Ausdruck des Beständigen über dem Wechsel der Staatseinrichtungen , über dem Wechsel der Personen , die die enderen Gewalten im Staate vertreten." Hinzu kommt ,,die Natur und die Mannigfaltigkeit
des Inhaltes jeder neueren Verfassung
Die Kriegsartikel ... kann jeder, dem die Vorsehung die Arme gegeben hat, um die Waffen zu führen , auch mit dem Kopfe fassen , weil sie sich größtenteils nur auf die einfachen göttlichen und sittlichen Gebote Aber in dem Augenblick, wo das Kommandowort ertönt. zu wissen, ob es mit dem oder jenem Artikel der Verfassung in Einklang oder Widerspruch stehe , - das ist für die Masse des Heeres unmöglich ." Zumal das Heer sich diese Wissenschaft nicht durch gründen.
Beratschlagung verschaffen kann, denn diese ist ihm untersagt ( KriegsDamit wäre, schließt Arnim-
artikel 16, Militärstrafgesetzbuch § 101 ) .
Boitzenburg weiter, wenn der auf die Verfassung vereidigte Soldat
264
Vom Fahneneid.
in der
steten
licherweise
Gefahr stände,
zu
verletzen,
seinen
Eid
aus Unkenntnis verzeih-
die Heiligkeit des Eides gefährdet .
Denn
,, es sollen solche Eide nicht geschworen , am wenigsten von der Regierung vorgeschrieben werden , welche zu verletzen sich zuletzt niemand mehr ein
Gewissen
macht. "
Schließlich
verweist
Graf
Arnim-
Boitzenburg auf die . , Erfahrungen in anderen Ländern ", hebt hervor,
daß in England , dem Dorado aller damaligen Demokraten , die
Armee nur auf die Person des Monarchen vereidigt werde
und fügt
zu seinen allgemeinen Gründen den ,,besonderen", daß gerade in Preußen
zwischen dem Obersten Kriegsherrn und der Armee
,,das
Band ein so persönliches, der Gedanke , eidlich Blut und Leben dem Könige zu geloben , ein so ausschließlicher ... geworden , daß wir uns es nicht verhehlen dürfen,
wie die Armee es als
das
schwerste Opfer,
als ein für viele ihrer tüchtigsten Glieder mit dem Gewissen unvereinbares Verlangen betrachten würde, wollte man von ihr einen zweiten Eid, eine Verpflichtung fordern, ihr Blut und ihr Leben außer ihrem Könige und dem Vaterlande noch einem Dritten zu weihen. " In seiner Politik ( II, 365 f. ) trägt
Heinrich von Treitschke
in seiner Sprache voll Mark und Nachdruck
vor :
Man kann nicht
versprechen sein Leben hinzugeben unter Vorbehalten . zum großen Teil aus den niederen Ständen , dem Könige zu gehorchen,
Junge Menschen .
darauf zu verpflichten .
aber auch der Verfassung, sie also aus-
drücklich vor die Alternative stellen , ob sie im gegebenen Fall das eine oder das andere tun wollen, das ist doch der bare Widersinn. Einen jeden Soldaten zum Richter machen darüber, ob im einzelnen Fall
die Verfassung verletzt ist,
das
heißt
alle Disziplin
auflösen. “
Zum gleichen Schluß kommt von Crousaz , der Verfasser der trefflichen Schrift über ,, Die Disziplin des Preußischen Heeres " : ,,Das Heer kann auch keinen weltlichen Polytheismus vertragen ." In der interessanten Broschüre ,,Über den deutschen und den französischen Offizier" zitiert der ungenannte Verfasser, ein norwegischer Offizier, einen Kaiserlichen Ausspruch :
,,Euer Eid
der Treue bindet
Euch mit Körper und Seele an Euren Souverän " und bemerkt dazu : ..Denn es ist just die Seele , die er will. Die Soldaten schwören dem Kaiser Treue nicht der Konstitution . Gegen ihn allein haben sie Pflichten ; er ist der Staat und die Nation. So lautet der väterliche Grundsatz ."
Dieser ethische Gesichtspunkt wird
unten
besprochen ,
hier soll noch der Worte gedacht werden, die der nachmalige Kaiser Wilhelm I. in seiner Anrede an das Staatsministerium bei Übernahme der Regentschaft 1858 sprach :
,,Preußens Heer muß mächtig
und angesehen sein, ein schwerwiegendes Wagschale legen zu können. "
politisches Gewicht
in die
265
Vom Fahneneid.
mit
Das ist das Programm des Militarismus , den heute der Feind Schrecken und die Welt mit Staunen sein Schwert in die
Wagschale des Weltgerichts legen sieht.
Das Heer ist
die geordnete
politische Kraft des Staates" . Es gilt das für die innere Politik , auf die das erwähnte Wort des Prinzen Wilhelm damals abzielte. Die Armee, auf die der Thron sich gründet, darf nicht in Parteien und Sonderinteressen zerbröckeln .
Schaible sagt : ,,Politische Parteiungen
zersetzen die Armee, sie sind das Grab der Kameradschaft Korpsgeistes."
Darum muß der Soldat dem politischen Tageskampf
entzogen sein. ländischen
und des
Darum muß der Reservist einen Fonds von vater-
Überzeugungen
und Verpflichtungen
in den politischen
Tageskampf mit hinausnehmen. Beiden Aufgaben dient der Fahneneid . Der ersten darin, daß der Soldat nur Einem sich verpflichtet, und das ist der Landesherr. Das gibt, wie ein französischer Offizier, den Schaible zitiert, ausführte , besonders dem
deutschen
Offizierkorps ein Übergewicht
über das
Offizierkorps der Staaten, in denen die Beförderung zu den höheren Stellen,,, von dem Maße der nach äußeren Merkmalen zu beurteilenden Ergebenheit gegen hängt.
die jeweilig
Das politische Wahlrecht
am Ruder befindliche des Soldaten ruht,
Partei
ab-
weil ihm jedes
Recht der Wahl gegenüber dem erteilten Kommando mangelt :
seine
Stimmabgabe wäre entweder Ausführung eines Befehls oder Meuterei . Mit der Mitwirkung bei Gericht ist es nicht anders . - Der
als Schöffe oder Geschworener usw.
anderen Aufgabe wird darin gedient , daß
der Eid , der für das ganze Leben gilt, dessen Verpflichtungen nicht mit dem bunten Rock abgelegt werden,
den erzieherischen Wert der
Militärzeit über deren Dauer hinaus sichert, den Mann zwingt,
auch
später noch an das zu denken , was er damals gelernt hat, und deu wenn Soldaten im Bürgerrock, diese Preußischste Erscheinung anders Preußisch sich überhaupt steigern läßt - lebendig erhält. Hierin ist der Preußische Fahneneid dem Sächsischen und Württembergischen überlegen.
Dort werden treue Dienste ,,während meiner
Dienstzeit als Soldat" gelobt,
hier aber gilt der Schwur
ein Leben
lang und zwar ,,in allen und jeden Vorfällen zu Lande und zu Wasser - Luftschiffer schalten hier ein : und in der Luft in Kriegsund Friedenszeiten, und an welchen Orten es immer sei" - kurz , immer und überall. Daß eine Einschränkung auf die Dienstzeit selbstverständlich und stillschweigend vorausgesetzt sei, weil militärische Dienste im bürgerlichen Leben nicht verlangt und geleistet werden , ist nicht richtig.
Die
Bemühung,
Seiner Majestät
,, Nutzen und
Bestes zu
fördern, Schaden und Nachteil aber abzuwenden " ist von der Waffenfähigkeit und dem Beruf unabhängig.
266
Vom Fahneneid . Denn
Heer.
es ist mehr soldatisch in Preußen
Daher
die
tragen konnte, Wunder,
die
Selbstverständlichkeit,
bei Kriegsbeginn
zu
als nur
mit der,
den Fahnen
von deutschen Waffen
iu
Felde
das
stehende
wer die Waffen eilte .
Daher die
vollbracht
werden .
Hier äußert der Fahneneid , der die militärischen Tugenden nicht nur spiegelt, sondern auch wach erhält, seine Wirkungen in der äußeren Politik .
Wieviel von den Erfolgen im Osten und Westen und zur
See, wieviel von der Pflichterfüllung bis zum Äußersten, mit der Tsingtau unterging, auf das Konto dos Fahneneides zu setzen ist , läßt sich nicht mit Zahlen berechnen.
Darin liegt - wir haben indessen längst die ethische Bedeuein wunder Punkt des Fahneneides tung des Eides angeschnitten überhaupt, man merkt seine Wirkung nur dann , wenn er gebrochen wurde . Sein Halten geschieht in schweigender Pflichterfüllung. Und der andere wunde Punkt des Eides liegt darin : der Eid ist die letzte Stütze der Wahrheit vor Gericht , - - wird er falsch geschworen, so kehrt sich das Recht um,
und ein falsches Urteil folgt
dem falschen Eid . Der Eid ist die letzte Versicherung der Vertrauenswürdigkeit,,,hilflos und mit einem Gefühl des Grauens wendet sich der Mensch, Göttern,
wenn er durch Meineid betrogen worden
daß sie
ist,
so ungeheuren Frevel strafen " (Paulsen).
zu den Damit
wird der Eid , wie Paulsen sagt, „ eine gefährliche Waffe der äußersten Gewissenlosigkeit" , denn gerade wo dies Band am notwendigsten wäre , hält es nicht. Der Eid beruht auf Grundlagen, die wir unbeschworen glauben müssen. Wie der Eid geboren wurde aus dem Mißtrauen , so lebt er doch wieder vom Vertrauen. Der schlichten Versicherung glauben wir nicht, aber der Versicherung in potenzierter Form. Wir wägen die religiösen
und sittlichen Motive mit ,
ohne sie nachprüfen
zu können. ,.Was verbindet mich rechtlich ", fragt Kant , „, zu glauben , daß ein anderer (der Schwörende) überhaupt Religion habe, um mein Recht auf seinen Eid ankommen zu lassen ?" Aischylos drückt das so aus : Οὐκ ἀνδρος ὅρκοι πίστις ἀλλ' ὅρκων ἀνήρ.
(Nicht die Eide
eines Mannes gewährleisten seine Vertrauenswürdigkeit, der Eide gewährleistet der Mann . )
sondern
die
Im Dichterfrühling des Andreas
Tscherning ( 1642 ) heißt es : Den Frevler bindet nicht der allerstärkste eyd , Der eyd des Biedermanns ist seine rechtlichkeyt , und Arndt sagt: ,, Was die Treue nicht schirmt, das beschirmt kein Eid . " Wenn man die Atheisten vom Eide ausschließen wollte, so würde das nicht, wie J. St. Mill in geschicktem Trugschluß behauptet, heißen, daß sie alle Lügner seien , sondern nur, daß ihr Eid wertlos
267
Vom Fahneneid. sei ; gegen ihre Aussage wird
damit
ein Zweifel nicht vorgebracht.
Wenn das geltende Recht einen wegen Meineids Bestraften kraft Gesetzes vom Eide ausschließt - dies gilt vom Zeugen und Sachverständigen ; den Fahneneid würde der Bestrafte leisten können , sofern nicht anderweite Ehrenstrafen ihn zum Heeresdienst unwürdig machen , - so geschieht das, weil man seiner eidlich erhärteten Aussage so wenig wie der uneidlichen glaubt.
Im übrigen wagen wir
es, entweder doppelt gesichert oder doppelt betrogen zu werden . Wer aber darum den Eid verwirft, wie kann der einen Wechsel annehmen, da es doch Fälscher gibt ? Schließlich wird auch der Nüchternste vom Eide berührt.
Auch
er ahnt darin etwas von unerbittlicher Geltung und Vergeltung. Man kann daraus den hohen Wert des Eides ermessen, daß seine Wirkung weiter reicht als sein Verständnis.
Interessant sind die Bemerkungen
hierzu, die L. S. von Bren ckenhoff in seinen „ Paradoxa " ( 1783 ) macht , wo vom Wert des Fluchens beim Exerzieren spricht : ,,Nun ist nichts dem gemeinen Mann heiliger als alles , was einem Eide ähnlich sieht : wenn daher oft ihre Vorgesetzten , selbst unwillig, alle Augenblick Biegsamkeit
mit geschwenktem Stock den ungelehrigen Gelenken
beizubringen,
zu einem
derben
Ausdruck ,
zu
einem
Donner oder Element (wovon noch überdies dies letztere soviel wie gar nichts bedeutet) , ihre Zuflucht nehmen, verdient dies nicht wenigstens
einige Entschuldigung. "
Bibel häufig nebeneinander genannt,
Schwören
und Fluchen, in der
haben das Verwandte,
daß im
Schwur eine bedingte Preisgabe, im Fluch eine unbedingte Preisgabe liegt (Gott strafe mich, wenn ... und Hol' mich der Teufel ! ) . können bis zur Selbstverfluchung gehen .
Beide
Die Selbstverfluchung macht beim Eid die Strafe zur Gewissensstrafe, die Selbstverpflichtung macht die übernommenen Pflichten zu Gewissenspflichten . die Pflichten,
Als solche sind
deren Verletzungen,
sie wie
extensiv Spohn
auszulegen . sagt
Auch
" häufig keine
Strafen finden , weil sie verborgen bleiben “ fallen unter den Eid , und die unbeobachteten Pflichten , von deren Erfüllung es in einer Kaiserrede ( 1896) heißt : „ Unter den Augen der Vorgesetzten ist das nicht schwer, aber auch da, wo ihr euch allein überlassen seid , denkt daran ". Die Rede schließt mit dem prachtvollen Satze : „ Gebe Gott, daß wir beim himmlischen Appell gut vor Ihm bestehen mögen . " Ein anderes Kaiserwort mahnte 1897 die Besatzung der Gefion : „ Solltet ihr jemals in die Lage kommen, mit euren Gefühlen in Zwiespalt zu geraten , so gedenkt eures Fahneneides ; wenn ihr stets das tut, was der Eid euch vorschreibt, so werdet ihr den rechten Weg gehen.
Seid
überzeugt,
daß das Auge des Vaterlandes
und
268
Vom Fahneneid .
auf euch
eures Kaisers
Und die
ruht. “
Besatzung des
Kreuzers
Deutschland bekam 1897 die Mahnung mit auf die Fahrt : „ Wo ihr aber auch immer für Deutschlands Ehre eintreten müßt zu Wer oder zu Lande , immer seid eures Fahneneides eingedenk, wahrt tadellose Manneszucht und strengste Disziplin. Dann habt ihr alles getan, was das Reich von euch erwarten kann. " Gegen den Fahneneid wird eingewendet, er bekräftige nur die Darum sei er vorhandenen Pflichten, begründe aber keine neuen. überflüssig. „ Man lese die Kriegsartikel vor ! Wem diese nicht geAber es ist nügen, den fesselt auch kein Eid " , meint Naumann . ein Unterschied , ob die Pflichten dem Soldaten nur gesetzt sind , oder ob er sie auf sich genommen hat .
Ob ihm nur gesagt ist, du sollst
diese und jene Verrichtung erfüllen, oder ob er sich verpflichtet hat : „ Daß ich Seiner Majestät ,
dem König von Preußen,
Wilhelm dem
Zweiten, meinem Allergnädigsten Landesherrn treu und redlich dienen, Allerhöchst dero Nutzen und Bestes fördern , Schaden und Nachteil aber abwenden,
die mir vorgelesenen Kriegsartikel
und die
mir er-
teilten Vorschriften und Befehle genau befolgen und mich so betragen will, wie es einem rechtschaffenen , unverzagten, liebenden Soldaten eignet und gebührt. "
pflicht- und ehr-
Hierin hat sich das ehrwürdige Institut der eidlichen Hingabe des Mannes an seinen Herrn erhalten , das Tacitus an der ältesten Gefolgschaft feststellt, mit dem die Trustis dominica in der fränkischen Zeit „ ihre Waffen in den Dienst des Königs schwor" (Heusler), mit dem im Mittelalter der Lehnsmann seinem Lehnsherrn sich kommendierte . nennt,
Neben ging
dem
schon
„ Fahneneid
der
Trustis " ,
wie
Heusler
ihn
in fränkischer Zeit ein allgemeiner Huldigungseid
her, doch hatte jener neben diesem „ doch noch seinen guten Sinn und seinen militärischen Inhalt ". Der Untertaneneid wird heute allgemein nicht mehr geleistet, aber der Soldat versichert seine Treue noch heute mit denselben Worten, die, um ein Beispiel zu nennen , im Schwabenspiegel formuliert sind. Es heißt da § 5 : 99 Wie der man dem herren hulde swert. Der man sol sinem herren hulde tun mit sinem eide , daz er im also holt und also getriuwe si, alse er von rehte ze sagenne habe, swa er dez gevraget werde ; sinen . frummen ze furdren und sinen
schaden
ze
wendenne,
alse
verre,
alse er muge. "
Die
brandenburgischen Vögte um 1470 schwuren dem Kurfürsten „ jren fromen zu werben und schaden zu wenden " . Für die altmärkischen Lohnsleute wurde 1626 ein Fahneneid formuliert, in dem sie zusichern . sollten
seiner ch. d. Schaden zu wenden und frommen zu befordern ".
Die Standesherrn geloben heute
noch dem König
nach
zuletzt festgestellten Formel ,,, nach ihren Kräften alles
einer
1820
dasjenige tun
269
Vom Fahneneid .
oder lassen zu wollen, was zur Abwendung Allerhöchst dero Schadens. Und oder zur Beförderung Allerhöchst dero Nutzens dienen kann. " 19226 heute noch gelobt der Soldat „ Seiner Majestät ... Nutzen und Bestes fördern, Schaden und Nachteil aber abwenden" zu wollen . So gut wie die Übung, daß die Treue
eidlich
zugesichert wird ,
so gut wie die Worte, mit denen sie zugesichert wird, so gut ist der Inhalt und Umfang des Treubegriffs derselbe geblieben im Wandel der Geschichte.
He usler sagt vom Fahneneid der Merowingerzeit : „ Da war es nun von besonderem Gewicht, daß diese Fidelitas, ... . . . völlig
allgemein gehalten
alles
ausschloß,
was auch nur in entferntester
Weise eine Nichachtung der königlichen Person und ihrer Hoheit enthielt .
Man möchte sagen, in idealer Weise sei
zum Ausdruck gekommen, so etwa in der Ehe
der
Treubegriff hier
wie in den heiligsten Verbindungen,
die eheliche Treue den
Ehegatten
zur Gewissens-
pflicht macht, auch keinem bösen Gedanken gegeneinander Raum zu geben " ,
also „ eine nicht nur in der Tat, sondern auch in Wort und
selbst in Gedanken völlige Ergebenheit". kommt dem , das
Diese
Begriffsbestimmung
was wir bei dem Wort Treue empfinden ,
näher,
als
nützlich sein in Rat und Tat " , bei Ehrenberg (Commendation
und Huldigung im Fränkischen Recht, Weimar 1877 ) . Hier wird die Treue zu äußerlich genommen . Auch mit der Erklärung „ feste und unverbrüchliche Zugehörigkeit und unerschütterliche Anhänglichkeit " (Waldersee) immerwährende , hingebende, opferwillige und durch Nichts zu erschütternde Liebe zu König und Vaterland , zu Kaiser und Reich" (Spohn ) wird ein Empfindungsausdruck für die Empfindung gegeben , der selbst der Erklärung bedarf. Liebe, Zugehörigkeit , Anhänglichkeit mit diesen Worten geben die meisten Instruktionssind selbst blasse Begriffe . bücher den Begriff Treue wieder v. Klass hat gewiß recht,
wenn er in seiner Schrift „ Wie soll man
instruieren ? " verlangt, daß die moralischen Größen dem Soldaten eher in einem einfachen Beispiel als in einer Begriffsbestimmung nähergebracht werden, daß man sie besser exemplifiziert als definiert . Denn die moralischen Größen das ist ein Wort von Clausewitz ,,suchen sich leider aller Bücherweisheit
zu entziehen ,
weder in Zahlen noch in Klassen bringen empfunden sein wollen " .
lassen und
weil sie sich gesehen und
Trotzdem sollte die militärische Ethik nach
einer Begriffsbestimmung suchen, die kurz ist, den Begriff erschöpft Liebe ist hier zu vieldeutig , und sich fernhält von aller Phrase . Zugehörigkeit, Anhänglichkeit sind blaß, erschöpfender schon als der Heuslersche Ausdruck „ Ergebenheit " scheint mir 99die Bereitschaft 1 zur vollständigen Selbstverleugnung und Selbstaufopferung " , wie Hecker in Stengels Wörterbuch (I, 374) oder die 99 unbedingte " oder Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine Nr. 537. 19
270
Vom Fahneneid.
„ völlige Hingabe " wie v. Dossow - Krafft , v. Pelet - Narbonne u . a. sie verlangen.
Darin liegt schon, daß die ganze Person beansprucht
wird , oder wie Seine Majestät es 1905 ausdrückte : „ Rekruten. Nachdem ihr Mir eben den Schwur der Treue geleistet habt, gehört ihr nicht mehr euch allein an. Ihr seid durch euren Eid aufgenommen worden in die große Familie,
die dazu berufen ist , das
Vaterland zu beschützen , wenn es in Gefahr ist ;
ihr seid durch den
Eid, den ihr angesichts dieser glorreichen Feldzeichen abgelegt habt, Mein geworden. " In dem Ausdruck Hingabe liegt aber noch nicht ein anderes wesentliches Merkmal, das die Treue über den Gehorsam hinaushebt. Auch der Gehorsam ist Hingabe der Person. Gibt es etwas Unpersönlicheres
als
viele
Menschen
in
strammer
Haltung,
diesem
„körperlichen Ausdruck des Gehorsams " (Hohenlohe - Ingelfingen) ? Gibt es eine krassere Hingabe
der Person als die völlige Preisgabe
des eigenen Willens, die Manchen dazu verführte , das ominöse Wort von Kadavergehorsam auf die Armee anzuwenden ? So
der
Verfasser
der
kleinen
Schrift
Konfliktsfalle " (3. Auflage, München 1899 ),
„ Der
Fahneneid
im
der in selbstzufriedenem
Ton, von Sachkenntnis wenig beengt, unter tapferer Anonymität eine Anzahl von Bemerkungen vorbringt, die teils nicht neu und teils nicht richtig sind . Zu den letzteren gehört die Behauptung, daß der Fahneneid nicht
freiwillig
geleistet wird ,
muß, S. 17 ; daß der Zusatz leiblicher Eid
sondern
geleistet werden .
eigentlich
sinnlos sei,
es
gäbe keinen leiblichen Eid, S. 18 ; daß man die Übertretung eidlicher Verpflichtung
nicht
als
Eidbruch,
sondern
als
Pflichtverletzung
bestrafe , weil ja der Eid erzwungen sei , S. 18 ; daß der Ausdruck Oberster Kriegsherr heute, wo es keine Untertanen, sondern nur mehr Staatsbürger gäbe,
schon längst
nicht
mehr am Platze sei,
S. 21 .
Ergebnis : Den unbedingten Gehorsam müsse der Soldat verweigern , wenn er mit seiner sittlichen Verantwortung, mit den Pflichten , die diese ihm auferlege, in Widerspruch stünde . Gewiß hat der Gehorsam seine Grenzen : an dem unrechtmäßigen Befehl, an der Treue und dem was sie gebietet.
Freilich müßte die Treue dem Verfasser,
der offenbar gar nicht bemerkt hat, daß sie, und nicht der Gehorsam, den Schwerpunkt des Eides bildet, sein .
noch mehr
ein
Dorn im
Wenn man nun dem gegebenen Befehl jedesmal
gesetz" entgegen halten darf,
„ das
Auge Sitten-
einen Begriff, der in seiner Allgemein-
heit jeden Mißbrauch zuläßt , so untergräbt man die Disziplin und der Befehl wird eine Farce . Der unbedingte Gehorsam fordert ständige sittliche Selbstüberwindung ;
ohne
ihn, der wie ein eiserner
Ring das Gefüge des Heeres umschließt, wäre unser Vaterland längst
271
Vom Fahneneid .
besiegt. Der Anonymus soll dem deutschen Soldaten, der ohne rechts und links zu sehen , ohne an Leben und Tod zu denken, auf seinem Posten aushält , weil es ihm so befohlen ist, beweisen , daß dies „ eines sittlich verantwortlichen Wesens unwürdig ist “ . Solche literarischen Gewächse gedeihen nur in einem faulen Frieden . halber mußten wir die Schrift erwähnen , und
Der Vollständigkeit deshalb .
weil sie
in
dem Schimpfwort vom „ Kadavergehorsam " gipfelt. Aber von Kadavertreue hat noch keiner gesprochen. Darin liegt ,,Die der Unterschied , daß die Treue lebendige Hingabe ist. Treue ist immer etwas positives " , sagt v. Rönne , horsam negativ ist. " Der Fahneneid des Soldaten Übernahme der unbedingten Gehorsamspflicht,
während der Geenthält zwar die er ist in seinem
aber
Kernpunkt ein Eid der Treue gegen den obersten Kriegsherrn für Der Gehorsam ist Leben und Tod " . (Staatsrecht II 37 , 5. Aufl. ) stumm und blind, - der bekannte Kasernenhofausspruch : Kerls, ihr Die Treue setzt sollt eben nicht denken, hat einen richtigen Kern. nicht an Stelle des eigenen Willens einen fremden , sondern sie stellt alle Fähigkeiten des Körpers und des Geistes in den Dienst eines Sie tut mehr als Anderen . Die Treue ist eine denkende Tugend. vom Gehorsam
gefordert wird .
„Das gäbe
eine
schlechte
Pflicht-
erfüllung" , sagt Otto Mayer (Verwaltungsrecht II , 235 ) „ wo nichts Treue handelt nicht zu eigenem geschähe, als was befohlen wird ". Vorteil, aber nach eigener Initiative, auf Grund eigener Überlegung Darum ist sie die freiere mit eigener sittlicher Verantwortung. Tugend , die sittlich höherstehende. Darum kann sie auch zum Gehorsam in Gegensatz treten , zu dem Willen dessen, dem sie dienen Wenn York in der Mühle von will, ja sogar zu seinem Vorteil. Tauroggen den ersten Schritt tat zur Rettung des Vaterlands , so handelte er dem Gehorsam entgegen, dem ausgesprochenen Willen des Königs entgegen, aber seinem wahren Willen und seinem Vorteil tat er den größten Dienst. Er war formell-rechtlich ein Hochverräter, aber seine Treue trennte ihn wie Tag und Nacht von einem Bourbon , einem Condé, einem Fairfax, „ deren herrlichste Siege gegen Fürst und Vaterland", wie K. G. Wolff in seinem „ Versuch über die sittlichen Eigenschaften und Pflichten des Soldatenstandes" 1776 sagt, ,,traurige Schandflecken" sind . Wenn Schill die Schmach des Vaterandes nicht mehr ertragen konnte und losschlug vor der Zeit, so tat er seinem König einen schlechten Dienst, aber in reinster Treue. Das hat der Dichter fein empfunden,
wenn er den Schatten des Helden.
sprechen läßt : „ und mein König selbst treuer Schill “ .
wird sagen :
ruh in Frieden
An solchen Beispielen ungehorsamer, eigenmächtiger und irrender 19*
Vom Fahneneid .
272
In der Regel aber erfüllt die Treue
Treue ist die Geschichte reich.
schon alles, was der Gehorsam fordern kann .
An anderer Stelle habe zu definieren (vgl. Der Ausdruck ist
ich versucht, die Treue mit „ Selbsteinsetzung Der Preußische Beamteneid , Berlin 1915 , S. 30) .
kurz, er gibt den Umfang der Treue wieder, ihre Besonderheit, daß sie die ganze Person, Körper und Geist, Handlungen und Gedanken fordert, daß sie tut, was ihr richtig scheint , aber nicht für sich, Ihr kategorischer Imperativ lautet : sondern für einen Andern . Handele so , wie der , dem du treu bist , in reinstem Egoismus handeln würde. Bei dem Gehorsam gibt es nur die Wahl Die Treue zwischen Ausführung des Befehls und der Weigerung. wählt die Ziele, die Mittel dazu nach eigenem Ermessen. Hier ist ein Irrtum leichter möglich als dort, wo er höchstens auf einem Mißverständnis beruht, für das der Befehlende schließlich die Verantwortung hat. Hier ist ein Vergehen schwerer festzustellen als dort , Man soll darum mit weil man die Motive nicht nachprüfen kann . dem Vorwurf des Eidbruchs sehr sparsam sein. Es ist auch nicht richtig, wenn man gewisse Tatbestände des Landesverrat, Kriegsverrat, Militärstrafgesetzbuchs (Fahnenflucht, Simulation , unerlaubte
Entfernung,
so
Batsch - Zwenger ;
andere
fügen noch Zugehörigkeit zu einer Umsturzpartei, Majestätsbeleidigung oder Dulden einer solchen hinzu , so Spohn) als Verbrechen und Vergehen gegen die Treue hinstellt . Jedes militärische Delikt kann einen Treubruch enthalten , die genannten werden ihn wohl stets enthalten, aber ein militärisches Delikt ohne Treubruch ist schon deshalb denkbar, weil die Treue, die Selbsteinsetzung, an den physischen und geistigen findet .
und moralischen
Kräften des Einzelnen ihre
Die Treue ist subjektiv zu messen , der
Gehorsam
Grenze objektiv.
Der Gehorsam geht auf die Erfüllung bestimmter Pflichten , die Treue durchdringt alle Pflichterfüllung. des Kriegsartikels 2 :
Als Erklärung zu dem ersten Satz
„ Die unverbrüchliche Wahrung der im Fahnen-
eide gelobten Treue ist die erste Pflicht des Soldaten "
sagt
Kriegs-
artikel 6 : „ Die Pflicht der Treue gebietet dem Soldaten, bei Vorfällen im Krieg und Frieden
mit
Aufbietung
allen
aller seiner Kräfte,
selbst mit Aufopferung des Lebens jede Gefahr von Seiner Majestät dem Kaiser, dem Landesherrn und dem Vaterlande abzuwenden. " Wie die Treue ihrem Inhalt
nach sich nicht
ausschöpfen läßt ,
so ist sie ihrem Umfang nach unveränderlich und grenzenlos . In einem Buch des David Fassmann , in Berlin 1719 erschienen, mit einem Titel, der in verschiedenen Druckarten über die ganze geht, wie jene Zeit es liebte,
und beginnt
„ Der
Ursprung,
Seite Ruhm
Exzellentz und Vortrefflichkeit des Kriegs- und Soldaten- Standes . . . “
273
Vom Fahneneid .
heißt es : „ Die Treue eines Soldaten gegen seinen Herrn muß gantz unverfälscht und feiner als Gold / auch heller / als ein reiner Krystall sein , und zu allen Zeiten Stich und Proben halten mithin unveränderlich und untrüglich sein “ . Anschaulich hat Gustav Freytag in den „ Bildern aus der deutschen Vergangenheit " ( I, 79 ff. ) geschildert , wie dem verhängnisvollen Freiheitsgefühl des Germanen die Geneigtheit gegenüberstand, sich rücksichtslos einem Andern hinzugeben ; wie die vielfachen Aufstände und Zersplitterungen im alten Deutschen Reich darauf beruhten,
daß seine
Treue den
Dienstmann
zwang, seinem
Herrn auf jedem Weg zu folgen ; und wie eben zuviele Herrn in Deutschland waren , die nicht ihre Treue wiederum an das Reich fesselte. 99„Wenn die Not des Herrn dem Manne den Mord seines eigenen Verwandten befiehlt, so muß er auch diesen Mord vollbringen lehrt ein christlicher Priester, der Gote Jordanus, um zu beweisen, daß die Ostgoten , welche durch Treuschwur an Attila gebunden waren, den Kampf gegen die blutsverwandten Westgoten nicht weigern durften . “ „ Die Hingabe “ , sagt Freytag , „ bildete des Gegengewicht zu dem hochfahrenden Mannestrotz der Deutschen ; schrankenlos wie die Freiheit des Einzelnen gefaßt wurde, war auch die Entäußerung Selbstwillig bei jeder Gelegenheit, überwand der seiner Freiheit. Germane den Egoismus in dieser Form. "
Und ist nicht heute noch,
bei veränderten Verhältnissen anders sich äußernd, aber ihrem Wesen nach unverändert, diese Treue,
das
Korrelat der deutschen
Partei-
sucht, das, psychologisch kaum erklärlich, aus einem zersplitterten Volk in einer großen Stunde ein einzig Volk von Brüdern machen konnte ?
gilt
Nullos mortalium armis aut fide ante Germanos esse (Tacitus) Gott sei Dank heute noch. Die laudata fides Allemannorum
(Claudian) , deren sich unsere Vaterlandslieder immer wieder rühmen , Sie verlangt ist heute noch in Wesen und Wirkung unverändert. auch heute noch ein persönliches Verhältnis zwischen dem Mann und seinem Königlichen Herrn .
So
sagt
Seine Majestät zu den ver-
eidigten Rekruten wiederholt : „ Durch den Fahneneid seid ihr Mein, In unserem Meine Soldaten und Meine Kameraden geworden " . Preußenlied kommt dieses persönliche und gegenseitige Verhältnis zum Ausdruck . In Seiner Majestät erstem Armeebefehl vom 15. Juni 1888 heißt es : So gehören wir zusammen Ich und die Armee SO sind wir für einander geboren und so wollen wir unauflöslich fest zusammen halten , möge nach Gottes Willen Stille oder Sturm sein . Ihr werdet Mir jetzt den Eid der Treue und des Gehorsams schwören und Ich gelobe, stets dessen eingedenk zu sein , daß die Augen Meiner Vorfahren aus jener Welt auf Mich niedersehen ,
und
daß Ich ihnen
274
Vom Fahneneid.
dermaleinst Rechenschaft über den Ruhm und die Ehre der Armee abzulegen haben werde ".
-
Treue gegenüber einer Idee, einer Institution, ist wohl möglich aber es ist deutsche der Hamburger schwört dem Hohen Senat
Überlieferung,
daß sie
Nicht
Hände des Vaterlandes,
in
die
dem Fürsten
als Person geleistet wie
werde.
K. G. Wolff den
An-
schauungen seiner Zeit entsprechend 1776 schrieb, sondern in die Nicht dem Könige als Hände des Königs wird der Eid geleistet . dem jeweiligen Träger der Krone, Könige
von
Preußen ,
Wilhelm
gnädigsten Landesherrn " .
Im
sondern dem
Gegensatz
Seiner Majestät
dem
Zweiten ,
meinem
dazu
in den außer-
wird
Aller-
preußischen Eiden der Name des Kaisers nicht genannt (hierzu äußert sich der Aufsatz im ,,Archiv für öffentliches Recht" des Näheren) . Beim Hintritt des Königs wird die Armee
neu vereidigt ,
der König
als Träger der Krone aber stirbt nicht. -- Bei jeder Vereidigung nennt der Soldat auch seinen eigenen Namen . Daß eine so persönliche, d . h . so die ganze Person bindende , so einer bestimmten Person geleistete Verpflichtung freiwillig sein muß, denn Gesinnungen können nicht erzwungen werden , leuchtet ein . Vielleicht wäre es Der Preußische Fahneneid wird nicht erzwungen. gut, wenn darauf in der Instruktionsstunde hingewiesen würde .
Dann
würde der Eid der Schwörenden an Wert gewinnen, und die Weigernden würden zwar nach dem schon erwähnten Erlaß von 1866 so behandelt, als ob sie den Eid wirklich
abgeleistet hätten,
aber nur
in dem Sinne, daß man dasselbe von ihnen forderte, nicht, daß man dasselbe von ihnen erwartete als von Jenen. Neben den Treueid tritt der Diensteid : „ Daß ich ... treu und redlich dienen ... die mir
vorgelesenen
Kriegsartikel und die mir
erteilten Befehle genau befolgen ... will " . pflichten genannt ; die ,,und
mich so
betragen
Damit sind die Berufs-
Standespflichten will ,
wie es
umschreibt
der
Satz-
einem rechtschaffenen,
un-
verzagten, pflicht- und ehrliebenden Soldaten eignet und gebühret. “ Nicht in dem „ treu und redlich dienen " ist der Treueid zu zu sehen. werden,
Treue Dienste können
auch da
geleistet und gefordert
wo nicht das persönliche Autoritätsverhältnis vorliegt,
von
dem soeben die Rede war , sondern wo beispielsweise ein Direktor für seine Aktiengesellschaft tätig wird.
Ein Zwischenglied zwischen jenem
autoritativen und diesen überwiegend geschäftlichen Verhältnis finden wir in der patriarchalischen Preußischen Gesindeordnung wo es im § 19 heißt,
das Gesinde sei schuldig,
seine
von
Dienste
1806 , treu ,
fleißig und aufmerksam zu verrichten usw. , und im § 21 , es sei schuldig, auch außer dem Dienste das Beste der Herrschaft zu be-
275
Vom Fahneneid .
fördern und Schaden und Nachteil so viel in seinen Kräften steht, abzuwenden. Im Geschäftsverkehr spricht man von strafbarer Untreue, wo jemand ihm übertragene Geschäfte absichtlich zum Nachteil dessen ausführt, für den er sie führt, und das Bürgerliche Gesetzbuch hat den ganzen Rechtsverkehr unter dem Grundsatz von „ Treu und Glauben " gestellt.
Hat bei treuen Diensten das Wort noch die
Bedeutung, daß man mit Hingabe seine Pflicht erfülle, so bedeutet es in den Ausdrücken Untreue, Treu und Glauben, wie auch bei Vertragstreue nur soviel,
daß man nicht
einen Andern
zum Mittel
für seine Zwecke machen soll (nach Stammler) ; das deutsche Wort „ übervorteilen " gibt das plastisch wieder. Wenn man die Bundestreue Deutschlands gegenüber Österreich- Ungarn als „ Nibelungentreue" rühmte, so war sie damit als jenem persönlichen Verhältnis, von dem das Heldenepos redet , gleichwertig,
als
die
höchste
Auffassung der
Bundespflichten , als Selbsteinsetzung für den Bundesgenossen charakterisiert. Treu heißt : bergerei.
mit Hingabe ,
redlich :
ohne Versuch der
Drücke-
An anderer Stelle habe ich ausgeführt , daß ,,Kriegsartikel"
diese gelten nur für Mannschaften, bei Offizieren heißt es „ Kriegsund Dienstgesetze" und "2 erteilte Befehle in dem Verhältnis von dauernden,
allgemeinen Anordnungen
und
Anordnungen
Einzelfall stehen ; hier mag noch erwähnt sein,
für
daß in dem
den
„ genau
befolgen" ein unbilliges Verlangen läge, wenn nicht der Soldat überDiese Einschränkung Willen versicherte.
haupt nur seinen guten
nach den subjektiven Fähigkeiten herren heißt es
im Eid der Preußischen Standes-
nach meinen Kräften " ,
im
Reichsbeamteneid
„ ge-
wissenhaft" , im Preußischen Beamten-, im Schöffen- und Geschworeneneid
nach bestem Wissen " - diese Einschränkung ist notwendig, denn
Niemand soll „ schwören, was er nicht halten kann “ (v . Görtz) . - Die genaue Befolgung der Befehle, der Gehorsam, findet seine Grenzen an dem unrechtmäßigen Befehl.
Wo diese Grenze zu ziehen ist ,
ist
eine von Mayer u . a. behandelte Streitfrage , jedenfalls ist ein Untergebener als Teilnehmer strafbar,
wenn er einen Befehl ausführte, als
dessen Zweck er ein bürgerliches oder militärisches Vergehen erkannte (Militärstrafgesetzbuch § 47 ).
Hier ist eine Einschränkung im Eide
selbst nicht vonnöten , denn die Treue schon verbietet hier, gehorsam zu sein, und an der verständliche Grenze.
Treupflicht
findet
Man hat sich bemüßigt gefunden wenn der Gehorsam ,
jede
andere ihre
zu fragen,
der in den nichtpreußischen
wie
es
selbst-
denn
Staaten
und
sei , in
Preußen von den nichtpreußischen Staatsangehörigen dem Deutschen Kaiser geschworen wird, mit der Treue gegen den Bundesfürsten in
276
Vom Fahneneid .
Konflikt träte.
Man wolle
hier bedenken,
daß
ein Treuverhältnis
auch zwischen den Bundesfürsten und dem Deutschen Kaiser besteht und daß, wenn in der staatsrechtlichen Pyramide, wenn ich so sagen darf, ein jeder seine Treue hält, das Ganze wohlgefestigt ist und der Gehorsam ruhig ein blinder bleiben darf. Aber das sind Doktorfragen. Neben den Dienstpflichten stehen die Dienstpflicht wird
durch einen Befehl ,
eine
Standespflichten. Verordnung
an der Konsolidierung der Standespflichten haben
Eine
festgesetzt,
Jahrhunderte ge-
arbeitet. Hier haben die Tugenden der Vorväter zur Tradition sich verdichtet. In keiner Gemeinschaft der Welt wird der Einzelne so durch Tradition gehalten und gebunden, als in der Armee. Die Tradition ist ein sorgsam gesammelter und wachsam gehüteter Reichtum , der Rechte und Pflichten gibt. Aus der Tradition heraus erkennt der Soldat, was 99 einem rechtschaffenen, unverzagten, pflichtund ehrliebenden Soldaten eignet und gebührt ". Und wenn der Offizier dasselbe so zu halten beschwört, wie es einem rechtschaffenen Offizier eignet und gebührt , so umfaßt er damit die besonderen Pflichten seines besonderen Standes, wie sie uns Schaible (Standesund Berufspflichten brevier) Spohn ,
des
deutschen
v. d. Goltz und
Offiziers) , andere
Scheibert ( Offiziers-
militärische
Schriftsteller
dargelegt haben . Im Kriegsartikel 2 spiegeln sich die wesentlichen traditionellen Soldatenpflichten . Wollte man sie erklären und „ mit der Sorgfalt eines fleißigen Dozenten versuchen, so
dem Clausewitz bei
Erwähnung der hauptsächlichen
Kräfte im Kriege warnt :
würden
was sich
jede beibringen ließe " ,
„ Da
über eine
wir in den Fehler verfallen , vor moralischen
man bei dieser Methode nur zu sehr
in Gemeinsprüche und Alltäglichkeiten verfällt,
während
der eigent-
liche Geist der Analyse schnell entweicht, so kommt man unvermerkt dazu , Dinge zu erzählen , die jeder Mensch weiß . “
Noch gefährlicher ist dieser Fehler, wenn wir den ästhetischen Gehalt des Fahneneides zu würdigen versuchen . Wer die Schön heiten eines Kunstwerkes bloßzulegen und aufzuzählen unternimmt, vergeht sich nur zu leicht an seinem Geist. ein Kunstwerk.
Und der Fahneneid ist
Die Feierlichkeit der Eidesworte liegt schon in ihrem
Rythmus ; das daktylische Versmaß, in dem der Eid anhebt, tut viel dazu . Ferner darin, daß seine Worte einen einzigen getragenen Satz bilden einen Satz, den der Soldat ganz nachspricht , während in Bayern die Pflichten aufgezählt werden, der Eid gelehrt oder gestabt " wird, wie es im Mittelalter hieß , mit den Worten :
und der
Schwörende
dann
„ Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und All-
277
Vom Fahneneid .
wissenden, daß ich alles dasjenige, was mir soeben vorgehalten worden ist , und ich wohl verstanden habe . genau befolgen will. So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort " , diese Pflichten auf sich nimmt. Das Feierliche wird durch die antikisierende Sprache gehoben
mit ihrem Pleonasmus und ihrem Parallelismus der Glieder
(,, Nutzen und Bestes , Schaden und Nachteil " . )
,,In allen Vorfällen
zu Lande und zu Wasser (und in der Luft) , in Kriegs- und Friedenszeiten und an welchen Orten es immer sei. " In allen Vorfällen " genügte ja , es könnte auch fehlen , ohne dem Eidesinhalt etwas zu nehmen . Aber der Eid soll auf das Gemüt wirken, der Schwörende soll fühlen wieviel er verspricht, darum sind die einzelnen Fälle genannt . Nach einer Kapitulation auf ein Regiment zu Fuß - das heutige Grenadier- Regiment König Friedrich III . ( Ostpreuß. ) Nr. 1 die der Große Kurfürst 1655 dem Obersten von Schwerin erteilte , mußte dieser für sich und das Durchlaucht Dienste versprechen :
Regiment Sr. Kurfürstlichen „so lang es Ihro beliebet und Sie
ganze
seiner und des Regimentes Dienste nötig haben, in- und außerhalb des Landes , zu Wasser und zu Lande, in allen und jeden occasionen, wie denn immer vorfallen und sich begeben können, und die nothwendigkeit es von getreuen , ehrlichen und gehorsamen Officirern und Soldaten erfordert mit ungescheweter freywilliger aufsetzung Leibes und Lebens, Gutes und Blutes unter dem Ihm fürgesetzten Capo. " Seiner
Majestät
dem
Könige
von
Preußen ,
Wilhelm
dem
Zweiten, meinem Allergnädigsten Landesherrn . " Man ist in manchen Kreisen schnell bereit, alle Kuralien als überlebte und überladene Worte, als unpraktisch und nicht nüchtern genug abzulehnen.
Aber
wie der Purpur in reichen Falten des Königs Majestät umgibt, so umgeben diese Worte des Königs Namen . Es ist seltsam, daß man gerade hier in der Rede so ungern Schmuck und Ehre gönnt. Und dabei sind diese Worte nicht nur höfische Arabesken und Wiederholungen, sondern es spiegelt sich in ihnen wie ich an anderer Stelle auszuführen versucht habe
wieder
einmal,
daß der
Eid
dem Bundesfürsten geschworen wird, weil der Militärdienst dem Kontingentstaate geleistet wird ; ferner, daß der Eid ein persönliches Band herstellt zwischen dem Soldaten und seinem Königlichen Herrn ; und drittens, daß dem Landesherrn auf Grund allgemeiner Wehrpflicht , nicht einem Fürsten von gedungenen Söldnern
auf Grund
eines be-
schworenen Dienstvertrags militärische Pflichterfüllung geschuldet und gelobt wird . Auch in den übrigen Eidesteilen ist die freigebigere Redeweise einer Zeit , die 99 mehr Zeit " hatte , beibehalten . Hier ist die
Sprache
nicht nur
Gebrauchsartikel und Verkehrsmittel.
Hier
278
Vom Fahneneid .
wird vielmehr eine würdige Überlieferung durch Worte dokumentiert, wie wir sie aus dem Religionsunterricht und aus der Kirche kennen . Schon das gibt dem Eid erhöhtes religiöses Gepräge. Zu der Feierlichkeit in den Eidesworten tritt die der Eideshandlung.
Die Mannschaften in
Feierlichkeit die
An-
wesenheit der Vorgesetzten , insbesondere des Offiziers , der den
Eid
abnimmt, des Adjutanten,
Paradeanzug,
der die Formel meist vorspricht,
ferner
der Militärgeistlichkeit, die Ausschmückung des Platzes mit militärischen Insignien und mit einem Feldaltar, der Vereidigung.
das ist
die Szene
für den Akt
In der Kirche soll er aus Gründen schöner Parität
nur dann stattfinden , wenn die zu vereidigenden Rekruten der gleichen Konfession angehören , in der Regel aber findet ―― so hat das Kriegsministerium am 31. August 1841 bestimmt,
- die Vereidigung
an einem
hierzu geeigneten Orte , wie Exerzierhaus , Kasernenhof usw. ohne Trennung der Konfessionen " statt. Eine Ansprache des Geistlichen und ein militärischer Hinweis auf die Bedeutung des Tages begleiten die Handlung,
durch
religiöse
und
militärische Instruktion wird sie
vorbereitet. Insbesondere geht die Verlesung der Kriegsartikel ihr voraus. Der Tag der Vereidigung wird in den Kasernen als Festtag begangen. Die Eidesleistung selbst begleitet eine doppelte Geste , das Handerheben und das Berühren der Fahne, des Geschützes oder des Offiziersdegens. Das Erheben der Hand ist als Hinweis auf das höhere Wesen zu deuten, bei dem geschworen wird . Wie denn auch die seltsame Sitte des Hochlebenlassens mit einem Hurrah auf den Obersten Kriegsherrn klingt die
Vereidigung
aus
eine Hin-
deutung auf die höhere Stellung enthält, in der jemand steht oder in die er gelangen soll. Das Mittelalter, dem Symbolismus und Formalismus wichtiger war,
als unserer in manchem ernüchterten Zeit ,
hat sich mit der Ausdeutung und Zahl der Schwurfinger beschäftigt , wie man bei Grimm , bei Strippelmann (Der Gerichtseid I, 141 ff.) und in v. Arnolds Abhandlnng über die christliche Eidesformel ( 1851 ) nachlesen kann . In ältester Zeit wurde ein Finger erhoben, später zwei die Constitutio Criminalis Carolina bestimmte, daß dem Meineidigen 99 die werden sollten
zween Finger, damit er geschworen , abgehauen" schließlich drei. Heute genügt ein Handerheben,
doch auch in dieser Formfrage gibt es eine „ strengere " Ansicht, die das Aufrecken dreier Finger fordert , so v. Estorff, Graf Waldersee, Huyssen , oder gar einem Nach-innen-kehren der Hand, so Poten und v. Gillhausen , der darin ein Zeichen innerer Einkehr
sieht.
In den zwei Fingern sah man ehemals ein Symbol für Leib und Seele , für Gott und Mensch in Christo , für die zwei Zeugen, die vor Gericht
279
Vom Fahneneid . zum Beweis der Wahrheit notwendig waren (so Luther).
Die drei
Schwurfinger sollten die Dreieinigkeit bezeichnen (vgl. Waldersee) oder die tres comites iuramenti (veritas in mente, justitia in objecto, iudicium in iurante) , die beiden eingeschlagenen Finger wiederum sollten das verpfändete Leib- und Seelenteil ausdrücken. Diese Zahlensymbolik, wie sie im Mittelalter auch in Poesie und Philosophie ― man denke an Nikolaus Cusanus oder Paracelsus, an die Klosteruns immer wieder dramen, z. B. Roswitha von Gandersheim entgegentritt, hat sich in der Kanzelsprache und in der Volkssprache des Sprichworts lebendig erhalten . Beim Eide genügt heute
ein Erheben der rechten
aber auf diese Form legt der einfache sonst auffällig :
je mehr unsere
kompliziert werden ,
Hand ,
Mann großen Wert.
Lebensverhältnisse
Es ist
von der Kultur
um so mehr vereinfachen wir den Formalismus ,
je reicher die Sprache wird, um so mehr verkümmert die Geste . Wir vermeiden vielmehr, dies Ausdrucksmittel südlicher nnd östlicher Völker zu reichlich zu gebrauchen , nur beim Redner sind wir gewöhnt , es zu finden und aus praktischen
Gründen
beim
Militär,
wo der
hochgestoßene Arm usw. das Kommando gibt, wenn die Stimme nicht ausreicht. An anderer
Stelle
habe ich auszuführen gesucht ,
inwiefern die
Bewegung der linken Hand, das Berühren der Fahne, den Eid zu einem leiblichen Eid macht. Man hat diesen Ausdruck abgesehen von dem Verfasser des „ Fahneneides im Konfliktsfall" , der ihn bezeichnenderweise einen
schlankweg
persönlich
„ sinnlos"
nennt
so verstanden ,
geleisteten Eid (Thudichum) ,
daß
er
einen wirklich und
bewußt geleisteten, nicht nur gedachten (Wiehe) bezeichnet.
Klische
in einem unlängt erschienenen Heftchen „ Dein Fahneneid" bringt den Ausdruck gar mit der Unzucht in Verbindung .
Herrschend ist die
Ansicht, leiblicher Eid bedeute, daß der Schwörende seinen Leib zum Pfand setzt, daß er im Fall des Eidbruchs leibliche Strafen erwarte. So v . Estorff , v . Gillhausen , v. Klass , Huyssen u . a. Auch diese Ansicht ist irrig . Vielmehr ist leiblicher Eid jeder, der unter So ist es Berührung eines heiligen Gegenstandes geleistet wird . deutsche
Rechtsüberlieferung.
hammedaner Brahminen
schwören
auf
Und heilige
und buddhistischen
Kalmücken u . a . berühren
nicht
nur
Bücher,
Singalesen.
ein Götterbild .
deutsche . ebenso
die
Die
Mo-
indischen
Die Toba-Battack,
die
Im südlichen Indien er-
greift der Schwörende eine Kette, häufig, z . B. bei den Persern zur Sassanidenzeit, bei den Galliern , auch im attischen Prozeß , ferner bei den skandinavischen Völkern und bei unseren Vorfahren ältester Zeit finden sich Schwurringe.
Der Schwur
at hringi Ullar"
zeugt
280
Vom Fahneneid .
von feiner Symbolik.
Im Mittelalter legte man die Hand auf ein
Heiltum, einen Reliquenschrein. Auffallend ist, daß die Chewsuren , ein kleiner kaukasischer Volksstamm, wie Lasch erzählt, bei ihrer heiligen Fahne , der droscha, Eide leisten . Bei ihnen ist jeder Eid ein Fahneneid in diesem Sinne . Bei uns wird nicht einmal jeder Fahneneid auf die Fahne geschworen . der keine Fahnen
hat,
den Eid
Vielmehr
leistet der Train ,
auf den Degen des Offiziers ,
die
Artillerie , die ihre Fahnen nicht führt, auf das Geschütz, die Kavallerie auf die Standarte, einzelne Mannschaften ebenfalls auf den Degen . Diese letztere Form erinnert an den bei unseren Vorfahren vielverbreiteten Waffeneid. Ammianus Marcellius erzählt z. B. von den Quaden im vierten Jahrhundert , gezogenen Schwertern ,
sie
hätten
geschworen
mit
aus-
die sie als Gottheiten verehrten " , richtiger, die
sie als Heiligtümer verehrten . Als Heiligtum des Truppenteils gilt auch die Fahne. 99 Dem Soldaten soll seine Fahne heilig sein". (Kriegsartikel 9. )
Die Fahne
symbolisiert die Zusammengehörigkeit,
die Kameradschaft, die Geschichte und endlich die Ehre eines Truppenteils . Die Fahne ist in einem anderen Sinn Symbol des Kriegsdienstes ( „zur Fahne einberufen werden ") , in diesem Sinne trifft der Ausdruck Fahneneid für jeden Soldateneid zu . zum Beispiel bei der Feldartillerie von einem Das Geschütz ist
für
Sonst müßte man Geschützeid reden .
den Artilleristen Kriegswerkzeug und Ehren-
zeichen zugleich . Es vereinigt taktische und ideale Bedeutung. Der Fußartillerie sind Fahnen verliehen worden , wohl in feinem Verständnis dafür, daß bei ihren schweren Geschützen das Maschinelle zu sehr in den Vordergrund tritt, daß diesen auch das ehrwürdige Alter mangelt, wie wir es bei
einem Symbol voraussetzen.
Fahne und Standarte ,
Degen und Geschütz sind die Heiligtümer, auf die der Soldat seinen Eid ableistet. Und zwar entweder so , daß alle Schwörenden den Gegenstand berühren, oder so, daß wenige vortreten und zugleich für die Kameraden dieser Form genügen , oder so - diese Übung wurde aus Halle mitgeteilt , daß die Nächststehenden die Fahne berühren. und die
zurückstehenden
Glieder jeweils die freie
Linke
auf die
Schulter der Vordermänner legen, gleichsam als ob ein Fluidum von der Fahne
ausginge
oder
ein Strom , der
sich von Mann zu Mann
überträgt. So wird der Fahneneid als „ leiblicher Eid " abgelegt, und zwar als einziger unter den gerichtlichen und außergerichtlichen Eiden , die in Preußen durch Gesetz bestimmt sind.
Die militärische Bedeutung des Fahneneides ist die Summe alles dessen, was von seiner verschiedenfachen Bedeutung gesagt wurde. Dabei finden sich gewisse Abweichungen zwischen der juristischen und
281
Vom Fahneneid .
militärischen Auffassung. Sie beruhen auf dem hohen Ansehen, das der Eid in der Armee genießt. Seine Majestät hat 1900 und sonst mehrfach bei Rekruten99 Ihr habt eurem König und Obersten
vereidigungen ausgesprochen :
Kriegsherrn soeben einen heiligen Eid geschworen und seid nunmehr des Königs Soldaten geworden . " Das ist die allgemeine militärische Auffassung. Rechtlich ist es nicht so. Rechtlich ist, wie erwähnt , die Vereidigung weder Aufnahmeakt noch notwendige Bedingung für die Eigenschaft als Militärperson .
Kriegsgerichtsrat Dietz berichtet
im Deutschen Offizierblatt ( XIII , 480 ) aus seiner reichen Erfahrung, daß sich fahnenflüchtige Rekruten oder sogenannte Dispositionsurlauber häufig darauf berufen, sie seien nicht als Soldaten zu behandeln und zu bestrafen, weil sie nicht vereidigt seien. Dies kann so meint Dietz ,
und muß
so entspricht es der Bedeutung des Eides -
als Strafmilderungsgrund gelten . Man vereinigt diese abweichenden Auffassungen am besten, wenn man, wie es die Allg. Kabinettsorder om 26. November 1846 vorschrieb, darauf hält, daß die Vereidigung ..unmittelbar nach der Aushebung mit dem Diensteintritt
erfolgt.
Dann tritt der Mann
auch sogleich unter den Fahneneid .
Aber
gerade bei den Dispositionsurlaubern bleibt hier eine Lücke . Die Allh. Kabinettsorder vom 11. Juni 1851 hat nämlich einen Aufschub der Vereidigung bis zum Ein treffen beim Truppenteil . ,nachgegeben “. Weil man die Vereidigung als militärischen Aufnahmeakt ansieht, wollte man nicht, daß zwischen ihr und dem tatsächlichen Dienstantritt eine längere Zeit im Zivilleben läge . Idarin schwerlich überbrücken lassen.
Die Divergenz wird sich
Unterm 25. März 1915 meldeten die Kriegsberichterstatter der österreichischen Blätter, der in Südostgalizien operierende russische Armeekommandant habe einen Befehl erlassen , ..in dem den Soldaten und
der Bevölkerung
polnischen Legion ,
der Auftrag erteilt wird,
die Mitglieder der
obwohl diese in unserer Armee vereidigt
sind , als Räuberbanden zu behandeln."
Es ist bezeichnend für das
Ansehen des Fahneneides auch bei unseren Bundesgenossen , daß hier die Vereidigung
als das Zugehörigkeitsmerkmal
wird und man sich kommens beruft ,
nicht
auf die Bestimmungen
genannt
des Haager Ab-
nach dem Freiwilligen-Korps schon dann unter die
Rechte der Kriegspartei fallen, verantwortlich ist ,
zur Armee
wenn ihr Führer für ihr Verhalten
wenn sie Abzeichen und die Waffen offen tragen ,
und wenn sie die Kriegsgesetze und -gebräuche beobachten. v. Sydow in seinem Buch ,, Der Soldat" ( 1836 ) tut den Rückschluß auf die Wichtigkeit der Soldatenpflichten den Eid zu ihrer Bekräftigung erwählen konnte.
daraus, daß man Er nennt die eid-
282
Vom Fahneneid.
liche Verpflichtung
einen
Soldat) in seiner Treue
willkommenen
Anhalt ,
als Staatsbürger oder
wenn
Untertan
er
(der
wankend
werden, oder zwischen ihr und dem Eigennutz oder der rohen Willkür die Wagschale schwanken sollte." ist hier der einzige Anhalt.
Man kann weiter gehen.
Der Eid
Der Eid ist eine zwar unwägbare aber
eine gewichtige Macht , ein Imponderabile, dessen Eindruck das schlichteste Gemüt zugänglich ist und dem auch der arroganteste Freigeist
sich nicht entziehen kann.
Er ist trotz der wiederholten
Versuche in den Parlamenten, ihn abzuschaffen oder abzuändern , den meisten im Volk und darunter den Besten die höchste Verpflichtungsform .
Ferner ist er die einzige Verpflichtungsform , mit
der jemand sich selbst in seiner ganzen Persönlichkeit bindet. Bürgen und hinterlegte Summen nützen hier nichts, wo niemand für des anderen Gewissen haften kann und wo die Preisgabe einer Kaution nichts ist gegenüber den Opfern , die das Vaterland fordert . Denn schließlich ist der Soldat meist arm und der Feind allemal reich genug, einen Landesverrat zu bezahlen. Diese Ausführungen haben sich an vielen Stellen auf Kundgebungen des Obersten Kriegsherrn berufen dürfen. Es hat früher Kreise gegeben , die angesichts solcher Kundgebungen von „ Romantik" sprachen, unter Mißdeutung dieses Begriffs und lichen Auffassungen,
zugleich der König-
die damit kritisiert werden sollten .
Gewiß , die
kleinen Schwingungen, in denen das Alltagsleben allzuvieler Volksgenossen im Frieden sich vollzog,
stimmte nicht zu dem Schwung
solcher Auffassungen. Heute ist das anders . bei Hoch und Gering einen Rhythmus und
Heute hat das Leben einen Klang. - Es ist
bezeichnend für einen Soldatenkaiser. daß Seine Majestät 1905 ein Gelübde, das sich auf Regierungshandlungen bezog, als Fahneneid bezeichnete. „ Ich habe Mir damals den Fahneneid geschworen , als Ich zur Regierung kam nach der gewaltigen Zeit Meines Großvaters, daß . was an Mir liegt,
die Bajonette und Kanonen zu ruhen hätten, daß
aber Bajonette und Kanonen scharf und tüchtig erhalten werden müßten, damit Neid und Scheelsucht von außen uns an dem Ausbau unseres Gartens und unseres schönen Hauses im Innern nicht stören . " Und es Tage des
ist bezeichnend,
daß
nach Beendigung der Thronrede am
25 jährigen Reichsjubiläums Seine Majestät, die Fahne des
Ersten Garderegiments zu Fuß ergreifend, den Schwur tat : „ Angesichts dieses ehrwürdigen Feldzeichens , welches eine fast zweihundertjährige ruhmvolle Geschichte bezeugt,
erneuere ich das Gelübde : für
des Volkes und des Reiches Ehre einzustehen, sowohl nach innen als nach außen, Ein Reich, Ein Volk, Ein Gott. "
283
Vom Fahneneid .
Die Ideale, die der Fahneid lebendig halten soll, sind zeitlos und lassen sich nur aus der Geschichte heraus verstehen. Als Friedrich der Große
nach der Schlacht bei Kunersdorf
sich vom Glück verlassen glaubte und sich mit dem Gedanken trug. seinem königlichen Leben
ein Ziel zu setzen,
schrieb er an General-
leutnant von Finck : ,,Was mein Bruder befehlen wirdt, das muß geschehen, an meinen Neveu muß die Armée Schwehren ." Eine ähnliche Bestimmung findet sich in der „ Ordre an meine Generale dieser Armee, wie sie sich im Fall zu verhalten haben , wenn ich sollte totgeschossen werden" , gegeben vom König vor der Schlacht bei Zorndorf.
Unter den letztwilligen Direktiven schien ihm das vor allem
wichtig, sein Heer durch Gehorsam dem Nachfolger im Oberbefehl und durch den Fahneneid seinem Nachfolger auf dem Thron zu verbinden. Schon im alten Athen gab es einen Fahneneid .
Mit 18 Jahren
wurde der junge Bürger für mündig erklärt, gemustert , in die Heeresliste (Katalogos ) eingetragen und dem Volk im Theater vorgestellt . ,, Dabei ward er mit Schild und Schwert gerüstet und schwor, sich der Verteidigung des Vaterlandes zu weihen " (Jähns) . Auch die Römer kannten seit alters den Soldateneid , der in der Kaiserzeit der Person
des Kaisers
und nicht nur für den gegenwärtigen Feldzug,
sondern für das ganze Leben bindend geleistet kischen König
schwor jeder
Freie schon
mit
wurde .
Dem frän-
dem 12. Lebensjahr
einen Eid, leudesamio genannt , der ihn zum Aufgebot verpflichtete. damit wurde er zum Leudus , zum Eingeschworenen (Jähns ) . Die Trustis des Königs schwur daneben den bereits erwähnten besonderen Eid „ in die Hände des Königs", aus diesem leitet sich der Vasallitätseid her, der Lehnseid, dessen Bedeutung im Mittelalter jedes Blatt der Geschichte zeigt . Bezeichnend ist der Ausruf Rudolfs von Schwaben , als er in der Schlacht an der Elster durch einen Hieb seine Schwerthand verlor : ,,Das ist die Hand, mit der ich dem Kaiser Treue geschworen . " Einen Historiker müßte es reizen , die Wechselwirkung zwischen Eid und Treue durch das deutsche Mittelalter zu verfolgen, ähnlich wie es Göschel mit staunenswertem Fleiß in seinem biblischen Eidesspiegel (in ,, Der Eid " 1839) für die Zeit des Alten und Neuen Testaments getan hat . Eine Vereinigung vom Treueid und eidlicher Vertragserhärtung war der Eid, mit dem die Landsknechte den verlesenen Artikelsbrief bestätigten . Noch heute geht der Eidesabnahme die Verlesung der Kriegsartikel vorauf, die zwingendes Erfordernis ist,
denn
es wird
gelesenen Kriegsartikel" genau zu befolgen . eid leistete damals der Fähnrich,
geschworen ,, die mir vorEinen besonderen Fahnen-
er mußte schwören und geloben,
284
Vom Fahneneid.
Leib und Leben bei dem Fähnlein zu lassen : ,,Also wenn Ihr werdet in die Hand geschossen , darin Ihr das Fähnlein tragt, daß Ihr es in die andere nehmet, so werdet Ihr
werdet Ihr an derselben Hand
auch geschädigt ,
das Fähnlein ins Maul nehmen und fliegen
lassen .
Sofern Ihr aber vor solchem allem von den Feinden überrungen und nimmer erhalten werdet, so sollt Ihr Euch darinnen wickeln , Euer Leib und Leben dabei und darinnen lassen , ehe Ihr Euer Fähnlein übergebt oder mit Gewalt verliert. "
Als zur Blütezeit
des Söldner-
wesens in Deutschland das Reislaufen begann und deutsche Kraft sich in aller Herren Ländern schlug . nannte man doch in Rußland damals alle Söldner, die vom Ausland kamen : Nemzy Lippischer Fahneneid neben Treu und
Gehorsam
enthielt ein
das Versprechen ,
nicht außer Landes ohne schriftliche Erlaubnis Kriegsdienst zu nehmen . Aus dieser Epoche gibt uns der Arme Mann vom Tockenburg (Ulrich Braeker) , nachdem er von seiner zwangsweisen Werbung erzählt hat , eine
anschauliche Schilderung von einer Vereidigung,
sein soll .
brachte etliche Zipfel
wie sie
nicht
Man führte uns in ein Gemach, so groß wie eine Kirche, zerlöcherte Fahnen herbei und befahl jedem,
anzufassen .
Ein Adjutant,
oder wer es war, las uns
einen einen
ganzen Sack voll Kriegsartikel her und sprach uns einige Worte vor, welche die mehrern nachmurmelten, ich regte mein Maul nicht, dachte dafür was ich gern wollte, ich glaube an Ännchen ; er schwung dann die Fahne über unsere Köpfe und entließ uns.
Hierauf ging ich in
eine Garküche und ließ mir ein Mittagsessen nebst einem Krug Bier geben." Hier mag noch die eigentümliche Kaution erwähnt sein, die an Stelle unserer juratorischen Kaution in der von Iwan dem Schrecklichen 1551
gegründeten Leibwache der Strjelzy üblich war. Hier mußten drei alte Schützen für jeden Neueintretenden sich verbürgen und mit ihrem Vermögen dafür haften , daß jener treu dienen und durchaus nicht plündern werde (Jähns , Heeresverfassungen und Völkerleben , 1885, S. 53). Doch war dies so wenig ein hinreichendes Surrogat für den Fahneneid, als etwa das Ehrenwort, durch das manche später den Eid zu ersetzen suchten (Meister , Leue). Die Empfindung ist zu tief eingewurzelt im Volk, der Eid müsse eine religiöse Bindung sein. Jedenfalls ist es eine unbewiesene Behauptung, mit der Jellinek zu diskreditieren meint, daß sie gerade da
die politischen Eide
am meisten gefordert werden, wo sie sich am wenigsten wirksam erwiesen haben, und Bauer bleibt beweisfällig für den gewagten Satz : ,,Kein stürzendes Reich ist noch durch den Eid gehalten , gefegter Thron durch ihn wieder aufgerichtet worden."
kein weg-
Dieselbe Be-
285
Vom Fahneneid.
merkung findet sich in der kleinen Schrift des Baron v. Görtz ,,Über den Eid in religiöser
und politischer Hinsicht" 1836 (sie hält wenig
von dem, was ihr Titel verspricht) : Daß ,,tausend Bürgereide den gewissenlosen Bürger nicht von der Rebellion abhalten," und insbesondere für den Fahneneid sagt Hartlieb (,, Der Eid und der moderne Staat", 1884) , daß selbst seine Wirkung nicht unbedingt sei, wie die vielen Desertionen aktiver und noch mehr beurlaubter Soldaten bewiesen. Gewiß, die Geschichte schreibt nur die Namen derer zu dauernder Schande auf,
die ihren Eid verletzten.
Und wo er gehalten wurde ,
tritt der Eid selten als ausschlaggebendes Motiv zutage . Sein Halten wie schon erwähnt - geschieht in schweigender Pflichterfüllung. Dem Einwand : ob denn die Pflichttreue des deutschen Soldaten dieser besonderen Sicherung bedürfe und umgekehrt, ob der, den die Pflichttreue nicht bindet, sich durch den Eid werde binden lassen, können wir nicht
mit statistischem Material,
nicht
mit Zahlen und
Namen begegnen. Hören wir aber, was Graf Arnim - Boitzenburg in seinem vorhin zitierten Buch erzählt, wie man in den Tagen des vorigen Jahres ( 1848) wahrzunehmen Gelegenheit hatte, wie der Gedanke
Ich
habe meinem Könige geschworen und ich muß
meinen Eid halten
allein :
allen Wühlereien Trotz bot, wo die Versuchung
so nahe lag, ihnen Gehör zu geben, um bei Frau und Kind und Heerd zu bleiben. " Und weiter : in seiner Abhandlung über die Disziplin berichtet v. Crousaz :
„ Der Große Kurfürst hat
die wenigen
Truppen, welche er übernahm (früher waren die brandenburgischen Truppen nur dem Kaiser vereidigt und der Kurfürst hatte ihnen nur mit der abhängigen Machtvollkommenheit eines Heerführers gegenübergestanden), vorerst für sich vereidigt und hiermit von vornherein eine moralische Grundlage schaffen.
ihres Verhältnisses
Dies wurde in der Armee,
korps gestaltete. hieran lehnten,
mit
dem Landesherrn ge-
welche er
aus jenen Truppen-
der Kern und Hauptnerv aller Disziplin und hierdurch beseelten und bekräftigten sich
erst alle
zum Ausbau der Heeresdisziplin von ihm und seinen Nachfolgern angewendeten einzelnen Mittel. " Deutlich spricht sich die Achtung vor der Heiligkeit des Eides auch in dem Erlaß Kaiser Wilhelms I. aus, auf Grund dessen in den 1866 okkupierten Landesteilen eine Neuvereidigung der Truppen zunächst unterblieb. -- Wir können auch hier wieder auf ein Wort unseres Obersten Kriegsherrn uns berufen , mit dem Seine Majestät 1897 neuvereidigte Rekruten zur Pflichterfüllung ermahnte: ,, Ihr habt Beispiele
vor euch aus der
Deutschen Heeresgeschichte.
vor euch haben ihren Eid geschworen und gehalten . Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 537.
Tausende
Und weil sie 20
286
Vom Fahneneid.
ihn hielten , deswegen wurde unser Vaterland siegreich und unüberwindlich. Weil sie ihren Eid hielten , stehen eure Fahnen vor euch mit Ruhm bekränzt und mit Ehrenzeichen bedeckt und wo sie sich zeigen, entblößen sich die Häupter und präsentieren die Regimenter." Ein Kaiserwort von 1905 rühmt an den Veteranen : ,,Sie haben ihren Eid treu gehalten,
ihre Pflicht getan, und leben
jetzt
Patriotismus
als
Vorbilder von
Generation. "
habt vor allen Dingen überzeugt,
daß
getan hat .
Treue
und
für
die
jüngere
Die Sieger von Taku begrüßte 1900 das Wort :
ein
euren Fahneneid gehalten
jeder in schweren
Stunden
Ihr
und Ich bin fest seine
Schuldigkeit
Das Auge hat nicht gezuckt und die Hand nicht gezittert,
und so wurden die Siege errungen . Niemand unter euch kann wissen . mit welch hoher Freude die Nachrichten von euren Siegen aufgenommen wurden,
an denen Armee und Marine gemeinsam beteiligt gewesen. "
Und als wäre sie gestern gesprochen , klingt die Kaiserliche Rede an die Marinerekruten in Kiel zur Zeit der Chinaexpedition 1900 : ,,Während draußen Geschütze donnern und mancher mutig sein Leben beschließen muß , schwört ihr jungen Rekruten den Fahneneid .
Für-
wahr,
wenn
Ich sollte meinen,
daß ein jeder begeistert sein müsse ,
er vor den Altar gestellt wird und das Kruzifix anschaut. daß von denen ,
Ich denke ,
die Mir hier geschworen haben und jetzt draußen
fechten, wohl jeder weiß, wozu der Fahneueid ist, und warum Ich darauf halte, daß er so feierlich wie möglich ist. Denn Ich bin fest überzeugt, daß mancher draußen in seinem Leben eine Stunde oder Minute durchgemacht haben wird, wo er sich plötzlich verlassen und auf sich selbst gestellt gesehen hat und mit einem Male an seinen Eid gedacht hat. " Freude sagen,
Es heißt dann weiter : ,, Ich kann mit Stolz und
daß Meine Söhne Mich
nicht getäuscht haben .
Ich
erkenne dankbar an , was eure Brüder draußen geleistet haben.
Wir
wollen es nicht vergessen. daß ein neues Kommando zuerst aus dem Munde eines fremden Heerführers erschallte : Germans to the front ! Euren Brüdern ist es gelungen , ihre Kameraden aus dem Feind herauszuhauen , weil sie an ihren Fahneneid dachten." Am Schluß dieser Ansprache Wilhelms I.,
und
wird
der
Kaiserin
Augusta ,
eines Vorfalles gedacht,
Gemahlin
von dem
Kaiser
auch eine An-
sprache an die Offiziere des Königin-Augusta - Regiments 1893 handelte . Hier heißt es : ,,Einen wie hohen Wert Ihre Majestät auf diesen Eid legte, bekundete sie dadurch, daß sie Mir persönlich sagte, man könne dem jungen Soldaten nie früh genug die ganze Schwere seiner Verantwortung klar machen und die Größe seiner Pflicht, die ihm auferlegt wird .
Wie hat Sie
alle Phasen des Regiments verfolgt !
Ich
erinnere vor allem an den Tag des Ausmarsches, als Sie das Regiment
Vom Fahneneid .
287
mit feuchten Augen und ihrem Segen entließ und den Offizieren zurief, daß, was auch kommen möge, sie sich stets als Söhne ihrer Mutter fühlen und führen möchten . Und als das Regiment am Abend des blutigen Tages von St. Privat nach schwer erkämpften Siege zu drei Vierteln seiner Offiziere auf dem Schlachtfelde lassen mußte , erging von den Übrigbleibenden ,
zugleich
im Geiste
der im Kampfe
Dahingesunkenen , an Ihre Majestät die Meldung, sie wären ihrem Schwur und ihrem Versprechen als Söhne ihrer Mutter treugeblieben und hätten ihre Pflicht getan .“ Im Dezember 1914 zeigte ein Feldartillerieregiment den Heldentod seines Kommandeurs mit den Worten an, daß er ., an der Spitze seines Regiments in vorderster Linie treu seinem Fahneneide" gefallen sei.
Ein
andermal wurde der Tod von fünf Leutnants
ments mitgeteilt :
eingedenk ihres Fahneneides
seien sie
eines Regials Helden
gefallen. Und in dem Tagesbefehl des Generalfeldmarschalls v. Hindenburg am 1. Januar 1915 heißt es : ,,Mit Dank gegen Gott, der uns die Kraft zu solchem Tun gegeben hat, und mit festem Vertrauen auf Seine weitere Hilfe wollen wir in das neue Jahr eintreten . Treu unserem Soldateneide werden wir unsere Pflicht auch ferner tun , bis unserem teuren Vaterlande ein ehrenvoller Friede gewiß ist, " Gegenüber dem Fahneneid , gehen,
mit dem
mit dem
deutsche Soldaten sterben
ein Hindenburg seine Siege gewinnt,
der mancher
müde gewordenen Tapferkeit aufgeholfen hat, in dem die patriotischen und religiösen Hochgefühle ineinander fließen , wird die Kritik künftig zu schweigen haben.
Das Spiegelbild des Geistes in einem Volk ist immer seine Poesie. Auf die müde Literatur des modernen Menschen ist heute ein frischer Ton gefolgt. Auch hier eine neue Jugend . Ich weiß nicht , was verwunderlicher ist, daß so viele Leute Verse machen können , oder, daß so ungeheuer viele Verse
machen müssen . Aber es ist täglich scheint weil eben die Poesie
viel Gutes darin und was wichtiger ein Spiegel ist
täglich viel Kräftiges und Gesundes.
An die Stelle
der komplizierten Gefühle oder vielmehr Empfindungen sind die wenigen männlichen Grundwahrheiten : König und Vaterland , Ehre, Glauben und Treue getreten,
und die
einfachen menschlichen Gegensätze : Freund
und Feind, Deutsch und Fremd , Liebe und Haß. Der
Kladderadatsch" brachte Anfang des Jahres 1915 ein be-
zeichnendes Bild , das stellte Italien dar, von Frankreich und England umbuhlt,
hinter der Gruppe reckte sich eine weiße Schwurhand und
darunter stand : ,, Oh, mon dieu , so komm doch endlich zu uns . 20*
Das
288
Vom Fahneneid .
Wort ,,Treue ist ja auch nur so eine niederträchtige Erfindung der deutschen Barbaren . " Eid und Treue gehören dem Deutschen zusammen. Vielleicht darum , weil der Eid diesen mystischen Schleier hat, vielleicht weil in der Treue
so viel echte Romantik liegt.
Uns
Deutschen ist der Eid seit je der Begleiter höchster Leidenschaft und heiligsten Willens gewesen .
Schon in der Edda spricht Brunhild zu
Siegfried : . , Das rat ich zum andern dir :
Eide nicht schwör,
die wahrhaft wären.
straffe
Schwüre schädigt. "
Treubruch strafen
außer
elend
Es müßte ein umfängliches Werk werden,
man beschreiben wollte,
wer wenn
welche Rolle der Eid in den Epen unserer
ersten klassischen Epoche spielt, ein Konflikt,
Bande ,
wie allein
kaum ein Verhängnis
im Nibelungenlied kaum
sich findet,
das nicht in einem
Eide wurzelte, aber auch kaum irgendwelche Größe oder Tugend , die nicht durch Eid bekräftigt doppelt hell und hart
erschiene.
Und
dann die dramatische und Balladen - Dichtung durch alle Jahrhunderte. Blättert man Liederbücher durch : in fast allen Vaterlandsliedern ist von der Treue die Rede , Schwur, vorwärts nur, spielsweise in
dem
in
sehr
vielen vom Eid .
,,Treu dem
vorwärts auf der Feinde Spur" heißt es bei-
bekannten Lied
der Jäger und Schützen.
Die
etwas rhetorischen Weihelieder aus Beginn und Mitte des vorigen Jahrhunderts enthalten zumeist einen Schwur ( Wo Mut und Kraft in deutscher Seele flammen " ,,,Auf, Brüder, auf, beginnt das Lied der Weihe" ) . Einen packenden Ausdruck findet er in der „, Wacht am Rhein",
deren Melodie
aus jedem Wort einen Kampfruf macht
und die man in Frankreich wegen ihrer Wirkung ,, la Marseillaise des Allemands" nannte. Gemütvoll heißt es in unserem heute zu wenig gesungenen Preußenlied:
Wo Lieb und Treu sich so dem König weihen , Wo Fürst und Volk sich reichen so die Hand, Da muß des Volkes wahres Glück gedeihen , Da blüht und wächst das schöne Vaterland . So schwören wir aufs neue Dem König Lieb und Treue.
Fest sei der Bund, ja schlaget mutig ein : Wir sind ja Preußen , laßt uns Preußen sein. Man könnte hier eine Unzahl Beispiele aus Liedern herausreißen und zusammenstellen. Doch ist diese literarisch-anatomische und philologisch- statistische Tätigkeit weder reizvoll noch dem Wert dessen entsprechend , wovon wir reden. Es sollen zum Schluß drei Lieder vom Fahneneid ihre Stelle finden : Das erste von Arndt , dem eigentlichen Dichter von Eid und Treue -- man denke an das Gebet bei
289
Vom Fahneneid . der
Wehrhaftmachung
eines
denn ein Jüngling kniet" , Schwur".
deutschen
Jünglings :
„ Betet
Männer,
oder an ,, Des deutschen Knaben Robert
Dies Lied, von dessen fünf
Strophen die
ersten beiden
wiedergegeben werden , steht im Katechismus für den deutschen Wehrmann von 1813 (Nr. 7 ) und heißt ,, Der Fahnenschwur" . Das zweite - man findet es in jedem Soldatenliederbuch Lied — singt vom Fahneneid in dem liebenswürdigen Ton des jungen Wilhelm Hauff . Das dritte - unter Weglassung einer Strophe der „ Täglichen Rundschau" (Unterhaltungsbeilage vom 18. September 1914) entnommen heißt ,,Der Preußische Fahneneid" und ist von Walter Flex , aus dem die Größe dieser Zeit einen Deutschen Dichter gemacht hat. Ernst Moritz Arndt. Hebt das Herz, hebt die Hand!
Schwöret für die große Sache , Schwört den heil'gen Schwur der Rache , schwöret auf das Vaterland , schwöret auf den Ruhm der Ahnen,
auf die deutsche Redlichkeit , auf die Freiheit der Germanen , auf das Höchste schwöret heut ! Hebt das Herz , hebt die Hand ! Erd' und Himmel soll ihn hören unsern hohen Schwur der Ehren, unsern Schwur fürs Vaterland. Glorreich schwebe, stolzes Zeichen , Das voran im Streite weht , Keiner soll von hinnen weichen, Wo sich dies Pannier erhöht ! Wilhelm Hauff. Wohl dem, der geschworen zur Fahne den Eid , Der sich zum Schmuck erkoren des Königs Ehrenkleid. Sei Treue verraten , sei Ehre verbannt, Doch gehn mit dem Soldaten sie beide Hand in Hand .
Es grüßt ja zur Seite der Säbel ihm zu Und ruft ihm aus der Scheide : so treu wie Stahl sei du. Die Büchse, sie winket so freundlich und rein , So rein wie sie blinket soll seine Ehre sein. Das tönt ihm so süße, das schwellt ihm den Arm , Das macht wie Liebchens Küsse Soldatenherz so warm. Drum auf, es ertönen Trompeten voll Mut,
290
Vom Fahneneid. Des Vaterlands Söhnen wallt treues Heldenblut. Die Welt mag zerreißen die Schwüre wie Spreu . Ich weiß ein Wort von Eisen , es heißt : Soldatentre u .
Walter Flex. Ich habe dem König von Preußen geschworen Einen leiblichen Eid.
Der König von Preußen hat mich erkoren Zum Helfer im Streit. Wer will dem König von Preußen schaden. Den will ich vor meine Waffen laden Vor Tau und Tag, bei Nacht und Tag. Die Hand führt guten , gerechten Schlag , Die zum Schwur auf des Königs Fahne lag. Von uns wird keiner die Treue brechen Und keiner den Eid. Wir wollen ihn schützen und wollen ihn rächen ,
Wir tragen sein Kleid . Wir sind dem König von Preußen verschworen Mit Leib und Seele , wie wir geboren. Wer auf die preußische Fahne schwört , Hat nichts mehr , was ihm selber gehört. Weh dem, der des Königs Wege stört! Der König von Preußen kann ruhig gehen , Wohin's ihm gefällt. Soweit seine seidenen Fahnen wehen, Ist sein die Welt .
Wir haben auf seine Fahnen geschworen , Von unserem Eid geht kein Wörtlein verloren . Sein ist die Nacht, sein ist der Tag.
Die Hand führt guten, gerechten Schlag. Die zum Schwur auf des Königs Fahne lag.
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina .
291
XXIV.
Die Neujahrsschlacht
in
Galizien und der
Bukowina .
Von Rhazen, Generalleutnant z. D.
(Schluß .) Aus dem Wunsche,
nach den Balkanstaaten hin, wo Rußlands
Ansehen unheilbar erschüttert war, eine Demonstration in die politische Ecke , an welcher Bukowina, Galizien und Bessarabien aneinanderstoßen , zu richten die freilich einen sehr wirkungsvollen Eindruck nur durch die Widereroberung Galiziens hätte machen können
, gingen
die Kämpfe am 10. und 11. Januar hervor, die wieder den Durchbruch bei Toporoutz und Rarancze anstrebten, Kaum nachdem Gallipoli vom Feinde frei, die Entente also hier von den Türken besiegt worden war, und nachdem in Montenegro der Lowcen genommen und Friedenssehnsucht sich regte.
Da die gleichzeitigen Angriffe auf
der ganzen Front den Russen außerordentlich starke Verluste gebracht hatten, so verfolgten sie nun eine andere Taktik , nämlich an Einzelstellen mit gewaltiger , gehäufter Stoßkraft Durchbruchsversuche
anzustellen ,
die
aber
kein
besseres
Ergebnis haben sollten. In der Nacht vom 10. zum 11. Januar fanden dann von 11 Uhr abends bis 6 Uhr morgens vier Angriffe sogar in Kolonnen statt. Wie es aber im Großen Hauptquartier damals mit den Hoffnungen auf Erfolg in Wirklichkeit stand, hat uns etwas später die
„ Ruskije Wjedomosti "
verraten :
„ Selbst
wenn wir bei
Czernowitz einen Erfolg erringen sollten , ist dieser wertlos.
Die Be-
deutung dieses Gebietes für die Gesamtoperationen ist äußerst gering. " Am 11. Januar, ehe der Umfang der neuen Kämpfe ihm bekannt sein konnte, schrieb „ Bund “ : „ Die russische Offensive an der bessarabischen und galizischen Front ist noch einmal angeschwollen, aber bereits wieder im Verebben . Sie ist also weit kurzatmiger geworden , als früher , was sich aus der Verminderung der Operationsfähigkeit nach so langem und verlustreichen Kriege von selbst versteht. Als abgetan kann sie aber noch nicht gelten .
Ein Blick auf
die Karte zeigt, wie unzutreffend das Gerücht von einer unmittelbaren Bedrohung von Czernowitz
durch die Russen war,
er
zeigt aber
auch , daß hier im Raume Czernowitz - Kotzman , bei Toporoutz
und Rarancze, um sehr hohen Einsatz gespielt wird .
292
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina.
Gelänge es den Russen , sei es flankierend von Bojan her , sei es über die Straße Zastawna - Sadagora, in die österreichischen Hauptstellungen einzudringen , so wäre wohl mit der militärischen Räumung von Czernowitz durch die Österreicher zu rechnen . Das wäre zweifellos ein sichtbarer Erfolg , aber kein vollendeter Durchbruch. Die von den Russen im Raume Uscieczko w und an der Strypa ausgeführten Angriffe waren geeignet , den Vorstoß auf Czernowitz
zu decken .
Eine
strategische Auswirkung
auch dort nirgendswo erfolgt .
ist indes
Ob die Russen in der Lage sind ,
ihre Angriffe zu wiederholen , ihre Artilleriewirkung zu steigern, ihre Infanteriestürme noch mehr zu massieren und die einzelnen taktischen Bewegungen in einen so guten operativen Zusammenhang zu bringen, daß es ihnen, bei rücksichtslosen Einsatz ihrer Reserven , doch noch gelingt , einen Erfolg zu erzielen , ist zum mindesten zweifelhaft. " am 12. Januar : Vollendung helles
„ Der montenegrinische Feldzug
entgegen .
Licht
auf
die
Aber
auch von
verzweifelte
Und
wächst der
ihm aus
Offensive ,
fällt ein
welche
die
Russen jetzt auf einer Frontbreite von 350 km zwischen Czartorysk und Czernowitz mit sehr großen Opfern , aber ohne jede strategische Auswirkung entfalten. " Die größte Heftigkeit erreichten die Kämpfe im Raume von Toporoutz und östlich Rarancze am Vormittag des 14. Januar. Viermal, an einzelnen Stellen sechsmal , führte der zähe Gegner seine 12 bis 14 Glieder tiefen Angriffskolonnen Nahkampf zurückgewiesen werden mußten. und Tscherkessentruppen Verluste.
vor,
die
stellenweise
im
Zentralasiatische Infanterie
trugen hier den Hauptteil der
schweren
Rumänische Blätter sprachen damals unverhohlen aus , daß
die Russen mit ihren forcierten Angriffen an der Bukowina- und bessarabischen Front politische Zwecke verfolgten, daß der russische
Botschafter
Bukarest erklärt habe : Mitwirkung
Schebecko
bei
seinem letzten
Aufenthalt
in
Rußland wolle um jeden Preis die
Rumäniens
an der Seite
der
Entente
er-
zwingen und , selbst wenn es die Hälfte der russischen Armee kosten sollte , in den Besitz der südöstlichen Karpathen gelangen . Am 14. Januar wurden, nach der rumänischen Presse, von ungarischen Truppen auf einem 4 km langen Frontangriff 40
russische Angriffe
abgeschlagen ;
hinter
den
russischen Truppen, die ganz riesige Verluste erlitten, waren Maschinengewehre zur Hebung der Begeisterung aufgestellt , und jeden zweiten Tag seien von Bessarabien Verstärkungen eingetroffen, die
293
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina. man in die an den Vortagen gerissenen Lücken geworfen hätte . Munitionsverschwendung sei eine geradezu enorme. " Am 19. Januar schrieb die ,,Neue Freie Presse " :
Die
" Im Rahmen
der Neujahrsschlacht in Ostgalizien und an der bessarabischen Front verteilen
sich
die
Kampftage
innerhalb der
24 tägigen
Dauer dieser
Schlacht auf die einzelnen Abschnitte in folgender Weise : An der bessarabischen Front wurde vom 24. Dezember bis 4. Januar mit zweitägiger Unterbrechung, an der Strypafront vom 29. Dezember bis 3. Januar mit eintägiger Unterbrechung gekämpft. Dann fanden am 7. Januar an beiden Frontabschnitten, am 8. Januar an der Strypafront schwere Kämpfe statt .
Hierauf trat an der Strypa Ruhe ein,
während an der bessarabischen Front die Kämpfe vom 10. bis einschließlich 15. Januar fortdauerten. Gefechtstage waren an der Strypa 8, davon
6 sehr schwere ,
an der bessarabischen Front 15,
13 sehr schwere zu verzeichnen. erhielten ,
kann
ansetzen .
davon
Da die Russen große Verstärkungen
angenommen werden ,
daß
die
Angriffe
wieder
Es war, so schrieb man aus der Bukowina den Wiener
Zeitungen, kein Zufall,
daß die letzten Kämpfe am südlichen Teile
der Front am Pruth begannen ,
sich weiter bis zum Dnjestr fort-
pflanzten und erst wenige Tage später auch auf die Strypafront ,
in
Ostgalizien bis auf die Ikwa, übertragen wurden , trotzdem aber die größte Wucht der Angriffe gegen die bessarabische Front gerichtet war .
Iwanow wollte unbedingt die österreichische rechte Flanke ein-
drücken , gleichzeitig schäftigen. "
aber
auch
die
anderen
Teile
der Front be-
Vom 15. bis 18. Jannar trat eine Kampfpause ein , die Iwanow zum Auffüllen seiner total zerflederten Verbände durch neue, von anderen Fronten herangezogene stärkere Einheiten, zu mindestens zwei Korps , benutzte . Petersburger Nachrichten gaben damals Iwanows Kräfte auf 15 Armeekorps an und meldeten, er sei zur dritten Kampfpause seit Weihnachten gezwungen worden , die Offensive müsse bis jetzt
als
nicht gelungen
bezeichnet werden ,
und die Heeres-
leitung sich daher mit einem neuen Operationsplan befassen. In Petersburg
habe
des Mindestmaßes
ein Beschluß des Ministerrats die Herabsetzung für die Militärtauglichkeit
von
festgesetzt. Am 19. Januar begann die zweite , oder , der zweite Abschnitt der Doppelschlacht
153 auf 150 cm
besser gesagt an der bess-
arabischen Grenze . Sagen wir es gleich von vornherein , daß auch seine Geschehnisse im Raum Czernowitz und a n der Strypa auf den Gang der Ereignisse am Balkan Einfluß zu üben nicht vermocht haben , wo König Nikita die Kapitulation
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina .
294
schon angeboten hatte, und wo die schmale Operationsbasis der Entente an der adriatischen Küste zusammenzubrechen drohte. Am 19. Januar meldete der Tagesbericht unserer Verbündeten : .,Heute,
in den frühesten Morgenstunden,
entbrannte an der Grenze
östlich von Czernowitz , bei Toporoutz und Bojan, wieder eine neue Schlacht. Der Feind setzte überall zahlreiche Kolonnen an und führte an Er wurde gewiesen.
einzelnen Stellen
jedoch
überall
vier Angriffe nacheinander durch .
von den tapferen
Verteidigern
zurück-
Am 20. Januar war schon ein Zunehmen der Schlacht an
der bessarabischen Grenze an Heftigkeit sowohl , wie an Umfang festzustellen.
Außer den schon im vorhergehenden Berichte gemeldeten ,
also in die frühen Morgenstunden fallenden Angriffe waren bis in den Nachmittag hinein fast stündlich zwischen Toporoutz und Bojan zähe Anstürme überlegener Kräfte abgeschlagen .
Vereinzeltes , im Laufe der
Kämpfe erfolgtes Eindringen von gegnerischen Abteilungen in Schützengräben wurden unter schweren Verlusten, die das Vorgelände mit russischen Leichen -- bis zu 1000 in einzelnen Bataillonsabschnitten bedeckten,
zurückgeworfen .
Auf den
anderen Fronten der Armee
Pflanzer-Baltin und in Ostgalizien war schweres Artilleriefeuer an der Tagesordnung. L. v. B. schrieb am Zähigkeit
setzen
die
Bukowinafront fort.
20. März
Russen
ihre
aus Wien ; starke
„ Mit
erstaunlicher
Offensive gegen unsere
Auf einem engen Raume stehen in tiefer
Angriffsgliederung (siehe oben neue Angriffstaktik der Russen ) mehrere feindliche Armeen versammelt. Unaufhörlich werden die Truppen zum Sturm gegen unsere Linien abgelöst. Ein heftiges Trommelfeuer leitet die Vorstöße ein, dann werden ungeheure Menschenmassen in sehr tiefer Gliederung gegen die beabsichtigten Einbruchsstellen geworfen , die sich wie ein wilder Strom gegen unsere Truppen wälzen , um an dem Felsblock, den diese bilden , zu zerschellen .
Trotz
der vielfachen zahlenmäßigen Überlegenheit bricht bis jetzt jeder Massensturm im Feuer des Verteidigers zusammen. Der gestrige Tag steigerte die Heftigkeit der Kämpfe . auf das höchte Maß.
Bei Czernowitz , wie es scheint,
Unaufhörlich tobt die Schlacht und trotz ihrer sehweren Niederlagen geben es
die Russen nicht auf, unsere Kampffront an ver-
schiedenen Stellen abzutasten , um vielleicht irgendwo eine schwächere Stelle zu entdecken, die ihnen die Möglichkeit bieten soll, den heiß Dann am ersehnten Durchbruch zur Ausführung zu bringen. “ 21. Januar :
„ Über Berge von Leichen, die das Ergebnis des ersten An-
griffs bildeten,
drangen immer neue Massen vor,
Ergebnis zu gelangen , wie die früheren .
um zu demselben
Dieses schonungslose Vor-
295
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina.
gehen gleicht dem in den vorjährigen Kämpfen in den Karpathen
und läßt
darauf schließen , daß diese Art des An-
griffes , die so enorme Opfer fordert , nicht die Dauer der ersten Schlacht an der bessarabischen Grenze erreichen wird . Die horrenden Anstrengungen , die gegen Nachmittag immer größer wurden , stehen im umgekehrten Verhältnis zu den Erfolgen des Gegners .
Mit
welcher Schonungslosigkeit die russischen Kolonnen zum Sturm geführt werden,
dafür gibt das hinter den angreifenden Linien von der eigenen Artillerie angesetzte Sperrfeuer wodurch auch ein Zurückfluten in der eigenen Masse naturgemäß unmöglich ein beredtes
wird
Zeugnis.
Das Vorfeld
unserer
Stellungen
gleicht einem Gottesacker, auf dem aber tausende Leichen russischer Soldaten noch unbeerdigt liegen. " Während der Tagesbericht vom 21. Januar feststellte ,
daß die
großen Verluste, die sie am 19. Januar in den Kämpfen bei Toporoutz in Bojan erlitten, den Russen eine Kampfpause aufgezwungen hatten , und daß von zeitweisen Geschützkämpfen abgesehen, an ziemlich allen Fronten
verhältnismäßige Ruhe geherrscht,
und die Oberste Heeres-
leitung an demselben Tage Abweisen mehrerer russischer Angriffe auf der Front
zwischen Pinsk und Czartorysk,
ganzen Nordostfront
Geschützkämpfe ,
am 22. Januar an der
am 21. ,
dann
am
22.
ab-
geschlagene Angriffe gegen Teile der bessarabischen Front festgestellt. hatte ,
beurteilte „ Bund " am 23. Januar die Lage wie folgt :
Offensive
der Russen zwischen Dnjestr und Pruth ist,
„ Die
wie sich un-
schwer voraussagen ließ, noch einmal aufgeflammt . Wiederum suchen sie im Abschnitt von Czernowitz mit aller Gewalt, mit Trommelfeuer und Intanteriemassenstößen ,
durchzudringen
und
treffen
bis jetzt
immer wieder auf unbezwingbaren Widerstand. Die Meldung des russischen Generalstabs vom 20. Januar 8 ° abends berichtet von der Wegnahme
eines Abschnitts
der
österreichischen Stellungen
nord-
westlich von Czernowitz in der Gegend von Rarancze. Wahrscheinlich muß es aber heißen : nordöstlich von Czernowitz, sofern der gemeinte Abschnitt in der Gegend von Rarancze suchen sein sollte.
wirklich
zu
Denn die Kampflinie verläuft im Raume Czernowitz
ausgesprochen östlich von dem letzt genannten Ort. Offenbar sind die Österreicher in dem ungeschmälerten Besitz der Straße, die von Czernowitz über Kuczarmik auf Zastawna Zalesdzycki führte .
Sie
werden diese Straße
und von dort nach . auch halten können ,
solange sie im Besitz der Höhenlinie sind, die von Lipnik über Mockow nach Verboutz streicht. Da diese Höhenlinien fest in österreichischer Hand
sind, so steht der Kampf augenscheinlich östlich
davon bei Toporoutz und Rarancze.
Der Abschnitt , in
dem die
296
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina.
Kämpfe am schärfsten brennen, läßt sich auf 30 km Längenausdehnung schätzen . Die Österreicher behaupten in ihren Meldungen vom 20. Januar, daß die zähen Anstürme der Russen im Handgemenge
abgeschlagen worden
seien, lassen aber durchblicken ,
daß die Kämpfe dort immer noch nicht zur Ruhe gekommen sind, wenn auch eine unmittelbare strategische Auswirkung nicht fühlbar ist und lokale taktische Erfolge des Angreifers die Lage noch nicht zu verändern vermochten (und wohl auch nicht verändern werden ) .
Es ist mit einer weiteren Fortsetzung dieser mit
Unterbrechung nun schon vier Wochen dauernden großartigen Offensive am russischen Südabschnitt zu rechnen. " An demselben Tage seit
längerer
Zeit
hebt der Bericht unserer Verbündeten die
beobachtete Widerstandskraft
Uszieczkow eingerichteten Brückenschanze hervor,
der
nordwestlich
die, vielfach und
wiederholt das Ziel russischer Angriffe, fast an jedem Tage Anstürme der Russen bis auf Bajonettentfernung abgewiesen hatte. Am 23. Januar
wurde
auch südlich Dubnow ein nach starker Artillerie-
vorbereitung einsetzender russischer Angriff abgeschlagen.
Die russische
Offensive gegen die Bukowina nnd Bessarabien hatte durch Mißglücken den
gewollten Eindruck verfehlt.
Am 25. Januar .
nachdem an mehreren Tagen das Hauptquartier unserer Verbündeten nur von stellenweisem Geschützfeuer, sonst verhältnismäßiger Ruhe gemeldet hatte , ging über Czernowitz das folgende Urteil rumänischer Blätter ein : „ Die Kämpfe an der bessarabischen Grenze dauern wohl weiter an, doch haben sie im Verhältnis zu den früheren Angriffen an Nachdruck stark nachgelassen.
Die Vorstoßversuche der Russen
werden mit sehr viel geringerer Stoßkraft als in den vorigen Wochen durchgeführt .
Die
Russen
haben
sich von
der aus
den letzten
Schlägen herrührenden Erschöpfung augenscheinlich noch nicht erholt. " Gleichzeitig erfolgte die Bestätigung der österreichischen Nachricht, daß Munition und Geschützmaterial japanischen Ursprungs in großem Umfange unter Leitung japanischer Offiziere von den Russen verwendet worden ist. Im Osten ist die russische Offensive zwischen Dnjestr und Pruth,
wie
an der Strypa immer noch nicht endgültig
zur Ruhe gebracht worden, " schrieb am 26. Januar der „ Bund “ . Dagegen am 30. Januar : „ Die große russische Offensive zwischen Dnjestr und Pruth , die in zwei großen Anläufen verbrandete , ist nun soweit abgeflaut , daß man die Voraussage , sie werde zu keinem unmittelbaren Ergebnis führen , als begründete Tatsache buchen kann . holt fixierte Linie Toporoutz - Rarancze , witz , ist nicht durchbrochen worden ,
Die wieder-
östlich Czerno-
die bulgarisch - öster1
297
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina.
reichische Offensive in Montenegro , wie in Albanien , ist in derjenigen des Vierdadurch nicht berührt worden und verbandes gegen Saloniki möchte ich annehmen , daß auch sie durch den opfermutigen fünfwöchigen Ansturm der Russen nicht beeinflußt worden ist. " Ereignisse von weittragender Bedeutung sind bis zum Schluß der ersten Dekade des Monats Februar dann nicht mehr zu verzeichnen gewesen. An der bessarabischen Kampffront war damals ein fast völliges Abflauen der russischen Gefechtstätigkeit festzustellen . Der Mangel an Offensive-
und Angriffslust
starken Verluste zurückgeführt,
wurde
damals
die die Russen
bei
auf die sehr
ihren jüngsten
Angriffsversuchen an der galizisch-bessarabischen und an der Bukowinafront erlitten hatten . In den mit sinnloser Verschwendung des Menschenmaterials durchgeführten und immer wiederholten Stürmen haben viele
russischen
standes eingebüßt .
Regimenter bis zu 80 %
ihres
Be-
Unter den Gefangenen, vielfach minderwertigen
und unausgebildeten Reservisten , waren alle Jahrgänge von 18 jährigen Burschen bis zu den ältesten Reichswehrmännern vertreten . Auch im Luftkampf an der Strypa ist den Russen kein Erfolg beschieden gewesen. Von elf ihrer Flugzeuge wurden allein am 28. Januar dort fünf niedergeholt, an demselben Tage, an welchem die Russen einen heftigen, am 29. Januar wiederholten Angriff auf die Brückenschanze von Uszierzko mit blutigen Verlusten scheitern sahen . In Wien zog man die Bilanz der damals fünf Wochen andauernden russischen Offensive und fand ein russisches Passivkonto von 160 km
schon damals über
langen Front
nördlich des Dnjestr
in
100 000 Mann ,
Ostgalizien,
vom
Ostufer
dem an der der
Strypa,
und in der Bukowina längs der bessarabischen
Grenze, östlich von Czernowitz, trotz Einsatz von zunächst 5 Korps und einer gemischten Brigade,
dann mindestens noch zwei weiteren
Korps nach Mißlingen des ersten Durchbruchs, auch nicht der geringste Aktivposten gegenüberstand. Bei der russischen Heeresleitung
schien
der Plan
nämlich
zu bestehen , die Front der
Verbündeten auf schwache Stellen abzutasten , die die Möglichkeit eines Durchbruchs bieten könnten . Die vorbereitende Arbeit sollte die Artillerie liefern .
Hinter des Front schien
sich,
wie Truppen-
versammlungen und -verschiebungen andeuteten, mancherlei Neues vorzubereiten. Nachrichten von Reisenden besagten, aus Mittelrußland kommende Bahnzüge schafften täglich neue Reichswehr- und Kosakenformationen nach Bessarabien , und in Odessa und Kilia seien neue Munitionsfabriken nasiasten
wurden
in Betrieb getreten .
Offizierkursen
überwiesen ,
Zahlreiche junge Gymdas
Mindestmaß
für
298
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina.
Militärtauglichkeit wurde , wie schon oben gesagt, von 153 auf 150 cm herabgesetzt . Die einzige größere Unternehmung in der Zeit vom 1. bis 10. Februar bildete aber ein russischer Angriff nordwestlich Tarnopol am
7. Februar, der mißglückte.
Aufklärungsgefechte, die russischerseits
Geschehnisse hinter der Front augenscheinlich zu verschleiern bestimmt waren, fanden in größerer Zahl statt. Besonders lebhaft war die Erkundungstätigkeit nördlich Tarnopol (nordwestlich dieses Ortes fand auch ein heißes Ringen um eine Brückenschanze statt) , auch waren mehrVon Bukarest wurde damals fach Artilleriekämpfe zu verzeichnen. gemeldet, daß am 10. Februar, wie in anderen Städten Bessarabiers , ständige Militärkommisson auch in Ismailia tagte, an welcher Führer der südbessarabischen Armee beteiligt war. Unmittelbar der auch nach den Konferenzen hätten größere Truppentransporte begonnen und eine
in Bessarabien verkehrten nur noch Militärzüge . Um diese Zeit ungefähr erklärte Poliwanow einem Berichterstatter des „ Journal " in Petersburg:
„ Die Moral der Truppen ist ausgezeichnet .
Dank der
Mobilmachung größerer Massen, die vor einiger Zeit angeordnet worden , verfügen wir über eine permanente Reserve von 1/2 Millionen junger Rekruten, die uns gestattet, die verschiedenen Truppeneinheiten zu speisen , ohne Leute mit ungenügender militärischer Ausbildung an die Front senden zu müssen. Es ist eine wichtige und grundlegende (Die Feststellungen Frage, die Einheiten stets vollständig zu halten. unserer Verbündeten ergaben von der Qualität und Schulung des russischen Nachschubs wesentlich andere Bilder. ) Wie sich der Krieg sich die Kräfte der Verbündeten und nehmen Bis zum Februarende, nachdem diejenigen der Zentralmächte ab. "
verlängert, vermehren
Poliwanow doch in der Duma erklärt, 29 unsere im Westen stehenden Truppen zeigen in episodischen Kampfhandlungen an Düan , Strypa und bei Czernowitz ihre Widerstandskraft und bereiten sich auf die Erfüllung bevorstehender hervorragender Aufgaben vor , "
war
die
vielgerühmte ,
angeblich
endlich erreichte
Einheitlichkeit der Führung im Vierverbande an der russischen Ostfront noch nicht zum Ausdruck gekommen. Die schon durch unsere lokalen Angriffe in Artois, in Flandern, an der Somme und in der Champagne hervorgerufene Nervosität und Unsicherheit , deren inneren Grund zweifellos die Furcht vor einer deutschen Offensive bildete, die dann einsetzende Bedrängnis der Franzosen im Westen und die Erfolge unserer Verbündeten in Albanien waren bis dahin noch nicht imstande, den Russen eine neue große Unternehmung , etwa ein Wiederaufleben der Neujahrsschlacht , zur Entlastung ihrer Bundesgenossen zu entlocken ,
Es bedurfte dazu , wie
1
Die Neujahrsschlacht in Galizien und der Bukowina .
299
wir später sehen werden , noch stärkeren Antriebes und dieser fand dann , wie die Ergebnisse zeigen , die Russen nicht in dem Grade der Bereitschaft , der ihnen den Erfolg , wie sie gedacht ,
hätte verbürgen können .
Was die Russen jetzt
gegen die Front des Feldmarschalls von Hindenburg, wie an der Front der Bukowina, Bessarabiens und Galiziens erleben, beweist , daß sie aus den bitteren Erfahrungen der Neujahrsdoppelschlacht nichts gelernt haben und die alten Fehler wiederholen . Eindrucksvoll genug aber hätten die Lehren der „ Neujahrsschlacht " wirken können ! Russische Blätter haben die Ziffern der Verluste an Offiziere in der Neujahrsoffensive Verhältnis
gegen Czernowitz auf
1330
angegeben .
Da das
der gefallenen Offiziere und Mannschaften in der letzten
Zeit 1 : 100 betragen hat, so muß man mit 130 000 toten , verwundeten und vermißten Russen bei dieser fruchtlosen Offensive rechnen.
Der Kräfteverlust
muß also ein weit größerer
gewesen sein, als man zunächst, bei sehr vorsichtiger Schätzung, angenommen hatte.
Am 4. März
unwiedersprochen,
als
gaben „ Dagens Nyheter ",
amtliche ,
verbotene Zahl der vom
bis jetzt
aber in Rußland zu veröffentlichen
1. Januar bis 31. Dezember 1913 ge-
fallenen russischen Mannschaften auf 1942 610, der von Kriegsbeginn bis Ende 1915 gefallenen russischen Offiziere auf rund 126 000 an.
Unter Zugrundelegung der von unserer Obersten Heeresleitung an-
genommenen Erfahrungsverhältnisse von 1 : 4 für die Berechnung der Verwundeten hat das russische Heer im Laufe des Jahres 1915 danach rund 7370 900 verwundete Mannschaften und bis Ende 1915 rund 510000 verwundete Offiziere gehabt .
5,
ja fast
, der russischen
Verwundeten wurden statistisch nachweisbar kampfunfähig .
Rechnen
wir nur mit 25, so sind als bleibende Ausfälle an Toten und Krüppeln , an Mannschaften für das Jahr 1915 rund 3.3 Millionen und von Kriegsbeginn bis Ende
1915
rund
225000 Offiziere
zu
rechnen .
Dazu kommen die Gefangenen , deren Zahl Ende 1915 in Deutschland rund 1,1 , in Österreich-Ungarn über 0.4 , im ganzen über 1,5 Mill . Russen betrug. 1914 zu rechnen.
Hierzu sind
die Toten und Krüppel für
„ Matin " gab am 6. Januar 1915 die Verluste an
toten und verwundeten Mannschaften Rußlands vom Kriegsbeginn bis zum 2. Dezember 1914 auf 1650 000 an , zu denen noch die bei unserer Verfolgung in Polen, sowie die in den Kämpfen in Westgalizien und den Karpathen vom 2. bis 31. Dezember 1914 erlittenen Einbußen
zu zählen sind.
Legen wir wieder das obige Erfahrungs-
verhältnis 1 : 4 zugrunde, so ergeben sich 350 000 Tote, Verwundete und von diesen 2260000 Krüppel. 610000 bleibende Ausfälle.
Im ganzen hat
1,3 Mill. Summe:
also Rußland
Literatur.
300
an bleibenden Ausfällen bis zum 1. Januar 1916 die Riesensumme von 5,3 Mill. zu beklagen gehabt, ohne Offiziere, ohne an Krankheit Gestorbene , ohne nicht nachweisbare Vermißte. Im Februar brachte „ Ruskij Invalid “ Betrachtungen , die darin gipfelten , daß die deutsch - österreichischen Truppen an der Ostfront weit über das normale Maß verstärkt worden seien ( ? ), und man mit einer neuen großen Offensive derselben reehnen müsse. Man muß es bemerkenswert und kennzeichnend nennen , daß selbst die Russen eine Offensive bei den Gegnern suchten. Daß darauf eine starke Depression eingewirkt hat, welche die Fruchtlosigkeit der Durchbruchsversuche zwischen Dnjestr und Pruth wohl hervorgerufen hat, darf man mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen , und sicherer noch , daß die noch nicht voll geschlossenen Lücken der Neujahrsschlacht bei der Heeresgruppe Iwanow in diesem denkwürdigen Märzmonat gegen den rechten Flügel der Verbündeten nicht den
Grad der Bereitschaft
erreichen ließen , welcher den russischen Nordflügel zu dem gewaltigen Anstürmen zwischen Ostsee und Wilija befähigte, die bis jetzt freilich sämtlich
blutig
scheiterten.
Die Neujahrsdoppelschlacht
hat
den russischen Armeen eine Wunde geschlagen , die nicht vernarbt , sondern noch offen war, als sie sich zu der „ Entlastungsoffensive " gezwungen sahen . jetzt schon bestimmt
vorauszusehen ,
Wenn die Offensive , wie
mit gewaltigen Einbußen
scheitert , so hat auch zu diesem Mißgeschick die „ Neujahrsschlacht den Grund gelegt.
Literatur.
I. Bücher. Ein Jahr Krieg . Volkstümliche Darstellung des Weltkrieges vom August 1914 bis August 1915. Von Immanuel , Friedrich (Oberst) . Mit 3 Karten auf Tafeln und 20 Zeichnungen im Text. E. S. Mittler & Sohn , Königliche Hofbuchhandlung , 1915. Berlin SW 68 , Kochstraße 68-71 . Preis 2 M.
Das Buch enthält mehr als der Titel verspricht. Gewiß , es ist volkstümlich durch und durch , jeder Zeitungsleser wird das Buch gern zur Hand nehmen , um sich über den Zusammenhang der Dinge klar zu werden . Unterstützt wird die Auffassung der Lage durch eine sehr gute und zweckmäßig gehaltene Zeittafel. Das Buch schildert in knappen , markigen Zügen die Ereignisse auf dem westlichen Schau-
Literatur.
301
platz im Zusammenhang : Der Einmarsch der Deutschen in Belgien, ihr Vorgehen auf Paris, die Eroberung Antwerpens, der Übergang vom aussichtsvoll begonnenen Bewegungskrieg zum hartnäckigen Stellungskampf. Hierauf entrollt das Buch vor uns die Kämpfe und Siege im Osten, wobei stets auf die Wechselwirkung des Kräfteeinsatzes auf beiden Kriegsschauplätzen und auf das Ineinandergreifen der Vorgänge Wert gelegt wird . Als lebensvolle Bilder treten die Schlacht von Tannenberg, bei Lodz, in den Karpathen, im Masuren lande, der Durchbruch am Dunejec , am Narew, an der Weichsel vor die Augen des Lesers . Sodann werden uns in großen Zügen und in anschaulicher Form die Kämpfe zur See, die Verteidigung unserer Schutzgebiete , der Krieg in der Türkei, in Serbien , zwischen Österreich-Ungarn und Italien beschrieben . Die Schilderung schließt mit Anfang September 1915 ab. 23 Karten und Zeichnungen gestatten, den Berichten und dem Fortgang der Unternehmungen leicht zu folgen. Für eine neue Auflage möchten wir empfehlen , mehr als es bisher geschehen ist, den politischen Stimmungen Rechnung zu tragen . Die einleitenden Worte sagen nichts von der Tragödie von Serajevo und den letzten Verhandlungen der Parteien . Die vielleicht unbewußt durchgeführte Analogie des Einmarsches deutscher Truppen in Belgien mit dem Einmarsch Friedrichs des Großen in Sachsen 1756 dürfte auf berechtigten Widerspruch stoßen . Das Buch kann aber auf das wärmste empfohlen werden . Balck. Die deutsche Politik und die Entstehung des Krieges. Von Theodor Bitterauf. H. C. Becksche Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck, München . 1915. VII und 202 Seiten . Leicht gebunden 2,80 M. Ähnlich wie der Tübinger Professor der Geschichte Haller in seiner Schrift über den Ursprung des Weltkriegs (Tübingen, Kloeres , 1915 ) führt der Münchener Historiker Bitterauf im ersten Teile des vorliegenden Buchs die Vorgeschichte des Krieges bis auf das Jahr 1870 zurück . Er zeigt wie das immerwache Revanchebedürfnis im Westen, der wachsende Panslavismus im Osten und der britische Neid auf allen Meeren uns ringsum Feinde schuf. Zu dem Bild , das der zweite Teil vom Ausbruch des Krieges geben soll, haben nach des Verfassers Ausdruck die Gegner selbst zum großen Teil die Steinchen geliefert, es ist ein Mosaik von Einzelgeschehnissen , - die ruhige Glätte wird diesem Bild erst die spätere Geschichtschreibung geben das Kapitel schließt ab mit der Judaspolitik Italiens . Aus diesem düsteren Hintergrund hebt sich in seltener Klarheit die Gestalt unseres erhabenen Kaisers, in dem die ganze Nation in ernster Zeit vertrauensvoll ihren Führer sieht“ . „ In dem Stahlbad des Krieges erfaßt man den Sinn der Monarchie erst wieder richtig , der darin besteht, daß nur dem Tüchtigsten die erste Stelle gehört, " und so verficht auch Bitterauf gegenüber der „ öffentlichen Meinung , die sich ja, wenn wir von den ganz großen Zeiten unserer Geschichte, 1813 , 1870 , 1914 absehen , nur zu häufig in einem bedauerlichen Gegensatz zu den Regierungen bewegte" den Satz die wichtigsten Interessen des Reiches. 21 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 537.
Literatur.
302
waren doch immer den besten Männern anvertraut, die dafür zu haben waren" . Jene billige Kritik , die gerade die wenigst Berufenen unserer Diplomatie gegenüber sich gern gestatteten, findet sich in diesem Buch historisch widerlegt und in ihre Schranken zurückgewiesen . Dr. Everling, Als U-Boots-Kommandant gegen England . Von Kapitänleutnant Freiherr von Forstner. Verlag von Ullstein & Co. , Berlin und Wien. M. 1 , —. Zum ersten Male berichtet hier ein deutscher U-Boots-Kommandant von dem, was unserem schlimmsten Feind Angst und Schrecken einjagt, uns selbst aber stolz macht auf beispiellos kühne Taten und von den Erfolgen im Handelskrieg gegen England . Seit im Februar 1915 zur Abwehr des Aushungerungsplans die Blockade der englischen Küste erklärt wurde, war auch der Verfasser dieses Buches mit seiner wackeren Mannschaft oft unterwegs . Mit prachtvoller Ursprünglichkeit stellt Kapitänleutnant von Forstner alle Hergänge des Kaperkrieges dar und ein liebenswerter Humor spricht aus der Beschreibung des P. H. gefahrvollen U- Boots- Dienstes.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt. ) 1. v. Pflugk- Harttung. Die Mittelmächte und der Vierverband . Berlin 1916. R. Eisenschmidt. Geh. 3 M. , geb. 3,75 M. 2. Graf Gopčević. Rußland und Serbien 1804-1915 . Nach Urkunden der Geheimarchive von Petersburg und Paris und des Wiener Archivs. München 1916. Hugo Schmidt Verlag. Geh. 2,80 M. , geb. 3,80 M.
3. v. Rummel. Das erste Jahr. Aus den Erinnerungen eines Kriegsfreiwilligen . München 1916. C. H. Beck. Geb. 3 M. 4. Frhr. v. Forstner. Als U-Boots- Kommandant gegen England. Berlin 1916. Verlag Ullstein & Co. 1 M. 5. Ostwald . Die Ukraine und die ukrainische Bewegung . Essen 1916. G. D. Baedeker. 0,80 M. Das Schicksal der Seekabel im Kriege und die 6. Fritze . Leistungen der deutschen Seekabel - Industrie in Vergangenheit und Zukunft . Essen 1916. G. D. Baedeker. 1 M. 7. Blumenthal. Des Krieges Gesicht . Mit dem Sieger von Longwy. Oldenburg 1916.
Gerhard Stalling .
1,20 M.
000
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber) , Potsdam .
Jahrbücher
für die
deutsche Armee und
Marine.
Verantwortlich geleitet
von
Keim , Generalleutnant.
1916 Juli bis Dezember
64
BERLIN SW 11 .
Verlag von Georg Bath . Bernburger Straße 24/25 .
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdani.
Inhalts -Verzeichnis .
Seite Brossmer , Professor, Die biologische Bedeutung und das innere 233 Leben der Jugendorganisationen 32 Die eidgenössischen Jugendorganisationen . Die Jugendorganisation eines Bezirks . Die Tätigkeit einer deutschen Jugendwehr. Programm eines Führerkurses für Jugendwehrführer 269 Literatur zur Wehrerziehung 75 130 Die Wehrerziehung in Frankreich 241 Everling , Dr. jur., Heimatsoldaten . 35, 70 Friedenswunsch eines Franzosen 82 Reuter , K Bezirkstierarzt, Das türkische Kriegspferd Rhazen , Generalleutnant, Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- und Folgeerscheinungen Die russische Sommeroffensive · 152, 201 , v. Richter , Generalmajor, Beitrag zum Verlauf des Salonikiunternehmens . Riensberg , Oberst, Die Zukunft der invaliden Offiziere . Schultze , Dr. , Der Niedergang des Söldnertums . . Sommer , Redakteur, Hundert Jahre Generalkommando in Posen 177 , Sommerfeld , Oberstleutnant, Zur Aufklärung im Kriege Spohr , Oberst, Ein Wort zur Schnelldressur des Reitpferdes Verlustphantasien unserer Gegner . Woelki , Oberst, Kampf um Geländeteile und -bedeckungen Ziele der Befestigung . Zur Festungsfrage Zeiss , Oberst, Militärische Erziehung im Kriege . 43, 92, 139 , 188 , 239, Bücherbesprechungen
149 254
21 193 275 218 118 186 97 167 103 79 145 283
Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher 48 , 96 , 144 , 192 , 239, 287
I. Die Offensive in Verduns Vorfeld,
ihre
Begleit- und Folgeerscheinungen.
Von Rhazen, Generalleutnant z . D.
I. „ On s'engage un peu partout , alors on voit" lautet ein bekannter Anfassen an einer Reihe von Punkten hat auch getäuscht und überrascht. Bei Beginn Verdun vor unseren Gegner des Kriegsjahres 1916 lief es wie ein Wetterleuchten die deutsche napoleonischer Satz .
Westfront entlang, als an der Südostfront die zur Rettung Montenegros und zu einem Wink nach dem Balkan , wo das russische Ansehen unheilbar gelitten hatte,
aber an
die an Opfern so gewaltig reiche ,
Erfolgen so arme Neujahrsschlacht noch tobte. Als Vorspiel der
jetzigen Dauerschlacht von Verdun
Reihe von Zusammenstößen
an anderen Stellen
kann eine
der 650 km langen
Kampffront gelten ; Teilgefechte und Artilleriekämpfe schienen zunächst die Tätigkeit Neuville ,
zu
erschöpfen .
nördlich Ecurie,
Wir erinnern an das
vielumstrittene
wo ein Teil des im Mai 1915
erlittenen
Geländeverlustes im Abschnitt Arras -Souchez wiedergewonnen wurde, an fortgesetzte
Kämpfe um
die von
den
Deutschen gewonnenen
Stellungen südlich der Straße Vimy - Neuville,
die
Erfolge
südlich
Arras - Albert, die Ausrichtung der britisch-deutschen Front im schnitt La Bassée -Albert, die Besetzung des
Dorfes Frise und
Abdie
Vorschiebung der südlich anschließenden Linien im Abschnitt AlbertLassigny ;
wir erinnern an die im Tagesbericht der Obersten Heeres-
leitung vom 9. Februar d . J. gemeldete Gewinnung der ersten französischen Linie westlich Vimy in einer Ausdehnung von 800 Metern und der Gräben zwischen La Folie und Dorf Neuville, an die lebhaften Minen- und Artilleriekämpfe in der Champagne, den Argonnen, zwischen Maas und Mosel, sowie dem nördlichen Abschnitt der 1 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 538.
2
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen .
Vogesenfront,
an die seit Wochen
unaufhörlich
gesteigerte Tätigkeit
und Spannung, die Kämpfe in Flandern am 12. und 14. Februar, die im Südosten und Norden von Ypern zur Gewinnung englischer Gräben führten,
an
den
Geländegewinn
Schlachtfeld von Souchez, La Bassée,
auf
dem
blutgetränkten
Givenchy am 21. Februar,
in
der Champagne bei Souain, Suippe , Perthes, bei Heidweiler im Oberelsaß und,
etwas vorgreifend,
wieder Souain (28. Februar),
wo die
französischen Stellungen in einer Ausdehnung von 1600 Meter durchbrochen und über 1000 Gefangene gemacht wurden,
und endlich an
die erhöhte Flieger- , Minen- und Artillerietätigkeit überall. ,,An der Westfront" , so schrieb der „ Bund " am 22. Februar, ,,hält die
deutsche Initiative
die deutsche Heeresleitung
an .
Fortgesetzt und planmäßig sucht
die Front
in
allen Abschnitten
zu ver-
bessern und ich möchte annehmen, daß dabei nach einem großzügigen, durchgearbeiteten Plane verfahren wird, in dem sämtliche zu erzielenden Teilerfolge verzeichnet standen , deren Summierung eine beträchtliche Verstärkung der
deutschen Linien,
sei
es nun in der
Erwartung der englisch-französischen Offensive, sei es zur Vorbereitung Die gewaltsame einer großen deutschen Angriffsbewegung, bedeutet. Frontverbesserung ist zuweisen." Wenn in
fast
neutralen
Tag für Tag zu
Blättern
verfolgen
nur von einem
und
nach-
Abtasten der
britisch- französischen Front durch die deutsche Oberste Heeresleitung gesprochen wurde, so lag darin ein erheblicher Irrtum. Neben Frontverbesserung lag den
deutschen
Zweck völlig erreichende
Maßnahmen
auch der
seinen
Gedanke zugrunde, Unruhe und Nervosität
beim Gegner hervorzubringen und unbemerkt von seinen Fliegern an den Punkten,
wo man einen wuchtigen Offensivschlag zu führen ge-
dachte, von langer Hand her und mit methodischer Voraussicht und Sorgfalt die Kräfte bereitzustellen und überraschend zu wirken . Was
am
21. Februar 1916
geländes von Verdun,
vor dem
Nordostsektor des Vor-
des nordöstlichen Eckpfeilers der von unseren
Gegnern immer wieder als
unüberwindlich
erklärten britisch-fran-
zösischen Verteidigungslinie, die den westlichen Schauplatz umsäumte, geschah,
das schlug die großen ,
bereiteten Pläne
lange vorher erwogenen und vor-
des Vierverbandes völlig überraschend und darum
um so wuchtiger wirkend,
in Scherben .
In Scherben
zunächst den
Plan der großen einheitlichen Offensive, die, seit Dezember 1915 vorbereitet, der Entente im Februar 1916 soweit gefördert erschien , daß man für den halben April, spätestens um die Monatswende April/Mai mit dem Beginn ihrer Durchführung rechnete . Für das Frühjahr war ihr Beginn beabsichtigt,
und mindestens
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen . zwei Monate früher begann des Gesetzes der Stunde.
3
unsere Oberste Heeresleitung das Diktat Was in
der französischen und britischen ,
vor allem aber auch der neutralen Presse durchgesickert ist, und was man aus späteren Geschehnissen schließen kann, gibt uns Anhalte zu Schlüssen darauf, wie die große Entente-Einheitsoffensive geplant gewesen sein kann . Joffre, so wird uns gesagt, wollte mit seiner ganzen, von einem Teil der Hauptreserve unterstützten Ostfront die Offensive gegen Metz und den Rhein beginnen¹ ) und weiter westlich die deutsche Nordflanke umfassen ; die Briten sollten von der französischen Küste, von Flandern aus, mit Demonstrationen weiter nördlich vorgehen ,
vielleicht ist damals auch schon ein britischer Durch-
marsch durch die Niederlande erwogen worden , wenn, was aber wohl höchst unwahrscheinlich dünken mußte , Holland diesen erlaubte. Gleichzeitig sollten russische und italienische Angriffe eintreten , die Offensive auf dem Balkan einsetzen , und endlich Russen und Briten in Armenien und Mesopotamien kräftig zufassen . Die Neujahrserlasse Joffres und des Zaren hatten sich, die Kräfte des Vierverbandes durch die Vergrößerungsbrille schauend , hohe Ziele gesteckt.
Vorbedingung
des
Gelingens
der
großen ,
,, einheitlichen
Offensive" mußte naturgemäß die allseitige Bereitschaft Vierbundmächte würden ,
wie
sein.
Die
man annahm, nur noch zum Wider-
stande befähigt sein und dem Vierverband die Wahl des Augenblicks für seine Offensive lassen . Der " error in calculo " war schon eindringlich am Leibe des Vierverbandes fühlbar geworden, die berühmte
Pariser
Konferenz
Briand mit Rauschgold umkleiden
zusammentrat ,
die
als endlich
Poincaré und
und dem französischen Volke die
Komödie vorspielen sollte, Frankreich stehe an der Spitze der Entente. Der große einheitliche Plan mußte eine völlig veränderte Grundlage erhalten und der Faktor Zeit lag nicht mehr in der Bestimmung des Vierverbandes , einsetzte,
sondern
seiner Gegner.
War,
was
am 21. Februar
eine Überraschung durch die Art des
Entschlusses
und durch die Wahl des Moments , wirkte das, was auf dem westlichen Schauplatz begann, nach,
so überraschte
und Mittel ,
es
mit
zwingender Folge
auf dem
erstgenannten
wie durch Wucht ,
auf zwei
anderen
durch Zeit ,
Nachdruck und
Ort
Methode.
derart , daß durch Monate die Briten doch nicht den Entschluß finden konnten, durch eine kräftige Offensive ihre hilfeflehenden Nachbarn. "" Revue des Deux Mondes" vom 1. Mai sagt , im Januar habe Joffre stärkere Kräfte im Raum um Verdun versammelt, vom 11. bis 16. Februar weitere 6 Divisionen und 6 Regimenter schwerer Artillerie dorthin gezogen, am 20. Februar eine weitere Division, sowie endlich 2 Armeekorps nach Bar le Duc und Revigny. 1*
Die Offensive in Verduns Vorfeld, ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen . zu entlasten,
daß die Russen und Italiener aber vorzeitig,
d . h. ehe
sie bereit waren, zu Entlastungsoffensiven, die nur taktisch Offensivwaren, handlungen, strategisch gezwungene Defensivmaßnahmen schreiten mußten,
müßte man ohne die Hilferufe der Franzosen und
Untätigkeit der Briten, auf russischer Seite geradezu militärische Verbrechen nennen . Wir werden sehen, daß auch der Raum, in dem unsererseits der erste Stoß erfolgte ,
eine starke Überraschung für Joffre bildete , der,
wie die französische Presse, in Dithyramben kurz vorher gerade die Unüberwindlichkeit der Nordfront von Verdun gepriesen hatte .
Darum
war die Überraschung eine um so größere und geradezu niederschlagende. Es ist kein Geheimnis mehr, - ,,die Märzschlachten 1916" haben uns von der Verwirrung, die in den Plänen des Gegners entstanden waren,
gesprochen,
und ,, Petit Parisien" hat leicht ver-
ständliche Andeutungen gemacht, daß durchaus nicht alle französischen Führer bis zum 26. Februar daran gedacht hätten, das rechte Maasufer unter jeder Bedingung zu halten . Nach ,,Petit Parisien " will es sogar scheinen, als wenn Castelnau, entgegen den von anderen Stellen , vielleicht von Joffre, ergangenen Weisungen , den Befehl zum Halten bis
zum äußersten selbständig gegeben
hätte, wenn auch eine halbamtliche Initiative dazu zuschreibt .
Bekanntmachung
Joffre
die
Etwas ausgedehnter und auch auf das linke Maasufer übergreifend, stellt ein Raum von kaum 50 km Front — also nach dem bisherigen Maßstabe gemessen immerhin ein kleiner den Schauplatz dar, auf dem wir die Zermürbung von im ganzen 42 französischen Divisionen - fast so viel als Frankreich im Frieden überhaupt besaß
schon vor Ostern beobachten
konnten, und zwar die
Zermürbung der Mehrheit durch die Minderheit . Unbestreitbar hat Joffre, um den bisherigen Widerstand zu ermöglichen , nicht nur zum Teil seine Hauptreserve aufgebraucht, sondern auch andere Frontabschnitte geschwächt, ganz abgesehen davon, daß die Briten ihre Front bis südlich der Somme ausdehnten um dadurch Franzosen freizumachen, womit sie freilich auch leisteten , was sie bis zum halben Mai zur Entlastung Verduns getan haben. Repingtons Angaben in derTimes fordern zu einem Rechenexempel geradezu heraus. Oft genug haben vor Monaten die Briten uns schon gesagt, daß Million Streiter an der Westfront hätten, 2 weitere Korps sind , sie 1 nach britischen Angaben,
unterdes hinzugetreten .
Repington regt
damit diesen britischen Massen gegenüber gebieterisch zu der Frage an, warum, bei dieser enormen Überlegenheit, eine britische Offensive bis jetzt unterblieben ist !?
Unterblieben , obwohl man den Charakter
Die Offensive in Verduns Vorfeld, ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen .
5
der bei Tag und Nacht ununterbrochenen Dauerschlacht vor Verdun doch auf feindlicher Seite als Aufreibungsschlacht erkennen mußte, obwohl man eingesehen haben mußte, daß der deutschen Heeresleitung ihr Plan ebenso gelungen ist, Mai 1915 von Gorlice-Tarnow.
wie die taktische Überraschung im Zweifellos hat auch bei den Briten
die Empfindung bestanden . daß die ganze deutsche Front ungeschwächt geblieben und daß gegenüber dem
gewaltigen französischen Einsatz
eine geringere Zahl deutscher Korps die schwere Arbeit als Angreifer, ständig gegen überlegene Kräfte durchgeführt hat. Daß der aktive Wille der Schlachtgestaltung ganz allein bei der deutschen Obersten Heeresleitung liege ,
mußte erkannt sein , daß
die
Franzosen, sie wollten oder nicht, angreifen müssen und wenn es ihnen noch so viel Blut kostet, da die Stellungen, aus denen sie angreifen können,
und an denen sie Widerstand leisten,
Tag schlechter geworden sind .
von Tag zu
Schon an der April/Mai-Wende , dem
äußersten für den Beginn der großen Ententeoffensive
angesetzten
Termin , konnte man aussprechen , daß die Dauerschlacht um Verdun nach deutschem Feldherrnwillen und durch deutsche eiserne Kriegszucht eine neue Form in die Kriegsgeschichte gebracht hat, die
ihresgleichen
weder
in
früherer Zeit
noch in
dem
Ringen dieses Weltkrieges bisher gehabt hat. Die ersten auf die Geschehnisse um Verdun hindeutenden Meldungen der Obersten Heeresleitung finden wir im Tagesbericht vom 22. Februar 1916. ,,Endlich setzten auf den Höhen zu beiden Seiten der Maas, mehreren Stellen
oberhalb von Dun . Artilleriekämpfe ein, die an zu beträchtlicher Stärke anschwollen und auch
während der letzten Nacht nicht verstummten. "
Auf beiden Seiten
war lebhafte Fliegertätigkeit zu beobachten gewesen und war es zu zahlreichen Flugkämpfen gekommen. deutlicher : „ Die
Der folgende Bericht war schon
unbemerkt vom Feinde in monatelanger Arbeit ge-
troffenen Vorbereitungen waren auf deutscher Seite abgeschlossen . . . Auf den Maashöhen dauerten die Artilleriekämpfe mit unverminderter Stärke fort. " Die Artillerievorbereitung war auf einen bestimmten Frontabschnitt. schon weit gediehen ,
daß die Vorbedingungen für die Geschehnisse , die in weiterer Folge der Tagesbericht vom 23. Februar meldete, erfüllt waren , der Auftakt der Dauerschlacht um Verdun hatte begonnen .
Östlich des Flusses griffen wir die Stellungen an,
die
der Feind etwa in der Höhe der Dörfer Consenvoye -Azannes, nördlich Verdun, seit 1/2 Jahren mit allen Mitteln der Befestigungskunst geschaffen, um eine für uns unbequeme Einwirkung auf unsere Verbindung im nördlichen Teile der Woevre zu erhalten . Der Angriff
6
Die Offensive in Verduns Vorfeld, ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen.
stieß in der Breite von reichlich 10 Kilometern,
in der er angesetzt
war, bis zu 3 km Tiefe durch . Neben den erheblichen blutigen Verlusten büßte der Feind mehr als 3000 Mann an Gefangenen und zahlreiches, noch nicht übersehbares Material ein ." Die Überlegenheit der deutschen Flieger über die feindlichen war unterdes einwandfrei festgestellt worden . Ein Jahr ungefähr war es her, seit der letzte große Sturmangriff der Deutschen nördlich Verdun , südlich Malancourt,
in diesem
Raume
stattgefunden hatte,
mehrere hintereinander liegende Stellungen
wobei
des Gegners erobert und
mehrere Tausend Gefangene wie beträchtliches Kriegsmaterial eingebracht wurden.
Bis vor wenigen Tagen hatte
sich die deutsche Linie in
Nordosten und Osten der Festung in einem Abstande
zwischen 10
und 15 km von den permanenten Werken hingezogen, während sie hier bis zu 20 km abblieb . An der Nordostfront der Festung, angelehnt
an die Maas,
wichtig
erkannte Stellung
hatten
die Franzosen
zwischen
eine schon früher als
den Ortschaften Consenvoy und
Azannes unter Sarrails Leitung mit allen modernen Mitteln ausgebaut. Sie zog sich von Consenvoye im Bogen über die Wälder von Haumont und Herbebois in östlicher Richtung nach Azannes und ging von hier aus südwärts , sehr unbequem auf die deutschen Verbindungen im nördlichen Teile der Woevreebene einwirkend, der sich im Raume östlich Verdun bis Conflans und zu den Metzer Forts hinzieht.
Durch
die Ebene lief eine Hauptverbindungsstraße von Metz über Conflans nach Etain und von dort nach Dun und Stenay an der Maas. Diese Verbindung wie die Bahnlinie Longuyon - Conflans waren unter den gegebenen Umständen seitens der Franzosen dauernd bedroht. Es lag somit,
namentlich im Hinblick
des Gegners, der Wunsch nahe ,
auf die
angekündigte Offensive
diese Lage der deutschen Stellungen
zu verbessern, um dem Gegner Einblick und Einwirkung deutsche Front zu erschweren, oder zu verbieten. Was der 22. Februar erreichte, schon vollständig.
bewirkte
auf
die
diese Frontkorrektur
Die amtliche französische Meldung vom 22. Februar
11º abends besagte :
,,In der Gegend
nördlich Verdun richteten
die
Deutschen nach einer heftigen Beschießung auf die beiden Maasufer im Verlauf des Tages eine Reihe Infanterieangriffe , die äußerst heftig waren, auf unsere Front zwischen Brabant s. Meuse und Herbebois . Zwischen diesen beiden Punkten konnte der Feind um den Preis beträchtlicher Verluste das Gehölz von Haumont und den Vorsprung besetzen, den unsere Linie nördlich von Beaumont bildet. Nordwestlich von Fromézey verhinderte unser Sperrfeuer
einen
in Vor-
bereitung befindlichen Angriff. " Bei den siegreichen Kämpfen des ersten Tages erfolgte zuerst, so sagen die von besonderer Stelle später
Die Offensive in Verduns Vorfeld, ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen . 1916 ",
veröffentlichten ,, Märzschlachten
7
nordsüdlich
der wesentlich
gerichtete Vorstoß aus der Linie Consenvoye -Azannes auf die Linie Champneuville - Douaumont, wobei außerordentliche Schwierigkeiten zu überwinden waren. Der unermüdlichen Zähigkeit der Franzosen war es im Laufe der Zeit gelungen, weit um den ungefähr 50 km spannenden, permanent ausgebauten Festungsgürtel von Verdun noch eine scheinbar unangreifbare Kette provisorischer, feldmäßiger Befestigungen anzulegen. Die Hauptstärke der französischen Stellung beruhte darauf, daß die Verteidiger es verstanden, den Angreifer noch in beträchtlicher Entfernung von der eigentlichen Fortslinie im Vorgelände festzuhalten . Im Norden der Festung stützten sich diese feldmäßigen Befestigungen besonders auf die zahlreichen Wälder des Hügellandes. gewachsenen Baumstämme waren dort als Stütze für
Die natürlich dichte Draht-
verhaue benutzt und außerdem die massenhaft herabgefallenen Äste zu hohen Barrikaden aufgeschichtet und mit Draht durchflochten worden. Ein derart hergestelltes Hindernis ist nicht nur gegen Infanterie ,
sondern auch Artillerie , wegen
widerstandsfähig .
Zudem waren
fernung von den Waldsäumen
die
seiner Elastizität besonders
Anlagen
erfolgt,
daß
meist
sie,
in
einer Ent-
selbst durch vor-
stehende Bäume verdeckt , genügende Schußweite boten . Einer gründlichen Artillerievorbereitung gelang es aber, die erste Linie wegzuräumen, so daß die Infanterie in breiter Front eingesetzt werden konnte . Aus diesem Sturm entwickelte sich eine Offensivbewegung, die erheblich weiter ausgriff . Es gelang auch weiter rückwärts liegende Verhaue durch die Zwischenräume hindurch zu nehmen , ehe die schwer erschütterten Franzosen sich wieder sammeln konnten . Das Eindrücken der französischen Linie erfolgte in der Mitte der Nordfront , zu beiden Seiten der einzigen von Norden direkt nach Verdun führenden Straße. Unter verhältnismäßig geringen, weit hinter den französischen zurückbleibenden Verlusten , gelang es im ersten Anprall , einen Raum gegen die Werke der Festung zu gewinnen, der fast jenen gleich kam, den die Franzosen bei der letzten Herbstoffensive und dabei handelte in der Champagne so blutig erkauft hatten , es sich hier um weit wertvolleren Boden wegen linie.
der Nähe der Fort-
Jeder Schritt rückwärts im Raum der Festung mußte für die
Franzosen einen um so empfindlicheren Verlust bedeuten, als die Deutschen im ersten Anprall der zunächst gelegenen Sperrfortsgruppe von Douaumont bereits auf 6 km nahegerückt waren . Am 23. Februar wurde der überraschende Erfolg des ersten Anlaufs weiter ausgebaut. „ Der Erfolg
Der Tagesbericht vom 24. Februar meldete :
östlich der Maas
wurde weiter
ausgebaut.
Die
Orte
Die Offensive in Verduns Vorfeld, ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen.
Brabant,
Haumont und Samognieux sind genommen,
das gesamte
Waldgebiet nordwestlich , nördlich und nordöstlich von Beaumont, sowie das Herbebois sind in unserer Hand . " In Samognieux hatten sich die deutschen Truppen der Zitadelle von Verdun schon auf 11 km genähert und die nächsten Sperrforts lagen nur noch 6—7 km von diesem Orte. Die „ Märzschlachten 1916 " konnten deshalb später mit Recht sagen : ,, Der jähe und anscheinend nicht völlig erwartete Vorstoß gegen die nördlichen und nordöstlichen Befestigungsgruppen des Festungsgeländes um Verdun hatte im ersten Anlauf bis an den Festungsgürtel herangeführt." Da die Franzosen nach dem Verlust des Gehölzes von Haumont an der Straße nach Damvillers und von Brabant im Abschnitt Consenvoye -Haumont - Brabant - Samognieux dicht an die Maas gepresst standen, so scheint man in Paris zunächst hinter den kräftigen Anläufen weitreichende Operationen mit unmittelbarer operativer Auswirkung gesucht zu haben, bis man erkannte, daß es sich nicht um einen Durchbruch handelte. Am 24. Februar schrieb der „ Bund “ : „ Verdun , beim Aufmarsch zu Beginn des Krieges front,
der starke Nordpfeiler der französischen Ost-
dann der Drehpunkt der französischen Nordfront,
die zuerst
nach Westen zurückgeworfen und bis Paris abgebogen werden mußte, sich nach der Marneschlacht aber wieder nach Norden heraufzog, ist, seit Erstarrung des Bewegungskrieges ,
für die ungeheure französische
Verteidigungsfront noch wichtiger geworden. in
die Front
Nur diesem mächtigen ,
des Feldheeres eingezogenen Platze mit seinen
zahl-
reichen Batteriebauten und Zwischenstellungen verdanken die FranZwar hat zosen den Zusammenhalt ihrer Nord- und Ostfront. Verdun
nicht
mehr
die
Bedeutung
eines
beweglichen
Schultergelenks , bildet aber, trotz seiner Versteifung, noch jetzt den Angelpunkt der ganzen französischen Front . Da die Franzosen es nicht sich selbst überlassen ,
sondern ihre Front so weit herum-
gelegt haben, daß der Platz nicht umschlossen werden kann , ist nur der Nordostsektor der Festung verwundbar.
Der Versuch, Verdun
im Süden abzuschneiden, ist ja bis Saint Mihiel durchgedrungen und hat die Deutschen in Besitz eines Stückes der Maashöhen gebracht, wurde aber an beiden Maasufern aufgehalten .
Auch im Nordostsektor
ist schon um einzelne Vorstellungen heftig gekämpft worden. Er wird durch die im rechten Winkel von Verdun auseinanderstrebenden und Verdun - Dun - Stenay Eisenbahnlinien Verdun - Etain- Metz radial begrenzt.
Die
zweitgenannte Linie läuft am linken Ufer der
Maas nach Nordwesten, die erste ziemlich genau nach Osten . Die Kampflinie wird durch die Punkte Fromézey in östlicher, Consenvoye, am rechten Ufer der Maas, in nordwestlicher Richtung fixiert.
Der
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen .
9
Aktionsradius der Verduner Nordostfront betrug vor den jetzt gemeldeten Gefechten 15 km.
Vorgeschoben liegt Azannes, nordöstlich Beaumont, und zwar je 12 km von Brabant und Fromézey entfernt, am Scheitel des rechten Winkels Brabant-Azannes - Fromézey. " Am
24. Februar wurden
die
bisherigen Errungenschaften
auf
Die am Tage vorher
dem rechten Maasufer noch weiter ausgewertet.
aus einem Kreisbogen schon zu einer Geraden , von Fromézey (3.5 km westlich Etain) über Beaumont nach Brabant an der Maas laufende Linie erhielt einen weiteren Knick in die konkave Gestaltung, von der auf der ganzen Front gesteigerten ,
einen Übergang zur großen
Gegenoffensive, oder die Vorbereitung einer großen Offensive erschwerenden Nervosität der Franzosen ganz abgesehen ! Die befestigten Dörfer und Höhen von Champ Neuville an der Maas, Cotelettes , Marmont, Beaumont, Chambrettes und Ornes wurden genommen, außerdem sämtliche feindliche Stellungen bis an den Louvemontrücken gestürmt. Die Zahl der Gefangenen stieg über 10000 , die blutigen Verluste des Gegners waren überaus schwer, die Beute an Material noch nicht zu übersehen. Dabei ist zu bedenken, daß Beaumont fast ganz nördlich von Verdun,
10 km von der Stadt entfernt, den
Franzosen als das Zentrum ihrer Verteidigungsstellung in diesem Abschnitt des Festungsvorgeländes galt. Hier war der Knotenpunkt der neuen , während des Krieges geschaffenen Feldanlagen, die im Norden. dem Gürtel der permanenten Hauptbefestigung vorgebaut worden waren. Der Ort eignete sich durch seine natürliche Lage zu dieser Seine sämtlichen , massiv gebauten Häuser drängten sich auf einem weiten , kahlen Rücken zusammen , von Waldstücken flankiert. Dem Angreifer, der die weiter nördlich gelegenen Wälder durchstoßen Rolle.
hatte, stellte sich in Beaumont ein neues, unbezwinglich erscheinendes Hindernis entgegen, das den Weg nach Louvement und dann nach Douaumont sperrte, wo die Kette der vorgeschobenen Werke begann . Eine französische Stimme hat einwandfrei bestätigt,
daß der
Gegner an dieser Stelle einen deutschen Ansturm am wenigsten erwartet hatte. Im zweiten Märzheft des halbamtlichen ་ ་ Pays de France" hat
der
französische Generalstäbler
Bouvier
de
Lamotte,
aus amtlichen Dokumenten schöpfend, geschrieben : ,,Es fiel unserem Generalstab schwer, den Punkt zu entdecken , wo die deutsche Offensive ihren
Ausgang
nehmen
sollte.
Die Meldungen
gingen bis zum letzten Augenblicke auseinander. eins,
hierüber
Sicher war bloß
die deutsche Artillerie rüstete sich zu einem furchtbaren Bom-
bardement der ganzen Front von Verdun . Alle unsere Stellungen schienen in Gefahr. Wer aber hätte am Vorabend des deutschen Angriffs geglaubt ,
daß die nördlichen
Stellungen
nicht
10
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen.
standhalten würden ?
Man dachte nicht an die Möglichkeit
eines deutschen Vorstoßes gegen Beaumont. Gerade dort waren wir am stärksten. Als wir das Ziel des Feindes erkannten - Douaumont - waren wir mehr erstaunt als beunruhigt. Sie packen den Stier an den Hörnern , sie gehen auf das Ganze , sagten wir uns nach reiflicher Überlegung. Wir kamen zu der Erkenntnis , daß die Deutschen wenn er auch der den besten Weg gewählt hatten , schwerste war. “ Der 25. Februar brachte einen neuen Fortschritt von ungewöhnlicher Tragweite für die
Angriffsbewegung gegen Verdun .
Die
mit
allen Mitteln moderner Technik ausgestattete Panzerfeste Douaumont , ,,der nordöstliche Eckpfeiler der permanenten Hauptbefestigungslinie
der Festung" wurde am Nachmittage,
niederbrechend vorgearbeitet, erstürmt .
nachdem Artillerie
Als äußerste Spitze der großen
Festung im Nordosten, auf einer Welle in 388 Meter Höhe gelegen , mit Fort Souville und Vaux eine in sich abgeschlossene , selbständige Befestigungsgruppe bildend, beherrschte Fort Douaumont den ganzen Raum zwischen Dieppe, östlich der Fortlinie bis zum Maasufer im Westen. An demselben Tage erkämpften deutsche Truppen die Höhe westlich Louvemont, Dorf Louvement, und die östlich davon gelegene Befestigungsgruppe . Eine zweite Angriffshandlung richtete sich von Etain, also von Nordosten aus, auf die Höhen der Côte Lorraines in allgemeiner Richtung
auf die nordöstliche Kante
des Fortgürtels. “
Der Tagesbericht vom 26. Februar läßt uns auch eine weittragende Wirkung des mächtigen Eindrucks in den permanenten Fortgürtel schon erkennen : ,, In der Woevreebene brach der feindliche Widerstand auf der ganzen Front bis in die Gegend von Marchéville (südUnsere Truppen lich der Nationalstraße Metz- Paris) zusammen. folgen dem weichenden Gegner dicht auf." Daß unsere Gegner am 26. Februar in fünfmal mit frisch herangebrachten Truppen wiederholten Stürmen , die Panzerfeste Douaumont zurückzugewinnen versuchten - um nur blutige Mißerfolge zu ernten -ist verständlich .
Die
eigene Zermürbungsarbeit auf dem verhältnis-
mäßig beschränkten Raum begann , über 15000. am
26.
kämpfte
Westlich der Feste
Februar
auch Champ
sich bis nahe
die Zahl der Gefangenen wuchs Douaumont nahm der Angreifer
Neuville,
die
Côte de Talou und Östlich der
an den Südrand von Bras vor.
Feste erstürmte er die ausgedehnten Befestigungsanlagen von Hardoumont, während in der Woevreebene die deutsche Front kämpfend gegen die Côtes Lorraine rüstig vorschritt und am 27. Februar deren Fuß von Osten her schon an mehreren Stellen erreichte.
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen .
11
Hatte die Gewinnung der Befestigungsanlagen von Hardoumont die anfänglich exponierte Stellung im Fort Douaumont Kilometer verbreitert und gesichert , die
der
auf mehrere
Côte de Talou
einen wichtigen Flankenschutz geschaffen , so säuberte man am 27. Februar die Maashalbinsel von Champ Neuville und schob die deutschen Linien weiter auf Vacherauville und Bras vor, während Angriffe frischer französischer Truppen auf Feste Douaumont und auf den Hardoumont wiederum blutige Abfuhren erlebten. Schon damals durfte man aussprechen, daß der Erfolg der deutschen Vorstöße über einen lokalen taktischen bereits hinausgewachsen und begonnen habe , strategische Bedeutung zu gewinnen . Die beim Feinde erzeugte Nervosität und Unsicherheit darüber, wo die deutsche Oberste Heeresleitung den entscheidenden Stoß
durchführen
wolle, war ein wichtiger Faktor in deren Hand. Was die fünf großen Offensiven Joffres nicht vermocht hatten , den Stellungskrieg in die Bewegung hineinzureißen , das leitete der 21. Februar ein , den Beginn einer großen Feldschlacht,
in der Verdun im wesentlichen die Rolle
eines starken
Stützpunktes der französischen Armeen zufiel ,
Stützpunktes,
dessen
eine Feste Douaumont zu erhalten ,
zösische Heeresleitung,
nach eigenem Eingeständnis,
schon
eines
die franmanche
Armeekorps eingesetzt hat. Der 28. Februar brachte östlich der Maas die Erstürmung eines kleinen Panzerwerks nordwestlich des Dorfes Douaumont, das Ersticken mehrerer französischen Angriffsversuche in dieser Gegend ,
in
der Woevre das Überschreiten von Dieppe - Abancourt - Blanzée , die Säuberung des Waldgebietes nordöstlich von Watronville und Haudiaumont und die Eroberung von Manheulles und Champlon . Aktionsraum des Gegners war
Der
seit dem 21. Februar im Norden und
Osten der Festung um 360 qkm eingeschnürt . Am 28. Februar (als neutrale Blätter die französischen Verluste bei Verdun schon auf 63000 angaben) , also ehe ein Übergreifen auf das westliche Maasufer eingetreten,
hatte
der „ Bund " geschrieben :
99 Die Operationen der letzten Tage haben nun jüngst zum Einrücken der ersten Linie der mobilen Verteidigung geführt . so starke Pressung
Es ist dabei eine
erreicht worden , daß die Franzosen gezwungen
wurden, auf eine Linie zurückzugehen, die nur noch knapp 12 km vom Festungskern entfernt ist. Sie haben die Orte Brabant, Haumont , Samognieux aufgeben müssen , die als Zugänge zur Maasschleife nordwestlich von Verdun gelten können . östlich anschließenden Wäldern
Sie wurden aus den nord-
von Haumont,
Caures, Wavrille und
Herbebois vertrieben und haben damit nicht nur die Bewegungsfreiheit und die Kontrolle über die Straße Damvillers-
12
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen .
Azannes - Etain ,
sondern auch wertvolles Vorgelände ver-
loren , dessen Behauptung den Deutschen gestatten würde , den Artillerieangriff auf die Nordfront zu eröffnen . Natürlich nicht auf die inneren Werke, wohl aber auf die Feste Douaumont sowohl als die
südlich
Ornes
gelegenen
Forts
Bézonvaux
und Vaux
devant
Damloup . Ob die Verteidiger das östlich gelegene Vorgelände bis Fromézey räumen müssen, bleibt abzuwarten . Die letzte deutsche Meldung läßt erkennen ,
daß auch die zweite Linie genommen wurde
und die Maasschleife mit Champ Neuville, die Zugänge Beaumont und Mormont zum Louvemontrücken östlich davon, dann auch dieser selbst
und infolgedessen das flankierte Ornes
und Les Chambrettes
in deutsche Hände gefallen sind . Verdun hat in diesen Tagen die Kontrolle der Verbindung Etain - Dun verloren , der Douaumont , Kulminationspunkt der Nordfront , liegt bereits
in
erster Linie ,
die
Straße von Ornes nach Champ an der Maas unter deutschem Feuer. Der Geländegewinn der Franzosen in der Champagne war viel größer, aber von geringerem Wert, da sie sich nicht an ein Kernwerk und ernen Achsenpunkt heranarbeiten , sondern nur eine Feldbefestigung nach der andern abschneiden konnten und die Elastizität der feindlichen Linie nach der Tiefe nicht der Fall,
wenn ein Platz,
unbegrenzt
erschien .
Das ist
der als Schulterpunkt zwei Flanken
schützt und einen Flußabschnitt deckt, in Gefahr gerät .
Diesen kann
man nicht im Rücken zurückrücken wie eine Grabenstellung, sondern bleibt in ihm an die Stelle gebannt . Der Angriff ist scheinbar un - ` gleich schwieriger, im Ernstfalle aber ungleich lohnender und als Erfolg kann die Lähmung der mobilen Verteidigung gelten . " Mit der Erstürmung von Douaumont, der Räumung der Woevrestellung Ornes -Fromézey , der Räumung der Maasschleife durch den auf Bras fortschreitenden Angriff war diese Anschauung stätigt.
Die Operationen waren
operative Auswirkung der beginnende Wanken
des
schon be-
in die Wirklichkeit gewachsen ,
deutschen Offensive hatte begonnen.
die Das
ganzen dauernden Befestigungssystems für
den Verteidiger
machte
die Frage
Kräften wieder
zu stopfen , auf der zu
akut,
die Lücke
mit mobilen
verstärkenden Linie Bras-
Fleury-Malancourt bis Damloup Widerstand bis zum äußersten zu leisten, den Druck auf die Festung aufzuheben, da die Lähmung von Verdun den ganzen Abschnitt von Malancourt bis St. Mihiel gefährden mußte. Nachdem seine erste Linie niedergebrochen , seine zweite überraschend schnell zwungen,
starke
durchstoẞen worden, war der Verteidiger geDer von einer großen
Reterven heranzuführen.
Armee umgebene und rechts und links
fest angeschlossene Schulter-
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen. punkt der ganzen
französischen Front war gelähmt .
13
Die Wieder-
herstellung der Lage im Raum von Verdun machte die Versammlung von riesigen Kräften nötig. Gelang es nicht, die Deutschen wieder von Douaumont und Louvement zu vertreiben , so war zu dieser Wiederherstellung überhaupt keine Aussicht . Der 2. März erhält einen besonderen Stempel durch die unter Gewinnung von Gefangenen und 6 schweren Geschützen (seit dem 21. Februar nun schon 115) nach kräftiger Artillerievorbereitung erfolgte Säuberung des Dorfes Douaumont und Vorschieben unserer Linien westlich und südlich von Dorf und Feste in günstigere Stellungen. Nicht um Frontverbesserungen allein handelte es sich , Dorf sondern auch um engeren Anschluß der vordersten Linien . Douaumont war als Stützpunkt der französischen zu einem starken Werk ausgestaltet, das auch nach dem Falle der Feste die deutschen Linien wirksam bedrohen konnte. Der 3. März konnte einen schweren , blutige Opfer und 1000 Gefangene kostenden mißlungenen französischen Ansturm auf Douaumont buchen . Infanterieaktionen setzten nun einige Tage aus, schweres französisches Artilleriefeuer nahm aber ununterbrochen die neuen deutschen Stellungen zum Ziel. Der 6. und 7. März sind wieder Marksteine auf dem Wege des Schweres Artilleriefeuer von Vordringens in das Vorfeld von Verdun . der Côte hat die in der Woevre vorstoßenden Truppen der Nordostgruppe nicht gehindert, dort am 7. März das Dorf Frêsnes bis auf einzelne Häuser
am Westrand
nehmen, 700 Gefangene
zu
zu stürmen , bald auch
machen ,
sich
den Rest zu
am 9. März des Feuille-
waldes und der Weinbergshöhe nördlich Danloup zu bemächtigen und den Fuß der Côte bei Champlon, nördlich Combres , fest in de Hand zu nehmen .
Der auf die dankbarsten und stärksten Stützpunkte be-
gonnene Angriff zog
eine
„ Hypertrophie der französischen
Kräfte in der Winkelstellung zwischen Argonnen -Commercy – Verdun nach sich , die dadurch operativ gebunden wurden . " Die Offensive ist bis zur Linie Vacherauville - Douaumont - BezonvauxDieppe -Eix -Blanzé -Manheuille- Frêsnes - Combre gediehen und frißt langsam weiter. Die strategische Position Verdun ist und bleibt. stark gefährdet. Sie ist aus einer Ausfall- zu einer Defensivstellung umgewandelt. " Leitete östlich der Maas die Schlacht zu den Formen und Kampfmitteln
des Festungskrieges
über, so
brach am 6. März auf
dem Westufer der deutsche Angriff in schrittweisem, aber ununterbrochenem Vorbewegen los. Zum Anschluß an unsere auf dem rechten Ufer auf die Südhänge der Côte de Talou , des Pfefferrückens und Douaumont vorgeschobenen Linien und deren Flankenschutz
14
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen .
wurden die feindlichen Stellungen zu beiden Seiten des Forgesbaches, unterhalb Béthincourt, in 6 km Breite und mehr als 3 km Tiefe gestürmt.
Nach Gelingen des Maasübergangs und Gewinnen der Dörfer
Forges und Regneville erfolgte auch der Sturm der Höhe 265, östlich Forges .
süd-
Eine Rechtsschwenkung brachte unsere Truppen dann
in Besitz des Raben- und Cumièreswaldes, Gegenstöße der Franzosen scheiterten. Der größte Teil der Besatzungen kam um, 3300 Mann des
Restes wurden gefangen ,
Bis zum
Geschütze genommen .
10
13. Juni waren die genannten Waldstücke gesäubert, mehrere feindliche Angriffe abgewiesen. Die sicherste Parade französischer Vorstöße gegen die Waldsäume bildete aber, wie wir im voraus bemerken wollen, wieder der Hieb , die am 14. März bereits erfolgende deutsche Gewinnung der „ Toten - Mann - Stellung" westlich der Waldparzellen, die, trotz wütender Wiedereroberungsversuche, eine Die Vorbereitungen
des
neuen
Tagesbericht vom 9. März
endgültige blieb .
deutschen Ansturms
und den
lassen
nächsten verfolgen .
nach dem Tagesbericht vom 11. März
sächsische
sich im Während
Regimenter nach
gründlicher Artillerievorbereitung überraschend die seit Monaten stark ausgebaute Stellung in dem Waldstück südwestlich und südlich Villers au Bois ( 12 km nordwestlich Reims) in 1900 m Breite und Tiefe stürmten,
750
Gefangene machend und die
nicht unwesentlich verbessernd .
wurde weiter östlich die
des Raben- und Cumièreswaldes
1 km
deutsche Front Säuberung
fortgesetzt und wuchsen die Luft-
kämpfe an Lebhaftigkeit und Erfolgen für uns , zösischen Angriffe westlich der Maas
dagegen die
zwar an Zahl ,
fran-
aber nicht an
Ergebnissen . Gefangene zählten wir hier schon 27000 , eroberte Geschütze 189, darunter 41 schwere . Dauernd heftiger werdendes Artilleriefeuer, besonders in Richtung auf „ Toter Mann " ließ dort große Dinge erwarten, und der Tagesbericht vom 15. März meldete denn auch das Vorschieben der Linien
schlesischer Truppen
Gegend westlich des Rabenwaldes mit kräftigem Schwung
aus der auf diese
Höhe , wo sie über 1000 Gefangene machte und viermal wiederholte französische Angriffe unter schweren blutigen Verlusten abschlugen . Östlich der Maas war damals schon seit sechs Tagen die Abkürzung der Verbindung unserer Stellungen südlich Douaumont mit der Linie in der Woevre bewirkt und waren, nach gründlicher Artillerievorbereitung,
Dorf und Feste Vaux
nebst zahlreichen
anschließenden
Befestigungen , durch nächtlichen Sturm gefallen und der um diese Panzerfeste laufende Bogen eingedrückt worden . Wohl gelang es den Franzosen, in der Panzerfeste wieder Fuß zu fassen, ermöglicht dadurch, daß
Fort Vaux nicht
die
Spitze des gleichnamigen Berges
krönt , die , wie auch die naheliegenden Hügel von Souville, den Fran-
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen.
15
Das zosen überhöhende Positionen bot, sondern am Rande lag. konnte aber nur als örtlicher Raumbesitz bewertet werden . Auch ohne Besitz der Panzerfeste standen deutsche Truppen bis auf 5 km an das Weichbild
von
Verdun
heran,
das
damit
seinen
früheren
operativen Wert als Ausfallpforte des französischen Heeres völlig verloren hatte . Es bestand kaum noch eine Aussicht, Verdun wieder zu einem „ Lebenspunkte der französischen Front " machen zu können.
Ehe die Gewinnung der Toten-Mann- Stellung eingetreten war, beurteilte am 10. März der „ Bund " die Lage bei Verdun wie folgt : „ Der Angriff auf die strategische Position Verdun ist zu einem konzentrischen auf die ganze Kniestellung Malancourt - Verdun - St. Mihiel geworden,
nach kurzer Unterbrechung fortgesetzt und hat die Verteidigung nun zur Preisgabe ihrer Vorstellungen auch in Nordwestsektor gezwungen . Die von Norden nach Süden gerichtete Auf-
rollung der eisernen Maasstellung ist, trotz verzweifelten Widerstandes , noch nicht aufgehalten worden und Verdun als Position nicht nur gelähmt , sondern bereits als stark entwertet zu betrachten . Die Opfer ,
die die französische Verteidigung noch bringt ,
sind nur dann zu rechtfertigen ,
wenn die dadurch gewonnene Zeit benutzt wird , die Räumung der Position und die Abflachung der Winkelstellung durch Einrichtung und Beziehung der südwestlich streichenden Linie durchzuführen und operativ gegenzuwirken . Daß es den Franzosen glücken könnte , die Lage weit genug wieder herzustellen, um Verdun wieder zu einem Lebenspunkte ihrer Front zu machen, halten wir heute schon für sehr unwahrscheinlich. Es wird unmöglich , wenn die Franzosen sich auch ferner auf die passive Verteidigung beschränken müssen . “ Nahm die deutsche Offensive im Raum Verdun
wo die Fran-
zosen nicht nur um eine hochwichtige strategische Stellung, auch um
ihr militärisches und politisches Ansehen kämpften
sondern — an
Umfang dauernd zu , zeichneten sich Begleit- und Folgeerscheinungen als eine britische und russische Entlastungsoffensive noch nicht, als italienische zunächst nur durch verstärktes Artilleriefeuer ab, so traten um diese Zeit in Frankreich Erscheinungen zutage, die mit Verdun in direktem , ursächlichem Zusammenhang stehen. Douaumont kostete dem durch Pétain ersetzten Humbert, Verdun im Verein mit Zwistigkeiten mit der Armeekommission und dem Munitionsminister Gallieni (der durch Roques, als dem vierten Kriegsminister seit Kriegsbeginn ersetzt worden war) ihre Stellungen . Die Geschehnisse um Verdun . riefen auch eine tiefgehende militärisch - politische Krise
16
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen. die
wieder wach,
in
Frankreich
traditionell,
nur
mühsam
ver-
kleistert wurde und immer wieder Lebensregungen zeigt . Der Glaube an einen den Feldherrn von der Notwendigkeit einer parlamentarischen Kontrolle freisprechenden Sieg schien erschüttert, das Aufsichtsrecht des Parlaments meldete sich zum Antritt seiner Funktionen . Zwei die der Kammer, die eben den Regierungsentwurf, betreffend Herabsetzung der Altersgrenzen für Generale. Oberste und Stabsoffiziere an den Armeeausschuß zurückverwiesen hatte, zugegangen Gesetzentwürfe ,
waren und Verjüngungen des Oberkommandos begehrten (wie Antrag Ferry und Ergänzungen) richteten ihre Spitze unverkennbar gegen Joffre. Gerüchtweise verlautete auch, daß Castelnau mit Briand gegen ihn intrigiere, und Zweifel an Joffres Können sind auch mehrfach zu in der Folge - wir erinnern an Petit Parisien" beobachten gewesen .
Als der Heeresausschuß des Senates vom neuen Kriegsminister Roques dringend eine Äußerung darüber forderte, in welcher Weise die
Verbündeten an der Entlastung von Verdun teilgenommen hätten , als in England das Suchen nach neuem Mutzuflusse für das Heer verzweifelte Formen angenommen , hatte die italienische Entlastungs offensive schon den Höhe- · punkt ihres , wegen Massenhaftigkeit der Verluste , kurzen vergeblichen Ansturms , der fünften Isonzoschlacht , überschritten. Gegen Tirol und Kärnthen schloß die Ungunst des Wetters größere Unternehmungen ziemlich aus. Politischer Druck beschleunigte das Einsetzen
des Angriffs auf der
einzig
möglichen ,
weil gangbaren Isonzofront. Nicht so deutlich wie bei den früheren Schlachten, setzte am 8. März die artilleristische Vorbereitung gegen den Monte San Michele ein und steigerte sich, auch nachts anhaltend , im Südteil der Isonzofront. Am Nachmittag des 12. März erfolgte der erste vergebliche Infanterieangriff bei Selz. Nach heftiger Beschießung der Front von Tolmein bis zum unteren Isonzo griff am 13. März starke Infanterie Podgora und den Nordteil der Doberdohochfläche an. Sieben italienische Stürme auf San Martino wurden abgeschlagen.
Am 14. und in der Nacht zum 15. März
nahm die
Heftigkeit der Kämpfe um den Görzer Brückenkopf und auf der Hochfläche zu. Haufen von Leichen zeigten die Höhe der italienischen Verluste an . In den anderen Abschnitten , am 8. und 14. März gegen
Col di Lana,
11. und 14. gegen die Fullafront, trugen die mehr demonstrativen Charakter. Am 15. März schwächere Gefechtstätigkeit der Italiener an der Isonzofront, zwei Versuche Kämpfe
gegen die Podgorastellung werden blutig abgewiesen, am gleichen Tage kam dann noch ein blutig scheiternder Angriff am Nordhang
17
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen .
des
San Michele.
Am
16. März konnte
die
Oberste
Heeres-
leitung unserer Verbündeten melden , daß alle Stellungen fest in ihrer Hand geblieben waren. Nichts kann die Mißerfolge der Italiener, die sich doch bemühten , der Pariser Konferenz ihre Aktivität zu zeigen, deutlicher beweisen, als der erfolgreiche Angriff der Österreicher weiter vordrang,
am Tolmeiner Brückenkopf,
am
der am 18. März
des Mrzli Vrh, Wegnahme mehrerer der Podgorahöhe am 26. März ab-
Südrand
auf gewiesene italienische Angriffe bei St. Michele und San Martino , 27. und 28. März , der sehr bemerkenswerte Gewinn unserer Veritalienischer
Stellungen
bündeten am
Rauchkofel am 6. und 7. April,
denen
als einziges
99 Haben “ in der Bilanz die Sprengung des Col di Lana am 18. April gegenübersteht. Entlastung Verduns war durch die Italiener
nicht erfolgt .
Die zur Deckung der starken Verluste der fünften
Isonzoschlacht bevorstehende Einbeorderung der Jahrgänge 1881 bis 1878 unausgebildeten Landsturms aber rief die Aufstände in Italien hervor, und Meutereien von Regimentern vor dem Feinde und in den Garnisonen machten zum mindesten die Frage akut, ob der Geist des Heeres noch der sei, der er gewesen . Am 17. März erfolgte dann der, wie der am 16. (an dem die 27. frische französische Division in den Maaskämpfen festgestellt wurde) im Keim dem
erstickte französische Angriffe
Ostufer erfolgten Angriffe
gegen "" Toter Mann " ,
auf
südlich der Feste Douaumont und
westlich Dorf Vaux und brachten drei Tage
später (20. März )
die
Erstürmung der gesamten ausgebauten französischen Stellungen in und am Walde nordöstlich Avoucourt und das Abweisen aller, etwa 2500 Gefangene liefernden französischen Gegenstöße . In diesem Augenblick setzte die
russische Entlastungs-
offensive mit ihrem Hauptangriff gegen die Hindenburgfront ein.
Die Absicht, den stark bedrängten Franzosen zu helfen ,
ist im Osten von den Russen
nur ungenügend verschleiert worden .
Seit dem 20. Februar hatte nördlich des Polesje eine rege russische Aufklärungstätigkeit, seit Anfang März lebhafter Bahnverkehr
nörd-
lich Luniezc , ebenso auf den neuen Strecken Kilia - Bolgrad , IsmailiaReni, Kischineff - Lipkani eingesetzt . Pflanzer-Baltin, Bothmer und Puhallo
Gegen die Fronten der Armeen fanden zunächst
augenschein-
lich demonstrative Vorstöße statt, die nach gesteigerter Artillerietätigkeit an Kraft zunahmen , aber abgewiesen wurden . An der Strypa brachten sie einen kleinen Erfolg unserer Verbündeten
mit
sich, an einem heiß umstrittenen Punkt des Djnester aber auch den Russen um den Preis gewaltiger Opfer einen lokalen Erfolg, den man in Wirklichkeit freilich als eine glänzende Waffentat der österreichischen 2 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 538.
18
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen.
Verteidiger betrachten muß. „ Die Djnesterschanze ist für die Armee Österreich-Ungarns eine stolze Erinnerung. " Seit Monaten hatten sich die Russen abgemüht, die von einem Dragonerregiment, einigen Maschinengewehren und Sappeuren besetzte, auf dem Nordufer des Djnester, gegenüber
dem Orte Michalcze
isoliert liegende Brücken-
schanze zu nehmen. Nach Sprengung von zwei Schwadronsbreiten gelang ihnen dies am Morgen des 19. März ; von den noch Lebenden , über Usziesko starke feindliche Kräfte durchbrechenden und nach Zaleszycki gelangenden Rest der Besatzung blieb auch nicht ein Mann in ihrer Hand . Meldete
unsere Oberste Heeresleitung
am 9. März
mißlungene
Versuche gegen unsere Vorpostenstellungen der Hindenburgfront, dann bis zum 15. März keine Veränderung, nur Patrouillenkämpfe an verschiedenen Stellen , so deuteten ihre Nachrichten über sehr lebhaft gewordenes Artilleriefeuer
im Gebiet
beiderseits des Naroczsees
und
über einen abgewiesenen russischen Vorstoß nördlich des Miadziolsees am 17. März auf den Beginn einer stärkeren Offensive hin . Sie war von der deutschen Obersten Herresleitung erzwungen durch den Stoß in den Raum von Verdun , der den von der Entente laut verkündeten einheitlichen
Offensivplan
umwarf,
und
erfolgte
ver-
früht , als die Heeresergänzungen noch nicht voll beendet, dagegen das Gelände am nördlichen Flügel der Ostfront durch die Schneeschmelze buchstäblich zu Schlammseen geworden war. Die 99 Märzschlachten 1916 "
charakterisieren
die
Offensive
der Italiener und
Russen treffend in wenig Sätzen : „ Die Anstürme der Russen und Italiener stellen sich nur taktisch als Offensiv- , strategisch als Defensiv handlungen , wenn schon als solche allergrößten Stils, dar. Das findet schon in dem Ausdruck 99 Entlastungsoffensive " einen etwas verblümten und beschönigenden, aber unmißverständlichen Ausdruck . Eine Entlastnngsoffensive ist eine Offensiv handlung mit Defensiv zweck. " Das nächste Ziel der russischen Offensive war Wilna bzw. die Bahn Wilna - Dünaburg. Die Armee Eichhorn sollte von den nördlich stehenden deutschen Streitkräften getrennt, das wohlorganisierte System der rückwärtigen Verbindungen gestört werden . Vielleicht haben die Russen ein Gorlice - Tarnow umgekehrt auszuführen gedacht, obwohl sie sich, nach dem Gesetz der Einheitlichkeit von Zeit und Anstrengungen, sagen mußten , daß eine Aussicht auf Erfolg nur dann bestehen könnte , wenn die Offensive überall begonnen würde , rüsteten.
während die
Deutschen vor Verdun noch
Nach dem oft schon Mißerfolge gebärenden Prinzip der
,,sukzessiv en Offensive" setzte ein zweiter Angriffsflügel gegen
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen .
19
die Dünalinie zwischen Dünaburg und Riga sich später in Bewegung, und Jakobstadt wurde dort der Brennpunkt des Kampfes . größere Einbruchsstellen hatte der Feind sich
Sieben
zum Ziel seiner Vor-
stöße gesetzt. In Abschnitt südlich Dünaburg begann die feindliche Offensivtätigkeit, die vielfach schon an der zerstörenden Kraft unserer Artillerie zerschellte und an anderen Stellen starke Massen auch an Gegenstößen kleinerer Gegend
zwischen
deutscher Verbände
Narocz-
Gegend von Postawy,
niederbrechen
und Wiszniew- See,
sah.
weiter nördlich
Die die
endlich ein Streifen nördlich Widsy wurden
vom 18. bis 22. täglich von den Russen mit großer Erbitterung angegriffen . Nur an einer Stelle, südlich des Naroczsees , beim Vorwerk Stachoweze, kam es zu einer nur unbedeutenden Rückwärtsverlegung unserer Front in eine neue Stellung vor der das Verlorene unterdes mit reichen Zinsen wiedergewonnen ist gehalten wurde.
, die dann ohne Wanken
An allen anderen Punkten scheiterte ein russischer Ansturm nach dem andern unter geradezu ungeheuren Verlusten für den Angreifer. Unter gleichem blutigen Mißlingen stieß er auch nahe Dünaburg und an drei anderen Stellen im Frontraum zwischen Riga und Dünaburg bei Jakobstadt, weiter Düna-abwärts bei Friedrichstadt- Lennewaden und endlich bei Kekkau und Olai vor.
Zwei Tage
neuen Zurecht-
schiebens und am 24. begann , nach langer Artillerievorbereitung, mit frischen Truppen eine weitere Reihe von Stürmen auf allen früher benannten Punkten . In den Tagen vom 24. bis 26. brachen alle blutig zusammen. An zwei Stellen, südlich des Naroczsees und südlich Widsy, konnten wir in der Nacht vom 26./27 . sogar zum Gegenangriff übergehen
und
den
Feind
aus
einigen
Punkten seiner ursprünglichen Front vertreiben . Blut" ist in den Offensive erstickt.
Nicht nur unsere
März - April - Kämpfen
alte Stellung vom 8. März,
uns unbequemen !! Im Sumpf und die
russische
sondern auch die
russischen Hauptstellungen, aus denen heraus die ganzen März-AprilKämpfe vorgetragen worden waren, befanden sich in unserer Hand Gegen einzelne Höhen
im Seengelände waren ganze,
immer wieder
durch frische ersetzte Korps zusammengebrochen, andere in Gegenstößen aufgerieben, über 14 Divisionen stellten am Ende der Dabei klafften noch weite Offensive nur noch Trümmer dar. Neujahrsschlacht gerissen hatte, die Kämpfe an Strypa und Djnester, Ausstrahlungen der Entlastungsoffensive, hatten
Lücken, die
die
sie weiter geschlagen, und so mußte man mit der Neujahrsschlacht zahllose Erdschollen die russischen Verluste seit der Jahreswende dem auf Sarge des Gedankens der einheitlichen Entente- Offensive — 2*
20
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen.
auf über 300000 Mann schätzen.
Genaue Angaben über die Ein-
bußen der italienischen Entlastungsoffensive stehen noch aus, klein werden sie nicht gewesen sein . Rechnen wir nur die 16 französischen Korps , die nach den ., Märzschlachten 1916 " Verdun bis zum Niederbrechen zerfledert hatte, die 14 russischen Divisionen , die die russische Entlastungsoffensive
in
italienischen Aderlaß
Trümmer
am Isonzo,
deutsche Oberste Heeresleitung, Verduns,
seiner
diktierte,
so
zu unseren
Soll" unserer Gegner das
zehrung auf.
hatte,
den
fünften
d . h.
neigt sich die
Folge- und Begleiterscheinungen ,
Wende März - April stark beim
geschlagen
den diesmal Verdun ,
schon
Gunsten
Defizit
die
Bilanz
an
der
und weist
begonnener Aus-
Die Oberste Heeresleitung des Vierbundes hatte schon
damals einen weiten Schritt
zu
dem mit
dem Stoß gegen den die
Festung Verdun deckenden Abschnitt gesteckten Ziel gemacht,
hatte
den großen feindlichen Offensivplan umgeworfen , Rußland und Italien zu
selbstzermürbenden
Entlastungsoffensiven
gezwungen ,
und
das
Hauptziel im Westen , die französische Feldarmee,
schon zum großen
Teile zum selbstvernichtenden Einsatz veranlaßt.
Gleichzeitig hatte
sie gegen die Festung weiten und wichtigen Boden gewonnen und dem Gegner die Überzeugung aufgezwungen, daß der Vierbund Kräfte genug besitze, neben Verdun und der Feldarmee im Westen, sich auch andere Aufgaben auch,
neben der
zu stellen .
anderen von
Die Überzeugung war es
wohl
der nahen Erschöpfung der Ersatz-
quellen der Franzosen , von denen man bei Angriffen auf die britische Front keine Unterstützung mehr erwarten dürfe,
die der britischen
Oberführung in Frankreich damals französischen Hilferufen gegenüber taube Ohren gegeben hat. 21.
Februar in
die
Das bis dahin Errungene würde den am
Ausführung
Obersten Heeresleitung schon geschichte aller Zeiten sichern.
getretenen
seinen
Initiativentschluß
Ruhmesplatz
in der
der
Kriegs-
Der französische Verbündete, dessen Entlastung um den genannten hohen Preis vergeblich versucht worden war, arbeitete unterdes selbst an der Zermürbung seiner Reserven im Raum von Verdun weiter. Fortgesetzt fielen
die Hammerschläge unseres mit Menschenreserven und allen Hilfsmitteln versehenen kräftigen, gesunden und unüberwindlichen Volksheeres . Das Vorgehen kennzeichnet sich als ein schrittweises , aber ununterbrochenes Vordringen .
Beinahe schachbrett-
förmig grenzen sich die Gefechtsfelder ab , auf deren jedem sich ein wütender Kampf abspielte, der stets in längerer oder kürzerer Zeitspanne mit Verlust
der Stellung durch die Franzosen endete . Und diese Erfolge wurden gezeitigt durch die Zweiwaffentaktik , d. h . in innigem Zusammenwirken von Infanterie und Artillerie .
21
Beitrag zum Verlauf des Salonikiunternehmens.
Gegenüber eingegrabener Infanterie würde die angreifende machtlos sein , Artillerie muß das Angriffsziel sturmreif machen . Wem der Angriff schwerflüssig erscheinen sollte, der bedenke, daß er in Wirklichkeit das Produkt fieberhaftester Tätigkeit ist, die Schwierigkeit
des Heranführens
und der bedenke
der schweren Batterien und Zu-
behör zu jedem neuen Angriff. Von Armentières bis südlich der Somme -- und das ist der bedeutsamsten Folge erscheinungen der Kämpfe
an der Maas
mußten
die
britische
Truppen
französische
ablösen ,
sehr
eine
dichte
britische Front zog sich also immer mehr auseinander, um Franzosen für den Moloch " Verdun freizumachen . (Schluß folgt. )
II . Beitrag zum
Verlauf des
Saloniki-
unternehmens. Zum Verfolgen der Ereignisse nach der Karte genügt ein großer Handatlas.
Von v. Richter, Generalmajor z. D.
Die
russischen Heere waren geschlagen und
tief in das eigene
Land zurückgeworfen. Deutschland und Österreich - Ungarn konnten sich ihnen gegenüber darauf beschränken, zunächst das Gewonnene zu behaupten. Ihre freigewordenen Kräfte standen zur endlichen Züchtigung Serbiens zur Verfügung und vollzogen ihren Aufmarsch an dessen Grenzen . Die feindlichen Mächte erkannten erst allmählich , um
was es sich handelte,
und , außerstande oder nicht bereit ,
zur
Unterstützung ihres Schützlings militärisch einzugreifen, ließen sie vermehrt an den Höfen der neutralen Balkanstaaten alle Minen der Diplomatie springen, um diese zum Eingreifen gegen die beiden Kaiserreiche zu bewegen. Daß dabei Drohungen und Versprechungen , Unsummen Geldes und Bestechlichkeit,
wahre und falsche Pressenach-
richten eine bedeutende Rolle spielten,
ist ebenso verständlich,
wie
das wirkliche oder zur Schau getragene Schwanken der umworbenen Regierenden und Parteien , ob die Neutralität aufgegeben werden solle oder nicht und zu wessen Gunsten.
22
Beitrag zum Verlauf des Salonikiunternehmens . Die meiste Sorge machte dem Vierverbande der zu erwartende
endgültige Entschluß Bulgariens .
Wie in Rumänien, entstammt sein
König einem deutschen Fürstenhause, weshalb beide gekrönte Häupter des Hinneigens zu Deutschland verdächtig erschienen .
Zar Ferdinand
galt zudem als ein äußerst gewiegter Diplomat, der sich rücksichtslos derjenigen Mächtegruppe anschließen würde , auf deren Seite er den größten Vorteil für sein Land erwarten durfte. Welche dazu die günstigeren Aussichten bot , trat dem unbefangen Urteilenden immer deutlicher zutage . Während Rumänien , sollte es trotz Hinneigens seiner Bevölkerung zu Frankreich sich den Kaisermächten zuwenden , durch den Druck des benachbarten Rußland im Zaum gehalten werden konnte, und Griechenland durch die vereinigte Flotte Englands und Frankreichs leicht einzuschüchtern war, sah sich Bulgarien von den Staaten des Vierverbandes Kaiserreichen
nicht
unmittelbar bedroht.
Mit der den
verbündeten Türkei hatte es bereits ein Abkommen .
das ihm eine ansehnliche Gebietserweiterung und freundwilliges Verhalten dieses Reiches sicherte, abgeschlossen . Vom Schwarzen Meere Sein her war durch die russische Flotte nicht viel zu befürchten. Heer
hatte
erst
wenige
Jahre
zuvor
Beweise
gegeben, es war gut bewaffnet und organisiert.
großer
Tapferkeit
Sein brennendes Ver-
langen nach Rückeroberung des ihm im Frieden von Bukarest entrissenen Mazedonien konnte weit eher durch die Mittelmächte befriedigt werden,
als durch den Vierverband,
der es nur auf Kosten
seines Schützlings, Serbien, hätte stillen können .
Wirtschaftlich stand
es mit den Kaisermächten in regem Güteraustausch, denen auch das Volk seine Neigung zuwandte . Diese Anzeichen sprachen dafür, daß sich Bulgarien den Netzen des Vierverbandes entziehen und auf die Seite dessen Gegner stellen würde. Seit dem 19. September 1915 sandte die Artillerie Deutschlands und Österreich-Ungarns ihre Geschosse über Donau, Save und Drina nach Serbien .
Der Geschützdonner mußte ermutigend auf die Bulgaren
wirken, an dem verhaßten Lande Rache zu nehmen und es von Osten her anzufallen . Für den Vierverband mußte es Ehrensache sein, das drohende Verhängnis von seinem Bundesgenossen , Serbien , abzuwenden. Zu dem Zweck kam es vor allem darauf an , den Übergang Bulgariens
zu den Mittelmächten zu hintertreiben,
sein Heraustreten aus der Neutralität zu verhüten . Grenzen Serbiens fallen.
stehenden Heeren konnte
mindestens
Den
an den
man nicht in die Arme
Deshalb mußte der Versuch auf den anderen Kriegsschau-
plätzen gemacht werden ,
um durch einen durchschlagenden Erfolg
den Bulgaren vor Augen zu führen , welche Gefahr sie durch Übergang zur feindlichen Seite auf sich nähmen .
Die Aussichten des Gelingens
23
Beitrag zum Verlauf des Salonikiunternehmens.
schienen nicht ungünstig zu liegen.
Denn um die Zahl der gegen
Serbien eingesetzten Truppen mußten die anderen Fronten geschwächt sein, weshalb bei der ohnehin zahlenmäßigen Überlegenheit des Vierverbandes der Widerstand der Mittelmächte dort um so leichter zu brechen war. In letzter Stunde raffte man sich zu einer entscheidenden Tat auf. Der gewaltige Durchbruchsversuch Ende September 1915 an unserer Westfront, die wütenden Angriffe der Russen in Wolhynien und das stärkere Anstürmen der Italiener gegen die Isonzofront entwickelten sich mit aus dem Bestreben , die Serbien drohende Gefahr abzulenken . Aber schon am 2. Oktober war kein Zweifel mehr, daß alle diese Versuche fruchtlos unternommen waren. Noch einmal hielt man Bulgarien Peitsche und Zuckerbrot zur Wahl vor. Grey erklärte am 28. September im Unterhause, daß Großbritannien entschlossen sei, seinen Freunden auf dem Balkan jede Unterstützung, die in seiner Macht liege , angedeihen zu lassen, falls sich Bulgarien auf Seite der Feinde stellen sollte. Daran anknüpfend führte die Regierungspresse aus :
„ König Ferdinand treibe
sein Volk auf dem Wege des Verbrechens weiter .
England sei bereit,
Bulgarien auf halbem Wege entgegenzukommen ; aber wenn es gegen seine alten Freunde das Schwert ziehe, so bedeute dies finem Bulgariae". Anderseits suchte man das störrische Land dadurch zu ködern, daß man ihm das Zugeständnis sofortiger Besetzung Mazedoniens bis zum Vardarflusse auf Kosten Serbiens machte , wovon aber dieses Land natürlich nichts wissen wollte. Demgegenüber beharrte Bulgarien auf dem festen Entschluß , die Verwirklichung seiner gerechten Forderung durchzusetzen .
Die unter
dem Vorgeben bewaffneter Neutralität am 21. September angeordnete Mobilmachung seiner Armee war in voller Ordnung vor sich gegangen . Die Stimmung der Truppen und Äußerungen der Presse ließen kaum noch einen Zweifel über die eigentliche Bedeutung der Maßregel. Daß von Rußland durch Drohungen eingeschüchterte oder durch Versprechungen von Länderzuwachs angelockte Rumänien hatte ebenso wie Griechenland unbedingte Neutralität erklärt. Letzteres befand sich insofern in übler Lage, als vom ententefreundlichen Ministerium . Venizelos
gegen den Willen des Königs
geständnisse
an
zweifellos
Franzosen und Engländer
weitgehende Zu-
über die Stellungnahme
seines Landes, namentlich das Durchzugsrecht, gemacht waren. Selbst nach dem Rücktritt des Ministeriums nahmen die Verbündeten gegen den Willen des Königs und der neuen Regierung Recht landen.
für sich
in
Anspruch , Truppen
noch weiter das
auf griechischem Boden zu
Zweifel bestanden, ob Griechenland seinen vertraglichen Ver-
pflichtungen,
die Venizelos als noch zu Recht bestehend behauptete,
24
Beitrag zum Verlauf des Salonikiunternehmens.
nämlich den von den Bulgaren angegriffenen Serben zu Hilfe zu eilen, nachkommen werde oder nicht. Sie wurden amtlich durch die sophistische Auslegung beseitigt, daß der Bündnisfall nur gegeben sei , wenn Bulgarien allein angreife, nicht aber auch, wenn es im Bunde mit den Kaisermächten vorgehe. seitigt,
Dadurch wurde die Vorstellung be-
daß schon das Landen einer geringen Truppenzahl Griechen-
land in den Krieg mitreißen würde . Die Absicht des Vierverbandes,
einen neuen Balkanbund gegen
die Mittelmächte zusammenzubringen , mußte hiernach als fehlgeschlagen Aber noch immer rechnete er damit, wenigstens Griechenland auf seine Seite hinüberziehen zu können. Er ließ dessen Regierung erklären, daß er ein tatenloses Zuschauen gegenüber der offenbar
gelten .
bevorstehenden Vergewaltigung Serbiens als eine unfreundliche Handlung betrachten würde, die England Anlaß zu einer Flottendemonstration Diese nicht mißzudeutende Ankündigung beantwortete Griechenland am 24. September mit Einberufung von 20 Jahrgängen zu den Fahnen, welche Maßregel es zu seiner Sicherheit und als
geben könnte .
Bereitschaft zur Verteidigung ergreifen zu müssen vorgab. In das Schaukelspiel der diplomatischen Verhandlungen platzte wie eine Bomhe am 4. Oktober das im Namen des Vierverbandes abgegebene
Ultimatum
Rußlands
an
Bulgarien ,
das
innerhalb
24 Stunden das offene Abbrechen seiner Beziehungen zu den Feinden der slavischen Sache und Rußlands forderte. Die am folgenden Tage abgegebene Erklärung kam einer völligen Ablehnung gleich und so war der Bruch mit dem Vierverbande vollzogen. Dem Ultimatum
folgte die
Truppen in Saloniki unmittelbar.
Landung der
ersten
französischen
Für die Wahl dürfte nur die Ab-
sicht maßgebend gewesen sein, einen Serbien nahegelegenen und mit ihm durch Eisenbahn verbundenen günstigen Hafen zur Verfügung zu haben für das Heranführen der Truppen und den Nachschub aller Heeresbedürfnisse . In dieser Hinsicht wird Saloniki allen Anforderungen gerecht durch seine geräumigen , neuzeitlichen Hafenanlagen und die nach Üsküb und Monastir führenden Eisenbahnen, von denen jene die größere Bedeutung besitzt,
aber auch auf lange Strecken durch
leicht vom Gegner zu sperrende Engpässe führt . Daß man sich einen neuen Flottenstützpunkt zur Abwehr etwaiger Unternehmungen gegen Ägypten schaffen wollte, läßt sich kaum annehmen, da hierfür geeignete Stellen den Engländern im Mittelmeer zur Genüge zur Verfügung oder sich schaffen ließen. Vielleicht auch hat das Gerücht
standen
etwas für sich , man habe sich mit dem Gedanken getragen , von Saloniki aus die Herstellung der Verbindung zwischen den Zentralmächten und der Türkei durch ein Vorgehen über Strumica verhindern , mindestens
25
Beitrag zum Verlauf des Salonikiunternehmens. ernstlich bedrohen zu können . für
die Annahme,
Die meiste Wahrscheinlichkeit spricht
daß Franzosen
und Engländer bestimmt
darauf
rechneten, die Griechen durch Erscheinen ihrer Truppen zu sich herüberzuziehen.
Da der Ministerpräsident Venizelos um die Absichten
des Vierverbandes wußte und sie begünstigt hatte, setzung nicht
unbegründet.
So
war die Voraus-
wird die Erklärung von Grey
am
14. Oktober im Unterhause verständlich , daß die Truppen in Griechenland willkommen seien , wie aus den Umständen der Landung und ihrem Empfange hevorgehe, eine Behauptung, die mit der Bewillkommnung seitens der Behörden und Einwohner Salonikis durchaus im Einklang stand. Die beschwichtigenden Erklärungen, daß die Truppen die Hoheitsrechte Griechenlands in keiner Weise antasten würden ,
als Freunde
zu seiner Sicherheit erschienen
und
nach Serbien
wohin das Landungskorps überführt
sichern
wollten,
nur frühzeitig die Verbindungen
werden solle, wurden mit einem , allerdings nicht besonders scharfen Einspruch
beantwortet .
gehalten worden findet ,
Wie
wenig
die
gemachten
Zusicherungen
sind und wie auch hier die Erfahrung Bestätigung
daß Diplomaten
ihre Schwüre
oft auf Wasser zu schreiben
pflegen, zeigt der Fortgang des Unternehmens. Das Landungskorps setzte sich hauptsächlich aus französischen Truppen zusammen , die etwa zwei Drittel der Gesamtstärke ausmachte. gelegt.
Der Oberbefehl Damit
wurde
kennzeichnet
in
die Hände des Generals Sarrail
sich das Unternehmen als
von Frankreich ausgegangen und weiter betrieben . heimnis ,
vorwiegend
Es war kein Ge-
dass England und besonders auch Lord Kitchener sich nur
widerwillig
zur Mitwirkung verstanden hatten.
In Frankreich hoffte
man , mit der erwarteten Unterstützung Griechenlands Lorbeeren pflücken zu können, die dem damals wankenden Kabinett Briand sehr willkommen eines
sein mußten .
französischen
Korps , so
doch
Erklärt
Generalissimus
aus
sich der
auch die Ernennung Zusammensetzung des
auch aus der Stimmung Frankreichs ,
Führung und Kriegsbegeisterung Meinung besaß.
die von der
englischer Truppen keine allzuhohe
Im Zusammenhange mit den verbindlichen Zusicherungen traten die gelandeten Truppen , die bis zum Vormarsch nach Serbien in der Umgebung Salonikis bleiben sollten , zurückhaltend auf.
Sie lagerten
etwa 4 km von der Stadt ab auf dem Serbien nach dem Vertrage von 1913 zur Benutzung vorbehaltenen Platze. Im Hafen ankerten. zahlreiche Kriegs- und Transportschiffe, gegen Torpedierung von Unterseebooten durch besondere Maßregeln gesichert.
Bis zum 10. Oktober
sollen im ganzen 20 000 Mann ausgeschifft gewesen sein , Entsendungen
Beitrag zum Verlauf des Salonikiunternehmens .
26
nach Serbien jedoch noch nicht stattgefunden haben .
Diese Zurück-
haltung kann man trotz gebotener, schneller Unterstützung der beDenn die zunächst verfügbaren, nur drängten Serben verstehen . schwachen
Kräfte
konnten
jeden
Augenblick
beim Vorgehen
auf
bulgarische Überlegenheit stoßen. Inzwischen hatten deutsche und österreichisch-ungarische Truppen am 6. Oktober die Donau, Save und Drina überschritten und damit begonnen,
die
Serben
in
südlicher
Richtung
zurückzuwerfen ,
die
Bulgaren ihre vor zwei Jahren für bessere Tage eingerollten, ruhmDurch einen , auf eigenem Boden ausvollen Fahnen zu entfalten. geführten feindlichen Angriff herausgefordert, begannen die Bulgaren am 12. Oktober den Krieg mit dem Nachbarvolke und trieben seine Heere von Osten mit kräftigen Schlägen vor sich her. Bulgarische Banden sollen schon am 7. Oktober die Eisenbahn Saloniki —Üsküb Brücken unterbrochen
durch Sprengung von
Die Drohung
haben .
der französischen Regierungspresse, Zar Ferdinand werde sich beim Einmarch in Serbien französischen und englischen Truppen gegenüberbefinden, ging nicht in Erfüllung. In Saloniki und Umgegend In dem Sinne :
entwickelten sich die Dinge weiter.
„ Und bist du nicht willig,
so brauch' ich Gewalt"
folgte eine Eigenmächtigkeit, ein Gewaltakt und eine Demütigung Griechenlands der anderen . Aus den von dem Landungskorps getroffenen Einrichtungen wurde sehr bald ersichtlich, daß sein längeres Verbleiben zu gewärtigen stand.
So ergriff es sehr bald von Saloniki
Besitz, organisierte ein Hafenkapitänat und Gendarmeriedienst, führte Betonbauten in der Nähe der Stadt zur Unterkunft aus, legte eigene Telegraphenleitung längs der Bahn nach
Gjevgjeli,
versuchte,
auf
Chalkidike zu landen und die Befestigungen bei Kara Burun zu besetzen, schiffte Truppen auf Imbros, Mytilene und Tenedos aus usw. Demgegenüber erklärte
die griechische Regierung,
um der Lage für
alle Fälle gewachsen zu bleiben, in Saloniki den Kriegszustand und verstärkte die dortige Garnison. Das für die Unternehmungen des Landungskorps hauptsächlich in Betracht kommende Gelände liegt hart nördlich der serbischgriechischen Grenze und wird durch den Vardar in einen kleinen , östlichen Abschnitt , der im Norden bis an Bulgarien heranreicht, und in einen größeren westlichen von Dreieckform geteilt, dessen westliche Begrenzung etwa Gelände
stellt
die
sich
Linie Köprülü - Monastir bildet.
als
Das ganze
eine fast ganz waldlose Berglandschaft dar.
Im östlichen Teil erheben sich an der bulgarischen Grenze die Plausund Belasica-Planina 800-1500 m hoch. liegt
ein Hügelland
mit
Ihnen südlich vorgelagert
vereinzelten Erhebungen
bis
zu
500 m.
27
Beitrag zum Verlauf des Salonikiunternehmens . Gleichlaufend mit der Plaus- Planina fließt
an ihrem
Südfuße
ein
Nebenfluß des Vardar, Bojima, dessen Tal sich nach Westen zu verbreitert.
Hier liegt die Stadt Valandova
nahe dem
Knotenpunkt
der beiden Straßen, die von der Bahnstation Strumica der Vardarbahn in west- östlicher bzw. von Karasuli in süd -nördlicher Richtung kommend hier zusammentreffen und weiterhin die Verbindung nach Strumica herstellen . Zu der von Karasuli kommenden Straße führen bei Dojran die Bahn Saloniki - Seres und eine Verbindungslinie von Karasuli heran.
Für Truppenbewegungen sind außer den erwähnten
Straßen geeignete Wege
nur ganz
wenige vorhanden.
Bojima haben sich zahlreiche Kämpfe
zwischen
Im Tal der
den Bulgaren und
Truppen des Vierverbandes abgespielt. Durch sie bekundeten die Franzosen die Absicht, über Strumica in Bulgarien einzudringen. Die von Saloniki nach Nordserbien führende Bahn läuft , nachdem sie den Vardar erreicht hat,
bis Karasuli
auf dem östlichen Ufer,
tritt dort bis zur Bahnstation Strumica auf das westliche über, kehrt auf kurze Strecken zum anderen Ufer zurück und verbleibt schließlich auf der Westseite
des Flusses .
Da sich außer den Bahnübergängen
nur bei Gjevgjeli eine feste Brücke über den Vardar befindet , so ist auf der Strecke Krivolak- Bahnstation Strumica der Wechsel zwischen beiden Ufern um so mehr erschwert, wasserreichen Flusse abfallen .
als sie steil zu dem reißenden ,
Der westliche Teil des Geländes nimmt eine Hochfläche ein , die durch den wasserreichen Nebenfluß des Vardar, Cernar durchströmt und in einen östlichen (Marianka- Planina) und einen westlichen. Abschnitt (Selecka- Planina) geschieden wird . Jener verflacht sich nach Norden zu , dieser wird dort durch die ihm quer vorgelagerte Babuna- Planina begrenzt . Die Ufer des Cernar steigen vielfach schroff zu beträchtlicher Höhe an ; Brücken über ihn finden sich nur in weiten Abständen,
wo
eine
von
Ost
nach West führende Straße
durchläuft. Wege gibt es im allgemeinen nur in den Tälern . Zahlreiche Bäche eilen dem Vardar und Cernar zu. Die Eisenbahn , die Saloniki mit Monastir verbindet, führt durch griechisches Gebiet bis etwa 20 km von Monastir .
Nach
dieser Stadt
und Prilep
zu ver-
flachen sich die Berge zur Pelagoniaebene mit ausgedehnten Sumpfstrecken längs des Cernar. Ortschaften sind in der Marianka- Planina selten , in der Selecka-Planina häufiger und zahlreich in der Pelagoniaebene, sowie in der Nähe und östlich von Prilep. Für Bewegungen und Unterbringung von Truppen ist das Gelände
äußerst ungünstig.
Sie sind auf Anlegen von Wegen und Brücken ,
bei längerem Aufenthalt an einer Stelle auf Herstellung von Unterkunft und auf Mitführung alles dazu erforderlichen Gerätes, sowie der
28
Beitrag zum Verlauf des Salonikiunternehmens.
Lebensmittel angewiesen . Diese Schwierigkeiten waren vorauszusehen und ihnen mußte das Landungskorps Rechnung tragen. Die Stärke der in Saloniki ausgeschifften Truppen soll, wie erwähnt ,
bis zum 10. Oktober auf 20000 Mann
angewachsen
sein, eine Entsendung nach Serbien noch nicht stattgefunden haben. Da damit gerechnet werden mußte, daß sich die Bulgaren schleunigst in den Besitz der von Saloniki nach Norden führenden Bahnen und Pässe setzen und sich zwischen das Landungskorps und die Serben. als Keil einschieben
würden ,
war baldiges Vortreiben von Kräften,
besonders zur Sicherung der Verbindung mit Üsküb angezeigt. Noch bevor durch neuere Verstärkungen, die mit dem Oberbefehlshaber, General Sarrail, eintrafen , die Stärke auf etwa 30000 Mann gebracht war, scheinen jene 20000 Mann nach
Norden
abgerückt
und
oder ein größerer Teil von ihnen
von
angeblich 40000
Bulgaren bei
Valandova am 16. oder 17. Oktober angegriffen und geworfen worden zu sein.
Damit war die kürzeste Verbindung nach Nordserbien unter-
brochen .
Die Bulgaren beherrschten die Vardarlinie, deren wichtigste
Kunstbauten sie
zerstört hatten.
Das auf der Voraussetzung tat-
kräftiger Unterstützung von Saloniki her aufgebaute serbische Verteidigungssystem , und
das
etwa 60000 Mann
in Mazedonien vorgesehen
dort viel Munition und Kriegsgerät bereitgestellt hatte,
dadurch ungünstig beeinflußt.
wurde
Zwar wollen die Franzosen am 26. Ok-
tober nördlich von Valandova bei Strumica im Vordringen mit einer Division Erfolge errungen haben , doch müssen sie durch mazedonische und bulgarische Truppen alsbald wieder unter schweren Verlusten zurückgeworfen worden sein . Schon zu dieser Zeit, also
Ende Oktober, sprachen Einsichtige
von einer militärischen Komödie ,
der Serbien zum Opfer falle, und
bezeichneten das inzwischen auf angeblich 78000 Mann gewachsene Landungskorps, von dem 30 000 Franzosen in die Gegend von Gjevgjeli und 10000 auf Strumica vorgeschoben sein sollten , als für die Lösung der Aufgabe zu schwach . Der Vierverband kam mit seinem Vorhaben um reichlich einen Monat zu spät . Er hatte zu lange unterhandelt , statt entschlossen zu handeln . Die einem schnellen und kraftvollen Vorgehen
durch das Gelände ,
die schlechten Verbindungen und den
erschwerten Nachschub sich entgegenstellenden Schwierigkeiten sollen . nicht verkannt
werden.
Augenscheinlich glaubte man
auch einen
größeren Teil der Truppen in Saloniki und Umgegend zurückhalten zu müssen , weil man besorgte, die Griechen könnten , im Falle eines Mißeroflges
der Eindringlinge,
sich gegen sie erheben und mit den
Feinden gemeinsame Sache machen . General Sarrail sah eine wenig beneidenswerte Aufgabe gestellt.
sich vor
29
Beitrag zum Verlauf des Salonikiunternehmens.
Mit Beginn des November konnte das bei Tag und Nacht erfolgende
Landen starker englischer
gemeldet werden . und die Aufgabe gelöst
werden.
spät "
stehen
Truppenabteilungen in Saloniki
Nun sollten kleinere Unternehmungen aufgegeben mit einem zusammengehaltenen , starken Heere
Daß auch diese Absicht unter dem mußte,
ergibt
serbische Hauptarmee
sich
ohne weiteres
Zeichen :
daraus,
„ Zu
daß die
in Altserbien bereits eingekreist und ihr nur
die Wahl gelassen war, die Waffen zu strecken oder nach Montenegro überzutreten . Bis zu ihr konnte die Hilfe nicht mehr gelangen. Günstigstenfalls war für die in Mazedonien kämpfenden Serben eine vorgeschobene Aufnahmestellung westlich des Vardar in Erwägung zu ziehen ,
um sie
vor dem gleichen Schicksal zu bewahren,
Brüder im Norden
entgegengingen .
Da sich die
dem ihre
Bulgaren
bereits
zum Vorgehen von Köprülü auf Monastir anschickten , war schnelles Handeln geboten, weshalb beschleunigte Truppen- und Gerätsendungen auf der Bahn abgingen. Ihre Leistungen konnten nicht groß sein, da sie nur eingleisig war. Jetzt endlich gingen auch stärkere englische Abteilungen an die Front. Mit diesen Verstärkungen gelang es den Franzosen , etwas nördlich über Valandova vorzudringen und längs des linken Vardarufers , südlich Demir- Kapu ,
eine
befestigte Stellung
zu beziehen .
Die Engländer
besetzten einen eigenen Abschnitt südlich der französischen Linie , als Rückhalt
für jene.
Die beiderseitigen Truppen sollten nach einheit-
lichen Gesichtspunkten handeln , im übrigen aber unabhängig voneinander sein. Truppen sich
Als gemeinsames Ziel galt es, Fühlung mit den serbischen
zu nehmen,
zurückgehalten
wobei die Engländer in weiser Beschränkung haben sollen,
die Lösung der Aufgabe in der
Hauptsache selbstlos dem Bundesgenossen überlassend. in
der
Richtung
auf Prilep - Krivolac
(etwa
15 km
Der Versuch , nordwestlich
Demir - Kapu ) mit den Serben Fühlung zu nehmen , wurde auch unternommen, von den Bulgaren aber, wie sie am 5. November melden konnten ,
zum
Scheitern gebracht.
Im
Strumicaabschnitt dauerten
gleichzeitig heftige Kämpfe tagelang an, wobei die bulgarischen und mazedonischen Truppen , durch ihre Kenntnis des Geländes im Vorteil, dem Gegner schwere Verluste zugefügt haben sollen. Die am 10. November
erneuten Vorwärtsbewegungen der Fran-
zosen zwischen Krivolak und Prilep zur Verbindung mit den am Babunapaß hart bedrohten Serben teilten das Schicksal ihrer Vorgänger. Die Serben drängen auf eine große, allgemeine Offensive zur Befreiung aus ihrer verzweifelten Lage . General Sarrail vertröstet sie aber auf mehrere Wochen hinaus, bis zusammenhaben werde .
er die dazu nötigen Kräfte
Daraus geht hervor, daß es mit den angeblich
30
Beitrag zum Verlauf des Salonikiunternehmens .
in Saloniki versammelten 100000 Mann nicht wohl seine Richtigkeit gehabt haben kann . Eine solche Truppenstärke wäre doch ausreichend gewesen, der in höchst bedenklicher Lage befindlichen befreundeten Nation die dringend erforderliche Unterstützung zu bringen, wenn der ernste Wille dazu bestanden hätte. Vermutlich war die hohe Ziffer nur darauf berechnet, bei den Feinden Eindruck zu machen .
Schließ-
lich aber raffte sich Sarrail dazu auf, den Cernarfluß zu überschreiten , um feindliche Kräfte auf sich zu lenken und dadurch den Serben Erleichterung zu verschaffen .
Hier wurde er von den Bulgaren ,
Verstärkungen herangezogen hatten, überwältigten sie
die
heftig angegriffen.
bei Tetowo stehenden Serben
die
Gleichzeitig
und
bedrohten
ihren rechten , an den Babunapässen kämpfenden Flügel, mit Umgehung. Zwar behauptete Sarrail, die Verbindung mit den Serben bei Prilep aufgenommen zu haben, doch verhinderte die kräftige bulgarische Artillerie
ein wirksames Eingreifen ,
das höchstens noch in
Erleichterung des Rückzuges auf Monastir zur Geltung kommen konnte. Unter diesen Umständen und aus Mangel an Munition und Lebensmitteln mußte haftem
die
serbische Südarmee nach zweiwöchigem ,
Widerstande
am
16. November über
fechtend und völlig erschöpft zurückweichen.
Prilep
helden-
auf Monastir
Die Zusicherung,
daß
englische Verstärkungen nächstens nach Monastir abgehen würden, konnten den Zusammenbruch nicht aufhalten . Ähnliche Versprechungen waren zu oft gegeben, als daß sie den Mut und die Ausdauer der Serben neu zu beleben vermocht hätten. Während das Trauerspiel seinem Abschluß entgegenging,
hatten
die Kämpfe der Bulgaren mit Franzosen und Engländern bei Köprülü und Strumica ihren
Fortgang genommen,
in denen die
Bulgaren
schließlich Sieger geblieben sein müssen .
Nachdem diese Kämpfe zum Abschluß gekommen waren, zogen sich die Verbündeten
in ihre
bereiteten befestigten
und
zwischen Krivolak und Gjevgjeli vor-
mit
schweren Geschützen ausgerüsteten Stellungen zurück, während die Bulgaren auf Monastir vorrückten, ohne es indessen zu besetzen, vermutlich um die Empfindlichkeit der Griechen zu schonen, die diese Stadt als zu ihrem Einflußbereich gehörig angesehen wissen wollen.
teile
Gegen Ende November 1915 waren sämtliche serbischen Truppenaus dem westlichen Mazedonien hinausgedrängt und damit die
militärische Aufgabe des Salonikiunternehmens zunächst gegenstandslos geworden. Es hatte das über Serbien hereingebrochene Verhängnis nicht abzuwenden vermocht. Den im Verzweiflungskampf an den Babunapässen
ringenden
Regimentern
war
nur
dürftige
Unter-
31
Beitrag zum Verlauf des Salonikiunternehmens.
stützung gewährt.
Versuche zur
Befreiung und Wiederaufrichtung
Serbiens durch Unternehmungen gegen die Überlegenheit der Heere der Mittelmächte und Bulgariens waren von vornherein aussichtslos. Zwar schifften Franzosen und Engländer angeblich immer wieder neue Regimenter und namentlich schwere Artillerie bei Saloniki aus und verkündeten, daß sie die Absicht , den serbischen Bundesgenossen zu erlösen, verwirklichen würden , wozu sie die Hoffnung auf Ausführbarkeit aus der Ansammlung eines starken russischen Hilfskorps an der Nordgrenze Rumäniens und aus der verminderten Gefahr einer griechischen Erhebung herleiteten . In Wirklichkeit aber blieb es auch Nach mehrfachen Angriffen der Franzosen auf die Bulgaren bei Krivolak traf am 28. November die über-
hierin bei großen Worten .
raschende Meldung von dem überstürzten Rückzuge Sarrails auf das rechte Cernaufer ein. Damit muß das Schicksal des Salonikiunternehmens vorerst als besiegelt gelten. Mit der Annäherung der von Norden vorrückenden deutschen und österreichisch-ungarischen Kräfte sahen sich die Verbündeten gezwungen, auf griechisches Gebiet zurückzuweichen und sich dort auf die Abwehr etwaiger Angriffe vorzubereiten. Die sind bisher, wenigstens in großem Stile , ausgeblieben und werden voraussichtlich auch in absehbarer Zeit schwerlich unternommen
werden .
Denn
die
Mittelmächte
sehen
sich
durch
das
Landungskorps nicht bedroht und haben deshalb kein Interesse daran , die starken Verschanzungen , voraussichtlich unter großen Verlusten , zu stürmen , um Griechenland von seinem Peiniger zu säubern . Es genügt, die feindlichen Truppen bei Saloniki fest und von wichtigeren Kriegsschauplätzen fernzuhalten . Ihre Überwachung fällt hauptsächlich den Bulgaren zu , die sich, wie ihr Kriegsminister erklärt hat, nur zur Teilnahme am Kriege auf dem Balkan verpflichtet haben . So endet das Salonikiunternehmen in militärischer Hinsicht nach seinem bisherigen Verlauf wie das Hornberger Schießen .
32
Die Eidgenössischen Jugendorganisationen .
III .
Die eidgenössischen Jugendorganisationen ') . Von
Professor Broßmer, Leutnant d . Res. im Infanterie- Regiment 169.
Von allen Völkern Europas hat die schweizerische Nation noch am meisten die ursprüngliche Identität von Heer und Volk bewahrt . Die übrigen Staaten sind zum System des stehenden Heeres übergegangen , bei dem eine größere Auslese in körperlicher Beziehung stattfinden muß als bei dem Milizheer , das in seiner Gesamtheit erst in den Tagen der äußersten Not aus dem Boden des Volkes ureigentlich herauswächst . Eine bessere Gewähr für die Ereignisse jeden Falles bietet ein stehendes Heer, in dem das Herz der Nation schlägt . Die Ausbildung der Miliz kann in den wenigen Wochen auch öfters wiederholter Übungen nur den allernotwendigsten Zusammenhang ergeben . Aber der Wert des Volksheeres steigt besonders rasch mit dem höheren Stand der körperlichen und sittlichen Erziehung des einzelnen . Das Volk in Waffen in neuzeitlicher Auffassung setzt, dem genannten. Kulturbild entsprechend, eine Menge nur durch stetige Übung erwerbbare Fertigkeiten und einen hohen Stand sittlicher Empfindung voraus . Das Volksheer der Eidgenossenschaft ersteht nur äußerlich erst im Augenblick der drohenden Gefahr. Es schlummert in voller Rüstung, immer bereit, den lodernden Signalfeuern zu folgen .
Dieser ständige
Zustand der Mobilmachung in dem durch die politische Stellung der Schweiz erforderlichen Maße bedingt eine außerordentliche
Menge
eingehendster Kleinarbeit auf allen Gebieten von frühester Jugend auf.
Und wenn schon überall die hervorragendsten Leiter der größten
Massenheere eine zielbewußte, körperliche Ertüchtigung des heranwachsenden Geschlechtes unbedingt fordern, um wieviel wichtiger erscheint dann das Wirken am jungen Stamm in den Ländern des Milizsystems !
Die Anforderung der modernen Kriegsführung an sich , die
Berücksichtigung der technischen Fortschritte bei allen Waffen verlangen eine eingehendere Übung als in den Zeiten , wo das Spannen der Armbrust und das sichere Auge den besten Schutz gewährten. In der Tat kümmern sich die verschiedensten Organe um die Heranbildung des jungen Schweizers .
Seit alter Zeit ist diese jugend-
1 ) Vgl. den Aufsatz im Märzheft . Die Schriftleitung.
Die Eidgenössischen Jugendorganisationen.
33
liche Betätigung der Waffenfertigkeit als ein besonderer Charakterzug Die Chronisten des 15. und des schweizer Volkes hervorgetreten . 16. Jahrhunderts berichten von militärischen Aufzügen der waffenkundigen Knabenscharen . Ihr Beispiel fand zunächst keine allgemeine Verbreitung und stand noch nicht im Zeichen einer zielbewußten Arbeit .
Der Gedanke an sich hat aber immer wieder nach praktischer Es waren zunächst die Gemeinden und Städte ,
Ausführung gestrebt .
die in Form von Kadettenkorps die Jugend zusammenfaßten und unter der sachkundigen Führung von Offizieren militärische Übungen abhielten. 1759 und dann mit dauerndem Erfolge 1787 erstand das Züricher Kadettenkorps und bewirkte aneifernd Neugründungen in allen Landesteilen.
100 Jahre lang haben die Kadettenkorps unter der alleinigen
Sorge der Gemeinden und Kantone gelebt . Tief hat sich dadurch im schweizerischen Volke das Pflichtbewußtsein eingewurzelt , für die Körperbildung im Dienste einer Landesverteidigung Opfer jeder Art zu bringen. In moderner Zeit , seit Mitte der siebziger Jahre , läßt sich der Bund Bericht erstatten , gibt die Grundideen des Schießdienstes und legt besonderen Wert auf eine ordnungsmäßige Ausbildung des Schützen . Ein einleitender, 30stündiger Vorbereitungskurs geht dem eigentlichen Schießdienst voraus . In zwei Klassen erfolgen nach militärischen Vorschriften die von erfahrenen und besonders geeigneten Unteroffizieren oder Offizieren geleiteten Schießübungen . Die finanziellen Opfer, die der Bund selbst bringt , sind nicht gering . Zu jedem für die Kadetten bezogenen Gewehr gewährt er einen Beitrag von 50 % (36,50 Frs . ) der Anschaffungskosten. Die Waffen werden dauerndes. Eigentum der Korps, unterstehen aber einer jährlichen Revision vonseiten der militärischen Waffenkontrolleure . Auch sonst hat das Militärdepartement das Recht, durch eines ihrer Mitglieder die Leistungen der Kadetten einer Prüfung zu unterziehen. Die Kadetten rekrutieren. sich ausschließlich aus den Mitgliedern der Mittelschulen .
Sie beginnen
ihre Übungen teilweise schon mit dem 11. Lebensjahre . In solch jungen Tagen ist Geist und Körper biegsam und die Auffassungsgabe gut entDie schönsten Früchte zeigen sich dort, wo der militärische Unterricht einen Teil des offiziellen Lehrplanes ausmacht . Die haupt-
wickelt .
sächlichste Bedeutung der Kadettenkorps liegt in ihrer Eigenschaft als erste Erziehungsstätte für den schweizer Offizier und Unteroffizier . Die ganze Organisation ist mit ihrer Zahl von 7000 Kadetten um so bedeutender, als man immerhin die relativ kleine Bevölkerungszahl der Schweiz in Betracht ziehen muß.
Trotzdem ist die Einrichtung der Kadettenkorps nicht volkstümlich in dem Sinne , daß sie sich über die gesamte schweizer Jugend Ihre teilweise Verknüpfung mit dem Lehrziel der Mittelerstreckt. 3 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 538.
34
Die Eidgenössischen Jugendorganisationen.
schule ließ ihre Segnungen doch nur einem kleinen Bruchteil der Jungmannschaft zugute kommen. Um eine das ganze Land und die gesamte männliche Jugend umfassende Einrichtung zu schaffen, organisierte Bundesrat Welti 1874 den militärischen Vorunterricht , der dann seit 1907 die heutige Gestalt besitzt . Der militärische Vorunterricht setzt mit dem Ende der staatlichen Schulpflicht ein , entweder als a ) freiwillige Kurse ohne Bewaffnung : turnerischer Vorunterricht (14. -20 . Lebensjahr ) ; b) freiwillige Kurse mit Bewaffnung : bewaffneter Vorunterricht (16. -20. Lebensjahr ) ; c) freiwillige Schießkurse : Kurse für Jungschützen. Der unentgeltlich erteilte turnerische Vorunterricht liegt in der Hand der kantonalen Turnverbände .
Die Bestätigung der Teilnahme
bringt der Rekrut als Empfehlung zu seiner ersten Waffenübung mit . Das Vereinsturnen in der Schweiz hat sich für die Erziehung der Wehrpflicht im Laufe der Zeit außerordentlich große Verdienste erworben. Die volle Selbständigkeit der einzelnen Kantone in Schulfragen erklärt auch das Fehlen einer zentralen Turnanstalt für das Schulturnen . Seit 1889 bildet der eidgenössische Turnverein in besonders für diesen Zweck veranstalteten Turnlehrerkursen die für das Schulturnen notwendigen Lehrkräfte aus .
Die Kosten werden vom Staat getragen .
Diese Art positiver Arbeit , die in großzügiger Form von einem kleinen Kreise aus die Allgemeinheit bestrahlt , ist vorbildlich . Dieselben . Vereine nehmen dann den schulentlassenen Knaben auf und arbeiten. mit demselben Meißel weiter. So wirkt in jedem Turnunterricht derselbe Geist : Hebung der Wehrkraft . Der bewaffnete Vorunterricht bringt zum Turnen noch die Schießausbildung hinzu. Das typische dieser Art ist die Einführung des Gewehrturnens . Es wird von militärischen Fachleuten geleitet , die auch ohne weiteres im Rahmen einer technischen oder wissenschaftlichen Schule die Organisation verwirklichen können. Die Ausbildung geschicht genau nach den militärischen Reglement, so daß dieser Vorunterricht auch schon eine wichtige Grundlage legt und schon früh die Führereigenschaften besonders geeigneter Leute erkennen läßt . Die gehalten.
Jungschützenkurse
werden
durch
die
Schießvereine
ab-
Die praktische Leitung geschieht durch die vom Bunde
ausgebildeten Schützenmeister. Die nötigen Waffen werden dem Vereine durch die kantonalen Zeughäuser überwiesen. 1911 wurden 3100 Jünglinge durch die Schützenvereine im Schießen unterwiesen . Nimmt man dann noch die 7000 Schüler, die den turnerischen Vorunterricht besuchen und die 11000 Mitglieder des bewaffneten Vorunterrichts , so
35
Friedenswunsch eines Franzosen.
erhalten wir unter Berücksichtigung der Kadettenkorps annähernd 30000 junge Leute, die systematisch für den Heeresdienst vorbereitet werden. Militär- , Schul- und Vereinsturnen stehen in der Schweiz in engster Wechselwirkung und bewirken in emsiger Tätigkeit eine ernste Auffassung der Wehrpflicht durch den jungen schweizer Bürger. Bezeichnend für die militärische Bewegung in der Schweiz ist der Umstand, daß der Bund nur die finanziellen Seiten regelt , die praktische Arbeit aber durch die Tätigkeit der Vereine geleistet wird .
Professor Broßmer , der Verfasser des vorstehenden Aufsatzes über die eidgenössischen Jugendorganisationen , hat eine sehr klare Kartenlesen und empfehlenswerte Anleitung zum und Orientieren
im
Gelände für Truppenausbildung , Jugendwehren
und Jugendvereine mit Bilderklärungen für das Kartenzeichnen und -lesen sowie für die Orientierung nach den Sternen herausgegeben. Der Verlag Der Einzelpreis für das Merkblatt beträgt 10 Pf. von Moritz Schauenberg in Lahr versendet bei Voreinsendung des Betrages 10 und mehr Exemplare für 9,5 Pf. ( 10 Pf. Porto) ; 25 und mehr Exemplare kosten 9 Pf. (20 Pf . Porto ) , 50 und mehr 8,5 Pf. ( 30 Pf. W. Porto) , 100 und mehr Exemplare 8 Pf. (Paketporto) .
IV .
Friedenswunsch eines Franzosen .
Wenn man die Tagespresse sonstigen Äußerungen
der letzten Zeit
und Veröffentlichungen
verfolgt und den
in Wort und
Schrift
einige Aufmerksamkeit schenkt , so bemerkt man , daß die Möglichkeit eines Friedensschlusses mehr und mehr erörtert wird . Es handelt sich bei
solchen Erörterungen nicht um die etwaigen Bedingungen , sondern um die Frage, ob unter den gegenwärtigen Verhältnissen die Möglichkeit , einen Frieden oder zunächst einen Waffenstillstand anzubahnen, überhaupt gegeben ist,
und wer die Anregung hierzu mit
Aussicht auf Erfolg geben könnte. England hat es ja in gewohnter, seit Jahrhunderten feststehender Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit durchgesetzt, daß seine Verbündeten sich des Rechtes, einen Sonder3*
36
Friedenswunsch eines Franzosen.
frieden abzuschließen,
begeben haben.
Es ist dies
eine Fesselung,
die sie jetzt gewiß bereuen ; aber England hat, wenigstens augenblicklich, noch die Macht,,, auf seinem Schein zu bestehen " , obgleich es den in Not geratenen Verbündeten Hilfe leistet, läßt.
so gut
wie keine tatkräftige
sondern sich nur von seinem eigenen Interesse leiten
Die Ententemächte
haben sich gewiß schon die Frage vor-
gelegt, ob England selbst sich im gegebenen Falle an diesen Vertrag halten würde ? - Wir glauben es nicht ! Läge es in Englands Interesse, einen Sonderfrieden zu schließen lichkeit geboten , durch die
auf
und würde ihm die Mög-
es in vorteilhafter Weise zu tun, so würde es sich seine
Veranlassung mit
den
anderen Mächten
ge-
schlossenen Verträge nicht davon abhalten lassen. Englands Verbündete haben sich bis jetzt an die ihnen von England auferlegte Verpflichtung gebunden . verhandlungen könnte
Eine Anregung zur Anbahnung von Friedens-
demnach nur von
neutraler Seite ausgehen ,
und man weiß, daß man dabei in erster Linie an den Papst , dann aber auch an den Präsident Wilson und endlich an einen Zusammenschluß der neutralen Mächte gedacht hat.
Bis
jetzt
ohne Erfolg .
Unter diesen Umständen ist es von großem Interesse, wenn nach und nach auch in den kriegführenden Ländern Stimmen laut werden, die dem Wunsch nach Friedensschuß Ausdruck geben . Die Frage, ob es ratsam sei, mit den auf allen Fronten siegreichen Zentralmächten Friedensunterhandlungen einzuleiten , tritt wohl am meisten in Frankreich in den Vordergrund -- ganz begreiflicherweise . Frankreich hat am meisten geopfert und seine Hilfsquellen Außerdem wird in Frankreich die Frage neigen sich ihrem Ende zu. mehr und mehr lebendig.
für was man sich schlägt,
für was man
diese enormen Opfer bringt ! Ein helles Licht auf die in weiten Kreisen Frankreichs herrschende Stimmung vor und während des Krieges und im besonderen im jetzigen Zeitpunkt, wirft das kürzlich erschienene Buch eines Franzosen ,,La Verité" ). Unterabteilungen :
,,Früher ;
Gestern ;
Heute ;
Es zerfällt in vier
Morgen " .
Aus nahe-
liegenden Gründen ist es nicht in Frankreich , sondern in der Schweiz erschienen, da es in der Heimat wohl kaum die Zensur passiert haben würde . Es ist so wenig chauvinistisch geschrieben , daß man den Verfasser vielfach nicht für einen Franzosen hält ; da er aber gleich. auf der ersten Seite
ausdrücklich sagt :
,, Je suis Français " und für
seine Nationalität in der Folge noch verschiedene Beweise vorbringt, so ist
ein Zweifel kaum berechtigt .
Und warum
sollte es nicht
einen Franzosen geben, der sich Unparteilichkeit, Kaltblütigkeit und 1 ) Joseph Bertourieux, La Verité.
Genève. Imprimerie Jent. 1916.
37
Friedenswunsch eines Franzosen . Urteilsfähigkeit genügend bewahrt hat, um die Verhältnisse , wirklich liegen, bewerten zu können ?
Wir werfen zunächst einen Blick auf das Vorwort,
wie sie
dem er die
Überschrift ,,Warum und Wie" gibt,
Er sagt , daß er bei Abfassung seiner Schrift von dem Wunsche geleitet gewesen sei , seinen Landsleuten die wirklichen Ursachen und das wahre Ziel des gegenwärtigen Krieges vorzuführen , und gleichzeitig die Frage zu beantworten , wen die Verantwortung für seine Entfesselung treffe . 29 Ich weiß sehr wohl “, sagt er , „ daß ich mich ja sogar einer Gefahr aussetze , schweigen,
dadurch großen Unannehmlichkeiten , aber ich habe nicht das Recht zu
nachdem ich die Wahrheit erkannt habe".
Erkenntnis schöpft er aus Aktenstücken ebenso wie
die der großen Menge in Frankreich unbekannt geblieben , neutralen Ländern aber längst bekannt und bewertet sind . rechnet er sehr richtigerweise der belgischen Gesandten . Mögliche getan,
in erster Linie
Man
habe
Diese
aus Tatsachen, in
den
Hierzu
die bekannten Berichte
in Frankreich ,
um das Volk in Unwissenheit
sagt er,
alles
über die Sachlage zu
erhalten, da es sonst unbedingt den Abschluß des Friedens verlangen würde. Im ersten Abschnitt der interessanten Schrift , der mit ,,Früher" bezeichnet
ist,
spielt
die Elsaß-Lothringische Frage die Hauptrolle .
,,Hätten wir" , schreibt der Verfasser,
,,den Friedensschluß von 1871
ehrlich anerkannt, so wäre eine wohlwollende Revision desselben vielleicht möglich gewesen .
Diese Anerkennung,
ohne
Hintergedanken
und ohne uns unausgesetzt der Revancheidee hinzugeben , wäre unsere Pflicht gewesen . Alle unsere politischen, ökonomischen und selbst geistigen Beziehungen
zu Deutschland
und unseren Revanchegedanken
wurden
untergeordnet .
aber unserem
Groll
Wurde eine Berech-
tigung hierfür im Nationalitätsprinzip gesucht, so war es sehr töricht, da das Elsaß, eroberte
zudem
nach Sprache und Elsaß-Lothringen
Sitte, im
deutsch ehrlichen
ist.
Deutschland
Kriege,
während
Ludwig XIV. mitten im Frieden Straßburg überfiel und raubte." Seit 44 Jahren wurde in Frankreich dieser Gedanke an Revanche mit allen Mitteln großgezogen und gepflegt und die Möglichkeit einer Annäherung an Deutschland dadurch unmöglich gemacht.
Die Schul-
bücher führten Elsaß-Lothringen noch als französische Provinzen auf, die Lehrer predigten den Kindern die Wiedergewinnung des ,,verlorenen Vaterlandes ", die militärische Erziehung bezeichnete sie als das zu erstrebende Ziel. Sogar in den offiziellen Reden hoher Beamter und politischer Persönlichkeiten wurde oder weniger offen erwähnt und verlangt .
die Revanche mehr
Sie war das Feuer,
seit vier Jahrzehnten unter der Asche weiter glimmte.
das
Friedenswunsch eines Franzosen .
38
Baron Greindl, der belgische Gesandte in Berlin , schrieb am 27. Januar 1903 an den Minister des Äußern in Brüssel : Wann ist je die Ruhe Europas bedroht worden,
außer durch den Revanche-
gedanken in Frankreich !" Der Verfasser sagt sehr richtig, daß diese fixe Idee allein die Schuld am deutschen wie am französischen Militarismus trägt. Er führt hierzu verschiedene Äußerungen der belgischen Diplomaten an, die ausdrücklich betonen , daß Deutschland nie das geringste Verlangen gehabt habe, oder von seiner
einen Krieg hervorzurufen
militärischen Macht Gebrauch
zu machen,
es ihm an Gelegenheit und Veranlassung in den gefehlt hätte. In allen diesen Berichten wird
obgleich
40 Jahren nicht die Friedensliebe
Deutschlands und ganz besonders die des Kaisers betont und gleichzeitig der wohltätige Einfluß Frieden hervorgehoben. 1905 : ,, Der Dreibund schert." Der zweite,
des Dreibundes auf den europäischen
Baron Greindl schreibt am 23. September
hat
uns
30 Jahre
europäischen Frieden be-
mit ,, Gestern" bezeichnete Abschnitt ist hauptsäch-
lich den Intrigen und Machenschaften Englands Eduards VII. gewidmet.
unter
der Leitung
„ Ehe er auf den Thron gelangte", schreibt
der Verfasser,,,hielten ihn viele für einen leichtsinnigen Prinzen , dem das Vergnügen mehr
galt als die Politik.
Dies
war ein schwerer
Irrtum.
Obgleich durch seine Mutter von allen Staatsgeschäften fern· gehalten, hatte er eine sehr bestimmte und feste Politik ins Auge gefaßt,
an deren Verwirklichung
er schon während der letzten zehn
Jahre vor seiner Thronbesteigung mit großer Regsamkeit arbeitete. Er wußte aber sein Denken und Handeln so gut zu verbergen, daß sogar die alte Königin zu nehmen hielt. seit der
nichts davon ahnte und ihn
nicht für ernst
Er hatte die Überzeugung gewonnen, namentlich
Pariser Weltausstellung
von
1900,
daß Deutschland der
einzige gefährliche Konkurrent Englands in handelspolitischer und industrieller Hinsicht sei. Deutschlands moralische, wirtschaftliche und
militärische Erstarkung
strebungen.
zu hindern,
war
das
Ziel seiner
Be-
Deutschland sollte niedergeschmettert,,,der Kaiser, dem
er persönlich feindlich gesinnt war,
sollte gedemütigt werden" .
Zu
diesem Zweck suchte er die Annäherung an Rußland und nahm überhaupt die internationale Politik Englands mit Beharrlichkeit und mit Erfolg in die Hand." Der Verfasser kennzeichnet diese Politik sehr treffend,
wenn er schreibt :
,,Die Aussicht
auf
einen
allgemeinen
europäischen Brand erschreckte ihn gar nicht, vorausgesetzt, daß England mit starken Kräften daran teilnahm, sich aber hinter seinen kühnen Verbündeten sicherstellen konnte." Je mehr die Intrigen und der Einfluß Eduards VII. bekannt wurden, um so klarer sah
39
Friedenswunsch eines Franzosen .
man
die
unausbleiblichen Folgen voraus.
Baron Greindl berichtet
am 13. Februar 1909 : ,, ... Der europäische Friede ist nie mehr bedroht gewesen,
als seitdem der König von England
sich um seine
Erhaltung kümmert ". Zur Erreichung seiner letzten Ziele (s. o . ) erstrebte der König die Bildung einer mehrseitigen Allianz - gegen Deutschland gerichtet Englands ruhen sollte.
, deren geheime Leitung aber in den Händen
Die von dem König von England in dieser Weise vorbereiteten Ereignisse erfuhren
nun bekanntlich eine außerordentliche
und viel-
leicht vorzeitige Beschleunigung durch den Serajevo-Mord .
Es hatte
nur eines von Serbien und von Rußland geschürten und entzündeten Funkens bedurft, um die längst vorbereitete Explosion herbeizuführen. Alle
Bemühungen
unseres
Kaisers,
den Frieden
zu
erhalten
scheiterten an Englands Einfluß, an Rußlands Übelwollen und Wortbrüchigkeit.
Der Kriegsausbruch wurde unvermeidlich.
Wenn Frank-
reich behauptet, daß es den Krieg nicht gewollt habe und nicht darauf vorbereitet gewesen sei , so ist es von Wert, was der Verfasser der ,,Vérité" im letzten Teil dieses Abschnittes ,, Gestern " mit den Worten sagt :
,,Unsere (die
französische)
Regierung hat
nicht
freiwillig den Krieg erklärt, aber sie hat ihn zum Teil hervorgerufen und gern angenommen." ) Er führt hierfür verschiedene Beweise und Zeugnisse an.
Seit Jahren wurde der Revanchegedanke
wieder in den Vordergrund gestellt. die Einführung
der
Glaubte doch Frankreich durch
dreijährigen Dienstzeit,
durch die umfassenden
Fortschritte in Ausbildung und Bewaffnung, durch die Reorganisation der Streitkräfte ,
auf alle,
auch
die schwierigsten
kriegerischen Er-
eignisse bestens vorbereitet zu sein und bei seinen Verbündeten - Rußland und England — auf tätige und erfolgreiche Unterstützung rechnen zu können . Es ist demnach ganz unrichtig, bemerkt der Verfasser, wenn Minister Briand in einer Rede vom 4. August 1914 behauptet,
Frankreich habe sich stets schweigend
zur Elsaß-Lothringschen Frage verhalten und Opfern bereit erklärt,
um den Frieden
habe sich stets
zu erhalten .
zu
Die auch hier
wieder vom Verfasser mehrfach
angeführten Berichte der belgischen Diplomaten erweisen das strikte Gegenteil. -
1 ) Hierzu vergleiche die Ansprache, die Ministerpräsident Briand beim Empfange der russischen Parlamentarier im Palais Bourbon hielt, in der er u. a. sagte : ,,... Daß wir den Krieg nicht gewollt haben, macht unsere Kraft aus. Wir tragen die Stirn hoch und haben ein reines Gewissen. Keine der Herausforderungen, welche die Welt seit 25 Jahren gehört hat, ist von uns ausgegangen “ ( ! ).
40
Friedenswunsch eines Franzosen.
Wichtiger und interessanter noch ist für uns der folgende mit ..Heute" bezeichnete Abschnitt des Buches. Er führt die um die Jahreswende 1915/16 in Frankreich herrschende Stimmung, die gehegten Hoffnungen und Befürchtungen vor Augen. Ob der Verfasser für
seine Anschauungen
findet,
viele
Anhänger
läßt sich nicht gut beurteilen ;
nehmen,
daß es mehr sind,
unter
seinen Landsleuten
man darf aber immerhin an-
als man nach den Veröffentlichungen
der Tagespresse glauben sollte . Bereits am 2. August 1914 wurde
der Belagerungszustand für
das ganze Gebiet der französischen Republik erklärt.
Grund zu dieser
Maßregel, die tief in das Volksleben eingriff, war unstreitig die Furcht vor aufständischen Bewegungen . Auch andere Regierungsmaßregeln ließen dies
erkennen .
schränkung der Presse,
Erwähnt
sei
die
die in Frankreich,
Vorkämpfer der Freiheit hinstellt, war,
nur
außerordentliche
das
sich stets
besonders auffallend
Be-
als den
und fühlbar
Diese Frage der ,,beschränkten und geknebelten Preßfreiheit“ ,
die ja in Zeiten politischer Aufregung stets eine große Rolle spielt , behandelt der Verfasser nur kurz , aber wir halten es für richtig, sie hier nicht unerwähnt zu lassen , da sie auch bei uns in letzter Zeit vielfach erörtert worden ist. Der Verfasser sagt : ,,Unsere Regierung setzte eine aus hohen Beamten
bestehende Untersuchungskommission
ein, die den Auftrag hatte, ein Aktenstück über
die von Deutschen
begangenen Verbrechen zusammenzustellen . Alle entgegenstehenden guten Taten sollten unerwähnt bleiben. In dem Bestreben, die eigene Verantwortlichkeit und die russiseh-englische Mitschuld für den Kriegsausbruch abzuleugnen , wurde in den Straßen ein ,, Gelbbuch“ verkauft, in dem alle die Aktenstücke weggelassen waren , die die Wahrheit hätten können erkennen lassen . "
Man ersieht hieraus,
daß in Frankreich die Beeinflussung der Presse ganz anders gehandhabt wurde und wird , als bei uns ! Die Presse die den Zweck
sich
stellte verfolgte,
Vor keiner Lüge ,
vor
willig in
den Haß
den Dienst
der
Regierung,
gegen Deutschland zu schüren . scheute man sich. Der
keiner Verleumdung
Verfasser führt bezeichende Beispiele an.
Die Presse sollte aber auch
den Neutralen die Überzeugung beibringen , daß die französische Regierung in jeder Hinsicht im Recht, die deutsche im Unrecht sei. Allerdings gelang ihr das nicht allenthalben, da die Neutralen vielfach besser unterrichtet waren, als die französische Bevölkerung. „Wie kommt es " , fragt der Verfasser,
„ daß die Presse unserer Ver-
bündeten, besonders die englische, oft Nachrichten bringen kann , die wir nicht veröffentlichen dürfen " ? Er gibt hierfür eine sehr bezeichnende Erklärung : „ Die englische Regierung beabsichtigt nicht,
41
Friedenswunsch eines Franzosen.
dem Volke ihr Kriegsziel zu verbergen oder unter einem falschen Dieses Ziel ist aber die Vernichtung Gesichtspunkt darzustellen . Deutschands aus wirtschaftlichen Gründen . Dieses Ziel muß erreicht werden,
das
ist allen bekannt und jeder einzelne trägt seit langem
und mit allen Kräften dazu bei . " heimlichte Recht
sie
alles,
zu kämpfen,
Verfasser,
„ ist
Nur den Neutralen gegenüber ver-
was ihre Behauptung, hätte
lediglich
entkräften können .
es ganz anders !
für Ehre und
„ Bei uns “ ,
Unsere Regierung
sagt der
erblickt in den
Feindselgikeiten eine außerordentlich günstige Gelegenheit zur Durchführung geheimer Absichten , die man bis jetzt nicht genau erkennen die kann. Das wichtigste Ergebnis eines vollständigen Endsieges Rückgewinnung von Elsaß- Lothringen - würde in seinen wirtschaftlichen Folgen illusorisch sein und würde selbst in industrieller Hinsicht große Schwierigkeiten herbeiführen . Wir haben demnach gar keinen Grund, Krieg zu führen und es wäre viel besser, mit unseren östlichen Nachbarn in gutem Einverständnis zu leben .
Unsere Teilnahme
an dem Krieg kommt hauptsächlich von den unklugen Verpflichtungen her, die wir Rußland gegenüber eingegangen sind, dessen Interessen den unsrigen zum Teil entgegengesetzt , beinahe stets fremd sind .
Wir erschöpfen uns, um Rußland zu retten , das uns ausnutzte,
und um die Handelsmacht Englands zu stärken, verrät
und haßt .
verbirgt,
indem
entflammt,
die
Dies ist
die Wahrheit ,
das uns von jeher
die man unserem Volke
man an deren Stelle eine kriegerische Begeisterung dem Willen des jetzigen
Präsidenten
der Republik
dienen soll bis zur vollständigen Entkräftung unseres Volkes. " Der Verfasser macht den Präsident Poincaré in erster Linie verantwortlich für die jetzigen Ereignisse in Frankreich und hält seine. Politik für unheilvoll . Von großer Wichtigkeit war der Londoner Vertrag vom 4. September 1914 , durch den England seine Verbündeten verpflichtete keinen Sonderfrieden zu schließen . Der Verfasser bezeichnet ihn als den geschicktesten und für England vorteilhaftesten Schachzug. Vertrag behandelt
aber mehr
schlusses , er bestimmt auch,
als die
,, Dieser
einfache Frage des Friedens-
daß die Bedingungen eines solchen von
keiner der Mächte aufgestellt werden können ohne das vorherige Einverständnis mit einer jeden der andern . Hierdurch werden
die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs dem guten Willen
Englands unterstellt !
„ Wenn der Zeitpunkt des Friedensschlusses ein" werden wir nahezu unfähig sein ,
tritt " ,
sagt der Verfasser weiter,
weiter
zu kämpfen.
Ob
nun der Feind
im gleichen Zustande der
Erschöpfung ist oder nicht , England , dem wir es gestattet haben , sich bei uns häuslich niederzulassen ,
und das im Vergleiche zu uns seine
42
Friedenswunsch eines Franzosen.
Kräfte außerordentlich geschont hat, wird in der Lage sein, uns seinen Willen aufzuzwingen . " Dieser Vertrag ist in jeder Hinsicht verderblich, denn er verhindert auch alle wohlwollenden Vermittlungsversuche anderer Mächte. Ohne ihn würden die Vereinigten Staaten , der Heilige Stuhl, die Schweiz, Spanien usw. den Versuch einer Friedensvermittlung machen können . Über die enormenOpfer an Geld und an Blut , die Frankreich
gebracht hat, sagt der Verfasser, daß sie gebracht werden müssen , wenn es sich um die Verteidigung des Vaterlandes handelt ; wenn sie aber nur zugunsten Englands gebracht werden, so werden sie sinnlos und
schuldhaft !
Solange der französische Boden
nicht
vollständig
befreit ist, kann kein anderer Beweggrund den Verlust eines einzigen französischen Soldaten rechtfertigen ; keine Macht hat das Recht, ihn außerhalb unserer Grenzen dem Tode zu weihen . Wie der Verfasser die jetzige französische Wehrmacht beurteilt, ersieht man am besten aus ein paar kurzen Bemerkungen. Er schreibt : Der Einbruch in das Elsaß - nur für die öffentliche Meinung veranstaltet — , die belgische Unternehmung, die für uns Ehrensache war, die große Marneschlacht diese mähten die Blüte unserer Jugend hin, so daß wir, als der Stellungskrieg begann , nur noch auf Trümmer unserer herrlichen aktiven Armee blicken konnten . Gewiß hatten die Truppen
der zweiten Linie und der Territorialarmee den gleichen Wert, vielleicht sogar mehr Ausdauer, aber man mußte trotzdem die entstandenen Lücken ausfüllen . Der Kriegsminister ordnete deshalb neben der vorzeitigen Einstellung von Jünglingen eine nochmalige und mehrmalige Untersuchung aller Zurückgestellten an. Sie ist seitdem ständig in Kraft geblieben. Nur absolute Gebrechen und Mißgeburten können befreien. “ Diesen Abschnitt schließt der Verfasser mit einer sehr richtigen
und
für die französischen Verhältnisse bezeichnenden
Betrachtung.
Er sagt,
daß die Wahl zwischen einem Friedensschluß und zwischen Fortsetzung des Krieges nicht allein auf der Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Sieges beruhen darf, sondern ebensosehr auf der unparteiischen Prüfung der Folgen , die die getroffene Wahl nach sich ziehen würde .
Eine Person darf sich von Gefühlsregungen leiten lassen, eine Regierung nicht ; sie darf nur das Interesse des Landes im Auge haben. „Wenn wir, diesen Grundsatz anerkennend, das Fazit
des ersten Kriegsjahres ziehen , indem wir fragen, über welche Kampfmittel jeder der Kriegführenden verfügen kann und indem wir die stetige Abnahme dieser Kampfmittel, sowie die der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit in Rechnung stellen, so sehen wir, daß 1. der Krieg noch mehrere Jahre dauern kann und daß 2. bei Annahme
Literatur.
43
einer Gesamtdauer von mindestens drei Jahren , Europa sich in einem solchen Zustande der Erschöpfung befinden würde, daß ein Sieg nur noch in der Einbildung bestünde :
der Sieger würde ebenso nieder-
gebrochen sein, wie der Besiegte - mit alleiniger Ausnahme Englands ! Es ist demnach hohe Zeit an einen Friedensschluß zu denken !
Wir können unsere Gegner durch ihre vollständige Ent-
kräftung nicht besiegen und unsere Schwächung wird nicht geringer als die ihre sein. Bis jetzt haben wir uns auf einem gewissen wirtschaftlichen Tiefstand erhalten können ; der Moment ist aber gekommen, wo jede Aufwendung an Menschen und an Geld , jede Zerstörung von Wohlfahrtselementen unersetzlich sein wird . Weg also mit törichtem Eigensinn ! Keine Prahlerei , die mit dem wahren Stolz Frankreichs nichts zu tun hat ! Wir wollen es hocherzig erkennen und anerkennen , daß wir uns getäuscht haben , so lange wir es noch in voller Unabhängigkeit tun können . Beeilen wir uns den letzten Moment eines Gleichgewichtes unserer Lage noch auszunutzen.
Der Zeitpunkt wird kommen,
wo wir über die Friedensbedingungen nicht mehr unter so günstigen Umständen verhandeln können, wie heute. " (Schluß folgt.)
Literatur.
I. Bücher. Paul Rohrbach, Rufsland und wir. 11.- 15 . Tausend. 1915. Verlag von J. Engelhorns Nachf. in Stuttgart. 96 Seiten . Geh. 1 M. Die Broschüre, die allenthalben den Sachkenner verrät, beginnt mit einer Darstellung der Agrarreform und auswärtigen Politik in Rußland, dann schildert sie dessen wirtschaftliche Verhältnisse und innere Politik während des Krieges und erklärt manches, was dem Zeitungsleser an russischen Zuständen unverständlich blieb. Der Abschnitt russischer Geist" gibt gräßliche Schilderungen aus Hospitälern und Gefangenenlagern und aus Ostpreußens schwerer Zeit . Die wertvollsten Ausführungen sind die zur baltischen Frage. „Das sind große Ausblicke, sagt Rohrbach , die sich bei deutscher Erwerbung dieser Lande eröffnen. ... Festes deutsches Land, so groß wie ganz Süddeutschland mit Elsaß-Lothringen , dazu die Zurückgewinnung des ganzen Gebietes für Zentraleuropa, bis zu der gewaltigen strategischen Grenze des Peipussees, und damit eine Verschiebung der Machtverhältnisse, die für alle Zukunft Deutschland und seine Verbündeten vor einer Überflutung durch die russischen Millionen sichert ; dazu ein Zuwachs von deutsch-kultivierter und deutscher Bevölkerung von vielen Millionen , eine Angliederung starker deutschnationaler Bauern-
44
Literatur.
elemente, einer agraren Bevölkerung, wie sie nicht besser gedacht werden kann, ohne daß das innerdeutsche Volkstum im Reiche durch eine Abwanderung nach Osten geschwächt wird " . ( S. 71. ) Dieses Zitat kennzeichnet die Schrift und den Geist, mit dem sie verfaßt ist. Dr. Everling. Der Lusitania-Fall im Urteile von deutschen Gelehrten. Mit Abdruck der amtlichen Urkunden . Sonderausgabe der „ Zeitschrift für Völkerrecht" . Band IX . Heft 2. Breslau 1915. J. N. Korns Verlag (Max Müller) . 139 Seiten . Brosch. 4 M. Nur wer Gelegenheit hatte, nach der Versenkung der „ Lusitania“ mit Deutschen zu reden , die aus dem neutralen Ausland heimkehrten , macht sich ein rechtes Bild von der Wirkung dieses einen Torpedoschusses, der nach englischer Meldung 1500 Menschenleben außer dem Wert des Schiffes vernichtete, der einen wiederholten Notenaustausch und ein fühlbares Schwanken der (diplomatisch gesprochen) freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Reich und Amerika und eine durch die feindliche Presse geschickt geschürte Erregung in feindlichen und neutralen Ländern zur Folge hatte. Man malte das menschlich Ergreifende in den grellsten Farben und verschwieg die rechtlich erheblichen Punkte. Die Beweisaufnahme in England war mehr eine Verdunkelung als eine Aufklärung des Tatbestandes . Auf Grund dieses unsicheren Tatbestandes, mit jener Objektivität, die uns Deutschen eignet, oft die uns weniger günstige Möglichkeit als wahr unterstellend , haben sich in dem vorliegenden Buch die ersten deutschen Völkerrechtsgelehrten gleichsam zu einem Gerichtshof zusammengefunden und ihre Voten abgegeben , und zwar zumeist noch ohne Kenntnis der amtlichen Schriftstücke . Sie kommen alle zu dem Ergebnis , daß die Torpedierung der Lusitania nach den Regeln des Völkerrechts durchaus gerechtfertigt war. Was den Schauplatz der Torpedierung angeht, so geschah sie in einer Zone, die ausdrücklich zum Kriegsgebiet erklärt war. Gegenstand der Torpedierung war ein feindliches Schiff das in den Listen der britischen Marine als Hilfskreuzer geführt wurde, die blaue Flagge führte, mit staatlicher Subvention gebaut war und unter dem Kommando eines englischen Reserveoffiziers stand . Und wenn man es selbst als Kauffahrteischift ansieht, so war es doch ein bewaffnetes Kauffahrteischiff oder zum mindesten ein solches , bei dem der Kommandant des Unterseebootes Bewaffnung voraussetzen konnte, da sie allen englischen Schiffen anempfohlen worden war, und bei dem er mindestens einen Versuch zu Rammen gewärtigen mußte, denn auf den Erfolg eines solchen Versuchs standen in England staatliche Prämien . Weiter handelt es sich um ein Truppen- und Munition stransportschiff. Die Munition , die eine zweite Explosion nach dem Schuß hervorrief und das Sinken beschleunigte, war Grund genug das feindliche Schiff zu vernichten , zumal wenn die Natur des Angreifers und die erwähnte Gefahr für ihn ein Anhalten , Durchsuchen und Aufbringen des Schiffes unausführbar machten . Zu diesen wesentlichen Erwägungen wird man in den 21 Äußerungen des Buches noch manchen anderen Gedanken
Literatur.
45
finden, der jeden völkerrechtlichen Vorwurf gegen das Reich als haltlos erweist. Es war sogar die Pfiicht der deutsehen Marine“ (Neukamp, S. 59 ) das feindliche Schiff zu vernichten , ungeachtet, ob es neben Waffen , Truppen und Munition auch neutrale Staatsangehörige trug. Die Amerikaner, die dabei zugrunde gingen, waren gewarnt , allgemein in der Bekanntmachung vom 4. Februar 1915 und durch besondere Veröffentlichungen des deutschen Gesandten (eine solche ist in dem Buch faksimiliert) ; sie büßten eigenen Leichtsinn und eigene Sensationslust, sie waren Opfer der Gewissenlosigkeit der Cunardlinie, die unter prahlerischen Beruhigungen den amerikanischen Gesetzen zuwider Fahrgäste neben einigen tausend Munitionskisten plazierte, und Opfer der englischen Kriegführung, die mit der Androhung, Deutschland auszuhungern, den Unterseebootkrieg als ReDr. Everling. pressalie heraufbeschworen hat. Flottentabellen der Kriegsmarinen aller Staaten .
Von Dr. Max
Feldmann . Mit einer mehrfarbigen Flaggentafel und textlichen Erläuterungen über die Schiffstypen , den Kriegshäfen und -Werften und einem kurzen Abriß der letzten Seekriege . Zweite vermehrte Auflage nach dem Stande vom 15. Mai 1915. Oldenburg i . Gr. Druck und Verlag von Gerhard Stalling. Verlag des „Deutschen Offizierblattes ". Das Buch kann als kurzer Auszug aus dem bekannten Weyerschen Flottenkalender bezeichnet werden. Er beginnt mit einer Erläuterung der Schiffsklassen, führt die Kriegshäfen und -Werften an und bringt Einiges aus der Seekriegsgeschichte sowie über die Entwickelung der deutschen Marine . In den Tabellen , die nur die Namen , Stapelläufe, den Tonnengehalt, die Länge, Maschinenleistung, Geschwindigkeit, Besatzungsstärke und Armierung enthalten , sind die im jetzigen Kriege bis zur Herausgabe des Buches verloren gegangenen Schiffe usw. mit einem versehen. Später folgen diese Verluste in einer besonderen Zusammenstellung. Einer Zusammenstellung der Schiffszahlen der einzelnen Flotten nach den Typen schließt sich eine Bestandstabelle und eine Liste der im Bau befindlichen Schiffe an, worauf nach einer Verteilung der Flotten beim Kriegsausbruch eine bunte Flaggentafel der Kriegsv. N. mächte den Beschluß macht.
Jahresbericht des k. k . Österreichischen Flugtechnischen Vereins für das Jahr 1914. Wien 1915. Selbstverlag des Vereins . Von den größeren Aufsätzen , die auch für die Nichtmitglieder Interesse haben, sei der „Technische Rückblick über das Jahr 1914 " von Fritz Ellyson erwähnt , der einen guten Überblick über die Entwickelung des Flugwesens im verflossenen Jahre gibt. Besonders bemerkenswert ist dabei der Vergleich des deutsch -österreichischen Flugwesens mit dem französischen , wobei auch die Erfahrungen des jetzigen Krieges berücksichtigt werden . Das Ergebnis des Vergleiches faßt der Verfasser folgendermaßen zusammen : „daß Deutschland
46
Literatur.
Frankreich den Rang definitiv abgelaufen hat " . Die übrigen Aufsätze behandeln hauptsächlich innere Angelegenheiten des Vereins . v . S. von Tirpitz und das deutsche Seekriegsrecht. Von Dr. Hans Wehberg , Gerichtsassessor in Düsseldorf. A. Marcus & E. Webers Verlag (Dr. jur. Albert Bahn ) in Bonn. Das Büchlein verfolgt den Zweck, nachzuweisen , daß die deutsche Seekriegsführung unter Leitung des Admirals v. Tirpitz mit den völkerrechtlichen Prinzipien in Einklang steht und unsere Marine zu ihrem scharfen Vorgehen durch England gezwungen wurde . Es ist ein nicht allein dem Verfasser unterlaufener Irrtum , anzunehmen , daß Staatssekretär v. Tirpitz , der nur die Verwaltung der Marine leitete, die Führung der deutschen Flotte hatte. Diese obliegt dem Admiralstabe . In leicht verständlicher Form bringt der Verfasser die Traditionen des deutschen Seekriegsrechts , die Handhabung des Konterbanderechts durch Deutschland , das Seebeuterecht und den Unterseebootkrieg, das Blockade- und Minenrecht und die amerikanischen Waffenlieferungen um schließlich Deutschland als Vorkämpfer eines einheitlichen Seekriegsrechts zu feiern . Es wäre zu wünschen , daß das Buch unter den Neutralen weite Verbreitung und Anerkennung des Vorgebrachten fände .
Die
Rettungsboote und ihr Zubehör, unter besonderer Berücksichtigung der großen Übersee- Passagierdampfer. Von Dr. ing. Kommissionsverlag von Borna- Leipzig . Wladimir Mendl. Robert Nacke . 1914 .
Mit großem Fleiß und Verständnis hat der fachkundige Verfasser alles zusammengestellt, was über die Rettungsboote wissenswert ist, die Gesetze und Vorschriften über Zahl und Art, nebst einer Kritik der Vorschriften , die Boote selbst im Bau, die Ausrüstung, die Aussetzgeräte , die Aufstellung und Unterbringung im Schiff, die Benutzung und den Wert der Rettungsboote . Das Werk ist das erste auf diesem Gebiete in Deutschland und mehr für die Fachwissenschaft geschrieben , enthält aber auch vieles für den Laien und namentlich die Überseereisenden Interessante . v. N.
(VII. Band des Karten und Skizzen zum Weltkriege 1914/15 . Historischen Kartenwerkes . ) Eduard Roth ert. I. Teil . Düsseldorf. A. Bagel . 1915. 4 M. Auf 21 Tafeln mit zusammen 32 Karten ist der ganze Kriegsschauplatz dargestellt und auf ihnen - soweit dies nach dem vorder Verlauf der handenen Material überhaupt möglich war Operationen angegeben, Ein kurzer Text auf jeder Tafel gibt die notwendigen Erklärungen . Ein brauchbares Hilfsmittel für jeden, der sich schnell einen Überblick über den allgemeinen Gang des Weltkrieges machen will. Neben dem Landkrieg ist auch der See- und v. S. Kolonialkrieg berücksichtigt worden.
Literatur.
47
Unsere Marine im Weltkriege 1914/15 . Von Hermann Kirchhoff , Vizeadmiral z. D. Vossische Buchhandlung, Berlin. Preis 2 M. Beseelt von glühender Begeisterung für unser Vaterland und ebensolchem Haß gegen England will der bekannte Marineschriftsteller die Geshcehnisse zur See, an denen unsere Marine in so hervorragendem Maße beteiligt ist, nur in allgemeinen Umrissen schildern , da es naturgemäß erst einer kommenden Zeit vorbehalten sein kann , die wirkliche Geschichte des großen Weltkrieges zu schreiben . Nach einem kurzen Überblick über die politische Lage und den Stand und die Bewaffnung der beteiligten Flotten in allgemein verständlicher Form wird der Seekrieg in den heimischen Gewässern geschildert. Es wird anschaulich vor Augen geführt, wie lediglich die deutsche Flotte von offensivem Geist getragen war, während die englische nur dann in Tätigkeit trat, wenn sie gezwungen war, dem Druck der öffentlichen Meinung nachzugeben . Die folgenden Kapitel sind den Leistungen unserer Auslandsschiffe gewidmet, die trotz ihrer schwierigen Lage unseren Gegnern , besonders England , gewaltige Verluste zugefügt haben , sowie dem Krieg in den Kolonien . Hier erinnert der Verfasser mit warmen Worten an die ruhmreiche Verteidigung Tsingtaus unter Kapitän z . S. Meyer - Waldeck gegen einen übermächtigen Feind. Auch des auf dem Lande verwendeten Marinekorps , unserer blauen Jungens in Belgien, wird gedacht. Schließlich werden die Taten der türkischen und der österreichisch-ungarischen Marine , in der noch heute der alte Tegetthoffsche Angriffsgeist steckt, anerkannt. Die Schrift, die nur bestens empfohlen werken kann, ist mit Kartenskizzen und vielen guten Abbildungen ausgestattet, wobei unsere Seehelden wie Weddigen , Graf Spee und v. Müller nicht vergessen sind . v. Si. ― ch bu ge n ta r n ti Petit Mori Kriegs Reims . . Namu St. Quen ht ac e hl gn sc pa er r am ts nt r n tu in de Ch Wi Ku cher , . Vo Ar r Kompagnieführe und Leutnant d. L. im Reserve - Infanterie - Regiessor in München . VIII , 263 Seiten ment 92 , a. o. Universitätsprof en nd 3 M. 80. Gebu Das vorliegende Buch bedeutet eine Bereicherung auf dem Gebiete Selbsterlebtes wird in kurzer und der jüngsten Kriegsliteratur.
packender Art der Schilderung dargeboten ; doch, trotz aller Kürze der Ausdrucksweise, bietet sich dem Leser immer wieder Gelegenheit, einen Einblick in das Seelenleben des feingebildeten Verfassers zu tun . Letztere Eigenart wird das Buch für manchen besonders wertvoll erscheinen lassen : eine Naturschilderung, eine innere Empfindung, Gedas alles geht gemeindanken über Land und Leute in Feindesland sam mit den selbsterlebten großen und schrecklichen Geschehnissen des Krieges . Vom Tag der Mobilmachung an bis zur Winterschlacht in der Champagne, wird der Leser geführt, über Namur, St. Quentin und Reims. Märsche, Patrouillengänge, Schützengrabenleben , Not und Gefahren, alles erlebt man mit. Eine spätere Fortsetzung des Werkes M. D. wäre dringend zu wünschen.
Literatur .
48
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. ( Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde -- hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1.
Kriege . 2 M.
Frhr. v. Barnekow, Das Pferd , unsere wirksamste Waffe im Stuttgart 1916. Verlag von Schickhardt und Ebner. Geh .
2. Leiss, Das Zielfernrohr, seine Einrichtung und Anwendung. 2. Aufl. Neudamm 1916. Verlag von J. Neumann . 2 M. 3. Erblich, Moderne Flugzeuge in Wort und Bild. 2. Aufl. Berlin 1916. Rich. Karl Schmidt & Co. Geb. 2,80 M. 4. Klimsch, Feldpostbriefe eines Fahnenjunkers. Berlin 1916. Verlag Paul Cassirer. 2 M. 5. Wirth, Geschichte des Deutschen Volkes für das Deutsche Volk. Stuttgart 1916. Franckh'scher Verlag. Geh . 1 M., geb. 1,60 M. 6. Körner, Die inneren Werte des deutschen Soldaten . München 1916. C. H. Beck'scher Verlag. 0,60 M. 7. Witting, Soldatenmathematik. Leipzig 1916. B. G. Teubner. 0,80 M. 8. Behelf zur Ausbildung der Rekruten während des Krieges . Wien 1916. L. W. Seidel & Sohn . 2 K. 9. Isberner, Wann und wie erfolgt die Versorgung der Militärpersonen ? Berlin W. 35. Kameradschaft Wohlfahrtsges. m. b. H. 0,45 M. 10. Linde, Hallo, Tommy, komm zur Armee ! Halle (Saale) 1916 . Richard Mühlmann Verlagsbchhdlg. Geh. 2 M., geb. 3 M. 11. Schreiner, Harte Pflicht ! Neue Bilder und Skizzen vom Seekrieg. Herborn 1915. Nassauischer Kolpertageverein . 1 M. 12. Rotermund, Die Kaiserlichen Verordnungen vom 28. Dez. 1899 über 1. die Strafrechtspflege bei dem Heere in Kriegszeiten und 2. das außerordentliche kriegsrechtliche Verfahren gegen Ausländer und die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit gegen Kriegsgefangene. Hannover 1916. Helwigsche Verlagsbuchhdlg . Geh . 1,50 M. 13. v. Spiegel, Kriegstagebuch „ U 202 “. Berlin . Verlag Aug. Scherl G. m. b. H. Geh. 1 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z . D. H. Rohne ) enthält u . a. folgende Arbeiten :
Rüdenberg, Dr. ing.: Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit und Impulsstärke von Verdichtungsstößen . I. H. Rohne , Generalleutnant z. D .: Das Zusammenwirken der Artillerie und Infanterie beim Sturmangriff auf eine befestigte Stellung. Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen. Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.
V.
Die Offensive in Verduns
Vorfeld,
ihre
Begleit- und Folgeerscheinungen ") .
Von Rhazen, Generalleutnant z. D.
(Schluß . )
Die durch den Einbruch in den Raum von Verdun erzwungenen verfrühten, daher mißglückten Entlastungsoffensiven der Russen und Italiener mit ihren Folgen für die spätere Kriegführung, der starke Verbrauch französischer Kräfte , der die Briten zur Besetzung weiterer Frontabschnitte und damit zur Verminderung der Tiefe zwang, sind nur einige der Symptome der Wirkung der Initiative des Handelns, die riß
die verbündete Oberste Heeresleitung am 21. Februar an sich und seither nicht wieder verloren hat. Sie drückte den
kriegerischen Geschehnissen den Stempel auf. Legte man sich damals die Frage vor, ob die von der Entente so prahlerisch angekündigte ,,Gegenoffensive" Aussicht auf Verwirklichung habe, so war schon die Antwort zulässig, daß eine Rettung des Vierverbandes nur möglich, wenn er die Initiative des Handelns dem Vierbunde abgewinnen und durch erfolgreiche Durchbruchsschlachten zur strategischen Offensive gelangen könnte . Der deutsche Erfolg westlich der Linie Malancourt- Béthincourt der am 21. März nördöstlich von Avocourt und am 23. März durch die Eroberung französischer Stützpunkte auf den Höhen
südwestlich
Haucourt vervollständigt wurde, war nach Beschlagnahme des „Toten Mannes " ein wertvoller Fortschritt. Welchen Wert der Gegner dem am 20. März
genommenen Waldstück
nordöstlich Avocourt,
einem
vorgeschobenen Zipfel des großen, bereits in deutscher Hand befindlichen Waldgebiets zwischen Malancourt und Varennes, beimaß, beweist 1) Abgeschlossen 12. Juni 1916. Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 539.
4
50
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen ,
schon die ungewöhnlich hohe Zahl von Gefangenen und der erbeuteten Maschinengewehre . Man war in die Westflanke des Dreiecks Malancourt - Esnes - Béthincourt und damit der südöstlich Haucourt liegenden , beherrschenden Höhe 304 gelangt. Sie deckte die ganze Front bei „ Toter Mann " sowie die Stellung der Truppen , die Béthincourt, Malancourt und die Hänge bei Cumières noch hielten und war als Artilleriereduit und BeobZwischen achtungsstellung den Franzosen von höchstem Werte. „Toter Mann
und der Avocourt-Waldstellung saßen die Franzosen
nun in einem sackartigen , Nachhutsvorsprung.
in die
deutsche
Stellung hineinragenden
Auf Besitz der Höhe 304 und der Südwesthänge
des „ Toter Mann " vertrauend und zur Sicherung der nördlichen Front dieser beiden operativ entscheidenden Punkte, hatten unsere Gegner Malancourt und Béthincourt zu halten versucht. So war der oben etwa 5 km breite , 4 km tiefe Sack entstanden , der bald im Kreuzfeuer der deutschen Geschütze lag,
und
dessen Lage durch die am
22. und 23. vom Walde aus erfolgte Besetzung der südwestlich Haucourt gelegenen Höhe und sonstiger Stützpunkte wieder schwieriger geworden war. Nach Besetzung des Waldstücks von Avocourt waren seit Beginn der letzten Offensive 189
Geschütze
(davon
41
deutsche Beute geworden ; alles 90000 Mann Verlust gehabt.
Während in
lebhaften
fast 30 000
schwere)
und
Mann 232
als Gefangene,
Maschinengewehre
in allem hatten die Franzosen wohl
Artilleriekämpfen
im
Maasgebiet
am
24. März auch Verdun in Flammen aufging. nahmen die im vielumstrittenen Caillettes-Walde , südöstlich der Feste Douaumont geführten Nahkämpfe einen für uns günstigen Verlauf. Von der Grundlinie aus wurde das unter dem konzentrischen Feuer liegende Dorf Malancourt sturmreif geschossen, und wurde in zwei Staffeln (deren erste die französischen in mehreren Linien tiefen Stellungen nördlich Malancourt und den Nordwestteil des Ortes in unsere Hände brachte, wobei zwei weitere frische französische Divisionen festgestellt wurden) , bis zum 30. März, ebenso wie die beiderseits anschließenden Stellungen , geDie französischen Linien wurden weiter auf Esnes zurück-
stürmt.
gedrückt und hartnäckige Versuche, die Avocourt -Waldstellung wieder zu nehmen, scheiterten unter schweren Verlusten . (Am 28. hatten, zur Freude der versammelten Vertreter der Entente, Pariser Blätter von deutschen Mißerfolgen bei Malancourt gesprochen ! ) Sie hatten das Ziel gehabt, durch Druck auf den westlichen Arm die Abschnürung
ihrer
im
Sacke
Malancourt -Béthincourt--Toter
Mann
steckenden Truppen zu verhindern . Als der 1. April im Anschluß an die am 30. März genommenen Stellungen die Säuberung von 100 m .
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen.
51
französischer Gräben nordöstlich Haucourt brachte , während am Tage vorher auf dem Ostufer, nach sorgfältiger Vorbereitung, schon der Besitz der feindlichen Verteidigungs- und Flankierungsanlagen nordwestlich und westlich Dorf Vaux erstritten worden war, der auch südlich und südwestlich der
Feste
Douaumont die Fortsetzung des
Kampfes erlaubte und am 4. April dort und im Caillette-Walde die Wegnahme starker Verteidigungsanlagen in erbittertem Kampfe ermöglichte, konnte die Oberste Heeresleitung am 3. April melden , daß links der Maas alle Stellungen des Gegners nördlich des Forgesbaches
zwischen
Haucourt und
Béthincourt in ihrer
Hand seien. Nach „ Bund “ vom 3. April standen die Franzosen auf dem Ostufer der Maas in den bis dahin noch nicht angegriffenen Höhenrandstellungen der Côte Lorraine in der Linie Combres- Moulainville-Eix und weiter nördlich , aus dem Dorf Vaux vertrieben, am Abhang der Kuppe des Fort Vaux. Von dort strich ihre Linie südlich Douaumont nach Bras. 99 Bund" schreibt dann wörtlich : „Auf dem Westufer halten sie noch die stark ausgebaute Stellung von Cumières
Béthincourt und
von Béthincourt,
dem Brechpunkt der
Front, südwestlich zurückgebogen eine Linie, die jetzt bei Haucourt und östlich Avocourt in Bewegung ist und sich an Punkt 304 anzuklammern sucht. Weiter westlich harren sie in starker artilleristischer Abwehr etwa aus den Argonnen drohender Angriffe und suchen die Bahnlinie Verdun - St. Ménehould, auf der das Feuer der Deutschen liegt und Dombasle und Récicourt eindeckt , mit allen Kräften zu halten . Auf anderen Teilen der Westfront hat sich die Gefechtstätigkeit gesteigert.
In dem Raume Ypern, La Bassé, Albert,
zwischen Noyon und Reims ,
überall sprechen die Geschütze mit so großer Kraft, daß sie ebenso gut den Angriff vorbereiten , wie unterbinden können. Ob sich von einer oder der anderen Seite eine größere Aktion auslöst, die sekundierend oder entlastend wirkt, muß die nächste Zukunft lehren." Und am 5. April : „ An den beiden Hauptdruckpunkten im Raume Verdun
und
zwar rechts
der
Maas.
im Abschnitt Vaux-Douaumont, links der Maas im Abschnitt Béthincourt-Malancourt haben sich neue Vorstöße des Angreifers abgezeichnet,
die
durch
Gegenstöße
des Verteidigers
zwar um einen
Teil ihrer Auswirkung gebracht wurden, aber von systematischer Verschiebung der deutschen Linien in Richtung auf Verdun bestimmte Kunde gaben . Sehr mühsam sind offenbar die Kämpfe bei Douaumont und Vaux, wo sich die Deutschen des Caillettes-Waldes bemächtigt haben und
nach ihrer Meldung
die dort eroberten
punkte trotz heftigen Gegenangriffen
behaupteten .
verteidigungslinie
von
im Nordostsektor
Fortkuppe
Da die
StützHaupt-
Vaux südlich 4*
52
Die Offensive in Verduns Vorfeld, ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen.
Douaumont verläuft und an der Straße nach Bras sehr starke Panzerbauten aufweist, so sind die dort spielenden Aktionen schon als Kämpfe um die zweite Linie zu betrachten . Gelingt es den Deutschen, diese zu nehmen, so werden die Verteidiger in den inneren Fortsgürtel zurückgedrückt und ihrer letzten Bewegungsfreiheit beraubt. Dann gehört Artillerie.
das
Wort
hier
nahezu
Größere Bewegungsfreiheit
ausschließlich besitzen die
der
schweren
Franzosen
nord-
westlich der Maas , obwohl sie gerade dort, wo sich die Kämpfe am schärfsten abzeichnen ,
nämlich
in dem um Punkt
304
gelegenen
Raume, von drei Seiten umfaßt , in starrer Verteidigung gebunden sind. Die Grundlinie Chattancourt -Esnes -Avocourt, auf welcher dieser Saillant aufsitzt , liegt noch vor der Hauptverteidigungslinie und den genannten Forts, doch bleibt zu beachten, daß das Eindrücken dieser Vorstellungen den Angreifer sofort dicht an die Lebenspunkte der Verduner Westfront heranführt und den inneren Raum unter konzentrisches gewiesenen
Feuer
stellt.
General Bazelaire
hält
den
ihm zu-
Raum Avocourt- Haucort- Béthincourt - Chattancourt-
Esnes mit der größten Hartnäckigkeit , obwohl sich von Bewegungsfreiheit in diesem , ein unregelmäßiges Viereck bildenden Salienten kaum noch sprechen läßt .
Solange aber die Grund-
linie Avocourt - Esnes - Chattancourt gehalten werden kann, und die Flanken Avocourt- Haucourt und Chattancourt - Béthincourt nicht vorzeitig nachgeben , kann Bazelaire auf der Frontlinie Haucort - Béthincourt nach Süden abbauen . Die Höhe 304 bildet den Zentralpunkt dieser französischen Stellung,
die
einen
Raum
von
etwa 20
Quadratkilometer bedeckt. Am gefährdetsten ist die nach Norden . ausspringende Ecke von Béthincourt. Wollen die Franzosen im Raume Verdun zu größeren Angriffen übergehen , um die vollständige Einschnürung zu verhindern , so ist jetzt der letzte Augenblick gekommen. "
Am 5. April war mit Haucourt Stützpunkt
östlich
des
Ortes
die
und einem
stark ausgebauten
letzte der raffiniert befestigten
Häusergruppen zwischen den deutschen Linien und der Höhe 304 - und damit der linke Flügel der französischen Grundstellung am Forgesbache - gefallen. Der Tag leitete den an großen und weitreichenden Erfolgen reichen Zeitabschnitt vom 5. bis 12. April ein . Mit etagenförmig eingebauten Maschinengewehren das ganze Tal des Baches beherrschend , stellte Haucourt eine Art Reduit dar. Solange dieser wichtige Stützpunkt nicht genommen war, konnten weitere deutsche Angriffe über den Bach nicht vorgetrageg werden, während deutsches flankierendes Feuer jetzt das ganze Bachtal bestrich. Daher der Bazelairesche Befehl, das Dorf, auch nachdem konzentrisches
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen .
53
deutsches Feuer zur Räumung des Nordufers gezwungen hatte, unter jeder Bedingung zu halten , die Linie Haucourt -Béthincourt unter keiner Bedingung zu räumen , um den Gegner von der zentralen Bei den Gefangenen gefundene Stellung der Höhe 304 fernzuhalten. Befehle , starke blutige Verluste und die außergewöhnlich hohe Zahl von Gefangenen bekunden wohl beweiskräftig genug, daß von der vorgesehenen freiwilligen Räumung später behaupteten Zwei Tage nach der durch die Franzosen keine Rede gewesen ist . Eroberung von Haucourt trugen bayerische und schlesische Verbände die neue deutsche Front wiederum ein beträchtliches Stück vor. In 2 km Breite im Sturm auf den
1 km südlich Haucourt gelegenen
Termitenhügel (287 ) dem Gegner schwere Verluste beibringend , die Gegenangriff ein am 8. April unternommener - und gescheiterter noch wesentlich steigerte.. Die systematische Abbröckelung der Sackstellung westlich der Maas machte auch die festungsartig ausgebaute Stellung von Béthincourt unhaltbar. Nach einem Tage, am 9. April, fiel sie, einschließlich die beiden kunstvoll aufgebauten Stützpunkte südwestlich des Ortes, Alsace westlich, Lorraine östlich der Strasse Béthincourt - Esnes gelegen, die die Aufgabe hatten , die deutschen Stellungen zu flankieren, Höhe 304 zu schützen und die deutschen Es hat in der Linien am Nordrande „ Toter Mann " zu belästigen . Absicht des Gegners gelegen, sich der Gefahr durch Rückzug zu entziehen. Das war bei unserer Abschnürung undurchführbar und ließ , neben einem gefangenen Bataillon , auch zwei Geschütze und drei An demselben Tage räumten Maschinengewehre in unseren Händen. wir dicht nördlich Dorf Avocourt und südlich des Rabenwaldes uns unbequeme Anlagen , Blockhäuser usw. aus und säuberten rechts der Maas, am Südwesthang des Pfefferwaldes, eine Schlucht, während Am weiter östlich in der Woëwre nur Artilleriekämpfe tobten. 10. April Fortsetzung lebhafter Gefechtstätigkeit beiderseits der Maas, verlustreiches Zusammenbrechen französischer Gegenangriffe auf die von uns genommenen Stellungen südlich des Forgesbaches, zwischen Haucourt und Béthincourt, wie auch in Richtung von Chattancourt Dasselbe Bild am 11. April und am Südrande des Pfefferwaldes. vor unseren Linien nordöstlich von Avocourt und am Pfefferrücken , im Caillettewalde schrittweiser Bodengewinn gegenüber zähester Verteidigung.
Der Sack westlich der Maas war, bis auf eine geringe
Ausbuchtung südlich Béthincourt, verschwunden, an der geraden Linie Avocourt-Cumières
fehlte
nur
noch
wenig,
betrug der Geländegewinn auf dem Nordsegment Verdun.
25 Quadratkilometer des
Vorfeldes
von
Höhe 304 war stärker bedroht, die Südstellung am Toten
Mann unterlag flankierender Einwirkung.
54
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen.
Das deutsche Vorgehen näherte sich immer mehr dem, was schon vor einiger Zeit die Franzosen als zweite Linie" in diesem Raum bezeichnet hatten. Diese neue, durch starke Schutzstellungen auf Höhe 304 gedeckte , sich eng an die Straße Esnes - Chattancourt — Cumières anschließende Front soll von Avocourt über die genannten Ortschaften fast gradlinig von Westen nach Osten an die Maas verlaufen . Durch die deutschen Fortschritte im Walde von Avocourt hatte die deutsche Linie, in Zusammenhang mit dem Vorschreiten auf dem östlichen Maasufer, die Gestalt eines Halbkreises erhalten , der sich bis nach Fresnes um die französischen Werke der Nordfront zog, und war für weitere Handlungen der Grund gelegt. Ostufer war bereits der innere Fortgürtel gefährdet . setzen und Behaupten gegen
Auf dem
Das zähe Fest-
alle noch so kräftigen Versuche
Wiedereroberung am Caillettewalde,
den infolge
Anlagen und getroffenen Vorbereitungen
die
seiner
Franzosen
zur
natürlichen als
ein un-
überwindliches Hindernis betrachteten , gefährdeten aber den Weg nach Fort Souville, zur inneren Fortlinie, wo im Raum gegen Fleury und Souville die Bodenbedeckung dem Angreifer nicht mehr so hinderlich war. Die offiziell nur 99 eine scharfe Rekognoszierung der deutschen Front und
planmäßig
abgeschlossen "
genannte
aber
so
kläglich miẞglückte russische Offensive, die am 6. und 7. April wieder einmal Nachzuckungen in scheiternden Angriffen südlich des Naroczsees aufwies, konnte den den Franzosen in ihrer drangvollen Lage kaum Ermutigung sein, Poliwanos Nachfolger Schuwajew in Duma und Presse konnte das Horoskop nicht auf Erfolg stellen . Für den Kaukasus aber forderte der Großfürst
jüngere Jahrgänge" , für welche
er alte nach Besarabien abgeben wollte. Die auf Seiten des Angreifers für die Vorbereitung neuer Schläge durch die grundsätzlich sichergehende Oberste Heeresleitung nötige die aber, wie wir Pause in der fortschreitenden Kampftätigkeit sehen werden, möglich werdende lokale Erfolge nicht außer acht veranlaßte, wie immer, unsere Gegner zu heftigen Gegenließ angriffen, die aus den im Kampfraum Verdun versammelten Truppenmassen bestritten wurden und deren Zermürbung fortsetzten . Angriffsversuche auf dem linken Maasufer erstarben am 13. durch Artilleriefeuer
schon
in
der
Ausgangslage,
desgleichen
südlich des
am
14.
Angriffs-
Raben- und Cumière-
99 Toter Mann " , waldes, die sich durch Steigern des Artilleriefeuers angekündigt hatten, erloschen in von beiden Maasufern konzentriertem deutschen Artilleriefeuer schon in der Bereitstellung. absichten gegen
Am 15. brachen heftige Angriffe an der Front vorwärts Feste Douaumont bis zur Schlucht von Vaux zusammen. Nach dem , was
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen. in französischen
Blättern durchgesickert ,
55
sollte der 15. April nach
dem Plan für die große Ententeoffensive auf der einen Front auch das Vorgehen gegen Metz einleiten. An diesem Tage war der Kern von Verdun bereits ein Raub der Granaten und Flammen, der Raum um Verdun schon zum Moloch der Kräfte geworden, gegangenen
während
Stellungskrieges ,
er
in der Dauer des ganzen voran-
ebenso wie die übrige permanente Ver-
teidigungslinie der Franzosen , zu seinem Schutze nur eine mäßig An dem Winkel- und Drehpunkt starke Feldarmee erfordert hatte. der ganzen Front einsetzend , erreichte der deutsche daß der Waffenplatz nicht Kräfte ersparte , geradezu verschlang ,
bis
Angriff , sondern
dahin schon 16 französische Armee-
korps ! Auf dem
westlichen
Ufer,
wohin die
gewicht zu legen schienen, nahm
Franzosen
das Kritische der
das Schwer-
Lage zu .
Von
Westen durch die Fortschritte gegen die Straße Haucourt-Esnes , von Norden und Nordwesten durch den Stoß über Haucourt und den Termitenhügel,
von
Süden und Osten
durch die Stellung auf
„Toter Mann " gefaßt, lag die Höhe 304 seit dem 9. April unter deutschem Feuer. Von Osten her vermochten deutsche Batterien über den Fluß flankierend einzugreifen . Maas die deutsche Faust wieder zu. Am
17. und 18. nahmen
Nun
griff auch östlich der
niedersächsische
Truppen im
Raum
der Franzosen die Stellung am Steinbruch, 700 m südlich des Gehöftes Haudiomont und auf dem Höhenrücken nordwestlich des, wie wir sehen werden, ein Bollwerk bildenden Gehöfts Thiaumont, machten 1800 Gefangene und brachen angriffe nieder . 711 Offiziere zählte man in den Kämpfen
im
hier, wie im Caillettewalde Gegenund über 38000 Mann Gefangene Maasgebiet seit dem 21. Februar,
der Gesamtverlust mußte daher 100 000 Mann schon weit übersteigen . Am 16. April hatte der „ Bund " die Lage wie folgt beurteilt : „Es bestätigt sich, daß westlich der Maas die Höhe 304 in der Peripherie zu suchen ist und daß die Franzosen sich hier, wie an der Südkuppe des Toten Mannes, nun an den exzentrischen Punkten ihrer Kampffront befinden . Östlich der Maas haben sich die Deutschen auf Bras vorgearbeitet , indem sie am Südrand des Pfefferrückens festen Fuß faßten . während sie am Caillettewald standhalten. Die Kampflinie läuft also hier noch durch den Caillettewald, den die Franzosen den Deutschen
nicht überlassen dürfen,
da
der deutsche
Keil sonst noch tiefer in die französische Hauptstellung der Nordostfront eindringen könnte.
und
durch
innere
Umfassung
flankierend
wirken
56
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen.
Haben die Franzosen die Absicht, Verdun um jeden Preis zu halten (und eine amtliche Pariser Mitteilung hat uns unterdes gesagt, daß dies am 23. und 25. März schon mit dem Vorgelände beabsichtigt war und Castelnau den Befehl des Oberkommandos, nördlich Verdun um jeden Preis auszuharren und jeden Befehlshaber, der einen Rückzugsbefehl gäbe, vor ein Kriegsgericht zu stellen, an Pétain, der das Kommando rechnen
und
übernommen ,
operieren ,
als
übermittelte), wenn
so
sie nur
müssen sie
darauf
anders
ausgehen,
die
Position bis zu einem gewissen Zeitpunkte zu behaupten, etwa bis zu dem Zeitpunkte, in welchem die Generaloffensive der Allierten seien
einsetzte.
ihrerseits
Gefährlich
ist es,
höherem,
oder
in
anzunehmen , auch
die Deutschen
hohem
nur
Maße
an
gewisse Fristen gebunden und hätten z. B. die Ostfront, oder ihre flandrische Front, stark entblößt, um ihre Offensive im Raume Verdun einzuleiten. " Am 11. April hatte „ Temps “ die Tatsache , daß die deutsche Offensive
die Vorbereitungen
zur Generaloffensive der
Allierten gestört , sowie Russen und Italiener zu vorzeitigen, unglücklichen Entlastungsoffensiven gezwungen hatte und die Franzosen ihre Reserven zum größten Teil aufgebraucht hatten, „ Wir hatten den britischen Truppen
dahin beantwortet :
schon einen Teil unserer Linie
eingeräumt, als die deutsche Offensive begann .
Wir hatten starke
Reserven und haben deren noch ". Er bestritt den Zwang der Russen und Italiener zur Entlastungsoffensive eine vom Gegner erzwungene Defensivoperation also nicht. Daß die französische Heeresleitung gezwungen wurde , alle Reserven (gegen ihre ursprüngliche Absicht) in den bedrohten Raum zu werfen, geht aus den Ereignissen hervor. " Von Souchez und Arras,
aus dem Raume
dem befestigten Lager von Chalons ,
südlich der Somme und
aus dem Lager
von
Paris und
selbst von Belfort und Toul wurden Truppen im Raume Verdun angesammelt. Sogar aus der wichtigsten Ausfallstellung von Nancy ist eine Division abberufen worden um direkt als Unterstützung einzugreifen,
so
daß
es
nicht
Nancy-Toul rechts der Maas
mehr
möglich
flankierend
war,
aus
vorzustoßen .
der
Linie
Dadurch
werden wir auf die Erwägung zurückgeführt, daß die französische Ausfallstellung Verdun - Toul durch die deutsche Offensive in eine Defensivstellung umgebogen worden ist. " Caillettewald, Steinbruch und Gegend bei Haudromont, Raum südlich Douaumont und auf dem Westufer Toter Mann bilden in einer ganzen Reihe vzn Tagen immer wieder die Objekte wiederholter, aber erfolgloser Angriffe .
Das ist von französischer Seite begreifbar.
Der
Raum östlich der Maas , auf dem sich die Aktionen abspielten , wird von dem Straßenzuge Bras- Douaumont - Fleury- Bras umfaßt. Er
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen.
57
war von den Franzosen seit Beginn der Kämpfe als einer der meist gefährdeten betrachtet worden . Haudromont, 700 m südlich davon der Steinbruch und Gehöft Thiaumont, von dem nordwestlich der am 17. und 18. genommene Höhenrücken liegt, begrenzen die nördlichen Ausläufer der Côte de Froi de Terre. Die Behauptung dieser Côte ist für die Franzosen von großer Tragweite .
Ihr, die durch die
Erstürmung des Pfefferrückens von Norden her schon frontal stark bedroht war, fielen wichtige Aufgaben zu . Im Westen hatte sie die die Straße
Bras- Belleville - Verdun mit dem
wichtigen
Orte Bras
zu schützen, nach Osten die Straße Verdun - Fleury - Fort Douaumont, weiter den Caillettewald als Flankenstützpunkt zu beherrschen . Das schluchtenreiche von Wald mit dichtem Unterholz bedeckte Gelände , Steinbrüche und in Felsen getriebene
Unterstände
boten dem An-
greifer sehr große Schwierigkeiten. Als am folgenden Tage der Steinbruch südlich Gehöft Haudromont, der einen Teil der neuen deutschen Stellung flankierte, in deutsche Hand gelangt war ,
durfte man aus-
sprechen, daß eine wichtige Bresche in das letzte Bollwerk der französischen Stellung im Norden der Festung geschlagen worden war. Die deutschen Frontabschnitte hatten einen günstigen geraden
Verlauf erhalten als neue Basis für weiteres Fortschreiten des Angriffs auf die Nordfront von Verdun. in der Verlängerung der
Die gewonnene Einbruchsstelle lag
sogenannten
zweiten französischen Stellung, die sich westlich der Maas bei Charny an den Fluß lehnt. Auf dem Ostufer liegt in der Höhe von Charny Dorf Bras und nördlich von diesem der Pfefferrücken, auf dessen Südhang unsere Truppen bereits ihre Gräben vorgeschoben hatten, während die neue Einbruchsstelle rund 2 km von Bras entfernt war. Die Unsrigen halten im Norden von Verdun fast
alle
beherrschenden Höhenstellungen
rücken bis zur Höhe 359 , nördlich Fort Vaux. Tagesbericht der Obersten Heeresleitung, der von Leuten einer 154. französischen Division
vom Pfeffer-
Zwei Tage vor dem nach Gefangennahme (womit das Dreifache
der Zahl der im Frieden vorhandenen weit überstiegen wird), nordwestlich Fresnes en Woevre, feststellte, daß im Raum zwischen Fresnes und Avocourt seit dem 21. Februar im ganzen 38 Infanteriedivisionen eingesetzt worden waren, von denen außerdem vier zum zweiten Male durch frische Leute, hauptsächlich aus dem Rekrutenjahrgang 1916, aufgefüllt, zum zweiten Mal ins Gefecht geführt und geschlagen worden waren, landeten ein Ostergeschenk für Joffre in Marseille angeblich 9000 Russen als lebender Beweis, in welchem Umfange die französischen Reserven im Raume von Verdun gebunden sein mußten. Im Caillettewald waren am 19. April neue französische Angriffe abgeschlagen worden,
am 20. April
ein solcher auf Toter Mann und
58
Die Offensive in Verduns Vorfeld, ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen .
am Steinbruch südlich Haudromont ; am 21. April wurden drei französische
Anstürme
gegen Toter Mann
allein
durch
Artilleriefeuer
niedergebrochen. Am 23. April scheitern schwächere Vorstöße der Franzosen östlich von Toter Mann und brach ein stärkerer Angriff in der Gegend Gehöft Thiaumont zusammen ; am 23. April wiederum Niederbrechen eines Angriffs östlich Toter Mann , 25. April Scheitern eines Ansturms gegen
unsere
Gräben
zwischen
Toter Mann und
Caurettewäldchen
schon in der erkannten Bereitstellung, während unsere Seestreitkräfte und Luftschiffgeschwader gegen England arbeiteten , und an der flandrischen Küste britische Kräfte zum Weichen brachten , und endlich im Südostsektor von Verdun die Artilleriekämpfe waren. In Dublin setzten
angewachsen
die Unruhen ein und im Unterhause machte
der Ministerpräsident die überraschende Mitteilung, daß die Rekrutierung seit
August
1915
Tatsache war die Unmöglichkeit,
nicht mehr ausgereicht habe . neue Truppeneinheiten aufzustellen.
Tatsache die Schwierigkeit, die vorhandenen Formationen auf voller Kriegsstärke zu erhalten . Man hat darin einen Grund für das Versagen britischen Eingreifens während der Krise Die
bei Verdun gesucht.
Aushülfen" Asquiths zeigten , daß Hoffnungen zunichte geworden
waren . Was sollten die 200 000 Mann bedeuten , zumal Mesopotamien starke Kräfte verschlang, die ,, Heer und Politik" auf 100000 Mann schätzte? Die deutschen Hammerschläge sollten noch weiteres erzwingen.
Französische, zum Besuch der britischen Front zugelassene
Pressevertreter lobten Geist in und hinter der Front,
die dort voll-
endete Ausbildung der Briten und das ausgezeichnete Einvernehmen zwischen Joffre und Haig über den grünen Klee. Die Entente setzte auf einen Bruch zwischen Deutschland und Amerika starke Hoffnungen . Erst am 28. April unternahmen die Franzosen wieder mißglückte Gegenstöße am Toten Mann und östlich davon , während im Osten ein deutscher Vorstoß südlich des Naroczsees einen vollen Erfolg hatte . In Paris aber tagte unter Poincarés Vorsitz ein Kriegsrat, zu dem Joffre und Castelnau von der Front herbeigeeilt waren . Auch der Schlußtag des April brachte am Toten Mann wieder einen mißlungenen französischen Angriff. Auch in dem letzten Drittel April war von unserem Gegner eine außerordentliche Aktivität und Zähigkeit entwickelt worden - ohne Erfolg. In den inneren Ring des Schlachtfeldes um Verdun ,
in dem riesige
französische Massen
zusammengedrängt des Befehls zum Angriff harrten, zentrisches Feuer geschlagen .
war unser kon-
Wo der Gegner, wie am 1. Mai südlich
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen . Feste Douaumont und
59
im Caillettewald, im Nahangriff sein Glück
versuchte,
zerschellten seine Anstürme nicht weniger. In Rußland ordnete ein Ukas vom 1. Mai die Einbeorderung Jahrgangs 1918
zum 25. Mai an .
England militarisierte
von Irland abgesehen
das Inselreich in einer früher nie geahnten Weise und Asquith scheute die neue greifbare Lüge nicht,
man habe 5 Millionen in Heer und Flotte unter den Waffen . (Für das Heer führte er 83 Divisionen einschließlich Marinedivision an . ) Da drängt sich geradezu zwingend die Frage auf,
weshalb war
eine britische Offensive
zur Entlastung
der bedrängten Franzosen unterblieben ? Die irische Revolte nnd die zur Musterung, Aushebung, Schulung und Bildung von Einheiten nötige Zeit, wie der von der allgemeinen Wehrpflicht zu erwartende Ertrag waren nicht geeignet, die Entschlüsse der deutschen Obersten Heeresleitung zu ändern . Über die Zerreibung der französischen Kräfte wird erst die Entwickelung Aufschluß geben und vielleicht, so urteilte „ Bund" am 3. Mai, liegt der Schlüssel dazu an ganz anderem Orte, als zwischen Mosel und Maas. Abgeschlagene Angriffe am Toten Mann und Westausläufern in doch absolut glaubwürdigen deutschen Tagesberichten wandelt der französische in Erfolge für sich um - im italienischen Hauptquartier verhandelt Tittoni mit Cadorna wieder einmal über italienische Hilfe für Frankreich , während Ententeblätter mit neuen russischen Armeen für den Frühsommer prahlen , denen aber ein Kopenhagener Blatt qualitativ kein glänzendes Horoskop stellte . Die russische Einnahme von Erzingian erwies sich bald als Fabel. Am 6. Mai dauerten westlich der Maas die Gefechtshandlungen fort,
östlich
bei Thiaumont brach ein französischer Angriff nieder.
Die Bedrohung, welche Avocourtwäldchen und
die Franzosen in unserer Stellung zwischen Toten Mann für die Bahnlinie Verdun-
Châlons -Paris sahen , hat ihnen viele Tausende vergeblich gebrachter Opfer gekostet. Unsere Stellungen auf dem höheren rechten Maasufer flankierten das französische Aufmarschgebiet zwischen Hessenwald und Flußufer. Der 7. Mai bezeichnet wieder einen Tag großer Erfolge, unmittelbar auf dem linken ,
mittelbar
auf dem rechten
Maasufer. Östlich der Maas brach ein erbitterter, auch von Negern geführter Angriff beiderseits Thiaumont zusammen. Am Westufer Schwierigkeiten , aber mäßigen Verlusten Erfolg der Besetzung der Höhe 304. der Operation durchgeführte Neben blutigen Verlusten kostete sie dem Gegner über 1300 Ge-
krönte
die
unter großen
fangene, und starke Einbußen stößen am Westabhange
erlitt
er auch bei den Entlastungs-
des Toten Mannes.
,,Agence Havas" hatte
60
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen.
kurze Zeit vorher ausgesprochen, die Schlacht von Verdun sei militärisch als beendigt , der Mißerfolg des Gegners als besiegelt anzusehen .
General Pétain und Unterführer hatte man
für ihre Erfolge mit Großkreuzen behangen.
Sonderbar ! Hatte doch
die französische Berichterstattung schon die Möglichkeit angedeutet, die ganze starke Stellung südlich des Forgesbaches aufzugeben und die neue, uneinnehmbare Hessewald - Esnes - Bois Bourrus zu halten . Nach den Ereignissen am Termitenhügel, im Wald von Avocourt und
den erfolgreichen
deutschen Kämpfen
mußten die Franzosen aber
auf dem Toten Mann
doch wohl annehmen ,
daß der deutsche
Angriff sehr bald an das bedeutsame Hindernis Höhe 304 herangehen würde.
Um die genannte Höhe hatte sich durch die vorhergegangenen
Kämpfe auf dem Westufer wieder eine Sackstellung gebildet, die von den Franzosen gegen Westen,
Osten und Norden verteidigt werden
mußte. Eine völlige Zuschnürung durch flankierenden Vorstoß von Avocourt oder vom Toten Mann her verbot der Umstand, daß beide unter dem schwersten Artilleriefeuer des Gegners hätte erfolgen müssen. Der direkte Angriff von Norden her
schien
noch der gangbarste
Weg, wenn er sich auch über die Steigung dieser höchsten Erhebung im weiten Umkreise gegen Norden und gegen die beste Beobachtungsstelle aufwärtsarbeiten mußte . Von Höhe 304 sahen die Franzosen die von Malancourt und Béthincourt nach Süden führenden, in Esnes sich kreuzenden Straßen ein , der
Front
südlich
auf denen der Nachschub für die auf
Haucourt- Toter
Truppen erfolgen mußte.
Mann
kämpfenden deutschen
Mit der Besitznahme der Höhe am 7. Mai
war nun genau die Gegenwirkung erreicht. Am 2. Mai hatte das deutsche Trommelfeuer begonnen ,
alle
französischen Versuche, an die Westseite des Toten Mannes zu gelangen, um die verlorenen Gräben wiederzugewinnen , aus denen sie den Vorstoß gegen Höhe 304 wirksam flankieren konnten, schlugen fehl. Am 7. Mai , genau einen Monat nach Erstürmung des Termitenhügels,
erfolgte von diesem aus der entscheidende Angriff, der eine
neue Ausbuchtung der deutschen Linie nach Süden erzwang. Da östlich der Maas am 7. Mai auch die Eroberung der wichtigen Thiaumont - Fernestellung brachte,
die das
Vordringen
gegen den
Kamm der mit Panzerforts und Batterien gespickten Côte Froide Terre äußerst erschwerte, wie sie früher schon den Angriff auf das Dorf Douaumont erschwert hatte,
so
verdient dieser Tag in der
Chronik der Ereignisse dick unterstrichen gestellten frischen Truppen 51 Divisionen aufgewendet. zu überwinden waren ,
zu werden .
Mit den fest-
hatte der Gegner im Maasgebiet bisher Für das Maß der Schwierigkeiten, die
spricht die Zeit,
die von der Gewinnung von
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen. Haucourt -Béthincourt
61
bis zur Eroberung der Höhe 304 nötig ge-
wesen war, sprechen das Gelände und die Art der feindlichen AbwehrEin neuer Abschnitt von weittragendster Bedeutung war
anlagen.
gewonnen, die Straße Chattancourt - Esnes - Avocourt lag zu unseren Füßen.
Eine Rückzugsbewegung
über
die genannte Straße
mußte
für den Gegner, dank der Übersicht , die wir jetzt nach beiden Richtungen besaßen, verhängnisvoll werden. Höhe 304 und Toter Mann, das feindliche Vorfeld von Cumières - Toter Mann - wo die deutsche Stellung gekräftigt wurde, da Flankenwirkung von der Höhe 304 und Höhe 304 konnte auch von unseren nun beschränkt war Stellungen östlich der Maas flankiert werden . Nur im Süden überHöhe 310 Montzeville den gelegene nordwestlich die ragte Punkt 304 ;
überschaut diese die Hochfläche ,
nach Südost
die die
Festungsfrout Bourru - Marre trägt, gegen die jetzt eine umfassende konzentrisch wirkende Geschützaufstellung möglich wurde . Ergebnis auf feindlicher Seite also : fortgesetzte Zermürbung, reißen weiterer Tausende aus der Hauptreserve.
nutzloses HineinWeitere Kampf-
handlungen mit dem Zweck , die an die Höhe 304 anschließenden deutschen Frontteile westlich der Maas und der neu gewonnenen Linie in Übereinstimmung zu bringen, waren zu erwarten und erfolgten am 8. Mai durch Erstürmung mehrerer südöstlich des Termitenhügels liegender feindlicher Gräben . der Graden.
Die deutsche Linie näherte sich
Die Offensivpläne der Entente, die seit Dezember gehegt worden waren, waren im Februar soweit gefördert worden, daß man glaubte , im Mai auf allen Fronten losbrechen und im Westen durch eine Umfassung der deutschen Nordflanke
die Entscheidung
herbeiführen zu
können. Durch „ Agence Havas“ verbreitete das französische Kriegsministerium damals die Nachricht : „ Überall waren die Unternehmungen des deutschen Generalstabs
im großen Stil
immer offenkundiger,
die vom Feinde
daß
angelegt.
Aber es wird
erzielten Ergebnisse mit
den Mitteln und Menschenopfern, die er aufgewendet, in keinem Verhältnis stehen. " Dabei war unsererseits auch Gehöft Thiaumont, dicht unter den Kanonen des gleichnamigen Werkes, genommen und die hier zum ersten Male vor Verdun aufgetretene Turko- und Zuavenlawine mit blutigen Köpfen heimgeschickt worden, durch Entweichen von 20 Fesselballons wurde die französische Beobachtung sehr erschwert . Pétain übernahm nun das Oberkommando zwischen Verdun und Soissons. in der
In diesem Raum liegt die klassische Durchbruchsstelle
Champagne
mit
Châlons
als
Sammelbecken für Reserven.
Sollte man an die Absicht der Franzosen, unter Pétains Befehl zur Offensive zu schreiten, der sich die
Briten
anschlössen ,
glauben ?
62
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen .
Nördlich Ostende brachte der 8. Mai ein für uns glückliches Seegefecht. ,,Temps " schrieb um diese Zeit den Österreichern die Absicht einer Offensive gegen Italien zu , was doch nur als eine Anerkennung der Stärke angeschen werden kann . ,, Journal " meldete das Eintreffen zösischen An
von
Front
der
Neuseeländern
und
zur nutzlosen
Vermehrung des
italienischen Front
Australienern an der fran-
donnerten
die
Völkermosaiks .
Geschütze lauter
und
dauernder. Am 11. Mai tätigkeit,
herrschte beiderseits
der Maas lebhafte Artillerie-
wurde im Thiaumontwald vergeblich
ein französischer An-
griff versucht, brach in den Argonnen ein französischer Ansturm auf Fille morte zusammen und stürmten, dem Gegner blutige Verluste beibringend, pfälzische Bataillone südöstlich des Hohenzollernwerks bei Huluch mehrere Linien der britischen Stellung. Kritische Sezierung des Geheimbefehls Joffres brachte auch Neutrale zu der Ansicht, daß nicht alle Franzosen davon überzeugt seien , Verdun halten zu können , daß Joffre nur durch scharfe Drohungen eine Preisgabe des rechten Maasufers Drohungen aber
zu verhindern gewußt hätte,
auch den ungeheuren Druck
und daß diese
erkennen
ließen ,
der
von uns auf die französischen Stellungen geübt wurde . Mit Höhe 304 waren wir hier auf 15 km an den Kern Verduns herangekommen. Daß die Versuche
einer Wiedereroberung
von Höhe 304
und Toter
Mann für längere Zeit das Hauptstreben der Franzosen bleiben würden , Vereitelte Angriffsversuche des war nun bestimmt zu erwarten. Gegners am 12. Mai in den Wäldern von Avocourt-Malancourt , südlich und südwestlich Toter Mann , am 13. Mai wieder gegen . ,Toter Mann", am 14. Mai am Toten Mann und Cailletteswald erwiesen dies . In Nancy aber liefert Poincaré einen sprechenden Beweis dafür, daß seine Einsicht in die Lage nicht gewachsen war, indem er erklärte, von Frieden könne keine Rede sein, wenn die Gegner nicht Die französische Rechtdarum bäten, und die Entente ihn diktiere fertigungsnote,
so
schrieb ,
dem
Sinne nach,
,,Bund" am 13. Mai ,
drückt implicite aus, daß den Franzosen kein Opfer zu schwer erschien,
um den Aktionsradius vor Verdun in seinem Umfang zu be-
haupten. Mag man danach ermessen , wie groß die Opfer sind , die die französische Armee auf den Schlachtfeldern von Beaumont, Louvemont, Douaumont , in den Wäldern von Forges und Caures, bei Béthincourt, Malancourt und am Toten Mann gebracht hat. ,,Bund" hält es nicht für unmöglich, daß die Briten jetzt auch den Abschnitt südlich der Somme besetzen , und daß den Franzosen nur die Aisne, werde .
Champagne,
die
Argonnen
und
Die Blüte des französischen Heeres
die
Maasfront
bleiben
liegt vor Verdun
ver-
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen. kämpft und bleibt dort voraussichtlich noch lange gefesselt. "
63
Unter
diesen Umständen müsse man sich fragen, ob Frankreich mit seinen. militärischen Kräften bis zur oder 1918 aushalten könne.
Repingtonschen Offensive von
1917
Auf dem Blatte des 15. Mai wird die Kriegsgeschichte eine der wichtigsten Folgeerscheinungen der am 21. Februar im Raum Verduns von der Obersten Heeresleitung ergriffenen Initiative
buchen
zu
haben ,
eine neue, wuchtige
Kraftäußerung des Gesetzes des Handelns von seiten unserer Verbündeten. Die Lücken , die die verunglückte Märzoffensive und selbst die Einbußen der Neujahrsschlacht
trotzdem
bei den
mit Hochdruck an der Vorbereitung für eine Offensive im Südosten arbeitenden Russen, die die 5. Isonzoschlacht bei den Italienern -
deren
sprachen,
Blätter was
trotzdem
von
Offensive
einer
Truppenverschiebungen
nach
gegen
waren noch nicht geschlossen ,
Norden
Südtirol
Verlegung des Hauptquartiers Cadornas dorthin , einige Bestätigung fand gerissen hatten,
in
und
Sarrail war nach wie
vor durch die Bulgaren und Deutschen gebunden,
Abgaben von den
stark gepreßten Franzosen und den Briten im Westen waren nicht zu erwarten, als der Augenblick für das von langer Hand her vorbereitete Losbrechen unserer Verbündeten aus Südtirol gekommen schien. Was am 15. Mai in Südtirol begann , traf, für die Italiener völlig überraschend . zunächst auf die I. Armee, mit zum mindesten 9 Divisionen, wie die Oberste Heeresleitung unserer Verbündeten ziffermäßig nachgewiesen hat, und nicht mit deren 3 , wie die Italiener behaupten . Durch das Kriegspressequartier wissen wir, daß ein Stoß direkt gegen die Befestigungsgruppe sollte . Raum
im Raum Asiago -Arsiero
gerichtet
werden
Die Kämpfe gruppieren sich in die Abschnitte Suganatal, Assa-Astachtal, Astach - Brandtal, Brand - Etschtal . Der
Offensivstoß im Suganatal brachte zuerst den Besitz des westlichen Teiles des Armenterarückens , im ganzen Frontabschnitt waren unsere Verbündeten schon im Laufe des Vormittag des 15. Mai in die ersten Gräbenreihen des Gegners eingedrungen. Am
19. Mai wurden
im
Suganaabschnitt
Roncegno und am
Armenterarücken der Sasso Alto genommen , am 20. Mai der erstgenannte vom Feinde gesäubert, am 23. Mai Monte Kempel besetzt , Burgen fiel in die Hand
unserer Verbündeten,
der Feind wurde aus
den Stellungen zwischen Ceggiomündung und Salubro vertrieben und am 26. Mai die Cima Maora erreicht. Im Abschnitt Assa -Astachtal am 22. Mai
die Reichsgrenze überschreitend ,
am Abend desselben
Tages
im Besitz
des
war das Grazer Korps Panzerwerks und der
64
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen .
Batterien auf dem Monte Verena , am 26. Mai der Gegner vom Monte Moschicco vertrieben und die hartnäckig verteidigten Stellungen auf dem Höhenrücken Monte Ceggio - Monte Zignarella- Corno di Campo Bianco und weiter
die Befestigungen
des Monte Interotto
das Ziel .
Im Abschnitt Astach - Brandtal hatte die Gruppe Erzherzog Thronfolger, nach siegreichem Durchbrechen der dicht an der Grenze liegenden Befestigungsgruppen ,
die
Grenze
überschritten,
die
21.
die
Linie
Tonezza - Monte Majo genommen, war immer näher an das PosinaAstachtal gerückt und
hatte den Gegner hinter den inneren Gürtel
von Arsiero zurückgedrückt , ihn aus den Stellungen westlich Barcarole verdrängt. Im Abschnitt Brand- Etschtal war am 24. Mai Chiesa erobert worden . - Von zwei Seiten klangen jetzt die Hilferufe , bei doppelter Pressung von Franzosen und Italienern, sie sollten bald weitere Entlastungsversuche auslösen, und die an der russischen Südfront sicher zu erwartenden warfen ihre Schatten schon voraus . Dem Minus einer ganzen Reihe mißlungener französischer Angriffe, am
14.,
15. und 16. ,
material in immer
dem hoffnungslosen Opfern von Menschen-
wiederholten Gegenstößen
geschlossenen Raum von Esnes deren Verlust
aus dem völlig ein-
zur Wiedergewinnung der Höhe 304 ,
man lange ängstlich verheimlichte,
steht als Plus am
18. Mai der deutsche Vorstoß vom Termitenhügel in nordsüdlicher Richtung gegenüber, der beiderseits der Straße Haucourt - Esnes die Gräben bis zur Höhe am 20. kam unseren
des Camardwaldes nahm und diesen säuberte ;
die Entscheidung des Vollbesitzes
Gunsten,
am
21. die
von Toter Mann zu
Herstellung der unmittelbaren Ver-
bindungen der Stellungen auf Toter Mann und Höhe 304 , am gleichen Tage die Gewinnung von 2 km Front britischer Gräben bei Givenchy en Gohelle ;
am 23. kam
die
reifende Frucht
der Erfolge des 20. ,
die Erstürmung des Dorfes Cumières , die zunächst einen Druck auf Chattancourt , den rechten Flügelpunkt der letzten vor den dauernden Befestigungswerken liegenden Widerstandslinie westlich der Maas, äußern mußte. zu erwarten.
Französische Wiedereroberungsversuche waren waren
der 24. und 25. Mai Tage der Ent-
täuschung für den Verteidiger.
Die lange vorbereitete , von Castelnau
Östlich der Maas
geweckte Hoffnung
ging in Scherben .
Zur Entlastung
der drang-
Beseitigung des Drucks, den die die Höhe von Fleury beengenden deutschen Stellungen südwestlich und südöstlich Douaumont ausübten, hatten die Franzosen bald nach der vollen Lage westlich der Maas ,
endgültigen Besitznahme von
Toter
Mann einen wuchtigen Durch
bruchsstoß angesetzt : am 21. Mai erfolgte ein Angriff in der Gegend des Steinbruchs - südlich Haudromont Ferm- und auf Kuppe
Die Offensive in Verduns Vorfeld, ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen.
65
Vaux, am 22. Mai ein erbitterter Stoß nördlich Verdun , wo die durch die Erfolge
bei Thiaumont und im Caillettewald
geschobenen
deutschen
Linien
auf Höhe
von
nach Süden vor-
Fleury
konzentrisch
drückten . Der nur 2 km breite, sehr tief gestaffelte Angriff drückte zunächst südlich Douaumont in die deutsche Linie eine Beule. - Die Besitznahme von Fort Douaumont ist eine französische Lüge.
Der
23. Mai leitet schon den Umschwung ein, der 24. und 25. vollendeten ihn,
deutsche
Gegenstöße
auf den Flügeln des
Angriffsabschnittes
wirkten über die alte Stellung hinaus, über den Steinbruch und auf neuen Bodenbesitz südlich Feste Douaumont, in der Fortsetzung die Stellung westlich des Steinbruchs erweiternd und die Thiaumontschlucht bis zum Südrand des Thiaumontwaldes überschreitend . Kein Sprengungsversuch
der
Angriffsklammern
war gelungen.
Zwischen
den Zeilen ließ eine amtliche Havasnote am 27. Mai erkennen ,
daß
man im französischen Hauptquartier nicht mit der Unmöglichkeit rechnete , Nivelles Offensive auf dem rechten. Maasufer als abgeschlossen ,
und schleunige Defensivvor-
bereitungen auf dem Westufer als geboten anzusehen . Presse
stellte die Frage,
ob nicht
Die
die Heeresleitung einen Ausweg
finden könne, der Armee weitere derartige Opfer zu ersparen, Briand mußte zugeben,
was er vor Monaten noch abgelehnt hatte,
nämlich
die Geheimsitzung der Kammer zur Beantwortung der Verantwortungsfrage für Verdun und der Frage ,
ob Frank-
reich nach den gebrachten Opfern noch Kraft zu einer entscheidenden Offensive im Einvernehmen mit den Verbündeten besitze.
Die vom Armeeausschuß verlangte „ Permanenz
der Kontrolle aller Handlungen an der Front vor dem Kampf“ , d. h . doch der Operationen , an die Delegierten des Wohlfahrtsausschusses der Revolutionszeit erinnernd ,
erschien als Menetekel an der Wand.
Scheiternden französischen Angriffen gegen unsere Steilungen am Südwesthang von Toter Mann und bei Cumières am 27. und 28. Mai steht als Haben für deutsche Truppenteile
das Gewinnen der fran-
zösischen Stellungen zwischen Südkuppe von Toter Mann und Dorf Cumières in ihrer ganzen Ausdehnung gegenüber. Die Tage des 30. Mai und 1. Juni sind schon zu Gedenk-
steinen in der Geschichte des Weltkrieges geworden. Am erstgenannten krönten unsere Verbündeten ihre Offensive mit dem Durchbruch der italienischen Hauptwiderstandslinie in den vizentinischen Alpen, der Besitzergreifung von Asiago und Arsiero , dem Heranrücken an den Eingang der Täler , die in das Becken von Schio und in die großen Ebenen führen , wohin die Vorbewegung nur noch im Raume Piano delle Fugazze und Monte Pasulvio be5 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 539.
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Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u. Folgeerscheinungen.
hindert wurden .
Ein großer Teil der Reserven von der Isonzofront
bis über den Raum von Udine hinaus war gegen die Offensive unserer Verbündeten schon eingesetzt . Auf denselben Tag fällt der Beginn , auf den folgenden das Ende
der
Seeschlacht
am
monopol Englands brach und ,
Skagerrak ,
die
das
See-
dank der deutschen Flagge
das Anbrechen des Morgenrots der Freiheit der Meere bedeuten kann. Wenn man sich fragt, was die britische Flotte hinaustrieb , die bisher, während man einen Abschließungsgürtel zog und damit einen starken Druck auf Deutschland zu üben suchte, allein schon durch ihr Vorhandensein bei und
die
Seegewalt für
alle
späteren
glaubte, so wird die volle Aufklärung
den Orkneys zu
Möglichkeiten
zu
wirken
behaupten
erst eine spätere Zeit geben
können . Tatsache ist, daß die Absperrung vom Weltmeer , daß der Krieg zu Lande nicht genügte , die Mittelmächte auf die Knie zu zwingen , schärfere Kriegführung
und daß die Bundesgenossen Englands auf
zur See drängten und daß endlich Rußland
britische Flottenhilfe verlangte, um den Druck der deutschen Ostseeflotte zu erleichtern.
99 Times " , deren Angaben wir sehr skeptisch gegenüberstehen , hat uns gesagt, man habe gewußt, daß Deutschland eine kombinierte See- und Landoperation gegen den Busen von Riga beabsichtige, und habe diese stören wollen. Aus Schweden kamen bald nach unserem Seesiege
Nachrichten,
die
besagten,
britischerseits
sei
unter
dem
Schutz der Flotte eine Landung in Norwegen oder Dänemark beabsichtigt gewesen, um deutsche Kräfte abzuziehen und eine neue Verbindung mit Rußland herzustellen . Es lassen sich auch noch andere Absichten denken .
Hat der Gedanke bestanden , so wäre
der Seesieg am Skagerrak als ein deutscher Doppelsieg zu Auch dieser ist eine Folgeerscheinung des bezeichnen. gewaltigen Drucks auf den Raum von Verdun und auf Südtirol. Sarrails augenscheinlich auf die deutsch-bulgarische rechte Flanke zielenden Truppenverschiebungen gegenüber bot die Besetzung des Rupelpasses
mit Umgebung durch Deutsche
und Bulgaren ,
plötzlich in der rechten Flanke der Salonikikräfte wirksames Paroli .
erschienen ,
die ein
Als am 5. Juni der deutsche Kaiser, seinem eigensten Werk, dem Repräsentanten der Seegewalt, die Anerkennung zollte : „ die deutsche Flotte ist imstande gewesen , die übermächtige britische zu schlagen", trat in Frankreich der Eindruck des Seesieges zurück vor der am eigenen Leibe fühlbaren gesteigerten Pressung, gerade in diesen Tagen, wo der Feind schon vor Verdun anfängt, langsam zusammen-
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen. zubrechen . "
67
Noch war der Allgemeinheit nicht , dagegen dem obersten
Kriegsherrn bekannt, daß wir den überirdischen Teil von Fort Vaux genommen hatten , wohl aber, daß der Caillettewald in unserer Hand war, wie die Erstürmung des festungsartigen Damloup und die günstig fortschreitende Einschnürung
des erstgenannten sehr starken Werkes
wirkten, und wie der Reflex der Ereignisse vor Verdun in der französischen Kammer sich äußerte. Am 30. Mai war das
Cauretteswäldchen und die
französische Stellung genommen, starker französischer Angriffe
angrenzende
am folgenden Tage die Abweisung
auf Toter Mann
gefolgt. Der 2. Juni brachte dann einen
und Cauretteshöhe
zweiten Mißerfolg
der Briten
auf dem Westufer der Maas erfolgte einer der zahllosen französischen mit schwersten Verlusten abgeschlagenen Anstürme , auf dem Westufer ein scheiternder starker Angriff südwestlich des bei Givenchy,
Vauxtales , nachdem der Erfolg unsere Anstrengungen um den vielumstrittenen Caillettewald und die beiderseitanschließenden Gräben gekrönt hatte. Zwei bemerkenswerte Erscheinungen zeugten um diese Zeit für die französische Nervosität : Mißtrauen gegen die oberste Heeresleitung -- Streben nach einer permanenten parlamen, kindische Beruhigungsnoten der Kontrolle Regierung für die Presse, die faustdicke Lügen nicht scheute, wie die :
tarischen
nur 200000 Mann des Jahrgangs 1916, 100 000 geheilte Verwundete und die nachgemusterten Jahrgänge 1917 besitze Deutschland noch In überaus
als einzige Reserve.
schwierigem Angriff am Höhenrand
der jede deutsche Bewegung einsehenden Côte fiel am 3. Juni das zum Bollwerk ausgebaute Damloup, weiter ein Vorwerk der französischen Stellung auf den Höhen von Fort Vaux, sechsmalige französische Anstürme auf unsere neue Stellung scheiterten. Im Raume Caillette - Chapitrewald erfolgte der Hauptdruck der Franzosen, während der unsrige sich zwischen Teich von Vaux-Damloup äußerte. Der französische Tagesbericht vom 3. Juni meldete schon, daß feindliche Abteilungen in den nördlichen Außengraben von Fort Vaux eingedrungen seien.
Die
Siege
zwischen Damloup und
Thiaumont
- auch moralisch, gerade an dieser schwierigen Stelle erkämpft empfindlich wirkend hatten die Bresche erweitert, dauernde erbitterte,
aber
restlos
wiederzugewinnen.
abgewiesene Angriffe
Positive Erfolge
6. Juni, nicht nur bei Ypern ,
suchten
das Verlorene
zeitigte für uns wieder der
sondern vor allem auch auf dem öst-
lichen Maasufer,
wo Fort Vaux mit allen seinen Teilen unser
fester Besitz ,
und der Kampf um die
Hänge beiderseits 5*
68
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen.
des Waldes und den Höhenrücken südwestlich Damloup zu An demselben Tage, unseren Gunsten entschieden wurde. an dem der deutsche
Kaiser seiner
siegreichen Flotte heißen Dank
zollte, verschlang die See westlich der Orkneyinseln den Organisator des Krieges unseres gehaßtesten Gegners, Lord Kitchener, vom Zaren als Berater berufen , den deutschen Waffen den Sieg zu entreißen deutschen Waffen , sei es nun Mine oder Torpedo , ist er erlegen. An demselben 5. lief die italienische Front unserer Verbündeten vom Etschtal nördlich Serravalle, östlich Coni Zugna , Chiesa umfassend , nördlich des vielumstrittenen Monte Pasubio , der den Zugang zu Piano Fugazza und Schio
noch sperrt, dann, nach Süden biegend , südlich der Posina , südlich Arsiero über Cesuna, südlich Asiago und Gallio , dann, nach Norden sich wendend, westlich Monte
Meletta, östlich Campo Mulo, darauf, Mandrielle umschließend, östlich Monte Luzzo nach Norden das Brentatal querend , östlich Strigno und Spero . In zwei Wochen war gegen die erste Verteidigungslinie in Oberitalien der gewollte Erfolg erreicht , waren die Italiener zwischen Brand- und Suganatal vertrieben , über 250 Quadratkilometer feindlichen Gebiets besetzt , über 30000 Gefangene gemacht und mehr als 300 Geschütze erobert. Zwei Tage später folgte von Gallio bis Cesuna,
im Südosten die Ergänzung der Linie
indem auf der Hochfläche
von Asiago
im
Raum zwischen Astico und Brentantal beträchtliches Gelände , der Monte Lemerle und Ronchi (östlich Gallio ) gewonnen wurden. Der vom Monte Meletta und Val Ronchi nach Süden
abfallende Rücken
war damit in den Händen unserer Verbündeten . Die Erfolge der österreichischen Offensive verursachten am 10. Juni den Sturz des Kabinetts Salandra mit 140 schwarzen Kugeln . Salandras letzte Handlung war ein Eselstritt gegen Cadorna durch den Vorwurf, daß bessere Vorbereitung den Gegner länger vom Berglande ferngehalten hätte. Am 6. Juni war in Paris die Geheimsitzung der Kammer erzwungen, die ohne Zweifel eine Kontrolle der Heeresleitung in irgend einer Form durch das Parlament zur Folge haben muß. Der Tagesbericht der Obersten Heeresleitung vom 9. Juni ließ vor Verdun einen ehernen Schritt vorwärts ahnen. Am folgenden Tage wurde der Gegner auf dem Höhenkamm südwestlich Fort Douaumont, im Chapitrewalde und auf dem Fuminrücken aus mehreren Stellungen geworfen und westlich Feste Vaux ein starkes Feldwerk mit Besatzung und Armierung genommen . Mit der Feste Vaux und Umgebung war ein neuer mächtiger Felsblock aus der fran-
Die Offensive in Verduns Vorfeld , ihre Begleit- u . Folgeerscheinungen .
69
Die Gewinnung des Gezösischen Mauer herausgeschlagen. ländes zwischen Dorf und Feste Vaux, die Ausbreitung im Chapitreund Fuminwald,
wie auf den gleichnamigen Rücken,
erweiterten die
Lücke, die die deutsche Führung zwischen der ersten und zweiten französischen Verteidigungslinie gerissen hatte. Westlich der Maas Die französische gleicht die deutsche Kampflinie einer Geraden . Führung sieht sich in drangvoller Enge auf die Linie ChattancourtEsnes -Avocourt zurückgeworfen und diese liegt unter dem pressenden Druck deutschen Artilleriefeuers. Noch sind die Befestigungen links der Maas mit deutscher Infanterie nicht in Berührung gekommen, ihre Bedeutung aber ist durch das stark beschnittene Vorfeld mächtig Die deutsche Führung befristet die feindliche herabgemindert . Bewegungsfreiheit westlich des Flusses, alle französischen Versuche sie auszudehnen , sind bis jetzt gescheitert. In Paris aber beginnt die Tragweite des gewaltigen Rechenfehlers Joffreder unter ungeheuren , ein hohes Vielfache der des tagen, zu Castelnau Angreifers darstellenden Opfern, unter Verlusten , die von der frannach
und nach
zösischen Presse auf täglich 5000 angegeben werden, den Platz Verdun halten wollte . los
Allerdings war dieser strategisch und politisch zweifelals das unentbehrliche Ausfalltor, falls
von hoher Bedeutung,
man noch an eine große Offensive dachte, wenn auch sein Aufgeben an sich den Krieg noch nicht zu beendigen brauchte, der der Armee die Fähigkeit zu einer wuchtigen Offensive unterband und, wie selbst die neutrale ,,Tyd “
zugibt,
doch nicht vermochte,
letzten Wochen mit beängstigender
Regelmäßigkeit
den auch in den fortschreitenden
und an Schnelligkelt zunehmenden Abbröckelungsprozeß zum Stillstand zu bringen. Die Bilanz von Bluteinsatz und Bodenbehauptung bei unseren französischen Gegnern im Raume von Grausen. Verdun ist schon heute Am Jahrestag von Prezmysl, dem 3. Juni, war die große russische Offensive im Südwesten , die durch von der Regierung nicht gehinderte Ankündigungen der Presse, wie durch zahlreiche andere Anzeichen ihren Schatten weit vorausgeworfen hatte, auf 350 km Frontbreite im Raume
zur Tat geworden, am 4.
zwischen Bojan
am Pruth und
dem Styrknie im vollen Gange, und der 5. steigerte Hitzegrad und Wucht der Kämpfe , die vom Generalstabe unserer Verbündeten Schlachten genannt wurden , um Umfang und Größe des Aufgebotes der Gegner hervorzuheben. Die noch währende russische Offensive bedingt nach Umfang und Wucht der sicher 1/2 Millionen zählenden Brusilow-Armee, sowie den Zielen , die sie bei anfangs zweifellosen Erfolgen auf dem Flügel doch bis heute noch nicht erreicht hat und nicht erreichen wird
eine Sonderbeleuchtung , die ihr werden soll,
70
Friedenswunsch eines Franzosen .
sobald genügendes amtlich beglaubigtes Material zur Verfügung steht . Die russische Presse hat als Ziel der Offensive bei ihrem Beginn die Entlastung der Franzosen und Italiener bezeichnet, womit sie deutlich als Folgeerscheinung unseres Einbruches in den Raum von Verdun . und des Vorbrechens unserer Verbündeten aus Südtirol gestempelt wurde . Dann aber kam das konzentrische Vorgehen auf Lemberg mit exzentrisch
operierenden
Gruppen
auf Kowel und
Czernowitz
(Nebenaufgabe Erzwingung des Anschlusses Rumäniens ) als Ziel genannt . Schon in den ersten beiden Tagen ist die Absicht , die Flügel unserer Verbündeten zu durchstoßen, klar zu Tage getreten. Wohl hat Brusilow mit erdrückender Übermacht Armee
die Flügel der
unserer Verbündeten zunächst eingebeult, in der Mitte halten
aber mit eiserner Zähigkeit und Erfolg Graf Bothmer und Böhm - Ermolli und hat ersterer den von Buczacz nordwestlich vorstoßenden Russen schon eine schwere Niederlage beigebracht. nirgendwo die Rede.
Von Durchbruch war
VI . Friedenswunsch eines Franzosen .
( Schluß.) Der Wunsch eines baldigen Friedenschlusses und der Rat, den jetzt noch günstig erscheinenden Zeitpunkt hierzu nicht zu versäumen , wird in dem letzten - mit „Morgen " bezeichneten Abschnitt der
kleinen Schrift des weiteren begründet. Im Vordergrund stehen die beiden Fragen : „ Kann eine Fortdauer des Krieges
für Frankreich Nutzen
oder Schaden bringen ?
Welche
Folgen würde ein glücklicher Ausgang, welche ein unglücklicher Ausgang für die Ententemächte und im besonderen für Frankreich haben ? " Nach Ansicht des Verfassers würde den kürzeren ziehen .
dieses in jedem Falle
,,Ein unglücklicher Ausgang , schreibt der Verfasser,,,wird sich in sehr verschiedener Weise für uns und unsere Verbündeten geltend machen : Rußland , das über enorme Hilfsmittel aller Art verfügt, würde zufolge
der Ausdehnung seines Gebietes und der Menge seiner Be-
völkerung beinahe unempfindlich gegen Niederlagen sein , reich vernichten würden.
Es
die Frank-
könnte außerordentlich große Verluste
Friedenswunsch eines Franzosen . an Land und an Leuten berührt wurde.
erleiden ,
ohne
daß
71
seine Existenz davon
Es würde den anderen europäischen Großmächten an
Gebietsausdehnung und an Bevölkerung noch immer überlegen bleiben" und würde zudem die Möglichkeit haben, Gebietsverluste, die es im Westen erlitten , in anderer Richtung - Osten und Süden - auszugleichen. Auch für
England
würde
eine Endniederlage voraussichtlich
keine ernste Gefährdung seines Bestehens, ja nicht einmal seiner Weltmacht in maritimer und in merkantiler Beziehung bedeuten . ,,Durch seine Kolonien" , sagt der Verfasser,,, durch seine finanziellen und ökonomischen Hilfsquellen und namentlich dadurch, daß es trotz des Krieges alle seine Kräfte geschont , seine finanziellen Reserven sogar erhöht hat, würde es den Kampf viel länger fortsetzen und demEine nach andere Friedensbedingungen stellen können , als wir . Niederlage würde
es weder an Menschenmaterial noch an Geld er-
schöpfen." Wie liegen nun diese Verhältnisse für Frankreich ? Frankreich war von Anfang an die schwächste der drei Ententemächte . Trotzdem hatte es den härtesten Angriff des Feindes zu ertragen und verhältnismäßig
die
Verluste jeder Art
größten Opfer zu
erleiden.
zu
bringen, die empfindlichsten
Es hat
sich jetzt schon in vieler
Hinsicht erschöpft und ein unglücklicher Ausgang des Krieges würde für Frankreich unstreitig eine Existenzfrage bilden. Wie denkt sich aber der Verfasser die Lage nach einem endgültig errungenen Siege der Ententemächte ? Er würde England und Rußland Vorteile aller Art eintragen -Frankreich nicht ! England, würde Frankreich nur die Vorteile zu-
als Leiter des Verbandes, kommen lassen, aus denen
es
oder die ihm überflüssig wären. daß
Frankreich
in
selbst
keinen Nutzen ziehen könnte
In jedem Falle würde es verhindern,
den Friedensbedingungen ein Mittel
fände,
um
seine wirtschaftliche und militärische Macht wiederherzustellen . ,, England würde sich auf diese Weise ", sagt der Verfasser, „, von unserer Konkurrenz befreien , nachdem wir ihm geholfen hätten, die Deutschlands zu vernichten . . ." ,, Der einzige Gewinn , heimsen
könnte,
wäre
die
den Frankreich im günstigsten Falle einRückgewinnung
von
Elsaß-Lothringen .
Würde dies aber genügen, um einen Ausgleich zu schaffen für den voraussichtlichen Verlust unserer Küste längs des ,, Englischen Kanals"? Würde der Gewinn von etwa 14500 qkm mit 1¹/2—2 Mill. Einwohnern einen Ersatz bieten für viele Milliarden Schulden, für mehr als 2 Millionen Tote und Invaliden und für den zerrütteten Wohlstand des ganzen Landes,
der uns weit härter träfe , als andere
72
Friedenswunsch eines Franzosen .
Nationen, weil unsere geringen Geburtsziffern eine Auffrischung unserer dezimierten Bevölkerung, eine Gesundung unseres wirtschaftlichen Zusammenbruchs außerordentlich schwierig wenn nicht unmöglich ,
machten?" Die größte Gefahr erblickt der Verfasser aber für den Fall eines siegreichen Ausganges , in der auf die traditionelle
Stellungnahme Englands .
Politik Englands in den letzten
Ein Blick zweihundert
Jahren läßt kein geschichtliches Ereignis von einiger Bedeutung erdas England nicht zu seinem eigenen Vorteil und unter
kennen,
Verleugnung der Rechte anderer , ausgenutzt hätte . Das Fazit stellt sich doch so : England kann bei einem Sieg gewinnen , weil es sich die wirtschaftliche Übermacht auf dem Weltmarkt gesichert und zum mindesten die europäische Konkurrenz von Freund und Feind vernichtet hat. Rußland kann ebenfalls nur gewinnen. wenn auch nicht im gleichen Maße wie England. Frankreich hingegen hat sich nur von neuem mit Ruhm bedeckt -- der aber nicht ausgleichen kann, was es an Menschenleben, an Volkswohlstand verloren hat! Unter diesen Umständen
drängt sich die Frage auf, ob Frank-
reich richtig gehandelt hat, als es sich mit Rußland und später auch mit England gegen Deutschland verbündete .
Der Verfasser sagt, daß
Frankreich, zunächst in freundschaftlicher Weise an Rußland gebunden , später den ungerechten moralischen Verpflichtungen nachgegeben habe, die ihm von England auferlegt wurden und die allein dessen Interessen dienten .
„ Im Beginn
der Feindseligkeiten wurden
pflichtungen dem Volke unter borgen,
dem
Gedanken
diese Ver-
der Revanche
ver-
der auch die Entschließungen der Regierung vielfach beein-
flußte. Später gesellten sich die Pflichten der Landesverteidigung hinzu die einzigen berechtigten und weisen " . „ Aber nur durch unsere eigene Schuld " , fährt er fort , 99sind wir in diese Lage gekommen , denn wir hätten den Krieg und infolgedessen den feindlichen Einfall vermeiden können, wenn wir Hand in Hand mit Deutschland für Aufrechterhaltung des Friedens gewirkt hätten. " russischen Bündnis
sagt der Verfasser,
Vorteile bieten könne,
daß
Von einem französisches möglicherweise große
weil es zwischen beiden Ländern keine unab-
wendbare, überlieferte und unmittelbare Nebenbuhlerschaft gäbe .
„ Bei
einem Bündnis mit England hingegen , werden wir stets die Betrogenen sein. als
Die Engländer werden nur so lange unsere Verbündeten bleiben, sie sich , bei rein illusorischen Gegenleistungen,
unserer bedienen
können . Jetzt ist der Zeitpunkt , wo wir uns noch zurückziehen können , ohne uns dem Vorwurfe auszusetzen , die englische Freundschaft mißbraucht
zu
haben .
Mit unserm Blut und unserm
73
Friedenswunsch eines Franzosen. Gold, das uns
bis
zu dieser Stunde die Entente cordiale
hat , haben wir sie teuer genug bezahlt . "
gekostet
Die erste Bedingung für
einen solchen vernünftigen Stellungswechsel erblickt der Verfasser aber in der Austilgung des Hasses, Deutschland genährt wird.
der
heute noch in Frankreich gegen
„ Gewiß “ ,
sagt er , „ haben die Deutschen
manches Unrecht gegen uns begangen ,
aber wir müssen anerkennen ,
daß sie oft eine Aussöhnung versucht haben.
Nutzen wir den jetzigen
Augenblick, um unseren törichten Verleumdungen und den unfruchtbaren Eifersüchteleien ein Ende zu machen und um einen freundschaftlichen
Ausgleich
mit Deutschland
zu
suchen.
Hier
fruchtbringende Zukunft, hier liegt das vernünftige Bündnis ,
liegt die das die
Wiederherstellung unseres Wohlstandes sichern kann ! “ Diese Mahnungen
aus dem Munde
eines Franzosen
sind gewiß
sehr erfreulich, aber auch überraschend , wenn man sie mit den Auslassungen der französischen Tagespresse
und
mit den Reden fran-
zösischer Staatsmänner vergleicht. Er hält den Zeitpunkt einer endgültigen Entscheidung auf dem Schlachtfelde noch für sehr weit ausstehend ; in
einer Verlängerung des Kampfes erblickt er aber in
jedem Falle eine große Gefahr für Frankreich .
„ Werden wir besiegt ,
so werden uns die Folgen der Niederlage weit härter treffen , als unsere Verbündeten ; wir würden nahezu vernichtet sein . Wären wir aber Sieger , so würden
wir
nicht weniger
erschöpft sein und wir
hätten außerdem in ganz Mitteleuropa einen Haß gegen uns entflammt, der uns nötigen würde, leben.
in einer fortwährenden Kampfbereitschaft zu
Unser wahres Interesse gebietet
schließen,
uns demnach,
ehe das Äußerste eingetreten ist.
die Möglichkeit zu
kämpfen
und
Gegnern die Hand
reichen,
ohne uns zu entwürdigen .
die
Ehre noch gerettet .
Ein
deshalb
schneller,
Frieden
zu
Heute haben wir noch
können wir jetzt unseren
selbständiger,
Jetzt wäre aufrichtiger
Friedensschluß ist die Pflicht unserer Regierung . Sie muß aber gleichzeitig für eine Richtigstellung der in unserem Volke verbreiteten Verleumdungen
unserer Gegner sorgen .
Dies ist
die erste Bedingung,
um über die Grundlagen eines Friedensschlusses verhandeln zu können . Ebenso laut wie man die Verleumdung unserer Feinde verbreitet hat, muß man sie jetzt verwerfen ; wollte man bei ihnen verharren , so würde dies eine unerschöpfliche Quelle für gegenseitige Verdächtigungen, mißverstandene Drohungen und innerliche Erbitterung bilden . Nachdem man in schändlicher Weise den Samen des Hasses in die Herzen meiner vertrauensseligen Landsleute gestreut hat, muß man sie lehren, unsere Gegner von Heute zu achten , damit sie ohne Hintergedanken die treuen Freunde von Morgen werden können. " ,,Man muß zugeben , daß Serbien sich schuldig machte ,
die auf-
74
Friedenswunsch eines Franzosen.
ständischen Bewegungen in Österreich-Ungarn im geheimen zu unterstützen und daß diese Machenschaften Gegenmaßregeln und nach dem Attentat von Serajevo muß
zugeben,
eine strenge Bestrafung rechtfertigten .
Man
daß Rußland im geheimen Serbien gegen Österreich
aufstachelte . . ., während Deutschlands Weigerung, seinen Verbündeten zu einem Verzicht auf seine berechtigten Forderungen zu veranlassen , durchaus ehrenhaft war. Man muß anerkennen, daß England schon seit mehreren Jahren ein auf Haß gegründetes Bündnis gegen Deutschland vorbereitete und daß es das größte Interesse daran hatte, das deutsche Volk, dessen ökonomischen und maritimen Wettbewerb es fürchtete,
zu vernichten.
Auf dieses Interesse rechneten wir, um
die Unterstützung Englands zu gewinnen und dieser Beweggrund war es, der uns einen Krieg nicht vermeiden ließ, den wir wollten . Weiter muß man eingestehen , nachgebend,
daß wir uns, den Einflüssen Englands
unseren Feinden gegenüber
der
feigen Waffe der Vor-
leumdung bedient haben , um unserem Volk kriegerische Begeisterung einzuflößen und daß wir sie durch mancherlei verwerfliche Mittel : Beraubung, Verfolgung, Unterdrückung, bekämpfen, Mittel, die gegen die edlen Traditionen Frankreichs streiten und seinem kriegerischen Ruhme schaden. Endlich müssen wir den Mut haben, zu gestehen, daß wir all die Vorwürfe, mit denen wir unsere Gegner brandmarken,
früher
oder jetzt selbst verdient haben." ,,Daß solch ein umfassendes Anerkenntnis nicht leicht fallen würde , versteht sich von selbst, und nicht nur die Überraschung würde in Frankreich
groß sein,
die Gutgläubigkeit
sondern auch der Zorn darüber,
der Patrioten
in
solcher Weise
daß man
mißbraucht hat.
Frankreichs Ehre fordert aber Ehrlichkeit , wie sein Interesse den Frieden fordert. Pflicht der Regierung ist es, diesen beiden Forderungen nachzukommen!" Wir haben geglaubt , daß diese Äußerungen eines Franzosen gerade im jetzigen Moment wichtig und wertvoll genug sind, um sie mehrfach wörtlich wiederzugeben. Ob er bis jetzt viele Gesinnungsgenossen unter seinen Landsleuten findet, läßt sich schwer beurteilen . Aber auch für die Neutralen müssen solche Ansichten , Wünsche und Ratschläge von großem Interesse freuen,
wenn
sein und wir würden uns besonders
Mr. Joseph Bertourieux in der französischen Schweiz ,
wo er seine Schrift erscheinen ließ, noch finden würde!
viele Leser gefunden hätte und Frhr. v. Welck.
Literatur zur Wehrerziehung.
75 73
VII. Literatur zur Wehrerziehung. Von Prof. Brossmer, Oberleutnant der Res. Inf. -Reg. 169.
Es ist kein Zufall, daß Offiziere, die lange in unseren Kolonien gelebt und gekämpft haben,
eine Jugendschulung im Gelände mit planvoller Übung aller Sinne lebhaft befürworten. So ist der Schöpfer und Vorsitzende des deutschen Pfadfinderbundes, Major Maximilian
Bayer, einer der ersten gewesen , die im Rahmen des Pfadfinderlebens die Geländeausbildung im kleinen , die Selbständigkeit und Findigkeit des Einzelnen gegenüber den natürlichen Erscheinungen der Umgebung forderte. Ein anderer, durch sein Buch „ Südwest, wie's lacht und weint " sehr bekannter Südwestafrikaner, Major Philipp Kuhn , hat einen speziell auch für Offiziere und Unteroffiziere bestimmten Ratgeber für die militärische Jugenderziehung herausgegeben ( 1,80 M. , Selbstverlag durch Druckerei Neumeister, Bayreuth). Daß in diesem verlangt wird, geht aus dem Leitsatze hervor: Stähle den Körper, mache und erhalte ihn gelenkig ! Alle Übungen, die darauf hinzielen, sollen bei der militärischen Jugenderziehung an Buche kein Drill
erste Stelle treten . Im Gegensatz zu den kriegsministeriellen Richtlinien tritt Major Kuhn für die Aufnahme der Feuerleitung in den Übungsstoff ein, verlangt den Gebrauch eines Gewehrmodelles , mit dem
in der Schützenlinie
werden könnte.
Der
alles
außer
Laden und Schießen geübt
ganze Stoff ist in 24 Wochenprogramme ein-
geteilt , durch vorzügliche Handzeichnungen erläutert , geschickt und ausführlich entwickelt, so daß aus diesem Werkchen die Art , wie man in der Praxis Abwechselung mit gründlicher Einzelausbildung vereinigen kann , unmittelbar zu entnehmen ist. Nicht nur Stoffdarstellung , sondern Stoffeinteilung und die Lehrmethode machen die Schrift wertvoll , besonders im Geländedienst, wo dem Lehrer in vorbildlicher Klarheit direkt anzuwendende Lehrstunden erteilt werden . In ähnlicher Weise hat der österreichische Generalmajor Englert schon drei Jahre vor dem Kriege eine Anleitung zu Turn- und Geländespielen geschrieben ( Seidel, Wien). Es muß hier ausdrücklich darauf hingewiesen werden , daß in dieser Arbeit mit Weitblick der Grundgedanke einer praktischen Wehrerziehung unter Betonung allgemeiner Körperkräftigung schon so gefaßt wurde , wie es heute die vom
Literatur zur Wehrerziehung .
76
deutschen Kriegsministerium herausgegebenen Vorschriften „ Erläuterungen und Ergänzungen “ und ,, Anleitung für das Stabfechten" verlangen , also eine eingehende Pflege des reinen und des angewandten Turnens, ein Wecken des jugendlichen Ehrgeizes im Geländespiel oder im turnerischen Wettkampf, und die Erziehung des selbständigen Gebrauchs
aller Sinne in Wald und Flur.
Die Broschüre gibt dem
Jugendführer Anweisungen zur Durchführung belehrender Wanderungen unter stetiger Beachtung feldmäßiger Forderungen.
Sie enthält aus-
führliche Darlegungen über Stabfechten , Wurfübungen und gibt unter militärischem Einschlag, aber in freier, glücklich
angepaßter Form
ziehungsrichtung.
dem jugendlichen Geschmack
Geländespiele
in mehr
persönlicher Er-
Noch viel zu wenig bekannt sind die Schriften des
Major Corsep : Die Erziehung unseres Armeenachwuchses ( 60 Pf. ) mit dem Übungsplan für 25 Tage (30 Pf.), O. Kühne, Erfurt. worte
des Umschlags :
Müssen !
Können !
Wollen !
legen
Die Leitdie
Über-
zeugung des Verfassers nahe, daß der Heeresersatz nicht nur körperlich , sondern auch geistig und moralisch vorbereitet werden muß. Die Ausführungen Corseps fassen
das Problem tiefer auf,
als es in
Äußerungen mit gleicher Zweckrichtung sonst üblich ist : sie bringen den kleinen Teil des vorbereitenden Militärdienstes in den natürlichen Zusammenhang mit den erziehlichen Bestrebungen anderer aufbauender Faktoren , wie Familie, einmal klar Lehrers,
vor
Schule und Jugendpflege .
ausgesprochen,
wie
nahe
verwandt
allen Dingen des Volksschullehrers
Hier wird wieder die
Tätigkeit des
und die
des seine
Pflichten richtig auffassenden , gebildeten Ausbildungsoffiziers ist.
In
diesem Sinne muß in der Heranbildung des jungen Offiziers auf den Kadettenanstalten ,
Kriegsschulen und in den Offiziersversammlungen
noch eine große Aufklärungsarbeit geleistet werden , wenn der Corsepsche Geist weitere Kreise erfüllen soll.
Diejenigen Gegner der militärischen
Vorbereitung, die ein Zurückdrängen des moralischen Einflusses durch eine Pflichtjugendwehr
befürchten ,
Corsepsche Werkchen studieren ,
sollen
dann
einmal recht genau das
werden
sie sehen, daß nicht
im „ Kommiß " , sondern in einer harmonischen Persönlichkeitserziehung der Richtungsstern
dieser Fahrt
zu sehen ist.
Der allgemeine Bil-
dungswert dieser anerkannten Corsepschen Lehrmethode zeigt sich in dem Hinweis des Verfassers , daß die meisten angeführten Übungen von jedem Manne, der überhaupt etwas von einem „ Erzieher" in sich spürt , geleitet werden können , oder nicht .
ganz gleich,
ob er selbst Soldat war
Neben diesen Erscheinungen aus den Händen von Berufsoffizieren sollen auch Arbeiten Erwähnung finden , die aus dem langen ,
mühe-
vollen Tun goldener Praxis auf dem Gebiete der Jugendpflege heraus-
Literatur zur Wehrerziehung.
77
gewachsen sind.
Bei Mittler & Sohn , Berlin , hat Leutnant a. D. M. Fischer eine Sammlung von „ Jugendübungen im Gelände " drucken lassen ( 1,50 M. ), die 25 durch Skizzen erläuterte Gefechtsaufgaben umfaßt.
Die Anforderungen sind klein und die Ausführung überall
möglich,
wo es Wald und Höhen gibt.
Begrüssenswert sind solche Hilfsmittel, denn die Ausbildung der Jungmannen muß sich an vielen Orten von dem rein exerziermäßigen Moment befreien, um den Geländedienst und das angewandte Turnen im freien Felde eingehender zu pflegen. In demselben Spielraum bewegt sich das Werk von Albert Huth „Vom Kriegsspiel der Jugend " (Leipzig, Wunderlich ) , das eine Anweisung auf pädagogisch -psychologischer Grundlage darstellt. Huth denkt sich die Ausbildung des Schülers im Kriegsspiel mit
vielseitig
wechselnder Unterlage durch
den Lehrer selbst,
der
allerdings auf diesem Wege Herz, Gemüt und Körperverfassung seiner Schutzbefohlenen vortrefflich kennen lernen wird . Überraschend ist die Mannigfaltigkeit des Buches, die dem von der Jugend gezeigten Hang nach froher Abwechselung sinnreich entgegenkommt. Der pädagogische Kern ist in das ,, erziehliche Kriegsspiel " gelegt , das im Rahmen der Schulklasse,
wir möchten sagen , einen Teil eines freien und weiter aufgefaßten Lehrplanes bedeuten soll. Wenn auf der einen Seite die grundsätzlichen Äußerungen erfahrungsreicher Offiziere den Jugendführern
manche Anregung geben
können , findet er zum andern ein teilweises Urteil über den Umfang seiner eigenen Arbeit bei einem Vergleich mit dem veröffentlichten Bildermaterial aus diesem Bereich. Allerdings haben alle Abbildungen von Massenaufgeboten und Paraden der Jungmannen das Entstehen einer tieferen Sympathie für die militärische Jugendvorbereitung in weiteren Volksschichten sehr gehemmt und ganz falsche Begriffe von den Zielen unserer Bewegung hervorgerufen. Es gibt aber auch schon eine Reihe von Abbildungen aus der herben Kleinarbeit , die dem Beschauer mehr als jeder formvollendete Aufsatz klar machen ,
was
gemacht und was erreicht werden soll. In diesem Zusammenhang sei auf die Schrift des Oberstadtsekretärs Gebhardt in Düsseldorf ,,Ein Jahr militärischer Vorbereitung zum Heeresdienst " empfehlend hingewiesen, da sie neben einigen Bildern alter Richtung eine Menge von guten Darstellungen über den Brückenbau und den Schützengrabendienst enthält. dem im
Februar
Von vielem Interesse sind die Aufnahmen von Düsseldorf durchgeführten Hindenburg-
1915 in
Armee-Gepäckmarsch und des durch
das
Düsseldorfer
Freiwilligen-
regiment in Schleswig organisierten Kriegserntedienstes, weil sie gleichsam in zwei Aufzügen die körperliche Zucht und kameradschaftliche Hilfsbereitschaft als Grundpfeiler einer Persönlichkeitserziehung zeigen.
78
Literatur zur Wehrerziehung.
Als weiteres Hilfsbuch für den praktischen Dienst hat Gebhardt ein Heftchen für Behelfsarbeiten zusammengestellt , das durch 71 Zeichnungen in einem ausführlichen Text vielseitige Möglichkeiten technischer Beschäftigungszweige vor Augen führt . Das Bild als Lehrmittel hat wohl seine vollendetste Form in dem Leitfaden des Sportlehrers Dörr erhalten, der den gegebenen Stoff aus dem praktischen Lehrbetrieb einer
deutschen
Armeeabteilung
entnommen hat.
Der
,, Kriegs-Nahkampf", Lehrtafeln nach sportlichen Grundsätzen (Grethlein , Leipzig, 1,20 M. ) und Handgranatenwerfen, Bildertafeln zur Hebung der Wurftechnik (30 Pf . ) ,
kann man am besten kennzeichnen durch
die Worte : Aus der Praxis, für die Praxis. kompagnien Dörrsche Übungen
Wenn Führer von Jugend-
mit den jungen Leuten ausführen,
werden sie ganz im Sinne kriegsministerieller Wünsche handeln und zugleich neue Freude und hineinbringen.
Eine
granaten" stammt
frisches Leben in die gemeinsame Arbeit
andere ,, Anleitung zu Wurfübungen mit Hand-
von Major d . L. Moroff.
Sie berücksichtigt
An-
weisungen für die Wurfübungen mit Stiel, Kugel und Diskusgranaten und weist überall auf erprobte Bezugsquellen des Materials hin . Das Schriftchen selbst ist in jeder benötigten Menge vom Nordbayerischen Landesverband für kostenlos erhältlich .
Leichtathletik,
Nürnberg,
Spittlertorgraben
1,
An der Seite deutscher Offiziere Turner ein
und Jugendpädagogen hat der verbrieftes Recht über die großen Ausbildungsfragen der
heranwachsenden Geschlechter sich auszusprechen. Leipzig,
ist schon
1909
eine heute
sehr
Im Verlag Teubner,
zeitgemäße
Abhandlung
herausgekommen :
,, Übungen, Spiele , Wettkämpfe". Die Verfasser, der Herausgeber der Monatsschrift für das Turnwesen , und Hauptmann a . D. M. von Ziegler erstreben neben einer Erhöhung H. Schroer,
der Nähr- und Wehrkraft, eine Steigerung des Sehvermögens. (Preis Welcher Geist durch die Zeilen weht, geht aus der Zueignung 1 M. ) . an den unvergesslichen Wohltäter des deutschen Volkes, Emil von Schenkendorff, hervor. Das Buch ist für die Jugend der werktätigen Bevölkerung bestimmt, eingedenk des großen und erfolgreichsten Förderers des Volks- und Jugendspiels und deutscher Leibeserziehung überhaupt . Es soll der gesellschaftlichen Abschließung und Zerklüftung im Volke steuern und edlen Volksgeist, echte Kameradschaftlichkeit in der Jugend fördern . Ein wahres Wort für das Jahr 1909 ! Möge dieser Schaden durch den Krieg überwunden sein ! Beide Männer haben die Genugtuung,
die Worte und den Kern ihrer Ein-
leitung heute zu feststehenden , zu sehen.
amtlich geforderten Normen erhoben
So liegt von den Besten der Nation
verarbeitet, das Material
79
Zur Festungsfrage .
und der Pfad zur Stählung deutscher Jugend und zur Erzielung deutscher Manneskraft vor. Nun fehlt noch die geschlossene Jugendmasse, auf die , jedwede andere Rücksicht beiseite lassend, an erster Stelle die Wehrerziehung auf ethischem und leiblichem Gebiete angewendet werden kann . Das soll die neue Erkenntnis unserer ernsten Zeit bringen , daß in Zukunft zuerst die Bedürfnisse des Vaterlandes erfüllt werden müssen. Ganz gleichgültig, ob Arbeiter oder Akademiker katholisch oder evangelisch , Volksmann oder Beamter, zuerst und über alles : Deutsch!
VIII .
Zur Festungsfrage. Von Woelki, Oberst z. D.
Wiewohl der Krieg noch im vollen Gange ist und es in jeder erscheint, Folgerungen von all-
Beziehung verfrüht und bedenklich
gemeiner oder grundsätzlicher Art daraus herzuleiten , so werden nichtsdestoweniger immer wieder Stimmen laut, die mehr oder weniger „ die Festung" , im überkommenen Begriff,
als nicht mehr zeitgemäß ,
als nicht mehr vorteilhaft verwendbar, noch als überhaupt noch herstellbar, geschweige als unumgänglich gelten lassen wollen. So schreibt letzthin Oberst Immanuel im 3. und 4. Heft der Kriegstechnischen Zeitschrift 1916: ,,Eine
Tatsache
darf
jetzt schon
als
erwiesen
hingestellt
werden, daß das starre System der Festung im bisherigen Sinne einem Angreifer nicht gewachsen sein wird, der mit der Anwendung stärkster artilleristischer Mittel und einer vollkommenen Technik den Einsatz tadellos arbeitender lebendiger Kräfte vereinigt. . . .
Wenn auch ein abschließendes Urteil vor Beendigung
des Krieges nicht gegeben werden kann , so darf doch jetzt schon gesagt werden ( ? ), daß die Festung sich dem Wandel der Technik fügt und keine Stellung für sich einnimmt, sondern lediglich im Rahmen der großen Kriegführung ihre Rolle zu finden hat." im Mil . Woch.-Bl. 92/93
1916
schließt
Und
er einen Aufsatz damit ,
,,daß die Festung ihren Wert unter den heutigen Verhältnissen
age
Zur Festungsfr
80
.
nur dann bewahrt hat , wenn sie sich in die allgemeine Kampffront einfügt und nicht ein Kampfmittel an sich ist, sondern ein Glied der strategischen Verhältnisse .
Die Festung bleibt die Stütze
von Feldbefestigungen , die festungsartig ausgebaut sind. Sie ist somit nicht mehr Selbstzweck ( ?), sondern nur noch Mittel zum Zweck." Und dazu die vielfachen Schlußurteile der Kriegsberichterstatter und Autoritäten über unsere Erfolge
aus dem Stellungskriege in Ost
und West, die immer wieder ,, ohne dem endgültigen Urteil vorzugreifen", die Grundlage hierfür schon als feststehend hinstellen. Der Stellungskrieg herrscht bewußt, Herzen und Sinne.
eben vor und beeinflußt,
auch un-
Als ob es ohne ihn gar nicht mehr ginge!
Und alles sich ihm anpassen müßte !
Und wie jetzt, so auch fürder-
hin !
Zumal die Festungen ! Die sind, wenn überhaupt, nur noch als ,, Stütze der Feldbefestigungen" denkbar ! ( ?). Ist dies doch so überzeugend durch die jüngsten Kriegsereignisse belegt und bewiesen ! ( ?) Und in der Tat haben ja die Festungen am Anfang des Krieges. und bis zum Anfang dieses Jahres , nicht den allgemeinen Erwartungen , noch zumeist den ihnen zufallenden Aufgaben,
entsprochen ;
manche
haben geradezu versagt ; vordem als ,,unüberwindlich" angesehene wie Antwerpen, sind in überraschend kurzer Zeit gefallen , das ganze Verteidigungssystem der russischen Westfront ist ruhmlos zusammengebrochen, ja selbst namhafte Festungen der französischen Nordfront (Maubeuge) wurden, Beute
am Anfang
des Krieges,
eines mäßigen Artillerieangriffs .
eine
Das waren,
ziemlich leichte für uns,
gewiß
sehr erfreuliche Erfolge , die zu verkleinern und zu bekritteln,
zumal
jetzt schon im Kriege, vom Übel wäre ; aber kaum weniger angebracht ist denn doch eine eilfertig wahl- und kritiklose Folgerung von allgemeinen Grundsätzen aus recht eigentümlich- bedingten Vorgängen, wie
sie hier in Betracht kommen.
Dazu gehörten vor allem wohl
erst eine kühl-nüchterne, eingehend-umfassende Prüfung und Feststellung aller zugehörigen Umstände und Verhältnisse, wie sie eben vorläufig
durch die ernstesten Rücksichten ausgeschlossen und auch
sobald nicht durchführbar,
sind.
daran erinnert werden , daß
das Ergebnis aller in Frage kommenden
Es
mag in dieser Beziehung nur
Erfolge bzw. Verluste doch zweifellos ein ganz anderes wäre, wenn wir Deutsche nicht die Angreifer, sondern die Verteidiger gewesen wären !
Zu einer gerechten Würdigung eines Kriegsmittels , wie es die
Festungen doch sind , gehört aber auch solche Annahme. Wenn freilich mit dem oben angeführten Ausdruck „ starre System
der Festung im bisherigen Sinne " die vor nicht allzu langer Zeit noch stellenweise vorherrschende schematische Einteilung, Herstellung, Aus-
Zur Festungsfrage .
81
rüstung, Einteilung und Bewertung der Festungen gemeint ist (die auch nur einen oder mehrere bestimmte und durchaus bedingte Angriffe in Betracht zog) , und die damit als Überbleibsel der ehemaligen methodischen Kriegführung in die Gegenwart,
die Zeit der Technik
und Massenhaftigkeit , der Energien und Evolutionen, der Individualisierung, Spezialisierung und Belebung, der äußersten Anspannungen und höchsten Leistungen usw. , nicht mehr hineingehört, so kann ihm wohl rückhaltlos beigestimmt werden. Unbestritten ist
und bleibt aber auch die Festung, in welcher
Art und Form sie auch auftritt,
sich vorfindet oder erst noch her-
gestellt werden wird, ein Kriegs- (oder auch Kampf)mittel. Dies aber auch unbeschränkt, abhängig nur von den Umständen wie deren AusAlso zunächst von und in der Hand der Führung „ ein Glied der strategischen Verhältnisse" zum jedesmalig zweckmäßigsten Ob sie aber als solches Mittel nur im Rahmen eines Gebrauch .
nutzung.
Stellungskrieges oder nur als ,, Stütze von Feldbefestigungen“ künftig Verwendung finden wird , bleibt noch ebensowenig gewiß, wie daß mit dem Stellungskriege als mit einem Nonplusultra der Kriegskunst oder auch nur mit einem unvermeidlichen Übel fortan zu rechnen Zum mindesten muß das denn doch noch dahingestellt bleiben . Daß man aber nicht ohne Festungen oder ihnen entsprechende
wäre.
Mittel, mag man sie Vesten , Stützpunkte oder sonstwie nennen , auskommen kann, das steht denn doch schon fest. Ohne solche ist eine Vorbereitung und Sicherung der Landesverteidigung eben nicht denkbar . Und die Zeit und das System der Stadt Sparta ist vorbei, sie steht mit der Zeit der Technik usw. geradezu im Widerspruch . Mag man sich auch die demnächstigen Grenzen in Ost und West denken, wo man will, wie sollte
man sie anders sichern,
als eben durch solche
von vorneherein feste und sichere Stützpunkte oder Festungen ! Wenn sie aber einmal da sind, und man denn doch wohl nicht immer und überall in den Stellungskrieg geraten wird, so wird es auch besten Willen nicht zu vermeiden sein, daß sie auch einzeln Ja , sie werden auch so gehalten und verteidigt werden. mancherlei Zwecke erfüllen können und von unersetzlichem Wert
beim festnoch sein!
Ob man ihnen dazu oder deshalb einen ,, Selbstzweck" beilegen , oder auch sie als ,, Kampfmittel an sich" ansehen möchte, wird an der Sache, dem Mittel und seiner Verwendung kaum etwas ändern.
Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 539.
6
82
Das türkische Kriegspferd.
IX .
Das türkische Kriegspferd . Von M. Reuter, Bezirkstierarzt a . D.
Über
die
türkische Pferdezucht
herrschen
in den Kreisen der
deutschen, wie auch der ausländischen Pferdekenner vielfach falsche Ansichten. So wird oftmals behauptet, daß im Osmanischen Reiche nur eine Pferderasse bestehe. Mit der Bezeichnung des türkischen Pferdes als klein , unansehnlich , aber ausdauernd , glaubt man in der Hauptsache dessen Beurteilung gerecht geworden zu sein . In der " Berliner Tierärztlichen Wochenschrift " Nr. 43
vom
Jahre 1915 tritt Ihssan Abbidin , Professor an der Militär-TierarzneiHochschule Konstantinopel, in einer Abhandlung über „ Die Pferderassen und die Pferdezucht im Osmanischen Reiche " diesen Anschauungen entgegen.
Wir
entnehmen derselben unter anderem das
Nachfolgende : Es ist bekannt, daß die Türken , wie auch die Araber, immer ein Reitervolk waren, Türkische Reiterscharen durchzogen einst nicht nur Klein -Asien, sondern auch Zentral-Europa. Die geographische Lage des Landes und die Beschaffenheit des Bodens veranlaßten den Türken , den Boden zu bebauen und Pferde zu ziehen.
In den ältesten Zeiten lag die Pferdezucht ausschließlich
in der Hand des Adels (Pascha, Bey, Aga).
Nur Hengste dienten
dem türkischen Reiter als Schlachtpferde . Die Spahis , jene edlen türkischen Reiter, mußten sich ihre Pferde selbst anschaffen , wie noch heute die Hamidiéhregimenter ihre Remonten besorgen müssen. Während und nach den Kriegen
gegen die Russen aber waren die
Privatzüchter wirtschaftlich ruiniert , die tatsächliche Zahl der Pferde war stark zusammengeschmolzen, und die Art des Züchtens unterzog sich wichtigen Veränderungen.
Angesichts
wandlungen beschloß die Regierung,
dieser gefährlichen
Um-
nationale Hauptgestüte und
Hengstdepots im Interesse der Pferdezucht und der Heereslieferung anzulegen. Die ersten Hauptgestüte wurden im Jahre 1829 gegründet. Verwaltung
wollte
die
Veredelung
der
Rasse ,
die
Die
Zunahme
der
Widerristhöhe und die Vervollkommnung der Formen anstreben .
Die
Auswahl sollte zu diesem Ziele führen .
Aber um möglichst schnelle
Erfolge
Zuflucht
zu
erzielen ,
nahm
man seine
zur
Kreuzung.
Das türkische Kriegspferd . Während des
ganzen Zeitraumes
von 1829
83
bis 1908 war die Ver-
waltung der Hauptgestüte nicht fähig gewesen, das Schicksal der Pferdezucht vom Untergang zu retten. —— Offenbar eine zu pessimistische Indes hat sich, wie die ErAnschauung des türkischen Fachmannes. Zu dieser Epoche waren folge zeigen, die Zucht bald wieder erholt . der Verwaltung weder Lehren noch Traditionen vorhanden, und ersten Periode des Herumprobierens wurden Deckhengste dieser in Arabisches Vollblut, englisches Vollblut , verwendet. Rassen aller in
Anglo-Normannen, Ungarn , alle waren vertreten .
Hierdurch ist es den Hauptgestüten natürlich nicht gelungen, weder eine Rasse zu ziehen, noch die bestehenden zu veredeln . Im Jahre 1908 ,
als der Türkei
die Verfassung gegeben wurde .
wollte
man die Hauptgestüte unterdrücken, indem man die Unterhaltung derselben durch den Staat verweigerte . Im Jahre 1909 endlich wurden die Hauptgestüte gänzlich aufgehoben, ein schwerer Schlag für die Entwickelung der türkischen Pferderassen . Es hatten vier Hauptgestüte bestanden : Tschilfteler, Tschiflique, Tschoukour-Ova Sultan- Souyi (Malatia) und Vezirié. Das erste war für die Zucht der klein-asiatischen Rasse, das zweite für die TschoukourOva- Rasse. In Sultan- Souyou war keine besondere Rasse vorhanden, dagegen wurden in Vezirié nur edle Araber gezüchtet. Die Organisation und die Einrichtungen waren sehr gut, der Beamtenstab setzte sich aus Militärpersonen zusammen. Schöne und geräumige Bauten, ungeheuere Ländereien gehörten den Hauptgestüten . Der Organisation in der Verwaltung fehlte nur der Gedanke des langsamen , aber sicheren Vorgehens .
Außer den erwähnten Hauptgestüten ist noch dasjenige von Kiagid Hané zu nennen , das der Krone gehörte . Nachdem
sich
das Land
nach
der Revolution im Jahre 1908
etwas beruhigt hatte, machte sich der Mangel an staatlichen Hauptgestüten sehr bemerkbar. deren Wiedererrichtung,
Der Kriegsminister wollte sobald als möglich der Ackerbauminister begnügte sich dagegen
mit der Schaffung von Hengst depots ,
etwa 86
den verschiedensten Teilen
Der Kriegsminister suchte
des Reiches .
mit dem Ackerbauministerium
an der Zahl , in
zu einer Verständigung in bezug auf
Hebung der Pferdezucht für militärische Zwecke zu gelangen.
Viele
Projekte, die die Einrichtungen der österreichisch-ungarischen Hauptgestüte nachahmten, kamen zustande . Kommissionen wurden eingesetzt,
die
Zuchtfragen
erörtert und
schießlich war das Ergebnis,
daß das Ackerbauministerium alle Vorschläge abwies und sich auf die Gründung von Hengstdepots beschränkte. Infolgedessen traf der damalige
Kriegsminister Mahmud Chefket Pascha
die Einrichtung der 6*
84
Das türkische Kriegspferd.
lokalen Remonte . worden.
Dieses System war bis dahin nicht angewandt
Bis
zur Zeit Sultan Mahmuds verschafften sich die Spahis ihre
Pferde aus eigenen Mitteln .
Später war es der Staat,
der die Re-
montelasten übernahm , die nötigen Geldmittel an die Regimenter überwies, die nun auf den Pferdemärkten selbst ihre Pferde einkauften. Dieser Zustand herrschte bis zur Zeit Sultan Abdul-Hamids Unter seiner Regierung wurde zum erstenmal das System der permanenten Remonte eingeführt . Derselben wurde eine Grundlage geschaffen in einem Erlaß von Mahmud Chefket Pascha vom Jahre 1912 , in dem die allgemeinen Bestimmungen des Remontedienstes für die Armee festgesetzt waren .
Nach dieser Verfügung schuf man eine Remonte-
generalinspektion beim Kriegsministerium, Einkaufsausschuß ,
einen
einen permanenten
provisorischen Einkaufsausschuß .
Remontedepots und Fohlendepots . Die Beamten der Remonteinspektion waren (General oder Oberst) und ein Adjutant (Hauptmann).
ein Inspektor
Die Einkaufskommissionen hatten einen Vorsitzenden (Major ) und Mitglieder, zu denen ein Hauptmann und Veterinäroffiziere mit Hauptmannsrang gehörten. Die permanenten Einkaufskommissionen waren auf vier
Distrikte der vier Armeeinspektionen verteilt mit Standorten in allen Teilen des Reiches . Die Ottomanische Armee erwarb sich Reit- und Zugpferde folgender Art: Für die Feldartillerie wurden zwei verschiedene Rassen angekauft : Russen und Ungarn. Die schwere Reiterei war mit Ungarn beritten. Anatolier und Araber wurden für die leichte Kavallerie
ver-
wendet. Seit dem Jahre 1910 hat man auf die ungarischen Pferde zugunsten der russischen verzichtet. Die Remontedepots erwiesen sich vielfach als unzulänglich . Die Pferde waren unfähig, den Anforderungen der Armee zu genügen : sie waren unterernährt und nicht eingeritten .
Daher schuf man Fohlen-
depots ,
und zwar für die vier Armeeinspektionen jeweils an den Sitzen der früheren vier Hauptgestüte . Diese Einrichtungen sind dazu
bestimmt,
die
dreijährigen Pferde
dann an die Korps zu verteilen . Vollendung des
zwei Jahre
zu
pflegen und erst
In der Regel werden die Fohlen nach
dritten Jahres im Oktober angekauft,
doch können
auch Vierjährige erworben werden . Die Widerristhöhe für die Pferde, die der Kavallerie angegliedert werden, muß mindestens 1,36 m ein gegenüber dem analogen
85
Das türkische Kriegspferd . niederes Maß -
deutschen Material sehr
darf 400 M. nicht überschreiten .
Die
betragen, und der Preis.
anderen Dienstpferde werden
als Fünfjährige bezogen, können aber bis acht Jahre alt sein . Alle für die Armee bezogenen Pferde werden unter den gesetzlichen Bestimmungen über ansteckende Krankheiten und andere Gebrechen (rechtlich erhebliche Fehler), die den Wert der Tiere herabsetzen oder aufheben
und die Verwendung
Armee ausschließen,
gekauft.
6000-8000 Pferde
aller Kategorien .
für den Dienst in der
Die Heeresverwaltung bezieht jährlich waren
zwei
Millionen Mark zum Ankauf inländischer Pferde bewilligt worden .
Die
Militärverwaltung versuchte
Im Jahre 1911
unausgesetzt, die aufgehobenen Haupt-
gestüte wieder ins Leben zu rufen ; viel ist darüber diskutiert worden. Im Jahre 1912
wurde
in der Deputiertenkammer das Gesetz über
die Verwaltung der Vilajets angenommen .
Danach mußten die Vilajets
auch ihre eigene Hengstdepots besitzen . solche eingerichtet .
Und
in der Tat
wurden
Von dieser Zeit an bewegte sich die türkische Pferdezucht in Das Ackerbauministerium war gezwungen , die anderen Bahnen . Hengstdepots aufzugeben ; damit ging es der Mittel verlustig, um die Veredelung der Rassen zu befördern.
Nunmehr gewann das Kriegs-
ministerium mehr Einfluß auf die Hebung der Pferdezucht. Enver Pascha gab Veredelung der
Minister
dann auch die Anregung zur Ausdehnung und
Pferdezucht
Boden gefallen sein wird,
und
daß diese
Saat
dafür bürgen die
auf fruchtbaren
vielen Erfolge
seiner
übrigen Bestrebungen in der Reorganisation der türkischen Armee. Schon in der Friedenszeit war es der sehnlichste Wunsch der Militärverwaltung, Hauptgestüte Heer zu liefern .
einzurichten,
um
gutes Material für das
Für die Folge werden dieselben daher auch wieder
ins Leben treten und sich zum Nutzen der Heeres verwaltung erweisen. Nach den letzten Zählungen beträgt die Anzahl der Pferde im Osmanischen Reiche ungefähr eine Million Stück , d . h . auf den Kilometer gerechnet zwei Pferde. Ihssan Abbidin zieht Vergleiche mit dem Pferdebestande anderer Länder und kommt zu dem Schluß , daß das Osmanische Reich den geringsten Besitz an Pferden aufweist, und zwar auf Grund folgenden Verhältnisses : Deutschland . 4345043 Pferde = 8,60 per km 2023711 = 6,00 99 Ungarn . 99 Frankreich · Rußland
= 6,00
2236 130 22 696 415
99
= 4,15
99
99 99
Um den gegenwärtigen Stand der verschiedenen Pferderassen in der Türkei kennen zu lernen, muß man das Land in seine Hauptregionen einteilen, in Klein-Asien und in Arabien .
85
Das türkische Kriegspferd . In Klein-Asien sind verschiedene Rassen vertreten.
Der Ursprung
der kleinasiatischen Rasse war durch die Kreuzung mongolischen und arabischen Blutes hervorgegangen . Die Wirkung dieser Kreuzung war Man kann in den Abkömmlingen dieser Gegend nicht dieselbe. nämlich in Klein-Asien drei Rassen unterscheiden : 1. Anatolier . 2. Ouzoun - Jayla , 3. Tschoukour - Ova. Die anatolische Rasse ist äußerst widerstandsfähig. messungen sind:
Die Ab-
Widerristhöhe 1,32-1.48 m, Brustumfang 1,52 m,
Gewicht 300-350 kg .
Die Anatolier werden in der Armee als Reit-
und Wagenpferde gebraucht. Ihre Körperformen sind ziemlich harmonisch. Für die Veredelung der Rasse bedient man sich vielfach arabischer Hengste aus Nedjeda und Syrien. Die Tschoukour - Ova - Rasse , in der Provinz Adana vorkommend, ist ebenfalls ein Anatolier, hat aber viel arabisches Blut ; dieselbe lieferte bisher das beste Material für die ottomanische Kavallerie . Nach der Auflösung der staatlichen Hauptgestüte ist diese Pferdezentrale jetzt
an eine ungarische Gesellschaft verpachtet worden,
dort
mit
der Zucht und Landwirtschaft befaßt.
dieser Gegend sind sehr kräftig, hübschen , kleinen Kopf,
mit freier Gangart,
ziemlich langes Kreuz
die sich
Die Pferde haben
einen
und lange Lenden .
Die Brust ist sehr breit und die Kruppe etwas abfallend . Die ExWiderristhöhe 1,48-1,52 m ; tremitäten sind stark und sehnig. Gewicht 300-400 kg. Die Ouzou - Jayla - Rasse , in der Provinz Sivas vertreten ,
ist
nicht aus einheimischen Pferden hervorgegangen. Der Ursprung wurde im Jahre 1862 von mohammedanischen Einwanderern aus Rußland mitgebracht.
Der Name Ouzoun -Jayla für diese Pferde stammt von
der Gegend, wohin diese Pferde
verpflanzt
Jayla- Ebene erstreckt sich von Siva
wurden.
Die Ouzoun-
bis Kayserie und Adana ,
wird
durch einen Fluß in zwei Hälften geteilt und hauptsächlich in diesem Teile wird die Rasse gezüchtet. Dieselbe hat ihren Ursprung in der Karabaschrasse im transkaukasischen Distrikt Choucha. Zur Veredelung dieser als Reitpferde dienenden Rasse benutzt man in neuerer Zeit den russischen Traber „ Orloff". Das arabische Pferd,
das formvollendete und edelste der Erde
- es verdient dasselbe
als Türkenpferd in heutiger Kriegszeit besonders hervorgehoben zu werden - ist arischen Ursprungs und aus mehreren Unterrassen bestehend, welche durch ganz unabhängige Formeneinheiten sich voneinander unterscheiden. Gemeinsam ist allen Rassen des Arabers : gerades Profil, mittellange Proportion , sches Gewicht. Die Maßverhältnisse sind :
eumetri-
87
Das türkische Kriegspferd .
Widerristhöhe
• .
Brustumfang Gewicht . Das
1,52 m
1,75-1,80 m
350-450 kg.
arabische Pferd
ist ein
Typus, der sich leicht seiner
Umgebung anpassen kann . Man hat sich überall zur Veredelung anderer Rassen des Arabers bedient. Durch ihn ist in Rußland der ,,Strelitz" entstanden,
in Deutschland der „ Trakehner " , in Ungarn
der „ Gidian " , in Frankreich der „ Anglo-Araber " und in England das englische Rennpferd . Außerdem ist man in Australien jetzt bestrebt, durch den Araber eine neue Pferderasse zu züchten. Trotz der ruhmvollen Vergangenheit ist nach Ihssan Abbidin der Araber heute in Entartung begriffen . Weise geltend :
Dieselbe macht sich in folgender
1. Die ethnische Widerristhöhe nimmt ab; 2. die Proportionen werden unharmonisch . lang, der Stand verliert an Normalität.
Das Kreuz
wird zu
3. Die ethnische Farbe bleibt nicht dieselbe . 4. Die erblichen Krankheiten nehmen zu. Die Hauptfaktoren dieser Entartung Zucht, die Hygiene und der Handel.
sind die Ernährung,
die
Die Ernährungsweise des arabischen Pferdes ist gänzlich primitiv und
entspricht
ist die Abrichtung Dreischlag, Pferdes
den gegenwärtigen Erfordernissen . Besonders eines Reitpferdes unrationell. So wird ihm der
nicht
auf türkisch
herabsetzt.
„,, Jorga "
der die Qualität
Außerdem verlangt man von dem Araber,
er die Hinterbeine möglichst Araber, Hedban Zehi ,
angelernt,
nach außen ausspreitzt.
wird daher besonders bevorzugt.
des daß
Eine Art der Wenn diese
Pferde ihre Hinterglieder lateral nach außen öffnen, so beträgt der Abstand der Beine voneinander 2-3 m. Das arabische Pferd ist unausgesetzt
dem Einfluß des Klimas, der Lebensweise, der Boden-
beschaffenheit und der Ernährungsweise unterworfen. Trotzdem aber die arabischen Pferde von denselben Völkern gezogen werden, und obgleich ihre sonstige Lebensführung dieselbe ist, tritt dennoch eine Abänderung des Temperaments hervor. Das arabische Pferd wird gezüchtet in Syrien, Mesopotamien, Irakarabi, Hedjaz , Nedjid , Assir , Jemen, Tahamé, Djebel . Am geschätztesten ist unter den Vertretern der arabischen Rassen das syrische Pferd mit einer Widerristhöhe von 1,42-1,57 m. Von den Syriern gibt es mehrere Unterrassen : Anazeh, Koheilan , Urebeyan, Hamdani, Seklavi, Hedbanizehi, Maneki, Dehmé, Hidajette, Richan-Umu- Urgub , Meliha , Saad , Muteki . Kebisché. In Arabien, hauptsächlich in Syrien , existiert kein direkter Ver-
88
Das türkische Kriegspferd .
kauf. Seit einigen Jahren hat sogar das Heer keine genügende Anzahl von Remonten beziehen können , die Stämme wollten ihre Füllen summarisch verkaufen .
Aber in Syrien war keine Remonteorganisation
vorhanden , daher konnte die Armee die Pferde nicht erwerben . Händler
erstanden dagegen
Tiere nach Urfa .
alles,
was
Die Umgegend von Urfa
daher äußerst fruchtbar .
Einige
angeboten und brachten die
Das Klima ist
ist alluvialen Ursprungs , übermäßig trocken .
Die
Bewohner des größten Teils sind Nomaden, die von der Schaf- und Pferdezucht leben . Urfa ist die Gegend geworden , wo die in Syrien gekauften Füllen gezogen werden . Hier blieben die Pferde bis zum siebenten Jahre, um dann nach Bombay exportiert zu werden Es darf angenommen werden , daß unter dem Einfluß der deut-
schen Militärmission
die
für die
Beschaffung
standenen Schwierigkeiten längst beseitigt sind.
von
Remonten be-
Das türkische Kriegs-
pferd macht auch heute seinem Namen Ehre . Nach den Mitteilungen von Angehörigen der Militärmission hat sich dasselbe in diesem Kriege überaus bewährt ; geradezu staunenerregend sind seine Leistungen, und dabei ist das Pferd wie auch der Türke genügsam und wenig anspruchsvoll in bezug auf seine Ernährung. Auch der Gesundheitszustand der Pferde in der türkischen Amee war bis jetzt ein im allFälle von Rotz , Räude, infektiösen katar-
gemeinen befriedigender.
rhalischen Erkrankungen sind zwar aufgetreten, aber infolge der sofort Die ergriffenen Maßregeln niemals in beängstigendem Umfange. Brustseuche wurde
in
der
türkischen Armee weniger beobachtet als
Kriegsschauplätzen . Wie es scheint , besitzt das türkische, aus den Nomaden- und Steppengebieten eingestellte Kriegs-
auf den übrigen
pferd eine größere Widerstandsfähigkeit gegen den Erreger der BrustAls eine sehr unangenehme Begleiterscheinung hat sich seuche. dagegen im türkischen Kriege die Maul- und Klauenseuche geltend Dieselbe ist zwar nicht auf die Pferde übertragbar , allein wegen ihres ungemein leicht verschleppbaren Ansteckungsstoffes durch alle möglichen Träger und Zwischenträger, selbst durch Menschen und
gemacht.
für diese Seuche gar nicht empfängliche Tiere, vermag sie sehr störend auf die Formationen und den Transport der Heereszüge einzuwirken. Zudem können die zu ihrer Abwehr und Unterdrückung erforderlichen Maßregeln nur in beschränktem Maße Platz greifen , dieselben würden den Verkehr und damit auch die Beweglichkeit des Heeres lahm Übrigens ist die Maul- und Klauenseuche eine in bezug auf das Leben des Tieres im allgemeinen harmlose Krankheit , eine eigentliche Wanderseuche , die, wie sie gekommen ist , auch wieder verschwindet . Vor dem Inslebentreten der einheitlichen Reichsviehseuchenlegen.
gesetzgebung hatten auch einige deutsche Bundesstaaten gegen diese
89
Das türkische Kriegspferd . Seuche in ihren Bestimmungen eine dahin lautende,
daß alle Maß-
regeln zu unterbleiben haben, sobald die Maul- und Klauenseuche in einem Bezirke eine größere Verbreitung verlangt hat ; entweder helfen dieselben dann nichts oder die Maßregeln können infolge Störung des Verkehrs mehr Schaden anrichten als die Seuche selbst . Diese Anschauung wird auch im Kriege zur Durchführung kommen müssen . In der türkischen Armee kommen auch viele Rinder für den Transport,
sohin als Lasttiere
neben den Pferden
zur Verwendung .
Der Türke züchtet das Rind hauptsächlich als Zugtier.
Die Rinder-
mast liegt ihm , und zwar jedenfalls auch in Hinsicht auf die Bestimmungen des Korans, fern . Man darf sich daher keinen Illusionen hingeben, als ob die Türkei imstande wäre, bedeutenden Export von Schlachttieren nach Deutschland zu ermöglichen . werden
Neben den Rindern
in der Türkei noch die sogenannten Wasserbüffel und die
Kamele als Lasttiere
verwendet,
und
zwar auch im Heere ;
diese
Tiere sind für die Maul- und Klauenseuche nicht empfänglich. Der Charakter der
türkischen
Kriegspferde ist
von dem der
deutschen insofern abweichend, als in der türkischen Armee vorwiegend Hengste neben und mit den Stuten bei der Kavallerie und Artillerie eingestellt
sind ;
selten kastriert.
für Militärzwecke werden in der Türkei Pferde nur Es gibt daher nur wenige Wallachen in der Armee.
Der Türke ist seiner Tradition treu geblieben ;
dem Hengste ist der
Militärdienst anerzogen und gleichsam als zweite Natur eigen . Die geringere Körperhöhe sticht auch gegenüber dem deutschen Militärpferde ab. Weniger ist der Unterschied hervortretend in der Farbe. Wie in der deutschen Armee ist auch in der türkischen bei den Pferden die dunkle Farbe
vorwiegend .
Es gibt
dort kastanien-
braune, reh-, dunkel- und schwarzbraune Tiere, auch Füchse , Rappen und Schimmel usw .;
letztere sind jedoch nur in den Kolonnen ver-
treten . Nach einer Mitteilung von Major Dr. Huttner, Stabsapotheker bei der Miliiärmission in der Türkei, hat man in der türkischen Armee versucht, um den Schimmelpferden eine Haarfärbung zu geben , die sich dem Gelände und der graugrünen Uniform des türkischen Reiters anpaßt , dieselben mit einer Lösung vou Kaliumpermangant 1 Teil zu 100 Teilen Wassers zu färben . Huttner hat in der „ Zeitschrift für Veterinärkunde “ , 27. Jahrg . 7. Heft, S. 199 seine diesbezüglichen Versuche veröffentlicht und das erwähnte Mittel als zweckmäßig, billig und leicht ausführbar befunden. Auch auf dem westlichen Kriegsschauplatze hat
man die Färbung hellfarbiger Pferde unternommen .
Es gibt bereits mehrere Präparate hierfür.
Das von den Anilinfarb-
werken A.-G. in Berlin zu dem Zwecke gelieferte Primalveterinar " , das sich im Preise auf 20 M. zum Färben eines Pferdes stellt , hat
90
Das türkische Kriegspferd .
jedoch nicht selten tödliche Vergiftungen hervorgerufen . Besser bewährt haben sich die Farbstoffe „B" der Höchster Farbwerke und die Farbstoffmischungen, „ Baumwollblau “ und „ Vesuvin " der badischen Anilin- und Sodafabrik Ludwigshafen . Der Preis dieser Färbemittel beträgt pro Pferd etwa 1-2 M. Als unschädliches Färbemittel für hellfarbene Tiere könnte auch eine Abkochung von grünen Wallnußschalen versucht werden . Der Pferdebestand in der türkischen Armee läßt gegenüber dem anderer Staaten eine gewisse Homogenität erkennen, er besitzt ein charakteristisches Gepräge, in demselben spiegelt sich die Zuchtrichtung des Landes , nämlich die Züchtung von Reittieren wieder . Das Inland konnte das nötige Kontingent für die Kavallerie stets liefern , Der Import spielte in der Türkei für militärische Zwecke eine mehr untergeordnete
Rolle .
Im Gegenteil war die Türkei im Bezug von
Reitpferden für die Armee stets vom Auslande unabhängig . Der Homogenität des Pferdemateriales für die Kavallerie der
türkischen Armee entspricht aber keineswegs die Verwendung von heterogenen Tierarten als Last- und Troß- sowie Saumtieren . Außer den bereits erwähnten Rindern , Kamelen und Büffeln kommt in dieser Hinsicht in der Türkei wie im ganzen Orient auch den verschiedenen Eselrassen eine große Bedeutung zu . Nach der letzten Zählung gab es im Osmanischen Reiche 1600 000 Esel und 140 000 Maultiere . Die Esel kann man in der Hauptsache in zwei Rassen einteilen , die von Grund aus verschieden sind, nämlich in die gewöhnliche kleinasiatische Rasse und in die syrische Rasse. Die erstere Rasse ist in einem großen Teile Kleinasiens verbreitet , und die Esel werden in der Armee als Saumtiere benutzt . Dieselben sind klein, denn ihre Widerristhöhe beträgt nur 0,90-1,20 m. Die Farbe
ist schwarz ,
grau und dunkelbraun .
Im Vilajet Kastamonie ,
in den Distrikten von Tossia, Safranboli und im Vilajet Angora, den Bezirken von
Iskillib und Kaiserie
in
finden sich sehr gute und
kräftige Typen. 1,40 m . Seine
In Syrien erreicht der Esel eine Widerristhöhe von Form ist sehr regelmäßig, der Kopf ist ziemlich
kurz, der Hals
lang,
die Kruppe geneigt,
die Farbe hell .
Die in
Mekka und Medina gezogenen Esel sind ebenfalls sehr groß, sie erreichen eine Widerristhöhe von 1,40 m. Der Kopf ist etwas groß, die Ohren sind übermäßig lang, dio Farbe ist hellgrau bis weiß . Kruppe
ist
etwas
Die Mekkaesel
abfallend ,
werden
Die
die Gangart ein geräumiger Paßgang.
22-3
Jahre
einem
besonderen
Training
unterzogen bis sie den Paßgang vollständig beherrschen und dadurch fähig sind , mit einer Last von 100-120 kg eine Strecke von 90 km in sechs Stunden zurückzulegen.
Diese Leistung muß man sehr hoch
Das türkische Kriegspferd .
91
einschätzen, wenn man die Hitze Arabiens und den tiefen Sandboden der Wüste mit in Betracht zieht.
Die Maultiere , hervorgegangen aus einer Kreuzung von Pferdestuten mit Eselhengsten, sind die gebrauchsfähigsten Saumtiere , die die Ottomanische Heeresverwaltung aus dem Reiche bezieht. Die Zahl der Maultiere in der Armee beträgt über 100 000 ; die Widerristhöhe 1,20-1,60 m. Die Armee verwendet die Tiere außerdem für leichte Wagen, für die Gebirgsartillerie und für die Maschinengewehre. Halep, Damaskus, Iskilib , Hinis und Mousoul liefern die besten Maultiere. Bekanntlich gilt diese Spezies als nicht fortpflanzungsfähig. und doch berichtet die Geschichte : Zu der Zeit , als Alexander der Große geboren wurde , warf ein Maultier ein Junges. Eine weit untergeordnetere Rolle spielen in der Türkei überhaupt, wie auch in der Armee die Maulesel . Dieselben sind entstanden aus einer Kreuzung von Eselstuteu und Pferdehengsten . Maulesel sind nicht fortpflanzungsfähig . Zum Schlusse
möchte
noch erwähnt sein ,
Auch die
daß Ihssan Abbidin
folgende Maßnahmen empfiehlt, um die nach seiner Ansicht degenerierten arabischen Pferde entsprechend den heutigen Anforderungen zu veredeln und mit ihrer ruhmreichen Vergangenheit in Einklang zu bringen : ,, 1 . Gründung staatlicher Landgestüte in Arabien und die Methode der Selektion (zweckdienliche
Kastration
und Eintragung ins
Gestütbuch) anzuwenden , Bewegung der Pferde , gute Ernährungsweise, keine Kreuzung blick) ;
(wenigstens nicht für diesen Augen-
2.
Anlage von Füllendepots und Ankauf der Füllen von den Züchtern ; 3. Organisation und Veranstaltung eines jährlichen zootechnischen Wettbewerbs ;
4.
Gründung eines Vereins,
der sich mit den arabischen Pferden.
beschäftigt ; 5. die Pferdemärkte gut beaufsichtigen. Der Zustand des Handels mit arabischen Pferden läßt viel zu wünschen übrig. " * *
Der bisherige Krieg hat bewiesen, daß der türkische Soldat und das türkische Pferd die richtige Stellung einnehmen und ihrem Namen alle Ehre machen. Auch die Zukunft wird dies hoffentlich nicht ändern . Wie im deutschen Sängergruß ist daher auch gegenüber unserem in treuer Waffenbrüderschaft Verbündeten die Devise am Platze : „Das Türkenpferd , das Türkenschwert, Wir liebens treu , wir haltens wert. "
92
Literatur.
Literatur.
I. Bücher. Der Hamburgische Landesverein vom Roten Kreuz , Ausschuß für deutsche Kriegsgefangene, gibt soeben die vierte, sehr vermehrte Auflage der Karte der Gefangenenlager vom Europäischen und Asiatischen Rufsland im Verlage von L. Friederichsen & Co. , Hamburg 1 , Mönckebergstraße 22, I. Stock, heraus. Die vorliegende vierte Auflage weist gegen die vorhergehenden viele Verbesserungen und Erweiterungen auf. Die Zahl der Namen . der Lager ist nahezu verdoppelt, das Eisenbahnnetz in roter und das Flußnetz in blauer Farbe eingezeichnet ; die Grenzen des Reiches und die der asiatischen Generalgouvernements sind gleichfalls farbig hervorgehoben. Auch der Maßstab ist bedeutend vergrößert worden. Das alphabetische Verzeichnis der Lagernamen ist wiederum in russischer Druckschrift als Vorlage für die Adressen angefertigt. Die der Karte beigefügten Bestimmungen für den Postverkehr mit den Gefangenen sind den neuesten Erfahrungen entsprechend abgeändert worden . Der Preis dieser neuen , verbesserten Karte beträgt 2 M. Sie ist durch jede Buchhandlung zu beziehen . Kriegstagebuch „ U 202“. Angefangen 12. April 19 .., abgeschlossen 30. April 19 .. Kommandant Freiherr Spiegel von und zu Peckelsheim , Kapitänleutnant . 101. bis 150. Tausend . Berlin , August Scherl, G. m. b. H. 1 M. U- Boot und Flugzeug, die neuesten und geheimnisvollsten Kampfmittel, sind die Lieblinge des deutschen Volkes geworden , weil es weiß, was es ihnen und seinen beherzten Führern zu danken hat. Gern lauscht es den Erzählungen der Helden über ihre wunderbaren Erlebnisse , besonders wenn sie in so anmutender Weise gehalten sind wie die vorliegende , die gewiß schon von einer Million Leser verschlungen sind . Der Verfasser hat es meisterhaft verstanden , das Leben an Bord eines U-Bootes über und unter dem Wasser in den lebhaftesten Farben und mit frischem Seemannshumor so zu schildern , daß auch die Lernbegier des Lesers zu ihrem Rechte kommt. Mit der größten Spannung folgen wir seiner Erzählung, empfinden aber zugleich das lebhafteste Bedauern , daß politische Gründe es veranlaßt haben, von dieser scharfen Waffe nicht den rücksichtslosen Gebrauch zu machen, der unseren Feinden handgreiflich gezeigt hätte, daß deutsche Frauen und Kinder nicht ungestraft dem Hungertode ausgesetzt werden . Besonders hervorzuheben ist noch der vornehme Ton der Erzählungen ; kein Schimpfwort gegen die Feinde, deren Mut vielmehr offene und warme Anerkennung gezollt wird . Kein Leser wird das Buch , das sich besonders auch zur Schützengrabenlektüre H. Rohne. eignet, unbefriedigt aus der Hand legen .
Literatur.
93
Die Medizinalabteilung des Königlich Bayerischen Kriegsministeriums hat den Sanitätsbericht über die Bayerische Armee für die Zeit vom 1. Oktober 1911 bis zum 30. September 1912 erscheinen lassen , der ein sehr erfreuliches Bild von den gesundheitlichen Zuständen gibt . Es ist bekannt, daß in bezug auf die hygienischen Verhältnisse unter allen Armeen die deutsche weitaus den ersten Platz einnimmt. Aber unter den Armeekorps des deutschen Heeres nehmen die drei bayerischen eine hervorragende Stelle ein . Bei einer Durchschnittsstärke von 67 570 Mann erkrankten im Laufe des Berichtsjahres 26 359 oder 390,1 % . Sehr bemerkenswert ist das stetige Sinken dieser Ziffer. In dem Zeitraum vom 1. Oktober 1893 bis 30. September 1898 war die Zahl der Erkrankten fast dreimal so hoch, nämlich 1028,9 ; in den nächsten fünf Jahren , 1898 bis 1903, betrug sie noch 923,9, sank in der Zeit von 1903 bis 1908 auf 626,2 , im Jahr 1908/09 auf 472,8 , im Jahre 1909/10 auf 445,1 und in dem letzten dem Berichtsjahre vorangehenden Zeitabschnitt auf 427,300 Die günstigsten Verhältnisse lagen beim III . Armeekorps (Nürnberg) vor, wo der Krankenzugang nur 345,400 betrug, die ungünstigsten beim II . Korps , das einen Zugang von 441,500 zu verzeichnen hatte. Aber selbst dieses steht in der ganzen deutschen Armee an vierter Stelle ; nur das VIII . (Rheinische) Korps hat mit 423,400 Erkrankten etwas günstigere Verhältnisse aufzuweisen . In der preußischen Armee, einschließlich Sachsen und Württemberg, betrug der Krankenzugang im Berichtsjahr 548,0 % , im Jahr vorher 591,0 / co Eine richtige Vorstellung von der Bedeutung dieser Zahlen erhält man erst durch den Vergleich mit der Krankenziffer der französischen Armee, die im Jahre 1909/10 einen Zugang von nicht weniger als 2163/00 aufwies ; d . h . es waren in der französischen Armee im Jahre 1909/10 52 mal soviel Soldaten erkrankt als in den drei bayerischen. Korps im Jahre 1911/12 . Legt man dasselbe Berichtsjahr für die bayerischen Korps zugrunde, so ist die Zahl der französischen Kranken doch noch immer 4,8 mal so hoch. Es ist aber wohl zu beachten , daß die Krankenziffer bei uns eine fallende, in Frankreich eine wachsende Tendenz hat , Es erklärt sich das aus dem krankhaften Bestreben der Franzosen , trotz des geringen Geburtenüberschusses , der nur etwa zwei Fünftel desjenigen von Deutschland beträgt, ein gleich starkes Friedensheer zu halten . Daher mußte man mit seinen Ansprüchen an die Diensttauglichkeit sehr heruntergehen . Dies und die Überfüllung der hygienisch sehr ungünstigen Kasernen haben den Gesundheitszustand außerordentlich nachteilig beeinflußt. Unter den Krankheiten waren die mechanischen Verletzungen die am häufigsten vorkommenden - etwa 25 aller Erkrankungen — , dann folgten die Krankheiten der Ernährungsorgane und die der äußeren Bedeckungen, die übrigen elf Krankheitsgruppen erreichten zusammen die Ziffer der drei genannten Gruppen noch nicht. Die durchschnittliche Behandlungsdauer jedes Erkrankten betrug 18,8 Tage ; auf den Kopf der Iststärke berechnet 7,5 Tage, woraus
94
Literatur.
hervorgeht, daß der durchschnittliche Krankenstand etwa 2,05 v. H. der Kopfstärke betrug. Von je 1000 Erkrankten wurden wieder dienstfähig 894,7 • 2,8 starben 80,7 gingen anderweitig ab . • 21.7 blieben in Behandlung Auf die Kopfstärke berechnet betrug die Zahl der Todesfälle nur 1,7 von Tausend , davon starben an Krankheit 1,0 , durch Unglücksfälle 0,34, durch Selbstmord 0,36 . In Frankreich starben im Jahre 1909/10 von je 1000 Mann der Iststärke 3,75 , davon an Krankheit 3,16 , d . h . mehr als dreimal soviel wie in Bayern . Der Bericht enthält noch eine große Menge von Mitteilungen , er umfaßt etwa 250 Seiten großen Formats, die für Ärzte von großem Interesse sind . Hier ist nur das herausgezogen , was dazu dienen kann, ein jedermann interessierendes Bild von dem in der Bayerischen Armee herrschenden Gesundheitszustand zu geben . Es ist ein nach jeder Richtung hin erfreuliches, zu dem man die Armee und das H. Rohne. ärztliche Personal nur beglückwünschen kann . Das Zielen und Schiefsen der Infanterie.
Unter besonderer Berück-
sichtigung der Temperatur- und Witterungsverhältnisse . Von v . Fischer - Treuenfeld , Oberstleutnant. (Bauer & Richter Verlag, Liebelsche Buchhandlung , 10 Stück 3 M. , 100 Stück 28 M.
Berlin W 57) .
Preis 40 Pf. ,
Eine kurze, auf praktischer Erfahrung beruhende Anweisung zur Ausbildung des einzelnen Mannes im Schießen, wobei auch schon die Erfahrungen des jetzigen Krieges berücksichtigt werden . Im Stellungskampf kommt das Präzisionsschießen auf nächste Entfernungen zur Geltung. Mit Recht bemerkt der Verfasser : „namentlich dringend erforderlich sind Zielübungen gegen schwer erkennbare Ziele, wie es unsere bis an die Zähne gedeckten Gegner in ihren starken Schützengräben und befestigten Feldstellungen sind . Insbesondere in dem Schützengrabenkriege mit seinen kurzen Entfernungen und kleinen bald verschwindenden Zielen kommt der gewandte, schnell fertige geübte Einzelschütze zur Geltung." So sind die hinter Stahlblenden liegenden Engländer außerordentlich schwer zu treffen, da sie meist nur durch Scharten schießen, deren vordere Öffnung etwa so groß wie ein Handteller ist . Sehr eingehend ist der Einfluß der Temperatur und Witterung behandelt. Allen denjenigen , die den Nachersatz unseres Heeres auszubilden haben, sei das sehr praktische Büchlein v. S. empfohlen.
Die Jugendwehr , ihre Notwendigkeit und ihre Ziele . Ein Weckruf an Deutschlands Volk und Jugend . Von Bezirksschulinspektor Halder . Verlag Paul Christian Storb . Verfasser tritt mit überzeugenden Gründen für die Notwendigkeit einer besseren Ausbildung der Jugend von 16-20 Jahren auf. Sie sollen planmäßig ausschließlich im Hinblick auf den künftigen Wehr-
Literatur.
95
dienst ausgebildet und erzogen werden . Mit Recht weist er darauf hin , daß bisher in den anderen Staaten viel mehr auf diesem Gebiete geleistet ist und daß gerade Deutschland nachhinkt. Es ist zu hoffen , daß der Krieg auch hierin Wandel schaffen wird und daß nach dem Frieden die militärische Ausbildung der Jugend vom Staate aus geregelt werden wird . Die Gesichtspunkte , die dieses kleine Heft enthält , sind beachtenswert und können wohl als Grundlage für die spätere Orv. S. ganisation dienen . Entwurf zu einer Anleitung für das Studium der Militärgeographie. Von Major H. Bertling. Danzig. Verlag A. W. Kafemann . 88 S. Im Felde niedergeschrieben , unter dem Eindruck des Einflusses von geographisch stark ausgeprägten Ländern, ist die Arbeit unvollendet gelassen , die Absicht war, die Darstellung eines militärgeographischen Lehrsystems ohne Bezugnahme auf ein bestimmtes Land bekannt zu geben . Das vom Verfasser vorgeschlagene Verfahren besteht : Im Studium der Staatsgebiete nach ihren militärgeographischen Gegenden und in ihrer Gesamtheit, mit Bezug auf den Einfluß , den die Erdoberfläche ausübt auf die Organisation der Wehrmacht, auf Ausrüstung und Ausbildung der Truppen , auf Mobilmachung , Landesverteidigung und Operationen . Ergänzend soll dann ein Sonderstudium die Bedeutung der hauptsächlichsten geographischen Erscheinungen für die häufigsten Handlungen des Krieges darlegen . Aber dieses Studium hat nur den Zweck, die Vor- und Nachteile, die die Gestaltung und Bedeckung der Erdoberfläche bei den Erscheinungen des Krieges. hervorruft, rechtzeitig zu erkennen , sowie geeignete Mittel zu finden , die den Wert der günstigen Verhältnisse erhöhen , den Einfluß der Hindernisse abschwächen oder beseitigen können . Anregend geschrieben, ist das Buch als Leitfaden zu empfehlen . Balck. Die soeben abgeschossene Sammlung ,, Briefe aus dem Felde 1914/1915" erschienen bei Gerhard Stalling, Oldenburg, umfaßt auf über 800 Seiten Briefe, die nur zu oft im Granatfeuer verfaßt und ursprünglich nur für die Angehörigen bestimmt waren . Sie bringt also ungeschminkte Berichte und wird in späteren Zeiten gerade deswegen außerordentlich wertvoll sein . Die Briefe zeigen , wie den deutschen Weltkriegskämpfern angesichts des Gewühls von Feinden zumute war, wie unseren Helden selbst in den schwierigsten Situationen niemals der Blick für das Ganze, für ihre Pflicht dem Vaterlande gegenüber verloren ging. Es erzählen hier nebeneinander Angehörige der verschiedensten Fronten, der Marine, der Luftwaffe und Schutztruppe, hier steht der Bericht des einfachen Soldaten gleichwertig neben dem des Offiziers . Allen ist das eine gemein : hohe Anschaulichkeit in der Wiedergabe der Situationen , Wahrhaftigkeit gegen Feind und Freund , Loslösung von aller Bierbankruhmredigkeit. Möge diese umfassendste Sammlung ihrer Art nun auch die ihr gebührende Verbreitung in der Familie , in den Schulen , Volks- und Militärbüchereien wie überhaupt bei jedem Deutschen finden .
Das Werk kostet trotz seines großen
Literatur .
96
Umfanges nur 7,50 M. , die Lieferungsausgabe besteht in 20 Lieferungen P. H. zu je 0,30 M.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Bauer, Die unterseeische Schiffahrt. Bamberg 1915. C. C. Buchners Verlag. Geh. 1,50 M. Berlin . Aug. Scherl 2. v. Spiegel, Kriegstagebuch „ U 202". G. m. b. H. Geh . 1 M. , geb. 2 M. 3. Kriegstaschenbuch , Ein Handlexikon über den Weltkrieg. Herausgegeben von Ulrich Steindorff. Leipzig 1916. Verlag von B. G. Teubner. Geb. 3,50 M. 4. Graf Scapinelli, Von der Adria bis zum Ortler. Kriegsberichte. München 1916. Verlag C. H. Beck. Geb. 2,20 M. 5. Sehring, Meine M.G.K.-Kriegserlebnisse in Ostpreußen . München 1916. Verlag. C. H. Beck. Geb. 2,80 M. 6. Henslings, Sternweiser für Heer und Flotte und für alle Naturfreunde . Stuttgart. Franckh'sche Verlagshandlung. 0,25 M. 7. Behörden - Handbuch zum Gesetz über die Versorgung der Personen der Unterklassen des Reichsheeres , der Kaiserlichen Marine und der Kaiserlichen Schutztruppen (Mannschaftsversorgungsgesetz) vom 31. Mai 1906. Berlin 1916. Mittler & Sohn . Geb. 4,25 M. Heft 1/24. 8. Schützengraben- Bücher für das deutsche Volk. Berlin 1916. Karl Siegismund . Je 0,20 M. 9. Læser, Das Problem der Wehrsteuer in der Praxis. 1916. C. G. Cotta Nachf. 3 M.
Stuttgart
10. Conrad, Kommentar zum Gesetz über den Belagerungszustand . Berlin 1916. Ottö Ottö Liebmann . Geh. 3,80 M., geb. 4,50 M. 11. Scheffler, Fremdwörterkunde . Berlin . Verlag Kameradschaft. 0,65 M. 12. Rundschau, Lissa- Nummer vom 19. Juli 1916. Wien . 20 Heller.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z . D. H. Rohne) enthält u . a. folgende Arbeiten : Rüdenberg, Dr. ing.: Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit und Impulsstärke von Verdichtungsstößen . II. H. Rohne , Generalleutnant z. D .: Einige Anwendungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die Schießlehre. Retzow, Dr.: Zwecken .
Praktische
Windmessungen
zu
ballistischen
Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen . Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdamı.
X.
Verlustphantasien unserer Gegner.
Italienische Blätter haben uns Anfang Juli die Zusammensetzung der Südwestarmee Brussilows beim Beginn ihrer Offensive und ihre über 1,5 Millionen betragende Stärke verraten,
sowie auch Andeutungen über die Gesamtbesetzung der russischen Front nördlich des Pripjet bis zum Rigabusen gemacht, deren Stärke sie auf rund 1,8 Millionen bewerteten. Das wären zusammen über 3 Millionen . Ob bei der Südwestheeresgruppe Brussilow dabei die Ersatzmannschaften einbegriffen waren, die man nach amtlicher Feststellung bis zu 50 und gar 75 Prozent des Sollstandes der Verbände (wie übrigens in analoger Weise schon bei den Märzschlachten) unmittelbar hinter den eingesetzten Kräften zur sofortigen Ergänzung der Lücken und Wiederherstellung der Kampfkraft folgen ließ, ist aus den italienischen Blättern nicht ersichtlich, wohl aber wahrscheinlich. Auf der Front nördlich von Pinsk sollen in den Heeresgruppen Kuropatkin und Ewerth bei Beginn der Offensive des Südwestheeres 76 Infanterie- und 22 Kavallerie divisionen gestanden haben , von denen man aber Truppen während Brussilows Vorstoß zu diesem abgezogen hat. Festgestellt ist dies unwiderleglich bei der Armee. Lesch, die aus dem Raume Pinsk über Nobel am Pripjet gegen den Stochod eingesetzt wurde, um den linken Flügel der Heeresgruppe Linsingen zu umfassen, was diese durch elastisches Zurückbiegen hinter den Stochod und zähesten Widerstand vereitelte . Brussilows Südwestheer hatte nach derselben Quelle zu Beginn der Offensive folgende Gliederung: in Wolhynien VIII. Armee, Kaledine, mit 13 Infanterie- und 6 Kavalleriedivisionen : in Nordostgalizien XI. Armee, Sacharow, mit 9 Infanterie- und 1 Kavalleriedivision ; gegen die Strypa VII. Armee, Tscherbatschew, 9 Infanterie- und 2 , Kavalleriedivisionen ; gegen die Bukowinafront IX. Armee, Letschitzki, 11 Infanterie- und 42 Kavalleriedivisionen (man beachte die starke Aus7 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 540.
98
Verlustphantasien unserer Gegner.
stattung der Flügelarmeen
mit Kavallerie !) ;
in Reserve
endlich die
VI. Armee, welcher später noch 14 Infanteriedivisionen zugewiesen worden seien. Die Armee Lesch kann mit diesen 14 Infanteriedivisionen nicht gemeint sein. Amtliche russische Kiewer Angaben ließen die Verluste der Brussilowschen Offensive bis zum 1. Juli auf 15000 Offiziere ,
265000 Mann
errechnen .
Dabei muß entweder die
Zahl der Offiziere , was unwahrscheinlich, da der Kiewer ZentralErkennungsdienst die Namen aufführt, falsch ,
d . h.
die
oder
letztgenannte Zahl
der Mannschaften um
mehr
als
die
Hälfte zu niedrig gegriffen sein. Auch bei den für die Offiziere schwersten Verlusten und vollem Sollstande hat sich während des Krieges das Verhältnis von Offizier ergeben.
zu Mannschaftsverlusten 1:30
Legen wir dieses ungünstigste Verhältnis zugrunde ,
so müßte das Südwestheer in den ersten 26 Tagen bis zum 1. Juli nicht 265 000 , sondern 450 000 Mannschaften verloren haben. Und das bleibt hinter der Wirklichkeit des an das unglückliche Haus en mit Menschenmaterial in den Karpathen erinnernden Kampfverfahrens Brussilows zurück. Das Kriegspressequartier schätzte die Verluste des Südwestheeres schon zu Beginn des Juli auf 500 000 Mann, also auf ein Drittel der von italienischen Blättern ihm zuerkannten Gesamtstärke .
Und
neutrale
Blätter haben damals
von einer Meldung
ähnlichen Inhalts des Kriegsministers Schuwajew an den Zaren berichtet. Nach Schweizer Blättern hat eine weitere Kiewer Liste 9500 Offiziere, 65800 Mann , zusammen 75300 Verluste gemeldet. Nach dem Verhältnis 1:30 275000 Mannschaften .
entsprechen
9500 verlorenen
Was das Südostheer
was auch die Front nördlich von Pinsk,
Offizieren
seither
besonders
über
noch verloren,
auch im Raume
von Baranowitschi (wo der wichtige Schnittpunkt der Warschau— Smolensker und der Dünaburg -Rownoer Bahn und die Möglichkeit der
entscheidenden Einwirkung auf die Fronten
vor Lida
und bei
Pinsk gewonnen werden sollte und dazu über 9 Divisionen eingesetzt worden waren) , an Menschenmaterial eingebüßt hat, läßt sich noch nicht feststellen. Daß die Verluste aber sehr schwer und daß die Verschiebungen
vom Norden
zum Südwestheer umfassende gewesen
sein müssen , beweisen die Meldungen aus Bukarest und von neutralen Blättern
über
Brussilows Forderung
schon vor dem halben Juli.
von 500000 Mann Nachschub
Das gleiche tut Kuropatkins Antwort
auf die ihm im Kriegsrat beim Zaren gemachten Vorwürfe über noch nicht
erzielte
Ergebnisse
trotz
ihm
überwiesenen
großen
Massen
99
Verlustphantasien unserer Gegner. schwerer
Geschütze
und
--
Munition
Offensive genügendes Soldatenmaterial
er
warte,
bis
er
für eine
erhalten habe, das
vorläufig
vorhandene Millionenheer sei ja Brussilow zur Verfügung gestellt worden. - Was die amtlichen russischen Angaben bis zum 1. Juli enthalten,
dürfte
hinter dem
in der Zeit der Offensive bis heute
(25. Juli) erlittenen Verlusten um sehr weit über 100 Prozent zurückbleiben. Daß an Ersatz brennender Bedarf besteht, der Ukas
des Zaren vom 23. Juli,
der sofort die
beweist auch Reichswehr
I. Aufgebots bis zum 45. , und des II . Aufgebots bis zum 37. Lebensjahr einberuft. Die im aktiven Heer und in seinen beiden Reserven gedienten, 7 Jahre zur Reichswehr I. Aufgebots gehörenden ausgebildeten Leute sind Waffen und schon
sämtlich seit Monaten unter den
im Frühjahr
divisionen festgestellt
worden .
Reichswehr I. Aufgebots
1915 in fechtenden
Die
Reichswehr-
unausgebildeten Leute,
die der
bei der Aushebung als über das Rekruten-
kontingent hinausgehend auf 25 Jahre
bis 1914 23 Jahre
zu-
gewiesen werden , hatten bis jetzt 23 Jahresklassen im Dienst. Nun folgen ihre beiden letzten, Reichswehr II . Aufgebots,
die 44- und 45 jährigen .
welcher
bei
der
Aushebung
Von der nach dem
Gesetz von 1912 die unentbehrlichen Familienernährer auf 23 , 25 Jahre,
zugeschrieben werden,
hatte man bis jetzt
natürlich unausgebildetes
mit September 1915 beginnend
klassen eingezogen . Jetzt folgen 4 weitere . Handel klagen bitterst über Arbeitermangel
jetzt
Material,
13 Jahres-
Landwirtschaft und ohne Erfolg. Neu-
jahrs- , Märzschlachten und Brussilowsche Offensive haben den nachgeschobenen Ersatz aufgezehrt. Da man die waffenfähigen , als überzählig der Reichswehr I jährlich Überwiesenen auf 16 Prozent der sämtlichen Dienstpflichtigen,
die Familienernährer
auf 20 Prozent dieser berechnen kann,
der Reichswehr II
so ergeben, nach 25 Prozent
Abzug, die jetzt einbeorderten 6 Jahrgänge I. und II. Aufgebots zusammen über eine Million .
Ihre sofortige Einbeorderung
ohne Rücksicht auf die gewaltige in ihren Folgen unübersehbare Schädigung von Landwirtschaft und Handel spricht für den Umfang des jetzigen Ersatzbedarfs Bände¹). 1) Während des Druckes hat die Streffleursche Feldzeitung die russische Gesamteinbuße in der Zeit der Brussilowschen Offensive bis etwa 5. August auf 3/4 Millionen geschätzt . Wir halten dies für zutreffend . Wenn nach einer Stockholmer Meldung aus Petersburg ein das Ersatzwesen im russischen Kriegsministerium bearbeitender Stabsoffizier sich dahin ausgesprochen, man habe bis zum 1. August in den zwei Kriegsjahren rund 93/4 Millionen mobil gemacht, und davon 5 6 Millionen an 7*
100
Verlustphantasien unserer Gegner.
Nun zu unseren „ intimsten " Feinden , den Briten ! Von ihnen liegen heute Verlustlisten vom 1. bis 18. Juli , vom 19. bis 21. Juli und vom 22. Juli vor. Alle dürften in der Zahl der Offiziere zutreffend sein , während augenscheinlich die Mannschaftsverluste in ihnen bei weitem nicht der Wirklichkeit entsprechen.
Wenn
wir
vom
1. bis 18. Juli
als Einbuße
ver-
zeichnet finden : 8421 Offiziere ¹ ) , 42 790 Mann , so heißt es der Leichtgläubigkeit der eigenen Nation und des Auslandes
denn doch
etwas reichlich viel zumuten , wenn auf je fünf eingebüßte Mannschaften immer ein Offizier kommen soll . Wir haben oben schon das Verhältnis 1:30
als
das erfahrungsmäßig für
die
Offizierverluste ungünstigste genannt . 8421 Offizieren müßten daher 252630 Mannschaften , mehr als sechsmal so viel , als die britischen Listen angeben , gegenüberstehen . Die
Listen vom 19. bis 21. Juli enthalten
635
Offiziere ,
davon 184 getötet (so daß die letzteren zu dem der eingebüßten Gesamtzahl wie 1 : 3,5 stehen, was als ziemlich normal betrachtet werden kann), Mannschaften.
635 verlorenen Offizieren entsprächen da 19050 Unserer Überzeugung nach bleibt diese Ziffer aber
hinter der Wirklichkeit zurück, denn nicht ohne Grund spricht unsere Oberste Heeresleitung von sehr schweren Verlusten . Der große Hauptschlag vom 20. Juli zwischen Pozières und Vermandovillers , mit 17 , zumeist doch wohl britischen Divisionen , der in außerordentlicher Tiefe mit 8-10 Gliedern und folgenden Gruppenkolonnen erfolgte, der auch das wahrlich nicht moderne , einen Verzweiflungsakt darstellende
Toten, Verwundeten , Vermißten , Gefangenen und Gestorbenen verloren, dabei allerdings den Zusatz machte, die Berichte seien ungenau und er könne daher absolut Sicheres nicht angeben, so dürfte in seiner Mitteilung nur der Zusatz richtig sein . Die 51 Millionen Gesamtverlust werden allein schon von den bleibenden Ausfällen weit überstiegen . Auch die Zahl der Mobilgemachten bleibt weit hinter der Wirklichkeit zurück, 934 Millionen müßten schon die 18 zum aktiven Heer und seiner Reserve ohne die ganze und die 3 Rekrutenjahrgänge 1914/15/16 ausmachen einbeorderte Reichswehr I. und 17 Jahresklassen II . Aufgebots, die man doch unter den Waffen hat. 1 ) Während des Druckes ist der britische Offiziersverlust mit 13000 bekannt geworden . Selbst wenn wir bei den Briten 1 Offizier auf 20 Mann rechnen - ein Verhältnis, das aber nicht besteht - wären also rund 270 000 Verluste an Mannschaften festzustellen. Nach deutscher Feststellung haben die Briten in der Somme- Offensive mindestens 34 Divisionen eingesetzt, darunter mindestens 12 nach Auffüllung zweima!, bei Fromelles 2, zusammen 48 Divisionen mit über 600000 fechtenden Standes. Die Verluste dürften 300 000 übersteigen und das Grauen in England doch wohl stark wachsen .
101
Verlustphantasien unserer Gegner. Bild
von
„ Grabenkavallerie
zu
Pferde"
lieferte,
ist
mit
seinen
Hekatomben an Verlusten in diesen Listen noch nicht zum Ausdruck gekommen . Die Liste
vom 22. Juli meldete 220 Offiziere ,
davon
36,
d . h . weniger als ein Sechstel , getötet , 2270 Mannschaften . Dem Verlust von 220 Offizieren müßten nach dem Verhältnis 1:30 6600 Mannschaften entsprechen . gabe, daß von 2270 Mannschaften wir äußerst skeptisch gegenüber.
Auch der britischen An-
nur 142 getötet wurden ,
stehen
Einen zuverlässigen Maßstab für die britischen Verluste am 20. Juli haben wir bei Fromelles in der ausdrücklichen Meldung unserer Obersten Division ,
Heeresleitung,
daß vor
der
Front
der
bayerischen
die 2 britische dort blutig abwies , 2000 Briten-
leichen lagen.
Nach dem Erfahrungssatz unserer Obersten Heeres-
leitung beträgt das Durchschnittsverhältnis der Toten zur Gesamtziffer der Einbußen 1 : 4 . Danach haben alles in allem die beiden britischen Divisionen bei Fromelles sicher 10 000 Mann eingebüßt , mindestens / ihres fechtenden Standes . Von den britischen am 22. Juli auf der in der Luftlinie 10 km messenden Front Guillemont -Thiepval durch 11 Divisionen (von denen mehrere hastig von anderen Fronten herangeholt worden waren, ein Beweis dafür,
daß man mit der Kräftebe messung , die man
für die genannte angegriffene Front sicher doch mit dem Willen zum vollen Erfolg,
getroffen,
starker Verluste
falsch kalkuliert und
wegen unerwartet
nicht ausreichte) geführten Angriff sagt der
Tagesbericht vom 24. Juli, daß der einzige Erfolg , das Eindringen in einige Häuser von Pozières, mit außerordentlich schweren blutigen Verlusten erkauft werden mußte. Der Bericht vom 23. Juli spricht von erfolglosen Angriffen , trotz rücksichtslosen Menscheneinsatzes und der am 25. bekannt gegebene , also auf den 24. bezügliche , vom Zusammenbrechen eines entscheidenden Stoßes auf der Front PozièresMaurepas. Die Schläge vom 20. , in der Nacht vom 22. zum 23. , vom 23. und 24. zusammen dürften Verluste verursacht haben , die der britischen Nation doch einen Frostschauer verursachen werden . In den Verlust listen der britischen Regierung mit zutreffender Offizier- und um ein Vielfaches hinter der Wirklichkeit zurückbleibender Mannschaftsangabe liegt augenscheinlich ein System.
Eigenes ,
rotes
britisches Blut ist es , das jetzt in Strömen fließt. In wie starken Strömen , soll die Nation noch nicht , - und wird sie doch noch zeitig genug erfahren , zugleich mit der niederschmetternden Gewißheit , daß sie doch noch nicht
Verlustphantasien unserer Gegner .
102
die Deutschen mit ihren Fluten aus Frankreich
genügen , zu spülen .
Über die Verluste, die der bisherige Verlauf der Picardieoffensive, eine neue Blutader Frankreichs
anschlagend ,
nähere Anhaltspunkte noch nicht vor.
Daß sie schwere sind hat uns die
verursachte liegen
Oberste Heeresleitung oft genug, jüngst erst am 27. Juli gesagt .
Das
Verschwinden der Todesanzeigen von Offizieren aus den Zeitungen seit einiger Zeit spricht nicht gerade für Geringfügigkeit der Verluste und kann sehr wohl die Wiederholung früherer Maßnahmen der Zensur unter dem Eindruck der blutigen Opfer der Sommerschlachten sein . Daß, nachdem die Stampfmühle Verdun schon den Bestand mehrerer Armeen, das Vielfache des Einsatzes des Angreifers, zerrieben hat . das französische Heer an „ bleibenden Abgängen " vor der Picardie offensive daß 30
in
nicht unter drei Millionen erlitten hat .
Frankreich
volle Jahrgänge ,
jetzt
eine
volle
ist unbestreitbar.
Generation
blutet .
Der Jahrgang 1918 ,
die einzige noch übrige Schöpfquelle , gehört schon einer neuen an . Zum 1. August ist der „ Rest " des Jahrgangs 1888 zu den Waffen berufen worden. Bei den zu derselben Zeit an die Front Beorderten des
Jahrganges 1917
schenkt
sich der Kriegsminister den
Zusatz
„ Rest " , obwohl Leute dieses Jahrganges unter den im weiten Raum um Verdun Gefangenen schon vor einiger Zeit festgestellt worden sind und in die französischen Blätter Klagen von Offizieren durchsickerten , daß
schon vor
dem 27. Juni
99 8000 Mann
dieses Jahrganges bei
Verdun unnützt hingeopfert wurden “ . „Temps “ leistet sich die unverschämte Lüge , die nachgemusterten Zurückgestellten und Untauglichen der Jahrgänge 1913 bis 1917 , die zum 7. August eingestellt werden , lieferten den Ertrag eines normalen Jahrganges.
Zurückgestellte und bei der vierten Musterung
untauglich Befundene sind seither durchgesiebt worden : vom Jahrgang 1913 siebenmal, 1914 ebensooft, 1915 fünfmal, 1916 dreimal, 1917 zweimal . Der Durchschnitt der Zurückgestellten beträgt pro Jahrgang 54000 , und was nach den vorgenannten Durchsiebungen jetzt noch übrig geblieben sein kann günstigsten Falle
für die Einstellung erreicht im
allerDie
6 der von Temps genannten Ziffer.
in Frage kommenden des Jahrgangs 1888 gehören dem unausgebildeten Landsturm an , und was bei der ersten Schulung von 49 jährigen herauskommen kann, ist leicht auszumalen. Das Maximum , das von man die Abgänge der Picardie nicht gerechnet der blutenden Generation unter den Waffen und in den Lazaretten
wohl
haben könnte ,
beträgt
verstanden
nicht
voll
im
Felde
nicht mehr als die bleibenden Ab-
103
Ziele der Befestigung . gänge schon heute ausmachen.
Das
Weißbluten hat
be-
gonnen. Ehe das Vorbrechen unserer Verbündeten aus Südtirol einsetzte, trug Italien die Last von rund 700000 Mann Verlusten . Wie viele Tausende seither bis zu den letzten fruchtlosen und blutigen Gegenstößen der zweiten Julihälfte hinzugekommen sind , läßt sich nicht Renommisterei ist es aber, wenn italienische Blätter von großen Verbänden reden , die man für den Westen oder für Sarrail feststellen.
Wie tief Italien in seinen Menschenbeweist die Verordnung vom 18. Juli , die alle 1882 bis 1888 Geborenen der Marineaushebungslisten sofort einberuft. Die Ausgebildeten der Marinelisten dieser Jahrgänge sind lange zur Verfügung stellen könnte .
vorrat hineingreifen muß,
schon beim Landheer unter den Waffen (Gesetz 1908 ) . Im Frieden bei der Aushebung als unabkömmliche Familienernährer der see- und halbseemännischen Bevölkerung der III. Kategorie, damit gemäß Gesetz vom 1. Februar 1900 dem Landsturm des Landheeres, überwiesene Leute sind die jetzt Einbeordeten, die im Frieden keinerlei Ausbildung erhalten haben und die man , während der gleichaltrige unausgebildete Landsturm der Landbevölkerung schon unter den Waffen war, bis jetzt sorgfältig zu schonen versuchte, weil die Belassung in ihrem Schiffer- oder Fischerberuf für die Ernährung des Landes von größter Bedeutung ist. So sieht es bei unseren Gegnern aus, keine Bluffversuche können darüber hinwegtäuschen . G. R.
XI . Ziele der Befestigung. Von Woelki, Oberst z. D.
Im gegenwärtigen Kriege wird von Befestigungen
viel Gebrauch
gemacht, so widerwillig dies auch oft genug geschehen mag und wie wenig zutreffend man darauf vorbereitet gewesen ist. Erfolgt doch die Befestigung erst in Ausführung der Absicht, sich zu verteidigen und ist dies nur ein negatives Ziel, während der Angriff unstreitig mehr dem Kriegsgedanken , den -anlagen und -neigungen entspricht ; also, daß man wohl dem Angriff die Priorität (Vorhand) zuzuerkennen pflegt.
104
Ziele der Befestigung .
Die Verteidigung darum aber lediglich als Rückwirkung ( Reaktion ), oder nur von dem zu erwartenden Angriff bedingt anzusehen , geht denn doch nicht an. Schon deshalb nicht , weil es gar nicht möglich ist, die fraglichen Angriffe - vorher - in Art, Kraft und Zeit auch nur annähernd richtig vorauszusehen ; wie auch wieder die Angriffe durch die verschiedenartigsten Rücksichten und Erschwernisse - wie sie auch die Befestigungen bieten - folgerichtig beeinflußt werden . Und wenn von seiten des Angriffs, seinen Vertretern und Organen (Angriffswaffen) wohl auch die vorhandenen und seiner Zeit entstehenden Befestigungen lediglich
als Ziele ,
mit der
schließlichen Bestimmung
angesehen werden möchten , bei richtig angesetztem Angriff bezwungen zu werden, so widerspricht dem die Tatsache,
daß es nicht nur von
Natur durchaus gesicherte Stellungen gegeben hat, unangreifbar erscheinen ,
sondern daß sich
die
auch noch
auch (künstliche) Befesti-
gungen, mit einem Übermaß an Sicherheit gegen jeden in Frage kommenden Angriff, nicht nur vorübergehend , sondern auch andauernd schon bewährt haben ; daß sie mithin auch weiterhin , und erst recht mit den neuen und neuesten Mitteln als mit einer derartigen Widerstandskraft
als herstellbar
ihrer Überwindung
erst
angenommen werden müssen , wieder
besonderer
und
daß sie zu
unverhältnismäßig
großer und schwieriger Maßnahmen, Kräfte, Mittel und Bedingungen erfordern ; womit - praktisch - die fragliche Aufgabe als schon gelöst angesehen werden könnte. Eine Wechselwirkung von Angriff und Verteidigung liegt unbestritten vor und wird als solche durchaus gewürdigt ; v. Blume (vgl. „ Strategie “ S. 367 ) bezeichnet u . a . „ die defensive Kriegführung als Gegenstück (Korrelat) der offensiven "; das natürliche Verhältnis wird aber durch einseitiges Betonen und willkürliches Hervorheben der Vorzüge wie leicht erklärlich zumeist des Angriffs --- nur zu leicht zum Schaden des Ganzen verschoben, zumal es nicht nur schwer, sondern auch bedenklich ist, dagegen, mit Rücksicht auf die zugehörigen unwägbaren Werte, die nicht geschmälert oder gefährdet werden dürfen ,
anzukämpfen .
Angriff und Verteidigung
sind auch
miteinander so verflochten , die zugehörigen Kampfhandlungen zumeist auch so wechselnd , daß eine völlige Trennung und grundsätzliche Scheidung nicht durchführbar ist, oder aber von der Wirklichkeit ab- und irreführt . Zur besseren Erkenntnis muß man schon die Pflugschar
tiefer
ansetzen ;
etwa
wie
Reinh .
Wagner
in
seinen
Grundlagen der Kriegstheorie " ( 1912 ) die Zwecke jeden Kampfes als ideelle Motive aller bezüglichen Maßnahmen, als Handlung und Gegenhandlung ,
oder
auch
als I. und II . Ordnung in der
105
Ziele der Befestigung. Überwältigung des Feindes, eigenen Sicherung gegen Überwältigung ; Überraschung des Feindes zur Vereitelung der Sicherung, Vorsicht, vorsichtigen Beobachtung
des Feindes zur Verhütung
der eigenen Überraschung, und Überlistung des nahmen
Feindes zur Vereitelung seiner Vorsichtsmaß-
entweder durch
bloße Geheimhaltung des
eigenen
Vorhabens oder durch positive Täuschung darüber findet und gliedert und dazu wieder die zu Gebote stehenden Mittel , den Ort und die Zeit in Betracht zieht und behandelt . Er bleibt damit durchaus der ja auch
auf dem Boden
und im Geiste
nur sachlich-unbefangen
eines v. Clausewitz ,
den Grundgesetzen des Krieges
gegenüberstand , derart, daß er oft genug nicht verstanden, oder doch nicht genügend beachtet wurde (und noch vielfach wird). Wenn er u. a . schreibt : „ Die Verteidigung ist also kein absolutes Abwarten und Abwehren, also kein vollkommenes Leiden , sondern ein relatives, von mehr oder weniger offensiven Prinzipien durchdrungenes .
Ebenso
ist der Angriff kein homogenes Ganze , sondern mit Verteidigung unaufhörlich gemischt. Zwischen beiden findet aber der Unterschied statt, daß die (rechte) Verteidigung ohne offensiven Rückstoß gar nicht gedacht werden
kann,
während beim Angriff der Stoß
oder
Akt an sich ein vollständiger Begriff ist . " Von den Kämpfern selbst und deren geistigen und moralischen Kräften wird dabei freilich zunächst abgesehen; im besonderen also auch davon, daß die Mehrzahl der Verteidiger sich in einer bedrängten und bedrohten Lage befindet" (Clausewitz) ; wohl aber wird
von der Voraussetzung vorgegangen , positives Ziel " bzw. I. Ordnung
„ immer zu suchen ist ,
daß
der
soweit (eben) Kräfte,
Angriff
als
Mittel,
Ort
und Zeit es gestatten , dem negativen aber nur Folge zu geben , als notwendig ist ; ersteren Handlungen stets möglichst starke Kräfte zu widmen, für letztere Handlungen mit möglichst geauszukommen ; dabei noch die auf negativen Motiven beruhenden Handlungen möglichst in den Dienst der positiven Zwecke, und ebenso Handlungen nach Motiven niederer.
ringen Kräften
Ordnung in den Dienst höherer Zwecke zu stellen . Unablässig aber als höchsten Zweck im Kampfe selbst die Überwältigung des Gegners
im Auge zu behalten .
Kann
sie nicht geraden
Weges und mit einem Schlage erreicht werden, so muß es eben auf Umwegen durch geschickte Kombinationen geschehen " usw. (Wagner. )
106
Ziele der Befestigung.
In gleichem Sinne
hält es übrigens auch v. Clausewitz hervor-
zuheben nötig : „ Einen großen positiven Erfolg wird man nur durch positive, auf Entscheidung und nicht auf Abwarten gerichtete MaßAuch bei der Verteidigung erhält man den regeln herbeiführen. großen Gewinn nur durch einen hohen Einsatz. " Wer freilich können
auch
sich nicht für den Angriff stark genug fühlt “ , dem
die Vorteile
des
positiven
Zieles
werden sie ihn zu dessen Aufnahme bewegen. wohl
noch
Stellung
auf
Clausewitz,
wenn er
nicht helfen ,
noch
Der beruft sich denn
irgendwo
99 eine
vorzügliche
findet, glaubt auch wohl in dessen Sinne zu handeln , wenn
er doch nur seiner eigenen Neigung und Anlage nach verfährt , und , wenn auch nicht mit nachweisbarem Schaden, so doch ohne die Begeisterung, den Impuls, der dem Angriff,
wenn
nicht schon
inne-
wohnt, so doch leichter zu verleihen gelingt , andernfalls freilich auch ohne den Gehalt an moralischen Kräften zu gewinnen , den gerade eine schwierige Lage wohl zu verschaffen imstande ist. In den von R. Wagner angeführten allgemeinen Kampfgrundsätzen sind denn auch schon die Ziele der Befestigung gegeben. Sie stimmen im wesentlichen mit den bekannten Grundsätzen von Clausewitz überein, wonach ,,die Verschanzungskunst dem Verteidiger nicht dazu dienen soll, sich wie hinter einem Walle mit mehr Sicherheit zu wehren, sondern den Feind mit mehr Erfolg anzugreifen, " wozu noch die vielfachen Ausführungen des Satzes : „ die Verteidigung besteht aus zwei heterogenen Teilen , dem Abwarten und dem Handeln “ zu zählen sind ; ferner : „ Eine Defensivstellung nähert sich um so mehr dem Ideal,
je
versteckter ihre Stärke ist, und je mehr wir Gelegenheit haben, den Gegner durch unsere Gefechtskombinationen zu überraschen. “ Dazu noch der bekannte Satz mit dem „ blitzenden Vergeltungsschwerte " und
all dergleichen
Mahnungen,
das
Handeln ,
die Aktivität,
das
offensive Element anzuregen, zu wecken und zu fördern, und so, erforderlichen Falles,
dem Trägheitsmoment entgegenzuwirken ,
damit
nicht etwa die Kampfkraft, so sehr sie auch immer gelitten haben mag, in bloße Passivität versinke ,
sondern die Truppe,
dem Antäos
gleich, aus dem Boden neue Kraft und Leben gewinne. In gleichem S. 366) , erfüllt
daß
sein
Sinne
verlangt
denn
auch v. Blume ( „ Strategie "
eine gute defensive Kriegführung von aktivem Geiste
muß “ ,
wie
daß „ Befestigungsanlagen,
vom taktischen
Standpunkt betrachtet, den Zweck haben, die Verteidigungsfähigkeit von Örtlichkeiten , die an sich eines besondern Schutzes bedürfen,
107
Ziele der Befestigung.
oder als Stützpunkte für die Tätigkeit der beweglichen Streitkräfte dienen sollen , zu erhöhen . “ Für ausschließlich passives Abwarten reicht eben auch die stärkste Befestigung nicht aus ; da wird die Gefahr,
„ auch den letzten Rest
von Mut und Willenskraft zu vergraben “ wohl dringend .
Wenn dann
aber weiter als oberster Grundsatz hingestellt wird , daß die „ Befestigung durchaus
der Offensive dienen soll " , so kann dem nur soweit
beigetreten werden, bzw. dies nur so verstanden werden , „ durch die Befestigung an Kräften zu sparen , um an irgendeiner anderen Stelle zur Offensive stark genug zu sein. " Allen willkürlichen Zustutzungen der Frage gegenüber erscheint da die von R. Wagner durchgeführte Gliederung des Stoffes im Anschluß
an die vorangeführten Motive großzügig-überlegen ,
alle Gefechtsanlagen,
wie es
wenn er
eben auch die Befestigungen sind,
aus
folgenden elementaren Bestandteilen zusammengesetzt findet : 1. Anlagen zur Überwältigung des Feindes durch den Waffen-
gebrauch : a) zum Gebrauch der Feuerwaffen : aufstellungen ,
vorteilhafte Gefechts-
b) zum Gebrauch der blanken Waffe : Kommunikationen ;
Gefechtsbahnen und
2. Anlagen zur Sicherung gegen die Wirkung der feindlichen Waffen ; a) gegen die Wirkung der feindlichen Fern- und Feuerwaffen :
Geschoßfänge und -deckungen , b) gegen die Annäherung bzw. den Angriff mit der blanken Waffe, Handgranaten usw.: Hindernisse und Absperrungen ; 3. Anlagen zur Überraschung des Feindes ;
4. Anlagen zur Beobachtung des Feindes ; 5. Anlagen zur Überlistung des Feindes durch Verbergen des eigenen Vorhabens , mittels Schleier ,
Blen-
dungen , Masken , oder durch Täuschung desselben mittels Scheinanlagen. Beim Ziel 2 , der Sicherung , ergibt sich ohne weiteres auch diejenige der als „unentbehrlich " erachteten Orte, weil dies durch - also Truppen allein die Zersplitterung der Armee zur Folge hätte, die Notwendigkeit eines grundsätzlichen Minimums an Truppen , um so desto mehr zur Verwendung im freien Felde bzw. für das positive Ziel ( 1 ) verfügbar zu behalten, - und als Mittel hierzu : die Befestigung überhaupt, wie die Ortsbefestigung im besondern . Ebenso aber ergibt sich
auch die Befestigung oder Verstärkung des
Ziele der Befestigung .
108 Kampfplatzes -
zur „ stärkern “ Kampfart (nach Clausewitz )
- aus
der an Menge oder Wert geringeren Verteidigungskraft der Truppe, die dann zu ersetzen oder zu vermehren bleibt, bzw. hängt sie davon ab. Aus dem so gefundenen Hauptziel der Befestigung ergeben sich die einzelnen Sonder- oder Bedarfsziele nach der Verschiedenheit und dem Wechsel der Verhältnisse , der Mittel, Kräfte und Zeit.
So die der
dauernden, vorübergehenden und vorläufigen (provisorischen) Befestigung. die des Feld- wie Stellungskrieges. der tieferen damit
Aber auch solche Ziele, wie sie aus
und besondern Auffassung der
verbundenen
Beweggründe
mit den
sittlichen Beweggründen hervorgehen,
von den
gewohnheitsmäßig gebrauchten bis zu den tiefst durchdachten , den Augenblicksergebnissen ,
wie den
dürfnissen berechneten,
gehören hierher.
für die
in Aussicht Bei
stehenden Be-
aller sonstigen
Ver-
schiedenheit . So tritt bei den zuletzt aufgeführten, den in Aussicht genommenen, die Beachtung der Vorsorge besonders hervor und verlangt entsprechende Berücksichtigung .
Und je weiter und ungewisser
ihre Inanspruchnahme , desto größer wird natürlich die Schwierigkeit , den
dann
gerade
vorwaltenden
Bedürfnissen
gerecht
Handelt es sich doch um nichts weniger als darum,
zu
werden.
die kommenden
Ereignisse, wenn auch nicht völlig vorauszusehen , so doch gemäß der Entwickelung der hier
in Betracht kommenden Umstände in ihrer
Richtung zu erkennen und in Anschlag zu bringen.
Es kann also
nicht genügen, die Sicherung der für eine längere Dauer bestimmten Befestigungsanlagen gegen die gerade vorhandenen Angriffsmittel durchzuführen ,
und bekannten
sondern es ist noch unabweislich einer
gewissen Vervollkommnung und Vermehrung dieser Rechnung tragen, und wäre es auch nur durch ein Mehr der Ausmaße .
zu
DieWichtigkeit der bestimmenden Ansicht ( Intuition) ist hierbei wohl noch größer wie sonst ; diese muß darum , will sie ihrer Aufgabe gerecht werden, über alle Gewohnheiten und Methoden (Grundlehren) hinausgehen ; sind es doch schließlich der Geist, die geistige Arbeit und Kraft , die wie auch sonst im Kampfe der Völker auch an dieser Stelle entscheiden. Wie hoch auch immer ruhmvolle Überlieferungen gelten, es bedürfen
überkommene Verfahren,
ebenso
wie die vorhandenen
und wohl bewährten Mittel, einer ständigen Nachprüfung eben daraufhin, ob sie nicht nur gerade noch,
sondern auch weiterhin durchaus
zweckmäßig sind, wie auch, nach welcher Richtung sie auszubilden und mehr zu verwerten sind . Hierbei und anschließend kommen selbst, soweit dies möglich, auch die moralischen Werte in Betracht ; -von denen Wagner, wie v. Clausewitz („ Von der Überlegenheit und Tapferkeit, Übung und anderen Eigenschaften
des
Heeres ist
Ziele der Befestigung. hierbei nicht zu reden " ), absieht.
109
in der obigen Zusammenfassung
zunächst
Daß dabei, in derartig schwierigen Wertschätzungen , Irrtümer vorkommen und gelegentlich zutage treten, darf dann ebensowenig von den einmal erfaßten Zielen ablenken , noch die Tatkraft in ihrem Verfolge lähmen, wie etwa die wechselnden Tagesmeinungen . Eine den Stoff wie die Umstände beherrschende, umsichtige und planvolle Leitung vorausgesetzt ; es darf also keine bloße Methode, noch Vertretung von Grundsätzen statthaben, die nicht im Wesen der Sache allein, hier der Befestigung, begründet sind ! Noch darf man diese etwa in möglichst einfache und bequeme Formen bringen wollen ! Daß dergleichen Zustutzungen im Ernstfalle versagen müsssen, Bestreben, die
Befestigung
nun wohl das vergebliche
hat ja
grundsätzlich " auf eine Linie zu
schränken, eindringlich genug erwiesen . Recht, wenn er verlangt, daß
die
be-
Wohl hat Moltke durchaus Kräfte der Technik
Wissenschaften im Kriege nicht alliiert,
und der
sondern Vasallen der Krieg-
führung sein " sollen ; ebenso Wagner, wenn er vor der Gefahr warnt . daß 99 der Einfluß der Technik den Kriegsgedanken überwuchere “ ; man sollte sich aber doch vorschen, daß man , in (MiB)Verkennung der Technik ,
wie
und den sie
bedingenden Umständen ,
der Befestigung im besondern ,
mit ihren Mitteln
ihr Leistungen zumutet . die
weder ihrer Natur, noch auch der mit ihr verbundenen und so -- mittelbar - durch sie doch bedingten Taktik, entsprechen. Sind schon die Ziele der Befestigung, wie oben erwähnt, nicht so einfach festzuhalten, wie es wohl scheinen möchte, so erweisen sich die Ziele , oder auch nur Absichten , die mit der Befestigung,
wie mit anderen.
Zweigen der Technik verfolgt werden , erst recht leicht verfänglich , wenn eben diese, vielleicht von den verschiedenartigsten , selbst einander widersprechenden Umständen bedingt, nicht klar durchschaut werden, ob sie auch einwandfrei sind und nicht etwa gar irreführen bzw. führen sollen. Allein die Entscheidung darüber, was in jedem Falle der springende Punkt, oder, was nicht nur notwendig, sondern auch von verschiedenen , einander wohl gar widerstreitenden Bedürfnissen, das wirklich Notwendigste ist ,
verlangt
schon
eine über
das Gewöhnliche hinaus überlegene Einsicht und Kraft des Urteils. An der Entscheidung der Frage: Was ist von den mancherlei ineinandergreifenden Bedürfnissen „ notwendig" ? zerschellt dann wohl auch zumeist
selbst ein Vorwurf,
wie : „ Es grenzt an Landesverrat,
wenn einmal für notwendig erkannte Befestigungen verschoben werden " ; bis auf die Folgerung vielleicht :
ins
Ungewisse
von den be-
teiligten Kreisen zunächt mehr Interesse und Verständnis zu verlangen bzw. dafür einzutreten.
Ziele der Befestigung .
110
Die neuzeitlichen Verhältnisse und Bedürfnisse sind ja nachgerade allgemein so mannigfaltig und verwickelt geworden, daß der ursprüngliche Begriff und Hauptinhalt
solcher Tätigkeit wie
wohl verwirrt und verkannt werden mag.
der Befestigung
Und dies um so
mehr,
als er , an sich „ konservativ " , dem Fortschritt, der Weiterentwickelung, dem kühnen Vorwärtsdrängen gegenübersteht. Wiewohl er auch den Ausgangspunkt und Boden für sie in folgender Reihe liefern kann : Festsetzen Behaupten und Sichern Erstarken und Wachsen bis zur Überfülle, zur Überlegenheit und damit - schließlich - zum Angriffswillen. Den Angriff, das angriffsweise Verfahren aber mit der Verteidigung zu verbinden , verschleiert wieder oder trübt den Grund-
gedanken, sofern er, der Angriff, nicht durchaus getrennt, oder auch angesetzt und durchgeführt wird . Nicht, daß
im Wechsel mit ihm ,
der Erfolg durch eine innigere Verbindung ausgeschlossen wäre ! Denn da im Kampfe jedesmal die verhältnismäßige Überlegenheit entscheidet, kann wohl auch der schwierigere Weg der Vermehrung und Verwicklung der Gründe usw. wohl zum Erfolge führen , - unter Voraussetzung freilich, daß die Lage -- trotzdem - noch (besser) beherrscht wird !
Im allgemeinen
aber ist
kannte hohe Wertschätzung marschall Graf Moltke wohl
auch hier,
wie sonst wohl,
die be-
des „ Einfachen im Kriege " durch Feldbegründet und
voll berechtigt .
Und
hierbei besonders in bezug auf die Anordnung der schließlichen Ausführung. Kommen also zu dem Gedanken der Sicherung noch solche wie das der Belebung
des
moralischen Elements ,
Vorbeugung der
Gefahr dessen Versumpfens und Versagens hinzu , dann werden wenigstens die Maßnahmen hierzu möglichst einfach zu halten sein . In allen zugehörigen Fällen und Absichtszielen vergißt man nur zu leicht die Schwerfälligkeit der zugehörigen Stoffe : die Befestigung in ihrer Anordnung und Ausführung erst von dem im entscheidenden (taktischen) Moment
entstehenden
Bedürfnis
abhängig
machen
zu
wollen, kann nur die Beschränkung auf die allereinfachstendürftigsten Ausführungen zeitigen. Anderseits wächst mit dem Grade der
vorher rechtzeitig ge-
planten und gehörig ausgeführten - Verstärkung nicht nur die Arbeit und Zeit der Herstellung, sondern auch deren Gewicht, ihre Bedeutung, ihr Wert und Einfluß für die
eigene Armee wie
für
den Gegner,
wobei Abschätzung und Ausnutzung wieder eine Fülle von Möglichkeiten bieten. Das, was in jedem Falle erreicht werden soll (die Ziele) , wird darum auch daraufhin zu prüfen sein, was mit Rücksicht auf Geschichte und Entwickelung überhaupt erreichbar ist, worauf sich unter Umständen zu beschränken verhältnismäßig am ehesten
Ziele der Befestigung.
111
was noch in den meisten Fällen vorteilhaft bleibt, womit dann freilich wieder ein weiter Spielraum für die Ansichten nach Kenntnis, Vorurteil und Willkür gegeben ist.
angängig ist,
wie auch :
„ Uneinnehmbare " Befestigungen gibt es also, wie schon erwähnt, ebensowenig wie unbesiegbare Heere , noch sonst absolute Größen , zumal im Kriege . In dieser Beziehung sind allerdings die Ansprüche gegen früher mehr und mehr heruntergedrückt, und zwar ziemlich allgemein darauf, daß die Festungen wie Befestigungen zu erobern dem Angreifer so viel an Kräften und Zeit kosten müssen , daß für die Verteidigung an anderer Stelle , oder im ganzen , noch ein Vorteil bzw. Gewinn sich ergibt " . „ Wenn danach eine Befestigung den Angreifer, der die zugehörigen Opfer vermeiden erfüllt. "
will , zurückschreckt,
hat
sie ihren Zweck
schon
Das gilt besonders von den, von langer Hand, rechtzeitig, mit allen Mitteln der Technik und dem höchst erreichbaren Maß von passivem Widerstandsvermögen ausgestatteten, ausgiebig ausgerüsteten und gut besetzten Festungen der Landesverteidigung, von strategischer wie taktischer Bedeutung .
Diese
sind
bekanntlich von den alten
Städte- und Staatsbefestigungen¹ ) ausgehend , dauernde Ortsbefestigungen, mit dem „ Zweck, die Verteidigungsfähigkeit von Örtlichkeiten , die an sich eines besonderen Schutzes bedürfen , oder als Stützpunkte dienen sollen , zu erhöhen “ (v . Blume) . Als solche sind sie zunächst passive Streitmittel. deren unmittelbare Wirkung „ sich auf den von ihren Geschützen beherrschten Raum beschränkt " , und deren (strategische) Bedeutung für die Kriegführung „ lediglich durch den unterstützenden oder hemmenden Einfluß bedingt ist, den sie auf die Tätigkeit der im Felde stehenden Streitkräfte ausüben “ (v. Blume) , und die
entsprechend angelegt, der Landesverteidigung einen Rückwie auch " deren Aufgabe nicht in ihrem passiven
halt gewähren " ;
Widerstande, sondern darin gipfelt, möglichst starke Kräfte des Wozu, also zu entsprechenden Gegners zu fesseln " (v. Blume). sie wieder ", nur im Verein mit im aktiven Geiste Leistungen vollwertigen Truppen genügen " (v. Blume).
Des
weiteren , im be-
sonderen bezüglich der strategischen Bedeutung der Festungen , wie der daraus erwachsenden Aufgaben mag hier nur noch auf das 1) Seitdem sind die Festungen nicht mehr „ Selbstzweck " gewesen, wie nach dem Aufsatz : ,, Die Festung im Rahmen des großen Krieges" im Militärwochenblatt Nr . 92/93 , 1916 , angenommen werden könnte . Sie waren für größere Staaten vielmehr nur Kriegszweck und bleiben dies auch im Stellungskriege, dem sie, entsprechend ihrer Widerstandskraft , Anschluß und Stütze bieten .
112
Ziele der Befestigung.
22. Kapitel der „ Strategie " v. Blume verwiesen werden . niedergelegte Auffassung wegs veraltet ; sie haben vorgänge,
soweit sich
Die dort
und deren Ausführungen sind noch keinessich vielmehr durch die
diese
schon genügend
bisherigen Kriegs-
übersehen lassen , als
vollauf bestätigt erwiesen . So betreffs Einschätzung der Verände infolge der vervollkommneten Waffen- wie der sonstigen
rungen
Technik,
der
modernen Massen- und Volksheere und deren Begleit-
umstände ; zu denen auch wieder die bedeutendere Rolle gehört, die nunmehr die Befestigungen (Festungen ) nachgerade spielen ( S. 230 ). Dazu ist aber auch die Wahrscheinlichkeit nicht zu vergessen (S. 115 ) , „ daß die Landesbefestigungssysteme der Staaten, wie bisher, so auch beim Ausbruch des Krieges selten ganz auf der Höhe der
künftig,
Anforderungen der Zeit stehen werden . Wesentlich wird hierzu die Kostspieligkeit ihrer Unterhaltung beitragen . Und wenn in lebenskräftigen
Staaten bei Verwendung der
verfügbaren Geldmittel in
für die
Landesverteidigung
erster
Linie darauf Bedacht genommen wird , die aktiven Streitkräfte in möglichst vollkommener Schlagfertigkeit zu erhalten, infolgedessen aber manche wünschenswerte Verbesserung im Landesbefestigungswesen zurückgestellt wird “ usw. , SO ist dies
infolge
der
örtlichen Gebundenheit der letzteren
gerecht-
fertigt. Die so begründete Rückständigkeit der Festungen ist aber zumeist auch schon von vornherein darin begründet , daß die ersten Anlagen nur ein dürftiges Kompromiß (Zusammenlegen) des als notwendig Erkannten mit dem nach den Stande der Technik wie der Verfügbarkeit der Geldmittel Erreichbaren, wie der jeweils vorherrschenden taktischen Anschauung darstellen . Wenn dann mit der Fortentwickelung der Technik auch die Gewalt der Angriffsmittel fortschreitet, so ist ein dauerndes Widerstandsvermögen um so weniger gesichert, als die Erkenntnis wie Würdigung der Verhältnisse . Dazu kommt, daß die Aufstellung und Durchbringung der Entwürfe, wie deren umständliche Ausführung, recht erhebliche Zeiträume beanspruchen , die Anlagen wohl leicht geworden.
also daß
schon veraltet sind, wenn sie endlich fertig
Sofern nun diesem
Umstande
nicht
anders
begegnet
werden kann, ergibt sich aus ihm wohl das praktische Ziel noch : der
Möglichkeit
einer sachgemäßen Vervollständigung,
nicht Vervollkommnung, Rechnung zu tragen.
wenn schon
durch Aus- und Umbauten von vornherein
Auf die Sonderaufgaben ,
Zwecke und Ziele von Stellungen ,
festigungen wie Festungen hier weiter einzugehen, wird , gehend, nicht beabsichtigt ;
sie können
bekannt vorausgesetzt werden ,
Be-
als zu weit-
auch wenigstens insoweit als
als sie den vor dem Kriege vorherr-
Ziele der Befestigung.
113
schenden Ansichten und Lehrbüchern entsprachen. Wenn man dabei u. a. das ,,freie Schußfeld " allen anderen Eigenschaften (Zielen ) voranstellte , - anstatt (nach R. Wagner) von der Sicherung gegen die zu gewärtigenden Angriffe auszugehen — , schon dem Bestreben, den
99 aktiven
Teil"
so entsprach dies der Verteidigung ,
eben „ das
Handeln" (nach Clausewitz) in den Vordergrund zu stellen , zu fördern ; gleichsam als Zeichen dafür, daß alle anderen (Momente) Umstände und Rücksichten vor dem aktiven Gedanken zurückzutreten haben ; - selbst, wenn es auch in Wirklichkeit oft genug nicht zu verhindern ist , ja , versäumt werden darf, daß die 99 eigene Sicherung
es gar nicht
(gegen Überwältigung durch den überlegenen Feind) vorherrschendes Ziel des Handelns wird. " So handelt es sich im ganzen gleichsam um zwei Gegenpole der Befestigung, denen sich alle übrigen Ziele anschließen bzw. die noch hinzukommenden Umstände anzugliedern haben. Die Fülle und Verschiedenartigkeit der sich ergebenden Anordnungen und Formen , die in unendlicher Reihe, der fortschreitenden Entwickelung entsprechend , oder auch in willkürlichem Wechsel, in die Erscheinung treten, liegt eben in der Natur des Kampfes , Kräfte
wie der dabei
beteiligten geistigen
begründet.
Wie dies die bisherigen Kriege und auch der jetzige zeigen , mit all den verschiedenen und doch auch ähnlich bedingten Bildern , den selbstverständlichen wie den überraschend erscheinenden, - die im Grunde dies (das eine wie das andere) nur bedingt und teilweise sind, und nur im entsprechenden Maße dem Bedürfnis gerecht werden, auch nur als Mittel in der Hand der Führung und Ausführung zur Geltung gelangen. Danach verspricht
es wenig
scheinungen der Gegenwart,
Erfolg,
aus
den
fraglichen
Er-
so gewaltig sie auch auf uns eindringen
mögen, wie aus dem ausgedehnten und andauernden Stellungskrieg, aus den augenscheinlich veränderten Bedürfnissen, wie hinsichtlich des freien Schußfeldes,
der Deckung und Sicherung nach oben ,
der
ungeheuren Verstärkung und Vermehrung der Kampfmittel, der Kräfte und Massenheere , die sich ergebenden Ziele für die Zukunft aufund feststellen Interesse ,
ist
zu wollen.
Wohl aber
beansprucht
auch von praktischem Werte,
auch weiterhin nach dem Wesen und
es
unser volles
ebenso wie
zu forschen und
so den Boden für die richtigen Anschauungen und der wachsenden Ziele vorzubereiten. Auch wenn man den
so
den eigentlichen Gründen der
hauptsächlichsten hierher gehörenden Erscheinungen
Immanuel im
bisher ,
daraus er-
diesbezüglichen Ausführungen von Oberst
Militärwochenblatt Nr. 62/63 ,
1916 ,
daß ,, die Er-
scheinung des Stellungskrieges durchaus natürlich aus der Ent8 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 540.
Ziele der Befestigung.
114 .
wickelung der Massenheere wie der Technik hervorgegangen , wie durch die besonderen Kräfte und Verhältnisse bedingt werden": ,,Der Krieg entwickelt sich in seinem Verlauf aus sich selbst
heraus.
Die Erfahrung hat bewiesen, daß im Kriege die schönsten
Lehren durch die Tatsachen eine andere Gestalt gewinnen , als man erwartet hat.
Aber wie die Strategie nach Moltkes Ausspruch ein
System der Aushülfen ist, so liegt das Geheimnis der erfolgreichen Taktik darin, den veränderten Verhältnissen Rechnung zu tragen, ihrer Herr zu werden und sie
auszunutzen .
Alles unterliegt dem
Wandel auf dieser Welt und nur der bleibt Sieger , der sich durch die Überraschung nicht bewältigen läßt“ zustimmen möchte, so darf doch auch die Aufgabe der Kriegswissenschaft nicht ausgeschaltet werden , den eigentlichen Gründen der ,,so natürlichen Entwickelung" nachzuspüren, um dem hervorgehobenen Übelstande , daß ,,die schönsten Lehren durch die Tatsachen eine andere Gestalt gewinnen ", soweit möglich vorzubeugen , oder doch das betroffene Gebiet einzuschränken . Dies Ziel ist - allgemein Bis auf einen Punkt freilich, der nicht aussichtslos genommen an sich unbestimmbar und unwägbar, sich jeder Voraussicht entzieht ; das sind eben die nicht abzuwägenden sittlichen Werte ! Denen gegenwärtigen Kriege so überaus viel an Einfluß , Gewalt und Wirkung zuzuschreiben haben . Wenn aber auch mit ihnen alles zu erklären bzw. auf sie zurückzuführen wäre , so wir namentlich
auch
im
bliebe für die Wissenschaft immer noch die Nachprüfung der Begleitumstände und Folgeerscheinungen; in Wirklichkeit bleibt aber noch mehr. Und wenn Oberst Immanuel in demselben Aufsatz den Stellungskrieg von den Schlachten am Schaho und bei Mukden herleitet, so bleibt und lohnt es immer noch, festzustellen, inwieweit die besonderen Kräfteverhältnisse ihn wirklich bedingt , und ob noch andere Ursachen , wie die eingetretene Vermehrung der Verteidigungskraft durch die neuen Kampfmittel, oder was sonst noch mitgewirkt hat.
Ferner, ob die dortigen Ursachen auch anderweitig und ferner-
hin in Anschlag zu bringen
und
danach die Ziele
der Kriegsvor-
bereitung zu nehmen sind. Zu solchen Untersuchungen gehört freilich auch das Entsprechende an Interesse und Sachkenntnis ; so u. a. eine völlige Beherrschung der Technik.
Wo
posterior und Nebensache behandelt wird , raschungen ,
die
diese fehlt da ist
zukünftige Kriege bieten ",
oder als cura
freilich ,,für Über-
mehr Raum
als nötig.
Von den Überraschungen übrigens , die der zeitige Krieg gebracht hat, bleibt bei näherem Zusehen nicht zuviel übrig, bzw. das von einem (höheren) Standpunkt,
wie er an maßgebender Stelle voraus-
zusetzen ist ( vgl. das vorgehend über die Wichtigkeit der bestimmenden
Ziele der Befestigung.
115
Ansicht angeführte ), nicht schon vorher in Anschlag zu bringen war ; so war der Stellungskrieg nicht mehr neu , die Überraschung aber mit den übermächtigen Geschützen doch nur einseitig. Zu welchem Ergebnis aber auch eine Prüfung der Vorbedingungen für die künftige Kriegführung, im besonderen (u . a. ) betreffs des Vorherrschens des Stellungskrieges , den einen oder andern führen mag, die eigentlichen Ziele der Befestigung bleiben
davon
unberührt.
Sind sie doch selbst von der zeitigen Technik, den vorhandenen und sich weiter entwickelnden Umständen keineswegs so durchaus abhängig,
daß
sie
nicht durch geistige Kräfte gestellt,
geadelt und
gemeistert werden könnten . Theoretisch wenigstens herrscht auch betreffs der schon wiederholt erwähnten Frage , der Verbindung des Angriffs mit der Verteidigung , oder des positiven mit dem negativen Ziel, volle Übereinstimmung, - von Clausewitz , der die Verteidigung als einen „ Schild " hinstellt, „ gebildet durch geschickte Streiche “ , bis zu v. Blume,
der,
neben
Festungen (Befestigungen),
den schon
entsprechend
angeführten Sätzen, der Größe
„ den
und Bedeutung
der Heeresmassen und deren gesteigerten Bedürfnissen , einen gegen früher vermehrten Einfluß zuerkennt", diesen aber zumeist von dem Geist und der Tüchtigkeit der Truppe und deren aktiven Betätigung abhängig macht ; aber auch von R. Wagner verlangt : „ der Übergang zur Offensive muß von der Verteidigungsarmee, neben der eigenen Sicherung, fortdauernd erstrebt (werden) und jede Gelegenheit benutzt welche dem Versuche, zunächst zur Teilüberwältigung der
werden,
Angriffsarmee, nur irgendeinen Erfolg verspricht. " Anders stellt es sich jedoch in der (Praxis) Wirklichkeit. Da erscheint die Schwierigkeit , in jedem Falle die entsprechenden Ziele, Maßnahmen und Formen
zu finden, um dem Widerspruch von Abwarten und
Handeln, von Sichern und Angreifen zu lösen und das unumgängliche Maß von Energie der Truppe zu gewinnen, nur zu oft als unüberwindlich . werden ?!
Soll nun darum die Frage, als zu verfänglich, aufgegeben Denn doch nicht ! Wohl wird es niemandem verwehrt
werden können, sich selbst ein Armutszeugnis auszustellen ; aber um so mehr wird sich auch die wahre Kunst bewähren . Und das zugehörige Bedürfnis macht sich immer wieder geltend.
Wie anders.
wären auch die unaufhörlichen Gegenstöße der Franzosen vor Verdun zu erklären oder gar zu rechtfertigen,
wenn sie trotz
Verluste und
dabei verharren !
ohne
merkliche
Erfolge
der schweren
Wenn sie eben doch nicht der Überzeugung wären , die Verteidigung so noch immer vorteilhafter durchzuführen, als mit bloßem Abwarten und Artilleriekampf ! Ziels (nach Wagner ),
Sei es, daß sie , gemäß des oben angeführten eine Teilüberwältigung, eine Zermürbung und 8*
116
Ziele der Befestigung .
Erschöpfung des Gegners erzielen ,
sei es,
daß sie auch nur das Be-
dürfnis
empfinden, durch äußerste Betätigung ihre Widerstandskraft zu erweisen und so den Gedanken der Niederlage hintanzuhalten. Die methodische Kriegführung des 17. und 18. Jahrhunderts hat denn auch schon , mit Rücksicht auf die Schwierigkeit der be-
sagten Frage, - da doch nun einmal das eigene Hervorbrechen ( „ die Streiche " ) desto mehr erschwert wird , je vollständiger die Sicherung durchgeführt wäre , und weil man auch nicht Schlagen und Parieren, weder zugleich noch an derselben Stelle, könne, sich der Trennung des Angriffs- von Verteidigungsfelde zugewandt. von Caldiero 1796 noch nach dem
Die Schlacht
gibt bekanntlich ein Musterbeispiel hierzu. Und Deutsch-Französischen Kriege ( 1870/71 ) stellte
R. Wagner (Grundriß der Fortifikation 1872 ) etwa folgende Grundsätze auf: A. Für Defensiv -Verschanzungen : Benutzung eines natürlichen Hindernisses mit Freimachen des Schußfeldes , dahinter zwei Reihen von Befestigungen (Schanzen) ; selbst,
die erste
am Hindernis
die zweite zur Verhinderung der Entwickelung des An-
greifers , mit Vorstoßbahnen wie eigenen Hindernissen . B. Für Offensiv - Verschanzungen :
1. Benutzung
eines
zur Ver-
wendung großer Truppenmassen geeigneten Geländes und 2. Anordnung der Befestigungen ( Schanzen) in einem Treffen , was aber nicht die Anwendung von zwei Linien so nahe hintereinander
ausschließt,
ja
unter Umständen
fordert,
hintere Linie die vordere nicht nur unterstützt, beherrscht.
" Beide Linien
daß die
sondern auch
sind als defensorisches Ganzes auf-
zufassen, in welchem die erste ein 9 Vortreffen ,
die zweite das
,Haupttreffen bilden. " (Im Gegensatz also zu zwei selbständigen Treffen , die nacheinander in Wirksamkeit treten und dementsprechend weiter auseinander liegen müssen. ) So groß und berechtigt nun auch die Abneigung gegen (Normen und Methoden) Grundsätze und Regeln sein mag, und die Erfahrung lehrt, daß sie, mißverstanden und falsch , weil geistlos angewandt, oft und leicht mehr Unheil anrichten als Nutzen stiften, so läßt sich doch nicht bestreiten , daß sie als Anhalt und Ausgang für
eigene Erwägungen von Wert,
auch in gewissem Umfange für die allgemeine Schulung unersetzlich sind. Die damit verbundene Gefahr, daß sie die Geistestätigkeit mehr einschläfern als anregen, wissenhaft aufgestellt,
dürfte wohl hintanzuhalten sein.
Ge-
können sie aber wohl den Kern und Haupt-
niederschlag von altbewährten Erfahrungen bilden , die andernfalls erst mühsam und mit dem unvermeidlichen Lehrgeld gewonnen werden mögen, - wenn man eben in jedem Bedarfsfalle nur zweck-
117
Ziele der Befestigung.
verfahren will. Gewiß entsprechend" - nach eigenem Urteil ― Wenn aber z. B. ― auf ihm - im ist dieser Weg der einfachere. Verlauf des Stellungskrieges von der ersten und einzigen Linie sich mit der Zeit doch die altbewährten drei Treffen herausbilden , so würde im Gegensatz hierzu die planmäßige Anwendung und Ausbildung des Endergebnisses doch sicher überwiegende Vorteile bringen bzw. gebracht haben und auch in Rücksicht auf die Klarheit und Zuverlässigkeit der Anordnung allgemein mehr Erfolg versprechen. Nicht , daß hier damit ein bestimmter Vorschlag oder Aburteil gemacht werden
soll !
Noch sind wir
mitten im Kriege,
und der
Gewalt der im Flusse befindlichen Erscheinungen sind noch alle Erwägungen zu sehr ausgesetzt bzw. von ihr beeinflußt .
Und wenn
sich auch im Laufe des Krieges die Erfahrungen gesammelt, die Ansichten geläutert und die Praxis in einem Maße mehr, wie sonst in Jahrzehnten : im
allgemeinen ,
wie
noch viel weniger
zu
der
es ist nicht
Technik
bestimmen ,
im
ausgebildet haben,
nur die Entwickelung
besonderen
unübersehbar ;
weil unendlich veränderlich,
sind
nun doch einmal die Kriegslagen mit ihren Einflüssen und Auffassungen, - denen doch schon Rechnung zu tragen wäre. Wenn z . B. unter dem Gewicht der jüngsten Erfahrungen
für die Zukunft
vorzugsweise, oder auch nur besonders, für die Führung des Stellungskrieges vorgesorgt würde , -― dann würde damit auch leicht ein mächtiger,
wohl gar entscheidender Antrieb für den oder die Gegner
gegeben, solche zu vermeiden . Und daß dies unter vielfachen Umständen noch möglich bleibt, dabei leicht schneller zum Ziele führen würde , wer will das bestreiten ? Sind nicht die Kampfmittel und Umstände , die die Verteidigung so erheblich stärken, daß sie,
vermeintlich , den
Stellungskrieg herbeigeführt haben , nicht zumeist für den Angriff erst recht benutzbar ? Wird man auch vielleicht dem Stellungskrieg dann noch desto mehr aus dem Wege gehen,
je mehr er jetzt aus-
genutzt und ausgekostet ist ? und dergleichen mehr. Wenn aber so auch für die schließliche Gestaltung der zukünftigen Kriege, und deren Bedürfnisse im einzelnen , bestimmte Richtungen anzunehmen noch nicht geraten erscheint, und, so sehr auch die Kriegs- und Kampfmittel
vermehrt mögen ;
Hauptziele
wie wohl
haupt
der
wechseln Befestigung -
und verstärkt werden
deren Gebrauchsarten
die
fraglichen der
und
eigentlichen
Vorbereitung
über-
, die der möglichsten Sicherung gegen die gefährlichsten An-
griffe, wie die der Begünstigung der eigenen Betätigung, des positiven Ziels, bleiben unberührt und unverrückt dieselben. Die schließlichen Bedürfnisse der Zeit
werden wenigstens
Geübten nie überraschen noch überwältigen,
den
Kundigen und
vielmehr ihm erst recht
118
Zur Aufklärung im Kriege.
Raum und Gelegenheit geben wirksamsten Maßnahmen !
zu
den
verhältnismäßig besten und
Die regste Aufmerksamkeit und angespannteste Vorarbeitung im Verfolg und Ausnutzung der technischen wie völkischen Entwickelung Es mag hierbei beispielsweise auf die Möglichkeiten hingewiesen werden, welche die weitere Ausgestaltung von bestückten
vorausgesetzt !
ja selbst nur der Panzerkraftwagen, wie der Luftfahrzeuge, Maschinengewehre - für den Festungs- und Stellungskrieg noch bietet ; und dies immer in dem Bewußtsein, - woran nicht oft genug erinnert werden kann - 1 daß höher im Werte, wie die Mittel , deren wie,
wirksamster Gebrauch steht, Hauptziel der
Befestigung,
daß es auch ein oder gar das
wie jeder
sonstigen Kriegsvorbereitung
nicht nur auszunutzen bleibt, die geistigen und sittlichen Kräfte sondern erst recht zu fördern und zu heben , sie aber unter keinen Umständen oder Vorwänden in Fesseln schlagen oder gar lähmen zu lassen .
XII .
Zur Aufklärung
im Kriege.
Von E. von Sommerfeld, Oberstleutnant a. D.
Für die Aufklärung im Kriege gab es bisher zwei Hauptquellen, die Erkundungen der Reiterei und die Agenten- bzw. Zeitungsnachrichten. Beide hatten ihre Schwächen. Die Reiterei gewann nur selten einen Einblick über die vorderste Linie in das dahinterliegende Getriebe und die Agentennachrichten flossen aus trüben Kanälen und brauchten Zeit, so daß sie bei der Rastlosigkeit des Bewegungskrieges vielfach zu spät kamen. Der gegenwärtige Krieg erfreute sich eines weiteren, die eben bezeichneten Mängel vielseitig behebenden Mittels in der Beherrschung der Luft.
Im
wesentlichen
waren
dieser Auf-
klärungsart nur noch zwei Grenzen gezogen, schlechte Witterung und Unsichtiges und die Behinderung durch feindliche Luftfahrzeuge . stürmisches Wetter ist nicht aus der Welt zu schaffen . Zur Beseiti-
119
Zur Aufklärung im Kriege.
gung der Bezahlung mit gleicher Münze durch den Gegner wird aber alsbald ein niemals endender Wettbewerb unter den Völkern um die Überlegenheit über dem Erdboden anheben .
Vor der Erfindung der
Luftfahrzeuge wurde die ausschlaggebende Begründung für die Vermehrung der Reitermasse darin gefunden, daß zu Beginn des Krieges gewaltige Kavalleriemassen mehr oder weniger weit vorauseilend zu Entscheidungskämpfen aufeinander prallen würden ,
mittelst
welcher
der obsiegende Teil zwecks eigener unbehinderter Entfaltung der Aufklärungstätigkeit
dem Gegner die Reiterwaffe zu vernichten hätte. Hätten nicht alle Vorausverkündungen einen Haken, so hätte die Prophezeiung ihre Berechtigung, daß alle zukünftigen Kriege zu dem gleichen Zwecke mit gewaltigen Luftkämpfen anheben werden .
Eins
kann jedenfalls unbestritten behauptet werden : die Heeresführung , die die Obmacht in der Luft besitzt, hat den allein sicheren Boden für den Erfolg bei der Aufklärung unter den Füßen . Ohne die Beherrschung der Luft bestand die Schwierigkeit der Hier strategischen Heeresleitung in der Kunst Rätsel zu raten. flackerte ein trübes Licht auf und dort ein anderes . Oft handelte es sich um
ein täuschendes
Irrlicht.
Und aus
dieser schwachen,
bald wieder verlöschenden Beleuchtung mußte der Inhalt des gewaltigen Bildes richtig ergründet werden. Die Zahl der dunklen Kriegs. lagen überwog bedeutend die hellen . Zurzeit ist das Verhältnis etwa umgekehrt. einen
In
der überwiegenden Mehrzahl
schaffen die Flugzeuge
ziemlich weitreichenden Einblick in die Stellungen oder Be-
wegungen des Gegners.
Es leuchtet auch dem
blödesten Auge ein ,
welche Entlastung die Strategie hierdurch erfahren hat.
Nicht genug
aber kann angesichts dieser Sachlage auf die Fälle hingewiesen werden, wo der Luftdienst versagt und somit die Maßnahmen des Gegners
in
das
frühere
Dunkel
untertauchen.
Der
verlockendste
Feind des menschlichen Scharfsinns ist die Verwöhnung.
Der Schluß-
stein aller strategischen Schulung muß daher auf die Ergründung und zweckentsprechende Behandlung der spärlich beleuchteten, verschwommenen und widerspruchsvollen Kriegslagen eingestellt bleiben. Weil nun das jetzige große Völkerringen verhältnismäßig arm an Beispielen hierfür ist , behält für die Kunst der Truppenführung die Durchforschung
der
früheren Kriege
ihre unverminderte Bedeutung.
Ein Heerführer, der sich ihre Lehren nicht von Grund auf zu eigen gemacht hat.
wird und muß
plötzlich
in verhängnisvoller Weise
versagen.
Ein
klassisches
Erkenntnis
ein
Schulbeispiel,
entscheidender,
auf wie
strategischer
dürftige Brosamen der Entschluß
aufgebaut
120
Zur Aufklärung im Kriege.
werden muß, bietet der Rechtsabmarsch der deutschen Armeen nach Sedan. Nach der Einkesselung der
französischen Rheinarmee in Metz
hatte die deutsche Heeresleitung die III. Armee und die Maasarmee nach dem Innern Frankreichs mit dem allgemeinen Ziel auf Paris in Bewegung gelassen bzw. gesetzt . Nach unumstößlicher Gewißheit über die Ausgestaltung und
Ergänzung der Armee des Marschalls
Mac Mahon bei Châlons zu einem neuen kampfbereiten Heere wurde diese Stadt als das nächste Marschziel bestimmt, wobei zu gleichzeitigem Angriff in Front und Flanke, sowie zwecks Abdrängung des Marschalls von Paris nach Norden die südlich vorrückende III . Armee den Fuß um durchschnittlich einen Tagemarsch voraussetzen sollte. Immer enger sich zusammenschiebend hatte am 24. August die vorgeschobene linke Staffel der III Armee mit den vordersten Korps die Linie Laimont - Sandrupt- St . Dizier erreicht. Weit vorgeschoben stand die 4. Kavalleriedivision auf dem westlichen Marneufer bei Arzillières
südlich von Vitry.
Von der
Maasarmee gelangte,
sich
nördlich anschließend , das IV . Korps über die Aire nach Rosnes , das Gardekorps bis an diesen Fluß hinan nach Chaumont sur Aire , auch waren hier die Gardekavalleriedivision und die 6. Kavalleriedivision halb rechts nach Norden bis Vaubecourt- Triaucourt bzw. Foucaucourt, mit Vortrupps bis an die Aisne bzw. die Ante vorgeschoben . Getrennt und zurück stand nur infolge des an diesem Tage mißlungenen Handstreichs auf Verdun die 5. und 12. Kavalleriedivision hintereinander an der Bahn Verdun -Reims bei Dombasle und Nixéville, sowie das sächsische XII. Armeekorps bei Ancemont und Houdainville auf beiden Seiten der Maas. Während der Ausführung dieser Hauptquartier während Duc mit dem
hielt das Große
Commercy
nach Bar le
Oberkommando der III. Armee in Ligny eine
sprechung der Kriegslage ab . lediglich zwei richten mit :
Bewegungen
der Verlegung von
mittelbare,
Be-
Hierzu brachte das Armeeoberkommando schon
tags
zuvor
eingegangene
Nach-
1. Die Anwesenheit des Kaisers Napoleon mit einem großen Teil der französischen Streitkräfte in Reims, 2. einen von der II. Armee vor Metz aufgefangenen Brief, in welchem ein höherer französischer Offizier der eingeschlossenen Rheinarmee die zuversichtliche Hoffnung auf durch die Armee von Châlons aussprach .
einen
Entsatz
Einen dritten Beitrag steuerte das Oberkommando der III . Armee von der 4. Kavalleriedivision bei :
121
Zur Aufklärung im Kriege
Châlons und Umgegend sicher geräumt, Abzug auf Reims wahrscheinlich ¹ ) . Nur auf drei zerbrechlichen Krücken waren also die Nachrichten über den Feind angehinkt gekommen .
Sicher war nur die Räumung
von Châlons. Die Anwesenheit Kaiser Napoleons mit einem großen Teil der Armee in Reims war nur ein Gerücht, wenn auch ein leidlich begründetes.
Der Metzer
Brief war endlich
nur der private
Erguß eines französischen Offiziers, bei dem der Wunsch augenscheinlich der Vater des Gedankens war. Im besten Falle spiegelte er eine in Metz
weitverbreitete
Stimmung
wieder.
Kein
Anzeichen
aber
sprach dafür , daß es sich um die Anschauungen der maßgebenden Kreise handelte, die in die Tat übersetzt werden sollten . In solchen unverbindlichen Briefen kommen oft die krausesten Bocksprünge ans Tageslicht.
Immerhin hatte Moltke seinen
Bedeutung beigelegt,
daß
beiden Quellen
so viel
er der Maasarmee die Aufklärung gegen
Reims und die mehrfache Zerstörung der einzigen für den Vormarssh auf Metz in Frage kommenden Bahnlinie Reims - Rethel - Mezières-Longuyon -- Diedenhofen
auf der Ardennenstrecke
anempfahl2) .
Der
III. Armee war dagegen neben ausgiebiger Ausnutzung der Kavallerie die
Heranziehung des
bisher
rückenden VI . Armeekorps Bahnzerstörung
getrennt
aufgegeben
südlich worden .
auf
Joinville vor-
Die Maßnahme der
entsprang lediglich der Erwägung,
kein dem Feind
Abbruch tuendes Mittel außer acht zu lassen . Augenscheinlich hatte sich bei Moltke selbst der Gedanke an den Ersatzversuch Bazaines noch nicht zu klarer Erkenntnis durchgerungen. Erst in der Besprechung von Ligny wurde diese Anschauung durch den General quartiermeister von Podbielski mit bewußter Schärfe dahin formuliert, daß ein Vormarsch der Franzosen von Reims zum Entsatze des Marschalls Bazaine, ungeachtet der dagegen sprechenden militärischen Bedenken, dennoch
aus politischen Gründen
nicht unwahrscheinlich
¹) Major v . Klocke war tags zuvor mit 2 Schwadronen des Dragonerregiments Nr. 5 seiner Division um rund 60 km voraus bis an die Tore von Châlons geeilt, dies trotz der zu Gewalttaten neigenden, aufgeregten Bevölkerung, und hatte die Stadt und ihre Umgebung vom Feinde geräumt gefunden, während nach Aussage der Landbevölkerung auch das Châlons Lager von Châlons nur noch von Mobilgarden besetzt war. liegt von Ligny rund 90 km entfernt. Zum mindesten die 60 km bis St. Dizier mußte die Meldung mit ermüdeten Pferden zurückgebracht werden. Auch die Schnelligkeit der Rückmeldung wäre daher ein kavalleristisches Meisterstück . Möglichenfalls aber entstammt die obige Nachricht einer anderen Quelle, wenigstens zu dieser Zeit noch. 2 ) Die Bahn Reims - Verdun - Metz fand 1870 noch in Verdun , ohne den Schlußteil bis Metz , ihr Ende .
122
Zur Aufklärung im Kriege.
sei und sich daher für den weiteren Vormarsch des deutschen Heeres eine Verschiebung desselben nach dem rechten Flügel hin empfehle. “ Indes seine Stimme verhallte damals noch wie die Stimme des Predigers in der Wüste.
Nach längerer Beratung wurde
Richtung geändert,
sondern
nicht
die
allgemeine
nur das Zeitmaß beschleunigt,
weil die
zur Zeit vorliegenden Meldungen darauf hindeuteten, daß der Gegner, sei es unmittelbar,
sei es durch
eine Flankenstellung etwa bei Laon
die Hauptstadt zu decken beabsichtige ! Nichts lehrreicher und lohnender als der Anschauung Podbielskis auf ihre innere Berechtigung nachzugehen : Der General hatte sein Urteil auf der richtigsten Unterlage aufIm Ernstfalle des Krieges lautet die Frage nicht , welches ist die objektiv beste Maßnahme des Gegners " , sondern 99 was wird
gebaut.
er subjektiv nach der Veranlagung seines Führers, der Beschaffenheit seines Heeres und der Einwertung aller sonstigen , die Kriegführung beeinflussenden Verhältnisse in Wirklichkeit unternehmen ? " 1) Zunächst die Persönlichkeiten an der Spitze !
Der Kaiser Napoleon
befand sich in Reims.
Hätte er auch de jure den Oberbefehl an
Mac Mahon abgetreten ,
so wäre damit de facto sein Einfluß keinesNach den bisherigen Fehlschlägen aber Der Rücksichtnahme auf
wegs ausgeschaltet worden2 ) . krachte das
Kaiserreich in
allen Fugen.
die Erhaltung des Thrones für
seine Dynastie war also bei
den zu
ergreifenden militärischen Maßnahmen Tür und Tor geöffnet . Anderseits war der Marschall Mac Mahon ein ritterlicher, seinem kaiserlichen Herrn treu ergebener Soldat, dem die Erhaltung der Napoleoniden die Hauptsache war, dagegen war er auf dem Gebiete der TruppenSolche Persönlichkeiten sind eben im dunklen Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit fremden , von der eigenen Bei Verantwortung enthebenden Einwirkungen leicht zugänglich. diesen Verhältnissen ließ sich also nicht ohne Berechtigung voraus-
führung kein Schwalbenfänger.
setzen,
daß politische Rücksichten bei der französischen Entschluß-
fassung ein gewichtiges Wort mitsprechen würden . „ Paris ist Frankreich " ,
nach diesem Spruch hatte die niedrige
Pariser Bevölkerung bei allen früheren politischen Umwälzungen im 19. Jahrhundert die verhängnisvolle , ausschlaggebende Rolle gespielt. Um die Bestie nicht zu erregen , war dasjenige Mittel das beste, welches den Pöbel von der mittelbaren Berührung mit dem Kriege, diesen also
möglichst weit von
den Toren
der Hauptstadt entfernt
1 ) Der General von Göben hat diesem Fundamentalsatze sprechenden Ausdruck gegeben. Zernin , Göben , II 164. 2 ) In der Tat hatte Napoleon am 17. August den Oberbefehl in die Hände des Marschalls gelegt.
123
Zur Aufklärung im Kriege. hielt .
Schlagwörter entflammen sodann die Masse am leichtesten .
Welches aber lag für ihre Hetzer näher, als daß Mac Mahon die bedrängte Rheinarmee
nicht
im Stiche lassen dürfe !
wandte sich an die Ritterlichkeit,
Dies Stichwort
welche das französische Volk in
Erbpacht genommen zu haben glaubte. Nun war die Nachricht von der Anwesenheit des Kaisers Napoleon mit dem Hauptbestandteil der Armee bei Reims dem großen Hauptquartier am 23. August zugegangen . Selbst in dem günstigsten Falle, daß diese Versammlung erst am 22. August stattgefunden hatte, konnte Mac Mahon , da ihm die Verlegung des geraden Weges über Verdun auf Metz zweifelsohne bekannt war, auf dem nächsten nördlichen Umwege in den drei Marschtagen des 23. bis 25. August die Aisne bei Vouziers und in weiteren drei Marschtagen, also am 28. August, die Maas bei Dun und Stenay erreicht und selbst überschritten haben. Wegen der sonst unvermeidlichen störenden Rückwirkung auf die Einschließung von Metz spätestens hier die Franzosen zu stellen .
war
es
wünschenswert ,
Am 27. August mußten also, als dem letzten Termin , deutscherseits die erforderlichen Streitkräfte kampfbereit am Ostufer der Maas bei Dun und Stenay
zur Verwehrung
des Flußüberganges
bereitstehen.
Das
war, mit dem Zirkel abgemessen , für die ganze Maasarmee, zudem deren Kavalleriemassen westlich des Flusses dem Gegner empfindliche Marschverzögerungen
auferlegen
konnten,
in
den
stehenden drei Marschtagen vom 25. bis 27. August
zur
Verfügung
leicht und für
die beiden nördlichsten Bayerischen Korps der III . Armee mit einiger Anstrengung zu erreichen . Würde dem Gegner auch nur 24 Stunden der Flußübergang verwehrt, so war die Ankunft weiterer erheblicher Teile der III . Armee gewährleistet . Verharrten dagegen am folgenden Tage, also am 25. August, die beiden
deutschen
Châlons -Paris ,
Armeen
in
so brachte
der
bisherigen
der Umstand,
Marschrichtung
auf
daß die Franzosen einen
weiteren Schritt nach der Maas zu, die Deutschen einen solchen von der Maas weggetan hätten , eine gewichtige Erschwerung für die Ausführung des Programms. Der breite Eckpfeiler des Widerstandes an der Maas bei Dun und Stenay stürzte wohl hoffnungslos ins Wasser. In diesem Falle winkte nur noch ein letzter von Metz weit genug entfernter Rettungsanker Damvillers und Spincourt,
durch
das
Ausbiegen
weiter
östlich
auf
wo nach Verlauf der Marschbewegungen
des 29. August die beiden Gegner gleichzeitig eintreffen konnten . Nicht übersehen durfte dabei werden,
daß bei Antritt der Be-
wegung am 25. das unwegsame Waldgebirge der Argonnen zwischen
124
Zur Aufklärung im Kriege.
Aire und Aisne queren war.
zu umgehen , späterhin aber vielfach nur zu durchEin Schwergewicht hing jedoch an den Füßen des Ge-
dankens an diesen Entsatzungsversuch . Sein Gelingen war darauf eingestellt , daß die Vereinigung mit Mac Mahon und die Abfertigung des Prinzen Friedrich Karl stattgefunden hatte, ehe die auf Paris Vormarschierenden
deutschen
Heeresteile
ihr
Schwert in
die Wag-
schale werfen konnten, Wie war mit der hierdurch gebotenen Eile die den Weg nach Metz verlängernde statt verkürzende Zurückführung der Armee von Châlons nach Reims zu vereinigen ? Damit fiel eigentlich die ganze Mutmaßung glatt zu Boden. Kein Zweifel zunächst ,
erwies sich der Abmarsch nach Norden
als ein Luftstoß, so war die darauf verwandte Zeit ein unbezahlbarer Vorteil zur weiteren Wiederherstellung des beträchtlich in die Brüche gegangenen Haltes der Armee von Châlons . Die Sicherheit der unbeschirmten Hauptstadt war vermutlich fernerhin angesichts ihrer ausschlaggebenden Bedeutung für Frankreich von so durchgreifender Wichtigkeit,
daß mit
unverkennbarer Wahr-
scheinlichkeit der entschlossene deutsche Vormarsch gegen
die ge-
heiligte Stadt die Armee von Châlons zur schleunigsten Umkehr bewegen würde . Kam es dabei nach dem Vorbild von GravelotteSt. Privat ganz oder beinahe zu Kämpfen mit verkehrter Front, so war, nach dem Ausspruch des alten Fritz, der liebe Gott auch in diesem Falle mit den stärkeren deutschen Bataillonen . Der Entsatzversuch der Rheinarmee war schließlich ein klippenreiches Abenteuer, für welches im Grunde nur das Gefühl souveräner Überlegenheit vom rein militärischen Standpunkt aus die Berechtigung abgeben konnte.
Die Verbeugung vor der Allgewalt des Volkswillens
hätte die Stimme tönen müssen.
strategischer Abwägung doch gar zu
Vernunftgemäß
blieb allein der Schutz
grell überder Haupt-
stadt, der schließlich entweder zur Vermeidung der Einwirkung ihrer schädigenden Einflüsse
in der Front weit
genug vorverlegt
oder in
einer Flankenstellung, etwa bei Laon, gesucht werden konnte . In dieser letzten Annahme lag die viel ungezwungenere Erklärung für die Marschrichtung seitwärts-rückwärts nach Reims. Wenn also die Beibehaltung des Weitermarsches geradeaus nach Châlons sich zwar als ein Fehlgriff herausstellte, so standen ihr jedenfalls gewichtige Taufpaten zur Seite.
Die oberste Regel aller Heeres-
führung war jedenfalls gewahrt, es war kein schwächlicher Kompromiß zwischen zwei Möglichkeiten geschlossen , sondern der angenommene Entschluß mit worden.
offensichtlicher
und
folgerichtiger Tatkraft verfolgt
125
Zur Aufklärung im Kriege.
Darum handelte
der Kronprinz
von Preußen ganz folgerichtig,
als er sofort die für den 26. August gesteckten Ziele an der Straße Vitry - St. Menehould schon tags zuvor erreichen ließ . Je weiter der Vorsprung der
III . Armee,
desto
besser wurde
zugleich der
etwaigen Wendung rechtsum vorgearbeitet, weil sie alsdann von vornherein nicht hinter der Maasarmee, sondern seitwärts herausgeschoben auf eigenen Marschstraßen stand . wägung wert gewesen .
Ein Punkt wäre vielleicht der Er-
Das XII . Korps stand mit seiner Kavallerie-
division an diesem Tage noch weit zurück bei Verdun .
Für
die
Unternehmung gegen Paris war es füglich entbehrlich . Wäre es nicht vielleicht, als ein Akt weiser Vorsicht, auf Dun und Stenay zu entsenden gewesen,
wo es dem Überschreiten
der Maas
nach Osten zu
einen zeitraubenden
Riegel von beträchtlicher Stärke vorgeschoben hätte ? Damit wäre ein Sicherheitsventil gegen das Zuspätkommen geschaffen worden. Gerade in diesem Zeitpunkt läßt sich der epochemachende Fortschritt der Luftbeherrschung für die Aufklärung am deutlichsten vor Augen führen.
Die bisherigen kümmerlichen Nachrichten hatten für
die deutsche Heeresleitung lediglich die um 48 Stunden zurückliegende Lage beim Gegner mit einzelnen Streiflichtern aufgehellt .
In Wahr-
heit stand die versammelte Armee von Châlons am 24. August schon zwei, allerdings durch mannigfache Reibungen verkürzte Tagesmärsche östlich von Reims bei Rethel - Contreuve, letzteres etwa 10 Kilometer westlich von Vouziers .
Wie anders , wenn Flieger sie dort aufgefunden
oder gar schon ihren Marsch von Reims an begleitet hätten !
Mit
fliegenden Fahnen wäre am folgenden Morgen der Rechtsabmarsch dagegen angetreten worden. Der 25. August brachte nun für die deutsche Heeresleitung die Erlösung. Die
Franzosen gelangten
Rethel bis
an
die
mit feststehendem linken
Aisnestrecke
Flügel in
über Amagne und Attigny nach
Vouziers, Kavallerie zur Erkundung der Argonnenpässe nach Le Chesne und Grandpré vorgeschoben . Deutscherseits
erreichten von der Maasarmee die Kavallerie die
Aisne bei St. Menehould
und
die Anthe bei Vieil
Dampierre ,
die
Hauptmasse die Linie Triaucourt - Laheycourt, während das XII . Korps sich hinter dem rechten Flügel bis Dombasle vorschob . Die III . Armee stand nach beendeter Tagesleistung mit den drei Korps der vordersten Linie
mit einer leise angedeuteten Rechtsschwenkung bei Chaumont-
Heiltz -Levêque stand
und Faremont.
die Kavallerie
östlich
Bemerkenswert weit
angesichts Châlons,
zwei
vorgeschoben Schwadronen
126
Zur Aufklärung im Kriege.
des Dragonerregiments Nr. 5 unter Major von Klocke sogar vor den Toren von Reims bei St. Léonard an der Vesle . Ein geradezu einzigartiger Fall . Fast auf der gleichen nordsüdlichen Linie, nur zwei Tagemärsche voneinander getrennt, stehen die beiden feindlichen Armeen,
die eine das Gesicht nach Osten, die
andere nach Westen gewendet.
Wenigstens die deutsche Armee hatte
am Morgen dieses Tages noch keine Ahnung Lage.
So verschieden
Dem Truppenführer,
von dieser verzwickten
liegen die Verhältnisse in Krieg und Frieden.
welcher
bei
den Herbstübungen ahnungslos an
seinem Gegner vorbeimarschiert wäre , winkte zuverlässig Cylinder und Regenschirm . So fest hielt Moltke
an seiner Meinung fest,
daß er
noch am
Abend des 24. August in Bar le Duc den Weitermarsch bis zu der am 28. zu erreichenden Linie Suippes -Châlons -Coole entwarf, von der aus je nach Umständen entweder geradewegs auf Paris weiterKurz vor gerückt oder nach Reims abgeschwenkt werden konnte. der Mitternachtsstunde,
nachdem wohl der Eingang der Klockeschen
Meldung die Räumung von Châlons bestätigt hatte, trafen zwei neue Nachrichten ein . Zunächst ging
vom Oberkommando der III. Armee
eine vom
Prinzen Albrecht bei der 2. Kavalleriedivision aufgefangene Pariser Zeitung ein mit der Bestätigung der Nachricht, daß der Marschall Mac Mahon mit etwa 150000 Mann bei Reims Aufstellung genommen habe. Sodann meldete ein über London eintreffendes Pariser Agententelegramm :
Mac
Mahon
und Prinz bei Armee .
bei
Reims
versammelt.
Kaiser
Mac Mahon sucht Vereinigung
Napoleon
mit Bazaine
zu gewinnen . Auffallend lange ging das große Hauptquartier über diese zweite Bestätigung des Vorrückens der Armee von Châlons gegen Metz zu Rate. Einerseits die Tollkühnheit des französischen Unterfangens zum Vorrücken auf dem Bogen längs der belgischen Grenze, anderseits auf Seite der Deutschen die unvermeidlichen Reibungen sowohl bei der Truppe wie bei dem Nachschub der Heeresbedürfnisse bei diesem rechtwinkeligen Richtungswechsel, beides warnte gleichmäßig vor jeder Übereilung. Erst zwölf Stunden später, am 25. August vormittags 11 Uhr, erging nach der Lehre vom Parallelogramm der Kräfte der neue und zwar Kompromisbefehl. Weder Châlons westlich noch die Maas nördlich sondern in der Diagonale nordwestlich wurde Reims das neue Marschziel,
auf welches hin
am folgenden Tage
Château - St-Menehould - Villers
die Maasarmee Vienne le
en Argonne,
en Argonne - Changy (nordwestlich von Vitry)
die
III . Armee Givry
erreichen
sollte.
Die
127
Zur Aufklärung im Kriege. Kavallerie der Maasarmee Vouziers erreichen ¹).
aber sollte weitausgreifend Buzancy und
In gespanntester Erwartung der Entscheidung bearbeitete Moltke, um keine Minute weiter zu verlieren , am Nachmittag das nachstehende Marschtableau für den etwaigen Rechtsabmarsch nach Norden aus :
XII. Korps : Gardekorps : IV. Korps :
Maasarmee
26. August Varennes
27. August Dun
Dombasle
Montfaucon
Fleury
bei Verdun
28. August nötigenfalls Rückzug auf Damvillers Azannes
III. Armee
I. Bayr. Korps : II. 99
von Metz
III , Korps : IX. 99
Gegend von Nixéville Chaumont
(südöstlich Damvillers)
Damvillers
Etain Landres
Mangiennes (östl. Damvillers)
Am Abend selbst aber ging eine weitere Gruppe Nachrichten zu . 1. Nach Quelle und Inhalt nicht
näher
bezeichnete Mitteilungen
ließen den Anmarsch französischer Truppen
auf Vouziers ver-
muten. Der einen war eine französische Zeitung beigefügt mit der Wiedergabe aus einem belgischen Blatte, „ daß kein französischer General seine Gefährten im Stiche lassen könnte , ohne dem Fluch des Vaterlandes zu verfallen ". 2. Pariser Blätter hatten verschiedene Reden der Nationalversammlung,
alle
Frankreich,
dahingehend gebracht, falls
die Rheinarmee
es
sei
eine
Schmach für
ohne Unterstützung gelassen
werde". 3. Ein Londoner Telegramm meldete aus der Nummer des Pariser Temps vom 23. August den Abmarsch von Châlons nach Reims infolge des plötzlichen Entschlusses Mac Mahons zur Hilfeleistung 1 ) Eigenartig ist die Einleitung des Befehls : „ Alle hier eingegangenen Nachrichten stimmen darin überein, daß der Feind Châlons geräumt hat und auf Reims abmarschiert ist. “ Der Befehl wird also auf eine drei Tage alte, inzwischen lediglich sicherer bestätigte Nachricht gegründet (Generalstabswerk S. 970 letzter Absatz). Dies aber war heute nicht mehr zutreffend, da der Feind doch kaum drei Tage in Reims stillgelegen hatte. Der Aufenthalt des Gegners in Reims erklärte den beiden Oberkommandos die veränderte Marschrichtung dorthin keinesfalls. Das hieß mit einem Male den Stier geradeaus bei den Hörnern fassen, während er bisher so wohldurchdacht in der Front beschäftigt und vornehmlich in der rechten Flanke angegriffen und von dem Jungbrunnen der hauptstädtischen Hilfsquellen abgedrängt werden sollte. Nur zwischen den Zeilen, also nicht gerade sehr militärisch, war das Schielen auf den fcindlichen Vormarsch gegen Metz herauszulesen.
128
Zur Aufklärung im Kriege. für Bazaine, trotzdem die Preisgabe der Straße nach Paris die Sicherheit Frankreichs gefährde ." Anderseits hätte dagegen Montmédy noch nichts von dem Eintreffen französischer Truppen daselbst (d . h . nach der Annahme des Temps von dem Gegenzug Bazaines dorthin ) zu berichten gewußt . sich die Wagschale mit dem französischen Ent-
Hiermit erwies
satzabmarsch auf Metz zu als die schwerere .
Nach eingeholter könig-
licher Genehmigung wurden alle Anordnungen für den bevorstehenden Rechtsabmarsch nach Norden leitet.
noch in der Nacht in die Wege ge-
Der Rechtsabmarsch sollte jedoch nur dann angetreten werden,
wenn die nach dem Befehl von 11 Uhr vormittags auf Vouziers und Buzancy vorgeschobene Kavallerie der Maasarmee den Feind zu Gesicht bekommen hätte. Der zur näheren Erläuterung der herrschenden Anschauungen und Absichten zur Maasarmee entsandte Oberstleutnant von Verdy erhielt alsbald hinterher eine festere Weisung mit auf den Weg.
Der Rechtsabmarsch sollte noch am 26. August unter allen
Umständen seine
erste Etappe erreichen .
„ Also abwarten höchstens
bis zur Mittagsstunde . hätte bis dahin die Kavallerie nichts von sich hören lassen, dann vorwärts." vorherrschenden Vermutungen
Nur wenn sie
bis zu
dieser Zeit die
einwandfrei als irrig festgestellt hätte.
sollte die am Vormittag des 26. August vorgeschriebene Diagonalrichtung auf Reims eingeschlagen werden. Das große Hauptquartier hat der Maasarmee die Aufklärung auf Vouziers - Buzancy schon von 11 Uhr vormittags
am 25. August in dem bekannten Befehl aufgetragen.
gangen oder nicht weitergegeben
War der Befehl
worden ?
verloren
ge-
Der Oberst von Verdy
fand wenigstens keinerlei darauf hinzielende Anordnungen bei der Maasarmee vor. Im Gegenteil, dort glaubte man die Kavallerie bereits
in
Bewegung
Châlons - Paris,
in
bevor der
der
ganz
Befehl
ursprünglichen
zur
Richtung
auf
Erkundung von Vouziers-
Buzancy bei ihr eintreffen konnte. Da somit bis zur Mittagszeit keinerlei Nachrichten von ihr zu erwarten waren, wurde der Rechtsabmarsch nach Norden mit größter Beschleunigung ins Werk gesetzt. Damit begann der erste Akt des mit der Gefangennahme der französischen Armee bei Sedan endenden Dramas. Die Verantwortung. mittelst welcher das Oberkommando
der Maasarmee den Stein noch
ohne die kavalleristische Aufhellung der Lage ins Rollen brachte, soll nachdrücklich auf ihrem Verdienstkonto gebucht werden .
Als Schlußwort noch eine kurze Bewertung der Quellen , welche der Rechtsabmarsch nach Norden aufgebaut worden ist.
auf Es
gibt deren drei : ein Privatbrief von militärischer Hand, Agentennachrichten und in Zeitungen aufgestellte Forderungen von Laien.
129
Zur Aufklärung im Kriege. Jede oberste Heeresleitung gibt bekannt,
wenn die Erwägungen
gemeinhin
ihre Absichten
erst
sich zum Entschluß und zur Aus-
führung verdichtet haben . Der erstgenannte Privatbrief gibt also nicht mehr als die höchst persönliche Anschauung des Verfassers , der im besten Falle die naheliegende
und weitverbreitete Sehnsucht der
in Metz eingeschlossenen Armee auf Befreiung widerspiegelt. Für einen sicheren Rückschluß auf die wirklich gefaßten Pläne der leitenden Stelle gibt er keine Gewähr . Auslassungen selbst
höherer
Wer die
französischer
unverantwortlichen
Offiziere aus
ihrem be-
schränkten Gesichtsfelde heraus , bei denen noch oft dem Ärger über die Nichteinholung ihres bewährten Urteils Luft gemacht wird, lesen bekäme,
würde den krausesten
zu
strategischen Seifenblasen be-
gegnen. Agenten-, d. h . Spionennachrichten , entstammen Federn aus dem Abschaum der Menschheit und werden durch eine Reihe unterirdischer
schlammiger Kanäle
gewonnen . Vielfach tragen die Agenten auf beiden Schultern und verraten die am schlechtesten zahlende Seite.
Ihre Nachrichten können zuverlässig sein, die Vorsicht aber verlangt unbedingt die eingehendste Nachprüfung durch reine Zuflüsse. In bezug auf Zeitungsnachrichten braucht bloß auf die Ungereimtheiten hingewiesen zu werden, die jetzt bezüglich der Heeresleitungen in den Spalten
der Tagesblätter des Vierverbandes üppig ins Kraut
geschossen sind. Die französische Presse von 1870 war wirklich kein verständnisvollerer Vorgänger . Die Kühnheit, mit welcher die deutsche Heeresleitung auf Grund der schwankenden Unterlagen
zwei Armeen nach rechts herumwarf,
erscheint der ruhigen Überlegung gegenüber fast wegenheit.
Und
als tollkühne Ver-
doch war sie das größte strategische Meisterwerk ,
weil sie nicht nach den objektiv richtigsten, sondern nach den subjektiv allein möglichen Maßnahmen des Gegners gefragt hatte. schlaggebend war das Bündel der richten .
Aus-
übereinstimmenden Zeitungsnach-
In Frankreich bedeutet die Presse eine
viel größere
viel gefährlichere Macht, als in irgendeinem anderen Lande.
und
Erregte
sie die Leidenschaften der Masse, forderte sie mit Ungestüm die Entsetzung der Rheinarmee, so widerstand ihr weder der kranke, um . das Thronerbe seines Sohnes besorgte Kaiser Napoleon , noch das vom Winde bewegte Rohr Mac Mahon. Die großartige Feldherrnkunst Moltkes zeigte sich also in der richtigen Erkenntnis der ausschlaggebenden Bedeutung eines anscheinend so schwankenden Bodens wie die französische Presse.
Die Fliegeraufklärung ist unbestreitbar der gewaltigste Fortschritt auf dem Gebiete der taktischen und strategischen Erkundung. 9 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 540.
Indes
Die Wehrerziehung in Frankreich .
130
kein Licht ohne Schatten. Die Heeresleitung darf sich - darin liegt eine unverkennbare Gefahr - nicht auf dem Altenteil der weitreichenden Einblick gewährenden Luftaufklärung zur Ruhe setzen . Nach wie vor muß sie sich vielmehr in der früheren Kunst geübt erhalten, sich aus wenigen und unklaren Strichen das richtige Bild der Kriegslage zusammensetzen.
XIII .
Die Wehrerziehung in Frankreich ") . Von Professor Brossmer, Oberleutnant d. R. I.-R. 169.
Ein in Frankreich Bild stellt
vor dem heutigen Kriege überall bekanntes
eine entschlossen
blickende Frauengestalt dar ,
sterbenden Soldaten sorgend die Waffe Worte:
Quand-même. Wenn auch,
die einem
aus der Hand nimmt.
Die
stehen bisweilen unter dieser be-
liebten Darstellung. 9 Wenn auch , der einzelne dahinstarb , der Sieg noch nicht errungen wurde - Quand-même - die große Idee einer restlosen Vergeltung erlittener nationaler
Schmach wird
auf leisen
Flügeln durch viele Generationen hindurch einer hoffnungsvolleren Zeit entgegengetragen . An allen Stellen , wo völkische Kraft erweckt und der Gedanke an das ruhmreiche Frankreich wachgehalten werden soll, erscheint im Geiste oder durch Flammenschrift an der Wand der Öffentlichkeit gezeichnet das stolze Wort : Quand-même ! Nicht
zuletzt muß die spezifisch-militärische Jugendvorbereitung
in Frankreich als ein günstiger Faktor zur Erlangung nationaler Wehrkraft im Sinne dieses Trostspruches gedeutet werden .
Schon kurz nach
1870 setzten Bewegungen dieser Art ein , und diese Strömungen flossen aus den volkstümlichen Turn- und Schützenvereinen in die breiten Massen des Volkes hinein.
Die militärischen Dienststellen
blieben
zunächst stumm und gaben vor dem Jahre 1900 keinerlei Weisungen über Inhalt und Form einer Wehrerziehung.
Aber von diesem Zeit-
punkt
Frage
ab findet
diese
militär-pädagogische
gesetzgebenden
Körperschaften eine
oberstes Gesetz
spricht
ein
sehr
innerhalb der
deutliche Beachtung.
Als
ehemaliger Kriegsminister die planvolle
Fortführung der moralischen und körperlichen Betätigungen der ersten 1 ) Vgl. die Aufsätze im März- und Juliheft .
131
Die Wehrerziehung in Frankreich .
Jugendjahre mit dem Wunsche aus, daß die allgemeine Körperkraft der Rekruten durch Vorübungen so gefördert werden möchte, daß in Zukunft die Krankenhäuser nicht so sehr überhäuft werden durch die große Zahl derer, die sich den Anstrengungen der ersten Ausbildungsmonate nicht gewachsen zeigen .
Die Betonung soldatischer Tugenden
im Werdegang des jugendlichen Gemüts soll jeder antimilitaristischen Propaganda Lektüre
von innen heraus entgegenarbeiten .
des Originaltextes
Man kann bei der
sich des Eindrucks nicht erwehren ,
daß
von der französischen Jugendbewegung auch eine wirksame Eindämmung antimilitaristischer
Zeitströmungen
erhofft wird .
Es gehen die in
neuerer Zeit sehr beachtenswerten Bestrebungen außerdem dahin ,
ein
großes und in der Welt geachtetes , allen Forderungen und Schicksalsfällen gewachsenes Frankreich dadurch zu erzeugen ,
daß die Jugend
die erste Grundlage
Die militärische
eines Volkes in Waffen bildet.
Vorbereitung soll in einem Alter beginnen , wo der junge Mann kräftig genug ist, eine Waffe zu tragen . Die Republik gilt für alle Zeiten als unbesiegbar, wenn vor der aktiven Dienstpflicht und nach der Entlassung aus dem Heeresverband der Franzose sich im Schießen und Turnen ohne Unterbrechung übt. Damit ergibt sich ein Volksheer, das neben dem Charakter der stehenden Streitkräfte noch die dauernde Übung nach Schweizer Art in sich birgt. So war ein guter Boden theoretischer Erkenntnis für das wertvolle Samenkorn einer praktischen Verwirklichung gegeben . Die ersten Schritte waren durch die Gesetze vom 27. Juli 1880 und vom 28. März 1882 erfolgt, die einen gesetzlichen Turnunterricht in allen Staats-, Gemeinde- und Kreisknabenschulen einführten, gleichsam als Ausgleich für die schon früher von fünf auf drei Jahre verkürzte Dienstzeit .
Im Jahre 1882 vollzog sich die Organisation der
sogenannten Schülerbataillone (bataillons scolaires) , die jedoch wegen ihrer rein militärischen Eigenart innerhalb der Jugend niemals Begeisterung erwecken konnten . Den stärksten Antrieb erhielt die Frage mittelbar durch das Gesetz über die zweijährige Dienstzeit vom 31. März 1905. Der Artikel 94 kündigt ein besonderes Gesetz über die Jugendvorbereitung an. Darin soll eine gleichmäßige
Turnausbildung
auf
allen
Schulen
verlangt
und
der Ausbau einer militärischen Jugendorganisation für Leute
zwischen
Jahre
1903
17
wurde
und durch
20
Jahren
die
gegeben
Initiative
ministers André denjenigen Jungmannen
des
werden .
zugleich
alle jungen . Schon im
damaligen
Kriegs-
nach vier Monaten aktiven
Dienstes Beförderungsmöglichkeiten in Aussicht gestellt ,
die eine er-
folgreiche Teilnahme an einem durch ministerielle Verfügung aufgestellten Lehrgang nachzuweisen imstande waren (Certificat d'aptitude militaire). 9*
132
Die Wehrerziehung in Frankreich .
Das Gesetz über die zweijährige Dienstzeit ( 1905) berücksichtigte in seinem Artikel 50 dieses 99 certificat " , indem die mit dieser Bescheinigung versehenen Achtzehnjährigen eine dreijährige Verpflichtung 99 le devancement d'appel" eingehen konnten mit der Aussicht , schon nach zwei Jahren entlassen zu werden, wenn sie späterhin eine Reihe festgelegter Übungen
ableisteten .
Die Begünstigungen und die Zug-
kraft dieser Bestimmung lag in der Möglichkeit einer frühzeitigen Erledigung der Heerespflicht, ein Umstand, der im Getriebe des wirtschaftlichen Lebens Vorteile bietet.
In der Folge gab ein Rund-
schreiben des Kriegsministeriums vom 19. Februar 1907 Wege an für die Durchführung des Schießunterrichts an den Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten . Mit der größten Sorgfalt sollen geeignete Unteroffiziere als Lehrpersonal ausgewählt und der ganze Lehrgang durch einen Offizier geleitet und überwacht werden . Inzwischen hatten sich in den verschiedensten
Landesteilen
Gesellschaften zur praktischen Förderung der militärischen Vorbereitung gebildet (Sociétés de préparation militaire). Eine ministerielle Äußerung vom 7. November 1908 gibt diesen Gesellschaften amtliche Richtlinien für die Organisation und den Dienstbetrieb an und bestimmt die von dem jungen Franzosen zu fordernden körperlichen und militärischen Fähigkeiten , wenn auf die Erlangung des Befähigungszeugnisses , des „ brevet d'aptitude " , Wert gelegt wird.
In dem gleichen Schrift-
stück erhalten die von der Regierung anerkannten Gesellschaften neben einer Anzahl
99 Sociétés
Berechtigungen das Anrecht auf die Namensführung :
agréées par le
zeichnung S.A.G. Wehrbarmachung
Der
Gouvernement" ,
mit
auffallendste Markstein
der gekürzten auf dem
Be-
Wege der
der französischen Jugend ist in dem Gesetzentwurf
vom 5. Juni 1908 zu erblicken , der den Landständen die Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung zur Teilnahme an den Übungen der militärischen
Vorbereitung
Altersabschnittes vorschlägt.
für
alle
Jugendlichen
eines bestimmten
Der in Frankreich sehr häufige Wechsel
der Ministerien hat den Vorschlag noch nicht
zum Gesetz werden
lassen, jedenfalls aber war die öffentliche Meinung durchaus für einen solchen Gang der Dinge und es ist mit größter Sicherheit anzunehmen , daß nach dem Kriege die Würfel in dieser Richtung fallen werden. Immer deutlicher gaben die Regierungskreise ihre hohe Wertschätzung einer militärischen Jugendvorbereitung durch die Einführung weiterer Vergünstigungen kund. Das
Gesetz
vom
7. August 1913
verlieh
den
Besitzern
des
,certificat d'aptitude militaire" insofern einen noch nachdrücklicheren Vorteil, als sie den Truppenteil wählen können, bei dem sie mit dem 18. Lebensjahr die dreijährige Verpflichtung des ,,devancement d'appel "
133
Die Wehrerziehung in Frankreich . eingehen wollen .
Im Jahre 1913 ging Frankreich unter dem Druck
Rußlands wieder zur dreijährigen Dienstzeit über ; trotzdem wurde an dem Ausbau der militärischen Jugendvorbereitung eifrig weitergearbeitet. Man sah die großen Vorteile einer körperlichen Vorbildung wohl ein , man freute sich unter den Besitzern des „ brevet d'aptitude militaire " geeignete Anwärter für die niederen Chargen zu finden , und man hoffte, nicht zuletzt auf dieser Bahn die nationale Flut ins Steigen zu bringen .
„ La préparation militaire entretient dans le peuple et dans
les masses les vrais sentiments de patriotisme. " Durch eine Bestimmung vom 15. Oktober 1913 wurden in allen 21 Armeekorpsbezirken Stellen im Range von Divisionsgeneralen geschaffen, denen außer den Reserveformationen die militärische Jugendorganisation ihres Bezirks unterstellt wurde.
Diese Offiziere leiten in
militärischen Fragen die S.A.G. und die Schießvereine ihres Korpsbezirks . Dadurch haben sich Regierung und Kriegsministerium einen starken Einfluß auf die Entwickelung dieses Wehrproblems gesichert. Es ist auffallend ,
mit welcher Begeisterung
überall die Bürger sich
zu Vereinigungen im Sinne der Regierungsbestrebungen zusammenscharten. Zu Hunderten wuchsen Gesellschaften aus dem französischen Boden hervor.
Sie vereinigten sich unter dem Einfluß der allgemeinen
großen Idee einer Steigerung nationaler Volkskraft und stark durchdrungen von dem Hoffnungsspruch „ Quand-même “ zu einem mächtigen Verbande : ,,sous le titre unique d'Union des sociétés de préparation militaire en France". Ihr klar umrissenes Programm legt auf die Schießübungen mit dem Infanteriegewehr einen ganz besonderen Wert . In zweiter Linie wird die Marschfähigkeit und die Förderung der physischen Gewandheit betont ; alles aber umwoben mit dem häufigen Hinweis auf die Erhaltung und Mehrung des militärischen Geistes, glühender Begeisterung und selbstloser Vaterlandsliebe.
Im praktischen Betrieb wird den verschiedensten
Faktoren wie Klima , Landessitten , Berufsleben , körperliche und geistige Vorbildung Rechnung getragen . Eine Übung wöchentlich von höchstens zwei Stunden (außer bei Märschen) soll die Regel bilden .
Als gewöhn-
liche und praktischste Versammlungszeit wird erfahrungsgemäß ausdrücklich der Sonntag genannt. Im Oktober und November werden Turnen,
militärische
Einzelausbildungen
vorbereitenden Übungen berücksichtigt .
und
die
den
Schießdienst
Die Monate des Winters und
des ersten Frühjahrs sind theoretischen Unterweisungen über Schießlehre, das Kartenwesen, die staatsbürgerliche Erziehung, Körperpflege , krankheiten,
die Folgen
des Alkoholgenusses
die die
und der Geschlechts-
die französische Kolonialmacht und den Krieg 1870/71
zugedacht, von Mitte März oder April ab sollen die praktischen Tätig-
134
Die Wehrerziehung in Frankreich.
keiten des Schießdienstes, des Kartenlesens im Gelände , der Geländebeurteilung und Geländebenutzung und der Übungsmärsche in den Schieß- und Marschdienst wird mit großem Vordergrund treten. Nachdruck für diejenigen jungen Leute regelmäßig abgehalten , die im Oktober des laufenden Jahres eingezogen werden .
Als eine besonders
tüchtige Aufgabe der Führer gilt das Erforschen und die Beeinflussung der jugendlichen Seele , damit eine mutige , vaterlandsliebende , kameradschaftlich-fühlende,
an Gehorsam
Jugend an die Schwelle
und
soldatische Zucht gewöhnte
der Armee tritt.
Eine Reihe
von Sport-
ausübungen ( Radfahren, Schwimmen , Schneeschuhfahren , Schlittschuhlaufen, Ballspiele, Degenfechten und Bogenschießen) sollen eine über dem Durchschnitt stehende Geschicklichkeit und vielseitige Körperausbildung erzeugen .
Zur Abwickelung des ganzen Programms werden
nach französischer Meinung ungefähr drei Jahre , mindestens aber zwei Jahre nötig sein .
Für die Zweige der Schießausbildung werden auch
für den begabten und geschickten Schüler mindestens zwei Ausbildungsjahre gefordert.
Es erscheint vielleicht in diesem Zusammen-
hang nötig , darüber nachzudenken , ob das in Frankreich geübte Bogenschießen
nicht
auch eine
gute Augengewöh-
nung und Zielübung für die deutsche Jugend werden könnte. Das französische Programm ist von Anfang an dadurch auf
eine Breite
und
sehr volkstümliche Basis gestellt worden .
daß
neben den eigentlichen Vereinen zur militärischen Jugendvorbereitung fast jeder Turn- und Schießverein eine, Wehrabteilung besitzt.
sagen wir einmal, besondere
(Sections annexées. )
Wenn auch in Deutsch-
land aus der Schöpfungskraft unserer Turn- und Schießvereine vereinzelt ähnliches hervorgegangen ist, so dürfen wir nicht vergessen, daß all dies in Frankreich unter der unmittelbarsten Leitung und Aufsicht der Regierungsbehörden und militärischer Dienststellen vor sich geht. Was in der emsigen Tätigkeit der Vereinigungen aller Art in den sehr planmäßig aufgebauten Lehrgängen erreicht wird, tritt alljährlich bei der Abnahme des ,,brevet d'aptitude militaire " vor den Augen der maßgebenden Faktoren in die Erscheinung. In der Tat ist der Besitz dieses Prüfungszeugnisses für die Armee und den jungen Franzosen von erheblichem Nutzen . Es setzt ihn in den Stand , ein ,,devancement d'appel" einzugehen und läßt ihn auch bei normalem Eintritt innerhalb seiner Jahresklasse einen Truppenteil auswählen . Im Truppenverbande selbst haben alle Träger des brevet d'aptitude das Anrecht auf eine Beförderung zum Corporal oder Brigadier schon nach vier Monaten. Auch bei besonderen Verwendungen als Musiker oder Radfahrer erhalten die Geprüften das Vorrecht.
Die Prüfungs-
Die Wehrerziehung in Frankreich .
135
kommissionen bilden sich bei den einzelnen Truppenteilen , sie bestehen aus aktiven Offizieren z. B. aus einem Major, einem Hauptmann und einem Leutnant .
Die Prüfung kann auch nach dem Eintritt ins Heer, in den ersten zehn Tagen nach der Einstellung abgelegt werden. Die Mehrzahl der Kandidaten melden sich jedoch schon vor dem 1. Juni
ihres Einstellungsjahres.
Zwischen dem 1. und 31. Juli finden dann die Prüfungen statt. Die verlangten Leistungen dieses Examens sind wohl zu beachten . Die Notengebung als Urteilsmaß in der folgenden Stufenleiter festgelegt : 0 Null 1 bis 3 Sehr schlecht 4 " 6 Schlecht 7 "5 8 Mittelmäßig 9 "9 10 Hinreichend 11 "9 12 Ziemlich gut 13 "" 15 Gut 16 " 19 Sehr gut 20 Vorzüglich . Das Zeugnis wird nur denjenigen ausgehändigt, die keine Zensur unter 7 erhalten und mindestens die Punktzahl 700 erreichen . Jede Note wird mit
einem
dem Dienstzweig eigenen Ausgleicher verviel-
facht. Die Summe aller dieser Teilergebnisse ergibt die Punktzahl . Die meisten Übungen werden von allen Prüflingen gleichmäßig gewünscht. In einzelnen Zweigen tritt schon eine Teilung ein zwischen den Anwärtern für die Fußtruppen und denjenigen jungen Leuten , die eine Prüfung gedenken.
für den Dienst bei berittenen Truppenteilen abzulegen
Die
späteren Infanteristen
müssen
zwei Märsche von je
24 km ohne Waffe und Belastung in weniger als sechs Stunden - den zweiten 24 Stunden nach dem ersten ausführen . Die der Marschleistung entsprechende Punktzahl kann von 10 auf 20 erhöht werden , je nachdem der Prüfling imstande ist, 15 Minuten nach dem Ende des zweiten Marsches eine Reihe von Hindernissen zu nehmen, deren Zahl und Beschaffenheit neben der allgemeinen Verfassung des Körpers nach dieser Anstrengung die Höhe der Zusatzpunkte über der Durchschnittszahl 10 bestimmen.
Für die Prüflinge der berittenen Truppen-
gattungen wird an Stelle der Marschtüchtigkeit eine gewisse Reitund Leitfähigkeit in allen Gangarten, aber nur in der Reitbahn verlangt, verbunden mit einigen Kenntnissen über den Bau und die Pflege des Pferdes.
Beiden Gruppen
gemeinsam
Grade wird die Schießprüfung abgenommen .
und in demselben
Nach zwei Probeschüssen
müssen in fortlaufender Reihe je sechs Kugeln im stehenden , knieenden Scheibenart (Achsenund liegenden Anschlag abgefeuert werden . scheibe) und Scheibengröße ( 2 m im Quadrat) sind vorgeschrieben ;
136
Die Wehrerziehung in Frankreich.
eine feste Schußweite ist
nicht angegeben .
Sie regelt sich vielmehr
durch die Festsetzung, daß der Durchmesser des um den Mittelpunkt des Achsenkreuzes gelegten schwarzen Schießblechs 1/1000 der Schießentfernung betragen muß. der Entfernung
Zwei Kreise, von denen der größere 1/200
des Schützen als Durchmesser hat und ein kleinerer,
der nur halb so groß ist, teilen die Scheibenfläche in verschiedene Abschnitte ein . geregelt .
Die Bewertung ist nach allen möglichen Abstufungen
Die Punktzahl 20 wird stets gegeben, wenn alle 18 Treffer
innerhalb des kleineren probe
Kreises
liegen.
über die allgemeine Lehre
Eine
theoretische Wissens-
des Schießens,
Visierlinie, die Abgangsrichtung und Schußweite ,
der Flugbahn , die die Bedeutung und
Anwendung der Visiereinrichtung beschließt diesen Teil der Rekrutenprüfung.
Im weiteren Gang werden sechs verschiedenen Gruppen ent-
nommene Freiübungen besichtigt . Je ein Lauf von 60 m in zehn Sekunden und von 2 km in zehn Minuten , ein Weitsprung von 3,20 m, ein Hochsprung von 1 m, beide ohne Sprungbrett und mit beliebigem Anlauf, sollen die allgemeine physische Verfassung und die erreichte Stufe körperlicher Geschicklichkeit zeigen .
Die folgenden Prüfungsstoffe be-
ziehen sich auf die Grundlagen eines angewandten Turnens im Gelände. Die Muskelstärke
der Finger,
der Handgelenke
und der Arme wird
durch Hangeln am Doppeltau bis zu 5 m Höhe und einige leichtere Übungen am Reck nachgewiesen . die Pflege des Boxens,
Wert legt man in Frankreich auf
von dem im Rahmen des brevet d'aptitude
Arm- und Beinstoß mit der entsprechenden Abwehr gefordert wird. Mit
diesen ziemlich
vielseitigen Prüfungsgegenständen
praktische Prüfung beendet.
Aber noch ist
ist die
der junge Mann nicht
am Ziel ; er muß weiterhin Sinn und Anwendung des Kartenmaßstabes und die einfachsten Regeln der Projektionslehre erklären können. Nur ein genaues Verständnis der Darstellung von Geländeformen durch Schichtlinien und Schraffierungen kann ihm bei den auf diesem Gebiete nicht kleinen Anforderungen eine gute Note cinbringen . Endlich soll der junge Franzose mit den Grundlagen einer gesunden Lebensführung im allgemeinen und mit all den Maßregeln vertraut sein , die im soldatischen Dienst bei großen Anstrengungen oder starken Einflüssen des Klimas und der Witterung beachtet werden müssen . Im Prüfungsplan der Gesundheitslehre stehen ausdrücklich Vorbeugung und Bekämpfung der verbreitetsten Volksseuchen wie Tuberkulose, Es steht des Alkoholmißbrauchs und der Geschlechtskrankheiten . außer Frage, daß die erfolgreiche Ablegung dieser Wehrprüfung planmäßige Vorübungen in allen Zweigen und ernste Zusammenarbeit von Körper und Geist voraussetzt. Gewandt als Soldat ist der Franzose,
137
Die Wehrerziehung in Frankreich.
der mit einer solchen körperlichen Bildung und geistigen Schulung der Sinne in den Verband des Heeres eintritt.
sicht
Bei einer Anerkennung dieses geistvollen , in praktischer Vorausund mit fachmännischer Klugheit entwickelten körperlichen
Übungssystems auf militär-pädagogischer Grundlage der landsturmpflichtigen gleich
für den Bereich
französischen Jungmannen
die neueren Bestrebungen
müssen
wir zu-
auf diesem Gebiete voll würdigen ,
die in Unterricht und Schrift die Bedeutung der moralischen Pflichten des werdenden Mannes der Jugend
eindringlich
zu
Gemüte führen .
Dem französischen Jüngling wird klar gemacht, daß nicht kriegerische Absichten die Richtung des Strebens nach Wehrmacht bestimmen, sondern ein Festhalten des ideellen , durch die hohen Grundsätze der französischen
Revolution
geschaffenen ,
französischen Gedankens in der Welt.
tiefgehenden
Einflusses
des
Die Erinnerung an trübe Zeiten
bedingt eine ständige Stählung nationaler Kraft.
" Nous conservons
le souvenir de nos douleurs , de même que nous conservons celui de l'influence française , qui a lancé à travers le monde les grands principes de la Révolution . . 66 Die Soldatenzeit muß eine mit Stolz getragene staatsbürgerliche Pflicht sein . Manneszucht geht aus dem Pflichtgefühl und der Vernunft hervor und gründet sich auf die Einsicht der notwendigen Bedürfnisse eines in glorreicher geschichtlicher Entwickelung nach Besitz , Geist und Würde großgewordenen demokratischen Staatswesens.
Zudem verlangt das völlige Schwinden des ganz instinktiv
begeisternd wirkenden Masseneinsatzes der Truppe auf kleiner Fläche aus den Methoden des Soldaten im
moderner Kriegsführung und
heutigen Gefecht
der Vereinsamung
eine so weitgehende
besonders innere Durchbildung des Einzelnen ,
äußere und
daß schon im Gang
der militärischen Vorbereitung auf die große Wichtigkelt selbständigen Handelns auf die Kraft starker Willenstätigkeit und gesicherter sittlicher Stärke mit Nachdruck hingewiesen wird . Siegesgewißheit dank einer Überlegenheit des 99 esprit français " soll Wille, Herz und Sinne mit republikanischem Geiste erfüllen , um gegen jeden Gegner und überall das Vaterland zu verteidigen .
Gründlich erfaßt, werden diese Faktoren
durch die S.A.G. " in die Landesteile getragen , von allen Behörden tatvoll unterstützt. Und um die volle Sicherheit solcher Lehrrichtungen zu haben, werden in dem für die Hand der Jugend bestimmten , von einem Stabsoffizier verfaßten Leitfaden Sinn und Bedeutung der sittlichen Grundlagen der Menschenpersönlichkeit leicht faßlich und sehr ausführlich behandelt. Zu einer nach der Auffassung maßgebender deutscher Kreise zu starken Neigung verfrühten Anlernens
bestimmter militär- technischer
Formen und neben der mustergültigen Berücksichtigung ethischer Ein-
133
Die Wehrerziehung in Frankreich .
wirkungen auf das junge Gemüt kommt als dritter der Pfeiler ,
auf
denen das Gebäude der militärischen Vorbereitung ruht, die bewußte Pflege der Idee einer in ihrem historischen Werden entwickelten staatsbürgerlichen Erziehung (éducation civique) hinzu . Das jugendliche Verständnis in staatlichen Angelegenheiten soll mit der wörtlichen Kenntnis der 17 Artikel umfassenden Proklamation der Menschen- und Bürgerrechte durch die konstituierende Versammlung vom 6. August 1789 eingeleitet werden. Solcherlei Worte machen auf das empfängliche Gemüt des Jünglings tiefen Eindruck, und er wird mit innerster Begeisterung diesen frischen Hauch der nationalen Geschichte in sich aufnehmen als einen heiligen Ansporn zur Erhaltung und Festigung
dieser sturmumbrausten Gedanken seiner Ahnen.
So
wird eine in milderen Farben leuchtende Vergangenheit sinnreich verknüpft mit den Forderungen des Tages, das geistige Schwert der Jugend geschärft,
die vaterländische Saite ins Klingen gebracht und
der junge Franzose in den Verteidigungsdienst einer hehren Sache gestellt . Die mehr praktischen Fragen über die Regierungsformen , die gesetzgebende Macht, die ausübende Gewalt und die Gerichtsbarkeit werden in einer dem französischen Wesen eigenen,
klaren und leb-
haften Darstellungsart für das Selbststudium zusammengestellt . Immer und überall der gleiche und starke Ausdruck der herrschenden Staatsform
und
republikanischen
Gesinnung.
An
die
Betrachtung
des
Staatslebens schließt sich die genaue Beschreibung der Heeresorganisation , der Zusammensetzung der heimatlichen und kolonialen Streitkräfte , sowie des Ersatzgeschäftes an. Auch hier Weitsicht in Plan und Aufbau, mit
dem fernen ,
dumpf,
aber
deutlich vernehmbaren
Grollen des quand-même. Wer würde bei
der Betrachtung der Grundlagen
französischer
Wehrerziehung nicht an die Kriegsschöpfung der deutschen Jugendwehr denken ?
Im Gegensatz zu ihr hat sich der Ausbau der Wehrorgani-
sation der französischen Jugend frühzeitig, langsam und schon in Friedenszeiten vollziehen können . Sie stand vor dem Abschluß der gesetzlichen Regelung. diese
Die Folgen dieses schweren Weltkrieges werden
Lösung gebieterisch erheischen .
Bei uns ist der Streit der
Meinungen über eine obligatorische Teilnahme der Jugendlichen scharf entbrannt. Es werden öfters Stimmen laut, die ein Zurückdrängen der sittlichen Kräfte durch eine zu starke Wertung physischer Übungen befürchten . in
Wir wissen
der glücklichen Lage
nicht,
ob die Anhänger dieser Anschauung
waren Jugendabteilungen
längere
Wald, Flur und im Kreise froher Unterhaltung geführt zu
Zeit in haben.
Wir Jugendführer haben auf dem Felde der goldenen Praxis die feste Überzeugung gewonnen, daß eine Trennung moralischer und körperlicher
Literatur.
139
Erziehung bei öfterem Zusammensein mit der Jugend gar nicht möglich ist. Sehr dankbar sind wir, wenn Männer aller Berufszweige uns in der Praxis ethischer Erziehung durch Vorträge, Besprechungen , Zusammenarbeit ist sehr gut durchunterstützen.
Fürsorge usw. führbar,
denn letzten Endes wünschen
wehrhaftes
junges
Geschlecht.
wir alle ein wahrhaftes und
Sittliche Einwirkungen ,
Kräftigung und die Entwickelung eines edlen Bürgersinns — müssen den Jüngling zum gange harmonisch vereint Manne reifen lassen.
körperliche im Lehrdeutschen
Literatur.
I. Bücher. Die Schlacht bei Dennewitz -
ein Sieg Bernadottes. Studie zur Vorgeschichte des 6. September 1813 von Dr. Richard Hardecke. Berlin, Scholl und Reetel, 1916. Preis 1 M.
Eigentlich galt die jetzt fast ein Jahrhundert lang umstrittene Frage als abgeschlossen und erledigt, ob Bernadotte in den Tagen von Dennewitz eine zweideutige Rolle gespielt oder ob er es rückhaltlos ehrlich gemeint hat. Daß er Verrat geübt oder Napoleon wenigstens im geheimen begünstigt hat, ist längst als unhaltbar erwiesen worden. Aber er war jeder kühnen Tat abhold , als Feldherr mehr als vorsichtig und wich am liebsten einem ernsten Kampfe aus . Die Gründe sind heute genugsam klargelegt . Er wollte sich und seinem mühsam unter Napoleons Feldherrntum errungenen Kriegsruhm keiner Schlappe aussetzen, um seine Stellung als kluger Heerführer zu wahren . Auch kam es ihm darauf an , seine Schweden zu schonen und es mit den Russen nicht zu verderben , die im Rahmen der Nordarmee standen . Diese politischen Rücksichten geboten ihm die äußerste Maßhaltung in der Heerführung. Diese Bedenken waren aber aufs höchste durch die Führer der preußischen Korps , Bülow und namentlich ersterer nach SelbständigTauentzien , gefährdet, die keit strebten und die flammende Begeisterung der Preußen zu rücksichtsloser Tat ausnutzen wollten . Bernadotte und Bülow waren eben Gegensätze, die ohne Reibung nicht nebeneinander arbeiten konnten . Ob es an der Zeit war, die ganze Frage nochmals aufzurollen , lassen wir dahingestellt. Der Verfasser ist ein gründlicher Kenner der umfangreichen Literatur über die Dennewitzfrage, die er mit anerkennenswertem Fleiß gesichtet und durchgearbeitet hat . Indessen ist die Schrift für den Leser, wenn er nicht selbst Fachmann auf
140
Literatur .
diesem Gebiet ist, mehr eine nicht immer leicht zu verstehende Quellen kritik als eine kriegsgeschichtliche Abhandlung . Er beschränkt sich im wesentlichen darauf, die Stellungnahme der verschiedenen Quellen auf ihren Wert zu prüfen und einzelne Gewährsmänner oder Zeugen , namentlich Pozzo di Borgo , auf ihre Glaubwürdigkeit zu beleuchten . Nach unserer Ansicht hätte es des Aufwandes an Beredsamkeit, wie sie die Schrift in bezug auf Pozzo di Borgo entfaltet, kaum bedurft, denn dieser General ist als politischer Parteigänger entlarvt worden und wurde überhaupt nicht mehr als ernste Quelle angesehen . Was die militärische Seite der Abhandlung betrifft, bei der wir die Beigabe einer guten Zeichnung zur Verfolgung der Heeresbewegungen schmerzlich vermissen , ist die Ausbeute für den Leser keine große. Mit „wenn“ und mit „aber", schreibt man kein Urteil in kriegsgeschichtlichen Dingen . Verfasser stützt seine Beweisführung aber auf Voraussetzungen , die nicht eingetreten sind . Er rechnet es Bernadotte zum höchsten Verdienst an und macht den Sieg von Dennewitz davon abhängig, daß er sich dem geplanten Elbübergang des Bülowschen Korps widersetzt hat. Abgesehen davon , daß Bernadotte der Oberfeldherr war und ganz einfach zu befehlen brauchte, liegt hierin eine so künstliche Folgerung, daß sie bei rein praktischer Abwägung in sich selbst zerfällt . Ebensowenig haltbar erscheint uns der Vergleich mit Großbeeren , denn es wäre doch wohl ein höchst bedenklicher Fehler gewesen , Berlin zu opfern , um dem Heere Oudinots eine noch größere Niederlage zu bereiten . Mit der Tatsache , nicht mit Möglichkeiten muß man rechnen ! Wenn trotz der Zersplitterung der Nordarmee, die Bernadotte angeordnet hat, Bülow bei Dennewitz mit seinen Preußen zu siegen verstand, so ist dies einzig und allein die Tat des preußischen Geistes gewesen. Daß Bernadotte mit den Schweden und Russen zur Hilfe herbeikam , ist kein Verdienst, sondern einfache Pflicht und Schuldigkeit. Volle Verwahrung müssen wir dagegen einlegen , daß, wie es auf Seite 7 heißt, die Truppen Bernadottes nicht durchweg mit den altgedienten , trefflich ausgebildeten Franzosen zu vergleichen waren, deren Leistungsfähigkeit schon ihre Minderzahl ausgleichen könnte. " Gewiß hatte die eben erst aufgestellte preußische Landwehr manche Mängel . Aber die Armee Neys bestand in überwiegender Weise aus Rheinländertruppen und Italienern , die nur noch wenig Lust hatten, sich für Napoleons Sache zu opfern . „ Die Armee versagt mir den Gehorsam . Sie zu kommandieren , ist nur halb kommandieren . Lieber möchte ich gemeiner Grenadier sein. " So urteilte Ney selbst über seine Truppe . Dennewitz ist der Sieg der preußischen Tatenlust und des preußischen Rachegefühls , der psychologischen und moralischen Werte gegen schematische und politische Bedächtigkeit Bernadottes . Bülow und Tauentzien sind die Sieger trotz aller Hemmungen , die ihnen J. Bernadotte in den Weg schob.
Literatur.
141
Frontberichte eines Neutralen. Vom schweizerischen Major Tanner . II . Galizien und Bukowina. Mit 112 Bildern nach photographischen Aufnahmen, die der Verfasser an der Front , z . T. in den vordersten Schützengräben gemacht hat. Verlag August Scherl G. m . b . H. Berlin . Preis 3 M. Der vorliegende Band behandelt die Kämpfe in Galizien und der Bukowina im Mai und Juni 1915, sowie die Kämpfe im letzigenannten Lande bis Ende Juli. Der Verfasser versteht es, den Standpunkt des Neutralen in vollem Umfang zu wahren . Er lässt auch dem Gegner Gerechtigkeit zu teil werden und verkennt keineswegs , daß auch die Russen manche gute Soldateneigenschaften besitzen , die jedoch nicht in genügender Weise gehoben und entwickelt sind . Auch weiß er zu unterscheiden , daß die Verwüstungen und Plünderungen seitens der Russen weniger auf dem System und auf dem Volkscharakter beruhen als auf den persönlichen Neigungen der Führer und auf der Zügellosigkeit, der an vielen Stellen freie Bahn gelassen worden ist. In Galizien und in der Bukowina hielten die Russen nach der Ansicht des Verfassers verhältnismäßig bessere Manneszucht als in Ostpreußen und namentlich in Polen , als sie einem Feinde das Land räumen mußten , gegen den es keinen Widerstand mehr gab. In bezug auf Galizien und die Bukowina haben dagegen die Russen immer noch an dem Gedanken festgehalten, daß ihr Rückzug nur ein zeitweiliger sein werde, und daß sie über kurz oder lang wiederkommen würden . Das Buch beginnt mit den Kämpfen am Stryi, dann wendet es sich den Kämpfen der Armee Böhm -Ermolli um Lemberg zu , eingehend behandelt werden die bei uns nur wenig bekannten Kämpfe der Armee Pflanzer- Baltin . Vom 2. - 6. Juni 1915 kämpften auf der Front Delatyn-Kolomea 20 österreichisch-ungarische Bataillone gegen 64 russische. Die Russen machten allein in der Nacht vom 5. auf den 6. vierzehn Angriffe, konnten aber nicht durchdringen . Die gefangenen russischen Offiziere sagten aus, daß der Kampf für sie ganz vergeblich sei, denn sie würden niemals ihres Gegners Herr werden . In dieser kritischen Zeit prägte PflanzerBaltin die erhebenden Worte : „ Es darf kein Kommandant einen Rückzugsbefehl erteilen . Jede Truppe geht nur soweit zurück, als sie vom Feinde gedrängt wird. Nachbartruppen bleiben stehen . Reserven werden gebildet und der Feind an der Einbruchsstelle wieder zurückgeworfen." Aber neben dem Militärischen hat der Verfasser Blick und Verständnis für alles ; für soziale , politische und religiöse Richtungen und Strömungen, und außerdem werden wir in dem hochanziehenden Buch mit den Heerführern bekannt gemacht , die damals in Galizien und in der Bukowina kommandierten . Hin und wieder versteht es Major Tanner aber auch, goldige Lichter seines sonnigen Humors spielen zu lassen : ein Zeichen , dafür , das seinem menschlichen Herzen nichts fremd ist. Unter allen Umständen ist das vorliegende Buch ein überaus schätzenswerterer Beitrag zum Verständnis des Weltkrieges . Balck .
Literatur.
142
Die Herbstschlacht in der Champagne und im Artois 1915. Von Oberleutnant Dr. Fritz Buschenhagen und Leutnant Walter Lucke. Mit 5 Kartenskizzen , 1916 , 80 Pf. E. S. Mittler & Sohn, Berlin. Die Herbstschlacht in der Champagne, der vierte große Durchbruchsversuch , wird stets ein besonderes Interesse beanspruchen , einmal, weil er die trefflichen Kampfeseigenschaften der deutschen Soldaten zeigt, dann , weil er auf gegnerischer Seite alle Erfahrungen früherer Kämpfe zusammenfaßt. Aus dem „geheimen " Heeresbefehl des Marschalls Joffre kennen wir das bedeutende strategische Ziel dieser größten Schlacht aller Zeiten " : ein entscheidender breiter Durchbruch der deutschen Linie. Mehrere starke Armeen hatte Joffre für den Angriff bereitgestellt, ebenso die Engländer eine Reihe neuer Divisionen geschickt. Nicht minder gewaltig als die menschlichen Kräfte waren die zur Verfügung stehenden materiellen Mittel, Maschinengewehre in verdoppelter Anzahl, 5000 Feldgeschütze , ungeheure Massen Munition „ neutralen " Ursprungs . Erinnert man sich, daß auch Teile der englischen Flotte die deutschen Stellungen an der Küste beschossen und riesige Flugzeuggeschwader und das große Luftschiff „ Alsace" hinter unserer Front in den Kampf einzugreifen versuchten , so muß man anerkennen , daß der Feind diesmal seine Offensive mit einer erstaunlichen Umsicht und Sorgfalt vorbereitet hatte . Und doch blieb der Sieg unser. Es ist noch nicht an der Zeit, die Ursachen des französischen Mißerfolges zu erörtern. Die vorliegende Skizze ist aber wohl geeignet, als Grundlage einer eingehenden Darstellung zu dienen. Das Militärversorgungsrecht im Heere, in der Marine und in den Schutztruppen. Ein Handbuch der Kriegs- und Friedensversorgung für Militär- und Zivilbehörden , sowie für Offiziere, Beamte, Unteroffiziere, Mannschaften und deren Hinterbliebene . Zusammengestellt und erläutert von M. Adam , Rechnungsrat, Geh . expedierender Sekretär im Königl. Preußischen Kriegsministerium . 2. Aufl , 1915. Verlag der Wohlfahrtsgesellschaft m. b. H. Kameradschaft, Berlin . 426 Seiten . Gebunden 2,50 M. Von den Zusammenstellungen über Militärversorgungsrecht
es
sei nur an die letzterschienenen Schriften des Rechnungsrats im Reichsamte des Innern , Wollenburg (Fürsorgegesetzgebung für das Heer, die Marine und die Schutztruppen, Berlin 1915, Herzmanns Verlag) und des Rechnungsrats im Reichsjustizamt Seiffert ( die Versorgung der Hinterbliebenen von Kriegsteilnehmern , Frankfurt a. O. 1915 , Trowitzsch u. Sohn) erinnnert ist die vorliegende, die bereits in zweiter Auflage erscheint, die reichhaltigste und gründlichste. Zwar ist die Lektüre des kleinen Buches, bei dem Druck und Ausstattung offensicht lich hinter der Handlichkeit und Wohlfeilheit zurücktreten mußte, auch für gute Augen eine Anstrengung. Doch findet, wer an der Versorgung von Militärpersonen oder deren Hinterbliebenen mitarbeitet, hier ein fleißig gesammeltes,
bis in die jüngste Zeit
ergänztes
Material.
Literatur.
143
Besonders wertvoll sind zum Beispiel auch für die in Wohltätigkeitsorganisationen Beschäftigten die Angaben über Berufsfürsorge (S. 296 ff . ). Ein Anhang von Tabellen erhöht die Brauchbarkeit dieses Taschenbuchs, das durch den Krieg besondere Bedeutung gewonnen hat . Dr. Everling .
Vorsitz und Hauptverhandlung im feldkriegsrechtlichen Verfahren . Kurze Anleitung, besonders für Vorsitzende, von Landrichter Dr. Heinrich Hanfft , z . Z. Feldkriegsgerichtsrat. Zweite Auflage. Berlin 1916. Ernst Siegfried Mittler & Sohn . (Broschiert 60 Pf.) Das kurze und sehr klar geschriebene Heft gliedert sich in drei Abschnitte, deren erster die Bestimmung über das feldkriegsgerichtliche Verfahren unter auch durch den Druck gekennzeichneter - Hervorhebung der Funktion des Vorsitzenden darstellt. Es folgt ein Abschnitt über die Abweichung betreffend den Vorsitz in Feldgerichten gegen Ausländer, und alsdann die Darstellung einer Hauptverhandlung in öffentlicher Sitzung eines Feldkriegsgerichts in Form eines praktischen Beispiels , bei dem die häufiger vorkommenden prozessualen Streitfragen , unter Zufügung der einschlägigen Gesetzbestimmungen in Fußnoten , hervortreten , Dass die Schrift den „ augenblicklichen praktischen Bedürfnissen " , denen sie dienen soll, voll genügt, ergibt sich daraus, daß sie bereits Dr. Everling . in zweiter Auflage vorliegt.
Verfassung und Verwaltung des Deutschen Reiches (in Frage und Antwort), ein Hilfsbuch für den Fern- und Nahunterricht der Deutschen Staatsbürger und Beamtenschule in Berlin und für den Selbstunterricht, 26. bis 28. Tausend , Verlag Kameradschaft, G. m. b. H., Berlin W. 35. Preis 0,60 M. Das Heft gehört zu den zahlreichen kleinen Schriften, die dem erkannten Mangel staatsbürgerlicher Volksbildung abzuhelfen streben , und unter denen wohl das beste aus der berufenen Feder des Grafen Hue de Grais stammt. In dem vorliegenden „Hilfsbuch für den Fernund Nahunterricht der Deutschen Staatsbürger- und Beamtenschule in Berlin und für den Selbstunterricht" sucht der Verfasser, der seit zwanzig Jahren in der Vorbereitung von Beamtenanwärtern tätig ist sein autodidaktisch erworbenes Wissen über Reichsverfassung und -verwaltung in 337 Fragen und Antworten darzulegen. Gegen die Katechismusform wird mancher pädagogische Einwand erhoben , insbesondere verführt sie den Darstellenden zu Ungenauigkeiten im Interesse der Kürze und den Benutzer zu sinnlosem Auswendiglernen andererseits hindert sie ein Abschweifen wenig geschulter Gedanken beim Studium . Ob es übrigens angemessen erscheint , ein Kompendium von 71 Seiten dem Gedächtnis Bismarcks zu widmen, wie es in dem „Wegwort" geschieht, ist eine Frage des literarischen Geschmacks . Dr. Everling .
144
Literatur.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. ( Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher“ nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Alfred 2. 1916.
Bergmann, Wie der Feldgraue spricht. Gießen 1916. Verlag Töpelmann. 80 Pfg. Rudolph und Espe, Wie Frankreich den Krieg erlebt. Leipzig Otto Nemnich. 1 M.
3. Sommer, Krieg und Seelenleben .
Leipzig 1916.
Otto Nemnich .
4. Rudolph, Le Français et la guerre de 1915. Otto Nemnich . 1 M.
Leipzig 1916 .
1 M.
5. Brunn, Die Kriegsversorgung durch Renten und Kapitalabfindung. Berlin 1916. Vossische Buchhandlung . 0,50 M. 6. Baumann, Mit der Garde im Westen . Halle a. S. 1916. Richard Müllmann . Kart. 2,50 M. 7. Baehr, Du bist verwundet ? Berlin 1916. Vossische Buchhandlung. 0,60 M. Berlin 1916 . 8. Kalau vom Hofe, Die kämpfenden Flotten . Otto Elsner, 1 M. 9. Salomon, Wassergewinnung und Wasserverwendung im Felde. (Sonderabdruck aus dem Journal für Gasbeleuchtung und Wasserversorgung 1916 , Nr. 31 , vom 29. Juli. ) München . Verlag R. Oldenbourg. 10. Girard , Wie ein Belgier das Verhängnis seines Vaterlandes voraussah. Berlin 1916. E. S. Mittler & Sohn . 2,25 M. 11. Stiehler, Geländezeichnen für die Deutsche Jungmannschaft, Verlag der Dürr'schen I. Teil mit 95 Abbildungen . Leipzig 1916. Buchhandlung . 1.25 M. 12. Stiehler, Geländezeichnen für die Deutsche Jungmannschaft und das Militär, II . Teil mit 172 Abbildungen . Leipzig 1916. Verlag der Dürr'schen Buchhandlung. 2 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z . D. H. Rohne) enthält u . a. folgende Arbeiten : Die Seeschlacht vor dem Skagerrak am 31. Mai bis 1. Juni 1916 . Dettmer, Hauptmann : Artilleristisches aus dem Feldzuge . W. Klatt: Einiges über die französische Artillerie . H. Rohne, Generalleutnant z . D .: Über die ballistische Leistung des russischen Infanteriegewehrs . Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam .
XIV . Militärische Erziehung
im Kriege .
Von Zeiß, Oberst z. D.
Über die Bedeutung der militärischen Erziehung im Frieden hat sich unser
verewigter Feldmarschall Graf Moltke
ausgesprochen ;
er hat die
anstalt" genannt
und
deutsche Armee
klar und deutlich
„ die große Erziehungs-
dem Reichstag hat er 1874 zugerufen :
„ Sie
können die Armee schon im Innern nicht entbehren für die Erziehung der Nation . " Haben wir dieser Bedeutung der militärischen Erziehung im Frieden überall Rechnung getragen ? Die kleine Schrift „ die Ausbildung des deutschen Offiziers zum Erzieher " (Verlag von H. Bauhof, Regensburg 1912) und die ausnahmslos anerkennende Beurteilung, die dieses Schriftchen in einer Reihe angesehenster Blätter der mitteleuropäischen Presse gefunden hat , geben die Antwort auf diese Frage .
Die im Kriege sich
unwillkürlich aufdrängende andere Frage, ob wir die Armee im Frieden richtig für den Krieg erzogen haben, kann und darf erst nach dem Kriege
öffentlich
besprochen werden .
Im Interesse der Armee und
ihrer Erfolge darf aber heute schon erörtert werden , Besatzungsheer,
wie wir das
die Ergänzungsmannschaften für den Krieg, wie wir
das Feldheer im Kriege , können und sollen.
im
Operationsgebiet
militärisch
erziehen
Um die Ziele und Wege für die militärische Erziehung im Kriege richtig zu erkennen, muß man sich vor allem Tun, Lassen und Leiden, das der Krieg vom Feldsoldaten fordert, ebenso vergegenwärtigen wie die besonderen Umstände , die die Betätigung der militärischen Erziehung im Kriege besonders beeinflussen, erschweren oder erleichtern. Das Hauptziel der militärischen Erziehung im Kriege ergibt sich aus dem ernsten Wünschen , das ein Kulturvolk seinem ausmarschierenden Millionenheere
zu- und nachrufen muß :
Kehrt siegreich in Ehren,
aber nicht verroht, sondern veredelt in die Heimat zurück ! " Ist das 10 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 541 .
Militärische Erziehung im Kriege.
146 erreichbar ? bestätigen
Ja und abermals ja und immer und ewig ja ! Ausnahmen auch hier die Regel. Was ist zu solchem Erfolge der
militärischen Erziehung im Kriege notwendig seitens der Erzieher ? seitens der zu Erziehenden ? Der Erzieher braucht vor allem festen Glauben an die Möglichkeit
solchen Erfolges ;
dann den Willen zu
diesem Erfolge ; ferner die Überzeugung, daß im Kriege, im Kampfe mehr als irgendwann und irgendwo das eigene Beispiel des Erziehers mehr und besser wirkt als die schönsten Worte ; schließlich Kenntnis der übrigen Mittel und Wege zum Erfolge.
Der zu Erziehende braucht
Opferwilligkeit
und Selbstbeherrschung, Selbstzucht vom ersten Tage seiner kriegerischen Tätigkeit bis zum letzten, und das im Frieden gelernte soldatische Wesen, das ihn unwillkürlich, zuverlässig zur Betätigung der militärischen Grundeigenschaften (Deutscher Soldatenspiegel, im Verlag von H. Bauhof, Regensburg) treibt , immer und überall. Im Kriege muß der Soldat nicht nur das zu leisten fähig sein, was die Friedensausbildung und -übung ihn gelehrt hat, er muß auch fremdes Eigentum und Leben schädigen,
nach Umständen zerstören ,
vernichten wollen und können. Im Kriege eines Heeres mit allgemeiner guter Volksbildung gegen um Gelderwerbes willen kämpfende Miet- und Söldnerheere, kann selbst
gegen
menschliche Ebenbilder wilder Tiere
das schonungsloseste Töten des Gegners zum Gebot der
Menschlichkeit werden ,
dessen Befolgung eine harte aber unvermeid-
liche Notwendigkeit zum Schutze der Kultur gegen Überschwemmung durch solche Horden darstellt . Auch die Wegnahme fremden Eigentums,
soweit es zur eigenen Ernährung, Bekleidung, Unterkunft und
Verteidigung nützlich und notwendig ist , obliegt dem Feldsoldaten . Mit dieser Freiheit des Handelns im Feindesland muß Hand in Hand gehen der Wille
zur Unterlassung jeder Überschreitung des Kriegs-
rechts,
auf Aneignung und Erwerbung zum Zwecke
Verzicht
des
Genusses und der Bereicherung, Beschränkung der Enteignung auf die Deckung des unumgänglichen Bedarfes.
Gerade in den Kriegszeiten ,
wo Macht und Sieg der Entfesselung aller Leidenschaften am günstigsten sind, muß das Heer eines Kulturstaates immer noch jener Besinnung und Mäßigung fähig sein , die den Unterschied zwischen Kriegsrecht und Unrecht nicht verwischen lassen. Zu Höchstleistungen in der im Frieden bei Übungen
und Manövern gelernten Ertragung von
Mühen, Strapazen und Entbehrungen kommt im Kriege die Anforderung. die schwersten Leiden und Verwundungen sehen, den Klagelaut Verstümmelter und Sterbender zwischen dem Getöse der zerspringenden Bomben und Granaten
hören und zugleich dem grinsenden Tode ins
gierige Antlitz schauen, sterben zu können in Erfüllung der höchsten vaterländischen Pflicht.
147
Militärische Erziehung im Kriege . Wer soll, wer muß solchen Tuns,
Lassens und Leidens tage-,
wochen- , monate-, jahrelang fähig sein ? Jünglinge, eben erst der Lehre, der Schule entwachsen, noch vor der Schwelle der Volljährigkeit und Selbständigkeit stehend, ebenso wie Männer, die zwei Jahrzehnte und darüber älter sind ; junge Männer, noch voll von Bedas Schöne und Gute eben ins Leben hinausgetreten , im gleichen Maße wie gereifte Männer des vierten und fünften Lebensjahrzehnts, die herausgerissen werden aus jahrelanger, zu Gewohnheit
geisterung für
und Bedürfnis gewordener Berufsarbeit ; eben vom Elternhaus kommende, noch gemütsweiche Jugend nicht minder als Männer des Alters, dem harte Kampf ums Dasein das Gemüt hart gemacht, das Haar zu bleichen begonnen hat. Was kann diese Männer verschiedenster
der
Altersstufen,
aller Berufsstände,
voll Lebenslust und
was kann sorgenfreie Unverheiratete
freude, Väter einer blühenden Kinderschar ,
die
männliche Blüte des Volkes in gleicher Weise zu den Höchstleistungen von Körper, Geist und Charakter befähigen , die der Krieg fordert ? Das kann vor allem eine in frühester Jugend begonnene Pflege der edelsten Triebe und Empfindungen der Menschenseele, der Vaterlandsliebe und Heimattreue , des Ehr- und Pflichtgefühls , dem das Leben nicht als der Güter höchstes erscheint ; dann eine Volkserziehung, die den gesunden Realismus vor der Ausartung in krassen Materialismus zu bewahren gewillt und Menschenseele verdirbt und zum Höchsten
sich bewußt ist ,
und verpestet,
daß Materialismus die
die der Idealismus zu retten
zu begeistern befähigt und bestrebt ist ;
endlich
eine auf Kenntnis der Menschen-, Volks- und Kriegerseele aufgebaute militärische Erziehung im Frieden . Solche allgemeine Volks- und besondere militärische Erziehung im Frieden muß dann vom Ausbruch des Krieges an bis zum Friedensschlusse durch besondere Schulung und Erziehung für den Krieg ergänzt werden, die Beeinflussung des kriegerischen Denkens und Empfindens zum besonderen Ziele hat , die dem Denken und Empfinden des friedliebenden Kulturmenschen die Einsicht
und Anerkennung
der kriegerischen Notwendigkeiten unter-
schiebt und einprägt, auf daß der zur blutigen Vaterlandsverteidigung Gerufene sich selbst auch das seinem persönlichen Empfinden als Gebildeter widerstrebende Harte und Grausame der Kriegshandlungen als selbstverständliche Unvermeidlichkeiten des Krieges einredet . Der Kampf gegen den Selbsterhaltungstrieb und das Gefühl der Pflicht, Haus und Herd , Familie und Heimat zu schützen und zu retten , müssen ergänzt werden durch den Ehrgeiz, den anderen Pflichttreuen möglich sich darin auszuzeichnen , wenn Bildung und Erfahrung dazu befähigen . Am meisten im Lassen und Leiden muß der Bildungsgrad der Gesamtheit , insbesondere ihrer 10* es mindestens gleich
zu tun,
wo
148
Militärische Erziehung im Kriege.
höher
Gebildeten
sich
als
Genußjagd verachtende
echt
erweisen.
Die
die
Habsucht und
Uneigennützigkeit der Edleren muß die mit
der Entfesselung der Leidenschaften dem Ehrlichkeits- und Redlichkeitssinn der Massen drohende Gefahr durch gutes Beispiel und große Wachsamkeit bannen.
Gerade im Tun und Lassen,
Entsagen des Gebildeten im Kriege ,
im Leiden und
das den großen Massen sichtbar
und fühlbar wird , kommt der Segen wahrer Bildung zur Geltung und Wirkung wie sonst nie.
Besonders dem tiefer denkenden und emp-
findenden Kriegsteilnehmer muß musterhafte Pflichterfüllung und peinliche Unrechtsunterlassung in und außer Dienst als Grundlage für das gute Gewissen feststehen ; daß derjenige,
er muß durch sein Beispiel beweisen,
der sein Gewissen stets rein und ohne Makel sich zu
erhalten bestrebt ist, am fähigsten ist zum Größten und daß er kann, was der Friedenssoldat nicht zu können braucht und nicht lernen kann,
daß
er
nicht
nur leiden ,
sondern
auch
sterben kann ohne
Zaudern und Zagen, wenn Ehre und Pflicht es gebieten . Wenn Streben nach Pflichterfüllung, nach dem guten Gewissen restlos erfüllter Pflicht das Tun, Lassen und Leiden durchdringt, erzeugt und beschließt,
wo
bleibt da Zeit und Raum zu Freude und Wohl-
gefallen am Schädigen , Zerstören , Vernichten ? Wenn Tun, Lassen und Leiden sich ergeben aus dem Selbsterhaltungstrieb und aus dem Willen zum Siege , der um so rascher durch die Nacht der zerstörenden Gewalten zum Lichte des Friedens und seiner Segnungen führt, je vollständiger er gelingt, wie kann da in der von gutem Gewissen erfüllten Brust, in dem von freudiger Erinnerung an erfüllte härteste Pflicht vollen Kopfe des heimkehrenden Vaterlandsverteidigers nach Fortsetzung des im Kriegshandwerk bedingten
eine Sehnsucht
Zerstörungswillens, ein Gedanke des Wohlgefallens an Blut und Feuer und Schmerzbereitung sich erhalten oder gar erst aufkommen ? im
Frieden gelegte
sittliche Grund
militärische Erziehung
und
im Kriege können
zielbewußte,
Der
unermüdliche
das Millionenheer eines in
langen grausamen Krieg verwickelten Kulturvolkes vor Entsittlichung und Verrohung bewahren . Nicht bloß dies . Die militärische Erziehung , die mit dem weithin-
leuchtenden Beispiel des Erziehers hat im Kriege die Erziehungsaufgabe
jeder Vorgesetzte und Führer und mit der Unterschiebung
ausgleichender versöhnender , mäßigender Gedanken auf Denken und Empfinden der Mannschaften einwirkt, hat in der im Kriege der Gegenwart immer und überall drohenden Lebensgefahr und in den Eindrücken des scharfen Gefechts auf das Seelenleben des Soldaten großartige, Aug und Ohr, Hirn und Herz fesselnde und durchdringende Bundesgenossen . Wer diese zu würdigen und zu verwerten versteht,
149
Militärische Erziehung im Kriege. der wird in den von seiner Fürsorge betreuten,
von seinem Beispiel
hingerissenen und von seiner äußeren und inneren Macht und Gewalt beherrschten Kriegern
eine Dankbarkeit, und mit der dadurch erzeugten Freude am Guten einen Willen zum Guten begründen, den Siegesstolz und Heimkehrwonne sicher nicht schwächen werden. Den von Erzieherwillen und -können beeinflußten Kämpfern für die heiligsten Güter der Kultur wird der Anblick von Blut und Feuer, von Verwüstung und Tod , wird der heillose Lärm scheinbar endlosen Schießens und Sprengens,
wird die Wirkung der sich überhastenden Riesengeschosse nur die Sehnsucht nach edler Friedensbetätigung erwecken und bis zum anhaltenden Willen hierzu auch in den Herzen stärken , die des Krieges als Guten bedurften .
des Vaters
ihrer Einkehr zum Besseren,
zum
Außer den eben erwähnten besonderen Stützen der militärischen Erziehung
im
Kriege
kann es dem gebildeten Vorgesetzten
nicht
schwer fallen, bei regelmäßig sich wiederholenden Gelegenheiten ,
die
Kompagnie , Eskadron , Batterie oder Teile derselben versammeln -Löhnungsabgabe, Postverteilung, Bekanntgabe besonderer Befehle oder Nachrichten , Dienstunterricht im Reservequartier usw. , in kurzen eindrucksvollen Worten zu erinnern an den feierlich geleisteten Fahneneid ,
dessen
volle Erfüllung nur der Krieg
erheischt,
dessen
Weihe alle Kämpfer um des Vaterlandes Ehre und Bestand umfängt. Gerade diese Erinnerung bei geeigneter Gelegenheit, vor dem Abmarsch in die Stellung, vor dem Eintritt ins Gefecht, bei ehrender Nennung der Kameraden, die ihr eidliches Versprechen von Treue und Gehorsam lieber mit dem Tode besiegeln als verletzen wollten, läßt jedem gedienten Soldaten , schlägt, Dienst
dem
noch
ein deutsches Mannesherz in der Brust
die Pflichterfüllung zu jeder Zeit, als
das
großen Armee
erscheinen,
des Vaterlandes
ihn ab von Unrecht im Tun , ihn im Leiden .
an jedem Ort,
in jedem
was ihn erst zum würdigen Gliede der macht.
Und
diese Erinnerung hält
erleichtert ihm das Entsagen,
stärkt
Kann dem militärischen Erzieher ein schönerer Lohn
winken als das Bewußtsein, durch sein Beispiel und seine Einwirkung erreicht zu haben ,
daß seine Untergebenen auch bei und trotz Aus-
übung des rauhen Kriegshandwerks rechtschaffen im Handeln ,
willig
im Entsagen, stark im Leiden waren ? Dem denkenden Berufsoffizier,
der wie im Frieden so auch im
Kriege keine seiner Berufsaufgaben : „ Führung, Ausbildung, Erziehung der Mannschaften" aus dem Auge verliert , ergeben sich diese besonderen Ziele und Wege
der
militärischen Erziehung für den Krieg und im
Kriege wohl von selbst. Besten viele ,
der
Aber schon bald verschlingt der Krieg der
erfahrensten Führer und Erzieher
des Volkes in
150
Militärische Erziehung im Kriege.
Waffen zu viele .
Für sie müssen eintreten die weniger diensterfahrenen
Offiziere des Beurlaubtenstandes und der im Kriege werdende Nachwuchs
dieser und
der Berufsoffiziere.
langer Dauer muß der Offizier
Gerade in einem Kriege von
des Beurlaubtenstandes
möglichst vollkommen klar darüber werden , Dienstaufgaben
des Berufsoffiziers ,
sich bald-
daß ihm im Kriege alle
auch die des Erziehers, zufallen ;
und die Regiments- , Bataillons- , Abteilungskommandeure aller Waffen müssen frühzeitig diese Eigenart der militärischen Dienstverhältnisse im
Krieg
berücksichtigen
beeinflussen.
und
dementsprechend
ihr Offizierskorps
Dankbar müssen sie dieser Forderung des Krieges sein
schon im Hinblick auf die ihnen auch im Kriege obliegende Verantwortung für den guten und richtigen Geist des meist bunt zusammengewürfelten ,
häufigem
Personalwechsel
unterworfenen
Offizierkorps .
Welcher Offizier, der, angeleitet von seinem Kommandeur und dessen Musterbeispiele, sich seiner heiligen Pflicht gegenüber der Gesinnung, Führung und Leistung seiner Leute seiner Scheinbildung trotz seiner eigenen Vaterlandes
schämen ,
wenn
bewußt er
ist,
müßte
sich nicht
trotz der Notwendigkeiten ,
ständigen Lebensgefahr und trotz der Not des
selbst Charaktermängel bekunden
würde,
die
eben im
Kriege und in Anbetracht ihrer Folgen und Wirkungen seinen Untergebenen viel weniger verborgen bleiben könnten als seinen Vorgesetzten ? Mag
die lange Friedenszeit und die verderbliche Wirkung des darin
übermäßig
gewordenen
Materialismus
die
ungeheuerlichsten Wahn-
vorstellungen und die unglaublichsten Ehr- und Rechtsbegriffe gezeitigt haben .
Im Angesichte der Kriegsnotwendigkeiten müssen Wahn und
Irrtum der heiligen Besorgtheit um des Vaterlandes Gegenwart und Zukunft zu weichen sich beeilen . Ein Glück für das von Feinden ringsum angegriffene deutsche Vaterland , Volk und Heer ist es, daß der allgemeine Bildungsgrad der Masse der deutschen Offiziere in der Welt obenan steht.
Möge diese Überlegenheit in richtiger Erfassung
und Betätigung der militärischen Erziehung im Kriege nicht nur den vollen Endsieg der deutschen Waffen erwirken, sondern auch erreichen , was Vaterland und Volk ebensosehr wünschen , wie den Sieg : liche,
gesunde Heimkehr in Ehren ,
aber
nicht
Glück-
verroht wegen des
Krieges, nicht vergiftet und verseucht im Kriege , durch den Krieg!
sondern veredelt
In der Heimat, im Besatzungsheere findet die militärische Erziehung im Kriege
auch teils Unterstützung teils Hemmnisse , die lediglich durch die besonderen Dienstverhältnisse in der Kriegszeit bedingt sind . Der Erzieher des Nachersatzes für Feld- und Besatzungsheer wird ja in erster Linie die auch im Frieden angewendeten ersten Erziehungs-
grundsätze anzuwenden haben, die dem jungen Soldaten die militärischen
151
Militärische Erziehung im Kriege .
Grundeigenschaften beibringen und so befestigen wollen , daß sie auch im Felde unter den schwierigsten Verhältnissen wirksam werden können . Besondere Unterstützung findet seine Tätigkeit durch die Möglichkeit des Hinweises auf die aus dem Felde heimkehrenden Verwundeten und Verstümmelten ebenso wie auf die auf dem Felde der Ehre Gebliebenen, auf die in Feindeshand Geratenen, auf die Insassen unserer Gefangenenlager, auf die täglichen Kriegsnachrichten . Möchten doch alle aus dem Felde gesund oder krank oder verwundet oder verstümmelt, mehr oder minder oder gar nicht ordengeschmückt heimgekehrten Kriegsteilnehmer
bedenken,
welchen starken Eindruck ihr
Verhalten auf die jungen Soldatenherzen militärische Erziehung bringen sollen,
eingetreten,
ausübt,
dereinst
die
die,
eben in die
Früchte
zur
Reife
deren Saat den Heimgekehrten Leiden und Narben,
Ehren und Auszeichnungen eingetragen hat ; daß sie verpflichtet sind solange sie die Uniform tragen, durch ihr Beispiel unentwegter Betätigung der militärischen Grundeigenschaften die Erziehung ihres Ersatzes zu unterstützen.
Auch
in der Heimat,
im Besatzungsheere
haben die Truppen-
kommandeure bei Lösung der ihnen obliegenden Aufgabe der Sicherstellung guten militärischen Geistes in der Truppe mit Schwierigkeiten zu kämpfen : große Zahl der Auszubildenden, kurze Zeit für die Ausbildung, besonders kurz für die Erziehung , Ungeübtheit eines großen Teils , besonders der Erzieher. Möge es ihnen gelingen, ihre Dienstgrade alle davon zu überzeugen, wie notwendig dem Heeresersatze vor allem die Aneignung der militärischen Grundeigenschaften ist, wie dringend notwendig das Feldheer einen Ersatz an ganzen Soldaten , nicht bloß an Uniform- und Waffenträgern braucht. Unermüdlicher Hinweis auf die Ursachen der in den Kriegsberichten enthaltenen Sieges- bzw. Verlustnachrichten , auf die Grundlagen des Erfolges des Einzelnen und der Truppe im Kriege wird dieses Streben unterstützen . Mit der Betonung dieser Grundlagen wird sicher der militärischen Erziehung für den Krieg ebenso sehr gedient als sie den Boden für die militärische Erziehung im Kriege vorbereitet, die mit der Ausfüllung der im Feldheere entstandenen Lücken durch den zielbewußt erzogenen Nachersatz einsetzen muß .
Gerade die sachgemäße Erziehertätigkeit beim Besatzungsheere ist dringend notwendig, auf daß nach dem Friedensschlusse das Feldheer in die Heimat so zurückkehren kann , wie es unserem Ansehen und Streben als erstes Kulturvolk der Welt entspricht, wie es für unsere Zukunft notwendig ist . Dieses Ziel der militärischen Erziehung im Kriege und für den Krieg darf nicht nur ein Traum des Idealisten bleiben .
Jeder Vaterlands-
freund , der sich von den großen und schwierigen Aufgaben des deutschen
152
Die russische Sommeroffensive.
Volkes nach dem Kriege nur annähernd ein Bild zu machen vermag, muß wünschen, daß die deutsche Heimat der Rückkehr ihrer Beschützer ungeteilt sich freuen kann.
Dem deutschen Vaterlande und
seiner hohen Kulturbestimmung zu Liebe müssen Feld- und Besatzungsheer rastlos und
gerne
sich
widmen
der militärischen Erziehungs-
aufgabe im Kriege !
XV . Die russische Sommeroffensive.
Von Rhazen, Generalleutnant z . D.
L Eine große russische
Offensive bildete
einen
der wichtigsten
Punkte in dem vom gemeinsamen Kriegsrat für das Frühjahr 1916 entworfenen einheitlichen Plan der Entente.
Mit dem Erinnerungstag
von Przemysl , als die Augen voll Spannung auf die deutschen Fortschritte um Verdun ,
wie auf die unserer Verbündeten in
tinischen Grenzgebirgen
den vizen-
am Rand der oberitalienischen Ebene
richtet waren , hat sie eingesetzt .
„ Bund " nennt sie
ge-
die größte und
kühnste, die Rußland jemals unternommen " und meint, daß dagegen die
Operationen
des
Großfürsten
in
Ostpreußen,
Polen
und den
Karpathen vorsichtige und wohlbasierte Unternehmungen waren . verspätet brach
sie los ,
das hinausging, was,
aber mit um so größerer Wucht,
Etwas
die über
bei Kenntnis der russischen Verhältnisse ,
nach
den gewaltigen Einbußen noch in den Märzschlachten, von den durch eine Reihe von Anzeichen auf ein russisches Vorbrechen vorbereiteten Mittelmächten erwartet werden konnte.
Hatte doch deutsche Initiative
am 21. Februar durch den Ententeplan einen dicken Strich gemacht , dessen Nachwirkung im Westen auch heute noch fühlbar ist, nachIdem dort schon die britisch- französische Offensive eingesetzt hat, die, im Verein mit
der russischen,
nach
dem Willen der Entente dem
Kriege militärisch ein Ende machen sollte . An der West- und Südfront der Verbündeten war an die Stelle der für das Frühjahr geplanten einheitlichen Offensive die der Mittelmächte bei Verdun und in Südtirol getreten. Sie griff auch störend in die Vorbereitungen und das Zurechtschieben der Vierverbandmächte für die Ausführung des großen Frühjahrsplanes
ein.
Der Joffresche
153
Die russische Sommeroffensive . Gedanke
eines
starken Vorstoßes
in
der
Richtung
Metz
lag
in
Scherben, die um die Zwangsdienstpflicht noch ringenden und durch ihren Ministerpräsidenten
über das Nichtausreichen der Rekrutierung
seit August 1915 belehrten Briten waren nicht sofort imstande ,
den
im Rahmen des großen Planes ihnen zugewiesenen und von ihnen übernommenen
Verpflichtungen
nachzukommen.
Erst
später
sind
weitere britische Kräfte eilig nach dem Kontinent übergeführt worden , wo die Briten
bis
dahin
durch Besetzung weiterer Frontabschnitte
die bei Verdun schwer ringenden Franzosen
entlastet zu haben be-
haupten, diese Frontteile den Fransosen aber später wieder übergaben , als die britisch-französische Offensive in der Picardie begann. Der Plan der großen einheitlichen also doch auch gleichzeitigen Offensive hatte auch den Italienern zum mindesten im Raum ihres bisherigen Operationsgebiets die Rolle des Angreifers zugewiesen. als
Früher, als Cadorna gewollt,
der Plan
für
und nach anderer Richtung,
das Frühjahr vorsah,
zwangen
die französischen
Hilferufe von Verdun, zu der kurzen miẞglückten, schwer verlustDabei ließen eine begonnene Umgrupreichen fünften Isonzoschlacht. pierung der Armee,
Truppenverschiebungen
nach Norden
nach der fünften Isonzoschlacht, während des Auffüllens
und
der
die
durch
diese gerissenen Lücken , erfolgte Verlegung des Hauptquartiers Cadornas vermuten, daß der italienischen Heeresleitung Durchbruch durch Tirol nach Bayern zugedacht war,
wogegen
auch
die Tatsache der noch
nicht erfolgten Kriegserklärung an Deutschland nicht zu sprechen braucht. Die Initiative unserer Verbündeten schrieb am 15. Mai den Italienern vor, wo sie den Kampf zu beginnen hatten , wiederum der Entente das sorgfältig ausgeklügelte Konzept gründlich verderbend . Ziemlich gleichzeitig mit der fünften Isonzoschlacht hatte das Reich des Zaren, das sich jedem Wink aus Paris und London erwiesen, wofür es ja schwer bezahlt wurde, füllen
der Lücken
willfährig
obwohl noch an Auf-
der Neujahrsschlacht im Süden
arbeitend,
seine
Märzoffensive gegen die Hindenburgfront angesetzt, und mit dem Verlust einer Armee bezahlt, nutzlos für die im Raume Verdun schwer ringenden Franzosen ! Als sich in die Hilferufe der von den Briten noch immer nicht entlasteten Franzosen dann
die der Italiener mischten ,
als auch die
inneren Zustände Rußlands eine Ablenkung nach anderer Richtung dringend erwünscht erscheinen ließen, als London , Paris und Rom immer wieder an die „ einheitliche Front " mahnten, schieben des russischen Südwestheeres,
als das Zurecht-
als endlich das Ergebnis ein-
jähriger Arbeit Frankreichs, Englands und Amerikas in der Versorgung mit Artilleriematerial, Munition,
Panzerautomobilen und Flugzeugen ,
154
Die russische Sommeroffensive .
der Ausbildung durch Offiziere
dieser
Staaten
Truppen , bei denen sie auch verblieben, auf 350 km Front
für die technischen
ungefähr vollendet war , ist
zwischen Kolki und Pruth die große
russische Offensive losgebrochen . Die sonst
strengster Zensur
hatte lange vorher
unterliegende
schon angekündigt ,
Petersburger
Presse
„ bedeutsame Ereignisse seien
auf dem russischen Schauplatz zu erwarten , die materiellen Bedingungen für solche erfüllt. " Truppenverschiebungen in dem russischen Südwesten wären zahlreich beobachtet worden. Vom 28. Mai ab machte sich dort im Gegensatz zu der fast fünf Monate dauernden Ruhe auch regere russische Tätigkeit bemerkbar . An der bessarabischen Grenze suchten sich die Russen mit Laufgräben und Sappen näher an die vordersten Gräben heranzuarbeiten, das Artilleriefeuer schwoll mächtig an und an manchen Stellen waren schon Vorfeldkämpfe zu verzeichnen . Was dem Oberkommandierenden im Südwesten, Brussilow, der im Laufe der Geschehnisse zweifellos über den russischen Durchschnitt gehendes strategisches Verständnis , darüber hinaus aber auch grenzenlose Verachtung
des Wertes von
Menschenleben bewiesen hat,
bei
Beginn der Offensive an Kräften zur Verfügung gestanden hat, haben uns etwas lässig,
später italienische Blätter
wie wir sehen werden,
verraten.
und des Zuwachses
Nicht ganz
zuver-
naturgemäß nicht
gedenkend, der im Verlauf der Operationen den russischen Oberfeldherren zugeflossen ist. Sie nennen : gegen Wolhynien, VIII . Armee. 2½ Kavalleriedivisionen ) , gegen NordKaledine ( 13 Infanteriedivisionen , 22 galizien
XI. Armee , Sacharow (9 Infanteriedivisionen , 1
Kavallerie-
division) , gegen die Strypa . VII. Armee, Tscherbatschev (9 Infanteriedivisionen , 2½ Kavalleriedivisionen) , zwischen Dnjestr und Pruth sowie Bukowina IX. Armee, Letschitzki ( 11 Infanteriedivisionen, 4 Kavalleriedivisionen ; man beachte die starke Ausstattung der Flügelarmeen mit Reitermassen ! ), in Reserve die VI . Armee, zu welcher später noch 14 Infanteriedivisionen hinzugekommen seien . die Stärke der Reservearmee ,
Das wären , ohne
die ja nicht angegeben wird, aber mit
den zu dieser hinzugetretenen 14 Infanteriedivisionen , 56 Infanterie-, 14 Kavallerie divisionen . Hinter der Wirklichkeit also schon zu Beginn zurückbleibend,
um so mehr,
als später nördlich der Armee
Kaledine, eine aus dem Raume Sluck hervorgegangene und zunächst etwas zurückgestaffelte III . Armee,
Lesch ¹ ) ,
gegen
den linken Flügel der
Heeresgruppe Linsingen erschien , und weiter im Verlauf der Offensive 1) Zum mindesten starke Teile dieser Armee finden wir auch in den Baranowitschi- Schlachten.
155
Die russische Sommeroffensive.
am Nobelsee Kräfte auftauchten , sowie mehrfach , um der stockenden Offensive neuen Impuls zu geben, den einzelnen Armeen Verstärkungen zugegangen sind, sei es aus dem Innern , oder von der Front nördlich
des Pripjet .
Es unterliegt daher keinem Zweifel,
daß die
Angaben der italienischen Blätter, die unter Kuropatkins und Ewerts Oberführung stehenden Heeresgruppen nördlich des Pripjet hätten in sieben Armeen zusammen 76 Infanterie-, 32 Kavalleriedivisionen umfaßt,
bei Beginn der Offensive schon nicht mehr zutreffend waren.
(„ Rußkij Invalid "
hat im
Anfang
August
verraten,
daß bei
der
Offensive südlich des Pripjet 150 Divisionen in den Kampf gebracht wurden . Das sind, bis auf 16 Infanterie- und Kavalleriedivisionen alle , die die italienischen Blätter von der Ostsee bis zur rumänischen Grenze angegeben.)
Das Schwergewicht der russischen Kraftentwicke-
lung lag damals, wie erst recht später, schon im Brussilowschen Südwestheer.
Das kommt auch in der Antwort Kuropatkins (der jetzt
Generalgouverneur in dem stark aufständischen Bewegungen unterliegenden Turkestan geworden ist, vielleicht auch, weil er Brussilow nicht noch mehr Kräfte abgeben wollte) ,
und von der Wilejka bis
zum Rigaer Busen durch den wieder zu Gnaden gekommenen , schon einmal gegen die Karpathenoffensive , dann wieder gegen den Riesenmenschenverbrauch durch Brussilow, aufgetretenen brauchbaren Rußki ersetzt worden ist, zum Ausdrucke, als er auf den Vorwurf nicht genügenden Offensivdranges
zur
Unterstützung
Brussilows
erwiderte :
„ Die Millionenarmeen ständen ja zunächst Brussilow zur Verfügung. " Nicht zu übersehen bleibt, wie wir, um die Kräftebemessung für eine geraume Zeit
zusammenhängend
zu erledigen ,
hier gleich bemerken
wollen , daß die Russen unmittelbar hinter den Kampfverbänden bis zu 75 Proz. ihrer Kampfstärke an Ersatz zum sofortigen Schließen der Lücken und Erhaltung der Kampfkraft der Verbände erster Linie aufgestapelt hatten und es so ermöglichten, sionen,
die
über die Hälfte
ihres
Bestandes
Regimenter und Diviverloren hatten,
am
folgenden Tage wieder an den Feind zu bringen . Die Ostfront der Verbündeten lief, vom Rigaer Busen beginnend , am Westufer der Düna bis Dünaburg,
dann in
südlicher Richtung
an der vielumstrittenen Seenkette und dem Oginskikanal vorbei, hart östlich
von Pinsk bis
zur
Mündung der
Strypa in den Dnjestr,
darauf, kurz nach Osten sich wendend , an die Ostgrenze der Bukowina, der sie bis zur rumänischen Grenze folgte . Njemen
reichte
die Front Hindenburgs,
Von der Ostsee bis zum rechts von dieser bis zum
nördlichen Teil des Oginskikanals die der Heeresgruppe Prinz Leopold , an welche, Kanal,
die
ungefähr in
der
Gegend von
der Heeresgruppe Linsingen,
Lohiszyn ,
den Pripjet
an demselben querend ,
sich
156
Die russische Sommeroffensive.
ansetzte, zu welcher auch die Armeen Erzherzog Josef Ferdinand , an der Putilowka, und Puhallo gehörten . Weiter rechts folgten - linker Flügel in der Gegend von Dubno die Armee Böhm-Ermolli, dann etwa von westlich Tarnopol ab, die Armee Graf Bothmer, die durch über den Dnjestr geschobene Abteilungen Pflanzer-Baltins Fühlung hatte .
mit dem rechten Flügel
Am 2. Juni schwoll das russische Artilleriefeuer an der wolhynischen und bessarabischen Front mehrfach Infanterievorstöße .
zu großer Stärke an und erfolgten
Der folgende Tag zeichnet nach der
Kraft der artilleristischen Vorbereitung für den Angriff, die mit Trommelfeuer auf einem 25 km breiten Abschnitt, beiderseits der Straße Rowno - Luzk, auf der Stellung des Erzherzogs Josef Ferdinand lag,
dort schon eine
der wahrscheinlichen Hauptstoßrichtungen ab ,
während fast gleich schweres Feuer die Gräben bei Okna , Kozow, Aleksiniec - Mlynow bearbeitete. Wurden auch Stellen der von Kolki am Styr bis
Jaslowiec, zahlreiche
zum Pruth 350 km spannenden
Front angegriffen, so zeigte sich doch bald, daß Brussilow mit Armeestaffeln hinter dem rechten Flügel Kaledine zunächst zurückgehalten die Armee Lesch, linksgestaffelt in der Mitte die Armeen Sacharow
und Tscherbatschew,
links
vorwärts
dieser die Armee ― Letschitzki , Standpunkt der Reservearmee unbekannt seine Hauptkräfte in zwei Richtungen einsetzte , im Raume von Luzk und gegen die Verteidiger der Bukowina. Ententeblätter haben zunächt
das russische Vorbrechen nur
eine Entlastungs-
offensive genannt, Rjetsch gab als ihren Zweck Entlastung der Verbündeten, Mitreißen Rumäniens und Ausschließen eines Vorbrechens der Verbündeten gegen Sarrail an . Bei dem zunächst zweifellos erfolgreichen Vorgehen auf dem Flügel nannte die russische Presse dann bald aber sehr
viel weiter gesteckte
Ziele
als Brussilows Aufgabe :
Die Einleitung einer General offensive , mit der rechten Flügelgruppe auf den
außerordentlich wichtigen
Bahnknotenpunkt Kowel
als geographisches Ziel, zugleich mit einer Flankenstaffel die Trennung der deutschen und österreichischen Front anstrebend ; mit der Hauptgruppe in der Mitte konzentrisches Vorgehen auf Lemberg , (gegen das in letzter Linie auch das Vorgehen der linken Gruppe gerichtet war, die , mit linken Abzweigungen zunächst die Bukowina in Besitz nehmen, Rumänien mitreißen und möglichst nach Siebenbürgen durchdringen sollte ),
sowie die Armee Bothmer aus den Angeln zu
heben. In einem später aufgefundenen, aber dieser Zeit entstammenden Heeresbefehl des Südwestheeres hieß es : „ Die Entscheidung ist angebrochen , die Rußland von den Feinden befreien und die russischen Fahnen weit in Feindesland tragen
157
Die russische Sommeroffensive. soll.
Lemberg muß in ununterbrochenem Sturm genommen
werden .
Der Endsieg ist nahe."
Auf seinem linken Flügel häufte
der Feind seine Anstrengungen zunächst gegen den Raum um Okna, in der Nordbukowina, den Abschnitt Rarancze- Dobronoutz. Am 4. Juni war eine Gruppe von Schlachten auf der 350 km spannenden Front zwischen dem Styrknie, bei Kolki, und Bojan am Pruth im vollen, von den Russen nach ihrer Menschenwerte verachtenden Art geführten,
Gange und
ließ bald erkennen, Flügel
beiden
sicht war , die durchbrechen.
daß die nächste AbVerbündeten
unserer
zu
Deren IV. und VII. Armee wurden denn auch der stärksten Belastung unterworfen .
Brussilow, dem der Zar wohl damals schon die
Forderung „ blendender Erfolge" gestellt hatte, drückt durch achtbis zehngliedrige, trotz schwerster Verluste bis zu zwölfmal wiederholte Angriffe schon den Kämpfen der ersten Tage seinen besonderen Stempel auf. Das Frontstück der Armee Erzherzog Ferdinand an der Putilowka war hier augenscheinlich ersehen.
Gegen dieses
trieb
Brussilow
als Durchbruchsstelle seine
Menschenwellen
auszum
Sturm , und vor seinen Gräben, die der denkbar schärfsten Beschießung ausgesetzt waren, häuften sich bald Tausende von Russenleichen auf. Nicht weniger heftig waren die Angriffe gegen
den
anschließenden
Ikwaabschnitt, zwischen Dubno und Mlynow, und weiter südwestlich gegen Nw. Aleksiniec und Sapanow, Geschützfeuer
scheiterten,
wo russische Angriffe schon im
wie endlich an der
Strypafront.
Nord-
westlich Tarnopol gelang es dem Gegner vorübergehend, an einzelnen Punkten in die Gräben unserer Verbündeten einzudringen, um bald Kozlow westlich Tarnopol, wo zu werden .
wieder herausgeworfen russische Angriffe Jaslowiec
waren
an den Hindernissen Brennpunkte
des
scheiterten ,
Kampfes,
Burkanow und
und auf den rechten
Flügel unserer Verbündeten konzentrierte der Gegner seine Anstrengungen zunächst gegen den bukowina.
Am
5. Juni
nahm
Rowno aus dauernd holten kein Opfer
die
Raum
Okna
und
Heftigkeit der
gegen
Kämpfe
zu .
die
Nord-
Die von
eintreffenden Verstärkungen, die immer wiederscheuenden Stürme,
deren
erhofften Durchbruch
sofort auszunutzen sie augenscheinlich bestimmt waren, ließen darauf schließen, daß der Gegner sein Schwergewicht zwischen Mlynow an der Ikwa und Olyka an der Putilowka habe. Die heftigen Kämpfe setzten sich aber auch von Jaslowiec an der unteren Strypa über das Gelände westlich Trembowla, bis westlich und nordwestlich von Tarnopol fort.
Nördlich Okna waren unsere Verbündeten, denen am
Abend noch ein glücklicher Gegenstoß gelang, nach schweren wechsel-
158
Die russische Sommeroffensive.
vollen Kämpfen sogar genötigt, die Truppen aus den zerschossenen ersten Stellungen in eine 5 km südlicher gelegene vorbereitete zurückzunehmen. Am folgenden Tage wurde auch der linke Flügel Erzherzog Josef Ferdinands in Wolhynien an der oberen Putilowka zu räumen und die Truppen in den Raum von Luzk, an den Styr, zurückzunehmen gezwungen.
Auch dehnten sich die Kämpfe nordwärts
über Kolki bis in die Gegend von Raffalowka, wo die Russen blutig abgewiesen wurden , an der
bessarabischen
weiter aus und wiederholten sich bei Sapanow, Jaslowiec am Dnjestr und an der bei
Strypa ,
oberen
Grenze.
Nordwestlich Tarnopol hatte eine Division
an einer Stelle zwei , an zwei anderen sieben Angriffe abgeschlagen und im Raum Okna - Dobronoutz waren die Einbußen scheiternder Angriffe der Russen , die nun auch schon vor dem Abschnitt Dobronoutz - Toporotz mit sehr starker infanteristischer und artilleristischer Überlegenheit auftraten, außerordentlich schwere. Am 7. Juni hatte an der unteren Strypa durch die unablässige Wiederholung numerisch ungeheuer überlegener vielgliedriger russischer Angriffe eine Krisis begonnen, während an der Ikwa und bei Wisniowczyk an der Strypa Anstürme
scheiterten und am Dnjestr
und an der bessarabischen Grenze vorübergehende Ruhe bestand, —- die auch am 8. Juni nicht überwunden werden konnte und am 9. Juni eine Zurücknahme der Truppen unserer Verbündeten vom Ost- auf das Westufer der Strypa zur Folge hatte. osten die Kämpfe weniger heftig. westlich Tarnopol und Angriffe
Bei Kolki, nördlich von Nw Alekriniec ,
am Dnjestr
unter schweren Verlusten .
Josef Ferdinand gelang es beiderseits
Luzk den
erfolgte ein Abweisen russischer Nur im
nach heftigen
Abschnitt der Armee
Kämpfen dem
Styr zu überschreiten ,
Rückmarsch angetreten und rechten Styrufer
Am 8. Juni waren im Nord-
im Raume Luzk am 9. Juni
der Kampf fortgesetzt wurde.
Gegner.
weshalb der auf dem
An diesem Tage er-
folgte auf der ganzen Front Brussilow ein erneutes heftiges Auflodern der Kämpfe,
mißlungene Versuche,
Kolki überzugehen,
nordwestlich Czartorysk und bei
wo am Abend jedoch
zwei Regimenter
auf das
Westufer gelangten (ein deutlicher Beweis für das fortgesetzte Streben , sich hier einen Flußübergang zu sichern, die Deutschen von der österreichischen Front zu trennen und die Umgehung gegen Kowel weiter zu tragen !) . über den Styr
Am 10. Juni aber wurden sie, stark zerfledert,
zurückgeworfen .
Zahlreiche
russische
Anstürme er-
folgten nordwestlich Tarnopol sowie zwischen Okna und Doboronoutz. Nordwestlich Tarnopol nahm ein Gegenstoß eine von den Russen mit ungeheuren Opfern erkaufte Höhe zurück ,
weiter südlich veranlaßte,
trotzdem russische wiederholte Angriffe von unerhörter Wucht nieder-
159
Die russische Sommeroffensive .
gebrochen waren, doch die Erkenntnis des Nichtnachlassens der Kraft der feindlichen Stöße , das scheinbare Unerschöpfliche der russischen Reserven und des Anstrebens eines Durchbruches um jeden Preis , zu dem Entschluß, den
die Verteidigungsfront hinter den Pruth ,
Raum westlich
Sniatyn -- Horodenka ,
in
zurückzuver-
legen. Der 11. Juni bewies schon die Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme. Der Durchbruch mit seinen möglichen Folgen wurde vermieden . Weiter nördlich stieß Graf Bothmer einer von Buczacz in nordwestlicher Richtung vorgehenden russischen Kampfgruppe in die Flanke , warf sie und nahm ihr 1300 Gefangene ab, brach auf der Höhe von Wisniowczyk durch Geschützfeuer ein starker russischer Angriff nieder, während auch nordwestlich Tarnopol der unausgesetzte Kampf keine Unterbrechung erlitt und die Stellungen bei Weredijowka wiederholt den Besitzer wechselten . Dem rücksichtslosen Krafteinsatz des Feindes entsprach überall die Höhe seiner blutigen Verluste. Während auf dem
rechten Flügel
am Pruth,
südlich Bojan,
am
12. Juni
ein
russischer Angriff abgewiesen wurde, und russische Kavallerie zur Erhaltung der Fühlung mit dem westlich Sniatyn - Horodenka zurückgegangenen Abteilung unserer Verbündeten die Linie SadragoraSniatyn- Horodenka erreichte, während bei Burkanow, an der Strypa, nordwestlich
Tarnopol
und
Sapanow,
russische
Angriffe
vereitelt
wurden , und wie, südwestlich Dubno, das Vorgehen feindlicher Kavalllerie bei Sokul am Styr sich dasselbe Bild ergab, war in Wolhynien russische starke Kavallerie bis Torczyn gelangt . Das Zurückgehen. der IV. Armee hatte auf das Aufgeben des Ikwa-Abschnittes durch die Armee Puhallo bedingt, die ungestüm nachdrängenden russischen Reitermassen gesandt.
aber wurden am 12. Juni mit blutigen Köpfen heim-
In der Mitte
hatten
die Armeen
Bothmer und Böhm-
Ermolli , trotz gewaltigsten Anstrengungen Sacharows und Tscherbatschews die sich immer wieder
auffüllten
und Verstärkungen erhielten ,
seit
Beginn der Offensive ihre Stellungen unverändert behauptet, erstere sogar erfolgreiche Gegenstöße unternommen. Wenn Brussilow sich wohl eines Zurückdrückens der Flügel in westlicher Richtung, das im Raume Luzk in den acht Tagen über 40 km Tiefe erreichte, nirgends aber eines Durchbruchs rühmen konnte, so ist das zum großen Teile das Verdienst der ehernen Mauer im Zentrum. Während
am 13. Juni südlich Bojan und nördlich Czernowitz
russische Angriffe wiederum scheiterten, standen nördlich des Pripjet, nördlich des so ungeheuer wichtigen Bahnknotenpunktes Baranowitschi , von wo aus Ewerth
sowohl gegen Lida
Brest -Litowsk ausstrahlen
als
zu können glaubte,
die Verbindungen von deutsche und öster-
160
Die russische Sommeroffensive.
reichische Truppen unter
schwerem Feuer und Angriff,
beides
mit
Erfolg überwindend, indes russische Artillerie ihre eigene zurückzu Trümmern schießen half. Die erste Schlacht
gehende Infanterie von
Baranowitschi
14.
Juni
durch
begann . Eingreifen
folgenden Tage, von denen der deutscher Truppen den Vormarsch
Die
Brussilows in der Linie Sokul - Stochodabschnitt- Kisielin - Lokaczy und an der Lipa-Plaszewkaniederung zum Stehen gebracht hat , was wohl auch im russischen Berichte vom 14. Juni zum Ausdruck kommt,
wenn er sagt :
„ Der Feind setzt an mehreren Stellen
seine Angriffe fort und faßte in seinem neuen Gelände festen Fuß " , ließen den Grundgedanken der russischen Heeresleitung noch schärfer hervortreten, von Wolhynien und der Bukowina aus die Stellung der Verbündeten in Ostgalizien aus den Angeln zu heben, die deutsche und österreichische Front zu trennen, durch Vorgehen auf Kowel die Deutschen
bis nach Cholm
oder
gar
Lublin
und Brest - Litowsk
zurückzuzwingen und im Süden auch Rumänien , möglichst nach Siebenbürgen durchstoßend , zum Anschluß zu bringen . Auf allen an den Operationsraum heranführenden Bahnen rollten ununterbrochen Züge mit sehr starken Reserven, die schon unter mächtigen Einbußen leidenden Massen Brussilows zu neuer Kampfkraft aufzufüllen . Ehe das Vorgehen über Sniatyn - Horodenka gegen den Raum Kolomea - Stanislau fortzusetzen war , sollte der russische Südflügel unsere Verbündeten zunächst aus der Flankenstellung zwischen Pruth und Sereth vertreiben . Nach Überwindung von Styr und Ikwa zwischen Roziszcze (nördlich Luzk)
und Dubno verstärkte Brussilow
die gegen die Linie Kolki - Sokul - Stachodabschnitt angesetzte Gruppe , trieb Reitermassen über Zaturcze (an der Turja) und Lokaczy (am Lug) in Richtung Wladimir - Wolhynsk vor und stieß , nachdem so Rücken und Westflanke gesichert waren, mit den Hauptkräften in der
Richtung
auf Lemberg
Wenn in den Ententeblättern
gegen
Lipa- und
Placzewkalinie vor.
behauptet worden ist, die am Styr-
Placzewska - Strypa, wie zwischen Dnjestr und Pruth zweifellos unter starkem Druck gehaltenen Verbündeten seien durchbrochen worden , Teilweise,
d. h. auf den
Flügeln, sind sie ohne Zweifel eingedrückt worden . setzte Brussilow mit Hochdruck die Anstrengungen
so
entspricht
das
In Wolhynien fort, den Be-
wegungsraum
Linie
der
nicht den
Tatsachen .
Stoßtruppen
Sokul-Kiesilin zu verbreitern.
gegen
Norden ,
die
Kolki-
Vergebens, trotz ungewöhnlich hoher
Opfer und dauernden Zuflüssen !
Russische Reitermassen gelangten
in der Richtung auf Wladimir - Wolhynsk nach Zaturcze und Lokaczy, wo Reiterkämpfe sie zunächst stellten. Zwischen der Bahn RownoKowel und Kolki bemühte sich der Feind an zahlreichen Stellen
Die russische Sommeroffensive. unter Einsatz frischer Divisionen ,
161
den Übergang über den Styr-
Stochodabschnitt zu gewinnen und dadurch das Vorkommen nach Westen südlich der Bahn zu erleichtern. Vergebens. „ Er wurde überall zurückgeschlagen und erlitt schwere Verluste " , sagt der Tagesbericht über den 14. Juni. Im Raume von Luck beginnt nun ein Hin und Her von Angriff und Verteidigung auch der deutschen Truppen (das Große Hauptquartier stellt im „ Kampf um Kowel " , wie wir hier gleich bemerken wollen, im Laufe des Juni in diesem Raume drei deutsche Gegenstöße fest, am 16 , 23. und 30. Juni) , die die Russen bald einen Nordwestlich Ridoml, nordwestlich zurück drängten. Reminiec, und nordwestlich Radziwillow bereitete General Sacharow
Tagemarsch
(den Brussilow nach Kalidines Bodengewinn im Raume Luzk mit gesicherter rechter Flanke über Zalosze , bzw. Zloczow, bzw. Brody, mit der Winkelspitze gegen den Raum von Lemberg, losließ) den Angriff gegen die Placzewkalinie zunächst durch einen Stoß auf die Front der An der Strypa, südwestlich Trembowla, bei Armee Puhalla vor. Wisniowczyk, erbitterter Kampf.
Zwischen Dnjestr und Pruth wurde
die Linie Horodenka - Snyatin von Infanterie nur wenig überschritten . Südlich Bojan und nördlich Czernowitz erfolgten vereitelte Angriffe, oberhalb Czernowitz wurden russische Pruth durch Geschützfeuer abgewiesen.
Übergangsversuche
Seit dem am 14. Juni von Sadragora und Bojan
über den
aus in nord-
südwestlicher Richtung (nicht wie bei der Neujahrsschlacht von Osten nach Westen gerichtet) unternommenen Angriffen auf Czernowitz stand der Brückenkopf von Zuczka dauernd unter schwerstem Artilleriefeuer ; Sniatyn,
am 16. Juni
versuchten
aus der Linie Horodenka-
hinter welcher sich der Aufmarsch
eines
Teils der
Armee
Letschitzki, als Südflügel des Nordwestheeres, vollzog , Abteilungen auf der Straße Tlumacz vorzustoßen, wurden bei Nieszwiska zum Stehen. gebracht und konnten von hier auch den beabsichtigten Übergang anderer Kräfte über den Dnjestr in den nicht unterstützen .
Letschitzki war den über den Pruth
Rücken der
Strypafront
zurückgegangenen Truppen
der Armee Pflanzer-Baltin zunächst über den Sereth gefolgt. Außer der Serethlinie hielt er die Gewinnung des südlichen Pruthufers für nötig, ehe er die Bewegung auf Kolomea und Stanislau fortsetzte. Die Armee Tscherbatchew trug ununterbrochen ihren Angriff gegen die ostgalizische
Front vor ; die Brennpunkte des Kampfes lagen wieder in dem Abschnitt Wiesniowczyk- Przewloka , in dem von der Armee Bothmer besetzten Zentrum der Strypastellung, gegen das in 13 km Front der Gegner vom 14. bis 17. mit un11 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 541.
Die russische Sommeroffensive .
162
verminderter Wucht, aber auch mit ungeheuren Verlusten erfolglos anstürmte. Am 14. Juni lief die Front der russischen Offensive in Wolhynien im allgemeinen vor bzw. in der Linie Sokul - LieniewkaSwidniki
Stochod aufwärts bis Kolonie Ostrow, dann über die obere
Turya bei Oszuczy - Woynika in die Gegend westlich Lokaczy und in den Raum nordwestlich Gorochow. Zwischen Sokul - Kolki hatte die Armee Kaledine vergeblich ihre Bemühungen fortgesetzt, das nördliche Styrufer zu erreichen, um den Operationsraum der Stoßgruppe zu verbreitern und der zwischen oberem Stochod und Lipa sich vorbereitenden Gegenoffensive der Heeresgruppe Linsingen wirksam begegnen zu können . Am 14. Juni erst scheint der Feind auf der Front Swidniki - Boguszowka seine Verbände wieder aufgefüllt zu haben, so daß nun neue Kämpfe dort entbrannten, bei denen der vorgeschobene Brückenkopf genommen wurde . Die russische Führung wird damit gerechnet haben , durch Überwindung des Stochod
die ganze Sokul - Kolkifront aufzurollen und
für
nach
die Verbündeten
Aufgabe
der
Styrfront auch die
Auf-
nahmestellungen hinter dem Stochod unhaltbar zu machen . und
Die schweren Tage um den halben Juni herum werden uns unseren Verbündeten unvergeßlich bleiben. Unter raschen
Entschlüssen
mußte
gehandelt
werden ,
und
durch
Eingreifen
deutscher Truppen gebietet die deutsche Führung dem Tempo russischer Nachstöße bis zum 15. Juni Halt . Wir wählen diesen Tag, weil man an ihm bei der Brussilow'schen Nordgruppe die von Rowno über Luzk nordwestlich auf Kowel operierte, den Höhepunkt der Offensive schon als erreicht ansehen konnte. Werfen wir einen kurzen Rückblick auf die Zeitspanne vom Beginn des russischen Einbruchs in den Raum von Luzk ab : Beiderseits der Eisenbahn Luzk- Rowno an der Putilowka war die von überlegenen Kräften angefallene IV. Armee, Josef Ferdinand , Anfang Juni zum Rückzug in westlicher Richtung gezwungen worden, der erst mit Hilfe deutscher Verstärkungen am oberen
Stochod,
östlich Wladi-
mir -Wolhynsk, sowie an der unteren Lipa am 15. Juni zum Stehen gebracht werden konnte. Auch die an der mittleren Ikwa stehende Armee Puhallo mußte an den Styr, beiderseits Werben, und an die Placzeschwka weichen . Die IV. Armee war in der bogenförmigen allgemeinen Linie
Sokul- Kislelin - Lokaczy- Gorochow- Lipa - Radzi-
wilow zum Halten gebracht worden , Kowel und Wladimir - Wolhynsk winkten den Russen zwar noch als ersehnte hochwichtige geographische Ziele.
Ihr frontaler Druck war hier aber zweifellos fürs erste stark
abgenutzt.
Petersburger Blätter selbst geben zu :
sich der Sieger selbst in Desorganisation .
„ Leider befindet
Seine Verluste sind große,
163
Die russische Sommeroffensive. Munition
und Proviant
in
Bevor wir weiter vorgehen,
sehr
bedeutendem
Maße
müssen wir zunächst
verbraucht.
halten ,
um alle
Die strategischen Erwägungen,
wichtigen Nachschübe zu erhalten. "
die damals die russische Heeresleitung zu einem Halt veranlaßten, verrät uns die Petersburger Presse natürlich nicht . Die Styrlinie zwischen Czartorysk und Sokul war, trotz gewaltigsten Anstrengungen, nicht forciert, ein weiteres Vorstoßen nach Westen mußte unter dem starken Druck auf die rechte Flanke , die sich in deutschen Stößen zwischen Sokul und Stary Mosor schon bekundete, eine kräftige Hemmung finden, ein konzentrisches Vorgehen
auf Kowel war
nicht
möglich ,
solange der vorgenannte Styr-Frontabschnitt nicht überwunden worden . Weiter südlich scheiterten die verzweifelten Anstrengungen, war. Brody zu nehmen.
Wenn russische
und neutrale
Blätter an Gor-
lice -Tarnow erinnert haben , so hätten sie dies im eigenen Interesse klüger nicht getan , denn hier trat nach dem taktischen Durchbruch , der Brussilow fehlte , ein dauernd wachsender strategischer Erfolg zutage , der die russische Nachbarfronten abbröckeln ließ und die Bresche dauernd erweiterte . Die in den ersten Tagen des Juni gewonnene Erkenntnis, daß die außerordentlich starke Front Böhm-Ermolli nicht durchstoßen werden konnte (wenn auch das
Weichen
der
Armee
Puhallo zum Zurück-
biegen ihres linken Flügels zwang), hatte die russische Heeresleitung veranlaßt , das Schwergewicht der Angriffe auf die benachbarten Armeen zu verlegen, und - was frontales Anlaufen nicht vermocht, den Abschnitt zwischen den Bahnen Dubno - Brody und Tarnopol- Brzesany zu bezwingen
durch Umfassung zu versuchen.
Südwestlich Tarno-
pol hielt aber die Armee Bothmer ihre Stellung an der mittleren Strypa auch gegen zahllose stärkere Massenangriffe, so daß der südliche Flügel Böhm-Ermollis gesichert wurde. Auf dessen nördlichem Flügel wurde es aber nach Weichen der IV. Armee
und der Gruppe
der mittleren Ikwa (Puhallo) , am 15. Juni nötig, ihn in den Raum Radziwilow und Podkamien zurückzubiegen .
Die
Stellung im wol-
hynischen Sumpflande , die früher nach Verlassen des Styrbogen bei Czartorysk, bei Siemki,
östlich
Kolki,
den Styr
querte,
und über
Olyka in südlicher Richtung nach Mlynow zum Ikwaabschnitt geführt worden war, hatte eine starke Einbeulung erlebt. Diese in einem Durchbruch zu verwandeln, hatte der Gegner starke , nachgedrungene auch Kavalleriemassen in westlicher Richtung über Torczyn vorgetrieben . Dem Sturmkeil der Infanterie war die Richtung nach Nordwesten, die Straße Luzk- Kowel als Hauptrichtung, gegeben worden, um eins der Hauptziele des Vorstoßes, den außerordentlich wichtigen , jedes Vorgehen nach Westen flankierenden Bahnknotenpunkt Kowel baldigst 11*
164
Die russische Sommeroffensive .
in die Hand zu nehmen.
Der wichtige
Bahnhof und Etappenort
Roziscze muß, unter schwerem russischen Feuer liegend, geräumt Nördlich der Straße Luzk- Torczyn durchbrechen die Russen werden. von neuem die österreichischen Nachhuten und zwingen dadurch die ganze Linie weiter zurück, die im Norden schon hinter den Styr zurückgenommen ist, zwischen Kolki und Sokul aber den wütenden Angriffen des Gegners längere Zeit trotzt.
Ein geordneter Rückzug
auf der Straße Luck- Kowel, der einzigen für größere Truppenmassen und daher das Ziel, bzw. die Richtlinie
brauchbaren Verbindung,
vieler Kämpfe , wird, obwohl dauernd russische Panzerautomobile mit Maschinengewehren an die österreichischen Nachhuten heranbrausen, Bei Perespa haben Teile eines sächsischen Regiments den Rückzug hinter den Stochod gedeckt. Nördlich des Flusses ist unter-
möglich .
des bei Swidniki ein brückenkopfartiger Stützpunkt geschaffen und da der Gegner, durch zähe Ausdauer deutscher Nachhuten aufgehalten, nur langsam folgt --- bis zur Bahn und Straßenbrücke am Stochod vorgeschoben worden. In Wolhynien entwickelten
sich
an der ganzen Front neue
Kämpfe, man kann dreist sagen eine Gruppe von Schlachten, Am Stochod - Styr-Abschnitt wurden abermals mehrere Übergangsversuche abgeschlagen, wobei der Feind, wie immer, schwere Verluste erlitt. „ Westlich von Wisniewczyk dauern die Anstürme russischer Kolonnen gegen unsere Stellung fort " , schrieb der Tagesbericht unserer Verbündeten am 15. Juni. Das Ergebnis des Tages war, daß die Lage im Stochod - Styr- Gebiet, bei Lokaczy und gegenüber der Lipastellung unverändert blieb, daß es der Armee Sacharow aber gelang, die Placzewkalinie beiderseits Kozin zu forcieren und weiter südlich an der obersten Ikwa Raum zu gewinnen. Am 16. gelangten die über die Placzewka vorgebrochenen Teile Sacharows an die Grenze in der Höhe von Radziwilew und südlich davon nach Nw. Poczajaw. Im Abschnitt Kisielin -Lokaczy scheiterten russische Anstürme, ebenso gegen die Stellung unserer Verbündeten auf dem Südufer der Lipa zwischen Gorochow und nördlich Beresteczko am Styr. Dagegen überschritten deutsche Truppen,
nach Abweisen mehrfacher russischer Angriffe, den Stochod abwärts Boguczowska am Styr, und drangen beiderseits der nach Roziscze führenden Bahn vor¹) . Hier gewinnen sie am 17. Juni in der Richtung Rosiscze weiter Raum an mehreren
1) „Nachdem deutsche Kräfte auch südlich Kowel eingesetzt waren, begann am 16. Juni der erste Gegenstoß in drei Gruppen : im Westen ungefähr aus der Linie Gorochow - Lokaczy, von Nordwest mit dem rechten Flügel längs der Turija und von Norden ", schreibt der „ Kampf um Kowel" aus dem Großen Hauptquartier.
165
Die russische Sommeroffensive. Stellen des östlichen Stochodufers. fangenen, weiter ostwärts zum
Bei
Bodengewinn ,
Teil wieder in Besitz genommen,
Gorochow und Lipa abwärts ,
Kisielin , wurde so
neben
3500 Ge-
verlorenes Gelände
auch zwischen Lokaczy,
wo die Truppen unserer Verbündeten
das am Vortage aufgegebene Gelände zum Teil wieder zurücknehmen konnten .
Fortschritte deutscher Truppen erfolgten zwischen der Bahn
Roziscze und der Straße Torczyn - Luzk trotz russischer Gegenstöße und Versuche,
den Styr westlich Kolki zu
überschreiten.
Bodengewinn zwischen Kisielin und Lockaczy veranlaßte,
Weiterer trotz Ein-
treffens bedeutender Verstärkungen, die auf Gorochow vorstoßenden Russen, am 19. Juni den Durchbruchsgedanken zunächst aufzugeben, obwohl bei Grusziatyn ein großer Entlastungsstoß angesetzt worden war . Beiderseits der Bahn Brody- Lemberg setzte, im Raume zwischen Nw . Alexiniew und Beresteczko, am 18. Juni auch ein sehr heftiger, aber erfolgloser Angriff an. Die Armee Tscherbatschew versuchte vom 14. bis 17. Juni an der ostgalizischen Front, wieder mit den Brennpunkten Wiesniowczyk und Przewloka (nördlich Buczacz ) , das Zentrum der Strypastellung Bothmer mit ebensoviel Heftigkeit als Mißerfolg zu durchbrechen . Auf dem Südflügel mußte am 17. Juni die Brückenschanze bei Czernowitz vor dem konzentrischen Feuer des stark überlegenen Gegners von ihrer Besatzung geräumt werden.
In der Nacht er-
zwang sich der Feind an mehreren Stellen den Übergang über den Pruth und drang in Czernowitz ein . Zwei Tage später hatten, in Kämpfen mit Nachhuten unserer Verbündeten , die Russen auch den Sereth überschritten. Auf Grund der Lage vom 15. Juni also vor dem russischen Einmarsch in Czernowitz brachte „ Bund " folgende Beurteilung der
Kriegslage : 99 Die russische Offensive hat ihren Kulminationspunkt überschritten . Damit ist aber nicht gesagt, daß sich aus ihr nicht noch weitere geradlinig verlaufende Operationen entwickeln . Das Ergebnis der Offensive war ein weitreichender Erfolg, ein doppelter Einbruch in die österreich-ungarische Kordonstellung, der die Österreicher nicht nur zum Zurückgehen , sondern auch zur Neugestaltung ihrer Front gezwungen hat. sive Brussilows , die ,
auf 350 km
Die Offen-
entwickelt, mit großem Geschick
die Hauptdruckpunkte auf die Flügel, aber nicht gegen die gesicherten Eckpositionen, sondern ins Intervall zwischen diesen und dem Zentrum verlegte, hat an den verschiedenen Stellen bis zu 50 km Tiefe Raum gewonnen.
Trotzdem ist bis heute weder ein vollständiger Durch-
bruch , noch eine innere Umfassung zustande gekommen. maßgebend für die Bedeutung des russischen Erfolges . zum Bewegungskrieg ist noch nicht erfolgt.
Das ist
Der Übergang
Die russische Offen-
Die russische Sommeroffensive .
166
sive brach auf dem rechten Flügel zwischen Kolki und Dubno , auf dem linken zwischen Zaleszczyki und Budzanow ein .
Zugleich ging
ein Stoß von großer Gewalt aus dem Raum Okna zwischen Zaleszczyki und Czernowitz , der, sich mit dem zwischen Zaleszczyki angesetzten staffelförmig verkettend , exzentrisch wirkend, Czernowitz zu isolieren drohte. Die Österreicher wichen auf ihrem linken Flügel von Styr auf ihren rechten nördlich des Dnjestr über die Strypa ,
und Ikwa,
und südlich des Dnjestr im Raum Okna auf die Swika. Aber nun zeigte sich, daß das Zentrum zwischen Dubno und Budzanow im weitgespannten Raum Tarnopol den Stoß ausgehalten hatte und sich nicht bewogen fühlte , die Verbindung mit dem zurückgehenden Flügeln durch Abbauen aufrecht zu erhalten , sondern exzentrisch ausstrahlend, nach vorn und seitlich durch starke Gegenstöße zu wirken suchte .
Das ist offenbar gelungen.
Die Russen sahen ,
bei Verfolgung der hinter Styr, Ikwa und Strypa weichenden , dann wieder Front machenden , und ihre Nachhuten heroisch opfernden österreichisch-ungarischen Armeen , sich auch auf den inneren Flanken bedroht. und wurden besonders von der nach rechts vorstossenden Gruppe der Zentrumsarmee Bothmer von der Linie Budzanow- Buczazcz her angefallen . Auch nördlich Tarnopol , reicher fest.
im Raume Kremieniec, standen die Öster-
Zugleich verstärkte sich der Widerstand an den Eckposi-
tionen Czernowitz und Kolki , die, nach Innen wirkend , den Durchbruch von außen her unterbunden hatten. Czernowitz als äußerste Flankenanlehnung ist bedroht geblieben und es wird mit seiner Räumung gerechnet werden müssen . Anders liegt die Sache bei Kolki , dem inneren Eckpfeiler der angegriffenen Front.
Hier handelt es sich um ein Zurück-
nehmen auf Czartorysk -Kolki, das dem Angreifer keine Isolierung erlaubt, wenn die Verbindung mit der Pinsker Kampfgruppe aufrecht erhalten werden kann. Wenn die strategische Lage die Österreicher selbst zum Preisgeben des ganzen Raumes östlich Kolomea-Tysmienica zwingen sollte, so ist sie doch eine viel günstigere für die Verteidiger, als im August und September 1914 , weil die Verbündeten jetzt über Polen verfügen. Zum Beginn des Krieges war die österreichische Heeresmacht, die
nicht defensiv,
marschiert
sondern offensiv kämpfend um Lemberg auf-
stand, von doppelseitiger Umfassung bedroht und mußte
damit rechnen, daß die starke polnische Weichsellinie in ihrer linken Flanke lag, ein Hervorbrechen der Russen über die ihre in Ostgalizien verstrikte Armee in die gefährlichste Lage brachte.
Heute dagegen
können die Österreicher ruhig nach Südosten Front machen, denn sie sind im Rücken durch den eroberten polnischen Festungsraum gesichert, und können aus diesem Nachschub und Verstärkungen in Empfang nehmen .
Sie flankieren also
jede russische Armee,
die die Dnjestr-
167
Kampf um Geländeteile und bedeckungen. linie und die Karpathenfläche forcieren will ,
aus der Grundstellung.
Solange Kowel im Besitz der Verbündeten , kann jede Offensive vom Unsicherheit Styr auf den Bug von dort aus flankiert werden. herrscht über die Lage und Absichten der Russen im Zentrum .
Wollen
sie versuchen , die innere Umfassung durchzuführen ? Um die Offensive im Südabschnitt zu unterstützen, haben nun die Russen auch im Mittelraum , wo Ewert gegen Prinz Leopold von Bayern im Felde steht, eingegriffen .
Sie sind nördlich Baranowitschi, nach stärk-
ster Artillerievorbereitung, mit Infanterie vorgegangen, wurden aber überall abgewiesen .
Die Entwickelung ist noch keineswegs abgeschlossen.
Abzuwarten bleibt, ob die Russen sich neu gruppieren und die Offensive im Dnjestrtal weitertreiben , oder gegen das Zentrum einschwenken , ob sie auch im Raume Baranowitschi und im Befehlsbereich Kuropatkins um jeden Preis Erfolge suchen. "
(Fortsetzung folgt)
XVI .
Kampf
um
Geländeteile
und
-bedeckungen.
(Lokalkämpfe . ) Von Woelki, Oberst z. D. Im Verlaufe des zeitigen Krieges haben Örtlichkeiten und Stellungen an Bedeutung gewonnen ; die Kämpfe um Geländeteile und -formen , um Anbauten
und Anlagen ,
um
Orte,
Gehölze ,
Wälder usw. sind
mehr und mehr in den Vordergrund getreten. Auf die Ursachen dieser Erscheinung näher einzugehen mag noch dahingestellt bleiben und vorläufig der Hinweis genügen, daß solch ein Wandel auch im Verlaufe von früheren Kriegen bei deren längerer Dauer sich vollzogen hat und daß , wenn er diesmal in besonderem Maße und Umfange zutage tritt,
dies schon zu
einem großen Teil durch die auf-
fällig starke Entwickelung hältnisse genügend
der technischen und wirtschaftlichen Vererklärt ist . Immerhin bleibt die Tatsache noch
wichtig genug, um volle Aufmerksamkeit und unverzüglichen Bedacht daraufhin
zu beanspruchen, wie ihr bald Rechnung zu tragen sei . Soweit es die „ Prinzipien der Lehre vom Kriege" gestatten ! Oder auch : Ohne deren altbewährte Grundsätze zu verlassen, noch sie in Frage stellen zu wollen!
168
Kampf um Geländeteile und -bedeckungen.
Dafür, daß das Gelände überhaupt und in allen seinen Teilen sei es als Kampfplatz, sei es als Kriege zur Geltung kommt, je nach Anmarsch- und Entwickelungsbahn, sei es als Hindernis,
im
Umständen und Kräften fördernd , begünstigend oder erschwerend , nach Art, Geschick und Gewalt des Einsatzes, dafür bedarf es kaum noch eines Nachweises . Die bewohnte Erde hat von jeher, auch für recht verschiedene Bedürfnisse der Kämpfe, geeignete und darum bevorzugte Stellen hergegeben ; so : natürlich hervorragende und beherrschende Stellen (Punkte) als Vesten, wie durch Steilabfälle, Strom-, Fluß- und Sumpfstrecken oder Wüsten gebildete „ Barrièren " , die im Urzustande und an den Anfängen der Kultur, wohl so wie sie sich gerade vorfanden, benutzt wurden , mit dem Wachsen der Kultur aber, der Entwickelung der Technik und den dadurch veränderten Bedürfnissen , auch nach Lage , Art und Form entsprechend , für die besonderen Heidemauern " und Kriegszwecke hergerichtet wurden , von den „ Ringwällen “ zu den Stadtfestungen und Burgen , Vesten bis hin zu den Festungen der Neuzeit als vollgültige Wahrzeichen der KulturUnveränderlich nur in den natürlichen und Kriegsentwickelung . Formen und ursprünglichen Werten . Wie dies erst neuerdings wieder zutage trat, als das Panzerwerk Thiaumont, in Trümmer geschossen, in der Baustelle - als wichtiges Kampfobjekt fortdoch noch bestand.
Aber, wohlverstanden !
diese Wichtigkeit erstreckt sich nur
auf gewisse Kriegslagen , sie ist bedingt und keineswegs unverbesserlich. Sie führt wohl dazu , daß der Besitz der Stelle beiderseits begehrt und umstritten wird, wenn nicht neutral bleibt, bildet aber für Dazu gekeinen der Gegner einen wirklichen Vorteil (Verstärkung). Besetzung Ausbau, in Einrichtung zweckmäßige die hört eben erst Oder und Ausrüstung, die ihr den voll erreichbaren Wert verleiht. sollte wohl die zeitige Technik auf diesem Gebiete gerade versagen?! Sollte sie das alte Wort : „ Der Kampf ist der Vater aller Dinge “ , wie die neuen Lehrsätze von der Erhaltung der Kraft, von Wirkung und Gegenwirkung im unendlichen Wechsel hierfür ausschalten ? die zerstörenden Kräfte den erhaltenden sich als durchaus überlegen, Menschenwerk und Kunst in einer Hauptrichtung als unzureichend und minderwertig erweisen !? Davon kann doch im Ernste keine Rede sein !
Es gibt darum
für den Unbefangenen auf die Dauer eine Überlegenheit von Angriff oder Verteidigung an sich ebensowenig wie absolute Größen im Kriege.
Der Gebrauch , die
Anwendung der
Kriegsmittel ,
wie die Ausnutzung der gegebenen Umstände mehr , die die Entscheidung bringt.
ist es viel-
Die hier beregten Kämpfe um Geländeteile usw. gehören in ihrem
Kampf um Geländeteile und -bedeckungen .
169
derzeitigen Begriff erst der neueren Kriegsgeschichte an. Vordem brauchten die Phalanxe, Legionen, die Bataillone und Reiterregimenter zur Entfaltung und Ausnutzung freien Raum und offene Bahn. Für Söldnerheere und Methodik waren Schlachtfelder, die den Exerzierplätzen möglichst entsprachen, das Normale und Gesuchte, Kämpfe um Örtlichkeiten aber, wenn solche schon nicht zu vermeiden waren, - Nebensache. scheidend.
Nur ausnahmsweise,
Das war denn
wie z. B. bei Hochkirch, entwo eine „ Kriegstheorie ,
auch die Zeit,
lediglich auf mathematischer Grundlage " (H. v . Bülow) Epoche machte und unklare Köpfe irreführte, „ Flankenstellungen “ ,
die Zeit auch der „ Manövres " , der „ Schlüsselpunkte " - vgl. v. Clausewitz: „Vom
Kriege “ II , 23 u . a .
Bis dann
die große Revolution mit den Volks-
heeren dem Feuerkampf in zerstreuter Ordnung unter Benutzung von Deckungen mehr Geltung verschaffte . „ Ortsgefecht “ eine größere,
Seitdem erst spielte auch das
wenn auch nicht gleich die Hauptrolle .
Es wurden wohl Ortschaften , Gehöfte , Wälder und Gehölze zu Brennpunkten,
oft unter schweren Opfern
wieder erobert ; srgab,
erobert,
zurückgewonnen und
wobei aber doch in vielen Fällen
die Nachprüfung
daß man solche Kämpfe vermeiden und kostbares Blut hätte
sparen können (Möckern , Houguemont , Schwiep-Wald , Schloß Geisberg) , man mehr auf die Umfassung nommen hätte .
Mit Bezug hierauf,
der Örtlichkeiten Bedacht gewie ,,im Hinblick auf die stark
gesteigerte Waffenwirkung" der Artillerie, namentlich des Steilfeuers, dann eine Zeitlang den Wert der Örtlichkeiten und die
hatte man
Bedeutung der Kämpfe um sie bestritten .
Bis dann wieder einzelne
Vorgänge des Russisch- Japanischen Krieges von der Wichtigkeit der Örtlichkeiten überzeugten, weil doch nun einmal, aller Lehre und Erfahrung zum Trotz , solche Örtlichkeiten (Gebäude ) eine magnetische und nicht selten verhängnisvolle Anziehung auf die Verteidiger wie auf die Angreifer ausüben." - Ähnlich die Gehölze , die bei mäßiger Ausdehnung, je nach Lage und Beschaffenheit, auch theoretisch , ungleich
mehr geschätzt wurden wie größere Wälder . Letztere war man — vor dem Kriege - geneigt , möglichst zu vermeiden, glaubte sie höchstens als Masken für überraschende Manöver, also mehr strategisch - benutzen zu können. Im besonderen schreibt v. Blume,
Strategie S. 397 : ,, Im Walde ist die Fernsicht und Beobachtung des Gegners noch mehr behindert
als im Gebirge .
Dies ist im allgemeinen
ein Vorteil für den, der die Vorhand hat.
Beim Kampf von In-
fanterie gegen Infanterie gewährt ein mit Unterholz nicht allzu dicht bestandener Wald einem entschlossenen Angreifer den bei der heutigen Waffenwirkung nicht zu unterschätzenden Vorteil,
170
Kampf um Geländeteile und -bedeckungen. daß die Wegestrecke, zurückzulegen ist (! ) .
die er im wirksamen Feuer des Feindes hat, um vieles kürzer als im offenen Gelände
Entscheidende Unternehmungen größeren Stils
stoßen
jedoch im Walde dadurch auf Schwierigkeit, daß die Kavallerie und Artillerie für das Gefecht ausfallen." In den Anleitungen (Leitfäden ) wurde vor dem Kriege auch noch besonders davor gewarnt, stärkere Kräfte für die Kämpfe im Innern der Ortschaften usw. wegen der erschwerten Ordnung und Leitung dranzusetzen ,
den
entscheidenden
Kampf um
ausgedehnte
Wälder aber ganz zu vermeiden , denn : „ die Entscheidung fällt ( doch) in der Regel außerhalb “ . In den „ Grundlagen der Kriegstheorie " ( 1912 ) endlich hat Reinh. Wagner ,,den immer größer gewordenen Einfluß des Terrains , entsprechend der Entwickelung der Feuerwaffen in bezug auf TragGestaltung der Flugbahnen und Wirksamkeit der Geschosse"
weite,
und daraus wieder festgestellt,
daß ,, Gebäude,
Gehöfte ,
Dörfer,
welche früher hartnäckigste Verteidigung ermöglichten, ihren damaligen Wert als den Kampf vielleicht haben
entscheidende Stützpunkte eingebüßt
, mit der Fortsetzung jedoch :
,, Bedeutungslos sind sie in-
dessen dadurch nicht geworden , denn die im Kampf zu erreichenden Zwecke
beschränken
Feindes
durch den Waffengebrauch und auf die
das
sich
Terrain ist vielmehr
ja
nicht
auch
auf die Überwältigung
des
eigene Sicherung ;
zur Überraschung und
Über-
listung des Feindes , sowie zur vorsichtigen Beobachtung auszunutzen , um selbst gegen Überraschung gesichert zu sein ", - und führt dies mit Hinweis auf Masken , Terrainfalten , Kuppen , Türme, Windmühlen usw. weiter aus (vgl. S. 220 , 222 , 223 u . a. a . O.) . Auf dem vorstehend angeführten Standpunkt der deutschen Anleitungen (wonach den Örtlichkeiten wieder ein, wenn auch etwas beschränkter, Wert zuerkannt wird), stand man vor dem Kriege auch in Österreich-Ungarn . Die japanischen Bestimmungen gingen in der Verwendung etwas weiter; die russische Vorschrift forderte allgemein, daß Ortschaften man sich seitens
als Stützpunkte verwandt werden sollen, während der Franzosen erst recht auf eine ausgiebige Be-
nutzung gefaßt machen mußte. Daß nun im derzeitigen Kriege die Ortskämpfe alsbald ein sehr verschiedenes Bild gaben und einen Verlauf genommen
haben , der
sich als neu und eigenartig darstellte, ist ja genugsam bekannt.
Dies
jedoch vollgültig und einwandfrei nachzuweisen , geschweige denn festzustellen, in welch verschiedenen Graden die einzelnen, nach maßgebenden Gesichtspunkten Vorgänge des
bestimmten Arten der hierhin gehörenden
jetzigen Krieges
von den vorstehend angeführten An-
Kampf um Geländeteile und -bedeckungen.
171
sichten und Lehrsätzen bestätigt, oder aber mehr oder weniger widerlegt sind und vielleicht noch werden, das kann natürlich noch lange nicht geschehen . Wohl aber sind schon gewisse Richtungen erkennbar, welche die zeitigen Strömungen und Entwickelungslinien eingeschlagen haben . So vor allem, daß sie dem allgemeinen Zug der Entwickelung nach Massenhaftigkeit und Gewalt , in äußerster Anspannung und Ausnutzung von alten wie neuen und neuesten Kriegsmitteln folgen und entsprechen, also , daß man sie wohl dahin kennzeichnen möchte, daß in den derzeitigen Lokalkämpfen mit den damit verbundenen Herstellungen wie Zerstörungen , die Technik , deren Gewalt und Vorherrschen ihren beredtesten Ausdruck findet .
Im übrigen freilich kann auch hier nur vor jeder voreiligen
Verallgemeinerung, geschweige Folgerung, gewarnt werden ; jedenfalls wird, je verschiedener die hierher gehörenden Vorgänge von denen der früheren Kriege erscheinen, noch um so sorgfältiger den Ursachen davon nachzuspüren, und um so vorsichtiger werden Schlüsse und Folgerungen daraus zu ziehen sein . Zumal werden für die letzteren auch noch diejenigen besonderen Umstände und Verhältnisse in Ansatz zu bringen bleiben, die mehr der ausschließlichen Eigenart des Einzelfalles eignen oder aber nur bedingt aufgeklärt sind und darum schon geringeren allgemeinen Wert haben, wenn nicht hier ganz ausfallen . Ganz abgesehen auch von dem lebhaften aktuellen wie Parteiinteresse , das die Gegenwartskämpfe besitzen, das aber einer nüchtern-unparteiischen Auffassung, wie sie nun einmal für jede wissenschaftliche Behandlung Voraussetzung sein muß, abträglich und hinderlich ist. Die richtige Auffassung der Vorgänge wird aber noch besonders dadurch erschwert, daß, entsprechend der allgemeinen Ent- und Verwickelung der heutigen Kampfhandlung wie der zugehörigen Bestandteile und Prozesse , jedesmal recht mannigfaltige und verschiedene Ursachen und Antriebe mitwirken . Schon daß die hier in Betracht kommenden Kämpfe zumeist und zunächst mit denen des Stellungskrieges zusammenfallen, bringt eine ganze Reihe von Beziehungen und Antrieben . Es kann eben eine über weite Landstrecken hinweglaufende Stellung gar nicht die in ihrem Zuge befindlichen Geländeteile und Bedeckungen ausschalten, sie muß solche vielmehr möglichst vorteilhaft auszunutzen suchen , wenn sie nicht schon wegen der Vorteile,
welche sie bieten, gewählt ist . Sie bilden jedenfalls einen wesentlichen Teil der Stellung und werden so ohne weiteres zu — Kampfobjekten, auch schon deshalb , weil sie bei der heutigen „ Leere des Schlachtfeldes " als Ziel- und Angriffspunkte übrig bleiben. Nicht, daß sie darum durchweg und unabwendbar als die eigentlichen Bann- und Entscheidungspunkte zur Geltung kommen müßten !
Das
172
Kampf um Geländeteile und -bedeckungen.
stolze Wort:
„ Unsere Truppen kämpfen
sondern nach Berechtigung.
allgemeinen taktischen Grundsätzen " , hat schon seine Wenn es anderseits auch nicht dahin aufzufassen ist
nicht um
einzelne Punkte ,
als ob es die Bedeutung der Geländeteile und -bedeckungen leugnete oder auch nur herabsetzen wollte !
Muß doch schon aus psycho-
logischen Gründen in dem derzeitigen schweren Sperr- und Trommelfeuer jede an sich unscheinbare Geländeerhebung oder Falte wie auch -bedeckung einen Wert erhalten, also daß deren peinlichste nutzung zur zwingenden Notwendigkeit werden kann.
Aus-
Das ist aber nur eine Seite, ein Bild der zeitigen Kämpfe und deren Bedürfnisse ! wogegen, wie wir nachgerade dessen gewiß geworden sind, mit der Vielgestaltung und Beschaffenheit der Geländeteile und -gegenstände die Mannigfaltigkeit der Gefechtsphasen in lichem Wechsel der Gebrauchsantriebe und deren Stärke
unaufhörwetteifert
und eine solche Fülle von Lagen, Kräften und Antrieben zeitigt , daß sie wohl Anlaß und Anhalt genug zu mancherlei mehr oder weniger geistreichen Erklärungen und Folgerungen bieten, für eine Feststellung behufs praktischer Wiederverwertung aber ,
wie
schon gesagt,
noch
erst einer eingehenderen Prüfung wie strenger Sichtung bedürfen . Schon solche Unterschiede wie zwischen den Vorgängen und Kämpfen im weniger bewegten und bebauten
Gelände des Ostens von solchen
im Westen, wie der Verhältnisse in den Argonnen , an der Somme und vor Verdun untereinander wie gegenüber denen in Wolhynien, in Galizien,
geschweige
auf dem Balkan,
in Mesopotamien und in
den Kolonien , verlangen eine besondere Berücksichtigung . Auch darin , daß hier wie dort die Ziele und Gesichtspunkte , die Kräfte und Gelegenheiten wechseln, von Fehlern , Mißgriffen, vom Verkennen und Versagen schon abgesehen ! Nicht aber schließlich zu vergessen der entscheidenden Macht der vorherrschenden seelischen und moralischen Kräfte ! wie
deren Wechsel von völliger Erschlaffung bis zur
höchsten Erhebung und umgekehrt, wie der damit gegebenen Aufgabe der steten Erneuerung und Belebung !
Diese Kräfte sind es denn
auch, die uns die Gegenwart so eindringlich und unbestreitbar vor Augen führt ,
daß sie
eben jetzt schon in ihrer Über-
gewalt festgestellt und festgehalten
zu werden
verdienen , ja dazu
drängen. Hierher gehört
dann u. a . die
derzeitige Taktik der Franzosen
bei der Verteidigung von Verdun, die, wie sie selbst hervorhoben , darin besteht, den Angreifer in jeder Weise , aufhörliche aller
Kräfte
Angriffe, zu
unter
ermüden ,
insbesondere
Aufbietung und den
zu
aber durch un-
äußerster Anspannung
verteidigenden Boden
schrittweise und erst dann aufzugeben , wenn
aber nur
das weitere Festhalten
173
Kampf um Geländeteile und -bedeckungen . oder
vielmehr
die Wiedereroberung
solcher Verteidigung bleibt
dann für den Angreifer,
sein Ziel nicht aufgeben will, sprechenden Grad
völlig aussichtslos
Bei
wenn anders er
nichts anderes übrig,
von Energie dranzusetzen.
wird .
als einen ent-
Damit ist denn
aber
auch ein deutliches Kennzeichen der derzeitigen Kämpfe um Geländeteile usw. gegeben : in der Gewalt und Anspannung aller, insbesondere und moralischen Kräfte - einerseits- , wie der
auch der geistigen
großen Rolle, die dabei die Technik spielt,
anderseits ( s. oben) ,
wo-
durch eben die Kampfhandlung in gewisse Bahnen geleitet und die örtlichen Werte gesteigert werden. Auch die Anfang Juli eingesetzte französisch-englische Offensive liefert nur ein Gegenstück zu den vorerwähnten Kämpfen . auf erstere schrieb u . a. General v. Blume :
In bezug
„ Die Handlung nimmt mehr und mehr den Charakter eines zeitraubenden Festungsangriffs an, von dem sie sich aber zu ihrem Nachteil dadurch unterscheidet, daß bei ihr der Angreifer der Umfaßte ist,
während sich im Festungskrieg
der Umfassung auf seiner Seite befinden ...
die Vorteile
Zeitgewinn (aber)
kann der Verteidiger einer befestigten Feldstellung in der Regel vorteilhafter verwerten als der Angreifer. Günstige Aussichten für den Durchbruch einer stark befestigten und tüchtig ver-
teidigten Feldstellung hat nur der, der ausreichende Kraft und Geschicklichkeit besitzt, um den Widerstand der hintereinander liegenden Verteidigungslinien
des Gegners in ununterbrochenem Ein unter ähnlichen Verhältnissen unternommener, anfänglich erfolgreicher, dann aber ins Stocken ge-
Zuge zu überwinden .
ratener Angriff kann ,
wenn ihm nicht durch einen energischen
Gegenangriff der Garaus gemacht wird , lange Zeit ein periodisch aufflackerndes Dasein führen . An Aussicht auf Erfolg wird er dabei, wenn der Gegner wachsam bleibt, nicht gewinnen. " Auch bei diesen Kämpfen ist es also wieder besonders die Kraft des Impulses ,
der Energie und Geschicklichkeit ,
Ausschlag gibt, indem sie den Formen und Mitteln , auch an sich sein mögen,
die den
so gewaltig sie
erst den rechten Wert verleiht, sie belebt
und steigert , unter Umständen bis zur Durchbrechung und Wandelung der überkommenen Formen und
hergebrachten Begriffe ,
gerade zeitgemäßen Inhalt und Ausdruck gibt,
ihnen den
vom schier unüber-
windlichen Beharren (Halten und Festsetzen) bis zum unaufhaltsamen Stoß,
Mittel schaffend und Wege findend .
Rolle von Angriff und Verteidigung, Ausschlag. "
sondern
„Nicht die
Natur der
die Person gibt den
174
Kampf um Geländeteile und -bedeckungen.
Der Betätigungsdrang, die „ activité " ist dabei ebenso wesentlich wie verschieden, je nach den Umständen entweder, und zwar zumeist , mit " célérité und vitesse " verbunden : offensiv, oder aber in bewußter absichtlicher Bescheidung :
defensiv .
Im letzteren
Falle
aber wohl-
gemerkt : daß es nachgerade so gut wie ausgeschlossen erscheint, eine Verteidigung nur passiv ,
also mit einem anderen Erfolg als dem der
zeitweisen Erhaltung durchführen zu können . in Ausnutzug auch
Mag die bloße Abwehr,
der großen Verteidigungskraft,
die die heutigen
Kampfmittel bieten , noch so sehr den Angreifer schädigen und dezimieren, ohne "" das blitzende Vergeltungsschwert " ist irgendein positiver Erfolg nach wie vor nicht zu erreichen ; wogegen geschickte Gegenstöße auch unter den heutigen so verwickelten und gegen früher erschwerten Umständen, sich immer noch von größter und entscheidender Wichtigkeit erweisen .
Ebenso auch die Gewalt des inten-
siven Handelns (der activité) , als so groß und wesentlich,
daß auch
so fest eingebürgerte Formen , wie zurzeit die des Stellungskrieges , unvermittelt wechseln und ausscheiden, - und der reine , vom Gelände ziemlich losgelöste Kampf, wieder wie früher, die Entscheidung bringt, - ohne jedoch, im Gegensatz zu früheren Zeiten , des Festsetzens und der mindestens stellenweisen Verteidigung völlig entraten zu können. Wozu denn wieder die sich vorfindenden Geländeformen und -bedeckungen den nächsten Anhalt bieten und,
als
zugehörige
Teile der Gesamtlage auch ungezwungen in die Kampfhandlung aufgehen und ausgenutzt werden wie Veränderungen für Wechsel der Umstände , liegt denn auch
mögen,
eigene Anlagen aber,
einen bestimmten Zweck,
durch den öfteren
leicht ihren Wert verlieren
ein Hauptgrund dafür ,
können.
daß die ständige ,
Darin in den
zeitigen Krieg übernommene Befestigung nicht den ihr zugedachten Aufgaben entsprochen hat , zulänglich erwiesen
hat,
sich vielmehr fast durchweg als
daß feldmäßige Einrichtungen
so un-
sich vielfach
besser , wenn auch eben nicht widerstandsfähiger bewährten, und daß Zweifel aufkamen, ob die ständige Befestigung noch im alten Sinne als Kern und Rückhalt der Landesverteidigung gelten können. Da aber sollte denn doch nicht übersehen oder vergessen werden
wodurch diese Unzulänglichheit
letzten Endes
hervorgerufen worden
Sie liegt eben nicht sowohl in der überraschenden Entwickelung der Technik, noch im besonderen derjenigen der Angriffsmittel, viel-
ist.
mehr ist es wieder die neue Taktik des Masseneinsatzes , dem bei Anlage der Festungen noch nicht so Rechnung getragen war , ein Aufgebot
wie es nunmehr als unumgänglich erscheint. von Kräften und stärksten Mitteln ,
Gegen wie sie
die Gegenwart bietet, können eben einzelne , weit auseinander
175
Kampf um Geländeteile und -bedeckungen.
liegende Stützpunkte , ob man sie noch so fest baut und stark ausrüstet,
nicht mehr die
Aufgabe übernehmen , die man
ihnen vordem zugedacht hatte.
Sie sind nunmehr nicht im-
stande, sich dagegen auch nur selbst zu behaupten, geschweige denn die wsiten Zwischenräume gegen solche in jeder Beziehung übermächtigen Angriffe zu schützen. Verteidigung nicht
eine
Dann aber : Solange und sofern der
entsprechend
vorteilhafte,
also
stärkere
Stellung und Ausnutzung ihrer Mittel geboten wird, kann auch von einem Herabsetzen der Kräfte auf ein „ Minimum " , oder einem Ausgleich
ihres Minderwerts
durch die „ stärkere " Kampfart nicht die
Rede sein. Naturgesetze lassen sich nun einmal nicht ausschalten ; die Werte der Produkte von Kräften und Mitteln stellen vielmehr Energien dar, denen im Widerstreite entsprechende und zur Erreichung eines Vorteils höhere Energien gegenüberzustellen bleiben . Und darüber sollte man sich auch klar werden :
solche Werte , hier also
Stützpunkte in der Natur und gerade da, wo man sie braucht , vorzufinden, derart, daß sie ohne weiteres den Zweck voll erfüllen, ist ausgeschlossen.
Auch die festesten Dörfer und
dichtesten
Gehölze
geben immer nur recht bedingte Stützpunkte und Erhebungen , Kuppen mit Steilwänden finden sich erst recht nicht da und gerade so , sie dafür gelten könnten . „ Zielfähigkeit “ ,
daß
Dazu bedürfen sie neuerdings wegen ihrer
also dadurch,
daß sie dem Fernfeuer
ein bequemes
Ziel bieten, noch ganz besonderer Verstärkungsmittel , wie Panzerungen, wenn anders sie den ihrer hervorragenden Bedeutung entsprechenden Grad von Stärke für eine zuverlässige Stütze erhalten sollen.
Andernfalls
aber
haben sie
einen recht
zweifelhaften Wert,
werden besser unbesetzt gelassen (s. oben) und dergleichen. nur
auf einzelne
beschränken , ist
hervorragende Punkte und darum wieder erst
Sich gar
deren Verteidigung zu
recht unvorteilhaft
( s. oben).
Wohl sind Engpässe leichter zu verteidigen wie nicht angelehnte lange Linien, aber doch nur, wenn dem Verteidiger der dazu erforderliche und, bei gleichwertigen Kräften , Angreifer
zur Verfügung
steht.
ein größerer Raum wie dem
Ohne
entsprechenden
Raum
zur Aufstellung und Entwickelung überlegener Kampfmittel und aktiver Kräfte ist heutzutage
eine erfolgreiche Ver-
teidigung weniger möglich wie je zuvor¹ ) .
¹ ) Die Stellungen brauchen darum noch lange nicht den limesartigen Charakter (von heute) anzunehmen . Ebensowenig wie mit den vorhergehenden Ausführungen die Herstellung von durchaus widerstandsfähigen Einzelwerken angezweifelt oder abgelehnt wird. Wenn solche auch , gegenüber den Mitteln, die den derzeitigen Massen bedürfnissen und
176
Kampf um Geländeteile und -bedeckungen . Die Wichtigkeit, ja Notwendigkeit des aktiven Elements ,
der offensiven
Gegenstöße ,
Verteidigung neuerdings
ist
eben nach
größer geworden
allem
für die
(s . oben) .
Und
wenn auch die beste Art und Form der Anwendung und Ausführung noch nicht feststeht, ja, wohl immer ein Problem bleiben wird, so sind es doch zunächst schon die Geländeteile und -bedeckungen , Ausgang und Anhalt bieten.
die
Die hinzukommenden Anlagen und Ver-
stärkungen aber werden diesem erhöhten Bedarf Rechnung zu tragen haben.
Also im
steigenden Maße auch
alle Befestigungen und
die
dauernden (permanenten ) Kriegsvorbereitungen der Landesbefestigung erst recht. - Worauf, unter vorläufiger Bezugnahme auf die bereits gelegentlich gemachten Andeutungen u . M.,
Hefte
von September,
(vgl. Jahrbücher für d . d . A.
Oktober 1915
und Januar 1916 ) -
später, also wahrscheinlich erst nach dem Kriege, noch zurückzukommen sein wird. Nur auf das aus dem Vorstehenden so eindringlich hervorgehende Bedürfnis , zumal für die Verteidigung, an Reserven im weitesten Umfange und jeder Art, so auch an mehrfachen , sorgfältig vorbereiteten Stellungen, möchte denn doch noch erneut und besonders hingewiesen werden .
Leistungen (mehr und leichter) entsprechen, von außerordentlicher Art weniger vorteilhaft , weil nicht in gleichem Maße zuverlässig , erscheinen - (schon abgesehen davon, daß es in Zukunft gewiß nicht leichter, sondern noch schwerer sein wird, die stätig wachsenden und unund zwar vor verhältnismäßig hohen Geldmittel dafür aufzubringen ) allem deshalb, weil so außerordentliche Kriegsmittel , wie sie sich hieraus ergeben, auch eine ihnen entsprechende Fertigkeit, ja Kunst erfordern , um sie gebührend auszunutzen , in einem Maße, wie sie eben nicht allgemein noch sicher vorhanden ist : die schönste Veste wird aber wertlos, ja schädlich - wie jedes andere Mittel . - in kraftlosen oder ungeübten Händen , geschweige bei schwachen Herzen .
177
Hundert Jahre Generalkommando in Posen.
XVII .
Hundert Jahre
Generalkommando
in
Posen.
Von Redakteur Hugo Sommer (Posen).
Bis zum Zusammenbruche des alten preußischen Heeres im Jahre 1806 war das Regiment die höchste taktische Einheit gewesen ; ja , es waren sogar bei Ausbruch des unglücklichen Krieges nicht einmal die in Friedenszeiten zu der gleichen Inspektion gehörigen Regimenter vereint geblieben . wurde
Erst mit der
durch die Kabinettsorders
16. November 1807
vom
Neuordnung des
Heeres
7. und 14. September bzw.
die Einteilung des Heeres in aus allen Waffen
bestehende 99 Brigaden " eingeführt. freiungskriege wurden die
Auch nach Beendigung der Be-
aus Frankreich
zurückkehrenden Truppen
zunächst noch in gemischte Truppenbrigaden zusammengefaßt und ihnen im Juli 1816 erst dauernde Friedensstandorte zugewiesen . Im Frühjahr 1815 kam auch eine Truppenbrigade nach der Provinz Posen. Durch die Kabinettsorder vom 3. Oktober 1815 wurde das Generalkommando
im
Großherzogtum
Standort in Posen errichtet, in
der für das Jahr 1817
Posen ' )
mit
seinem
das wir unter dieser Bezeichnung auch zum erstenmal
seit dem unglücklichen
Jahre 1806 wieder gedruckt erschienenen „ Rangliste und Quartierliste der Königlich Preußischen Armee " verzeichnet finden .
Somit ist der
3. Oktober 1815 als der Stiftungstag unseres Posenschen Generalkommandos anzusehen , und diese Kommandobehörde durfte somit vor Jahresfrist auf ein Bestehen von 100 Jahren zurückblicken .
Anläßlich
dieser Jahrhundertfeier verlohnt es sich, der Geschichte unseres Generalkommandos nachzugehen , weil gerade die Inhaber dieses Postens eine mehr
als
gewöhnliche
Bedeutung
gehabt
haben
und
über
den
militärischen Rahmen hinaus in der Öffentlichkeit hervorgetreten sind. Vorweg
sei
gleich
noch
erwähnt,
daß laut
Kabinettsorder
vom
5. November 1816 die Bezeichnung Generalkommando in Posen¹ ) und erst durch Kabinettsorder vom 3. April 1820 die noch heute geltende Benennung „ Generalkommando des V. Armeekorps " eingeführt wurde.
1) Diese Benennung wurde beibehalten, obgleich die ihm unterstellten Truppen 1816 als IV. , seit 30. Mai 1818 jedoch als V. Armeekorps bezeichnet wurden. 12 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 541.
178
Hundert Jahre Generalkommando in Posen. Erster kommandierender General in Posen, deren
Ausbruche des jetzigen Weltkrieges der Generalleutnant
es bis zum
insgesamt 20 gegeben hat,
war
Heinrich Ludwig August von Thümen . Er war im Jahre 1758 in der Mittelmark geboren, am 24. Juni 1769 ins Heer eingetreten , stand 1795 als Kapitän im Füsilierbataillon Nr. 11 v. Dessauniers
bei der 1. Ostpreußischen Brigade in Memel,
wurde am 5. Februar 1795 Major und 1798 Kommandeur dieses Bataillons , das nun seinen Namen annahm , und am 20. Juni 1805 Oberstleutnant und Kommandeur des Infanterieregiments Nr. 1 Graf Kunheim.
Am 20. Mai 1809 wurde er zum Obersten befördert, war
im Jahre 1812 Kommandant von Spandau ,
wo er einen schwierigen
Stand wegen der Franzosen und der wegzuschaffenden Vorräte hatte, da er gemäß der Kabinettsorder vom 22. April 1812 „ alles Aufsehen möglichst vermeiden "
sollte ,
wurde am
General v. Bülow für das Reservekorps
22. Dezember
1812
dem
an der Weichsel zugeteilt,
hier im Januar 1813 ad interim Brigadier bei den Reservebataillonen und am 18. März 1813 zum Generalmajor und Brigadechef der 4. Brigade des III. Armeekorps ernannt . leutnant auf.
1814 stieg er zum General-
Da er sich bereits im Jahre 1813 als Organisator an der Weichsel hervorgetan hatte, so wurde er durch königlichen Befehl vom 14. Mai 1815 von Wien aus zur förmlichen Besitznahme der Provinz Posen ausersehen regiment,
und erhielt das
zu diesem Zwecke das 3. und 4. Infanterie-
1. Neumärkische
sowie das
13. und 14. Schlesische
Landwehr- Infanterieregiment, das 1. Leibhusarenregiment und die 6 pfündige Fußbatterie Nr. 6 unter Kapitän Ludwig. Seit dem 10. April 1815 hatte
er sein Quartier in Zielenzig,
war bereits mit
seiner Verwendung vertraut und äußerte sich hierzu in einem Briefe¹ ) an seine Frau vom 30. April folgendermaßen : „Meine Bestimmung ist nicht glänzend ; denn so wenig Lohn als Ruhm und Ehre ist dabei zu erwerben ; aber wohl Undank und Schande.
Geht
es gut,
so glaubt ein jeder,
er würde
es ebenso
gut gemacht haben, und geht es schlecht, so muß man alle Schuld tragen, und man hat Vorwürfe zu erwarten, indem ein jeder nachher besser zu raten weiß . Indessen macht mich dies weiter nicht ängstlich oder furchtsam . und mit Vertrauen
Ich fange jede Sache mit gutem Willen
auf Gott an und bleibe über das
Übrige ,
welches ich nicht ändern kann, unbekümmert. "
1 ) Aus „ Jahrbücher für die Armee und Marine" , Aprilheft 1915 .
179
Hundert Jahre Generalkommando in Posen. Wie hieraus hervorgeht, Aufgabe wohl bewußt.
war der General
sich seiner
schweren
Es muß ihm zum Ruhme nachgesagt werden,
daß er sehr umsichtig zu Werke ging, schon vor dem Befehl zum Einmarsch in die neue Provinz ein aufmerksames Auge auf alle Vorgänge hatte und
den Staatskanzler v . Hardenberg über seine Wahr-
nehmungen genau unterrichtete.
Am 28. Mai mittags
Truppen mit v. Thümen an der Spitze
General selber stieg im Gurowskischen Palais ¹ ) ab . zug in die
Stadt
schrieb
er
rückten die
in die Stadt Posen ein ;
der
Über seinen Ein-
an seine Frau 2 ) nach Berlin u . a.
folgendes : „ Ich bin hier eingerückt und von
einem Teil der Einwohner
recht freudig aufgenommen worden . Ein Fräulein von Haza , welche in Lewitz bei Meseritz wohnt, hatte eine Anzahl junger Frauenzimmer versammelt, die streuten und bei
mich am Eingange
meinem ganzen Zug
empfingen ,
Blumen
durch die Stadt vor mir
hergingen . Es war alles im größten Jubel, und das Vivatrufen von Christen und Juden hatte kein Ende. Ich habe wohl hundertmal :
Es lebe
Ich hoffe,
der Generalleutnant von Thümen! hören
sie sollen es mir dereinst nachrufen ,
müssen .
wenn ich schon
lange nicht mehr in Posen sein werde . " Der General entledigte sich seiner keineswegs leichten Aufgabe mit großem Geschick, so daß der König ihm seine Zufriedenheit mittels Kabinettsorder vom 22. Juli 1815 aussprach , in der es heißt : Ihr Verfahren bei diesem wichtigen Geschäfte habe ich sehr zweckmäßig gefunden . . . Ich gebe Ihnen daher auch meine ganze Zufriedenheit darüber hierdurch zu erkennen. "
Am 24. Juni 1819 beging der General in Posen die Feier seines 50 jährigen Dienstjubiläums, wurde am 26. Januar 1820 mit Pension in den Ruhestand versetzt und verließ am 22. Februar 1820 Posen , um nach dem Schloß Caputh bei Potsdam überzusiedeln , das er als Ruhesitz erwarb, und wo er auch am 15. März 1826 sein Leben beschloß. Er hatte während seiner Posener Dienstzeit die militärische Einrichtung der neuen Provinz durchgeführt, eine Arbeitsleistung, von der man sich jetzt nach einem Jahrhundert wohl kaum noch die. richtige Vorstellung zu machen vermag.
Die Hoffnung des Generals,
daß sein Name noch lange weiterleben werde, hat sich jedoch nicht erfüllt ; ist doch nach ihm weder ein Teil der Festung Posen noch Er gehört leider zu den vielen eine Straße dieser Stadt benannt. Vergessenen, deren Namen hier "9 kein Lied , kein Heldenbuch " kündet ¹) Heute Działynskisches Palais am Alten Markt Nr. 78. 2) Aus ,,Jahrbücher für Armee und Marine" , Aprilheft 1915. 12*
180
Hundert Jahre Generalkommando in Posen.
Sein Nachfolger in der Dienststellung wurde der Generalleutnant
am 3. April 1820
Friedrich Eberhard von Roeder,
der nach einer Zeitungsmeldung am 8. Mai in Posen eintraf.
Auch
er war gleich seinem Amtsvorgänger aus dem alten preußischen Heer hervorgegangen. R. war im Jahre 1768 in Ostpreußen geboren, trat am 15. April 1781 als Kornett ins Kürassierregiment Nr. 1 v. Apenburg, wurde am 12. Februar 1786 Leutnant, am 29. Mai 1790 schon Oberleutnant, am 24. Oktober 1793 Stabsrittmeister und am 26. Dezember 1799 zum Major und Inspektionsadjutanten des Fürsten von Hohenlohe ernannt. Am 31. August 1808 wurde er als Flügeladjutant des Königs
berufen,
wurde am
stieg am 2. Juni 1809
21. März 1811
zum Oberstleutnant auf,
Kommandeur der leichten Truppen in
Niederschlesien und am 17. März 1812
zum Generaladjutanten er-
nannt , als welcher er unterm 26. November 1812 gleichzeitig Brigadier der Ost- und Westpreußischen Kavallerie wurde .
Am 5. März 1813
wurde er zur Brandenburgischen Brigade versetzt , am 3. April 1813 zum Generalmajor und Brigadechef der Reservekavallerie des II . Armeekorps, am 23. März 1815 zum Brigadechef beim I. Armeekorps ernannt und am 31. Mai 1815 zum Generalleutnant befördert. Am 24. September 1815 wurde er Chef der Truppenbrigade in Glogau und am 13. März 1816 Kommandeur der 11. Division in Breslau . Aus
dieser Kommandostellung wurde der
General nach Posen
berufen , wo er die ihm unterstellten Truppen des V. Armeekorps gut vorbildete, so daß er in Anerkennung für seine Dienste am 14. September 1824 zum Chef des 1. Ulanenregiments ernannt wurde ; am 30. März 1827 erlangte er den Dienstgrad als General der Kavallerie. Ihm fiel die Aufgabe zu , im Jahre 1830 infolge des Ausbruches der polnischen Revolution zu Warschau die für die Provinz Posen erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Er erließ unterm 4. Dezember eine
Proklamation¹ ) ,
der
folgendes
entnommen
sei :
„ 1. Jeder Soldat, der auf Schildwache steht, und jede Wachtpatrouille müssen respektiert und ihre Anweisungen pünktlich befolgt werden . . . 4. Des Abends um 9 Uhr müssen alle Wirtshäuser , Weinhäuser und Branntweinläden ) geschlossen sein ...
5. Alle Auf-
läufe und Versammlung vieler Personen auf den Plätzen und Straßen auf einem Fleck können nicht geduldet werden ... Des 1 ) Aus Nr . 98 der ,,Zeitung für das 8. Dezember 1830.
Großherzogtum Posen " vom
2 ) Schönes Beispiel von Verdeutschung für heutige Fremdwörter.
Hundert Jahre Generalkommando in Posen.
181
Nachts dürfen nicht mehr als 3 Personen zusammen stehen bleiben . Sobald es dunkel wird, muß jeder, der über eine Straße geht , sich mit einer Laterne versehen ... Wer nach 9 Uhr abends auf die Straße geht, muß sich mit einer schriftlichen Legitimation über seine Verhältnisse versehen . . . 6. Wenn in der Nacht Alarm geschlagen wird,
ist jeder Bewohner von Stuben , die vorn herausgehen, verbunden, an jedes Fenster ein brennendes Licht zu stellen ... “ Dies kraftvolle Vorgehen verfehlte seinen Zweck nicht , zumal die polnische Volksmasse auch nicht direkt aufgereizt wurde. Auch hatte der General damals bezüglich der polnischen Geistlichkeit einen leichteren Stand als im Jahre 1848 sein Nachfolger v . Colomb ; denn der Erzbischof Dunin arbeitete ihm nicht entgegen , sondern hatte vielmehr in seinem Hirtenbriefe
vom 7. Dezember 1830 allen
Diözesanen zur strengsten Pflicht gemacht, den 99 Willen des Regierenden zu ehren und den Landesgesetzen Gehorsam zu erweisen. " Weitere Nachrichten über die Tätigkeit Roeders liegen nicht vor ; denn bereits am 9. März 1831 traf in Posen Generalfeldmarschall Graf Gneisenau ein und
übernahm das militärische Kommando über
die vier östlichen Armeekorps . Er erließ sofort einige Anordnungen in bezug auf fortifikatorische Anlagen , die General v. Roeder befohlen hatte, die in der Tat höchst widersinnig" waren und „ den talentvollen Fortifikationsdirektor Major v. Prittwitz mit Unwillen erfüllt “ „ Der Festungsbau , der erst im Jahre 1829 begonnen ward, hatten. war zurzeit noch wenig vorgerückt ; die Zitadelle allein nahte sich im Rohbau ihrer Vollendung.
Um
das ,
was dort vorhanden,
mit der
Stadt in Verbindung zu bringen , hatte man auf dem Kanonenplatz eine Art Werk aufgeworfen " , das das Erstaunen des Feldmarschalls wie etlicher Generalstabsoffiziere erregte. ward diese monströse Verhöhnung der
„ Erst längere Zeit nachher Fortifikation . . . beseitigt
unter dem Vorwande , Raum für größere Truppenmassen auf dem eine Rücksicht, welche der FeldKanonenplatz zu gewinnen , alten General v. Roeder angedeihen ließ “ , so erzählt General v. Brandt ' ) in seinen Aufzeichnungen . General v . Roeder wurde am 30. März 1832 mit Pension in den Ruhestand versetzt.
marschall dem
„Dies war für ihn ein Donnerschlag" , den er „ mit wenig Würde ertrug" . Als nämlich den Polen , die Offiziere gewesen waren , der دوDesertionsprozeß gemacht und deren Namen, wie dies damals Gebrauch war, an den Galgen geheftet wurden, sagte er in Gegenwart Brandts zu einigen Polen : „ Wäre ich noch Kommandeur, so würde 1) Aus dem Leben des Generals der Infanterie z. D. Dr. Heinrich v. Brandt. Teil II, S. 58. Berlin 1870. Mittler u. Sohn .
182 ich
Hundert Jahre Generalkommando in Posen. diese Infamie
nie
zugelassen haben ..."
Brandt aber wußte dienstlich ,
daß Roeder
Der damalige Major
„ die ganze Maßregel ein-
geleitet und daß sein Nachfolger sie nur ausgeführt hatte. " Diese Maßnahme richtete sich gegen die entwichenen Leutnants Vinzens v. Kolodziejewski,
Anton v. Rybinski und
Johann Szymanski vom
18. Infanterieregiment, sämtlich aus Posen gebürtig, die im Jahre 1832 in contumaciam wegen Desertion verurteilt wurden ; das Urteil lautete auf Kassation . Roeder starb am 7. Dezember 1834 in Rothsürben bei Breslau.
„ Den armen Mann hat später das Schicksal stark heim-
und Fatalisten könnten glauben, daß es ihn, den es stets mit Liebe und Auszeichnung vor vielen anderen behandelt, für jene Äußerung habe bestrafen und demütigen wollen ", so schreibt General
gesucht,
v. Brandt. Sein Andenken in Posen jedoch wird seit dem 26. März 1864 forterhalten, indem das Reduit I der niedergelegten Innenbefestigung zwischen der ehemaligen Grabenpforte und dem Eichwaldtor seinen Namen trug ; seit dem 3. September 1902 aber ist er auf das Außenfort I übergegangen . Auf Roeder folgte zum erstenmal eine Persönlichkeit, die bereits vorher Beziehungen zur Provinz Posen gehabt und sich ganz besonders auch für die Festung Posen schon interessiert hatte, nämlich der unterm 30. März 1832 zum kommandierenden General ernannte Generalleutnant
Karl Wilhelm Georg von Grolman, der am 6. April in Posen anlangte und seinen Vorgänger noch einige Wochen lang in seiner bisherigen Dienstwohnung verbleiben ließ, da dessen Versetzung in das Inaktivitätsverhältnis zu überraschend gekommen war. G. wurde am 30. Juli 1777 zu Berlin geboren, trat im April 1791 als Gefreiter-Korporal beim Infanterieregiment Nr. 25 v. Möllendorff ein , wurde am 3. Januar 1795 Fähnrich , am 8. April 1797 Leutnant, 1802 Regimentsadjutant, am 24. März 1804 Oberleutnant und Inspektionsadjutant der Berliner Infanterie- Inspektion und am 23. September 1805 im Alter von 29 Jahren bereits Stabskapitän . Nach der Schlacht bei Jena 1806 entkam er zum Heere nach Ostpreußen, wo er am 6. Mai 1807 Kapitän beim Generalstabe des L'Estocqschen Korps ward, stieg am 19. Juli 1807 zum Major von der Armee auf, nachdem er sich bei Soldau ausgezeichnet und den Orden pour le mérite erworben hatte, und ward sodann Mitarbeiter Scharnhorsts , als welcher er an der Neuordnung des Heeres teilnahm. Am 1. Mai 1809 erbat er seine Entlassung und trat in österreichische Dienste , kehrte aber bald zurück und trat mit Dohna und Lützow zusammen
183
Hundert Jahre Generalkommando in Posen.
in spanische Dienste, wo er im Jahre 1810 Kommandeur eines Fremdenbataillons war. Im Januar 1812 wurde er gefangen nach Frankreich gebracht,
entfloh
am 1. Juni nach
der Schweiz,
kehrte
im Januar 1813 nach Berlin zurück und wurde am 6. März als Major im Großen Generalstabe wieder angestellt , erwarb sich bei Lützen das Eiserne Kreuz II . Klasse und wurde am 4. Juni zum Oberstleutnant befördert.
Nach dem Waffenstillstande kam
offizier zum II . Armeekorps,
er
als
Generalstabs-
erwarb sich bei Kulm das Eichenlaub
zum Orden pour le mérite , nachdem er für Haynau bereits das Eiserne Kreuz I. Klasse erhalten hatte, wurde am 4. September Oberst und machte den Feldzug bis namentlich
am
zum Pariser Frieden mit,
14. Februar
1814 bei
Etoges
indem er
hervortat,
so
sich daß
General v. Kleist an den König schrieb : „ Besonders hat aber der Oberst v. Grolman weitere Beweise seines Mutes und seiner militärischen Talente abgelegt.
Dieser Mann verdient eine besondere Berück-
sichtigung ." Er wurde denn auch am 30. Mai 1814 zum Generalmajor befördert, erhielt den russischen Annenorden I. Klasse und den schwedischen Schwertorden III . Klasse, wurde am 29. August Direktor des 2. Departements im Kriegsministerium und schuf die Wehrordnung. Im Jahre 1815 war er Generalquartiermeister beim Heere Blüchers , trat im Dezember von diesem Kommando zurück und ordnete den Generalstab neu nach Grundzügen, die noch heute bestehen.
Am 25. Dezember 1819 nahm er seinen Abschied ,
da er
zu viele Gegner bezüglich der Dienstpflicht fand , wurde aber am 30. Oktober 1825 als Generalleutnant und Kommandeur der 9. Division . in Glogau wieder angestellt. In dieser seiner Dienststellung gewann der General seine Beziehungen zum V. Armeekorps sowie zur Provinz Posen. Mit unserem Lande hatte
sich der General schon im Jahre 1816
sehr eingehend
beschäftigt und einen Aufsatz mit Vorschlägen¹ ) eingereicht, er immer wieder zurückgekommen ist,
auf die
als ihm der König die Macht
gegeben hatte, Posen zu einer preußischen Provinz zu machen . mögen nur einige
seiner Grundgedanken Platz
der Unzuverlässigkeit des
finden .
Hier Denn »bei
polnischen Nationalcharakters
erkannte schon damals Grolman als das einzige Mittel,
die Polen zu
treuen Untertanen zu erziehen , es müsse eine gründliche Germanisierung der Provinz angestrebt werden,
und ahnte er nicht , daß
er später Gelegenheit Erfolge
zu
haben sollte, gerade in dieser Richtung große 66 erzielen ... 2) "9„ Die Einrichtung deutscher
1) Kriegsmin . - Arch . III , 1 , 19 . 2 ) Conrady, Karl v . Grolman, Teil 3.
Berlin 1896 .
184
Hundert Jahre Generalkommando in Posen.
Schulen ;
nach einiger Zeit die Bestimmung,
daß die Kinder nur
in deutscher Sprache den Religionsunterricht genießen und also nicht eingesegnet werden können , wenn sie nicht deutsch sprechen " , das forderte der General als weitschauender Staatsmann schon damals . Im Jahre 1816 war Grolman
nämlich dienstlich in Posen be-
schäftigt gewesen, um über die Befestigung der Ostgrenze Vorschläge zu machen .
Er schrieb am 9. Juli von hier aus unter Über-
sendung eines alten Stadtplanes minister von
Boyen,
daß er
Blei eingezeichnet" habe,
an den ihm befreundeten Kriegs-
die
und
,,anzulegenden
weiter :
Befestigungen in
,, Sehr richtig wäre es,
wenn
nur der Dom und das Reformatenkloster¹ ) befestigt würde ; es würde sehr gut auf alles wirken und die Hoffnungen der Polen sehr niederschlagen." In seiner Denkschrift an den König sagte er, nachdem er Schlesien, Posen und Preußen bereist hatte : ,, Posen muß Festung werden. Sie wird die Idee begründen , daß Preußen um keinen Preis diese ihm so notwendigen Länder abtreten werde , und mit einem Schlage die Polen zerreißen ." Nach Posen kam
ewigen
Grolman
Kabalen und
als kommandierender
einem auf den 1. April 1824 vordatierten Patent . der Provinz stand
Intriguen der
seiner Ernennung
mit sehr
General mit
Die Bevölkerung
gemischten Gefühlen
gegenüber ; denn die Polen befürchteten , daß es jetzt mit der preußischen Langmut zu Ende sein werde , wohingegen die Gutgesinnten voll Hoffnung waren . Den General und den damaligen Oberpräsidenten v . Flottwell verband schwebenden Fragen über
bald
innige Freundschaft,
die Verwaltung der
da
auch in
Provinz seine Mit-
wirkung in ausgedehntem Maße in Anspruch genommen wurde . Einen wie großen Anteil an dem Wohle der Provinz Posen der General genommen hat, das geht am besten aus der von ihm unterm 25. März 1832
verfaßten
Denkschrift hervor,
die der Altreichs-
kanzler Bismarck im Jahre 1886 gelegentlich der Polendebatten im
preußischen Landtage ins Feld
führte .
Diese umfangreiche
Arbeit berücksichtigt eingehend alle Verhältnisse unseres Landes und zeugt davon,
daß in Grolman
neben
ein vorzüglicher Staatsmann wohnte , ging.
einem tüchtigen Militär auch dessen Scharfblick nichts
Es seien hier nur folgende Auslassungen herausgehoben :
ent„ Der
Pole hat keinen Begriff von der Pflichttreue eines Beamten gegen den Staat ;
er übernimmt
um Ehrenbezeugungen kommen ,
ist ihm
nur ein Amt aus Geldgewinn oder
zu erlangen .
gleich ...
Jedes Mittel ,
Polnisch
muß
1 ) Die heutige Provinzial - Taubstummenanstalt.
um zu beiden zu wie
die
anderen
185
Hundert Jahre Generalkommando in Posen,
Sprachen ebenfalls gelehrt werden ; aber weiter muß es nicht gehen. Dagegen wäre es wünschenswert, wünschenswert , wenn in den angrenzenden deutschen Provinzen auf den Gymnasien und selbst auf besseren Bürgerschulen
die
polnische
Sprache
um treue und zuverlässige Subjekte zuziehen ....66 Fast
alle
1833
Jahres
Punkte
gründlich
für
Denkschrift
dieser
im
Berücksichtigung
gelehrt würde ,
die Provinz Posen heranfanden
zu
Staatsministerium.
Anfang
des Der König
aber verlieh „ Grolman eine Ausnahmestellung als kommandierender General " , indem er den „ Oberpräsidenten verpflichtete, stets Hand in Hand mit ihm “ zu arbeiten. Der spätere Erfolg hat ja auch bewiesen, was die beiden hervorragenden Grolman und
Flottwell,
in
ihrer
und gleichgesinnten Männer,
gemeinsamen Wirksamkeit
großen Segen der Provinz Posen geleistet haben .
zum
Leider wurde nach
nach Magdeburg auch denn er konnte sich mit dem neuen Regierungssystem nicht einverstanden erklären, weil er fest davon von
Wegversetzung Flottwells Grolmans Stellung eine andere ;
der
Posen
überzeugt war, daß das den Polen erwiesene Entgegenkommen eine vergebene Liebesmühe sei . Bedauerlicherweise hat die Folgezeit die Ansichten des Generals als richtig bestätigt . Wie schon weiter oben angedeutet worden, lag dem General der Ausbau der Festung Posen
sehr am Herzen ;
ein günstiges Ge-
schick hat es ihm auch vergönnt, diesen Punkt als Waffenplatz ersten Ranges fertiggestellt zu sehen sowie diesen Bau wesentlich fördern zu können .
Noch am 10. Dezember 1834 schrieb er an den
damaligen Kriegsminister v. Witzleben : „ Ich kann Ew. Exzellenz nur besonders dringend auffordern , den Festungsbau von Posen möglichst zu betreiben : dieser Verbindungspunkt zwischen Weichsel und Oder ist von der höchsten Wichtigkeit . . ." Nach ihm benannt wurde am 26. März 1864
das Wildafort III ;
das Außenfort VIII
seinen Namen
seit
dem Jahre 1902
und erhält neben dem
trägt
jetzigen
Grolmanwall sein Andenken in der Nachwelt lebendig. Grolman wurde unterm 9. September 1835 zum Chef des 6. Infanterieregiments ernannt, am 30. März 1837 zum General der Infanterie
befördert und
Dienstjubiläum begehen. schweren Herzleiden
durfte am Am
1. April
1841
15. September 1843
und wurde
sein 50 jähriges erlag
er einem
am 19. auf dem Garnisonfriedhofe ,
also im Glacis der neuen Festung Posen , zur letzten Ruhe bestattet . Das V. Armeekorps
empfand das Bedürfnis ,
„ sein Andenken zu er-
halten und sein Grab mit einem Denkmal zu schmücken , einfach und groß ,
wie er als Mensch gewesen " war.
Noch heute
bildet dieses,
auf einem Postament ein großer Marmorwürfel mit der schlichten
186
Ein Wort zur Schnelldressur des Reitpferdes.
Inschrift
Grolman " ,
für
die
nachkommenden
Geschlechter
eine
prächtige und des großen Mannes würdige Erinnerung . Sein Biograph Conrady sagt von ihm: „Wenn es Grolman auch vom Schicksal versagt gewesen ist,
an der Spitze
in Friedenszeiten erfocht Ruhm ,
einer Armee Siege
zu erfechten ,
er sich in anderer Weise unvergänglichen
indem er dem Staate
eine Provinz
zu erhalten suchte ,
die
nahe daran war, für Preußen verloren zu gehen . Das war die Zeit von 1832 bis 1843 ..." (Schluß folgt. )
XVIII .
Ein Wort zur Schnelldressur des Reitpferdes .
Von Oberst a. D. Spohr.¹ )
Aus dem Osten wie aus dem Westen habe ich schon Briefe erhalten,
die sich mit großer Anerkennung
über meine kleine Schrift
„ Schnelldressur des Reitpferdes " 2) aussprachen und nebenbei mir den Beweis liefern, daß das Schriftchen in der Feldarmee schon recht verbreitet ist.
Dagegen hat mir eine mehrerer größerer Garnisonen zeigt ,
die mich zu
achttägige
Rheinreise und der Besuch
bei den Ersatztruppen Reiterbilder ge-
der Ansicht veranlassen,
daß dort mein kleines
Schriftchen noch weniger bekannt ist . Ich darf wohl mit Recht vermuten, daß die über mehr Muße als die vor dem Feinde stehenden Kameraden verfügenden berittenen Herren der Ersatztruppen sich im Besitze ausführlicher Schriften über die Reitkunst , vielleicht sogar meiner sehr gründlichen „ Logik in der Reitkunst" (3 Bände, bei Schickhardt & Ebner in Stuttgart 1904-1909 erschienen) befinden und darum das kleine Schriftchen für sich entbehrlich halten . Das halte ich aber schon schuldbaren Irrtum ,
deshalb für einen ,
wenn auch ent-
weil man in dem jetzigen Weltkriege gar oft
nicht imstande ist , die im Frieden gründlich erprobten und bewährten Ausbildungs- bzw. Dressurmethoden anzuwenden . Unsere Überlegenheit in
militärischer
Beziehung
über
alle
unsere
1 ) Das Interesse, das die nachfolgenden Ausführungen für die Armee haben, veranlaßt die Schriftleitung, sie an dieser Stelle zu bringen. 2 ) Erschienen bei Georg Bath, Berlin SW. 11 .
187
Ein Wort zur Schnelldressur des Reitpferdes . Gegner beruht allerdings auf der seit
einem Jahrhundert mit Ein-
führung der allgemeinen Wehrpflicht zugleich in die Armee ein gezogenen gründlichen militärischen Ausbildungsmethode , mit der sich sogar jetzt ganz
logisch die Vorbildung der
angehenden Jünglinge ,
der 15-18 jährigen, verbindet . Aber eine Freude ist
es
auch
für jeden alten Offizier,
wahr-
zunehmen, wie heutzutage auch die Ausbildung von Rekruten und Landsturmrekruten , sowohl intensiver wie extensiver, ich möchte sagen , statt mit Niederdruck gleichsam
mit Hochdruck
betrieben wird .
Ganz besonders scheint man eingesehen zu haben, wie ein Dienst auch den andern fördert und durch Abwechslung die Ausbildung nicht nur schneller, sondern auch gründlicher vonstatten geht. So muß auch beim Pferde die Schnelldressur gehandhabt werden. Was im Frieden Pferd
in längerer
systematisch vorbereitet
unter Schonung von Mann und
Zeit und
durchgeführt wurde ,
muß jetzt
während des Krieges schneller, abwechslungsreicher und gleichsam mit Dampf betrieben werden .
weiß ,
Das muß auch bei den Ersatztruppen der Fall sein ; denn wer wie bald man ins Feld rücken muß und wie bald das liebe
Tier, das man momentan reitet, mit einem anderen vertauscht werden Sind doch viele , auf königlichen Dienstpferden beritten, muß! Offiziere und Ärzte auf die Dienstpferde ihrer Stellen angewiesen , die mit diesen wechseln . Wer solche Wechselungen in Mobilmachungen und Feldzügen öfter selbst erfahren hat, wird die Kunst, bald nachzuhelfen, die erhaltenen Pferde der eigenen Reitkunst schnell an- und Und da sind Erfahrungen, einzupassen, nicht gering anschlagen. welche zwei großen Feldzügen und nicht weniger machungen
sechs Mobil-
als
erprobt sind,
entstammen und auf sehr vielen Pferden
nicht gering anzuschlagen. Ich glaube nicht zu viel zu behaupten, wenn ich sage, daß auch der erfahrene Reiter aus meiner kleinen Schrift noch viel Nutzen ziehen kann ! Auch meine kleine Schrift , die ehemals namentlich in Österreich etwas über
Gebühr
angepriesene
nochmals in Erinnerung bringen
„ Ruckermethode " , zu
dürfen .
Sie ist
glaube
ich
in demselben
Verlage wie die ersterwähnte erschienen und wenn sie auch mehr das berichtet, was man nicht tun soll, so bietet doch auch sie manches Nützliche,
besonders in einer Zeit ,
in der jeder Augenblick
ausgenützt werden muß und nichts vernachlässigt werden darf .
Ich
glaube von beiden Schriftchen behaupten zu können , daß sie in geeignetster Kürze viele praktische und erprobte Lehren enthalten .
188
Literatur.
Literatur.
I. Bücher. Disziplinarstrafrecht, Beschwerderecht, Ehrengerichtsbarkeit für Heer, Marine und Schutztruppen . Grundriß, herausgegeben von Heinrich Dietz , Kriegsgerichtsrat in Rastatt, z . Zt . im Felde . Rastatt 1916. K. u . H. Greiser, Hofbuchdrucker. Bei Besprechung des Nachtrags zum „Taschenbuch des Militärrechts " ist vor einiger Zeit an dieser Stelle die vielseitige und fruchtbare Arbeit des Verfassers gewürdigt worden . Unter denen, die das deutsche Militärrecht als Wissenschaft begründeten , steht Dietz in erster Reihe . Seine anerkannt grundlegenden Kommentare zu den Disziplinar- und Ehrengerichtsverordnungen und den Beschwerdeordnungen, die Darstellungen dieser Materien in v . Holtzendorff- Kohlers Enzyklopädie, v. Stengel- Fleischmanns Wörterbuch usw., die Behandlung zahlreicher einschlägiger Einzelfragen in den Zeitschriften so brachte jüngst das 16. Heft des „ Deutschen Offizierblatts " (S. 370 f.) eine Reihe von Beispielen reicher praktischer Erfahrung - machen eine Empfehlung des vorliegenden Grundrisses überflüssig. In klarer Einteilung wird versucht , die Abgrenzung der drei oft ineinander übergreifenden Gebiete untereinander und zu dem Militärstrafrecht im engeren Sinne zu geben . In knapper Form, oft nur in Stichworten , wird der einschlägige Gesetzesinhalt geboten. Daneben ist das kleine Buch ein treulicher Führer in den Geist der Bestimmungen , bei deren täglicher Anwendung es mehr als irgendwo auf Takt und richtiges Gefühl ankommt. Das handliche Bändchen ist fürs Feld bestimmt, wie schon der große, kräftige Druck beweist, der eine Lektüre auch bei schlechtester Beleuchtung zuläßt . Es wird im Feld besonders den jungen Offizieren und Offizierstellvertretern mit Disziplinargewalt ein Berater sein , ihr Verantwortungsgefühl stärken und sie in Zweifelsfragen unterstützen . Eigenart und Inhalt des kleinen Werkes machen auf den vom Verfasser in Aussicht gestellten Grundriß des Militärstrafrechts und -strafverfahrens gespannt. Eg. Chronik des Deutschen Krieges nach amtlichen Berichten und zeitgenössischen Kundgebungen. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck, München . Wieder liegen zwei neue Bände der bereits so beliebt gewordenen Chronik des Deutschen Krieges, aus der Beckschen Verlagsbuchhandlung, vor. Band 7 umfaßt die Zeit von Mitte Juli bis zum 20. August 1915 ; er bietet mit der bewährten Gründlichkeit und Zuverlässigkeit ein klares Bild im weiteren Verfolg des Krieges . Gerade die kurze, sachliche Zusammenfassung der großen geschichtlichen Ereignisse in Ost
Literatur.
189
und West, die wörtliche Wiedergabe der Generalstabsberichte und wichtiger Verfügungen der verschiedenen Regierungen geben in ihrer Kürze und Klarheit ein vorzügliches Nachschlagewerk für jetzt und für spätere Zeiten . Als zweite Neuerscheinung gilt ein Ergänzungsband , der die belgischen Gesandtschaftsbriefe aus den Jahren 1905-1914 bringt ; ein Namen- und Sachregister erleichtert den Gebrauch des interessanten Werkes. Es erübrigt sich, empfehlende Worte anzufügen, da das geM. D. diegene gute Werk für sich selber spricht. Serbiens und Montenegros Untergang. Von Oberst Immanuel. Ein Beitrag zur Geschichte des Weltkrieges. Mit einer Übersichtskarte und 8 Zeichnungen im Text. 1916. E. S. Mittler & Sohn , Berlin . Preis 2 M. Der Verfasser beleuchtet die politische Bedeutung der Kämpfe, zeigt, wie sich im Gegensatz zum langwierigen Stellungskampf im Westen und Osten dieser Teil des großen Ringens als Bewegungskrieg Schlag auf Schlag abgewickelt hat. Voll Bewunderung vernimmt der Leser von den glänzenden Leistungen der Verbündeten, die grade in diesem Abschnitt des Krieges die größten Schwierigkeiten überwunden haben. Galt es doch, die gewaltige Stromgrenze der Donau und Save zu überwinden , über hohe, unwegsame, teilweise verschneite Berge zu steigen und einen Widerstand zu brechen , den ein tapferer Feind in verzweifeltem Ringen leistete . 9 vortreffliche Kartenzeichnungen, die von Lage zu Lage ein klares Bild der Bewegungen und Kämpfe geben, Balck . erleichtern das Verständnis . Die Lissa-Nummer der Rundschau, Wien den 19. Juli 1916 , bringt aus Anlaß des 50. Gedenktages dieser Schlacht eine Reihe von gehaltvollen, anregenden Aufsätzen . Diese haben teils die Schlacht selbst und die Person ihres Helden bzw. dessen Flottenpläne zum Gegenstand, sei es, daß sie den Verlauf des siegreichen Kampfes schildern , oder die Bedeutung der hier angewandten Kampfesart für die Entwicklung der Technik des Seekrieges behandeln , teils erörtern sie das AdriaProblem nach seiner politischen und wirtschaftlichen Seite und stellen somit die Verbindung dieser Erinnerungsfeier mit der unmittelbaren Gegenwart her. Alle verdienen eine aufmerksame Lektüre ; besonders aber dürften wohl allgemein die Ausführungen , über die Stellung der Schlacht von Lissa in der geschichtlichen Entwicklung des Seekrieges von Frhr. v. Maltzahn , die Abhandlung des Frhr. v. Mackay über den. Weltkrieg und Österreich -Ungarns Sendung im Mittelmeer und Tergestinus Erörterung der Bedeutung des Hafens von Trient nach dem Dr. L. Kriege interessieren . Wie wir die westrussischen Festungen erobert haben ? Von Oberst Immanuel. Ein Beitrag zur Geschichte des Weltkrieges. Mit 11 Karten. 1916. E. S. Mittler & Sohn , Berlin . Preis 2 M. Keine der russischen Festungen hat einen eigentlichen Festungskampf ausgehalten , der Fall der russischen Festungen liefert den Be-
190
Literatur.
weis des alten Satzes, daß nicht die Technik der Verteidigungskunst für das Schicksal einer Festung entscheidend , sondern daß der Manneswert der Verteidiger endgültig über den Besitz der Festung entscheidet. Balck. Sechzehn Monate Krieg. Von Oberst Immanuel. Volkstümliche Darstellung des Weltkrieges vom August 1914 bis November 1915 . Fünfte Auflage . E. S. Mittler & Sohn , Berlin . Preis 4 M. Nach wie vor bedauern wir es, daß der Herr Verfasser der politischen Vorgeschichte des Krieges keinen Raum gewährt. Keinenfalls dürften sich dann noch die einleitenden Sätze halten lassen. Balck . Deutsche Staatsgesinnung. Von Siegfried Marck . H. C. Becksche Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck. München 1916. Preis brosch. 1,20 Mk. Mit jugendlichem Schwung und disziplinierter Logik ist dieses kleine Buch geschrieben , das von der Philosophie der höchsten patriotischen Begriffe handelt. Der erste Abschnitt „ Staatsgesinnung und Volksgeist" schildert den Staat als „ ein Überindividuelles, das sich in individueller Form offenbart" , als eine „ konkrete Allgemeinheit" im Hegelschen Sinne, wie sie dem deutschen Universalismus gemäß ist. Alsdann wird der ,,deutsche Staatsidealismus “ dargestellt, der den Staat als ein ethisch Absolutes erkennt , dem der Einzelne durch den Gedanken der Pflicht verbunden ist, und nicht durch einen contrat social. Treffend benennt hier der Verfasser den Entrüstungsschrei unserer Feinde gegen den Militarismus eine „ planetarische Kriegserklärung des Eudämonismus gegen den Idealismus “ , treffend wird die deutsche Staatsgesinnung als idealistisch verstandener Sozialismus" gekennzeichnet. Unter der Überschrift „ die Totalität des Staats " wird der Nationalstaat, dessen Form der Staat, dessen Inhalt die Nation ist, besprochen , alsdann ist von „ Staatspersönlichkeit " die Rede, wobei das Gewissen des Monarchen sehr fein „die Brücke zwischen der Staatsethik und der Ethik der Individuen " benannt wird . Von Staat und Geschichte" handelt das Schlußkapitel des kleinen Buchs, dessen inhaltreiche Kürze es zu einer erfreulichen Erscheinung in dem gegenwärtigen Wust von Kriegsliteratur macht. Dr. E. Das Zielfernrohr, seine Einrichtung und Anwendung. Von Carl Leiss . Zweite vermehrte und verbesserte Auflage mit 48 Abbildungen im Texte . Neudamm 1916. Verlag von J. Neumann , Verlagsbuchhandlung für Landwirtschaft, Fischerei, Gartenbau , Forst- und Jagdwesen . Preis 2 M. Die zweite Auflage der interessanten Schrift, die sich hauptsächlich an die deutschen Jäger wendet, trägt der heutigen Zeit durch den Hinweis auf die Kriegsbedeutung der Zielfernrohre Rechnung. Diese erleichtern bekanntlich das sichere Auffassen schwer erkennbarer Ziele und das genaue Zielen . Ein Vorteil, der im Hinblick auf die Fortschritte der Feuerwaffen an Bedeutung gewonnen hat. Der Verfasser,
der selbst wesentlich zur Verbesserung der Ziel-
Literatur.
191
fernrohre beigetragen hat, macht den Leser mit den optischen Zielhilfsmitteln eingehend vertraut. Seine Ausführungen sind in glücklicher Weise durch zahlreiche Textabbildungen veranschaulicht und durch Erzählung von eigenen Jagderfahrungen belebt. Unter näherer Begründung werden wertvolle Ratschläge für die Wahl und Behandlung der Zielfernrohre gegeben . Die Linsenzielfernrohre sind bei gleicher Leistung ihrer einfacheren Konstruktion wegen den Prismenzielfernrohren vorgezogen . Der praktische Gebrauch auf der Jagd und im Kriege weisen in gleicher Weise auf das Bedürfnis solider und stabiler Fernrohre hin . Vor der Verwendung leichter, zierlicher, wenig haltbarer Ausführungen wird daher gewarnt. Auf die Bedeutung klarer, scharfer und lichtstarker Bilder, die wesentlich von guten, achromatischen Linsen abhängen , ist hingewiesen . Der Grad der Vergrößerung ist in seinem Einfluß auf das Gesichtsfeld und der Beleuchtung eingehend besprochen . Ein einfaches Verfahren zur Prüfung der Vergrößerung ist angegeben . Besonders gewürdigt ist die rasche und sichere Erfassung des Zieles mit dem Zielfernrohr. Beim Zielen ist nur die Einstellung von zwei Punkten optische Achse und Ziel -- gegenüber von drei Punkten - Kimme, Korn und Ziel -― bei gewöhnlichen Zieleinrichtungen erforderlich . Es gibt also kein Voll-, Fein- und gestrichen Korn ! Ein Vorzug, der besonders bei schlechter Beleuchtung -- Dämmerung, Mondschein und grellem Sonnenlicht zur Geltung kommt. Okularblenden werden empfohlen ; der Beleuchtung der Absehen wird aber wenig praktische Bedeutung beigelegt. Es würde zu weit führen, auf die vielen praktischen Winke einzugehen, die auch in individueller Hinsicht gegeben sind ; es wird daher nur noch auf den beachtens- und bemerkenswerten Rat hingewiesen, die Zielfernrohre äußerlich vorsichtig zu behandeln , die innere Einrichtung im allgemeinen aber Fachleuten zu überlassen . Die Schrift kann als wertvoller, praktischer Ratgeber empfohlen Riensberg. werden , Des Krieges Gesicht. Mit dem Sieger von Longwy. Von Erich Blumenthal , Oberleutnant im Felde bei der Kronprinzenarmee . 10 Bogen. Preis M. 1,20. Verlag des Deutschen Offizierblattes , Gerhard Stalling in Oldenburg i. Gr. Die Schrecknisse und Geschehnisse des Weltkrieges werden mit hervorragender Lebendigkeit geschildert, im Geist warmer Vaterlandsliebe und mit dem festen Willen zum Sieg. zu empfehlen .
Das Heft ist wärmstens M. D.
Die Kaiserlichen Verordnungen vom 28. Dezember 1899 über 1. die Strafrechtspflege bei dem Heere in Kriegszeiten, und 2. das aufserordentliche kriegsrechtliche Verfahren gegen Ausländer und die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit geg en Kriegsgefangene. Erläutert von G. Rotermund , Kriegsgerichtsrat, z . Zt. Feldoberkriegsgerichtsrat. 49 S., geh. 1,50 M.
192
Literatur.
Das kleine Werk, dessen Verfasser als Kommentator des Militärstrafgesetzbuchs rühmlich bekannt ist, soll der Praxis dienen und ist aus der Praxis heraus entstanden . Es verzichtet auf breite wissenschaftliche Erörterungen , sondern entscheidet in knappen Sätzen die Fragen, die bei Anwendung der beiden Verordnungen täglich hervor treten können . Die Erläuterungen und Beispiele sind fühlbar aus Dr. E, frischester Erfahrung geschöpft.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der ,,Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Reuter, Denkschrift. Die staatliche Entschädigung der auf polizeiliche Anordnung getöteten Hunde nach dem Reichsviehseuchengesetz . Herausgegeben vom Kartell stammbuchführender Spezialklubs. 2. Müller, Türkisches Kommandobuch . Berlin 1916. Georg Reimer. 3. Immanuel, Fahneneid und Kriegsartikel. Besprochen und erläutert durch Beispiele aus dem großen Kriege 1914-16 . Berlin 1916 . E. S. Mittler & Sohn . 1 M. 4. Schuchardt, Die Tätigkeit der Kraftfahrertruppen . Ein Ratgeber und Wegweiser für Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften. Berlin 1916. E. S. Mittler & Sohn . 0,75 M. 5. Everling, Vom Fahneneid. 1.50 M.
Berlin 1916.
Verlag Georg Bath.
6. Die Kriegsgefangenenlager im Bezirke des IV. Armeekorps. Auf Veranlassung des stellvertretenden Generalkommandos IV. Armeekorps verfaßt von Leutnant d . R. Risse. 67 Abbildungen. Halle a. S. 1916. Carl Marhold Verlagbuchhandlung . 1,50 M. 7. Künzelmann, Die Türken und wir. Berlin- Lichterfelde . Verlag von Edwin Runge. 1 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z . D. H. Rohne ) enthält u . a. folgende Arbeiten :
Dittli, A.: Zur Theorie der Geschoßbewegung. Dettmer, Hauptmann : Artilleristisches aus dem Feldzuge. Rohne, H. , Generalleutnant z . D.: Soldaten -Mathematik. von Huberth, Andor: Der vertikale Schuß. Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen .
Druck von A. W Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdamı.
XIX . Die Zukunft der invaliden
Offiziere.
Von Oberst z . D. Riensberg.
Viele Offiziere, die dem Vaterlande im Kriege
mit Hingabe des
Lebens ihr Bestes,
die Gesundheit, opferten,
sehen einer ungewissen
Zukunft entgegen.
Sie stehen vor der schwierigen Frage der neuen
Berufswahl . Dem liebgewordenen , selbstgewählten ersten Beruf, dem Soldatenstande, entsagen, ist bitter schwer. Der Offizier sollte sich daher dem
Allerhöchsten Dienste
so lange selbst
erhalten ,
wie es
irgend möglich ist, und des Königs Rock erst dann ausziehen, es die stark Bedürfnis
erschütterte Gesundheit gebieterisch fordert.
zu helfen und zu sorgen,
wird der Staat seine
wenn
In dem treu ge-
dienten Offiziere so lange im Dienste lassen, wie es ihre Verwendungsfähigkeit irgend zuläßt . Verwundete und verstümmelte Offiziere sind nach dem Kriege 1870/71 noch zu hohen Dienststellen aufgestiegen. Dienstfähigkeit in
einem mit dem
militärischen Leben
verträglichen
Grade muß allerdings vorhanden sein. Die durch vielfache Veränderungen auf dem Gebiete des Erwerbslebens
und der Anstellungsverhältnisse erschwerte Schaffung einer neuen Lebensstellung wird durch staatliche und private Fürsorge erleichtert. Das Preußische Kriegsministerium hat eine ,,Auskunfts-
stelle für Offizierzivilversorgung" geschaffen , und angesehene Persönlichkeiten aus allen Kreisen und Teilen des Vaterlandes haben unter Leitung des Fürsten v. Wedel den ,, Deutschen Hilfsbund für kriegsverletzte Offiziere" gegründet .
Die Offiziere, die zur Aufgabe ihres Berufes gezwungen sind, sollen hierdurch bei ihren Bemühungen um eine neue Lebensstellung im Reichs-, Staats-, Kommunal- oder Privatdienst, also auch im Handel und in der Industrie mit Rat und Tat unterstützt werden. Die jungen Offiziere , können noch die
die genug Tat- und Willenskraft besitzen ,
akademische Laufbahn ergreifen. Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 542.
Selbst die Reife13
194
Die Zukunft der invaliden Offiziere.
prüfung können sie noch nachträglich unter günstigen Vorbereitungsgelegenheiten ablegen. Erleichterungen des Abiturientenexamens sind derart gedacht, daß mit Ausschaltung des Entbehrlichen die Erlernung des Notwendigen beschleunigt wird. Die Vorbereitungszeit kann gegenüber dem ordnungsmäßigen Schulbesuch dadurch wesentlich abgekürzt werden . Die älteren Offiziere werden
die ihnen verbliebene Arbeitskraft
zur Besserung ihrer Lebensverhältnisse möglich zu verwerten suchen .
meist so schnell und gut wie
Für sie besteht die Wahl zwischen
der Betätigung im öffentlichen Dienst oder in Privatstellungen . Im allgemeinen werden sie gut daran tun, eine bescheidene BeamtenEs sind unstellung der Betätigung im Privatleben vorzuziehen. wägbare Werte,
die den geringen ,
aber sicheren Einnahmen des Be-
amten gegenüber den höheren, aber oft fragwürdigen Gewinnen des Privatangestellten das Gleichgewicht halten. Es handelt sich hierbei um Erwägungen, die in der heutigen Zeit mit ihren gesteigerten Anforderungen an das Leben leicht Widerspruch erfahren werden . Vor hundert Jahren, als die Not der Zeit spartanischen Sinn und einfache Lebensverhältnisse
geschaffen
schauungen mehr Verständnis
hatte ,
da
entgegengebracht .
wurde
solchen
Heute werden
Ansie
vielfach für veraltet und abgetan gehalten ; obwohl sie in damaliger Zeit die Säulen und Träger der Staatskraft waren . Die Offiziere haben dabei allen Grund ,
dankbaren Herzens daran zu denken ,
daß
auf der alten Einfachheit die angesehene Stellung des Offizierstandes im Staate und in der Gesellschaft beruht . Dieser Boden, auf dem der Offizierstand steht, darf nicht erschüttert werden . Friedenszeit,
Die 45 jährige
mit ihrer großartigen Entwickelung aller Erwerbszweige,
hat uns einen gewissen Hang zur Üppigkeit Aufwande gebracht,
der uns
und zum
übermäßigen
jetzt bei den durch den Krieg auf-
erlegten Entbehrungen recht zum Bewußtsein kommt. Dieser Hang steht in seinem Streben nach Gewinn und Wohlleben mit der einfachen
Lebens- und Denkweise
Widerspruch. deren
unserer Vorfahren
in
wunderlichem
Die Rückkehr zu den Zuständen der alten guten Zeit,
Vertreter
die
in
bescheidenen
Beamtenstellungen lebenden
invaliden Offiziere sein könnten, würde nur im Staatsinteresse liegen. Die Offiziere in Beamtenstellen wären der Nährboden, auf dem sich für die Zukunft eines starken,
kräftigen Geschlechtes
der Geist der
Königstreue und Vaterlandsliebe fortpflanzen würde . Nach siegreicher Beendigung des furchtbaren Völkerkrieges werden im Staatsmechanismus viel schmerzlich verlorene Kräfte zu ersetzen und viel neue Kräfte für die gewaltigen uns bevorstehenden Friedensaufgaben zu gewinnen sein .
Es darf daher
angenommen
werden,
195
Die Zukunft der invaliden Offiziere .
daß es an der Verwendungsmöglichkeit für invalide Offiziere in alten und neuen Stellungen nicht fehlen wird . Der invalide Offizier , der noch arbeiten kann und will, wird danach gewiß Gelegenheit finden, sich in geeigneten Stellungen
an dem großen ,
neuen Friedenswerke
im öffentlichen Leben zu betätigen . Im Staats- und Kommunaldienst wird sich nach dem Friedensschluß kaum ein Verwaltungszweig finden,
der im Hinblick auf die erweiterten und vergrößerten
Aufgaben des Gemeinwesens nicht vermehrten Bedarf an Arbeitskräften haben wird . Man denke auch an die Ansiedelung und Verwaltung von neuen Gebieten mit der großen Bedarfszahl an Gemeindeund Amtsvorstehern die
und Standesbeamten ,
Riesenarbeiten,
die durch die
sowie im besonderen an
Versorgung
der Kriegsinvaliden
selbst und auf dem weiten Gebiete der Finanzverwaltung entstehen werden . Überall wird mit Erweiterungen, Vergrößerungen , Vermehrungen und Umgestaltungen im Geschäftsbereich der Verwaltungen zu rechnen sein .
Die unbarmherzig
fortschreitende Zeit
wird
am
historisch bedeutungsvollen Wendepunkt des ersehnten Friedensabschlusses aus den Kriegsruinen neues Leben erblühen lassen . Die Offiziere, die am Zerstörungswerke teilzunehmen hatten, werden dann dazu berufen sein,
auch
am Neuaufbau
tätigen Anteil
zu
nehmen.
Sie erwarten dabei große Aufgaben, die sie in der Hauptsache voraussichtlich mit Geschick und Einsicht lösen werden. Für die meisten Stellungen besitzen Vorbildung.
die Offiziere
schon vorweg eine gute allgemeine
Sie haben in ihrer Dienstzeit gelernt,
Menschen und
Verhältnisse unbefangen zu beurteilen und zu behandeln .
Ein Vorzug ,
der ihnen in jeder Beamtenstellung ebenso zustatten kommen wird , wie ihre
reichen Lebenserfahrungen,
die sie bei der kriegsmäßigen
Ausbildung unserer Heere und bei ihrer Führung zum Siege sammelten . Allerdings wird
den Offizieren
meist die Kenntnis der Gesetze und
Bestimmungen und auch die Bekanntschaft mit den neuen Verhältnissen fehlen .
Zur Teilnahme an der Verwaltung berufen, werden sie
sich das ihnen noch Fehlende bei wohlwollendem Entgegenkommen aber schnell aneignen . Förderlich wird hierbei die Übertragung von Stellungen sein , sprechen.
die den Anlagen und Neigungen der Offiziere
wahl zur Verfügung stehen. dann
ent-
Auf dem weiten, großen Arbeitsfelde wird genügende Aus-
sicher nach
Die Verordnungen wird der alte Offizier
ihrer Entstehung und Bedeutung
richtig handhaben .
erfassen
und
Die mit Aussicht auf Anstellung im Zivildienst
verabschiedeten Offiziere haben im Frieden ihre Befähigung und ihr Anpassungsvermögen Genüge
dargetan .
auf den
verschiedensten
In der Heeres-,
Post- ,
Gebieten bereits
Eisenbahn-,
zur
Justiz- und
Finanzverwaltung haben sie vielfache Beweise ihres Könnens abgelegt. 13*
196
Die Zukunft der invaliden Offiziere.
Die Offiziere bewegen sich als
Beamte
eben in Verhältnissen , die
ihrer früheren Tätigkeit als Staatsdiener verwandt sind . Gesinnung und Pflichttreue, Behandlung,
sowie stets gleiche
das sind alte gute Bekannte aus
Königstreue
und stets
gerechte
der Soldatenzeit,
die
dem Offizier in der neuen Stellung Arbeitsfreudigkeit und innere Befriedigung verheißen . Aber nicht alle Dienste
betätigen ;
fehlen sollte .
invaliden Offiziere werden sich im öffentlichen selbst wenn es an Stellungen in diesem nicht
Ein Teil
wird
dem Grade der
verbliebenen Arbeits-
fähigkeit , den Anlagen und Neigungen entsprechend das Heil in Privatstellungen suchen.
In der Hauptsache wird es sich für diese Offiziere
um Berufsstände handeln ,
aus denen
sie hervorgegangen sind,
oder
zu denen sie Fühlung haben . Ohne Verbindungen ist und bleibt es trotz aller Vermittlung für den invaliden Offizier sehr schwer, eine geeignete Stellung im Privatleben zu finden. Die Vorbedingungen liegen hier nicht so günstig wie im öffentlichen Dienste . Das soll im Interesse der Kameraden zur Vermeidung von Enttäuschungen offen ausgesprochen werden ; im Hinblick auf Handel und Industrie soll aber auch gleichzeitig zur Verhütung von Mißverständnissen ausdrücklich betont werden, daß die folgenden Ausführungen im einzelnen nicht verallgemeinert werden dürfen . gut beratene, invalide Offiziere können, sollen erörtert werden .
Alle Möglichkeiten, denen nicht
in Privatstellungen
ausgesetzt
sein
Vielfach ist dabei nicht an die Regel,
sondern an die diese bestätigende Ausnahme, nicht an die allgemeinen Verhältnisse , sondern an die nach Erfahrungen vorkommenden Einzelfälle gedacht. Experto credite ! Im öffentlichen Dienst wird der Offizier zunächst in systematisch geordnete Verhältnisse
stufenweise eingeführt ;
im Privatdienst findet
er dagegen meist kein festes Programm für die von ihm zu lösenden Auf der einen Seite also eine feste, gerade Straße , die Ziele führt ; auf der anderen Seite ein ungewisser bestimmten zum Aufgaben.
gewundener Pfad, dem an mancher Abzweigung der Wegweiser fehlt. Der Offizier bleibt daher in der Privatstellung leicht lange im unklaren darüber,
ob seine Fähigkeiten und seine Vorbildung den ge-
stellten Anforderungen genügen . In dieser Ungewißheit kann er sich nicht wohlfühlen ; es sei denn, daß ihm besonderes Wohlwollen entAuf dieses kann er aber nur rechnen, wenn ihm verwandtschaftliche Beziehungen, einflußreiche Verbindungen, oder
gegengebracht wird .
auch einmal glückliche Zufälle zur Seite stehen. sich invalide Offiziere grundsätzlich nicht in die sollten Letzteren Hände geben . Im besonderen sollten sie sich auch nicht von hohen ausnahmsweise
Gehaltsanerbietungen verlocken
und verleiten lassen .
Der Wahn ist
197
Die Zukunft der invaliden Offiziere. kurz , die Reu ' ist lang !
Gerade das Geld, das im Leben eine Haupt-
rolle spielt, wird in seiner Macht und Herrschaft leicht zum Verhängnis . Das kalte Metall wirkt erkältend ! Selbstverständlich darf in erster Linie über die Güte des Unternehmens , dem der Offizier seine Dienste widmen und vielleicht sogar Geld als Geschäftsanteil oder Kaution anvertrauen will, kein Zweifel bestehen.
Ein gesicherter, auf christlichen Anschauungen aufgebauter
Betrieb sollte unerläßliche Vorbedingung für den Eintritt sein . jahrelangen, Stellung
einwandfreien
Geschäftsgewinn und
unter den konkurrierenden
Sicherheit verbürgt sein .
Geschäften
durch
Durch
angesehene
muß vollkommene
Nur einflußreiche, erfahrene Persönlichkeiten
der Geschäftswelt können eine solche Bürgschaft gewähren ; wirkung ist infolgedessen unbedingt erforderlich . einer Stellung bleiben ferner die Pflichten,
ihre Mit-
Vor der Annahme
Rechte und Befugnisse.
sowie die Sicherheit der Zukunft eingehend klarzustellen .
Allgemeine
Fassungen, die verschieden aufgefaßt und ausgelegt werden können , müssen möglichst vermieden werden . Andernfalls bleiben Rechte erst im Laufe der Zeit
zu erwerben,
Ausdehnungen annehmen
können .
während die Pfichten
unbegrenzte
Über die Versorgung
nach dem
Verbrauch der körperlichen und geistigen Kräfte, oder bei frühzeitigem Austritt treffen .
empfiehlt
es
sich
Einen Vertrag oder
ebenfalls,
bestimmte
eine Vereinbarung
Festsetzungen
sollte der Offizier
zu
ohne
juristische und fachmännische Beratung und Mitprüfung nicht unterschreiben . Im allgemeinen ist er mit vornehmer, ritterlicher Gesinnung geneigt, alles im guten Glauben anzuerkennen .
Später, d . h .
wenn es zu spät ist , können ihm dann die Augen mit unangenehmen Überraschungen geöffnet
werden .
Ungeahnte Auslegungen,
wunder-
liche Deutungen und entstellte Beurteilungen können die Folge seiner Vertrauensseligkeit sein. Auf sich selbst angewiesen, unterliegt der Offizier in einer solchen Lage leicht den Verhältnissen, die gewiß oft stärker als er mit bestem und festestem Willen sein werden ; zumal der Offizier in Privatstellungen gesetzlich nur die untergeordnete Stellung des Handlungsgehilfen einnimmt. Wenigstens in kaufmännischen und technischen Berufen , die wohl hauptsächlich in Frage kommen, ist dieses der Fall. Im Streite ist überdies nicht das Gewicht der Gründe, sondern das Machtverhältnis entscheidend. Ohne einflußreiche Verbindungen und Bekanntschaften
beginnt
der Offizier seine Tätigkeit im Privatdienst unter schwierigen Verhältnissen . Er hat sich seine Stellung selbst zu schaffen . Teilweise findet nicht einmal eine Einführung in dieselbe statt. Seine Vergangenheit und langjährige treue Dienstzeit kommen dem Offizier in
198
Die Zukunft der invaliden Offiziere.
keiner Weise zustatten. könnte,
steht ihm
Der treue Kamerad, der ihm beratend helfen
nicht mehr zur
Seite .
Auch die heitere,
einigende und ausgleichende Geselligkeit hat aufgehört. Zurückhaltung im Verkehr und
ver-
Vorsichtige
in der Wahl des Umganges werden
leicht als Überhebung und Mangel an Achtung gegen die Umgebung ausgelegt .
An die Stelle des wechselseitigen Wohlwollens im Offizier-
korps ist kalte Berechnung getreten, die leider oft in Gehässigkeit. Schadenfreude und Mißgunst zum Ausdruck kommt. An seinen Vorgesetzten findet er nicht immer den gewohnten Rückhalt. Bismarck oft gegeißelte Ohrenbläserei
Die von
sät leider leicht hinter dem
Rücken Mißtrauen und erschwert den Verkehr. Grades, offenes und ehrliches Benehmen findet dann kein Verständnis. Redliches Streben verlangt Anerkennung; werden
aber Nebenabsichten vermutet,
dann
verwandelt sich das liebenswürdige, freundliche Wesen des Vorgesetzten ohne Erklärung in eine abweisende, unnahbare Haltung . Für seine Ausbildung hat der Offizier selbst
zu
sorgen.
Von
seinen Mitarbeitern , die in der Waffentechnik großenteils als frühere Feuerwerker aus
dem Unteroffizierstande
hervorgegangen sind,
wird
er nicht immer freundlich empfangen werden. Man fühlt sich durch sein Erscheinen in der eigenen Tätigkeit teilweise beengt und sogar in der Stellung bedroht ;
denn statt der Belebung und Hebung des
Ehrgefühls wird zur Anfachung des Eifers die Stellung gern wacherhalten.
Besorgnis um
die
Ohne einflußreiche Verbindungen erwarten den Offizier also wenig beneidenswerte Verhältnisse in Privatstellungen ; zumal er auf Dankbarkeit nicht zu rechnen hat. Die großen Aktiengesellschaften , die hauptsächlich in Frage kommen , sind in dieser Hinsicht den Republiken zu vergleichen , in denen die Gefühle der Dankbarkeit durch die stete. Furcht vor zu großem Einfluß zurückgedrängt werden.
Vorzugsweise
ist es aber das Geschäftsinteresse, welches hindernd im Wege steht. Die Schwächen und Gebrechen des invaliden Offiziers können mit Nachsicht und Geduld nur so lange und so weit ertragen werden wie es sich mit den Interessen des Geschäfts verträgt.
Auf dauernde
Betätigung von Dankbarkeit ist also nicht zu rechnen ; obwohl der invalide Offizier, der sein Leben und seine Gesundheit für die Sicherheit des Vaterlandes , und damit und Industrie einsetzte, mit Dankbarkeit zu haben glaubt .
auch für
den Schutz
Recht Anspruch
von Handel
auf unauslöschliche
Auf Umwegen, durch Vermittelung, kann allerdings viel erreicht werden, was in direktem, redlichem Streben selbst tadellosen Leistungen versagt bleibt. Verbindungen beseitigen mit Leichtigkeit Schwierigkeiten und erwirken ein Leben in Ruhe und Gemächlichkeit. Es
199
Die Zukunft der invaliden Offiziere.
genügt zur Ausfüllung der Stellung dann nur die Hergabe des adeligen Namens oder des Titels. Glücklicherweise gehören Offiziere , die ein solches Dasein begehren und in ihm seltenen Ausnahmen . nur Stelleninhaber,
Befriedigung finden ,
zu den
Die Regel ist und bleibt, daß der Offizier nicht nicht fünftes Rad
am Wagen sein will,
sondern
in seiner Stellung etwas schaffen und leisten möchte. Er will seinen Posten ausfüllen, sein Geld redlich verdienen und nicht von Gunst leben.
In dieser Auffassung ist ihm eine vornehme,
Behandlung,
standesgemäße
die ihm bei treuer Pflichterfüllung sicher zusteht ,
größter Bedeutung.
von
Wieviel bittere Erfahrungen werden aber gerade
auf diesem Gebiete gemacht. nissen hervorgingen ,
Vorgesetzte ,
die aus kleinen Verhält-
sind besonders geneigt,
den armen Offizier die
Macht des Geldes mit unberechtigter Überlegenheit fühlen zu lassen. Die Maske fällt,
und hinter äußerlich guten ,
angeeigneten Verkehrsformen,
aber nur oberflächlich
kommt der wahre Mensch in brutaler
Derbheit und Formlosigkeit zum Vorschein .
In wirtschaftlicher Not-
lage treten dann an den Offizier ernste innere und schwere äußere Kämpfe
heran .
Wieviel männliches
Kräfte werden dabei gefährdet .
Selbstgefühl,
heit ist unbewußt eine Charakterfrage geworden . klingen dann die Worte :
wieviel
sittliche
Aus einer wirtschaftlichen Angelegen-
„ Wenn ich
Übertäubend frivol
nur mein Geld bekomme ,
ist
mir alles gleichgültig " ; aber melancholisch folgt die Klage : „ Meine jetzige Tätigkeit, mein Vorgesetzter hat mich auf dem Gewissen . " Dieser
Klage kann
man
nur das
Kantsche Wort
entgegenhalten :
„ Wer sich zum Wurm macht, kann nachher nicht klagen,
wenn er
mit Füßen getreten wird . " Die Sache ist für
den Offizier ernst ; denn seine Stellung wird
durch das Geld mit seinem skrupellosen Machtgefühl bedroht . Es sind geänderte ethische Lebensbedingungen, ideale Werte, die in den Vordergrund treten . Der Offizier darf mit seinen Anschauungen und Empfindungen beim Streben nach erhöhtem Gewinn nicht in Widerspruch geraten .
Verschiedene Ansichten der Stände über Ehre
und Ehrgefühl müssen ausgeglichen werden . Der
Offizier,
der auch nach
seiner Verabschiedung
ordnungen über die Ehrengerichte unterstellt bleibt,
den Ver-
darf keine ver-
letzende Demütigung über sich ergehen lassen ; denn die Ehre , die Anerkennung seines persönlichen Wertes, ist sein höchstes Gut. Was aber dem Offizier die Ehre,
das ist beim Kaufmann der Kredit. Offizier und Kaufmann ― haben die gleiche Pflicht, ihr höchstes Gut zu behaupten . Die Lebensstellung des Offiziers wird Beide
mit der Gefährdung
der Ehre
ebenso bedroht,
Kaufmannes mit der Gefährdung des Geldes.
wie die Stellung des
200
Die Zukunft der invaliden Offiziere . In der
verschiedenen Lebensanschauung der beiden Stände über
den Ehrbegriff liegt die Schwierigkeit und gedeihlichen Zusammenarbeitens.
des gegenseitigen Verstehens
Jeder, der die Ehre eines anderen leichtfertig antastet, tutsich damit selbst eine Ehrenkränkung an . Ein Ehrengrundsatz , der verschieden beurteilt und verstanden wird .
Der Offizier sieht in jedem
Mitglied eines geachteten
Ehrenmann , dem er
illoyale,
Standes den
oder gar betrügerische Handlung zutraut.
keine
Verdächtigungen
ohne sichere Unterlagen darf er daher nicht aussprechen. Im Privatleben können dem Offizier andere Anschauungen entgegentreten. Er kann es erleben, daß ohne Bedenken rücksichtslos mit anschuldigenden Behauptungen vorgegangen wird , sobald das Geld oder der Kredit bedroht erscheinen . ist , hält man
Später, wenn die vermeintliche Gefahr abgewandt
im Falle
des Irrtums
die Sache ohne Skrupel ,
sogar
ohne Entschuldigung mit Ausflüchten für erledigt. Das Rechtsgefühl in den verschiedenen Ständen und Berufen ist
abgesehen vom Temperament, verschieden reizbar. Die Behauptung des gegenseitigen Standpunktes und der eigenen Überzeugung kann daher leicht zu Mißverständnissen und Disharmonien
also, ganz
führen.
In der Verschiedenartigkeit der Berufspflichten , die im Offizur steten uneigennützigen Bereitschaft der Lebens-
zierstande bis
hingabe gesteigert sind , liegt die Verschiedenheit der Anschauungen begründet . Diese kommt auch in der verschiedenen Bedeutung des Ehrenwortes zum Ausdruck. Nur ein feines Taktgefühl, das mit Nachgiebigkeit und Versöhnlichkeit gepaart ist,
und von beiden Seiten geübt wird ,
Ausgleich
Bei dem Offizier,
schaffen .
höchsten Anforderungen
zu stellen,
der gewöhnt ist,
kann den an sich die
wird es an gutem Willen
nicht
fehlen , sofern ihm die Selbsterhaltung nicht die Verteidigung seines Rechtes zur Pflicht macht. Im öffentlichen Dienste ist der Offizier weniger inneren Gefahren ausgesetzt und als Träger des monarchischen und nationalen Geistes. ist er in erster Linie zum Beamten berufen. Als Staatsdiener wird er auch in bescheidenen Stellungen mit Selbstbefriedigung in treuer Pflichterfüllung Ersprießliches für Vaterland leisten,
die
Gesamtheit,
für
König
und
201
Die russische Sommeroffensive .
XX. Die russische Sommeroffensive. Von Rhazen, Generalleutnant z . D. (Fortsetzung .)
Während des 16. Juni hat in dem unübersichtlichen Sumpfgelände Boguszewka -- Swidniki , nördlich von dem ein russischer Vorstoß schon einmal Porsk bedrängt hatte , die Schlacht hin und her gewogt.
Swidniki muß, der Sicherheit der Stochodlinie wegen,
un-
bedingt wiedergenommen werden, was am 18. Juni auch gelingt. Im Süden von Kowel beginnt der Sturm deutscher Regimenter auf Kisielin und Höhe 229. Der Gegner hat seine erschöpften Regimenter gegen frische umgetauscht . Über Nw. Mosor gehen Westfalen auf Boguszewska vor, das sie im Nachtkampfe den Russen entreißen , die dann durch Gegenstöße über Emelin , nördlich der Bahn, wieder in Besitz von Swidniki, des viel umstrittenen, das noch zahlreiche blutige Tage für die Russen sehen sollte , zu gelangen suchten . Der am 16. Juni begonnene Angriff von Truppen der Heeresgruppe Linsingen zwischen Gorochow und Sokul entriß dem Gegner an diesem und den folgenden Tagen fast auf der ganzen Linie einen nennenswerten Teil seines letzten Bodengewinnes. Änderung trat
bei
Gorochow zunächst nicht
Eine
ein,
da
wesentliche die Russen ,
wegen des Vortragens unseres Angriffs im Raume zwischen Lokaczy und Kisielin, wohl ihre auf Überwindung der Lipa gerichteten Massenstürme um Gorochow, stellten .
wenn auch nicht den Angriff überhaupt, ein-
Der Tagesbericht vom 17. Juni schrieb : „Bei der Heeresgruppe des Generals von Linsingen wurden
am Styr beiderseits Kolki russische Angriffe abgewiesen . Zwischen der Straße Kowel - Luzk und dem Turya-Abschnitt nahmen unsere Truppen in erfolgreichen Kämpfen den Russen an Gefangenen 11 Offiziere, 3446 Mann , an Beute ein Geschütz . 10
Maschinengewehre.
Bei
brachen feindliche Angriffe,
der Armee des
Grafen Bothmer
wie schon viermal vorher,
bereits
im Sperrfeuer blutig zusammen . “ Die Mitte des Offensivstoßes richtete sich auf Lokaczy, über das Quellengebiet der obersten Turya, warf den Feind auf Kisielin zurück, überwand bei
Kolonie
Julianowka - Ostrow,
wo
preußische Garde-
kavallerie, die hier den Rittmeister Fürsten Stolberg verlor, mehrere
202
Die russische Sommeroffensive .
Tage in zähester Verteidigung den Brückenkopf hielt und dadurch den Übergang in dem Nebenabschnitt ermöglichte, Mogdan, Nw. Mosor (südlich der Bahn und Straße Luzk- Kowel) den Stochod und drängte den Gegner in die Linie Woronczy - Dorosino - Nieniew zurück. Der Tagesbericht vom 19. Juni berichtet über den 18. Juni sehr kurz : Bei der Heeresgruppe des Generals von Linsingen wurden am Styr, westlich von Kolki , und am Stochod in der Gegend der Bahn Kowel - Rowno russische Angriffe zum Teil durch erfolgreiche
Gegenstöße
abgewiesen .
Nordwestlich von Luzk
stehen unsere Truppen in für uns günstigem Kampf. Die Gefangenenzahl und Beute haben sich erhöht. Südwestlich Luzk greifen die Russen in der Richtung auf Gorochow an. Bei der Armee des Grafen Bothmer ist die Lage unverändert. " An diesem Tage fielen Swidniki , Ort und Bahnbrücke, in deutsche Hand , sibirische Bestandes ein.
angreifende Kompagnien büßten drei Fünftel ihres
Der Tagesbericht vom 19. Juni verzeichnete vor der Front des Feldmarschall von Hindenburg deutsche erfolgreiche Vorstöße südlich Smorgon, auf dem linken Flügel der Heeresgruppe Linsingen, an der Kanalstellung südlich Logiszyn, feuer
zusammengebrochene
unter schweren Verlusten
russische
Angriffe,
Mißerfolg
im Sperrder
fort-
gesetzten Bemühungen des Feindes gegen die Styrlinie und westlich Kolki, besonders heftige Kämpfe bei Grusziatyn und fährt dann fort : „ Zwischen der Straße Kowel - Luzk und der Turya brachen unsere Truppen an mehreren Stellen den zähen, bei Kisielin besonders
russischen
hartnäckigen
Widerstand
und
drangen
kämpfend weiter vor.
Südlich der Turya wurden feindliche
Angriffe abgeschlagen .
Die Russen haben ihr Vorgehen in der
Richtung auf Gorochow nicht fortgesetzt . " An diesem Tage wurden,
in der Richtung von Norden
Süden genannt, in schwerem Ringen Kisielin,
nach
Zaturcze und Kolonie
Dimitrowka gestürmt. Am 19. Juni schien es, als sollte dem wesentlich verstärkten und seine Massenstürme fortsetzenden Gegner am Styr - Stochodabschnitt ein Erfolg blühen, da er von Kolonie Antonowka aus auf das nördliche Styrufer zu gelangen und sich Grusziatyn zu nähern vermochte, bis ihn am 20. Juni ein Gegenstoß unter schweren Verlusten über den Styr zurückwarf.
Der 20. Juni sah die Russen
auf Zubilno zurückgedrängt und das Vorarbeiten der deutschen Truppen näher an die
Straße Kisielin - Woronczyn . Nordwestlich von Luzk setzte der Gegner unserem Vordringen zähen Widerstand entgegen. „ Die Angriffe
bleiben im Fluß “ , sagt der
Tagesbericht .
Nach Ab-
Die russische Sommeroffensive.
203
weisung von sechs Massenangriffen fiel am 21. Juni
die russische
Hauptstellung zwischen Liniewka und Sokul in unsere Hand, weiter südlich wurde der Gegner über die Linie Zaturcze - Swiniuchy-Gorochow,
zwischen
oberer Turya und Lipa ,
zurückgedrängt .
An
den folgenden Tagen, bis zum 23. Juni einschließlich , war die Linie Swiniacze -Zubilno erreicht, heftige feindliche Angriffe abgewiesen , nördlicher und im Stochod - Styrgebiet wurden Verstärkungen erkannt.
Für den
24. Juni
bedeutende russische
stellt der Tagesbericht
unserer Verbündeten die Erstürmung der Höhen bei Hollatyn Grn,
nördlich der Lipa ,
westlich von Torczyn Eindringen in die feindliche
Stellung, und derjenige unserer Obersten Heeresleitung fortschreitenden Angriff bei der
Heeresgruppe Linsingen
und
abgeschlagene
starke
russische Angriffe beiderseits Zaturcze und ebenso südlich des Placzewkaabschnitts, trotz Einsatzes von frischen feindlichen Kräften, fest .
Die
kurzen Sätze des Tagesberichts vom 26. Juni " westlich von Sokul und bei Zaturcze dauern heftige, für uns erfolgreiche Kämpfe an ", bedeuteten eine Vertiefung des am 21. Juni westlich Sokul und Bodengewinn
erzielten Raumgewinns
auch bei Zaturcze,
für den Front-
raum der Heeresgruppe Linsingen. Die Tagesberichte vom 22. bis 25. Juni zeigen uns in Ostgalizien die Armee Sacharow -- wohl auch um auf die Lage in Wolhynien einzuwirken - am 22. , 23. und 24. Juni in vergeblichem Sturmlauf gegen die Front Puhallo , östlich und nördlich von Radziwilow, südlich Lopuszno und im Raum Beresteczko. ununterbrochene Angriffe Ermolli
und
Bothmer
An der Strypa waren
gegen den Abschnitt der Armeen Böhm-
durch
die
Armee
Tscherbatschew (welcher
Brussilow als geographisches Ziel , wie auch der Armee Sacharow von Nordosten , so von Ost und Südost , Lemberg gegeben hatte) , zwischen Burkanow und Wisniowczyk bzw. Zurwanika- Bobulincze zu verzeichnen .
Zwischen
die Armeen Bothmer und Pflanzer-Baltin
sollte
ein Keil getrieben werden . Überlegener russischer Druck drängte unterdes in der Bukowina die Armee Pflanzer-Baltin weiter zurück. Dem Überschreiten des Sereth zwischen der gleichnamigen Stadt und Zadowa, konnte Letschitzki am 21. Juni das der Suczawa beiderseits Rudnitz, eine Nordkolonne auf Straza , nördlich des Flusses abzweigend , folgen lassen . Kimpolung
Der weitere Vormarsch wurde nur am 23. Juni bei
durch durch
österreichische
Nachhuten
vorübergehend
auf-
gehalten Am 23. Juni war es in der nordwestlichen Bukowina den Russen gelungen, vorübergehend Kuty zu besetzen , die schweren Kämpfe bei Wisniz und Kuty hielten ihren Aufmarsch auf. Der Gegner konnte sich aber, nachdem er sich in der hügeligen Ostbukowina breit ge-
204
Die russische Sommeroffensive .
macht hatte,
auf den
nach Westen gegen
das Gebirge
laufenden
Straßen rascher entwickeln und eine weiter nördlich kämpfende Truppe kann durch die Bukowina -Vertikalstraße leicht in Flanken und Rücken
bedroht werden.
Das war
der Grund
dafür ,
daß die
Truppen, die die Russen am oberen Czeremosz aufgehalten hatten , am 25. Juni auf die Höhen südlich Wisniz und Berhomet zurückgingen, wo Nachhutkämpfe sich entwickelten und wiederholte Angriffe am Abschnitt Kuty - Kosow blutig abgeschlagen wurden .
Am 26. Juni
fanden erfolglose russische Angriffe bei Kuty und Jakobeny statt, wo sich die Ostkolonne Pflanzer- Baltin festsetzte ; bei Kimpolung und Jakobeny waren Stellungen vorbereitet. Im Suczawatal, wo Talengen erlaubten,
dem Gegner auch
mit
schwächeren Abteilungen
Widerstand zu leisten, war es südlich Seletin, bei Schipoth— Izwor , weiter an den Höhen nördlich und nordwestlich von Kirlibaba zu Verteidigungskämpfen gekommen .
Der Vormarsch hatte den Russen
schwere Verluste gekostet. Ihre Kavalleriemassen nützten, auf Gebirgswegen nicht rasch vorwärts kommend, wenig. Was General Axgutinow im September 1914, als Führer eines Teiles der russischen ostgalizischen Armee nach Czernowitz kommend, erklärt hatte , die russische Heeresleitung werde sich mit dem Besitz der Nordbukowina nicht begnügen , sondern die Waldkarpathen durchbrechen und ins ungarische Tiefland gelangen (sie zogen damals auch über Kolomea längs des Pruthtales weiter nach Süden , und gelangten nach Marmaros Sziget), auch jetzt bestanden .
brachen bei Körösmözö ein hat als Absicht bei
ihnen
Um diese Zeit war es , daß unsere Verbündeten eine stellenweise Verkürzung ihrer Front zwischen Etsch und Brenta meldeten, welche die Italiener
dann
Charakter tragende baldigst wieder
auf
die eigene,
Gegenaktion "
auf das
„ einen
entschieden
offensiven
zurückführten und ihre Angriffe
Nordplateau
hinaufgeführt sehen wollten .
Haben die folgenden Wochen die letztgenannte Hoffnung der Italiener als durchaus hinfällig erwiesen, so kann man für die Freiwilligkeit der Frontverkürzung unserer Verbündeten keinen besseren Beweis finden,
als
das
Hauptquartier.
Eingeständnis Die
„ Neuen
der
„Times " aus
dem italienischen
Züricher Nachrichten"
Zurücknahme und Verkürzung der Front
als
bewerteten
die
ein Schulbeispiel
der
Kriegslehre, da es der österreichisch-ungarischen Heeresleitung gelungen sei,
eine
solche Operation ohne Verlust an Menschen
und Material
zu bewirken. „ Stockholms Dagbladed " schrieb : „ Wenn die Italiener aus starrer Defensive hier vielleicht zur Offensive übergingen, so sei diese Brussilows Verdienst ".
Am 27. Juni fand
eine Wiederholung
feindlicher Angriffe bei
Die russische Sommeroffensive.
205
Kuty mit dem früheren Mißerfolge statt, bei Nw. Poczajew (südlich Brody), nördlich der Ikwa , erfolgte ein Abweisen der Russen schon durch Vortruppen, westlich Torczyn
ein Zusammenbrechen russischer
Angriffe schon im Sperrfeuer, während bei der Gruppe Linsingen das nördlich der Bahn und Straße Luzk -- Kowel am Stochod gelegene Dorf Liniewka und die südlich anschließenden Stellungen gestürmt, am 28. Juni ausgebaut und am 29. gegen
an deren Südwestgrenze der
In der Bukowina,
behauptet wurden.
starke russische Angriffe
Kleinkrieg in vollem Gange war, wurde bei Izwor (nördlich Moldawa) ein russisches Kavallerieregiment am 28. Juni gesprengt. Die Hauptlast der russischen Anstürme hatte an diesem Tage der Raum östlich Kolomea zu tragen. Massenangriffe erfolgten auf 40 km Frontbreite, die unsere Verbündeten in der Abendstunde auch zwangen, die Front gegen Kolomea und südlich zurückzunehmen.
nördlich Obertyn ,
In der Dnjestrschlinge,
russische Angriffe und ebenso
zwei
brachte der
Dasselbe Ergebnis
scheiterten
solche westlich vom Poczajew.
29. Juni nordöstlich von Kirlibaba,
wo durch eine Umgehung der Weg nach Ungarn gebahnt werden sollte, während nordwestlich von Kuty, bei Pistyn, nach sehr erbitterten Kämpfen der Druck mächtig
überlegener russischer Kräfte
unsere Verbündeten zwang, die eingesetzten Truppen in den Raum westlich und südwestlich Kolomea, hinter die Luzica, zurückzunehmen . Nördlich Obertyn, an der Straße Kolomea- Niswiez, sah der Tag In sehr mehrere russische Reiterangriffe im Feuer niederbrechen . großem Umfang, auf 3 km Breite mit 6 Gliedern Tiefe, anscheinend 5 Divisionen,
wiederholte
30. Juni gegen
die
Flanke bei Tlumacz .
sich der Massenangriff der Kavallerie am zum Eindrücken der rechten
Armee Bothmer
Fortschreitender Angriff der Verbündeten drängte
in Wolhynien den Gegner südlich Ugrinow ( zwischen Lipa und Polonka), westlich Torczyn , nordöstlich Kisielin und südwestlich Sokul zurück. Seit Anfang Juni waren über 24000 Russen gefangen worden. Für den Raum trischen
westlich Kolomea ,
Angriffe
des
mit
einer
das gegen die rechten
konzen-
Kolonne
über Zablutow (Nordufer des Pruth) , mit einer linken über Kuty vorgehenden russischen rechten Flügels nicht zu halten gewesen war , und südlich des Dnjestr brachte der 1. Juli das zunächst noch immer steigende Wachsen von Kämpfen, die am folgenden Tage westlich der Stadt
durch Gegenstoß einen russischen Angriff scheitern und am 3. Juli einen weiteren Angriff nicht durchdringen ließen.
Am 4. Juli
erfolgte wiederum
im Westen von Kolomea ein Abweisen russischer Angriffe durch Artilleriefeuer und südlich Sadzawka am Pruth, nordwestlich von Kolomea , fand sich kein besseres Er-
206
Die russische Sommeroffensive .
gebnis für die angreifenden Russen.
Nordwestlich Tarnopol, zwischen Sereth und Bahn Tarnopol -- Zloczow, hatten Truppen der Armee
Bothmer die
außerordentlish wichtige Stellung von Worobijowka wieder gestürmt und die Heeresgruppe Linsingen ihre Angriffe fortgesetzt. 99 Alle verläßlichen Annahmen stimmen darin überein, daß die bei der Feldarmee bereitgestellten Ersätze bis zu drei Viertel des Kampfstandes zur Wiedergewinnung der vollen Kriegsstärke nicht mehr ausreichen . Es muß aus den Ersatzkörpern des Hinterlandes neues Kanonenfutter herangeschafft werden. Das russische Südwestheer hat in
einem Kriegsmonat an Toten und Verwundeten kaum weniger als 500 000 Mann eingebüßt, " schrieb am 1. Juli das Kriegspressequartier. Hinter diesem gewaltigen Bluteinsatz blieb der Gewinn , trotz erdrückender russischer Überlegenheit, mächtig zurück . Nirgendwo ein Durchbrechen , weder des auf KowelWladimir- Wolhynsk,
noch
auf
Lemberg
zielenden
Vor-
stoßes , kein Sieg in der großen Styrbogenschlacht , kein Herausheben des Zentrums aus den Angeln durch Vorschreiten auf dem linken Flügel. Vor Bothmers, durch das Zurückgehen des rechten österreichischen Anschlusses bedrohter rechter Flanke schichteten Reitern ,
sich
Haufen von unnütz
in den Tod gejagten
Trotz des Kampfes gegen eine enorme Überlegenheit , trotz immer neu zuströmender russischer Reserven, war vor der Front der Heeresgruppe Linsingen westlich Kolki und zwischen Zubilno und Zwiniacze der
Bogen der
russischen Front schon
russischen Führung die Ellenbogenfreiheit
erheblich
eingedrückt ,
schon beschränkt,
der
die sie
durch wütende Angriffe zwischen Sokul und Kolki , wie in der allgemeinen Linie Werben - Radziwilow wieder zu gewinnen suchte. Die südliche, gegen die österreichisch-ungarische Front losgelassene russische Kraftgruppe hat
in ihrem Vorgehen über Czernowitz weniger kraftvollen Widerstand gefunden und Czernowitz schon 50 km hinter sich gelassen . Im Raume von Kolomea war es, mit Rücksicht auf die Strypafront, von größter Bedeutung, den Russen Halt zu gebieten und womöglich einen Erfolg zu erzielen, der der russischen Bukowinafront dann auch ihre strategische und politische Bedeutung genommen hätte. Zu vergessen bleibt aber auch nicht die ungeheure , zahlenmäßige russische Überlegenheit,
die, trotz der schwersten Verluste in Letzschitzkis Armee, geradezu unerschöpflich schien. Gegen die Mitte keine Erfolge. Das war das Urteil, das man am 1. Juli über den Zeitraum der vergangenen letzten Juniwoche abgeben konnte, an dem Tage, an welchem im Westen der britisch-französische Massenangriff an der Somme mit seinem Infanteriesturm einsetzte . Nach den
207
Die russische Sommeroffensive .
Äußerungen von Ententeblättern wäre diese französische Offensive , wie auch eine solche Sarrails,
gleichzeitig mit dem Beginn der russi-
schen zu erwarten gewesen. Die „Times " hat aber später erklärt, auch am 1. Juli sei das britisch-französische Vorbrechen noch verfrüht gewesen , da man nicht alle Vorbereitungen abgeschlossen hatte . Südöstlich Tlumacz hatte am 2. Juli die Armee Bothmer wieder einmal das Schauspiel eines diesmal 12 km breiten und wiederum Feuer niederbrechenden Reiterangriffs, der augenscheinlich die
im
rechte
Flanke
Bothmers
wiederum
eindrücken
sollte,
aber
darin
keinen Erfolg hatte, wie auch bei der Heeresgruppe Linsingen nördlich und südwestlich Luzk russische Gegenstöße unser Vorschreiten nicht aufzuhalten vermochten .
An der Front des Prinzen Leopold
von Bayern begann an diesem Tage die zu ungewöhnlicher Heftigkeit anschwellende , viele Tage dauernde Schlacht im Raume östlich von Baranowits chi.
Nach vielstündiger Feuervorbereitung setzten
am 2. Juli die Infanterieangriffe nordöstlich und
östlich Gorodiscze,
sowie beiderseits der Bahn Baranowitschi - Snow ein, die durch Feuer und Gegenstoß
abgewiesen wurden .
von Hindenburg fielen die Russen Steigerung des Feuers,
an ,
unsere Linie herangelangend,
Die Front des Feldmarschalls an verschiedenen
nur bei wo
Minki ,
nördlich
Stellen ,
nach
Smorgon ,
an
sie blutig abgewiesen wurden und
ihren Zweck, Entlastung, natürlich nicht erreichten .
Trat am 3. Juli
vor der Front Prinz Leopolds ein gewisses Abflauen der russischen Angriffe insofern ein, als unsererseits das Zurückwerfen der Angreifer von gestern in ihre Ausgangsstellungen vollendet wurde, so hatten sich abends und nachts vor der Front Hindenburg in der allgemeinen Linie Naroczsee - Smorgon -- östlich Wiszniew mit erheblichen Kräften beiderseits von Smorgon - nördlich Kriewo und südöstlich Wisczniew neue starke Angriffe entwickelt, endeten . In Wolhynien
die aber mit
versuchte Kaledine wieder
blutigen
Abfuhren
mit frischen
Massen
unser Vorgehen aufzuhalten , was aber gründlich miẞlang . Südöstlich Tlumacz schritt die Armee Bothmer, zunächst aus dem Raume östlich Tlumacz bis östlich Ottynia, zum Angriff und drängte in schnellem Fortschreiten die Russen in 20 km Breite und 10 km Tiefe zurück. Eine starke Enttäuschung der Hoffnung Tscherbatschews , in der stark betonten Richtung Stanislau Boden zu gewinnen , die sich am folgenden Tage , während der Erfolg bei Tlumacz erweitert wurde,
auch südwestlich Buczacz, bei Barysz , zwischen Strypa und Kropiecbach , trotz sehr starker Überlegenheit, nicht verwirklichte. Am 5. Juli erschien es, während sich südöstlich von Tlumacz
beiderseits Chocieniez,
wiederholte
russische Angriffe brachen ,
und
208
Die russische Sommeroffensive .
während auch im Frontabschnitt von Barysz noch mehrere russische Angriffe
abgewiesen
wurden ,
da
es
nicht
ausgeschlossen war, daß
die Österreicher gegen die Strymba zurück mußten,
weil Letschitzki
gegen die Paßstraße Boden gewonnen hatte, angezeigt , vorsichtig die Verteidigung teilweise 6 km westlich an den Abschnitt des Koropiecbaches zurückzuverlegen . Im Raume der Heeresgruppe Linsingen trat am 4. Juli die III. Armee, Lesch -- augenscheinlich in Verfolgung des aus dem Mißerfolg des Durchbruchsversuches im Zentrum Bothmer-Ermolli , Brussilowschen
wie
vor der
Gedankens
Front
Kaledine,
hervorgegangenen
der Verlängerung der Angriffsfront nach
Norden (um umfassend zu wirken und Linsingens Front aufzurollen) — beiderseits Kostiuchnowska, sowie nordwestlich Kolki in heftige Kämpfe ein, die fortdauerten und unter anderem Gegenstöße unsererseits gegen westlich Kolki über den Styr vorgedrungene Abteilungen auslösten . An vielen Stellen nördlich , westlich und südwestlich Luzk, mit dem Mittelpunkt Gegend von Werben , nordöstlich Beresteczko , unternommene Versuche ; uns die gewonnenen Vorteile zu entreißen, mißlangen .
Nicht
mehr Erfolg hatten die auf der Front Zirin bis südöstlich Baranowitschi wieder aufgenommenen und zum Teil zu Nachtkämpfen führenden Angriffe auf die Front Prinz Leopold . Die hier eingesetzten Massen ließen es schon zweifelhaft erscheinen , ob es sich nur um eine Entlastung,
oder
eine selbständige Operation zur Störung unserer wich-
tigsten Bahnverbindungen ,
handelte.
der russischen Heeresleitung
Es ist unzweifelhaft,
daß von
das Einsetzen der großen britisch-fran-
zösischen Offensive zu einer Verstärkung der Angriffe, besonders auch an den Flügeln , auf der Südwestfront ausgenutzt wurde und sich auch auf den Raum nördlich des Pripjet ausdehnte, wo es sich aber, den Raum Baranowitschi vielleicht ausgenommen , wohl weniger um eine allgemeine Offensive, als um Unterstützung der Operationen in Wolhynien und Galizien handelte. Vom 3. Juli ab, das darf man wohl aussprechen , hatte die Angriffsschlacht der Russen an Umfang wieder erheblich Die Fronten der Heeresgruppen Hindenburg,
zugenommen .
Prinz Leopold und be-
sonders auch Linsingen , hatten starken Druck auszuhalten , desgleichen die Räume um Smorgon , Angriffsbewegung stoßen seines
gebildet
Baranowitschi hatten,
Graf
und Luzk, Bothmer
rechten Flügels in Galizien,
die Zentren der hatte
unbeirrt
das
Vor-
durch frontale
Gegenstöße der Russen, mit Erfolg fortgesetzt. Am 4. Juli lief die Front in Ostgalizien und Bukowina in großen Zügen von der BrodyBahn nordöstlich Podhajce über diesen Ort, Nw. Alexiniec, Worobijowka, am Westufer der Strypa entlang auf dem Frontabschnitt Barysz, und von dort aus, nach Südwesten biegend, über den Dnjestr, östlich von
209
Die russische Sommeroffensive. Tlumacz vorbei, westlich Kolomea ,
zwischen diesem und Peczenizyn ,
dann wieder etwas südöstlich auf Kuty, westlich Straza auf Kimpolung. Während in der Bukowina der Kleinkrieg einige Vorteile
brachte,
die in einem langsamen Zurückdrängen des Gegners in die Gegend von Kimpolung zum Ausdruck kamen, dauerten in Südostgalizien
Kämpfe
von
großer
Heftigkeit
an.
Geographisches
Ziel
Letschitzkis war hier augenscheinlich der Raum Nadworna- Stanislau. Bei Sadzawka, nordwestlich Kolomea, gelang es
am 5. Juli, in die
Stellung unserer Verbündeten einzudringen , die darauf eine neue , um rund 3000 Schritt westwärts gelegene, in 6 km Ausdehnung besetzten. Im übrigen scheiterten süd- und nordwestlich Kolomea, wie am 6. Juli auch zwischen Delatyn stöße .
und Sadzawka ,
zahlreiche russische Angriffs-
Bei der Heeresgruppe Linsingen,
stärkte Nordgruppe , Angriff in
wie schon
der Nacht
bei welcher
berührt ,
auch die ver-
durch ihren vorgetragenen
zum 3. Juli den
Gegner
zu
fluchtartigem,
schwere Opfer kostenden Räumen der Brückenkopfstellung auf dem nördlichen Stochodufer, an der Straße Kowel -Luzk, gezwungen hatte, waren am
5. Juli die Kämpfe bei
Kostiuchnowka und im Raume
von Kolki noch nicht zum Abschluß gekommen und sollten dies zunächst auch nicht, da Brussillow, um sich von dem Druck Linsingens zu entlasten, der ihm die Freiheit des Handelns nahm und ihm Kräfte da, WO er nicht wollte, band, dort suchte durch die Verlängerung der Angriffsfront nach Norden und durch umfassenden Angriff von Czartorysk zu wirken , was ihm neu herangeführte Kräfte erleichterten . Der linke, am Styrbogen stehende Flügel unserer Verbündeten sah sich über Grusziatyn und Kostniuchnowka mit gewaltigen Massen angefallen.
Stärkster Druck auf die Schenkel des auf
Czartorysk vorspringenden Winkels bei Grusziatyn und Kochniuwnoka veranlaßten zum Ausweichen nach Westen, und am 6. Juli zum Befehl zur Zurückverlegung der ganzen Front zwischen Sokul- und Styrmündung hinter den Stochod . Gegen drei- bis fünffache Übermacht war hier vier Wochen gekämpft worden. Begünstigt durch das Eingreifen deutscher Truppen westlich von Kolki und die Zähigkeit der Polenlegion , die in tapferem Gegenstoß dem Gegner wichtiges Höhengelände entriß , ging die Bewegung ohne Störung durch die Russen vor
sich.
Vor der Front des
Prinzen
Leopold war, nach dem Tagesbericht der Obersten Heeresleitung, der in der Gegend Gorodisze und südlich Darowo besonders heftige Kampf unter ganz gewaltigen russischen Verlusten zu unseren Gunsten entschieden worden. Der 6. Juli brachte am Morgen nur noch einen schwächeren Vorstoß .
Beendet aber war die "9 Schlacht von
Baranowitschi " noch nicht. Sie sollte am 9. Juli noch einen 14 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 542.
Die russische Sommeroffensive.
210
Höhepunkt erleben und dann erst abflauen, da die russische Führung nach den enormen Verlusten dringend auffüllen und neu gruppieren mußte. An der Front des Feldmarschalls von Hindenburg erfolgten am 5. Juli an mehreren Stellen russische Teilangriffe, am 6. Juli blutig abgewiesene, mit starken Kräften unternommene Vorstöße ; südlich des Naroczsees und westlich von Smorgon, bot sich im erstam 7. Juli das gleiche Kampfbild . Nach einem verhältnismäßig ruhigen Vormittag hatten am Abend des 7. Juli
genannten Raum
vor der Front des Prinzen Leopold, in dem Abschnitt von Zirin bis südöstlich Gorodiscze, wie beiderseits Darowo, erneute Anstrengungen starker Kräfte eingesetzt , die am 7. Juli fortdauerten, für den Gegner Tausende von Verlusten und Gefangenen brachten, die Schlacht von Baranowiczi aber immer noch
nicht abschlossen ,
da sie
sich am
8. Juli , der den Höhepunkt bildete, mit demselben Erfolg, am 9. Juli auch bei Strobowa, östlich Gorodiscze, wiederholten . Mehr als doppelte Übermacht, Grenadierkorps, IX. , X. , XXV . , XXXV. , III. Kaukasisches, III . Sibirisches, 81. Infanterie- und 11. Sibirische Schützendivision von Reitermassen, die dicht hinter der Front bereitgestellt waren , abgesehen Schlacht keinen Gewinn,
hatten als Ergebnis der
sondern nur eigene,
bei
einer Reihe von
Verbänden bis zu 70 Prozent betragende Verluste heimgebracht .
Bei
der Armee Graf Bothmer blieben am 7. Juli russische Angriffe nordwestlich Buczacz erfolglos. Linsingen am
Südöstlich Luzk errang die Heeresgruppe
7. Juli wieder
einige Vorteile ,
am 8. Juli
schlug sie
an mehreren Stellen, so bei Stobychwa, am Stochod, wütende Vorstöße ab. Am 9. Juli brach der Gegner wieder an zahlreichen Stellen gegen die Stochodlinie, und wurde abgewiesen.
westlich uud südwestlich Luzk,
vor
Bei der Armee Bothmer erfolgten an diesem
Tage nur Patrouillentätigkeit und für uns günstige kleinere Gefechte im Vorgelände.
In der Bukowina ging am gleichen Tage bei Kirlibaba
und Jakobeniy die Initiative an unsere Verbündeten über und erkämpften am 8. Juli Truppen der Armee Pflanzer-Baltin bei Bekaza den Übergang über die Moldawa.
Die Kämpfe bei Kirlibaba hatten
mit großen Mißerfolgen der Russen geendet, die dort sicher nicht unter 10000 Mann einbüßten. Die Zahl der in der ganzen Bukowina vorhandenen Verwundeten wurde auf 50 000, die Gesamteinbuße dort auf 85 000 Mann geschätzt.
Südwestlich Kolomea fühlten an dem-
selben Tage russische Abteilungen auch über Mikuliczyn, auf dem halben Wege zur Paßstraße, vor ; am 9. Juli meldete Letschitzki Raumgewinn in Richtung auf Delatyn.
Er hatte über Zabie zunächst
eine Umfassung gegen den Paß versucht.
Am
11. Juli schlugen
unsere Verbündeten südöstlich Mikuliczyn sieben russische Stürme ab.
Die russische Sommeroffensive.
211
Am 10. Juli am Czeremosz , bei Zabie , 45 Kilometer südlich Kolomea erfolgte ein Abweisen starker russischer Angriffe. Von da ab bis zum oberen Stochod und wieder von Pinsk bis zur Küste dauerte eine Kampfpause an. Vom Standpunkt des 7. Juli einen kurzen Rückblick auf die letztvergangenen Tage werfend , darf man feststellen, daß die opedurch Angriffe auf die rative Entlastung Brussilows Front Prinz Leopold mit Mißerfolg versucht wurde.
Der
Front eingeengte Brussilow richtete wiederholt wütende Vorstöße gegen Kolki und Gegend , um sich durch
in der
das Eindrücken der am Styr stehenden deutschen Linie Luft zu schaffen . Als ihm dies nicht gelang, da auch die verstärkte Nordgruppe Linsingens den Angriff vorgetragen und in der Nacht zum 3. Juli den Gegner zu fluchtartigem Räumen der Brückenkopfstellung auf dem nördlichen Stochodufer, an der Straße Kowel— Luzk gezwungen hatte, holte er weiter nach rechts aus und vermehrte seine Anstrengungen in der Gegend von Rafalowka . Wurde er auch wenige Kilometer westlich Rafalowka gestellt,
wo ,
wie bei
Kolki , die Kämpfe am 7. Juli noch im Gange waren, so hatte doch Brussillow durch sein strategisches Manöver die hart bedrängte und an einigen Stellen schon
zur Rückwärtsbewegung gezwungene Front
entschieden entlastet, da bei der Heeresgruppe Linsingen für die linke Flanke vollkommene Sicherheit bestehen mußte, ehe in der Front DaB wieder alle Kräfte für offensive Zwecke eingesetzt wurden. aber die
Offensive
Brussilows die Erleichterung , die sie
sich durch die Überschreitung der Styrlinie RafalowkaKolki verschafft hatte , nicht ausnutzen konnte , da sie das Festsetzen der Truppen Linsingens am Stochodabschnitt nicht rechtzeitig zu hindern vermochte und dort unüberwindlichen Widerstand hinzugefügt .
fand ,
sei
vorgreifend hier gleich
Gegen die Stochodlinie lief Brussilow,
immer
den Durchbruch
auf Kowel im Auge, bei Cere wiscze, Hulewisze (wo die Russen durch Gegenstoß über ihre Ausgangsstellung hinausgeworfen wurden) , Korsyni und Jahowka, wie beiderseits der Bahn Rowno - Kowel, vergeblich an. Eine Veränderung an der Stochodfront trat am 11. Juli nur insofern ein, als von den russischen Abteilungen, die sich auf dem linken Ufer bei Janowka festzusetzen suchten, nicht ein Mann mehr das rechte Ufer erreichte. Nördlich des Naroczsees wurde wiederum ein Angriff, und westlich Friedrichstadt ein Übergangsversuch über die Düna vereitelt. Beim Zurücknehmen der Truppen, die den Stochodabschnitt bei und abwärts Kolki verteidigt hatten, hinter den 14*
212
Die russische Sommeroffensive .
Stochod, war der Übergang bei Sokul fest in unserer Hand geblieben. Von Sokul verlief die Front über Kaszowka am östlichen Stochodbogen, den
Stochod
abwärts bis
zu
dessen
Einmündung
in
den
Pripjet ; dann südwestlich von Nobel ( 38 km südwestlich Pinsk), den Strumien entlang in den Raum östlich Pinsk, das ein vorspringender Punkt geworden war, von dem über Kobrin der Weg nach BrestLitowsk lief, dem Zentralpunkt der rückwärtigen Verbindungen ; endlich die Jasiolda aufwärts, westlich des Oginskykanals östlich von Sczara und Serwecz, östlich Baranowitschi.
in den Raum Die seit Mitte
Juni ununterbrochen fortgesetzten Massenstürme des rechten Flügels der III. Armee (Lesch),
der als Operationsgebiet der Raum Pinsk—
Kaszowka angewiesen war (nach italienischen Blättern mindestens 10 Infanterie- und 3 Kavalleriedivisionen), sollten die zwischen Stochod und Lipa operierende Armee Kaledine entlasten was durch die Gewinnung der Styrlinie ja auch einigermaßen erfolgte ― und deren nördliche Flanke decken. Nachdem dies gesichert erschien, sehen wir die VIII . Armee auch zu neuen Offensivstößen schreiten. Die Rückverlegung der Front hinter den Stochod (bis
zu
dessen Ein-
mündung in den Pripjet und weiter nördlich , südwestlich Nobel , von woher auch neue
russische Kräfte,
gruppe der Armee Lensch, waren),
der
(zum mindesten
werden mußte ,
anscheinend
oder eine neuformierte,
eine
weitere Stoß-
fühlbar geworden .
aber der Turyaabschnitt) gehalten
um eine Umfassung von Kowel von Norden her
zu verhindern, fand eine Fortsetzung südlich über Sokul bis Boguszowka . Die Frage,
ob
Kowel- Rowno
die Offensivbewegungen Linsingens
südlich der Bahn
noch fortgesetzt werden konnten,
oder neue Gegen-
maßnahmen zu treffen waren, mußte erwogen werden. Südlich der genannten Bahn führte die Front über das scharf umstrittene Kisielin auf Lokaczy weiter.
Am 15. Juli wußte in der Südwestarmee
jeder Soldat , daß Brussilow den Durchbruch über Kowel , das Treiben des Keiles zwischen die verbündeten Heere zum Aufrollen der Flanken und das Brechen der Bahn nach Westen , rücksichtslos 28. Juli
befohlen worden .
Kowel entscheidend
angegriffen
Ferner
werden
um am 7. August spätestens in russischer Hand Ebenso war bekannt,
daß
am
sollte ,
zu
sein.
daß Massentransporte auf den nach Luzk und
Kowel laufenden Bahnen Verstärkungen heranführten , um den eisernen Riegel zu durchschlagen, den Linsingen zwischen Luzk und Kowel geschoben hatte. sichert
Nachdem
erschien , ging
ihre
nördliche Flanke hinreichend ge-
am 15. Juli die Armee Kaledine im Raume
südwestlich Luzk zum Angriff über. etwas gestaffelt,
Auf ihrem linken Flügel folgte,
der rechte Flügel der um 6 Divisionen verstärkten
Die russische Sommeroffensive. Armee Sacharow.
213
Zweitägige heftige Kämpfe zwangen die verbündeten
Truppen des rechten Flügels der Heeresgruppe Linsingen, die in die Linie Bludow - Sklin - Ugrynow - Zlozzewka
gegen die Südwestfront
von Luzk vorgetriebene Verteidigungsfront am 6. Juli hinter die untere Lipa, abwärts von Gorochow, und die Slonowka, in den Raum zurückzunehmen, aus dem Mitte Juni die Offensive begonnen hatte . Die genannte Heeresgruppe hatte von Süden , Westen und Norden die Armee Sacharow und Kaledine im Raume westlich Luzk festzuhalten gehabt. Während im Raume nordwestlich und westlich Luzk am 13. Juli verhältnismäßig Ruhe geherrscht , hatten die Russen im Liniewtal, im Gelände von Sklin,
mit außer-
ordentlich starken Kräften einen Gegenstoß angesetzt, wobei es ihnen gelang, die gegenüberliegende Front etwa 10-12 km, bis in den Raum östlich Gorochow, an der oberen Lipa, zurückzudrängen . Ein rasch eingesetzter Gegenstoß deutscher Truppen, lich Luzk kämpfenden Abteilungen
durch den die süd-
in ihrer Westflanke vor unlieb-
samen Überraschungen geschützt wurden, machte es diesem möglich , die zur Aufrechterhaltung der einheitlichen Front angeordneten neuen Stellungen hinter der unteren neuen Widerstand zu leisten.
Lipa
einzunehmen und
dort sofort
Auch die Mitte der Armee Sacharow war am 15. Juli zum Angriff angetreten
und hatte
an diesem Tage südlich
des Placzewka-
abschnittes Vorteile gewonnen, während bei Radziwillow und im Raum Nw . Poczajew ein Fortschritt nicht eintrat. Liest man die Tagesberichte unserer Verbündeten und die unserer Obersten Heeresleitung vom 13. bis 15. Juli bei der Armee Bothmer an der Hand der Karte, so findet man, daß sich am 12. Juli westlich und nordwestlich Buczacz schwere Kämpfe abspielten , daß starke feindliche Sturmkolonnen schon an den Hindernissen niedergebrochen waren und daß bei und nördlich Olesza andere, die in die erste Linie eingedrungen waren,
durch Gegenstoß hinausgeworfen wurden ,
daß endlich am 13. mit zwischen Strypa
und
einer örtlichen Verschiebung sich das Bild
und Koropiecbach,
wie bei Olesza wiederholte ,
so
daß sämtliche Angriffe der stark aufgeriebenen Russen Schlappen geworden waren und Bothmer einmal wieder nordwestlich Busczacz Luft geschafft hatte .
Der vierte wiederholte russische Versuch,
Mitte durch wuchtige Massenangriffe
zum Wanken zu bringen ,
die war
am 13. gescheitert ; Hauptziel dabei waren einmal wieder die Stellungen auf den Höhen westlich und nordwestlich Buszacz,
die die längs der
Strypa laufende , bis in das Gelände von Wisniewczyk reichende Front mit dem an den Koropickbach Von der
zurückgenommenen Teil verbanden .
starken Blutsaat ernteten die Russen nur Mißerfolge.
Die
214
Die russische Sommeroffensive .
Koropieclinie auf die Dauer zu halten,
war aber selbst für Bothmer
eine kaum lösbare Aufgabe, wenn nicht südlich eine Erleichterung eintrat und im Raume Kolomea- Nadworna der Durchbruch auf Stanislau mit der denkbar größten Zähigkeit abgewehrt wurde. Am Stochod waren am 12. schon russische Angriffe beiderseits der Bahn Kowel - Sarny abgeschlagen , am 13. feindliche Abteilungen , die sich auf dem linken Ufer nördlich der genannten Bahn eingenistet hatten, bei Zarecze geworfen und größtenteils gefangen genommen worden.
Vor der Front Prinz Leopold wurde
am 14. Juli der von
den Russen seit dem 3. noch besessene Teil der Stellung bei Strobowa wiedergenommen, vor der Front Hindenburg russische versuche bei Lennewaden vereitelt. Am 15. erfolgten
Übergangsvergebliche
Versuche der Russen, den in der Gegend von Strobowa von uns gewonnenen Boden wiederzunehmen . Diese Phase schweren
der Schlacht von Baranowitschi schloß mit einer
Niederlage
der
Russen,
die,
nach
mindestens 9 Divisionen eingesetzt, und deren
Gefangenenaussagen , hinter der Front zur
Vollendung des „ sicheren “ Durchbruchs bereitgestellte Reitermassen keine Betätigung gefunden hatten . Verstärktes Artilleriefeuer westlich und
südlich
Riga leitete
an der
russische Unternehmungen ein ,
Dünafront am
16.
Juli größere
ihm folgten am 17. starke,
aber zu-
sammenbrechende Angriffe südlich und südwestlich Riga , deren völliges Mißglücken der folgende Tag trotz bedeutender Verstärkungen besiegelte . Am entgegengesetzten Flügel waren am 14. Juli Abweisen russischer Angriffe südwestlich Moldawa, am 16. an der Höhe Capul , am 17. wieder östlich, südlich und südwestlich Moldawa, dann bei Zabie und Tatarow, am 18. abermals südwestlich Moldawa (zusammenfassend darf man wohl die „ neue Karpathenschlacht " sagen) , zu verzeichnen . Ein Unterbrechen des Zusammenhangs der ganzen Front war den Russen
bis dahin nicht gelungen ,
die Stochodüber-
gänge nicht erkämpft, das Ringen zwischen dem Unterlauf von Styr und Stochod war
ein heftiges und
außerordentlich
blutiges.
Die
Übergänge von Borowno, Stobychwa, Hulewicze und Janowka stellten besonders
Brennpunkte
dar.
Die Unternehmungen,
zu
denen das
russische Südwestheer (obwohl 99 Times " am 14. Juli geschrieben hatte, das russische Heer stehe still,
es sei wieder Schützengrabenkrieg) am
15. Juli wieder geschritten war, hatten bis zum 19. Juli noch keine merkbaren Erfolge
erzielt.
Die
Kampflinie
in Wolhynien lief am
17. Juli den Stochod entlang bis Kisielin und führte östlich TurczynSwiniacze - Gorochow (am 19. Juli schon 10 km süd- und nordwestlich
von Gorochow,
Truppen
die
Linie
da
nach Tagesbericht vom
Tereskowicze - Jelizarow
20. Juli
wieder
deutsche
eingenommen
215
Die russische Sommeroffensive.
hatten), Lopaczewka zum Oberlauf des Styr und zur Placzewka, wo sie sich der galizischen Grenze näherte, hinter der sie sich bei Radziwilow in der Richtung auf Zaloscze fortzog . von Zaloscze bis
zum Dnjestr
Das Zentrum der Südfront
wurde immer noch von Teilen
der
Armeen Böhm-Ermolli und Bothmer (der am 14. die Armee Tscherbatschew bei Buczacz nachdrücklich abgewiesen hatte), gehalten. „Zwischen Dnjestr und Pruth und in der Bukowina hat
sich der
österreichische Gegendruck
noch in
behauptet .
Die Russen stehen
Kämpfen östlich der Woronia und um Delatyn und sind in der Südbukowina zum Teil auf die Moldawa zurückgegangen . Bemerkenswert bleibt indes, daß sie nun bei Mikuliczyn weiter südlich ausgegriffen und Tatarow erreicht haben, wo die Paßstraße nach Jablonika , die sich von der Bahnlinie scheidet , schlägt,
welche über Worochta einen Haken
um sich bei Körösmezö wieder mit der Bahn zu vereinigen.
„Es ist also in diesem wichtigen Operationsraum noch keine Entscheidung gefallen " , schrieb der „ Bund “. Und weiter : „ Auch im mittleren Frontabschnitt des Ostens ist,
trotz der schweren Kämpfe
bei Baranowitschi , noch keine Entscheidung erfolgt, wenn man nicht (wozu man bei dem Umfang des Einsatzes, der Häufigkeit und Heftigkeit der Anläufe mit schwersten Verlusten, unserer Ansicht nach, wenigstens im lokalen Sinne, voll berechtigt
war) das Scheitern der
russischen Angriffsversuche am Serweczabschnitt als solche betrachten will .
Selbst Pinsk (obgleich als Brechpunkt scharf vorspringend) , ist
in deutschem Besitz geblieben und der Abschnitt am Oginskykanal unerschüttert. Das erklärt sich zum Teil aus der Stärke der deutschen Defensive, zum Teil aber auch aus dem Abmarsch der starken russischen Kräfte, die gegen den linken Flügel Linsingens eingesetzt worden sind. Die Russen melden am 14. Gefechte am Naroczsee, am 15 . schwere Nachtgefechte bei Baranowitschi , lassen aber erkennen , daß diese an Bedeutung weit hinter den Kämpfen am Stochod bleiben .
zurück-
Die Heeresgruppe Kuropatkin hat mit ihrem rechten Flügel
vermutlich sind das einige Divisionen Gorbatkowkys
angegriffen .
Doch ist auch dies mehr als eine Entlastung zu betrachten . ( Es gehörte zu dem Abtasten der Front nach schwachen Stellen , hat auf russischer Seite
aber
doch den Stempel des Vorfühlens mit Massen
getragen, so daß man sich fragen darf, ob nicht doch eine operative Absicht,
auf Mitau
Bahn, bestand.)
und
die für uns
als Operationsbasis dienenden
Die Front Hindenburgs ist unerschüttert, die Prinz
Leopolds wieder hergestellt. " Der Heeresgruppe Linsingen den war,
wie wir
schon gesehen,
linken Flügel
abzugewinnen ,
Brussilow nicht gelungen,
und zwar ,
weil das Zurücknehmen der Truppen hinter den Stochod
rechtzeitig
216
Die russische Sommeroffensive.
erfolgte und die Armee Lesch, bzw. deren nördliche Stoßgruppe, immer wieder auf neue, zäh haltende Fronten traf, so daß ein Zurücknehmen dieses
Flügels Linsingens
nicht notwendig wurde. sich (so schrieb
in die
„ Zu Beginn
der
Linie
Kowel - Mariampol
dritten Juliwoche lassen
man im „ Die russische Sommeroffensive 1916 “ aus
dem Großen Hauptquartier) die Vorboten des ersten allgemeinen Angriffs auf Kowel bereits deutlich erkennen. " Um die Stochodübergänge und die Entwickelung auf dessen linkem Ufer führte die III. Armee, Lesch, Schulter an Schulter mit der VIII. Armee , Kaledine, einen schweren Kampf.
Ein Vorstoß des rechten Flügels Linsingen
hatte das Zurücknehmen der verbündeten Truppen hinter die Lipa möglich gemacht, indem er die nachdrängenden Russen in der rechten Flanke
faßte,
dadurch den Österreichern
ein
allmähliches Abbauen
gestattete , so daß eine Berichtigung der Front eintrat . Schwerpunkt
ergab sich bald
durch den
Ein weiterer
starken Druck aus
dem
Raum zwischen der unteren Lipa und der Gegend nördlich Brody, wo die aus dem Raum Kremieniec vorstoßende Armee Sacharow ihr Gewicht südlich der Lipa geltend zu machen begann . sich eine Reihe schwerer Kämpfe .
die
Daraus ergab
Fassen wir, vom rechten Flügel unserer Verbündeten beginnend, Geschehnisse in der Zeit vom 19. bis 25. Juli zusammen , so
haben wir zu verzeichnen : Am 19. Juli in der Bukowina und nordöstlich des Prislopsattels - die Höhen nördlich von diesem wurden gesäubert keine besonderen Ereignisse ; bei Zabie und Tatarow anhaltende Kampftätigkeit, die auch am 20. fortdauerte, während an demselben Tage auf der Höhe von Capul russische Vorstöße, wie bei Jamma , südwestlich Delatyn , abgeschlagen wurden.
ebenso Am 21 .
dasselbe Bild bei Tatarow, Wiedergewinn der vom Gegner vorübergehend besetzten Höhe von Magura .
Da
am 22. Juli
aber südöst-
lich Tatarow ein starker russischer Vorstoß drohte, erfolgte das Zurücknehmen der auf der Magura kämpfenden Truppen gegen den Karpathen - Hauptkamm.
Am 23.
wiederum
Abschlagen
Stürme auf der Höhe nördlich des Prislopsattels .
russischer
An der galizischen
Front nördlich des Dnjestr brachte der 19. Juli nur Vorpostengefechte und im Mündungswinkel der Lipa sehr
nachhaltige Artillerievorberei-
tung, welcher am 20. starke Angriffe folgten .
Nachdem bei Werben
am Styr und Korsow mehrfach russische Stöße
abgefangen
worden
waren, erschien es vor drohendem umfassenden Angriff doch geboten , den nach Werben vorspringenden Bogen in die Gegend von Beresteczko zurückzunehmen, was, unter Abwehr des nachdrängenden Gegners , bis südwestlich Beresteczko am 21. Juli eingeleitet wurde. Am 20. Juli hatten sich russische Massen aus dem Raume südwestlich Luzk, un-
Die russische Sommeroffensive. gefähr
aus
217
der Gegend Sklin - Ugrynow- Ulgowka - Złoczewka , zum
Stoße gegen die Lipafront in Bewegung und nach zweitägiger Artillerievorbereitung überlegene Massen in tiefen Kolonnen im Mündungswinkel der Lipa und im Styrgebiet, im Raume östlich Werben , zum Angriff angesetzt . lungen,
Unter ungeheuren Opfern war es den Russen ge-
das gegenüberliegende Ufer zu erreichen,
bei Werben bald aufgefangen worden .
der Stoß war aber
Am 23. erfolgten nördlich des
Dnjestr nächtliche Überfälle der Vortruppen und südlich Vereitelung feindlicher Annäherung durch Artilleriefeuer, dem ein westlich Olatyn am 24. Juli angesetzter feindlicher Angriff erlag. Bei der Armee Bothmer fanden am 25. nur kleine Gefechte östlich des Koropiecabschnitts statt. Am 19. warfen österreichische Truppen bei der Heeresgruppe Linsingen im Stochodknie die Russen Linien und wurden gemeine Linie
aus ihren ersten
deutsche Truppen südwestlich Luzk in
Tereskowicze - Jelizarow vorgeschoben.
die
all-
Am gleichen
Tage steigerte der Feind an der unteren Lipa und bei Werben sein Feuer ; am 21. wird das Zurücknehmen aus dem bei Werben vorspringenden Bogen vor einem erwarteten
umfassenden Angriff ein-
geleitet , am 22. Übergangsversuche der Russen aus einer weiter südwestlich gelegenen Linie, südwestlich Beresteczko (Zahatka), verhindert und werden nordwestlich Beresteczko geschlagen.
starke
russische Angriffe
ab-
Am 24. konnten russische Abteilungen südlich Beresteczko
in die erste Verteidigungslinie an der Slonowka eindringen . wurden die
verbündeten
Truppen
südlich von
Leszniow
Am 25. von
der
Slonowka vor überlegenem Druck des auf dem rechten Styrufer vorgegangenen östlichen Flügels der um 3 Korps verstärkten Armee Sacharow
(deren Ziel Lemberg war), hinter den
zurückgenommen .
Boldurkaabschnitt
Die russische Heeresleitung hielt damit den Augen-
blick für die Durchführung des Angriffs auch über Brody für gekommen und setzte besonders Massen beiderseits der Straße LeszniowBrody, zwischen Sestratyn und der oberen Boldurka, dazu ein. Weiter südlich, beiderseits von Radziwillow, gewann der Gegner trotz heftiger Massenangriffe nur wenig Boden, sah er sich abgewiesen, der
nordwestlich Beresteczko
Vor der Front des Prinzen Leopold schwoll
Kampf, unter Einsatz
von 3 Divisionen
32. Division des III . kaukasischen Armeekorps),
(XXXV . Armeekorps, am 25. abends und
in der Nacht östlich und südöstlich von Gorodisze , bei Strobowa auf 3 km Front, zu scheitern,
was
aber
besonders
wieder zur Höhe an, um
eine Wiederholung an anderen ( 26. ),
wieder derselben Stelle ( 27.) mit frisch aufgefüllten , neuen Verbänden bei der russischen Zähigkeit
auch
abermals dann
beziehungsweise
doch nicht ausschloß. (Schluß folgt. )
218
Hundert Jahre Generalkommando in Posen.
XXI .
Hundert Jahre
Generalkommando
in
Posen.
Von Redakteur Hugo Sommer (Posen). (Schluß. )
Grolmans Nachfolger wurde gleichfalls ein Offizier der alten Schule , der sich durch Umsicht und Schneid während des Rückzuges der Trümmer des preußischen Heeres nach der Weichsel im Jahre 1806 besonders hervorgetan hatte ; es war der Generalleutnant Friedrich August Peter von Colomb. C. war am 19. Juli 1775 in Aurich geboren, Leibhusarenregiment Nr. 2 von Eben ein,
trat 1792 in das
focht 1806 als Leutnant
unter seinem Schwager v . Blücher in Thüringen , meister, war 1813 Führer eines Streifkorps im
wurde 1811 RittRücken der Fran-
zosen, wurde am 6. August dess. J. Major und 1815 Kommandeur des
neugebildeten 8. Husarenregiments .
Am 3. Oktober 1815 stieg
er zum Oberstleutnant, am 10. September 1818 zum Obersten auf, wurde 1823 zum Chef der Ersten Abteilung für Armeeangelegenheiten im Kriegsministerium ernannt und am 30. März 1829 zum Generalmajor und Kommandeur der 12. Kavalleriebrigade befördert. Er wurde 1838 interimistisch zum 1. Kommandanten von Cöln ernannt, am 31. März 1839 zum Generalleutnant und Kommandeur der 15. Division in Köln befördert, am 9. Mai 1840 daneben wiederum zum interimistischen 1. Kommandanten von Cöln und im Oktober 1841 zum Kommandanten von Berlin sowie Chef der gesamten Landgendarmerie ernannt . Unterm
21. September 1843
erhielt
C. seine Ernennung zum
kommandierenden General des V. Armeekorps und wurde in Posen im Jahre 1846 zum Chef des damals hier stehenden 7. Husarenregiments ernannt . ausgezeichnet,
Er hatte
sich in den Kriegen
er war ein vorzüglicher Reiter,
gegen Napoleon
. aber der Revolution
gegenüber ohne die notwendige Energie " , so urteilt Kunz¹ ) über ihn . Wenn er nämlich beim Ausbruch der Revolution in Posen im Jahre 1848 " gleich am 20. März die Provinz in Belagerungszustand erklärt und das Nationalkomitee festgenommen hätte, unter Androhung so-
1899.
1 ) Die kriegerischen Ereignisse im Großherzogtum Posen. Mittler u . Sohn .
Berlin
Hundert Jahre Generalkommando in Posen.
219
fortiger Beschießung der Stadt Posen , sobald sich die mindeste Unordnung offenbare, keine Maus hätte sich in Posen gerührt . Das Gepräge der doppelten Gefahr, dem Könige zu mißfallen und der Revolution in Posen energisch entgegenzutreten , spiegelte sich in dem Benehmen der höchstgestellten Persönlichkeiten überall wieder. " Die Schuld an dieser Unentschlossenheit des Generals trug der Wille des Königs , der die Behörden angewiesen hatte, bis dahin nicht gekannten warmherzigen
mit einer für Preußen Polenfreundlichkeit“
vor-
zugehen. Colomb würde zweifellos viel Tatkraft bewiesen haben , wenn er den höheren Befehl dazu erhalten hätte ; allein anstatt das unverrückbare Ziel Preußens, auf das Grolman gemeinsam mit Flottwell hingearbeitet hatte, auch jetzt nach den Erfahrungen des Jahres 1846 gerade
schärfer im Auge zu
größte Milde gepredigt. "
behalten,
wurde ,, von Berlin
Daher kam es, daß
aus die
sich General v. Colomb
ganz ebenso wie der Stadtkommandant und Kommandeur der 10. Division, Frhr . v. Steinäcker, zum Temporisieren verleiten" ließen. Bei dem ersteren ist in allen seinen Handlungen jene gleichmäßige Ruhe und Vornehmheit gegenüber
den
zu
erkennen,
polnischen
Colomb ,,war ein Gegner
wo
immer
bewahrt
haben ".
aller kleinlichen Polizeischikanen ", urteilt
Hans Schmidt¹) , es behagte ihm folgen ,
die ,,auch Gneisenau und Grolman
Verhältnissen
er sich stark genug
nicht, zu inquirieren fühlte,
oder zu ver-
die gesammelte Revolution
durch den starken Arm seines Heeres niederzuschlagen und damit auf einmal zu vernichten. " Diese abwartende Taktik des Generals hatten die Polen wohl bemerkt, und Koźmian 2) vermutete ganz richtig, wenn er sagt : Colomb
ist nur Soldat ;
als Beamter ist er
geneigt,
sich besonnen zu verhalten und seine Untergebenen zu zügeln ,
aber
Kompromisse versteht er nicht." Jedenfalls war der General auf die Sicherung der Stadt Posen bedacht,
indem er einmal die Hochburg der Polen , den Bazar,
be-
setzen ließ,,, um aller Welt zu zeigen, wer der Herr in Posen sei" , und indem später ,,die Festung am 3. April als im Belagerungszustand befindlich erklärt" wurde. Weiter ließ er die Reservisten und Landwehrleute einberufen , um ,,die Empörung im Keime zu ersticken ", und schickte am 22. März den Obersten v. Brandt nach Berlin zum Kriegsminister, erwirken .
Am 31. März
von dem Oberpräsidenten
um sich die Vollmacht erließ
er
zum Handeln zu
eine Proklamation ,
mitunterschrieben war,
die
auch
an das Landvolk ,
¹ ) Die polnische Revolution des Jahres 1848 im Großherzogtum Posen. S. 127 u . ff. Weimar 1912. Duncker . 2) Stan rzeczy w Wielkiem Ksiestwie Poznanskiem . S. 78. Poznan 1848.
220
Hundert Jahre Generalkommando in Posen .
worin er dieses zur Niederlegung der Waffen Aufnahme der heimatlichen Arbeit ermahnte. Truppen beisammen hatte,
säuberte er die Stadt Posen am 3. April
von allen polnischen Truppen . dem
Obersten
aufforderte und zur Als er sodann alle
Denn
nachdem
v. Brandt gesagt hatte :
der
Kriegsminister
Warum ist der
General
v. Colomb nicht längst darunter gefahren ? Erhebt sich die Stadt , so mag er sie bombardieren lassen ", da beschloß er auch den Angriff gegen das Hauptlager der Insurgenten bei Schroda .
Die Be-
satzung der Festung Posen hatte eine außerordentlich schwierige Aufgabe ; aber sie löste diese Aufgabe mit einer Hingebung, mit einer Mäßigung, welche die Bewunderung und das höchste Lob verdienen “ , so
schrieb der damalige Generalstabsmajor
3. April forderte Colomb in
einem
v . Voigts- Rhetz¹ ) .
Am
Schreiben den Erzbischof
Przyluski auf,,,zum Werke des Friedens mitzuwirken " ,
da er zu-
verlässige Nachrichten erhalten habe, denen zufolge ,,nicht nur an vielen Orten in der Provinz, sondern vor allem in Posen in den Kirchen Predigten gehalten " würden , aufreizten und
die die
polnischen Einwohner
zu den bedauerlichsten Konsequenzen führen “ könnten .
Der General ersuchte daher den Erzbischof ,,dringend, diesen aufregenden Predigten amtlich entgegenzutreten und nach Kräften dahin zu wirken" , daß alle Aufregung vermieden werde .
Mit Recht nämlich
mußte der General befürchten, daß ,,die Insurrektion sich in einen Rassen- und Religionskrieg verwandeln" werde . Der Erzbischof würdigte den General keiner Antwort , benutzte vielmehr seinen Hirtenbrief vom 21. April zu einer Aufreizung der Geistlichkeit und nahm somit eine andere Stellung als sein Vorgänger Dunin ein. war auch gar nicht anders von ihm zu erwarten, am 20. März ,
als Colomb
ihn
Dies
nachdem er schon
persönlich aufgesucht und ihn zur
friedlichen Einwirkung auf das Volk aufgefordert hatte, keine bindende Zusage gemacht, sondern eine ,,die
seiner Politik den
kluge Zurückhaltung" bewahrt hatte ,
weitesten Spielraum
für die Zukunft offen
ließ ; wie er denn überhaupt der Meister im diplomatischen Ränkespiel seiner Partei war. “ Der General sagte infolge der Zwecklosigkeit
seines
Schrittes
mit
bitterer Ironie :
möchte man noch um Verzeihung bitten , laubt, Revolution zu machen ."
daß man
,,Die
Herren
ihnen nicht er-
Wenn der General auch trotz dieses Mißerfolges nicht sofort von seiner
abwartenden Taktik absah,
ihm in ,,seiner Bescheidenheit
1848.
so lag der Grund darin,
offenbar peinlich war,
daß es
in ein fremdes
1) Aktenmäßige Darstellung der Polnischen Insurrektion im Jahre Posen 1848. Decker & Comp.
221
Hundert Jahre Generalkommando in Posen.
Ressort einzugreifen" , sowie daß es ihm an der frischen Entschlossenheit ermangelte, die seinem Vorgänger Grolman eigen gewesen war , um ,,die Ruhe und Ordnung in der Provinz
Posen durch strenge
Maßregeln" aufrecht zu erhalten. Seine Mäßigung wurde von den Führern der Insurrektion als ein Zeichen der Schwäche gedeutet und zur Täuschung ihrer betörten Landsleute in schmählicher Weise ausgenutzt ; denn die Polen ,
die die inneren Gründe für das Verhalten
des Generals nicht kannten, sahen ihn vielfach ganz irrtümlicherweise für ihren geheimen Gönner an¹). des kommandierenden Generals
Lähmend auf die Entschließungen mußte schließlich ja auch
das Auf-
treten des Generals v. Willisen wirken , der als von Berlin entsandter Spezialkommissar in seinen ersten Tagen als eine Art von Diktator auftrat und damit dem Aufruhr Vorschub leistete, indem er mit der größten Mühe den General von Colomb dazu bewog, von seinem Angriff auf Schroda Auseinandergehen
abzustehen
und den Polen drei Tage Frist
zu verstatten .
So gingen die Tage
zum
vom 7. bis
10. April nutzlos verloren ; denn erst am 11. begann Colomb zu handeln und erließ eine Proklamation , in der er u . a. erklärte : ,,Die neueste
polnische Schilderhebung ist der
ins Leben getretene
Entwurf der Verschwörung ... Ich werde deshalb von jetzt ab vollen Gebrauch von der Gewalt machen, die mir anvertraut ist zum Wohle des Ganzen . . . Wenn das Land vor gänzlicher Anarchie bewahrt werden • . soll, so müssen die an verschiedenen Punkten in der Provinz vereinigten Banden zerstreut , der gesetzliche Zustand mit aller Energie wieder herbeigeführt werden." Und am gleichen Tage zeigte der General, daß er leider zu spät
von seinem
bisherigen Temporisieren
abgekommen
sei und
den Rebellen gegenüber tatkräftig vorgehen wolle , indem er beim Vormarsch gegen Schroda den Soldaten eines Bataillons zurief: ,, Die Polen haben uns lange genug an der Nase herumgezogen, jetzt wollen wir ihnen die Wege weisen. "
Nach der Niederwerfung des Aufstandes
wurde Colomb am 10. Juni als Gouverneur nach Königsberg versetzt, am 7. Juli 1849 aber mit dem Charakter als General der Kavallerie zur Verfügung gestellt,
da das
dortige Gouvernement als
Behörde aufgelöst wurde . Er starb am 12. November 1854 zu Berlin. Nach ihm benannt wurde am 26. März 1864 das Fort zwischen dem späteren Ritter- und dem Berliner Tore ; trägt das
Außenfort Nr. VII
seit dem Jahre 1902 aber
seinen Namen .
Der Geschichte
wird
es schwer, eine Charakteristik dieses Generals herauszuarbeiten , weil 1 ) Vgl . Lipski, Beiträge zur Beurteilung der Ereignisse im Großherzogtum Posen im Jahre 1848 , Heft 1 , S. 80, Berlin 1848 , und Rakowski , Powstanie Poznanskie w 1848 r, S. 66 Anhang. Lemberg 1900.
222
Hundert Jahre Generalkommando in Posen.
,,der Parteien Gunst und Haß
deren Überlieferung
zu sehr
gefärbt
hat und gerade gegen diesen Mann ,, Deutsche und Polen in gleicher Weise gewütet " haben.
Colomb hat jedenfalls, wo ,,immer er handelte
und handeln mußte, groß und auch großmütig gehandelt und nie die Pflicht seines Amtes überschritten" , und in dem Augenblicke , als er zum Schlage ausholte, warf sich ihm Willisen in den Weg und brachte nicht bloß
alles
zum Stillstand,
sondern überhaupt
zum Scheitern.
Er hatte auch die Genugtuung, den Erzbischof zu demütigen . Letzterem war nämlich der Auftrag zugefallen , noch einen weiteren Tag Frist vor dem Losschlagen gegen die Aufrührer zu erbitten, man zu seiner
gewiß sehr geringen Erbauung" ihn für
schickt erachtet hatte.
da
hierzu ge-
Trotz seines Bewußtseins ,,priesterlicher Voll-
kommenheit mag er doch etwas beklommen vor der Türe des Generals. gestanden" haben , dessen schon erwähnten Brief er acht Tage früher schweigend ad acta gelegt hatte¹ ) . guter Laune,
wie
Er fand
nämlich Colomb bei so
Schadenfreude hervorzubringen vermag. Er geWas kam es dem General jetzt auf einen Tag mehr an ?
währte ihn also umfangreiches
nur die
dem bittenden Erzbischof,
erließ aber sogleich sein
Manifest und bestieg sodann sein Pferd,
um
seinen
Truppen auf ihrem Marsche nach Schroda das Geleit zu geben . Noch eines Vorfalls sei hier gedacht. einem Augenzeugen berichten :
Wuttke 2 ) läßt sich von
„ Um noch die Sicherheit der preußi-
schen Gewalt an den Tag zu legen , reitet der in Posen befehligende General von Colomb mit Gefolge durch die Wilhelmstraße ; da reicht ihm von einem Balkon die schöne Gräfin Szarnicki (richtig Czarniecka ! ) die rot-weiße Kokarde mit den Worten : Tenez mon général ; den Kopf schüttelnd , reitet Colomb weiter, sie tritt zurück : ein Steinhagel fliegt auf die Reiter - am nächsten Balkon steckt der preußische Heeresbefehliger das polnische Abzeichen unter schallendem Jubelruf Diesen Bericht schreibt Chr. Meyer³) , ohne die Quelle
der Polen an."
zu nennen , kritiklos ab und macht sogar General zum Stadtkommandanten von Posen. lich eine
den kommandierenden In Wahrheit hat näm-
polnische Dame, so berichtet Brandt,
einen
Unteroffizier,
der eine reitende Patrouille von vier Mann führte, aus einem Fenster eine Handvoll Kokarden zugeworfen, die dieser teilweise auffing , dankte und sodann eine davon am Schwanzriemen seines Pferdes befestigte.
Aus diesem Vorgange hat Wuttke seine Erzählung gemacht ;
der Steinhagel ist
auch seine Erfindung.
In
solcher Weise
wurde
¹ ) Juncker v. Ober-Coureuth, Im Polenaufruhr 1846-1848, Gotha 1898. 2) Städtebuch des Landes Posen, S. 238 . Leipzig 1877. 3) Geschichte des Landes Posen, S. 417. Posen 1881 .
S. 155.
223
Hundert Jahre Generalkommando in Posen . Colomb beschuldigt, schwieg aber in seiner vornehmen Art dazu , daß sein Andenken bis in die neueste Zeit hinein entstellt blieb.
Tatsächlich mußte er
so
nur deshalb aus seiner Stellung in Posen
scheiden, weil er der besonders
schwierigen Aufgabe sich nicht ge-
wachsen gezeigt hatte und nur „bei Wünschen stehen " blieb , wo er einen Willen hätte haben müssen . Er erhielt als Nachfolger wieder einen Offizier aus dem alten Heere, den Generalleutnant Friedrich Wilhelm von Brünneck. B. war am 12. Februar 1785 in Preußen geboren , trat im April 1801 als Gefreiter-Korporal ins Regiment Garde Nr. 15, wurde am 13. Juni 1802 Fähnrich und am 7. März 1805 Leutnant ; im Jahre 1806 stand er als Adjutant beim Grenadierbataillon Garde und war vom November 1806 bis 26. April 1807 inaktiv, worauf er dem Dragonerregiment v. Zieten zugeteilt wurde . Im folgenden Jahre kam er zum 1. Garderegiment z . F. , ward am 24. Dezember 1810 Oberleutnant und Adjutant beim
schon
am
22. August
General v. Blücher.
1811
Ende des
Stabskapitän Jahres kam
und
er
als einstweiliger Adjutant zum General von Tauentzien , im April 1812 in gleicher Eigenschaft zum Generalgouverneur von Schlesien, dem Generalfeldmarschall v. Kalkreuth, und wurde am 30. Juni 1813 Kapitän sowie abermals Adjutant Blüchers. Am 1. Mai 1814 wurde er zum Major und am 2. November 1815 zum Oberstleutnant befördert, im Januar 1816 dem 13. Infanterieregiment aggregiert, 1817 als Bataillonskommandeur ins 4. Infanterieregiment versetzt, 1822 zum
Kommandeur des 32. Infanterieregiments ernannt und am 30. März 1823 zum Obersten befördert. Neun Jahre später erhielt
er das Kommando der
13. Landwehrbrigade, wurde am 30. März 1834 zum Generalmajor und Kommandeur der 1. Infanteriebrigade sowie am 20. März 1839 zum 1. Kommandanten von Cöln ernannt. Am 30. März 1840 wurde er Kommandeur der 3. Division in Stettin und als solcher unterm 7. April 1842 zum Generalleutnant befördert . Am nämlichen Tage,
an dem Colomb nach Königsberg versetzt
wurde, erhielt General v. Brünneck seine Ernennung zum kommandierenden General in Posen. Er war von anderem Schrot und Korn als sein Vorgänger
und riß auch den Oberpräsidenten v. Beurmann
mit fort, dem „der bewaffneten Revolution gegenüber , gegen welche man nichts mit Edelsinn des Herzens und des Charakters vermochte , der scharfe Blick und jene unerbittliche Besonnenheit, um die Gefahr zu beherrschen " ,
fehlten .
Vielleicht hatte
er auch nicht
den ge-
nügenden Rückhalt an Colomb gefunden ; denn er war eine schüchterne Natur,
die sich "9 vor der Pflicht der Verantwortung" sträubte,
und
224
Hundert Jahre Generalkommando in Posen .
zeigte sich froh,
als endlich Willisen diese ganz auf seine Schultern
genommen hatte. Er war zwar unermüdlich für die Erhaltung des Friedens tätig gewesen, besaß aber weder bei Deutschen noch Polen das Ansehen, um die Zivilgewalt in jenen Revolutionstagen retten zu können. Beide Männer, Brünneck und Beurmann , erstatteten unterm 17. Oktober 1848 gemeinsam einen Bericht, in dem sie erklärten : „Die (polnischen ! ) unschuldigsten und ihrer Absicht nach nur auf das Wohl der Bevölkerung berechneten Vereine zu feindlichen Agitationen benutzt worden. "
sind stets als Mittel
Auf alle Fälle hielt der General einstweilen den seit dem 3. April in Posen bestehenden Belagerungszustand aufrecht, wozu ihm ja die Instruktion vom Oktober 1816
vollkommen Freiheit gab,
ständige Stellung einzunehmen ,
bis Ruhe und
waren und Preußen eine Verfassung erhalten hatte. durch sein tatkräftiges Auftreten,
eine selb-
Ordnung eingekehrt Er
erreichte
daß die Polen seitdem die Provinz
Posen nicht mehr als den in erster Linie geeigneten Schauplatz für demagogische Umtriebe ansahen . Auch wußte er es gemeinsam mit dem Oberpräsidenten durchzusetzen, daß die gegen Ende des Jahres 1848 begründete „ Polnische Liga " für die Provinz Posen und Westpreußen im Jahre 1851 als Verein zu unerlaubten politischen Zwecken durch
richterliches Erkenntnis aufgelöst wurde .
Am 12. Juni 1851
wurde dem General unter Verleihung des Charakters als General der Infanterie der erbetene Abschied mit Pension bewilligt ; er starb am 6. März 1859. Seinen Namen erhielt im Jahre 1864 das Reduit des Forts II zwischen Wilda- und Eichwaldtor ; seit dem Jahre 1902 ist er auf das Außenfort IX übergegangen, womit sein Andenken für die Nachwelt aufrechterhalten wird. Professor
Bernhard ') schreibt :
„ Es
war
den
Polen durchaus
nicht deutlich vor Augen geführt worden, daß sie auf eine Verwirklichung ihrer Bestrebungen nicht rechnen könnten , und so blieb nach 1850 eine Revolutionsstimmung zurück , die auf günstige Gelegenheit wartete. " Es begann eine Zeit, in der die Polen noch keinerlei eigene Organisation besaßen und ihre Klagen
vor dem Forum des
Landtags vorbrachten, so daß der folgende kommandierende General, Generalleutnant
Wilhelm Ferdinand Joseph von Tietzen u. Hennig, der
am
4. November
1851
seine
Posener
Dienststellung
erhielt,
weniger in den politischen Vordergrund trat . Dieser General war im Jahre 1785 im damaligen Kurfürstentum Sachsen geboren, 1800 als Standartenjunker ins Sächsische Regiment ¹ ) Die Polenfrage, S. 52.
Leipzig 1907 .
225
Hundert Jahre Generalkommando in Posen. Garde du Corps eingetreten , 1804 Unterleutnant, und 1810 Rittmeister geworden.
1806 Oberleutnant
Am 5. September 1815
wurde er
als Major mit Patent vom 9. August 1814 in das preußische Heer übernommen und bei der Kavallerie des Obersächsischen Landwehrregiments
angestellt ,
am 19. Mai 1818 dem Garde-Husarenregiment
aggregiert und am 17. Februar 1822 zum etatsmäßigen Stabsoffizier im 2. Leibhusarenregiment ernannt, womit er in den Bereich des V. Armeekorps kam. 1828
zum
1825 wurde
Kommandeur des
30. März 1830 zum Oberst
1.
er zum Oberstleutnant befördert , Dragonerregiments
befördert und 1836
ernannt,
am
zum Kommandeur
der 6. Kavalleriebrigade ernannt Ein Jahr später erlangte er den Dienstgrad als Generalmajor, wurde 1844 Kommandeur der 13. Division und am 22. März 1845 zum Generalleutnant befördert. Als solcher wurde er an die Spitze des V. Armeekorps berufen , in welcher Stellung er am 12. Juli 1853 zum General der Kavallerie befördert wurde. Während seiner Dienstzeit in Posen nahmen die Dinge einen ruhigen Verlauf ; denn es war unter den Polen eine gewisse Erschlaffung eingetreten und die von Marcinkowski geschaffenen Einrichtungen
hatten ihre Kraft
eingebüßt.
Der General fand
zu
besonderem Eingreifen keinen Anlaß, konnte sich vielmehr ungestört der Ausbildung seiner Truppen widmen und den weiteren Ausbau der Posener Festungsanlagen fördern.
Im
preußische Regierung
ihre Wahlgeometrie die polnische
fertig, durch
Jahre 1855 brachte es die
Landtagsfraktion auf nur 5 Abgeordnete
zu verringern,
so daß an-
gesichts der allgemeinen politischen Weltlage der polnische Einfluß eine Zeitlang ganz ausgeschaltet wurde. General Tietzen erhielt am 15. August 1856 mit Pension den erbetenen Abschied bewilligt und starb am 4. Oktober 1869 ; nach ihm benannt wurde im Jahre 1864 das Reduit des Forts V zwischen dem Berliner und Königstore , also in der Gegend zwischen dem heutigen Schloßgarten und dem Stadttheater, im Jahre 1902 aber ging der Name auf das Außenfort VI über und erhält so das Andenken des Generals aufrecht. Ihm folgte unterm 15. August 1856 der Generalleutnant Franz Heinrich Georg Graf von Waldersee. Dieser war am 25. April 1791
zu Dessau geboren,
1805
als
Fahnenjunker des Dragonerregiments Herzog von Pfalz-Zweibrücken Nr. 1 eingetreten ,
1806 Fähnrich geworden und am 23. März 1808
zum Leutnant im Regiment Garde du Corps
ernannt worden .
Bei
diesem Regiment verblieb er ununterbrochen bis zum 21. Juni 1832 , in dem er zuletzt Major und etatsmäßiger Stabsoffizier war, und sodann das Kommando des 3. Ulanenregiments erhielt. Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 542.
Bereits zwei 15
226
Hundert Jahre Generalkommando in Posen .
Jahre später wurde er in gleicher Eigenschaft zu seinem alten Regiment zurückversetzt, am 30. März 1834 zum Oberstleutnant , 1836 zum Oberst befördert und 1841 zum Kommandeur der 2. GardeKavalleriebrigade ernannt.
1842 stieg er zum Generalmajor auf, er-
hielt am 14. Februar 1848 das Kommando der gesamten Gardekavallerie und wurde am 8. Mai 1849 zum Generalleutnant befördert . In Posen wurde er am 18. September 1858 Kavallerie befördert und mit Rücksicht 14. Juni 1859
zum General der
auf die politische Lage am
zum Militärgouverneur der Provinz ernannt.
seine Stellung antrat,
trat infolge
der
Als er
Weltkrisis " vom Jahre 1857
der bekannte wirtschaftliche Rückschlag sowie im Osten des preußischen
Staates
eine „ moralische Depression " ein,
in
welcher Zeit es
die Staatsregierung für angezeigt hielt, den Polen durch Vernichtung des polnischen Kreditvereins einen der letzten Reste von Selbstverwaltung zu nehmen. Die ersten Jahre während der Amtszeit des Generals verliefen ruhig . Gelegentlich der Krönungsfeier zu Königsberg am 18. Oktober 1861 wurde der General zum Chef des 4. Dragonerregiments ernannt. Bedenklich jedoch begann die Lage zu werden, als am 6. November 1861 der Erzbischof Przyluski ein Rundschreiben an die Pfarrer seiner Diözesen gerichtet hatte, in dem er sie ermahnte, „ die Rechte der heiligen Kirche zu verteidigen “ , und darauf hinwies, daß es ihre „Pflicht sei, Sitte, teidigen. " und
Sprache und
historische Überlieferungen
zu ver-
Seitdem hat denn auch die Sprachenfrage „ den Kern-
Kardinalpunkt der ganzen
posenschen Frage " gebildet ,
indem
gegenüber den wirtschaftlichen Maßnahmen der Regierung der Kleinkrieg erklärt wurde, der seitens
der Polen
bis
zum Ausbruche des
jetzigen Weltkrieges rastlos fortgeführt worden ist.
Am 19. Februar
1862 wurde der großpolnische Jugendbund " gestiftet, der allerdings nicht auf welterschütternde Unternehmungen gerichtet war. Am 2. März 1862 fand eine Versammlung von Delegierten in der Wohnung eines Einjährig-Freiwilligen der 5. Artilleriebrigade im alten Mariengymnasium zu Posen statt,
und bald darauf begann man
nischer Seite mit den sogenannten Kreuzeserrichtungen,
auf pol-
die für die
Stadt Posen neben der St. Martinskirche geplant waren ; jedoch wurde das Zustandekommen dieser Demonstration verhindert. Bemerkenswert ist, daß der genannte Erzbischof dem Treiben zuschaute, ohne ihm in irgendeiner erkennbaren Weise entgegenzutreten. Im Herbste des gleichen Jahres machten sich die Anzeichen von einem bevorstehenden Aufstande in Russisch-Polen bemerkbar, was den General Grafen Waldersee maßregeln zu treffen .
veranlaßte ,
Er ordnete zunächst,
beizeiten Vorsichtsum etwaigen Unord-
227
Hundert Jahre Generalkommando in Posen.
nungen vorzubeugen, die Besetzung einiger Grenzorte sowie die Verstärkung der Garnisonen an. Am 22. Januar 1863 brach dann der Aufstand der Polen in Warschau tatsächlich aus, nicht infolge russischer Bedrückung, sondern infolge von Hetzereien des kleinen und großen Adels und namentlich in der Hoffnung auf die Unterstützung durch Napoleon III., auf den das Polentum große Erwartungen setzte. folge der Berichte
des kommandierenden Generals
In-
erhielt bereits am
29. Januar General v. Werder den Oberbefehl über
das I., II . , V.
und VI . Armeekorps und befahl, die Infanterie auf Kriegsstärke zu setzen , während Graf Waldersee am 31. die Grenze vollständig absperrte.
Am 1. Februar erließ er gemeinsam mit dem damaligen
Oberpräsidenten v. Horn eine Bekanntmachung ,
in der die Be-
völkerung aufgefordert wurde, „ in keiner Weise an der im Königreich Polen ausgebrochenen Insurrektion teilzunehmen " , indem den etwaigen Teilnehmern die schwere Strafe
des Hochverrats angedroht
wurde .
Somit zeigte der General gleich von vornherein Umsicht und Tatkraft , wodurch weitere Verwicklungen erspart wurden. Aber auch
das Staatsministerium unterstützte
die Militär- und
Zivilbehörden dadurch nicht unbedeutend , daß schon am 8. Februar der Abschluß eines Übereinkommens zwischen Preußen und Rußland zur gemeinsamen
Handlung
gegen den
Aufstand
erfolgte .
Fürst
Bismarck ' ) hat den Gedankengang, der ihn zu dem Abschlusse dieses Übereinkommens führte, u . a . folgendermaßen begründet : ... Jedenfalls aber empfahl der einfache, gesunde Menschenverstand, es (nämlich das politische Kapital ! ) nicht in den Besitz unserer Gegner geraten zu lassen , die wir in den Polen, den polonisierenden Russen und im letzten Abschluß wahrscheinlich auch in den Franzosen zu 66 Das Zustandekommen dieser Übereinkunft hatte sehen hatten für die große Politik mehr einen diplomatischen als einen militärischen Zweck" , zumal in Frankreich die öffentliche Meinung auf seiten der Polen stand .
Der Aufstand blieb auf Russisch-Polen beschränkt , ob-
gleich die Grenztruppen keinen leichten Dienst hatten . Graf Waldersee wurde Berlin versetzt,
am 18. Mai 1864
als Gouverneur
nach
am 2. Mai 1870 in Genehmigung seines Abschieds-
gesuches mit Pension zur Verfügung gestellt und starb am 16 Januar 1873 zu Breslau . Nach ihm benannt wurde im Jahre 1864 das Reduit des Forts zwischen Königs- und Mühltor sowie die im Sumpfgelände vorgeschobene Flesche am jetzigen Ziegelwege ; seit 1902 erhält das Außenfort V sowie das Zwischenwerk Va sein Andenken wach . Welchen Wert selbst der König auf die Besetzung der Stellung ¹ ) Gedanken und Erinnerungen, I.
15*
228
Hundert Jahre Generalkommando in Posen .
in Posen legte, das erhellt aus der Allerhöchsten Kabinettsorder vom 18. Mai 1864 , die dem Nachfolger Waldersees, dem bisherigen kommandierenden General in Stettin , Generalleutnant Karl Friedrich von Steinmetz zuging und u. a. folgendes besagt : „ Ich spreche Ihnen gern aus, daß ich
auch das
wichtige Generalkommando im Großherzogtum Posen
mit vollem Vertrauen in Ihre Hände lege. " St. war am 27. Dezember 1796 zu Eisenach geboren ,
kam am
23. Februar 1813 aus dem Kadettenkorps als Fähnrich zum 1. Garderegiment z . F. ,
wurde
am
9. März
als Leutnant
mit Patent vom
5. März 1813 ins 1. Infanterieregiment versetzt, machte die Befreiungskriege mit und erwarb sich das Eiserne Kreuz II . Klasse. 1818 wurde er
ins 2. Garderegiment z . F. versetzt .
zum Oberleutnant befördert,
ein Jahr später
von 1821-23 zur Allgemeinen Kriegs-
schule und von 1824-26 zum topographischen Bureau des General stabs kommandiert.
Am 14. April 1829 wurde
Kompagniechef,
Herbst
im
dess .
J.
er Hauptmann und
in gleicher Eigenschaft
zum
Garde-Füsilierregiment und 1835 ins 2. Garde- Grenadierregiment versetzt, am 30. März 1830 zum Major befördert und 1841 als Bataillonskommandeur ins Garde-Füsilierregiment versetzt, am 6. November 1848 zum Kommandeur des 32. Infanterieregiments ernannt, am 8. Mai 1849 zum Oberstleutnant befördert und im nächsten Jahre mit den Geschäften des Kommandanten von Magdeburg beauftragt .
Nachdem er am 18. Januar 1851
war, wurde
zum
Obersten befördert
er drei Monate später Kommandeur des Kadettenkorps ,
am 13. Juli 1854 Generalmajor, am 19. Februar 1857 Kommandeur der 4. Garde- Infanteriebrigade, im Dezember dess. J. Kommandeur der 1. Division , am 22. Mai 1858 Generalleutnant und am 29. Januar 1863 kommandierender General des II . Armeekorps. St. muß nicht gern nach Posen gegangen
sein und scheint sich
auch hier aus verschiedenen Gründen nicht so wohl gefühlt zu haben als in Stettin, wie dies aus seinem Briefe an den Generalleutnant v . Eberhardt¹) vom 24. Januar 1865 hervorgeht . Er schrieb nämlich diesem seinem Freunde u. a. folgendes : 99 ... .. Aber auch außerdem ist hier nicht alles zusagend .
Man lebt inmitten der drei-
fachen Bevölkerung : Deutsche , Polen und Juden, jede etwa zu einem Drittel des Ganzen wie in einem fremden Lande , ein heimatliches Gefühl wird schwer
zu gewinnen sein .
man gar nichts zu teilen,
sie leben
Mit den Polen hat
jetzt ganz
zurückgezogen :
1 ) Krosigk, Generalfeldmarschall von Steinmetz , S. 202 u . ff. Berlin 1900 .
229
Hundert Jahre Generalkommando in Posen.
aber wollten sie sich auch an die Deutschen anschließen, man könnte sich ihrer nie freuen , es ist einmal kein Verlaß auf sie , und freundliche Worte aus ihrem Munde sind nur Lug und Trug. Nicht anders ist es mit den Katholiken, die unter dem Deckmantel der Religion. unpreußische Politik treiben.
Erzbischof Przyluski ist für
Der
mich gar nicht vorhanden. Meine Vorgänger haben ihn immer honoriert und haben davon gelegentlich nur sein Übelwollen geerntet. Ich habe mir von Hause aus vorgenommen, ihn gänzlich zu ignorieren und abzuwarten, ob er eine Annäherung versuchen wird, wenn nicht , so lasse ich ihn laufen , wenn aber, so müßte er sich total ändern , wenn ich darauf eingehen soll. Sein Verhalten unserer Regierung gegenüber ist zu treulos ;
ich habe nicht gehört, daß,
als der Kron-
prinz im vorigen Jahre hier war, der Erzbischof ihm das Kompliment gemacht hat. Ich
weiß nicht,
ob Du die
Stadt Posen kennst, sie
ist,
namentlich der neue Teil , nicht übel , und in diesem steht das Gebäude des Generalkommandos. Nach meiner Ansicht müßte es von außen stattlicher sein.
Dem Polen
müssen seine Behörden ,
namentlich das Königtum , immer in Erinnerung gebracht werden ; allein hier erinnert nichts an den König , wohl aber spricht man von einem Raczynskischen und
Dzialynskischen
Palais .
Es
wäre
nicht
viel , aber doch etwas, wenn in jeder Kirche eine sich sichtbar auszeichnende königliche Loge wäre. Auch im Theater müßte eine solche Loge sein, von alledem ist aber nichts vorhanden . . . “ Wie man sieht,
spricht
aus diesem Briefe die unbedingte An-
hänglichkeit sowie die von Pietät und Ehrfurcht getragene Liebe des Generals zum Königshause, wie dies bei ihm, der aus der Zeit der Befreiungskriege hervorgegangen war
und den Aufschwung Preußens
mitgemacht hatte, ja nicht anders sein konnte.
Im übrigen war der
General mit den Posener Verhältnissen gut vertraut, hatte einen scharfen Blick für alles und war ein feiner Beobachter , der den Dingen auf den Grund ging und in wenig Monaten seines Posener Aufenthalts hatte. züge,
die Ursache vieler
Überhaupt war es
Übelstände richtig
einer seiner
sich „ in jeder Lage seine
eigene Meinung
„ blindes Vertrauen nach unten wie
erkannt
ausgesprochensten Charakter-
nach oben
zu
bilden " ;
denn
lag nicht in seinem
Charakter ; mit seinem großen, stark ausgeprägten Selbstgefühl hat er immer alles vor sich liegen sehen und selbst prüfen wollen , um seine Dispositionen auf eigener Kenntnis aufbauen " zu können. So ist auch sein scharfes Urteil über die Katholiken nicht unbegründet gewesen , weil in jener Zeit ja gerade die Polonisierung der Bamberger bei Posen vor sich ging .
Ebenso angebracht war seine abfällige Be-
230
Hundert Jahre Generalkommando in Posen .
urteilung des von
ihm bewohnten Dienstgebäudes,
das bei den Ver-
handlungen des Reichstages 20 Jahre später gelegentlich der Neubaufrage zutreffend als im „ Zigarrenkistenstil" erbaut bezeichnet worden ist. Endlich muß man noch seiner Ansicht über die Hervorhebung des preußischen Königtums
gerade in Posen beipflichten,
das heut-
zutage durch das Residenzschloß, die Königsloge im Stadttheater usw. sichtbar zum Ausdruck kommt. seine Auslassungen,
Ob er wohl geahnt haben mag, daß
die uns heute fast prophetisch anmuten, dermal-
einst sich verwirklichen würden ? - Jedenfalls geht aus seinem offenherzigen Briefe an einen seiner besten Freunde hervor, daß General Steinmetz der rechte Mann am rechten Platze gewesen ist, obgleich heute an ihn keine Straße, kein Teil der Befestigung oder dergleichen mehr erinnert. Im Deutschen Bruderkriege
des Jahres 1866 war
es
ihm ver-
gönnt, in Böhmen die Reihe der siegreichen Gefechte an den Tagen von Nachod, Skalitz und Schweinschädel zu eröffnen , so daß der Kronprinz in einem Armeebefehl von ihm sagen konnte : „ Das tapfere V. Armeekorps
unter Leitung
seines
heldenmütigen Führers
schlug
drei Tage hintereinander je ein neu herangeholtes feindliches Korps Damit begründete der mit bewunderungswürdiger Auszeichnung. " General den Kriegsruhm der Posenschen Regimenter und rechtfertigte das Vertrauen , das die oberste Heeresleitung in ihn und sein strategisches Talent gesetzt hatte, so daß General v. Blumenthal an Moltke stolz berichten
durfte : „ Er
ist
eben der Mann
dazu . "
Mit dem
ehrenvollen Beinamen des , Löwen von Nachod " kehrte der General aus dem Feldzuge zurück und
hielt am 19. September allein seinen
Einzug in Posen, jubelnd begrüßt von den städtischen Körperschaften und von der Bürgerschaft, um tags darauf seine siegreichen Truppen in die Stadt zu führen . In den folgenden vier Friedensjahren seines Alters ,
sorgte
das man dem straff aufgerichtet
Soldaten keineswegs anmerkte,
Steinmetz trotz einherschreitenden
dafür,
daß das V. Armeekorps seine
Kriegstüchtigkeit nicht nur beibehielt,
sondern noch weiter steigerte.
Am 27. Juni 1870 hielt des
Nachoddenkmals
er gelegentlich der feierlichen Einweihung
auf dem
Posener Wilhelmplatz,
das
ihm zu
Ehren von einem Löwen gekrönt ist, eine Rede , in der er u . a. ausführte : , ... Denkmal des Ruhmes und der Ehre. Ganz besonders
ist
es
dies
aber für
die
Provinz
Posen ;
denn das
V. Armeekorps bestand in jener denkwürdigen Zeit zur großen Hälfte aus Angehörigen der Provinz Posen . . . deshalb ... haben wir es hier am Sitze Posen,
des Generalkommandos, in der Mitte dieser Provinz 66 Wohl nicht in dieser Provinzialhauptstadt errichtet . •
231
Hundert Jahre Generalkommando in Posen.
umsonst betonte der General das Wort „ Provinz Posen " wiederholt und unterstrich damit seine Ansicht, die er im weiter oben angeführten Briefe privatim bekundet,
ganz
deutlich auch
in der Öffentlichkeit .
Leider war es ihm nicht beschieden , seine sieggewohnten Posenschen Truppen gegen den Erbfeind Deutschlands zu führen , da er für andere Zwecke ausersehen war. Es ist hier nicht der Ort, die Vorgänge zu berühren, die zu seiner Rückkehr nach Posen am 12. September 1870 führten , wo er dann bis zum Beschluß des Krieges als Generalgouverneur von
Posen
und
Schlesien wirkte.
Anfang Juni
1871 verließ er seinen Posten und zog sich nach Görlitz zurück ;
er
starb am 2. August 1877 zu Bad Landeck am Herzschlage . In die Zeit seines Wirkens fiel der Ausbau der Posener Befestigungen , die „ Ende 1869 als
in den wesentlichsten Teilen zu Ende geführt an-
gesehen werden " konnten, indem österreichische wie französische Gefangene die letzte Hand an die Erdarbeiten anlegten . Auf Steinmetz folgte beim Ausbruche des Deutsch-Französischen Krieges im Jahre 1870 der General der Infanterie Hugo Ewald von Kirchbach, der den Posenern wie dem V. Armeekorps schon seit einigen Jahren bekannt gewesen war. K. war am 23. Mai 1809 kam
am 5. April 1826
aus
zu Neumarkt in Schlesien geboren,
dem Kadettenkorps
als Fähnrich
zum
26. Infanterieregiment, wurde am 29. März 1827 Leutnant, besuchte von 1831-34 die Allgemeine Kriegsschule,
war von 1838-41 zum
topographischen Bureau des Generalstabs kommandiert, Oberleutnant,
im folgenden Jahre Adjutant der
wurde 1840
7. Division,
1845
Hauptmann und Adjutant der 8. Division , 28. Dezember 1850 Major, 1851 Adjutant beim
Generalkommando
des
einem Vierteljahre in den Generalstab versetzt.
Gardekorps und
nach
Am 15. Oktober 1856
wurde er zum Oberstleutnant befördert, Ende des Jahres Abteilungschef im Großen Generalstab, 1857 Chef des Stabes beim Gardekorps, 1858 beim III . Armeekorps, am 31. Mai 1859 Oberst, Ende Oktober Kommandeur des 36. Infanterieregiments und 1860 des 66. Infanterieregiments. Kirchbach wurde am 29. Januar 1863
zum Kommandeur der
19. Infanteriebrigade in Posen ernannt, wo er seine Beziehungen zum V. Armeekorps gewann, mit dem er sich später unvergänglichen Ruhm erwerben sollte ;
denn
er blieb
seitdem
17 Jahre lang
in Posen .
Am 17. März 1863 stieg er zum Generalmajor auf, wurde am 6. April 1864 als Militärdistrikts-Kommandant an die russische Grenze kommandiert und ging acht Tage später als Führer der 21. mobilen
232
Hundert Jahre Generalkommando in Posen .
Infanteriebrigade nach Schleswig. Am 13. Mai 1865 wurde er zum Kommandeur der 10. Division in Posen ernannt, am 8. Juni 1866 zum Generalleutnant befördert und trug viel zur siegreichen Entscheidung der Gefechte bei Nachod, Skalitz und Schweinschädel bei. Nach dem Friedensschlusse
floß das Leben des
Generals
„ in den
nächsten Jahren in gleichmäßiger Pflichterfüllung dahin " . Bei Ausbruch des Deutsch- Französischen Krieges 1870 wurde er an die Spitze des V. Armeekorps gestellt, mit dem er das Gefecht bei Weißenburg und die Schlacht bei Wörth Sedan den eisernen Ring schloß.
siegreich
erfocht
und bei
Am 2. Juni 1871 hielt er an der
Spitze seiner Truppen den Einzug in Posen,
wo ihm die Vertreter
der Stadt einen „ goldenen Siegerkranz “ überreichten , In den folgenden Friedensjahren widmete er sich mit regstem Eifer der kriegsmäßigen Ausbildung seines Korps " , feierte am 23. Mai 1876 sein 50 jähriges Dienstjubiläum und trat am 3. Februar 1880 in Genehmigung seines Abschiedsgesuchs unter Erhebung in den Grafenstand in den wohlverdienten Ruhestand . Er zog sich auf sein Gut Moholz in der Lausitz zurück , wo ein Schlaganfall am 6. Oktober 1887 sein Leben Unter ihm wurde die Festung Posen durch vorgeschobene Werke erweitert ; an ihn erinnert heute noch die Kirchbachallee . endete.
Seine Nachfolger waren die Generale der Infanterie Alexander August Wilhelm von Pape vom 3. Februar 1880 bis 18. Oktober 1881 , Friedrich Wilhelm Gustav von Stichle vom 18. Oktober 1881
bis
22. März
von Alvensleben vom
1886 ; 22.
Generalleutnant März
bis
Gustav
15. Mai
Hermann
1886 ;
General der
Infanterie Oskar Gustav Adolf Wilhelm Frhr. von MeerscheidtHüllessem vom 15. Mai 1886 bis 19. September 1888 , das neue Exerzierreglement beim 6. Grenadierregiment
unter dem
praktisch er-
probt wurde ; Generalleutnant Franz Richard Maria Joseph Hiob Frhr. von Hilgers vom 19. September 1888 bis 8. Januar 1890 ; die Generale der Infanterie Richard August von Seeckt vom 27. Januar 1890 bis 23. Januar 1897 , an den die Seecktstraße erinnert, und der als erster das neue Dienstgebäude auf dem Kanonenplatz
bezog ;
August
Georg Ferdinand
von
Bomsdorff
vom
27. Januar 1897 bis 4. April 1899 ; Ferdinand Wolf Konstantin von Stülpnagel vom 4. April 1899 bis 13. September 1906 ,
unter
dem zum erstenmal bei Posen im Jahre 1902 die Kaiserparade stattfand ; Alexander Kluck vom 13. September 1906 bis 11. September 1907 ,
unter dem gelegentlich der
großen Belagerungskriegs - Übung
der damalige Generalleutnant Emmich mit Ludendorff als Generalstabsoffizier die Vorstudien für ihre im jetzigen Weltkriege durchgeführte
Theorie der
Festungsbezwingung
machten ;
Günter
Die biologische Bedeutung u . das innere Leben der Jugendorganisationen . 233 von Kirchbach vom 1. Oktober 1907 bis 7. April 1911 , des
der Sohn
heldenmütigen kommandierenden Generals vom Jahre 1870/71 ,
und Hermann von Strantz seit 7. April 1911 , der an der Spitze des V. Armeekorps in den jetzigen Weltkrieg auszog. Von diesen letztgenannten Generalen hat keiner Gelegenheit zu besonderem politischen Hervortreten mehr gehabt , sondern alle haben lediglich
ihrer
militärischen Pflicht
zur Kriegstüchtigkeit weiter erzogen ;
obgelegen und dabei haben
das Armeekorps sie aber stets an
allen bedeutenden öffentlichen Vorkommnissen Anteil genommen und auch mit der Bürgerschaft die Fühlung nie verloren.
XXII .
Die biologische
Bedeutung
und das innere
Leben der Jugendorganisationen .
Von Prof. Broßmer, Oberleutnant d. Res . Inf.- Reg. Nr. 169 .
ein Flintenschuß im winterlichen Hochgebirge durch die Erschütterung der Luft Lawinen ins Rollen zu bringen vermag, so Wie
wurde bei dem jähen Ausbruch des Weltenkampfes die breite Masse des deutschen Volkes durch die Wucht der Ereignisse zu einer vaterländischen Einheit zusammengeschmolzen und gezwungen , zu tiefgehenden nationalen Fragen eine klare und entschiedene Stellung einzunehmen. Es gab vor dem Kriege wichtige Zweige unseres inneren Lebens, besonders auf dem Gebiete einer guten völkischen Erziehung, die im weiteren Kreise neben einer ausgesprochenen Lust zur
für
Mitarbeit auch jeder feste Wille zum Tragen einer gewissen Verantwortlichkeit dem Volksganzen
gegenüber fehlte .
Es
ist aber,
von
einem höheren Gesichtspunkte aus betrachtet , jedes Glied der Nation in bestimmtem Sinne verantwortlich für die körperliche und moralische Erziehung der deutschen Jugend. Abgesehen von den überall lebhaft erörterten Problemen einer neuzeitlichen Schulreform aller Stufen, unter dem
in der Praxis noch nicht ganz geklärten Schlagwort der
staatsbürgerlichen Unterweisung, sind die Erziehungsfragen der schulentlassenen Jugend doch nur in einem mehr oder weniger interessierten Kreise von bürgerlichen und militärischen Fachleuten eingehend in Wort und Schrift behandelt worden .
Jedenfalls hat sich eine große
234 Die biologische Bedeutung u . das innere Leben der Jugendorganisationen. Anzahl unserer Mitbürger, auch der gebildeten Schichten, um das Heranreifen des Jünglings und um die Entwickelung des Mädchens zur deutschen Frau nicht in dem Maße gekümmert, wie es die Wichtigkeit dieser Fragen für das gegenwärtige Leben und vor allem für die allgemeine Tüchtigkeit der kommenden Geschlechter erheischen sollte . Ein treffendes Bild aus dem klassischen Altertum zeigt uns, daß diese Pflicht auch in anderer Weise , als es bei uns üblich war, aufgefaßt werden kann. Alle Männer und Frauen des spartanischen Volkes fühlten sich
ausnahmslos
als Erzieher der gesamten Jugend ihres
Staates. Von diesem Geiste der Mitverantwortlichkeit muß jeder Deutsche nicht nur jetzt in der Zeit ernster Stimmung, sondern auch in kommenden Tagen erfüllt sein und die Mitarbeit auf diesem tiefgehenden Gebiete durch eigene Kraft oder durch mittelbare Unterstützung fördern helfen . Wirken
für
So betrachtet, wird das nationale und soziale
unsere Jungmannschaften
gebildetsten Bürger nicht
auch dem
vornehmsten und
als eine „ inferiore Tätigkeit " ,
sondern als
ein Arbeitsfeld erscheinen , auf dem eine ernste Bildung und ein großes Maß von Takt und Gemüt notwendig sind . Ein Land gibt es, in dem die Erziehung der Jugend aller Altersgrade wo
ein stark betontes,
bei
bewußt nationales Gepräge aufweist,
weiser Berücksichtigung
größter
lokaler ,
und
sprachlicher und
historischer Verschiedenheit doch über allem Trennenden die Sorge für das Wohl des Ganzen mehr und heiliger zum Ausdruck kommt als anderswo . Die Entwickelung der Schweiz in den letzten Jahrzehnten zeigt, daß bei
jedem Zwiespalt zwischen eidgenössischen und kanto-
nalen Gefühlen stets eine Einigung sich dann ergab, wenn ein höheres Landesinteresse im Spiel war. Die in dem Rahmen einer Bürgermiliz musterhafte
Militärorganisation
konnte
errungen
werden,
trotzdem
ehemals das Militärwesen der wichtigste Bestandteil der kantonalen Eigenart war. Die Form des Heeres, die einmalige Waffenübung von nur kurzer Dauer und die regelmäßigen Übungen Wochen haben
den
von nur einigen
zum Militärdienst vorbereitenden Jugendorgani-
sationen in der Schweiz frühzeitig eine praktische und hohe Bedeutung gegeben.
Ohne
daß
ein gesetzlicher Zwang ausgeübt wird,
ist die
Teilnahme der jungen Leute an militärischen Vorübungen irgendwelcher Art eine günstige zu nennen .
Im Dienste dieser Bestrebungen stehen
außer den Turnlehrern eine Reihe von privaten Gesellschaften (Schießvereine,
Vereine zur militärischen Vorbereitung, Kadettenkorps),
die
allerdings erfreulicherweise von der Regierung selbst eine weitgehende finanzielle Unterstützung genießen und die in ihren Lehrkursen vom
Kriegsministerium
ausgegebenen Übungspläne
die
streng befolgen.
Der Ehrgeiz der kantonalen Bevölkerung, der Gesellschaften und der
Die biologische Bedeutung u . das innere Leben der Jugendorganisationen. 235 jungen Leute selbst wird wesentlich gesteigert durch die vom Kriegsdepartement veröffentlichten Ergebnisse der Rekrutenprüfung, der sich jeder schweizer Bürger im dienstpflichtigen Alter unterwerfen muß. Die Zahlenreihen der Rekrutenprüfung bilden einen untrüglichen Maßstab für die körperliche Leistungsfähigkeit des Einberufenen. Sie lassen auch einen gründlichen Blick in die Auffassung tun, die der Jüngling mit den Jahren durch fleißiges Selbststudium und planvollen Unterricht aufgenommen hat von der geschichtlichen Entwickelung und der geographischen Beschaffenheit seines Landes. Darüber gibt der mündliche und schriftliche Teil der Rekrutenprüfung volle Klarmit größter
heit und läßt
Sicherheit
auf
den durchschnittlichen
Bildungsgrad und , was für die Wertung neuzeitlicher Heere noch viel wichtiger ist, auf die seelische Stimmung und die innere Stärke des Hanges zur heimatlichen Scholle schließen .
In dieser Zusammenfassung
unter der ernsten Gedankenrichtung der nationalen Leben , Schule, Elternhaus, Gemeinde, Vereine und
aller Momente
Forderungen an
Kantone liegt das erfolgreiche Streben des achtunggebietenden eidgenössischen Grundsatzes : Die Freiheit in der Einheit. Bei uns in Deutschland ist
der geistige ,
ideelle und völkische
Wert der schweizer Jugendorganisationen noch nicht
voll erkannt
worden , wenn man auch vor den physischen Resultaten und den Erfolgen der Schießausbildung angelegten
Bestrebungen
stets Achtung hatte.
einer
Die ersten groß-
zusammenfassenden
Einigung
aller
Systeme körperlichen Schaffens unter dem einzigen Gesichtspunkt einer ersehnten Vermehrung der Wehrkraft und überhaupt nationaler Stärkung begannen in unserem Vaterlande erst mit der Gründung des Jungdeutschlandbundes im Jahre 1911 durch Freiherrn v. der Goltz. Bis zu jenem Zeitpunkte war es neben den religiösen Vereinen vor allem die deutsche Turnerschaft,
die der
deutschen Jugend das Bewußt-
sein für Körperbildung vereint mit nationaler Kraft und Vaterlandsliebe einflößte.
Die Bildung des Jungdeutschlandbundes als einer Ein-
heit aus sehr verschiedenartigen Gliedern gelang, dank kluger Einsicht der maßgebenden Persönlichkeiten. Aber in der Menge und in der Masse verhallte und verlor sich der nationale Ruf. Nicht nur bei denen fehlte
ein
Ordnung damals wollte,
sondern
Echo ,
deren Unzufriedenheit
mit
der staatlichen
ein vaterländisches Gefühl nicht aufkommen lassen am
meisten
schmerzte
die stumpfe Gleichgültigkeit
der gebildeten Stände und die Vorurteile freiheitlich gesinnter Männer. Man sah da und dort in diesem neuen Verbande zu viel militärische Spielerei hervortreten oder fürchtete militärische Bestrebungen in ungesundem Übermaß . All diese Anschauungen sind durch die militärischen Erfahrungen des deutschen Kriegers für immer ausgeschaltet
236 Die biologische Bedeutung u. das innere Leben der Jugendorganisationen. worden.
Das
greifen
auf
durch die Kriegslage
erforderliche Zurück- und Vor-
die älteren und jüngsten Jahrgänge der männlichen Be-
völkerung zum Zwecke der Landesverteidigung hat den Wert militärischer Fähigkeiten sehr
zum Ausdruck kommen lassen.
Jugend-
wehren entstanden auf die Anregung des Kriegsministeriums hin und unter Leitung der staatlichen Amtsstellen . Sie arbeiten der kurzen Ausbildungszeit in der Linie vor.
Wir sehen in diesem heutigen Stand
des militärischen Ausbildungsganges und in seiner Verbindung mit den Jugendwehren Verhältnisse und Einrichtung heranwachsen, wie sie im Getriebe der Eidgenossenschaft auch aus den natürlichen Umständen heraus
schon lange
erblüht
sind .
Rein der Zahl nach betrachtet,
können wir die deutschen Jugendorganisationen noch nicht als erfolgreich bezeichnen . Wenn z. B. in Berlin von 101 000 männlichen Gliedern, die zwischen dem 14. und 20. Lebensjahre stehen, nur 26000 , also nur 25,6 v. H. , den für Leibesübungen und Jugendpflege zusammengeschlossenen Vereinigungen angehören, so ist dies eine durchaus
unbefriedigende Tatsache.
stand ,
Geradezu
bedenklich
wirkt der Um-
daß in Berlin von 115000 weiblichen Jugendlichen aus dem
gleichen Altersabschnitt
überhaupt nur
Organisation erfaßt werden konnten .
9200
( 8 v. H. !! )
von der
Die größte Enttäuschung scheint
aber die zu sein , daß die Beteiligung an den Übungen zur militärischen Vorbereitung der Jugend in Berlin und an vielen anderen Orten bis über den Kreis der höheren Schulen und der bereits bestehenden Organisationen nicht weit hinausgekommen ist .
Hier fehlte der auf-
klärende, aufmunternde und erzieherische Einfluß jedes Vaters , Mannes,
jeder Mutter und jeder Frau
Wir brauchen
ein
starkes Geschlecht,
nach
jedes
spartanischem Muster.
ein stetig sich vermehrendes,
kraftvoll wachsendes Volk, wenn wir gegen die natürlichen Menschenwellen, die auch in Zukunft von Osten her drohen, all das erfolgreich verteidigen wollen, was im Verlauf früherer Kriege und des heutigen Riesenkampfes durch deutsches Blut zu heiligem Besitz der ganzen Nation geworden ist. Rußland
ungefähr
Vor einem
ebensoviel
halben Jahrhundert noch hatte
Einwohner
wie
heute
Deutschland :
70 Millionen . Seitdem ist jedoch seine Volkszahl auf mehr als das Doppelte gestiegen ; sie wird nun auf 160 bis 170 Millionen berechnet. Die russische jährliche Zuwachsrate ist
ungefähr 3 Millionen.
Die
unserige beträgt höchstens 800 000 und scheint sich im Herabsinken zu bewegen,
während dem russischen Vermehrungssummanden noch
eine bedeutende Steigerung bevorsteht. So wird das russische Volk in den nächsten zwei Jahrzehnten 200 Millionen Menschen wohl erreichen können .
Selbst
wenn
ihm durch die Folgen des Krieges
auch größere Stücke abgetrennt werden, bleibt der Vorsprung der Zahl
Die biologische Bedeutung u . das innere Leben der Jugendorganisationen. 237 immer noch ein bedeutender.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts stehen wir einem russischen Dreihundertmillionenreich gegenüber.
Uns
bleibt
der eine Weg,
die Grundlagen unserer nationalen
Existenz möglichst vielseitig zu erweitern . Sollten wir angesichts solcher von sehr unterrichteten Männern geäußerten Befürchtungen nicht
auch
an
das zarte, aber sehr entwickelungsfähige Pflänzchen
unserer Jugendorganisationen denken ? liche Quelle,
deren
muntere Masse
geleitet werden müssen .
Dort sprudelt eine unerschöpf-
nur gefaßt und in sichere Wege
In ihnen liegt eine Fülle verborgener Energie,
die durch sachgemäße Umwandlung große kann.
nationale Arbeit leisten
Neben einer planvollen Rüstung auf dem Gebiete des Heeres-
und des Finanzwesens werden wir in Zukunft ein sorgsames und aufmerksames Auge müssen.
auf den Ausbau
der Bevölkerungszunahme werfen
Der biologische Wettkampf
der Völker des Westens gegen
die der schädlichen Verstädterung noch nicht unterworfenen Menschenmassen des Ostens wird ein Hauptpunkt zukünftiger Weltpolitik sein. Eine der Grundlagen unserer biologischen Rüstung ist das Erstarken der Jugend , und auch in diesem Sinne ist die Jugendfürsorge eine feste Wurzel unserer Kraft. Zur Verwirklichung einer solch hohen Aufgabe, wie es die Wehrbarmachung der Jugend und ihre körperliche und ethische Erziehung im Hinblick auf den Wert der kommenden Geschlechter darstellt, müssen der Zahl der Erreichbaren nach alle Formen von Jugendbewegungen auf eine
viel
breitere Grundlage gestellt werden .
Die Erfahrungen
bei den Jugendwehren während der Kriegszeit sind fast überall nach dieser Richtung hin so trübe, daß viele und gewichtige Stimmen laut werden, die beim Eintritt ruhiger Verhältnisse eine gesetzliche Regelung der physischen Übungen unseres Nachwuchses fordern . Besonders aus den Kreisen der deutschen Turnerschaft ,
also derjenigen Organi-
sation, die in ihrem erfolgreichen Wirken am längsten reiche Erfahrungen sammeln konnte, kommt auch heute mit vollem Recht das bestimmte Verlangen nach obligatorischer Körperausbildung des jungen Menschen zwischen 15 und 20 Jahren. Denn es ist unter dem Gedanken einer biologischen Steigerung der Volkskraft nicht in das Ermessen der Jugendlichen zu stellen,
oder mehr oder weniger einsichtiger Eltern
ob das junge Mädchen
oder der
werdende Mann ihre
Körper zu Kraft und Ausdauer erziehen , oder ob sie ihn durch einseitige Geistestätigkeit
oder allgemeine Trägheit für den Wandel der
Geschlechter zu einem unnützen oder gar schädlichen Glied herabsinken lassen. Von dieser Wahrheit muß die Jugend selbst durch den moralischen Einfluß der Führer durchsetzt werden.
Der Knabe versteht
durch eigene Erfahrung den tieferen Sinn des schönen Turnspruches :
238 Die biologische Bedeutung u . das innere Leben der Jugendorganisationen .
Seht in der Übung Spiel Des Lebens ernstes Ziel . Nur Übung stählt die Kraft, Kraft ist's , was Leben schafft ! Und dem reiferen Jüngling darf man wohl die heilige Bedeutung des Einzelmenschen in der fliegenden Reihe zahlreicher Generationen mit pädagogischem Takte
erklären .
Die Lehrer als
solche sind im
Getriebe der Jugendorganisationen wegen ihrer genauen Kenntnis von Herz und Gemüt der Schützlinge neben den in mitreißender Frische wirkenden Offizieren die maßgebenden Leiter der deutschen Jugend. Darum müssen die Ministerien und die militärischen Behörden die geleistete freiwillige Arbeit nicht nur anerkennen , sondern den Führern durch anderweitige kraft erhalten.
dienstliche Erleichterungen
Einem Volksschullehrer z. B. ,
wöchentlich zu erteilen hat, Spannkraft,
um
ihre volle Schaffensder über 30 Stunden
fehlt entweder die Zeit oder die nötige
in seiner geringen Muße noch mit Fröhlichkeit die
Jugend zu beleben und mit ihr Berg und Tal zu durchwandern .
In
dieser Hinsicht müssen die amtlichen Stellen viel weitherziger werden zum Wohle
aller.
Für die
Erfüllung
eines
weiteren Wunsches
wären die Führer der obersten Leitungen sehr dankbar : für die eingehende Berücksichtigung der Erfahrungen . Es muß den Leitern mehr Gelegenheit gegeben werden , auch mündlich, nicht nur schriftlich auf dem oft langsam arbeitenden Instanzenwege, ihre Erfahrungen mit den maßgebenden Behörden , nur als Bürger und Deutsche , nicht als Beamte auszutauschen . Der Jungdeutschlandbund hat diesen Umstand schon sehr berücksichtigt . Aber es muß dies in Zukunft durch staatliche Mittel öfter und eingehender möglich gemacht werden. Weiterhin haben es die amtlichen Dienststellen in der Hand , in erster Linie die sogenannte offiziöse Presse für solche Fragen mehr zu interessieren und dort was besonders nötig ist -- an bestimmter Stelle vor
aller
Öffentlichkeit eine Aussprache der Erfolge
auch von seiten werden dann
der Jugendführer zu ermöglichen .
die übrigen Tageblätter folgen ,
um
und Wünsche
Ganz von selbst dem Leserkreise
entgegenzukommen . Auf diesem Wege wird die nationale Jugenderziehung ein Gegenstand des allgemeinen vaterländischen Interesses , und so erreicht man leichter die vorgeschriebenen praktischen und theoretischen Kenntnisse .
Literatur.
239
Militär-Vortrags- Gesellschaft. Unter diesem Namen hat sich in Berlin eine Gruppe von Offizieren der Inaktivität und des Beurlaubtenstandes zu einer Vereinigung zusammengeschlossen . folgreichen Vorversuchen
Sie veranstaltet
anregende ,
belehrende
nach etwa 100 erund
unterhaltende
Lichtbilder-Vorträge für die Truppen im Feld und Heimat, sie will ferner in breitesten Kreisen nützliche Kenntnisse über Erscheinungen und Fragen des Weltkrieges verbreiten und ähnliche zeitgemäße AufZu einer ihrer wichtigsten zählt sie den Austausch militärischer Kenntnisse zwischen Heer und Marine, sowie der Waffen-
gaben lösen.
gattungen untereinander, ferner die Mitwirkung an der geistigen miliErgibt sich aus ihrer Tätigkeit ein tärischen Jugendvorbereitung. Vermögen, so wird solches satzungsgemäß und nach Bestimmung eines aus Offizieren der Generalität bestehenden Kuratoriums Wohlfahrtszwecken des Heeres und der Marine dienstbar gemacht.
Die Leitung
obliegt einem fünfgliedrigen Direktorium, dessen Geschäftszimmer sich Berlin-Wilmersdorf , Livländischestr . 11 , befindet .
Literatur.
I. Bücher. Die inneren Werte des deutschen Soldaten. Von Körner. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München. Geheftet 60 Pf. Hocherfreulich ist es, aus dem Munde eines Vorgesetzten ein Urteil wie das vorliegende über Charakter, Genie und Leistungsfähigkeit des deutschen Soldaten zu hören . Fußt doch alles, was der Verfasser berichtet, auf beständiger Beobachtung während des gemeinsamen Ringens, während der Kampf- und Ruhezeiten . Mit solchen Soldaten müssen wir siegen , und ihnen bleiben wir zu dauernde m M. D. Dank verpflichtet.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher . (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises - sofern dieser mitgeteilt wurde hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Frhr. v. Fircks, Taschenkalender für das Heer. Vierzigster Jahrgang 1917. Herausgegeben von Frhr. v. Gall, General der Infanterie, stellv. Kommand . General 18. Armeekorps . Berlin . Verlag Georg Bath. In Lederhbd. 5,25 M. 2. Flemmings Wandkarte der Ostfront. Berlin . Carl Flemming
A.-G. Verlag.
3,50 M.
240
Literatur.
3. Halbmond und Stern , Organ der „ Deutsch-Türkischen Sprachvereinigung". Breslau . Preis vierteljährlich 4,50 M. 4. Reichsgesetzliche Versorgung der Kriegsteilnehmer und ihrer Hinterbliebenen , einschliefslich der Kapitalabfindung. Leipzig 1916. Ferdinand Hirt & Sohn . 0,30 M. 5. Feldmann, Flottentabellen der Kriegsmarinen aller Staaten . 3. Aufl. Oldenburg. Gerhard Stalling. 1,40 M. 6. Humboldt- Akademie, Freie Hochschule. Vorlesungsverzeichnis für das 4. Vierteljahr 1916. Oktober/Dezember. Neununddreißigstes Studienjahr 1916/17. 7. Schmidt, Die Kriegsstammrolle und ihre Führung. Oldenburg 1916. Gerhard Stalling. 0,75 M. 8. Lissel, Welche Pensionsansprüche hat ein Offizier bei Dienstuntauglichkeit im Krieg und im Frieden ? Oldenburg 1916. Gerhard
Stalling. 0,75 M. 9. Chronik des Deutschen Krieges, 9. Band. München 1916. C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung . 3,50 M. 10. Schmidt- Gibichenfels, Der Krieg als Kulturfaktor, als Schöpfer und Erhalter der Staaten. 2. Aufl . Berlin- Steglitz. Verlag Kraft und Schönheit . 0,50 M. 11. Ein Wort an die unten und die oben von einem deutschen Stuttgart. Franckh'sche Verlagsbuchhandlung. Sozialdemokraten . 0,30 M. 12. Tanner, Frontberichte eines Neutralen . III. Ostwärts . Berlin. Aug. Scherl G. m . b. H. Geh. 3 M. , geb. 4 M. 13. Linnebach, Karl und Marie von Clausewitz . Ein Lebensbild Berlin 1816. in Briefen und Tagebuchblättern . Martin Warneck. Geb. 8 M. 14. Münch-Born, Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden Leipzig . Oskar Born. 15. Nicolay, Anleitung für den Unter offizier-Unterricht. Berlin 1916. Verlag von R. Eisenschmidt. 1,60 M.
vor!
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z . D. H. Rohne) enthält u . a. folgende Arbeiten : v. Richter, Generalmajor z. D.: Wie verwerteten sich bei uns die feldartilleristischen Erfahrungen aus den Feldzügen der letzten fünfzig Jahre in den darauf folgenden Kriegen ? Dziobek : Die wichtigsten Begriffe der Fehlertheorie. W. Krebs : Die Hörweite des Kanonendonners. Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber) , Potsdani.
XXIII .
Heimatsoldaten. Von
Dr. Friedrich Everling.
Das bevorstehende
Gesetz über die Zivildienstpflicht, ,,durch
das alle deutschen Kräfte in gewissem Umfange dem Vaterlande dienstbar gemacht werden " , tut einen tiefen Griff in die Lebensverhältnisse Tausender. Und doch empfindet jeder, den es betrifft, daß damit nicht nur einer patriotischen Notwendigkeit , sondern auch einer Forderung der Gerechtigkeit Genüge geschicht . Zu tief klaffte der Abstand zwischen denen, die im Schützengraben ihre äußerste Kraft einsetzen und den Kräften , die in der Heimat, wie ein Hohn auf die große Zeit , brach liegen . Es handelt sich bei jener Zivildienstpflicht um ein Kriegsgesetz, ein Ausnahmegesetz , eine weitere logische Folgerung aus dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht wäre es , wenn man den Zustand, den es schafft, in gewissem Umfang zu einem dauernden , organisierten machte, wenn man den heimatlichen Landsturm, der jetzt aufgerufen werden soll, im kommenden Frieden in ein stehendes Heer von Heimatsoldaten überführte.
Der Heimatsoldat ist eine für den Dienst in der Heimat ohne Waffe ausgebildete Militärperson . 1.
Der
Heimatsoldat ist
Militärperson .
Die gesetzliche
Grundlage zu dieser Kategorie von Militärpersonen ist Art. 57 der Reichsverfassung , der die allgemeine Wehrpflicht proklamiert und Art . 58, nach dem die Lasten des gesamten Kriegswesens des Reiches von allen Bundesstaaten und ihren Angehörigen gleichmäßig zu tragen sind, so daß weder Bevorzugungen noch Prägravationen einzelner Staaten oder Klassen grundsätzlich zulässig sind . Wer also irgendeine Last, die dem Kriegswesen des Reichs dient , zu tragen imstande ist und dennoch gänzlich freigelassen wird , genießt eine nach der VerJahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 543.
16
242
Heimatsoldaten .
fassung unzulässige Bevorzugung. Ansätze zur Schaffung einer Heimatarmee finden sich bereits in § 4 der Wehrordnung . §4 der Wehrordnung wiederholt in Ziffer 1 den Verfassungsgrundsatz, daß jeder Deutsche wehrpflichtig ist und sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen kann , er setzt in Ziff. 3 die Dauer der Wehrpflicht auf die Zeit vom 17. bis zum 45. Lebensjahr fest und bestimmt in Ziff. 2 : ,, Diejenigen Wehrpflichtigen , welche zwar nicht zum Waffendienst, jedoch zu sonstigen militärischen Dienstleistungen , welche ihrem bürgerlichen Beruf entsprechen, fähig sind, können zu diesen herangezogen werden. " Nach § 39 1a WO . sind dem Landsturm ersten Aufgebots zu überweisen : ,,Militärpflichtige , welche mit unheilbaren (bleibenden) körperlichen Gebrechen behaftet sind , die die Heranziehung zum stehenden Heere sowie in der Ersatzreserve zwar ausschließen, eine Verwendung im Landsturm - sei es zum Waffendienst (diese Kategorie kommt hier nicht in Betracht ) oder zum Dienste ohne Waffe , und im besonderen zu solchen militärischen Dienstleistungen und Arbeiten (als Apotheker, Techniker, Handwerker, Erdarbeiter usw. ) , welche ihrem bürgerlichen Beruf entsprechen noch zulassen , ohne Rücksicht auf das Militärpflichtjahr, in welchem sie sich befinden." Die Heranziehung solcher Landsturmleute ist während des Krieges fortgesetzt erfolgt . Sie wurden dann Militärpersonen und unterstanden den Militärgesetzen und der militärischen Disziplin.
Aber eine Militärperson ist noch kein Soldat , denn Soldat
wird der Mann erst, wenn ihm die Disziplin in Fleisch und Blut übergegangen ist , wenn jene straffe Art und Lebenshaltung, die in der Armee Tradition ist , sein ganzes Wesen während der Ausbildungszeit umgewandelt hat . So wenig ein Kunstschütze ein vollendeter Feldsoldat 1st, so wenig ist der Mann, der in den Arbeiten , die seinem bürgerlichen Beruf entsprechen, sich ausgebildet hat , ein Heimatsoldat . Und auch die rein fachliche Ausbildung hat bei diesen je nach Bedarf Eingezogenen ihre Lücken. Dem zum Bureaudienst kommandierten Landsturmmann fehlt, auch wenn er sonst Beamter ist , die Kenntnis des militärischen Geschäftsganges .
Dem eingezogenen Techniker fehlt die Vertrautheit
mit dem , worauf es für militärische Zwecke ankommt. Wenn man einen Mann, der eventuell im Ernstfall nur in der Feldküche feuert, mit der Waffe jahrelang ausbildet , warum läßt man die Leute ohne Ausbildung , deren Heimatdienst , Aufmarsch und Nachschub , Heeresergänzung und verpflegung regeln hilft , von deren Tätigkeit das Funktionieren wichtigster Kriegsmaschinen abhängt. Wieviel schneller und wirksamer wäre ein Landsturm zu gebrauchen, der eine kurze Ausbildung genossen hat .
Man kann hier nicht einwenden , der Landsturm würde nur im
243
Heimatsoldaten.
Notfall und nur zur Ergänzung der waffenfähigen Mannschaft herangezogen.
Die wirtschaftlichen Anforderungen für das Heer und die
Heimat entstehen mit dem ersten Mobilmachungstag.
Bureausoldaten
sind sogleich beim Aufmarsch, Armierungssoldaten bei der ersten Feldbefestigung notwendig. Vom ersten Tag an müssen die militärischen Behörden vermehrt werden, und der Bedarf an Kriegsmaterial vervielfacht sich .
Wir haben schon heute zwei Kategorien von Dienst-
leistenden, die nebeneinander, zu verschiedener Tätigkeit in jedem Kriegsfall und von Kriegsbeginn ab notwendig werden , - warum bildet man nur die eine Kategorie , die der Waffenfähigen aus ? Wieviel felddienstfähige Berufssoldaten könnten aus den Bureaus alsbald an die Front gebracht werden, wenn ein Nachschub von ausgebildeten Bureausoldaten zur Verfügung stände . Wieviel felddienstfähige Reklamierte würden dann für den Waffendienst frei. Wir haben gesehen , daß die Vielseitigkeit der Waffen und die fortschreitende Technik der Kriegsführung die Waffengattungen zunehmend spezialisiert hat .
Das lehrt ein Blick auf die Ausbildung
der Pioniere und der Verkehrstruppen . Die Aushebung nimmt zunehmend mehr Rücksicht auf den Zivilberuf. Der militärische Grundsatz : ,,Was der Mann im Zivilleben ist , kümmert den Soldaten nicht ", wird dadurch nicht angetastet ; er besagt ja nur , daß mit dem Eintritt in das Heer jeder Standesunterschied aufhört und nur der Chargenunterschied etwas gilt . Aber gerade dieser Grundsatz, der die Armee volkstümlich macht denn sie ist nach Treitschkes Wort von allen politischen Institutionen die ,, einzige , welche die Bürger als Bürger zusammen führt , im Heere allein fühlen sich alle Söhne des Vaterlandes geeint"
gerade dieser Grundsatz wird beim Heimatsdienst
verletzt , wenn z. B. ein Rechtsanwalt, der im Frieden keinen Hauptmann vom Obersten unterscheiden konnte , im Kriege mit einem Sprung zum Kriegsgerichtsrat mit Hauptmannsrang avanciert. Weil eben der Dienst in der Heimat und in den Aufgaben , ,, die dem bürgerlichen Beruf entsprechen" , den einzelnen nicht so sehr aus seinen Standes- und Berufsverhältnissen herausführt , ist hier eine straffe Organisation mit Chargen und geordnetem Avancement eine Forderung der Gerechtigkeit. Es widerspricht der Organisation, die unsere Armee der ganzen Welt zum Vorbild macht , wenn entgegen dem Grundsatz , daß der Rang im Dienst erworben wird , Zivilpersonen, die sich frühzeitig genug meldeten, hinter der Front ein Avancement machen , das vor dem Feinde selbst dem besten Helden unmöglich ist . Wir haben gesehen, daß die moderne Kriegführung ebensosehr der wirtschaftlichen , wie der militärischen Kräfte bedarf.
Auch die
Forderung eines wirtschaftlichen Generalstabs ist von interessierter 16*
244
Heimatsoldaten .
Seite bereits erhoben worden.
Daraus folgt notwendig, daß die sechste
Waffe , die mit den ,, silbernen Kugeln", der militärischen Organisation eingegliedert wird und daß nicht bei der wirtschaftlichen Mobilisation auf die wichtigsten Posten Kommandanten treten, die niemals Soldaten Zweierlei hat dieser Krieg als notwendig erwiesen : die
gewesen sind.
Ausdehnung der militärischen Kompetenzen und die AusDamit kommen wir auf die bildung einer Heimatarmee. Forderung : 2. Der Heimatssoldat ist eine militärisch ausgebildete MilitärNach § 20 WO . hat der Landsturm nur die Pflicht, im Kriegsfalle an der Verteidigung des Vaterlandes teilzunehmen . Es gibt für ihn keine aktive Dienstzeit. Ausgebildeter Landsturm sind die Leute , die ausgebildet waren , ehe sie zum Landsturm übertraten . Als solcher person.
wird der Landsturm nicht ausgebildet. Aber gerade aus dem Landsturm ohne Waffe soll sich die Heimatarmee rekrutieren . Darum ist für diejenigen , die als Heimatsoldaten ausgehoben werden , eine Ausbildungszeit zu fordern , die sich freilich nach Art und Dauer von der Ausbildung bei der Waffe wesentlich unterscheiden wird . Denn einmal handelt es sich hier um Leute , die nicht voll gesund sind und darum eine zwei- oder dreijährige ununterbrochene Dienstzeit und zumal das Kasernenleben nicht ertragen würden und anderseits ist eine so intensive Ausbildung hier nicht erforderlich . Zur militärischen Vorbereitung des Heimatsoldaten können hier nur Anregungen gegeben werden . Militärische Erfahrung und organisatorische Tatkraft werden Glückliche Analogien bietet ein System daraus zu machen wissen . das Fortbildungsschulwesen und vor allem die militärische Jugendvorbereitung. Nehmen wir an , die Ausbildung würde auf 6 Monate festgesetzt. Sie muß nicht an einem Garnisonort stattfinden oder wenigstens nicht ständig . Am Sitz jedes Bezirkskommandos bzw. in einem größeren Ort jedes Kreises sind Ausbildungskurse zu formieren. Zum Abschluß der Ausbildung ist freilich für den Maschinentechniker ein Kommando nach Essen oder Wilhelmshaven ebenso angebracht, Juristen z. B. ein Kommando zu einer Intendantur.
wie
für den
Die Ausbildung nimmt täglich 3-7 Stunden in Anspruch . Außerhalb dieser Zeit können die Leute ihrem Zivilberuf nachgehen. erhalten Essen und Quartiergeld. zu beachten.
Sie
Sie haben Appell und Zapfenstreich
Sie werden vereidigt , stehen unter Militärgesetzen und
unter militärischer Disziplin . Sie sind Soldaten. Die Ausbildung wird geleitet von inaktiven Offizieren.
Diesen
bietet eine solche fernere Betätigung im Heeresdienst nicht nur einen Lebensinhalt , einen Zusammenhang mit dem liebgewordenen Beruf
245
Heimatsoldaten.
und eine nutzbare Verwendung ihrer militärischen Erfahrung, sondern Insbesondere gilt dies für auch eine willkommene Nebeneinnahme . kriegsverletzte Offiziere . Auch die Offiziere des Bezirkskommandos können herangezogen werden und neben aktiven und inaktiven Unteroffizieren (man denke an die vielfachen Versorgungsmöglichkeiten , die hier für Militäranwärter gegeben sind ! ) diejenigen Heimatsoldaten , die eine Charge erreicht haben.
Teil.
Die Ausbildung umfaßt einen militärischen und einen technischen Der militärische Teil, gehandhabt von aktiven oder gewesenen
aktiven Soldaten, besteht in der Unterweisung in äußerlich militärischem Benehmen (Verhalten im Dienst , gegen Vorgesetzte , Erstatten von Meldungen, sation
Grüßen usw. ),
in den Grundzügen
der Heeresorgani-
( Gliederung von Heer und Marine , Uniform und Chargen-
kenntnis usw. ) und in der militärischen Gesinnung
(Kriegsartikel,
Fahneneid, Kriegsgeschichte) , kurz in dem , was dem Rekruten bei allen Waffen gleichmäßig in den ersten Instruktionsstunden beigebracht wird.
Daneben wird , der körperlichen Fähigkeit entsprechend , Turnen
und etwas Exerzieren gepflegt . Der technische oder spezielle Teil liegt in der Hand von Vorgesetzten, die der Heimatreserve angehören. Während dieser Ausbildung werden die Mannschaften Fachkompagnien zugewiesen , je nachdem sie für Befestigungsarbeiten (Armierungssoldaten) oder für Arbeiten in der Heeresverwaltung (Bureausoldaten) ,
Heeresausrüstung ( Handwerker ,
Schuhmacher, Schneider, Sattler) , Heeresbewaffnung (MunitionsHeeresverpflegung arbeiter, Waffenarbeiter , Mechaniker , Schlosser), (Landwirte , Kaufleute ) , wozu die Verwaltung und Verpflegung in der Heimat kommen (darüber unten), verwendet werden sollen . Je mehr dabei eine zu große Spezialisierung der Berufe vermieden wird, um so mehr erweitert sich das Gesichtsfeld des Mannes .
Er
gewinnt einen Einblick in benachbarte Berufe. Insbesondere der Fabrikarbeiter, den die zunehmende Arbeitsteilung auf einen ganz beschränkten Tätigkeitsbereich verwiesen hat, lernt den Sinn und Zusammenhang der ineinandergreifenden Arbeit in seiner Fabrik übersehen . Das nimmt seiner späteren Berufsarbeit etwas von dem öden Einerlei . So wird die Dienstzeit als Heimatsoldat eine Schule der Fachfortbildung und der allgemeinen Volksbildung.
Dazu kommt der Wert , den eine
militärische Ausbildung für die körperliche Kräftigung hat und für die Kräftigung jener Tugenden , die in
der Armee Tradition sind :
Disziplin, Treue, Gehorsam, Tapferkeit, Kameradschaft , Ritterlichkeit. Sollten an dieser inneren Ausbildung , die den Geist des Militarismus ausmacht, die weniger Gesunden keinen Teil haben ?
Wie der Mili-
tarismus (als Weltanschauung ) die deutschen Siege an der Front er
246
Heimatsoldaten .
fochten hat , so hat er auch manche ,, Siege der Daheimgebliebenen ", wie unser Kaiserlicher Herr die zweite Kriegsanleihe nannte , errungen. Die Ausbildung des Heimatsoldaten gewährleistet solche Siege der Durch sie wird die Armee auch nach dieser Daheimgebliebenen . Richtung hin ,, eine großartige Schule zur Erziehung unserer Jugend in nationalem Sinne". Bei den Heimatkompagnien finden Besichtigungen statt wie beim aktiven Heer , jährliche Übungen , Teilnahme am Manöver, auch Reserveübungen .
Die beruflich und gesellschaftlich Geeigneten er-
halten eine ähnliche Qualifikation wie die Aspiranten des OffizierOb man ein Offizierkorps korps des Beurlaubtenstandes im Heer. der Heimatreserve schafft oder den Qualifizierten andere Chargenbezeichnungen , etwa nach Art der freiwilligen Krankenpflege , und eine besondere Stellung, etwa nach Art des Kaiserlichen Freiwilligen Automobilkorps , gibt , wird Gegenstand besonderer Erwägung sein müssen . Jedenfalls muß das Vorrecht der Waffe auf das entschiedenste betont und gewahrt werden .
Der Offiziersrang in der Heimatreserve
ist nur den Qualifizierten zu verleihen , die eine angesehene und selbständige Berufsstellung inne haben. So wird ein Jurist z. B. nicht. schon nach dem ersten, sondern erst nach dem zweiten Staatsexamen gewählt werden können, da das Offizierkorps der Heimatreserve (wie es hier in Ermangelung eines verständlicheren Ausdruckes noch genannt werden soll) aus seinen Juristen die im Kriegsfalle aushilfsweise erforderlichen Kriegsgerichtsräte , Intendanten usw. stellt .
Im übrigen
muß die Wahl unter gleichen Gesichtspunkten geschehen wie beim Reserveoffizier . Ungeeignete Elemente müssen hier wie dort ausgeschlossen bleiben. 3. Der Heimatsoldat ist eine ohne Waffen ausgebildete Militärperson. Gewiß ist auf den ersten Blick ein Soldat, der die Waffe nicht führt , ein Widerspruch in sich . Aber bei welchem Bezirkskommando, bei welcher Intendantur und vor allem bei welchem Lazarett wird die Waffe geführt ? Ob man den Heimatsoldaten die Waffe als Schmuck und Abzeichen ihrer militärischen Stellung geben wird, ist wie die Uniformierungsfrage, eine Frage der Zweckmäßigkeit und der ästhetischen Rücksicht . Man hätte es im Frieden vielleicht als störend empfunden , Leute , denen ihr körperlicher Zustand eine militärische Haltung verbietet, in Königs Rock zu sehen . Heute sind wir an dem Anblick des Soldaten, der am Stock geht, dem ehrenvolle Wunden seine geraden Glieder nahmen , gewöhnt. Warum soll nicht schon im Frieden ein Mann , der lahmt oder der mit gebeugtem Rücken geht , nutzbar gemacht werden ?
Soll
das Vaterland bei diesen ,, Krüppeln " auf den gesunden Verstand und
Heimatsoldaten.
247
die tätigen Hände verzichten ? Übrigens ließe sich für sie eine besondere Uniform oder auch nur ein Abzeichen (Armbinde usw. ) einführen . Wir müssen uns eben von der Anschauung losmachen, daß nur der Militärtaugliche militärisch brauchbar sei , und von der Anschauung, daß nach dem Grad und der Reihenfolge der körperlichen Tüchtigkeit die Heranziehung zum Militärdienst zu erfolgen habe . Jeder Deutsche ist wehrpflichtig ; als was und wann bestimmt sich allein nach dem Willen des Staates und nach dem Nutzen des Vaterlandes. Der Kreis der Militärpflichtigen wird durch die Schaffung der Heimatarmee erDie Anlagen zur Heerordnung , in denen die Geheblich erweitert . sind, die zum Dienst im stehenden Heer, in der verzeichnet brechen Ersatzreserve bzw. im Landsturm untauglich machen, sind bei Musterung der Heimatsoldaten restriktiv zu interpretieren . Die schwierigste Frage zu unserem Gegenstand ist die, ob man der Heimatarmee nur die zum Waffendienst dauernd Untauglichen eingliedert oder ob man die zum Waffendienst zeitig Untauglichen, die Ersatzreservisten und den Landsturm mit Waffe , zu vorläufiger Ausbildung in ihr heranzieht, und in welchem Umfange diese Zuweisung geschehen soll. Im ersten Fall ständen wir vor der seltsamen Erscheinung, daß bei der alljährlichen Aushebung die Gesundest n zur Waffe eingezogen würden ; die Überzähligen , zeitig Untauglichen oder in Berücksichtigung bürgerlicher Verhältnisse Reklamierten (Ernährer hilfloser Familien usw. ) würden zurückgestellt , die Mindertauglichen der Ersatzreserve oder dem Landsturm mit Waffe überwiesen und in die Heimat entlassen ; die an körperlicher Tüchtigkeit nach diesen Kommenden aber würden wieder zum Dienst als Heimatsoldaten herangezogen . Es würde also der weniger Gesunde dienen müssen , wo der Gesundere dienstfrei bleibt . Aber insofern die Dienstpflicht eine Last darstellt , fanden sich im Frieden die überzähligen Waffenfähigen in einem mindestens ebenso unbegründeten Vorteil gegenüber den eingestellten ; und wenn man einmal anerkennt, daß zwei Armeen nebeneinander dem Vaterlande dienen, die Feldarmee und die Heimatarmee, so ergibt sich folgerichtig , daß jede ihre Kadres hat und sich aus sich selbst ergänzt und daß hinter der Heimatarmee die Heimatreserve steht, so gut wie die Reserve hinter dem aktiven Heer. Auch in der Heimatarmee gäbe es Zurückstellung wegen Mindertauglichkeit , Überzähligkeit und wegen bürgerlicher Verhältnisse. Auch bei ihr gäbe es für die auf Grund von Ehrenstrafen Unwürdigen eine Ausschließung und für die absolut Übrigens würden Untauglichen eine völlige Befreiung vom Dienst . nach den Erfahrungen dieses Krieges sich zweifellos zahlreiche zum Waffendienst Untaugliche zur freiwilligen Dienstleistung in der Heimatreserve die analog dem freiwilligen Militärdienst im Heer,
248
Heimatsoldaten .
aber in weiterem Umfang zu ordnen wäre
melden , die ihnen außer
den erwähnten Vorzügen der Ausbildung auch die Möglichkeit wirksamerer aktiver Teilnahme im Kriegsfall sichern würde .
In dem
anderen Fall, wenn man auch die zeitig Untauglichen , die der Ersatzreserve und dem Landsturm ohne Waffe Überwiesenen oder wenigstens die beiden letzten Kategorien zunächst in die Heimatarmee einstellte , würde eine wünschenswerte Probezeit geschaffen, bei der sich häufig herausstellte , daß ein Mann durchaus zum Waffendienst fähig ist. Die Ausbildungszeit , die ja bei der Heimatarmee und dem stehenden Heer zunächst parallel läuft, könnte späterhin ganz oder teilweise angerechnet werden.
Noch geringere Schwierigkeiten ergäben sich beim
Übertritt von der Waffe zum Heimat dienst .
Hierin läge für manchen
altgedienten Soldaten die willkommene Möglichkeit , weiterhin militärisch tätig zu sein. Die Friedenspräsenzstärke der Heimatarmee wird im Verhältnis zu der des stehenden Heeres festzusetzen sein. Doch ist es mit Rücksicht auf den Wert dieser Ausbildung, auf die erstrebenswerte militärische Durchbildung des ganzen Volkes und auf die zahlreichen Aufgaben der Heimatarmee in Krieg und Frieden (darüber unten) zu wünschen , daß sie möglichst hoch angenommen wird. Die Steigerung der finanziellen Heereslast , die hierdurch herbeigeführt wird , wenn auch der Aufwand für jeden Heimatsoldaten hinter den Kosten für jeden Soldaten weit zurückbleibt, wird unser Volk nach dem Kriege mit Verständnis auf sich nehmen, denn der Krieg hat gelehrt, daß das Heer eine Versicherung für den Staat ist ; wo man die Sicherheit erhöhen. kann, zahlt man die Prämien gern . Der Krieg hat auch gelehrt , welche Kräfte außer den geschliffenen Waffen das Kriegswesen nötig hat ; auch mit diesen Kräften muß das Reich gerüstet sein . Besonderer Aufmerksamkeit bedarf die Frage nach der Stellung des
Heimatsoldaten
zum
aktiven
Soldaten ,
insbesondere der
Stellung des Gemeinen der einen Kategorie gegenüber den Chargierten der anderen.
Weil beide Soldaten sind, wird eine Subordination des
Angehörigen einer Waffe gegenüber dem im Range vorgesetzten Angehörigen der Heimatarmee nicht zu umgehen sein .
Das ist nichts
Neues , vielmehr sah man , zumal gegen Kriegsbeginn , häufig den Gruß eines Wehrmannes von Militärbeamten erwidert , die offensichtlich niemals militärisch grüßen gelernt hatten .
Unter den Gemeinen beider
Kategorien wird ein kameradschaftliches Verhältnis anzustreben sein . Freilich muß man gerade hier sich auf Schwierigkeiten gefaßt machen ; aber wozu gibt es eine militärische Disziplin ? 4. Der Heimatsoldat ist eine für den Dienst in der Heimat ausgebildete Militärperson .
Der Dienst in der Heimat hat sich gerade
249
Heimatsoldaten.
in diesem Feldzug als eine notwendige Ergänzung des Front dienstes erwiesen. In der Heimat werden die eisernen Kugeln gegossen und die silbernen. Die Heimat schmiedet die Waffen für die Front , sie liefert Sie ist die wirtschaftliche Etappe. die Lebensmittel für die Front . Die Heimat stellt in ihren Lazaretten die durch Wunden oder Anstrengungen müde gewordene Kraft für die Front wieder her , sie schafft in ihren Kasernen den Ersatz für Lücken und Verluste an der Front . Sie ist in jeder Hinsicht das Gebiet militärischer Erneuerung. So wird in der Heimat ein Teil der Kriegsarbeit getan, wenn auch Neben dem der weniger gefahrvolle und der weniger ehrenvolle . Heimatdienst für die Front gibt es auch einen Dienst für die Heimat . Wie draußen ,, der heiße , durch nichts zu bezwingende Wille zum Siege " unaufhaltsam vorwärts drängt, so gibt die Ruhe, Sicherheit und Ordnung , mit der im Innern das Räderwerk des Staatsorganismus und des bürgerlichen Lebens seinen Gang geht, eine weitere Gewähr des deutschen Sieges.
Mit ihrem Aushungerungsplan haben .
die Feinde jedem Deutschen den Krieg erklärt . Um so mehr ist heute jeder Deutsche Soldat . Die plötzlich erwachsenen wirtschaftlichen Anforderungen haben Aufgaben entstehen lassen, von denen im Frieden keiner etwas ahnte . Alles das bedarf keiner näheren Ausführung ; es ist jedem bekannt und eben jetzt als Begründung für die Zivildienstpflicht hervorgetreten. Daß Heimatsoldaten notwendig sind , zeigt ein Blick in jede militärische Lazarette ,
Behörde ,
in
jedes
Bekleidungsamt ,
Grenzüberwachungsstellen,
Proviantamt , in
Postprüfungsstellen ,
Presse-
bureaus usw. , und weiter ein Blick in jede Fabrik, jedes Kontor und jede Kriegsgesellschaft, wo immer der Heeresbedarf gefertigt oder vermittelt wird. Wieviel Mißgriffe könnten bei Anschaffung der Heeresbekleidung und -ausrüstung vermieden werden , wenn man sogleich Sachverständige zur Hand hätte , die beruflich und militärisch vorgebildet, den Einkauf regelten, und wenn die Zwischenhändler ausgeschaltet würden, die nur zu oft die augenblickliche Verlegenheit und die Unkenntnis der Behörden sich in unpatriotischer Weise zunutze machten.
Haben wir
doch nie Helden und Händler , Männer, die alles hingeben und Leute , die aus der Not der Zeit sich einen Profit machten, so kraẞ nebeneinander gesehen . Die Sachlage wäre in einem künftigen Krieg : Mit der Mobilmachung tritt Amtsgerichtsrat A. , Hauptmann der Reserve , an die Spitze seiner Kompagnie ; gleichzeitig erhält Amtsrichter B. , der in der Heimatarmee gedient hat und die Qualifikation erworben hat, seine Einberufung zum Hilfsrichter bei einem bestimmten Militärgericht . Schneider-
250
Heimatsoldaten .
meister X. , Landwehrmann , empfängt Befehl, sich zu seinem Regiment zu begeben , wird eingekleidet und rückt aus ; Schneidermeister Y. , Gefreiter der Heimatreserve, ist zum Bekleidungsamt in Z. beordert , wo er alsbald eine eintreffende Sendung von Uniformtuch zu prüfen hat . Der Dreher M. weiß genau , daß er von heute an in der Maschinenfabrik L. & Co. Granaten zu fertigen hat ; wie er sich meldet , hat er in dem allgemeinen Teil der Ausbildung als Heimatsoldat gelernt , wie Granaten gemacht werden , davon hat er in deren speziellen Teil eine Anschauung erhalten . Der praktische Arzt Dr. R. findet seine Stelle als Leiter eines Lazarettzuges oder als Lazarettinspektor offen . Genug, jeder Mann tritt auf seinen Posten , die Mobilmachung ist wirklich eine allgemeine, wie die Wehrpflicht eine allgemeine ist . Und weiter: auch wer im Kriegsdienst für die Heimat verwendet wird , wird als Soldat verwendet . Auch hierfür nur wenige Beispiele : die Sicherung der Volksernährung fordert einschneidende Maßnahmen : Bestandsaufnahme, Beschlagnahme bei den Produzenten , Verteilung auf die Konsumenten .
Dabei sind überall Kommissionen
und Bureaus notwendig, man denke allein an die Brotkommissionen . Hier werden künftig Heimatsoldaten beschäftigt, unter denen ohnehin zahlreiche Sachverständige sind. Eine Zentraleinkaufsstelle ( sich gliedernd in Getreidestelle , Abteilung für Öle und Fette , für Fleisch usw. ) ist im Mobilmachungsplan vorgesehen , so gut wie das Reserveinfanterieregiment Nr. 93. Ihre Direktoren und Angestellten sind, so gut wie dort die Offiziere und Mannschaften, aus der Heimatreserve nach Zahl und Rang vorher bestimmt.
Heute stellt man bei den Einkaufs- und
Verwertungsgesellschaften durch Privatverträge Direktoren und Hilfsarbeiter, zum Teil mit sehr hohen Gehältern ein, alsdann werden die Leiter ein dem Offiziersgehalt entsprechendes, die unteren Organe werden ihre Löhnung beziehen . sein
Leben in
die
Schanze
Wenn draußen schlägt ,
kann
der
Deutsche
billigerweise
im Land alle Arbeitskraft verlangt werden . Auf ein Verwendungsgebiet des Heimatsoldaten sei noch kurz hingewiesen : auf die Kriegs wohltätigkeit . Her gab es in der ersten Zeit ein begeistertes Überangebot an Kräften .
Unterdessen ist manche
Kraft matt geworden und manche schnelle Begeisterung auch . dann die Art dieser Arbeitskräfte : sie sind häufig
Und
ungeschult und
bringen noch häufiger außer ihrem guten Willen ein gut Teil gesellschaftlicher Empfindlichkeiten mit . Die Anerkennung ihrer freiwilligen Arbeit aber ist oft auch ein unverdienter Kriegsgewinn .
Das angenehm Un-
persönliche , das eine Behörde hat und das beim Militär System ist , mangelt in der Wohltätigkeit oft gänzlich . Hier könnte vieles gebessert werden, wenn Heimatsoldaten zu solchen Diensten geschult und ab-
251
Heimatsoldaten .
kommandiert würden , und wenn für ihre Rangordnung militärische Chargen, nicht gesellschaftliche Rücksichten maßgebend wären . Wer es ehrlich meint , wird als Heimatsoldat so treu arbeiten wie als Freiwilliger.
Oder sind unsere Soldaten im Felde darum schlechter, weil
ein Dienstzwang besteht ?
An der Spitze der Organisationen freilich
würde man vielfach die gleichen Namen finden wie heute , denn es ist kein Zufall, daß so viele Wohlfahrtsvereine alte Offiziere an ihre Spitze stellen. . Führte man so die Wohltätigkeit durch, so könnten an jedem kleinen Ort im Kriegsfalle Verpflegungs- und Beratungsstellen entstehen. Und welchen segensreichen Einfluß auf die Gesinnungen im Volk und auf alle soziale Arbeit auch in Friedenszeiten wird es haben, wenn ein Teil der Wehrpflichtigen zu solcher Arbeit vorGanz abgesehen davon , daß in der stehenden Heimat-
gebildet ist .
armee ständig Kräfte bereitstehen, um bei außerordentlichen Notständen (Hagel-, Wasser- und Brandschaden usw.) die Behörden in der Wiederherstellung des Schadens , in der Sammlung und Verteilung der Gaben zu unterstützen. Die Arbeit, die in jedem kleinen Dorf auf ihrem Gebiet die Feuerwehr und die freiwillige Sanitätskolonne leisten, würde im übrigen dem Heimatsoldaten zufallen, sofern man nicht überhaupt jene Organisationen in die Heimatarmee eingliedert . Natürlich können dem bürgerlichen Leben nicht alle Kräfte entzogen werden .
Wir verkennen die Schwierigkeit nicht , die darin
liegt, die Kriegsarbeit für die Front und für die Heimat bürgerlichen Tätigkeit abzugrenzen .
von
der
Die Erfahrung hat gelehrt und
das Zivildienstgesetz beweist aufs neue, daß jene im Verhältnis zu dieser zunehmend wächst .
Im Deutsch-Französischen Kriege war nur
die Heeresverpflegung, heute ist die ganze Volksernährung mehr oder minder Kriegsarbeit und damit militärische Angelegenheit geworden . Darum sollte auch die Zuweisung der Arbeitskräfte an die rein bürgerlichen Berufe noch mehr nach militärischen Gesichtspunkten erfolgen . Die Notwendigkeit , alle Heimatsoldaten einzuziehen, wird ebensowenig jemals vorliegen, als die Möglichkeit , alle auszubilden . Auch hier gibt es eine Ersatzreserve , deren Ausbildung im Kriege erst erfolgt . Aber die Mannschaften dieser Reserve sind eingeteilt wie beim Heer und das Ausbildungspersonal ist vorhanden . Eine bessere Ausnutzung der vorhandenen Kräfte wird dadurch
erreicht, daß man einmal das Dienstpflichtalter für die Heimatsoldaten heraufsetzt (schon für das Gesetz über die Zivildienstpflicht ist ein Höchstalter von 60 Jahren in Aussicht genommen) , ferner dadurch, daß man stundenweisen Dienst einführt. Wenn mancher Feldpostbrief darüber klagt, daß in der Etappe sich gute Kraft in Un-
252
Heimatsoldaten .
tätigkeit verzehre, so ist das durch die Lage bedingt und nicht zu ändern . In der Heimat aber liegen die Arbeitsmöglichkeiten näher beieinander. Hier soll eine Nationalökonomie" im wahrsten Sinne die Kräfte verteilen . Beispielsweise so , daß der Angestellte eines Nahrungsmittelgeschäftes und insbesondere die Reklamierten allabendlich hätten.
etwa
in
der
Kriegswohlfahrtspflege
Dienst
zu leisten
Anderseits muß damit gerechnet werden , daß die zurückgebliebenen Kräfte nicht nur nach der Art , sondern auch nach der Größe ihrer Leistungsfähigkeit mehr differenziert sind. Wird ein Soldat felddienstfähig befunden, so ist das Maß dessen , was von ihm verlangt und geleistet werden kann, damit fest bestimmt . Er ist sozusagen eine absolute Größe in der Gesamtzahl des Feldheeres . Anders bei denen , die durch Krankheit im Lande zurückgehalten werden .
Ein
Nervenleidender, ein Mann, der zu Blinddarmreizungen neigt , stellen . nur beschränkte und bedingte Arbeitskräfte dar.
Es ist darum nötig ,
daß bei der militärischen Untersuchung jeweils der Prozentsatz ihrer Arbeitsfähigkeit festgestellt wird, wie es heute bei der Invalidenversicherung usw. geschieht und wie es das Zivildienstpflichtgesetz voraussetzt . Das ist nichts Neues . Schon das Kriegsleistungsgesetz vom 13. Juni 1873, wenn es in § 3 Ziff. 3 die Überlassung der in der Gemeinde anwesenden Mannschaften zum Dienste als Gespannführer , Wegweiser und Boten, sowie zum Wege-, Eisenbahn- und Brückenbau usw. fordert , setzt voraus, daß die Leistungsfähigkeit der einzelnen taxiert wird und zieht die einzelnen nach Maßgabe dieser Leistungsfähigkeit heran.
Unsere Zeit, die an das Außerordentliche sich gewöhnt hat, wird die Vorteile der hier vorgeschlagenen Organisation zu würdigen wissen. Wir sahen, daß in ihr Kräfte herangezogen werden, die heute verloren gehen : eine absolute Vermehrung der Wehrmacht. Wir sahen , daß militärische Kräfte , die heute in der Heimat (Bureaudienst usw. ) festgehalten werden , frei werden für die Etappe und die Front : eine relative Vermehrung der Wehrmacht . Wir bemerkten eine vollständigere Ausnutzung der Volkskraft - denn jeder Wehrpflichtige wird dienstpflichtig
, eine zweckmäßigere Ausnutzung
jeder
tut den Dienst , der seiner Körperkraft und seinem bürgerlichen Beruf die verfügbaren entspricht , und eine schnellere Ausnutzung Kräfte stehen ausgebildet bereit. Am ersten Mobilmachungstag sind die Stellen, die erforderlich sind, nicht nur besetzt, sondern sie arbeiten . auch gleich.
Vom ersten Mobilmachungstage werden die Stellen , die
militärische Bedeutung haben , von Soldaten verwaltet, von Soldaten ,
253
Heimatsoldaten.
die gleichzeitig militärisch und beruflich qualifiziert sind. Wir sahen ferner eine Organisation, die nicht nur vorteilhaft ist ( denn was wird hier für die allgemeine Volksgesundheit, die Volksbildung und die sittliche Erziehung des Volkes gewonnen !) , sondern auch gerecht. Die Prämien auf Krankheit und Drückebergerei , auf Unfähigkeit und fehlenden Willen fallen weg. Es wird nicht mehr der mit einem geringen Fehler Behaftete dienen und der um ein geringes Krankere bleibt frei . Es wird nicht mehr die militärisch unbrauchbare Kraft in freiwilligem Heimatdienst Ehren sammeln können und damit die Gefahr zur Anerkennung in ein falsches Verhältnis gebracht.
Es wird nicht
mehr ein unverdientes Avancement und ein unverhältnismäßiges Einkommen im Kriegsdienst hinter der Front erreicht werden . Es wird der Staat, um ein Wort von Meinecke zu gebrauchen , ,,über die gesamten physischen und moralischen Streitmittel der Nation verfügen". Im Heimatdienst werden sich zwei Kategorien von Nicht- Soldaten treffen, denen beiden ihr Recht geschieht : die Willigen und die Drückeberger. Vom Elend der Daheimgebliebenen ist in dieser Zeit manches gesagt und vieles im Verborgenen getragen worden . Es gibt Leute, die sich dutzendmal meldeten und immer wieder abgewiesen wurden .
Die ihr Zivil wie Sträflingskleider tragen und sich
schämen, aus dem Hause zu gehen .
Die Alten wahren die Ordnung
im Land, die Frauen pflegen ihre Helden oder packen mit Sorgen und Lächeln Feldpostpakete für die Front. Die Kleinen spielen den Krieg. Und sie stehen beiseite . Sie waren nicht kälter an Begeisterung , aber ihre Kraft bleibt ungenutzt. Für sie ist die Versuchung am größten, nach enttäuschter Begeisterung kalt zu werden.
Diesen
müßte ein Dienst geschaffen werden im Lande. Kriegsarbeit , ohne Hurra und Heldentum, aber das Gefühl, daß ihre Kraft nicht nutzlos ist .
Pflichterfüllung, fern vom Schuß und fern vom Ruhm, aber das
Gefühl, daß sie des Vaterlandes nicht unwert waren in seiner großen Zeit .
Denn sie leiden unverdient unter der Mißachtung, die ihnen die
Drückeberger, die Gott sei Dank unter uns sind, verdienten. Wo finden wir heute die Miesmacher ?
Deutschen selten
Unter den Kranken im
Land. Wo finden wir die Bierbankpolitiker, deren Reden ein Gemisch von Unkenntnis und Anmaßung sind ? Unter den Leuten, die nie Soldaten waren. Wo finden wir die Hetzer, die es sind Gott sei Dank wenige
an der Einmütigkeit des Volkes nagen ?
Unter denen, die
Kameradschaft und Hingabe an das Ganze nicht beim Militär gelernt haben. Bilden wir diese Elemente zu Soldaten aus , dann werden die. Miesmacher sich schämen, die Bierbankstrategen werden das Schweigen
254
Die russische Sommeroffensive.
lernen und den zersetzenden Elementen wird die Lust und der Erfolg bei ihrem erbärmlichen Treiben genommen . Dem, was die Begeisterung bei Beginn des Krieges instinktiv erstrebte , als alles sich zu den Fahnen und zu den Opfertischen drängte , dem, was das Zivildienstgesetz aus der Notwendigkeit der großen Zeit heraus fordert , kann eine bewußte Organisation näherkommen .
Ein
Schritt näher zu dem Ideal der allgemeinen Wehrpflicht , zu der Militarisierung unseres ganzen Volkes , das ist Absicht und Inhalt unseres Vorschlages .
Denn Militarismus ist nichts anderes , als die
Disziplin aus Überzeugung , als das Gefühl einer allgemeinen , gleichen , direkten , freilich manchmal im Geheimen ausgeübten Wehrpflicht , und als das Bedürfnis, wenn das Vaterland in Not ist , an irgendeiner Stelle Soldat zu sein .
XXIV .
Die russische Sommeroffensive.
Von Rhazen , Generalleutnant z . D. (Schluß. )
Am
29. Juli
erlahmte
an der Erschöpfung
des
Gegners ,
der
100000 Streiter, darunter dank der vernichtenden Artilleriewirkung in dichte Massen hinein, weit über 30000 Tote, eingebüßt hatte, die dritte Schlacht von Baranowitschi.
Gegen den Durchbruchs-
punkt Baranowitschi hatte sie keinen Schritt vorwärts gebracht. Angesichts der sehr starken Einsätze und enormen Verluste in diesen drei Schlachten liegt die Frage nahe , ob im Rahmen der am 4. Juni begonnenen großzügigen russischen Offensive, bei der sich die strategischen Ziele Kowel und Lemberg ganz die Operationen im
bestimmt und einwandfrei
Raume Baranowitschi von
abheben, vornherein und dauernd nur Entlastungszwecke hatten ? Daß der Durchbruch auf Baranowitschi als nächstes Ziel beabsichtigt war, unterliegt keinem Zweifel. Bedenkt man neben dem Einsatz und der Masse der Opfer aber auch die maẞlose Erbitterung, mit welcher die Russen am Szara- und Servetzufer in den Schlachten
255
Die russische Sommeroffensive.
gefochten haben , so ist die Annahme vielleicht doch nicht ganz von der Hand zu weisen , daß um die Zeit , in der, nach Einsatz stärkerer deutschen Kräfte, die Offensive über Luzk zum Stehen gekommen war, die russische Heeresleitung der III . Armee über Baranowitschi hinaus Brest - Litowsk und den Rücken der Heeresgruppe Linsingen zum Ziel gegeben hatte , die man zu durchbrechen , oder auf ihrem linken Flügel zu umfassen nicht vermocht hatte .
Das Gesamtergebnis nördlich des
Pripjet war in dem genannten Zeitraum
ein Mißerfolg.
Um diese
Zeit tauchte in der Ententepresse statt der zuerst laut verkündeten Durchbruchsoffensive " für die
Julioperation im Westen der
Begriff der „ Druckstrategie" auf, welche die deutsche Armee aufreiben sollte, eine Bezeichnung . welche man, bei der außerordentlich ungünstigen Bilanz von Einsatz und Gewinn , nur als Verlegenheitsausdruck für die fehlenden strategischen Erfolge ansehen konnte. Auf dreiviertel Millionen durfte man im ganzen die Verluste
des Zaren heeres wohl einschätzen.
Trotzdem
bestand bei der russischen Heeresleitung, durch des Zaren Forderung,
" Lemberg und Kowel ! " getrieben, der Entschluß zur Offensive , koste sie , was sie wolle , weiter.
Am 25. , 26. und 29. währte
der Kampf beiderseits der Straße Leszniow fort . der Nachmittag des 26. sah westlich Beresteczko einen abgeschlagenen russischen Angriff, und
zwischen
Radziwillow
mehrerer Anstürme .
und
dem Styr
das
Zusammenbrechen
Am 27. nachmittags gelang es einem mit un-
geheurer Kraft und Wucht angesetzten Angriff nördlich Brody,
mit
2 Divisionen unmittelbar westlich Radziwilow, östlich der von Leszniow nach Brody führenden Straße, einzubrechen .
Am Südrande von Brody
setzten österreichische Truppen den Kampf fort, Stadt und Bahnhof lagen zwischen den beiden Fronten. Am 29. Juli flaute die Kampfestätigkeit hier etwas ab,
während,
dank den Verstärkungen,
die seit
vielen Tagen die beßarabischen und podolischen Bahnen unausgesetzt an die Front schafften, am 29. die Offensive in Wolhynien in vollem Zuge war und auch beiderseits des Dnjestr wieder aufloderte.
Nörd-
lich des Prislopsattels hatten die verbündeten Truppen am 26. den Vormarsch angetreten , den Czarny Czeremosz überschritten , mit Teilen. die jenseitige Höhe gewonnen und Gegenangriffe abgewiesen. Am 27. waren am oberen Czeremosz mehrere russische Angriffe mißlungen. Südlich des Dnjestr kam am 28. der russische Anprall vor der östlich Tlumascz verlaufenden zweiten Linie zum Stehen, und an demselben Tage nord- und südöstlich Moansterzyska Tag und Nacht ununterbrochen gegen Stellungen der Armee Bothmer geführte Anstürme zum Scheitern . Um diese Zeit dürfte es gewesen sein, daß Brussilow
256
Die russische Sommeroffensive .
die Zuweisung von noch zwanzig weiteren Regimentern der Reserve erzwang , die, Kuropatkin die Möglichkeit einer Offensive nehmend, den Konflikt zwischen beiden Generalen herbeiführte. Wenden wir uns jetzt zu Wolhynien , so deutete der Tagesbericht vom 28. Juli an , wohin sich die Anstürme der Russen am 27. Juli gerichtet hatten .
„ Nordöstlich von Swiniuchy haben russische
Angriffe zunächst Boden gewonnen .
Gegenangriffe sind im Gange. “
Das war der Auftakt zum ersten großen
allgemeinen An-
griff auf Kowel , dessen Anbahnung am 28. Juli der Tagesbericht nachdrücklich betont . „ Die Russen haben ihre Angriffe gestern auf Teile des Stochodabschnitts und die Front nordwestlich Luzk ausgedehnt. " Von Obsyr, am Stochod, bis nach Zaturcze griffen 20 russische Divisionen an. Fast dramatisch hat ein Bericht aus dem Großen
Hauptquartier
offensive " geschildert.
diesen
Teil
der
„ russischen
Wir folgen ihm einige Zeit,
Sommer-
zumal er auch
Angaben enthält, die bis dahin amtlich nicht bekanntgegeben waren . „ Gegen unsere Front Lieniew -Zubilno - Trysten werden Divisionen über Divisionen gehäuft, bis zum 27. Juli abends sind hier im wesentlichen das russische XXIII . , XXXIX . (während des Krieges gebildete ) , das I. und II . Gardekorps und 3 Gardekavalleriedivisionen (also alle ) versammelt. Die russische Garde soll die Ehre haben , in Kowel als Sieger einzurücken .
General Besobrasow wird sie zum Siege führen .
Seit den Septemberschlachten 1915 um Wilna waren die russischen Gardekorps nicht mehr im Feuer gewesen.
In langer Ruhezeit waren
sie mit gut durchgebildetem Ersatz neu aufgefüllt, mit bestem Material neu ausgerüstet deren Ansturm Gardekorps
und wieder die Kowel unbedingt
standen
russischen Elitetruppen geworden . erliegen
würde .
In
den
beiden
der russischen Führung etwa 16 Infanterieregi
menter zu 4 Bataillonen, im ganzen 64 ausgewählte ,
seit
Jahren
vom Kriege unberührte Verbände zur Verfügung mit etwa 70000 Mann Infanterie für die vorderste Linie, mit etwa 100000 Mann, wenn man den Ersatz
einrechnet.
Rücksichtsloses Vortreiben
der Linien-
regimenter, kaltherziger Einsatz unerhörter Menschenopfer und der Ansturm unwiderstehlicher Gardetruppen mußten den Sieg erzwingen . Am 28. Juli setzt nach heftiger Artillerievorbereitung der allgemeine Angriff der
russischen VIII . Armee (Kaledine),
einschließlich Garde
unter Besobrasow, ein. Dem starken Druck gegen den rechten Flügel der angegriffenen Front gaben österreichische Verbände nach. Ein weiter nördlich mit rücksichtslosem Schneid angesetzter und durchgeführter Gegenstoß
eines
deutschen
Landwehrregiments wirft den
Feind zurück und stellt die Gefechtslage wieder her. Landwehrbataillonen gelingt es auch, vier österreichische Geschütze und einige
257
Die russische Sommeroffensive. Munitionswagen vom
Gegner
Der
zurückzuerobern.
rechte
Flügel
wird durch das prachtvolle Vorgehen eines deutschen Rekrutenbataillons und einer Gardekavalleriebrigade kräftig unterstützt . greifen inzwischen
8 russische Divisionen
(vom
Weiter nördlich
I. und II. Garde-,
XXXIX . und XXIII. Armeekorps) ein einziges verstärktes deutsches an. Während der rechte Flügel alle Angriffe abschlägt und Kisielin hält, muß der linke unter dem Druck überlegener Kräfte des II . Gardekorps hinter werden .
den
Stochodlauf,
Der Angreifer drängt
westlich Trysten, nach.
Fortsetzung der heißen Kämpfe,
Der
die sich
zurückgenommen
folgende Tag
bringt die
allmählich über
die ganze
Front der Heeresgruppe Linsingen ausdehnen .
Im südlichen Abschnitt
werden starke russische Angriffe südöstlich Swiniuchy abgewiesen , im Waldgelände woben erbitterte Handgranatenkämpfe unentschieden hin und her,
weiter nördlich wirft
ein
deutscher Gegenangriff den in
Österreichische Stellungen eingebrochenen Feind mit großem Verlust hinaus . Der russischen Garde gelingt es, ihren Teilerfolg vom Tage zuvor weiter auszudehnen und durch den Wald westlich von Trysten über den Stochod
vorzustoßen.
Ein Gegenangriff wirft den
Feind
zurück.
Der heiße Brennpunkt aber entwickelt sich im Gelände von
Kisielin .
Am Nachmittag zerschellte unter äußerst schwerem Verluste
der erste gegen Kisielin
vorgetragene Angriff.
unbarmherziges Vorpeitschen dichter Massen, Entfaltung.
In
drei
Brussilows Methode,
kommt hier
zur vollen
dichten Angriffswellen mit folgenden Gruppen-
kolonnen, mit nachdrückenden weiteren 20 Angriffswellen soll Kisielin genommen werden .
Die 23 Wellen und die Gruppenkolonnen
werden nutzlos hingeopfert Der gleichzeitig
im
und zerstäuben in
Südosten
blutige Einzelhaufen .
angesetzte Angriff
bricht schon im
Sperrfeuer zusammen . Um 4 Uhr nachmittags erneuter Ansturm , er wird, wie der erste, blutig und restlos abgeschlagen. Auch am 30. brechen alle Angriffe vor den Hindernissen nieder. Die am nächsten Tage (31. ) mit aller Wucht unternommenen Anstürme gegen das im Gelände von Kisielin auf beherrschender Höhe liegende Vorwerk Leonowka führen keinen Schritt vorwärts und erleiden dasselbe Schicksal. Inzwischen hat sich der allgemeine Angriff längs der ganzen Stochodlinie nach Norden ausgedehnt . Von Süden , Südosten und Norden drückt der Russe gegen die Front und sucht die schwache Stelle zum Durchbruch nach Kowel. Im Stochodabschnitt LiniewkaJanowka färbt sich das Wasser rot vom Blut der verwundeten und toten Opfer, die General Brussilow vergeblich vortreiben ließ . lich Janowka gelingt den Russen ein Einbruch.
Süd-
Die hier dünne Ver-
teidigungslinie wird in der Nacht zurückverlegt (auf die Sehne des vorspringenden Bogens). Das am Stochod östlich von Kowel stehende 17 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 543.
258
Die russische Sommeroffensive.
österreichische Korps weist in schweren Kämpfen alle Angriffe unter den größten Verlusten für den Gegner ab. dringt der Russe
Nur nördlich von Zaturcze
(I. sibirisches Armeekorps,
auf das linke Ufer und gräbt
77. und 78. Division)
sich in den Sanddünen ein .
Truppen
einer bayerischen Division treiben andere über den Fluß vorgestoßene feindliche Bataillone in wildem, unerbittlichem Gegenstoß zurück und bereiten ihnen nasse Wassergräber im Stochod . " Der Geschehnisse an der Front Prinz Leopold bis zum 29. Juli ist vorgreifend schon gedacht worden . Vor der Front Hindenburgs waren am 26. , 27. und 28. besondere Ereignisse nicht zu verzeichnen , am 29. starke Truppenverschiebungen auf der Strecke Wilejka — Molodetschno - Minsk, am 30. bei Friedrichstadt Abweisung starker russischer Aufklärungsabteilungen, an der Kanalstelle südlich Logiszyn und am Strumien scheitern russiscbe Angriffe. Wie schon angedeutet, hatte am 28. Juli auch die um 4 Divisionen verstärkte Armee Letschitzki die Offensive wieder aufgenommen. Zwischen den Bahnen Bukacz - Monasterzyska und Kolomea - Nadworna kam es zu schweren Kämpfen , deren Brennpunkte nördlich des Dnjestr die Abschnitte Olesza - Przewłoka und Welesniow am Koropiec , südlich Molodylow, bildeten. Am 29. dauerten wie in Wolhynien, so auch in Galizien , die Schlachten mit unverminderter Kraft an . Vom Raume südlich Kolomea angefangen bis zu den Höhen nordwestlich Buczacz wütete zu beiden Seiten des Dnjestr die Schlacht ; auf einer Linie von 60 km Breite erfolgte der Ansturm
im Gelände westlich
Olatyn und an der Korpiecfront, wo der Gegner seine Anstrengungen besonders gegen Monasterzyska richtete. der Armee
Bothmer unter ungeheuren
Alle Angriffe
wurden von
russischen Verlusten
abge-
schlagen . Während in der Bukowina am folgenden Tage Truppen Pflanzer-Baltins die feindlichen Vorstöße abschlugen, setzte am 30. der Gegner im Westen von Buczacz seine Angriffe mit größter Zähigkeit und gründlichem Mißerfolg fort .
Auch
westlich Brody waren
an diesem Tage mißlungene Stöße zu buchen ,
dasselbe negative Er-
gebnis für den Gegner am 31. bei Molodylow, sowie am
1.
August
südwestlich
Welesniow und auch im Süden ,
Buczacz ,
Buczacz, Welesniow,
bei
Wisniowczyk
und
Südwesten und Westen von Brody.
Kehren wir nach Wolhynien zurück, wo Brussilows Sturm gegen Kowel der Leitgedanke war und folgen zunächst noch der Darstellung des „ Kampfes um Kowel " aus dem Großen Hauptquartier. Der dritte Tag des allgemeinen Angriffs auf Kowel bricht an (30. Juli) . Die aufgehende Sonne
beleuchtet Leichenfelder vor unseren Hinder-
nissen längs der ganzen Front
und
zieht den
nächtlichen Schleier
unbarmherzig von qualvollen Todeskämpfen der in Sumpf und Wasser
259
Die russische Sommeroffensive. erstickenden und ertrinkenden Angreifer. den Tag,
an dem der Befreier
Sie leuchtet aber auch über
Ostpreußens
zum
Oberbefehlshaber
über die gesamte deutsch-österreichische Ostfront vom Rigaischen Meerbusen bis Wolhynien ausersehen wurde . Generalfeldmarschall von Hindenburg tritt dem General Brussilow gegenüber. Die Schlacht ist eine Studie für den Feldherrn . Wer wird der Klügere sein , Du oder er ? So kennzeichnete einst der Oberbefehlshaber den Geisteskampf zweier Feldherren gegeneinander, deren Gedanken sich in blutige Taten umsetzten . Ein neuer Faktor griff mit dem Oberbefehlshaber in das wechselvolle Spiel des Ausgleichs der gegenseitigen Kräfte . General Brussilow stützt sich auf den Druck der in Bewegung gesetzten und durch unerschöpfliches Menschenmaterial aufzufüllenden Massen . Der Feldmarschall vertraut dem unerschütterlichen Siegeswillen
eines seit zwei Jahren gegen zahlenmäßige Über-
macht kämpfenden Heeres, das zusammen mit dem ganzen Volke , unbeirrt durch alle Wechselfälle des Krieges an seinen Feldherrn glaubt.
Die beiden folgenden
Tage
( 31.
Juli
und
1. August)
,,bringen den Abschluß des ersten allgemeinen Angriffs gegen den Stochod. " Am 30. Juli legt der Feind den Hauptdruck auf die Abschnitte beiderseits der Bahn Sarny - Kowel, zwischen Wietoniec und der Turya, südlich der Turya und beiderseits der Lipa. Überall fast trugen die Anstürme den Russen nur schwere Verluste ein. Am 31. erschöpften sich die Russen an der Stochodfront weiter in erfolglosen Angriffen,
nördlich
Smolary,
nordöstlich der
Bahn Rowno-
Kowel bei Porsk , wo ein Gegenstoß sie warf, zwischen die Tuniec und Kisielin. Russische Unternehmungen mit verstärkten Kräften beiderseits des
Nobelsees
Gegend von Lubieszow
dehnten (unterer
Stochod)
erfolge, Angriffe im Stochodbogen Rücksicht
auf Menschenverluste
unsere Stellungen
sich am
1. September aus, und
auf die
lieferten Miß-
erlagen unserem Sperrfeuer ; immer wiederholte
zwischen Witoniec
ohne
Anläufe gegen
und Turyga blieben
erfolglos .
Auch die gegen den Abschnitt Sadowo - Swiniuchy - Swiniacze herangeführten Divisionen hatten umsonst geblutet . „ Der Kampf um Kowel". Das Große Hauptquartier schreibt über die Tage des 31. Juli
und 1. August : „ Der
erste
Akt der
Schlacht
von Kowel
endete für den Gegner mit einem großen Schuldkonto, geringem Raumgewinn , vereinzelten, in keinem strategisch verwertbaren Zusammenhange stehende
örtliche Erfolge,
bezahlt man mit selbst für
Brussilows Führung unerhörten Blutopfern . Nicht ein einziger entscheidender Schritt vorwärts auf dem Wege nach Kowel. Auch die Versuche, an den letzten Angriffstagen den Schwerpunkt mehr nach Norden, gegen den Stochodlauf,
östlich Kowel,
zu verlegen, 17*
blieben .
260
Die russische Sommeroffensive .
ohne Erfolg. Neue Truppen waren herangeschafft, die Gardekorps nach Osten an den Stochod verschoben worden . Erbitterte, unerhört heftige Kämpfe , besonders im Gelände bei Smolary, brachen , unter furchtbaren Verlusten, zusammen . Am 1. August wollte der Gegner bei Kisielin noch
einmal den Durchbruch
erzwingen .
In
sechs An-
griffen wurde die Truppe schonungslos vorgetrieben, in sechs Angriffen brach sie blutig zusammen . Nördlich der Bahn aber herrschte am 1. August teilweise eine unheimliche Ruhe, die russische Infanterie hat dort anscheinend dem Angriffsbefehl den Gehorsam verweigert . Am 2. August griff der Feind im allgemeinen nicht an. Nur in der Nacht
zum 2. August hatte
er einen
kräftigen Vorstoß gegen das
Gelände südlich von Rudka - Mirynska unternommen , der völlig mißglückte . Fluchtartig gingen die Russen zurück und ließen in diesem kaum 2 km breiten Streifen 800 (gezählte , wundete
zu
schließen)
Tote liegen .
wonach auf 3200 Ver-
Ihre Gesamtzahl
mag in dem
teilweise durch hohes Gras unübersichtbaren Gelände höher gewesen sein.
Von
zwei Bataillonen
des 8. Schützenregiments kehrten 162 ,
vom ganzen 7. Schützenregiment nur zwei Kompagnien zurück.
Der
bestimmte Befehl des Zaren, Kowel unter allen Umständen zu nehmen, und das Streben , diesem Befehl gerecht zu werden, ließ am 3. August den Führer des I. Turkestanischen Korps seine Truppe bei Rudka— Mirynska gegen die österreichischen Gräben vortreiben, wo sie eine Brückenkopfstellung zu schaffen suchten .
Preußen,
Bayern und ein
Polenbataillon warfen, von Westen und Norden anfassend , die Turkestaner über den Fluß zurück. Vier Tage Vorbereitung und zum 7 . soll der Durchbruch auf Kowel aufs neue versucht werden." Als die neue Befehlsgliederung an der Ostfront dem Feldmarschall Hindenburg den Oberbefehl im weiten Raume vom Rigabusen bis nordwestlich Tarnopol übertrug, mit den Heeresgruppen Eichhorn , Prinz Leopold, Linsingen und Armee Boehm - Ermolli, an die sich rechts die Front des Erzherzogs Karl,
mit dem
auch deutsche und
osmanische Truppen enthaltenden Armeen Bothmer, Köveß und Pflanzer-Baltin anschlossen, die Befehlsgebung vereinfachend, vereinheitlichend und beschleunigend , lief unsere ,
nördlich des Pripjet
unverändert gebliebene, Kampflinie vom Nobelsee auf Lubieszow, den Stochod entlang, des
zwischen Kaszowka und Janowka auf der Sehne
nach Osten vorspringenden Bogens,
weiter,
den Flußlauf ver-
folgend auf Kisielin , östlich Lokaczy, auf Swiniuchy - Gorochow nach Südost auf Lobaczewka - Boldory, westlich Brody,
bei
Ponikawicza
wieder nach Osten biegend, südlich Brody sich nach Süden wendend , von Wertelka
eine
Strecke den Sereth begleitend ,
östlich Koszlow
der Strypa folgend , östlich Monasterczyska - Nizniow, westlich Ottynia
261
Die russische Sommeroffensive .
östlich Lanczyn- Delatyn , westlich Mikuliczyn , östlich Worochta, westlich Tatarow über Zabie, östlich Kreta - Tomnatic auf Kirlibaba , östlich Jakobeny auf Dorna - Watra. ,,Noch aber sind die Macht
und der Wille
des Feindes nicht
gebrochen. In schwerem Streiten müssen wir weiter ringen und die Sicherheit unserer Linien, um des Vaterlandes Ehre und für die Wir werden in diesem Entscheidungskampfe , Größe des Reiches. gleichviel,
ob der Feind
ihn
mit Waffengewalt oder mit
kalt be-
rechnender Tücke führt, auch im dritten Kriegsjahre die Alten bleiben “ , hieß
es in des
Kaisers Kundgebung an Heer und Flotte an der
Schwelle des dritten Kriegsjahres . Tagen des zweiten Kriegsjahres
Schwerer Streit tobte in den letzten nicht
nur im Osten,
sondern auch
im Westen, wo die Dauerschlacht an der Somme zur größten Heftig keit angeschwollen war, allerdings ohne daß es dem Feinde gelungen wäre, einen Fuß Boden zu gewinnen . griffs in Wolhynien Stochod,
mehr
im Raume
von Berestesko
als 125 km betragen,
Kolomea, längs des Koropiec
Hatte die Frontbreite des An-
so
bis Stobychwa am
spannte
von Nordwesten
und der Strypa fortlaufend ,
bis nach
Wolhynien die Kampffront 200 km. In Südostgalizien sprach sich als Ziel der unausgesetzten Angriffe der durch stets neue Zuflüsse dauernd genährten Armee Letschitzky die
Besitznahme
ordentlich wichtigen Knotenpunktes Stanislau immer
des
außer-
deutlicher aus.
Tag und Nacht stürmten die Russen dort gegen die Stellungen östlich Tlumacz und zu beiden Seiten der Bahn Kolomea-Stanislau im Raume Ottynia - Molodylow . Ebenso wurde westlich und nordwestlich von Buczacz um das Gelände von Olesza und im Raum südöstlich Barysz,
von Monasterczyska,
zwischen
den
mit größter Erbitterung gerungen,
Flüssen
Koropiec
und
aber alle Anstrengungen ,
die Armee Bothmer zu durchbrechen , wurden zu schweren Blutopfern . Weiter nördlich war das Ziel der mit rücksichtslosem Menschenverbrauch
durchgeführten
Angriffe
offensichtlich
der
Durchbruch in
Richtung auf die Bahn von Lemberg über Zloczow auf Tarnopol. Was es bedeutete,
daß Heer und Flotte auch im dritten Kriegsjahre
die Alten blieben , wußten unsere Gegner noch besser, wie wir.
Tag
für Tag erfuhren sie es an den furchtbaren Verlusten und dem heldenhaften Widerstand , den sie an unseren Reihen erlebten . In der Südbukowina scheiterten vor den
Bergstellungen der Armee Pflanzer-
Baltin wiederholte Vorstöße und
am
3. August
schritt
der
linke
Flügel dieser Armee, im Einklang mit dem rechten der Nachbargruppe, zwischen oberster Moldawa und Czarny- Czeremosz zum Angriff vor, der sich
schrittweise
Czarny - Czeremosz
und Delatyn
günstig entwickelte .
Die zwischen
versammelten verbündeten
Streit-
262
Die russische Sommeroffensive.
kräfte konnten gleichfalls ,
aus der reinen Abwehr zum Angriff über-
gehend, Raum
Zwischen Delatyn und Dnjestr setzte der
gewinnen .
Feind sehr starke Kräfte gegen die Front Köveß ein und zwang sie, die Verteidigung in die westlich der Linie Ottynia - Tlumacz bereitete zweite Stellung zurückzuverlegen. Auch
die Armee Bothmer
vor-
stand dauernd unter starkem Druck
bedeutender feindlicher Überlegenheit , ohne Raum zu verlieren.
Nach
Besitz von Brody dehnten die Russen ihre Angriffe gegen die gesamte. bis Tarnopol reichende Front der Armee Boehm-Ermolli aus. Für den 3. August meldeten unsere Verbündeten abgeschlagene Angriffe gegen die Stellungen bei Zloczow. für den 4. ebensolche nordwestlich Zaloscze und das Werfen feindlicher Abteilungen , zelnen
Stellen
gelungen
war,
die Serethniederung
denen es an einzu
überschreiten
(Ratyscze), während der Gegner bei Miedzygöry und Czistopad sich auf dem Südufer noch hielt. Für den 5. kam die Meldung, daß die Russen bei und nordwestlich Zaloscze das westliche Serethufer gewonnen hatten, für den 6. , daß nordwestlich und westlich Zaloscze russische Angriffe gescheitert waren
und daß südlich davon auf dem
rechten Serethufer noch Kämpfe stattfanden ; für den 7. August wurde gemeldet, daß nordwestlich Zaloscze wiederum feindliche Angriffe gescheitert waren ,
während
südlich Zaloscze ,
im Verein
mit Truppen
Bothmers, ein Gegenstoß dem russischen Angriff Halt gebot . im
Raume Zloczow- Zborow ausgeladene
Divisionen
Deutsche
hatten
sofort
nach ihrem Eintreffen eingesetzt, im Anschluß an Truppen der Südarmee eingegriffen und
die augenblickliche Gefahr
für Lemberg und
die Stellungen der Südarmee behoben . Südlich des Dnjestr war der Gegner am 7. August in ungefähr 30 km Front mit starken Kräften vorgebrochen. In Bukarest begann damals ein der französischen Gesandtschaft zugeteilter Lustspieldichter die Rumänen in demselben Sinne, wie d'Annunzio 1915 im Mai seine Landsleute , diese, aus der Fülle seiner Weisheit über die Interessen ihres Landes aufzuklären. Am Isonzo tobte seit dem 3. August die sechste Schlacht, auf den Görzer dieses Abschnitts
Brückenkopf ausdehnte und und
das Zurückgehen in die
die sich am 5. auch am 8. zweite ,
die Räumung östlich Görz
vorbereitete Stellung veranlaßte. Charakterisieren wir die strategische Gesamtlage an der Ostfront um diese Zeit, so heben sich deutlich auf russischer Seite eine wolhynische und eine galizische Operation ab . Konzentrisches Operationsziel der Armeen
Lesch und
Kaledine
ist Kowel, das um jeden Preis genommen werden soll, während der Armee Sacharow was gleichzeitig eine Umgehung Bothmers wäre —
Die russische Sommeroffensive.
263
Lemberg als Ziel dienen soll, auf das die taktisch gegen die Armee Bothmer in ostwestlicher (über Wisnioczyk) und südwestlicher (auf Welesniow) Sinne gerichteten Angriffe und die Armee Tscherbatschew, die das Zentrum vergeblich aus den Angeln zu heben versuchte , strategisch ebenfalls zielt und in dieser Beziehung als konzentrisch mit Sacharow operierend angenommen werden kann . Südlich werden die Operationen von Letschitzky gegen Pflanzer-Baltin und die Heeresteile zwischen Kolomea und dem Dnjestr geführt . Der 7. August war,
wie schon angedeutet,
als Termin auch für
den zweiten Durchbruchssturm auf Kowel festgesetzt, er wurde aber auf den 8. verschoben. Am 8. , so wurde aus dem Großen Hauptquartier geschrieben , des
heißen
leitet
Ringens um
heftiges Trommelfeuer
Kowel ein.
General
den
zweiten Akt
Brussilows Angriffs-
methode feiert jetzt ihren Triumph. Am Vormittag gegen 11 Uhr stürmt der Feind nach starker Artillerievorbereitung wieder gegen Vorwerk Leonowka . In sechs Wellen , wieder mit den folgenden Gruppenkolonnen,
wälzt
sich
die
Sturmflut heran.
Die
vorderen
Wellen werden von Offizieren geführt, die hinteren Wellen durch Offiziere, wie deutlich erkennbar, mit geschwungenen Peitschen getrieben. Vielleicht versprach sich der russische Führer eine größere wenn sie
von Offizieren ,
statt wie sonst, von Kosakenhorden ausgeübt wurde .
moralische Wirkung
dieser Henkersarbeit,
Weiter südlich
hatten sich gleichzeitig heftige Angriffe gegen die dort mit deutschen Truppen vermischten k. und k. Verbände entwickelt . Überlegener Feind drückte nordwestlich Liniew österreichische Stellungen ein, wurde aber durch sofortigen Gegenstoß deutscher Truppen in seine Ausgangsstellungen
zurückgeworfen .
Auf dem linken Flügel unserer
Front entbrennen neue, heiße Kämpfe .
Das I. Gardekorps setzt hier
nach kurzer Ruhe seine beiden Divisionen zu weiteren Sturmangriffen ein. Am Stochod, westlich Janowka , dringt Gardeinfanterie am Spätnachmittag des 8. in einen längeren Nacht hinein tobt
Grabenabschnitt.
der erbitterte Handgranatenkampf.
nacht herrscht Ruhe.
Der Verteidiger
hat
Bis in die Nach Mitter-
die Gräben wieder ge-
wonnen und schläft neben Hügeln toter russischer Gardeinfanteristen . Auf dem äußersten Nordflügel,
im Gelände von Smolary,
russische Führung das I. sibirische Armeekorps ein .
setzt die
Hier entspannen
sich erbitterte Kämpfe vom 8. bis 10. August, besonders um die Sanddünen von Zarecze. Zwischen 8 Uhr abends und 4 Uhr in der Frühe des 9. stürmen die Sibirier mit Teilen der 77. Division nicht weniger als sechsmal ; ungeheure Blutopfer lassen einen bescheidenen örtlichen Erfolg gewinnen , einige Sanddünen des linken Ufers bei Zarecze. So endet mit dem 10. August der zweite allgemeine An-
264
Die russische Sommeroffensive .
griff auf Kowel.
Brussilows Führung kennzeichnet sich
durch eine
fast an Grausamkeit streifende Kaltherzigkeit im Opfern seiner Menschenmassen zur Erzwingung seiner strategischen Pläne. In zwei groß angelegten, gewaltigen Sturmangriffen von mehrtägiger Dauer sinken die Sturmtruppen mit ungeheuren Verlusten zusammen. Das strategische Ziel bleibt unerreicht, Das ist der Gewinnst.
hier und
dort
ein geringer örtlicher Erfolg .
Weiter tobten die Kämpfe um die Dünen bei Zarecze , wo die angreifenden
Truppen des
I. sibirischen Armeekorps,
der 77. und
78. Division vom 28. Juli bis Mitte August 30000 Mann eingebüßt haben mögen. Aussagen von Gefangenen sind vorsichtig zu bewerten . Immerhin darf aus ihnen und aus unseren eigenen Wahrnehmungen geschlossen werden ,
daß
die
russische Führung ihren
strategischen
Mißerfolg in der Schlacht um Kowel bisher mit einem blutigen Verlust von mehr als 100000 Mann bezahlt hat. Am 12. August sollte Kowel in russischer Hand sein schreckend Hand. "
hoher Preis war gezahlt.
Nicht kleiner war die Niete ,
um
jeden Preis .
Ein er-
Aber Kowel blieb in unserer
welche die
russische Führung
weiter südlich in dem an Blutopfern nicht ärmeren Kampfesspiel um die Erreichung des strategischen Zieles Lemberg bis dahin zog.
Örtliche Erfolge,
erzielen gewußt,
Bodengewinn hatte die russische Führung zu
aber Lemberg lag noch fern.
Strategische Erfolge
erwuchsen aus den schrittweise sich entwickelnden Frontkämpfen nicht, da ihnen die Vorbedingung der Durchbruch - fehlte, der nirgendwo , auch nicht zwischen Lipa und Karpathen erreicht war. Was nördlich des Pripjet vom 9. August bis zu dem 11. , an welchem unsere Oberste Heeresleitung zum ersten Male von den durch russische Kräfteverschiebungen veranlaßten , in weiterer Durchführung befindlicher Umgruppierung sprach , 16. August
an erfolgten
und darüber hinaus bis zum
russischen Unternehmungen
zu verzeichnen
war, zwischen Wiszniewsee und Smorgon , sowie in der Gegend nordöstlich Kriewo , bei Pinsk, am Serwecz und am 8. und 9. im Frontabschnitt von Gorodiszcze, nordöstlich Slonim , wo das XXXV . Korps vergebliche Anstürme bei Tag und Nacht unternahm , und das, bis zu unseren Gräben gelangte ,
tot oder gefangen liegen ließ,
was kann
man in der Hauptsache wohl als von dem Gedanken, uns an Kräfteverschiebungen zu hindern , ausgehend betrachten . Am 9. meldete der Tagesbericht der Obersten Heeresleitung :
„ Südlich Zaloscze ent-
wickeln sich heute neue Kämpfe " und 99vor der Front des Erzherzogs Karl bei und südöstlich Weleszniow (am Koropiec) sind starke russische Angriffe, teilweise in frischem Gegenstoß, zurückgeschlagen. Hier
265
Die russische Sommeroffensive . und südlich
des Dnjestr sind
die
befohlenen Stellungen planmäßig
eingenommen. " Und der unserer Verbündeten : 99 Nördlich von Wiszniow griffen die Russen wieder vergeblich an. Sie wurden überall, an mehreren Stellen im Nahkampf, geworfen. Mit der Armee von Köweß , deren Anwesenheit auf diesem Schauplatz damit bekanntgegeben wurde ,
trat der Gegner gestern ( 9. August) im Raume von Delatyn Auf den Höhen südlich Zabie wiesen
in schärfere Gefechtsfühlung.
österreichisch- ungarische Truppen schweren Feindverlusten ab. “ Am 10. August
russischen
einen
unter
Angriff
erfolgte an der Heeresfront Erzherzog Karl in
den Karpathen südlich Zabie wieder eine Abweisung russischer und nordöstlich Stanislau und südwestlich Monastercyska stark überlegener feindlicher Angriffe, hartem Ringen
einige örtliche Erfolge errangen,
die wohl
aber
zum Stehen
Tagesbericht unserer Verbündeten,
gebracht wurden.
nach
Der Zusatz im
die in diesem Raum kämpfenden
Streitkräfte sind im Begriff, jene Räume zu erreichen , die ihnen , angesichts
der
feindlichen
Kräfteverschiebungen ,
sind, " läßt darauf schließen , handelte .
Schon
daß es
zugewiesen
worden
sich um Nachhutkämpfe
oben wurde bemerkt, daß südlich des Dnjestr
der Gegner in 30 km Front am 7. August vorgebrochen war ; Delatyn am Pruth, Tyscienica, an der Woronia , wurden am 10. von den Russen genommen, und Stanislau ohne Kampf von unseren Verbündeten geräumt. Im Raume von Podkamien , dann südlich Zalosze begannen die gegen die Armee Boehm-Ermolli der Heeresfront Hindenburg ohne größere Erfolge sich erschöpfenden Angriffe der XI . Armee, Sacharow , die gegen Lemberg sowohl, als Zloczow, Raum zu gewinnen strebten . „Die südlich von Zalosze eingeleiteten Kämpfe haben größere Ausdehnung angenommen , " sagt unsere Oberste Heeresleitung. Ein deutscher Gegenstoß brachte den russischen
Angriff,
der
zwischen
Bialoglowy und Gorodiscze zunächst Boden gewann, zum Stehen, starke Angriffe in der Gegend von Troscieniec blutig abgewiesen,
die sämtlichen
(wie auch am 11. ) wurden
Versuche, am Sereth,
Gorodiszcze , Vorteile zu erringen, waren restlos gescheitert.
südöstlich Der Tages-
bericht der Obersten Heeresleitung vom 11. enthält auch den schon angedeuteten Satz :
„ Die im Gange befindliche Umgruppierung der
verbündeten Truppen, die angeordnet wurde , um den russischen Kräfteverschiebungen Rechnung zu tragen ,
ist in
weiterer Durchführung “ ,
aus dem ebenfalls auf Nachhutkämpfe geschlossen werden darf. Der Angriff der
in den
Karpathen
kämpfenden
verbündeten
Truppen schritt am 11. August erfolgreich fort und brachte Gefangene und Beute. Gefecht,
Beiderseits des Capul traten neue deutsche Truppen ins
südöstlich Worochta fand ein Abweisen russischer Angriffe
266
Die russische Sommeroffensive .
statt, im übrigen war lebhafte Kampfestätigkeit,
an der Heeresfront
Erzherzog Karl an diesem Tage nur an der unteren Slota Lipa, zu verzeichnen.
Westlich Zalosze
mehrere Angriffe ab . Divisionen westlich westlich von
wies Boehm-Ermolli an diesem Tage
Dasselbe Bild am 12., an dem zwei russische von Stanislau blutige Nasenstüber erhielten,
Monasterszyska
und
südwestlich Stanislau ,
sowie süd-
westlich Worochta russische Angriffe abgeschlagen wurden . Am 13 . nördlich des Dnjestr ziemlich auf der ganzen Front erneute Kämpfe . Auf der Höhe nördlich Mariampol Zersprengen einer russischen Kavalleriebrigade, engste Gefechtsfühlung vom Dnjestr bis südlich Zalosze, südlich Horozanka ein scheiternder russischer Vorstoß , ebenso bei Augustowka und im Raume von Zboro am Luh- und Graberkabschnitt , wo am 14. südlich Brody alle russischen Angriffe als niedergebrochen bezeichnet werden konnten . Gleiches Mißlingen für die Russen am Oginskykanal und in der Gegend Strobowa.
Während am 14. in der
Bukowina bis zum Tomnatik der Angriff der Verbündeten fortschritt und überlegene russische Kräfte bei Worochta österreichische Truppen zum Weichen in die Stellungen auf den Tatarenpaß zwangen , während die Armee Köveß um Stanislau und südlich Jezupol russische Vorstöße zurückwarf,
wüten nördlich
des
Dnjestr Kämpfe in dem Abschnitt
Zboro -Koninchy, an den von Brzezany und Potutory nach Kozowa führenden Straßen und südwestlich von Potkamien, wo die Armee Boehm -Ermolli dem Gegner so schwere Schlappen beibrachte, daß er sich am 15. nur zu Einzelangriffen aufraffen konnte, die durch Gegenstöße
abgewiesen wurden .
Obczyna
mit
Hilfe
Vom
deutscher
Capulgebiet, Verbände
wo die
genommen
Toustobahy- Konczaky, nördlich des Dnjestr,
Höhe Stara wurde ,
über
wo russische Vorstöße
erfolglos blieben, bis zum Abschnitt Batkow - Hartuzow, wo russische Angriffe scheiterten ,
zeigte sich am 16. ,
daß die
Offensivkraft
der Russen , hinter deren Front lebhafte Truppenverschiebungen beobachtet wurden , noch nicht erschöpft war. Was der Vierbund, trotz des gewaltigen russischen Druckes noch Stoßkraft besaß, bewies die am 17. August kräftig einsetzende, den Vierverbandsplänen zuvorkommende deutsch-bulgarische Offensive gegen Sarrail. Nachdem
die Versuche,
von Nordosten gegen Lemberg durch-
zustoßen, am Einsatz deutscher Kräfte blutig gescheitert waren , hatten die Russen am 16. begonnen , beiderseits der Bahn Tarnopol stärkere Kräfte zusammenzuziehen . Die Stöße sollten nun aus mehr südlicher Richtung versucht werden .
Viereinhalb russische Divisionen ,
bei je
16 Bataillonen Bestand , siebenfach überlegen , stehen hier im Aufmarschraum nicht ganz einer sehr schwachen gemischten verbündeten gegenüber. Am 17. werfen bei der
Die russische Sommeroffensive .
267
Armee Bothmer österreichische Bataillone und türkische Truppen russische Angriffe zurück, verharrt der in den vorhergehenden Tagen schwer geschlagene Gegner dem rechten Flügel der Heeresfront Hindenburg gegenüber in der Ruhe der Erschöpfung. Von den folgenden Tagen brachte der 18. in der Bukowina die Erstürmung der Magurahöhe , westlich Moldawa, westlich Zabie das Zurücknehmen verbündeter Truppen gegen den Czernahorarücken , bei Szelow scheiternde russische Angriffe,
beiderseits des viel umstrittenen Rudka - Czerewiszcze ört-
liche Kämpfe, an vielen Stellen der Stochodfront gesteigertes Artilleriefeuer, westlich des Nobelsees restloses Zurückwerfen angreifender Russen, der 19. Abschlagen von Angriffen auf der Magura-, Erstürmen der Kretahöhe durch deutsche Truppen , Fortsetzung der Kämpfe an den Nordostabhängen der Czernahora, lich
des
Tatarenpasses,
südlich
Kolonnen durch Artilleriefeuer,
Scheitern von Angriffen nörd-
Horozanka
Zersprengen russischer bei Kisielin Werfen der Russen aus
vorgeschobenen Gräben durch deutsche Truppen und bei RudkaCzerewiscze erfolgreicher Gegenstoß gegen den auf das Westufer vorgedrungenen Feind . Vergebliche russische Anstrengungen westlich Moldawa, südöstlich und westlich Zabie verlorenen Boden wieder zugewinnen,
unveränderte Lage beiderseits des Tartarenpasses, Niederbrechen aller Versuche, die Stellungen auf dem Westufer bei RudkaCzerewiscze zu erweitern und scheiternde Angriffe südwestlich Lubieszow,
am Stochod, füllten den 20. August aus. Fortsetzung russischer Angriffe bei Rudka Czerewiscze , die an zähe haltender bayerischer und österreichischer Kavallerie scheitern, Zusammenbrechen von Angriffen am Luh- und Graberkaabschnitt und weiter südlich schon im Sperrfeuer, Eindringen des Gegners in kurze Grabenstücke bei Pieniaki und erfolglose
Gegenangriffe beiderseits des Czarny Czeremosz bezeichnen den 21. und im letztgenannten Raum auch den 22. August. Am 23. lief, bündeten
nördlich des Pripjet
südlich des Flusses
unverändert,
den Stochod
Czarny - Kowel, Luzk - Kowel querend ,
die Front der Ver-
entlang,
die Bahnlinien
im Bogen westlich um Luzk
herum ,
an die obere Turya , wo Linsingen die Russenstürme gegen Kowel gebrochen hatte, über Kisielin - Szelwow- Swiniuchy, über die obere Lipa, westlich Brody gegen Zborow über die Armee Bothmer
und westlich der Zlota Lipa, den Dnjestr an der Bystrzycza-Mündung schneidend, auf dem Tartarenpaß, unter einem stumpfen Winkel über die zuletzt erkämpften Höhen nordöstlich des Karpathenhauptrückens zur rumänischen Grenze. Eine Spanne von den Kampffeldern
nur vier Tagen
trennte uns
damals
ohne größere Ereignisse auf noch
von dem 27. August ,
der, obwohl Bratianus Bedingungen nicht erfüllt waren und wurden , auf
268
Die russische Sommeroffensive .
starken Druck der Entente das mit dem Schandmal des Wortbruches befleckte Rumänien
in
deren
Reihen
führte .
Nicht ein Beweis
der Stärke der Entente war der Druck auf seinen Beitritt , sondern ein Symptom der Schwäche . Kühn waren die Hoffnungen des Vierverbandes : der neue Kraftfaktor sollte, die südliche und südöstliche
österreichische
Flanke umfassend ,
den
Russen die
Karpathenfront sprengen und den Krieg in das Herz Ungarns tragen helfen, während Brussilow den Durchbruch auf Kowel und,
doppel
seitig, auf Lemberg weiter versuchen würde ; russisch-rumänische Massen würden aus der Dobrudscha vorbrechend, auf dem Balkan , als Hauptschauplatz, dem Vierverbande das Gesetz des Handelns geben.
Kurz war der Wahn , denn
zuvorkommend hat der Vier-
bund sich die Initiative gesichert und Rumänien kann und wird ein Faktor nicht
der Stärke,
sondern der Schwäche werden.
Trotz ge-
waltigsten russischen Drucks haben wir den Kraftüberschuß besessen, dort unserem neuen Gegner und seiner russischen Hilfe das Gesetz des Handelns zu diktieren und die Ententebalkanpläne in Scherben zu schlagen. Zwei Tage nach dem rumänischen Treubruch tritt der zum Heros des deutschen Volkes gewordene Feldmarschall von Hindenburg die Stellung des Chefs des Generalstabes des Feldheeres an, mit seinem
treuen
Gehilfen
Ludendorff, die Einheitlichkeit der Heeres-
leitung im Osten und Westen,
Norden
und Süden
auch äußerlich
verkörpernd. Die Neugruppierungen der verbündeten, durch die wackeren Osmanen vermehrten Streitkräfte in dem weiten Raum beiderseits des Dnjestr, die Korrektur der ungünstig gewordenen Front war noch im Gange, die Wirkungen seiner Anordnungen aber bereits erkennbar : die gewaltige, taktisch zunächst so erfolgreiche Offensive Brussilows schien auf den toten Punkt gelangt zu sein, vom Meer bis
zur rumänischen Grenze
Verbündeten.
reicht die unzerreißbare Defensive der
Die Bilanz der mit Massen , wie niemals vor-
her , unternommenen Offensive des kaltherzigen Menschenschlächters Brussilow zeigte Nieten auf der einen Seite , denn nirgendwo, nicht am Stochod , nicht bei Kowel , nicht von Nordost, Ost und Südost auf Lemberg, nicht an der Karpathenfront gelungener Durchbruch , der die unabweisbare Vorbedingung des Erreichens der strategischen Ziele bilden mußte, - ein fast uferloses Blutmeer auf der anderen . Die Blutbahn der russischen Sommeroffensive
Monats,
eher
mehr
säumen
denn
zu
weniger
Ende
als
ihres
dritten
eine
Million
russische Opfer. Unzerrissen, wenn auch eingedrückt, elastisch und undurchbrochen aber hatte die Ostfront der Verbündeten auch den gewaltigsten gleichzeitigen Druck überstanden , dessen
269
Die Jugendwehrorganisation eines Bezirks.
Rußland in diesem Kriege
fähig gewesen ist und fähig sein kann . Das war im Osten das Fundament , auf dem die verbündeten Heere und die verbündeten Nationen dort in den neuen Kriegsabschnitt eintreten, der in der Hauptsache unter dem Zeichen „Hindenburg" stehen wird.
XXV .
Die Jugendwehrorganisation
eines
Bezirks .
Die Tätigkeit einer deutschen Jugendwehr . Programm eines Führerkursus für Jugendwehrführer .
Von Professor Broßmer¹ ), Oberleutnant d . Res.
Der militärische Leiter. Die Oberleitung der Jugendwehr eines Amtsbezirks liegt, wir z. B. die Verhältnisse in Baden zugrunde legen ,
wenn
in den Händen
des Großherzoglichen Amtsvorstandes , der zu seiner Unterstützung in fachmännisch-militärischen Dingen einen militärischen Leiter der Jugendkompagnien seines
Bezirks ernennen
kann .
Die Ernennung eines
militärischen Leiters ist für eine planmäßige Arbeit und für das Gedeihen der Jugendwehr, wie die Erfahrung gezeigt hat, unbedingt notwendig . Der militärische Leiter gibt den Herren Kompagnieführern und den Unterführern die nötigen Anleitungen von vervielfältigten Befehlen. Auf demselben Wege
in der Form erhalten die
Herren Führer den Arbeitsplan, für einen bestimmten Zeitraum genau festgelegt, ausgehändigt .
Führerversammlungen. Wie
auf allen
Gebieten der Jugendpflege
sind mündliche Be-
sprechungen aller Führer über die gemachten Erfahrungen besonders wertvoll und wichtig . Vor allem aber bei der Organisation der Jugendwehr , bei der auf lokale Verhältnisse und kirchliche Gewohnheiten
1 ) Vergleiche die Aufsätze in den Heften vom März , Juli , August, D. Schriftleitung . September und November d . J.
270
Die Jugendwehrorganisation eines Bezirks.
sehr Rücksicht
zu
nehmen ist,
haben
mündlichen Aussprachen
die
des militärischen
unter Leitung des Amtsvorstandes und im Beisein
Leiters große Bedeutung . Innerhalb der Führerbesprechungen, die alle sechs bis acht Wochen an einem zentral gelegenen Orte des Bezirks abzuhalten sind , werden Fragen der inneren Organisation und des äußeren Betriebs in der Form einer Aussprache, an der sich alle Führer beteiligen sollen, behandelt.
Innere Organisation . Bei der inneren Organisation spielt die Ausrüstung und die Beschaffung der nötigen Geldmittel die Hauptrolle. An allen denjenigen Orten , an denen sich ein Ersatzbataillon befindet, können die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände (Zelte,
Spaten,
und Kochgeschirre) für
meistens
die Sonntage
Handgranatenmodelle mit Leichtigkeit
er-
halten werden . Es empfiehlt sich , daß der militärische Leiter zunächst sich mit den in Betracht kommenden Dienststellen ins Benehmen
setzt,
um die grundsätzliche
Erlaubnis
zu
erhalten .
Im
Einzelfalle können dann die Herren Kompagnieführer sich direkt an die Leitung des Bataillons wenden. lich , Ausrüstungsstücke gaben zu erhalten .
Nur auf diese Art ist es mög-
in der genügenden Zahl
ohne größere Aus-
Finanzieller Grundstock. Zu einem ruhigen Betrieb ist es nötig, daß jede Kompagnie ihre besondere Kasse besitzt, und daß auch die Bezirksorganisation ständig Mittel zu
ihrer Verfügung
sieht.
Die Hauptkasse wird durch den
Amtsvorstand geführt und soll allen Kompagnien gleichmäßig bei größeren Anschaffungen (z . B. Wickelgamaschen oder Verpflegung bei größeren Märschen) zugute kommen.
Ausgaben für Aus ihr wird
die Anschaffung einer Führerzeitschrift (für jede Kompagnie mindestens ein Exemplar) bestritten.
Während
die
Kompagniekassen für
laufenden kleineren Beträge, die sich aus der Leitung ergeben,
die auf-
kommen müssen, ist die Bezirkskasse gemäß ihres größeren Bestandes nur für außerordentliche Leistungen heranzuziehen .
Die Hauptfrage
besteht in der Beschaffung des Geldes selbst, eine Sache, die durchaus nicht so schwor zu lösen ist, wie man denken sollte . Für die Kompagniekassen geben die beteiligten Gemeinden auf entsprechende Bitte gern Beträge von 20, 50 oder 100 M. , je
nach ihrer Größe,
das ist eine Erfahrungssache . So können auch unsere Landkompagnien mit einem Grundstock von 70 bis 120 M. rechnen , eine Summe, die für die Kompagniezwecke für längere kasse muß allerdings,
Zeit
ausreicht .
Die Bezirks-
ihrer höheren Bedeutung entsprechend ,
mit
271
Die Jugendwehrorganisation eines Bezirks . anderen Summen rechnen . Mitteln,
Sie kann ,
abgesehen von den staatlichen
nur durch private Stiftungen
unterhalten werden.
Durch
eifriges Sammeln in nur begüterten Kreisen (Heereslieferanten ! ) erhielt die Bezirkskasse eines Landbezirks innerhalb 14 Tagen etwa 800 M. Die Stiftung einer industriereichen Kleinstadt erreichte für denselben Zweck die Höhe von annähernd 2000 M. , abgesehen von einem größeren Stiftungsbetrag schaffung von
in
der Höhe von 5000 M. zur An-
Schutzanzügen (Preis
des
Anzugs
11
M. ) ,
die
im
Winter über die Kleider angezogen werden , in der wärmeren Jahreszeit aber allein getragen werden können . Bei der Erwerbung größerer Geldmittel handelt es sich darum , einflußreiche und geachtete Bürger für unsere Sache machen .
zu
interessieren und zu tätigen Mitarbeitern
zu
Führerkurse . Die wichtige Frage einer einigermaßen gleichmäßigen Ausbildung der Führer kann nur durch Führerkurse nutzbringend gelöst werden . Eine Form von Führerkursen hat sich in der Praxis der Jugendwehr bewährt.
Der Leiter des Führerkurses, an dem möglichst alle Führer
des Bezirks teilnehmen, ist der militärische Bezirksleiter .
Er erbittet
sich für rein militärische Dinge einen kriegsstarken Zug
der aktiven
Truppe (etwa 70 bis 90 Mann ) für einige Stunden
und zeigt dann
seinen Führern die nötigsten Bewegungen und Formen der geöffneten und geschlossenen Ordnung nach den vom Kriegsministerium herausgegebenen " Erläuterungen und Ergänzungen " . Das turnerische Element , das nach den neuesten Verordnungen die Hälfte der ganzen Übungszeit einnehmen soll, kann im Anschluß an die deutsche Turnerschaft von einem tüchtigen Turnwart an einer Musterriege gezeigt werden. So nur ist aus der Praxis für die Praxis zu lernen.
Besichtigungen. Der militärische Leiter überzeugt sich durch Besuch der einzelnen Kompagnien ,
ob
die Herren Führer
das Material des Führerkurses
richtig angewendet haben . Erst dann gibt er in einem weiteren Kurse neue Anregungen. Es wird sich empfehlen , alle 12-16 Wochen Wenn so in die Führerschaft zu einem Bezirkskurs zu vereinigen . gewissenhafter Weise
die Einzelausbildung des Mannes, der
der Gruppe und des Zuges gezeigt und geübt wird ,
Rotte ,
dann erreichen
die Jugendkompagnien das vom Kriegsministerium gesteckte Ziel . Veranstaltung von Festlichkeiten. Auch beim öffentlichen Auftreten der Jugendwehr darf nie vergessen werden, daß sie eine Einrichtung zur militärischen Vorbereitung
272
Die Tätigkeit einer deutschen Jugendwehr.
der Jugend ist.
Patriotische Festtage können am besten durch eine
gemeinsame Marschübung oder durch turnerische Vorführungen gefeiert werden. Das Aufführen von Theaterstücken ist nicht Sache der Jugendwehr.
Dazu sind die übrigen Organisationen der Jugend-
pflege berufen. Zu solchen Aufführungen turnerischer oder militärischer Natur wird mit Vorteil die Mitwirkung der Musik des nächstliegenden Ersatzbataillons erbeten .
Die Ausgaben trägt die Bezirkskasse.
Theoretischer Unterricht. Die Einrichtung eines bestimmten ,
ein für
allemal festgesetzten
Abends eines Wochentages für die theoretische Unterweisung innerhalb des Kompagnieverbandes hat sich sehr bewährt. Dabei werden von Zeit zu Zeit die Kriegsereignisse besprochen. Angenehm ist es, wenn ein bestimmtes Gebiet immer von ein und demselben Herren behandelt wird . Die Herren Kompagnieführer wenden sich zu diesem Zweck am besten an die Herren Geistlichen , Lehrer, Professoren und Richter. Unterrichtsstunden , die rein militärische Stoffe behandeln , können nur von gedienten Soldaten erteilt werden.
Nur wenn Praxis
und Theorie harmonisch ineinandergreifen , ist das hohe Ziel der militärischen Jugendvorbereitung zu erreichen .
Die Tätigkeit einer deutschen Jugendwehr. Vier frische, stramme Jugendwehrkompagnien zu einem Bataillon zusammengeschlossen , ergeben eine festgefügte Einheit, mit der man bei harmonischem und selbstlosem Zusammenarbeiten sämtlicher Führer aller Grade eine militärisch anerkennenswerte Arbeit vollbringen kann . Zum Soldatenleben
gehört die Musik, die Fröhlichkeit und heiteren
Sinn erzeugende, treue Begleiterin auf unseren Märschen . Leicht zu erreichen ist hin und wieder dieses Ziel bei denjenigen Jugendwehren , die zum Standorte mühen,
die
uns
eines Ersatzbataillons gehören und die überall
weitgehend
Dienststellen um diese Gefälligkeit
unterstützenden
zu bitten .
sich be-
militärischen
Auf demselben Wege
erhalten wir stets bereitwillig Kochgeschirre , Zeltbahnen und Schanzzeug in so großer Zahl leihweise
überlassen ,
daß jedem der Jung-
mannen ein Zelt und mindestens jedem zweiten Mann ein Spaten oder eine Beilpicke ausgehändigt werden kann . Die Zelte von der rechten Schulter nach der linken Hüfte getragen, des Marsches
als
können während
ein guter und willkommener Schutz
Niederschlägen verwendet werden.
Auf diese Weise
bei
starken
kann für
sehr
viele Jugendkompagnien die brennende Frage der Materialbeschaffung
273
Die Tätigkeit einer deutschen Jugendwehr. gelöst werden.
Die kleinen Mittel, die uns von
amtlicher Seite zu-
gewiesen werden können , und die in der Kriegszeit allseitig so sehr in Anspruch genommenen privaten Quellen genügen in den seltensten Fällen zu
einer umfassenden und vollständigen Ausrüstung der Ab-
teilungen. guterzogene
Darum
muß jedes
Patenkind
Jugendwehr-Bataillon gleichsam
einer aktiven
Truppe sein,
das in
das
artiger
Weise alles wieder im guten Zustand zurückgibt, was ihm nicht selbst gehört. daß
Es ist eine fast nicht glaubhafte, aber zutreffende Tatsache ,
in manchen Orten
diese notwendige Lebensgemeinschaft
noch
nicht hergestellt werden konnte . Eine schwertgesicherte Friedenszeit wird hoffentlich Rechte und Pflichten von Pate und Patenkind gesetzlich festlegen . Durch die Gunst unseres sehr freigebigen Paten war die Tätigkeit plötzlich so vielseitig und erfrischend geworden , daß Führer und Jungmannschaften
diesen neuen Zug
Das Bataillon wurde gesetzt,
mit großer Freude
zu einer Felddienstaufgabe
begrüßten .
das einemal so an-
daß notwendig die eine Partei in wohlvorbereiteter Stellung ,
in einem wirklichen (nicht nur angedeuteten) Schützengraben den Feind erwarten mußte. Dies ergibt eine harte körperliche Anstrengung, besonders wenn man den jungen Leuten klar macht, daß eine solche Arbeit im Felde oft unter dem Feuer der feindlichen Artillerie vor sich gehen muß.
Neben der Gründlichkeit kommt dann als weiteres
erziehendes Moment die durch die natürliche Lage verlangte Schnelligkeit hinzu .
In besonders glücklicher Lage ist der militärische Leiter
des Jugendwehrbataillons,
wenn einer seiner
Kompagnieführer
längere aktive Dienstzeit bei einem Pionierbataillon hinter
eine
sich hat .
Dann wird diese Kompagnie bis zu einem leichten Grade als Pionierkompagnie anzusprechen sein . Auf diesem Wege ist es uns gelungen , kleinere Brücken für Infanterie über 20 m breite Flußarme zu bauen. Eine andere Kompagnie vollzog den durch die allgemeine Kriegslage notwendigen Übergang mittelst Zeltbahnbünden. Eine dritte Kompagnie hatte in kurzer Zeit aus wenig Material Flöße hergestellt , die teilweise dazu dienten, die Oberleitung auf einer kleinen Besichtigungsfahrt zu tragen.
Am anderen Ufer errichtete die Sanitätskompagnie
einen Verbandplatz und ein Zeltlager für Verwundete. So wird ein solcher Tag durch das Mannigfache der Betätigung
und durch den ganz von selbst auftretenden Ehrgeiz unter den verschiedenen
Kompagnien
Jugendwehrleute .
zu
Ein solch
einem großen
Ereignis
für
militärischer Festtag wird
jeden
der
durch den
gemeinsamen Besuch des Gottesdienstes oder durch eine Feldandacht eingeleitet. Auch der junge Deutsche soll schon im Rahmen der Jugendwehr erlernen , daß unsere Waffen geheiligt werden durch den 18 Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine. Nr. 543.
274
Programm eines Führerkurses für Jugendwehrführer.
Spruch: Gott mit uns.
Nach vollendeter Übung verlangen oft Führer
und Junglandsturm nach einigen Stunden schaft.
Programm eines Führerkurses I. Übungen im Betrachten , und Beschreiben.
echt deutscher Kamerad-
für Jugendwehrführer.
Erkennen , Unterscheiden ,
Aufzählen
II. Beschreiben von Zielen. a) Feststehende Ziele, b) Bewegliche Ziele. III . Entfernungsschätzen. IV. Horchübungen .
V. Geöffnete Ordnung: a) Bewegungen in der Schützenlinie , b) Halten in der Schützenlinie,
c) Sprung in der Schützenlinie, d) Weitersagen von Befehlen, e) Sammeln . VI. Geschlossene Ordnung : a) Aufstellung in Linie zu ein und zwei Gliedern , b) Einteilen in Gruppen und Halbzüge, c) Knien und Hinlegen ,
d) Marschieren auf Marschrichtungspunkte, e) Abbrechen in Gruppen und Reihenkolonnen. f) Schwenkung in Linie , mit Gruppen und Hackenschwenkung . VII. Spiele . a) Ringen um den Ball. b) Steyerisch Ringen . VIII . Hantelübungen .
IX. Kugel- und Steinstoßen. X. Gerwerfen. Die Punkte VII , VIII , IX und X
sind vorbereitende Übungen
für das Stabfechten , als einer Vorbildung für das Gewehrfechten des Heeres.
Der Niedergang des Söldnertums.
275
XXVI .
Der Niedergang des
Söldnertums.
Von Dr. Ernst Schultze.
Unter den mannigfachen Überraschungen , die Engländer und Franzosen in diesem Kriege erlebten, ist nicht die kleinste der merkwürdig geringe Nutzen, den beide Verbündete aus ihren auf den europäischen Kriegsschauplatz hinübergebrachten Soldtruppen zogen . Die eigentlich englischen Regimenter haben sich zum erheblichen Teil gut geschlagen , und es wäre unrecht , diese zähen Truppen , die ihre wie immer beschaffene Sache mit verbissener Wut verteidigen, geringzuschätzen. Die farbigen Truppen aber , die von England aus Indien, und von Frankreich aus Afrika auf französisch-belgischen Boden herbeigerufen wurden , haben in mancher Richtung versagt. Nicht als ob sie an sich unbrauchbar wären .
Aber ihre Fähigkeiten
zeigen sich am besten in geschicktem Heranschleichen , namentlich in der Dunkelheit, in kaizenartigem Zuspringen und in dem Kampf aus dem Hinterhalt. Im offenen Felde halten sie dem Aufruhr von Zerstörungsmitteln, der den heutigen Krieg kennzeichnet , häufig nicht gut stand. Das Wesen des Krieges hatten sie mehr in der Niedermetzelung des Gegners von Mann zu Mann , im wilden Handgemenge und in der Zerstörung oder Plünderung fremden Eigentums gesehen , denn in dem Kampfe gegen einen unsichtbaren Feind , in dem Anstürmen gegen Befestigungen, die einen Hagel von Geschossen entsenden, und in der Verteidigung von Schützengräben, die mit allen Mitteln neuester Kriegstechnik angegriffen werden . Es heißt, daß die Sikhs und Gurkhas , Zuaven und Senegambier aus der Front hätten zurückgezogen werden müssen, weil sie dem herbstlichen und winterlichen Klima nicht gewachsen seien .
Eine weitere Ursache lag wohl in der
Demoralisation , der diese farbigen Söldner unterlagen , nachdem sie Monate lang in das grausige Angesicht des heutigen Krieges geblickt hatten, das nur von einem Heere ertragen werden kann , dessen todesverachtende Tapferkeit auf derselben Höhe steht wie seine stählerne Disziplin und seine Gewöhnung an Feuer und Eisen . Der Weltkrieg des Jahres 1914 besiegelt den Niedergang des Söldnertums , der erst vor drei Jahrhunderten begann . In diesem kurzen Zeitraum hat sich im Heerwesen der europäischen Völker, also der in der Welt führenden Nationen , ein Umschwung voll18*
276
Der Niedergang des Söldnertums .
zogen, so tiefgreifend und so umfassend, wie er niemals zuvor in der Weltgeschichte geschah. Der
erste
Staat , der an die Stelle der Söldnertruppen ein
Volksheer setzte, war Schweden.
Gustaf Wasa begann damit , seine
Kriegerscharen aus den eigenen Landeskindern zusammenzusetzen. Seine Söhne folgten dem Beispiel , und Gustaf Adolf hat das System der Ersetzung der Soldtruppen durch ein Volksheer zu Ende geführt . Die Ursache lag zunächst weniger in der Kriegstechnik als
in den
schwachen Finanzen seines Landes , die eine Aufrechterhaltung des seit Jahrhunderten in allen europäischen Staaten üblichen Werbesystems nicht vertragen hätten . Sobald aber das schwedische Volksheer kräftig auf den Füßen stand , zeigte es sich militärisch den Soldtruppen des dänisch-norwegischen Reiches überlegen, obwohl dieses reicher und stärker bevölkert war. Seither ist ein Staat nach dem anderen dem schwedischen Beispiel gefolgt .
Überall , wo ein Volksheer entstand, zeigte es sich den feind-
lichen Söldnertruppen überlegen , falls nicht jämmerliche Führung oder schlechte Organisation es behinderte. So wich das Söldnersystem allenthalben, bis es heute unter den europäischen Staaten nur noch in England zu finden ist.
Lehrreich genug, daß Großbritannien trotz
den ungeheuren Anstrengungen,
die es 1914 und 1915 machte , um
Deutschland niederzuringen , weder eine genügende Truppenzahl ins Feld bringen, noch auch die Ausbildung neuer Soldaten und Offiziere so durchführen konnte, daß sie dem geschulten deutschen Heere gewachsen waren . Die Stimmen, die in England seit einigen Jahren auf Einführung der allgemeinen Wehrpflicht dringen und die zunächst nur wenig Gehör fanden, errangen
daher
nach
anderthalb
Kriegsjahren
den
Sieg.
Ob England allerdings dauernd imstande ist , die gewaltige Mehrbelastung seines Staatshaushalts durch die allgemeine Wehrpflicht zu tragen, oder ob es dann seine Flottenrüstungen im Frieden einzuschränken gezwungen ist, muß die Zukunft lehren. Jedenfalls ist der Wunsch nach allgemeiner Volksbewaffnung so stark und so kennzeichnend, daß man von einem Niederbruch des Söldnertums auch bei diesem Volke sprechen kann. Damit verschieben sich endgültig alle Eroberungsmöglichkeiten. Die europäischen Völker werden sich gegenseitig von ihrem Besitz in der alten Welt wohl nur noch geringe Stücke abgewinnen können, und dies nur unter ungeheuren Opfern an Blut und Geld. Außerhalb Europas aber nehmen die Dinge nun ein völlig anderes Gesicht an. Es wäre nicht unmöglich , daß sich auf europäischem Boden in den nächsten Jahrzehnten große Kriege abspielten, deren Gegenstand nicht sowohl Interessengegensätze in der alten Welt als die Ver-
Der Niedergang des Söldnertums.
277
teilung des überseeischen Besitzes wären friedlicher Verständigung vorzieht .
falls man nicht den Weg
Jedenfalls wird es in Zukunft un-
möglich sein, in Europa Eroberungen mit Hilfe fremder Söldner durchzuführen. Um Nachbarvölker zu unterjochen oder sich ihrer Angriffe zu erwehren, wird man nicht mehr Fremdtruppen herbeiziehen können , sondern den Kampf selbst ausfechten müssen . Das Mittelalter ist damit endgültig abgeschlossen , nachdem das englische Söldnersystem sich bis zum Jahre 1914 als Überbleibsel erhalten hatte . In den Kriegen des Mittelalters spielten Söldner eine bedeutNamentlich hat die Schweiz jahrhundertelang Söldner same Rolle . in Massen ausgeführt . Die Kriege der italienischen Städte und Condottieri zur Zeit der Renaissance wurden fast ausschließlich mit Soldtruppen geführt . Dabei ergab sich eine der merkwürdigsten Tatsachen der Weltgeschichte, indem sich der Begriff des Söldnertums gewissermaßen selbst zerstörte . Weil alle diese kleinen Staaten Söldner brauchten , die heute auf dieser, morgen auf jener Seite fochten , traten sich die Angeworbenen innerlich nahe ; bald wurden sie durch gemeinschaftliche Interessen fest zusammengeschmiedet, während nur ein flüchtiges Band sie mit den Städten oder Herren verknüpfte , die ihre Dienste bezahlten. Kam es zum Kampfe , so war daher kaum zu erwarten , daß die Kriegführenden mit dem Willen aufeinander stießen , sich mögVielmehr war ihr einziges Bestreben, lichst viel Schaden zu tun. durch gewaltiges Getöse und heftige Bewegungen zu zeigen, wie sie sich im Dienste ihrer Herren abmühten . So konnte es sich ereignen, daß manche Schlacht jener Zeit stundenlang hin und her wogte , während nicht ein einziger Kämpfer fiel. Hatte einer eine Schramme bekommen, so schien ihm dies genug . Alle Wahrscheinlichkeit sprach dafür , daß er vielleicht schon bald mit denselben Männern am Lagerfeuer liegen würde , die heute zufällig auf der anderen Seite fochten. Diese Umbiegung des Söldnertums , dieser innere Verfall, der seine Aufgabe zu zerstören , sein Wesen sinnlos zu machen drohte , wurde von den absolutistischen Staaten , die sich um die gleiche Zeit in Mittel- und Westeuropa zu entwickeln begannen , vermieden . In Frankreich z. B. war noch Heinrich IV. auf den freiwilligen Militärdienst des Adels angewiesen, der nur für eine bestimmte Zeit übernommen wurde, und Richelieu mußte sich mit ausländischen Söldnern begnügen ; dagegen entstand die eigentliche französische Armee unter Ludwig XIV. Bis dahin hatten die Regimenter die Farbe ihres Obersten getragen , jetzt begann die Festlegung der Uniformierung. Bei den Söldnerheeren hatte Desertion als gewöhnliches Ereignis gegolten , nun wurde sie
278
Der Niedergang des Söldnertums.
mit dem Tode bestraft, während man gleichzeitig eifrig für die Invaliden
sorgte . Dennoch begannen die weißen Völker schon bald wieder Fremdtruppen in Dienst zu nehmen . Die Kriegführung übersee schien dies unentbehrlich zu machen . Lehrreich ist namentlich die Geschichte der britischen Streitmacht in Indien. Niemals aber hat Robert Clive, der um die Mitte des 18. Jahrhunderts nach dem Vorbilde seines großen französischen
Gegners
Dupleix die Eingeborenen europäisch bewaffnete und drillte , daran gedacht, sie könnten jemals verwendet werden .
auf europäischen
Kriegsschauplätzen
Ebenso wenig haben die Franzosen , als sie in
Afrika die ersten Neger militärisch einschulten , mit der Möglichkeit gerechnet, sie gegen weiße Völker zu verwenden . Dieser Wunsch ist erst später aufgeblitzt . 1870 brachte Frankreich eine so große Zahl farbiger Truppen , wie es nur irgend zusammenraffen konnte , nach Europa . Es hatte die freundliche Absicht, die schwarzen Gesellen auf deutsche Gebiete loszulassen und ihnen hier Raub und Plünderung , Mord und Notzucht zu gestatten . Wie dieser Wunsch damals zuschanden wurde , ist er auch 1914 nicht in Erfüllung gegangen . Unzweifelhaft zeigt sich jedoch auch in diesem Kriege wieder , daß die Verwendung schwarzer Truppen an der Seite weißer Soldaten nicht sowohl die sittliche Haltung der ersteren hebt, als die der letzteren herunterdrückt .
Es ist für Frankreich keine Entschuldigung , daß es durch
den Stillstand seiner Bevölkerungsvermehrung gegenüber dem schnellen Wachstum der deutschen Volksziffer nicht größere eigene Truppenmassen aufstellen kann . Die Heranziehung schwarzer Truppen zur Niederwerfung weißer Gegner ist ein Armutszeugnis - und zugleich ein schmachvoller Bruch des Völkerrechts .
Es läßt sich nichts dagegen
einwenden, wenn die Engländer in ihre Polizeitruppen in Afrika Basutos einstellen und sie zu Kriegsdiensten etwa gegen die Matabele verwenden , oder daß die Italiener aus ihrer erythräischen Kolonie Askaris benutzen , um mehrere Bataillone zur Verwendung in Afrika bereit zu haben . Auch das Deutsche Reich hat in seinen afrikanischen Kolonien Schwarze zur Aufstellung von Polizei- und Verteidigungs- Truppen herangezogen. Wohl aber muß es die schwersten Bedenken erregen , wenn von einer europäischen Macht farbige Truppen gegen weiße ins Feld gestellt werden . Die
Geschichte
Südamerikas
weist eine
Anzahl warnender
Beispiele dafür auf. Die Kreolen , also die eingeborenen Weißen, hatten sich bis um das Jahr 1800 von Negermischlingen nicht minder fern gehalten wie von reinen Negern .
Als die Revolution gegen Spanien
ausbrach, wurde diese Zurückhaltung wenigstens gegenüber den Misch-
279
Der Niedergang des Söldnertums .
lingen aufgegeben . Die Spanier beantworteten diesen Schritt damit , daß sie ihn nachahmten, ja daß sie noch darüber hinausgingen. Die Republik Buenos- Aires bildete Revolution ein Korps von
sogleich
beim
freien Negern
ersten Anfang der
und Mulatten.
Dieselbe
Republik zog auch die Gauchos , die Hirten der Pampas,,,einen halbwilden Schwarm von Weißen und Mischlingen jeder Art", zum Kampfe gegen Spanien heran¹) . Ebenso verfuhr Venezuela , wo man 1810 einige Negerbataillone bildete, nachdem die Herren dieser Sklaven ihnen die Freiheit versprochen hatten, falls sie für die Unabhängigkeit kämpfen wollten . Auch hier wurden für die Revolution die Hirten der Grasebenen (Llaneros) gewonnen , die ebenfalls als eine halbwilde , größtenteils aus Indianern und Mischlingen bestehende Masse geschildert werden. Die Rückwirkungen dieses Heranziehens farbiger Truppen auf die spätere Entwickelung der betroffenen Länder gelten allgemein als verderblich. Insbesondere erhöhten sie die gegenseitige Erbitterung. Kein Volk nimmt es ruhig hin, wenn es gegen Feinde zu kämpfen hat , die es kulturell und moralisch verachtet. Entscheidend ist nicht sowohl der tatsächliche Abstand , der zwischen ihnen bestehen mag, als die Vorstellung, die man von diesem Abstand hat . Welches markerschütternde Geschrei würden die Engländer in aller Welt erheben, wollte man ihnen farbige Truppen gegenüberstellen ! Da würden Schimpfworte wie ,, Barbaren" und ,, Hunnen “ für den Gegner , der so gewissenlos sein könnte, in keiner Weise genügen .
Man lese nur nach ,
welche maẞlose Erbitterung in England emporloderte , als Jakob II . irische Truppen heranzog, um die in England drohende Revolution niederzuschlagen . Entrüstung und Beschämung, Haß und Wut kannten keine
Grenzen .
Macaulay
entwirft
folgendes
Bild
von
dieser
Stimmung: ,, Kein geborener Engländer betrachtete damals die Ureinwohner Irlands als seine Landsleute .
Sie gehörten nicht zu unserem
Zweige der großen menschlichen Familie, sie unterschieden sich von uns durch mehr als eine moralische und intellektuelle Eigentümlichkeit, welche der Unterschied der Lage und der Erziehung, so groß derselbe auch sein mochte, nicht genügend erklärte .
Sie hatten ein anderes
Aussehen und eine andere Muttersprache ... Sie waren daher Ausländer, und zwar die am meisten verhaßten und verachteten von allen Ausländern ...
Und ein solches Volk sollte mit bewaffneter Hand
England in Schach halten , während des letzteren bürgerliche und kirchliche Verfassung vernichtet wurden ! Das Blut der ganzen Nation
1 ) Dr. Franz Kottenkamp : Geschichte der Kolonisation Amerikas . Frankfurt 1850, Band 2 , S. 448.
280
Der Niedergang des Söldnertums.
kochte bei diesem Gedanken.
Von Franzosen oder Spaniern besiegt
zu werden, würde im Vergleich damit noch als ein erträgliches Los erschienen sein , denn die Franzosen und Spanier waren wir gewohnt, als uns ebenbürtig zu betrachten. Wir hatten zuweilen ihr Glück beneidet, zuweilen ihre Macht gefürchtet , zuweilen uns zu ihrer Freundschaft gratuliert. Bei all unserem schroffen Stolze gaben wir zu , daß sie große Nationen waren und daß sie sich in den Künsten des Kriegs und des Friedens ausgezeichneter Männer rühmen konnten.
Aber von
einer tief unter uns stehenden Kaste gemeistert zu werden, war eine Schmach, gegen die jede andere Schmach nichts war. Die Engländer fühlten dasselbe , was die weißen Bewohner von Charleston oder Neworleans fühlen würden , wenn diese Städte Negergarnisonen erhalten sollten¹)." Nicht also die Tatsache , daß die Iren etwa besonders grausam gewesen wären, hat die Engländer des 17. Jahrhunderts gegen die irischen Soldaten in Erbitterung versetzt , als vielmehr die Annahme , diese ständen an Menschenwert weit unter ihnen. Was soll man da heute in Deutschland sagen, wenn uns Senegambier und Kosaken mit ihrer schmachvollen Kriegführung auf den Hals gehetzt werden ! Vom völkerrechtlichen Standpunkt ist wenig dagegen einzuwenden , daß Rußland mit Hilfe kaukasischer Hilfstruppen den Kaukasus erobert hat , oder daß es zu seinen Kriegen in Mittelasien und im Amurgebiet Kosaken verwendete . Daß aber diese Steppentruppen , die man vor Jahrhunderten zur Bekämpfung der Steppenvölker bildete, in dem jetzigen Kriege gegen zivilisierte Völker verwendet werden , ist ein Hohn auf alle Bestrebungen zur Humanisierung des Krieges . Die uralischen, sibirischen und transbaikalischen Kosaken sind bis zum heutigen Tage Nomaden geblieben mit allen ihren Untugenden , unter denen selbst der Schmutz eine weit geringere Rolle spielt als die Grausamkeit . Es erweisen sich darin die Traditionen der russischen Geschichte als triebkräftig , die seit dem 11. Jahrhundert die Verwendung barbarischer Fremdtruppen zunächst im Kampfe der russischen Teilfürsten gegeneinander, dann in ihren Kriegen gegen andere Völker erzählt . Im 11. und 12. Jahrhundert , als zahlreiche Polowzer in den Heeren der russischen Fürsten standen, wurden die letzteren als Erzfeinde betrachtet, so daß der Gegner die Heranziehung dieser Steppennomaden als einen Verrat an der nationalen Sache erklären konnte . Dennoch wurden sie immer wieder auf den Kriegsschauplatz gezogen . Als Rußland unter tatarischer Herrschaft stand ( 1224-1480 ) , ward die Verwendung mongolischer 1 ) Macaulay : Geschichte von England Jakobs II., Kapitel 9.
seit der Thronbesteigung
Der Niedergang des Söldnertums . Streitkräfte noch häufiger.
281
Infolgedessen nahm die russische Heeres-
organisation tatarische Formen an, während gleichzeitig die Sitten der Russen mongolisiert wurden . blieben .
Bis zum heutigen Tage ist dies so ge-
Die barbarischen Fremdtruppen im russischen Heere haben
sich oft die ärgsten Grausamkeiten zu Schulden kommen lassen, zuweilen hat man nicht einmal hindern können , daß sie sich gegen Rußland selbst kehrten.
Immerhin rekrutiert Rußland seine barbarischen Fremdtruppen aus den eigenen Besitzungen . Die Engländer dagegen zählen zu ihren' brauchbarsten Truppen solche , die aus Nepal oder anderen Bergstämmen des nichtenglischen Himalaya gebildet sind . Daß die letzteren auf dem europäischen Kriegsschauplatz erscheinen, bietet eine Neuheit in der Weltgeschichte der letzten Jahrhunderte dar — abgesehen von der Verwendung der Turkos durch die Franzosen 1870/71 . Geschichtsphilosophisch weist diese Tatsache auf einen deutlichen Verfall der Nationen hin , die durch farbige Truppen den Mangel eigener Kraft ersetzen möchten . Es wiederholt sich damit , und zwar in verschärfter Form, jener Vorgang , der sich im kaiserlichen Rom in der vermehrten Heranziehung von Söldnertruppen abspielte . Die Weltgeschichte der Neuzeit
hat bei den weißen Völkern
Europas die Entwickelung gezeitigt , daß die Staaten von dem System , ihre Kriege durch Söldner ausfechten zu lassen, zu dem anderen übergingen, das eigene Volk in Waffen aufzustellen . Bevor dieser Umschwung begann , war es möglich , daß auch ein kleiner Staat den Kampf mit einem großen aufnahm , falls er nur genug Geld hatte . Heute dagegen ist die Möglichkeit , einen Krieg zu beginnen , fast schon zu einem Privilegium der Großmächte geworden. Im 16. und 17. Jahrhundert hatte das Wort des Grafen Montecuccoli zum Kriege gehörten drei Dinge , nämlich Geld, nochmals Geld und nochmals Geld
einen anderen Sinn , als wir nun damit verbinden . Venedig
konnte sich damals eine Armee ebensogut kaufen wie der König von Frankreich . Jeder kleine Reichsfürst besaß die Möglichkeit , war nur seine Kasse gefüllt , ein Heer auf die Beine zu stellen, das über die inneren Kräfte seines Landes weit hinaus ging . Die Truppenzahl war damals von der Größe der Bevölkerung nicht abhängig , da man nicht als letzten Ausweg , sondern als erste Möglichkeit immer daran dachte , sich Truppen zu kaufen . Der schmachvolle Soldatenhandel deutscher Fürsten im 18. Jahrhundert ist die erbärmlichste Folgeerscheinung dieses Zustandes , der für alle Staaten, die kein Geld hatten oder denen das bare Geld ausging , den Sinn der Warnung annahm : Point d'argent , point de Suisses . So war es möglich , daß kleine Staatswesen wie
282
Der Niedergang des Söldnertums .
die Niederlande lange Zeit hindurch die Rolle von europäischen Großmächten spielten , oder daß Venedig mit seiner winzigen Einwohnerzahl Seitdem jedoch an die jahrhundertelang eine Weltmacht darstellte. Stelle von Söldnerheeren das Volk in Waffen getreten ist , bestimmt sich das Machtverhältnis der Staaten immer mehr nach ihrer Größe und ihrer Einwohnerzahl, neben denen als ebenso wichtige Kräfte allerdings die Stärke des nationalen Willens , das Maß der organisatorischen Kraft und die Zusammensetzung der übrigen völkischen Tugenden stehen¹) . Länder, deren Bevölkerungszahl im Verhältnis zu ihren Nebenbuhlern zurückgeht , können sich infolgedessen unmöglich dem Geschick entziehen, ihre nationale Macht , soweit sie von militärischer Kraftentfaltung abhängt , sinken zu sehen .
Frankreich hat dieses
Schicksal einige Jahrzehnte lang durch geschickte Diplomatie nicht minder wie durch einen nationalen Lebenswillen von anerkennenswerter Stärke aufgehalten .
Wahrscheinlich hätte es sich noch länger
auf der bisherigen Höhe halten können, wenn es den schweren Fehler vermieden hätte, sich in einen Krieg mit Deutschland zu stürzen . Denn jeder Zusammenstoß der militärischen Kräfte muß unter solchen Umständen nach außen hin sichtbar machen , wie verschieden die Wagschalen belastet sind . Um das größere Gewicht der Schale des Gegners auszugleichen, hat Frankreich seit Jahren die Aufstellung einer ,,force noire" versucht, die mehreren deutschen Armeekorps das gewicht halten sollte . gebracht.
Gleich-
Der Versuch hat den gewünschten Erfolg nicht
Und England, das an dem alten System der Söldnerheere
festhalten und einen Krieg bis zum letzten Penny führen möchte , während die Nationen des Festlandes das Ringen bis zum letzten Blutstropfen fortsetzen , suchte ebenso vergeblich die Entscheidung dadurch zu beeinflussen , daß es Fremdtruppen als Kanonenfutter bluten ließ, ohne daß der englische Durchschnittsbürger in dem meerumschlossenen Albion sich rührte . Erst mit vielem Ach und Weh entschloß sich England, die Wehrpflicht bei sich einzuführen . Fremdtruppen lassen sich heute in neutralen Staaten nicht mehr anwerben . Die zweite Haager Konvention hat dies ausdrücklich verboten. So glauben unsere Gegner denn wohl oder übel ihre Zuflucht 1 ) „Ausnahmsweise können kleine Nachbarstaaten wie Serbien und Bulgarien Kriege führen , in der Regel jedoch werden die Staaten zweiten oder dritten Ranges höchstens als verbündete Mächte der großen in Zukunft in Betracht kommen . Daß ein kleiner Staat wie Dänemark dem vereinigten Willen zweier Großmächte zu trotzen sich vermaß, dürfte in der Zukunft kaum viele Nachahmer finden. " (Georg Jellinek : Ausgewählte Schriften und Reden. Berlin 1911, Band 2 , S. 523 f.)
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zu den farbigen Menschenmassen der eigenen Kolonien nehmen zu dürfen. Damit ist die Geschichte der Soldtruppen in ein neues und zugleich in ihr letztes Zeitalter eingetreten. Das Söldnertum ist zusammengebrochen, weil es gegenüber der organisierten Kraft der Volksheere unheilbare Schwächen aufweist .
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I. Bücher. Wann und wie erfolgt die Versorgung der Militärpersonen bei der Armee, Marine und den Schutztruppen, sowie des im gleichen Range stehenden, auf dem Kriegsschauplatze verwendeten Personals der freiwilligen Krankenpflege ? Leicht verständlich zusammengestellt und an vielen Beispielen und Mustern erläutert von W. Isberner , Geheimen expedierenden Sekretär vom Pensions- und Versorgungsreferat des Kaiserl. Kommandos der Schutztruppen , beschäftigt in der Rentenabteilung des Kgl. Preuß. Kriegsministeriums, 1. bis 27. Tausend. Verlag Kameradschaft, G. m. b. H., Berlin W 35 , Preis 45 Pf. Das Heftchen will, wie zahlreiche ähnliche, namentlich den Kriegsbeschädigten den Weg zur Erlangung der ihnen zustehenden Versorgung weisen. Besser als durch den Inhalt der einschlägigen Bestimmungen , der in einer bis zur Unübersichtlichkeit abgestuften Druckanordnung geboten wird, geschieht dies durch die Tabellen und Beispiele, die das Heft enthält. Eg. Das Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851 (mit dem Abänderungsgesetze vom 11. Dezember 1915) in der Rechtsprechung des Reichsgerichts . Nebst einem Anhange : Das Bayerische Gesetz über den Kriegszustand vom 5. November 1912 , in der Fassung der Gesetze vom 6. August 1914 und 4. Dezember 1915. Herausgegeben von Ernst Conrad , ReichsPreis gerichtsrat. Berlin 1916. Verlag von Otto Liebmann . geb. 4,50 M., brosch. 3,80 M. Seit mehr als drei Jahren , nachdem mit der Erklärung des Kriegszustandes das Preußische Belagerungszustandsgesetz (und das entsprechende Bayerische Gesetz) im ganzen Reichsgebiet in Kraft getreten ist, ist dieses Gesetz die Grundlage der wichtigsten und einschneidendsten Verordnungen im Deutschen Reich geworden . Das
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Alter des Gesetzes, seine lapidare Kürze, die Härte seiner Strafandrohungen und die Verschiebungen in der behördlichen Zuständigkeit vom Zivil auf das Militär, die es begründet, haben zahlreiche Zweifelsfragen , eine reiche Auslegungsarbeit in der Judicatur und nicht zuletzt das Abänderungsgesetz vom 11. Dezember 1915 ergeben . Insbesondere der § 9 b, wo das Verordnungsrecht des Militärbefehlshabers eine sehr flüssige Abgrenzung erfährt, hat nicht nur die gesetzgebenden Körperschaften beschäftigt, die in dem genannten Abänderungsgesetz neben der Gefängnisstrafe eine Haft- oder Geldstrafe möglich machten, sondern auch das Reichsgericht, das als Revisionsinstanz zahlreiche Entscheidungen hierzu erließ. Die zum Belagerungszustandsgesetz während des Krieges ergangenen Reichsgerichtsentscheidungen in auszugsweiser Wiedergabe zusammengefaßt, den Extrakt aus ihnen in Form kurzer Thesen zusammengestellt und diese judikatorischen Ergänzungen nach Art eines Kommentars den einzelnen Paragraphen übersichtlich angefügt zu haben , ist das dankenswerte Ergebnis der vorliegenden Arbeit des Reichsgerichtsrats Conrad , die von allen damit befaßten Militär- und Zivilbehörden als unentbehrliches Hilfsmittel begrüßt werden wird . Allein die 77 Seiten von Entscheidungen zu litt . b des Paragraphen 9 , in denen die Rechtsgültigkeit von Verboten, die seitens der Kommandogewalt über Branntweinverkauf, Unterstützungsbewerbungen , Chiffreanzeigen, Warenausfuhr, Fahrradbeleuchtung, Briefbeförderung , Höchstpreise, Polizeistunde , Tanzlustbarkeiten, Pferdeverkauf, Waffenhandel und vieles andere erlassen sind, einer Nachprüfung unterzogen und in denen die Grenzen dieser Kommandogewalt in einem Umfang festgestellt werden , wie er den Erfordernissen der Zeit und den Absichten allein diese Seiten des Conradschen Buches des Gesetzes entspricht, beweisen , wie wenig der Satz „ intra armis silent leges " für unser Staatswesen zutrifft. Man hört aus ihnen einen prachtvollen Zusammenklang von durchgreifender militärischer Entschlußfreudigkeit und unbeirrbarer juristischer Logik, auf den unser vielgescholtener Militarismus stolz sein kann . Eg. Wie ein Belgier das Verhängnis seines Vaterlandes voraussah. Von Girard , Major. Ein ungehörter Warnungsruf, Übersetzung seines in Brüssel erschienenen Werkes „Avant la guerre" . Berlin 1916. E. S. Mittler & Sohn. Preis 2,25 M. „Wie ein Belgier das Verhängnis seines Vaterlandes voraussah “ , lautet der Titel der deutschen Ausgabe einer in Belgien vielgekauften Schrift „Avant la guerre", in welcher der Verfasser, der belgische Major Girard, seine lange vor dem Kriege geschriebenen und veröffentlichten Aufsätze „La belgique et la guerre prochaine“ und „La belgique entre la triplice et la triple- entente" vereinigt hat. Das starke Aufsehen , das dieser ungehörte Warnungsruf in Belgien nachträglich erregt hat, wird zweifellos auch das deutsche Buch erfahren . Mit mathematischer Sicherheit sind Girards Voraussagen in Erfüllung gegangen.
Wir Deutschen
hätten das Buch längst kennen sollen ,
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lange ehe das Wort vom Unrecht " fiel , das wir an Belgien taten. Sein Buch bietet ganz neue Gesichtspunkte für die Beurteilung der belgischen Neutralitätsfrage wie hinsichtlich der Berechtigung des deutschen Einmarsches . Der Verfasser zeiht nämlich seine Regierung der Unkenntnis und Verletzung alter Verträge , die ihr ganz bestimmte Verpflichtungen Preußen - Deutschland gegenüber auferlegten . Er weist nach, daß sie eine ganz irrtümliche Vorstellung von dem Wesen der belgischen Neutralität hatte, als sie anfing, einseitig in Unterhandlungen mit England zu treten. Girards Buch wirft also neues Licht auf die Vorgeschichte des Weltkrieges und bildet eine weitere wichtige Unterlage zu ihrer BeP. H. urteilung . Unsere Pferde. Sammlung zwangloser hippologischer Abhandlungen . 50. Heft. Das Pferd, unsere wirksamste Waffe im Kriege. Von Freiherr Hans von Barnekow, Stuttgart 1916. Verlag von Schickhardt & Ebner (Konrad Wittwer) .
Preis geh. 2 M.
In dem vorliegenden Werkchen , das in seinem Hauptteil vor dem jetzigen Kriege geschrieben ist, behandelt der Verfasser teils erzählend , teils kritisierend das Gebiet „Das Pferd im Kriege" . Es sind in erster Linie die Leistungen des Pferdes in den früheren Kriegen erörtert. Die Bewertung des Pferdes im gegenwärtigen Weltkriege ist zwar auch berücksichtigt, soweit es noch geschehen konnte , immerhin nimmt aber der geschichtliche Teil, wie der Ursprung des Pferdes , die Pferdezucht in vorgeschichtlicher und neuerer Zeit , die Zucht des Pferdes in England, Deutschland , Amerika, Frankreich und Italien einen breiten Rahmen ein . Die Ausführungen sind für jeden , der sich um Pferdekunde interessiert, von aktueller Bedeutung . In einem Punkte wird aber der Autor einer geteilten Auffassung begegnen , wenn er auch heute noch dem Kavalleriepferde „ der reitenden Waffe “ den Vorzug in der Verwendung des Pferdes für militärische Zwecke einräumt und diese Anschauung durch Namhaftmachung der aus dem Reiterstande hervorgegangenen bewährten Heerführer zu begründen versucht. Gewiß ist die Beibehaltung der Kavallerie als eine besondere Waffe eine Forderung, für die der Verfasser mit Enthusiasmus eintritt auch für die Folge wohl gerechtfertigt, allein der Krieg hat gezeigt, daß der Wert des Pferdes hauptsächlich in der ex- und intensiven Verwendung der tierischen Zug- und Tragkraft gelegen ist. Man wird auch von einer „fahrenden “ und „ tragenden Waffe" beim Kriegspferde zu sprechen und diese unter Umständen noch weit höher einzuschätzen haben als die reitende Waffe . Es hat sich gezeigt, daß oftmals die fahrende Waffe, also dic tierische Zugkraft , allein im Kriege den Ausschlag gegeben hat und daß, wenn diese versagt hätte , andere Transportmittel einen Erfolg nicht erzielt haben würden . Dementsprechend muß die künftige Zuchtrichtung im Interesse von Heer und Volkswirtschaft auf Erzielung einer möglichst ausgiebigen tierischen Zugkraft in unseren Pferdebeständen hinarbeiten. Die Ausführungen des Herrn Verfassers sind dazu geeignet, diese
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Frage des Näheren in der Öffentlichkeit zu erörtern und auf ihre praktische Durchführung zu prüfen . Dem anregend geschriebenen Werkchen ist daher weiteste Verbreitung zu wünschen . Die Lektüre Reuter. wird jedem Pferdefreunde Befriedigung gewähren . Wie der Feldgraue spricht. Von Karl Bergmann . Gießen 1916. Alf. Töpelmann. Preis 80 Pf. Das Büchlein , das Hindenburg, „ dem Befreier Ostpreußens", gewidmet werden durfte, stellt eine sehr verdienstvolle Sammlung der besonderen im Verlauf des jetzigen Krieges entstandenen Benennungen und Redensarten dar, deren sich „ der Feldgraue" bedient. S. 23 muß es wohl bei der Umbildung von Belle la Fontaine in „ Pedd di man nich up de Tehn " Tön statt Tehn heißen ; denn ndtsch . heißt die Zehe de Ton , Mehrzahl de Tön. Das ndtsch. Tehn dagegen entspricht dem hdtsch . Zahn bzw. Zähne . Die Darstellung ist überDr. L. sichtlich in der Anordnung und gefällig in der Form , Wie Frankreich den Krieg erlebt. Von Rudolf und Espe. La France et la guerre de 1915. Von Rudolf. Krieg und Seelenleben.
Von Sommer.
Mit diesen drei Büchern bringt der Verlag von Otto Nemnich , Leipzig, allen, die den Krieg nicht nur äußerlich miterleben , sondern über dessen mannigfaltigen Erscheinungen nachdenken , um daraus zu lernen , eine willkommene Lektüre . Die beiden zuerst genannten Bändchen ergänzen einander in glücklichster Weise, indem sie sowohl dem des Französischen Unkundigen, wie auch dem, der diese Sprache beherrscht, die Möglichkeit geben, aus den Äußerungen der französischen Presse die Stellungnahme der Franzosen zum Krieg und ihr Urteil über deutsche Art und deutsche Verhältnisse kennen zu lernen . Dem Buche von Geh . Med . -Rat Sommer merkt man deutlich an, daß es aus einer akademischen Festrede entstanden und „ in erster Linie" den deutschen Studenten gewidmet ist. Es setzt eine ziemlich genaue Kenntnis der medizinischen Fachausdrücke voraus. Vielleicht ließe sich hier in Rücksicht auf die nicht medizinisch vorgebildeten Leser bei einer zweiten Auflage Abhilfe schaffen. Dafür hat es aber auch den großen Vorzug, daß es soweit dies nötig ist die Begriffe , die es erörtert, formell und inhaltlich wissenschaftlich zu fixieren bemüht ist und ein verhältnismäßig reichliches Beweis- bzw. Beobachtungsmaterial liefert. Alle drei Büchlein , die im steifen Umschlag nur 1 M. kosten , Dr. L. lohnen eine aufmerksame Lektüre . Von der Adria bis zum Ortler. Kriegsberichte von der österreichischitalienischen Front. Von Carl Graf Scapinelli . C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung . München 1916. Diese ursprünglich nur für die Tageszeitungen bestimmten Berichte verdienen es durchaus , zu einem Buch zusammengestellt zu
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sein, denn sie schildern die Leistungen der Truppen auf diesem schwierigen Kampfgebiet so anschaulich und geben ein so fesselndes Bild von der Landschaft, daß sie , namentlich auch für die Jugend, dauernd ein begehrter und wertvoller Lesestoff bleiben werden. Dr. L. Feldpostbriefe eines Fahnenjunkers . Die Briefe des Leutnants im Garde-Füsilier- Regiment Uli Klimsch an seine Angehörigen . Mit einem Titelbildchen von Prof. Verlag Paul Cassirer. Preis 2 M.
August Gaul .
Berlin 1916.
Frische Briefe eines 19 jährigen Kriegsfreiwilligen, die in die Schrecknisse und Nöte , aber auch - in die Freuden des Krieges einführen . Alles stellt sich unmittelbar und lebensvoll dem geistigen Auge des Lesers dar, vom Tage der Abreise an, bis zur glücklichen Beförderung, - und bis eine Schlußbemerkung die Gefangennahme M, D. des Leutnants U. K., an der Ostfront, melden muß.
II. Verzeichnis der zur Besprechung eingegangenen Bücher. (Die eingegangenen Bücher erfahren eine Besprechung nach Mafsgabe ihrer Bedeutung und des verfügbaren Raumes. Eine Verpflichtung , jedes eingehende Buch zu besprechen, übernimmt die Leitung der Jahrbücher" nicht , doch werden die Titel sämtlicher Bücher nebst Angabe des Preises sofern dieser mitgeteilt wurde - hier vermerkt. Eine Rücksendung von Büchern findet nicht statt.) 1. Romen-Rissom , Militärstrafgesetzbuch . Berlin 1916. J. Guttentag Verlag G. m. b. H. 10 M. 2. Brunow, Allerlei Militärisches, was mancher nicht weiß. Berlin und Glogau. Carl Flemming Verlag A.-G. 2 M. 3. Giese, Die Idee einer Frauendienstpflicht. Langensalza 1916 Wendt u. Klauwell. Brosch. 4 M. 4. v. Schlieben , Von der Front. 1. Band „ Feldgraue Bücher ". Berlin 1916 . Verlag Friedrich Ellersiek. 0,50 M. 5. Dietz , Militärstrafrecht. Grundriß für Krieg Rastatt 1916. K. u . H. Greiser.
und
Frieden .
6. Lindenberg, Hindenburg- Kalender 1917. Berlin 1917. Verlag A. Hofmann & Co. 1 M. Sammlung Guttentag'sche Belagerungszustand. 7. Pürschel, Deutscher Reichsgesetze . Berlin 1916. J. Guttentag G. m. b. H. 5 M. 8. Immanuel, Anleitung zum Schreibwesen für Offiziere. Mit
Vorlagen und Zeichnungen . Berlin 1917. E. S. Mittler & Sohn . 1 M. 9. Immanuel, Unteroffizieraufgaben . Anleitung zur Stellung und Lösung von Gefechts- und Felddienstaufgaben aller Art für unsere Unterführer, sowie zum Selbstunterricht auf diesen Gebieten . Berlin 1917. E. S. Mittler & Sohn . 1,75 M. 10. Völker, Volkstümliche Übungen und Wettspiele im Heere. Gotha 1916. Paul Hartungs Verlag. Anleitung für ihren Betrieb. 0,25 M. 11. Flex, Der Wanderer zwischen C. H. Beck'sche Verlagsbchhdlg. Geb. 12. Lehnert, Dichtung u. Wahrheit burg. Raben- Verlag G. m. b. H. Geb.
beiden Welten . München 1917 . 2,50 M. aus dem Weltkriege. Charlotten7,50 M.
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13. Frhr. v. Redwitz , Die deutsche Reitvorschrift 1912 im Lichte der Reitkunst. 5. Heft. Die Reitausbildung der Offiziere. Berlin 1917 . E. S. Mittler & Sohn . 1,80 M. 14. Haag, Das Gelände- Zeichnen nach der Natur. Stuttgart,
Franckh'sche Verlagsbuchhdlg. 0,25 M. 15. Hoffmeister, Kurze Einführung in die Wunder am Sternenhimmel. Bamberg 1916. Buchners Verlag. 0,50 M. 16. Egelhaaf, Geschichte der neuesten Zeit vom Frankfurter Frieden bis zur Gegenwart. Stuttgart 1917. Karl Grabbe Verlag (Erich Gußmann ). Geh. 14 M., in Leinen geb. 15,50 M. 17. Kriegsjahrbuch 1916 für Volks- u . Jugendspiele. Leipzig 1916 . Verlag B. G. Teubner. Geh. 3 M. 18. Albrecht- Augsburger, Der Lastwagen-Motor. 2. Aufl. Berlin 1917. Richard Carl Schmidt u . Co. Geb. 2,80 M. München 1916 . 19. Rolfs, Soldatengräber und Einheitskreuz. J. F. Lehmanns Verlag. 1 M. 20. Eberlein, Deutschland im Kriege. Zürich 1916. Verlag Orell Füßli. 7 M. 21. Müller, Frankreich im Kriege. Zürich 1916. Verlag Orell Füßli . 10 M. 22. Grob, Der Patrouilleur. Zürich . Verlag Orell Füßli . 0,50 M. 23. Bühlmann, Die Entwicklung des Verpflegungs- u . Verwaltungsdienstes der schweizerischen Armee . Zürich 1916. Verlag Orell Füßli. 5 M. 24. Bourget, Des Todes Sinn . Zürich . Verlag Orell Füßli . 3,50 M. 25. Probst, Belgien . Eindrücke eines Neutralen. Zürich. Verlag Orell Füßli. 2.50 M. 26. Kugler, Erlebnisse eines Schweizers in den Dardanellen u . an der französ . Front. Zürich 1916. Verlag Orell Füßli . 2 M. 27. De Traz, Im Dienst der Waffen. Zürich . Verlag Orell Füßli. 3 M.
Das neueste Heft der im gleichen Verlage erscheinenden Artilleristischen Monatshefte (Herausgeber : Generalleutnant z. D. H. Rohne) enthält u . a . folgende Arbeiten :
Hjalmar Anér : Erweiterung eines bemerkenswerten ballistischen Satzes mit Beweis. Französische Ansichten über moderne Waffen . Bewegliche Küstenartillerie der Vereinigten Staaten. Die französische 400-mm Kanone. Das Heft ist zum Preise von M. 2.50 durch jede Buchhandlung zu beziehen.
Druck von A. W. Hayn's Erben (Curt Gerber), Potsdam.