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German Pages 288 Year 2017
Brigitte Kukovetz Irreguläre Leben
Brigitte Kukovetz (Dr.), geb. 1976, ist Universitätsassistentin am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz, Arbeitsbereich Erwachsenen- und Weiterbildung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind (irreguläre) Migration, Weiterbildung in der Migrationsgesellschaft sowie Lernen und Widerstand in der Zivilgesellschaft.
Brigitte Kukovetz
Irreguläre Leben Handlungspraxen zwischen Abschiebung und Niederlassung
Publiziert mit Unterstützung des Landes Steiermark, Abteilung für Gesundheit, Pflege und Wissenschaft, und der Universität Graz
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Vorwort | 9
1. E INLEITUNG |
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1.1 Persönliche Positionierung | 16 1.2 Forschungsinteresse | 19 1.3 Methodologische Verortungen | 25
1.3.1 Grounded Theory als leitende Methodologie | 25 1.3.2 Die Verquickung von induktivem Vorgehen und Theorie | 26 1.3.3 Forschungsaktivitäten und Datenbasis | 27 1.3.4 Interpretation | 33 1.4 Darstellung und begriffliche Klärungen | 35 1.5 Theoretische Verortungen: Agency und soziale Praktiken | 37
1.5.1 Barry Barnes’ Theorie kollektiver Praktiken | 40 1.5.2 Agency von Migrant_innen | 46 1.6 Zum Inhalt | 50
2. WISSENSBESTÄNDE |
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2.1 Historische Perspektiven und aktueller Forschungsstand zu Abschiebungen | 53
2.1.1 Kurze Geschichte des Phänomens „Abschiebung“ | 54 2.1.2 Das Abschieberegime | 57 2.1.3 Die staatliche Perspektive und die Funktionen von Abschiebungen | 60 2.1.4 Praktiken unautorisierter Migrant_innen und ihrer Unterstützer_innen sowie von Nichtregierungsorganisationen | 64 2.2 Zwangsweise Außerlandesbringungen – ein Überblick in Zahlen | 66
3. CATCH-22 DES IRREGULÄREN AUFENTHALTS – HANDLUNGSENTSCHEIDUNGEN VOR DEM HINTERGRUND PARADOXER S ITUATIONEN | 75 3.1 Bedingungen von Catch-22 | 79 3.1.1 Leitbild „Integration“ | 79 3.1.2 Die Zentralität von Identitätspapieren | 86 3.2 Beginn des Dilemmas schon vor der Ausreiseaufforderung? | 90 3.3 Wer und wie viele sind betroffen? – Die Breite des Phänomens | 92 3.4 Merkmale von Catch-22 des irregulären Aufenthalts | 99
3.4.1 „Ohne Dokumente“ | 99 3.4.2 „Mit Dokumenten“ | 110 3.4.3 Merkmal A: Gesellschaftliche Partizipation | 114 3.4.4 Merkmal B: Compliance | 121 3.4.5 Ausprägungen des Dilemmas des irregulären Aufenthalts | 128 3.5 Jahrelange Pattsituation: Dauer und Ende des Dilemmas | 129 3.6 Kaum Handlungsmacht: Die Stärke des Dilemmas | 131
4. HANDLUNGSPRAXEN |
133
4.1 Handlungen zwischen Inklusion und Unsichtbarmachung | 134
4.1.1 Praktiken der Partizipation | 134 4.1.2 Praktiken der Unsichtbarkeit | 140 4.2 Der Umgang Abschiebungsgefährdeter mit behördlichen Anfragen | 143
4.3 Handlungspraktiken und ihre Bedingtheiten als Prozesse – Fallbeispiele | 145
4.3.1 Flexibles Reagieren – Sophie F. | 145 4.3.2 Inklusionsbemühungen trotz möglichster Unsichtbarkeit – Thomas U. | 150 4.3.3 Den Anforderungen entsprechen – Marie G. | 154 4.3.4 Risikoreiche Selbstermächtigung – Alex A. | 157 4.4 Intervenierende Bedingungen zum Umgang mit Catch-22 | 162
4.4.1 (Ohn-)Mächtigkeiten der Beamt_innen | 162 4.4.2 Die Rolle der Unterstützer_innen | 166 4.4.3 Persönliche Bedingungen der Abschiebungsgefährdeten | 170 4.4.4 Unwissenheit | 172 4.4.5 Öffentlichkeit und politische Interventionen | 173 4.5 Widerstand gegen Abschiebungen als Agency? | 175
4.5.1 Resignative Handlungen | 177 4.5.2 Gegen sich selbst gerichtete Handlungen | 178 4.5.3 Interaktive Handlungen | 180
5. V ERBLEIBEN ZWISCHEN SEIN UND S CHEIN. E INBLICK IN DIE FOLGEN EINER P ATTSITUATION | 5.1 Ein Alltag am Rande der Gesellschaft | 187 5.2 Psychische Komponenten | 190 5.3 Kein Ausweg | 192
187
6. RESÜMEE |
193
6.1 Ergebnisüberblick | 193 6.2 Forschungsausblick | 195 6.3 Catch-22 – Konsequenzen für die Politik | 199
6.3.1 Konservative Migrationspolitik | 200 6.3.2 Rigide Migrationspolitik | 203 6.3.3 Liberale Migrationspolitik | 209 6.3.4 Ausblick | 214
ANHANG |
217
Der Ablauf von Abschiebungen (Stand: 2012) | 217 Glossar | 230 Quellen- und Literaturverzeichnis | 247 Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen | 28 5
Vorwort
In den Gesprächen mit Menschen, die unautorisiert in Österreich leben, ist ihre persönliche Migrationsgeschichte manchmal die „Einleitung“, bevor wir zum zentralen Thema des Interviews, dem irregulären Aufenthalt in Österreich und den Erfahrungen mit den Fremdenpolizeibehörden kommen. Die Migrant_innen1 erzählen, weshalb sie sich entschieden haben, ihr Heimatland zu verlassen, und sie berichten von ihrer Reise nach Österreich. Literatur zum Thema Flucht gibt es viel, auch aus den Medien wissen wir von den langen, beschwerlichen Wegen. Dennoch vergessen wir oft, was es für die Menschen bedeutet, dahin zu gelangen, wo wir leben. Zwei meiner Interviewpartnerinnen, Mutter Anna E. und Tochter Lena E., erzählen, wie sie von Polen über die Slowakei nach Österreich gekommen sind. Dabei berichten sie auch von einer anderen Frau:
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Die Schreibweise inkludiert Männer, Frauen und all jene Menschen, die sich zwischen den beiden Polen männlich und weiblich einordnen.
10 | I RREGULÄRE L EBEN Lena E.: „Ja. Und also wir waren in Slowakei und die eine Frau mit drei Töchtern?“ (an Mutter gewandt) Anna E.: „Drei Töchter, ein Bub.“ Lena E.: „Ahso, ja, ja, mit vier Kindern. Auch nach Österreich, ja?“ Anna E.: „Zu Fuß. Ja, Österreich.“ Lena E.: „Ja, die wollten. Und dann, es war kalt. Es war November, also kalt draußen. Und also die vier Kinder sind gestorben im Wald. Anna E.: „Drei gestorben.“ Lena E.: „Drei gestorben? Anna E.: „Die Kleinste war mit und sie konnte den Weg nicht finden.“ Lena E.: „Sie konnte den Weg nicht finden und sie hat gesagt, dass sie [die anderen drei Kinder, Anm. B.K.] dort warten sollen, und sie findet was. Und als sie zurückgekommen ist: alle drei tot.“ Anna E.: „Alle drei gestorben. Tot.“ (Anna E./Lena E.: 48-572)
Die Menschen, die während ihrer Migration nach Europa umgekommen sind – und zwar nicht jene Menschen, die über 1.000 Kilometer entfernt in den Gewässern vor Italien, Griechenland und Spanien ihr Leben lassen mussten, sondern direkt vor der Grenze Österreichs – sind im Interview mit den beiden Frauen quasi eine „Randerzählung“. Gleichzeitig verdeutlichen sie genau jenes Grenzregime, welches durch die Praxis der Abschiebungen durchgesetzt wird. Denn zur Einwanderungskontrolle zählt ein Komplex an Maßnahmen, wie die Sicherung der Schengen-Außengrenzen, Stichprobenkontrollen innerhalb des SchengenRaumes, Bestimmungen der Dublin-Verordnung (diese beinhaltet unter anderem die Unmöglichkeit für Asylwerber_innen zu wählen, in welchem Land sie ihren Asylantrag stellen, die Begrenzung der Bewegungsfreiheit für Asylwerber_innen und die Dublin-Überstellungen in das Land, in dem erstmals der Asylantrag gestellt wurde) sowie unterstützte Rückkehr, Zurückschiebungen und Abschiebungen. Das Migrationsregime mitsamt all diesen Maßnahmen hat Konsequenzen für die Betroffenen – Konsequenzen, die mitunter sogar den Tod der Migrant_innen bedeuten können. Aufgrund dieses Zusammenhangs zwischen Einwanderungskontrolle und Abschiebungen habe ich diese kurze Erzählung der Arbeit vorangestellt: die Erzählung über jene, die es erst gar nicht nach Österreich schaffen. Jene, über die ich beim Thema der Abschiebungen nicht schreiben kann, weil sie sterben, bevor
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Bei den Zahlen hinter den Quellverweisen der Interviews handelt es sich um die Absatzmarken der Transkripte.
V ORWORT
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sie überhaupt in die Situation kommen konnten, eine „unautorisierte Migrantin“ oder ein „Abschiebungsgefährdeter“ zu werden. Dankeschön! Dieses Buch entstand auf Basis meiner 2015 abgeschlossenen Dissertation im Fach Soziologie an der Karl-Franzens-Universität Graz. Ich bedanke mich sehr herzlich für die Publikationszuschüsse vom Land Steiermark, Abteilung für Gesundheit, Pflege und Wissenschaft, sowie von der Karl-Franzens-Universität Graz. Während meiner Beschäftigung mit diesem Thema haben mich viele Menschen unterstützt. Ein herzliches Dankeschön an all jene, die zum Gelingen dieser Arbeit maßgeblich beitrugen: meinen Interviewpartner_innen, die mir ihre Zeit schenkten und ihr Vertrauen entgegenbrachten; den Teilnehmer_innen einer lokalen Gruppe von Unterstützer_innen abschiebungsgefährdeter Menschen für ihre Offenheit und ihr Vertrauen; den Kolleg_innen der Interpretationstreffen, die mit mir ihre Sichtweisen und Deutungen meines empirischen Materials teilten: ganz besonders Cornelia Dinsleder, Sonja Gruber und Hella Keller; den Kolleg_innen meiner Schreibgruppe für ihre aufbauenden Worte, hilfreichen Tipps und ihr kritisches Lesen von Textauszügen: Kirstin Eckstein, Andrea Mayr und ganz besonders Johanna Stadlbauer, die mir wertvolle Rückmeldungen zu meiner gesamten Arbeit gab; Irene Messinger für die kompetente Lektüre von Teilen meiner Dissertation; meinem Dissertationsbetreuer Christian Fleck für seine Aufgeschlossenheit dem Thema und meiner Arbeitsweise gegenüber sowie für seine kritischen Anmerkungen; meiner Zweitbetreuerin Katharina Scherke für ihre flexible Unterstützung und ihr ebenso fundiertes wie anerkennendes Feedback; meiner Kollegin und früheren Vorgesetzten Annette Sprung, insbesondere für die Ermöglichung, meine Arbeit am Forschungsprojekt sowie an der Dissertation möglichst gut vereinbaren zu können; Tanja Jentsch für ihr sorgfältiges Lektorat; Daniela Jauk für die Idee zum Titel dieses Buches; meinen Eltern Elke und Karl Kukovetz dafür, dass sie mir die Sensibilität und die Kraft mitgaben, mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Karin Ondas für die vielen interessanten Diskussionen, ihr Feedback und ihre Unterstützung als Freundin; und natürlich meinen Liebsten Klaus und Jonah für ihr Verständnis und Mathis für seinen zwischendurch ruhigen Schlaf!
1. Einleitung
Die Einwanderungs- und Asylpolitik der EU-Mitgliedsländer wird seit den 1970er-Jahren zusehends vereinheitlicht und gleichzeitig restriktiver gestaltet. Seit den 1990er-Jahren ist die EU-Politik durch eine Externalisierung der Einwanderungskontrolle gekennzeichnet (McGauran 2010: 106). Mit der Gründung des Schengen-Raumes und der Entwicklung eines Gebietes des freien Personenverkehrs innerhalb dieser Grenzen gingen Bemühungen der Abschottung der Schengen-Außengrenzen einher (Ripoll Servent 2013: 47). „Festung Europa“ wurde zu einem viel zitierten Schlagwort. Die Europäische Union (EU) teilt in der Asyl- und Immigrationspolitik ihre Zuständigkeit jedoch mit den einzelnen Mitgliedstaaten (vgl. AEUV 2012: Art 4 und Art 67). Dadurch bestimmen trotz voranschreitender Harmonisierung immer noch vorrangig die einzelnen Nationalstaaten die europäische Asylpolitik. Die Einwanderungsregulierung erfolgt mittels drei politischer Maßnahmen: (1) vor der Grenze, (2) Maßnahmen des Grenzmanagements und (3) nach dem Grenzübertritt (vgl. Bloch/Zigona/Zetter 2014: 18f.). Die ersten beiden Aspekte der Sicherung territorialer Grenzen vor unerwünschter Einwanderung stellen Bemühungen dar, Migrant_innen erst gar nicht auf das Territorium der jeweiligen Staaten zu lassen, beispielsweise durch verstärkte Grenzkontrollen oder die Einrichtung und Finanzierung von Flüchtlingszentren in benachbarten Staaten außerhalb Europas. In unregelmäßigen Abständen dringen das Schicksal von Bootsflüchtlingen oder Bilder von überfüllten Flüchtlingslagern an die Öffentlichkeit. Eine der jüngsten Tragödien ereignete sich im April 2016, als an die 500 Menschen im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien ertranken.1 Noch mehr Tote forderte ein Bootsunglück ein Jahr zuvor, als vor der libyschen Küste ein Flüchtlingsboot mit einem portugiesischen
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Vgl. UNHCR (2016b).
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Handelsschiff kollidierte und etwa 800 Menschen starben.2 Ein weiteres Beispiel ist ein am 3. Oktober 2013 gesunkenes Flüchtlingsboot: Über 300 Leichen wurden an der Küste der italienischen Insel Lampedusa geborgen, weitere 89 Personen blieben vermisst.3 Diese Tragödien im Mittelmeer sind bei weitem keine Einzelfälle. Auf dem Weg nach Europa stirbt jährlich eine große Anzahl von Menschen. So starben allein in den Jahren 1999 bis 2004 laut einer wissenschaftlichen Untersuchung an den EU-Außengrenzen 4.733 irreguläre Migrant_innen, die in die EU einreisen wollten – Tendenz steigend (Kiza 2008: 216ff.). Ein Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen und Initiativen, das „noborder network“, hat derartige Tode, sofern über sie zwischen Dezember 2002 und November 2010 in Medien berichtet worden war, dokumentiert: 3.899 Menschen starben während dieses Zeitraumes demnach an den Grenzen Europas (noborder network o.J.). In den Jahren danach stieg die Zahl der Todesfälle weiter an. Das „europäische Netzwerk gegen Nationalismus, Rassismus, Faschismus und zur Unterstützung von Migranten und Flüchtlingen“, UNITED for Intercultural Action, hat in seiner Kampagne „Death by Policy. The Fatal Realities of ‚Fortress Europe‘“ zwischen dem 1. Januar 1993 und 19. Juni 2015 all jene Tode dokumentiert, welche mit der Politik der EU, ihre Grenzen nach außen hin zu schließen, in Zusammenhang gebracht werden können und publik gemacht wurden. 22.394 Menschen, so UNITED, starben auf ihrem Weg nach Europa, während der Festhaltung in Schubhaft oder während einer Abschiebung oder Rückführung (UNITED for Intercultural Action 2015).4 Ein von einem Konsortium von Journalist_innen aus über 15 europäischen Ländern durchgeführtes Datenprojekt, bei dem über drei Jahre Daten zu Todesfällen an den Grenzen Europas gesammelt wurden, ergab für den Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis zum 24. Juni 2016 sogar eine Zahl von 34.861 Flüchtlingen und Migrant_innen, die bei ihrem Versuch, nach Europa zu kommen oder in Europa zu bleiben, gestorben sind oder seitdem vermisst werden.5 Diese Zahlen beinhalten auch Tode, die im Zusammenhang mit Abschiebungen, Schubhaft und irregulärem Aufenthalt stehen. Mit diesen Themen (Schubhaft und Abschiebung) wird der dritte Aspekt der Migrationskontrolle deutlich –
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Vgl. DerStandard.at 2015.
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Vgl. DerStandard.at 2013a; 2013b.
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Auch Elias Bierdel, ehemaliger Journalist und Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation (NGO) Borderline Europe, spricht von 20.000 Toten an den Grenzen Europas allein in den vergangenen 15 Jahren bis 2013 (Brickner 2013).
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Vgl. The Migrants’ Files (o.J.) bzw. eigene Berechnung der im Datensatz gelisteten Fälle.
E INLEITUNG
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der Ausschluss bereits eingewanderter Personen aus dem Staatsgebiet durch Ausweisungen, Ausreiseaufforderungen und Abschiebungen. Im Jahr 2008 hat die EU begonnen, Abschiebungen zwischen den Schengen-Staaten zu koordinieren und Sammelabschiebungen durchzuführen. Sammelabschiebungen sind Charterflüge für gemeinsame Abschiebungen von ausgewiesenen Personen aus verschiedenen EU-Ländern in ein Zielland. Österreich hat im Vergleich zu den anderen Schengen-Staaten bis Mitte 2010 die meisten dieser Abschiebeflüge abgewickelt und auch die meisten Menschen im Rahmen dieser Kooperation abgeschoben (vgl. Sterkl 2011). Seit dem Tod Marcus Omofumas während seiner Abschiebung im Jahre 1999 hat sich in Österreich immer wieder öffentlicher Protest der Zivilgesellschaft gegen die Praxis der Abschiebungen von Menschen, die sich schon länger im Land aufhalten, formiert. Die mediale Debatte zum Thema Abschiebungen ist von einer großen polarisierten Emotionalisierung gekennzeichnet. Sie reicht von der pauschalen Kriminalisierung von Asylwerber_innen und der Forderung der Abschiebung möglichst aller oder der individuellen Diffamierung einzelner Betroffener einerseits, bis zum persönlichen Mitleid mit bekannten Kindern und Familien im Bekanntenkreis, die von einem überproportionalen Aufgebot an Polizei-, WEGA- oder Cobra-Beamt_innen6 in ein ihnen fremdes oder fremd gewordenes Land geschickt werden, andererseits. Überdies herrscht eine große Unwissenheit bzw. Halb-Informiertheit – sowohl in den medialen Diskursen als auch in den privaten Gesprächen zwischen „Betroffenen“ und/oder Nachbar_innen/Angehörigen. Denn Abschiebungen werden zumeist nicht öffentlich vollzogen, und der Ablauf von Abschiebungen sowie die betroffenen Menschen hinter den „Fällen“ werden zumindest von behördlicher Seite nicht sichtbar gemacht: Sowohl die komplexe Gesetzeslage als auch der Ablauf von Abschiebungen an sich erscheint vielen Menschen intransparent. Begonnen habe ich diese Arbeit mit dem Ziel, das „System Abschiebungen“ zu erklären und zu charakterisieren. Dieser Schwerpunkt hat sich im Laufe meiner Forschung jedoch verändert. Diese Arbeit soll nun nicht nur einen tieferen Einblick in die Mechanismen der Abschiebungen gewähren. Es sind vielmehr die Praktiken und Strategien der Personen, die in das Abschiebesystem involviert sind, in den Fokus gerückt. Das Leben unter Androhung einer Abschiebung, sprich als abschiebungsgefährdete Person, wird aus Akteursperspektive beleuchtet.
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WEGA und das EKO (Einsatzkommando) Cobra sind Sondereinheiten der österreichischen Polizei, die Einsatzeinheit WEGA ist der Landespolizeidirektion Wien unterstellt.
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1.1 P ERSÖNLICHE P OSITIONIERUNG Mit dem Thema Abschiebungen aus Österreich ist spiegelverkehrt die Frage verbunden: Wer darf nach Österreich einreisen und hier leben? Diese Frage wird in unterschiedlichen Varianten öffentlich diskutiert – sei es in der Berichterstattung einzelner Abschiebungsfälle, sei es in politischen (Wahl-)Reden oder in Debatten zu spezifischen Themen wie etwa Kindergarten, Schule oder Wohnen. In der tatsächlichen Einwanderungsgesellschaft Österreich kommt kaum jemand daran vorbei, sich dazu eine Meinung zu bilden. So natürlich auch ich. Ich persönlich vertrete eine supranationale Position. Kein Mensch kann selbst entscheiden, in welchem Land er oder sie geboren wird. Einer supranationalen Gerechtigkeitsvorstellung folgend trete ich daher für ein allgemeines Recht auf Migration, sprich auf Aus- und Einwanderung, ein. In menschenrechtlichen Dokumenten ist ein Recht auf Auswanderung verankert.7 Dieses Recht ist keine Selbstverständlichkeit, wie ein kurzer Blick in die jüngere Geschichte Europas zeigt, als in den kommunistischen Staaten bis 1989 generelle Ausreisebeschränkungen galten. Ein gegengleiches Recht auf Einwanderung hat jedoch bisher in die internationalen menschenrechtlichen Dokumente keinen Eingang gefunden. Eines der stärksten Argumente gegen dieses Recht auf Einwanderung ist, dass Menschenrechte zwischen Nationalstaaten ausgehandelt werden und es Nationalstaaten sind, die sich zur Einhaltung dieser Rechte verpflichten. Ein generelles Recht auf Einwanderung stellt aber diese nationalstaatliche Souveränität ein Stück weit in Frage – nämlich in Hinblick darauf, dass der Nationalstaat keine Definitionsmacht mehr hätte, wer in seinem Territorium leben darf und wer nicht. Was bedeutet aber ein Recht auf Auswanderung, sofern es nicht mit einem generellen Recht auf Einwanderung gekoppelt ist? Eine Vielzahl an Menschen hat auf Grund restriktiver Einwanderungsgesetzgebungen faktisch nicht die Möglichkeit, legal in ein anderes Land einzuwandern. Denn der weltweite Trend nationaler Einwanderungspolitiken geht in Richtung strenger werdender Gesetzgebungen. Eine umfassende Analyse weltweiter Einwanderungspolitik kann hier nicht gegeben werden und würde ein eigenes Forschungsprojekt notwendig machen. Ein kurzer Überblick bestätigt jedoch diese Einschätzung. Studien zu Einwanderungskontrollen und Migrationspolitik der westlichen Industrieländer gibt es viele (vgl. z.B. Perchinig 2010; Zolberg 2006; Money 1999). Für Europa,
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„Jedermann steht es frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen.“ (Art 12 Abs 2 IPBPR 1978) „Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen, und in sein Land zurückzukehren.“ (Art 13 Abs 2 AEMR 1948)
E INLEITUNG
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Nordamerika, Asien und Australien stellt Sophie King (2009) die Tendenz fest, dass die Nationalstaaten die Einwanderungsmöglichkeiten für Fachkräfte vergrößern, für weniger ausgebildete Menschen die Grenzen jedoch schließen. Die jüngste und restriktivste Version stellte bisher der von US-Präsident Donald Trump erlassene „Travel Ban“ dar, welcher allen Angehörigen der sieben Staaten Irak, Iran, Libyen, Somalia, Syrien, Sudan und Jemen (inklusive den Flüchtlingen aus diesen Staaten) die Einreise für zumindest 90 Tage verbot. Obwohl ein US-Berufungsgericht in San Francisco die Außer-Kraft-Setzung des Einreiseverbots bestätigte, wird die Durchsetzung einer solchen Maßnahme in den USA weiterhin diskutiert (vgl. z.B. DerStandard.at 2017d). In den sechs Ländern des Kooperationsrates der Arabischen Staaten des Golfes (Gulf Cooperation Council – GCC) wurde von den Vereinten Nationen (UN) ein Trend hin zu restriktiveren Einwanderungsgesetzen festgestellt (Shah 2006: 2). Einwanderungsregulierungen bestehen ebenso in der asiatisch-pazifischen Region, auch wenn diese unterschiedlich streng sind und der Aufenthalt von Migrant_innen dort nur zum Teil kontrolliert wird (Schloenhardt 2002). Studien oder Informationen zu Migrationspolitiken in lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern (abgesehen von Südafrika) sind schwer zu finden, da diese Staaten überwiegend als Herkunftsländer wahrgenommen werden. In den wenigsten afrikanischen Ländern existiert eine ausformulierte Migrationspolitik, und noch weniger scheinen sie ihre Immigrationsgesetze durchzusetzen (Zlotnik 2004). Für südamerikanische Länder zeigt sich aber, dass sie ebenfalls verschiedene Voraussetzungen verlangen, bevor jemand einwandern darf (Westlake 2013; Phaller 2011). Unter Beobachtung der globalen Trends kann festgestellt werden, dass nicht nur in der EU weitreichende Einwanderungsbeschränkungen bestehen. In allen Weltregionen gibt es eine große Zahl an irregulären Migrant_innen, welche zum Teil wesentlich ansteigt (vgl. UN 2013; Angenendt 2008). Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass in diesen Regionen ebenso wie in der EU legale Einwanderungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt sind. Steffen Angenendt (2008) führt etwa viele nordafrikanische Staaten an, die die Zuwanderung von Arbeitskräften begrenzen und gewaltsame Rückführungen an die Grenze veranlassen, sowie bestimmte Staaten Asiens, die zunehmend restriktiv in ihrer Zuwanderungspolitik agieren (wie etwa Pakistan wiederholt Massenausweisungen durchführt. Eine international vergleichende Untersuchung zeigt, dass die Politik gegenüber irregulären Migrant_innen seit dem Zweiten Weltkrieg bis 2014 weltweit als zunehmend restriktiv bezeichnet werden muss (Haas/Natter/Vezzoli 2014: 21). Ist nun mit dieser großräumigen Einschränkung der Einwanderungsmöglichkeiten in andere Länder nicht faktisch das generelle Menschenrecht auf Auswanderung untergraben?
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Die soziale Lage ist ein zweiter Aspekt der eingangs formulierten Feststellung, kein Mensch könne selbst entscheiden oder selbst dafür verantwortlich gemacht werden, in welchem Land er oder sie geboren wird. Für viele Staatsangehörige aus den USA oder Westeuropa bestehen auf Grund sozio-ökonomisch und politisch besserer Bedingungen sehr viel größere Chancen, legal in ein anderes Land einzureisen als für Menschen aus Ländern im globalen Süden. Auch der hochrangige Regierungsbeamte oder ein reicher Investor, egal welchen Landes, wird zumeist Mittel finden, eine Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen. Es gibt also nicht nur ein Gefälle zwischen den Nationalstaaten, sondern auch zwischen den sozialen Klassen, sofern noch von Klassen geredet werden kann. Diese Ungleichheiten sprechen aus einer globalen sowie aus einer maximal individualisierten Perspektive, welche auch die Grundlage für die geltenden Menschenrechte darstellt, für ein allgemeines Recht auf Migration. Zu diesem allgemeinen Recht auf Migration bestehen auch einige durchaus bedeutende Gegenargumente. Darunter fallen kollektive Interessen wie die innere und äußere Sicherheit von Gemeinschaften, wie es Nationalstaaten darstellen, oder die soziale Wohlfahrt innerhalb dieser Kollektive (vgl. Bauböck 1994). Meiner Meinung nach können diese das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit, auf das Recht auf Aus- und Einwanderung jedoch nicht in ihrer Bedeutung übertreffen. Denn wenn ich auch sehr wohl für ein Recht auf soziale Sicherheit bin, so vertrete ich dieses ebenfalls aus einer globalen Perspektive, die wirklich alle Menschen dieser Erde umfasst. Ich habe hier meinen persönlichen Standpunkt dargelegt, was nicht dem Mainstream wissenschaftlicher Diskurse entspricht. So machen Wissenschaftler_innen ihre Position häufig nicht explizit und glauben, dadurch „Objektivität“ und „Wertfreiheit“ gewährleisten zu können. Ich gehe jedoch davon aus, dass auch in der Wissenschaft nur eine Intersubjektivität möglich ist und diese umso wissenschaftlicher, nämlich von unterschiedlichen Personen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten nachvollziehbar ist, desto eher die unausgesprochenen Anschauungen, Theorien und das Vorwissen expliziert geworden sind. Dies entspricht einem epistemologischen Verständnis, welches von der Situiertheit des Wissens – ein Begriff, der von den feministischen Wissenschaften durch Sandra Harding und Donna Haraway geprägt wurde – ausgeht. Dieses Konzept knüpft an die Wissenssoziologie und die These der „Seinsverbundenheit des Wissens“, an die marxistische Theorie, an den Kontextualismus der Kulturwissenschaften und den Lokalitätsansatz in der postkolonialen Wissenschaftsforschung an (Singer 2005: 29). Nach diesem Konzept ist wissenschaftliches Wissen immer kontextabhängig, da alle gesellschaftlichen Positionen historisch, sozial, kulturell und ökonomisch als standortverbunden, als situiert, zu verstehen sind (ebd.).
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Darüber hinaus hat das Konzept eine politische Dimension, da bestimmte soziale Verhältnisse, wie beispielsweise Geschlechterdifferenzen, überhaupt erst durch politische Bewegungen auch als Themen in die Wissenschaft Eingang gefunden haben (ebd.: 30). Eine weitere Dimension der Situiertheit des Wissens ist die hier angesprochene: die ethische. Demnach ist es gerade notwendig, „implizite moralische Werte und Normen explizit und damit verhandelbar zu machen“ (ebd.: 31, Hervorhebungen im Original). Meine persönliche Einstellung bzw. Anschauung habe ich bereits dargelegt. Die theoretischen Positionierungen und das theoretische Vorwissen werde ich nachfolgend verdeutlichen. Meine Analysen und Interpretationen werden sowohl auf diesen als auch auf Wissen aus bestehender Literatur und schwerpunktmäßig auf dem von mir erhobenen empirischen Material basieren.
1.2 F ORSCHUNGSINTERESSE Zu Beginn des Forschungsprozesses im Frühjahr 2011 sind in den Medien immer wieder besondere Fälle von (bevorstehenden) Abschiebungen bekannt und teilweise rege diskutiert worden – wie zum Beispiel alleine im März 2011 die Fälle einer georgischen Familie mit einer schwer behinderten Tochter (DerStandard.at 2011b; 2011c; 2011d; oe24.at 2011), eines jungen Mongolen (DerStandard.at 2011a) und einer tschetschenischen Familie (DerStandard.at 2011g; DiePresse.com 2011). Auch über das Fremdenrecht, die Situation von Schubhäftlingen sowie besondere Fälle von verhinderter Abschiebung wie jener der Familie Zogaj im Jahr 2010 oder jener von Ousmane C. (DerStandard.at 2011f; DiePresse.com 2010) ist in den Medien häufig berichtet worden. Gleichzeitig hat es zu jenem Zeitpunkt für Österreich noch keine sozialwissenschaftliche Forschung speziell zum Thema Abschiebungen gegeben. Arbeiten zu Abschiebungen sind nur aus zwei Perspektiven durchgeführt worden: (1) aus rechtswissenschaftlicher Sicht oder (2) in Hinblick auf die Legitimation von Abschiebungen in Zusammenhang mit dem Rechtsbestand der Ausweisung oder der Einwanderungskontrolle. Daher war es mein vordergründigstes Interesse zu klären, wie Abschiebungen in Österreich ablaufen, wie sie funktionieren. Gibt es eine Art idealtypischen Ablauf? Welche Machtstrukturen und -dynamiken werden bei Abschiebungen wirksam, sprich wie und warum kommt es zu Abschiebungen und wie werden sie vollzogen? Wie handeln die Behördenmitarbeiter_innen? Neben dem Funktionieren des „Systems Abschiebungen“ ist gleichzeitig auch das Phänomen des Widerstands gegen dieses System von Interesse gewe-
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sen. Wie und warum können manche von Abschiebung bedrohte Menschen selbige verhindern? Welche Strategien entwickeln Menschen, um sich Abschiebungen entgegenzustellen, sei es als Betroffene_r oder als eine Person oder Organisation, die abschiebungsgefährdete Menschen unterstützt? Wie laufen die Kommunikation und die Handlungen zwischen den verschiedenen involvierten Gruppen ab? Welche Einflussfaktoren sind hierbei relevant? Mein Forschungsansatz geht von den involvierten Akteur_innen aus. Durch diese mikrosoziologische Herangehensweise sollten die Forschungsergebnisse zum besseren Verständnis der Interaktionen zwischen staatlichen Behörden, unmittelbar betroffenen abschiebungsgefährdeten Menschen und deren Unterstützer_innen beitragen. Entsprechend der hier angewendeten Methodik der Grounded Theory hat sich im Laufe der Analyse die Fragestellung ein Stück weit konkretisiert und verändert und dabei hat sich eine zentrale Frage aufgetan: Eine Vielzahl von Menschen erhält einen den Aufenthalt beendenden Bescheid und somit eine Ausreiseaufforderung. Doch wird von diesen nur ein Bruchteil abgeschoben. Ich habe daraufhin begonnen, ganz konkret den Fragen in diesem Zusammenhang nachzugehen. Welche Menschen werden abgeschoben und welche nicht? Was sind hier die Einflussfaktoren? Was bedeutet diese offensichtliche Differenz zwischen der Zahl der ausgewiesenen Menschen und jenen, die wirklich das Land verlassen? In weiterer Folge bin ich daher unter Berücksichtigung dieses Unterschieds der Frage nachgegangen, wie sich das Abschiebesystem beschreiben lässt. Dabei ist im Laufe des Forschungsprozesses eine Konstruktions- und Erlebnisperspektive stärker in den Mittelpunkt gerückt: Ich habe die Charakteristika des Abschiebesystems analysiert, indem ich auf dessen Bedeutung speziell für unautorisierte Migrant_innen eingegangen bin. Deren Handlungspraktiken habe ich zu den Praktiken der Behörden und sonstiger Akteur_innen und in Beziehung gesetzt dieses Zusammenspiel untersucht. Gegenstand der Untersuchung: definitorische Aspekte Die International Organisation for Migration (IOM) definiert Abschiebung („deportation“) als „the act of a State in the exercise of its sovereignty in removing a non-national from its territory to his or her country of origin or third state after refusal of admission or termination of permission to remain“ (IOM 2011: 29). Wichtig erscheint mir, dass es sich bei einer Abschiebung um eine Ausübung staatlichen Zwangs handelt (Gibney/Hansen 2003: 2f.). Abschiebung ist somit die zwangsweise Außerlandesbringung einer Person ohne österreichische Staatsbürgerschaft nachdem ihr der rechtmäßige Aufenthalt in Österreich nicht gestattet oder entzogen wurde. Diese Definition hat den Vorteil, dass sie im ös-
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terreichischen Diskurs anschlussfähig bleibt. Die so genannte „freiwillige Rückkehr“ bzw. „angeordnete Rückkehr“ (die zum Teil finanziell und organisatorisch vom Staat oder von Non-Profit-Organisationen [NPOs] unterstützte Ausreise von Personen, die einen aufenthaltsbeendenden Bescheid erhalten haben) fiele demnach nicht unter den Begriff der „Abschiebung“. In einigen wissenschaftlichen Publikationen, vor allem auf internationaler Ebene, wird Abschiebung weiter definiert. So spricht William Walters dann von einer Abschiebung, wenn es um die Entfernung („removal“) von Fremden durch Staatsgewalt geht, sei es „freiwillig“, unter Androhung von Gewalt oder durch direkte Gewaltanwendung (Walters 2010: 73). Diese Definition berücksichtigt, dass auch die so genannte „freiwillige Rückkehr“ erst nach einer Beendigung des rechtmäßigen Aufenthalts erfolgt und somit nicht tatsächlich „freiwillig“ ist. Die von mir gewählte Definition von Abschiebung basiert auf der rechtlichen Situation in Österreich zum Zeitpunkt der Gültigkeit des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 (FrÄG 2011)8. Es gibt im österreichischen Gesetz drei Formen der zwangsweisen Außerlandesbringung: die Dublin-Überstellung, die Zurückschiebung und die Abschiebung (vgl. BMI 2009b: 111). Bei der Dublin-Überstellung wird eine Person laut Dublin-Übereinkommen in jenen EU-Staat überstellt, der für das Verfahren zuständig ist, ohne dass das Asylansuchen selbst geprüft wird (s. Glossar „Dublin-Überstellung“ und „Dublin-Verordnung“). Ähnlich einer Dublin-Überstellung erfolgt auf Grund bilateraler Abkommen eine Zurückschiebung in einen Nachbarstaat Österreichs. Bei der Zurückschiebung zwingt die Polizei9 Personen zur Ausreise, nachdem sie innerhalb von sieben Tagen nach einer nicht rechtmäßigen Einreise oder nach Ende des Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet aufgegriffen wurden, bzw. wenn ein anderes Land die Personen auf Grund eines Übernahmeabkommens oder einer internationalen Verpflichtung innerhalb von sieben Tagen zurücknehmen muss.10
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Die Gesetzeslage änderte sich erneut am 1. Januar 2014 durch die Einsetzung des
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Um den Text besser lesbar zu halten, verwende ich den im Alltag gebräuchlichen Be-
„Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl“ (vgl. BFA-Einrichtungsgesetz 2014). griff „Polizei“, obwohl inhaltlich (materiell) „Polizei“ eine staatliche Tätigkeit bedeutet, die auf die Abwehr von Gefahren abzielt. Unter „Polizei“ im organisatorischen Sinn ist „die Sicherheitsexekutive zu verstehen; das sind jene Behörden und Organe, die Aufgaben der Polizei (im materiellen Sinn) erledigen“ (Dannbauer 2013: 5). Wenn von Behörden die Rede ist, ist dies extra gekennzeichnet. 10 Eine Zurückschiebung ist laut Fremdenpolizeigesetz folgendermaßen definiert: „Fremde können von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Behörde zur Rückkehr ins Ausland verhalten werden (Zurückschiebung), wenn sie
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(Von der Zurückschiebung ist noch die Zurückweisung11 zu unterscheiden, bei welcher die Polizei Personen an der Einreise oder Weiterreise hindert.) Bei einer Abschiebung hingegen werden Menschen, die sich bei ihrer Festnahme schon länger als sieben Tage in Österreich aufhalten, und die von einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder einem Aufenthaltsverbot betroffen sind, zu einer Ausreise in ihren angenommenen Herkunftsstaat gezwungen.12 Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind Abschiebungen und DublinÜberstellungen, nicht aber Zurückschiebungen. Denn mein Forschungsinteresse gilt jener Personengruppe, die schon längere Zeit in Österreich lebt(e) und hier ihren Lebensmittelpunkt hat(te). Nicht berücksichtigt wird in dieser Darstellung die Auseinandersetzung mit Auslieferungen von international gesuchten Straftäter_innen, da es sich hierbei sowohl völkerrechtlich als auch gesellschaftspolitisch um anders gelagerte Fälle handelt. Zu Beginn der Untersuchung lag der Fokus auf Abschiebungen von Menschen, die in Österreich um Asyl angesucht haben und deren Asylverfahren entweder gar nicht bearbeitet wurde, weil auf Grund der Dublin-Bestimmungen ein anderes Land zuständig war, oder welche ausgewiesen wurden. Diesen Schwerpunkt habe ich gewählt auf Grund der hohen Präsenz solcher Abschiebungsfälle sowie deren menschenrechtlicher Relevanz.
1. nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist sind und binnen sieben Tagen betreten werden, 2. innerhalb von sieben Tagen nach Einreise in das Bundesgebiet von der Republik Österreich auf Grund eines Rückübernahmeabkommens zurückgenommen werden mussten, oder 3. innerhalb von sieben Tagen, nachdem ihr visumfreier oder visumpflichtiger Aufenthalt im Bundesgebiet nicht mehr rechtmäßig ist, betreten werden.“ (§ 45 Abs 1 FPG 2005 BGBL I 38/2011) 11 Die gesetzliche Begriffsdefinition lautet: „Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Fremde, die versuchen, in das Bundesgebiet einzureisen oder die eingereist sind, bei Landgrenzübergangsstellen anlässlich der Grenzkontrolle sowie auf Flugplätzen, in Häfen und im Zugsverkehr innerhalb des Grenzkontrollbereiches an der Einreise oder Weiterreise zu hindern […].“ (§ 41 Abs 2 FPG 2005 BGBl I 38/2011) 12 Die gesetzliche Begriffsdefinition lautet: „Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung (§§ 61, 66 § 10 AsylG 2005) oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Behörde zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung) […].“ (§ 46 Abs 1 FPG 2005 BGBl I 38/2011)
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Es zeigte sich jedoch im Laufe der Untersuchung – so viel sei aus den empirischen Daten vorweggenommen –, dass eine eindeutige Abgrenzung von Personen, die auf Basis einer asylrechtlichen Ausweisung außer Landes gebracht werden, von solchen, die aus anderen Gründen eine Ausreiseaufforderung erhalten und abgeschoben werden, weder möglich noch sinnvoll ist. Denn abschiebungsgefährdete Menschen haben zumeist nicht nur, oder auch gar nicht, das Asylverfahren durchlaufen. Je nach individueller Situation können auch mehrere unterschiedliche Verfahren (Asylverfahren, Verfahren zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung oder einer Rot-Weiß-Rot-Karte, fremdenpolizeiliches Verfahren) durchlaufen werden, ebenso ein Verfahren mehrmals. Aus den Interviews mit Expert_innen geht hervor, dass die betroffenen Personen öfters von einem Status in einen anderen wechseln. Liza Schuster (2005) bezeichnet dieses Phänomen als „status mobility“. Im Rahmen meiner Interviews hat ein Mitarbeiter auf einer höheren Funktionsebene einer lokalen Fremdenpolizeibehörde die Status Mobility folgendermaßen beschrieben: „Und man muss auch immer aufpassen, weil die Betroffenen halt durch verschiedene Verfahrenshandlungen, durch Schritte, die sie selbst setzten, natürlich auch ihre Rechtsposition in einem laufenden Verfahren verändern können.“ (Beh.13 Paul N.: 16)
Einige der Möglichkeiten seien hier exemplarisch vorgestellt: (1) Nach einer Ausweisung im Zuge eines Asylverfahrens ist Person X illegal im Land. Ihr wird danach ein Delikt nachgewiesen und ihr Fall wird nunmehr in einem fremdenpolizeilichen Verfahren behandelt. Als Drittstaatsangehörige ohne Aufenthaltsberechtigung ist das relevante Verfahren ein Rückkehrentscheidungsverfahren. Ein Beamter der Fremdenpolizeibehörde führt dies derart aus: „Wenn man sich vorstellt, wenn jemand ein Asylverfahren hinter sich hat und beispielsweise dann straffällig wird, bevor wir noch in irgendeiner Weise die Außerlandesbringung initiiert haben, er wird beispielsweise inhaftiert und sitzt eineinhalb Jahre, zwei Jahre in gerichtlicher Verwahrung, dann kann es selbstverständlich sein, dass gegen ihn dann auch eine Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot verfügt wird, oder halt je nach dem Status ein Aufenthaltsverbot verfügt wird. Also das ist durchaus möglich.“ (Beh. Paul N.: 16)
(2) Person Y ist Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel, begeht jedoch einen Strafrechtsverstoß. Dies führt zu einem Aufenthaltsverbotsverfahren. Im Zuge
13 Beh. ist das Kürzel für „Behördenmitarbeiter_in“.
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des Aufenthaltsverbotsverfahrens stellt Person Y einen Asylantrag und wird daraufhin erstmals gemäß dem Asylverfahren behandelt. Ein Asylantrag könnte auch während eines Ausweisungs- oder Rückkehrentscheidungsverfahrens gestellt werden. Eine potenzielle Variante ist daher folgende: „Das heißt, die Person wird damit konfrontiert, dass wir etwas gegen sie unternehmen wollen, und im Zuge der Vernehmung, wo wir eben zur Kenntnis bringen, WAS wir tun wollen, stellt er dann einen Asylantrag. Also diese Konstellationen sind immer denkbar. Dann ändert sich die Rechtsposition und für uns ändert sich dann natürlich die Vorgangsweise, weil Maßnahmen dann vorübergehend einmal nicht so wirken können, wie sie üblicherweise wirken würden. Und wir dann immer einen bestimmten Step [Schritt, Anm. B.K.], den die Asylbehörde machen muss, abwarten müssen, damit wir dann eigentlich weitertun können.“ (Beh. Paul N.: 16)
(3) Person Z kam mit einem Touristen-Visum nach Österreich. Nach Auslaufen des Visums (so genanntes „Visum Overstayers“) bleibt Person Z weiterhin, nun irregulär, in Österreich. Auch diese Person könnte, auch wenn die Erfolgsaussichten gering sind, dann noch um Asyl ansuchen. (4) Person G., eine Interviewpartnerin, durchläuft das Asylverfahren und bekommt in allen Instanzen einen negativen Bescheid. Schließlich stellt sie einen Antrag auf Niederlassung – die Zuständigkeit wandert somit zur Niederlassungsbehörde. Eine Interviewpartnerin beschreibt dies auf die Frage „Aber du hast beim zweiten Mal auch nicht Asyl bekommen, oder?“ wie folgt: „Ja, zweiten auch nicht, dritten, drei Mal, ich weiß nicht, negativ. Noch einmal um Asyl gesucht, das auch nicht. Immer nicht, immer nicht. Jetzt ich ein humanitäres Visum angesucht.“ (Mig.14 Marie G.: 113f.)
Allein diese kurze Auflistung verschiedener Möglichkeiten zeigt, wie schnell und vor allem wie oft die behördliche Zuständigkeit sowie die gesetzliche Grundlage, nach welcher ein Verfahren geführt wird, wechseln kann. Dementsprechend sind, wie oben beschrieben, Abschiebungen und Dublin-Überstellungen Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Im Folgenden spreche ich zusammenfassend in beiden Fällen von Abschiebungen. (Insofern befürchten abschiebungsgefährdete Personen entweder eine Abschiebung oder eine Dublin-Überstellung.) Diese Zusammenfassung der beiden Kategorien hat sich daraus ergeben,
14 Mig. ist das Kürzel für „Migrant_in mit (zeitweise) unautorisertem Aufenthalt“.
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dass die Handlungspraktiken und Erfahrungen unautorisierter Migrant_innen zu einem Großteil sehr ähnlich sind – unabhängig davon, ob die Menschen eine Abschiebung oder eine Dublin-Überstellung befürchten. Sofern eine inhaltliche Differenzierung notwendig ist, ist dies entsprechend gekennzeichnet bzw. beschrieben. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass mit unautorisierten oder irregulären Migrant_innen jene Menschen bezeichnet werden, die über einen längeren Zeitraum ohne Aufenthaltsrecht in Österreich leben und zum Zeitpunkt der Erhebung von Abschiebung bedroht gewesen sind oder davor bedroht gewesen sind.
1.3 M ETHODOLOGISCHE V ERORTUNGEN 1.3.1 Grounded Theory als leitende Methodologie Die Literatur und eigene Recherchen zeigen, dass es zum Untersuchungsgegenstand nur wenige empirische Studien gibt. Überdies ist der Zugang zum Feld mit dem Ziel der Datenerhebung durch einige Schwierigkeiten gekennzeichnet: (1) Die Asylsuchenden selbst haben sich entweder zum Zeitpunkt der Untersuchung ohne Aufenthaltsrecht in Österreich befunden oder haben vor Erlangung des Aufenthaltsrechts unautorisiert in Österreich gelebt. Sie haben oftmals sehr belastende Erfahrungen hinter sich oder haben sich zum Zeitpunkt der Erhebung gerade in einer sehr schwierigen Lebenssituation befunden (unsicherer Aufenthalt, kein oder kaum Einkommen, Leben in einem fremden Land – mit noch geringen Deutschkenntnissen und oftmals ohne familiäres Netz oder Freundeskreis etc.). Die unterschiedlich ausgeprägten Deutschkenntnisse sind überdies eine Erschwernis für die Erhebung. (2) Die Unterstützer_innen sind zwar leichter erreichbar, jedoch bewegen sie sich in ihrem Kontakt mit den Asylsuchenden manchmal an der Grenze der Legalität. Um einen fundierten Einblick zu erhalten, ist daher ein sehr sensibler Zugang notwendig. (3) Der Zugang zu Behörden ist charakterisiert durch die Schwierigkeit, über öffentlich zugängliche Daten hinaus Informationen zu erhalten. Manchmal wird auch die so genannte Amtsverschwiegenheit sehr breit ausgelegt, weshalb Behördenmitarbeiter_innen oft nur ungern Einblicke in ihre Arbeit gewähren. Aus diesen Gründen war der Einsatz empirischer Erhebungsmethoden der quantitativen Sozialforschung kaum möglich. Die Studie bearbeitet ein Thema, über welches noch kaum Forschung sowie Daten vorhanden sind, und kann somit als explorative Studie bezeichnet werden. Durch das Zusammenspiel verschiedenster Themenkomplexe (Flucht und Asyl, Fremdenrecht und fremdenpo-
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lizeiliche Arbeit, prekärer bzw. irregulärer Aufenthalt, behördliche Kommunikation, NGO-, NPO- und ehrenamtliche Arbeit etc.) weist der Gegenstand eine Differenziertheit auf, der klassische deduktive Methodologien nicht gerecht werden können. Deshalb wurden überwiegend qualitative Untersuchungsmethoden herangezogen (vgl. Flick 1998). Die Entscheidung fiel auf die Verwendung der Grounded Theory (vgl. Strauss/Corbin 1996), die ich mit Günter Mey und Katja Mruck (2010) als ein Forschungsprogramm verstehe. Sie sieht eine Methodenvielfalt vor, welche mir auf Grund der schwierigen Zugangsweise zur Zielgruppe als einzige Möglichkeit erscheint, genügend relevante Daten zu erheben. Die Grounded Theory zeichnet sich durch ihre Bemühungen aus, „Forschung als kreatives Konstruieren von Theorien zu betreiben, die gleichzeitig fortlaufend an den Daten kontrolliert werden“ (Wiedemann 1991: 440). Es ist also explizites Ziel der Grounded Theory, im Prozess der Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsfeld eine Theorie zu bilden. In der Arbeit mit der Grounded Theory Methodologie (GTM) werden die Daten mittels empirischer Sozialforschung systematisch gewonnen und analysiert. Damit wendet sich die Grounded Theory gegen hypothetisch-deduktive Modelle der Sozialforschung. Die Forschung erfolgt zirkulär, in einem ständigen Wechselspiel zwischen Datenerhebung und Datenanalyse, Reflexion und Theoriebildung. Als Kennzeichen der GTM beschreiben Günter Mey und Katja Mruck (2010: 616f.) (1) den konzeptionellen Aspekt der GTM im Gegensatz zu rein beschreibenden Ansätzen, (2) die konstante Methode der Vergleiche als Grundstrategie der GTM, (3) das „theoretische Sampling“ als Strategie, „Fälle und Material sukzessive nach theoretischen Gesichtspunkten auszuwählen und in die weitere Analyse einzubeziehen“ (Mey/Mruck 2010: 616), unter der Verwendung von sowohl minimalen Kontrasten (zur Analyse von Gemeinsamkeiten, zur Prüfung und zur Sättigung), als auch maximalen Kontrasten (zur Prüfung von Differenzen) und (4) die Verwendung von Memos zum Protokollieren relevanter Ereignisse und Ergebnisse. Wie das folgende Unterkapitel zeigt, orientierte ich mich an diesen vier Kernprinzipien der GTM. 1.3.2 Die Verquickung von induktivem Vorgehen und Theorie In der qualitativen Sozialforschung wird das Verhältnis von induktivem und deduktivem Vorgehen stark diskutiert. Auch Vertreter_innen der Grounded Theory verfolgen hier keine einheitliche Linie (vgl. Helfferich 2012; Mey/Mruck 2007). Während die einen theoretische Konstrukte als „sensibilisierende und strukturierende Konzepte“ (Helfferich 2012: 29; Hervorhebung im Original) für ein de-
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duktives Vorgehen ansehen, meinen die anderen, dass Schlussfolgerungen und Aussagen über das jeweilige Thema nur rein induktiv aus den empirischen Daten gewonnen werden sollten. Mittlerweile hat sich die Vorstellung durchgesetzt, dass eine vollständige Induktivität nicht möglich ist, da es immer Vorannahmen gibt, die reflektiert werden müssen (ebd.: 30). Meine Zugangsweise war der Grounded Theory entsprechend sehr offen. Der geringe bisherige wissenschaftliche Kenntnisstand erlaubte es mir, mit wenigen theoretischen Vorannahmen ins Feld zu gehen. Der Untersuchungsgegenstand beanspruchte viel Vorarbeit, um die rechtlichen Grundlagen zu verstehen. Während der Beschäftigung mit den verschiedenen Rechtstexten sowie -praktiken, welche sowohl über Gesetzestexte als auch über Interviews erfolgte, konnten auch viele soziologische Aspekte herausgearbeitet werden. Es war ein wechselseitiger Prozess von Recherche der rechtlichen Grundlagen einerseits und Erhebung und Interpretation sozialer Geschehnisse und Interaktionen im Feld andererseits. „Gesellschaftstheoretische Annahmen“, schreibt Cornelia Helfferich, „[…] können als ‚sensitizing concepts‘, also als erste, die Aufmerksamkeit fokussierende Vorstellungen eingebracht werden, die aber gleichwohl in der Überprüfung offen für Revisionen sind“ (ebd.). In der Datenanalyse habe ich besonders theoretische Zugänge zu Agency und sozialen Praxistheorien, insbesondere jene von Barry Barnes (s. Kap. 1.5, „Theoretische Verortungen: Agency und soziale Praktiken“), als sensibilisierende Konzepte nutzbar gemacht. 1.3.3 Forschungsaktivitäten und Datenbasis Die Konzeptentwicklung erfolgte entsprechend der GTM durch einen strukturierten Kodierprozess. Hierbei habe ich mich an den Kodierphasen des offenen, axialen und selektiven Kodierens von Strauss und Corbin (1996) orientiert. Die Vorschläge von Strauss und Corbin habe ich, wenn mir dies im Laufe des Interpretationsprozesses als sinnvoll erschien, teilweise adaptiert.15 So hat sich beispielsweise gezeigt, dass das Kodierparadigma von Strauss und Corbin (ursächliche Bedingungen – spezifischer Kontext – Phänomen – intervenierende Bedingungen – Handlungen/Strategien – Konsequenzen) zwar prinzipiell gut auf das Untersuchungsfeld anwendbar ist, ein strenges Festhalten daran sich aber nicht immer als hilfreich beziehungsweise passend erwiesen hat. Dementsprechend habe ich mich auch im axialen Kodieren vor allem an die Grundmerkmale der
15 Dies entspricht den Empfehlungen von Strauss und Corbin, welche darauf Wert legen, dass das Vorgehen nach der GTM abhängig von den konkreten Forschungsvorhaben adaptiert werden kann (vgl. Mey/Mruck 2010; Strauss/Corbin 1996).
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GTM, der Offenheit und Flexibilität und der Vorläufigkeit und Revidierbarkeit (vgl. Berg/Milmeister 2007: 202), gehalten. Durchgeführt habe ich die Datenerhebung von Mitte 2011 bis Ende 2012 in einer Landeshauptstadt in Österreich und diese durch Interviews mit Akteur_innen in der Bundeshauptstadt Wien sowie durch die teilnehmende Beobachtung an einem Treffen von Unterstützer_innen abschiebungsgefährdeter Personen in Wien ergänzt. Die Vorgehensweise mittels Grounded Theory impliziert die Auswahl der Datenquellen, Fälle, Stichproben, Ereignisse etc. durch ein theoretisches Sampling (vgl. Strauss/Corbin 1996). Um das System Abschiebungen entsprechend diesem Sampling ganzheitlich zu erfassen, war mir besonders wichtig, die Erfahrungen und Sichtweisen fünf verschiedener Personengruppen einzubeziehen. Insgesamt wurden 20 Interviews (von denen drei mit jeweils zwei Personen geführt wurden) in die Auswertung einbezogen (s. Verzeichnis der Interviewpartner_innen): •
• • •
Sechs (ehemals) unautorisierte Migrant_innen: Menschen, die über einen längeren Zeitraum ohne Aufenthaltsrecht in Österreich gelebt haben und zum Zeitpunkt der Erhebung von Abschiebung bedroht oder bedroht gewesen waren und zum Zeitpunkt des Interviews schon einen legalen Aufenthaltstitel hatten, vier Entscheidungsträger_innen und Beamt_innen, fünf private Unterstützer_innen abschiebungsgefährdeter Personen und sechs Vertreter_innen von (NPOs) und zwei Menschenrechtsexpert_innen.
In Bezug auf die Erfahrungen und die Sichtweise von Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus habe ich ein fallnahes Vorgehen gewählt; dabei habe ich mit minimaler und maximaler Kontrastierung der Fälle gearbeitet. Die Auswahl der Interviewpartner_innen, die abschiebungsgefährdet sind oder ehemals abschiebungsgefährdet waren (Kriterium a), musste in erster Linie nach meinem Zugang zu dieser Personengruppe erfolgen. Ein Kontakt über Freundinnen, Verwandte oder Bekannte war einerseits unabdingbar, um überhaupt von den Personen zu erfahren, andererseits eine wichtige Voraussetzung, um das notwendige Vertrauen aufbauen zu können. Eine weitere Bedingung war, dass die Interviewpartner_innen Deutsch oder Englisch verständlich sprechen konnten. Ich musste jedoch keinen Kontakt absagen, weil jemand nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügte. Nur eine Interviewpartnerin befragte ich gemeinsam mit ihrer Tochter, die teilweise selbst erzählte, teilweise die Antwor-
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ten ihrer Mutter ergänzte und diese zum Teil übersetzte (Interview mit Anna E. und Lena E.). Den Kontakt zum ersten Interviewpartner erhielt ich über eine Freundin. Alex A. war alleine als junger Mann zu Beginn der 1990er-Jahren aus einem südosteuropäischen Land eingewandert und verfolgte nach einiger Zeit des unautorisierten Aufenthalts in Österreich die Strategie, sich nicht mehr zu verstecken, sondern so zu agieren, als wäre er Österreicher. So übte er seinen Beruf als Künstler auch öffentlich aus. Ich nahm an, dass diese Strategie der Besetzung des öffentlichen Raumes überwiegend von Männern angewandt werde, weshalb ich als nächste Interviewpartnerin eine Frau wählte. Neben dem Geschlechtskriterium (Kriterium b) war es mir wichtig, in der Folge Personen zu befragen, die noch nicht seit mehreren Jahrzehnten in Österreich leben (Kriterium c), da die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sich seitdem stark geändert haben und der Fokus der Studie auf der derzeitigen Situation liegen sollte. Eine dieser Neuerungen war etwa, dass mittels der Neugestaltung des Asylgesetzes im Jahr 1997 auch das Dublin-System in Kraft getreten war. Durch dieses wurden Asylanträge von Personen, die über einen anderen EU-Staat, der die DublinRegelung unterzeichnet hatte, in Österreich nicht mehr bearbeitet und die Betroffenen in den jeweiligen Dublin-Staat zurückgeschoben (Winkler 2011: 48). Anna A. und Sophie F., zu denen ich über eine lokale Gruppe von Unterstützer_innen in Kontakt kam, erfüllten diese Kriterien. Beide kommen aus einem nordkaukasischen Land. Außerdem haben beide Kinder (Kriterium d). Diese Komponente ist deshalb wichtig, weil ich auf Basis der Medienbeobachtung gefolgert habe, dass Menschen mit Kindern von den Behörden anders behandelt werden als kinderlose Personen. Die beiden haben sich in der Auswahl vor allem darin unterschieden, dass Anna E. zum Zeitpunkt des Interviews von Abschiebung bedroht war, Sophie F. hingegen schon ein Aufenthaltsrecht hatte. In der weiteren Auswahl war es bedeutsam, Personen zu befragen, die ich nicht über die lokale Gruppe von Unterstützer_innen (Kriterium e) kannte. Über die von dieser Gruppe vermittelten Interviewpartner_innen hatte ich auch durch die teilnehmende Beobachtung an den Gruppentreffen schon viele Informationen sammeln können. Außerdem habe ich auf Basis dieser Daten die These entwickelt, dass die Art und Intensität der Unterstützungsnetzwerke dahingehend einen Unterschied machte, wie groß die Chancen sind, einer Abschiebung zu entgehen. Zudem war es mir wichtig, im Vergleich zu den bisherigen Fällen auch eine alleinstehende Frau zu befragen. Der Kontakt zu Marie G. hat sich mir über eine Verwandte eröffnet, die aus einem nordostasiatischen Land kommt und überdies zum Zeitpunkt des Interviews zumindest älter als 40 Jahre gewesen ist bzw. sich selbst als eher älter wahrgenommen hat. Nach diesen vier Interviews war es mir
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wichtig, in der letzten Phase noch ein Interview einerseits mit einem Mann und andererseits mit jemand mit schwarzer Hautfarbe zu führen. Denn in den Interviews mit Unterstützer_innen erfuhr ich, dass Rassismus gegenüber Menschen mit dunkler Hautfarbe unter den Behördenmitarbeiter_innen eine Rolle spielen könnte. Eine Annahme, die auch neueste Studien nahe legen (vgl. z.B. Philipp/Starl 2013). Thomas U. kommt aus einem westafrikanischen Land (Kriterium f) und ist außerdem als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (UMF) eingereist. Ein Aspekt, der auf Grund der Diskussionen im Asylbereich rund um UMFs (Kriterium g) zusätzlich interessant erschien. Tabelle 1 listet die Kriterien, die sich auf Basis der fortwährenden Auswertung der Interviews und durch das Literaturstudium ergaben, und verschafft einen Überblick über die fünf16 Interviewpartner_innen, die unautorisiert in Österreich leb(t)en. Bei den Interviews mit unautorisierten Migrant_innen konnten keine Personen befragt werden, die selbst schon einmal abgeschoben worden waren. Das liegt zum einen daran, dass ich aus familiären und finanziellen Gründen meine Forschung nur in Österreich durchführen konnte, und zum anderen, dass es mir nicht möglich war, Menschen zu finden, die abgeschoben worden und wieder eingereist waren (obwohl mir mehrmals von solchen Personen erzählt wurde). Über Detailbeschreibungen durch NPO-Mitarbeiter_innen oder Unterstützer_innen habe ich derartige Fälle – wenn auch auf einer mittelbaren Ebene (vgl. Unt.17 Simon M. und NPO Mia Q., Unt. Tobias D., Unt. David I., NPO Fabian O. und NPO Laura O.) – dennoch analysieren und mich durch die erhobenen Daten einer theoretischen Sättigung in Hinblick auf spezifische Aspekte des zentralen Phänomens annähern können. Dennoch fehlen einige Kontrastfälle (minimaler sowie maximaler Art) für eine volle theoretische Sättigung. Dies ist beispielsweise der Fall für abschiebungsgefährdete Justizhäftlinge oder Menschen, die für Vergehen verurteilt wurden, welche nicht auf das Fremdenrecht zurückzuführen sind. Während des Untersuchungszeitraumes lag das Hauptproblem im Zugang zu dieser Personengruppe. Ein solches auf die Abschiebungsfälle bezogenes fallnahes Vorgehen habe ich bei Entscheidungsträger_innen und Beamt_innen nicht vornehmen können, da diese aus Gründen des Datenschutzes zu einzelnen Fällen kaum oder keine Auskünfte erteilen, sofern keine Vertretungsbefugnis vorliegt. Die Entscheidungsträger_innen und Beamt_innen habe ich daher entsprechend ihren Funkti-
16 Die sechste interviewte unautorisierte Migrantin ist die Tochter von Anna E. und wird hier nicht als eigene Interviewpartnerin angeführt. 17 Unt. ist das Kürzel für „Unterstützer_in“.
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onen und Rollen im Abschiebeprozess ausgewählt und je eine mitarbeitende Person aus einem Schubhaftzentrum, einer lokalen Fremdenpolizeibehörde, die über die Ausführung der Abschiebungen entscheidet, und aus dem Abschiebepool18 befragt. Tabelle 1: Kriterien zur Auswahl der Interviewpartner_innen Kriterien
Mig. Alex A.
Mig. Anna E.
Mig. Sophie F.
Mig. Marie G.
Mig. Thomas U.
a) Abschiebungsgefährdung*
Nein
Ja
Nein
Ja
Ja
b) Geschlecht
M
W
W
W
M
c) Zeitpunkt der Einreise
1990erJahre
2000erJahre
2000erJahre
2000erJahre
2000erJahre
d) Mit Kindern eingereist
Nein
Ja
Ja
Nein
Nein
e) Zugang über
Freundin
lokale Unterstützer_innen - Gruppe
lokale Unterstützer_innen - Gruppe
Verwandte
Bekannter
f) Herkunftsland
südosteuropäisches Land
nordkaukasisches Land
nordkaukasisches Land
Nordostasiatisches Land
westafrikanisches Land
g) Altersspanne*
über 40 Jahre
25-40 Jahre
25-40 Jahre
über 40 Jahre
unter 25 Jahre
*) zum Zeitpunkt des Interviews
Die Auswahl der privaten Unterstützer_innen von abschiebungsgefährdeten Personen und Vertreter_innen von NPOs erfolgte ebenfalls entsprechend ihren Funktionen und Rollen im Abschiebeprozess. Ein privater Unterstützer gründete im Zuge seiner Aktivitäten eine lokale Gruppe von Unterstützer_innen. Dieser 18 Der Abschiebepool besteht aus eigens geschulten Exekutivbeamt_innen. Bei jenen Abschiebungen, die die Polizei als problematisch einschätzt, begleiten jeweils drei dieser Beamt_innen die abzuschiebende Person bis zum Zielland der Abschiebung.
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gehörte auch eine weitere Interviewpartnerin, die sich mit den aufenthaltsrechtlichen Problemen eines abschiebungsgefährdeten Westafrikaners beschäftigte, an. Drei weitere Unterstützer_innen waren ohne Netzwerk aktiv, wobei einer jedoch auf die Hilfe seiner Frau und seiner religiösen Gemeinschaft zurückgriff. Bei den Vertreter_innen von NPOs habe ich versucht, möglichst nach minimaler und maximaler Kontrastierung zu arbeiten, indem ich darauf geachtet habe, dass sowohl Personen mit einer großen Distanz zur aktiven Involvierung in den Abschiebeprozess als auch solche, deren Arbeit gebende Organisationen vergleichsweise stark offiziell in das System des Abschiebeprozesses eingebunden sind, zu befragen. Des Weiteren sind die unterschiedlichen Expertisen und Arbeitsfelder der betreffenden Personen ausschlaggebendes Kriterium gewesen. Es sind vier in der Schubhaftbetreuung und/oder in der Rechtsberatung tätige Personen befragt worden. Zwei weitere NPO-Mitarbeiter_innen habe ich in Wien befragt, um die Situation vor Ort bei Flugabschiebungen einschätzen zu können und nähere Informationen zu einem der von privaten Unterstützer_innen geschilderten Fälle zu erhalten. Ergänzend wurden zwei Interviews mit Expert_innen, die im Menschenrechtsbeirat tätig waren, geführt. Als weitere Quellen wurde Material herangezogen, welches im Laufe der Erhebung als relevant eingeschätzt werden konnte. Dazu zählen Beobachtungsprotokolle von zivilgesellschaftlichen Treffen, statistische Daten, die zum Thema Immigration, Asyl und Abschiebungen verfügbar sind, und schriftliche Quellen (Gesetzestexte, Internetseiten von Behörden und NPOs/NGOs). Zusätzlich zu den Interviews mit den direkt von Abschiebung bedrohten Menschen wurde mir von vielen drohenden, durchgeführten oder abgebrochenen bzw. verhinderten Abschiebungen berichtet. Diese Berichte beinhalten nähere Informationen über zwölf einzelne Personen, die abgeschoben wurden (acht), bei denen eine Abschiebung drohte (zwei) oder eine Abschiebung abgebrochen oder verhindert wurde (zwei). Darüber hinaus wurde mir von sieben Familien berichtet, die abgeschoben worden waren (zwei), deren Abschiebung bevorstand (eine) oder deren Abschiebung abgebrochen oder verhindert wurde (vier). Wie erwähnt sind Datenerhebung und Datenanalyse in der Grounded Theory ein wechselseitiger Prozess. So halten Strauss und Corbin fest: „Der andere wichtige Punkt hier ist, dass Datensammlung und Datenanalyse eng verwobene Prozesse sind und abwechselnd auftreten müssen, weil die Analyse das Sampling der Daten leitet.“ (Strauss/Corbin 1996: 40) Sobald erste Daten erhoben worden sind, müssen sie verarbeitet und analysiert werden. Denn auf den ersten Ergebnissen dieser Daten baut die weitere Auswahl der Untersuchungseinheiten auf. Dementsprechend wurden auch die Leitfäden für die Interviews auf jeden ein-
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zelnen Fall hin individuell angepasst. In Anlehnung an Froschauer/Lueger (2009) wurden mehrere Forschungszyklen durchgeführt, welche gemäß der Grounded Theory Aspekte der Datenerhebung und Datenauswertung inkludieren. Die Forschungsaktivitäten sind in Tabelle 2 aufgeführt. Bei der Strukturierung der Forschungsergebnisse lag der Fokus entsprechend der Grounded Theory sowie nach Froschauer/Lueger (2009) auf folgenden Punkten: (1) Bedingungen, Interaktionen, Strategien und Konsequenzen eines Phänomens (Code Memos), (2) wiederkehrende und zentrale Muster; Widersprüche und Gründe dafür (theoretische Memos) sowie (3) Lücken in der Interpretation und Aufzeigen des Materials und der Arbeitsschritte, welche notwendig sind, um diese Lücken zu schließen (Planungsmemos). 1.3.4 Interpretation Die Auswertung erfolgte nach den Regeln der Grounded Theory und war daher von den Prinzipien der Offenheit und Rekonstruktion sowie der Arbeit mit den drei Kodierformen der GTM (offenes, axiales und selektives Kodieren) geleitet. Die Interpretation erfolgte mittels eines interpretativ-rekonstruktiven Auswertungsverfahrens (vgl. Bohnsack 2010). Ziel war es, das System Abschiebungen „zu verstehen“ und charakterisieren zu können, wozu sowohl die Sammlung faktischer Hintergrunddaten als auch das Aufdecken der Interaktionsmuster der Akteur_innen diente. Für die Ergebnisse der Forschung ist es bedeutend, aus welcher Perspektive und Position heraus die Daten erhoben und interpretiert werden. Nach Mruck und Mey (1998) wird qualitativ Forschenden oft Subjektivität vorgeworfen, welche durch individuelles, „einsames“ Forschen auch tatsächlich gefördert wird (sowohl bei quantitativer als auch bei qualitativer Forschung). Die Subjektund Standortgebundenheit von Deutungen kann aus einer Zusammenführung verschiedenster Deutungsperspektiven reflektiert werden (vgl. Mruck/Mey 1997: 285ff.). Über individuelles Forschen in einer Qualifikationsarbeit hinauszugehen, ist nur eingeschränkt machbar. Eine Möglichkeit stellen Forschungs- oder Praxiswerkstätten dar. Katja Mruck und Günter Mey (1997) stellen in einer kritischen Auseinandersetzung mit den von ihnen durchgeführten Praxiswerkstätten fest, dass selbst durch „intersubjektive Validierungsversuche“ im Rahmen von Praxiswerkstätten Forschungsergebnisse nicht als sachlich und wertfrei angesehen werden können. Dennoch können durch Forschungswerkstätten eine Vielzahl von Deutungen aufgezeigt und neue nützliche Interpretations- und Darstellungsweisen hervorgebracht werden (Mruck/Mey 1997: 303).
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Tabelle 2: Überblick über die Forschungsaktivitäten
Forschungsaktivitäten
Forschungszyklen19 1
2
3
4
5
spezifisches Literaturstudium zu Abschiebungen zu jeweils Relevantem in Hinblick auf die gefundenen Feldergebnisse sowie zur theoretischen Fundierung der gefundenen Feldergebnisse
X
X
X
X
X
unstrukturierte Medienbeobachtung öffentlicher Argumentationsstränge rund um die Thematik
X
Zugang zum Feld der Zivilgesellschaft: Eintritt in eine lokale Menschenrechtsgruppe und soziale MedienNetzwerke, Anmeldung bei verschiedenen Newslettern
X
Beobachtungen zum Thema Asylsystem in Österreich (Einvernahme bei Bundesasylamt, Polizeianhaltezentrum, Verhandlung beim Asylgerichtshof)
X
X
Recherche von schriftlichen Dokumenten (Internetseiten von Behörden und NGOs, Gesetzestexte; s. Quellenverzeichnis)
X
X
X
X
Recherche statistischer Daten, welche zum Thema Immigration, Asyl und Abschiebungen verfügbar sind (s. Quellenverzeichnis)
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
qualitative, offene, leitfadengestützte Interviews mit 23 Personen
X
Beobachtung von zivilgesellschaftlichen Gruppen • Neun Treffen einer lokalen Gruppe: 09/2011-12/2012 • Ein Treffen eines zivilgesellschaftlichen Netzwerks in der Bundeshauptstadt
X
Analyse und Interpretation Reflexion des Feldzugangs, der Erhebungs- und der Interpretationsphase Forschungsdarstellung, Strukturierung: laufende Dokumentation u. Aufbereitung der Forschungsergebnisse in Memos
X
X
X
X
X
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X
X
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19 Forschungszyklen: 1 (02/2011-08/2011), 2 (09/2011-12/2011), 3 (01/2012-07/2012), 4 (08/2012-12/2012), 5 (01/2013-08/2013).
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Im Rahmen dieser Studie habe ich versucht, die Vorteile von Forschungswerkstätten durch gemeinsames Interpretieren meiner Interviews zu generieren. Kurz nach der Erhebung der ersten Interviewdaten habe ich im Rahmen eines Grounded Theory-Interpretationstreffens Auszüge diskutieren und interpretieren können. Das Treffen wurde initiiert durch das Netzwerk Qualitative Forschung Graz, gegründet und geleitet von Andrea Ploder und Johanna Stadlbauer, beide zu diesem Zeitpunkt an der Universität Graz tätig. Angeregt durch den Stammtisch habe ich ab März 2012 begonnen, wöchentlich stattfindende „offene Grounded-Theory-Interpretationssitzungen“ abzuhalten. Ich interpretierte meine Daten jeden Montagnachmittag für drei Stunden und lud interessierte Forschende über den Verteiler des Netzwerkes Qualitative Forschung ein, sich meinen Interpretationssitzungen anzuschließen. Erfreulicherweise fanden sich bis auf wenige Ausnahmen immer Interessierte ein, die gemeinsam mit mir meine Interviewdaten analysierten und kodierten. Im Laufe des Frühjahrs und Sommers bildete sich schließlich eine relativ stabile Interpretationsgruppe von zwei bis vier Personen heraus. Dadurch änderte sich auch die Vorgehensweise: Besprochen wurden nun nicht nur meine Daten, sondern, ähnlich wie in einer Forschungswerkstätte, abwechselnd die Daten der beteiligten Interpretinnen. In unserer Zugangsweise in der Interpretation wurde den jeweiligen Wünschen derjenigen gefolgt, die die Daten bereitstellten. Mir war dabei wichtig, dass der Deutungsraum möglichst breit eröffnet wird und verschiedenste Verstehensmöglichkeiten Platz und Gehör finden. Die Annäherung erfolgte so, dass innerhalb der Sitzungen kein Anspruch an eine vollständige oder konsistente Interpretation gestellt wurde. Dieser Zugang ist inspiriert von den Empfehlungen von Katja Mruck und Günter Mey (1997: 293f.). Die konkrete Vorgehensweise wich jedoch in einigen Punkten von den üblichen Abläufen in einer Forschungswerkstätte nach Mruck und Mey ab, zum Beispiel wurde das Material nicht vorab, sondern erst während der Sitzungen gelesen und kaum Metareflexionen durchführt. Die Inputs aus den Interpretationssitzungen habe ich für die eigene Interpretationsarbeit verwendet und versucht, die unterschiedlichen Zugänge reflektiert in meine Deutungen einfließen zu lassen.
1.4 D ARSTELLUNG
UND BEGRIFFLICHE
K LÄRUNGEN
Alle erhobenen Daten wurden anonymisiert ausgewertet und dargestellt. Zum Schutz der (ehemals) abschiebungsgefährdeten Personen habe ich Pseudonyme verwendet, Herkunftsländer durch Regionen ersetzt und teilweise Details, die
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eventuell Rückschlüsse auf einzelne Personen zulassen könnten, aber den Gehalt der Aussagen nicht beeinflussen, verändert. Die verwendete Analysemethode fokussiert auf inhaltliche Aussagen. Satzstrukturen, Betonungen etc. wurden nur in Ausnahmefällen mit einbezogen. Aus forschungsethischen Überlegungen heraus wurden daher etwaige grammatikalische Fehler bereinigt, sofern dadurch keine Inhalte und Aussagen verloren gingen oder verändert wurden. Dadurch soll eine Repräsentation der Migrant_innen als sprachlich inkompetent (obwohl die Kompetenz in der Erstsprache eine ganz andere sein könnte) vermieden werden. Außerdem soll dem vorgebeugt werden, dass mögliche Unzulänglichkeiten in der deutschen Grammatik dazu führt, dass die inhaltliche Aussage geschwächt oder nicht ernst genommen wird. Zudem möchte ich an dieser Stelle kurz die wichtigsten von mir in dieser Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten definieren. Nicht nur Realität prägt Sprache, sondern auch Sprache stellt Realitäten und soziale Unterscheidungen her bzw. übt Macht aus (vgl. z.B. de Cillia 2011: 186; Dirim/Mecheril 2010: 100). Daher ist es mir wichtig, bei bestimmten gängigen Begriffen darauf zu achten, dass die in der Gesellschaft bestehenden Machtstrukturen sich nicht unreflektiert in dieser Arbeit widerspiegeln. Meines Erachtens sind gewisse behördliche Ausdrücke zum einen nicht immer eindeutig verständlich, zum anderen transportieren sie bestimmte politische Aussagen. Gleichzeitig möchte ich Ausdrücke vermeiden, die in manchen sozialen Milieus sowohl als eindeutige politische Aussagen verwendet werden als auch wenig hilfreich für das Verständnis des jeweiligen Begriffes sind. Auf die in der sozialen Praxis gebräuchlichen Begriffe greife ich dann zurück, wenn sie quasi als Zitate oder Beschreibung der sozialen Praxis notwendig sind. Eingehen werde ich in diesem Abschnitt nur auf die relevantesten Begriffe. Die erste begriffliche Frage betrifft Abschiebungen, also das Kernthema der Arbeit. Sowohl im Deutschen als auch im Englischen gibt es hier unterschiedliche Handhabungen je nach institutionellem Hintergrund und Interessenslage. Im angelsächsischen Sprachgebrauch ist in öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussionen sehr häufig von „deportation“ die Rede, staatliche Stellen sprechen hingegen von „removal“ (Gibney 2008: 146). Im deutschsprachigen Raum wird der Ausdruck „Deportation“ im wissenschaftlichen und politischen Kontext eher vermieden, da es die Tendenz gibt, diesen ausschließlich im Zusammenhang mit den Deportationen der NS-Zeit zu verwenden. Nur manche NGOs und Abschiebungsgegner_innen wollen durch die bewusste Verwendung von „Deportation“ auf die Konsequenzen für die Abgeschobenen aufmerksam machen (Rosenberger/Trauner 2014: 141). Während staatliche Stellen vorwiegend von „Rückführung“, „Rückkehr“ oder „zwangsweiser Rückführung“ sprechen, wird in öffent-
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lichen Diskussionen üblicherweise die Bezeichnung „Abschiebung“ verwendet, welcher auch ich mich anschließe. Hinsichtlich der Gruppe von Personen, die abgeschoben werden könnten, verwende ich im Allgemeinen die Ausdrücke „unautorisierte Migrant_innen“ und „irreguläre Migrant_innen“ synonym. Dort, wo es tendenziell um die akute Bedrohung der Abschiebung geht, nutze ich verstärkt den Ausdruck „Abschiebungsgefährdete“. Den Ausdruck der „illegalen Migrant_innen“ vermeide ich, da die Dichotomie „illegal – legal“ in der Praxis nicht stimmt (viele reisen legal ein, der Aufenthalt wird jedoch danach illegalisiert; andere wiederum reisen illegal ein, suchen um Asyl an und haben damit einen legalen Aufenthaltsstatus– vgl. das Konzept der Status Mobility). Überdies wird die Bezeichnung „illegal“, ebenso wie „heimlich/clandestine“ oft als abschätzig aufgefasst. In der Literatur wird die Personengruppe häufig auch als „undokumentiert“ bezeichnet. Dies trifft jedoch nicht alle. „Undokumentiert“ gebrauche ich deshalb nur im jeweils passenden Kontext.20 Für eine Erläuterung weiterer fachspezifischer Wörter oder Konzepte sei auf das Glossar im Anhang verwiesen.
1.5 T HEORETISCHE V ERORTUNGEN : AGENCY SOZIALE P RAKTIKEN
UND
Wie der Untertitel des Buches verspricht und die Erläuterung des Forschungsinteresses darlegt, sind Handlungspraxen ein zentrales Konzept dieser Arbeit. Daher werden nachfolgend die gewählten theoretischen Zugänge vorgestellt. Zu Beginn gehe ich auf die Unterschiede der beiden Begriffe „Praktiken“ und „Strategien“ ein. Wenn in weiterer Folge von (Handlungs-)Praktiken bzw. Handlungspraxen die Rede ist, beziehe ich mich auf theoretische Ansätze und die darin beschriebenen bestimmenden Merkmale „sozialer Praktiken“, wie sie etwa Theodore Schatzki (2001) und Andreas Reckwitz (2004) formuliert haben. Die aus meiner Sicht wichtigsten Charakteristika sind dabei, dass (1) die Praktik die Wiederholung mehrerer zusammenhängender Aktivitäten darstellt, (2) kollektive „Wissens- und Verstehensformen“ (Reckwitz 2004: 321) in den Praktiken wiederzufinden sind, (3) jedes Handeln im Körper verankert ist und die Praktiken (4) als selbstverständlich erscheinen, obwohl sie sehr voraussetzungs-
20 Für eine Diskussion der unterschiedlichen Begrifflichkeiten vgl. Bloch/Sigona/Zetter 2014: 22f.
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reich sind. Unter „Strategien“ verstehe ich hingegen die stärker individuellen, auf ein Ziel gerichteten Handlungen einzelner Personen oder Personengruppen. Die Analyse der Handlungspraxen erfolgt aus dem Blickwinkel des Konzeptes der Agency und sozialer Praxistheorien. Agency bedeutet übersetzt Handlungsfähigkeit oder Handlungsmöglichkeit. Die theoretischen Verortungen sind sehr unterschiedlich und bleiben oft vage. In den Sozialwissenschaften ist Agency zu bestimmen als „ein Grundbestandteil aller Konzepte, die erforschen oder erklären, wer oder was über welche Art von Handlungsmächtigkeit verfügt oder diese zugeschrieben bekommt bzw. als welchen und wessen Einwirkungen geschuldet etwas zu erklären ist“ (Helfferich 2012: 10). Für die qualitativ-rekonstruktive Sozialforschung ist Agency die Vorstellung von Handlungsmächtigkeit, die aus vorrangig verbalen Daten herausgearbeitet werden kann. Cornelia Helfferich (2012) beschreibt vier Bedeutungen von Agency. Für diese Arbeit von besonderer Relevanz ist die Annahme des Agency-Konzepts, dass Individuen die Macht zugeschrieben wird, Wirklichkeit(en) herstellen zu können. Damit geht eine Zuschreibung von Verantwortung einher. Diese Handlungsmacht gilt für alle in den Prozess der Abschiebung involvierten Akteur_innen: die Behördenmitarbeiter_innen, private Unterstützende, NPO-Mitarbeiter_innen und die irregulären Migrant_innen, auf denen der Fokus liegt. Gerade für die letzte Personengruppe ist ein weiterer Aspekt von Agency äußerst relevant: Agency kann als eine subjektive Wahrheit aufgefasst werden. Das heißt, es können „sich solche Menschen als handlungsmächtig konstruieren […], denen faktisch Ressourcen für eine aktive und effektive Gestaltung ihres Lebensumfeldes fehlen“ (ebd.: 16f.). Wie die Analyse der Fallbeispiele (Kap. 4.3, „Handlungspraktiken und ihre Bedingtheiten als Prozesse“) und auch das Kapitel 5 („Verbleiben zwischen Sein und Schein. Einblick in die Folgen einer Pattsituation“) veranschaulichen, trifft diese Annahme der fehlenden Ressourcen für irreguläre Migrant_innen überwiegend zu. Agency kann überdies unterschiedliche Formen (etwa Aktivität versus Passivität, internale und externale Zuschreibungen etc.) annehmen. Wie sich zeigen wird, ist gerade der Pol zwischen aktiven und passiven Handlungen ein geeigneter Rahmen, um etwa Widerstandshandlungen gegen Abschiebungen zu analysieren (vgl. Kap. 4.5, „Widerstand gegen Abschiebungen als Agency?“). Schließlich kann berücksichtigt werden, dass es bei Agency nicht nur um Individuen, sondern auch um Artefakte und Geschehnisse, welche zum Teil wirkmächtig sind, gehen kann. Agency als Begriff für Handlungsfähigkeit und -mächtigkeit wird im Kontext von sozialen Praxistheorien diskutiert. Agency- und Praxistheorien beschäftigen sich damit, wie viel Einfluss ein Individuum auf das soziale Geschehen, auf die eigene Lebensgestaltung hat. Insgesamt richten Praxistheorien ihren
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Blick auf routinisierte Handlungen, die in eine soziale Struktur eingebettet sind, während manche der Agency-Theorieansätze stärker das individuelle Handeln der Menschen in den Vordergrund stellen (Handlungs- und Entscheidungstheorien sowie Theorien der Persönlichkeits- und Sozialpsychologie). Andere Agency-Theorien wiederum rücken ebenso wie die Praxistheorien den Interaktionsprozess zwischen den Menschen in den Mittelpunkt (Sozialkonstruktivistische Ansätze) (ebd.). Für die Analyse der Handlungspraktiken abschiebungsgefährdeter Personen sind die Zugänge des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (Habitus, Verfügen über Kapital) von großer Bedeutung. Nach Bourdieu eignen sich Menschen – in objektivierter oder verinnerlichter Form – verschiedene Kapitalsorten an: ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital (Bourdieu 2005). Die Analyse, wie unautorisierte Migrant_innen diese Kapitalformen im Feld des irregulären Aufenthalts einsetzen und welche Wirkungen sie damit erzielen, hilft, die Handlungen der Akteur_innen in der Situation von Catch-2221 des irregulären Aufenthalts besser zu verstehen. Ebenfalls wichtig ist das von Bourdieu entwickelte Konzept des Habitus. Mit dem Habitus sind die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata eines Menschen gemeint, welche alle inkorporierten, früheren sozialen Erfahrungen ausdrücken (Lenger/Schneickert/ Schumacher 2013: 13). Bourdieu beschreibt den Habitus als „das Produkt der Einprägungs- und Aneignungsarbeit […], die erforderlich ist, damit die Hervorbringungen der kollektiven Geschichte (Sprache, Wirtschaftsform usw.) sich in Form dauerhafter Dispositionen in allen, den gleichen Bedingungen auf Dauer unterworfenen, folglich den gleichen materiellen Existenzbedingungen ausgesetzten Organismen – die man, so man will, Individuen nennen kann – erfolgreich reproduzieren können“. (Bourdieu 1979: 186f.)
In seinem „Entwurf einer Theorie der Praxis“ (Bourdieu 1979) stellen verschiedene Handlungsmöglichkeiten (Kapital und Habitus) innerhalb bestimmter Strukturen (Felder) eine Praxis dar (Lenger/Schneickert/Schumacher 2013: 21). Im Habitus werden soziale Praktiken inkorporiert. Mit dem Konzept des Habitus können die Praktiken sozialer Akteur_innen in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen analysiert sowie Mikro- und Makroebene verbunden werden (ebd.: 33). Dadurch trägt dieses Konzept zum besseren Verständnis der Handlungspraktiken unautorisierter Migrant_innen (sowie von deren Unterstützer_innen und der Behördenmitarbeiter_innen) bei.
21 Der Begriff wird in Kapitel 3 erklärt.
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Pierre Bourdieu zählt also zu jenen Praxistheoretiker_innen, welche den Dualismus zwischen Struktur und Handeln/Praxis zu überwinden versuchen. Auf Grund der unterschiedlichen im Abschiebeprozess involvierten gesellschaftlichen Ebenen (Rechtssystem, Politik, Behörden, Zivilgesellschaft, Individuen) möchte ich im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Handlungspraxen unautorisierter Migrant_innen genau auf jene Praxistheorien, welche zwischen den beiden Polen Struktur und Handlung vermitteln, zurückgreifen. Als besonders geeignet erachte ich dafür die Theorie kollektiver Praktiken des Soziologen Barry Barnes. Denn diese legt den Schwerpunkt auf die Interaktionen, sprich das Wechselspiel zwischen den Handlungen der verschiedenen Akteur_innen im Feld der Abschiebung. 1.5.1 Barry Barnes’ Theorie kollektiver Praktiken Barry Barnes verbindet seinen theoretischen Ansatz auf eine ganz bestimmte Art und Weise mit den Handlungs- und Entscheidungstheorien. Er nimmt an, dass diese zwar nicht als Analyserahmen nützlich sind, jedoch für die Menschen im Alltag den Hauptbezugsrahmen darstellen, um das soziale Handeln ihrer Mitmenschen zu interpretieren. Barry Barnes beschreibt soziale Praktiken als kollektives Handeln (Barnes 2001a). Was versteht Barnes unter kollektivem Handeln, unter einer „kollektiven Praxis“? Barnes ändert in zweierlei Hinsicht den üblichen Bezugsrahmen (vgl. ebd.: 25): (1) Er geht davon aus, dass wir über die den Individuen innewohnenden Ideen, Normen und deren Glauben nur Vermutungen haben können. (2) Ein „Kollektiv“ hat keine fixen Ordnungen, denen alle Mitglieder des Kollektivs verpflichtet sind. Vielmehr manifestiert sich ein Kollektiv in dem, was die Mitglieder tun. Für kollektive Praktiken sieht er folgende relativ breite Definition als nützlich an: „Let practices be socially recognized forms of activity, done on the basis of what members learn from others, and capable of being done well or badly, correctly or incorrectly.“ (Ebd.: 27) Für Barnes haben kollektive Praktiken folgende Charakteristika: (1) Geteilte Praktiken (shared practices) bestehen aus unterschiedlichen Fähigkeiten und Kompetenzen, welche in wiederum unterschiedlichen Darstellungen deutlich werden. (2) Menschen müssen die Handlungen ihrer Mitmenschen beobachten und ihre eigenen dementsprechend anpassen. Sie müssen sich zukünftige Szenarios vorstellen, bevor diese eintreten. (3) Praktiken können bei jeder Gelegenheit neu gebildet werden. Diese Routine findet aber auf einem kollektiven, und nicht auf einem individuellen Niveau statt (ebd.: 32f.). Dies bedeutet, dass eine routinisierte Handlung, die aber nur einzelne
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Menschen ausüben, noch keine soziale Praktik darstellt. (4) Dennoch können Praktiken auch alleine ausgeführt werden, erläutert Barnes mit Verweis auf den Zahnarzt oder die Zahnärztin, welche_r die Praktik der Akupunktur auch alleine durchführt.22 Zentral ist hierbei, dass die Praktik von anderen Menschen erlernt wurde, oft um eine bestimmte Rolle auszufüllen. (5) Obwohl manche Praktiken alleine durchgeführt werden, sind sie insofern Praktiken, als die Handelnden darauf achten müssen, was die anderen „Mitglieder“ der kollektiven Praxis machen. Denn eine geteilte Praxis kann nur dann erhalten bleiben, wenn sie als solche identifizierbar ist. Bedeutend für die Analyse von Abschiebungen als soziale Praktiken ist Barnes‘ Sichtweise auf gesellschaftliche Regeln (rules). Regeln können in meiner Interpretation von Barnes sowohl informelle Verhaltensregeln als auch formalisierte Regeln (beispielsweise Gesetze oder Richtlinien) sein. Individuen können Regeln folgen oder nicht. Das gemeinsame Verständnis davon, was es bedeutet, einer Regel zu folgen, kommt jedoch durch die Mitglieder eines Kollektivs zu Stande und nicht durch die Regel selbst: „Whatever is accounted agreement in the following of a rule is produced by the membership that follows it, not by the rule itself.“ (Ebd.: 24) Prämissen Barnes geht von der Prämisse aus, dass Menschen23 sozial, interagierend und voneinander abhängig sind (Barnes 2001b: 346).24 Eine zweite Annahme betrifft das Zustandekommen gesellschaftlicher Regeln. Es ist nicht so, dass Menschen gemeinsam festlegen, wie eine solche Regel genau auszusehen habe, sondern Menschen lernen durch Beispiele. Wenn bei einer Gegebenheit dieses oder jenes gilt, ziehen die Menschen eine Analogie von dieser Gegebenheit zu anderen und produzieren dadurch Regeln. Es muss jedoch ein Gefühl dafür entwickelt wer-
22 Vgl. für diese alternativmedizinische Praktik z.B. die Medizinische Akupunktur Gesellschaft Großbritanniens (British Medical Acupuncture Society, http://www. medical-acupuncture.co.uk/Default.aspx?tabid=114). 23 Barnes verwendet, wenn er allgemein von Menschen spricht, meistens den Begriff „human beings“. Redet Barnes speziell von der Verantwortlichkeit im Handeln dieser Menschen, benutzt er auch den Begriff „agents“ für Menschen/Personen. Ich mache eine ähnliche Unterscheidung und greife überwiegend auf die Begrifflichkeiten Menschen und Mitmenschen und nur in spezifischen Zusammenhängen auf „Handelnde“ zurück. 24 Barnes begründet diese Prämisse in seinem Artikel „Selbstreflexivität und Subjektivität im Auswertungsprozeß biographischer Materialien“ (Barnes 2001b).
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den, welche neuen Anwendungen einer Regel als richtig und welche als falsch gelten. So schreibt Barnes: „A sense of which of these attempts are right and which wrong will have to be engendered; and a shared sense of how to move from agreed ‚right‘ instances to new applications will continually have to be sustained.“ (Ebd.: 347)
Diese Anwendungen der Regeln müssen in eine tolerierte kohärente kollektive Praxis gebracht werden. Aus den Annahmen über Menschen als soziale und interagierende Personen und über Regeln als Konsequenz einer kollektiven Praxis folgt, dass sich Menschen in ihren kommunikativen Interaktionen gegenseitig beeinflussen und damit auch ihr Verständnis vom Regelsystem entwickeln (vgl. ebd.: 347f.). Status (status) und Zustand/Natur (state) als zentrale Kategorien Die Unterscheidung zwischen extern zugewiesenem Status und dem den Dingen bzw. Menschen inhärenten Zustand ist zentral für Barnes’ Theorie der verantwortlichen Handlung und wird daher kurz skizziert. Barnes (2000: 143ff.) greift dabei zu großen Teilen auf die Soziologie Erving Goffmans zurück. Er ergänzt diese auf Basis von Überlegungen Saul Kripke (1980) darüber, dass ein Individuum nicht über dessen Natur, Konsistenz oder Besonderheit, sondern nur über das Kontinuum von Raum und Zeit definiert wird (Barnes 2000: 147). Menschen glauben im Allgemeinen, dass sie ihre Mitmenschen oder Dinge auf Grund deren Natur, deren eigenen, internen Eigenschaften klassifizieren. Aber meistens ist das Gegenteil der Fall: Durch die Zuweisung eines Status werden Menschen oder Sachen auf Basis von Sachverhalten klassifiziert, die außerhalb der Menschen selbst liegen. Die Benennung oder Klassifizierung von Dingen erfolgt auf Grund des Kontexts, beispielsweise anhand der Umgebung (wir beschreiben die Charakteristika eines Sees als „umgeben von Land“) oder Funktion (wir beschreiben eine Tür insofern, dass sie uns das Eintreten in einen Raum und dessen Abschließen ermöglicht, und dass sich rundherum Mauerwerk befindet). Dadurch wird ihnen ein Status verliehen. Dennoch glauben wir, dass die Benennungen auf Grund der „Natur der Dinge“ erfolgen, also aus den Dingen inhärenten Eigenschaften resultieren (ebd.: 148f.). Ebenso verhält es sich bei Menschen. Die Umgebung der Menschen erwartet Handlungen von ihnen, erlaubt ihnen gewisse Handlungen und ermöglicht ihnen, zwischen Alternativen zu wählen. Doch diese externen, umgebenden Faktoren werden meistens als Fähigkeiten und Mächtigkeiten interpretiert, die quasi Eigenschaften der Menschen sind, die sie von Natur aus besitzen. Das heißt: Durch
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Naturalisierung und Vergegenständlichung wird ein Status (status) fortwährend in einen natürlichen Zustand (state) umgewandelt (ebd.). In der Folge wird auch freier Wille und individuelle Handlungsfähigkeit (agency) im alltäglichen Gebrauch als intrinsische Macht einer Person beschrieben (ebd.: 149). Die Verwendung der Begriffe Handlungsfähigkeit und Verantwortlichkeit im Alltag Wie dargestellt, liegt der Fokus der Handlungsfähigkeit (agency) nach Barnes nicht auf einer wissenschaftlichen Verwendung des Begriffs, sondern darauf, wie das mit Agency Gemeinte, sprich die Zuschreibung der Handlungsmacht, im Alltag verwendet wird (Barnes 2001b: 346f.). Im Alltag dominiert eine individualistische Sprechweise. Den jeweiligen Mitmenschen werden zwei, den Menschen innewohnende Hauptkräfte zugeschrieben: die Fähigkeit zur Rationalität und die Willensfreiheit. Diese seien sozusagen ‚interne Zustände‘ (internal states) (Raithelhuber 2008: 31). In der alltäglichen Praxis unterscheiden wir zwischen verursachtem Verhalten einerseits und willentlichen Handlungen andererseits. Das bedeutet, wir beschreiben unsere Mitmenschen mittels eines „voluntaristischen Diskurses“ (voluntaristic discourse). Es ist ein Diskurs, der vorrangig davon geprägt ist, dass wir die prinzipielle Möglichkeit der willentlichen/freiwilligen Handlung annehmen (vgl. Barnes 2001b: 348). Handelnde beeinflussen sich also gegenseitig, „indem sie im Alltag so tun, als ob jeder alleine handeln könnte“ (Raithelhuber 2008: 29). Dadurch bringen sie kollektives Handeln hervor: Sozial agierende Menschen erzeugen „gemeinsam kulturelle und institutionelle Ordnung“ (ebd.: 31). Menschen reden davon, dass ihr Handeln und das Handeln anderer freiwillig seien. Sie schreiben ihren Mitmenschen Verantwortung gegenüber ihren Handlungen und deren Folgen zu. Mit dieser Verantwortlichkeit (responsibility) wird den Menschen auch ein bestimmter Status (status) sowie ein innerer Zustand (state) verliehen (vgl. ebd.: 30). Im Alltag gehen wir also von der Annahme über unsere Mitmenschen aus, dass diese einen freien Willen besitzen, rational handeln und daher verantwortliche Akteur_innen sind: „Human beings none the less describe each other as responsible agents, possessed of rationality and free will.“ (Barnes 2001: 348) Insofern begreift Barnes Rationalität als „eine im Alltag verfügbare Beschreibung dafür, dass jemand über die Fähigkeit verfügt, vernünftig und urteilsfähig zu handeln“ (Raithelhuber 2008: 30).
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Barnes meint, dass die Menschen in ihrem alltäglichen Handeln von der Rationalität ihrer Mitmenschen ausgehen. Verantwortliches Handeln (responsible action) sei somit nach Barnes eine „gesellschaftliche Institution“ (ebd.: 31). Im Alltagsdiskurs wird eine Handlung zwar als ‚(selbst) gewählt‘ verstanden, kann jedoch gleichzeitig kausal beeinflusst sein (ebd.: 33). Menschen bewerten Handlungen anderer Menschen im Nachhinein und unterscheiden dabei: a) Eine Handlung kann als „responsible action“ eingestuft werden, für die der Akteur oder die Akteurin verantwortlich gemacht wird, oder b) eine Handlung wird als „causal connection“ angesehen, wobei diese durch andere Faktoren beeinflusst gewesen ist (vgl. ebd.). Eberhard Raithelhuber fasst Barnes’ Kerngedanken folgendermaßen zusammen: „Menschen schreiben im Nachhinein Verantwortlichkeiten zu. Sie gehen davon aus, dass jemand ursächlich für eine Handlung verantwortlich ist und sich verantwortlich gezeigt hat. Das bedeutet, man nimmt an, dass jemand seine Handlungen in einem angemessenen Bezug auf Wissensbestände ausgeführt hat, die gemeinsam geteilt werden. Menschen machen damit Aussagen über einen unsichtbaren Zustand, in dem sich ein Handelnder zu dem Zeitpunkt befunden haben muss, als er seine Überlegungen vornahm, die letztlich zur Handlung geführt haben.“ (Ebd.)
Menschen schließen vom konkreten Handeln ihrer Mitmenschen auf deren freien Willen so zu handeln, sprich auf deren Handlungsfähigkeit bzw. Agency (vgl. ebd.: 34). Abbildung 1 gibt einen Überblick über die alltägliche Verwendung von Handlungsfähigkeit und Verantwortung. Laut Barnes ist es wichtig, dass Forscher_innen bewusst ist, dass dieser Diskurs über verantwortliche Handlungen ein Alltagsdiskurs ist. Forscher_innen sollten anerkennen, wie stark sich Menschen in Wirklichkeit gegenseitig beeinflussen und wie abhängig sie voneinander sind (vgl. Barnes 2000: 152).
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Abbildung 1: Graphische Darstellung der „Responsible Action“ von Barry Barnes Menschen sprechen im Alltag darüber, dass ihre Entscheidungen frei sind.
Wird die Entscheidung eines Mit-Menschen als freiwillig eingestuft, wird diesem Mit-Menschen auch eine Verantwortlichkeit (responsibility) für das Handeln zugeschrieben.
Das Handeln ist somit eine „responsible action“.
Damit geht die Zuschreibung eines bestimmten Status (status) einher.
Damit geht die Zuschreibung eines psychischen Zustandes (state) einher: Die Menschen seien fähig, verantwortlich zu handeln.
Auf Grund dieser Zuschreibungen und der zugewiesenen Verantwortlichkeit ist die Person auch haftbar (answerability) für ihre Handlungen und es gibt Erwartungen, wie diese Person weiterhin handeln wird. Quelle: Eigene Graphik auf Basis von Raithelhuber 2008: 30
Die Praxistheorien von Barnes und Bourdieu – ein kurzer Vergleich Barry Barnes möchte in seiner Sozialtheorie, die er in den 1990er-Jahren entwickelte, die in den soziologischen Theorien vorherrschenden Dualismen (Natur versus Mensch, Entscheidung versus Verursachung, Struktur versus individuelles Handeln) mittels seines Ansatzes der „kollektiven Praxis“ überwinden (Raithelhuber 2008: 29; Schatzki 2001: 15;). Im Unterschied zu Bourdieu hebt Barnes jedoch die unabhängigen und aktiven Aspekte des Individuums weitaus stärker hervor. An Bourdieu wird kritisiert, dass er das Verhältnis zwischen De-
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terminismus und Freiheit nicht explizit bearbeitet habe und das Habituskonzept auch sehr deterministisch interpretiert werden könne (vgl. Lenger/Schneickert/ Schumacher 2013: 30). Schatzki schreibt über den Unterschied von Bourdieus und Barnes’ Sichtweise: „Opposing Bourdieu’s affirmation of the adequacy of habitus, for example, is Barnes’s (and Giddens’s and others’) insistence that skills be supplemented by some combination of perception, propositional knowledge, reasons, and goals.“ (Schatzki 2001: 17) Irene Rafanell (2003) kritisiert in einem Vergleich von Pierre Bourdieus Theorie des Habitus und der „performative theory of social institutions“ von Barry Barnes, David Bloor und Martin Kusch, dass bei Bourdieus Konzeption von Habitus der Struktur Vorrang gegenüber der Praxis gegeben wird. Bei Barnes’ Darstellung des individuellen Handelns sieht sie hingegen die Gesellschaft und das Individuum stärker in interaktiven Dynamiken verankert (ebd.: 21f.). Insgesamt besteht der Hauptunterschied im Vergleich zu anderen Praxistheorien darin, dass Barnes die gegenseitige Beeinflussbarkeit zwischen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Andere Praxistheorien hingegen, wie beispielsweise jene von Anthony Giddens, orientieren sich an einer Art metaphysischen Postulats, wonach Menschen Situationen ändern können. Diese Prämisse beruht laut Barnes aber nicht auf empirischen Tatsachen, sondern eher auf dem Glauben an die Handlungsfreiheit eines Menschen (vgl. Barnes 2001b: 346). Die Praxistheorie von Barnes bietet meines Erachtens einen passenden Rahmen, um die im Feld der Abschiebungen durchgeführten Zuschreibungen (etwa von Behördenmitarbeiter_innen gegenüber unautorisierten Migrant_innen, vgl. Kap. 3.4.1, „,Ohne Dokumente‘“, und Kap. 3.4.2, „,Mit Dokumenten‘“) sowie Handlungen im Rahmen kollektiver Praktiken (vgl. z.B. Kap. 4.1.1, „Praktiken der Partizipation“) zu analysieren. Dies wird auch im nächsten Abschnitt, welcher sich speziell mit der Agency von Migrant_innen beschäftigt, vorgeführt. 1.5.2 Agency von Migrant_innen In der Migrationsforschung gibt es eine Vielzahl an Literatur, die sich mit der Handlungsmacht bzw. Agency von Migrant_innen beschäftigt. Manche Arbeiten befassen sich mit Migrant_innen in privilegierten Positionen. Ein Beispiel hierfür wären Untersuchungen zu Expatriates (von Unternehmen, privaten oder öffentlichen Organisationen ins Ausland entsandte Fach- und Führungskräfte sowie ihre Angehörigen) – einen guten Überblick über den Forschungsstand dazu gibt Johanna Stadlbauer (2015). Ein anderer Aspekt wäre die Handlungsmacht gut ausgebildeter Migrant_innen am Arbeitsmarkt (z.B. Nohl et al. 2014). Der Fokus der meisten Studien liegt aber auf benachteiligten Migrant_innen (Loyal
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2008; Stadlbauer 2015). Steven Loyal (2008) hat festgestellt, dass in der Migrationsforschung bisher der Standpunkt vorherrschte, dass ein mächtiger Staat gegen machtlose Individuen (die Migrant_innen) kämpfe. Meines Erachtens wird dieser Diskurs der Machtlosigkeit gerade in der Literatur zu Agency von Frauen in der Migration deutlich. Auch wenn von feministischen und postkolonialen Forscher_innen die Viktimisierung von Migrantinnen kritisiert und deren Handlungsmacht stärker betont wird, bewegen sich die meisten Diskussionen überwiegend zwischen der Feststellung einer eingeschränkten Agency der Frauen und eines Opferstatus (besonders im Frauenhandelsdiskurs) (vgl. Bahl/Ginal 2012: 202). Auch inhaftierte Migrant_innen zählen zu den Personengruppen, denen tendenziell Machtlosigkeit zugeschrieben wird. In einer von Dominique Moran, Nick Gill und Deirdre Conlon (2013) herausgegebenen Publikation wird die Agency von Migrant_innen in Gefängnissen in verschiedensten Formen (seien es etwa Hungerstreiks von Asylsuchenden [Conlon 2013] oder die Praktiken in Schubhaftgefängnissen [Martin 2013]) analysiert. Antje Ellermann (2010) argumentiert, dass speziell undokumentierte Migrant_innen keine Ansprüche gegenüber dem Staat haben und gerade daher die Ausübung der Staatssouveränität einschränken können. Diese Formen der Agency werden in dieser Studie noch ausführlicher diskutiert. Nicht nur die Forschungsthemen (wie zum Teil eben ausgeführt, etwa Arbeitsmigration, Menschenhandel, inhaftierte Migrant_innen) zu denen mit Agency-Ansätzen gearbeitet wird, sind vielfältig, sondern auch das AgencyVerständnis, das den Arbeiten zu Grunde liegt. Vassilis Tsianos und Sabine Hess sprechen beispielsweise von der „Handlungsmacht der Migration“ (Tsianos/Hess 2010: 245) und möchten damit in ihrer ethnographischen Grenzregimeanalyse nicht nur die empirisch festmachbaren Praktiken der Migrant_innen, sondern auch die Diskurse, Machtverhältnisse und Politikformen in eine Theorie der „Autonomie der Migration“, erstmals formuliert von Yann Moulier Boutang, einbeziehen (ebd.: 244). Wiederum einen etwas anderen Blickwinkel nimmt Tina Spies (2013) ein, die im Anschluss an Stuart Halls Konzept der Artikulation und Judith Butlers subjekttheoretischen Überlegungen den Einfluss gesellschaftlicher Diskurse in ihrer theoretischen Konzeption von Agency berücksichtigen möchte. Ein ausführlicher Literaturüberblick über Agency im Feld der Migration würde an dieser Stelle zu weit führen. Für die spätere Analyse der Handlungspraktiken unautorisierter Migrant_innen möchte ich jedoch zwei spezifische Ansätze herausgreifen. (1) Steven Loyal überträgt die im vorigen Abschnitt vorgestellte Theorie von Barry Barnes auf das Migrationsthema. Nach Loyal besteht im Vergleich zu an-
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derer Migrationsforschung, in der Agency-Ansätze einbezogen werden, Bedarf an einer stärkeren Berücksichtigung sozialer Prozesse (Loyal 2008: 156). Er plädiert dafür, Barnes‘ Theorie sozialer Praktiken für die Analyse von Migrationsbewegungen nutzbar zu machen. Loyal argumentiert, dass die Handlungen der Flüchtlinge von Behördenmitarbeiter_innen ebenso wie von „normalen“ Gesellschaftsmitgliedern entweder als verantwortliche Handlung (responsible action) oder als von anderen Faktoren beeinflusst (causal connection) interpretiert wird (ebd.: 157). Beispielsweise kann der/die Migrant_in so eingeschätzt werden, dass er/sie sein/ihr Herkunftsland aus eigenem Willen, aus eigener Agency heraus, verlassen hat, oder dass er/sie auf Grund externer Einflüsse gezwungen war, das Land zu verlassen. Beides steht laut Loyal in engem Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit der Migrant_innen, da auch die Gewährung von Asyl von den Migrationsgründen abhängig ist: „Whether an individual migrant acquires the status of an ‚aslyum seeker‘, ‚economic migrant‘, etc., is constituted by the surrounding ring of belief sustained by interacting individuals that treat him or her as an asylum seeker, economic migrant, refugee etc.“ (Ebd.: 158)
Loyal kritisiert jedoch am Beispiel von Interviews mit Flüchtlingen, dass die physische und symbolische Macht des Staates sowie die Medien die Interpretationen der Individuen stark prägen und auch die Asylsuchenden selbst Darstellungen verwenden, die Schuldzuweisungen vermeiden („defence-accounts“ nach Scott/Lyman 1970: 128f., zitiert in Loyal 2008: 158). Loyal beschreibt, wie Asylsuchenden von der aufnehmenden Gesellschaft entweder die Verantwortlichkeit für ihre Migration zugeschrieben wird, oder wie die Gründe für ihre Einwanderung in externen Faktoren verortet werden. Solche Zuschreibungen an Migrant_innen werden auch in der Analyse der Handlungspraxen irregulärer Migrant_innen relevant sein. So stellt sich etwa die Frage, ob – um ein zentrales Thema vorwegzunehmen – die Migrant_innen dafür verantwortlich sind, dass ihre Identitätspapiere fehlen. (2) Ein zweiter für diese Arbeit wichtiger Aspekt von Agency findet sich bei Désirée Bender, Tina Hollstein und Lena Huber (2013). Für sie zeigt sich bei der Migrationsentscheidung im Herkunftsland „die Dynamik von Agency als Prozess zwischen dem Erleben von Handlungsohnmacht und dem Fällen von Entscheidungen, um Agency wiederzuerlangen und auch zukünftig zu wahren“ (Bender/Hollstein/Huber 2013: 261). Handlungsohnmacht erleben die Personen durch die ökonomischen und politischen Bedingungen in ihrem Herkunftsland.
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Durch die Entscheidung zur Migration erhoffen sie sich eine Erweiterung ihrer Handlungsspielräume (ebd.: 260). Hinsichtlich der rechtlichen Bedingungen im Migrationszielland verweisen Bender, Hollstein und Huber (ebd.: 265) auf das Gefühl der Handlungsohnmacht. Das Handeln wird als fremdbestimmt erlebt (ebd.: 266). Neben praktischen Handlungsmöglichkeiten sind die psychischen Komponenten betroffen (Selbstwert, Würde, Hoffnung, Zukunftsvorstellungen). Der Lebensverlauf wird als schicksalshaft erlebt, eine Veränderung als Glück (ebd.). Bender, Hollstein und Huber treffen in ihren Interviews die fortwährende und alles dominierende Angst vor dem Zurückgeschoben-Werden an (ebd.). Sie stellen die These auf, dass mit der Angst vor Abschiebung „das Handeln darauf ausgerichtet wird, Auflehnung und ‚Fehlverhalten‘ zu vermeiden“ (ebd.). Dies stellt ein typisches Verhalten im Zustand der „deportability“ (de Genova 2002) dar, welcher bedeutet, dass die Menschen fortwährend damit rechnen müssen, abgeschoben zu werden. Der Widerstand gegen rigide Strukturen, zum Beispiel durch Hinzuziehen eines Rechtsbeistands, wird als eine Handlungsinitiative bezeichnet, die die Handlungsohmacht eine Zeit lang aussetzt (falls die Handlungen nicht erfolgreich sind) – denn der Anwalt/die Anwältin agiere stellvertretend für die betreffende Person25 (Bender/Hollstein/Huber 2013: 267). Diese Form von Handlungsfähigkeit bezeichnen Bender, Hollstein und Huber als stellvertretende Agency (ebd.). Wie sich zeigen wird, ist dieses Konzept der stellvertretenden Agency für eine Analyse der Handlungspraktiken abschiebungsgefährdeter Personen sehr brauchbar. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Wechselwirkungen zwischen den Handlungen unautorisierter Migrant_innen und jenen unterstützender Personen oder Vereine zu beschreiben ist. Zusätzlich zur stellvertretenden Agency verweisen die drei Autorinnen auf die Möglichkeit kollektiver Agency. In ihrem Untersuchungsfeld, den Menschen mit Migrationshintergrund, die unter Bedingungen der Armut leben, bezieht sich diese kollektive Agency häufig auf die Familie (ebd.: 268). Kollektive Agency strebt danach, dass alle Mitglieder ein gewisses Maß an Handlungsmacht besitzen, und dass Unterstützungspotenziale langfristig aufrecht erhalten bleiben können (ebd.: 269). Welche konkreten Formen der sozialen Praktiken und der Agency in den Handlungspraktiken der in das System Abschiebung involvierten Akteur_innen
25 Im Beispiel bei Bender, Hollstein und Huber geht es um den Erhalt der Arbeitserlaubnis.
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gefunden werden konnten, wird in dieser Arbeit besonders in Kapitel 4, „Handlungspraxen“, gezeigt.
1.6 Z UM I NHALT Die vorliegende Arbeit entstand aus einem Arbeitsprozess heraus, in welchem entsprechend der Forschungsmethodik Literaturstudium, Forschungen im Feld, Analyseschritte und schriftliche Ausarbeitungen abwechselnd stattfanden. Bei der Darstellung versuche ich, ein zusammenhängendes Bild zu schaffen, welches sich besonders bei einer klassischen Lektüre von vorne bis zu hinten ergibt. Dennoch ist es natürlich möglich, auch nur ausgewählte Teile, die von persönlichem Interesse sind, zu lesen. Nach dieser Einleitung mit der Auseinandersetzung zur Position der Wissenschaftlerin, der Darstellung des Forschungsinteresses, der Methodik und der theoretischen Verortung werden im zweiten Kapitel die gegenwärtigen Wissensbestände vorgestellt: Zum einen verschafft das Kapitel einen Einblick in die aktuelle wissenschaftliche Literatur im Feld, zum anderen gibt es einen Überblick über das Thema „Abschiebungen in Österreich“ in quantitativer Weise, indem die verfügbaren Zahlen präsentiert werden. Nachfolgend werden die Statistiken über den Zeitraum der Erhebung hinausgehend bis einschließlich 2016 dargestellt. In Kapitel 3 präsentiere ich das zentrale Phänomen: Catch-22 des irregulären Aufenthalts ist die Situation, in der sich unautorisierte Migrant_innen in Österreich befinden. Die verschiedenen Zuschreibungen und Merkmale werden herausgearbeitet sowie Ursachen, Breite, Dauer und Stärke des Phänomens dargestellt. Im nachfolgenden Abschnitt (Kap. 4) werden die Handlungspraxen der unterschiedlichen involvierten Personengruppen beschrieben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Praktiken der Abschiebungsgefährdeten, welche strukturell (Kap. 4.1, „Handlungen zwischen Inklusion und Unsichtbarmachung“, und Kap. 4.2, „Der Umgang Abschiebungsgefährdeter mit behördlichen Anfragen“) sowie anhand von Fallbeispielen (Kap. 4.3, „Handlungspraktiken und ihre Bedingtheiten als Prozesse“) erläutert werden. Die Handlungen der Behördenmitarbeiter_innen und der Unterstützer_innen werden gemeinsam mit anderen Einflüssen in Kapitel 4.4, „Intervenierende Bedingungen zum Umgang mit Catch-22“, als intervenierende Bedingungen zum Umgang mit Catch-22 des irregulären Aufenthalts vorgestellt. Das Kapitel schließt quasi mit einem Exkurs, in welchem konkret Widerstandshandlungen gegen Abschiebungen aufgezeigt werden (Kap. 4.5, „Widerstand gegen Abschiebungen als Agency?“). Im Anschluss daran zeige ich, welche Folgen eine Catch-22-Situation nach sich ziehen kann (Kap. 5,
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„Verbleiben zwischen Sein und Schein. Einblick in die Folgen einer Pattsituation“). In einem Resümee (Kap. 6) gebe ich eine Zusammenfassung der Ergebnisse (Kap. 6.1, „Ergebnisüberblick“) und diskutiere die Möglichkeit, die dargestellte Skizze des theoretischen Modells („Catch-22 des irregulären Aufenthalts“ mit seinen Bedingungen, Merkmalen, Ausprägungen und Folgen) auf ein breiteres Feld zu übertragen, und identifiziere offene Forschungsfragen und -felder (Kap. 6.2, „Forschungsausblick“). In der Folge werden in einem abschließenden Teil politische Implikationen gezogen und Handlungsspielräume aufgezeigt (Kap. 6.3, „Catch-22 – Konsequenzen für die Politik“). Da die Thematik bisweilen spezifische juristische Termini verlangt und durch die Analyse bestimmte Begrifflichkeiten eingeführt oder präzisiert wurden, befindet sich im Anhang ein Glossar, in dem die wichtigsten Begriffe erläutert werden (mit dem Stand der Rechtslage von Dezember 2012). Außerdem ist im Anhang der Ablauf von Abschiebungen, wie er üblicherweise in der Praxis vorkommt, dargestellt und graphisch aufbereitet. Im Zuge meiner Arbeiten entstanden zwei publizierte wissenschaftliche Artikel. Verschiedene Teile dieses Textes basieren auf einem dieser von mir verfassten Artikel (Kukovetz 2013). Der andere befasst sich mit der Analyse unterschiedlicher Argumente zur Rechtfertigung oder Ablehnung von Abschiebungen. Es wird der Frage nachgegangen, inwiefern Abschiebungen nationalstaatlich gerechtfertigt werden bzw. was ein Widerstand gegen Abschiebungen die Infragestellung eben dieses Nationalstaats bedeutet. Auf diese Diskursebene wird in der vorliegenden Publikation jedoch nicht eingegangen (Kukovetz 2014).
2. Wissensbestände
Um die Interaktionen und Handlungen der unterschiedlichen zentral oder am Rande in Abschiebungen involvierten Akteur_innen verstehen und nachvollziehen zu können, werden hier Rahmeninformationen zur Verfügung gestellt. Zum einen wird der aktuelle Forschungsstand zum Thema Abschiebungen skizziert, wodurch gleichzeitig wichtige Charakteristika der Abschiebepraxis vorgestellt werden (Kap. 2.1). Zum anderen gibt Kapitel 2.2, „Zwangsweise Außerlandesbringungen – ein Überblick in Zahlen“, einen Überblick über das Ausmaß jener Personen, die (in Österreich) abgeschoben werden beziehungsweise von Abschiebungen bedroht sind, also unautorisiert in Österreich leben.
2.1 H ISTORISCHE P ERSPEKTIVEN UND AKTUELLER F ORSCHUNGSSTAND ZU ABSCHIEBUNGEN Die relevante Literatur zum Thema fließt überwiegend an jenen Stellen ein, wo sie thematisch passend ist, und wird im Vorfeld nicht ausführlich diskutiert. Als Einführung in das Thema und zur ersten Orientierung möchte ich jedoch an dieser Stelle einen kurzen Überblick zu bestehenden Erkenntnissen im Kontext meiner Forschungsfragen geben. In einem ersten Schritt stelle ich die Geschichte der gegenwärtig in westlichen industrialisierten Staaten praktizierten Abschiebungen vor (Kap. 2.1.1, „Kurze Geschichte des Phänomens ‚Abschiebung‘“). Daran schließt die Skizzierung des heutigen europäischen Abschieberegimes (Kap. 2.1.2, „Das Abschieberegime“) sowie der Funktionen, welche Abschiebungen und diesbezügliche Diskurse für die Gesellschaft ausüben (Kap. 2.1.3, „Die staatliche Perspektive und die Funktionen von Abschiebungen“), an. Danach werfe ich einen Blick auf die bestehende Literatur zu Handlungspraktiken: von irregulären Migrant_innen sowie von Unterstützer_innen und NGOs, die sich dem Widerstand gegen Abschiebungen verschrieben haben (Kap. 2.1.4,
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„Praktiken unautorisierter Migrant_innen und ihrer Unterstützer_innen sowie von Nichtregierungsorganisationen“). Dieser Überblick soll deutlich machen, welche Fragen noch unbearbeitet sind und welche in dieser Arbeit berücksichtigt werden. 2.1.1 Kurze Geschichte des Phänomens „Abschiebung“ Die aktuelle Praxis von Abschiebungen ist eine Sonderform von Ausweisungen und Vertreibungen. Als solche müssen Abschiebungen auch historisch betrachtet, sowie ihre Spezifität und Ähnlichkeiten zu anderen Formen der Vertreibungen beleuchtet werden. Schon alleine die Bezeichnung wirft Fragen auf. Der englische Begriff für Abschiebung ist deportation. Im deutschsprachigen Raum hat dieser Begriff eine ganz spezielle Konnotation, nämlich jene der Deportation von Juden und Jüdinnen, Romn_ija und Sinti sowie slawischer Bevölkerungsgruppen und politischer Gegner_innen des nationalsozialistischen Regimes in Konzentrationslager während des Zweiten Weltkriegs.1 Widerstandsbewegungen gegen Abschiebungen verwenden deswegen gelegentlich den Begriff Deportation für Abschiebungen von Nicht-Staatsangehörigen.2 Für eine strukturierte Analyse ist es jedoch sinnvoll, die unterschiedlichen Formen von Vertreibungen zu differenzieren.3 Vertreibungen aus einer politischen Gemeinschaft und von einem bestimmten Territorium fanden unter dem Titel der Verbannung (engl.: exile, lat.: deportatio) schon in der Antike statt. Wie auch bei Abschiebungen waren dabei Individuen betroffen, und die Funkti-
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Matthew Gibney und Randall Hansen (2003: 7) verweisen darauf, dass in Deutschland wegen der Assoziation mit der Deportation von Juden und Jüdinnen während des Holocausts kein_e Entscheidungsträger_in den Begriff „Deportation“ verwenden würde. Gleiches gilt wohl auch für Österreich.
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Vgl. z.B. „Anti-Deportation Kampagnen“ (http://no-racism.net/links/185) vom Projekt no-racism.net oder deportation.class, welche die aktive Beteiligung von Fluggesellschaften und anderer Transportunternehmen an Abschiebungen thematisiert (http://noracism.net/rubrik/86).
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Ich folge hierbei der Darstellung von William Walters (2010). Er versteht seine Einteilung als Versuch, gewisse Kontinuitäten und Spezifika in der Entwicklung des heutigen Phänomens Abschiebung herauszuarbeiten. Die unterschiedlichen Formen von Vertreibungen, Ausweisungen und Abschiebungen sind in einer eher historischen Chronologie auch bei Sylvia Hahn, Andrea Komlosy und Ilse Reiter (2006) wiederzufinden.
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on der Verbannung sollte entweder eine Bestrafung sein oder die Sicherheit der Gemeinschaft gewährleisten (Walters 2010 [2002]: 73). Eine Kontinuität bis in die heutige Zeit lässt sich durch die Argumentation hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Sicherheit der politischen Gemeinschaft feststellen. Ein wesentlicher Unterschied zur aktuellen Situation besteht jedoch darin, dass von der Verbannung Menschen mit Staatszugehörigkeit betroffen waren, welche in ein entferntes Gebiet, oftmals auf eine Insel, verbannt wurden (ebd.: 73). Eine weitere Form der Vertreibung oder Ausweisung (engl.: expulsion) war die Vertreibung der Armen, die sich in der frühen Neuzeit etablierte. So sollten etwa im 17. und auch noch im 18. Jahrhundert in England reiche Gemeinden und Städte davor bewahrt werden, zu viele arme Menschen aufnehmen zu müssen, und durften diese deshalb ausweisen, sofern es sich nicht um die Heimatgemeinde der Betroffenen handelte (ebd.: 75). Dieses so genannte Heimatprinzip galt auch in anderen europäischen Regionen (Hahn/Komlosy/Reiter 2006: 8f.; Schwerhoff 2006). Im Gegensatz zu den Vertreibungen in der Antike wurden hier also „Fremde“ ausgeschlossen, wobei das Fremdsein noch nicht nationalstaatlich definiert war, wie es heute bei Abschiebungen der Fall ist. Im Gegensatz zu diesen Formen von Vertreibungen von Individuen gab (und gibt) es Vertreibungen auf Basis von Gruppenmitgliedschaft. Zumeist ist dies die Verfolgung und Ausweisung religiöser und/oder ethnischer Minderheiten, wie Juden und Jüdinnen, oder je nach Region Ketzer_innen, Protestant_innen, Hugenotten oder Altgläubige (Hahn/Komlosy/Reiter 2006: 9). Benjamin Kedar (1996, zitiert in Walters 2010: 76) beschreibt diese Vertreibungen als ein politisches Instrument, um religiösen Glauben und religiöse Praktiken der Bevölkerung zu regulieren, welches zwischen den Polen der Konvertierung und des Massakers angesiedelt sei. Diese „corporate expulsion“ (Walters 2010: 76) auf Grundlage von Gruppenzugehörigkeit ging laut Benjamin Kedar wegen seiner Häufigkeit und Konzentration im westlichen Europa mit der Entstehung des modernen Staatensystems einher (Kedar 1996: 175, zitiert in Walters 2010: 76). Eine weitere Form der Vertreibung ist die Außerlandesbringung von Strafgefangenen oder politischen Häftlingen, oft anstelle der Todesstrafe. Diese Vertreibungen etablierten sich im 18. Jahrhundert und gingen mit der Kriminalisierung von Umherziehenden und armen Personen einher (Hahn/Komlosy/Reiter 2010: 10). Walters (2010: 76f.) bezeichnet diese Form von Vertreibung als „transportation“. Häufig wurde damit auch die Kolonialisierung vorangetrieben, indem als Zielländer Kolonien ausgewählt wurden. Länder, die keine oder wenige Kolonien besaßen, wie Deutschland, gingen internationale Kooperationen ein, um ihre Strafgefangenen außer Landes bringen zu können. Dies stellt eine Vorgehensweise dar, welche mit der heutigen Praktik des „sicheren Drittlandes“ as-
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soziiert werden kann (ebd.: 78). Im Unterschied zu heutigen Dublin-Überstellungen waren von solchen Außerlandesbringungen jedoch nicht unbedingt Staatsfremde betroffen. Schon diese Vertreibungen können als ein Massenphänomen bezeichnet werden. Noch deutlicher sind die Vertreibungen mit dem Ziel der Herstellung ethnischer, rassischer oder nationaler Homogenität als Massenvertreibungen bzw. Zwangsumsiedlungen einzuordnen. Einen solchen Zweck verfolgen unterschiedliche staatliche Maßnahmen, wie neue Grenzziehungen, Volksabstimmungen oder in der furchtbarsten Form: Genozide (ebd.: 79). Vertreibungen im Sinne von „population transfer“ (ebd.: 78ff.) fanden in großem Ausmaß zum Beispiel im Austausch von Minderheiten zwischen Griechenland und der Türkei oder durch die so genannte Repatriierung von als ethnisch deutsch angesehenen Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Vertreibungen trugen aber auch zu „ethnischen Säuberungen“ in Kombination mit Völkermord bei, wie beispielsweise im Holocaust (ebd.: 79). Aus einer historischen Perspektive kann also mit Walters (2010: 80ff.) erstens festgehalten werden, dass Vertreibungen über viele Jahrhunderte hindurch innerhalb der Imperien oder Staaten aus Städten, Gemeinden oder Ländereien erfolgten. Staatliche Grenzen überschreitende Abschiebungen sind daher ein Produkt des territorialen Staatensystems und ein Mittel des Bevölkerungsmanagements. Damit einher gehen auch die Bemühungen, die Verpflichtungen der Staaten, „ihre“ Staatsangehörigen wieder aufzunehmen, als generelles Prinzip zu etablieren. Neben dem „Zurückschieben“ staatsfremder Personen in ein Herkunftsland bestand auch die Möglichkeit der Ausbürgerung, wodurch die betreffenden Personen tatsächlich zu Staatenlosen gemacht wurden (ebd.: 81; Hahn/Komlosy/Reiter 2006). Vertreibungen im 20. Jahrhundert gehen mit Hannah Arendt (Arendth 1951/1966: 297, zitiert in Walters 2010: 81) durch die Zentralität des politischen Status für die individuelle Identität mit der Etablierung von Lagern einher, die das nicht vorhandene Heimatland ersetzen. Auch in Österreich wird es als „natürlich“ angesehen, dass „Fremde“ bzw. „Ausländer_innen“ abgeschoben werden. Die Geschichte zeigt zweitens, dass dies erst eine relativ neue Entwicklung ist, da früher auch Bürger_innen unter bestimmten Bedingungen (z.B. auf Grund von Armut oder wegen eines Verbrechens oder einer politischen Positionierung) vertrieben wurden. Die Vertreibung autochthoner Bevölkerungsgruppen oder schon lange niedergelassener Minderheitsgruppen, also die so genannte ethnischen Vertreibung, wurde erst kürzlich delegitimiert (Walters 2010: 82). Schließlich lässt sich drittens durch den historischen Blick die Frage nach der Legitimität von Abschiebungen stellen. Abschiebungen sind die derzeit lega-
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lisierte Form von Vertreibung. Sie beruhen auf administrativen Vorgängen sowie nationalen und internationalen Gesetzen. In der Rückschau auf andere Formen der Vertreibung, in deren Kontinuität Abschiebungen stehen, könnte auch die Legitimität der Abschiebungspraxis angezweifelt werden. Viele vorhergehende Vertreibungspraktiken wurden – obwohl ehemals legal – im Nachhinein als illegitim und schließlich auch als illegal angesehen. So sind auch heute Abschiebungen mit dem Vorwurf potenzieller Illegitimität konfrontiert (vgl. Kukovetz 2014; Walters 2010: 82). 2.1.2 Das Abschieberegime Abschiebungen haben also, wie der historische Abriss zeigt, vielfältige historische Wurzeln und Kontinuitäten. In den letzten zwei Jahrzehnten haben liberale demokratische Staaten mit dem Ziel der Regulierung von Einwanderung verstärkt Abschiebungen durchgeführt. Sie haben richtiggehende Abschieberegime etabliert. Diese sind ein Teil der europäischen Migrationspolitik, im Zuge derer laut Eva Bahl und Marina Ginal (Bahl/Ginal 2012) die EU versucht, Migration regierbar zu machen. Dabei ist ein Paradigmenwechsel von einer nationalstaatlichen Migrationskontrolle der 1980er-Jahre hin zu einer stärker europäisierten Migrationsverwaltung festzustellen, bei deren Implementierung von Migrationsmanagement gesprochen wird und bei der verstärkt zwischenstaatliche Institutionen wie die International Organization for Migration (IOM) oder das International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) einbezogen werden (ebd.: 208ff.). Die Migrationsverwaltung betrifft Prozesse der Wissensproduktion, der Organisation der angeordneten Rückkehr etc. Nach Serhat Karakyali und Vassilis Tsianos (2007: 14) wird eine solche Gesamtheit gesellschaftlicher Praktiken und Strukturen (also Diskurse, Subjekte und staatliche Praktiken) unter dem Begriff Regime zusammengefasst. Insofern wird auch von einem Migrations- und Grenzregime gesprochen (vgl. u.a. Hess/Kaparek 2010). Mittlerweile werden Prozesse rund um Abschiebungen als Abschieberegime bezeichnet, am prominentesten im Buchtitel der Publikation von Nicholas de Genova und Nathalie Peutz: „The Deportation Regime“. Darin beschreiben de Genova und Peutz Abschiebung als eine normalisierte und standardisierte Technik staatlicher Macht und daher „as an effectively global regime“ (de Genova/Peutz 2010: 6).4 4
Vgl. auch Matthew Gibneys (2008) Artikel zur Ausbreitung von Deportationen in Großbritannien. Vgl. den Hinweis von Paolo Cuttitta, dass das Tempo und die Stärke der Prozesse von Kategorisierung, Diskriminierung und Stigmatisierung bestimmter Menschen, die mit territorialer Abschottung und der Erweiterung und Externalisierung
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Das europäische Abschiebe- und Grenzregime steht mit dem so genannten Schengen-Raum in Zusammenhang. Die Entstehung des Schengen-Raumes reicht bis in die 1970er-Jahre zurück. 1976 gründeten zwölf Innen- und Justizminister ohne Wissen ihrer Parlamente und unter Umgehung der Budgetdebatten die TREVI-Gruppe (Terrorism, Radicalism, Extremism & Violence International, die 1986 in die Ad-hoc-Gruppe Migration mündete (Leuthardt 2006: 254). Die Minister der fünf EG-Gründungsstaaten (Benelux-Länder, Frankreich und Deutschland) zielten durch die Bildung der Gruppe Schengen von 1985 bis 1990 auf den „Kampf gegen Terrorismus und Radikalismus“, die Förderung des freien Personenverkehrs innerhalb der Schengen-Grenzen und „Ausgleichsmaßnahmen zur Verbrecherbekämpfung“ ab (ebd.: 254f.) – alles Maßnahmen, die eine Abgrenzung nach außen hin verstärkten. Erst 1990 wurden diese in der Wiener Konferenz, der Berliner Konferenz und der Budapester Konferenz öffentlich gemacht (ebd.: 255). In der Folge kam es zu verstärkter territorialer Abschottung der europäischen Außengrenzen durch Grenzkontrollen sowie den Beschuss von Migrant_innen durch Grenzschützer_innen, die Biometrisierung der Ausweise sowie die Repatriierungen und Rückführungen (Cuttitta 2010). Die Entwicklung des europäischen Grenzregimes beschreibt Paolo Cuttitta (ebd.: 26f.) als einen Prozess der Delokalisierung und Externalisierung. Delokalisierung bedeutet die Verschiebung des Grenzschutzes auf das Gebiet anderer Staaten oder in internationale Gewässer. Externalisiert wird der Grenzschutz, wenn andere Staaten die „Steuerung“ von Wanderungsbewegungen übernehmen (wie beispielsweise Libyen, das vor dem Bürgerkrieg seit 2003 auf Druck der EU pro Jahr durchschnittlich 50.000 Menschen abgeschoben hat), oder wenn privaten Akteur_innen die Verantwortung für die Migrationskontrolle übergeben wird (Beförderungsunternehmer_innen, Überwachungsfirmen, NGOs). Die europäischen Politiken der Rückführungen in die Herkunftsländer werden von der EU wie auch von Österreich „freiwillige“ Ausreisen genannt. Diese Ausreisen finden jedoch nur nach einer Ausreiseaufforderung und Androhung einer Abschiebung statt, sodass eher von „angeordneter Rückkehr“ (Dünnwald 2010) zu sprechen ist. Diese angeordnete Rückkehr wurde 2008 in der europäischen Rückführungsrichtlinie geregelt (Europäisches Parlament 2008). Bestandteil dieser Richtlinie sind überdies die zwangsweisen Rückführungen und die damit in Zusammenhang stehenden Inhaftierungen unautorisierter Mig-
von Grenzkontrollen einhergehen, in den letzten zwei Jahrzehnten weltweit zugenommen haben (Cuttitta 2010: 25). Paolo Cuttitta zufolge sind Abschiebungen ein weltweites Phänomen und kein „ausschließliches Merkmal der EU, der Industrieländer oder des reichen Westens“ (ebd.: 24).
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rant_innen, die länderübergreifenden Kooperationen bei gemeinsamen Charterabschiebungen und die Zusammenarbeit der Abschiebebehörden innerhalb der EU sowie mit den Einrichtungen der Behörden der Herkunftsländer. Die EU bemüht sich um die Etablierung eines gemeinsamen Grenz- und Abschieberegimes. Die Politik ist jedoch noch immer, im Vergleich zu anderen Politikbereichen, stark nationalstaatlich geprägt. Dies hängt damit zusammen, dass das Europäische Parlament nur sehr eingeschränkten Einfluss auf Entscheidungen im Migrations- und Asylbereich hat (vgl. Parkes/Steffen 2009: 4). Erst 2005 wurde das Prinzip der gemeinsamen Entscheidungen („co-decision“) zwischen Europäischem Rat und Europäischem Parlament in fast allen Bereichen der Migration und des Grenzschutzes ausgedehnt (Ripoll Servent 2013: 49). Doch auch die Rückführungsrichtlinie schloss stark an die nationalen Praktiken an (Dünnwald 2010: 180). Erst seit der Etablierung der Abschieberegime in der politischen Praxis, dem so genannten „Deportation Turn“, beschäftigt sich auch die Wissenschaft ausführlicher mit dem Thema (Anderson/Gibney/Paoletti 2011, 547). Bis vor kurzem fand dieser Themenbereich in der Forschung – und insbesondere in der sozialwissenschaftlichen Forschung – nur wenig Beachtung.5 Die bisherigen sozi-
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Rechtswissenschaftliche Literatur zum Thema Abschiebungen gibt es hingegen um einiges mehr. Denn – wie auch die historische Darstellung zeigt – rechtliche Fragen spielen eine große Rolle, in den USA ebenso wie in Europa. Zu einem Großteil beziehen sich die rechtswissenschaftlichen Publikationen auf die Darstellung der Asylgesetzgebung – sowohl auf nationalstaatlicher als auch auf europäischer Ebene. Hier beschäftigen sich die Autor_innen mit den Menschenrechten (z.B. Bostedt 2009) und spezifisch der Europäischen Menschenrechtskonvention (Geistlinger/Pöckl/Skuhra 1991) oder mit Maßnahmen des extraterritorialen Grenzmanagements (Heschl 2016), der europäischen Rückführungsrichtlinie (z.B. Augustin 2016), der Geschichte des Ausweisungsrechts (Reiter 2000) und der Geschichte von Denationalisation und Staatsangehörigkeitsentzug (Reiter-Zatloukal 2011), der asylrechtlichen Ausweisung (Pfleger 2009) sowie dem Prinzip des Non-Refoulement (Thurin 2009). Auch spezifisch zur österreichischen Rechtslage beschäftigten sich einige Autor_innen mit Themen der Aufenthaltsverbote, der Dublin-II-Verordnung, der Aufenthaltsbeendigungen etc. (vgl. z.B. Reyhani/Steinwendtner/Valenta 2012; Winter/Newald, 2010, Filzwieser 2008, Heißl 2008; Premissl 2008, Muzak 2010, 2007; Stern 2007). Es liegen auch einige Diplomarbeiten zum Thema vor (Meyer 2016; Baumgartl 2014; Immervoll 2013; Leichtfried 2011; Osmanbasic 2010; Zipper 2009). Die Schwierigkeit bei diesen rechtswissenschaftlichen Arbeiten liegt darin, dass sich die Basis – das Fremden- und Asylrecht – in Österreich sowie in einigen anderen eu-
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al- und politikwissenschaftlichen Schwerpunkte lagen auf der wachsenden Infrastruktur, die Abschiebungen ermöglicht, den Techniken sozialer Kontrolle, die darauf abzielen, Migrant_innen zu „disziplinieren“, den Auswirkungen der staatlichen Praktiken auf die Menschenrechte ausgewiesener Personen6 sowie in jüngster Zeit auch auf den Konsequenzen von Abschiebung für die Konzeptualisierung von Staatsbürgerschaft (Anderson/Gibney/Paoletti 2011, 547f.). Internationale Vergleichsstudien gibt es sehr wenige. Eine der umfassendsten internationalen Forschungen zur Einwanderungskontrolle ist jene von Tom K. Wong (2015), in welcher er unter anderem den Zusammenhang zwischen Abschiebepolitik und der Repräsentanz politischer Parteien analysiert. 2.1.3 Die staatliche Perspektive und die Funktionen von Abschiebungen In Hinblick auf die Frage staatlicher Governance7 im Abschiebungsbereich, also wie Staaten ihre nationalen Grenzen und Bürgerschaften regulieren, sind zwei
ropäischen Ländern im Vergleich zu anderen Gesetzen auf Grund verschiedenster Neuerungen sehr schnell ändert (vgl. u.a. Leuthardt 2006: 245). Das Wissen um die gesetzliche Basis stellt eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis gewisser sozialer Praktiken und Abläufe im Abschiebesystem dar. Sie wird daher an passender Stelle im Text erläutert bzw. ist im Glossar in Kurzfassung nachzulesen. Diese Arbeit geht von der gesetzlichen Situation bis 2013 aus und berücksichtigt nicht mehr das BFA-Einrichtungsgesetz 2014. 6
Menschenrechtliche Aspekte sind zum Teil auch in rechtswissenschaftlichen Publikationen unter verschiedenen Blickwinkeln und Fragestellungen (Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Schutz der Menschenrechte) erläutert worden. Auch international gibt es einige Werke, die Abschiebungen in Hinblick auf ihre menschenrechtliche Komponente analysieren, wie es beispielsweise Nicholas de Genova (2010) in Bezug auf das Recht auf Bewegungsfreiheit und Galina Cornelisse in Bezug auf das Prinzip der Territorialität und universellen Rechte macht (Cornelisse 2010). Eine ausführlichere Diskussion dieser Themen wäre wünschenswert. Sie kann aber in diesem Rahmen ebenso wenig geleistet werden wie die menschenrechtliche Diskussion der sozialen Praxis von Abschiebungen. Hier sind weitere Studien notwendig, die an meine Untersuchung zu den Begründungsmustern von Abschiebungen (vgl. Kukovetz 2014) anschließen.
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Der Begriff Governance stammt aus dem Französischen und fand erstmals in den 1980er-Jahren in der Organisationstheorie und der Politikwissenschaft Verwendung. Er wurde von internationalen Organisationen, Regierungen und NGOs übernommen
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Faktoren zur Regulierung der Grenzen besonders relevant. Einer davon ist die Ermessensfreiheit der Administration, wie Anna Pratt (2005) in ihrer Analyse der Abschiebungspraxis in Kanada herausarbeitet hat. Die Ermessensfreiheit bedeutet nach Pratt (2005: 53ff.) nicht die Abwesenheit von Governance, sondern im Gegenteil eine mächtige Form der Governance. Die Ermessensfreiheit werde von der Administration verwendet, um die staatlichen Leistungen selektiv zu verteilen. Anhand moralisierender Kategorien werde zwischen jenen unterschieden, die die Leistungen des Staates, in diesem Fall das Aufenthaltsrecht, verdient haben, und jenen, die sie nicht verdienen. Für Österreich haben jüngst Judith Welz und Jakob Winkler (2014) die Nutzung der Ermessensspielräume durch das Bundesasylamt und den Asylgerichtshof analysiert. Aus ihrer empirischen Erhebung haben sie gefolgert, dass in der Abwägung zwischen dem „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ und dem „öffentlichen Interesse“ in Entscheidungen zu asylrechtlichen Ausweisungen der Ermessensspielraum tendenziell zugunsten nationalstaatlicher Interessen ausgelegt wird. Anna Pratt stellt die Ermessensfreiheit in Zusammenhang mit den staatlichen Strategien des Risikomanagements. Der kanadische öffentliche Diskurs über Flüchtlinge sei in den 1950er-Jahren moralisierend, ideologisch und diskriminierend gewesen, wohingegen der heutige Diskurs Kriminalität und Sicherheit mittels einer Sprache über „Risiken“ und Bedrohungen für die Nation und die Öffentlichkeit miteinander verknüpfe (Pratt 2005: 217f.). Dadurch änderten sich die behördlichen Prioritäten vom Flüchtlingsschutz hin zur Auffindung, Inhaftierung und Abschiebung von Flüchtlingen. Dementsprechend fokussieren die Behörden die Entwicklung von Technologien zur Grenzsicherung. Diese sollen helfen, die Risiken der Migration zu managen. Zentral dabei seien die Praktiken der Inhaftierung und Abschiebung, zwei der stärksten und körperlichsten Sanktionen. Diese Praktiken klassifizieren die unautorisierten Migrant_innen und sondieren
(Brand 2004). Governance steht im Unterschied zu Government für dezentrale, netzwerkartige Konstellationen mit Steuerungscharakter. Die UNO Commission on Global Governance definiert Governance 1995 folgendermaßen: „Ordnungspolitik bzw. Governance ist die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess, durch den kontroverse oder unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden und kooperatives Handeln initiiert werden kann. Der Begriff umfasst sowohl formelle Institutionen und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschaftssysteme als auch informelle Regelungen, die von Menschen und Institutionen vereinbart oder als im eigenen Interesse angesehen werden.“ (Stiftung Entwicklung und Frieden 1996, zitiert in Brand 2004: 112)
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die unerwünschten aus, wodurch die Grenze und die nationale Identität permanent reproduziert wird (ebd.). Neben dem Risikomanagement konnten weitere Funktionen und Ziele von Abschiebungen in der bisherigen wissenschaftlichen Literatur identifiziert werden. Abschiebungen, oder die Diskurse über Abschiebungen, erfüllen zumindest unter anderem den Zweck der (erweiterten) Grenz- bzw. Einwanderungskontrolle, bei welcher der Staat seine Souveränität ausübt (Schwarz 2010; Kanstroom 2007: 4ff.). Darüber hinaus unterscheidet Daniel Kanstroom (ebd.) in seiner Analyse der USA zwischen Gesetzen, die Abschiebungen regulieren, und solchen, die die Funktion einer sozialen Kontrolle nach der Einwanderung („postentry social control“) erfüllen, also straffällig gewordene Nicht-Staatsbüger_innen betreffen. Von Regierungen wird als Ziel der Abschiebungen unter anderem auch angeführt, die Kosten für die Betreuung von Asylwerber_innen zu reduzieren, wie Liza Schuster (2004: 17) für Europa herausarbeitet hat. Außerdem erfüllen Abschiebungen einen symbolischen Zweck. Denn die tatsächliche Effektivität von Abschiebungen, also die Möglichkeit, diese in annähernd demselben Ausmaß zu realisieren wie Ausweisungen oder Aufenthaltsverbote verhängt werden, ist inzwischen für mehrere Länder in Frage gestellt bzw. verneint worden. Matthew Gibney und Randall Hansen bezeichnen dies als „deportation gap“ (Gibney/Hansen 2003, für Österreich vgl. Rosenberger/Trauner 2014: 143, bzw. Kapitel 2.2, „Zwangsweise Außerlandesbringungen – ein Überblick in Zahlen“). Auf Grund dieser Ineffektivität wird die symbolische Ebene sichtbar gemacht. Sieglinde Rosenberger und Florian Trauner (2014: 144) bezeichnen Abschiebungen als Instrumente nationaler Souveränität, durch welche territorialer und sozialer Ein- und Ausschluss reguliert werden könne. Nach Tobias Schwarz hat der Diskurs über Abschiebungen und Ausweisungen vor allem die Funktion, „rechtlich Andere“ symbolisch auszuschließen (Schwarz 2010: 39). Ausweisungen hätten den Zweck, zukünftigen Beeinträchtigungen der staatlichen Interessen vorzubeugen: einerseits in der Funktion der Grenzsicherung und andererseits in einer Statusentwertung, wenn die Ausreise faktisch nicht möglich ist. Dies entspricht den zwei von Kanstroom für die USA genannten Funktionen der Einwanderungs- und der sozialen Kontrolle. Ebenso auf der symbolischen Ebene sind die Argumente von Gibney und Hansen zu verorten, denen zufolge Abschiebepolitik Migrant_innen abschreckt, nach Europa oder Nordamerika einzureisen, auf unautorisierte Migrant_innen Druck ausübt, „freiwillig“ auszureisen, und die öffentliche Meinung der Bevölkerung widerspiegelt, welche gegen offene Grenzen eintritt (Gibney/Hansen 2003: 15). Alice Bloch und Liza Schuster geben jedoch zu bedenken, dass die Effekte von Abschiebungen in Hinblick auf die öffentliche Meinung oder die
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Beeinflussung der Handlungen von Migrant_innen nicht messbar sind (Bloch/Schuster 2005: 497; Schuster 2004: 5). Neben den Abschiebungen selbst spielt auch die Festhaltung unautorisierter Migrant_innen (in Österreich als Schubhaft bezeichnet) mit dem offiziellen Ziel, eine Abschiebung sicherzustellen, eine Rolle im Ablauf von Abschiebungen. Arjen Leerkers und Dennis Broeders (2013) beschreiben für die Niederlande drei informelle Funktionen der Schubhaft: Sie soll (1) als Strafe wahrgenommen werden, auch wenn sie formal nicht als solche definiert ist, und unautorisierte Migrant_innen zur Kooperation bei der Ausreise bewegen bzw. andere Migrant_innen von unautorisiertem Aufenthalt abhalten, (2) unautorisierte Migrant_innen, die keine Sozialleistungen vom Staat erhalten, von der Straße fernhalten, sprich „Armut kontrollieren“ (ebd.: 98), und (3) – ähnlich wie Abschiebungen selbst – Ängste der Bevölkerung managen und symbolisch die staatliche Kontrolle darstellen. Mit dem „deportation gap“ sind schon die konkreten Praktiken von Regierungen und Administrationen in Bezug auf Abschiebungen angesprochen worden. Matthew Gibney (2008) hat für Großbritannien aufgezeigt, welche Schritte der Staat gesetzt hat, um diesen Unterschied zwischen der Anzahl jener Personen, die ausgewiesen sind, und jener, die tatsächlich abgeschoben werden, zu verringern. Dass sich der Staat dabei auf die Asylsuchenden bzw. die abgelehnten Asylwerber_innen konzentriert, erklärt Gibney damit, dass es zur Anzahl der Asylwerber_innen offizielle Statistiken gibt, während für unautorisierte Migrant_innen, die nicht um Asyl angesucht hatten, keine Daten vorhanden sind. Die Effektivität der staatlichen Maßnahmen kann also nur in Bezug auf die Asylwerber_innen gemessen und publik gemacht werden (ebd.: 167). Für den deutschsprachigen Raum vergleicht Antje Ellermann (2009) in ihrer politikwissenschaftlichen Studie „States Against Migrants“ Deportation in Deutschland und den USA ausgehend von einer Theorie, die die soziale Regulierung mittels Zwangsausübung durch die Staatsmacht zum Gegenstand hat. Sie analysiert die institutionellen und bürokratischen Einflüsse, die zum Tragen kommen, um Individuen innerhalb des Staatsgebietes zu kontrollieren. Nationale Regierungen und Administrationen agieren in einem internationalen Rahmen. Die spezifischen Handlungsoptionen hängen sowohl von menschenrechtlichen als auch supranationalen Abkommen ab. Peter Slominski und Florian Trauner (2014) zeigen, wie sich die Handlungsmacht der österreichischen staatlichen Akteur_innen durch die Europäisierung der Abschiebepolitik vergrößert hat. Aus einer Perspektive, die rassistische und fremdenfeindliche Komponenten in den Fokus rückt, stellt Liz Fekete (2005) fest, dass jene europäischen Länder,
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in welchen fremdenfeindliche rechte Parteien eine wichtige Rolle in der Regierung oder der Opposition spielen (z.B. Niederlande, Dänemark oder Schweiz), besonders aktiv Abschiebungen durchführen (ebd.: 70). Fekete bezeichnet die Flüchtlingspolitik in Anlehnung an den „war on terror“ als (undeklarierten) „war on refugees“ und sieht die Gefahr im europäischen Abschiebeprogramm, dass es eine Vielzahl an Grundrechten verletze. 2.1.4 Praktiken unautorisierter Migrant_innen und ihrer Unterstützer_innen sowie von Nichtregierungsorganisationen Die staatlichen Praktiken wurden bisher vorwiegend auf politikwissenschaftlicher und makrosoziologischer Ebene für verschiedene Länder und Regionen analysiert. Beispielswiese wurde von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration schon 1995 das System der Abschiebungen thematisiert (vgl. Dietrich 1995). Die Praktiken anderer in Abschiebungen involvierter Akteur_innen wurden – nicht nur, aber stärker – aus mikrosoziologischen Perspektiven betrachtet. Die meisten der soziologischen oder ethnographischen Arbeiten beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit den Praktiken und Strategien innerhalb einzelner Akteursgruppen (Fischer/Darley 2010: 5). So gibt es einige Studien zu irregulärer Migration (vgl. z.B. Triandafyllidou 2010 zu den europäischen Politiken und darin speziell zur österreichischen Situation Kraler/Hollomey 2010; siehe auch Kratzmann/Reyhani 2012 und ICHRP 2010) und Untersuchungen zur Lebenssituation unautorisierter Migrant_innen (vgl. z.B. FRA 2011; van Parys/ Verbruggen 2004). Shahram Khosravi (2010) hat beispielsweise die Grenzpolitik und Rituale der Grenzüberschreitung analysiert. Unter anderem bezieht er sich dabei auf de Genovas Konzept der „Abschiebbarkeit“ („deportability“, de Genova 2002), welches den Zustand des fortwährenden Risikos einer Abschiebung beschreibt. Khosravi (2010: 91) hat die Bedingungen und Verhaltensweisen, die mit diesem Zustand der „Abschiebbarkeit“ einhergehen, untersucht. Einen eher interaktionistischen Ansatz verfolgen die Artikel des Dossiers „Champ pénal“ von Nicolas Fischer und Mathilde Darley (2010). Zu Interaktionen spezifisch zwischen irregulären Migrant_innen und Polizei oder Behörden besteht insgesamt wenig Know-how. Bezüglich der Praktiken von NGOs bzw. NPOs und privaten Unterstützer_innen gibt es noch nicht viele umfassende Arbeiten. Am häufigsten wurden deren Praktiken unter dem Aspekt des zivilen Widerstands gegen Abschiebungen analysiert (vgl. z.B. für Deutschland Hofmann [1998], Just [1993] und Schnitger [1992] zum Thema Kirchenasyl). Für Frankreich beschreibt Jane Freedman (2009) kollektive Aktionen von abgelehn-
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ten Asylsuchenden, wie Hungerstreiks, öffentlicher Protest oder Kampagnen. Auch in Österreich gibt es inzwischen erste Publikationen zu Protesten gegen Abschiebungen. So beschreiben Sieglinde Rosenberger und Jakob Winkler (2014), dass Bürger_innen, die sich gegen die Abschiebung von Asylsuchenden auflehnen, zumeist selbst abschiebungsgefährdete Personen kennen und in sozialen Beziehungen zu diesen stehen. Verschiedenste Emotionen spielen dabei eine Rolle; vorwiegend handeln sie aus Emotionen der Freundschaft und Solidarität sowie motiviert durch Wut über eine politische Entscheidung oder Menschenrechtsverletzungen. Als Argumente gegen Abschiebungen führen sie primär die gute Integration der betreffenden Menschen an. Des Weiteren gibt es für Österreich einige Artikel, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen (z.B. der Beitrag der Organisation FC Sans Papiers [2010], „Wir sind friedlich, was seid ihr?“, welcher über die Zusammenhänge von Antirassismus und zivilem Ungehorsam am Beispiel der Blockade einer Abschiebung in Wien reflektiert). Die vorliegende Arbeit berücksichtigt die Ergebnisse zu den einzelnen Gruppen von Akteur_innen, stellt aber im Gegensatz dazu die Interaktion zwischen den im Abschieberegime Agierenden in den Mittelpunkt und analysiert speziell die österreichische Situation (s. Kap. 1.2, „Forschungsinteresse“). Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Forschung im Bereich Abschiebepolitiken bisher auf institutionelle, bürokratische und politische Analysen einerseits sowie auf rechtliche und insbesondere menschenrechtliche Fragen andererseits konzentriert hat. Auch wurde die Rolle der EU für das europäische und einzelstaatliche Migrationsmanagement, zu welchem auch Abschiebungen zählen, untersucht. Mikrosoziologische Analysen gibt es, zumindest für den deutschsprachigen Raum, erst in Ansätzen. Resümierend kann festgehalten werden, dass die Bedeutung des Themas Abschiebung in den englischsprachigen Sozialwissenschaften in den letzten Jahren zugenommen hat, im deutschsprachigen Raum bisher jedoch noch wenig beleuchtet wird (vgl. Rosenberger/Trauner 2014: 146f.). Nach der Skizzierung der Wissensbestände aus der Sozialwissenschaft zum Thema Abschiebungen, sowohl in historischer als auch aktueller Hinsicht, folgt nun ein Überblick über die statistisch ermittelbaren Daten. Der folgende Abschnitt liefert die derzeitig verfügbaren Zahlen zu Ausreiseaufforderungen und Abschiebungen – zuerst im Vergleich zwischen den Ländern der EU und danach speziell für Österreich.
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2.2 Z WANGSWEISE AUSSERLANDESBRINGUNGEN – EIN Ü BERBLICK IN Z AHLEN Um die Bedeutung des Themas Abschiebungen im europäischen Zusammenhang zu erfassen, wäre es interessant zu wissen, wie viele Personen Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern abschiebt. Leider konnten dazu jedoch keine detaillierten Daten ausfindig gemacht werden. Das statistische Amt der EU (EUROSTAT) gibt Auskunft darüber, wie viele Drittstaatenangehörige zur Ausreise aufgefordert wurden und wie viele Personen nach einer Ausweisung auch tatsächlich entweder in ihren Herkunftsstaat oder in einen Drittstaat ausgereist sind. Erst seit 2014 stehen in EUROSTAT auch Statistiken zur Verfügung, ob die Ausreise als „freiwillige Rückkehr“ oder als „erzwungene Rückkehr“ einzuordnen ist, ob die Ausreise mit einer staatlichen Unterstützung erfolgte und wie viele Personen in einen Drittstaat ausgereist sind. Diese Daten sind zwar für manche EU-Länder verfügbar, nicht jedoch für Österreich. Während die qualitative Erhebung dieser Studie 2011-2012 durchgeführt wurde, sind in diesem statistischen Kapitel auch noch jene bis zum Zeitpunkt der Publikation verfügbaren Zahlen integriert. Für Österreich bewegt sich die Anzahl der Ausreiseaufforderungen zwischen 2008 und 2015 zwischen 8.000 und 11.000, wie Tabelle 3 zeigt. Tabelle 3: Anzahl der Ausreiseaufforderungen zwischen 2008 und 2015 in Österreich Österreich
2008 8.870
2009 10.625
2010 11.050
2011 8.520
2012 8.160
2013 10.085
2014 *
2015 9.910
Quellen: EUROSTAT 2015b; *) Zahlen für 2014 nicht verfügbar
Abbildung 2 auf der folgenden Seite zeigt die Ausreiseaufforderungen 2015 im Vergleich der EU Länder. Österreich liegt demnach sowohl bei der Anzahl der Ausreiseaufforderungen als auch bei der Anzahl der nach einer Ausreiseaufforderung offiziell ausgereisten Personen im unteren Mittelfeld. Deutliche Ausreißer nach oben hin bei den Ausreiseaufforderungen sind Griechenland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland8, gefolgt von Spanien, Belgien, Italien, den Niederlanden und Bulgarien (jeweils über 20.000).
8
Die Zahl der in Deutschland zur Ausreise Aufforderten war vor 2015 deutlich geringer. 2012 lag sie bei 20.000 und 2013 bei 25.380.
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Abbildung 2: EU-weiter Vergleich zwischen 2015 zur Ausreise aufgeforderten und nach Ausweisung in ihren Herkunftsstaat oder einen Drittstaat ausgereisten Drittstaatsangehörigen
Quellen: EUROSTAT 2016b und 2016c; Angaben in Prozent nach eigener Berechnung
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Österreich sprach 2015 mit 9.910 Ausreiseaufforderungen weniger aus als Schweden (18.150), Polen (13.635) und Ungarn (11.750), jedoch mehr als 15 andere EU-Länder (jeweils unter 6.000). Die Personen, die 2015 bestätigter Weise nach einer Ausweisung aus Österreich ausgereist sind, machen 53 % (eigene Berechnung nach EUROSTAT 2015a und 2015b) aus. 2012, zum Zeitpunkt der qualitativen Untersuchung dieser Studie, lag dieser Prozentsatz bei 58 %. Mit beiden Prozentzahlen lag Österreich wiederum im europäischen Mittelfeld. Wie sieht nun die spezifische Situation hinsichtlich Abschiebungen in Österreich aus? Mit der Einführung der Ausweisung 1990 wurde in Österreich die Rechtsbasis für die massenhafte zwangsweise Außerlandesbringung von Migrant_innen geschaffen (Winkler 2011: 71). Das hat dazu geführt, dass in den 1990er-Jahren jährlich 10.000 bis 20.000 Personen außer Landes gebracht worden sind (ebd.: 70f.). Darunter fallen sowohl Abschiebungen als auch Zurückschiebungen. Die Zahlen der zwangsweise außer Landes Gebrachten sinken jedoch mit Beginn des 21. Jahrhundert stark, wie die nachfolgenden Erläuterungen zeigen werden. Der validen quantitativen Beschreibung der zwangsweisen Außerlandesbringungen in Österreich sind einige Grenzen gesetzt. Die meisten hierfür zur Verfügung stehenden Statistiken werden vom Bundesministerium für Inneres erstellt und sind sehr allgemein gehalten. So können beispielsweise Abschiebungszahlen kaum näher beschrieben werden: weder in Hinblick auf den zu Grunde liegenden aufenthaltsbeendenden Bescheid (also wie häufig Personen aus bestimmten Gründen – Ausweisung nach Asylgesetz, Ausweisung nach Fremdenpolizeigesetz, Aufenthaltsverbot oder Rückkehrentscheidung – abgeschoben wurden), noch in Hinblick auf die Sozialstruktur der abgeschobenen Personen oder die Verteilung der Abschiebungen auf die verschiedenen Bundesländer. Auf eine E-Mail-Anfrage beim Bundesministerium im Jahr 2012 bezüglich statistischer Daten wurde mir keine schriftliche Auskunft erteilt und darauf verwiesen, dass die Daten teilweise dem Datenschutz unterlägen und die angefragten Statistiken teils nicht geführt würden. Ich wurde auf die öffentlich zugänglichen Statistiken zum Fremdenwesen auf der Webseite des Bundesministeriums für Inneres verwiesen (Resinger 2012). Mittlerweise stehen etwas mehr Daten zur Verfügung, etwa zu den Abschiebe-Zielländern und zur Anzahl der Charterrückführungen (vgl. BMI 2015c und 2014b). Ein anderes Problem besteht hinsichtlich der Validität der verfügbaren Daten. Denn die Zahlen verschiedener behördlicher Dokumente stimmen teilweise nicht überein. So weist beispielsweise im Jahr 2004 die Asyl- und Fremdenstatistik 5.274 Abschiebungen aus (BMI 2004), die Zukunftsstrategie des Innenmi-
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nisteriums aus dem Jahr 2012 gibt für 2004 jedoch 5.811 Abschiebungen an (BMI 2012d). Die Gründe für die Unterschiede bleiben unklar. Es könnte an einer gewissen Intransparenz oder Ungenauigkeit bei der Darstellung der Zahlen liegen. Oder die Daten sind in manchen Statistiken nicht ganz aktuell, da es auch hier „aus organisatorischen, verwaltungstechnischen oder auch rechtlichen Gründen zu Verzögerungen bei der Speicherung kommen“ könnte, wie das BMI in seinen Hinweisen zur Fremden-, Niederlassungs- und Aufenthaltsstatistik festhält (BMI 2015b). Die verfügbaren Daten erlauben jedoch folgenden Überblick über die Entwicklung der Zahlen hinsichtlich zwangsweiser Außerlandesbringungen aus Österreich (vgl. Abbildung 3). Abbildung 3: Abschiebungen und Zurückschiebungen 2002-2015
Quellen: eigene Zusammenstellung, für 2002-2005 nach: BMI 2002-2005; für 2006 nach: BMI 2006a, für 2007 nach: BMI 2007a; für 2008 nach: BMI 2008; für 2009 nach: BMI 2009a; für 2010 nach: BMI 2010a; für 1. HJ 2011 nach: Winkler 2011: 70 (718 Zurückschiebungen; 1.017 Abschiebungen) für 2. HJ 2011 nach: BMI 2011c: 1 (710 Zurückschiebungen, 951 Abschiebungen)9; für 2012 nach: BMI 2012b; für 2013 nach: BMI 2013b; für 2014 nach: BMI 2014a und 2014b; für 2015 nach: BMI 2015c
9
Diese Zahl weicht geringfügig von der in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung für 2011 angegebenen Zahl von 2.020 Abschiebungen ab (AB 185: 10).
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Ein Einbruch der Zahlen ist für Abschiebungen im Jahr 2004 festzustellen, als diese von vormals 8.037 im Jahr 2003 auf 5.274 sinken. Dieser Rückgang steht mit der Implementierung des Dublin-II-Abkommens in Verbindung, infolgedessen jene Dublin-Staaten für die Asylverfahren zuständig sind, in denen die Flüchtlinge nachweislich die Grenze des Schengen-Raumes übertreten haben. Ein Jahr später, 2005, sank auch die Anzahl der Zurückschiebungen: von 4.132 im Jahr 2004 auf 1.895 im Jahr 2005. Die Anzahl der Abschiebungen blieb in den Jahren 2011 bis 2015 relativ konstant. Ein vehementer Anstieg ist bei den Zurückschiebungen in den Jahren 2013 bis 2015 zu verzeichnen. Während 2011 und 2012 (dem Untersuchungszeitraum dieser Studie) die Zahlen bei 1.429 bzw. 1.228 lagen, steigen sie im Jahr 2013 auf 3.067, im Jahr 2014 auf 5.900 und im Jahr 2015 auf 6.798. Die hohe Zahl 2015 könnte auf die große Anzahl an Flüchtlingen in diesem Jahr zurückzuführen sein, die nach Österreich ein- bzw. über Österreich weiterreisen wollten.10 Wie sieht das Verhältnis zur Einwohner_innenzahl Österreichs aus? 2011, zu Beginn dieser Untersuchung, hat Österreich rund 8.402.000 Einwohner_innen.11 Die irregulär in Österreich lebenden Menschen sind hier nicht dazugezählt, sondern nur jene nach der offiziellen Registerzählung. 2011 werden 3.396 Personen ab- oder zurückgeschoben, das sind 0,04 % der zu diesem Zeitpunkt (offiziell registrierten) Einwohner_innen. Abbildung 4 beschreibt nun die Entwicklung von Abschiebungen und Zurückschiebungen in Zusammenhang mit den Dublin-Überstellungen und den so genannten freiwilligen bzw. angeordneten Ausreisen. Eine unterstütze Ausreise bzw. Rückkehr heißt gesetzlich „Rückkehrhilfe“. Bei einer angeordneten Ausreise betreut eine NGO die ausgewiesene Person. Je nach NGO ist das Unterstützungsangebot unterschiedlich. Zumindest enthält eine Rückkehrberatung jedoch eine individuelle Perspektivenberatung in Österreich, eine Unterstützung bei der Beschaffung von Reisedokumenten und eine erste Unterstützung im Heimatland
10 Im Sommer 2015 kam u.a. auf Grund der untragbaren Aufnahmebedingungen in der Türkei und in Ungarn eine große Zahl an Flüchtlingen nach Österreich. Für einige Wochen wurden sie von der österreichischen und deutschen Regierung nicht am Grenzübertritt gehindert. 11 Vgl. Registerzählung vom 31.10.2011, http://www.statistik.at/web_de/statistiken/ bevoelkerung/volkszaehlungen_registerzaehlungen/bevoelkerungsstand/index.html, abgerufen am 26.10.2013.
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(z.B. Zugang zu Hilfsorganisationen).12 Die angeordnete Ausreise wird vom Staat gefördert (§ 67 AsylG2005 BGBl I 38/2011). Ab 2004 wurden auch die so genannten Dublin-Überstellungen durchgeführt. Während 2004 noch unter 500 Überstellungen realisiert wurden, pendelte sich die Anzahl ab 2008 auf 1.300 bis 1.600 ein. Abbildung 4: Anzahl der Zurückschiebungen, Abschiebungen, angeordneten Rückkehrungen und bestätigten „freiwilligen Ausreisen“
Quellen: eigene Zusammenstellung, ad Abschiebungen und Zurückschiebungen nach: s. Abbildung 3; ad Dublin-Überstellungen und angeordnete Rückkehr („freiwillige Rückkehr“) 2004-2010 nach: BMI 2012d: 44; ad bestätigte „freiwillige Ausreisen“ für 2011 nach: Hochrechnung 2. HJ 2011 (1608), s. BMI 2011c: 1; für 2012 nach: BMI 2012b: 1; für 2013 nach: BMI 2013b: 1; für 2014 nach: BMI 2014b: 55; für 2015 nach: BMI 2015c *) „Summe aus ‚freiwilliger Rückkehr‘ (i.d.R. unterstützt durch EU-Mittel, Projektförderungen für NGOs im Wege der II/2/d, bis Mitte 2008: III/5) und bestätigten Individualausreisen nach erfolgter Information/Fristsetzung durch die Fremdenpolizeibehörde (sog. ‚Ausreiseaufträgè ‘)“ (BMI 2012b: 7), sowie „Ausreisen, die im Rahmen des §133a StVG erfolgen“ (BMI 2015c)
12 Vgl. Informationen auf Webseiten von NGOs, zum Beispiel: http://www.caritassteiermark.at/hilfe-einrichtungen/fuer-migrantinnen/beratung/rueckkehrhilfe/, http://www.caritas-wien.at/hilfe-einrichtungen/asylmigrationintegration/beratung-fuer -asylwerberinnen/rueckkehrhilfe/,
http://www.verein-menschenrechte.at/downloads/
RB-Info-Folder_Deutsch.pdf, http://www.verein-menschenrechte.at/rueck.html.
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Abbildung 4 zeigt, dass die Zahlen der zwangsweisen Außerlandesbringungen im letzten Jahrzehnt gesunken sind; erst mit 2013 steigen sie wieder auf Grund verstärkter Zurückschiebungen an (s. Abbildung 3). Gleichzeitig ist mit 2009 eine starke Zunahme der angeordneten Ausreisen/Rückkehr zu beobachten (von 2.737 im Jahr 2008 auf 4.077 im Jahr 2009). Ebenso ist die Zahl der Dublin-Überstellungen von 408 im Jahr 2004 auf 1.504 im Jahr 2010 gestiegen. 2014 und 2015 sind je ca. 1.350 Dublin-Überstellungen durchgeführt worden). Mit 20.7.1999 gab es noch keine statistischen Aufzeichnungen der Abschiebungen, die nach den unterschiedlichen Zielländern aufgegliedert sind, wie aus einer Anfragebeantwortung im Nationalrat ersichtlich wird (AB 6037/1999, NR GPXX, S. 2). In dieser Anfragebeantwortung führt der damalige Innenminister Karl Schlögl zudem aus, dass die meisten Abschiebungen in ein Herkunftsland auf dem Luftweg, und Zurückschiebungen in einen Drittstaat auf dem Landweg erfolgen würden. Bei den Statistiken zu den Zielländern wird nicht zwischen den Gründen für die Abschiebungen differenziert, sehr wohl jedoch bei jenen zu Zurückschiebungen. Der bei weitem häufigste Grund für Zurückschiebungen ist die Feststellung einer unrechtmäßigen Einreise (für 2016 etwa 1.785, BMI 2016). Weitab liegen die Zurückschiebungen auf Grund von Übernahmeabkommen/internationaler Gepflogenheit (86 im Jahr 2016), unrechtmäßigem Aufenthalt (19 im Jahr 2016) oder der Feststellung des unrechtmäßigen Aufenthaltes bei der Ausreise (19 im Jahr 2016, BMI 2016: 1). Für die Jahre 2004 bis 2009 sind nur Statistiken über jeweils jene zehn Abschiebe-Zielländer verfügbar, in die im entsprechenden Jahr am häufigsten abgeschoben wurde. In einer parlamentarischen Anfragebeantwortung gibt Innenminister Wolfgang Sobotka im Juni 2016 bekannt, dass keine Statistiken zu den Destinationen von Abschiebungen und Dublin-Überstellungen geführt werden (AB 8784: 2). In den vorhandenen Statistiken sind auch EU-Bürger_innen inkludiert, die nicht auf Grund illegalen Aufenthalts abgeschoben werden, sondern wegen bestimmter Handlungen oder Verhaltensweisen, wie beispielsweise strafbare Handlungen, Arbeitslosigkeit13 oder unerlaubte Erwerbstätigkeit (Winkler 2011: 76). Über den Zeitraum August 2004 bis Dezember 2009 können folgende Destinationen ausgemacht werden: Rumänien mit 3.240, Länder des ehemaligen Jugoslawiens14 mit 2.460, die Slowakei mit 1.226 Abschiebungen. Unter den
13 Unter gewissen Voraussetzungen kann die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen zu einer Ausweisung von EU-Bürger_innen führen (vgl. § 66 Abs 1 FPG 2005 und Europäische Kommission [o.J.]) 14 Erst seit 2007 werden getrennte Statistiken geführt, wonach vor allem Serbien Zielregion war.
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Zielländern, in die am häufigsten abgeschoben wurde, waren in diesem Zeitraum des Weiteren die Ukraine, Moldau, Ungarn, Polen, Bulgarien und mit etwas Abstand (ca. 500) die Türkei sowie Georgien (ca. 300) (Kratzmann/Petzl/Temesvári 2010: 95, 20). Die meisten Dublin-Überstellungen erfolgten 2009 nach Polen (534 Überstellungen, 35 %) sowie nach Italien (234, 16 %), Ungarn (162, 11 %), Griechenland (157, 10 %) und die Slowakei (117, 8 %) (EMN 2012: 36). Für Charter-Abschiebungen (Bus oder Flugzeug) werden als Destinationen für die Jahre 2011-2015 Kosovo, Nigeria, Georgien, Armenien, die Russische Föderation, Gambia, Ghana und Pakistan, und für Charter-DublinÜberstellungen Polen, Bulgarien und Litauen angeführt (BMI 2015b; 2014b; 2013c; 2012d; 2011d). Zwischen 2005 und 2010 kann rückverfolgt werden, wie viele der abgeschobenen Personen Asylwerber_innen waren. Tabelle 4 zeigt, dass der Prozentanteil der abgelehnten Asylwerber_innen von allen abgeschobenen Personen kontinuierlich steigt: von 10,8 % im Jahr 2005 auf 22,5 % im Jahr 2010. Tabelle 4: Abschiebungen, Dublin-Überstellungen und angeordnete („freiwillige“) Rückkehr abgelehnter Asylwerber_innen, absolut und prozentualer Anteil, im Jahresvergleich 2005-2010 2005 Gesamt AW Abschiebungen absolut Abschiebungen, Angaben in Prozent Dublin-Überstellungen absolut Dublin-Überstellungen, Angaben in Prozent Zwangsweise Außerlandesbringungen absolut (Dublin-Überstellungen & Abschiebungen, ohne Zurückschiebungen) Zwangsweise Außerlandesbringungen, Angaben in Prozent Unterstützte Rückkehr absolut Unterstützte Rückkehr Prozentsatz
2006 Gesamt AW
2007 Gesamt AW
2008 Gesamt AW
2009 Gesamt AW
2010 Gesamt AW
4.277
462
4.090
349
2.838
455
2.026
330
2.481
477
2.577
579
100
10,80
100
8,53
100
16,03
100
16,29
100
19,23
100
22,47
627
627
1.098
1.098
904
904
1.380
1.380
1.577
1.577
1.504
1.504
Überall 100%: Dublin-Überstellungen beziehen sich auf die Länder-Zuständigkeit hinsichtlich des Asylverfahrens und können daher nur für Asylwerber_innen durchgeführt werden. 4.904
1.089
5.188
1.447
3.742
1.359
3.406
1.710
4.058
2.054
4.081
2.083
51,04
100
22,21
100
27,89
100
36,32
100
50,21
100
50,62
100
1.406
1.406
2.198
1.705
2.164
1.592
2.737
1.974
4.077
3.394
4.499
3.428
100
100,00
100
77,57
100
73,57
100
72,12
100
83,25
100
76,19
Quellen: ad Abschiebungen gesamt: BMI 2005: 2006a; 2007a; 2008; 2009a; 2010a; 2012d; ad unterstützte Rückkehr abgelehnter Asylwerber_innen und DublinÜberstellungen: BMI 2010b: 43; BMI 2012d: 45.
In den Jahren 2010 bis 2013 wurden insgesamt 1.876 ehemalige Asylwerber_innen abgeschoben (AB 6139: 12)15, das sind 32,8 % aller Abschiebungen.16 15 Dies widerspricht einer 2016 erschienenen Publikation des Europäischen Migrationsnetzwerkes, in welcher angeführt wird, dass für die Anzahl der abgelehnten Asylwerber_innen, die abgeschoben wurden, keine Statistiken verfügbar sind (Lukits 2016: 50).
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Sowohl bei den Zahlen bis 2010, aber auch noch bei jenen bis 2013 sind die Prozentsätze relativ gering, gerade mit Blick auf die öffentlichen Debatten, in denen im Falle von Abschiebungen fast nur von abgelehnten Asylwerber_innen die Rede ist. Selbst aus den Gesprächen mit Behördenmitarbeitern könnte man auf einen höheren Prozentsatz von Asylwerber_innen schließen. Laut der Auskunft eines Behördenmitarbeiters auf nationaler Ebene sind 80-90 % der abgeschobenen Personen abgelehnte Asylsuchende (Beh. Michael R.: 115). Auch ein Mitarbeiter auf einer höheren Funktionsebene einer lokalen Fremdenpolizeibehörde meint, dass auf Grund der (vor allem ehemals) sehr langen Asylverfahren sehr viele der abgeschobenen Personen Asylsuchende seien (Beh. Paul N.: 40ff.). Außerdem würden oft spätestens bei einer fremdenpolizeilichen Kontrolle die meisten Personen um Asyl ansuchen (ebd.: 37). Gleichzeitig seien auch sehr viele Personen keine Asylsuchenden (ebd.: 40). Der eher geringe Anteil der aus asylrechtlichen Gründen Abgeschobenen kann unter anderem darauf beruhen, dass die Dublin-Überstellungen in den Abschiebe-Statistiken nicht einbezogen sind. Werden diese, wie in Tabelle 4 dargestellt, dazugerechnet, fällt der Prozentanteil, da Dublin-Überstellungen ausschließlich Asylwerber_innen betreffen, wesentlich höher aus. So steigen hier die Zahlen von 22,2 % im Jahr 2005 auf 51 % im Jahr 2010. Somit waren mehr als die Hälfte der Personen, die zwangsweise außer Landes gebracht wurden, abgelehnte Asylwerber_innen. Einen dritten Aspekt stellt die unterstützte Ausreise bzw. Rückkehr dar. Von allen Personen, die nach einer Ausreiseaufforderung mit einem Programm zur „freiwilligen Rückkehr“ ausreisen, sind zwischen 70 % und 100 % abgelehnte Asylwerber_innen. Im Jahr 2010 waren es ca. 76 %. Nach diesem Aufriss über bestehendes Wissen aus Literatur und quantitativen Quellen widme ich mich im nachfolgenden Kapitel dem zentralen Phänomen in der Analyse des Abschiebesystems in Österreich. Dies betrifft die Situation, in der sich die abschiebungsgefährdeten Personen selbst befinden und die ich als „Catch-22 des irregulären Aufenthalts“ bezeichne.
16 Diese Zahlen weichen wiederum von jenen in einer Anfragebeantwortung aus dem Jahr 2013 angegebenen ab. Hier lag die Zahl der abgeschobenen Asylwerber_innen vom 1.1.2011 bis 30.11.2013 bei insgesamt nur 1.281 (AB 185: 10).
3. Catch-22 des irregulären Aufenthalts – Handlungsentscheidungen vor dem Hintergrund paradoxer Situationen
Im System Abschiebungen werden von den involvierten Akteur_innen zwei widersprüchliche Ziele verfolgt: Abschiebungsgefährdete Personen streben meist danach, eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen, sprich die offizielle Erlaubnis, im Land zu bleiben. Die Fremdenpolizeibehörden und ihre ausführenden Organe sind darauf ausgerichtet, die gesetzlich festgeschriebenen Konsequenzen des aktuellen Status der abgelehnten Asylsuchenden zu vollziehen: sie abzuschieben. Dabei lässt sich folgende Schwierigkeit feststellen: Die Abschiebungsgefährdeten müssen sich in ihrem Ziel, ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, mit zwei sich widersprechenden staatlichen Systemen auseinandersetzen: Einerseits mit dem System zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts und andererseits mit dem System der zwangsweisen Außerlandesbringung. Dies führt dazu, dass die Betroffenen in einem Dilemma stecken: Strategien, die im Sinne des einen Erfolg versprechen, wirken im Sinne des anderen gegenteilig. Bis zum 1.1.2014 fielen die Aufenthaltserlangung und die Ausweisung bzw. Abschiebung in Österreich unter verschiedene Zuständigkeiten. Erstere lagen überwiegend in der Verantwortung der Niederlassungsbehörden, Letztere überwiegend in jener der Fremdenpolizeibehörde. Seit Etablierung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ist dieses nun zum Teil für beides zuständig: sowohl für die Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen laut AsylG 2005 als auch für die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, die Anordnung einer Abschiebung und den Vollzug von Rückführungsentscheidungen gemäß FPG (BFA 2014b). Alle Zuständigkeiten für einen Aufenthaltstitel sind in der Zuständigkeit der Niederlassungsbehörden verblieben, nur die Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen zählt nun zu den Auf-
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gaben des BFA (BFA 2014a). Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf Grund der Erhebungsphase 2011 bis 2012 auf die rechtliche Situation vor dem 1.1.2014. Da seit Januar 2014 in manchen Bereichen nur noch eine Behörde sowohl für den Aufenthalt als auch für die Abschiebung zuständig ist, kann nun nicht mehr von zwei unterschiedlichen „Systemen“ gesprochen werden. Die Gesetze, welche Niederlassung, Ausweisung und Abschiebung regeln, sind jedoch getrennt geblieben (AsylG, NAG1, FPG 2). Ebenso änderte sich die prinzipielle Ausrichtung der Asyl- und Niederlassungspolitik nicht. Ich gehe daher davon aus, dass auch nach dem 1.1.2014 die meisten Aspekte des beschriebenen „Catch-22 des irregulären Aufenthalts“ weiterhin Gültigkeit haben. Für Abschiebungsgefährdete stellt sich die Situation als ausweglos dar. Sie befinden sich in einem Dilemma, weil sie zwischen den Gesetzmäßigkeiten des NAG und des FPG agieren müssen, diese aber unter dem Aspekt des BleibenWollens zu großen Teilen widersprüchliche Anforderungen an sie stellen. Für eine solche paradoxe Situation prägte Joseph Heller in seinem gleichnamigen Roman den Begriff „Catch-22“3. Der 1961 veröffentlichte Roman wird unter anderem als Kritik an bürokratischen Abläufen verstanden, wobei die Bürokratie als absurd und unlogisch dargestellt wird.4 Heller erzählt darin vom Hauptmann Yossarian, einem Bombenschützen der U.S. Army Air Force, welcher im Zweiten Weltkrieg auf der fiktiven Insel Pianosa im Mittelmeer stationiert ist. „Catch-22“ bedeutet, dass ein Pilot keine Einsätze mehr fliegen muss, wenn er verrückt ist. Er muss jedoch darum bitten, nicht mehr fliegen zu müssen. Sobald er aber darum bittet, wird er nicht mehr als verrückt angesehen – denn nur wer verrückt ist, fliegt diese Einsätze. Dies ist im Roman eine nicht festgeschriebene Regel, sozusagen eine kollektive Praxis der Entscheidungsgeber. Im Amerikanischen wie auch im Englischen fand die Phrase „Catch-22“ Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch. So definiert das Merriam-Webster-Wörterbuch „catch-22“ unter anderem als „a problematic situation for which the only solution is denied by a circumstance inherent in the problem or by a rule – ‚the show-business catch-22 – no work unless you have an agent, no agent unless you’ve worked – Mary Murphy’; also: the circumstance or rule that denies a solution“5. Das hier präsentierte Dilemma wird auch durch eine aus dem Urban Dictionary stammende Definition sehr prägnant auf den Punkt gebracht: Catch-
1
Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz.
2
Fremdenpolizeigesetz.
3
Ich danke Christian Fleck für den wertvollen Hinweis auf diesen Begriff.
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Vgl. u.a. Russ o.J.; BBC-News 2002; Catch-22 auf Wikipedia o.J.
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Vgl. „catch-22“ online im Merriam-Webster Dictionary o.J..
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22 stellt demnach eine Situation dar, die negative Ergebnisse mit sich führt, egal welche Entscheidung getroffen wird.6 Im Deutschen dagegen wird Catch-22 kaum verwendet. Die Situation, in der sich die Abschiebungsgefährdeten nach Erlass eines aufenthaltsbeendenden Bescheids befinden, ist eine paradoxe Situation: Die Logik, nach der ein Aufenthaltsrecht erlangt werden kann, steht im Gegensatz zu jener Logik, die eine bevorstehende Abschiebung abwenden könnte. Abschiebungsgefährdete stehen vor einem „Dilemma des irregulären Aufenthalts“. Umgangssprachlich gesprochen stecken sie in einer Zwickmühle. Egal für welche Handlungen sich die Abschiebungsgefährdeten entscheiden, sie haben negative Folgen zu erwarten, welche nicht ihrem Ziel, im Land bleiben zu können, dienen. Die Behörden weisen den Abschiebungsgefährdeten einen bestimmten Status zu, nämlich jenen der „Illegalität“7. Ein zentrales Kennzeichen der paradoxen Situation ist, dass dieser Status von den Personen selbst meist als illegitim wahrgenommen wird.8 Die Abschiebungsgefährdeten versuchen, ihren Aufenthalt zu legalisieren. Das geschieht, indem sie Argumente anführen, von denen sie sich erhoffen oder erwarten, dass auch die Behörden diese als legitime Gründe, im Land bleiben zu dürfen, anerkennen. Die Abschiebungsgefährdeten verweisen, insbesondere gegenüber den Niederlassungsbehörden, auf ihre guten Deutschkenntnisse, ihre Arbeitswilligkeit sowie darauf, kein Unrecht begangen zu haben etc. Diese Praktiken werden in Kapitel 4, „Handlungspraxen“, näher erläutert. Die Handlungspraktiken, die angewendet werden, um einen legalen Aufenthalt zu erhalten, indem die österreichischen Behörden das Ansinnen als legitim anerkennen, widersprechen jedoch jenen Handlungen, die durchgeführt werden sollten, um die bevorstehende Abschiebung zu verhindern. Denn diese sind eben nicht auf Integration, sondern auf gesellschaftliche Desintegration, auf Verste-
6
Vgl. „Catch-22“ online im Urban Dictionary o.J.(zweitgereihte Definition).
7
(Il-)Legaliltät bezeichnet die gesetzliche (Nicht-)Zulässigkeit einer Handlung. Der Begriff „Illegalität“ beinhaltet die Konnotation der Kriminalität. Dies ist meines Erachtens unzutreffend, da ich eine illegale Anwesenheit nicht als kriminelle Handlung verstehe. Ich verwende daher den Begriff in diesem Zusammenhang nur in Anführungszeichen gesetzt.
8
Unter „legitim“ verstehe ich hier Handlungen, die als allgemein anerkannt bzw. vertretbar angesehen werden. Der Begriff benennt hier keine Handlungen, die gesetzlich anerkannt sind. Solche werden in diesem Kontext als „legal“ bezeichnet. Weitere theoretische Hinweise zum Thema der „Legitimität“ in diesem Zusammenhang finden sich bei Kukovetz 2014. In diesem Artikel diskutiere ich die Argumente zur Rechtfertigung oder Ablehnung von Abschiebungen.
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cken und das Bemühen, möglichst nicht auffällig und nicht sichtbar zu sein, ausgerichtet (vgl. Kap. 4, „Handlungspraxen“). Von den Behörden wird dieses Bemühen um Legalisierung, trotz eines gültigen negativen Bescheids, an sich nicht als legitim angesehen. So sagt ein leitender Mitarbeiter der Fremdenpolizeibehörde: „Aber wenn die Entscheidung auch jetzt zu seinem Nachteil ist, dann muss man sich auch die Akzeptanz des Betroffenen eigentlich erwarten.“ (Beh. Paul N.: 189) Die Behörden folgen hier – in der Logik von Beamt_innen stehend – einer rechtspositivistischen Sichtweise, wie es auch mehrmals ausdrücklich formuliert wird. Auf eine spezifische Gruppe unter den Abschiebungsgefährdeten trifft das Paradoxon zwischen Legalität und Legitimitätsansprüchen in besonderer Weise zu. Denn hier betrifft die Spannweite nicht nur Legitimitätsansprüche, sondern die faktische Situation, dass Personen den illegalen Status gar nicht beenden können. Eine solche Situation resultiert aus der Unmöglichkeit der Abschiebung, die aber nicht, nicht mehr oder nur zum Teil von den Behörden als eine solche anerkannt wird, gekoppelt an die Unmöglichkeit für die betreffende Person selbst, freiwillig legal in ein anderes Land auszureisen. Dieses Phänomen wird in Kapitel 3.4.1, „,Ohne Dokumente‘“, näher beschrieben. Zu Beginn von Kapitel 3 erfolgt die Beschreibung der strukturellen Bedingungen von Catch-22 (Kap. 3.1, „Bedingungen von Catch-22“). Anschließend erläutere ich, wann Catch-22 des irregulären Aufenthalts, sprich die paradoxe Situation, eintritt (Kap. 3.2, „Beginn des Dilemmas schon vor der Ausreiseaufforderung?“). Nachdem ich einen Überblick über die Breite des Phänomens mittels einiger statistischer Schätzwerte (Kap. 3.3, „Wer und wie viele sind betroffen? – Die Breite des Phänomens“) gegeben habe, stelle ich die Merkmale des beschriebenen Dilemmas dar (Kap. 3.4, „Merkmale von Catch-22 des irregulären Aufenthalts“). Die grundlegende Scheidelinie verläuft entlang der Frage, ob Identitätspapiere vorhanden sind oder nicht. Zuerst werden die Varianten dargestellt, die eintreten können, wenn den unautorisierten Migrant_innen von den Behörden der Status „Dokumentenlosigkeit“ zugewiesen wird (Kap. 3.4.1, „,Ohne Dokumente‘“), danach jene der im Status „mit Dokumenten“ befindlichen Personen (Kap. 3.4.2, „‚Mit Dokumenten‘“). Anhand des empirischen Materials schildere ich die zwei Hauptmerkmale des Dilemmas des irregulären Aufenthalts: A) „Gesellschaftliche Partizipation“ (Kap. 3.4.3, „Merkmal A: Gesellschaftliche Partizipation“) und B) „Compliance“9 (Kap. 3.4.4, „Merkmal B:
9
Der Begriff Compliance wurde aus der Psychologie entlehnt. Dort bedeutet Compliance die Bereitschaft eines Patienten/einer Patientin zur aktiven Mitwirkung an therapeutischen Maßnahmen (vgl. Duden online 2014). In diesem Zusammenhang wird,
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Compliance“). Die Ausprägungen können jedoch je nach den Gründen für die Nicht-Abschiebbarkeit unterschiedlich sein (Kap. 3.4.5, „Ausprägungen des Dilemmas des irregulären Aufenthalts“). Im Anschluss beschreibe ich, wie lange Catch-22 anhält bzw. anhalten kann, wann es beendet ist (Kap. 3.5, „Jahrelange Pattsituation: Dauer und Ende des Dilemmas“) und wie stark das Dilemma auftritt (Kap. 3.6, „Kaum Handlungsmacht: Die Stärke des Dilemmas“).
3.1 B EDINGUNGEN VON C ATCH -22 Welche gesellschaftlichen, politischen und strukturellen Gegebenheiten bedingen, dass sich Abschiebungsgefährdete in diesem Dilemma, in einer Situation des Catch-22 des irregulären Aufenthalts, befinden? Zentrale Bedingungen sind: (1) das politische Leitbild bzw. das vorherrschende Denkmuster der Integration und (2) die Zentralität von Identitätspapieren. 3.1.1 Leitbild „Integration“ In den 1960er-Jahren ging die österreichische Politik noch davon aus, dass die angeworbenen ausländischen Arbeitskräfte, die damals den Hauptteil der Migrant_innen ausmachten, nach einiger Zeit wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren würden – Migrant_innen seien demnach „Gastarbeiter_innen“ (vgl. u.a. Strasser/Tošić 2014: 127; Volf/Bauböck 2001:13). Viele der Migrant_innen blieben jedoch in Österreich und holten ab den 1980er-Jahren verstärkt ihre Familien nach.10 Auf die Entwicklungen der 1980er und beginnenden 1990er-Jahre – der Familiennachzug, eine große Anzahl von Flüchtlingen infolge des Falls des Eisernen Vorhangs 1989 und weitere Arbeitsmigration auf Grund des Wirtschaftsaufschwungs – folgte eine neue Migrationspolitik Österreichs: die Einführung von Quoten, welche die Zuwanderung (auch den Familiennachzug) regulieren sollten. Diese Entwicklung stand unter dem Motto „Integration vor Neuzu-
wie später erläutert, Compliance als Bereitschaft einer Person zur aktiven Mitwirkung an behördlichen Untersuchungen verstanden. 10 In der historischen Migrationsforschung herrschte lange Zeit das Bild des männlichen Arbeitsmigranten bzw. „Gastarbeiters“ vor, der seine Frau und Kinder nachholte. Neuere Forschung zeigt, dass beispielsweise in der Steiermark von 1961 bis 1971 zwischen 20 und 30 % der Beschäftigungsgenehmigungen an Frauen erteilt wurden (Lorber 2013: 36ff.) und Frauen sowie Männer alleine nach Österreich kamen, um eine Beschäftigung aufzunehmen (Korun 2004).
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zug“ (Strasser/Tošić 2014: 129f.; Volf/Bauböck 2001: 13). Der Begriff Integration wurde dabei „ausschließlich als eine Leistung der Immigranten verstanden, die sich an die österreichischen Verhältnisse anzupassen haben“ (Volf/Bauböck 2001: 13). Auch in der 2003 in Kraft getretenen „Integrationsvereinbarung“ wurden einseitig Leistungen, wie die Absolvierung von Deutschkursen und der Nachweis von Kenntnissen der österreichischen Landeskunde, der Geschichte und des Rechtssystems, festgeschrieben, die die Migrant_innen erbringen müssen, um sich längerfristig in Österreich niederlassen zu können (Strasser/Tošić 2014: 131). Seit der Novellierung des Fremdenrechts im Jahr 2005 war ein größerer Personenkreis von der Integrationsvereinbarung betroffen und es wurden mehr Anforderungen festgeschrieben (Plutzar 2013: 51). Die Integrationsvereinbarung ist auch im Jahr 2014 gültig und im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz festgeschrieben. Sie stellt die Voraussetzung für den Erhalt eines Aufenthaltstitels für Drittstaatsangehörige dar (§ 14 NAG 2005). Die Nicht-Erfüllung der Integrationsvereinbarung wird im Fremdenpolizeigesetz als ein Grund angesehen, einen Ausweisungsbescheid als Abschluss eines Ausweisungsverfahrens ausstellen zu können (§ 62 Abs 1 FPG 2005). Integration als leitender Gedanke für das Zusammenleben zwischen der so genannten Mehrheitsgesellschaft und Migrant_innen ist nicht nur gesetzlich festgeschrieben, sondern auch in der politischen Arbeit prominent positioniert. 2011 wurde das Staatssekretariat für Integration gegründet, und zum 1. März 2014 wurde das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten in Bundesministerium für Europa, Integration11 und Äußeres (BMEIA) umbenannt. Auf dessen Webseite wird unter dem Schlagwort „Integration“ ein Video gezeigt und das ministerielle Verständnis von Integration vorgestellt. Dabei ist zum Teil ein Wandel der Definition von Integration hin zu einem stärker wechselseitigen Prozess festzustellen. In dem Video erklärt etwa Stefan Steiner, Leiter der Sektion für Integration: „Integration ist ein wechselseitiger Prozess, der Bemühungen von beiden Seiten erfordert, von der Mehrheitsgesellschaft und von den Zugewanderten.“ (BMEIA 2014d) Die Arbeit des Ministeriums solle dazu beitragen, die passenden Rahmenbedingungen für eine gelungene Integration zu schaffen (vgl. ebd.). Der stärkere Fokus liegt jedoch, sowohl im Video als auch im erläuternden Text auf der Homepage der Webseite, auf der individuellen Leistung, welche die Migrant_innen zu erbringen haben: „Ziel ist es ‚Integration durch Leistung‘ möglich zu machen, das heißt, Menschen sollen nicht nach ihrer Herkunft, Sprache, Religion oder Kultur beurteilt werden, sondern danach, was sie in Österreich beitragen wollen.“ (vgl. BMEIA
11 Hervorhebung durch die Autorin.
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2014b, Hervorhebung im Original) In der Folge geht es nicht nur um die Einforderung und Anerkennung dieser Leistung, sondern auch um deren Ermöglichung. Dennoch steht Integration durch individuelle Leistung im Vordergrund, und es kommt darauf an, welchen Beitrag die Migrant_innen zur Gesellschaft leisten (ebd.). Die große Bedeutung des Schlagworts Integration wird auch an dem 2011 vom Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres präsentierten und von einem ministeriell eingesetzten Expert_innenrat erstellten „Nationalen Aktionsplan für Integration“ (BMEIA o.J.) ersichtlich – ebenso wie am darauf aufbauenden Integrationsmonitoring samt jährlicher Erstellung eines Integrationsberichtes (BMEIA 2014a). Im Kapitel „Allgemeine integrationspolitische Leitlinien“ des Nationalen Aktionsplans für Integration werden als „wichtigste Grundlagen für erfolgreiche Integration in Österreich […] das Erlernen der deutschen Sprache, die wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit, ein klares Bekenntnis zu Österreich, seinen Normen und Werten sowie die Bereitschaft und der Wille der Migrant/innen sich zu integrieren“ (BMEIA o.J.: 8) genannt. Die von Heinz Fassmann erstellten Integrationsindikatoren basieren auf den im Aktionsplan angeführten Kernthemen. Quantitative primäre Kernindikatoren sind „höchste abgeschlossene Bildung (Handlungsfeld Sprache und Bildung), Anteil der Erwerbstätigen und Arbeitslosenquote (Handlungsfeld Arbeit und Beruf), Nettoeinkommen und Armutsgefährdung (Handlungsfeld Soziales und Gesundheit)“ (Fassmann o.J.: 52f.). Fassmann schlägt bei der Erstellung der Integrationsindikatoren für ein österreichweites Integrationsmonitoring wechselnde Schwerpunktthemen vor: Als Schlüsselelement wird die schulische Bildung angesehen (ebd.: 57), die weiteren Themen berücksichtigen stärker die Wechselseitigkeit des Integrationsprozesses: institutionelle Integrationskapazität (das heißt beispielsweise eine den realen gesellschaftlichen Gegebenheiten entsprechende Anzahl an Fachkräften mit Migrationsbiographie), politische Partizipation, Integrationsklima und Fremdenfeindlichkeit (ebd.: 55f.). Der Begriff Integration wurde in den 1980er-Jahren von Migrant_innen selbst als Abgrenzung zum Konzept der Assimilation, worunter die sprachliche, religiöse und kulturelle Anpassung der Migrant_innen an die Mehrheitsgesellschaft zu verstehen ist, beinahe als ein kämpferisches Schlagwort verwendet. Sie forderten mit Integration die Verantwortung der Mehrheitsgesellschaft ein, zu einem gelingenden Miteinander-Leben beizutragen. Mit der Zeit büßte der Begriff die ermächtigenden Aspekte ein. Integration verlor im Zuge des öffentlichen Diskurses den damaligen Anspruch der Wechselseitigkeit des Zusammenlebens. Der Begriff der Integration wird aktuell dafür kritisiert, zu einer reinen
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Rhetorik zu verkommen.12 Er wird noch immer eingefordert, wie dies an den offiziellen Dokumenten des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres zu sehen ist. Konkrete politische Integrationsmaßnahmen zielen jedoch stärker auf die Veränderung der Migrant_innen ab als auf die Veränderung etablierter gesellschaftlicher, politischer oder institutioneller Strukturen. Diese herkömmlichen Strukturen orientieren sich oftmals an jenen Bevölkerungsschichten, die als etabliert gelten und denen kein näherer „Migrationshintergrund“ zugeschrieben wird. Das wird deutlich, wenn etwa Schulen Mehrsprachigkeit nicht als Normalität ansehen, sondern als Abweichen von der Bildungssprache Deutsch; wenn familiäres Wissen über das Schulsystem, über behördliche Abläufe etc. als gegeben vorausgesetzt wird (vgl. Gomolla/Radtke 2009); wenn in öffentlichen Einrichtungen oder bei öffentlichen Dienstleistungen die Verantwortung für das Heranziehen eventuell notwendiger Dolmetscherdienste überwiegend den Migrant_innen zugeschrieben wird (vgl. Kukovetz/Sprung 2009; Rajič 2006) oder wenn die Curricula und Inhalte in Schulen, an Universitäten und in der Weiterbildung sich nach wie vor überwiegend an deutschsprachigen, europäischen oder zumindest westlich zentrierten Paradigmen orientieren (vgl. Gomolla 2010). In der österreichischen Politik wird Integration vorrangig als etwas betrachtet, das Migrant_innen erfüllen müssen, bevor sie gleichwertige Mitglieder der österreichischen Gesellschaft werden können. Am besten verdeutlicht die österreichische Regelung hinsichtlich der Verleihung der Staatsbürgerschaft, dass Integration zuallererst als eine Leistung definiert wird, die von den Migrant_innen erbracht werden muss. Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern müssen Eingewanderte in Österreich viele Jahre warten, bevor sie einen Antrag
12 So beschreibt der alternative ExpertInnenrat für Migrations-, Integrations- und Gleichstellungsfragen, warum er „Integration“ kritisch betrachtet, folgendermaßen: „Die Integrationsdebatte hat sich in den vergangenen Jahren in eine falsche Richtung bewegt. Das gilt auch für die Entwicklung der Gesetzeslage in diesem Bereich. Es wurde ein Integrationsregime etabliert, das nicht auf die gesamte Gesellschaft abzielt, sondern einzelne Gruppen unter Druck setzt. Diese auseinanderdividierende und Zwangsmaßnahmen setzende Integrationspolitik korrespondiert mit einer abschottungsorientierten Migrationspolitik. Die rechtliche Gleichstellung aller Menschen, die in Österreich ihren Lebensmittelpunkt haben, wird ebenso verwehrt, wie die Anerkennung der hier lebenden Menschen als gleichberechtigt. Auf diese Weise werden Chancen eingeengt, Lebensperspektiven gekappt, das Zusammenleben erschwert und die Menschenrechte sowie die Demokratie beschnitten.“ (Alternativer ExpertInnenrat für Migrations- Integrations- und Gleichstellungsfragen 2013: 5)
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auf Staatsbürgerschaft stellen können. Abgesehen von Ausnahmen wird ein „zehnjähriger, rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt in Österreich“ (BMEIA 2014c) verlangt. In Europa besteht diese Regelung außer in Österreich nur noch in Litauen, Moldau und Slowenien. (Die Schweiz legt als einziges Land einen Mindestaufenthalt von zwölf Jahren fest.) Alle anderen Länder haben entweder weit reichende Ausnahmen für Personengruppen bestimmter Herkunftsländer (z.B. Italien und Spanien) oder kürzere Fristen (z.B. fünf Jahre in Frankreich, in Großbritannien, den Niederlanden und in Schweden) (Karasz/Perchinig 2013: 39f.). Viele europäische Länder wenden die Verleihung der Staatsbürgerschaft als Mittel zur Integration an: Durch die Staatsbürgerschaft können Eingewanderte schneller und nachhaltiger an der Gesellschaft partizipieren. In Österreich hingegen soll die lange legale Aufenthaltsdauer und der Staatsbürgerschaftstest die vollendete Integration in die österreichische Gesellschaft garantieren. Die Verleihung der Staatsbürgerschaft wird dabei als Endpunkt eines Integrationsprozesses angesehen. Es gibt auch – allerdings nur wenige – Ausnahmen, in denen bestimmte Leistungen als Integrationsnachweise nicht notwendig sind, um einen legalen Aufenthaltstitel in Österreich zu erlangen. Erhält eine Person politisches Asyl oder den Status einer subsidiär schutzberechtigten Person, sind es menschenrechtliche Gründe, die den legalen Aufenthalt ermöglichen. In bestimmten Fällen kann nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz ein Aufenthaltsstatus erlangt werden, der wiederum menschenrechtliche bzw. humanitäre Gründe als Basis für ein Aufenthaltsrecht nennt. Im Gesetz werden diese Fälle als „besonders berücksichtigungswürdig“ bezeichnet (§§ 41a Abs 10 und 43 Abs 4 NAG 2005).13 Die Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung“ ist für die Behörde verpflichtend, wenn dies „zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist“ (§ 43 Abs 3 Z 2 NAG 2005 BGBl I 38/2011). Die Verpflichtung besteht jedoch nur, wenn kein gültiges Aufenthaltsverbot, Rückkehrverbot, eine Rückkehrentscheidung oder eine Aufenthaltsehe, -partnerschaft oder -adoption vorliegt (§ 43 Abs 3 Z 1 NAG 2005 BGBl l 38/2011). Mit der Nennung des Privat- und Familienlebens wird auf die Europäische Menschenrechtskonvention Bezug genommen. Doch die Definition der Menschenrechte ist abhängig vom dominanten Integrationsdiskurs: Denn
13 Diese Regeln sind das Resultat der Änderungen der früheren „Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen“ (§ 73 NAG 2005). So wurde beispielsweise 2009 ein Antragsrecht für die betreffenden Personen geschaffen, welches zuvor nicht möglich war. Ein eigenständiger humanitärer Aufenthaltstitel hingegen ist seit 2009 nicht mehr im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) verankert (vgl. Winkler 2011: 57).
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was wird als familiäre Bindungen, als Verankerung in der Gesellschaft angesehen? Wann sprechen die Interessen der Aufnahmegesellschaft dagegen (ausgedrückt beispielsweise durch ein Aufenthaltsverbot)? Zudem kann eine Niederlassungsbewilligung erteilt werden, wenn „1. der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist und 2. mindestens die Hälfte des Zeitraums des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist.“ (§ 43 Abs 4 Z 1 und 2 NAG 2005 BGBl l 38/2011)
Der Bezug zur Integration ist offensichtlich. Denn die Behörde hat „den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen.“(§ 43 Abs 4 NAG 2005 BGBl l 38/2011)
Ich benenne die in Österreich vorherrschende Meinung, dass Migrant_innen sich zu integrieren haben, wenn sie hier leben wollen, als „Leitbild Integration“. Dieses Leitbild ist, wie beschrieben, vom Niederlassungsrecht bis hin zur Verleihung der Staatsbürgerschaft wiederzufinden. Auch im Fremdenpolizeigesetz kann es zur Geltung kommen, wenn es darum geht zu bestimmen, wann eine Person vor einer fremdenpolizeilichen Ausweisung geschützt ist. Denn hier ist unter anderem in jedem Stadium einer fremdenpolizeilichen Amtshandlung auf die Einhaltung von Art 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) zu achten (§ 13 Abs 2 FPG 2005 BGBl l 38/2011). Der Leitgedanke, dass sich Migrant_innen integrieren sollen, ist an sich nicht jedoch die Ursache für Catch-22 des irregulären Aufenthalts. Es ist vielmehr die Parallelität zwischen diesem Integrationsparadigma einerseits und andererseits den gesetzlich und strukturell festgeschriebenen Bemühungen, Migrant_innen möglichst des Landes zu verweisen und außer Landes zu schaffen, solange sie noch keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben. Wenn wir dem Aufenthalt ankommender Asylsuchender idealtypisch folgen, werden diese Gesetze und Strukturen sichtbar. Denn schon während des gesamten Asylprozesses gibt es Bedingungen, die sich später verfestigen. Als Asylwerber_innen sind die Menschen legal in Österreich. Sie müssen jedoch ohne Arbeitsmöglichkeit auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten. Innerhalb der ersten drei Monate nach Asylantragstellung unterliegen Asylsuchende einem Beschäftigungsverbot, danach wäre gesetzlich der Erhalt einer Beschäftigungsbewilligung möglich (§ 4 Abs 1 Aus-
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lBG 1975 BGBl I 25/2011). Der so genannte Bartenstein-Erlass, benannt nach dem damaligen Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Martin Bartenstein, untersagt Asylsuchenden seit 2004 jedoch diesen Zugang zum Arbeitsmarkt. Kurzzeitige Saison- und Erntearbeit sowie gemeinnützige Hilfstätigkeiten in Gemeinden sind ausgenommen (vgl. u.a. Gulis 2013: 64f.; Medienservicestelle 2012). Eine durchgehende Beschäftigung mit Saisonarbeit ist nicht erlaubt, und durch Saisonarbeit entsteht kein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel (Becker 2011). Des Weiteren liegen die zur Deckung der Grundversorgung wichtigen Orte in vielen Fällen in abgeschiedener Lage (vgl. vier der fünf Bundesbetreuungsstellen: BMI 2015; zu weiteren Einrichtungen der Grundversorgung siehe: Dossier 2014; Dossier 2013). Es stehen kaum Ressourcen zur Verfügung, um gesellschaftlich zu partizipieren, und die geförderten Möglichkeiten Deutsch zu lernen, sind nicht ausreichend (Plutzar 2008). In diesem Bereich gilt, dass die Integrationsleistung den Migrant_innen überlassen wird. Das ist etwa daran ersichtlich, dass Migrant_innen die finanzielle Hauptlast der verpflichtenden Deutschkurse tragen müssen, wie das Netzwerk SprachenRechte (Netzwerk SprachenRechte 2011) feststellt (vgl. auch Plutzar 2013: 62). Selbst Kinder können teilweise auf Grund mangelnder Ressourcen ihr verfassungsrechtlich verankertes Recht auf Schulunterricht nicht ausüben (vgl. die öffentliche Diskussion, z.B. care 2012; Neuhold/Ruep 2012). Die Situation der Asylwerber_innen ist diesbezüglich jedoch noch kein unauflösbares Dilemma. Denn ihre Integration ist in diesem Status noch nicht Voraussetzung für den Erhalt von Asyl oder von subsidiärem Schutz. Das Dilemma ist jedoch schon in der Praxis des sozialen und politischen Umgangs mit Asylsuchenden angelegt. Sieglinde Rosenberger beschreibt den Widerspruch, dass die österreichische Politik organisierte Desintegration (hinsichtlich Beschäftigung und Unterbringung) produziert, gleichzeitig aber in bestimmten Situationen für die Gewährung von Asyl bzw. Niederlassung individuelle Integrationsleistungen als notwendiges Kriterium voraussetzt (Rosenberger 2011). Wurde der Asylantrag rechtskräftig abgelehnt, besteht die Möglichkeit, um Niederlassung anzusuchen. Das laufende Niederlassungsverfahren schützt nicht vor einer Abschiebung. Dementsprechend ist es in die Strukturen eingeschrieben, dass Menschen sich für den Erhalt einer Niederlassung sehr wohl um Partizipation in der österreichischen Gesellschaft bemühen, gleichzeitig aber eine Abschiebung im Raum steht. Eine ähnliche Situation, in der der Leitgedanke Integration einerseits wirksam, andererseits jedoch durch die Gesetzgebung verunmöglicht wird, besteht für jene Menschen, die auf Grund von Dublin-Bestimmungen gar nicht erst zum Asylverfahren zugelassen werden. Sie sind von der Abschiebung (bzw. spezi-
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fisch von einer Dublin-Überstellung) in das Land, durch das sie einreist sind, bedroht. Sind sie jedoch auf Grund von Einsprüchen bzw. Berufungen noch länger in Österreich, gilt auch für sie das Partizipations-Paradoxon. Die Verfahren in Österreich können viele Jahre dauern (agenda asyl 2013; Langthaler/Trauner 2009: 51ff.). Durch den längeren Aufenthalt in Österreich besteht auch für diese Menschen die Möglichkeit, um Niederlassung anzusuchen – wofür wiederum die Integration gefordert wird. Das in Österreich geltende Leitbild „Integration“ ist aus einem weiteren Grund die Ursache von Catch-22 des irregulären Aufenthalts, spezifisch des Partizipations-Widerspruchs: Die Menschen sind nämlich aufgefordert, Integrationsschritte zu setzen, bevor der legale Aufenthalt in Österreich ermöglicht wird.14 Diese aktuelle Politik manifestiert sich besonders deutlich in einer 2011 eingeführten Regelung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes: Paragraph 21 NAG besagt, dass Drittstaatsangehörige beim Wunsch für die Erteilung eines Aufenthaltstitels Deutschkenntnisse schon vor der Einreise nachweisen müssen (Plutzar 2013: 52, 56f.). 3.1.2 Die Zentralität von Identitätspapieren Eine weitere Bedingung für das unten ausgeführte Catch-22 des irregulären Aufenthalts ist die historische Entwicklung der Bedeutung der persönlichen Identifizierung. Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts begannen in Europa die Obrigkeiten (König_innen, Vögte, Bischöfe, Hauptmänner etc.) so genannte Passierscheine (,passaporti‘, ,passzettel‘ oder ,bassborten‘) für einzelne Personen als Identitätsurkunden auszustellen, und nicht mehr, wie zuvor üblich, Geleitbriefe für eine Gruppe von Personen und deren Waren (Groebner 2004: 124ff.). Mit Ende des 15. und Beginn des 16. Jahrhunderts änderte sich der Charakter solcher Ausweispapiere. War deren Besitz zuvor noch ein kostspieliges Privileg für Personen, die in offiziellem Auftrag oder mit teuren Waren unterwegs waren, wurde es mit der Zeit für immer größere Gruppen von Reisenden zu einer Pflicht, ein solches Dokument mit sich zu führen: etwa für Diplomaten, Boten, Kaufleute, Soldaten ohne Einheit, Bürger_innen auf Pilgerfahrt. Der Besitz eines – immer
14 Eine solche Politik scheint von der Annahme auszugehen, dass eine Abschottung der territorialen Grenzen gegenüber Migrant_innen möglich ist. Historische Studien legen jedoch nahe, dass es immer einen sehr großen Anteil an irregulärer Migration gibt, fast unabhängig von den staatlichen Bemühungen der Grenzsicherung (z.B. Sassen 1996), und dass Migration nur in sehr bescheidenem Ausmaß kontrolliert werden kann (vgl. Georgi o.J.: 157).
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kostenpflichtigen – Ausweises war im Europa des 15. und 16. Jahrhundert allerdings nicht die Regel. Die betreffenden Personen stellten vielmehr eine Ausnahme dar, weil sie sich nicht an dem für sie üblichen Ort aufhielten (ebd.: 126ff.). Gleichzeitig mit der Pflicht sich auszuweisen, wurden immer strengere Kontrollmechanismen etabliert und die Angaben über einzelne Personen in Registern und anderen Erfassungssystemen gesammelt (ebd.: 156). In der Habsburgermonarchie wurde im 18. Jahrhundert sowohl das Konskriptions-15 – als auch das Passwesen schrittweise weiterentwickelt. Ab 1770 führten Kreisdeputierte und Offiziere die Listung der Männer durch, ab 1777 wurden Männer und Frauen mit bestimmten Charakteristika beschrieben, bis in weiterer Folge 1857 die Volkszählungen eingeführt wurden (Wendelin 2000: 192ff.). Das Passwesen wurde Mitte des 18. Jahrhunderts staatlich geregelt, indem per Verordnung von 1746 alle Personen, die sich außerhalb des Herrschaftsgebiets ihrer Heimatgemeinde befanden, der Ausweispflicht unterlagen. Das Reisen innerhalb und außerhalb der österreichischen Erbländer regelte ab 1784 ein Auswanderungspatent: Nur bestimmte Personengruppen (z.B. der Adel, Geistliche, Honoratioren) durften sich frei zwischen den Ländern bewegen (Temmel 2006: 9ff.). Nach dem Frieden von Lunéville im Jahre 1801 wurde für alle Pass ausstellenden Behörden ein einheitliches Formular vorgeschrieben, in dem Alter, Statur, Gesicht, Haare, Augen und Nase beschrieben werden sollten. Somit wurde der „Paß zum Ausweis personaler Identität“ (Burger 2000: 5). Im selben Jahr wurden auch „Reisepässe“ für „Fremde“ eingeführt (ebd.: 76). Nach Ende des Wiener Kongresses 1815 musste im Kaisertum Österreich jede Überschreitung der Kreisgrenzen behördlich registriert werden – das System der Binnenpässe war voll ausgeformt (Temmel 2006: 11ff.). Mit Mitte des 19. Jahrhunderts mussten Inländer_innen schließlich für Reisen innerhalb der Monarchie keinen Reisepass mehr vorweisen, sondern nur „Legitimationskarten“, welche weitaus weniger Anforderungen als ein Reisepass erfüllen mussten. Durch eine weitreichende Aufhebung der Passkontrollen an den Staatsgrenzen in den Jahren 1865 und 1867 war in großen Teilen Europas bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 passloses Reisen möglich (Temmel 2006 80ff.; Burger 2000: 9). Auch im Frankreich des 19. Jahrhunderts wurden die inneren Grenzen und somit der Inlandspass abgeschafft (Noiriel 1994: 296). Gérard Noiriel (1994) stellt fest, dass in Europa mit der Herausbildung der Nationalstaaten auch eine Bürokratie der Identitätsfeststellung entlang nationaler Grenzen begann. 1889 wurde in Frankreich mit dem Staatsbürgerschaftsgesetz erstmals zwischen Franzosen und Ausländern unterschieden (Noiriel 1994: 296).
15 Aushebung zum Heeres- oder Kriegsdienst.
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Mit der Einführung des neuen Passes wurde den Staatsbürger_innen die freie Bewegung innerhalb des nationalen Territoriums ermöglicht, jedoch nicht über die Staatsgrenzen hinaus (Noiriel 1994: 296). Noiriel argumentiert, dass seit den 1880er-Jahren die nationale Identität nicht mehr ein überwiegend „spirituelles Prinzip“ war, sondern zu einer „rechtlichen und administrativen Realität“ (ebd.: 303f.) geworden war. Die Identifizierung der Menschen schritt voran. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 schwanden die passlosen Reisemöglichkeiten auf europäischem Gebiet. Die nationalen Bürokratien entwickelten Maßnahmen, um besonders „die Fremden“ zu dokumentieren und zu identifizieren. Das inkludierte Identitätskarten, die polizeiliche Registrierung, Arbeitsund Aufenthaltserlaubnisse sowie Pässe (Walters 2002: 279f.). Auch in Österreich sollte diese passrechtliche Situation mit strengen Kontrollen an den Außengrenzen über Jahrzehnte bestehen bleiben. Erst mit dem Schengener Abkommen wurde das passfreie Reisen für Österreicher_innen innerhalb der Schengen-Länder möglich (vgl. Burger 2000). Die Geschichte des Identifizierens zeigt, dass Identifikation sich schon im Mittelalter in einem Gegenstand, dem Reisepass, materialisierte. Die Echtheit der Ausweise wurde damals wie heute durch individuelle Merkmale bezeugt – in jüngster Zeit mittels Photos, Fingerabdrücken und Iris-Scan. Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an schuf die Beschleunigung der Abbildungstechniken Verhältnisse, „in denen die Beziehung zwischen visuellem Beweis, erfasstem Körper und Person und Papier neu definiert werden konnte“ (Groebner 2004: 178): Die Nummer drückte die Identität einer Person aus und war im Aufschreibesystem der Verwaltung festgehalten. Erst diese nachgewiesene Übereinstimmung zwischen Ausweis und Registrierung in einem Verwaltungssystem, machte eine Person für die Behörden authentisch.16 Die Identifikation von Personen spielt für Abschiebungen eine bedeutende Rolle. Schon an der Wende zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert wurde ein so genannter „Schubpass“ etabliert, in dem die „Schüblinge“ präzise beschrieben werden mussten (Wendelin 2000: 244f.). Der Rückkehr bereits abgeschobener Personen in das Gebiet, aus dem sie abgeschoben worden waren (die so genannte „Reversion“), wurde zu Zeiten der Habsburgermonarchie mit einer Verschärfung der Passbestimmungen begegnet (ebd.: 250). Auch heute sind Reisepässe bzw. Identitätsausweise für Abschiebungen auf mehreren Ebenen äußerst relevant.
16 Vgl. dazu Valentin Groebners (2004: 159ff.), der erläutert, warum seines Erachtens nach die Historie des Identifizierens auch vor und außerhalb der modernen Nationalstaaten interessant ist.
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(1) Die Bedeutung für die Ermöglichung grenzüberschreitender Mobilität: Unautorisierte Migrant_innen müssen einen Identitätsausweis besitzen oder in irgendeiner Weise identifiziert sein, um eine Landesgrenze bzw. eine EU-Grenze zu überschreiten und um überhaupt abgeschoben werden zu können (vgl. Kap. 3.4.1.3, „Abschiebebemühungen durch die Behörden“). Identifiziert zu sein, heißt in diesem Zusammenhang, dass ein Land die Person unter dem angegebenen Namen als seine_n Staatsbürger_in anerkennt. (2) Die Bedeutung für einen legalen Aufenthalt: Einen Ausweis zu besitzen, sprich mit einem Namen und einer Herkunft identifiziert zu sein, ist auch ausschlaggebend für das Ansuchen um Niederlassung. So ist einer der wichtigsten Punkte im Niederlassungsverfahren, wie lange man schon, vor allem legal, in Österreich lebt. (3) Die Bedeutung für Konfliktfreiheit mit dem Gesetz bzw. der Polizei: Eine Identifizierung ist notwendig, um vor polizeilichem Festhalten sowie vor Verwaltungsstrafen geschützt zu sein, da Drittstaatsangehörige in der Regel verpflichtet sind, ihren Identitätsausweis bei sich zu tragen bzw. diesen in der Nähe ihres jeweiligen Aufenthalts zu verwahren (§ 32 Abs 2 FPG 2005 BGBl l 38/2005). (4) Die Bedeutung für gesellschaftliche Partizipation: Ein Ausweis ist notwendig, um in Österreich in den grundlegendsten Aspekten am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Er ist die Basis für die verpflichtende Meldung des Wohnsitzes in Österreich (HELP.GV.AT 2015), dessen Nachweis wiederum für die Anmeldung einer Krankenversicherung, zumeist für die Schulanmeldung17, für die Meldung beim Arbeitsmarktservice (AMS Österreich) und für die Ausstellung einer Kreditkarte (beispielsweise PayLife18) vonnöten ist. Zusammenfassend kann die Bedeutung der Identitätspapiere wie folgt pointiert beschrieben werden: Ohne „Identität“ kein Ausweis. Ohne Ausweis kein Leben. Inwiefern ist diese Zentralität von Identitätspapieren aber eine Ursache für Catch-22 des irregulären Aufenthalts? Die Ermangelung eines Identitätspapiers und dessen gleichzeitige Bedeutung für das Leben in Österreich, ist eine der Hauptursachen, dass eine Person in die Situation eines Catch-22 des irregulären Aufenthaltes gerät. Catch-22 kann auch auftreten, wenn die Identität einer Per-
17 Die Schuleinschreibung ist je nach Bundesland unterschiedlich geregelt. Für die Einschreibung in die Volksschule wird üblicherweise der Meldenachweis, die Geburtsurkunde, ein Staatsbürgerschaftsnachweis, ein Nachweis des religiösen Bekenntnisses des Kindes sowie dessen Versicherungsnummer verlangt. 18 Vgl. https://www.paylife.at/de/home/service/faq/card-order_privat.html.
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son feststeht und durch einen Ausweis bestätigt ist. Ist jedoch kein Ausweis vorzeigbar, ist das Dilemma umso größer. Unautorisierte Migrant_innen beschäftigen dann folgende Fragen: Soll ich mich um Identitätspapiere bemühen, wohlwissend dass der Erhalt sowohl eine legale Niederlassung als auch die Abschiebung erleichtern kann? Soll ich möglichst den Anforderungen einer Integration entsprechen, selbst wenn derzeit keine Aussicht besteht, dass ich einen Identitätsausweis erhalte – mit der Hoffnung, dass meine Bemühungen zum Ziel des legalen Aufenthalts führen? Oder soll ich mich lieber nicht öffentlich zeigen, um nicht aufzufallen und mich somit nicht in die Gefahr zu begeben, keinen Ausweis vorweisen zu können? Dieses auf der starken Bedeutung von Identitätspapieren fußende Dilemma wird in Kapitel, 3.4.4.1, „Identitätspapiere“, näher beschrieben.
3.2 B EGINN DES D ILEMMAS SCHON VOR AUSREISEAUFFORDERUNG ?
DER
Das Phänomen Catch-22 beginnt mit der Ausreiseaufforderung, das heißt bei ehemaligen Asylwerber_innen mit dem negativen Asylbescheid und der darin ausgesprochenen Ausweisung, und kann Jahre dauern. Ein Dilemma ähnlicher Art kann schon zuvor, im Rahmen des Asylverfahrens, eintreten. Ein Beispiel: Asylwerber_innen könnte es von der Asylbehörde nachteilig ausgelegt werden, wenn sie ihre Aussagen im Asylverfahren nicht mit Dokumenten belegen. Andererseits könnte es nachteilig sein, nur manche Dokumente zur Verfügung zu haben und vorzulegen, weil daraus geschlossen werden könnte, dass die Person andere Dokumente zurückhält. In einem UNHCR-Bericht, der die Länder Belgien, Niederlande und Großbritannien analysiert, wird dies ausdrücklich als mögliche Catch-22-Situation bezeichnet. „Some applicants may be placed in a catch-22 situation whereby it may be considered adverse to their case if they provide no documentary evidence. They may, however, also be disadvantaged if they provide documentary evidence in support of some of the facts of the application, as they are then expected to provide evidence in support of all the asserted facts. In some cases reviewed, the decision-maker concluded that, since the applicant had been able to provide some evidence in support of particular aspects of his or her claim, it could be expected that she should have been able to produce documentary evidence to support all (or at least some other) aspects of the claim. In these cases, the applicant’s inability to produce further documentary evidence in support of a material fact was considered to undermine the credibility of the asserted fact. Moreover, on the whole, decision-
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makers in these cases did not request an explanation from the applicant for the lack of specific documentary evidence. Therefore, they appeared to base their finding on a nonevidence based assumption that the specific evidence was available, but not furnished by the applicant.“ (UNHCR 2013a: 21)
Es ist anzunehmen, dass ähnliche Situationen auch in Österreich auftreten. Die Schriftlichkeit und das Dokument werden in Österreich im Asylverfahren weitaus höher bewertet als mündliche Aussagen der Asylwerber_innen (Dahlvik 2013: 23f.). Die Beschreibung der Entscheidungen durch Asylbehördenmitarbeiter_innen muss im Zusammenhang mit der Asylpolitik und der Struktur des Asylsystems gesehen werden. Beides ist nicht darauf angelegt, dass Asylwerber_innen in Österreich Fuß fassen können, wie beispielsweise das Arbeitsverbot oder die zum Teil abgelegenen Unterbringungen von Asylwerber_innen zeigen (vgl. Kap. 3.1.1, „Leitbild ,Integration‘“, und Rosenberger 2011). Ähnliche Paradoxa wie jene bei der Forderung nach Dokumenten treten für Asylsuchende auch bei der Frage auf, welche Aspekte ihrer Lebensgeschichte sie im Ansuchen um Asyl herausstreichen sollen. Denn eine Einvernahme im Rahmen eines Asylverfahrens kann aus zeitlichen sowie strukturellen Bedingungen immer nur einen Teilaspekt des Lebens beleuchten. Der ehemalige Asylwerber Alex A. berichtet: „Aber das ist das Schwierige dran, […] dass du nicht gewusst hast, was hilft. Es hat Leute mit dieser Geschichte gegeben, hat mit dieser Geschichte. Alle wurden abgelehnt.“ (Mig. Alex A.: 145) Aus Sicht der Asylsuchenden besteht die Schwierigkeit vor allem darin, nicht zu wissen, was eine gute und glaubwürdige Erzählung in den Augen der Asylbehörden ausmacht. Es ist anzunehmen, dass die Erfahrung, in den Augen der Mitarbeiter_innen der Asylbehörden nicht glaubwürdig zu sein, die späteren Praktiken der Abschiebungsgefährdeten in ihrem Umgang mit den Fremdenpolizeibehörden beeinflusst. Das Asylverfahren selbst ist jedoch nicht Teil der vorliegenden Arbeit. Auf Basis meiner Untersuchungen zu ausgewiesenen Asylsuchenden kann das zentrale Phänomen ab dem Zeitpunkt der Ausweisung genauer beschrieben werden.
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3.3 W ER UND WIE VIELE SIND BETROFFEN ? – D IE B REITE DES P HÄNOMENS Das Phänomen „Catch-22 des irregulären Aufenthalts“ betrifft im Rahmen dieser Untersuchung unautorisierte Migrant_innen, die eine Aufforderung zur Ausreise erhalten haben („Abschiebungsgefährdete“). Das umfasst Personen, deren Ansuchen um Asyl oder „subsidiären Schutz“19 negativ abgeschlossen wurde, die in einem Niederlassungsverfahren einen negativen Bescheid oder in einem fremdenpolizeilichen Verfahren eine Rückkehrentscheidung, ein Aufenthaltsverbot oder einen Ausweisungsbescheid erhalten haben. Das Phänomen wird für eine Landeshauptstadt in Österreich beschrieben. Ergänzende Interviews mit Akteur_innen auf Bundesebene und die strukturellen Merkmale des Phänomens (s. Kap. 3.4, „Merkmale von Catch-22 des irregulären Aufenthalts“) verstärken jedoch den Eindruck, dass Catch-22 auch für Abschiebungsgefährdete in Wien sowie in ganz Österreich ein zentrales Merkmal des Abschiebesystems darstellt. Meine Forschung weist darauf hin, dass sich alle Abschiebungsgefährdeten, die sich nicht in die Abschiebung fügen, in diesem Dilemma befinden – zumindest potenziell. Sie sind dann von diesem Dilemma betroffen, wenn sich nicht sehr bald – am besten noch innerhalb der vierzehntägigen Frist, die ihnen nach Erhalt der Ausreiseaufforderung zur (unterstützten) Ausreise gesetzt wird – etwas an ihrem Status verändert. Ein relevanter Wechsel wäre dann der Fall, wenn sie entweder sofort nach Ablauf der Frist abgeschoben werden oder schneller als erwartet ein Aufenthaltsrecht erhalten. Der unerwartet schnelle Erhalt einer Niederlassungsbewilligung ist aus derzeitiger Sicht jedoch vor allem theoretisch möglich, in der empirischen Untersuchung wurde mir allerdings von keinem einzigen solchen Fall berichtet. Die Annahme, dass sich das Phänomen auf die gesamte Zielpopulation erstreckt, wird durch die strukturellen Bedingungen bestärkt. Diese Bedingungen liegen weder in individuellen Merkmalen der Abschiebungsgefährdeten noch in den spezifischen Bedingungen ihrer persönlichen Geschichte. Diese Faktoren spielen unter anderem eine Rolle dafür, welche Praktiken die Abschiebungsgefährdeten entwickeln, um mit dem Dilemma, in dem sie sich befinden, umzugehen. Denn die persönlichen Merkmale der Abschiebungsgefährdeten beeinflus-
19 Ein subsidiärer Schutz würde dann gewährt werden, wenn das Leben oder die Unversehrtheit des Lebens einer Person in ihrem Herkunftsstaat ernsthaft bedroht ist. Erhält eine Person den Status des subsidiär Schutzberechtigten, erhält sie ein vorübergehendes und verlängerbares Einreise- und Aufenthaltsrecht (s. § 8 Abs 1 und § 1 Abs 16 AsylG 2005 BGBl l 38/2011).
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sen die Annahmen und Entscheidungen sowie auch den Handlungsspielraum der Behördenmitarbeiter_innen. (Zum Beispiel kann das Alter für die Einschätzung über die besondere Schutzbedürftigkeit ausschlaggebend sein. Diese Praktiken werden näher in Kapitel 4, „Handlungspraxen“, erläutert.) Als Ursachen für das Dilemma wurden jedoch nicht diese individuellen Merkmale, sondern politische und strukturelle Rahmenbedingungen ausgemacht (s. Kap. 3.1, „Bedingungen von Catch-22“). Wie groß ist das Ausmaß aber nun in Zahlen, wenn hier von allen abschiebungsgefährdeten Personen in Österreich gesprochen wird? Im Folgenden wird zwischen (a) allen unautorisierten Migrant_innen und (b) irregulären Migrant_innen ohne Identitätspapiere unterschieden, da deren Vorhandensein die weiteren Merkmale des Dilemmas sowie die Folgen und Strategien unterschiedlich stark beeinflusst. a) Unautorisierte Migrant_innen in Österreich Verfügbare Daten zu irregulär in Österreich lebenden Menschen sind mit großer Vorsicht hinsichtlich ihrer Aussagekraft zu interpretieren. Das statistische Amt der EU (EUROSTAT) weist Zahlen für alle „aufgefunden Drittstaatsangehörigen mit illegalem Aufenthalt“ aus (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5: Aufgefundene Drittstaatenangehörige mit illegalem Aufenthalt in Österreich
Quelle: EUROSTAT 2016a
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Die Definition von Eurostat20 berücksichtigt jedoch nicht, ob die von der Polizei aufgegriffenen Personen gleich danach um Asyl ansuchen und dadurch zu Asylwerber_innen mit einem legalen Aufenthaltsstatus werden. Die hohe Zahl im Jahr 2015 weist überdies darauf hin, dass diese auf den Anstieg der Asylwerber_innen sowie auf die große Zahl an Personen, die in diesem Jahr gleich nach Deutschland weiterreisten21, zurückzuführen ist. Die Zahlen von Eurostat differieren wiederum zu jenen des österreichischen Bundekriminalamtes (BKA). Laut dessen Bericht „Schlepperei. Jahresbericht 2015“ ist die Zahl der „rechtswidrig eingereisten oder aufhältigen Personen“ (BKA 2016: 7) von 7.885 im Jahr 2009 auf 20.075 im Jahr 2015 (ebd.: 20), 84 Prozent dieser Personen waren männlich (ebd.: 23), gestiegen. Diese Personengruppe umfasst wiederum, wie auch die Statistiken von Eurostat, nur jene, die von der Polizei aufgegriffen wurden. Die Statistik berücksichtigt dabei jedoch nicht, dass Personen nach einem irregulären Grenzübertritt eventuell um Asyl angesucht haben.22 Gleichzeitig inkludiert die-
20 „Third country nationals found to be illegally present: Third country nationals who are detected by Member States’ authorities and have been determined to be illegally present under national laws relating to immigration (see Art 2.1 (r) and 5.1(b) of the Council Regulation (EC) no 862/2007). This category relates to persons who have been found to have entered illegally (for example by avoiding immigration controls or by employing a fraudulent document) and those who may have entered legitimately but have subsequently remained on an illegal basis (for example by overstaying their permission to remain or by taking unauthorised employment). Only persons who are apprehended or otherwise come to the attention of national immigration authorities are recorded in these statistics. These are not intended to be a measure of the total number of persons who are present in the country on an unauthorised basis. Each person is counted only once within the reference period.“ (EUROSTAT o.J.) 21 Zu den Migrationsbewegungen im Sommer und Herbst 2015 vgl. z.B. Kasparek 2017. 22 Unter „rechtswidrig eingereisten oder aufhältigen Personen“ fasst das BMI folgende Gruppen zusammen: „Fremde, bei denen festgestellt wird, dass sie sich im Bundesgebiet aufhalten, nachdem sie die Bundesgrenze ohne Hilfe eines Schleppers überschritten haben, ohne im Besitz der dafür erforderlichen Grenzpapiere zu sein, oder die an der Grenze zurückgewiesen wurden, oder gegen die eine Einreise- oder Aufenthaltsverbot erlassen wurde, oder Personen, denen die Einreise zwar gestattet wurde, deren Ausweisung aber erforderlich geworden ist, weil ihr Aufenthalt illegal geworden ist. Des Weiteren fallen darunter Personen, die in Österreich einer Beschäftigung nachgingen, ohne im Besitz eines entsprechenden Aufenthaltstitels zu sein und auch Personen, die bestehenden Einreise- oder Aufenthaltsverbotes zuwider im Bundesgebiet aufgegriffen wurden oder auch einzureisen versuchten.“ (BKA 2016: 7)
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se Zahl des BKAs nicht die Menschen, die mittels Fluchthilfe ins Bundesgebiet eingereist sind, da diese in der BKA-Statistik als „geschleppte Personen“ extra ausgewiesen werden. Für Menschen, die als unautorisierte Migrant_innen also längere Zeit in Österreich leben (und nicht nur irregulär ein- oder durch gereist sind), sind also nur Schätzungen vorhanden. Diese gehen weit auseinander, wobei jene von Michael Jandl als am zuverlässigsten angesehen werden (vgl. Kratzmann/Reyhani 2012: 80f.), obwohl die Richtigkeit mancher Vorannahmen nicht bekannt ist (Kraler/Eichel/Hollomey 2008/2009: 35). Nach Jandls Schätzungen, welche auf Basis polizeilicher Statistiken zu Tatverdächtigen errechnet worden sind, haben sich 2008 zwischen 18.40023 und 54.000 Drittstaatsangehörige ohne regulären Aufenthaltsstatus in Österreich befunden. Die Schätzungsbreite ist also relativ hoch. Die mittleren Schätzwerte fielen von 77.600 im Jahr 2001 auf 36.300 im Jahr 2008 (Jandl 2009: 10). Jandl gibt dabei keine Zahlen zur Verteilung zwischen den Geschlechtern an. Nach Angaben des Bundesministeriums für Inneres waren in den Jahren 2008 bis 2010 jeweils über drei Viertel der vorgefundenen Drittstaatsangehörigen mit illegalem Aufenthalt männlich (Kratzmann/Reyhani 2012: 75)24. Bei weitem nicht alle dieser Personen haben überhaupt je einen ihren Aufenthalt beendenden Bescheid erhalten – beispielsweise weil sie überhaupt nie in Österreich gemeldet waren. Hier zeigt sich, wie die Grenzen verschwimmen können. Wenn sie aufgegriffen werden, ist ein aufenthaltsbeendender Bescheid sehr naheliegend und sie werden automatisch abschiebungsgefährdet. Es kann auch passieren, dass einige dieser Personen angesichts der drohenden Abschiebung erst dann um Asyl ansuchen und ein Asylverfahren durchlaufen. Erst nach negativem Ausgang dieses Asylverfahrens (oder falls sie überhaupt nicht zum Asylverfahren zugelassen werden) fallen sie wieder von Neuem in die untersuchte Gruppe. b) Unautorisierte Migrant_innen mit Ausreiseaufforderung Eine spezielle Gruppe der unautorisierten Migrant_innen stellen jene Menschen dar, die eine Ausreiseaufforderung erhalten haben, gleichzeitig nicht abgeschoben werden oder werden können. Auch hier sind keine genauen Daten verfügbar, und die Anzahl der Fälle kann nur geschätzt werden. Tabelle 6 vergleicht die
23 Gerundet auf Hunderterstellen. 24 Die Zahlen im Detail: 2008: 11.095 Männer (77 %), 3.405 Frauen (23 %); 2009: 13.660 Männer (80 %), 3.485 Frauen (20 %); 2010: 12.430 Männer (82 %), 2.790 Frauen (18 %), vgl. Kratzmann/Reyhani 2012: 75.
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Zahlen jener Drittstaatsangehörigen, von denen den Behörden bekannt ist, dass sie nach einer Ausreiseaufforderung tatsächlich ausgereist sind (bestätigte Rückkehr) – sei es über eine angeordnete, so genannte „freiwillige“ Rückkehr, 25 oder über eine Abschiebung –, mit den Zahlen der zur Ausreise aufgeforderten Drittstaatsangehörigen. So wurde 2010 die Ausreise von 4.715 und 2011 die Ausreise von 3.295 Personen nicht bestätigt. Tabelle 6: Anzahl der Drittstaatsangehörigen in Österreich, die zur Ausreise aufgefordert wurden, deren tatsächliche Ausreise („Rückkehr“) jedoch nicht bestätigt wurde, 2008-2015 Zur Ausreise aufgeforderte 1 Drittstaatsangehörige Nach Ausweisung ins Herkunftsland zurückgekehrte Drittstaatsangehörige 2 (Bestätigte Rückkehr) Rückkehr wurde nicht 3 bestätigt
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
8.870
10.625
11.050
8.520
8.160
10.085
*
9.910
5.855
6.410
6.355
5.225
4.695
6.790
2480
5.275
3.015
4.215
4.695
3.295
3.465
3.295
*
4.635
*) Zahlen für 2014 nicht verfügbar Quellen: 1) EUROSTAT 2016c, 2) EUROSTAT 2016b, 3) eigene Berechnung
Diese Differenz zwischen den Ausreiseaufforderungen und den bestätigter Weise ausgereisten Personen inkludiert jene, von deren Ausreise die Behörden nicht erfahren, Personen, die eventuell in der Zeit seit der Ausreiseaufforderung eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben, sowie jene Personen, die erst im Jahr nach der Ausstellung der Ausreiseaufforderung abgeschoben worden sind (vgl. FRA 2011: 28). Die Zahl beinhaltet aber nicht jene Personen, die in den Jahren zuvor eine Ausreiseaufforderung erhalten haben und nun schon jahrelang irregu-
25 Eine zwangsweise Außerlandesbringung kann erst dann erfolgen, wenn nach einer Ausreiseaufforderung die betroffene Person weder freiwillig ausgereist ist, noch eine angeordnete Rückkehr in Anspruch genommen hat. Eine unterstützte Ausreise heißt gesetzlich „Rückkehrhilfe“. Bei einer angeordneten Rückkehr betreut eine NGO die ausgewiesene Person. Je nach NGO ist das Unterstützungsangebot unterschiedlich. Eine Rückkehrberatung jedoch immer eine individuelle Perspektivenberatung in Österreich, eine Unterstützung bei der Beschaffung von Reisedokumenten und eine erste Unterstützung im Heimatland (z.B. Zugang zu Hilfsorganisationen). Die unterstützte Ausreise kann vom Staat finanziell gefördert werden (§ 67 AsylG 2005 BGBl l 38/2011).
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lär in Österreich leben. Diese Zahlen spiegeln also nur die neu hinzukommenden Personen wider. Die Angaben sind zudem nicht hinsichtlich des Geschlechts aufgeschlüsselt verfügbar. Die in Tabelle 6 präsentierten Zahlen beziehen sich auf alle Drittstaatsangehörigen. Wie viele davon sind nun ehemalige Asylwerber_innen? Diesbezüglich ist interessant, ob eine Abschiebung als zulässig beurteilt wird. Dies ist der Fall, wenn die Refoulement-Prüfung26 negativ entschieden wird. Im Jahr 2012 waren in erster Instanz 2.248, in zweiter Instanz 4.028 Refoulement-Entscheidungen rechtskräftig negativ (s. BMI 2013a: 26). Die Zahlen für Personen, die auf Basis des Asylgesetzes abgeschoben wurden, waren bis vor kurzem nicht verfügbar. Die aktuellen Zahlen für 2012 divergieren interessanterweise je nach Quelle. Laut der vom BMI (2012b) veröffentlichten Statistik „Fremdenpolizei Visawesen“ sind insgesamt 1.853 Abschiebungen durchgeführt worden, jedoch nur 292 auf Basis einer Ausweisung nach dem AsylG. Laut einer Anfragebeantwortung Anfang 2013 wurden im Jahr 2012 461 Personen nach einem rechtskräftig negativ abgeschlossenen Asylverfahren abgeschoben, davon 404 Personen per Flugzeug (Anfragebeantwortung 13131/AB XXIV. GP: 2). In dieser Anfragebeantwortung wird auch angegeben, dass 2.053 Asylwerber_innen auf freiwilliger Basis nachweislich das Bundesgebiet verlassen haben. Werden die Zahlen der Anfragebeantwortung herangezogen, sind den Behörden von den 6.276 Personen, deren Abschiebung zulässig war, 2.514 Fälle bekannt gewesen, die bestätigter Weise ausgereist waren (durch Abschiebungen oder freiwillige Rückkehr). Somit hätten sich 3.762 Personen im Jahr 2012 in Österreich aufgehalten, nachdem ihr Asylverfahren negativ abgeschlossen, sie aber (noch) nicht abgeschoben worden waren. c) Unautorisierte Migrant_innen ohne Identitätspapiere Ein Hauptfaktor, warum eine Abschiebung nicht oder nur sehr schwer möglich ist, ist das Nicht-Vorhandensein von Identitätspapieren, wie in Kapitel 3.4.4.1, „Identitätspapiere“, erläutert wird. Es bestehen keine Statistiken, wie viele Personen auf Grund fehlender Identitätspapiere nicht abgeschoben werden können. Daher können nur Schätzungen einiger meiner Interviewpartner_innen herangezogen werden, die Zahlen gelten
26 Bedeutung der Refoulement-Prüfung: „Ist ein Asylantrag abzuweisen, hat die Behörde von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in dessen Herkunftsstaat zulässig ist.“ (BMI 2013a: 39)
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daher nur für den Zeitraum der qualitativen Untersuchung. Eine Person, die seit Jahren in der Schubhaftbetreuung tätig ist, gibt an, dass schätzungsweise fast 90 % der Personen in Schubhaft keine sie identifizierenden Dokumente besäßen (NPO Jakob J.). Im Jahr 2012 wurden in Österreich 4.966 Mal Personen in Schubhaft genommen.27 Davon wurde 198 Mal jemand auf Grund einer durchsetzbaren Ausweisung laut AsylG festgehalten, 130 Mal wegen einer durchsetzbaren Ausweisung nach einem Dublin-Fall, 14 Mal wegen eines Asyl-Folgeantrags, bei dem kein Abschiebeschutz besteht, und 3.739 Mal auf Grund eines allgemeinen Schubhafttatbestandes (der unter anderem die Sicherstellung einer Abschiebung beinhaltet). Insgesamt wären das 4.081 Schubhaftnahmen. Da es vorkommen kann, dass eine Person auch öfters in Schubhaft genommen wird, lässt sich auf Basis dieser Zahlen kein guter Schätzungswert errechnen; sie können höchstens eine Orientierung für die Größenordnung geben, wie viele Personen auf Grund fehlender Identitätspapiere in Schubhaft genommen werden. Durch zwei Interviewpartner_innen (ein Mitarbeiter eines Polizeianhaltezentrums und ein Mitarbeiter einer NPO) wird deutlich, dass überwiegend Männer von Abschiebungen mit vorangegangener Schubhaft betroffen sind. Die beiden gaben an, dass sich in den letzten Jahren vor dem Interview kaum Frauen in Schubhaft befunden hätten. Zu beachten ist, dass die meisten Schubhaftnahmen wegen eines allgemeinen Schubhafttatbestandes nicht ehemalige Asylwerber_innen betreffen. Für die gesamte Zahl unautorisierter Migrant_innen ohne Identitätspapiere ist überdies zu bedenken, dass manche Personen mehrmals in Schubhaft genommen werden (s. Exp.28 Emma H.; NPO Mia Q.), wodurch sich die Zahl der neu in Schubhaft Genommenen ohne Dokumente wohl verringert. Andererseits darf nicht außer Acht gelassen werden, dass bei weitem nicht alle Menschen in irregulären Situationen, die rechtlich oder tatsächlich nicht abgeschoben werden können, in Schubhaft genommen werden beziehungsweise dass sie gar nicht in Schubhaft genommen werden dürfen. Dies betrifft zum Beispiel Kinder, die einen hohen Prozentsatz der unautorisierten Migrant_innen ausmachen.
27 2.574 Mal im zweiten Halbjahr 2011 (vgl. BMI 2011: 4); 2.392 Mal im ersten Halbjahr 2012 (vgl. BMI 2012: 4). 28 Exp. ist das Kürzel für „Expert_in auf dem Gebiet der Menschenrechte“.
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3.4 M ERKMALE VON C ATCH -22 AUFENTHALTS
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Catch-22 zeichnet sich durch zwei zentrale Merkmale aus: zum einen die gesellschaftliche Partizipation, zum anderen die Compliance. Die beiden Merkmale werden im Weiteren im Detail vorgestellt. Je nachdem welcher Status den Abschiebungsgefährdeten von der Fremdenpolizeibehörde zugewiesen wird, und abhängig von eigenen Handlungen, von Handlungen anderer sowie von äußeren Bedingungen erfolgen neue StatusZuweisungen. Je nach Status sind die Merkmale unterschiedlich ausgeprägt. Abbildung 5 verdeutlicht den Verlauf der Statuszuweisungen und die Konsequenzen für die Ausprägungen des Dilemmas der Betroffenen. Zentral ist nach einem aufenthaltsbeendenden Bescheid und einer damit verknüpften Ausreiseaufforderung die Frage, ob Identitätsdokumente der betreffenden, nunmehr unautorisierten Migrant_innen vorhanden sind. 3.4.1 „Ohne Dokumente“ 29 Wie oben erläutert, ist in den meisten Fällen eine Abschiebung in der Praxis bzw. nach juristischem Sprachgebrauch „tatsächlich“ nicht möglich, wenn entweder ein gültiger Identitätsausweis oder ein gültiges Reisepapier fehlt. Identitäts- und Reisepapiere spielen laut einiger Interviewpartner_innen eine zentrale Rolle bei vielen Abschiebungsfällen. Broeders bezeichnet die Lokalisierung, Identifikation und Dokumentation unautorisierter Migrant_innen sogar als eine „conditio sine qua non“ für Abschiebungen (Leekers/Broeders 2013: 81).
29 Dieses Kapitel basiert zu einem Großteil auf dem von mir verfassten Artikel: Kukovetz, Brigitte (2013): Der Wunsch zu bleiben: Kein Recht dazu – keine Alternative dazu. Ein Einblick in soziale Praktiken: Warum Abschiebungen doch nicht stattfinden, in: Dahlvik, Julia; Reinprecht, Christoph; Sievers, Wiebke (Hg.): Migration und Integration – wissenschaftliche Perspektiven aus Österreich. Jahrbuch 2/2013, Wien, 261-281.
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Abbildung 5: Catch-22 des irregulären Aufenthalts: Statuszuweisungen und deren Konsequenzen für die Ausprägung von Catch-22 Aufenthaltsbeendender Bescheid und Ausreiseaufforderung Identitäts-Dokumente vorhanden? Nein
Kap. 3.4.1
Ja
Status "Dokumentenlosigkeit"
Unmöglichkeit der regulären Ausreise Kap. 3.4.1.1
Irreguläre Grenzüberschreitung Kap. 3.4.1.2
Kap. 3.4.2
Status "Mit Dokumenten"
Ersatzreisedokumente vorhanden? Kap. 3.4.1.3
Ja Status: abzuschieben
Eigenständige Ausreise
Angeordnete Rückkehr
Nein Abschiebung durchführbar? Ja
Nein Status: nicht abschiebbar und Aufenthalt befristet erlaubt
und offiziell geduldet
Kap. 3.4.1.4
und faktisch geduldet
Catch-22 - Merkmal A: Gesellschaftliche Partizipation
Kap. 3.4.2.1
Kap. 3.4.2.2.1
Kap. 3.4.2.2.2
Catch-22 - Merkmal A: Gesellschaftliche Partizipation: Dilemma ist ausgesetzt (besteht nicht, kann aber reaktiviert werden)
Grund: Aktiver Widerstand
Kap. 3.4.2.2.3
Grund: Zivilgesellschaftlicher Druck
Kap. 3.4.2.2.4
Catch-22 - Merkmal A: Gesellschaftliche Partizipation
Catch-22 - Merkmal B: Compliance Dilemma ist ausgesetzt (besteht nicht, kann aber reaktiviert werden)
Catch-22 - Merkmal B: Compliance
Abschiebung
Status: nicht abschiebbar Grund: Rechtl. Grund: Keine Grund:Schwere Unmöglichkeit sichere Reise- Krankheit/Flugd. Abschiebung bedingungen untauglichkeit
Catch-22 - Merkmal B: Compliance Dilemma eingeschränkt
Ausprägungen von Catch-22 des irregulären Aufenhalts (besteht, besteht eingeschränkt oder ist ausgesetzt)
Mit Erhalt von Ersatz-Reisedokumenten ->
Kap. 3.4.3 Kap. 3.4.4 Kap. 3.4.5
Bei Wegfall der Abschiebe-Hindernisse ->
Stauts: abzuschieben Dilemma der gesellschaftlichen Partizipation besteht (Merkmal A)
Kap. 3.4.3
Dilemma der Compliance besteht eingeschränkt (Merkmal B)
Kap. 3.4.4
Legende
Behördlich verliehener Status der unautorisierten Migrant_innen Handlungen von verschiedenen Akteur_innen (Migrant_innen, Fremdenpolizeibehörde, Zivilgesellschaft) oder externe Bedingungen Catch 22 des irregulären Aufenthalts: Merkmale A und B sowie Ausprägungen
Quelle: eigene Darstellung
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Fehlen ein Identitätsausweis und/oder ein gültiges Reisepapier, wird der betreffenden Person von den Behörden ein Status zugeschrieben, den ich hier als „Dokumentenlosigkeit“ bezeichnen möchte.30 Die Möglichkeiten und Handlungsweisen, die dazu führen, dass die Behörden den Status der Dokumentenlosigkeit zuweisen, sind vielfältig. Wie Barry Barnes in seinen Überlegungen zur Handlungsfähigkeit (Agency) ausführt, arbeiten Menschen im Alltag mit einer Komplexitätsreduktion. Sie gehen von der Rationalität ihrer Mitmenschen aus und bewerten die von anderen gesetzten Handlungen. Insofern wird eine Handlung entweder als extern beeinflusst angesehen, oder sie wird als rationale Entscheidung bewertet und den Handelnden wird die volle Verantwortlichkeit für ihr Tun zugeschrieben (Barnes 2001b; Barnes 2000). So unterscheiden auch die Beamt_innen zwischen ungewollter Dokumentenlosigkeit und absichtlicher Dokumentenlosigkeit (Kukovetz 2013). Das Fehlen von Dokumenten kann in der Situation im Herkunftsland begründet sein (teilweise werden gar keine Identitätsausweise ausgestellt), in der Geschichte der Migration oder Flucht (Grenzüberschreitungen sind oft nur mit einem falschen Pass möglich; Verlust oder Diebstahl der Papiere) oder in den eingeschränkten Einreise- und Aufenthaltsbedingungen der potenziellen Zielländer. Aus Drittstaaten, die als „sicher“ erachtet werden, gibt es kaum Möglichkeiten, legal nach Österreich einzureisen (abgesehen von touristischen Zwecken). Deshalb geben Migrant_innen teilweise einen falschen Namen und/oder Geburtsdatum an oder werfen die Identitätspapiere auf Empfehlung von Bekannten weg. Dass Dokumente weggeworfen, vernichtet oder den Behörden nicht vorgelegt werden, kann auch als eine Strategie von Migrant_innen angesehen werden, der Abschiebung zu entgehen (Lecadet 2013: 154; Leekers/Broeders 2013: 81; Spire 2004: 6). Für die Analyse der weiteren Prozesse und Handlungsmöglichkeiten für die involvierten Akteur_innen sind die möglichen Gründe, weshalb eine Person keinen Identitätsausweis vorweisen kann, jedoch nebensächlich. Von Bedeutung ist der zugewiesene Status der Dokumentenlosigkeit, der als bestimmende Kategorie für die weiteren Handlungen angesehen wird. Im Anschluss an Barnes sind somit die Zuschreibungen durch die Beamt_innen vorrangig, ob die Personen bereit sind, sich um die (Wieder-)Erlangung der Identitätspapiere zu bemühen. Erkennen die Beamt_innen eine solche Bereitschaft, klassifizieren sie dies als „Mitwirkung“ (s. Kap. 3.4.4, „Merkmal B: Compliance“).
30 Im Französischen werden Menschen in prekären Situationen bzw. unautorisierte Migrant_innen auch „sans-papiers“ („ohne Papiere“) genannt.
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Ist einmal der Status der Dokumentenlosigkeit zugeschrieben, sind die Handlungsoptionen der unautorisierten Migrant_innen hinsichtlich der Wahl des Aufenthaltsortes stark eingeschränkt: Da eine reguläre Ausreise nicht mehr möglich ist, bleibt als Alternative nur der irreguläre Grenzübertritt oder die Erlangung von Ersatzreisedokumenten. 3.4.1.1 Unmöglichkeit der regulären Ausreise Ungeachtet der individuellen Einschätzung, ob eine Einreise in das Abschiebezielland für die Abschiebungsgefährdeten aus persönlichen, familiären, sozialen, ökonomischen oder politischen Gründen möglich oder machbar erscheint, gibt es Faktoren, die eine freiwillige Ausreise aus Österreich und eine legale Einreise in ein anderes Land verunmöglichen. 1. Legale Weiterreise in ein anderes EU-Land Auf Grund der Dublin-Bestimmungen besteht für abgelehnte und ausgewiesene Asylsuchende keine Möglichkeit, in einem anderen EU-Land um Asyl anzusuchen. Allen Asylsuchenden werden im Zuge des Zulassungsverfahrens Fingerabdrücke abgenommen, wodurch sie in anderen EU-Ländern mittels einer Datenbank wieder identifizierbar sind. Wurde in Österreich das erste Mal um Asyl angesucht, würden die Personen sofort wieder nach Österreich zurückgeschickt werden. Eine Weiterreise in ein anderes EU-Land ist auf Grund der offenen Grenzen innerhalb des Schengen-Raumes möglich. Ein legaler Aufenthalt in einem anderen EU-Land ist nur dann möglich, wenn die Person den jeweiligen nationalen Bestimmungen entsprechend ein Aufenthaltsrecht erhält. 2. Legale Weiterreise in andere Drittstaaten Eine legale Ausreise in andere Drittstaaten ist für Personen ohne Identifikationspapier nicht möglich, da auch andere Drittländer niemanden ohne Reisedokumente legal einreisen lassen. 3. Legale Einreise in das Abschiebezielland a) Wird rechtlich eine Unmöglichkeit der Abschiebung festgestellt, so stehen zumeist menschenrechtliche Gründe einer Abschiebung entgegen. Diese Gründe stehen auch einer freiwilligen Rückreise in das Abschiebezielland entgegen. b) Wie in Kapitel 3.4.2.2 („Unmöglichkeit der Abschiebung in der Praxis“) angeführt, kann es auch vorkommen, dass keine Reisemöglichkeiten ins Abschiebezielland bestehen (z.B. durch fehlende Flugverbin-
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d)
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dungen oder zu viele Gefahren auf der Strecke, sodass eine Reise nur unter Lebensgefahr zu verwirklichen wäre). Die unter Kapitel 3.4.2 („,Mit Dokumenten‘“) angeführten medizinischen Gründe der Reiseuntauglichkeit oder der langfristigeren psychischen oder physischen Einschränkung stehen nicht nur einer Abschiebung, sondern auch einer freiwilligen Reise entgegen. Die Abschiebezielländer selbst haben oftmals kein Interesse an der Rückübernahme der Flüchtlinge bzw. Emigrant_innen (vgl. Beh. Felix K.). So berichtet die Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation:
„Ich habe jetzt zum Beispiel einen Inder, der war auch schon ein-, zweimal in Schubhaft, eben vor relativ langer Zeit, und die Inder stellen mir einfach kein Aufenthalts-, kein Heimreisezertifikat aus. Der war schon bei der Rückkehrberatung, die haben auch schon, also der will tatsächlich einfach nach Hause. Und die Rückkehrberatung, da haben sie auch versucht über die indische Botschaft was zu erreichen. Und die sagen halt, nein, können wir nicht, wollen wir nicht. ... und bei dem warten wir fast schon ein dreiviertel Jahr darauf, dass die Fremdenpolizei einsieht, ja das wird ja nichts mehr, den nehmen die Inder nicht mehr zurück. Und das, obwohl er sich wirklich selbst bemüht. Ja, das sind meistens so Dinge, dass man so einsieht, ja der ist nicht abschiebbar.“ (NPO Mia Q.: 155)
Weiter bezeichnet diese Interviewpartnerin den Status, in dem jemand weder legal in Österreich noch abschiebbar ist, als „rechtlicher Leerraum“. Sie schildert ein Beispiel für die Unmöglichkeit der Ausreise und somit für den Verbleib in Österreich in einem rechtlichen Leerraum: „Ja sicher, aber da gibt es halt gewisse Staaten, die lassen sich generell viel Zeit. Also, ich habe vor kurzem von einem Weißrussen gehört, der hat mir erzählt, wenn jemand drei Jahre in Österreich ist und keine ID-Dokumente mithat, dann nehmen die Weißrussen ihn nicht mehr zurück, bei den Indern und Chinesen ist es generell schwierig, die nehmen auch kaum jemanden zurück, außer man hat irgendwelche ID-Dokumente ... ja, bei Nigeria, da gibt es seit zwei Jahren oder so, schätz ich, seit zwei oder drei Jahren, gibt es da eine, gibt es da irgendeine Rückübernahmevereinbarung. Aber das war, lange Zeit war das so, dass die wirklich nicht viele Leute zurückgenommen haben, und die sind nachher, in diesem rechtlich Leerraum haben die dann in Österreich gelebt und waren jetzt irgendwie nicht legal, aber irgendwie doch nicht abschiebbar, sind alle halbe Jahre mal in Schubhaft gekommen, das war natürlich sehr unangenehm.“ (Ebd.: 157)
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3.4.1.2 Irreguläre Grenzüberschreitung Für manche Migrant_innen ist es eine Option, irregulär auszureisen. Sie erhoffen sich die Erlangung eines Aufenthaltsstatus in anderen EU-Ländern. Dies wird zum Beispiel teilweise durch Regularisierungsprogramme ermöglicht. In einer Studie des International Center for Migration Policy Development (ICMPD) im Auftrag der Europäischen Kommission wird ein Regularisierungsprogramm definiert als ein Verfahren, nach welchem Drittstaatsangehörigen in irregulären Situationen ein legaler Aufenthaltsstatus verliehen wird, welches (1) nicht Teil der regulären Migrationspolitik ist, (2) nur eine beschränkte Zeit lang durchgeführt wird und (3) nur auf eine bestimmte Gruppe an Nicht-Staatsbürger_innen31 in einer irregulären Situation abzielt (Baldwin-Edwards/Kraler 2009: 7f.). Die Migrant_innen können jedoch in keiner Weise sicher sein, unter eine solche Regelung zu fallen – nur 10,1 % aller Regularisierungsprogramme zwischen 1973 und 2008 zielten auf humanitäre Gründe ab, die unter anderem auch Migrant_innen betrafen, die nicht abschiebbar waren (FRA 2012: 14). Manche Migrant_innen könnten erwägen, irregulär in einen Drittstaat zu emigrieren. Für die irregulären Migrationsbewegungen von Österreich in andere Länder liegen jedoch keine Schätzungen vor (Kratzmann/Reyhani 2012: 81).32 Das hängt auch damit zusammen, dass nicht nur in der Politik, sondern auch in der Forschung nur Nicht-EU-Länder als „Transit-Länder“ bezeichnet werden, obwohl viele EU-Länder, unter anderem auch Österreich, für Migrant_innen ein Durchreiseland auf ihrem Weg zu anderen Zielen darstellen (Düvell 2008: 7). Die unautorisierten Migrant_innen, die ich in dieser Erhebung befragte, haben keine Überlegungen dazu geäußert, irregulär in ein anderes Land weiterreisen zu wollen. Es gab aber die eine oder andere kurze Erzählung über Bekannte, die sich nun in einem anderen europäischen Land befänden. Es wäre ein interessantes Forschungsvorhaben, bestehende Praktiken und Erwartungshaltungen der Migrant_innen in dieser Hinsicht systematisiert zu analysieren.
31 Der Begriff „Nicht-Staatsbürger_innen“ bezieht sich im Folgenden auf das jeweilige Land, in dem die Personen leben. Die betreffenden Personen können sowohl Staatenlose sein als auch Staatsbürger_innen eines anderen Landes. 32 Nur für den Sommer und Herbst 2015, als die Weiterreise nach Deutschland zum Teil auch staatlich unterstützt wurde, gibt es Schätzungen vom Bundesministerium für Inneres. So gab der Sprecher des BMIs im Oktober 2015 an, dass im September fast 200.000 Geflüchtete durch Österreich nach Deutschland weitergereist sind (DiePresse.com 2015; Kurier.at 2015).
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3.4.1.3 Abschiebebemühungen durch die Behörden Ist eine reguläre Ausreise unmöglich (vgl. Abschnitt 3.4.1.1, „Unmöglichkeit der regulären Ausreise“), und kommt für die Migrant_innen auch keine irreguläre Grenzüberschreitung in Frage (vgl. Abschnitt 3.4.1.2, „Irreguläre Grenzüberschreitung“), bleiben die Menschen unautorisiert in Österreich. In solchen Fällen versuchen die Behördenmitarbeiter_innen Ersatzreisedokumente zu bekommen, um eine Abschiebung durchführen zu können. Die Beamt_innen der Fremdenpolizeibehörde haben den gesetzlichen Auftrag, ausgewiesene Migrant_innen abzuschieben. Gibt es für diese jedoch keine gültigen Identitätsausweise und Reisepapiere, kann dieser Auftrag nicht ausgeführt werden, da die Abschiebungszielländer nur Personen mit gültigen Reisedokumenten aufnehmen. Dementsprechend hat die Fremdenpolizeibehörde (und das ihr übergeordnete Innenministerium) verschiedene Strategien entwickelt, um diese Hindernisse zu überwinden. Eine übliche Vorgehensweise ist, dass die Behörde mit den Abschiebezielländern in Kontakt tritt, um von diesen ein Ersatzreisedokument zu erhalten, mit welchem die betreffende Person abgeschoben werden kann. Diese Ersatzreisedokumente werden teilweise von den Behörden der Zielländer sehr schnell, teilweise gar nicht oder sehr spät ausgestellt. Laut Expert_innen, die in diesem Bereich arbeiten, ist die Frage, ob die Behörden Ersatzreisedokumente für die betroffenen Personen erhalten, einer der stärksten Faktoren, warum Personen mit gültigem aufenthaltsbeendenden Bescheid nicht abgeschoben werden. Die Beamt_innen befinden sich in einer gewissen Handlungsohnmacht. Sie sind bei der Ausführung des Ausweisungsauftrags, der Abschiebung, davon abhängig, ob das jeweilige Abschiebezielland für die betreffende Person ein Ersatzreisedokument ausstellt. Entsprechend einem Gespräch mit einem Behördenmitarbeiter auf nationaler Ebene gibt es je nach Abschiebezielland sehr unterschiedliche Praktiken, die sich wiederum auch schnell ändern können. (1) Mit manchen Ländern haben Österreich und die EU Rückübernahmeabkommen geschlossen.33 Darunter fallen Drittstaaten, die abgeschobene Personen
33 Bilaterale Abkommen bestehen mit Ländern der heutigen EU sowie mit Ländern wie beispielsweise Bosnien-Herzegowina (2007), Kosovo (2011), Kroatien (1998), Mazedonien (2007), Serbien (2004), Tunesien (1965). Die Europäische Gemeinschaft schloss auch Abkommen mit etwa der Ukraine (2008), der Russischen Föderation (2007), Georgien (2011) und Pakistan (2010). Für eine Liste der Länder (Stand März 2011) vergleiche die parlamentarische Anfragebeantwortung (7529/AB XXIV.GP, betreffend „aktueller Stand bei internationalen Rückführungsabkommen“, März 2011). 2013 wurden Rückübernahmeabkommen der EU mit Armenien und der Türkei (BMI
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auf die Prüfung durch Österreich hin, sprich ohne Ausstellung eines eigenen Ersatzreisedokuments, übernehmen. Der Behördenmitarbeiter auf nationaler Ebene nennt hier den Kosovo als Beispiel. Andere Länder entscheiden auf Grundlage der von Österreich übermittelten Dokumente, wie etwa Russland. (2) Bestehen keine Rückübernahmeabkommen, sind Abschiebungen erschwert. Leerkes und Broeders (2013, 81) beschreiben, dass Abschiebezielländer ausgewiesenen Personen die Wiedereinreise oft nicht erlauben, teilweise sogar selbst dann, wenn die Identität feststeht, wie dies beispielsweise in China der Fall ist. Österreich hat laut einer Befragung des European Migration Networks (EMN 2011) in folgenden Ländern Schwierigkeiten, Ersatzreisedokumente zu erlangen, bzw. wartet Österreich sehr lange auf Antworten der Behörden folgender Länder: Marokko, Algerien, Gambia, Ghana, Indien, Liberia, Volksrepublik China34. Diese Länder decken sich großteils mit jenen, welche der Behördenmitarbeiter für folgende Länderkategorien nannte: • •
Manche Länder übernehmen überhaupt keine abgeschobenen Personen und stellen keine Ersatzreisedokumente aus. Manche Länder entscheiden auf Grund von Anhörungen der Menschen, die abgeschoben werden sollen. Sie werden in die jeweiligen Botschaften geladen (oder aus der Schubhaft dorthin gebracht) und dort befragt. Oder es werden Delegationen nach Österreich geschickt, welche in Anhörungen entscheiden, ob die jeweilige Person ein Ersatzreisedokument ausgestellt bekommt oder nicht. Diese Delegationen werden von der Behörde „Expertenkommissionen“ genannt. Die Anhörungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, oft auch unter Ausschluss der österreichischen Beamt_innen, und es besteht keine Berufungsmöglichkeit. Die Entscheidungspraxen dieser Delegationen sind daher höchst intransparent und müssten eigens untersucht werden.
2015c: 77) abgeschlossen und laufende Verhandlungen mit Algerien, Aserbaidschan, Kap Verde und Marokko geführt (ebd.). Außerdem wurde seit 2011 auf nationaler Ebene ein Rückübernahmeabkommen mit Nigeria (2012, vgl. BMI 2012d: 187) geschlossen,
und
mit
mehreren
Ländern
Durchführungsprotokolle
zu
EU-
Rückübernahmeabkommen unterzeichnet: Bosnien-Herzegowina, Russische Föderation, Mazedonien, Moldau, Montenegro, Serbien, Ukraine (BMI 2012; BMI 2011d) und im Jahr 2013 mit Georgien (BMI 2015c: 77). 34 Im Januar 2012 wurde mit China ein Memorandum of Understandig über „die Zusammenarbeit bei der Identifizierung illegal aufhältiger vermutlich chinesischer Staatsangehöriger“ (BMI 2011d: 284) unterzeichnet.
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Im Falle der Beschaffung von Ersatzreisedokumenten sind die österreichischen Behördenmitarbeiter_innen also abhängig von den Abschiebezielländern. Auf der bi- und multilateralen Ebene können sich die Abhängigkeiten zwischen Einwanderungs- und Abschiebezielländern jedoch stark verändern. Hierzu müssten Rahmenbedingungen für Rückübernahmeabkommen sowie nationalstaatliche, zwischenstaatliche und internationale Politiken näher analysiert werden (vgl. dazu u.a. European Parliament 2011; Trauner/Kruse 2008). Aus den Sicherheitsberichten des BMI geht hervor, dass das BMI Botschaften bzw. Konsulate verschiedener Länder besucht, mit dem Ziel, die Ausstellung von Heimreisezertifikaten zu erleichtern bzw. zu beschleunigen, so etwa in Aserbaidschan, Bulgarien, Georgien, Ghana, Indien, dem Irak, Iran, Japan, Nigeria, Serbien, der Russischen Föderation und in Usbekistan (BMI 2011b: 284). Überdies bemüht sich das BMI um die Teilnahme an einschlägigen EU-Projekten, wie etwa EURINT – European Integrated Return Management (BMI 2014b: 56). Für Frankreich stellte Alexis Spire (2004) fest, dass das nationale Migrationsmanagement und die Forderung nach mehr Rückübernahmeabkommen seit einiger Zeit immer stärker mit Fragen der Entwicklungshilfe und des Exports verknüpft werden. Die Konsulate wiederum, so analysiert Spire, haben durch internationales Recht eine doppelte Pflicht: die eigenen Staatsangehörigen wieder aufzunehmen und die Interessen der Staatsangehörigen zu verteidigen. Aus diesem Widerspruch ergibt sich die sehr unterschiedliche Praxis der Konsulate, welche von der diplomatischen Beziehung zwischen dem Zielland, das die Konsulate vertreten, und dem Land, das die Abschiebungen durchführen möchte, abhängt. Darüber hinaus können die Konsulate in vielen Fällen die Staatszugehörigkeit nicht mit Sicherheit feststellen (ebd.). Für Österreich ist die Rolle der Konsulate noch nicht wissenschaftlich bearbeitet, einzelne Reportagen35 sowie Hinweise aus den vorliegenden Interviews legen jedoch ähnliche Zusammenhänge nahe. Festzustellen ist, dass die Motive der Konsulate für oder gegen die Ausstellung von Ersatzreisedokumenten variieren, und somit auch deren Praktiken. Spire (2004) sowie Fercher und Silbermayr (2012) berichten von wirtschaftlichen, diplomatischen und historischen Verflechtungen zwischen den abschiebenden Ländern und den Zielländern. Darüber hinaus wären weitere Motive denkbar, wie etwa persönliche finanzielle Wünsche der Konsulatsmitarbeiter_innen oder der Mitglieder von Delegationen. So werden von einem Behördenmitarbeiter Erfahrungen geäußert, dass manche Vertreter_innen von Abschiebezielländern private materielle Forderungen stellen würden (denen von den österreichischen Behörden nicht Folge geleistet werde) (vgl.
35 Vgl. Fercher/Silbermayr 2012.
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Beh. Michael R.), und von der Teilnehmerin eines Treffens eines zivilgesellschaftlichen Netzwerks wird angeführt, dass beispielsweise nach Nigeria abgeschobene Personen ins Gefängnis kämen und sich davon freikaufen könnten (Prot. Netzwerk o.J.: 120ff.). Dadurch wird die Ausstellung von Ersatzreisedokumenten zu einer Einkommensquelle. Der befragte Behördenmitarbeiter auf nationaler Ebene berichtet jedoch auch von Praktiken der österreichischen Behörden, die den jeweiligen Delegationen aus Zielländern kaum Spielraum ließen: Es gebe beispielsweise die Vorgabe, bei einer Anhörung von 20 Personen höchstens fünf Personen kein Ersatzreisedokument auszustellen (Beh. Michael R.). Während auf zwischenstaatlicher Ebene also durchaus Handlungsmächtigkeiten festzustellen sind, haben die einzelnen Beamt_innen der Fremdenpolizei keinen bis kaum einen Einfluss auf die (inter-)nationalen Entscheidungen. Wird das Einverständnis des Abschiebeziellandes, die abzuschiebende Person zu übernehmen, erhalten, wird der betreffenden Person von der Fremdenpolizeibehörde wieder der Status „abzuschieben“ zugewiesen und die Abschiebung vorbereitet (s. Kap. 4, „Handlungspraxen“). Gelingt es nicht, Ersatzreisedokumente bzw. das Einverständnis der Abschiebezielländer zu erhalten, kann keine Abschiebung durchgeführt werden. 3.4.1.4 Rechtliche Handlungsmöglichkeiten der Beamt_innen Bei Dokumentenlosigkeit stehen den österreichischen Behörden prinzipiell drei Handlungsmöglichkeiten offen: die faktische Duldung, die offizielle Duldung und die Vergabe einer befristeten Aufenthaltserlaubnis (vgl. FRA 2011: 35ff.). 1. Die faktische Duldung Als faktisch geduldet können jene Personen bezeichnet werden, die einerseits nicht abgeschoben werden können, andererseits weder eine Aufenthaltssicherheit haben noch eine schriftliche Bestätigung über den Aufschub ihrer Abschiebung erhalten (ebd.: 34). 2. Die offizielle Duldung Für jene Fälle, bei welchen die Fremdenpolizeibehörde feststellt, dass die Abschiebung tatsächlich nicht möglich ist und die betroffene Person keine Schuld daran trägt, gibt es Vorkehrungen im Fremdenpolizeigesetz.36 Die Fremdenpolizeibehörde muss dann, ebenso wie in manchen Fällen der rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung, der betreffenden Person eine so genannte Dul-
36 Vgl. §§ 9, 31, 46, 46a FPG 2005 BGBl l 38/2011.
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dung37 aussprechen. Die Duldung bedeutet kein Aufenthaltsrecht und kann von der Behörde mit Auflagen verbunden sein – beispielsweise der Verpflichtung, sich einmal pro Woche bei der Polizei zu melden. Geduldete Personen bekommen eine „Karte für Geduldete“ zum Nachweis ihrer Identität ausgestellt. Das geht beispielsweise auch mit dem Vorteil einher, dass die betreffende Person von der Post eingeschriebene Briefe (oftmals von der Niederlassungs- oder fremdenpolizeilichen Behörde) abholen kann. Die Duldung bedeutet keine Arbeitsbewilligung, eine offiziell geduldete Person kann jedoch in die Grundversorgung aufgenommen werden (vgl. Kocher/Bucher 2014). Diese Karte gilt für ein Jahr. Fallen die Gründe, die gegen eine Ausweisung gesprochen haben, weg, endet die Duldung (vor oder nach Ablauf des Jahres) und eine Abschiebung ist möglich.38 Bei Entzug der Karte ist keine Berufung möglich. Die Duldung kann auf Antrag hin jährlich verlängert werden. Nach einem Jahr kann die „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“, also eine befristete Niederlassungsbewilligung mit freiem Arbeitsmarktzugang (§ 8 Abs 1 Z 2 NAG 2005 BGBl l 38/2011), beantragt werden. Die Fremdenpolizeibehörde ist verpflichtet, eine Duldung auszustellen, wenn die Abschiebung „aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist“39, also wenn dem oder der Fremden keine Schuld dafür zuzuweisen ist, dass er oder sie nicht abgeschoben werden kann. Sollte, so definiert es das Gesetz, die Person unter anderem ihre „Identität verschleier[n]“ oder „an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirk[en] oder diese vereitel[n]40, so kann diese Person abgeschoben werden. Es bleibt jedoch der Interpretationsspielraum offen, wann eine (Nicht-)Handlung als Verschleierung der Identität oder als eine „Nicht-Mitwirkung“ angesehen wird. Erst jüngst gibt hierzu die Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte ein wenig mehr Orientierung. So kann es etwa nicht als eine „Verschleierung der Identität“ angesehen werden, wenn die Botschaft den Behörden mitteilt, dass die Identität oder Nationalität einer Person nicht bestimmt werden konnte (Lukits 2016: 44).
37 „Duldung: Aufenthalt eines nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen Fremden wird geduldet, wenn eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist.“ (BMI 2012b: 7) 38 S. Becker 2011, 88; Interview Unt. Tobias D.: 82. 39 § 46a Abs 1a FPG 2005 BGBl 38/2011. 40 § 46a Abs 1b FPG 2005 BGBl 38/2011.
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Die Duldung wurde erst mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 eingeführt. Sie kann nur von Amts wegen festgestellt werden.41 Eine offizielle Duldung wird in der Praxis selten ausgesprochen. Eine öffentlich zugängliche Statistik über die ausgestellten Duldungskarten ist für das Jahr 2013 verfügbar; 2013 wurden 351 Duldungen erteilt (BMI 2013b: 2). 3. Eine befristete Aufenthaltsbewilligung Die Niederlassungsbehörde kann einer Person im Status der Dokumentenlosigkeit dann eine befristete Aufenthaltsbewilligung ausstellen, wenn die Beschaffung der erforderlichen Nachweise „für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war“ (§ 19 Abs 8 Z 3 NAG 2005 BGBl l 38/2011). Für Personen, die auf Grund einer offiziellen Duldung schon mehrere Jahre legal in Österreich leben, besteht die Möglichkeit, um eine Rot-Weiß-Rot-Karte42 oder um eine Aufenthaltsbewilligung für besonderen Schutz (nach mindestens einem Jahr geduldeten Aufenthalts)43 anzusuchen. Die Vergabe dieser Aufenthaltsbewilligungen unterliegt Kann-Bestimmungen, und die Niederlassungsbehörde agiert hier in einem gesetzlichen Ermessensspielraum. Sie scheint den Verbleib der unautorisierten Migrant_innen im „rechtlichen Leerraum“ nur selten durch Vergaben von befristeten Aufenthaltsbewilligungen zu beenden. 2012 wurden 25 Aufenthaltsbewilligungen für besonderen Schutz unter diesem Titel verliehen (BMI 2012c) – während laut Schätzungen einige Tausend Personen sich im Status der Dokumentenlosigkeit befinden und nicht abgeschoben werden können (vgl. Kap. 3.3, „Wer und wie viele sind betroffen? – Die Breite des Phänomens“). 3.4.2 „Mit Dokumenten“ Besitzen Personen Identitätsdokumente, die ihnen die Weiterreise ermöglichen, können sie sich entweder für eine eigenständige Ausreise oder für die angeordnete Rückkehr entscheiden. Die angeordnete Rückkehr wird von den Behörden als „freiwillige“ oder „unterstützte“ Rückkehr bezeichnet. Mit dem Begriff der angeordneten Rückkehr folge ich jenem des „mandatory return“ des Europäischen Flüchtlingsrates ECRE (vgl. Cuttitta 2010: 184). Die unautorisierten Migrant_innen erhalten überwiegend organisatorische Unterstützung durch Hilfsor-
41 Ein Antragsrecht auf Duldung wurde mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 eingeführt (§ 46a Abs 4 FrÄG 2015 BGBl 70/2015). 42 Vgl. §§ 41, 41a NAG 2005 BGBl 38/2011. 43 Vgl. § 69a Abs 1 Z 1 NAG 2005 BGBl 38/2011.
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ganisationen (vgl. BMI 2012b: 7 und § 67 AsylG 2005 BGBl I 38/2011). Die Zahl der angeordneten Rückkehrer_innen ist seit den 1990er-Jahren permanent gestiegen (Kratzmann/Petzl/Temsvári 2010: 35). Wie Abbildung 4 zeigt (s. Kap. 2.2, „Zwangsweise Außerlandesbringungen – ein Überblick in Zahlen“) war die Zahl der Rückkehrer_innen ab 2009 sogar höher als jene der Abschiebungen. Dass an Stelle einer Abschiebung immer häufiger eine angeordnete Rückkehr durchgeführt wird, liegt an der Forcierung der angeordneten Rückkehr durch den österreichischen Staat (vgl. Kratzmann/Petzl/Temsvári 2010; NPO Stefan S.; Beh. Paul N.). Im Jahr 2016 wurde die angeordnete Rückkehr mit daran gekoppelten Maßnahmen zur Reintegration forciert, etwa mit dem Programm AVRR (assisted voluntary return and reintegration) und dem Projekt RESTART (Reinitegrationsunterstützung für Freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan, Pakistan und in die Russische Föderartion/Republik Tschetschenien), und seit kurzem ist Österreich dem Europäischen Reintegrationsnetzwerk (ERIN) beigetreten (Lukits 2016: 32). Katerina Kratzmann, Elisabeth Petzl und Mária Temsvári (2010: 53ff.) beschreiben auf Basis von Interviews mit Akteur_innen zur unterstützten Rückkehr verschiedene mögliche Motive, die Migrant_innen dazu veranlassen, über eine angeordnete Rückkehr auszureisen: Da wäre die Aussicht, keinen legalen Aufenthaltstitel in Österreich zu erlangen; der Wunsch, auf würdevolle Weise und nicht als Abgeschobene zurückzukehren; familienbezogene und private Belange (etwa bei Krankheit von Familienangehörigen im Herkunftsland); enttäuschte Erwartungen in Österreich; und in geringerem Ausmaß positive Veränderungen in den Herkunftsländern oder wirtschaftliche Faktoren, wenn Migrant_innen in Österreich Geld für Investitionen im Herkunftsland verdienen konnten. Nicht für alle Migrant_innen, die einen aufenthaltsbeendenden Bescheid erhalten haben und Identitätspapiere besitzen, ist die angeordnete Rückkehr oder überhaupt die eigenständige Ausreise eine Option; sie bleiben trotz drohender Abschiebung in Österreich. Bei dieser Personengruppe gibt es noch weitere Gründe, die gegen eine Abschiebung trotz gültigen aufenthaltsbeendenden Bescheids wirksam werden können. 3.4.2.1 Rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung Unter bestimmten Bedingungen dürfen manche Menschen rechtlich nicht abgeschoben werden. (1) Wenn im Falle einer Abschiebung der betreffenden Person Folter oder unmenschliche Behandlung droht, ist eine Abschiebung „aufzuschieben“. Dies tritt dann ein, wenn die Gründe für die Bedrohung beim Asylsuchenden liegen und nicht von Dauer sind. Die Abschiebung ist so lange aufzuschieben, bis diese
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individuellen Gründe nicht mehr vorliegen.44 Eine offizielle Duldung ist hiermit nicht verbunden. Menschen dürfen auch dann nicht ausgewiesen werden, wenn im Falle einer Abschiebung das Menschenrecht auf Privat- und Familienleben entsprechend der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art 8 EMRK) verletzt werden würde.45 Wird die Ausweisung (als Voraussetzung einer Abschiebung) von den Asylbehörden bzw. -gerichten (in zweiter Instanz) als auf Dauer unzulässig angesehen, erhalten sie eine Niederlassungsbewilligung.46 Wird die Ausweisung jedoch nur als unzulässig angesehen (und nicht „auf Dauer“ unzulässig), ist laut einer Rechtsexpertin in diesem Bereich damit kein Aufenthaltsrecht verknüpft. Auch hier wird keine offizielle Duldung ausgesprochen. (2) Menschen dürfen nicht ausgewiesen werden, wenn deren Leben, Freiheit oder Unversehrtheit stark beeinträchtigt oder bedroht wäre.47 Menschen, die nach dem Fremdenpolizeigesetz kein Aufenthaltsrecht haben, dürfen auch dann nicht ausgewiesen werden, wenn ihr Leben oder ihre Freiheit laut Art 3371 Konvention zur Rechtsstellung der Flüchtlinge bedroht ist48 oder wenn eine vorläufige Maßnahme durch den EGMR49 vorliegt.50 In diesen Fällen muss laut Fremdenpolizeigesetz eine offizielle Duldung verliehen werden.51
44 Vgl. § 10 Abs 3 AsylG 2005 BGBl l 38/2011. 45 Vgl. § 10 Abs 2 Z 2 AsylG 2005 BGBl l 38/2011. 46 Gemäß § 44a NAG 2005 BGBl l 38/2011 und § 22 Abs 9 AsylG 2005 BGBl l 38/2011. 47 Eine Abschiebung wird mit Verweis auf Art 2 oder 3 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention), und die Zusatzprotokolle 6 und 13 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe als unzulässig angesehen, oder auf Grund der ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts (vgl. § 9 Abs 2 AsylG 2005 BGBl l 38/2011; § 50 Abs 1 und 2 FPG 2005 BGBl l 38/20119 Abs 2 AsylG 2005 BGBl l 38/2011). 48 § 50 Abs 2 FPG 2005 BGBl l 38/2011. 49 Eine vorläufige Maßnahme („interim measure“) durch den Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bedeutet in den meisten Fällen, dass ein Staat angehalten wird, den Beschwerdeführer oder die Beschwerdeführerin nicht abzuschieben (vgl. ECHR 2012; vgl. § 50 Abs 3 FPG 2005 BGBl l 38/2011). 50 Vgl. § 50 Abs 3 FPG 2005 BGBl l 38/2011. 51 Vgl. § 46a Abs 1 FPG 2005 BGBl l 38/2011.
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3.4.2.2 Unmöglichkeit der Abschiebung in der Praxis In anderen Fällen ist eine Abschiebung zwar rechtlich, jedoch nicht in der Praxis möglich, bzw. wird aus verschiedensten Gründen nicht durchgeführt. Dies ist bei den folgenden vier Szenarien der Fall: (1) In einem aktuellen Bericht der Europäischen Menschenrechtsagentur wird das Fehlen sicherer und vernünftiger Reisemöglichkeiten oder Ankunftsbedingungen als Grund angeführt, warum Abschiebungen nicht vollzogen werden (FRA 2011: 32). (2) Expert_innen, Behördenmitarbeiter_innen, Vertreter_innen von NGOs und private Unterstützer_innen von Menschen in prekären Situationen führen hauptsächlich Fälle an, bei denen die betreffende Person wegen schwerer Krankheit oder kurzfristiger Fluguntauglichkeit auf Grund ihres physischen oder psychischen gesundheitlichen Zustandes nicht abgeschoben wird. (3) Des Weiteren kann ein Abschiebungsprozess auf Grund des aktiven Widerstandes der betroffenen Person abgebrochen werden, wodurch die Abschiebung kurzfristig (unter bestimmten Bedingungen in weiterer Folge auch mitteloder langfristig) nicht möglich ist. Solche Widerstände reichen von Fortlaufen oder Verstecken, um einer Festnahme durch die Polizei zu entgehen, über Selbstverletzungen (die zur Fluguntauglichkeit führen) bis zur Weigerung in das Flugzeug einzusteigen oder der lauten und teilweise physischen Kundgabe, dass die Reise nicht freiwillig geschehe (was zu einer Weigerung des Piloten oder der Pilotin führen kann, die Person mitzunehmen).52 Auch Proteste von Mitfliegenden können zu einem Abbruch der Abschiebung führen. (4) Manche Abschiebungen finden auf Grund zivilgesellschaftlichen und infolgedessen oftmals politischen Drucks nicht statt, wie ein Behördenmitarbeiter ausführt. Angesichts der teilweise sehr öffentlichkeitswirksamen Strategien der Unterstützer_innen in der Zivilgesellschaft (Rosenberger/Winkler 2012) wird medial der Eindruck vermittelt, dass diese Formen des Protests die Hauptgründe seien, warum Abschiebungen nicht durchgeführt würden. In den eben genannten Fällen wird von der Fremdenpolizeibehörde, manchmal offiziell, manchmal nicht offiziell, der Status der Nicht-Abschiebbarkeit zugewiesen. Sowohl bei rechtlichen (Kap. 3.4.2.1, „Rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung“) als auch praktischen Gründen (Kap. 3.4.2.2, „Unmöglichkeit der Abschiebung in der Praxis“) können die Abschiebe-Hindernisse auch wieder
52 Mehrere Interviewpassagen von Menschen in prekären Situationen und Expert_innen verweisen auf diese Möglichkeiten.
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wegfallen: Die Person kann gesund werden; die Reisemöglichkeiten für das betreffende Land ändern sich; der aktive Widerstand bzw. dessen Folgen (z.B. ein versäumter Flug) werden von den Fremdenpolizeibehörden überwunden (s. Kap. 4, „Handlungspraxen“); die öffentliche Meinung zum betreffenden Fall ändert sich und insofern auch die politischen Reaktionen und Einflussnahmen auf die politische Praxis. Fallen diese Abschiebe-Hindernisse also weg, befindet sich der/die unautorisierte Migrant_in wieder im Status „abzuschieben“. Wie aufgezeigt sind sowohl unautorisierte Migrant_innen mit Dokumenten als auch jene im Status der Dokumentenlosigkeit nicht. Sie befinden sich somit im Catch-22 des irregulären Aufenthalts. Diese Situation hat zwei zentrale Merkmale, die in jeweils unterschiedlichen Ausprägungen (je nach Vorbedingungen) auftreten können. 3.4.3 Merkmal A: Gesellschaftliche Partizipation Für die Erlangung eines Aufenthaltsrechts ist Integration erforderlich: Deutschkenntnisse, Schulbesuch, gute Ergebnisse in der Schule, Ausbildung, Arbeit, soziale Kontakte. Dies sind alles Faktoren für eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft. Um nicht abgeschoben zu werden, erscheint es jedoch sinnvoller, nicht gesehen zu werden, unauffällig zu leben – was folgt, ist genau das Gegenteil der notwendigen Integration. Die Menschen handeln daher zwischen zwei Polen gesellschaftlicher Partizipation: Ist diese groß, wird von Integration gesprochen. Ist diese gering, ermöglicht das den unautorisierten Migrant_innen am ehesten, auch für die Behörden „unsichtbar“ zu sein. In Anlehnung an die eingangs beschriebene Definition von Catch-22 („no work unless you have an agent, no agent unless you’ve worked“) kann für Catch-22 des irregulären Aufenthalts gesagt werden: „Kein Aufenthaltsrecht ohne gesellschaftliche Partizipation, ohne Aufenthaltsrecht keine gesellschaftliche Partizipation (möglich).“ Die Interviews mit (teilweise ehemals) Abschiebungsgefährdeten ergaben, dass sehr viele versuchen, sich nach Einlangen der Aufforderung zur Ausreise nur für die notwendigsten Aktivitäten außer Haus zu begeben. I: „Und wie bist du mit dieser Gefahr umgegangen, dass dich jederzeit die Polizei finden könnte?“ Sophie F.: „Einfach zu Hause sitzen wir die ganze Zeit.“ I: „Immer zu Hause geblieben?“ Sophie F.: „Wir haben so Angst gehabt, einfach [...] Ich war bei E. Wir waren bei meiner Freundin. Sie wohnt in [Stadt anonymisiert, Anm. B.K.]. Sie hat fünf Kinder, und meine zwei auch, und ich auch, gemeinsam gewohnt. Und die Kinder von meiner Freundin
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möchten rausgehen und spielen wie normal. Das ist in der Nähe von dem A.-Park53. Die spielen im A.-Park so. Aber da ist immer auch Polizei. Dann habe ich Angst. Meine Kinder selber möchten nicht rausgehen. Sie sagen: Nein, wir gehen nicht. Sie sitzen, die ganze Zeit. Viel zu Hause. Und Angst und Stress.“ (Mig. Sophie F.: 100-103)
Diese durch Angst vor polizeilicher Kontrolle entstehende Isolation steht diametral zu den Anforderungen, die erfüllt werden sollten, um eine Niederlassung zu erhalten. Denn jegliche Integrationsanstrengung ist zumindest mit der Involvierung einer Teilöffentlichkeit und zuallermeist mit Tätigkeiten außer Haus verbunden. So ist es mittlerweile gang und gäbe, für den Erhalt einer Niederlassungsbewilligung Unterstützungserklärungen von Österreicher_innen beizulegen. Diese sozialen Kontakte sind nur durch Kommunikation nach außen überhaupt erst aufzubauen – und bedürfen oft längerfristiger Interaktionen. „Also für diese Niederlassungsbewilligung, also für diese Ansuchen, war es auch notwendig, Unterstützungserklärungen beizubringen. Also net nur diese ausgefüllten Formulare, und dieses Geld, und was man halt alles braucht, und die Dokumente. Sondern Unterstützungserklärungen. Das heißt also, wir Mitbürger sind aufgerufen, zu bezeugen, dass wir ihn kennen, wir einen Umgang mit ihm haben, und wir uns aus bestimmten Gründen, die man halt da benennen soll, dafür einsetzen, dass er hier bleiben kann.“ (Unt. Nina V.: 275)
Zentral bei den Integrationsanstrengungen sind die Deutschkenntnisse, wie auch der öffentliche Diskurs zeigt. Trefflich formuliert es eine Interviewpartnerin, die darauf hinweist, dass ALLE Abschiebungsgefährdeten versuchen, sich Deutschkenntnisse anzueignen: „Und [ich] versuche wie alle anderen: Deutschprüfung habe ich gemacht.“ (Mig. Sophie. F.: 204) Integrationsanstrengungen werden nicht nur von den erwachsenen Personen verlangt, auch die Kinder spielen eine wichtige Rolle. Ihnen wird eine große Verantwortung beim Beweis der Integrationsbemühungen der Familie und somit für den Erhalt einer Niederlassungsbewilligung übertragen. Eine Mutter aus einer nordkaukasischen Republik erzählt im Interview stolz von ihren braven Kindern:
53 Anonymisiert.
116 | I RREGULÄRE L EBEN I: „Und du redest [Landessprache D54] mit ihnen? Oder?“ Sophie F.: „[Landessprache E], zu Hause, aber in der Schule und überall, lesen und alles, meine Kinder können nur auf Deutsch. Auf Russisch nur so sprechen. Aber Lesen und Schreiben können sie nur auf Deutsch. Ganz gut können beide Deutsch. Und in der Schule, Kindergarten und Schule haben wir so, so viele Menschen. Ich habe so Papiere, von diesem Heim, der Chefin. Alle haben ganz gut geschrieben. Dass ich so brav war und so eine gute Frau. Meine Kinder auch. Ich habe liebe Kinder. Und überall: in der Schule brav, lernen gut. Und mit den anderen Kindern guten Kontakt. Keine Probleme.“ (Ebd.: 133f.)
Und später im Gespräch erzählt sie von ihrem ältesten Sohn: „Dann sagt er jetzt immer: Meinen ersten Schultag vergesse ich nicht. Weil alle, alle anderen Kinder sitzen mit den ganzen Schulsachen, und Schultasche bekommen, so wie in Schule. Er sitzt, versteht kein Wort. Er hat das alles geschafft. Und in der ersten Klasse am Ende hat er ganz gute Noten bekommen. So viel, so schnell Deutsch gelernt.“ (Ebd.: 136)
Ganz allgemein wird auch eine möglichst fundierte Ausbildung als positiv für ein potenzielles Aufenthaltsrecht gewertet, sowohl im Gesetz (§ 41a Abs 10 NAG 2005 BGBl l 38/2011), als auch in der Wahrnehmung der Unterstützer_innen. Einerseits steht die Ausbildung als Wert an sich, andererseits ist sie wichtig, um ein ausreichendes Einkommen für die eigenen Ausgaben nachweisen zu können (Selbsterhalt): „Und zu diesem Zweck hat er ja auch die Schweißer-Ausbildung begonnen, die jetzt im Dezember fertig werden wird. Und ob er als Schweißer irgendetwas kriegen wird mit dieser, mit diesem Einkommen.“ (Unt. Nina V.: 189)
Auch die strafrechtliche Unbescholtenheit (u.a. § 11 Abs 3 Z 6 NAG 2005 BGBl l 38/2011) ist von Relevanz, bzw. dass der Aufenthalt der betreffenden Person nicht „die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde“ (§ 11 Abs 4 Z 1 NAG 2005 BGBl l 38/2011), oder dass die Person kein „Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat“ (§ 11 Abs 4 Z 2 NAG 2005 BGBl l 38/2011). Dabei ist die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht näher definiert, sodass darunter viele verschiedene Aspekte fallen können. Insofern ist den unautorisierten Migrant_innen, die sich um eine Legalisierung ihres Aufenthalts bemühen, ihre Unbescholtenheit in vielerlei Hin-
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sicht wichtig („Ich habe noch nie Probleme gehabt in Österreich“ [Mig. Sophie F.: 134]). Relevant sind dabei Bescheinigungen und Bekundungen von Heimleiter_innen, Direktor_innen, Lehrer_innen oder Bekannten darüber, wie gut sich die betreffenden Personen verhalten würden. Auf einer informelleren Basis scheint ein weiteres Argument zum Beweis der Integrationswilligkeit wichtig zu sein, welches nicht explizit im Gesetz erwähnt wird: Von Unterstützer_innen wird die richtige Religionszugehörigkeit angeführt. So sagt Unterstützer Tobias D. über einen Abschiebungsgefährdeten, er sei ein „hochanständiger Mensch“ gewesen und „in die Kirche gegangen“ (Unt. Tobias D.: 32). Auch im Rahmen der Integrationsbemühungen kommt es zu Paradoxa, die durch gegenseitige Bezüge innerhalb von verschiedenen gesetzlichen und behördlichen Bestimmungen zu begründen sind. „Und wir bemühen uns verzweifelt, einerseits eine Arbeit für sie zu finden, und andererseits eine Niederlassungsbewilligung, nur geht das in so einem, mit so einem Fall nicht so einfach. Jetzt, ein legaler Aufenthalt wäre einmal das Mindeste, sozusagen. Damit man dem Arbeitgeber gegenüber sagen kann, sie darf eh. Jetzt darf sie ja gar nicht. Sie ist nach wie vor nicht legal da.“ (Unt. Tobias D.: 15)
Tobias D. schildert die Situation, wie sie sich für Abschiebungsgefährdete darstellt. Die Chance auf einen legalen Aufenthalt ist nur dann real gegeben, wenn die Person eine Arbeit hat (vgl. die Verpflichtung, sich selbst erhalten zu können). Für eine legale Arbeit fehlt ihr jedoch die Beschäftigungsbewilligung, für die ein legaler Aufenthalt oder eine Duldung gemäß FPG Grundvoraussetzung ist (vgl. § 4 Abs1 Z 1 AuslBG 1975 BGBl l 25/2011). Auch ehrenamtliche Arbeit kann von der Niederlassungsbehörde als positiv bewertet werden55, teilweise auch illegale Arbeit. Gleichzeitig kann illegale Arbeit eine große Gefahr dahingehend darstellen, von der Fremdenpolizeibehörde aufgegriffen zu werden (z.B. durch Routine-Kontrollen oder durch Anzeigen Dritter). In weiterer Folge ist eine Abschiebung möglich. „Dann hat er immer gearbeitet als Zeitungsausträger, aber jetzt nicht unmittelbar bei den Vertriebsfirmen, aber immer als Stellvertreter für irgendjemanden, weil er eben auch nicht offiziell arbeiten durfte, ja. Das heißt er hat de facto, er hat gar nicht so schlecht verdient in Summe, also es sind dann doch sechs bis sieben bis acht hundert Euro zusammenge-
55 Vgl. auch aktuelle Novelle des Staatsbürgerschaftsgesetzes mit früheren Einbürgerungsfristen für all jene, die sich ehrenamtlich engagieren (vgl. HELP.GV.AT 2013).
118 | I RREGULÄRE L EBEN kommen. Aber die durfte er offiziell gar nicht haben. Und so weiter. Also das sind so die Verstrickungen…“ (Unt. Tobias D.: 32)
Die Tätigkeit als Zeitungsausträger trägt zu einer leichteren Integration in die Gesellschaft bei. Durch die Arbeit selbst ist zwar keine größere Interaktion mit der österreichischen Mehrheitsgesellschaft gegeben, doch überhaupt zu arbeiten wirkt integrativ: Zeitungen auszutragen ist für Asylwerber_innen ein Einstiegsberuf in die Arbeitswelt (Aberer 2006: 112). Für irreguläre Migrant_innen bedeutet das Zeitungsaustragen zumindest eine Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren. Teilweise konnten die Anstrengungen, sich zu etablieren und ein „normales“ Leben zu führen bzw. sich „selbst zu erhalten“, wie es im Gesetz als „Selbsterhaltungsfähigkeit“ erwünscht wird, vor der Niederlassungsbehörde aber nicht ins Treffen geführt werden (s. obiges Zitat), da die Arbeit offiziell nicht erlaubt war. Spezifikum: Dilemma bei der Entscheidung über die Wohnsituation Das Thema „Integration“ spielt auch in der Entscheidung über die Wohnsituation eine Rolle. Mit dem negativen Ende eines Asylverfahrens endet zumeist auch die Möglichkeit, in einer Unterkunft mittels der so genannten „Grundversorgung“56 zu wohnen. Nur in jenen Fällen, in denen die Behörde festlegt, dass die Person „aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar“ (Art 2 Abs 1 Z 2, Z 4 Grundversorgungsvereinbarung – Art 15a B-VG 2004) ist, deren Aufenthalt also offiziell geduldet wird, ist laut Gesetz weiterhin eine Grundversorgung zu gewähren. Die Aufnahme in die Grundversorgung wird in den meisten Bundesländern (Kärnten Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg) eingeschränkt oder entzogen, wenn die Behördenmitarbeiter_innen feststellen, dass die ausgewiesenen Migrant_innen bei den Erhebungen nicht mit den Behörden kooperieren (Lukits 2016: 28). Auch im Falle bestimmter gerichtlich strafbarer Handlungen kann die Unterstützung eingeschränkt oder sogar ver-
56 Grundversorgung wird Asylwerber_innen gewährt, wenn sie hilfs- und schutzbedürftig sind. Sie umfasst die Unterbringung, die Verpflegung, ein monatliches Taschengeld im Fall der Unterbringung in organisierten Unterkünften, die Sicherung der Krankenversorgung sowie die Übernahme von Kosten für Schulbedarf, Bekleidung, eines ortsüblichen Begräbnisses, Rückkehrberatung und Übernahme von Reisekosten sowie eine einmalige Überbrückungshilfe bei einer Rückkehr (vgl. Grundversorgungsvereinbarung – Art 15a B-VG).
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wehrt werden.57 Bekommt der/die unautorisierte Migrant_in keine Grundversorgung, muss die Person sich eine private Unterkunft suchen, sei es bei Bekannten, Verwandten, in der Notunterkunft eines gemeinnützigen Vereins oder privat finanziert. In Einzelfällen wird also auch nach einem negativen Asylbescheid Grundversorgung gewährt, beispielsweise bei zum Zeitpunkt der Antragsstellung unbegleiteten Minderjährigen. Für diese Personen besteht die Möglichkeit, zwischen einer organisierten Unterkunft und einer privaten Unterbringung mit kleinem staatlichen Mietzuschuss zu wählen.58 In beiden Fällen kann die Entscheidung negative Folgen nach sich ziehen, wie das folgende Beispiel illustriert. Ein abschiebungsgefährdeter Minderjähriger und seine Freundin sprechen über die Entscheidung des Abschiebungsgefährdeten, im Heim oder privat bei der Freundin zu wohnen. Die eine Alternative – das Heim – würde bedeuten, dass er die Möglichkeit hätte, weiterhin ehrenamtlich für den gemeinnützigen Verein zu arbeiten und dafür ein kleines Taschengeld zu erhalten. Es gibt jedoch auch die Kehrseite, nämlich die Befürchtung, von den Behörden leichter mit illegalen Tätigkeiten der Mitbewohner_innen in Verbindung gebracht zu werden. So berichtet die Freundin eines Abschiebungsgefährdeten im gemeinsamen Gespräch: „Ja. Aber es ist auch, also es hat seine Nachteile, wenn man im Heim gemeldet ist, mit Mitbewohnern. Wenn die jetzt zum Beispiel was mit der Polizei zu tun haben, dann wird man immer mit einbezogen. Und das ist einfach, kommt mir vor jetzt, eine gewisse Sicherheit, wenn er da [bei mir, Anm. B.K.] gemeldet ist, als wenn er im Heim gemeldet ist. Wo ein Mitbewohner dabei ist, der vielleicht jetzt da was mit der Polizei zu tun hat wegen anderen Sachen, illegalen Sachen oder so.“ (Unt. Lisa U.: 361)
Zur Erläuterung dieses Zitats sei an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht, wie private Unterstützer_innen und Behördenmitarbeiter_innen den Begriff der Illegalität zum Teil unterschiedlich verwenden. Lisa U. unterscheidet zwischen „illegalen Sachen“, womit sie im weiteren Zusammenhang des Interviews beispielsweise Drogendelikte meint, und dem irregulären Aufenthalt, welchen sie an sich nicht als „illegal“ wertet. Die Behörden hingegen sprechen bei einem Aufenthalt trotz Ausreiseaufforderung von einem „illegalen Aufenthalt“ (vgl. die Interviews mit Behördenmitarbeitern).
57 Vgl. Art 2 Abs 4 Grundversorgungsvereinbarung – Art 15a B-VG. 58 Diese „Wahl“ wird nicht immer den betreffenden Personen überlassen. In vielen Fällen entscheidet das zuständige Bundesland.
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Das Heim wird also nicht als gute Wohnmöglichkeit erachtet. Die Alternative dazu, die private Unterkunft bei der Freundin, ist jedoch mit höheren Kosten verbunden: Denn selbst wenn die Freundin die Miete gänzlich bezahlen würde, blieben Kosten für Essen sowie der entgangene Zusatzverdienst durch die Tätigkeiten im Heim. Eine Teilung der Wohnkosten zwischen ihm und der Freundin ist nicht möglich. Denn obwohl Personen in einer Grundversorgung im Falle einer privaten Unterkunft ein Mietzuschuss gewährt wird, ist dies nur der Fall, wenn die betreffende Person einen Mietvertrag vorweisen kann. So erklärt Thomas U: Thomas U.: „… Und damals habe ich auch bei [gemeinnütziger Verein, Anm. B.K.] gearbeitet, ehrenamtlich. Und als ich, danach haben sie mir dann 150 gezahlt. Immer. Bis jetzt. Aber jetzt zurzeit nichts mehr, weil ich bin nicht mehr im Heim. Weil ich wohne privat, und dann haben sie gesagt, dass ich schon könnte. Sie werden mir 320,- zahlen, wenn ich in dem Mietvertrag von dem Haus bin. Aber dann der Hausmeister, ah, der Haus-.“ Lisa U. (Freundin von Thomas U.): „-besitzer.“ Thomas U.: „Hausbesitzer hat gesagt, nein, das wünschen sie nicht. Und deswegen bekomme ich jetzt keine Unterstützung von [gemeinnütziger Verein, Anm. B.K.].“ Lisa U.: „Der Hausbesitzer will für jede Wohnung nur einen Hauptmieter. Und keinen Untermieter.“ I: „Ahso. Okay. Und wenn Sie offiziell Untermieter wären, dann würde [gemeinnütziger Verein, Anm. B.K.] mehr zahlen?“ Thomas U.: „Ja. Ja.“ (Mig. Thomas U. und Unt. Lisa U.: 185-190)
Einen Mietvertrag zu bekommen, kann also der Realität des Wohnungsmarktes entgegenstehen. Sei es, dass Hauseigentümer_innen keine Untervermietungen erlauben oder Hauseigentümer_innen beispielsweise nicht bereit sind, mit einer irregulär aufhältigen Person einen Mietvertrag abzuschließen. Die Entscheidung des Abschiebungsgefährdeten Thomas U., mit seiner österreichischen Freundin zusammenzuwohnen, und dadurch auch seine „Integration“ unter Beweis zu stellen, ist also nicht frei von Restriktionen. In diesem Fall spielen die Logiken von Niederlassung und Fremdenpolizei zusammen. Nach der Logik der Niederlassungsbehörde ist die Teilhabe an der österreichischen Gesellschaft Erfolg versprechend („Integration“ durch das Zusammenleben mit der österreichischen Freundin unter Beweis zu stellen). Und auch nach der Logik der Fremdenpolizeibehörde sollte eine Assoziation mit strafrechtlichen Vergehen möglichst vermieden werden (Zusammenleben mit
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Personen, die zumindest in der Außensicht „mit der Polizei zu tun [haben] wegen anderer Sachen, illegalen Sachen“, Unt. Lisa U.: 361). Die paradoxe Situation entsteht in diesem Fall dadurch, dass egal welche Entscheidung getroffen wird, diese nicht ohne negative Konsequenzen auf Grund anderer behördlicher Bestimmungen möglich ist: Das allgemeine Arbeitsverbot für irregulär aufhältige Personen geht damit einher, dass der Verdienst eines Taschengeldes von der Unterbringung im Heim abhängig ist, die Auszahlung eines „Mietzuschusses“ ist von der Nennung im Mietvertrag abhängig. Erschwerend kommt die Diskriminierung am Wohnungsmarkt (vgl. Volf/Bauböck: 251f.) hinzu, wodurch Ausländer_innen etwa eine Nennung im Mietvertrag oftmals verunmöglicht wird. Neben dem Merkmal „Gesellschaftliche Partizipation“ von Catch-22 des irregulären Aufenthalts besteht diesbezüglich noch ein zweites Merkmal – jenes der Compliance. 3.4.4 Merkmal B: Compliance Während des von den Behörden zugeschriebenen Status „abzuschieben“ bzw. „illegal aufhältig“ können verschiedene behördliche Verfahren gleichzeitig laufen, wobei diese nicht unbedingt miteinander in Verbindung stehen. Die Niederlassungsbehörde (in Österreich in der Zuständigkeit der Länder) führt ein Niederlassungsverfahren durch (welches entweder schon vor der Aufforderung zur Ausreise oder danach beantragt wird), die Fremdenpolizeibehörde führt möglicherweise gleichzeitig ein Verfahren mit dem Ziel der Außerlandesbringung durch. Beide Behörden gehen davon aus, dass die Abschiebungsgefährdeten verpflichtet sind, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um das Verfahren zu erleichtern. Sie sollen mit den Behörden „kooperieren“, beziehungsweise an den behördlichen Verfahren „mitwirken“, wie es in behördlicher Sprache heißt. Eine so genannte Mitwirkungspflicht ist sowohl im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz als auch im Fremdenpolizeigesetz festgeschrieben. Die Abschiebungsgefährdeten stehen bei jeder Handlung bzw. bei jeder Aktivität von Seiten der Behörde vor der Entscheidung, wie hoch ihre persönliche Compliance ist, das heißt, wie stark sie sich selbst an den behördlichen Maßnahmen beteiligen sollen. Damit einher gehen Überlegungen zu den Vor- oder Nachteilen, die ein eigener Beitrag zu den behördlichen Untersuchungen (oder die Unterlassung eines eigenen Beitrags) nach sich ziehen würde oder könnte. Ein zentraler Moment bei der Compliance ist die Frage, welche Handlungsmöglichkeiten die unautorisierten Migrant_innen haben. Bei verschiedenen As-
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pekten entscheiden sie selbst, welche Antworten sie geben, welche Unterlagen sie den Behörden weiterreichen, wo sie sich wann aufhalten. Gleichzeitig ist ihre Handlungsmacht oftmals stark eingeschränkt – sei es durch Gegebenheiten in den Herkunftsländern, durch eigenes früheres Verhalten oder durch das Verhalten der österreichischen Behörden. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist beispielsweise das verbreitete Vorgehen von Fremdenpolizeibehörden, den unautorisierten Migrant_innen ihre Ausweise im Vorfeld einer anvisierten Abschiebung abzunehmen, wie Unterstützer von Migrant_innen berichten. Die persönliche Autonomie der Menschen wird dadurch stark eingeschränkt, da Ausweise für die Bewältigung des Alltagslebens in Österreich unabdingbar sind (vgl. Kap. 3.1.2, „Die Zentralität von Identitätspapieren“). 3.4.4.1 Identitätspapiere Das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein von Identitätspapieren ist ein zentraler Aspekt in diesem Dilemma zwischen Bemühungen um eine Niederlassungsbewilligung und der Verhinderung einer bevorstehenden Abschiebung. Ohne Identitätspapiere verringert sich die Chance auf ein Aufenthaltsrecht.59 Gleichzeitig ist das Nicht-Vorhandensein von Identitätspapieren (ID-Papieren) der Hauptgrund, warum Abschiebungen nicht zu Stande kommen können, da die Abschiebe-Zielländer die betreffenden Personen in diesem Fall nicht aufnehmen (s. Kap. 3.4.1, „,Ohne Dokumente‘“). Abschiebungsgefährdete sind daher erneut vor ein Dilemma gestellt, das darin besteht, welcher Logik sie Folge leisten sollen: jener der Niederlassung – für die ein Identitätspapier notwendig ist, um ein Aufenthaltsrecht zu erlangen – oder jener der Fremdenpolizei – wofür umgekehrt ein Identitätspapier für die Behörden notwendig ist, um den Aufenthalt zwangsweise zu beenden. Bestimmte Handlungen können also eine Abschiebung verhindern (z.B. das Nicht-Vorzeigen und Nicht-Beschaffen von Identitätspapieren), bringen die unautorisierten Migrant_innen aber gleichzeitig weiter weg von einer Niederlassungsbewilligung. Dies ist für die Migrant_innen eine ausweglose Situation, die eine Konsequenz des „rechtlichen Leerraums“ ist, in dem sich die Abschiebungsgefährdeten befinden: Sie sind ohne Aufenthaltsrecht in Österreich und können nicht abgeschoben werden. Wenn sie jetzt jedoch alles daran setzen, doch ein Identitätspapier zu bekommen, um einen Aufenthaltsstatus zu erlangen, dann könnte es gleichzeitig passieren, dass sie doch abgeschoben werden. Der
59 Vgl. § 19 Abs 2 NAG BGBl l 38/2011: „Der Fremde hat der Behörde die für die zweifelsfreie Feststellung seiner Identität und des Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel vorzulegen.“ Vgl. auch Interview Unt. Nina V.: 267f.
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rechtliche Leerraum ist gleichzeitig Ursache und Merkmal der ausweglosen Situation von Catch-22 des irregulären Aufenthalts. Die Abschiebungsgefährdeten stehen vor zwei Handlungsalternativen: (1) Sie bemühen sich selbst um Identitätspapiere (Compliance vorhanden) Würden diese vorliegen, stiege zwar die Chance für eine Abschiebung (da die Abschiebe-Zielländer die Personen dann als ihre Staatsbürger_innen akzeptieren), aber ebenfalls stiege mit ID-Papieren die Chance auf ein Aufenthaltsrecht. Das Bemühen um ID-Papiere kann für unautorisierte Migrant_innen jedoch folgende drei Komponenten mit sich bringen: a) Gefahren für sich selbst oder die Familie Werden Handlungen gesetzt, um im Herkunftsland ID-Papiere zu besorgen, könnte dies mit Gefahren für die unautorisierten Migrant_innen oder ihre Familien einhergehen. Es stürzt sie in große finanzielle Ausgaben, die Familie oder/und Bekannten in große Bedrängnis; bemühen sie sich nicht um die Papiere, wird ihnen eventuell fehlende Mitwirkung vorgeworfen.60 Im Gesetz ist folgende Klausel festgehalten laut der ein_e Migrant_in trotz fehlender Dokumente eine Niederlassungsbewilligung erhalten kann: „[...] im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.“ (§ 19 Abs 8 Z 3 NAG 2005 BGBl l 38/2011) Hier stellt sich die Frage nach dem Ermessensspielraum der Behörden. Es geht um die Einschätzung, wann die Vorlage von Nachweisen „nachweislich“ nicht möglich ist, beziehungsweise wann sie als „nicht zumutbar“ angesehen wird. b) Weitere Probleme bei der Erlangung eines ID-Papiers Ein Identitätspapier zu erhalten, kann die Abschiebungsgefährdeten auch vor ganz praktische Probleme stellen, die mit ihren finanziellen Ressourcen (vgl. auch Benidir-Müller 2005: 1) oder ihrem Status, der ihnen selbst eine innereuropäische Reise nicht ermöglicht, zusammenhängen. Eine Unterstützerin schildert: „Also man hat dann von ihm, und zwar eh für diese Niederlassung da hier, hat man erklärt, er braucht einen Pass. Und diesen Pass kann er sich jetzt in dem Status, in dem er sich befindet, ausfolgen lassen. Aber das ist für ihn nicht möglich in Wien. In Österreich. Diese nächste Passbehörde, die für ihn zuständig ist, für ihn aus Nigeria
60 Vgl. § 19 Abs 2 und Abs 4, § 35 Abs 3 NAG 2005 BGBl l 38/2011.
124 | I RREGULÄRE L EBEN stammend, ist entweder eine in Rom oder eine in Berlin. Man hat sich also aussuchen können, wohin man da jetzt fährt. Und dann simma vor dem, und ich hab mir gedacht, um Gottes Willen, jetzt müssma eine Reise nach Rom berappen. Oder nach Berlin. Und besser fahrma nach Berlin als wie nach Rom. Weil wer weiß, was wir da wieder für bürokratisches Trara da haben, und mit dem bissl Italienisch, was i kann, also sicher kein Fachitalienisch für die behördlichen Sachen. Wer weiß.“ (Unt. Nina V.: 267f.)
c) Keine Ausstellung von ID-Papieren Die Identitätspapiere könnten vom Herkunftsland nicht zu bekommen sein (Beispiel Afghanistan vgl. Kellermann 2012) und manchmal stellen diese auchüberhaupt keine Identitätspapiere aus. Über die Gründe darüber können hier vorerst nur Vermutungen angestellt werden, nähere Forschungen wären notwendig. Nach internationalem Recht sind die Staaten zwar verpflichtet, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, ebenso sind sie dazu angehalten, ihre Staatsangehörigen gegenüber den Interessen eines anderen Staates zu beschützen (Spire 2004: 12), es könnte aber auch sein, dass sich die Länder für die Person nicht zuständig fühlen, dass es in den betreffenden Ländern kein (vollständiges) Melderegister gibt, dass Archive durch jahrelange Bürgerkriege zerstört worden sind, oder dass für die betreffende Volksgruppe kein ID-Papier ausgestellt wird. Diese Gründe stellt Benidir-Müller (2005: 1) für viele afrikanische Herkunftsländer fest. In diesen Fällen laufen alle individuellen Bemühungen, ein ID-Papier zu erhalten, ins Leere. Die Entscheidung der Person, ob sie sich um ein ID-Papier bemüht oder nicht, hat somit einzig jene Wirkung, dass die jeweilige Person den österreichischen Behörden ihren „Willen zur Mitwirkung“ belegen kann. Denn in Ausnahmefällen wird den Abschiebungsgefährdeten eine Compliance von den Behörden positiv angerechnet und sie haben Chancen auf eine Aufenthaltsbewilligung, auch ohne ID-Papiere. Einen speziellen Fall stellen jene Abschiebungsgefährdeten dar, die im Verlauf der irregulären Einreise sowie des Asyl- und/oder Aufenthaltsverfahrens eine falsche Nationalität angegeben oder eine falsche Identität angenommen haben. Der Mitarbeiter der Fremdenpolizeibehörde Paul N. dazu: „Und wir haben auch genug, also, eine Unmenge von Fällen, wo wir dokumentieren können, dass die Identitäten, die die Betroffenen über Jahre hinweg behauptet haben, falsch sind.“ (Beh. Paul N.: 105) (vgl. auch Broeders/Engbersen 2007: 1598; Spire 2004: 6; NPO Stefan S.; Mig. Marie G.) Für sie treffen ebenfalls die oben genannten Komponenten zu. Es kommt jedoch hinzu, dass wenn sie ihre Nationalität vor den Behörden ändern, dieses Eingeständnis die
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Strafe für eine Verwaltungsübertretung mit sich bringt. Das Fremdenpolizeigesetz bestimmt, dass „wer als Fremder in einem Asylverfahren vor dem Bundesasylamt oder dem Asylgerichtshof wissentlich falsche Angaben über seine Identität oder Herkunft macht, um die Duldung seiner Anwesenheit im Bundesgebiet oder einen, wenn auch nur vorübergehenden, rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu erschleichen“, (§ 120 Abs 2 Z 2 FPG 2005 BGBl l 38/2011)
eine Verwaltungsübertretung begeht. Das Strafausmaß beträgt zwischen 1.000 und 5.000 Euro, bei Uneinbringlichkeit eine Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen. (2) Die Abschiebungsgefährdeten entscheiden sich dafür, sich selbst nicht um ID-Papiere zu bemühen (Compliance nicht vorhanden) Das würde die Chance für eine Abschiebung senken, jedoch ebenfalls die Chance auf ein Aufenthaltsrecht vermindern. Die Bedingungen von Fremdenpolizei- und Niederlassungs-Logik führen also dazu, dass die Personen in einem rechtlichen Leerraum (weder legal im Land, noch abschiebbar) landen. 3.4.4.2 Der Umgang mit weiteren behördlichen Erfordernissen Neben der Beschaffung von Identitätspapieren (durch die Abschiebungsgefährdeten selbst oder durch die Behörden) ist die damit zusammenhängende Erlangung von Ersatzreisedokumenten für die Behörden ein wichtiges Thema, wobei für die Behörden erneut die Compliance der Abschiebungsgefährdeten bedeutend ist. Denn damit das Abschiebezielland ein Ersatzreisedokument ausstellt, sind nicht nur Abkommen zwischen Österreich und dem Abschiebezielland relevant, sondern auch das individuelle Verhalten der Abschiebungsgefährdeten – beispielsweise in Interviews von Repräsentant_innen der Abschiebezielländer mit den betreffenden Personen in den Botschaften oder während der Besuche von Delegationen des Abschiebeziellandes in Österreich (s. Kap. 3.4.1.3, „Abschiebebemühungen durch die Behörden“). Wie solche Anhörungen in Botschaften oder Delegationen vor sich gehen und welchen Handlungsspielraum die einzelnen involvierten Akteur_innen dabei haben, ist weitestgehend unbekannt. Die Anhörungen sind durch große Intransparenz geprägt. Selbst österreichische Behördenmitarbeiter_innen werden immer wieder von den Botschafter_innen bzw. von den Delegationsmitgliedern hinausgebeten, oder wie es ein leitender Beam-
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ter ausdrückt: „Der [Konsular, Anm. B.K.] geht oft hinein und sagt: ‚Polizei soll gehen.‘“ (Beh. Felix K.: 178, vgl. auch Beh. Michael R.; Prot. Netzwerk) Unter Compliance könnte auch die Meldung der eigenen Wohnadresse fallen. Es geht hier um Handlungen zwischen den Polen der Transparenz den Behörden gegenüber (Compliance) und der Unsichtbar-Machung (keine Compliance). Für die Fremdenpolizeibehörde ist die (richtige) Meldung relevant, da sie wissen muss, wo sich die betreffende Person aufhält, damit sie für den Fall, dass die sonstigen Bedingungen passen, die Person finden und abschieben kann. Das Nicht-Auffinden ist ein großes Problem für die Fremdenpolizeibehörden im Abschiebungsprozess. So sagt ein Behördenmitarbeiter auf nationaler Ebene, dass den ministeriellen Aufzeichnungen zufolge 18 % der Personen mit einer Ausreiseaufforderung während des Abschiebungsprozesses „untertauchen“ würden (vgl. Beh. Michael R.: 103). Wird eine Abschiebung per Charterflug vom Ministerium festgelegt, melden die einzelnen Fremdenpolizeibehörden dafür in Frage kommende Personen. Im Durchschnitt sei dann jedoch nur rund ein Viertel auffindbar (Beh. Michael R.). Anzumerken ist in Bezug auf diese Zahlen, dass eine offizielle Meldung der Wohnadresse noch nicht bedeutet, dass die Auffindbarkeit dadurch für die Behörden gegeben ist – jedoch wird sie natürlich erleichtert. Für Abschiebungsgefährdete mit dem Ziel, in Österreich zu bleiben, tut sich hier jedoch wieder ein Dilemma auf. Auf die Frage „Und waren Sie irgendwo gemeldet? [Meldung der Wohnadresse, Anm. B.K.] Waren Sie dort [im Flüchtlingswohnheim, Anm. B.K.] noch gemeldet?“ antwortet die (ehemals) unautorisierte Migrantin Sophie F.: „Nein, war ich nicht gemeldet. Weil ich habe keine. Ich konnte das nicht, bis ich diesen Antrag stelle, Niederlassungsbewilligung. Aber für das [für die Meldung, Anm. B.K.] brauche ich/Ich habe das überhaupt nicht gewusst. Wenn die E. nicht [wenn die E. sie nicht informiert hätte, Anm. B.K.], dann weiß ich auch nicht. Was weiß ich über Niederlassungsbewilligung. Gibt’s das überhaupt oder nicht.“ (Mig. Sophie F.: 78)
Eine offizielle Meldung ist also wichtig für eine Niederlassungsbewilligung. Das ist auch den jeweiligen Antragsformularen zu entnehmen. Denn für den Erhalt einer Niederlassungsbewilligung wird im Antragsformular der „Nachweis des Rechtsanspruches auf eine ortsübliche Unterkunft (Miet- oder Untermietvertrag)“ verlangt (vgl. Formular Niederlassungsbewilligung). Bei einem Antrag um eine Aufenthaltsbewilligung wegen besonderem Schutz (gemäß § 69 NAG 2005 BGBl l 38/2011) oder eine Niederlassungsbewilligung zur „Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens“ (gemäß § 43 Abs 3 NAG 2005 BGBl l 38/2011) oder als „besonders berücksichtigungswürdiger Altfall“ (gemäß § 43
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Abs 4 NAG 2005 BGBl l 38/2011) wird der Miet- oder Untermietvertrag nur „gegebenenfalls“ verlangt (vgl. Formulare „Niederlassungsbewilligung Familienleben und Altfall“ und „Aufenthaltsbewilligung besonderer Schutz“). Die Chancen auf eine Niederlassungsbewilligung sind also dann erhöht und in manchen Fällen überhaupt erst gegeben, wenn ein Mietvertrag und somit eine offizielle Wohnadresse vorhanden ist. Der private Unterstützer einer Familie mit prekärem Aufenthalt, die auf Grund der Dublin-Bestimmungen abgeschoben werden sollte, führt überdies aus: „Diese sechs Monate Dublin-Frist gilt ja nur, wenn diese Familie nicht untergetaucht ist, sondern durchgehend in Österreich gemeldet war.“ (Unt. Simon M.: 143). Damit bezieht sich Unterstützer M. auf die Bestimmung, dass – sollten unautorisierte Migrant_innen nicht innerhalb von sechs Monaten in das zuständige EU-Land abgeschoben werden können – das Verfahren in Österreich durchgeführt werden muss. Neben der notwendigen Meldung für einen möglichen legalen Aufenthalt ist eine Meldung auch essenziell, um Nachrichten von den Behörden (sei es Niederlassungsbehörde oder Fremdenpolizeibehörde) zu erhalten. Überdies ist eine Meldung für die Gestaltung des täglichen Lebens vonnöten, oftmals verlangt zum Beispiel die Schule für die Einschreibung der Schüler_innen eine offizielle Meldeadresse. Ein Meldezettel wird auch vom zuständigen Landesschulrat als Voraussetzung für eine Einschreibung genannt.61 Die Schulen handhaben diese Vorschrift unterschiedlich. So willigte der Direktor einer betreffenden Schule erst nach hartnäckigem Nachfragen durch einen Unterstützer sowie einen Pfarrer ein, das Kind vorübergehend (für eine Woche) auch ohne Meldezettel aufzunehmen, bis dieser nachgebracht würde (Mig. Sophie F.). Die Dilemma-Situation trifft aber auch auf Bereiche zu, die innerhalb der Logik der Fremdenpolizeibehörde anzusiedeln sind. Denn einerseits ist durch eine Meldung die Erreichbarkeit der unautorisierten Migrant_innen zumindest erleichtert. Andererseits schreibt die Fremdenpolizeibehörde einen Festnahmeauftrag gerade dann aus, wenn sie annimmt, dass die Person nicht mehr an der Adresse wohnt, an der sie einmal gemeldet war (Beh. Paul N.). Gleichzeitig wird eine Anmeldung von den Behörden selbst verunmöglicht. Denn für die Meldung des Wohnsitzes wird ein Ausweis benötigt. Wenn jedoch ein Abschiebeauftrag besteht, entziehen Fremdenpolizeibehörden oftmals schon zuvor unautorisierten Migrant_innen die Ausweise.
61 Vgl. www.help.gv.at – Volksschule – Anmeldung und https://www.bmb.gv.at/service/ links/landesschulraete.html.
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Die ehemals unautorisierte Migrantin G. bringt die Notwendigkeit einer Meldung der Wohnadresse auf den Punkt. Auf die Frage „Bist du gemeldet hier überhaupt?“ antwortet sie: „Ja, gemeldet. Ohne Anmeldungen lebt man nicht.“ (Mig. Marie G.: 243f.) 3.4.5 Ausprägungen des Dilemmas des irregulären Aufenthalts Je nach den Gründen für die Nicht-Abschiebbarkeit sind die Ausprägungen von Catch-22 unterschiedlich. Catch-22 kann auch nur eingeschränkt und nur für eines der beiden Merkmale bestehen oder es kann ausgesetzt sein, das heißt, eine Zeit lang nicht mehr bestehen. Nachfolgend gehe ich auf vier unterschiedliche Ausprägungen ein, nämlich: Catch-22 besteht, Catch-22 besteht eingeschränkt, Catch-22 ist ausgesetzt und Catch-22 ist nicht vorhanden. (1) Die erste Ausprägung, Catch-22 besteht, ist die stärkste. Sind keine Dokumente vorhanden und können auch keine Ersatzreisedokumente beschafft werden, besteht das Dilemma für die Abschiebungsgefährdeten hinsichtlich beider Merkmale so wie oben beschrieben. In dieser Hinsicht macht es für die unautorisierten Migrant_innen kaum einen Unterschied, ob sie eine offizielle Duldung erhalten haben oder nicht. (2) Bei der zweiten Ausprägung besteht Catch-22 eingeschränkt. Sind (Ersatz-)Reisedokumente vorhanden und konnte eine Abschiebung auf Grund aktiven Widerstandes der Abschiebungsgefährdeten oder auf Grund zivilgesellschaftlichen Drucks nicht durchgeführt werden, besteht Catch-22 weiterhin – vor allem hinsichtlich des Merkmals der gesellschaftlichen Partizipation. Hinsichtlich der Compliance trifft das Dilemma nur noch auf die Aspekte zu, die nicht mit Identitätspapieren in Zusammenhang stehen (da diese ja vorhanden sind oder die Behörde Ersatzreisedokumente von den Abschiebezielländern ausgestellt bekam). Zum Teil verfällt jedoch die Gültigkeit des Ersatzreisedokuments und die Behörden suchen erneut um deren Ausstellung an. (3) Sind Dokumente vorhanden und sind Personen aus rechtlichen Gründen (s. Kap. 3.4.2.1, „Rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung“) nicht abschiebbar und wird eine offizielle Duldung ausgesprochen, ist das Dilemma ausgesetzt – sowohl auf der Partizipations- als auch der Compliance-Ebene. Denn bei einer rechtlichen Unmöglichkeit ist das Aufenthaltsrecht zwar nach wie vor nicht gegeben (außer die Person wird als auf Dauer nicht abschiebbar eingeschätzt), jedoch ist der Status klar und die Personen brauchen keine Angst vor der Fremdenpolizei zu haben. Sie müssen sich nicht für eine Strategie der UnsichtbarMachung, des Versteckens, entscheiden. Bei einer rechtlichen Unmöglichkeit
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der Abschiebung steht auch nichts entgegen, behördlichen Anfragen nachzukommen. Auch wenn bei vorhandenen Dokumenten die Abschiebung in der Praxis wegen schwerer Krankheit/Fluguntauglichkeit oder wegen unsicherer Reisebedingungen (s. Kap. 3.4.2.2, „Unmöglichkeit der Abschiebung in der Praxis“) nicht möglich ist, ist Catch-22 ausgesetzt. Selbst dann, wenn keine offizielle Duldung ausgesprochen wird – denn solange die unsicheren Reisebedingungen oder die individuelle Krankheit anhalten, wird von einer Abschiebung Abstand genommen. Das Dilemma ist jedoch nur ausgesetzt, weil (auch im Fall einer offiziellen Duldung) eine Abschiebung möglich wird, sobald die Gründe für die Duldung wegfallen. Insofern befinden sich die Abschiebungsgefährdeten sehr wohl in einer Catch-22-Situation, nämlich besonders dann, wenn externe Gründe vorliegen, die für die Abschiebungsgefährdeten schwer einschätzbar sind. Die Behörden können eine Abschiebung einleiten, wenn sie zum Beispiel die Reisebedingungen oder die Situation im Herkunftsland als ungefährlich einschätzen. Ab diesem Zeitpunkt stehen die Personen in prekären Situationen in ihrem Bemühen, in Österreich zu bleiben, wieder vor dem Dilemma alle nur möglichen Anstrengungen zu unternehmen, um eine Niederlassungsbewilligung zu bekommen, und andererseits Gefahr zu laufen, abgeschoben zu werden, sobald sie von der Fremdenpolizeibehörde aufgegriffen werden.. (4) In der vierten Ausprägung ist Catch-22 gar nicht vorhanden. Vorläufig kein Dilemma besteht nur in jenen Fällen, in denen den irregulären Migrant_innen eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wird (s. Kap. 3.4.1.4.c, „Eine befristete Aufenthaltsbewilligung“). Die Personen müssen das Aufgreifen durch die Fremdenpolizeibehörde nicht mehr befürchten und auch der behördliche Kontakt birgt nicht mehr die Gefahr, dass Informationen zur Ermöglichung einer Abschiebung verwendet werden.
3.5 J AHRELANGE P ATTSITUATION : D AUER DES D ILEMMAS
UND
E NDE
Die Situation der Ausweglosigkeit beginnt mit dem negativen Asylbescheid und der damit verbundenen Ausweisung. Für manche Personen beginnt die Ausweglosigkeit sogar mit der Geburt oder ab dem Kleinkindalter. Denn, wie auch Interviewpartnerin Sophie F. schildert, gibt es Kinder, die in Österreich geboren werden und kein eigenes Aufenthaltsrecht erhalten und gemeinsam mit den Eltern abgeschoben werden sollen. Der Grund liegt in der österreichischen Rechts-
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lage, die auf dem Abstammungsprinzip (ius sanguinis) basiert, und nicht auf dem ius soli, bei welchem der Geburtsort die Staatszugehörigkeit bestimmt (vgl. Karasz/Perchinig 2013). In der konkreten Gesetzgebung des österreichischen Niederlassungsrechts bedeutet dies, dass Kinder von Drittstaatsangehörigen, die in Österreich geboren werden, den gleichen Aufenthaltstitel wie ihre Mutter bekommen (außer diese hat auf das Erziehungsrecht verzichtet) (§ 23 Abs 4 NAG 2005 BGBl l 38/2011). Für Kinder ohne Aufenthaltstitel muss innerhalb von sechs Monaten eine eigene Niederlassungsbewilligung beantragt werden (§ 21 Abs 2 Z 4 NAG 2005 BGBl l 38/2011). Die unautorisierten Migrant_innen befinden sich oft über viele Jahre hinweg in der Situation von Catch-22 des irregulären Aufenthalts. Dabei kann sich der zugeschriebene Status mehrmals ändern. Ist eine Person beispielsweise zuerst im Status der Nicht-Abschiebbarkeit, weil keine Reisedokumente vorhanden sind, wird ihr der Status „abzuschieben“ bzw. „abschiebbar“ zugewiesen, sobald die Behörden eine Einwilligung des Abschiebeziellandes bekommen, dass dieses die betreffende Person aufnimmt. Das Dilemma besteht weiterhin, jedoch mit einem stärkeren Schwerpunkt auf Merkmal A (Gesellschaftliche Partizipation), da beim Merkmal B (Compliance) der Aspekt des Beitrags zum Erhalt von Identitätspapieren bzw. Ersatzreisedokumenten wegfällt. Der Status kann sich aber wiederum ändern, wenn beispielsweise genug zivilgesellschaftlicher Druck aufgebaut wurde, sodass es zu politischen Interventionen kommt, die eine Abschiebung – manchmal kurzzeitig, manchmal ganz – verhindern. Die Lebenssituation irregulärer Migrant_innen ist also nicht nur durch den von Liza Schuster beschriebene „status mobility“ (Schuster 2005) zwischen verschiedenen Rechtsstatus und zwischen Legalität und Illegalität gekennzeichnet. Der Status Mobilität ist auch hinsichtlich der von den Behörden zugeschriebenen Status innerhalb der Irregularität gegeben. Catch-22 des irregulären Aufenthalts ist beendet, wenn entweder die Abschiebung durchgeführt wurde oder die Person ein Aufenthaltsrecht erhält. Im Fall einer Grenzüberschreitung in ein anderes Land wären die jeweiligen dortigen Bedingungen in Betracht zu ziehen. Es ist jedoch naheliegend, anzunehmen, dass die Situation Catch-22 auch in vielen anderen Ländern vorhanden und ähnlich ausgestaltet ist. Denn die Abschieberegime werden sowohl im gesamten EU-Raum als auch darüber hinaus in anderen westlichen Industrieländern etabliert. Dass Menschen ausreisen, jedoch immer wieder versuchen, erneut nach Österreich einzureisen bzw. sich legal aufzuhalten, manchmal unter neuen Vorzeichen, wie im nachfolgend geschilderten Beispiel, zeugt davon, dass eine Ausrei-
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se für viele Menschen in Wahrheit keine Alternative zum Versuch darstellt, sich langfristig mit legalem Aufenthalt zu etablieren: „Ich mein, es gibt auch unter diesen Leuten natürlich gibt's immer wieder Leute, die Österreich verlassen. Nur haben wir’ nirgends bescheinigt, dass sie Österreich verlassen haben, das ist gar keine Frage. Also wir / wir sehen dann immer wieder, dass Leute, die bei uns einmal Asylwerber waren, plötzlich, zwei Jahre später, wieder in Österreich stehen, zum Beispiel mit einem spanischen, mit einer spanischen Aufenthaltskarten, oder mit einer italienischen Aufenthaltskarte.“ (Beh. Paul N.: 126)
Werden unautorisierte Migrant_innen abgeschoben, oder reisen sie auf Grund der Gefahr, abgeschoben zu werden, aus, versuchen einige wenig später, mit „besseren“ Startbedingungen sich erneut in Österreich zu etablieren. Jürgen Temmer (2009: 97) berichtet von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die nach einer Abschiebung wieder nach Österreich oder in ein anderes europäisches Land zurückkehrt sind. Auch die von mir befragten NPO-Mitarbeiter_innen und irregulären Migrant_innen berichten von Menschen, welche mehrmals abgeschoben wurden und danach wieder nach Österreich eingereist sind: „Die anderen sind nach Spanien abgeschoben und dann sind sie wieder zurück. Und manche sind nach Gambia abgeschoben und dann sind sie wieder zurück.“ (Mig. Thomas U.: 301; vgl. auch Mig. Anna und Lena E., Mig. Sophie F.) In diesen Fällen ist die Abschiebung nicht der Endpunkt von Catch-22 des irregulären Aufenthalts. Die Dilemma-Situation zwischen Handlungen in Richtung einer Niederlassung und gleichzeitig zur Vermeidung einer Abschiebung ist nur unterbrochen – oder sie wird außerhalb von Österreich fortgesetzt.
3.6 K AUM H ANDLUNGSMACHT : D IE S TÄRKE DES D ILEMMAS Primärer Angelpunkt des Dilemmas ist die Frage, ob eine Person in Österreich bleiben darf oder nicht, sprich: das Aufenthaltsrecht. Damit sind jedoch auch viele weitere Rechte und Pflichten verbunden (z.B. Arbeitsrecht, Versicherungsschutz, Gesundheitsschutz, über die Pflichtschule hinausgehende Bildung, Rechte hinsichtlich des Familienlebens). Das Leben in dieser paradoxen Situation beeinflusst die Menschen tiefgehend. Die (Nicht-)Erfüllung der grundlegendsten Bedürfnisse ist von dieser prekären Situation abhängig. Die Lebensgrundlagen wie Verpflegung, Unterkunft und Gesundheit sind davon tangiert. Ganz zentral werden essenzielle Sicher-
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heitsbedürfnisse negiert. In großem Umfang sind aber auch soziale Erfordernisse (familiäre, freundschaftliche oder kollegiale Beziehungen) betroffen. Aufbauend auf diesen Grundbedürfnissen sind natürlich auch Individual- und kognitive Bedürfnisse berührt sowie darüber hinausreichende und auf diesen aufbauende Bedürfnisse (wie etwa ästhetische oder jene der Selbstverwirklichung).62 Die Folgen der paradoxen Situation werden in Kapitel 5, „Verbleiben zwischen Sein und Schein. Einblick in die Folgen einer Pattsituation“, näher erläutert. Das Ausmaß des Dilemmas wird nicht nur anhand dessen sichtbar, wie tiefreichend die Folgen sind, sondern vor allem auch daran, wie leicht oder schwer das Dilemma von den Betroffenen aufzulösen ist. Nicht umsonst ziehe ich hier den Vergleich zu Hellers Catch-22, bei welchem die paradoxe Situation gar nicht aufzulösen ist. Denn auch im Fall der Abschiebungsgefährdeten stellt sich das Dilemma als schlichte Ausweglosigkeit dar. Woran sieht man das? Die Abschiebungsgefährdeten wenden sehr viele Praktiken an, auch sehr unterschiedliche, um die Situation zu ihren Gunsten zu verbessern. Obwohl die betreffenden Personen innerhalb ihrer Möglichkeiten sehr kreativ in ihren Strategien (im Sinne von immer neuen Kombinationen bestehender Praktiken) sind, bleibt die Ausweglosigkeit bestehen. Die Auflösung des Dilemmas (entweder durch die Erlangung eines Aufenthaltsrechts oder durch eine Abschiebung) hängt häufiger von anderen Faktoren als vom Handeln der abschiebungsgefährdeten Personen selbst ab. Die Beeinflussung durch das Handeln der Abschiebungsgefährdeten stellt also eher die Ausnahme als die Regel dar. Dass das Dilemma meistens stark ausgeprägt ist, zeigt sich dadurch, dass die unautorisierten Migrant_innen kaum Handlungsmacht besitzen, es in ihrem Sinne aufzulösen (also mit legalem Aufenthaltsstatus in Österreich zu bleiben), und gleichzeitig oft selbst eine Auflösung gegen ihren Wunsch (z.B. unterstützte Rückkehr oder Abschiebung) nicht umsetzbar ist.
62 Diese vereinfachte Darstellung orientiert sich an der Maslow’schen Bedürfnishierarchie (vgl. Huitt 2007).
4. Handlungspraxen
Im vorangehenden Kapitel habe ich Catch-22 des irregulären Aufenthalts unter anderem als ausweglose Situation beschrieben. Wie sich gezeigt hat, bestehen dennoch in gewissen Fällen Wege aus dem Dilemma. Die realen Chancen, diesem zu entkommen, sind für die Abschiebungsgefährdeten sehr schwer einzuschätzen. Trotz dieser Unsicherheit entwickeln die abschiebungsgefährdeten Personen unterschiedliche Handlungspraktiken, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Praktiken konnte ich auf Basis der Erzählungen der Abschiebungsgefährdeten selbst, der Unterstützer_innen, NPO-Mitarbeiter_innen und Beamt_innen festmachen. Dieses Kapitel bezieht sich stark auf die im Abschnitt 1.5, „Theoretische Verortungen“, gegebene Einführung in für diese Arbeit relevanten Praxistheorien und in das Konzept von Handlungsmächtigkeit (Agency). Hier stelle ich nun die Handlungspraktiken vor, die ich in meinen Interviews gefunden habe: erst in einer Typologie zu den Handlungspraxen zwischen Inklusion und Unsichtbarmachung (Kapitel 4.1, „Handlungen zwischen Inklusion und Unsichtbarmachung“) sowie zum Umgang mit behördlichen Anfragen (Kapitel 4.2, „Der Umgang Aschiebungsgefährdeter mit behördlichen Anfragen“), und danach zur Veranschaulichung anhand von vier Fallbeispielen (Kapitel 4.3, „Handlungspraktiken und ihre Bedingtheiten als Prozesse – Fallbeispiele“). Um zu verstehen, wie die Praktiken wirken und wodurch sie beeinflusst werden, gehe ich auf die Rolle der Beamt_innen, der Unterstützer_innen und andere intervenierende Bedingungen (etwa die Öffentlichkeit und politische Interventionen) näher ein (Kapitel 4.4, „Intervenierende Bedingungen zum Umgang mit Catch-22“). Ich schließe das Kapitel mit einem Abschnitt über die Beschreibung von Widerstandspraktiken gegen Abschiebungen (Kapitel 4.5, „Widerstand gegen Abschiebungen als Agency?“).
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4.1 H ANDLUNGEN ZWISCHEN I NKLUSION U NSICHTBARMACHUNG
UND
4.1.1 Praktiken der Partizipation Innerhalb der Catch-22-Situation entwickeln unautorisierte Migrant_innen eine Vielfalt an Handlungspraktiken, die ihre Inklusion in die Gesellschaft fördern sollen. Zunächst erläutere ich die identifizierten Strategien der Migrant_innen, sich rechtlich legal niederzulassen. Diese wurden in den Interviews sowohl von behördlicher Seite als auch von Vertreter_innen von NPOs und von den unautorisierten Migrant_innen selbst genannt und stellen gleichzeitig die Rahmenbedingungen für weitere Praktiken der Partizipation dar, die im Anschluss beschrieben werden. Die Nutzung rechtlicher Möglichkeiten, einen legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen Zu den rechtlichen Wegen zählen alle Möglichkeiten der Beschwerden und Einsprüche gegen negative Entscheidungen, sei es im Zulassungsverfahren zum Asylverfahren, im Asylverfahren selbst oder in fremdenpolizeilichen Verfahren.1 Es besteht auch die Option, nach einem bereits abgelehnten Asylantrag einen neuen Antrag zu stellen. Diese Möglichkeit wird häufiger genutzt; die Chancen stehen jedoch schlecht, da die Asylbehörde meistens argumentiert, dass keine neuen Fakten eingebracht wurden, welche die Entscheidung ändern würden. Dennoch wird von Fällen berichtet, in denen die Asylbehörde in letzter Minute eine andere – positive – Entscheidung getroffen habe, obwohl die Abschiebung bereits vorbereitet und der Flug fixiert gewesen war. Für die meisten Menschen, die bereits einen aufenthaltsbeendenden Bescheid erhalten haben, bleibt rechtlich gesehen nur die Möglichkeit, um eine Niederlassungsbewilligung anzusuchen. Die unautorisierten Migrant_innen stehen vor der Frage, wann der beste Zeitpunkt gegeben ist, um das Ansuchen einzubringen. NPO-Mitarbeiterin Mia Q. erzählt von einem Abschiebungsgefährdeten, der einen Tag vor der Abschiebung zur Beratung kam, und bei dem durch diese Zeitknappheit keine Handlungsmöglichkeiten mehr für die Erlangung eines Aufenthaltsrechts bestanden. Lisa U. hingegen berichtet von der Auskunft, die der Abschiebungsgefährdete Thomas U. von einem Beratungsverein erhielt:
1
Die rechtlichen Rahmenbedingungen beruhen auf der Gesetzeslage vom Fremdenrechtsänderungspaket 2011. Für nähere Informationen siehe das Glossar im Anhang.
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„Und die haben gesagt, dass das chancenlos wäre, wenn er anfragen würde auf so Niederlassungsbewilligung, weil er eben noch nicht fünf Jahre da in Österreich ist. Und dass das sofort abgelehnt werden würde.“ (Unt. Lisa U.: 117)
Es scheint sich um ein regelrechtes „Austarieren“ zu handeln, wann am besten um eine Niederlassungsbewilligung angesucht werden sollte. Gerade für den Erhalt einer Niederlassungsbewilligung (Rot-Weiß-Rot-Karte plus oder Niederlassungsbewilligung für „besonders berücksichtigungswürdige Fälle“)2 sind Deutschkenntnisse (auf einem in der „Integrationsvereinbarung“ bestimmten Level), Beschäftigungsaussichten sowie die Aufenthaltsdauer entweder Voraussetzung oder vorteilhaft (je nach beantragtem Aufenthaltstitel) (vgl. NAG 2005). Eine besondere Rolle bei der Einschätzung zur Vergabe einer Niederlassungsbewilligung spielt das Privat- und Familienleben, da dessen Schutz in Artikel 8 der EMRK festgelegt und in die österreichische Gesetzgebung übernommen worden ist. Um das Privat- und Familienleben zu beurteilen, werden im Gesetz verschiedene Punkte aufgezählt, unter anderem der ‚Grad der Integration‘ (§ 11 Abs 6 Z 4 NAG 2005 BGBl l 38/2011). Bei der Bewertung des ‚Grades der Integration‘ für die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach § 43 Abs 4 NAG sollten die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache berücksichtigt werden. Die genaue Bewertung liegt zu einem Großteil im Ermessen der Behörde (zu dieser Einschätzung kommt auch Unterstützer Tobias D.). Handlungspraktiken zur Erreichung von Partizipation Wie gezeigt, sind Handlungen, die von der Behörde als Schritte der Integration gewertet werden, für unautorisierte Migrant_innen sehr relevant, um einer Abschiebung zu entgehen. Die Migrant_innen setzen diese Handlungen teilweise sehr zielgerichtet, teilweise nicht bewusst auf den Erhalt eines Aufenthaltsrechts abstellend ein. In letzterem Fall sind es Handlungen, die mit dem Leben in Österreich einhergehen und im Zuge des Verfahrens um eine Niederlassungsbewilligung von den Beamt_innen positiv ausgelegt werden könnten. Hier geht es im Sinne von Barnes (2001b; 2000) um die Bewertungen, welche die Behördenmitarbeiter_innen oder die Unterstützer_innen (in ihrem Kontakt mit den Behörden) den jeweiligen Handlungen zuschreiben, bzw. darum, welche Annahmen unautorisierte Migrant_innen über diese Zuschreibungen haben.
2
Für die in Frage kommenden Aufenthaltstitel siehe das Glossar im Anhang.
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Als besonders wichtig für das Partizipieren an der Gesellschaft bzw. die Inklusion wurden folgende Strategien identifiziert: die Erlangung einer Arbeitsstelle und der Erwerb von Deutschkenntnissen. Arbeit ist nicht nur wichtig, um an der Gesellschaft teilhaben zu können, sondern auch eine Überlebensnotwendigkeit. Abschiebungsgefährdete suchen sich vor allem am irregulären Arbeitsmarkt eine Beschäftigung, sei es als private Dienstleister_innen (überwiegend Frauen im Haushalt) oder als Hilfskräfte. Ein Beispiel ist Alex A.: Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wartete er am so genannten „Arbeitsstrich“, bis eine Firma ihn zur Arbeit (Minenarbeit, Arbeit in Restaurants etc.) mitnahm. Als weiteres Beispiel kann Viktor A. angeführt werden. Er übernahm privat Gartenarbeiten. Seine Hauptbeschäftigung war jedoch der Verkauf einer Straßenzeitung. Sophie F. war vor allem in Vereinen tätig, deren Unterstützung sie selbst auch in Anspruch nahm. Dort konnte sie für ein geringes Entgelt Übersetzungsarbeiten übernehmen. Viktor A. und Sophie F. sind Beispiele für einen weiteren Bereich: Hilfsvereine, die im gesetzlich erlaubten Rahmen unautorisierten Migrant_innen Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Mit diesen Praktiken des Arbeitens und Geldverdienens wird ökonomisches Kapital (Bourdieu 1983) aufgebaut. Darüber hinaus dienen sie dem Ansinnen irregulärer Migrant_innen, den Erwartungen der Behörden – wie sich Mitglieder der Gesellschaft zu verhalten haben – zu entsprechen. Nach Barry Barnes (2001a) kommt durch die Mitglieder eines Kollektivs das gemeinsame Verständnis dafür zu Stande, was es bedeutet, einer Regel zu folgen. Diese Regel kann formalisiert sein (in diesem Fall durch das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz) oder ebenso eine informelle Verhaltensregel sein (ebd.). In Österreich wird Arbeit als zentrales Element für die Beteiligung an der Gesellschaft angesehen, wie dies auch das Schlagwort „Integration durch Leistung“3 des ehemaligen Staatssekretärs für Integration, Sebastian Kurz, deutlich macht. Abschiebungsgefährdete versuchen dieser Regel auch unter der Bedingung, dass eine legale Arbeitsbewilligung nicht erhältlich ist, Folge zu leisten. Die Praxis der Migrant_innen, solchen Regeln zu folgen, wird beim Erlernen der deutschen Sprache noch deutlicher. Den Erwerb von Deutschkenntnissen betrachten unautorisierte Migrant_innen neben der Arbeit als besonders bedeutsam
3
Vgl. BMEIA 2014b. Alexander Preisinger und Niku Dorostkar (2012) beschreiben die Forderung „Integration durch Leistung“ als Kennzeichen eines Neo-Paternalismus gegenüber Migrant_innen. Neo-Paternalismus, oder auch liberaler Paternalismus, bezeichnet den Gedanken, dass Bürger_innen zwar selbstbestimmt handeln und entscheiden können, dazu aber Hilfe und Motivation bedürfen. Im Falle der Migrant_innen sei dies die Motivation zu beruflichem Erfolg.
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für eine Aufenthaltsbewilligung. Die Wichtigkeit ausgezeichneter Deutschkenntnisse spiegelt sich einerseits in der Gesetzgebung (vgl. § 43 Abs 4 NAG 2005 BGBl l 38/2011), andererseits auch im Diskurs der Unterstützer_innen und der Abschiebungsgefährdeten wider. So wurde in der lokalen Gruppe von Unterstützer_innen über Entscheidungen der Asyl- oder Niederlassungsbehörde diskutiert, welche Personen betreffen, die die Unterstützer_innen betreuen. Eine Teilnehmerin berichtet etwa, dass jemand einen negativen Bescheid erhielt, weil er nicht „akzentfrei deutsch“ gesprochen hätte. Die Begründung für den negativen Bescheid sei gewesen, dass die jeweilige Person nicht integriert war (Prot. Unt. 201109). Abschiebungsgefährdete suchen daher nach Möglichkeiten, Deutsch zu lernen. Alex A. beispielsweise meldete sich beim Arbeitsmarktservice (AMS) an, obwohl er kein Aufenthaltsrecht besaß. Der betreffende AMS-Mitarbeiter akzeptierte seine Arbeitslosmeldung. Dies war rechtlich nicht gedeckt, die Voraussetzungen wurden jedoch zum damaligen Zeitpunkt von Beginn an nicht durchgängig streng überprüft (Alex A. ist vor mehr als 20 Jahren eingewandert). Die Arbeitslosenmeldung bot Alex A. jedoch die Möglichkeit, an einem Deutschkurs teilzunehmen. Er schildert ein Vorkommnis zu Beginn des Deutschkurses, bei dem der Aufenthaltsstatus der Teilnehmenden kontrolliert wurde: Nur drei Personen hätten ein Aufenthaltsrecht gehabt. Der „Mann mit Aktentasche“ 4 hätte daraufhin dennoch keine weiteren Schritte beispielsweise in Hinblick auf eine mögliche Abschiebung unternommen, da er die Tatsache, dass die Personen aus eigenem Willen heraus Deutsch lernten, als positiv ansah. Dennoch war danach der weitere Besuch des Deutschkurses nicht mehr möglich. Alex A. lernte schließlich privat durch Lesen und aktives Sprechen Deutsch. Von meinen Interviewpartner_innen spricht Anna E. am wenigsten Deutsch, im Interview antwortet oder übersetzt meistens die Tochter Lena E. Anna E. ist schon seit fünf Jahren in Österreich. Die ersten drei Jahre haben sie und ihre Töchter jedoch in Flüchtlingsheimen verbracht, in denen sie fast ausschließlich gemeinsam mit anderen Flüchtlingen aus dem Nordkaukasus untergebracht waren. Kontakt mit Österreicher_innen bekam die Familie erst vor einem Jahr durch Julia E. und deren Familie. Julia E. hat Anna E. und ihre Kinder in vielfältigen Belangen, unter anderem beim Deutsch lernen, unterstützt. Tochter Lena hat zwei Jahre lang in der externen Hauptschule Deutsch gelernt. Julia E. war auch eine wichtige Bezugsperson für Sophie F., die mittlerweile fließend
4
Alex A. berichtete von einem Mann mit Aktentasche, der unerwartet im Deutschkurs erschien. Er konnte im Interview nicht (mehr) sicher angeben, ob dies ein Mitarbeiter des AMS oder einer Behörde, etwa der Niederlassungs- oder Fremdenpolizeibehörde, war.
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Deutsch spricht, was sie im Selbststudium und in der Kommunikation mit anderen gelernt hat. Sie hat zwei Kurse besucht und auch eine Deutschprüfung abgelegt. Die Praktik des Regelbefolgens nach Barnes ist hier die gleiche wie beim Thema Arbeit – die Mitglieder des Kollektivs bestimmen gemeinsam, dass Deutschlernen eine große Relevanz hat und von den irregulären Migrant*innen unbedingt angestrebt werden muss. Es wird jedoch nicht ökonomisches, sondern kulturelles Kapital aufgebaut. Dies gilt auch für die Bildung der Kinder, deren Schulerfolg von unautorisierten Migrant_innen als sehr bedeutend für einen weiteren Verbleib in Österreich erachtet wird. Diesbezüglich wurde beobachtet, dass ihre Kinder sich stark um gute Deutschkenntnisse und Noten sowie gutes Benehmen in der Schule bemühen, da sie den großen Druck, der auf ihnen lastet, spüren. Auch das Konvertieren zum Katholizismus ist durchaus eine Praktik, die von irregulären Migrant_innen als hilfreich für den Verbleib in Österreich angesehen wird. Die Konversion wird als relevant im Zusammenhang damit angesehen, ob die Migrant_innen Asyl erhalten; eine geringere Rolle wird ihr im Bemühen der Migrant_innen um eine Niederlassungsbewilligung zugeschrieben. Christ_innen müssen in mehreren Herkunftsländern eine Verfolgung befürchten, was laut Asylgesetz einen anerkannten Asylgrund darstellt. In den Interviews konnte festgestellt werden, dass zumindest manche Asylsuchende selbst davon ausgehen, dass die Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche von Vorteil wäre. Einige Migrant_innen glauben, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft für die positive Behandlung ihres Asylverfahrens ausschlaggebend sei. Marie G. etwa erhielt im Flüchtlingsheim von einer – ebenfalls irregulär migrierten – Bekannten den Tipp, zum Katholizismus zu konvertieren. Diese hätte gesagt, sie könne entweder einen muslimischen Mann heiraten, den sie ihr vorstellen würde oder zum Katholizismus konvertieren. Nur diese beiden Varianten wären Erfolg versprechend. Marie G. befand sich in einer Zwangssituation. Sie wollte in Österreich bleiben, aber nicht heiraten. Zu Konvertieren erschien ihr eine Möglichkeit, da ihr Religion zum damaligen Zeitpunkt nicht viel bedeutete. Schließlich stellte die Bekannte ihr einen Pfarrer vor. Die Konversion erfolgte jedoch erst einige Jahre später. Mit dieser Praktik wird in Österreich anerkanntes kulturelles Kapital aufgebaut. Wichtiger erscheinen in diesem Zusammenhang jedoch die Annahmen der Asylsuchenden über die Asylentscheidungen, das heißt ihre Vermutung, durch die Zugehörigkeit zum Katholizismus größere Erfolgschancen auf einen positiven Asylentscheid zu haben. Diese Vermutungen können auch als eine Motivation angesehen werden, warum Abschiebungsgefährdete, die in einer Partnerschaft mit einem/einer Öster-
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reicher_in leben, eine Heirat als rechtlich vorteilhaft erachten. Bei bestehenden Lebensgemeinschaften wird eine Heirat auch von NPO-Mitarbeiter_innen als eine Möglichkeit genannt, um eine Abschiebung zu verhindern. Es wurde von Bekannten berichtet, die diese Option realisierten. Die Heirat ist jedoch zum einen für Drittstaatsangehörige nicht einfach, da verschiedenste Dokumente notwendig sind und die Daten aller aus einem Drittstaat stammenden Verlobten vom Standesamt an die Fremdenpolizeibehörden weiterzugeben sind (Messinger 2012: 89). Zum anderen erwirbt ein_e Drittstaatsangehörige_r zwar den Status „Familienangehörige_r“ und damit eine begünstigte Rechtsposition, die Erlangung eines Aufenthaltstitels ist jedoch trotzdem an weitere Voraussetzungen geknüpft. Diese betreffen beispielsweise die Nachweise über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1, ein gesichertes Einkommen und eine gesicherte Unterkunft sowie eine Krankenversicherung (ebd.: 89-91). Unautorisierte Migrant_innen, die sich bemühen, einen legalen Aufenthalt zu erhalten, setzen auch Schritte, die als Netzwerkbildung bezeichnet werden können. Sie bauen Kontakte mit zumeist österreichischen Unterstützer_innen auf. Diese sind besonders für Informationen zu rechtlichen Möglichkeiten, die Begleitung bei Behördenwegen und die Beratung in Belangen zur Inklusion in die österreichische Gesellschaft wichtig. Bei Behördenwegen sind diese Personen unterstützend tätig, da sie Deutsch sprechen und verstehen können, über die Sachlage Bescheid wissen und im besten Fall sogar Behördenmitarbeiter_innen persönlich kennen. Der Kontaktaufbau mit potenziellen Unterstützer_innen geschieht großteils über Mundpropaganda zwischen Flüchtlingen, oft des gleichen Herkunftslandes. Wenn die Lage sehr dringlich ist und die bisher bestehenden Kontakte zu Hilfseinrichtungen nicht mehr auszureichen scheinen, wird der Kontakt zusätzlich über fremde Personen gesucht. Der Straßenzeitungsverkäufer Viktor A. bat Passant_innen, sich seine Papiere der Fremdenpolizeibehörde anzusehen, die die Ausreiseaufforderung beinhalteten. Auf diese Weise kam er mit Frau V. in Kontakt, die schon mehrmals Zeitungen bei ihm gekauft hatte, sich nun die Papiere ansah und sich trotz sehr geringen Wissens über die Rechtslage der Sache annahm. Das Vertrauen in die Unterstützer_innen ist sehr hoch. Viktor A. gab alle seine Papiere einer Person, die er bis dahin ausschließlich vom Zeitungsverkauf gekannt hatte. Nina V. nahm seine Papiere zum Kopieren mit nach Hause. Mit Pierre Bourdieu (1983) kann hier davon gesprochen werden, dass die Netzwerkbildung ein soziales Kapital darstellt. Dieses fungiert als Ersatz für nicht vorhandenes kulturelles oder symbolisches Kapital. Die Suche nach Unterstützung durch andere Personen kann auch anhand von Günter Krampens (1989) Arbeit zu Kontrollüberzeugungen beschrieben werden. Krampen unterscheidet „zwischen ,sozialer Externalisierung‘ (als Einfluss anderer Menschen) und
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,fatalistischer Externalität‘ (Zufall, Schicksal o.Ä.)“ (Krampen 1989, zitiert in: Helfferich 2012: 27). Selbst wenn andere Menschen Einfluss ausüben, bedeutet dies nicht unbedingt Hilfslosigkeit. So kann ein Mensch die Kontrolle über seine Handlungen anderen Mitmenschen, eventuell Einflussreicheren, übertragen. Das kann dann dem betroffenen Menschen helfen, seine Ziele zu erreichen (vgl. Helfferich 2012: 27). Diese Überlegung stimmt auch für irreguläre Migrant_innen. Sie erhoffen sich von manchen Österreicher_innen Unterstützung. Den Österreicher_innen wird Wirkmächtigkeit zugeschrieben und gleichzeitig die Kontrolle über die Handlungen, in Bezug auf die Verhinderung der Abschiebung, übertragen. Diese Übertragung – Bender, Hollstein und Huber nennen dies stellvertretende Agency – erweitert oftmals die Handlungsmächtigkeit – sprich die Agency – der Abschiebungsgefährdeten. Zurück zum Einfluss verschiedener Kapitalsorten nach Bourdieu auf die Handlungspraktiken unautorisierter Migrant_innen: Wenn kulturelles Kapital, beispielsweise in Form von künstlerischen Tätigkeiten, vorhanden ist, wird dieses auch genutzt, um soziales Kapital zu stärken. Dies zeigt sich beispielsweise in der Praktik, trotz irregulären Aufenthaltsstatus offensiv die eigenen beruflichen Aktivitäten in der Öffentlichkeit auszuführen. Alex A. etwa entschied sich nach längerer Zeit mit vielen Arbeitswechseln, nicht mehr „unsichtbar“ zu sein: „Und dann eben ist mir die Idee gekommen wieso nicht so tun als ob. Also sein, als ob ganz normal wäre der Aufenthalt.“ (Mig. Alex A.: 62). Dies war ein wichtiger Moment für ihn, da er daraufhin ganz offen als Künstler auftrat und sich auch so Geld verdiente. 4.1.2 Praktiken der Unsichtbarkeit Oftmals im Gegensatz zu den inkludierenden Praktiken stehen Handlungen, welche die „Unsichtbarkeit“ der unautorisierten Migrant_innen fördern. Diese werden nicht während einer Abschiebung, sondern noch vor einer potenziellen Festnahme durch die Fremdenpolizei gesetzt. Sie bezeichnen insofern eine „Unsichtbarmachung“, als die Menschen versuchen, möglichst nicht aufzufallen und möglichst keine Spuren ihres Daseins zu hinterlassen, die von der Fremdenpolizeibehörde genutzt werden könnten. Menschen, die einen rechtskräftigen negativen Bescheid erhalten haben, bekommen eine Ausreiseaufforderung mit der Information, dass sie, wenn sie Österreich nicht innerhalb von 14 Tagen verlassen, abgeschoben werden. Eine von allen interviewten Personengruppen genannte Praktik Abschiebungsgefährdeter besteht darin, sich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr am Meldeort aufzuhalten. Je nach familiären Bedingungen können diese Personen dann bei Bekannten oder
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Familienangehörigen wohnen, nächtigen im Freien oder in leer stehenden Häusern. Thomas U., der als Minderjähriger nach Österreich kam, bemüht sich etwa darum, eher privat bei seiner österreichischen Freundin (ohne Migrationshintergrund) zu wohnen statt im Wohnheim – eine Überlegung, die aktiv seine gesellschaftliche Partizipation fördern soll. Der alleinstehende Alex A. hingegen schlägt sich „von einem besetzten Haus zum anderen“ durch (Mig. Alex A.: 59) oder übernachtet immer wieder bei flüchtigen Bekannten, Freunden oder auch im Freien. Wie die Gespräche mit Migrantinnen zeigten, ist dies für Frauen mit Kindern keine Option. Sie kommen bei Freundinnen unter oder schaffen es über Kontakte, in einer eigenen Wohnung ohne offizielle Meldung zu wohnen. Gibt es keine Freund_innen, helfen manchmal auch Fremde gleicher Nationalität aus. Dementsprechend melden die Abschiebungsgefährdeten ihren Wohnsitz oft nicht am Magistrat an. Das „Verstecken“ vor der Polizei ist eine weitere Praxis: Unautorisierte Migrant_innen öffnen die Wohnungstür nur, wenn sie wissen, wer kommen wird. Sie verhalten sich selbst am Wohnort möglichst leise, besonders in den Morgenstunden, wenn sie befürchten, dass die Polizei kommen könnte. Die Kinder werden dazu angehalten, nicht im Park zu spielen, um nicht aufzufallen oder für die Polizei sichtbar zu werden. Sich möglichst nicht auffindbar zu machen, wurde als häufige Praktik abschiebungsgefährdeter Personen identifiziert. Genaue Zahlen sind jedoch schwer festzumachen. Ein Behördenmitarbeiter auf nationaler Ebene sagt, dass 18 % der Personen mit einer Ausreiseaufforderung während des Prozesses der Abschiebung untertauchen. Wenn eine Abschiebung mittels Linienflugzeug nicht funktioniert, wird die jeweilige Person als „Problemabschiebung“ eingeschätzt und versucht, sie im Zuge einer Charterabschiebung außer Landes zu bringen. Der Behördenmitarbeiter auf nationaler Ebene gibt an, dass nur rund ein Viertel der von lokalen Fremdenpolizeibehörden für eine Charterabschiebung genannten Personen durch Festnahmen aufgegriffen werden kann, sprich 75 % nicht auffindbar sind (Beh. Michael R.). Des Weiteren vermeiden Abschiebungsgefährdete polizeiliche Kontrollen. Polizeibeamt_innen dürfen bei einem begründeten Verdacht, dass sich eine Person nicht legal in Österreich aufhält, eine Personenkontrolle vornehmen. Darauf gründen sich die Befürchtungen der abschiebungsgefährdeten Personen, insbesondere jener Menschen die annehmen, auf Grund ihrer Haut- und Haarfarbe als „Migrant_innen“ erkennbar zu sein. Eine schwarze Hautfarbe allein sei laut Innenministerium und Polizei kein so genannter begründeter Verdacht (Amnesty International 2009). Nach Empfehlungen der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) an die Mitgliedsstaaten gilt die „ohne objektive und vernünftige Begründung erfolgende polizeiliche Berücksichtigung von
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Merkmalen wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft im Rahmen von Kontrollen, Überwachungen oder Ermittlungen“ (ECRI 2007: 123) als ethnic profiling (rassische Profilbildung) und ist laut der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte unrechtmäßig (FRA 2010: 21). Die Befürchtungen der Abschiebungsgefährdeten, polizeilich kontrolliert zu werden, sind möglicherweise deshalb so ausgeprägt, weil ethnic profiling in Österreich im Zusammenhang mit verschiedenen Polizeieinsätzen immer wieder vorgekommen ist (vgl. Pollak 2012; ECRI 2010: 50; Amnesty International 2009: 59f.). Um der Polizei nicht aufzufallen, wenden Abschiebungsgefährdete unterschiedliche Praktiken an. Sie vermeiden es überhaupt, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten. Müssen sie, um ihren Alltag zu bewältigen, dennoch in die Öffentlichkeit, so werden Aktivitäten, durch die sie auf sich aufmerksam machen könnten, möglichst vermieden. Dies gilt bei Möglichkeit und Wissen auch für Delikte nicht fremdenpolizeilicher Art, einerseits, um kein Aufsehen zu erregen und andererseits, da solche Vergehen auch in einem möglichen Niederlassungsverfahren stark negativ wirken können. So erzählt Unterstützerin Nina V. von dem Abschiebungsgefährdeten Viktor A. er sei mit dem Fahrrad ohne Licht gefahren, angehalten worden und hätte dann eine geringe Strafe bezahlt. Unterstützerin Nina V. drückt ihre Befürchtung aus, dass der Vorfall mit weniger netten Beamten auch fremdenrechtliche Konsequenzen hätte haben können. Neben der Unterkunft an nicht gemeldeten Orten, dem Nicht-Öffnen der Wohnungstür und der Vermeidung von Öffentlichkeit ist auch das Weglaufen eine spezifische Strategie, wie etwa Lena E. berichtet. „Also wir waren zuerst in Traiskirchen. Dort haben wir die Negativen bekommen. Also, also die wollen uns nach Polen zurückschicken. Und dann, also ich und mein kleiner Bruder, wir sind weggelaufen von diese, das ist, Traiskirchen heißt das. Und die Mama und die Schwester, also die können nicht, weil die waren schon bei der Polizei dort.“ (Mig. Lena E.: 67)
Hier geht das Verstecken mit einer Trennung der Familie einher. Das Weglaufen der Kinder erfüllt in diesem Fall nicht nur den Zweck, deren Abschiebung zu verhindern. Gleichzeitig gilt die Vermutung, dass auch die Abschiebung von Mutter und Schwester verhindert wird, wenn die Kinder nicht auffindbar sind. In welchem Ausmaß die Trennung der Familienmitglieder als bewusste Strategie eingesetzt wird, um die Abschiebung zu verhindern, kann anhand des vorliegenden Datenmaterials nicht beurteilt werden. Es gibt jedoch Anzeichen, dass es sowohl bewusst eingesetzt wird als auch zufällig erfolgen kann.
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Im Unterschied zum Verstecken oder Weglaufen, sobald ein Polizeieinsatz vermutet wird, gibt es auch Abschiebungsgefährdete, die dann davonlaufen, wenn die Polizei vor der Tür steht. Sophie F. berichtet beispielsweise von einem abgelehnten Asylsuchenden, der aus einem Fenster im zweiten Stock sprang, um vor der Polizei zu fliehen, und sich dabei verletzte.
4.2 D ER U MGANG ABSCHIEBUNGSGEFÄHRDETER BEHÖRDLICHEN ANFRAGEN
MIT
Die im letzten Kapitel geschilderten Handlungspraktiken betreffen Merkmal A von Catch-22 des irregulären Aufenthalts, die gesellschaftliche Partizipation. Auch im Rahmen des zweiten Merkmals, der Compliance, entwickeln Abschiebungsgefährdete bestimmte Praktiken. Wenn die Personen ohne Dokumente im Land bleiben wollen oder müssen, befinden sie sich, wie in Kapitel 3.4.4.1, „Identitätspapiere“, beschrieben, in einer paradoxen Situation ihre eigenen Bemühungen um Identitätsdokumente betreffend. Für die Beamt_innen ist die „Mitwirkung“ an der Beschaffung dieser Dokumente zentral. Das Bemühen wird als eine Voraussetzung für einen legalen Aufenthaltsstatus angesehen. Gleichzeitig führen vorhandene Identitätsdokumente dazu, dass eine potenzielle Abschiebung überhaupt erst realisiert werden kann. Es ist also für Personen im Status der Dokumentenlosigkeit nicht oder nur schwer abschätzbar, welche Folgen der Besitz von Identitätsdokumenten ihres Herkunftslandes für sie haben könnte (unabhängig von der Frage, ob diese Dokumente überhaupt beschafft werden könnten). Jedenfalls besteht durch Identitätsdokumente kein automatischer oder auch nur einschätzbarer Anspruch auf Aufenthalt. Zugleich führen diese dazu, dass eine Abschiebung in den überwiegenden Fällen möglich würde. Somit verringern sich die Handlungsfähigkeiten der unautorisierten Migrant_innen im Status der Dokumentenlosigkeit im Zusammenspiel mit den Erwartungen der Behörden stark. Die Handlungspraktiken der Weigerung, die eigene Identität bekannt zu geben oder an der Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes mitzuwirken, sind jenen der Unsichtbarmachung ähnlich. Denn sie folgen der gleichen Logik, nämlich dass Abschiebungsgefährdete von den staatlichen Behörden, die gegen ihren Willen agieren, nicht in ihrer früheren Identität5 gesehen werden wollen. Diese frühere Identität erscheint ihnen nachteilig für ihr Ziel, zukünftig als legal in Ös-
5
Identität wird hier im Sinne der offiziellen Identifizierung durch Dokumente und nicht im psychologischen Sinne verwendet.
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terreich lebende Bürger_innen akzeptiert zu werden. Eine mögliche Handlungspraktik für die Ablegung ihrer alten Identität ist, diese nicht oder nicht vollständig preiszugeben. Diese Strategie kann jedoch nur angewandt werden, wenn sie schon im Asylverfahren praktiziert wurde. So erzählt Marie G., dass sie zu Beginn dem Rat anderer Flüchtlinge gefolgt sei, bei den österreichischen Behörden nicht ihren richtigen Namen oder ihr richtiges Geburtsdatum anzugeben. Denn, so habe man ihr gesagt, wenn die Behörden in ihrem Herkunftsstaat keine registrierte Person mit ihrem Namen fänden, dann könne sie auch nicht zurückgeschickt werden. Rückblickend meint Frau G., dass sie sich nicht sicher sei, ob das so stimme. Sie bezieht diese Überlegung auch auf ihr inzwischen negativ abgeschlossenes Asylverfahren und die von ihr angegebene Version ihrer Migration, die ihr andere Personen als Erfolg versprechend nahegelegt hatten. Sie hat jedoch kein Asyl bekommen und überlegt nun, ob sie ihr richtiges Problem hätte erzählen sollen und kommt zu dem Schluss: „Bisher viele Sachen verstehe ich nicht“ (Mig. Marie G.: 262), und scheint damit die behördlichen Entscheidungen zu meinen. Eine weitere Handlungsmöglichkeit besteht für jene Abschiebungsgefährdeten, für die die Fremdenpolizeibehörden in den Heimatländern um ein Ersatzreisedokument ansuchen. NPO Mitarbeiter Jakob J. berichtet, dass Personen, beispielsweise auch Schubhäftlinge, ihre jeweilige Botschaft anrufen und diese bitten, kein Ersatzreisedokument auszustellen. Auch wenn dies in einigen Fällen nützen mag, ist es dennoch schwer abzuschätzen, ob diese Praktik Erfolg versprechend ist (vgl. Kap. 3.4.1.3, „Abschiebebemühungen durch die Behörden“). Andererseits gibt es auch unautorisierte Migrant_innen, die in der Botschaft anrufen und selbst um die Ausstellung eines Ersatzreisedokuments bitten bzw. erfragen, wie sie eine solche beschleunigen können. Dies ist dann der Fall, wenn sie selbst zum Beispiel in Schubhaft sind und ihre Situation in Österreich beenden wollen. Selbst keine Initiative bezüglich der Offenlegung der eigenen vollen Identität oder des Erhalts von Ersatzreisedokumenten zu ergreifen, ist vom Grundgedanken her wiederum auf Unsichtbarkeit ausgelegt – zumindest betreffend der Aspekte ihrer nicht österreichischen Identität. Demgegenüber stehen Handlungen, die behördlichen Anforderungen möglichst zu entsprechen versuchen. Das Mitführen aller Dokumente, die die unautorisierten Migrant_innen besitzen, ist eine weit verbreitete Praxis und begründet sich unter anderem aus der Furcht vor Restriktionen, sollten sie dieser Anforderung nicht nachkommen. Wenn Abschiebungsgefährdete gemeinsam mit den jeweiligen Unterstützer_innen zu behördlichen Terminen gehen, gegenüber den Referent_innen nicht
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aggressiv auftreten und möglichst sympathisch erscheinen, schätzt die NPOMitarbeiterin Mia Q. die Wahrscheinlichkeit, dass die Behördenmitarbeiter_innen den Betreffenden entgegenkommen, als höher ein. Zum Beispiel kann eine solche Praktik der Freundlichkeit dazu führen, dass eine abschiebungsgefährdete Person, der von der Niederlassungsbehörde zugesichert wurde, bald eine (positive) Entscheidung über ihren Antrag zu erhalten, in dieser Zeit nicht abgeschoben wird.
4.3 H ANDLUNGSPRAKTIKEN UND IHRE B EDINGTHEITEN ALS P ROZESSE – F ALLBEISPIELE Die Handlungen der Abschiebungsgefährdeten pendeln je nach Situationen zwischen Integrationsbemühungen und dem Versuch, sich möglichst unsichtbar zu verhalten, um nicht der Fremdenpolizei aufzufallen. In den folgenden Fallbeispielen werden die Handlungsverläufe analysiert und es wird deutlich, wie soziales Kapital eingesetzt wird, wie Handlungsmächtigkeit in Catch-22-Situationen des irregulären Aufenthalts gestaltet sein kann, und welche individuellen oder externen Bedingungen das Handeln und die Handlungsmächtigkeiten der Personen beeinflussen. 4.3.1 Flexibles Reagieren – Sophie F. Sophie F. ist ohne Ehemann mit zwei Kleinkindern aus einem nordkaukasischen Land über Polen nach Österreich migriert. Hier lebt auch schon ihr Bruder mit seiner Familie. In Österreich hat sie um Asyl angesucht, ist jedoch wegen der Dublin-II-Bestimmungen nicht zum Asylverfahren zugelassen worden und sollte nach Polen abgeschoben werden. Diesen ersten negativen Bescheid hat sie in einem Flüchtlingslager erhalten. An einem Wochenende hat ihr Bruder die Kinder „für ein paar Tage, ein bisschen für die Kinder“ (Mig. Sophie F.: 7) zu sich geholt, während Sophie F. im Flüchtlingslager blieb, weil sie täglich ihre Anwesenheit mittels Unterschrift bestätigen musste. An jenem Wochenende telefonierte Sophie F. am Abend im Freien mit ihrem Bruder. Als sie in ihrem Zimmer das Licht angehen sah, wusste sie, dass die Polizei nach ihr suchte. Sie befürchtete, ohne ihre Kinder abgeschoben zu werden und verbrachte die gesamte Nacht im Wald. Am nächsten Tag wurde sie von ihrem Bruder abgeholt. Die erste Abwendung der Abschiebung ist durch zwei intervenierende Bedingungen zu Stande gekommen: Erstens der Bruder, der die Kinder zu sich ho-
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len konnte; zweitens der fehlende Handyempfang, der das Telefonieren innerhalb des Gebäudes unmöglich gemacht hat und wodurch Sophie F. zum Telefonieren das Gebäude verlassen musste. Der Kontakt mit dem bereits in Österreich lebenden Bruder erwies sich als nützliches soziales Kapital für Frau F. Trotz dessen beschränkten Unterstützungsmöglichkeiten – er selbst verfügte nur über geringe finanzielle Mittel und sein Wohnort lag relativ weit vom Flüchtlingsheim entfernt – war seine Hilfeleistung zum richtigen Zeitpunkt entscheidend. Denn selbst wenn die Polizei Sophie F. in ihrem Zimmer angetroffen hätte, wäre die Frau höchstwahrscheinlich ohne ihre beiden Kleinkinder nicht abgeschoben worden. Einer Abschiebung hätte hier das Menschenrecht auf Familienleben entgegengestanden. Dies zeigt auch das Gespräch mit Anna E., die in einer ähnlichen Situation war. Bei ihr waren zwei ihrer älteren Kinder weggelaufen, weshalb Anna E. und das jüngste Kind nicht abgeschoben wurden. Für Sophie F. war jedoch auch noch die Tatsache hilfreich, dass es auf dem Gelände des Flüchtlingslagers selbst keinen Handyempfang gab. Die darin manifestierte Abgeschiedenheit schränkt die Kommunikationsmöglichkeiten der Asylsuchenden ein, wurde in diesem Fall aber im Moment der konkreten Abschiebungsgefährdung zu einer unverhofft positiven Bedingung. Insofern ist dies eine Bedingung, die eine Abschiebungsverhinderung erleichtert, dem Abschiebesystem an sich jedoch inhärent ist. Denn die Abschottung der Asylsuchenden kann als ein Aspekt gedeutet werden, eine eventuelle Integration dieser möglichst zu verhindern. Dies zeigt beispielsweise auch das weitgehende Arbeitsverbot für Asylsuchende sowie die eingeschränkte Bewegungsfreiheit (vgl. Kap. 3.1.1, „Leitbild ‚Integration‘“). In weiterer Folge beauftragte Sophie F. einen Rechtsanwalt, der eine Beschwerde einlegte. Sophie F. und ihre Kinder konnten mit Hilfe ihres Bruders einen Platz in einem anderen Flüchtlingswohnheim in der untersuchten Landeshauptstadt bekommen. Als dort schließlich der endgültige negative Bescheid eintraf, ist Sophie F. mit ihren Kindern „von dem Heim“ weggegangen: „Ich hab einfach meine Sachen/weil ich weiß dann kann mich die Polizei.“ (Mig. Sophie F.: 22) Für Sophie F. waren somit erneut ihre Verwandten sehr wichtig, da diese sie mit Essen versorgten. Bei der zentralen Frage nach einer Unterkunft in ihrer Zeit als unautorisierte Migrantin jedoch konnte auch der Bruder nicht weiterhelfen. Sophie F. hatte seine Daten der Behörde weitergegeben, sodass diese nicht nur im Flüchtlingsheim, sondern auch bei diesem nach Frau F. gesucht hatten. Frau F. konnte vorerst bei einer anderen Familie unterkommen. Dann lernte sie über ihre Übersetzungsarbeiten, die ihr im Flüchtlingsheim vermittelt wurden, die Österreicherin Julia E. kennen. Durch deren finanzielle wie auch praktische Unter-
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stützung (Wissen über eine frei werdende Wohnung beispielsweise) konnte sie mit den Kindern in eine eigene kleine Wohnung einziehen. Für ihr Leben als unautorisierte Migrantin war es somit essenziell, dass ihr über das Flüchtlingsheim eine Tätigkeit ermöglicht wurde, die sie mit Menschen auch außerhalb des engen Bereiches des Flüchtlingsheims in Kontakt brachte. Dabei kamen ihr sicherlich ihre schnell erworbenen Deutschkenntnisse zu Gute. Als ehemalige Lehrerin brachte sie anscheinend gute individuelle Ausgangsbedingungen mit, schnell Deutsch zu erlernen. Außerdem war wichtig, dass sie auch die soziale Kompetenz hatte, den Kontakt zu Julia E. nutzen zu können. Sophie F. passte in weiterer Folge auf die Kinder von Julia E. auf, und diese bemühte sich sehr um die Verbesserung von deren Lebenssituation. Julia E. mobilisierte viele weitere Kontakte – wie etwa zur Kirche und zu einem Experten im Bereich des Bleiberechts – und unterstützte Sophie F. bei der Beantragung einer Niederlassungsbewilligung. Es ist also nicht nur wichtig, eine Person kennen zu lernen, die bereit ist zu helfen. Von Bedeutung ist, diesen Kontakt auch intensivieren zu können, und vor allem dass die Unterstützerin selbst geeignete Ressourcen mitbringt. Im Fall von Julia E. waren dies nicht nur finanzielle Mittel (Finanzierung der Wohnung), sondern auch hohe soziale Kompetenzen. Nach langen Verhandlungen mit zwei Schuldirektor_innen wurde es mittels Unterstützung weiterer österreichischer Personen möglich, das ältere Kind trotz fehlenden Meldezettels in einer Neuen Mittelschule anzumelden. Der qualitativ wirkungsvolle Einsatz von Julia E. zeigte sich auch, als sie es schaffte, durch die Medien einen persönlichen Kontakt zur Landesbehörde herzustellen und ein persönliches Gespräch für Sophie F. mit einem hochrangigen Beamten zu ermöglichen. Sophie F. führt die Bewilligung ihrer Niederlassung auf diese Intervention zurück. Julia E. unterstützte Sophie F. also nicht nur in deren Bemühungen, in „Unsichtbarkeit“ zu leben, sondern auch in deren Bemühungen, ihren Aufenthalt zu legalisieren. Ihre Tätigkeiten können auch als „stellvertretende Agency“ (Bender/Hollstein/Huber 2013: 267) beschrieben werden: Die Akteurin Julia E. setzt Handlungen, die nicht auf sich selbst, sondern auf eine andere Akteurin (Sophie F.) gerichtet sind. Sophie F. wird also über Julia E. handlungsfähiger. In der bisherigen Beschreibung wurde zudem die Relevanz der Handlungen der Schuldirektor_innen für den Umgang mit der Catch-22-Situation deutlich. Die Verweigerung von Schuldirektor_innen, ein Kind ohne Meldeadresse aufzunehmen, erzeugt wesentliche Probleme für diese Familie. Denn bei einem späteren Antrag auf Niederlassungsbewilligung werden der Schulerfolg und Unterstützungserklärungen von Seiten der Schule, mögliche Freundschaften oder Bekanntschaften der Kinder sowie Elternkontakte als wichtig eingeschätzt (vgl.
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Rosenberger/Winkler 2012: 119ff.). Darüber hinaus ist der Schulbesuch ein Menschenrecht für alle Kinder (Art 26 AEMR) und in Österreich gilt die Schulpflicht für alle Kinder unabhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status (vgl. Netzwerk Kinderrechte o.J.). Gehen Kinder, die in prekären Situationen leben, nicht in die Schule, hat dies negative emotionale Auswirkungen auf sie; ihr in der UNKinderrechtskonvention festgeschriebenes Grundrecht auf Teilhabe und Integration ist nicht gewährleistet (vgl. Mitrović 2009: 157). Beim Versuch, einen legalen Aufenthalt zu erlangen, spielen Anwälte6 eine große Rolle. Das beginnt schon während des Asylverfahrens. Sophie F. konsultierte in Österreich insgesamt drei verschiedene Anwälte. Der erste führte das Beschwerdeverfahren beim Verwaltungsgerichtshof durch. Sophie F. war enttäuscht von ihm, da er wenige Informationen weiterleitete und sich offensichtlich nicht um den Fall bemühte. Daher wechselte sie den Anwalt. Jedoch mit wenig Glück, denn der zweite Anwalt versprach Sophie F. gegen ein Entgelt von 300 Euro, dass die Fremdenpolizei sie zumindest mehrere Wochen mit Sicherheit nicht abschieben würde. Es stellte sich jedoch heraus, dass er ihr für die 300 Euro nur einen inoffiziellen Zettel schrieb, auf dem stand, dass sie keine Angst vor der Polizei zu haben brauche: „Okay, hat er gesagt, er macht das. Dreihundert Euro haben wir bezahlt. Dann habe ich so ein Papier bekommen. Kein Stempel, keine Unterschrift, nichts. [...] da stehen nur ein paar Wörter. Das hat er gemacht. Für das habe ich bezahlt. Dann habe ich das Julia gezeigt. Da steht, dass ich einfach in [Stadt anonymisiert, Anm. B.K.] gehen kann, keine Angst vor der Polizei haben muss. Die machen nichts jetzt. [...] Aber kein Stempel und keine … nichts.“ (Mig. Sophie F.: 165)
Dieses Beispiel eines Betrugs an unautorisierten Migrant_innen scheint kein Einzelfall zu sein. Sophie F. erzählt von anderen Familien, denen das Gleiche mit demselben Anwalt passiert ist. In ihrem eigenen Fall versuchte Sophie F. mit Hilfe ihrer Unterstützerin Julia E. das Geld zurückzubekommen. Aber der Anwalt argumentierte, sie bräuchte einen Meldezettel, ohne den er nichts tun könne. Diese Anforderung, einen Meldezettel vorzulegen, irritierte Sophie F. stark. Denn sie hatte den Anwalt genau mit dem Anliegen kontaktiert, ihr ohne Meldezettel zu helfen, und der Anwalt hatte ihr dies auch zugesagt. Schließlich kam Sophie F. durch Julia E. zu ihrem dritten, bereits pensionierten und ehrenamtlich arbeitenden Anwalt, der sie im Niederlassungsverfahren beraten hat.
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Ich schreibe hier nur in der männlichen Form, da mir in allen Interviews von keiner einzigen Frau als Anwältin berichtet wurde.
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Es zeigt sich also, dass es einen großen Unterschied macht, welche Anwälte den Fall bearbeiten. Das Beispiel von Sophie F. veranschaulicht die Bedeutung sozialen Kapitals. Zu dem ersten Anwalt, der sie – wenn auch mit geringem Engagement – vertrat, kam sie über die Information anderer ehemaliger Asylsuchender, die positive Erfahrungen mit ihm gemacht hatten. Ihre Verwandten, die selbst als Flüchtlinge nach Österreich gekommen waren, suchten ihr einen neuen Anwalt, bei welchem sich schließlich wie beschrieben herausstellte, dass er betrügerisch handelte. Erst die etablierteste Unterstützerin (etabliert im Sinne der Außenseiter- und Etablierten-Konfiguration von Norbert Elias, vgl. Elias/Scotson 1990) hatte das qualitativ hochwertige soziale Kapital hinsichtlich des Anwaltskontaktes. Im Zusammenhang mit der Entscheidung für den zweiten Anwalt war Sophie F. vor allem wichtig, dass ihre Kinder durch die anwaltliche Hilfe in die Schule gehen können: „Ich habe gesagt, okay, ich zahle diese dreihundert Euro, wenn meine Kinder jetzt in die Schule gehen können. Ich war auch nicht so, ich mag nicht so weit denken, was dann weiter passiert.“ (Sophie F.: 165)
In den Anwalt werden also nicht nur Hoffnungen der Legalisierung des Aufenthalts gesetzt, sondern auch bezüglich der Bewältigung des Alltags. Teilweise sind die Hoffnungen auch durch Informationsmangel geprägt. So sagt Sophie F. (ebd.): „Jetzt weiß ich, dass er nicht so viel kann, der Rechtsanwalt, überhaupt.“ Das Beispiel verdeutlicht überdies Sophie F.s Gratwanderung zwischen den Bereichen: a) Legalisierung (Ansuchen um Niederlassungsbewilligung) und Bemühungen, ihr Alltagsleben lebenswert und menschenwürdig zu gestalten (Arbeitsmöglichkeiten finden wie Übersetzen oder Babysitten; die eigenen Kinder in die Schule schicken; eine adäquate Wohnmöglichkeit finden; Deutsch lernen) und somit auch Schritte zu setzen, die auch von den Behörden als Integration bezeichnet werden und b) einer Abschiebung zu entgehen (rechtzeitiges Fortlaufen aus den Flüchtlingswohnheimen; die entsprechende Wahl des Wohnortes, also nicht beim Bruder, dessen Adresse den Behörden bekannt ist; die Kinder nicht im Freien spielen lassen). Sophie F.s Handlungen stellen ein flexibles Reagieren auf die behördlichen Entscheidungen (negative Bescheide) und Aktivitäten (Suche nach der Familie in den Flüchtlingswohnheimen, beim Bruder) dar. Welche Handlungsfähigkeiten,
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also Agency, sie besitzt, ist außerdem von ihren individuellen Bedingungen – Lernerfahrung auf Grund ihrer universitären Ausbildung sowie die Fähigkeit, soziales Kapital aufzubauen und als „stellvertretende Agency“ zu nutzen – und externen Faktoren, wie dem Handeln der Anwälte, abhängig. Die Kompetenz, flexibel auf die Anforderungen der Behörde und des Alltags als unautorisierte Migrantin zu reagieren, zieht sich durch alle Interviews. Anhand des Beispiels von Sophie F. lässt sich dies besonders gut veranschaulichen. Gleiches gilt für das Hauptcharakteristikum der Erzählung von Thomas U. So wie bei ihm fand ich in der Analyse vieler Interviews, dass die Abschiebungsgefährdeten sich zwar nach Möglichkeit „unsichtbar“ machen, dennoch große Bemühungen anstellen, an der österreichischen Gesellschaft zu partizipieren. Das Beispiel von Thomas U. illustriert diese Ambivalenz sehr gut. 4.3.2 Inklusionsbemühungen trotz möglichster Unsichtbarkeit – Thomas U. Thomas U. ist vor mehreren Jahren ohne Verwandte als Minderjähriger aus einem westafrikanischen Land nach Österreich gekommen. Zum Zeitpunkt des Interviews hatte er erstmals eine fremdenpolizeiliche „Duldung“. Wie in Kapitel 3.4.5, „Ausprägungen des Dilemmas des irregulären Aufenthalts“, für solche Fälle beschrieben, hat für ihn dennoch zu jenem Zeitpunkt die Gefahr bestanden, in sein Heimatland abgeschoben zu werden. Thomas U. hat nach seinem abgelehnten Asylbescheid zuerst noch in einem Flüchtlingsheim gelebt, in dem er für ein kleines Taschengeld gearbeitet hat. Danach ist er bei seiner österreichischen Freundin eingezogen und hat ehrenamtlich in einem Obdachlosenheim gearbeitet. Thomas U. hat sich sehr darum bemüht, alles „richtig“ zu machen: Er hat für ein kleines Entgelt ehrenamtlich gearbeitet, mehrere Deutschkurse absolviert, ist der Fremdenpolizei gegenüber bei Kontrollen immer höflich geblieben („Also wenn jetzt der Thomas kontrolliert wird, oder so, er schimpft nie irgendwie oder so“ [Unt. Lisa U.: 344]) und hat „nie hier ein Problem“ (Mig. Thomas U.: 30) gemacht. Einmal hat er eine Richtlinie des Wohnheims missachtet und damit gegen das Jugendschutzgesetz verstoßen, wofür er eine Strafe vom Jugendamt bekommen hat und Sozialdienst leisten musste. Mit „keine Probleme gemacht“ meint er, dass er keine Delikte begangen hat. Im Interview wird deutlich, dass seine Freundin Lisa U. den polizeilichen Begriff der „Illegalität“ zwar übernimmt, jedoch sehr deutlich zwischen Gesetzesübertretungen, die für alle Bewohner_innen Österreichs gelten, und solchen nach dem Fremdenpolizeigesetz unterscheidet. Denn Thomas U. ist aus dem Heim ausgezogen, weil er nicht in
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Verbindung mit anderen Heimbewohner_innen und ihren – möglicherweise illegalen – Tätigkeiten gebracht werden wollte (vgl. Kap. 3.4.3, „Merkmal A: Gesellschaftliche Partizipation“, – Spezifikum: Dilemma bei der Entscheidung über die Wohnsituation). Gegen die Strafen wegen illegalen Aufenthalts hingegen hat Thomas U. Einspruch erhoben. Der polizeiliche Begriff der „Illegalität“ wird also hinsichtlich allgemeiner Delikte übernommen und geteilt, hinsichtlich des Aufenthalts- und Fremdenrechts nicht. Die Strafen wegen illegalen Aufenthalts hätten Thomas U. finanziell stark belastet. Insofern war der Einspruch über seinen Rechtsanwalt sehr wichtig. Neben dem Rechtsanwalt haben sich Thomas U. und Lisa U. Hilfe bei einem Verein gesucht, um Antworten darauf zu erhalten, wie Thomas U. einen legalen Aufenthaltsstatus erlangen könnte. Diese Beratung wurde als sehr hilfreich erlebt. Thomas U. sieht seine Bemühungen, möglichst alles für eine gute Integration in Österreich zu tun, konterkariert, da er immer wieder mit seinem unsicheren Aufenthalt konfrontiert wird: a) Er berichtet von verschiedenen Bekannten und Freunden, die in einer ähnlichen Situation waren und abgeschoben wurden, sowie von einer Person, die sich aus Furcht vor einer Abschiebung sogar umbrachte (s. Kap. 5, „Verbleiben zwischen Sein und Schein“). b) Er wird immer wieder von der Polizei auf der Straße angesprochen und muss mit auf das Polizeirevier fahren, bekommt auch Strafen wegen illegalen Aufenthalts. c) Infolgedessen ist jeglicher Aufenthalt von ihm im Freien davon geprägt, ob ihn die Polizei dort kontrollieren könnte oder nicht. „Am meisten bin ich immer bei meinen Freunden. Die sind auch aus [westafrikanisches Land]. Und ja. Ich besuche sie. Und wir sind immer im Haus und ja. Aber manchmal bin ich öfters zu Hause. Ich gehe auch draußen im Park, und gehe spazieren. […] und, ich geh auch, ich mach nur so, dass ich immer für mich, dass ich immer aufpasse, dass ich nicht zu Plätzen gehe, wo ich weiß, dass ich kontrolliert werden kann.“ (Mig. Thomas U.: 231-134)
Thomas U. folgt hier also der Strategie der möglichst vollständigen Unsichtbarkeit. Gleichzeitig versucht er, den Pfad der Integrationsbemühungen nicht zu verlassen, denn er war immer an seiner Wohnadresse auch offiziell gemeldet. Einige Zeit vor dem Interviewtermin erhielt Thomas U. eine Duldungskarte. Er war sich jedoch sehr unsicher, was diese Karte bedeute. Anfangs dachte er, dass sie ihm Aufenthaltssicherheit geben würde. In einem Gespräch mit seinem
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Anwalt erfuhr er jedoch, dass diese Karte nur für ehemals Inhaftierte gelte und dass sie bedeute, man werde einmal abgeschoben – nur dass die Behörden bisher noch nicht die Möglichkeiten dazu gehabt hätten. Über die Bedeutung dieser Karte bestand also große Unwissenheit. Die Informationen von Seiten der Behörde waren nicht ausreichend: Thomas U. wusste nicht, wieso er die Karte erhalten hatte. Auch die Informationen, die Thomas U. und seine Freundin vom Rechtsanwalt und von einem im Flüchtlingsbereich tätigen Verein einholten, waren unterschiedlich. Neben der Meinung, dass diese Karte nur Menschen erhalten, die einmal im Gefängnis waren (obwohl Thomas U. niemals inhaftiert war), wurde ihnen auch gesagt, dass diese Karte unautorisierte Migrant_innen ausgestellt bekämen, die nicht offiziell in ihrem Herkunftsland gemeldet seien und aus behördlicher Sicht nicht aus dem angegebenen Land stammen müssten. Thomas U. erhielt von den Fremdenpolizeibehörden zwei Signale: zum einen die Information, er sei in Österreich „geduldet“ – eine für Thomas U. doch ansatzweise positive Konnotation – andererseits wurden ihm anscheinend kaum Informationen über die Bedeutung dieser „Duldung“ zugänglich gemacht. Für Thomas U. resultierte dies in Verzweiflung und Resignation, die darin mündeten, dass er seine Bemühungen, den Integrationsanforderungen zu entsprechen, in Frage stellte. „Weil ich denke immer, okay, ich mach alles das [Beweise der Integration wie z.B. Deutsch lernen, Anm. B.K.], und am Ende werde ich abgeschoben. Und das ist auch für mich echt voll schwer.“ (Ebd.: 22)
Fast ein Jahr nach dem Interview hat Thomas U. noch immer kein Aufenthaltsrecht erlangt. Seine Situation hat sich jedoch verändert. Inzwischen hat er seine Freundin Lisa U. geheiratet, ist ausgereist und hat vom Ausland aus einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt. Die Schilderung von Thomas U. zeigt, dass die fremdenpolizeilichen Einflüsse es ihm erschweren, sich durch Inklusion um eine Aufenthaltssicherheit zu bemühen: sei es durch fremdenrechtliche Kontrollen (in der Öffentlichkeit oder an seinem Wohnort) oder Verhängung von Strafen wegen illegalen Aufenthalts. Obwohl Thomas U. mehrmals fremdenrechtlich kontrolliert wurde, wurde er nicht abgeschoben. Für ihn ist es nicht nachvollziehbar. Er meint im Interview, dass der Grund nicht darin liegen könne, dass er in seinem Herkunftsland nicht gemeldet sei: Thomas U.: „… wieso ich die Duldung bekomme, weiß ich nicht. Das weiß ich wirklich nicht. Weil der Anwalt hat gesagt, das ist, weil ich nicht in [westafrikanisches Land] ge-
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meldet bin. Aber es gibt viele, ich habe schon viele Leute gesehen, die sind schon abgeschoben worden, aus [westafrikanisches Land]. Und deswegen.“ Lisa U.: „In [westafrikanisches Land] ist man nicht gemeldet, oder?“ Thomas U.: „Ja, aber trotzdem. Und deswegen glaube ich nicht, dass ist wegen (unverständlich). Es ist wegen, weil sie keine Meldung von mir in [westafrikanisches Land] kriegen können. Ich habe schon viele Leute darüber gefragt, wieso, was wissen sie über die Duldung. Aber viele sagen mir auch verschiedene Gründe. Ja.“ (Mig. Thomas U./Unt. Lisa U.: 142-144)
Bekannte und Freunde von Thomas U., die sich in ähnlichen Situationen wie er befunden hatten, wurden also sehr wohl abgeschoben. I.: „Okay. Mhm. Und Sie haben erzählt, Sie kennen Menschen, die abgeschoben worden sind, nach [westafrikanisches Land] auch? Und haben Sie von denen erfahren, wie das passiert ist? Oder wie das vor sich gegangen ist?“ Thomas U.: „Ja. Einer war hier, der war, ich habe ihn hier gekannt. Und der war hier neun Jahre glaube ich.“ I.: „Neun Jahre?“ Thomas U.: „Ja.“ I.: „Okay.“ Thomas U: „Und dann haben Sie ihn abgeschoben. Weil einmal bin ich, war ich mit ihm in der Straße, und dann haben sie, hat die Polizei uns kontrolliert. Und der hat auch keinen Ausweis, weil sie haben seinen Ausweis weggenommen. Und dann hat die Polizei zu ihm gesagt, du bist hier neun Jahre, du musst irgendwas machen, dass du hier eine Chance bekommst. Weil wenn du eine andere Polizei vielleicht triffst, dann nehmen sie dich wirklich nach [westafrikanisches Land] zurück. Er [der Polizist, Anm. B.K.] hat das gesagt. Dann vor zwei Tagen, oder drei Tagen, dann haben sie ihn am [Platz] kontrolliert. Und dann sofort in Schubhaft, und er war zwei Wochen in Schubhaft, dann ist er nach [westafrikanisches Land]. (An Lisa U. gewandt:) Das war (Name).“ (Mig. Thomas U.: 151-156)
Dieses Interview zeigt ebenso wie andere, dass die dominanten fremdenpolizeilichen Praktiken jene der Kontrollen, der Inschubhaftnahme und nach Möglichkeit die Abschiebung sind. In der Erzählung von Thomas U. wird aber deutlich, dass es auch individuelles Handeln von Polizist_innen gibt, das den Abschiebungsgefährdeten „Chancen“ einräumt, wie sich Thomas U. ausdrückt. Von einem solchen Handeln haben beispielsweise auch Alex A. (s. dessen Fallbeschreibung in Kap. 4.3.4, „Risikoreiche Selbstermächtigung – Alex A.“) und die Unterstützerin Nina V. erzählt (als sie von den Polizist_innen erzählt hat, die ih-
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ren abschiebungsgefährdeten Bekannten Viktor A. darauf hingewiesen haben, dass er in seiner Situation besser nicht mit einem Fahrrad ohne Licht fahren solle [vgl. Kap. 4.1.2, „Praktiken der Unsichtbarkeit“]). Neben dem fremdenpolizeilichen Vorgehen ist die Situation von Thomas U. durch das Handeln des Anwalts beeinflusst: Dieser vertritt ihn offenbar passend, da er (anscheinend erfolgreich) gegen die Strafen des illegalen Aufenthalts Einspruch erhoben hat. Dies beeinflusst auch Thomas U.s finanzielle Situation und damit seinen Alltag positiv, ebenso wie die Möglichkeiten des kleinen Verdiensts durch Arbeiten im Wohnheim und im Obdachlosenheim. Hier greifen die unterstützenden Strukturen der Hilfsvereine. Das Ausmaß des Einflusses, das die Freundin Lisa U. auf die Lebensrealität und die Aufenthaltssicherheit hat, spricht Thomas U. im Interview, das mit beiden gemeinsam geführt wurde, nicht direkt an. Es wird aber deutlich, dass die Freundin für ihn mehrere Handlungsmöglichkeiten (auch im Sinne stellvertretender Agency) eröffnet: Sie ermöglicht ihm eine private Unterkunft in ihrer Mietwohnung, informiert sich an seiner Stelle bei einem Verein und unterstützt ihn finanziell. Thomas U. handelt in seinen Integrationsanstrengungen ähnlich wie Marie G. Sie bemüht sich, sich so zu verhalten, dass es von den Behörden positiv anerkannt wird. 4.3.3 Den Anforderungen entsprechen – Marie G. Marie G. reiste alleine als ältere Frau aus einem nordostasiatischen Land nach Österreich ein. In ihrer Migrationsgeschichte ist eine Handlungspraxis bestimmend, bei der sie von anderen Menschen Informationen einholt und sich nach diesen orientiert. Dies betrifft schon als erstes ihre Entscheidung, von einem osteuropäischen Staat, für den sie ein Visum besaß, weiter nach Österreich zu migrieren: „[D]ann die Leute haben mir gesagt: ‚Wenn du in Österreich, oder Schweiz oder irgendwo um Asyl ansuchst, dann kannst du schwarz arbeiten und du verdienst besser.‘“ (Mig. Marie G.: 76) Und weiter: „Wenn ich diesem Mädchen nicht geholfen hätte und nicht mit diesem Mädchen gewesen wäre, wäre ich nicht hierher gekommen.“ (Ebd.: 115) Auch ihr Ansuchen um Asyl war geprägt von Informationen durch andere: a) dass sie überhaupt um Asyl ansucht („Ich habe keine Vorstellung über Asyl, oder was das bedeutet, was ich machen soll.“ [Ebd.: 38]), b) was sie vor den Asylbehörden erzählt („Ich habe nicht echt gesprochen. Etwas, eine Geschichte gesprochen. Weil das, ‚so soll das sein‘ haben die Leu-
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te gesagt, ‚Du musst das so sagen, so sagen.‘ Ich weiß nicht, eigentlich.“ [Ebd.: 75] Und: „Nur als ich gekommen bin, die Leute haben gesagt: ‚So, eine Frau muss so sagen, ein Mann soll so sagen.‘“ [Ebd.: 254]) und c) wie viel ihrer Identität sie preisgibt („[S]agen die Leute, darf man zum Beispiel nicht den Namen richtig sagen, oder das Geburtsdatum, oder alles nicht richtig sagen, etwas muss falsch sein.“ [Ebd.: 258]). Marie G. entschied sich, nachdem sie den ersten negativen Bescheid erhalten hatte und angeregt durch die Empfehlung einer anderen geflüchteten Frau, ebenfalls zum Katholizismus zu konvertieren (vgl. Kap. 4.1.1, „Praktiken der Partizipation“). Marie G.s erste Zeit in Österreich war durch große Unwissenheit, Unsicherheit und Angst geprägt, vor allem als sie den ersten negativen Bescheid erhielt: „Nach zwei Monaten: Negativ, dann ich habe keine Vorstellung über Asyl, oder was das bedeutet, was ich machen soll. Deshalb habe ich so viel Angst gehabt. Was soll ich jetzt machen? Irgendwohin gehen? Ich habe kein Geld, keine Bekannten, und ich bin schon im Zentrum von Europa. So weit her. Was mach ich? Keine meiner Familie oder keine Bekannten, ja. Das war eine sehr schwierige Zeit gewesen.“ (Ebd.: 38)
Nachdem ihr Ansuchen um Asyl endgültig negativ entschieden worden war, suchte Marie G. mit Hilfe eines Anwalts um eine Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen an. In der Zwischenzeit konnte sie verschiedene Kontakte zu Österreicher_innen knüpfen, die sie als sehr hilfreich erlebte: „Ich kenne gute Leute. Ich kenne gute Menschen. Sie haben oft mir geholfen.“ (Ebd.: 160) Durch dieses soziale Kapital fand sie nicht nur verschiedene Beschäftigungen in privaten Haushalten und in einem Flüchtlingsheim sowie eine günstige Unterkunft, sondern erhielt auch viel psychische Unterstützung: „Meine bekannten Leute wünschen mir: ‚Du bleibst hier!‘ So wünschen. Das ist auch schön.“ (Ebd.: 169) Während das Ansuchen auf Niederlassungsbewilligung lief, befand sich Marie G. in der Situation von Catch-22 des irregulären Aufenthalts: Sie lebte unautorisiert in Österreich – in der Bemühung um einen legalen Aufenthalt und gleichzeitig in der Angst vor Abschiebung. In dieser Lebensphase habe sie auf behördliche Anforderungen als etwas geblickt, das selbstverständlich zu erfüllen sei. Dies wird deutlich bei ihrem Hinweis, dass sie natürlich an ihrer Wohnadresse gemeldet sei (vgl. Kap. 3.4.4.2, „Der Umgang mit weiteren behördlichen Erfordernissen“) sowie in Bezug auf polizeiliche Kontrollen in ihrer Wohnung. Sie sagt:
156 | I RREGULÄRE L EBEN „[F]ür mich ist es, wenn ein Mensch brav ist, nicht so schlimm. Ab und zu im Jahr, einmal oder zweimal in der Nacht kommen sie kontrollieren. Zum Beispiel. Also weil, ich bin eine Asylwerberin. Das ist selbstverständlich denke ich, muss sein.“ (Ebd.: 228)
Marie G. schildert die polizeilichen Kontrollen in ihrer Wohnung anfangs als etwas, was sie als selbstverständlich ansieht. Erst als ich diese Kontrollen im Interview nochmals thematisiere, erzählt Marie G. von den Unannehmlichkeiten – etwa die Nachbarinnen im Haus, die die Polizeikontrollen mitbekommen und sich dabei „etwas denken“ (Ebd.: 280) könnten. Die Einstellung, dass die behördliche Arbeit eben so sein müsse und normal sei, spiegelt sich in ihrer Aussage, dass sie von den Mitarbeiter_innen der Niederlassungsbehörde einen positiven Eindruck habe. „Immer positiver Eindruck. Für mich, weiß nicht. Vielleicht ich habe erzählt, ich weiß, was ich gemacht habe, zum Beispiel ich habe falsche Aussage gemacht. Ich weiß selber, ja. Deswegen ist es meine Schuld, ich denke, ja, deswegen ich so, denke ich, immer positiven Eindruck gehabt.“ (Ebd.: 196)
Dieses Bild ist also in Zusammenhang damit zu sehen, dass sie bei anfänglichen Befragungen durch die Asylbehörden zu ihren Fluchtgründen nicht ihre „echte“ Lebensgeschichte erzählt hatte. Aus dem Interview wird nicht klar ersichtlich, warum sie schließlich doch ihre wahren Erfahrungen vor den Behörden schilderte. Sie verwies darauf, dass sie zu Beginn nichts Schlechtes darin gesehen hatte. Im Nachhinein verortet sie jedoch bei sich selbst die Schuld. Dieses „Schuldeingeständnis“ so interpretiert werden, dass sie sich auf einen negativen Bescheid einstellt und meint, sie würde (mittlerweile) die Entscheidung der Behörden akzeptieren. Diese Sichtweise entspricht den Erwartungen von Behördenmitarbeiter_innen: Sie gehen davon aus, dass auf Grund des vorhandenen Rechtssystems in Österreich von den unautorisierten Migrant_innen zu erwarten ist, dass sie die Entscheidungen des Rechtsstaates akzeptieren. Unter dem Blickwinkel des theoretischen Ansatzes von Barry Barnes kann davon gesprochen werden, dass Marie G. die Zuschreibungen anderer übernimmt. Obwohl sie ihre Handlungen immer wieder durch andere Faktoren (Umstände in ihrem Heimatland, verschiedene Menschen und deren Ratschläge) beeinflusst sieht, begreift sie sich schließlich selbst als verantwortlich („responsible“) für ihre Handlungen. Daher würde sie einen zugeschriebenen Status (legaler Aufenthalt ja oder nein) akzeptieren und sich damit auch psychisch abfinden („ich muss bereit sein“ [ebd.: 264]). Nicht alle interviewten Abschiebungsgefährdeten haben den Weg der möglichsten Unsichtbarkeit bei gleichzeitigen Integrationsanstrengungen gewählt,
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wie Thomas U., oder haben versucht, den Anforderungen der Niederlassungsbehörden nachzukommen, wie das folgende Kapitel zeigt. 4.3.4 Risikoreiche Selbstermächtigung – Alex A. Alex A. kam Anfang der 1990er-Jahre aus einem südosteuropäischen Land nach Österreich. Ihm wurde kein Asyl gewährt und es jahrelang drohte ihm die Abschiebungsgefahr in sein Herkunftsland. Zurzeit des Interviews hat er die österreichische Staatsbürgerschaft. Alex A. wurde nach seinem letzten negativen Bescheid in dritter Instanz aus der Bundesbetreuung verwiesen. „Aber nicht in Schubhaft gebracht, sondern ,Lauf weg‘ so auf die Art. Eben diese Praxis hat es damals gegeben. Und du hast die Zeit, diese Tage, und wenn du nicht, wenn du immer noch da bist, dann wirst in Schubhaft gebracht oder auch zurückgeschoben.“ (Mig. Alex A.: 139)
Alex A. reflektiert hier die österreichische politische Praxis der 1990er-Jahre. Er verweist hier – in Zusammenhang mit einer anderen Interviewstelle – darauf, dass in den 1990er-Jahren noch kein Eurodac-Fingerprint-System etabliert war7 und abgelehnte Asylwerber_innen leichter noch einmal in einem anderen europäischen Land um Asyl ansuchen konnten. Alex A. ist in Österreich geblieben und versuchte ebenfalls eine Zeit lang, möglichst nicht aufzufallen. Er übernachtete bei Menschen, die er in Kaffeehäusern und Pubs kennen lernte, in besetzten Häusern oder auch im Freien. Noch während seines aufrechten Asylverfahrens machte Alex A. Erfahrungen, die ihn nicht an mögliche Hilfeleistungen durch die österreichische Polizei glauben ließen. Er erzählt von einem Vorfall, als zwei bewaffnete Personen ihn in Österreich auf der Straße verfolgten und er nur knapp entkam. Den Vorfall schreibt er einem damals aktiven nationalistischen Geheimbund seiner Herkunftsregion zu. „Also ich war verfolgt bis in Österreich. Ich hab in [Polizeistation] Hilfe gesucht. Damals war mein Asylantrag noch aktuell, also. Aber niemand hat geschert.“ (Ebd.: 41) Alex A. fühlte sich also in Gefahr vor Bedrohungen, die mit seiner Migrationsgeschichte in Zusammenhang stehen. Dieses Bedrohungsgefühl wird auch in anderen Interviews deutlich. So berichten Anna E.
7
EURODAC wurde zur Identifizierung von Asylwerber_innen im ganzen EU-Bereich 2003
eingeführt,
vgl.
European
Commission:
http://ec.europa.eu/dgs/home-
affairs/what-we-do/policies/asylum/identification-of-applicants/index_en.htm.
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und ihre Tochter Lena E., die aus einem nordkaukasischen Land migrierten, über ihr Bedrohungsgefühl in Österreich und Polen, wohin sie abgeschoben werden sollten: Anna E.: „Aber Polen und Russland das Gleiche.“ Lena E.: „Das ist das Gleiche, ja.“ I.: „Also ihr hättet in Polen auch Angst?“ Anna E./Lena E.: „Ja.“ Anna E.: „Wir haben hier auch Angst.“ Lena E.: „Aber besser.“ Anna E.: „Polen sowieso.“ (Mig. Anna E./Mig. Lena E.: 129-134)
In der Konsequenz erleben die Personen nach einem aufenthaltsbeendenden Bescheid in doppelter Weise die Notwendigkeit, sich möglichst unauffällig zu verhalten, um nicht die Aufmerksamkeit sowohl der Bedrohenden aus den Herkunftsländern als auch der lokalen Polizeibehörden, die eine Abschiebung durchführen könnten, zu erregen. In seinen Handlungen als Abschiebungsgefährdeter setzt Alex A. folglich vorerst nicht auf die Unterstützung durch öffentliche Einrichtungen, sondern auf jene anderer ausgegrenzter Personen (Hausbesetzer_innen) sowie von Vereinen und Privatpersonen. Eine hilfreiche Rolle scheint für Alex A. die Internationale Helsinki Föderation für Menschenrechte (IHF) gespielt zu haben. Die von 1982 bis 2007 bestehende IHF mit Sitz in Wien war eine Gruppe von 46 Nichtregierungsorganisationen, die auf die Einhaltung der Menschenrechte entsprechend der KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa)-Schlussakte von Helsinki (1975) in den Staaten der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) geachtet hat.8 Die IHF stellte Alex A. ein Dokument aus, das es
8
Die IHF musste 2007 wegen Veruntreuung des Vereinsvermögens durch den Kassierer Konkurs anmelden. Vgl. IHF (o.J.): http://www.ihf-hr.org (Hinweis zur Vereinsschließung), und http://de.wikipedia.org, beides abgerufen am 12.8.2013. Es existieren zwar verschiedene Monitoring-Berichte der IHF in den OSZE-Ländern, leider scheint es jedoch keine Dokumentation der Tätigkeiten des IHF zu geben. Heute bestehen noch einige nationale Helsinki-Komitees, z.B. in Belarus, Bulgarien, Kroatien, den Niederlanden, Norwegen, der Republik Mazedonien, Schweden, Serbien und Ungarn, die unter anderem auch im Bereich Flucht und Migration tätig sind (vgl. das ungarische Helsinki-Komitee, http://helsinki.hu/en/kategoria/refugees-and-migrants/news).
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ihm ermöglichte, sich frei zu bewegen und wodurch er keine Abschiebung befürchten musste (Alex. A.: 161-165).9 Diese Phase war aber nur von kurzer Dauer. Sie trug dazu bei, dass Alex A. unsicher war, ob er sich legal in Österreich aufhält. Schließlich ging er selbst ins Innenministerium, um nachzufragen. Er erzählt von einer Begegnung mit einem dortigen Mitarbeiter, der ihm riet, möglichst schnell wieder zu „verschwinden“, da er sonst in Schubhaft genommen werde könne. In diesem Fall war es ein behördlicher Mitarbeiter, der ein Stück weit zugunsten bzw. nicht zu Ungunsten des Abschiebungsgefährdeten gehandelt hat, da er die Verhaftung von Alex A. nicht einleitet hat. Für diesen war somit jedoch klar, dass er sich irregulär in Österreich aufhält – ein Status, der bei ihm einige Jahre angedauert hat. Zu einem Zeitpunkt der totalen Resignation beschloss Alex A. schließlich, sich nur noch als volles Mitglied der Gesellschaft zu präsentieren und auch dementsprechend zu handeln (vgl. Kap. 4.1.1, „Praktiken der Partizipation“). Ich möchte diese Entscheidung als „Selbstermächtigung“ benennen. Schon zuvor hat Alex A. seine künstlerische Tätigkeit ausgeführt, auch ohne festen Wohnsitz. Ab diesem Zeitpunkt hat er seine Arbeiten auch präsentiert. Er hat ebenso wie Sophie F. die Kompetenzen gehabt, soziale Beziehungen aufzubauen und für sich zu nutzen. Wie bei Sophie F. ist es ein Unterstützer gewesen, der Alex A. den Kontakt zu einem wichtigen lokalen Politiker, in diesem Fall dem Bürgermeister, ermöglicht hat. Durch dessen Intervention beim Innenministerium hat Alex A. schließlich doch noch den Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommen. Die Selbstermächtigung wird nicht nur durch die öffentlichen künstlerischen Aktivitäten deutlich. Schon zuvor hat Alex A. gehandelt, als wäre er bereits anerkannt, wie das Beispiel seines Deutschkursbesuchs (vgl. Kap. 4.2.1, „Praktiken der Partizipation“) zeigt. Als bei einer Kontrolle des Aufenthaltsstatus der Teilnehmer_innen deren mehrheitliche Irregularität feststellt wurden, wurden dennoch keine weiteren Schritte gegen diese eingeleitet. Alex A. reflektiert diesen Vorfall als eine Besonderheit jener Zeit (1990er-Jahre):
9
Die genauen Unterstützungsmöglichkeiten der IHF konnten wegen der geringen Datenbasis allein durch Sekundärliteratur nicht recherchiert werden. Alex A. hat die folgendermaßen erklärt: „Das Helsinki-Komitee hat so wie eine Art, ein bisschen wie ein Konsulat sozusagen, also. Ich war zwar illegal, aber es hat geheißen, also irgendwie so, wie: kann mir nicht wirklich was Schlimmes passieren. Ich hab so irgendeinen Zettel auch gehabt, so quasi wie ein Ausweis. Und hab frei mich bewegt eben. Und ich kann nicht mehr erklären außer, ja, so wie ein Konsulat war das, also.“ (Alex A.: 161)
160 | I RREGULÄRE L EBEN „Aber des hat es gegeben also. In der Zeit hat man nicht alle gesperrt, sondern man hat wirklich denen sozusagen die freie Wahl gelassen, damit die rauskommen aus Österreich und irgendwo anders eine Möglichkeit suchen. Also diese Lücke hat es gegeben. Jetzt glaube ich nimmer.“ (Mig. Alex A.: 77)
Dies deckt sich auch mit dem Befund von Dennis Broeders und Godfried Engbersen (2007: 1594), dass in Europa erst während der 1990er-Jahre Migrant_innen verstärkt als Bedrohung wahrgenommen wurden und sich vermehrt staatliche Kontrollen der Bevölkerung herausbildeten. Die Handlungen von Alex A. gehen also von Strategien der Unsichtbarmachung in Strategien der „offensiven“ Integration über. Zumindest im Nachhinein rekonstruiert er es als bewussten Entschluss, sich nicht mehr als U-Boot zu definieren, sondern als vollwertiges Mitglied der österreichischen Gesellschaft. Dies ging mit einer großen Risikobereitschaft einher, die er selbst benennt. Der Schritt in die „Sichtbarkeit“ kann auch auf ein kulturelles Kapital zurückzuführen sein, welches in unserer Gesellschaft stärker Männern vorbehalten ist. Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit werden mit den Sphären der Öffentlichkeit (männlich) und der Privatheit (weiblich) assoziiert. Von Frauen werden weniger öffentliche Tätigkeiten erwartet als von Männern, auch drängen politische und wirtschaftliche Strukturen sie in private Bereiche. So hat Petrus Han die Ausbeutung der Arbeitskraft der Migrantinnen im „Domestic service“ als „unsichtbar“ beschrieben (Han 2003). Die Handlungspraktik von Alex A., sich zu zeigen und vorzugeben, ganz legal leben und arbeiten zu können, ist in der derzeitigen gesellschaftlichen Struktur Österreichs für Frauen wesentlich schwerer vorstellbar. Als weitere externe Einflussfaktoren sind bei Alex A. sowohl negative Erfahrungen mit den Behörden (Ignorieren seiner Asylgründe und seiner Bedrohung in Österreich), als auch positive (Wegschauen von Behördenmitarbeiter_innen) zu nennen. Eine Mischung, die ihm eventuell überhaupt erst die Hoffnung geben konnte, dass eine Überwindung des ewigen Versteckens durchaus auch erfolgreich oder zumindest ungeahndet bleiben könnte. Auch aktivierte er fortwährend soziales Kapital über Vereine und Bekannte, um Asyl zu bekommen. Hierbei waren die externen Einflüsse verschiedenster Vereine relevant: nicht nur Hilfsvereine und das Helsinki-Komitee, sondern auch im Vorfeld seiner Irregularität, als Amnesty International sich um ihn als asylrelevanten Fall bemühte. Wichtig erscheint mir jedoch auch die individuelle Entscheidung, sich für den risikoreichen Weg der Selbstermächtigung zu entscheiden. Diese sehe ich zum einen durch Alex A.s künstlerische Aktivitäten, die ihm eine gewisse Öffentlichkeit
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ermöglichen, bedingt und zum anderen auch durch seine langjährige Migrationsgeschichte beeinflusst. Eine bedeutende Komponente ist jedoch der zeitliche Faktor und die damit einhergehenden politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, etwa die noch niedrigeren Abschiebezahlen in den frühen 1990er-Jahren10 und dass die Eurodac-Datenbank noch nicht installiert war. Die vier Fallbeispiele veranschaulichen verschiedene Handlungspraktiken Abschiebungsgefährdeter in der Situation Catch-22 des irregulären Aufenthalts. Sie alle weisen eine hohe Kompetenz darin auf, flexibel auf die unterschiedlichsten Anforderungen zu reagieren. Besonders bei Sophie F. und Thomas U. wird deutlich, dass die Abschiebungsgefährdeten zwischen Praktiken der Partizipation oder jenen der Unsichtbarkeit je nach Situation changieren und sich im Laufe der Zeit bemühen, beide Anforderungen zu erfüllen. Sie versuchen, sich durch das Erlernen der deutschen Sprache, durch die Teilnahme an Bildungsangeboten und dem (informellen) Arbeitsmarkt optimal zu „integrieren“. Gleichzeitig wissen sie um die Gefahren, sich zu deutlich an öffentlichen Orten zu zeigen. Bei Alex A. hingegen findet das Austarieren zwischen Unsichtbarkeit und Partizipation zeitlich versetzt statt: Erst sind seine Handlungen stark darauf ausgerichtet, nicht aufzufallen und „irgendwie“ seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Kurz vor der vollkommenen Resignation setzt er dann jedoch Schritte, die seine aktive und offene gesellschaftliche Teilhabe ausmachen. Die Beispiele zeigen auch, dass der Umgang mit dem zweiten Merkmal von Catch-22, der Compliance, sehr unterschiedlich sein kann. Zumeist ist bei den Migrant_innen ein Austarieren zwischen großer und geringer Compliance festzustellen (etwa bei Sophie F., die zu Beginn Namen und Adresse von Verwandten bekannt gibt, später aber, als die Gefahr der Abschiebung größer wird, ohne Meldung bei Bekannten wohnt). Marie G. spricht trotz ihrer prekären Situation offen darüber, wie sie sich vorerst – auf Empfehlung anderer – nicht im Sinne der Behörden an ihrem Asylverfahren beteiligt (etwa hinsichtlich ihrer Fluchtgründe), sich später jedoch, als es um ihre Niederlassung geht, dafür entscheidet, den behördlichen Anforderungen genauestens nachzukommen (Meldung des Wohnortes, Berichtigung ihrer Aussagen).
10 Judith Welz beschreibt den Anstieg der Abschiebungszahlen Mitte der 1990er-Jahre in Zusammenhang mit dem Anstieg der Zuwanderungs- und Asylantragszahlen der frühen 1990er-Jahre (Welz 2014: 4).
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4.4 I NTERVENIERENDE B EDINGUNGEN ZUM U MGANG MIT C ATCH -22 Die vorgestellten Fallbeschreibungen zeigen unterschiedliche Faktoren auf, die das Handeln der Abschiebungsgefährdeten, ihren Umgang mit Catch-22 des irregulären Aufenthalts, beeinflussen. Diese intervenierenden Bedingungen werden nun, angereichert durch die Sichtweisen der Behörden, der NPOs und der Unterstützer_innen, erläutert. Ich stelle erst das Handeln der Behördenmitarbeiter_innen (Kap. 4.4.1, „[Ohn-]Mächtigkeiten der Beamt_innen“) und danach jenes der Unterstützenden (Kap. 4.4.2, „Die Rolle der Unterstützer_innen“) vor. Daraufhin gehe ich auf persönliche Bedingungen der Abschiebungsgefährdeten (Kap. 4.4.3, „Persönliche Bedingungen der Abschiebungsgefährdeten“) sowie das Wissen der unautorisierten Migrant_innen und der Unterstützenden als relevanter Faktor (Kap. 4.4.4, „Unwissenheit“) ein. Ich schließe diesen Abschnitt mit einer Beschreibung darüber, welche Rolle hierbei die Öffentlichkeit und die Politik spielen (Kap. 4.4.5, „Öffentlichkeit und politische Interventionen“). 4.4.1 (Ohn-)Mächtigkeiten der Beamt_innen11 Im Fremdenpolizeigesetz ist die so genannte Mitwirkungspflicht der unautorisierten Migrant_innen ohne Dokumente an der „Erlangung eines Ersatzreisedokuments“ festgeschrieben. Näher ist die Art der Mitwirkung im Gesetz nicht definiert. Die Spezifizierung erfolgt entweder in Form von Erlässen (die zumeist nicht öffentlich sind, vgl. Beh. Michael R.) oder durch das kollektive Handeln der Sicherheitsorgane. Beides steht in einem Wechselspiel. Denn ich gehe mit Barnes (2001a) davon aus, dass nicht die Regel bestimmend ist, sondern die Mitglieder einer Gemeinschaft (also beispielsweise der Sicherheitsorgane), die ein gemeinsames Verständnis für die Regel entwickeln. So wie die Menschen eine Regel anwenden, entwickelt sich die kollektive Praxis (vgl. Barnes 2001a). Die Beamt_innen erfüllen die Regelung durch ihre alltäglichen Handlungen, indem sie sich auf die „Mitwirkungspflicht“ beziehen und diese konkretisieren. Wie wird das Verständnis über die „Mitwirkungspflicht“ nun im kollektiven Handeln der Beamt_innen sichtbar? Diese schreiben den Menschen in prekären Situationen zumeist den Status der absichtlichen Dokumentenlosigkeit zu, wie
11 Dieses Kapitel basiert zum Großteil auf dem von mir verfassten Artikel „Der Wunsch zu bleiben: Kein Recht dazu – keine Alternative dazu. Ein Einblick in soziale Praktiken: Warum Abschiebungen doch nicht stattfinden“ (vgl. Kukovetz 2013).
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die folgende Aussage eines leitenden Mitarbeiters einer Fremdenpolizeibehörde zeigt. „Die tatsächlichen Voraussetzungen sind eben die, dass ausreisefähige Dokumente erlangt werden. Und wenn der Betroffene selbst passiv bleibt, oder möglicherweise gar nicht an seiner Identitätsfeststellung mitwirkt. Weil die Identität, die er beispielsweise in unserem Verfahren, oder in einem vorangegangenen Asylverfahren angegeben hat, die muss nicht stimmen. Und wir haben auch genug, also, eine Unmenge von Fällen, wo wir dokumentieren können, dass die Identitäten, die die Betroffenen über Jahre hinweg behauptet haben, falsch sind. Das ist erwiesen. Gibt’s alles. Und das sind keine Einzelfälle, das sind sehr viele Fälle. Also die Mitwirkung des Betroffenen selbst, und letztendlich daran, davon abhängig auch die realistische Chance, ein Heimreisezertifikat zu erlangen, das ist einmal ein Problem, ein faktisches Problem, ein Phänomen, das im Vorfeld der Abschiebung überhaupt besteht.“ (Beh. Paul N.: 48)
„Mitwirkung“ bedeutet für die Beamt_innen, dass die betreffenden Personen ihre „wahre“ Identität offenlegen, ihren Namen nennen, den Behörden die richtigen Dokumente vorlegen, oder sich diese, falls tatsächlich nicht mehr vorhanden, von Behörden oder Verwandten aus ihrem Herkunftsland nach Österreich schicken lassen. Die Beamt_innen nehmen sich, wie das Zitat zeigt, als abhängig von den Handlungen der Menschen in Dokumentenlosigkeit wahr. Sie fühlen sich von deren „Mitwirkung“ abhängig, da sie die personenbezogenen Daten benötigen, um die Abschiebung – ihre Arbeitsaufgabe – abwickeln zu können. In der Praxis und der Interaktion ist es den österreichischen Behörden jedoch möglich, auf Menschen mit prekärem Aufenthalt teilweise konkret zuzugreifen und spezifische Handlungen zu setzen. Die Beamt_innen befinden sich mit der Institution Polizei im Hintergrund in einer mächtigeren Position. Die im Forschungsfeld gefundenen unterschiedlichen angewandten Strategien können als kollektive Praxen beschrieben werden, die auf Basis der Zuschreibung der absichtlichen Dokumentenlosigkeit vollzogen werden (vgl. Kukovetz 2013: 28). Es sind dies: •
Inschubhaftnahme bzw. mehrmalige Inschubhaftnahme. Die Inschubhaftnahme als polizeiliche Strategie im Umgang mit irregulären Migrant_innen haben Anton van Kalmthour und Elisabeth Margaretha van Leeuwen (2004) auch für die Niederlande festgestellt, auf sie verweisen Leerkes und Broeders (2013: 81). Die Inschubhaftnahme kann erstens als Mittel zur Erleichterung der Identifikation angesehen werden, um eine Abschiebung zu ermöglichen, zweitens als Maßnahme, um unautorisierte Migrant_innen von der Straße
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fern zu halten, und drittens als Botschaft der Kontrolle und Sicherheit an die Bevölkerung (vgl. Broeders 2010). Giuseppe Campesi (2015) argumentiert, dass Schubhaft weniger eine Festhaltung zur Erleichterung der Abschiebung sei, sondern vielmehr eine Bestrafung jener, die nicht als kooperativ im Sinne der Abschiebungsabsichten der Behörden angesehen werden. Anhörungen durch Konsulate, Botschaften oder Delegationen Erteilung von Strafen für „illegalen Aufenthalt“. Diese belaufen sich auf 500 bis 2.500 Euro. Falls die Geldstrafe nicht einzubringen ist, kann eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Wochen verhängt werden. Bei mehrmaliger Verurteilung erhöht sich die Strafe auf bis zu 7.500 Euro. Nur Personen mit einer Duldung sind von diesen Verwaltungsstrafen ausgenommen. (Vgl. Kratzmann/Reyhani 20012, 39) Oftmalige Anwesenheitskontrollen, Kontrollen der richtigen Wohnmeldung bzw. gezielte Unterkunftskontrollen (vgl. auch Kratzmann/Reyhani 2012: 58) Abnahme von Identitätskarten Arbeitsplatzinspektionen (vgl. Kratzmann/Reyhani 2012: 59ff.), eventuell mit Entzug einer bestehenden Arbeitsbewilligung
Diese Handlungen zielen darauf ab, dass die Betreffenden ihre Reisedokumente herzeigen oder andere Identitätsnachweise besorgen, sprich, dass sie „kooperieren“ – unabhängig davon, ob die Betreffenden selbst diesbezüglich überhaupt eine Wahl für sich sehen. So stellen auch Engbersen und Broeders fest: „The use of administrative detention – a general European trend – is justified by and based on the assumption that a prison regime will encourage immigrants to reveal their true identity.“ (Engbersen/Broeders 2009: 879)
Aus dem Blickwinkel des Staates ist die Effektivität dieser Handlungsstrategien jedoch durch die oben dargestellten Zahlen in Frage gestellt, genauso wie ähnliche Politiken in anderen europäischen Staaten ihr Ziel verfehlen (vgl. ebd.: 881f.). Diese und weitere behördliche und staatliche Maßnahmen, um den Unterschied zwischen Ausreiseaufforderungen und erfolgten Abschiebungen, den „deportation gap“, zu verringern, nennt Matthew Gibney (2008) für Großbritannien. Er führt beispielsweise Maßnahmen der Schubhaft an, des Weiteren Praktiken, die teilweise möglichst so durchgeführt werden, dass sie von der Öffentlichkeit unbemerkt bleiben (etwa Festnehmen unautorisierter Migrant_innen in den frühen Morgenstunden), die Abschaffung aller sozialen Unterstützungen,
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nachdem eine bestimmte Frist für mögliche Berufungsverfahren abgelaufen ist, sowie die schon genannte angeordnete oder unterstützte Rückkehr (ebd.). Überdies nennt Gibney die Beschleunigung und die Veränderungen im Asylverfahren. Gerade die Beschleunigung ist eine Tendenz, die auch in Österreich feststellbar ist.12 Nach Einschätzung verschiedenster Interviewpartner_innen (dem Behördenmitarbeiter auf nationaler Ebene, einem Menschenrechtsexperten, NPOMitarbeiter_innen und Unterstützer_innen) differieren die Handlungspraktiken der Behörden innerhalb von Österreich stark. Als Hauptgründe hierfür verweisen die Interviewpartner_innen darauf, dass die Anzahl der fremdenrechtlichen Fälle, mit denen die unterschiedlichen Bezirkshauptmannschaften konfrontiert sind, sehr stark variiert, und die Behörden auch politisch unterschiedlich ausgerichtet sind. Ein Experte auf dem Gebiet der Menschenrechte hat mit Einführung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl am 1.Januar 2014 mit einer Vereinheitlichung der behördlichen Praxis gerechnet. Denn zuvor sei die Gestaltung der Praxis von den einzelnen handelnden Personen abhängig gewesen (Exp. Philipp P.: 75). Ob dies tatsächlich der Fall ist, müsste in einer Vergleichsstudie zu einem späteren Zeitpunkt untersucht werden. Der Feststellung der regional unterschiedlichen Rechtspraxis entspricht jedenfalls, dass Rechtssoziolog_innen auch für Haftanstalten über keine einheitliche Rechtspraxis berichten. Als Beispiel kann genannt werden, dass Anstaltsleiter unterschiedlich entscheiden, welche Gefangenen Ausgang bekommen (Hofinger/Pilgram 2007: 26). Schon Anfang der 1990er-Jahre analysierten Inge Karazmann-Morawetz und Wolfgang Stangl (1996; 1991) die regionalen Unterschiede der Untersuchungshaft. Spezifisch hinsichtlich der Schubhaft sei als Beispiel genannt, dass die Art und Weise des Vollzugs auch an die personellen und räumlichen Ressourcen der unterschiedlichen Polizeianhaltezentren gebunden ist (Hofinger/Pilgram 2007: 32).
12 Vgl. die Debatten im Jahr 2015 um beschleunigte Asylverfahren und, falls keine aufschiebende Wirkung im Berufungsverfahren zuerkannt wird, die Streichung der Grundversorgung (s. APA 2015 und UNHCR 2015b). Am 28.2.2017 beschloss der österreichische Ministerrat ein Fremdenrechtspaket, durch welches auch Abschiebungen forciert werden sollen: erhöhte Geldstrafen für illegalen Aufenthalt (bis zu 15.000,- Euro), die Ausdehnung der maximal möglichen Schubhaft auf 18 Monate sowie die Möglichkeit der Streichung der Grundversorgungsleistungen bei einem rechtskräftig negativen Asylbescheid, sofern keine „Mitwirkung“ an der Ausreise gezeigt werde. Überdies werde die Einrichtung von „Rückkehrzentren“ im Parlament debattiert (vgl. Bundeskanzleramt 2017).
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4.4.2 Die Rolle der Unterstützer_innen Die Unterstützung durch Österreicher_innen hat sich als ein wichtiger Faktor erwiesen, um besser in der Situation von Catch-22 des irregulären Aufenthalts leben zu können, und diese Dilemma-Situation für die Abschiebungsgefährdeten zu einem positiven Ausgang zu bringen. Ob eine Unterstützung zu Stande kommt, hängt von einigen Voraussetzungen ab, die mit den helfenden Personen verbunden sind. Bei der Unterstützung für die direkte Verhinderung einer Abschiebung wurde deutlich, dass die Unterstützer_innen eine große Entschlossenheit aufweisen müssen („Dann sag ich: Na, das müssma verhindern, und wenn wir’s Flugzeug aufhalten.“ [Unt. Simon M.: 14]) und sie sich möglichst gut vor rechtlichen Konsequenzen absichern. Insgesamt weisen gerade die privaten Unterstützer_innen ein hohes Durchhaltevermögen auf. Damit ist gemeint, dass es keine einmaligen kurzen Hilfen sind, sondern sie die jeweiligen unautorisierten Migrant_innen über einen längeren Zeitraum hinweg – auch nach Rückschlägen – betreuen. Der Wille zu helfen ist ausgeprägt, auch wenn es sich nicht gleich als sehr einfach erweist, etwas zu bewirken. Beispielsweise hat Unterstützerin Nina V. versucht, gleich nachdem sie der drohenden Abschiebung von Viktor V. erfahren hatte, für diesen eine Woche lang dessen rechtlichen Möglichkeiten in Erfahrung zu bringen. Danach musste sie ihm jedoch mitteilen: „Also in der Woche habe ich nichts Wesentliches erfahren, was uns weiterhilft, ich glaub, dass man sich an Experten wenden muss“ (Unt. Nina V.: 38), was sie auch tat und schließlich über Jahre hinweg mit Viktor V. freundschaftlich verbunden blieb. Bei Mitarbeiter_innen von NPOs konnte ich feststellen, dass sie vorrangig dann aktiv werden, wenn sie die Situation so positiv einschätzen, dass ihre Hilfe auch Erfolg haben könnte. Wenn etwa keine Möglichkeiten für eine Niederlassungsbewilligung gesehen werden, wird die Ausreise empfohlen („Ich empfehle die Ausreise, was soll ich mit jemanden tun, wo ich weiß, das wird nie etwas.“ [NPO Mia Q.: 269]). Die Unterstützungsleistungen für Personen, die sich aktuell in Catch-22 befinden und in der Hoffnung auf einen legalen Aufenthalt und in ständiger Gefahr vor einer Abschiebung leben, sind mehrgleisig und betreffen verschiedenste Bereiche. Meistens führen Unterstützer_innen mehrere der nachfolgend genannten Handlungen durch. Manchmal erachten die Unterstützer_innen zuallererst eine sehr praktische Hilfe als notwendig. Nina V. erzählt etwa, wie sie Viktor V. in einer Apotheke ein Mittel gegen Fieberblasen besorgt – „in meiner Hilflosigkeit, man will ja einmal akut etwas tun“ (Unt. Nina V.: 27). Weitere Beispiele aus den Interviews heben auch die Unterstützung auf psychischer Ebene hervor. So wird vom
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Schenken eines Fahrrades, der Aufnahme in eine (religiöse) Gemeinschaft mit gemeinsamem Essen und Feiern, vom Ausdruck der Wertschätzung durch die Beschaffung einer Beschäftigung (auch wenn die Bezahlung sehr gering ist) berichtet. Schon die Tatsache, dass Bekannte den Wunsch äußern, die Betroffenen mögen in Österreich bleiben dürfen, wurde von den Migrant_innen als große Hilfe erlebt. In den Interviews wurde auch von Fällen erzählt, in denen Betriebe Abschiebungsgefährdete anstellten, obwohl dies nicht legal ist. Hier wird die eigene rechtliche Absicherung dem Bedürfnis der Hilfestellung nachgereiht. Am häufigsten berichten die Unterstützer_innen jedoch, einen finanziellen Zuschuss zu leisten. Sei es für Gebühren bei den Behörden, für die Bezahlung eines Anwalts, für eine Reise in die Bundeshauptstadt zur Anhörung in einem Berufungsverfahren oder für die Wohnung. Teilweise stellen Einzelpersonen das Geld zur Verfügung, teilweise starten sie Sammelaktionen im Bekannten- und Verwandtenkreis, wobei dieser Personenkreis die jeweilige unautorisierte Person teilweise gar nicht persönlich kennt. Die finanzielle Unterstützung ist also nicht nur für die Bewältigung des Alltags notwendig, sondern auch ein wichtiger Faktor für die Erlangung eines legalen Aufenthaltsstatus (Anwaltskosten etc.). Für dieses Ziel sehen unautorisierte Migrant_innen die Kontakte mit Österreicher_innen als sehr wichtig und hilfreich an. Die Unterstützer_innen begleiten die Abschiebungsgefährdeten zu Behörden, wie etwa der Niederlassungs- oder der Fremdenpolizeibehörde. Schon alleine das Ausfüllen von Formularen (etwa für die Niederlassungsbewilligung) wird durch das Beisein von Personen, die gut Deutsch sprechen und mit den behördlichen Anforderungen in Österreich besser vertraut sind, erleichtert. Ein weiterer Aspekt ist, dass das gemeinsame Auftreten den Abschiebungsgefährdeten Sicherheit gibt, nicht nur hinsichtlich der Sprache und des besseren Verständnisses, sondern auch weil dadurch auch eine „Zeugenschaft“ (Unt. Nina V.: 59) gegeben ist, wie es eine Unterstützerin formuliert. Neben der Begleitung sind eigenständige Interventionen bei der Fremdenpolizei oder der Niederlassungsbehörde von Seiten der Unterstützer_innen oder NPO-Mitarbeiter_innen häufig und werden von eben diesen auch als Erfolg versprechend eingeschätzt. NPOMitarbeiterin Mia Q. meint über die Wege, auf denen eine Abschiebung schließlich verhindert werden kann:
168 | I RREGULÄRE L EBEN „[J]etzt natürlich nicht auf so eine, nicht durch unmittelbaren physischen Einsatz, sondern einfach durch Rechtsmittel und Gespräche mit dem Fremdenpolizisten und Gespräche mit der MA3513, und jetzt hat er einen legalen Aufenthalt.“ (NPO Mia Q.: 10)
In den Interviews konnten auch einige Hinweise darauf ausgemacht werden, welcher Art die Gespräche sind, die hilfreich zu sein scheinen. Hier spielt der Ermessensspielraum der Behörden eine wichtige Rolle: Welche Fälle werden „in Ruhe gelassen“ (bei der Fremdenpolizeibehörde), wie eine NPO-Mitarbeiterin (ebd.: 18) sagt, und welche Fälle werden „vorgezogen“ (bei der Niederlassungsbehörde). Diesen Ermessensspielraum beschreibt eine NPO-Mitarbeiterin für Wien so: „Das ist völlig unsystematisch … also, das kommt total auf die Laune vom zuständigen Referenten an.“ (Ebd.: 34) Als entscheidendes Kriterium führt sie die Sympathie zwischen den unautorisierten Migrant_innen, den Rechtsberater_innen und den Referent_innen an. Die persönliche Ebene sei bei diesen Kontakten besonders zentral. Als weiterer Faktor kann hier auch die Compliance von Seiten der NPO stellvertretend für die unautorisierte Person angesehen werden: „Da haben wir eben schon von Anfang an sind wir zu allen Ladungen gegangen zur Fremdenpolizei, haben auch am aufenthaltsbeendenden Verfahren mitgewirkt, das heißt, wir haben denen alle Daten gegeben, Kopie vom Inlandspass und so weiter, und haben gesagt, ja, aber es wäre jetzt trotzdem nett, wenn sie nicht abschieben würden.“ (Ebd.: 169)
In diesem Fall wurden in weiterer Folge humanitäre Gründe angeführt, die aus Sicht der Rechtsberater_innen und Referent_innen einen Aufschub (eines Abschiebungsauftrags) rechtfertigen – sodass der Ausgang eines Niederlassungsverfahrens abgewartet werden konnte. Die NPO-Mitarbeiter_innen führen auch immer wieder Fälle an, bei denen sie die Sinnhaftigkeit einer Abschiebung nicht erkennen, da die betreffenden Personen sehr bald danach ein Aufenthaltsrecht bekommen hätten. In dieser Beschreibung zeigt sich schon ein zentraler Unterschied zwischen privaten Unterstützer_innen, die (noch) wenig Know-how besonders hinsichtlich der rechtlichen Möglichkeiten haben, und professionellen Mitarbeiter_innen von NPOs oder anderen Expert_innen in diesem Feld. Denn die Unterstützung in rechtlichen Belangen ist für die Abschiebungsgefährdeten zentral. Alle Aktivitäten kreisen um die Ausschöpfung rechtlicher Möglichkeiten, es werden „Stellungnahmen, seitenweise, geschrieben“ (ebd.: 258). Ein Unterstützer erklärt,
13 Wiener Niederlassungsbehörde: Magistratsabteilung 35: Abteilung Einwanderung und Staatsbürgerschaft.
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dass nur dann für die Fremdenpolizeibehörde ein Grund besteht, unautorisierte Migrant_innen nicht abzuschieben, wenn gleichzeitig eine Beschwerde gegen diese läuft (Prot. Unt. 201201). Privatpersonen handeln oft aus Mitleid heraus, welches jedoch ohne spezifische Kenntnisse (beispielsweise der genauen Gesetzeslage) kaum nachhaltig hilfreich ist. Im Feld konnte jedoch auch festgestellt werden, dass manche Privatpersonen erst aus Betroffenheit heraus handeln und sich über Jahre hinweg ein solches Fachwissen aneignen, dass sie dann selbst von NPO-Mitarbeiter_innen als Expert_innen betrachtet werden. Neben den Behördenwegen bemühen sich Unterstützer_innen, möglichst viele Informationen zur Gesetzeslage, zu Erfolg versprechenden oder -mindernden Handlungsstrategien, über hilfreiche Vereine oder Personen mit Fachwissen darüber, wer in den jeweiligen Behörden die zuständigen Ansprechpersonen sind, und – bei einer konkreten bevorstehenden Abschiebung – zu den genauen Umständen dieser Abschiebung zu erhalten. Sehr häufig greifen private Unterstützer_innen auf die Strategie zurück, Unterstützungserklärungen für die jeweilige unautorisierte Person zu sammeln. Besonderer Stolz zeigt sich, wenn berühmte Persönlichkeiten aus Kultur und Medien zu einer Unterstützungserklärung bewegt werden können. Diese schriftlichen Dokumente werden dann einem Ansuchen um Niederlassung beigelegt. Dem Sammeln von Unterstützungserklärungen vorgeschaltet ist die Einbindung der irregulären Migrant_innen in eigene oder neue soziale Netzwerke, wie beispielsweise der Beitritt zu einer Volkstanzgruppe, woraus regelmäßige Kontakte, der Aufbau persönlicher Beziehungen mit Österreicher_innen und öffentliche Auftritte erwachsen. In den Handlungspraktiken der Unterstützenden zeigt sich, dass die Vernetzung zwischen den Unterstützer_innen wichtige Funktionen hat: für die Akquirierung von Geldern, für die Weitergabe von Informationen und Kontakten zu Fachexpert_innen, für das Sammeln von Unterstützungserklärungen (besonders von bekannteren Persönlichkeiten) sowie für Hilfestellungen bei der Suche nach Arbeits- oder Ausbildungsplätzen. Andere Beispiele für die Bedeutung der Vernetzung von Unterstützer_innen sind die direkten Kontakte zu Politiker_innen, vor allem auf Landesebene und auf Bundesebene (vgl. Kap. 4.4.5, „Öffentlichkeit und politische Interventionen“). Ob die Hilfestellung der Unterstützer_innen erfolgreich ist, hängt also von deren sozialem Kapital ab. Denn unter sozialem Kapital können alle aktuellen und möglichen Ressourcen verstanden werden, die auf einer Gruppenzugehörigkeit beruhen (Bourdieu 2005: 63). Die Unterstützenden verfügen entweder schon
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über dieses soziale Kapital oder können es im Laufe der Hilfestellung aufbauen. Für die praktische Unterstützung von Abschiebungsgefährdeten ist Sozialkapital, das innerhalb einer relativ homogenen Gruppe besteht, sehr nützlich – also die Vernetzung mit Familie, Freund_innen und Nachbar_innen, die auf Nachfrage hin ebenfalls zu Unterstützer_innen werden (etwa in finanzieller Hinsicht oder durch Unterstützungserklärungen). Diese Form des Sozialkapitals wird von Avis Vidal und Xavier de Souza Briggs, im Anschluss an Robert D. Putnam, als „bonding social capital“ bezeichnet (vgl. Putnam 2004; Woolcock 2004). Als relevanter für die Erlangung eines Aufenthaltsrechtes erachte ich jedoch so genanntes „bridging social capital“, also soziales Kapital, das Menschen verbindet, die in ihren sozialen Charakteristika unterschiedlich sind (vgl. Putnam 2004). Ein solches „bridging social capital“ stellen Kontakte zu Behördenmitarbeiter_innen oder zu Politiker_innen dar. Die beschriebenen Handlungspraktiken beziehen sich verstärkt – und hier liegt den Interviews zufolge auch das Hauptaugenmerk der Unterstützer_innen – darauf, wie ein legaler Aufenthaltsstatus erreicht werden kann. Steht jedoch eine Abschiebung unmittelbar bevor, werden auch hier, zumeist gleichzeitig, unterschiedliche Handlungengesetzt. Zum einen ähnelt die Art der Handlungen den oben erwähnten im Sinne des Einsatzes sozialer Netzwerke: Kontaktaufnahme mit der Fremdenpolizeibehörde oder direkt mit den Beamt_innen, die die Abschiebung durchführen sowie Aktivierung anderer Unterstützer_innen. Zum anderen sind es sehr konkrete Handlungen, die auf die jeweilige spezielle Situation abgestimmt sind (Verhinderung der Abfahrt, Informieren der Medien etc.). 4.4.3 Persönliche Bedingungen der Abschiebungsgefährdeten Das Handeln der irregulären Migrant_innen ist wie jedes Handeln von persönlichen Prägungen, Charakteristika und Zuständen der jeweiligen Personen beeinflusst. Wie schon besprochen, ist der individuelle gesundheitliche Zustand sehr relevant. Bei schwerer psychischer oder physischer Erkrankung wird eine Haftund Fluguntauglichkeit festgestellt. Dadurch ist eine Abschiebung zumindest kurzfristig verhindert. Für den Umgang mit dem Leben in Catch-22 ist hingegen eine positive psychische Einstellung von Vorteil. Unterstützer Tobias D. sagt über einen Abschiebungsgefährdeten, er habe „überhaupt nie den Mut verloren. Was bemerkenswert ist für die Leute“ (Unt. Tobias D.: 32). Daneben, so hat sich gezeigt, haben auch das Geschlecht und die familiären Verhältnisse einen Einfluss auf das Verhalten der Behörden. Die Behördenmitarbeiter_innen beschreiben, dass sie sich gegenüber Frauen und Kindern im Fall
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einer Abschiebung anders verhalten als gegenüber Männern. Ein Mitarbeiter der Fremdenpolizeibehörde führt aus: „Weil wenn ich’s mit einer Frau zu tun hab, oder mit Kindern, dann kann ich nie und nimmer diese Zugriffe so abwickeln, wie ich’s mit einem ausgewachsenen starken Mann mach.“ (Beh. Paul N.: 157) Das bedeutet jedoch nicht, dass Frauen sich nicht auch aktiv während einer Abschiebung wehren, wie ein Unterstützer berichtet. Nicht nur das Verhalten während einer Abschiebung selbst, sondern auch ob eine Abschiebung überhaupt zu Stande kommt, hängt in gewissem Maße davon ab, ob es eine Familie ist. Unterstützer Tobias D. sagt über eine Abschiebungsgefährdete, sie „hat zwei Kinder, und jetzt traut sich natürlich niemand mehr, die abzuschieben“ (Unt. Tobias D.: 15). Diese Einschätzung („jetzt traut [Hervorhebung durch die Autorin] sich natürlich niemand mehr, die abzuschieben“) hängt stark damit zusammen, inwiefern die Öffentlichkeit in den Fall einbezogen ist (vgl. Kap. 4.4.5, „Öffentlichkeit und politische Interventionen“). An sich haben persönliche Bedingungen wie Gesundheitszustand, familiäre Situation, aber auch Herkunftsland, Alter und Geschlecht eine Auswirkung darauf, ob jemand abgeschoben wird oder nicht, beziehungsweise ob auf Grund dieser Faktoren rechtlich eine Unmöglichkeit der Abschiebung gegeben ist (z.B. auf Grund des Menschenrechts auf Familienleben), oder leichter eine Niederlassungsbewilligung zu erhalten ist (etwa eine Niederlassungsbewilligung in Fällen, die „besonders berücksichtigungswürdig“ sind, was bei hohem Alter oder schlechtem Gesundheitszustand der Fall sein kann) (vgl. Kap. 3.4.2.1, „Rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung“). Der Einfluss solcher und anderer persönlicher Bedingungen (wie etwa der soziale Status) darauf, wie Abschiebungsgefährdete in dem Spannungsfeld zwischen ihrem Bemühen um Niederlassung und der Furcht vor Abschiebung handeln, ist nur schwer festzumachen. Bei den vorliegenden Daten stechen vor allem zwei Faktoren heraus. Zum einen (1) das kulturelle Kapital in Form von Bildung, und zum anderen (2) das persönliche Charakteristikum der Eigeninitiative. Ad (1): Es hat sich gezeigt, dass sich Menschen, die über die Ressource Bildung verfügen, etwas leichter im Leben als unautorisierte Migrant_innen zurechtfinden. So wurde in den Interviews darauf hingewiesen, wie schwierig es gerade für Menschen ohne PC- und Internetkenntnisse ist, den behördlichen Anforderungen nachzukommen. Eine höhere Bildung kann andererseits auch das Deutschlernen erleichtern und erweitert die Möglichkeiten, Beschäftigungen nachzugehen (vgl. das Fallbeispiel Sophie F. in Kap. 4.3.1 und das Fallbeispiel Alex A. in Kap. 4.3.4). Eine geringe Bildung hingegen erhöht die Überforderung mit der in Österreich notwendigen Schriftlichkeit und dem Rechtssystem.
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Ad (2): Es ist deutlich geworden, dass in all den Fällen, in denen eine Abschiebung verhindert oder eine Niederlassung erhalten wurde, eine starke Eigeninitiative der unautorisierten Migrant_innen oder ihnen nahestehender Personen sichtbar wurde. Sei es durch das Ansprechen potenzieller Unterstützer_innen, durch das Aufsuchen von NPOs oder Anwälten, durch das eigene Handeln in Richtung Partizipation in der österreichischen Gesellschaft oder anderes. 4.4.4 Unwissenheit Als bestimmendes Element für alle Akteur_innen hat sich das Moment der Unwissenheit herausgestellt. Menschen, die irregulär nach Österreich einreisen, wissen in der Regel gar nichts bis sehr wenig über das Land, die behördlichen und gesellschaftlichen Strukturen, das Rechtssystem der EU und spezifisch Österreichs, und auch nichts über das Asylwesen. Die Beispiele sind vielfältig, es seien hier nur einige genannt: Als Migrantin Marie G. nach Europa kam, wusste sie nicht, was um Asyl anzusuchen bedeutet. Auch kannte sie den Begriff „Asyl“ nicht. Ein anderes Beispiel erwähnt der Unterstützer Simon M. Die Frau, der er helfen wollte, in Österreich zu bleiben, kam aus einem südasiatischen Land und hatte keinerlei Kenntnisse über das Asylrecht. Im Vorfeld ihrer Migration nach Österreich wusste sie nicht, dass ihr selbige gar nicht erlaubt war. Nachdem sie das erfahren hatte, nahm sie an, sie werde in ihr Herkunftsland zurückgeschickt. Dabei war ihre Abschiebung „nur“ in den Dublin-Staat, über den sie eingereist war, vorgesehen. Thomas U. wiederum hatte, so wie die meisten der unautorisierten Migrant_innen, keine Orientierung im „Behördendschungel“. Welcher Ausweis welche Bedeutung hat (beispielsweise die Duldungskarte), war für ihn vollkommen unklar. Diese Unwissenheit bedingt die Praxis, dass sich Abschiebungsgefährdete sehr stark auf Empfehlungen und Informationen anderer Personen, seien es Migrant_innen oder Unterstützende, verlassen (vgl. das Fallbeispiel Marie G. in Kap. 4.3.3). Auch das Handeln der Unterstützenden ist oft von einem hohen Grad an Unwissenheit geprägt. Meist wissen sie nur wenig über das Asylsystem und kennen die die Niederlassung und Abschiebung betreffenden Abläufe und rechtlichen Bestimmungen kaum – auch wenn sie, wie beschrieben, Anstrengungen unternehmen, sich in die Materie einzuarbeiten. Diese Unkenntnis ist darauf zurückzuführen, dass für sie als Menschen mit meist österreichischer Herkunft vor dem ersten näheren Kontakt mit Abschiebungsgefährdeten selbst keine Notwendigkeit bestanden hat, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Außerdem ist die Gesetzeslage hoch komplex und ändert sich ständig. Ein Mitarbeiter der
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Fremdenpolizeibehörde spricht mehrmals über die Komplexität der Gesetzeslage und verweist darauf, dass selbst Mitglieder des Unabhängigen Verwaltungssenats (UVS)14 sich in manchen Fällen unsicher über die Richtigkeit ihrer Entscheidungen seien. Sogar die Expert_innen in diesem Feld, sowohl in den Behörden als auch in den Vereinen, haben Schwierigkeiten, die Gesetze und verschiedenen Gesetzesänderungen zur Gänze zu verstehen und auf die verschiedenen Fälle richtig umzulegen. Sowohl Migrant_innen als auch Unterstützende verlassen sich daher in vielen Fällen auf Anwälte – die jedoch ebenso vor der Herausforderung der komplexen gesetzlichen Materie stehen. In puncto Anwälte eröffnet sich ein weiteres Feld, in dem deutlich wird, welchen Einfluss Unwissenheit auf die Handlungen haben kann. Abschiebungsgefährdete wissen zumeist nicht, welche Kosten das Hinzuziehen eines Anwalts verursachen kann, für welche Schritte überhaupt ein Anwalt verpflichtend notwendig ist, welche Beschwerden auch ohne Anwalt durchgeführt werden können und vor allem was ein Anwalt wirklich bewirken kann (vgl. etwa das Fallbeispiel Sophie F. in Kap. 4.3.1). Diese Unwissenheit führt zu Handlungen, die den Migrant_innen oft zum Nachteil gereichen. So zahlen sie etwa zu viel oder bekommen keine oder zu wenig Unterstützung. Die in vielen Bereichen vorherrschende Unwissenheit führt zugleich zu einer Verunsicherung. Die von Simon M. unterstützte Frau befürchtet nach dem Abbruch ihrer Flugabschiebung, noch am selben Tag mit dem Bus abgeschoben zu werden, was jedoch aus praktischen Gründen beinahe unmöglich ist. Thomas U. versteht das Handeln der Polizist_innen nicht. Da er keine Erklärungen erhält oder ihm diese nicht verständlich sind, bleibt es für ihn eine offene Frage, warum er, nachdem die Polizei ihn angehalten hat, er doch wieder freigelassen wurde. Eine Unsicherheit, die ihn veranlasst, sich weiterhin möglichst nicht im öffentlichen Raum aufzuhalten. Die Unwissenheit ist somit zum einen eine Bedingung, die das Handeln der Abschiebungsgefährdeten beeinflusst. Zum anderen ist sie auch ein Merkmal des Lebens in der Situation von Catch-22 des irregulären Aufenthalts an sich. 4.4.5 Öffentlichkeit und politische Interventionen Wie schon im Kapitel 4.4.2 zur Rolle der Unterstützer_innen beschrieben, haben besonders soziale Kontakte zu politischen Funktionsträger_innen großen Einfluss darauf, ob eine Abschiebung zu Stande kommt oder nicht. Dies wird auch
14 Die Unabhängigen Verwaltungssenate wurden mit 1.1.2014 aufgelöst und durch Landesverwaltungsgerichte ersetzt.
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durch einen Behördenmitarbeiter auf nationaler Ebene bestätigt, der anmerkt, dass es 2010, als die achtjährigen Zwillinge Komani erst in den Kosovo abgeschoben und dann wieder zurück nach Österreich geholt wurden (vgl. Brixner 2010), eine Kehrtwende im Zusammenspiel zwischen Fremdenpolizeibehörde und Politik gab. Im angesprochenen Fall wurde die rechtliche Entscheidung, die Familie abzuschieben, durch die politische Entscheidung, sie zurückzuholen, quasi rückgängig gemacht. Laut dem Behördenmitarbeiter auf nationaler Ebene kann durch Interventionen eines Politikers, beispielsweise des Landeshauptmanns, eine Person einen Aufenthaltstitel bekommen, obwohl ihre Abschiebung schon vorbereitet ist. Diese politischen Interventionen bewertet er als sehr schwierig für die Fremdenpolizei. Auch unautorisierte Migrant_innen selbst sowie Unterstützende berichten davon, dass die Einbeziehung politischer Funktionsträger_innen sich positiv in Hinblick auf eine Verhinderung der Abschiebung oder überhaupt den Erhalt einer Niederlassungsbewilligung auswirken kann. Die politischen Interventionen können zum einen auf direkten Gesprächen basieren, zum anderen auf der Mobilisierung einer breiten Öffentlichkeit durch Unterstützende oder NPOs. Die öffentliche Aufmerksamkeit kann bewirken, dass der jeweilige Fall nochmals genau geprüft wird, wie NPO Mitarbeiterin Mia Q ausführt. Dies kann eventuell eine andere Einschätzung des Falles nach sich ziehen und zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung führen. Direkt bei der Durchführung einer Abschiebung kann das Involvieren von Mitreisenden dazu führen, dass ein_e Pilot_in den oder die Abschiebungsgefährdeten nicht mitnimmt. Sind die Mitreisenden hingegen vor allem an einer pünktlichen Ankunft des Flugzeuges, etwa aus Gründen der Berufstätigkeit, interessiert, fördert dies einen eher „störungsfreien“ Ablauf der Abschiebung (sofern nicht die Abschiebungsgefährdeten selbst Handlungen setzen, die den reibungslosen Flugverlauf behindern; vgl. Kap. 4.5.3, „Interaktive Handlungen“). Das Involvieren von Öffentlichkeit kann aber auch in die andere Richtung wirken. So erklärt NPO-Mitarbeiterin Mia Q.: „[A]uf der einen Seite kann die Öffentlichkeit natürlich schon viel bewirken, auf der anderen Seite ist es halt auch manchmal schon ein bisschen hinderlich, weil dann steht der Fall in der Öffentlichkeit und dann muss natürlich auch bis zu einem gewissen Grad das Innenministerium ein bisschen stärker demonstrieren.“ (NPO Mia Q.: 195)
Direkte Gespräche mit den Behörden könnten bewirken, dass ein Fall nicht prioritär behandelt wird – während unter den Augen der Öffentlichkeit die Beamt_innen in ihrem Handlungsspielraum viel stärker auf die strikte Einhaltung
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der formal korrekten Abläufe achten. Der Blick von Medien und Öffentlichkeit auf eine Person oder eine Familie kann auch den Handlungsspielraum der Abschiebungsgefährdeten selbst einschränken. Denn nun lauten die Erwartungen der Unterstützer_innen, dass sich die Person quasi „vorbildhaft“ verhält: sich gut integriert, sich nichts zu Schulden kommen lässt etc. (vgl. zu den Einstellungen, wann jemand nicht abgeschoben werden sollte: Kukovetz 2014). Dieses Kapitel beschäftigt sich mit unterschiedlichen Bedingungen, die das Handeln der Abschiebungsgefährdeten und deren Leben in Catch-22 des irregulären Aufenthalts beeinflussen: das Handeln der Behördenmitarbeiter_innen und Unterstützer_innen; persönliche Bedingungen der Abschiebungsgefährdeten; die Unwissenheit der Betroffenen sowie der Unterstützenden in Hinblick auf bestimmte Aspekte; die Öffentlichkeit und politische Interventionen. Ein eigenes Thema wäre die Analyse des Einflusses der Medien auf die Handlungspraktiken. Als weitere intervenierende Bedingung ist die Rolle der Botschaften von Abschiebe-Zielländern und der Rückübernahmeabkommen zu nennen. Diese wurde jedoch schon in vorangehenden Kapiteln beschrieben (vgl. Kap. 4.4.1, „[Ohn]Mächtigkeiten der Beamt_innen“, sowie Kap. 3.4.1.3, „Abschiebebemühungen durch die Behörden“, und Kap. 3.4.4.2, „Der Umgang mit weiteren behördlichen Erfordernissen“).
4.5 W IDERSTAND
GEGEN
ABSCHIEBUNGEN
ALS
AGENCY ?
Die Ausweglosigkeit der Catch-22-Situation lässt die Abschiebungsgefährdeten zwischen Widerstand einerseits und Integration oder Anpassung an die Zielgesellschaft andererseits hin und her pendeln. Je nach Situation oder intervenierenden Bedingungen werden unterschiedliche Handlungspraxen angewandt. In den in Kapitel 4.3 vorgestellten Fallbeispielen wurden mögliche Verläufe und das Zusammenspiel verschiedener Bedingungen, Kontexte und Handlungspraktiken beschrieben, danach in Kapitel 4.4 die unterschiedlichen intervenierenden Bedingungen strukturiert dargestellt. Dieser Abschnitt beschäftigt sich nun mit einem bestimmten zeitlichen Abschnitt im Leben der unautorisierten Migrant_innen zwischen Niederlassung und Abschiebung: Die Abschiebung steht unmittelbar bevor. Der Beginn der Catch-22-Situation ist mit dem den Aufenthalt beendenden Bescheid festzumachen. Kommt es zu einer Festnahme und Festhaltung in einem Polizeianhaltezentrum, ist das Dilemma der Catch-22Situation insofern aufgehoben, als Integrationsanstrengungen nicht mehr möglich sind oder keinen Erfolg mehr versprechen. Die Handlungen stehen nur noch
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in Relation zur nahenden oder schon in der Durchführung befindlichen Abschiebung. Insofern ist dieses Kapitel als eine Art Exkurs zu lesen, da sich die Handlungspraxen nicht direkt auf die paradoxe Situation von Catch-22 des irregulären Aufenthalts beziehen. Abschiebungsgefährdete werden in dieser Situation in ihren Handlungen einerseits von einem Gefühl der Ohnmacht dominiert, besitzen andererseits dennoch eine bestimmte Handlungsfähigkeit bzw. Agency. Antje Ellermann (2010) beschreibt unautorisierte Migrant_innen als gerade deshalb handlungsmächtig, weil sie keine Rechtsansprüche mehr gegenüber dem Staat haben und daher solche auch nicht zu verlieren hätten. Die Agency innerhalb der Schubhaft bzw. Abschiebezentren beschreibt Giuseppe Campesi (2015). In meiner Untersuchung wird deutlich, dass Ohnmacht und Agency nicht als gegenteilige Pole verstanden werden dürfen, da sie auch gleichzeitig auftreten können (Ohnmachtshandlungen, die wiederum Einfluss auf die Reaktionen der Umwelt haben) oder durch unterschiedliche Bedingungen sehr schnell ineinander übergehen können. Die Ohnmacht drückt sich im Gefühl der Resignation aus. Alex A. sagt über einen Zeitpunkt in seinem Leben im prekären Aufenthalt: „Also eigentlich hat nichts geholfen. Bis auf das letzte, wo ich dann gesagt habe, jetzt kann ich nur resignieren.“ (Mig. Alex A.: 158) Auch Sophie F. erzählt von ihrer ersten Zeit als unautorisierte Migrantin: „Weil ich schaffe das nicht. Ein Monat oder so kann ich. Ein Monat, zwei Monate. Aber mehr nicht.“ (Mig. Sophie F.: 24) Die Resignation ist am stärksten zum Zeitpunkt des Festhaltens im Polizeianhaltezentrum, was auf die externen Einschränkungen der Handlungsfreiheiten (keine Bewegungsfreiheit, eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten) sowie das Wissen um die kurz bevorstehende Abschiebung zurückzuführen ist. Simon M. erzählt über eine abschiebungsgefährdete Mutter: „Sie ist davon ausgegangen, dass sie wieder irgendwann zurück abgeschoben wird nach Afghanistan, also die war komplett verzweifelt, also die hat jeden Widerstand aufgegeben gehabt.“ (Unt. Simon M.: 20). Die Handlungen in solchen ausweglos erscheinenden Situationen können unter bestimmten Rahmenbedingungen Konsequenzen für die Art der Abschiebung (überwachte oder begleitete Abschiebung) haben. Außerdem haben die Handlungen Einfluss darauf, ob eine Abschiebung nicht durchgeführt werden kann bzw. abgebrochen wird. Überdies ist festzustellen, dass die Handlungen der Abschiebungsgefährdeten auch noch während des Abschiebungsprozesses sehr wirkkräftig sein können. Agency bedeutet, man kann über etwas oder wen bestimmen, man hat beispielsweise Macht über eine Person. Im Fall von Abschiebungen wird Zwang von der Staatsgewalt ausgeübt. Die betreffende Person be-
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sitzt nur noch Macht über sich selbst – und selbst diese versucht die Staatsgewalt ihr zu nehmen bzw. vollkommen einzuschränken (etwa durch Festbinden)15. Um diese Handlungen im Gefühl der persönlichen Einflusslosigkeit zu beschreiben, spreche ich im Folgenden von Ohnmachtshandlungen der Abschiebungsgefährdeten. Die Ohnmachtshandlungen nehmen verschiedene Ausprägungen an. Dabei ist nebensächlich, ob die Abschiebungsgefährdeten mit ihren Handlungen eine bestimmte Intention verfolgen. Hier interessiert mich vor allem, wie die Handlungen von den Mitmenschen interpretiert werden – also mit Barnes gesprochen, welcher Status und welcher Zustand ihnen verliehen wird – und wie sie wirken. So wird etwa die Weigerung, in das Flugzeug einzusteigen, von den anderen involvierten Personen eher als intentional interpretiert werden, wohingegen emotionales Weinen eher als nicht intentional interpretiert wird. Ich unterscheide drei verschiedene Ausprägungen von Handlungen: resignative Handlungen, gegen sich selbst gerichtete Handlungen und interaktive Handlungen. 4.5.1 Resignative Handlungen Manche Abschiebungsgefährdete erleben ab einem bestimmten Zeitpunkt ihre Abschiebung als unabwendbar und finden sich mit dem Vorhaben der Behörden in gewisser Weise ab. So berichtet etwa Unterstützer Simon M. über eine Frau, die mit ihren Kindern abgeschoben werden sollte: „Da war jeder Widerstand schon gebrochen. Die hat sich ihrem Schicksal komplett ergeben. Die hat nur mehr geweint und war einfach komplett fertig.“ (Unt. Simon M.: 20) Ein anderes Beispiel ist die unautorisierte Migrantin Marie G. Sie wartet auf eine Entscheidung hinsichtlich ihres Aufenthaltsstatus und spricht im Interview in mehreren
15 Ein extremes Beispiel für den Wunsch mancher Regierungsmitglieder nach vollkommener Einschränkung persönlicher Handlungsmacht von Menschen, die abgeschobenen werden, stellt die Aussage der FPÖ-Nationalratsabgeordneten Dagmar Belakowitsch-Jenewein in der Nationalratssitzung vom 17.6.2014 dar: „Daher, Frau Innenminister, wäre es einmal möglich, auch neue Wege zu gehen und zu überlegen, ob man nicht vielleicht mit der Hercules-Maschine abschieben könnte, denn dann könnten sie da drinnen schreien, so laut sie wollen.“ (Nationalratssitzung 2015) Im Juli 2016 wurde das Ansinnen der Abschiebungen mittels der Transportmaschine Hercules bereits zum ersten Mal realisiert – als zu evaluierender Probeflug mit elf unautorisierten Migrant_innen bei einem Fassungsvolumen der Maschine von 90 Personen (vgl. Salzburger Nachrichten 2016).
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Passagen darüber, wie sie sich schließlich mit einer Ausreiseaufforderung abfinden würde: Sie sei erschöpft („Ich bin jetzt echt müde“ [Mig. Marie G.: 150]), habe das Gefühl, in Österreich als ältere Frau nichts machen zu können, und würde schließlich jede Entscheidung hinnehmen: „Deswegen ich will etwas, eine Entscheidung. Welche Entscheidung ist egal. Ich akzeptiere.“ (Ebd.: 160) In beiden Fällen wurde keine Abschiebung durchgeführt: Marie G. erhielt schlussendlich eine Niederlassungsbewilligung16; die Abschiebung der zweiten Frau wurde wegen der Handlungen ihrer Kinder (Weglaufen auf dem Flugfeld in verschiedene Richtungen) schließlich abgebrochen. Wären jedoch keine intervenierenden Bedingungen gegeben gewesen (die gerichtliche Entscheidung, das Verhalten der Kinder), hätten die Handlungen der betreffenden Personen zu einer Abschiebung entsprechend der Praxis der Fremdenpolizei geführt. Die Vorgehensweise im Zuge der Abschiebung unterscheidet sich danach, wie die Fremdenpolizei die betreffenden Personen im Vorfeld einschätzt: Könnten sie Widerstand leisten oder in irgendeiner Form gefährlich sein? (Zur Beschreibung des Ablaufs von Abschiebungen s. Anhang) 4.5.2 Gegen sich selbst gerichtete Handlungen Ein anderer Komplex an Handlungspraktiken ist jenen aus Resignation sehr ähnlich. Sie bedeuten jedoch nicht wie bei resignativen Handlungen, dass die Menschen das tun, was andere (sprich die Behördenmitarbeiter_innen) von ihnen verlangen, sondern diese richten sich gegen die eigene Person. Diese Praktiken können zum einen bewusst erfolgen, um etwas Bestimmtes zu erreichen. Als Beispiel wäre das Bestreichen des eigenen Körpers mit dem eigenen Kot zu nennen, womit eventuell bewusst bewirkt werden soll, dass die Beamt_innen die Person nicht festhalten (können). Sie können aber auch unbewusst herbeigeführt werden. Die verzweifelte Situation ist dann Auslöser für eine körperliche Reaktion, wie es beispielsweise bei einem Nervenzusammenbruch der Fall ist. Weitere gegen sich selbst gerichtete Handlungen sind etwa Selbstverletzung (z.B. Batterien essen), Selbstmordversuche (z.B. sich selbst anzünden), in Hungerstreik treten, Krankheit, oder sich Insulin zu spritzen (das erst in die Schubhaft eingeschmuggelt werden muss), um die Flugtauglichkeit zu beeinflussen. Der in einem Polizeianhaltezentrum arbeitende Jakob J. schildert beispielsweise:
16 So wurde es mir von Marie G. einige Monate nach dem Interview erzählt.
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Jakob J: „Ah, der Betroffene hat sich selbst verletzt. In [Stadt anonymisiert]. Und dann wurde das Ganze abgeblasen, weil der dann im Krankenhaus [spezifische Bezeichnung anonymisiert] war. Und dann wurde alles storniert.“ I: „Mhm. Wie hat er sich selber verletzen können?“ Jakob J: „Das ... das ist ein Rätsel. Er dürfte vermutlich eine Rasierklinge im Mund gehabt haben. Weil er wurde vorher perlustriert. Das heißt Ganzkörperkontrolle. Und er dürfte eine Rasierklinge im Mund gehabt haben und sich geschnitten im Brustkorbbereich und geblutet und ja. Dann war die Abschiebung nicht mehr möglich.“ (NPO Jakob J.: 168-170)
Die Handlungen können auf jeden Fall als Widerstandspraktik gegen Abschiebungen gedeutet werden. Die unautorisierten Migrant_innen erhalten dadurch ein Stück weit Handlungsmacht. Dies gilt aber nur für einen gewissen Zeitraum: bis die Verletzung verheilt, die Krankheit überwunden ist etc. Zudem trifft es nur in eingeschränktem Maße zu: Die konkret bevorstehende Abschiebung wird verhindert, nicht jedoch die Ausweisung und Ausreiseaufforderung zurückgenommen. Bei vielen Handlungen, die gegen die eigene Person gerichtet sind, ist nicht feststellbar oder genau unterscheidbar, ob die Migrant_innen damit bewusst versuchen, eine Abschiebung zu verhindern, oder ob es sich um eine unbewusste Reaktion auf eine stressbehaftete Situation handelt. Hier nehmen die anderen Akteur_innen im Feld Zuschreibungen vor – sowohl hinsichtlich der Verantwortlichkeit durch die Migrant_innen („responsible action“ nach Barry Barnes) als auch hinsichtlich der Unbeeinflussbarkeit („causal connection“), etwa einer psychischen Erkrankung. Dies illustriert die Aussage eines Mitarbeiters einer lokalen Fremdenpolizeibehörde: „Oder man17 hat beispielsweise auch insofern Erfahrung gesammelt, dass man bei der Abholung in der Unterkunft, dass es dort Probleme gegeben hat. Jetzt nicht so sehr bei uns in [Stadt anonymisiert]. Dass dort was weiß ich, die Geschichten so geendet haben, was weiß ich, Nervenzusammenbrüche erlitten worden sind, oder nur vorgetäuscht worden sind. Das ist dann halt immer schwer zu filtern. Dann kommen die Leute ins Spital. Laut Spital liegt überhaupt nix vor, ist alles in Ordnung. Alles stabil. Aber auf Grund der Situation vor Ort, wo natürlich auch Polizisten, oft wenn man sich denkt, überhaupt dort, wo Familien betroffen sind, ah Polizisten auch sehr oft überfordert sind logischerweise, na? Und dann passieren halt solche Vorfälle, wo Leute einfach die Nerven verlieren. Und einen Nervenzusammenbruch tatsächlich erleiden, sag ich jetzt einmal. Weil das ist ja auch
17 Gemeint ist die Fremdenpolizeibehörde.
180 | I RREGULÄRE L EBEN nicht ausgeschlossen, weil’s ja für viele auch eine drastische Sache ist. Gar keine Frage. Aber oft wird halt auch was vorgetäuscht. Wo wir dann halt sehen, vom Spital aus, das ist eigentlich net alles so wie der äußere Anschein zum maßgeblichen Zeitpunkt war. Wo halt dann halt auch abgebrochen worden ist. Aber, in letzter Zeit ist das nicht so gravierend eigentlich. Muss ich ganz ehrlich sagen.“ (Beh. Paul N.: 129-140)
In diesem Interviewausschnitt wird auch die Relevanz von Ärzt_innen für die Zuweisung eines Status deutlich. In diesem Beispiel konstatieren die Ärzt_innen des Krankenhauses das tatsächliche Vorliegen des Nervenzusammenbruchs. In vielen anderen Fällen sind es bei besonderen Vorkommnissen sowie im Routineablauf einer Abschiebung die Amtsärzt_innen, die feststellen, ob eine Flugtauglichkeit gegeben ist. Sie werden auch hinzugezogen, um eine mögliche Haftunfähigkeit (etwa bei Hungerstreik in Schubhaft) festzustellen. Jakob J., Mitarbeiter einer NPO, sagt dazu: „Meine persönliche Meinung ist, dass jeder Amtsarzt zwar ein Grundgerüst hat, das vorgibt, wann jemand haftunfähig ist. Aber darüber hinaus gibt’s doch ein bissl Spielraum. Und manche betrachten das eher ein bissl liberaler, eher strenger, je nachdem.“ (NPO Jakob J.: 301)
Hier wird deutlich, dass Amtsärzt_innen einen Ermessensspielraum haben, um die Zuschreibung zu einem gewissen Status (haft- bzw. flugfähig ja oder nein) vorzunehmen. 4.5.3 Interaktive Handlungen Interaktive Handlungen sind ebenso wie die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Handlungen körperlicher Art. Sie werden sehr kurz vor einer Abschiebung angewandt, wenn den Akteur_innen keine anderen Ressourcen als jene des eigenen Körpers zur Verfügung stehen. Eine Kategorie von Handlungspraktiken besteht in der Verweigerung, den Anforderungen der Behörden nachzukommen. Dies inkludiert die Verweigerung der amtsärztlichen Untersuchung, die eine Voraussetzung für die Abschiebung ist („Wenn der zum Arzt gehen soll und der geht nicht. Und eher wo dagegen tritt.“ [Beh. Felix K.: 81]). Ein anderes Beispiel ist, das Verlassen des Polizeianhaltezentrums oder das Einsteigen ins Flugzeug zu verweigern („Emeka18 hat gesagt, er weigert sich einzusteigen“, Prot. Unt. 201210: 53). Von einem Mitarbei-
18 Name anonymisiert.
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ter des Abschiebepools werden folgende Formen des Widerstands genannt, die zum Abbruch einer Abschiebung führen können: „Und wie gesagt, Abbrüche: der Vorgang ist meistens so, dass zu Schreien angefangen wird, die Leute lassen sich fallen, auf der Treppe hin zum Flieger. Fangen so so, bissl so so Ausschlagen an, so als ob sie einen epileptischen Anfall haben. So diese Geschichten.“ (Beh. Leon L.: 143)
In einer weiteren Interviewpassage führt Leon L. auch die Bedingungen an, die den Abbruch erleichtern – das Vorhandensein einer gewissen Öffentlichkeit: „Und grundsätzlich zu Abbrüchen kommt es meistens, diese Geschichte, die wissen sie eh genau, die Leute, wann, wann das möglich ist. Und, und, das ist meistens dann so beim Flieger, wenn halt ein bissl eine Öffentlichkeit da ist, ja. Oder es, die Passagiere steigen dann ein, oder wie auch immer, dass dann eben jemand zum Toben, zum Schreien anfangt.“ (Ebd.: 137)
Denn eine Abschiebung muss beispielsweise abgebrochen werden, wenn der Pilot/die Pilotin die jeweilige Person nicht an Bord nimmt. Insofern spielt hier die Handlungsmacht der Pilot_innen eine wichtige Rolle. In einem in den Interviews geschilderten Fall hatte der Pilot die Mitnahme einer Familie, die abgeschoben werden sollte, verweigert. Er wollte zum einen keine Aufregung im Flugzeug und zum anderen keine Verspätung seines Fluges (die Kinder waren auf dem Flugfeld davongelaufen, vgl. Unt. Simon M.). Bei diesen interaktiven Handlungen bemächtigen sich die Abschiebungsgefährdeten selbst durch konkrete Praktiken des Widerstandes. Sowohl für diese Praktiken als auch für die gegen sich selbst gerichteten Handlungen gilt, dass sie vorerst eine Abschiebung verhindern. Die Reaktionen der Behörden können sehr unterschiedlich ausfallen und reichen beispielsweise von Abschiebungen trotz eines Hungerstreiks (etwa wenn ein Schubhäftling Insulin in die Haft einschmuggelt und in der Folge die medizinischen Werte künstlich niedrig setzt, obwohl er kein Gewicht verliert, vgl. Beh. Felix K.) bis zu einer Entlassung aus der Schubhaft auf Grund eines Hungerstreiks. Die abschiebungsgefährdeten Personen können sich nach Abbruch einer Abschiebung in sehr unterschiedlichen Situationen befinden. Dies ist vorrangig von Zuschreibungen der Beamt_innen und/oder Amtsärzt_innen abhängig.
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(1) Wird den Migrant_innen eine absichtliche Verhinderung, ein aktiver Widerstand zugeschrieben, entscheidet die Fremdenpolizeibehörde, den nächsten Abschiebeversuch als begleitete Abschiebung durchzuführen. Sowohl ein Menschenrechtsexperte als auch ein Mitarbeiter der Fremdenpolizeibehörde weisen darauf hin, dass fast ausschließlich Männer durch eine begleitete Abschiebung außer Landes gebracht werden. Der Abschiebepool wird gerufen, „entweder weil er [der Abzuschiebende, Anm. B.K.]/weil er schon bei einer versuchten freiwilligen Abschiebung nicht eingestiegen ist in den Flieger, oder dass einer schon gesagt hat, er wird Widerstand leisten bevor er überhaupt/bevor man daran gedacht hat, dass man den freiwillig gehen lasst.“ (Beh. Leon L.: 7)
Die Behörden versuchen also die Agency der unautorisierten Migrant_innen im nächsten Abschiebeversuch auf null zu reduzieren.19 Die Migrant_innen werden höchstwahrscheinlich in Schubhaft verbleiben, bis ein weiterer Abschiebeversuch unternommen werden kann. Auf Grund rechtlicher Bestimmungen über die maximale Dauer der Schubhaft und Schwierigkeiten der Behörde, eine zeitlich passende Abschiebemöglichkeit zu erwirken (beispielsweise durch auslaufende Heimreisezertifikate), können auch solche Migrant_innen wieder in die Situation des Catch-22 des irregulären Aufenthalts gelangen. Bei manchen unautorisierten Migrant_innen sehen selbst Behördenmitarbeiter auf Grund des Widerstandes der jeweiligen Person keine realistische Chance, diesen abzuschieben. So berichtet zum Beispiel ein Mitarbeiter eines Polizeianhaltezentrums über einen Schubhäftling: „Er tut alles, um das zu verhindern. Also der versucht alles. Und der wird auch nicht abgeschoben, bin ich überzeugt. Das schaffen wir nicht.“ (Beh. Felix K.: 172) Bei Abschiebungen mittels Flugzeug verfügen auch die Fluggesellschaften über eine große Handlungsmacht. Ein Mitarbeiter des Abschiebepools stellt einen Unterschied zwischen west- und osteuropäischen Fluglinien fest: „Man muss ganz strikt unterscheiden sage ich jetzt einmal zwischen westeuropäischen und osteuropäischen Maschinen, wo wir fliegen. Ich sag jetzt einmal so, diese gängigen Maschinen, wie man sich das vorstellt: Lufthansa, AUA, sag ich einmal so, diese Star-
19 Dieser Interviewausschnitt zeigt nicht nur die Vorgehensweise auf, sondern veranschaulicht auch die sehr spezifische Sprechweise der Behörden. Freiwilligkeit steht im Gegensatz zur Bedeutung einer Abschiebung (s. Glossar bzw. Definition in Kapitel 1.2, „Forschungsinteresse“), während in diesem Zitat („versuchte freiwillige Abschiebung“) suggeriert wird, dass eine Abschiebung auch ohne Zwang erfolgen könne.
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Alliance, die sind sehr, sehr vorsichtig, was Schubhäftlinge anbelangt. Grundsätzlich sind sie verpflichtet, dass sie sie mitnehmen, aber, aber, sie sind halt schon sehr darauf bedacht, dass da ja keine Störung ist und so weiter. Logischerweise. Verstehe ich ja auch. Aber ich sag einmal, hypervorsichtig, die sagen dann auch immer sofort: Ja, und wenn der nur püps macht, dann müssen wir sofort, und dann darf der nicht mitfliegen und so, während die osteuropäischen Linien da nicht so sind. Wir sind früher da viel mit der Aeroflot geflogen. Gott sei Dank fliegen wir das jetzt nicht mehr, aber, nur zeitweise. Wo die also sagen, ,ja, okay, hauts ihn eini hinten‘, so auf die Art, ,und fliegts halt mit‘.“ (Beh. Leon L.: 69-71)
Wie Leon L. auch später noch ausführt, ist es also die Entscheidung des Piloten/der Pilotin, ob er die Mitnahme einer Person akzeptiert, wenn die Polizei diese beispielsweise „im Sitz fixiert“ (ebd.: 146). Und diese Entscheidung sei, so Leon L., stark von der Fluglinie abhängig. (2) Wird den Migrant_innen von der Behörde hingegen keine absichtliche Herbeiführung eines Abbruchs zugeschrieben, befinden sich die Personen daraufhin wieder in der Situation von Catch-22 des irregulären Aufenthalts. Ein Beispiel hierfür ist der Fall einer Mutter mit fünf Kleinkindern, die, wie schon beschrieben, auf dem Flugfeld nicht bei der Mutter geblieben und geordnet in das Flugzeug eingestiegen sind, sondern alle herumgelaufen sind. Auf Grund dessen wurde die Abschiebung schließlich abgebrochen – das Flugzeug startete ohne die Familie. Danach befand sich die Familie kurze Zeit in der Situation, jederzeit abgeschoben werden zu können. In diesem Fall wurde aber auf dem Rechtsweg sehr bald nach der Abschiebung erreicht, dass die Familie, zumindest während ihre Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof lief, nicht abgeschoben werden durfte. In diesem Beispiel wirkte nicht nur die – zumindest offizielle und im Interview nach außen kommunizierte – Zuschreibung der Behörden, dass dies keine absichtliche Verhinderung der unautorisierten Migrant_innen gewesen sei: „Und das hat damals noch im letzten Moment auf Grund faktischer Umstände, war das eigentlich kein Abbruch, sondern es hat einfach nicht stattgefunden. [...] Abbruch wäre halt, wenn auf Grund von Widerstand ...“ (Beh. Paul N.: 135) Es geht außerdem darum, dass die Behörden bei Frauen und Kindern andere Maßstäbe ansetzen als bei Männern. Dazu der Mitarbeiter einer Fremdenpolizeibehörde: „Und das kann nicht sein, dass man da jetzt irgendwie so gegen eine Familie mit kleinen Kindern so vorgeht wie man gegenüber einen einzelnen Erwachsenen vorgeht. Wenn sich eine einzelne erwachsene Person, ein Mann, vehement wehrt, dann wird der Polizist, oder
184 | I RREGULÄRE L EBEN dann werden die Polizisten, natürlich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, aber schon entsprechend zugreifen.“ (Ebd.: 154)
Weitere Bedingungen, warum hier die interaktiven Handlungen der Abschiebungsgefährdeten für sie „erfolgreich“ ausgingen und daher wirklich mit einer größeren Agency verknüpft waren, waren die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten (Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof) nach dem Abschiebeversuch sowie die (rechtliche) Unterstützung durch Hilfsorganisationen (vgl. Kap. 4.4.2, „Die Rolle der Unterstützer_innen“). Abschließend sei auf eine interessante Beobachtung hingewiesen, die sowohl von behördlicher Seite als auch von einem Abschiebungsgefährdeten ähnlich ausfällt. Ein Mitarbeiter eines Polizeianhaltezentrums erklärt: „Fakt ist aber: Leute, die aus ärmlichen Verhältnissen zu uns kommen, die eigentlich einen starken Charakter haben, die lassen sich leichter abschieben. Also die widersprechen nicht, die machen das. Hingegen sind solche Personen, die absolut kriminell sind, die in die Justizanstalten kommen, weil sie langjährige oder mehrjährige Strafen zu verbüßen haben. Dann zu uns kommen. Also das sind die Problemfälle. Also da gibt es die Probleme bei der Außerlandesschaffung. Also eigentlich aus meiner persönlichen Sicht gesehen so, dass die mehr oder minder anständigen Leute leichter weggebracht werden – und das ist so – als wie jene, die wir absolut nicht wollen. Und zwar die Verbrecher.“ (Beh. Felix K.: 45-47)
Ich möchte im Folgenden nicht näher auf die hier implizit vorgenommenen Zuschreibungen eingehen, was als „starker Charakter“ bzw. als „anständig“ bewertet wird. Interessant ist vielmehr, dass jene, die als „anständig“ eingeschätzt werden, laut dem Interviewpartner eher die resignativen Handlungen wählen, sprich sich leichter abschieben lassen. Interaktive Handlungen setzen hingegen jene, die Felix K. als Verbrecher einstuft. Gegengleich kommt der unautorisierte Migrant Thomas U. zu einem ähnlichen Schluss. Er meint: „Ich glaube, die Leute, die immer abgeschoben werden, sind die Leute, die versuchen, ihr Leben hier besser zu machen und hier zu bleiben.“ (Mig. Thomas U.: 284) Er geht davon aus, dass die unautorisierten Migrant_innen, die sich bemühen, Deutsch zu lernen und in die Schule gehen, eher abgeschoben werden als jene, die etwa mit Drogen dealen. Die Handlungsmacht schreibt er jedoch nicht, wie der oben zitierte Behördenmitarbeiter, den Migrant_innen, sondern der Polizei zu. Denn er gibt seinem Freund Recht, den er mit dem Satz zitiert: „[W]eil die Leute, die
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dealen … Er [der Freund, Anm. B.K.] glaubt auch, dass die Polizei selber will, dass diese Leute hier bleiben.“ (Ebd.: 285) Sowohl Felix K. als auch Thomas U. beobachten, dass Personen, die nicht straffällig geworden sind, eher abgeschoben werden. Unterschiedlich ist die Einschätzung dahingehend, ob die Gründe dafür bei den Abschiebungsgefährdeten oder bei den Behördenmitarbeiter_innen liegen. Da das Interviewsample dieser Arbeit keine Personen umfasst, die wegen einer strafrechtlich (und nicht fremdenrechtlich) verfolgten Tat verurteilt wurden, können hier auch keine Schlüsse gezogen werden, warum die verschiedenen Akteur_innen beobachten, dass eher die strafrechtlich verurteilten unautorisierten Migrant_innen in Österreich bleiben und wie genau die Interaktionen zwischen Behörden und dieser Personengruppe ablaufen. Interessant ist jedoch die Zuschreibung der Handlungsmacht des Behördenmitarbeiters und des Abschiebungsgefährdeten zur jeweils anderen Gruppe (also den Migrant_innen einerseits und den Behörden andererseits). In diesem Unterkapitel wurden kurz die Handlungsmöglichkeiten Abschiebungsgefährdeter und die dabei intervenierenden Bedingungen dargestellt, wenn eine Abschiebung vor der Durchführung steht bzw. durchgeführt wird. In dieser Situation ist Catch-22 des irregulären Aufenthalts zugunsten der Notwendigkeit, die Abschiebung zu verhindern, aufgehoben. Die Menschen stehen nicht mehr vor einem Dilemma, sondern wählen zwischen verschiedenen Formen von Handlungspraktiken, die ich alle mit dem Oberbegriff der Ohnmachtshandlungen beschrieben habe. Im nächsten Kapitel komme ich wieder konkret auf Catch-22 zurück und beschreibe die Folgen einer solchen paradoxen Situation.
5. Verbleiben zwischen Sein und Schein Einblick in die Folgen einer Pattsituation
Migrant_innen, die sich im Catch-22 des irregulären Aufenthalts befinden, sind in einer sehr schwierigen Lebenssituation. Ihr Dilemma, dass die gleichen Handlungen sowohl eine Abschiebung als auch eine Niederlassung bewirken können, wurde in Kapitel 3 beschrieben. Welche Handlungspraktiken die Abschiebungsgefährdeten setzen und mit welchen intervenierenden Bedingungen sie umgehen müssen, ist bereits in Kapitel 4 diskutiert worden. Alle müssen für einen gewissen Zeitraum mit den sozialen und persönlichen Folgen dieses Zustandes leben. Wenn die unautorisierten Migrant_innen nicht abgeschoben werden können, weil kein Reisedokument und keine Übernahmebewilligung des Abschiebeziellandes vorhanden sind, befinden sie sich noch tiefer in der ausweglosen Situation von Catch-22. Ihre Handlungsmacht wird weiter eingeschränkt, da sie nur noch im Rahmen des beschriebenen rechtlichen Leerraums (vgl. Kap. 3.4.1, „,Ohne Dokumente‘“) handeln können und mit den Folgen der paradoxen Situation leben müssen. Was bedeutet es für die Gestaltung des Alltags, in diesem rechtlichen Leerraum zu leben – oft nicht nur einige Wochen, sondern teilweise über Jahre hinweg? Die Konsequenzen von Catch-22 des irregulären Aufenthalts betreffen alle Bereiche des Lebens: Arbeit, Wohnen, Bildung, physische und psychische Gesundheit, Sozialbeziehungen etc. In jenen Lebensbereichen, in denen gewisse Menschenrechte in Österreich gewahrt werden müssen (oder sollten), sind die Auswirkungen zwar geringer, jedoch dennoch vorhanden (vgl. das Beispiel des Schulbesuchs von Kindern im folgenden Kapitel).
5.1 E IN ALLTAG
AM
R ANDE
DER
G ESELLSCHAFT
Insgesamt leben Menschen in irregulären Situationen, ob mit formaler Duldung oder ohne, in einer sie exkludierenden Gesellschaft. Der formale Arbeitsmarkt
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ist für diese Personengruppe fast gänzlich geschlossen (vgl. PICUM 2003: 25; FRA 2011: 47).1 Die von mir interviewten Personen versuchen, sich über informelle Arbeit beziehungsweise „Nachbarschaftsdienste“ ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der Anspruch auf eine faire Bezahlung besteht zwar in Österreich auch für Menschen in irregulären Situationen2, die Praxis garantiert diese jedoch in keiner Weise. Löhne werden teilweise nicht oder unterhalb des Kollektivvertrags gezahlt, und oft werden keine Sonderzahlungen (z.B. Zuschläge für Wochenend-, Nacht- oder Schwerarbeit, Urlaubs- und Weihnachtsgeld) entrichtet. Arbeitsverträge werden häufig mündlich geschlossen und der Nachweis über den oder die richtige_n Arbeitgeber_in kann schwierig sein, sodass die Arbeitnehmer_innen in irregulären Situationen nicht bezahlte oder unfaire Entlohnung nicht einmahnen können. Unautorisierte Migrant_innen machen auch von den gerichtlichen Möglichkeiten, ihre Arbeitsrechte einzuklagen, nicht Gebrauch – vor allem weil sie fürchten, entdeckt zu werden. Außerdem wäre vor Gericht die Vorlage eines Arbeitsvertrages notwendig. Üblicherweise wechseln daher Menschen in prekären Arbeitssituationen lieber die Arbeitgeber_innen als Diskriminierungen, Nicht-Einhaltung von Schutzstandards, extrem lange Arbeitszeiten oder schlechte oder ausnützende Behandlungen bekannt zu machen oder vor Gericht zu bringen (vgl. UNDOK 2014: 11; FRA 2011: 50-57). Als Beispiel aus den Interviews kann dazu die Schilderung der Unterstützerin Nina V. genannt werden, die von einem unautorisierten Migranten berichtet, der Gartenarbeiten verrichtete und von der Auftraggeberin schließlich nur ein inadäquates minimales Entgelt dafür erhielt. Diese Arbeitssituation führt dazu, dass die meisten Migrant_innen in irregulären Situationen nur eine Unterkunft in Substandardwohnungen finden. Manche der abgelehnten Asylsuchenden können nach dem letzten negativen Bescheid noch eine kurze Zeit in Flüchtlingsunterkünften wohnen, einige kommen bei Bekannten oder Verwandten unter. Menschen in irregulären Situationen haben in Österreich keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung (PICUM 2003: 24). Nur einigen derer, die nicht abgeschoben werden können und in stetigem Kontakt mit den Behörden stehen, wird eine Gesundheitsversorgung gewährt, indem sie in eine Versicherung aufge-
1
In manchen Fällen bleibt eine während des Asylverfahrens erhaltene Arbeitsgenehmigung (was nur in Ausnahmefällen und -bereichen möglich ist) bestehen, auch wenn das Aufenthaltsrecht wegen des negativen Asylbescheids erlischt (vgl. PICUM 2003: 25).
2
Vgl. § 29 Bundesgesetz mit dem die Beschäftigung von Ausländer_innen geregelt wird – Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG 1975; BGBl I 25/2011).
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nommen werden (FRA 2011: 78). Manche NGOs bieten eine medizinische Grund- bzw. Notfallversorgung an.3 Krankenhausaufenthalte bzw. Notfallversorgung führen oftmals zu hohen Rechnungen, die dann an die betreffenden Personen geschickt werden (Björngren-Cuadra 2012: 116; PICUM 2003: 24f.). Eine fehlende Meldung bei der Sozialversicherung durch den oder die Arbeitgeber_in führt auch dazu, dass die irregulären Migrant_innen im Falle eines Unfalls über keine Krankenversicherung verfügen (UNDOK 2014: 11f.). Konsequenz dieser Situation ist meist große Armut und oftmals eine hohe Verschuldung, die sowohl durch die allgemeinen Lebenserhaltungskosten als auch durch Strafzahlungen für verhängte Strafen, die mit dem illegalen Aufenthalt in Zusammenhang stehen, sowie durch Rechtsanwaltskosten zu Stande kommt. Viele der unautorisierten Migrant_innen versuchen ihren Aufenthalt mit rechtsanwaltlicher Hilfe zu legalisieren; teilweise erfordert die Gesetzgebung die Beiziehung rechtsanwaltlicher Hilfe. Kinder haben in Österreich unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus Anspruch auf eine Schuldbildung bis zum neunten Schuljahr. Dennoch kann es vorkommen, dass dieses Recht nicht realisiert werden kann, da viele Schulen für die Einschreibung der Kinder Identitätsdokumente der Eltern verlangen (vgl. FRA 2011: 90). Können die Kinder in die Schule gehen, müssen sie dennoch mit belastenden Situationen rechnen. Denn das Schulsystem an sich ist nicht diskriminierungsfrei und behebt auch keine Ungleichheiten, sondern verstärkt diese sogar (vgl. z.B. Burtscher 2009: 154ff.; Gomolla/Radtke 2009). Von anderen unautorisierten Migrant_innen, die als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind, berichtet Jürgen Temmer in seiner Diplomarbeit, dass sie „nur sehr eingeschränkte Lebensperspektiven“ (Temmer 2009: 86) haben. Sie verbringen sehr viel Zeit in ihrer Unterkunft und warten auf Arbeitsmöglichkeiten. Die einzigen Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen, sind sportliche Freizeitbeschäftigungen oder bei manchen der Rückhalt in einer religiösen Gemeinschaft (ebd.).
3
Ein Good-Practice-Beispiel wäre die Marienambulanz der Caritas Steiermark in Graz: vgl. Altenburg/Biffl: 2012: 165-169, siehe auch: https://www.caritas-steiermark.at/ hilfe-angebote/menschen-in-not/gesundheit/marienambulanz-medizinische-erst-undgrundversorgung/.
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5.2 P SYCHISCHE K OMPONENTEN Menschen in diesen rechtlichen Leerräumen leben in ständiger Unsicherheit und Angst. Wie aufgezeigt sind bei den Interviewten fast durchgehend Bemühungen erkennbar, möglichst unauffällig zu leben: Die Betroffenen gehen kaum außer Haus, die Kinder dürfen wegen der Angst von der Polizei aufgegriffen zu werden nicht in den Park, eine Straßenbahnfahrt wird wegen der Kosten und der Angst, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, zu einer großen Herausforderung und Stresssituation. Rozita Dimova (2006) beschreibt die Situation für bosnische Flüchtlinge in Deutschland, denen kein Asyl, sondern nur eine Duldung gewährt wurde. Während sie nur über die medizinische Diagnose eines Traumas eine Aufenthaltsbewilligung erhielten, löste gleichzeitig das jahrelange Verharren als nur geduldete Personen (also in einer Situation, in der keine Aufenthaltssicherheit besteht und die Abschiebung nur „aufgeschoben“ ist) selbst Traumatisierungen aus und/oder verstärkte bestehende Traumata aus den Kriegserfahrungen (ebd.). Die Schubhaft verstärkt die psychopathologischen Konsequenzen von Traumatisierungen nochmals (Lueger-Schuster 2013). Die Verweigerung von sozialer Anerkennung, die Reduktion sozialer Netzwerke, die gesteigerte Furcht vor einer Abschiebung führen zu verschärften Belastungsreaktionen. Die Folge sind „Suizidgefahr, Selbstaufgabe, selbstverletzendes Verhalten, Resignation, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit“ (ebd.: 132). Auch in den von mir geführten Interviews habe ich bei vielen irregulären Migrant_innen große psychische Beeinträchtigungen festgestellt. Natürlich konnten im Rahmen dieser Untersuchung keine psychologischen Diagnosen gestellt werden. Doch die Interviewpartner_innen berichten von schweren psychosomatischen Problemen sowie von der Notwendigkeit, Therapien durch Hilfseinrichtungen in Anspruch zu nehmen. Aus den Interviews ging deutlich hervor, dass die Abschiebungsgefährdeten Angst vor den Kontrollen, vor der Polizei haben (so berichtet etwa Sophie F. über ihre Zeit im Flüchtlingsheim: „Dann habe ich jeden Morgen: ‚Mein Gott jetzt, welche, wer muss jetzt.‘ Alle, alle, alle Menschen, wer dort war, so Angst haben. Die ganze Zeit.“ [Mig. Sophie F.: 7]). Dahinter steht die Angst vor der Abschiebung in ein Land, in dem die Menschen sich kein Leben vorstellen können. Dies betrifft die Furcht vor der Situation im Herkunftsland ebenso, wie vor der Abschiebung in einen Dublin-Staat, da Menschen bestimmter Herkunftslän-
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der auch in gewissen EU-Ländern Verfolgung befürchten (vgl. Mig. Anna und Lena E.) oder der Umgang mit Asylsuchenden menschenunwürdig4 ist. Die gefühlte Ausweglosigkeit und vor allem die Angst vor einer Abschiebung führen dazu, dass die Sinnhaftigkeit von Integrationsanstrengungen angesichts einer baldigen zwangsweisen Außerlandesbringung in Frage gestellt wird. So etwa der unautorisierte Migrant Thomas U. (vgl. Kap. 4.3.2, „Inklusionsbemühungen trotz möglichster Unsichtbarkeit – Thomas U.“). Er sieht sich in einem Zwiespalt: Einerseits bemüht er sich durchgehend, möglichst alle Integrationserfordernisse zu erfüllen, andererseits ist er fortwährend von Abschiebung bedroht, wodurch sämtliche Integrationsbemühungen, wie der Erwerb der Sprache und der Aufbau eines sozialen Netzwerkes in Österreich, ad absurdum geführt würden. „Ja das hat voll verändert. Weil ich kann mich nicht so viel konzentrieren bei allem, was ich mache. Ja, weil ich, manchmal verliere ich einfach die Geduld, dass ich. Ich fühle mich einfach so wie: ich mach das und es gibt keinen Sinn, wieso ich das mache. Weil ich weiß nicht, ob sie mich morgen abschieben werden oder irgendwas. Ja und mit dem Deutschkurs ist auch das Gleiche. Weil ich kann nicht so den ganzen Abend mich so gut konzentrieren, und ich kann nicht so gut lernen. Weil ich habe manchmal das Interesse, die Sprache zu lernen, aber manchmal habe ich das Interesse, nichts zu lernen. Weil ich weiß, ich denke immer: wieso mache ich das, wenn ich abgeschoben werde. Wenn ich weiß, dass ich eh nicht hier bleibe.“ (Mig. Thomas U.: 46)
Starke Integrationsbemühungen („ich mache alles mein Bestes, damit ich integrieren kann“, Mig. Thomas U.: 22) stehen steigender Resignation gegenüber („es gibt keinen Sinn, wieso ich das mache. Weil ich weiß nicht, ob sie mich morgen abschieben werden“, Mig. Thomas U, 46). Die Entscheidung zwischen unermüdlichen Integrationsbemühungen und einem Aufgeben erscheint als eine Gratwanderung. Es bedeutet für die Abschiebungsgefährdeten, dass sie durch ihre Bemühungen, Deutsch zu lernen und sich durch Arbeitsaufnahme, Ausbildung, Aufbau von sozialen Netzwerken usw. in die österreichische Gesellschaft einzugliedern, das Bekenntnis gegenüber der österreichischen Gesellschaft/dem österreichischen Staat abgeben, hierbleiben zu wollen. Gleichzeitig bekennt sich der Staat in keiner Weise zu ihnen. Selbst der Status der „Duldung“ bedeutet kein
4
So kritisiert UNHCR beispielsweise, dass manche EU-Länder Asylsuchenden keinen ausreichenden Schutz bieten oder sie trotz traumatischer Erlebnisse ins Gefängnis sperren (UNCHR 2013b: 8). Ein Beispiel ist die Forderung des UNHCR, die DUBLIN-II-Überweisungen nach Griechenland zu stoppen (UNHCR 2010).
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Aufenthaltsrecht. Das Ungleichgewicht im gegenseitigen Bekenntnis zwischen Abschiebungsgefährdeten und Staat haben die Protestierenden des Refugee Protest Camps, stark emotionalisiert, durch ihren Song „We love you, Vienna, je t’aime, Vienne“ beim Protest-Songcontest 2013 des Radiosenders FM4 mit einer Bitte auf den Punkt gebracht: „Vienna, we want to love you. Vienna, we want to be loved by you.“5
5.3 K EIN AUSWEG Die Unsicherheit des Lebens in einer Catch-22-Situation geht mit der Angst vor einer Abschiebung einher. Nimmt diese Angst überhand und werden als Folge einer Abschiebung schreckliche Konsequenzen wie beispielsweise Folter befürchtet, kann dies sogar bis zu Selbstmord führen. In den Interviews wurde mehrfach von solchen Fällen berichtet. Zwei Unterstützer_innen können sich persönlich an einen Vorfall vor wenigen Jahren erinnern: Ein Abschiebungsgefährdeter, der sich in einem öffentlichen Park umbrachte. Auch unautorisierte Migrant_innen selbst kennen andere Menschen, die sich aus Furcht vor Abschiebung das Leben genommen haben: „Ja. So, weil ich einen Freund hier habe in [Stadt anonymisiert]. Der hat sich schon umgebracht. Weil der war hier mehr als fünf Jahre. Und hat Deutsch/hat die Sprache sehr gut gekonnt, wirklich gut. Und er durfte nichts arbeiten. Er hat die Hauptschule gemacht. Er hat viel gemacht. Aber sie wollen ihn, am Ende haben sie gesagt, er muss weg. Und er hat alles versucht, was er machen kann. Trotzdem konnte er keine Chance bekommen. Dann ist er nach [Stadt anonymisiert] gegangen und hat sich umgebracht. Mhm. Und er war ein Freund von mir.“ (Mig. Thomas U.: 262-272)
Neben dieser Schilderung wurde in den Interviews auch von verschiedenen Selbstmordversuchen berichtet. Solche gegen die eigene Person gerichteten Handlungen werden auch bei den Widerstandshandlungen gegen Abschiebungen als eine Variante der Handlungspraktiken beschrieben (vgl. Kap. 4.5.2, „Gegen sich selbst gerichtete Handlungen“).
5
Vgl. Webseite des Refugee Protest Camp Vienna: http://refugeecampvienna.noblogs. org/post/2013/02/13/protestsongcontest-zweiter-platz-fur-den-refugee-protest-song/.
6. Resümee
6.1 E RGEBNISÜBERBLICK Menschen, die irregulär – also ohne Aufenthaltstitel – in Österreich leben, stehen vor besonderen Herausforderungen. In dieser Arbeit habe ich mich mit jenen Personen beschäftigt, die den Wunsch haben, legal in Österreich zu wohnen. Nach einem abschlägigen Bescheid durch die Behörden (sei es von der Asyloder der Niederlassungsbehörde) und einer Ausreiseaufforderung stehen sie vor der Gefahr einer Abschiebung. Sie befinden sich nunmehr in einer Situation, die ich als „Catch-22 des irregulären Aufenthalts“ bezeichne. Der Begriff Catch-22 beschreibt eine paradoxe Situation, in der die einzige Lösung des Problems durch die Bedingungen der Situation bzw. durch sie bestimmende Regeln verunmöglicht wird. Im Falle von unautorisierten Migrant_innen ist dies ein „Catch-22 des irregulären Aufenthalts“: Den Menschen droht eine Abschiebung, doch sie wollen eine Niederlassungsbewilligung erlangen. Um diese zu bekommen, müssen sie aber bestimmte Tätigkeiten setzen, die gleichzeitig auch eine Abschiebung erleichtern bzw. wahrscheinlicher machen. Mithilfe der Praxistheorie von Barry Barnes (2000; 2001a; 2001b) habe ich mit dieser Arbeit belegt, dass die Merkmale von Catch-22 des irregulären Aufenthalts stark davon abhängen, ob die Behörden den unautorisierten Migrant_innen den Status der (absichtlich oder unabsichtlich herbeigeführten) Dokumentenlosigkeit oder den Status „Mit Dokumenten“ zuweisen. Während im zweiten Fall die Identifizierung der Person für die Behörden möglich und auch ein Reisedokument (ein Pass oder ein Ersatzreisedokument) vorhanden ist, fehlen im Status der Dokumentenlosigkeit diese Abschiebungsvoraussetzungen. Es kann jedoch in beiden Fällen dazu kommen, dass die jeweilige Person nicht abschiebbar ist. Denn sind ein Pass oder die Ersatzreisedokumente vorhanden, können andere Gründe gegen eine zwangsweise Außerlandesbringung sprechen: seien es rechtliche Gründe, die Unsicherheit der Reisebedingungen, eine schwere
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Krankheit bzw. die Fluguntauglichkeit der Abschiebungsgefährdeten oder auch aktiver Widerstand der Personen oder zivilgesellschaftlicher Druck. In jedem Fall bedeutet der (vorübergehende) Status der „NichtAbschiebbarkeit“, dass keine sofortige Abschiebung durchgeführt werden kann, die Ausreiseaufforderung jedoch weiterhin besteht. Damit tritt Catch-22 des irregulären Aufenthalts ein. Diese Situation ist durch zwei Merkmale gekennzeichnet: die gesellschaftliche Partizipation (1) und die Compliance (2). Beide Merkmale sind in folgende strukturelle Bedingungen eingeschrieben. Als erste Bedingung kann das in Österreich vorherrschende Leitbild der „Integration von Migrant_innen“ als eine Voraussetzung für deren Akzeptanz als Mitbürger_innen genannt werden. Die zweite ist die historisch gewachsene Bedeutung von Identitätspapieren – nicht nur in Österreich, sondern in (zumindest) allen westlichen Industrieländern. Nur wer sich ausweisen kann, hat die Chance, als Bürger_in wahrgenommen und anerkannt zu werden. Die Merkmale von Catch-22 des irregulären Aufenthalts wurden aus den empirischen Daten gewonnen. Durch dieses Material konnten auch die unterschiedlichen konkreten Handlungspraktiken der Abschiebungsgefährdeten ausgemacht werden. (1) Das erste Merkmal ist der Partizipationswiderspruch. Um eine Niederlassungsbewilligung zu erreichen, müssen die Abschiebungsgefährdeten sich bemühen, den auch im Niederlassungsgesetz formulierten Anforderungen einer so genannten Integration zu genügen. Dies umfasst vor allem das Erlernen der deutschen Sprache, den Verdienst des eigenen Lebensunterhalts und die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben. Die Abschiebungsgefährdeten bemühen sich um eben diese Erfüllung. Gleichzeitig achten sie darauf, dass sie sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen oder gar auffallen, dass sie bestenfalls gar „unsichtbar“ werden – denn die Sichtbarkeit erhöht die Gefahr fremdenpolizeilicher Maßnahmen wie Verwaltungsstrafen oder, wenn Reisedokumente vorhanden sind, die Gefahr der Abschiebung. (2) Mit der Compliance, dem zweiten Merkmal, ist gemeint, dass die Niederlassungsbehörde von den unautorisierten Migrant_innen eine aktive „Mitwirkung“ an ihrem Verfahren verlangt, die Ergebnisse einer solchen Kooperation jedoch hinsichtlich der Abschiebung zur Ermöglichung (oder einer Beschleunigung) des Verfahrens führen können. Am relevantesten ist hier die Anforderung der Niederlassungsbehörde an unautorisierte Migrant_innen, sie identifizierende Dokumente vorzuweisen sowie, sofern diese nicht vorhanden sind, diese Dokumente aktiv (beispielsweise aus dem Herkunftsland) zu beschaffen. Gleichzeitig ermöglichen genau diese Identitätsdokumente erst ihre Abschiebung.
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Das Handeln der unautorisierten Migrant_innen in diesen Dilemmata ist geprägt durch den Aufbau und die Nutzung sozialen Kapitals. Die Migrant_innen aktivieren unterstützende Personen der Mehrheitsgesellschaft, die wiederum ihr soziales Kapital (etwa Kontakte zu Behörden, Politiker_innen, anderen Unterstützer_innen), ihr kulturelles Kapital (z.B. in Form von Wissen über den Umgang mit Behörden, das Ausfüllen von Formularen) oder ihr ökonomisches Kapital (teilweise oder vollständige Übernahme von Anwalts- oder Wohnkosten etc.) einsetzen. Diese Unterstützer_innen wirken positiv auf die Erweiterung der Handlungsmacht der Abschiebungsgefährdeten. Teilweise kann von stellvertretender Agency (Bender/Hollstein/Huber 2013) gesprochen werden. Die Handlungen der Fremdenpolizeibehörden und der Polizist_innen schränken hingegen die Handlungsmacht der unautorisierten Migrant_innen ein. Die Behörden sehen sich selbst in einer gewissen Ohnmacht hinsichtlich ihres Auftrags, Abschiebungen durchführen zu müssen. Denn dies ist ihnen auf Grund anderer intervenierender Bedingungen oft nicht möglich. So fehlen beispielsweise Identitätsdokumente, und Ersatzreisedokumente sind von den ausländischen Botschaften oft nicht zu erhalten. Oder eine sensibilisierte Öffentlichkeit und politische Interventionen bewirken eine Aufhebung des Abschiebungsauftrags. Wenn die Mitarbeiter_innen der Fremdenpolizeibehörde irregulären Migrant_innen den Status absichtlicher Dokumentenlosigkeit zuweisen, setzen sie und die von ihnen beauftragten Polizist_innen Handlungen, die die Menschen dazu bewegen sollen, mehr Compliance mit den Behörden zu zeigen. Dies sind etwa Inschubhaftnahmen, Anhörungen durch Botschaften, Anwesenheitskontrollen oder Strafen wegen „illegalen Aufenthalts“. Für die unautorisierten Migrant_innen stellt Catch-22 des irregulären Aufenthalts eine ausweglose Situation dar. Sie müssen ihren Alltag am Rande der Gesellschaft gestalten und leben unter sehr schwierigen Arbeits- und Wohnsituationen. Die Grundbildung der Kinder sowie Aus- und Weiterbildung sind nicht oder nur sehr eingeschränkt zu verwirklichen. Besonders mit gesundheitlichen Konsequenzen, sowohl physischer als auch psychischer Art, ist zu rechnen. Im extremsten Fall kann das Dilemma, wie ich in dieser Studie zeige, sogar zum Selbstmord führen.
6.2 F ORSCHUNGSAUSBLICK Die vorliegende Arbeit ist eine explorativ angelegte Studie, in der ich mit Hilfe der Grounded-Theory-Methodologie (Strauss/Corbin 1996) ein Konzept zur
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Analyse von Handlungspraxen zwischen Abschiebung und Niederlassung ausgearbeitet habe. Das in dieser Studie erarbeitete Konzept „Catch-22 des irregulären Aufenthalts“ kann auf verschiedenen Ebenen vertieft bearbeitet und die Handlungspraxen durch ähnliche oder stärker ethnographisch oder mikrosoziologisch angelegte Studien detaillierter herausgearbeitet werden. Dadurch wären konkretere Einblick in die Ausprägungen der Merkmale zu erwarten: Welches Gewicht haben welche Handlungen? Unter welchen Bedingungen verstärken oder schwächen bestimmte Handlungspraktiken in welchem Ausmaß das Dilemma? Interessant wäre es – gerade auch in Anbetracht der politischen Dimension dieses Themas –, sich der Herausforderung der quantitativen Datensammlung in diesem Bereich zu stellen. Alle quantitativen Daten zu irregulären Migrant_innen in Österreich basieren auf Schätzungen. In diesem Feld könnte eine größer angelegte Studie Erkenntnisse darüber bringen, wie viele Menschen in Österreich von Catch-22 des irregulären Aufenthalts betroffen sind, und konkreter noch, wie viele Menschen in den verschieden Situationen der Nicht-Abschiebbarkeit leben. Bei den intervenierenden Bedingungen erwiesen sich zwei Bereiche als empirisch besonders maßgebend, da die hier erhobenen Daten darauf hindeuten, dass ihr Einfluss auf die Abschiebepolitik sowie auf die Situation unautorisierter Migrant_innen sehr groß ist. Dies ist erstens die Rolle der Anwält_innen. Diese Arbeit konnte erste Einblicke in ihre Bedeutung im Prozess der Niederlassung und der Verhinderung einer Abschiebung geben. Eine Analyse des Handelns der Anwält_innen selbst ist aber noch ausständig: Welche Praktiken lassen sich ausmachen? Wie agieren sie in diesem Feld im Vergleich zu anderen Feldern, die eventuell mit mehr Prestige oder auch höherem finanziellen Entgelt verbunden sind? Welche Interessen stehen hinter dem anwaltlichen Handeln? Zweitens wurde in dieser Arbeit auf die bedeutende Rolle der Botschaften hingewiesen. Zu diesem Thema gibt es noch kaum wissenschaftliche Arbeiten. Forschungsvorhaben hinsichtlich der Interdependenzen von nationalen, europäischen und internationalen Politiken erscheinen sinnvoll und wünschenswert. So könnte eventuell auch die konkrete Frage beantwortet werden, warum Botschaften wie beschrieben agieren und welche Gründe hinter dem Ausstellen oder Verweigern von Heimreisezertifikaten stehen. Ein weiterer Detailbereich wäre die Untersuchung der Rolle der Amtsärzt_innen und ihre tatsächliche Macht im Abschiebeprozess. Dies würde auch bei der weiteren Klärung der Frage helfen, welche Bedingungen dazu beitragen, dass unautorisierte Migrant_innen schneller, länger nicht oder gar nicht abgeschoben werden. Die vorliegende Arbeit gibt bereits wichtige Einblicke in die
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Faktoren, die eine Abschiebung begünstigen oder verhindern. Ein Teilbereich, nämlich die Straffälligkeit unautorisierter Migrant_innen, ist jedoch nur am Rande thematisiert. Das Interviewsample dieser Arbeit beinhaltet nämlich keine Personen, die wegen einer (nicht fremdenrechtlichen) Straftat verurteilt wurden. Daher können auch aus der vorliegenden Untersuchung keine Rückschlüsse auf die Interaktionen zwischen Behörden und dieser Personengruppe gezogen werden. Eine solche Analyse könnte an die geschilderte Beobachtung sowohl eines Abschiebungsgefährdeten anschließen, dass Personen ohne Straffälligkeit eher abgeschoben würden, als auch an jene eines Behördenmitarbeiters, dass straffällig gewordene Personen eine Abschiebung eher verhindern könnten. Unterschiedlich ist ihre Einschätzung, ob die Gründe für die nicht durchgeführte Abschiebung bei den unautorisierten Migrant_innen oder bei den Behördenmitarbeiter_innen liegen. Hinsichtlich der Konsequenzen des Verbleibens im dargestellten rechtlichen Leerraum sind durch meine Forschung die psychischen und gesundheitlichen Konsequenzen nur angedeutet. Ein spezifisches Thema wäre dabei die Untersuchung der Selbstmordrate bei Abschiebungsgefährdeten. Eine nähere Analyse, besonders auf Basis der Ergebnisse von Dimova (2006) hinsichtlich Traumatisierungen, könnte relevante Ergebnisse für Wissenschaft und Politik liefern. Halten sich doch viele der Betroffenen trotz allem auf Dauer in Österreich auf – in einer quasi kafkaesken, extrem belastenden Situation am Rande der Gesellschaft. Die daraus erwachsenden gesellschaftlichen Folgekosten werden letztendlich auch Folgekosten für die Mitte der Gesellschaft darstellen – sei es etwa in Form des Verlusts der Fähigkeiten und Talente dieser Menschen oder durch die steigende Kluft und die damit einhergehenden sozialen Kämpfe zwischen privilegierten und benachteiligten Gesellschaftsmitgliedern. Ein eigenes Thema stellt auch die Analyse der Mediendiskurse dar. Hier kann an bestehende Arbeiten (etwa Revers 2011) angeknüpft werden. Aufbauend auf meine Diskussion der Argumente zur Rechtfertigung oder Ablehnung von Abschiebungen (Kukovetz 2014, basierend auf dieser Studie) wäre auch eine allgemeine Diskursanalyse interessant. Es könnte untersucht werden, inwieweit die Argumentationsstrategien von Mitarbeiter_innen von Behörden, NPOs, privaten Unterstützer_innen und Abschiebungsgefährdeten in Verbindung zueinander stehen bzw. sich gegenseitig bedingen. Einzubeziehen wären politische Parteien, Medien und eventuell auch die „breite Öffentlichkeit“. Es stellt sich die Frage, welchen Einfluss die Argumentationsmuster auf die Durchsetzung von Abschiebungen haben. Viele dieser Themen sind nicht nur für Österreich interessant, sondern auch international. Eine Vergleichsstudie hinsichtlich des Kernthemas über verschie-
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dene Länder hinweg wäre wünschenswert, um fundierte Kenntnisse darüber zu erlangen, ob sich Abschiebungsgefährdete in anderen europäischen Staaten bzw. westlichen Industriestaaten wie den USA oder Kanada in einer ähnlich ausweglosen Situation befinden. Aktuell wird der Zugang zu staatlichen Sozialleistungen für nicht abschiebbare Personen im Ländervergleich zwischen Österreich, den Niederlanden und Schweden im Rahmen des Projekts „INSIDE the Deportation Gap – Social Membership for Non-Deported Persons“ an der Universität Wien1 untersucht. Weitere, international relevante Fragen wären etwa: Könnte die grundlegende Ursache für die Existenz des Dilemmas von Catch-22 beispielsweise die Konzeption des Nationalstaats an sich sein, unabhängig von den teilweise unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen? Und wie sieht die Situation unautorisierter Migrant_innen in jenen Ländern aus, welche aus europäischer Perspektive als Herkunftsstaaten gedacht werden, die tatsächlich aber auch Aufnahmeländer für die Mehrzahl der weltweit migrierenden Menschen sind? Gerade unter Berücksichtigung des Diskurses um die Dominanz nationalstaatlich orientierter Forschung wäre in Folgestudien ein transnationaler Blick unabdingbar. Dies umso mehr, wenn etwa an eines der Teilergebnisse dieser Arbeit angeschlossen wird – nämlich dass viele unautorisierte Migrant_innen auch nach einer Abschiebung erneut einwandern. So könnten, anschließend an bestehende Forschung zur Situation von Migrant_innen nach einer Abschiebung (z.B. Lecadet 2013), konkret die Themen der Re- und Transmigration bearbeitet werden. Wie ersichtlich, lässt sich an viele empirische Aspekte dieser Arbeit mit weiterer Forschung anschließen; es gibt aber auch viele Anknüpfungspunke für eine stärker theoretisch orientierte Forschung. Mittels der Grounded-Theory-Methodologie habe ich das Konzept von „Catch-22 des irregulären Aufenthalts“ entwickelt und auf Basis der empirischen Daten die ursächlichen Bedingungen eines zentralen Phänomens, die zentralen Merkmale in ihren unterschiedlichen Ausprägungen, die Handlungspraktiken innerhalb dieser Merkmale und schließlich die Folgen des Phänomens herausgearbeitet. In einem weiteren Schritt könnte der Versuch unternommen werden, aus diesem speziellen Thema heraus eine Theorie mittlerer Reichweite (Merton 1995/1957), also mit einem Gültigkeitsanspruch für einen ausgewählten Bereich sozialer Realität, zu entwickeln. Als erste Gedanken möchte ich hierzu formulieren, dass zentrale Charakteristika des beschriebenen Phänomens eventuell auch
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Vgl. https://inex.univie.ac.at/research/inside-the-deportation-gap/, Laufzeit Januar 2015 bis Mai 2018, abgerufen am 1.6.2017.
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für andere Situationen der Irregularität zutreffen könnten. Hier denke ich an jene der irregulären Arbeit – mit den besonderen Fällen etwa der Pflege-, Haushaltsoder Erntearbeit. Könnte „Catch-22 des irregulären Aufenthalts“ eventuell einen spezifischen Fall eines „Catch-22 der Irregularität“ darstellen? Anzuknüpfen wäre hier an Arbeiten zur Prekarität und Prekarisierung, wie etwa jene von Robert Castell und Klaus Dörre (2009), Judith Butler (2010), Pierre Bourdieu (1998) und aktuell Isabell Lorey (2012). Insgesamt ist festzustellen, dass das Interesse an der Erforschung dieser Fragen stärker wird, wie auch neueste Publikationen in Österreich auf diesem Gebiet zeigen (vgl. etwa Rosenberger/Küffner 2016, Horvath 2014, sowie das bereits erwähnte Heft der Österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaften zur Abschiebepolitik 2014). Es ist zu hoffen, dass unser Interesse am Schicksal dieser Menschen nicht nur eine akademische Frage bleibt und politische Lösungen für die Problematik von Catch-22 des irregulären Aufenthalts gefunden werden. Daher möchte ich abschließend einige Überlegungen zu den praktischen Implikationen von Catch-22 des irregulären Aufenthalts für die Politik darlegen.
6.3 C ATCH -22 – K ONSEQUENZEN FÜR DIE P OLITIK Wie sich gezeigt hat, sind alle involvierten Akteur_innen in ihrem Gestaltungsspielraum besonders von politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen abhängig. Wie könnten diese gestaltet sein, um einen Catch-22 des irregulären Aufenthalts mit seinen Folgen aufzulösen bzw. abzuschwächen? Aus meiner Sicht sind drei Reaktionen auf das beschriebene Dilemma denkbar. (1) Catch-22 des irregulären Aufenthalts wird als nicht auflösbar angesehen, wird daher weiterbestehen und kann maximal in seinen Ausprägungen beeinflusst werden – „konservative2 Migrationspolitik“, (2) die betreffenden Personen werden schneller und konsequenter abgeschoben – „rigide Migrationspolitik“ oder (3) der legale Aufenthalt wird für diese Personengruppe ermöglicht – „liberale Migrationspolitik“. Im Folgenden werde ich diese drei Positionen darstellen. Dabei werden jeweils folgende Punkte behandelt: •
Welche Zielsetzungen sind mit den jeweiligen Positionen verbunden?
2
Konservativ verwende ich hier im Sinne von Beibehalten bzw. von „am Hergebrachten festhaltend“, vgl. http://www.duden.de/rechtschreibung/konservativ (vgl. dort in „Bedeutungsübersicht“ unter 1. a.).
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• •
Welche Folgen hätte die Verwirklichung dieser Ziele für irreguläre Migrant_innen bzw. für die gesamte österreichische Gesellschaft? Welche politischen Maßnahmen können exemplarisch für die einzelnen Ausprägungen genannt werden und welche realpolitischen Beispiele gibt es dafür?
6.3.1 Konservative Migrationspolitik Sofern die Entscheidungsträger_innen an den bisherigen Rahmenbedingungen nichts ändern, wird auch Catch-22 des irregulären Aufenthalts weiterbestehen. Das Ausmaß kann sich natürlich ändern, da Migration vorrangig durch internationale Entwicklungen beeinflusst wird, wie etwa Anzahl, Dauer und Intensität von Kriegen, politische und wirtschaftliche Entwicklungen sowie Umweltkatastrophen. Auch der Umgang mit Migrant_innen in anderen Staaten beeinflusst die Situation in Österreich. So zeigte sich 2015, dass die untragbar gewordenen Bedingungen in den Flüchtlingslagern in der Türkei und in den Aufnahmezentren Ungarns dazu führten, dass die Migrant_innen selbst aktiv wurden und weiter in westliche Länder, vorrangig über Österreich nach Deutschland und zum Teil weiter in skandinavische Länder, reisten. Dies führt zu mehr Asylsuchenden und nach derzeitiger Praxis auch zu mehr Ausweisungen und somit zu mehr Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Einher geht damit auch eine steigende Zahl an Menschen, die Gefahr laufen, Opfer von Menschenhandel zu werden. So meldete die European Agency for Law Enforcement Agency (EUROPOL) laut einem Bericht des Guardians, dass 2015 in Europa rund 10.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vermisst wurden (Townsend 2016). Für eine konservative Migrationspolitik, von welcher keine Änderung der Gesetze sowie kein Wechsel der Umsetzungspraxis zu erwarten sind, sind die Funktionen staatlicher Maßnahmen wie in dieser Arbeit beschrieben. Migrant_innen werden als „Risiko“ für die Gesellschaft angesehen, welches durch Inhaftierungen und Abschiebungen „zu managen“ bzw. zu verkleinern ist. Wenn die Ausreise nicht möglich ist, erfolgt eine Statusentwertung. Dadurch soll verhindert werden, dass postulierte staatliche Interessen (etwa die Bewahrung der territorialen Souveränität) beeinträchtigt werden. Wie die Statistiken zeigen, ist die Effektivität von Abschiebungen nicht gegeben („deportation gap“). Abschiebungen und die Androhung einer Abschiebung erfüllen daher vorrangig einen symbolischen, jedoch schwer messbaren Zweck: Sie regulieren territoriale und soziale Ein- und Ausschlüsse und sollen zukünftige Migrant_innen von einer Einwanderung abschrecken. Die Schubhaft als vorgesetzte Maßnahme einer Abschiebung erfüllt ebenso Funktionen der Kontrolle: Durch den Aspekt der Strafe
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wird soziale Kontrolle ausgeübt, durch die Entfernung der irregulären Migrant_innen aus der Öffentlichkeit erfolgt eine Armutskontrolle und durch die öffentliche Forderung und Bekanntmachung von Inhaftierungen wird staatliche Kontrolle in der Bevölkerung sichtbar gemacht, mit dem Ziel, etwaigen Ängsten zu begegnen (vgl. Kap. 2.1.3, „Die staatliche Perspektive und die Funktion von Abschiebungen“). Die bisherige, also „konservative“, Migrationspolitik ist neben diesen Zielsetzungen auch davon geprägt, dass menschenrechtliche Mindeststandards aufrecht erhalten bleiben sollen. Die Gesetzgebung war im Untersuchungszeitraum so gestaltet, dass eine Person nicht abgeschoben werden darf, wenn ihr im Falle einer Abschiebung Folter oder unmenschliche Behandlung droht oder ihr Leben, ihre Freiheit oder Unversehrtheit stark beeinträchtigt oder bedroht wäre oder wenn das Privat- und Familienleben entsprechend der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt werden würde (Art 2, 3 und 8 der EMRK). Außerdem bestand das Bemühen zur Einhaltung von Art 6 der EMRK (Recht auf ein faires Verfahren). Auf der Ebene der politischen Zielsetzungen steht das Bemühen, den oben genannten Zielsetzungen der Kontrolle und der Verdeutlichung staatlicher Souveränität zu entsprechen, dem Bestreben gegenüber, menschenrechtliche Standards einzuhalten. Diese Ziele sind nur schwer zu vereinbaren und führen somit zu Rahmenbedingungen, die den Menschen in vielen Fällen nur ein DazwischenSein erlauben – ein Catch-22 des irregulären Aufenthalts. Andere Zielsetzungen würden andere Dynamiken nach sich ziehen, wie in den Kapiteln 6.3.2 („Restriktive Migrationspolitik“) und 6.3.3 („Liberale Migrationspolitik“) aufgezeigt wird. Eine konservative Migrationspolitik kann das Dilemma des Catch-22 nicht auflösen. Die Folgen wären daher für die betreffenden Personen, so wie in Kapitel 5 („Verbleiben zwischen Sein und Schein. Einblick in die Folgen einer Pattsituation“) beschrieben, eine große Vulnerabilität der irregulären Migrant_innen und eine gesellschaftliche Exklusion auf verschiedensten Ebenen. Für die österreichische Gesellschaft bedeutet die Verweigerung eines legalen Aufenthaltsstatus, dass diese Menschen als billige und rechtlich unabgesicherte Arbeitskräfte eingesetzt werden können.3 Die irregulär lebenden Menschen laufen unter diesen
3
Die Situation in Österreich wurde in Kapitel 5.1 dargestellt. Den Nutzen irregulärer Migrant_innen für den informellen Arbeitsmarkt beschreiben Anna Triandafyllidou and Maurizio Ambrosini (2011). Martin Baldwin-Edwards und Albert Kraler (2009: 145) argumentieren, dass das Zurückgreifen auf billige Arbeitskräfte durch die Beschäftigung irregulärer Migrant_innen eine bestimmte Form des Kapitalismus, wel-
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Umständen Gefahr, vehement ausgebeutet zu werden. Überdies stellt es für die Gesellschaft als Ganzes ein Problem dar, wenn eine große Anzahl an Menschen in einer Catch-22-Situation verbleibt. Durch Irregularität wird eine viel zitierte „Parallelgesellschaft“ im Schatten gefördert, mit all ihren Nachteilen, dass etwa die bestehenden Kompetenzen der Menschen, unter anderem auch in Hinblick auf einen hohen Ausbildungsgrad, ungenützt bleiben. Zumeist wird eine solche Parallelgesellschaft als Resultat von individuellem Handeln angesehen, meiner Analyse zu Folge sind solche Handlungen von Einzelpersonen jedoch eingebettet und begründet in eine Kombination aus sozialen, historischen, politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Weiterführung der dargestellten herkömmlichen Migrationspolitik geht natürlich auch mit finanziellen Kosten einher. Darunter fallen durch irreguläre Beschäftigungen entgangene Steuereinnahmen sowie sämtliche mit Abschiebungen einhergehende Kosten (Schubhaft, Durchführung von Abschiebungen, rechtliche Verfahren). An dieser Stelle kann nur ein kurzer Einblick in die Dimensionen gegeben werden. So beliefen sich zum Beispiel laut österreichischem Innenministerium die Kosten für Abschiebungen auf dem Luftweg per Linienmaschinen von Januar bis August 2015 auf rund eine Million Euro (Igler 2016) und die Rückführungskosten für August bis Dezember 2014 auf 590.000 Euro4; davor wurden keine entsprechenden Statistiken geführt (vgl. parlamentarische Anfragebeantwortung AB 5542). Charterflüge kommen dem Staat jedoch wesentlich teurer.5 Es gibt jedoch noch weitere Kosten, die primär mit Abschiebungen zusammenhängen, wie etwa die Errichtung und Betreuung von Schubhaftzentren. Eines der umstrittensten
cher auf diesen Arbeitskräften fußt, unterstützt Für die Situation bei Pflegediensten siehe u.a. Ambrosini 2013. Die Bedeutung irregulärer Migrant_innen für den Gemüseanbau verdeutlicht etwa der Streik von irregulären Landarbeiter_innen gegen rassistische Überfälle in El Ejido, Spanien, im Februar 2000 (vgl. Europäisches Bürgerforum CEDRI 2000). 4
Die durchschnittlichen Kosten für eine Abschiebung mittels Passagierflugzeug bei den 15 Top-Destinationen (Kosovo ebenso wie Indien) belaufen sich auf 520 Euro je Rückführung), AB 5542.
5
Einer Recherche der Zeitschrift profil zu Folge kostet ein von Frontex koordinierter Charterflug in den Kosovo zwischen 70.000 und 100.000 Euro und ein Flug nach Nigeria bis zu 500.000 Euro (Neuhold 2016). Karsten Polke-Majewski (2015) berichtet in der ZEIT, dass in Deutschland von der Regierung für häufig angeflogene Destinationen ein Flugzeug gechartert werden kann – zu fixen Preisen, die nicht näher angegeben wurden. Für andere Destinationen kann ein Flugzeug zu Stundepreisen von 7.000 bis 8.000 Euro gechartert werden, etwa bei Air Berlin (Polke-Majewski 2015).
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Schubhaftzentren in Österreich ist jenes im Januar 2014 eröffnete in Vordernberg, Steiermark. Dessen Errichtung habe 25 Millionen Euro gekostet, die monatlichen Betriebskosten belaufen sich auf 450.000 Euro (Neuhold 2016). Schubhaftzentren ebenso wie Flüchtlingsunterkünfte werden in Österreich wie auch in anderen Ländern immer häufiger von privaten Firmen durchgeführt. Die Vergabe solch staatlicher Aufgaben an private profit-orientierte Organisationen wird heftig kritisiert, vor allem auf Grund der Beobachtungen und Befürchtungen von Menschenrechtsverletzungen.6 6.3.2 Rigide Migrationspolitik Um Catch-22 des irregulären Aufenthalts aufzulösen, könnte eine politische Antwort darauf sein, Maßnahmen zur schnelleren und konsequenteren Abschiebung irregulärer Migrant_innen zu ergreifen. Eine solche „rigide Migrationspolitik“ würde nicht nur das Ziel verfolgen, Catch-22 des irregulären Aufenthalts zu verhindern, sondern hätte auch die gleichen Zielsetzungen, die eine konservative Migrationspolitik verfolgt: Einwanderungskontrolle, Regelung sozialen Ein- und Ausschlusses und die Demonstration staatlicher Souveränität und Stärke. Überdies betont eine solche Migrationspolitik durch die Etablierung eines Sicherheitsdiskurses die staatlichen Kapazitäten, die bestehende „soziale Ordnung“ aufrecht zu erhalten. Eine rigide Migrationspolitik würde diese Zielsetzungen im Vergleich zu einer konservativen Ausrichtung vehement stärken – und andere mögliche politische Zielsetzungen stärker außer Acht lassen, wie etwa das Einhalten von menschenrechtlichen Verpflichtungen, das Öffnen der Gesellschaft gegenüber gesellschaftlicher Diversität, die Übernahme bilateraler oder universaler (und eventuell historischer) Verantwortlichkeiten oder die Förderung einer weltweiten friedlichen Entwicklung. Mögliche Maßnahmen einer rigiden Migrationspolitik wären die Erleichterung von Abschiebungen durch mehr Rückübernahmeabkommen, die Forcierung
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Z.B. zur Diskussion um das Schubhaftzentrum Vordernberg und dem Vertrag mit der Firma G4S vgl. Pölsler 2014a, Pölsler 2014b und IOM 2014: 31-33; oder zur Bundesbetreuungsstelle für Asylwerber OST (früher: Flüchtlingslager Traiskirchen) und zur Schweizer Firma ORS Service AG vgl. Amnesty International 2015 und Grayson 2016. Kritisch hinterfragt kann auch das Einholen von Expertisen zu Abschiebungen durch Unternehmensberatungsfirmen gesehen werden, wie dies anscheinend in einigen europäischen Ländern üblich wird. So führte etwa die Firma McKinsey „Abschiebe-Beratung“ für Deutschland und Schweden durch (vgl. Bewarder/Leubacher 2017; Lutz/Bewarder 2016; Süddeutsche Zeitung 2016).
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solcher Abkommen, indem die Voraussetzungen aufgeweicht werden und zum Beispiel weniger streng oder gar nicht geprüft wird, ob jemand aus diesem oder jenem vermuteten Land kommt. Viele der seit Ende 2015 in Österreich durchgeführten oder diskutierten Maßnahmen fallen in diese Kategorie der rigiden Migrationspolitik. Der Sommer und Herbst 2015 kann in Österreich, und auch in Europa, als eine Art „Zäsur“ in der Migrationspolitik angesehen werden. Damals stieg die Zahl der Geflüchteten in Österreich und Deutschland stark an. Ausgehend von den untragbaren Bedingungen in den Flüchtlingsunterkünften in der Türkei sowie in Ungarn kamen viele vorwiegend aus Syrien und Afghanistan Geflüchtete nach Österreich. Zum Großteil migrierten sie weiter nach Deutschland. Dennoch stieg auch die Zahl der Asylsuchenden in Österreich von 28.027 im Jahr 2014 (BMI 2014a) auf 88.912 im Jahr 2015 (BMI 2015a) an. Während es im Spätsommer für einige Tage für die Geflüchteten möglich war, relativ ungehindert nach Österreich und Deutschland einzureisen, wurden die Grenzen im Herbst 2015 wieder geschlossen. Die migrationspolitischen Maßnahmen in Österreich, die auf die kurzzeitige Öffnung der Grenzen folgten, stehen zwar in einer Kontinuität mit der Migrationspolitik davor. Aber auf Grund der intensiven politischen und medialen sowie sehr breiten öffentlichen Diskussionen zu diesem Thema fand eine stärkere Auseinandersetzung mit migrationspolitischen Maßnahmen statt, in welcher auch die Etablierung einer so genannten Notstandsverordnung diskutiert wurde. Schon alleine die Diskussion eines potenziellen staatlichen „Notstands“ veranlasst mich zu der Einschätzung, dass hier eine Neuausrichtung bzw. Adaptierung der Migrationspolitik in Richtung restriktiver Maßnahmen erfolgte. Dass eine restriktive Migrationspolitik einsetzt, lässt sich auch mit Zahlen verdeutlichen: Die Anzahl der Abschiebungen steig in den ersten vier Monaten des Jahres 2017 um 77 Prozent an (BMI 2017a). Welche Maßnahmen fallen unter eine restriktive Migrationspolitik? Das alleinige Abschließen von Rückübernahmeabkommen ist von der bisherigen Migrationspolitik bekannt, wenn auch dies kritisiert werden kann. Neu und besonders restriktiv wird eine Politik dann, wenn etwa Rückübernahmeabkommen mit Ländern abgeschlossen werden, in denen zum Zeitpunkt der Vereinbarung nicht von einer sicheren Lage gesprochen werden kann und diese auch nicht absehbar ist. Ein aktuelles Beispiel ist das Rückübernahmeabkommen, welches die EU im Oktober 2016 mit Afghanistan abgeschlossen und Sammelabschiebungen nach Kabul ermöglicht.7 In dieser Vereinbarung sichert Afghanistan zum Beispiel die
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Die erste FRONTEX-Abschiebung von Afghan_innen aus Österreich fand gemeinsam mit Schweden am 29.3.2017 statt (BMI 2017b).
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Ausstellung von Heimreisezertifikaten für die abzuschiebenden Afghan_innen sowie Visa für das Begleitpersonal zu. Die EU hingegen bietet eine finanzielle Unterstützung für Informationskampagnen in Afghanistan gegen irreguläre Migration und für Reintegrationsmaßnahmen von afghanischen Rückkehrer_innen, wie etwa Kompetenzentwicklung und Maßnahmen zur Ermöglichung eines leichteren Arbeitsmarktzugangs (vgl. EEAS 2017). Zum selben Zeitpunkt, auf der Brüsseler Konferenz, verspricht die EU Afghanistan politische und ökonomische Unterstützung in Höhe von fünf Milliarden Euro (European Commission 2016). Horia Mosadiq von Amnesty International kritisiert, dass die Unterzeichnung des Rückübernahmeabkommens an den Erhalt von Hilfsgeldern gekoppelt worden sei (DerStandard.at 2017b). Abschiebungen nach Afghanistan werden aus menschenrechtlicher Sicht stark kritisiert. UNHCR etwa schätzte die Situation im Dezember 2016 als deutlich verschlechtert gegenüber noch im Frühjahr 2016 ein und fordert, dass es unbedingt genaue Einzelfallprüfungen geben müsse (UNHCR 2016a). Kritik an den Abschiebungen nach Afghanistan wird auch von Vereinen der afghanischen Community in Österreich laut (DerStandard.at 2017a). Nach einem erneuten Anschlag in Kabul mit mehr als 60 Toten vermeldet auch Amnesty International Österreich, dass Abschiebungen von Menschen nach Afghanistan strikt abzulehnen seien (Amnesty International 2017). Hinsichtlich der Durchführung von Abschiebungen wird neuerdings diskutiert, dafür Militärmaschinen (des Types „Lockheed C-130 Hercules“) zu verwenden bzw. wurde schon ein erster Abschiebeflug nach Bulgarien umgesetzt (Igler 2016). Ein Transport mit Hercules-Flugzeugen hat vor allem symbolische Bedeutung im Sinne einer restriktiven Migrationspolitik. So verlautbart selbst das Verteidigungsministerium: „Die Abschiebungen mit einer Militärmaschine seien ein Zeichen an die Schlepper, eine Signalwirkung auch an die fluchtbereiten Menschen.“ (Igler 2016) Die Umsetzung stößt auf viel Kritik. Zum einen hinsichtlich der Kosten, da eine Flugstunde per Hercules-Flugmaschine 11.60011.800 Euro kostet (Auskunft in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung für die Jahre 2011 und 2012, AB 1492) sowie die Kosten für Begleitpersonen (Weißensteiner 2016b), wenngleich das Verteidigungsministerium von Synergieeffekten spricht, da die Maschinen sowieso zu Übungszwecken geflogen werden müsse und am Rückflug Transporte durchgeführt werden könnten (Igler 2016)8. Darüber hinaus wird vor allem – etwa von Amnesty International – kritisiert, dass aus menschenrechtlicher Sicht die Ausstattung der Maschinen nicht für Abschiebeflüge geeignet sei (Weißensteiner 2016a; 2016b). Die Inhumanität
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Der im Juli 2016 durchgeführte Abschiebeflug nach Bulgarien kostete 10.740 Euro (Igler 2016).
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solcher Flüge verdeutlicht auch die Aussage der FPÖ-Abgeordneten Dagmar Belakowitsch-Jenewein, die schon im Juni 2015 erklärte: „Da können sie so laut schreien, wie sie wollen.“ (Klatzer 2015) Ein weiterer Aspekt rigider Migrationspolitik würden Maßnahmen darstellen, die den Erhalt einer Niederlassungsbewilligung oder eines legalen Aufenthalt erschweren. Auch die Möglichkeit, einen bestehenden Aufenthaltstitel wieder verlieren zu können, fällt in diesen Bereich. Anfang 2017 hat die österreichische Bundesregierung einen Vorschlag für ein „Integrationsgesetz“ (vgl. BMEIA 2017a) und für ein „Arbeitsmarktintegrationsgesetz“ (vgl. BMEIA 2017c)9 vorgestellt. In das Integrationsgesetz wurde unter anderem die Integrationsvereinbarung aufgenommen, die Förderung von Deutschkursen (inkl. Alphabetisierungsmaßnahmen) zumindest bis zum Sprachniveau A2 und die Abhaltung von „Werte- und Orientierungskursen“ sowie die Sanktion durch die Reduzierung bzw. Streichung von Sozialhilfe oder bedarfsorientierter Mindestsicherung (z.B. bei unvollständiger Teilnahme) und ein Verhüllungsverbot an öffentlichen Orten festgeschrieben. Im Entwurf dieses Integrationsgesetzes ist vorgesehen, dass die Nichterfüllung des ersten Moduls der Integrationsvereinbarung ein Grund für eine Rückkehrentscheidung ist (vgl. BMEIA 2017b: 11). Somit werden Maßnahmen der sozialen Kontrolle (post-entry social control, Kanstroom 2007), welche nach dem offiziellen Wording Integration fördern sollen, zu Maßnahmen, die die Ausweisung und Außerlandesbringung von Migrant_innen forcieren. Schließlich müssten aus dem Blickwinkel rigider Migrationspolitik besonders Maßnahmen zur Außerlandesbringung von Personen, die Straftaten begingen, welche sich nicht aus dem illegalen Aufenthalt ergeben, ergriffen werden. Auf Grund der Tatsache, dass viele Abschiebungen wegen fehlender Identitätspapiere oder individuellen Widerstands nicht zu Stande kommen, sind Abschiebungen gerade dieser Personen höchst schwierig umzusetzen. Es stellt sich natürlich auch die Frage, ob eine Abschiebung wirklich die legitime und adäquate Antwort auf eine nicht-fremdenpolizeilich begangene Straftat ist. Wäre es in diesen Fällen nicht angemessener, dass die Straftäter_innen ihre Strafe in dem Land verbüßen, in welchem sie die Straftat begangen hatten, und nach dessen Regeln
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Der Entwurf für das Arbeitsmarktintegrationsgesetz schreibt ein verpflichtendes Integrationsjahr für Asylberechtigte und subsidiär Schätzberechtigte vor, welche nicht unmittelbar einen geeigneten Arbeitsplatz finden. Das Integrationsjahr soll u.a. ein Clearing über Kompetenzen und Anerkennung von Qualifikationen, Deutschkurse ab Niveau A2, Werte- und Orientierungskurse, Berufsorientierungs- und Bewerbungstrainings sowie ein bis zu neun Monate dauerndes gemeinnütziges Arbeitstraining beinhalten.
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sie verurteilt wurden? Wurde hingegen in einem anderen Land eine Straftat begangen, ist es üblich, dass die Person dort vor Gericht kommt bzw. die Strafe verbüßen muss. Die für solche Fälle notwendigen Auslieferungsabkommen werden aus meiner Sicht auf Basis meiner vorliegenden Studie nicht in Frage gestellt. Was könnten die Folgen einer solchen rigiden Migrationspolitik sein? Eine konkrete Folgenabschätzung ist an dieser Stelle nicht machbar, zum einen weil Zukunftsprognosen generell mit Vorsicht zu genießen sind, und zum anderen weil weitreichende Vergleichsanalysen auf diesem Feld größtenteils fehlen (etwa internationale Ländervergleiche oder historische Analysen). Ich möchte hier jedoch einige Punkte auflisten, welche bei einer Folgenabschätzung zu berücksichtigen wären. Dies sind zum einen Konsequenzen für die innenpolitische Situation. Wie beschrieben, werden rigide migrationspolitische Maßnahmen dazu verwendet, um an das Sicherheitsgefühl der „heimischen“ Bevölkerung zu appellieren, dieses zu stärken und die Souveränität und Kompetenz der nationalen staatlichen Instanzen darzustellen. Oft ist es jedoch gerade die Betonung von potenziellen Gefahren und Notständen, die Unsicherheitsgefühle hervorruft – ganz unabhängig davon, ob und in welchem Ausmaß die Gesellschaft tatsächlich vor neuen Herausforderungen steht. So beschreibt Katharina Eisch-Angus (2016), dass in Politik, Wirtschaft und Werbung immer größere Aufmerksamkeit dem Thema Sicherheit zugemessen wird. Sie geht davon aus, dass mit einer größeren Sorge um Sicherheit gleichzeitig die Verunsicherung in allen Bereichen steigt und eine neoliberale Sicherheits- und Kontrollgesellschaft mit sich zieht (ebd.: 11f.) Restriktive Migrationspolitik kann somit zu einer „Verunsicherung“ der Menschen beitragen. Die Ausübung staatlicher Souveränität muss überdies immer im Lichte und in der Abwägung menschenrechtlicher Aspekte betrachtet werden. Die genannten migrationspolitischen Maßnahmen ziehen – durch Schubhaft und zwangsweise Außerlandesbringung – Eingriffe in die individuelle Bewegungsfreiheit nach sich. Durch die Steigerung von zwangsweisen Rückführungen wird überdies das Recht auf Selbstbestimmung der Migrant_innen noch stärker als bisher außer Kraft gesetzt. Die Rechtfertigung der Maßnahmen muss von Fall zu Fall abgewogen werden. Maßnahmen, wie sie vom österreichischen Innenminister Wolfgang Sobotka vor kurzem vorgeschlagen wurden, wie etwa die sofortige Rückführung bei einer See-Notrettung (vgl. BMI 2017), können daher kaum als mit Menschenrechten vereinbar angesehen werden. Darüber hinaus ist jedoch die Einhaltung anderer Menschenrechte zu berücksichtigen. Die Wahrung etwa des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens und des Rechts auf Leben
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sowie ein Leben ohne Folter ist gerade bei Maßnahmen rigider Migrationspolitik nicht immer gegeben. Wie die Diskussion um das Herkunftsland Afghanistan beispielshaft zeigt, wird die Situation in Afghanistan von Menschenrechtsbeobachter_innen als instabil und unsicher eingeschätzt. Darüber hinaus haben Abschiebungen in Herkunfts- oder Transitländer weitreichende Folgen für die Situation in diesen Ländern. Viele irreguläre Migrant_innen werden mit dem Argument abgeschoben, sie hätten eine Fluchtmöglichkeit innerhalb des Landes. Mehr Abschiebungen führen somit auch zu mehr Binnenflüchtlingen und somit Flüchtlingslagern in den betreffenden Ländern sowie in den an Krisengebiete direkt angrenzenden Nachbarländern. Zumeist sind es gerade jene Länder, die bisher schon die meisten Migrant_innen aufnehmen. Von den 2014 weltweit 19,5 Millionen Flüchtlingen, nahmen Länder aus Entwicklungsregionen 86 Prozent (12,4 Mio.) auf. Die Länder mit den höchsten Zahlen internationaler Flüchtlinge waren die Türkei (1,6 Mio.), Pakistan (1,5 Mio.), Libanon (1,2 Mio.), Iran (1 Mio.) und Äthiopien sowie der Jordan mit jeweils 0,7 Millionen Flüchtlingen (United Nations 2016: 9). Weltweit zählten 38 Millionen Menschen als Binnenvertriebene. Die am meisten betroffenen Länder waren der Kongo, Irak, Nigeria, Südsudan und Syrien (IDMC 2015). Afghanische Behörden etwa schätzen die Zahl der Binnenvertriebenen auf circa eine Million10 und die Zahl der afghanischen Flüchtlinge in Pakistan und dem Iran, die in naher Zukunft nach Afghanistan zurückkehren werden, auf über drei Millionen (Burgstaller/von Usslar 2017). In Anbetracht dieser Zahlen stellt sich die Frage, inwiefern rigide Migrationspolitik westlicher Staaten zur Destabilisierung der Herkunfts- und Transitländer führt. Durch die Ausübung von Druck in Hinblick auf die Verknüpfung von Hilfsgeldern mit dem Abschließen von Rückübernahmeabkommen (vgl. die Vorschläge vom damaligen österreichischen Außenminister Sebastian Kurz im Februar 2016, Kurier.at 2016), werden postkoloniale asymmetrische Machtverhältnisse zementiert. Rückübernahmeabkommen beinhalten überdies eine enge Zusammenarbeit mit Botschaften und Konsulaten. Das Vorgehen dieser ist jedoch, wie unter anderem die vorliegende Studie zeigt, durch große Intransparenz geprägt. Diese Intransparenz trägt dazu bei, dass die Wahrung der (Menschen)Rechte der betreffenden Menschen nicht gewährleistet werden kann und möglicherweise andere Interessen im Vordergrund stehen.
10 Allein von Januar bis Mai 2017 wurden 103.000 Menschen aus ihren Heimatdörfern vertrieben, 2016 flohen 660.000 Afghan_innen aus ihren Dörfern (DerStandard.at 2017c). Für 2014 gibt der Bericht des Internal Displacement Monitoring Centre für Afghanistan eine Anzahl von zumindest 805.400 Binnenvertriebenen an (ICDM 2015: 50).
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Trotz einer Forcierung von Rückübernahmeabkommen mit einzelnen Staaten und Abschiebungen im Allgemeinen wird es auf Grund der geopolitischen Entwicklungen (etwa Unmöglichkeit von Abkommen mit instabilen Regierungen) immer auch weiterhin Menschen geben, die zwar eine Ausreiseaufforderung haben, aber nicht ausreisen können. Werden diese weiterhin in einem Catch-22 der Irregularität belassen, besteht eine wirkliche „Parallelgesellschaft“ (nämlich jene der illegalisierten Migrant_innen) – die aber durch politische Entscheidungen, die einer „liberalen Migrationspolitik“ zuordenbar sind, verhinderbar wäre. Schließlich muss noch auf das Phänomen der Remigration hingewiesen werden. Nicht nur in den Medien wird immer häufiger von Menschen berichtet, die sich nach einer Abschiebung wieder auf den Weg nach Europa machen (vgl. z.B. Burgstaller/von Usslar 2017). Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an wissenschaftlichen Studien, die darauf verweisen, dass abgeschobene Migrant_innen bald wieder das Land, in welches Sie zwangsweise gebracht wurden, verlassen (für einen Überblick vgl. Schuster/Majidi 2015: 635; für das Beispiel Afghanistan vgl. Schuster/Majidi 2013). Die Effektivität von Abschiebungen ist daher in zweierlei Hinsicht in Frage gestellt: zum einen wegen des deportation gaps (dem Unterschied zwischen der Anzahl jener, die ausgewiesen wurden, und jener, die tatsächlich abgeschoben werden), und zum anderen in Hinblick auf die erwünschte Wirkung, dass die abgeschobenen Menschen nicht mehr remigrieren. 6.3.3 Liberale Migrationspolitik Catch-22 des irregulären Aufenthalts kann nicht nur durch verstärkte Abschiebungen, sondern im Gegenteil auch durch die Ermöglichung eines legalen Aufenthalts für irreguläre Migrant_innen aufgelöst werden. Eine solche Zugangsweise möchte ich als „liberale Migrationspolitik“ bezeichnen. Liberal bezieht sich auf die Forderung nach individueller Freiheit, hier spezifisch auf die Freiheit von Zwangsmaßnahmen wie Festhaltung, Schubhaft und Abschiebung. In einer weiteren Interpretation bedeutet eine liberale Ausrichtung die Freiheit, den eigenen Lebensort wählen zu dürfen. Ich habe dieses Abschlusskapitel mit den Zielsetzungen, Maßnahmen und möglichen Folgen konservativer Migrationspolitik begonnen und anschließend die Ziele einer möglichen rigiden Migrationspolitik ausgeführt, in welche sich die meisten aktuellen migrationspolitischen Maßnahmen einordnen lassen – gerade in Hinblick auf das Thema der Rückführungen und des Niederlassungsrechts. Die Interviews mit den Mitarbeiter_innen von NGOs und mit Menschenrechtsexpert_innen sowie ein Blick in die Vergangenheit und in andere westliche
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Staaten ermöglichen aber auch die Diskussion anderer realpolitischer Maßnahmen. Eine erste Abmilderung der negativen Konsequenzen von Catch-22 des irregulären Aufenthalts wäre die offizielle Aussetzung einer Abschiebung während eines laufenden Niederlassungsverfahrens. Damit einher geht die Notwendigkeit, die Verfahrensdauer der Bearbeitung von Anträgen auf Niederlassung möglichst gering zu halten – um so auch die Dauer einer Catch-22-Situation zu reduzieren. Solche Maßnahmen würden für die beschriebene Gruppe irregulärer Migrant_innen eine große Bedeutung haben, insofern sich die Zeit, in der sie in einem Rechtsverfahren zur Erlangung eines legalen Aufenthalts stehen und gleichzeitig aber eine Abschiebung befürchten, drastisch reduzieren würde. Konsequenzen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wären Investitionen in mehr Personal der Niederlassungsbehörden, um die Verfahrensdauer zu reduzieren, und die Fremdenpolizeibehörde müsste im Fall vorgesehener Abschiebungen verpflichteter Weise auf ein Niederlassungsverfahren Rücksicht nehmen. Der vorliegenden Untersuchung zu Folge ist es natürlich gerade das laufende Niederlassungsverfahren (und damit die Verfügbarkeit der Personen für die Behörden), das eine Erleichterung für die mit einer Abschiebung beauftragten Behörden darstellt. Dass irreguläre Migrant_innen in dem Dilemma des Catch-22 stehen, ist somit nützlich für die Fremdenpolizeibehörden. Dennoch stellt sich die Frage, ob dies die derzeitige Praxis rechtfertigt. Denn dadurch werden die Rechte von Menschen verletzt, die abgeschoben werden, obwohl sie vielleicht einige Wochen oder Monate später eine Niederlassungsbewilligung erhalten würden. Es liegen keine Daten darüber vor, wie viele Personen dies betrifft. Meine Untersuchung zeigt, dass durchaus von einer unterschiedlichen Praxis der einzelnen lokalen Behörden ausgegangen werden kann und in Einzelfällen sehr wohl auf das Niederlassungsverfahren Rücksicht genommen wird. In manchen Fällen scheint die Fremdenpolizeibehörde sogar Erkundungen einzuholen, ob ein Niederlassungsverfahren aller Voraussicht nach positiv ausgehen wird, um dann von einer Abschiebung abzusehen. Ein rechtlicher Abschiebeschutz besteht jedoch (zumindest zum Zeitpunkt der Erhebung) nicht. Eine liberale Migrationspolitik würde zudem die offizielle Duldung mit mehr Rechten versehen. Darüber hinaus entspricht die Häufigkeit der Vergabe der Duldung nicht der Anzahl an Menschen, die nicht ausreisen bzw. nicht abgeschoben werden können. In weiterer Folge würde auch eine häufigere Vergabe einer befristeten Niederlassungsbewilligung das Phänomen Catch-22 des irregulären Aufenthalts abmildern können. Dies sind individuelle Maßnahmen, die einerseits rechtlich gestaltet werden können (etwa durch die Verknüpfung der
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Duldung mit einer Arbeitserlaubnis), andererseits eine Veränderung der behördlichen Praxis verlangen würde. Maßnahmen, die darauf abzielen, die negativen Folgen des irregulären Status von Migrant_innen langfristig zu ändern, wären Regularisierungsprogramme. Unter Regularisierung wird ein staatliches Verfahren verstanden, durch welches irregulär aufhältige Drittstaatsangehörige einen legalen Aufenthaltsstatus erhalten (vgl. Edwards/Kraler 2009: 9). Eine umfassende Diskussion der Vor- und Nachteile von Regularisierungsprogrammen würde an dieser Stelle zu weit führen, es soll jedoch ein kleiner Ein- bzw. Ausblick geleistet werden. In einer länderübergreifenden Studie aus dem Jahr 2009 wird geschätzt, dass der Aufenthalt von ca. fünf bis sechs Millionen Menschen im Zeitraum 1996 bis 2007 auf Basis eines Regularisierungsprogrammes legalisiert wurde (BaldwinEdwards/Kraler 2009: 143). Die meisten Regularisierungsprogramme zwischen 1996 und 2008 in der EU wurden in Deutschland, Griechenland, Großbritannien, Italien, Portugal, den Niederlanden und in Spanien durchgeführt (ebd.). Es gibt verschiedene Arten von Regularisierungsprogrammen: außerordentliche humanitäre Programme, Programme der Familienzusammenführung, fortlaufende Programme, welche auf individueller Basis den Aufenthalt von Menschen legalisieren, die mehrere Jahre in einem Land lebten, einmalige Programme, welche irregulären Migrant_innen in großem Umfang einen befristeten legalen Aufenthalt ermöglichen, und leistungsorientierte Regularisierungsprogramme für irregulären Migrant_innen die bestimmte Kreiterien erfüllen können (wie etwa Sprachkenntnisse und stabile Beschäftigungsverhältnisse) (vgl. Council of Europe 2007: 9). Österreich, ebenso wie acht andere Länder11, führte bisher noch kein explizites Regularisierungsprogramm durch (vgl. Baldwin-Edwards/Kraler 2009b). Dennoch gab es in den vergangenen 30 Jahren Programme, die eine ähnliche Wirkung erzielten. Martin Baldwin-Edwards und Albert Kraler (2009: 178ff) geben im Rahmen des REGINE-Projekts einen Überblick: (1) Im Jahr 1990 erhielten in Österreich ca. 30.000 Personen, formals irregulär beschäftigt, durch eine „Amnestie“ eine Arbeitsbewilligung, und in Folge eine Aufenthaltsbewilligung (obwohl dies nicht die explizite Zielsetzung des Programms war). (2) Das so genannte „Bosniergesetz“ aus dem Jahr 1997 kann als zweistrufiges Regularisierungsprogramm angesehen werden, da die Bosnier_innen erst als Vertriebene legal in Österreich leben durften, und in einem zweiten Schritt 1997 dann das weitere Aufenthaltsrecht gesichert wurde. (3) Zwischen Juni 2007 und Juni 2008
11 Bulgarien, Finnland, Lettland, Malta, Rumänien, Slowenien, Tschechische Republik und Zypern, also überwiegend neue EU-Mitgliedsländer.
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wurde die so genannte „Pflegeamnestie“ durchgeführt, durch welche irregulär in der Pflege beschäftigte Personen die Möglichkeit erhielten, sich legal als Selbständige zu registrieren – Drittstaatsangehörige waren jedoch von dieser Amnestie kaum betroffen. Eines der größten Regularisierungsprogramme wurde 2005 von Spanien durchgeführt. In dessen Analyse kommt Claudia Finotelli (2011) zu dem Schluss, dass die Regularisierung einen positiven Effekt auf die irregulären Migrant_innen hatte und zur Stabilisierung des legalen Aufenthalts beitrug (die regularisierten Migrant_innen beantragten und erhielten in den folgenden Jahren Aufenthaltsbewilligungen), und dass kein so genannter „Pull-Effekt“ für nachziehende Migrant_innen nachweisbar ist. Ein Pull-Effekt würde bedeuten, dass auf Grund einer Regularisierungsmaßnahme mehr Menschen irregulär in das Land einwandern. Auch Baldwin-Edwards und Kraler (2009: 145) konnten keine Anhaltspunkte dafür finden, dass durch Regularisierungsprogramme ein PullEffekt einsetzen könnte. Claudia Finotelli konkludiert, dass Regularisierungsprogramme alleine irreguläre Migration nicht stoppen können und plädiert dafür, neben der Durchführung solcher Programme auch die Grenzkontrollen zu intensivieren und den informellen Arbeitsmarkt stärker zu kontrollieren, um die Attraktivität informeller Beschäftigung für Migrant_innen zu reduzieren. Ein solches Maßnahmenpaket würde eine Kombination aus rigiden und liberalen migrationspolitischen Herangehensweisen darstellen. In einer solchen Form hätten Regularisierungsprogramme neben positiven individuellen Effekten vorwiegend die Funktion, die staatliche Kontrolle über irreguläre Migrant_innen wiederzugewinnen. Politische Entscheidungsträger_innen könnten zur Verhinderung von irregulären Situationen Regularisierungsprogramme auch damit kombinieren, mehr legale Wege der Niederlassung und der Arbeit zu schaffen. Erst wenn Alternativen zur informellen Beschäftigung geboten werden, würden Arbeitsinspektionen die Funktion der Regulierung einnehmen, unter welchen Bedingungen gearbeitet wird und weniger, ob irreguläre Migrant_innen überhaupt arbeiten oder stattdessen in die totale Illegalität (etwa des Drogenhandels) abgleiten oder abgeschoben werden. Nicht nur die Legalisierung des Aufenthalts von irregulären Migrant_innen, die bereits in Österreich leben, beeinflusst deren Situation, sondern auch andere migrationspolitische Themen sind bestimmend, wie etwa Aspekte der Grenzsicherung. An dieser Stelle hervorheben möchte ich noch die Bedeutung der Bestimmungen zu legalen Einwanderungsmöglichkeiten. Denn wären diese in einem umfassenderen Maße gegeben, so würde sich für viele der heute irregulären Migrant_innen dieses Problem nicht stellen. Dies betrifft sowohl allgemeine Re-
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gulierungen als auch solche spezifisch für Geflüchtete nach der Genfer Flüchtlingskonvention, denen derzeit keine legalen Fluchtwege offen stehen. Relevant sind dabei auch Vereinbarungen des Resettlements12 und der Relocation13 von Geflüchteten. Im menschenrechtlichen Diskurs wird darüber hinaus die Aktualität der Bestimmungen in der Genfer Flüchtlingskonvention diskutiert, wobei in liberalen Positionierungen die Meinung vertreten wird, dass auch vor Umweltkatastrophen oder vor Hunger flüchtende Menschen ein Recht auf Asyl gewährt werden sollte. Die Konsequenzen einer liberalen Migrationspolitik können, wie schon dargelegt, schwer eingeschätzt werden. Auch hier müssten menschenrechtliche Aspekte betrachtet werden: Die (Menschen-)Rechte der irregulären Migrant_innen wären auf jeden Fall wesentlich stärker gewahrt als bei der konservativen oder rigiden Variante. Wie groß die Unterschiede sind, hängt von den jeweils gesetzten Maßnahmen ab (Duldung, befristete Niederlassungsbewilligung, Regularisierungsprogramm). Maßnahmen der Ermöglichung eines legalen Aufenthalts würden auch die Diskussion um die unterstütze Rückkehr tangieren. Die unterstütze Rückkehr wird als humane Alternative zur zwangsweisen Außerlandesbringung angesehen. Nicht selten erscheinen jedoch Menschen nur deshalb die unterstützte Rückkehr anzunehmen, weil sie die Konsequenzen einer Abschiebung im Herkunftsland als noch schlimmer ansehen oder weil sie auf Grund der Ausweglosigkeit ihres Daseins sich zur Entscheidung gezwungen fühlen. Von manchen Seiten wird auch, wie aus meinen Interviews hervorging, die Vermutung laut, dass Personen aufg Gund eines Informationsmangels über die Konsequenzen ihr Einverständnis zu einer unterstützten Rückkehr geben. Durch eine liberale Migrationspolitik könnte eine unterstützte Rückkehr zu einer informierten und somit tatsächlich freiwilligen Rückkehr werden, welche auch durchaus durch Anreizsysteme, wie sie auch derzeit praktiziert werden (BFA o.J.), gefördert werden könnte. Kritiker_innen von liberalen Ansätzen befürchten, dass damit die Rechte von Staatsbürger_innen sowie von jenen Bevölkerungsgruppen, die schon länger legal in Österreich leben, eingeschränkt werden könnten. Belegen lässt sich dies
12 Resettlement bedeutet „die dauerhafte Neuansiedlung besonders Schutz bedürftiger Flüchtlinge in einem zur Aufnahme bereiten Drittstaat, der ihnen vollen Flüchtlingsschutz gewährt und ihnen die Möglichkeit bietet, sich im Land zu integrieren“ (UNHCR o.J.). 13 Relocation bedeutet die Neuansiedlung von Asylsuchenden von einem EU-Staat in einen anderen (EASO o.J.)
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auf Basis des aktuellen Forschungsstandes jedoch nicht. Bisherige Analysen von Regularisierungsprogrammen deuten jedenfalls nicht darauf hin. Anstatt der gegenseitigen Abwägung von vererbten und neuerworbenen Rechten geht es meines Erachtens vielmehr darum, dass Entscheidungsträger_innen öffentlich und breitenwirksam auf die Vorteile von Legalisierungen aufmerksam machen. Die Migrant_innen hätten dann mehr Optionen, am sozialen Leben zu partizipieren und somit zur Gesamtintegration der Gesellschaft beizutragen. So könnten auch gesellschaftlich negative Folgen des Zustands der „Deportability“ (De Genova 2002), wie etwa unbearbeitete Traumata, mögliche Retraumatisierungen durch die Angst vor der Abschiebung, sozialer Rückzug etc., abgefangen werden. In der Abschätzung der Konsequenzen politischer Maßnahmen sind neben Menschenrechten und sozialem Frieden und Zusammenhalt die Kosten ein oftmals diskutiertes Thema. Bei einer liberal ausgerichteten Migrationspolitik (sollten die Maßnahmen mit Arbeitsbewilligungen verknüpft sein) stehen auf der Minusseite die Kosten der Arbeitsmarktintegration und eventuell der Versorgung von Arbeitslosen, auf der Plusseite der Wegfall von Rückführungskosten, der Wegfall von Versorgungskosten auf Grund gelungener Arbeitsmarktintegration sowie vermehrte Steuereinnahmen (durch besteuerbare Arbeit). Solche Kalkulationen können an dieser Stelle nicht geleistet werden. Dazu bedürfte es eigener Studien, die jedoch vor der Schwierigkeit stünden, mit sehr vielen unkalkulierbaren Komponenten arbeiten zu müssen. Liberale Migrationspolitik kann sich mit den kurz beschriebenen realpolitischen Maßnahmen, wie der häufigeren Vergabe (befristeter) Niederlassungsbewilligungen oder der Durchführung von Regularisierungsprogrammen, begnügen. Dennoch gibt es auch Optionen, darüber hinaus eine alternative Gestaltung von Migrationspolitik anzudenken, wie ich im letzten Abschnitt zeigen möchte. 6.3.4 Ausblick An diese eher realpolitische Beschreibung liberaler Migrationspolitik möchte ich einige kurze Überlegungen zu einer allgemeinen Bewegungsfreiheit anschließen. Mit diesen stelle ich auch eine Verbindung zu meiner eingangs vorgestellten persönlichen Positionierung her (vgl. Kapitel 1.1, „Persönliche Positionierung“). Nach derzeitig gültigen menschenrechtlichen Vereinbarungen gilt die Bewegungsfreiheit nur innerhalb des Staatsgebiets bzw. in Bezug auf das Recht, das eigene Land zu verlassen oder dorthin zurückzukehren. Nicht jedoch ist damit ein Recht auf Einwanderung verbunden. Eine Diskussion über die etwaige Aus-
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dehnung der Menschenrechte auf ein „Recht auf Migration“ wird in manchen Randgebieten wissenschaftlicher Diskurse und politischer Diskussionen geführt. Einschränkungen des Rechts auf Bewegungsfreiheit werden häufig durch die Gewährleistung anderer Menschenrechte oder historisch erworbener Rechte gerechtfertigt. Oftmals wird argumentiert, dass das Recht auf Bewegungsfreiheit weniger wiegt als das Recht auf soziale Sicherheit etwa von Staatsbürger_innen. Die Zusammenhänge von lokaler bzw. nationaler Politik und globalen Entwicklungen und globaler Gerechtigkeit wird selten diskutiert. Dies würde Überlegungen einschließen, wie Menschen unter möglichster Einhaltung der Menschenrechte aller, mit möglichst gerecht verteilten Chancen, in Frieden zusammenleben können. Mögliche Konsequenzen einer globalen Bewegungsfreiheit wären auf vielfältigen Ebenen zu verorten. In Bezug auf das Phänomen Catch-22 des irregulären Aufenthalts greife ich nur zwei Beispiele heraus. Das erste ist auf der Ebene der involvierten Akteur_innen verortet. Behördenmitarbeiter_innen müssten nicht mehr eigene „Zuschreibungen“ vornehmen, ob jemand aus eigener Verantwortung oder gezwungenermaßen migriert. Die in vielen Fällen sehr uneindeutige Unterscheidung zwischen erzwungener und freiwilliger Migration wäre dadurch aufgelöst. Das zweite Beispiel betrifft die für die Migrationspolitik verantwortlichen Entscheidungsträger_innen. Es geht darum, die Niederlassung neu Zugewanderter neu zu denken, im Sinne einer Kultur des Kennenlernens und der wohlwollenden Aufnahme, aber auch der Aufrechterhaltung des sozialen Friedens, der demokratischen und menschenrechtlichen Grundwerte und des gegenseitigen Respekts. Wie bereits erwähnt, bestehen mögliche Kritikpunkte darin, dass der Sozialstaat ausgehöhlt werden könnte, die Armen eines Landes würden unter der Bewegungsfreiheit anderer zuallererst leiden. Daher sind im Anschluss an Rainer Bauböck (1994; 2011) Überlegungen anzustellen, wie ein Sozialstaat aufrechterhalten werden kann, wenn Bewegungsfreiheit gewährleistet wird. Dazu müssten beispielsweise bei Staatsausagaben neue Prioritäten gesetzt werden. Gedanken dieser Art sind im derzeitigen öffentlichen, medialen und politischen Diskurs fast vollkommen zum Verstummen gebracht worden. Umso wichtiger ist es, an bestehende wissenschaftliche Arbeiten anzuknüpfen, wie etwa kosmopolitische Studien oder konkret dem Konzept des Konvivialismus (vgl. Les Convivialistes 2014). Bedeutende Ansatzpunkte bringen besonders die Arbeiten der politischen Philosophie. Beispielhaft seien hier die Philosophinnen Sarah Fine und Lea Ypi erwähnt, die erst kürzlich einen Sammelband zu ethischen Fragen der Bewegungsfreiheit und der Zugehörigkeit herausgegeben haben (Fine/Ypi 2016). Unser aller gemeinsame Zukunft braucht es, in einem offenen, vorurteilsfreien Diskurs neue Szenarien des Zusammenlebens zu zeichnen.
Anhang
D ER ABLAUF
VON
ABSCHIEBUNGEN (S TAND : 2012)
In den Medien wird über gestoppte Abschiebungen (DerStandard.at 2012a ), Widerstand gegen Abschiebungen (DiePresse.com 2012b; DerStandard.at 2011e; Krone.at 2011) oder das Filmen einer solchen (DiePresse.com 2012a ) berichtet. Aber welche Handlungsabläufe im konkreten Fall unter einer Abschiebung verstanden werden, ist unterschiedlich: Einmal ist es ein negativer Asylbescheid (s. Krone.at 2011) und die damit drohende Abschiebung, ein andermal ist Abschiebung der konkrete Vorgang, bei dem Polizist_innen eine Person von ihrem Wohnort abholen, um sie ins Flugzeug zu begleiten (DiePresse.com 2012a). Dann wieder ist eine Abschiebung als schon im Gange anzusehen, wenn ein Abflugtermin für eine bestimmte Person feststeht. Also: Wann beginnt eine Abschiebung, wann ist sie zu Ende? Hier wird der Ablauf von Abschiebungen zum Zeitpunkt der Erhebung, also der Jahre 2011 und 2012 geschildert, so wie es aus den Interviews und der damals gültigen Rechtslage ersichtlich wurde. Die Änderungen polizeilicher Praxis in den Jahren nach 2012 konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Ich definiere den Beginn einer Abschiebung mit der Festnahme der abzuschiebenden Person: entweder die Festnahme mit einer darauf folgenden Verhängung der Schubhaft, oder mit darauf folgendem Gewahrsam in einem Wachzimmer. Bei dieser Definition ist jedoch wichtig, auch die behördlichen und polizeilichen Maßnahmen im Vorfeld einer Abschiebung zu beachten. Diese vorbereitenden Maßnahmen erstrecken sich vom Abschluss eines aufenthaltsbeendenden Verfahrens mit einer Ausweisung, Rückkehrentscheidung oder einem Aufenthaltsverbot bis zur Festnahme. Das aufenthaltsbeendende Verfahren selbst, sei es ein Asylverfahren oder ein fremdenpolizeiliches Verfahren, stelle ich nicht im Zuge des Ablaufs von Abschiebungen dar.
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Am Ende einer Abschiebung steht die direkte Außerlandesbringung. Je nach Form der Abschiebung wird der Abschluss entweder am Grenzübertritt festgemacht, oder an der Übergabe an eine offizielle Stelle im Abschiebezielland. Dies sind Anfangs- und Endpunkt einer Abschiebung. Aber wie sind sie nun in der Praxis ausgeprägt, und was passiert dazwischen? Dieser Anhang dient der Orientierung und soll all jenen einen Überblick bieten, die den Prozess der Abschiebungen nicht oder nur in stark verkürzter Form aus den Medien kennen. Dabei stellt die Darstellung des Ablaufs von Abschiebungen keine Wiedergabe der rechtlichen Vorgaben dar, sondern basiert auf den Schilderungen der Interviewpartner_innen, wie eine Abschiebung (in ihren unterschiedlichen Ausprägungen) üblicher Weise abläuft. Zur Ergänzung sind Informationsmaterialien von öffentlichen Stellen und NGOs sowie gegebenenfalls bestehende Literatur einbezogen. Diese Darstellung soll die in der Praxis üblichen Vorgehensweisen bei einer Abschiebung beschreiben. Dennoch möchte ich nicht ausschließen, dass in der Realität noch andere Variationen des Ablaufs auftreten. Besonders deswegen, da meine Quellen überwiegend einer österreichischen Landeshauptstadt zuzuordnen sind, regionale Unterschiede daher nicht herausgearbeitet werden konnten. A.1 Wie es zur Vorbereitung einer Abschiebung kommt Eine Person darf nur abgeschoben werden, wenn ein aufenthaltsbeendendes Verfahren mit einem dementsprechenden Rechtstitel endet. Ein Unterstützer erzählt von dem alleinstehenden Nigerianer Abaga1: „Ja, die letzte Abschiebung hat einen Nigerianer betroffen. Der ca. vierzig ist. Unverheiratet, unbescholten. Mit einer, sagen wir einmal, mittelprächtigen wirtschaftlichen Absicherung. Wo das Asylverfahren also seit 2003 […] in Österreich. Ursprünglich als Asylwerber gekommen. Das Asylverfahren hat sich relativ lang hingezaht, bis 2008, wenn ich mich nicht irre. Und dann ist es so gewesen, dass er irgendwann einmal eine Ausweisung gehabt hat, nach dem Asylverfahren. […] und er hat eben keine, er hat keine Niederlassungsbewilligung bekommen.“ (Fallbeispiel Abaga, Unt. Tobias D.: 27-32)
Exemplarisch wird hier der Ausgangspunkt verdeutlicht, wie es schlussendlich dazu kommt, dass die Fremdenpolizeibehörde eine Abschiebung vorbereitet. Der übliche Ablauf sieht so aus, dass nach einer Zurückweisung, Ausweisung, einem Aufenthaltsverbot oder einer Rückkehrentscheidung die betreffende Person über
1 Pseudonym.
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ihre Ausreiseverpflichtung benachrichtigt wird. Danach erfolgt entweder die selbständige Ausreise, die untersützte Ausreise oder keine Ausreise. In letzteren Fall beginnt die Behörde, eine Abschiebung vorzubereiten. Nach der Gesetzeslage des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 können folgende Rechtstitel eine Abschiebung begründen: • • • • •
Zurückweisung des Asylantrags als Folge eines Zulassungsverfahrens Ausweisung als Folge eines Asylverfahrens Ausweisung als Folge eines fremdenpolizeilichen Verfahrens Aufenthaltsverbot als Folge eines fremdenpolizeilichen Verfahrens Rückkehrentscheidung als Folge eines fremdenpolizeilichen Verfahrens
Nachdem eine Person eine Ausweisung, ein Aufenthaltsverbot oder eine Rückkehrentscheidung erhalten hat, ist sie zur Ausreise verpflichtet. Erfolgt die Ausreise nicht freiwillig, stellt die Fremdenpolizeibehörde der betreffenden Person eine Benachrichtigung über ihre Ausreiseverpflichtung zu. Diese Benachrichtigung kann entweder schriftlich oder mündlich erfolgen – in einer Sprache, die dem oder der Drittstaatsangehörigen verständlich ist (§ 58 FPG 2005 BGBl l 38/2011). Erhält die Fremdenpolizeibehörde keine Kenntnis darüber, dass die Person danach freiwillig ausgereist ist, fragt sie bei der NGO, die für die Rückkehrberatung zuständig ist, nach, ob sich die betreffende Person dort gemeldet hat und eine unterstützte Rückkehr (s. Glossar) in Anspruch nehmen wird. Für die Fremdenpolizeibehörde ist es wichtig, im Falle einer unterstützten Rückkehr von der NGO eine Bestätigung über die Ausreise zu erhalten. Gewinnt die Fremdenpolizeibehörde durch den Kontakt mit der NGO nicht den Eindruck, dass der oder die Betroffene zurückkehren wird, oder erhält sie die Information, dass er oder sie sich überhaupt nicht bei der NGO gemeldet hat, wird eine Festnahme vorbereitet. A.2 Die Schritte bis zur Anhaltung oder Schubhaft Ab dem Zeitpunkt, an dem die Fremdenpolizeibehörde annimmt, dass die betreffende Person weder selbstständig noch unter Inanspruchnahme der unterstützten Rückkehr ausreisen wird, laufen verschiedene Prozesse ab. Einige erfolgen gleichzeitig, einige hintereinander, wobei es von der Reihenfolge her unterschiedliche Vorgehensweisen gibt. Eine ungefähre Orientierung gibt folgende Ablaufmöglichkeit der Aktivitäten der Fremdenpolizeibehörde oder der Exekutive:
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1.
2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Entscheidung über Form der Abschiebung: überwachte oder begleitete Abschiebung, jeweils entweder am Landweg, per Linien- oder per Charterflug. Feststellung der Identität und Beschaffung von Reisedokumenten Abstimmung zwischen BMI und Fremdenpolizeibehörde Reiseorganisation Festnahmeauftrag (Zuständigkeit: Fremdenpolizeibehörde) Festnahme Anhaltung oder Schubhaft
Das anschließende Beispiel der Festnahme von Agaba verdeutlicht, dass die einzelnen Abläufe vor einer konkreten Festnahme keine strikte Reihenfolge haben müssen. Im Fall Agaba wurde erst Schubhaft verhängt, diese jedoch wieder aufgehoben. Schließlich wurde ein Festnahmeauftrag ausgesprochen, die Festnahme konnte jedoch nicht durchgeführt werden. Nach einigen Monaten gab das BMI die Weisung, Agaba festzunehmen, und schließlich gelang die Festnahme. „Das hat sich im Wesentlichen gezogen bis jetzt, bis vor kurzem. Wir haben dann den Versuch unternommen, für ihn noch eine Niederlassung zu bekommen. Das hat aber die Fremdenpolizei nicht mehr irgendwie erweichen können. […] Und irgendwann kommt es dann halt zu der Situation / Es hat ihm eigentlich auch niemand Böses wollen, glaube ich. Nur: Die Realität ist die, dass halt Abschiebetransporte organisiert werden, von Frontex. So, und jetzt kriegen die einmal ein Flugzeug nicht voll. Und jetzt schauen sie im Innenministerium nach, was hätten wir denn da für Fälle: Aha, da ist der Soundso in [Stadt anonymisiert], dann bekommen die [Stadt anonymisiert] Behörden eine Dienstanweisung: So, den fangts. Ja, der fahrt mit dieses Mal. Und die müssen das auch tun. Also es kann der Leiter der [Stadt anonymisiert] Fremdenpolizei nicht sagen: Spinnt’s? Den kennen wir! Der tut niemanden was. Wenn vom Innenministerium so eine Liste kommt, dann ist diese Liste abzuarbeiten, ja. Und da muss schon einiges passieren, damit die da eine Möglichkeit haben, ohne Gefährdung ihrer selbst sozusagen auf dem Dienstweg die Dinge hintanzuhalten. Und das war in dem Fall nicht gegeben. Weil es war klar, er ist schon, es ist vor drei Monaten das letzte Mal versucht worden, ihn abzuschieben, ja. Das ist zufällig nicht gelungen. Er war halt nicht dort, wo sie ihn gesucht haben. Daraufhin hat der Dienst / der Beamte, der ihn festnehmen hätte sollen, hat ihm ein Zetterl hinterlassen: ,Bitte rufen Sie mich an‘ oder so, ja. […] Am nächsten Tag ist der Festnahmeantrag ausgelaufen, und der war dann halt wieder drei Monate da, ohne dass irgendwer was getan hat. […] Jedenfalls ist es dann der Polizei gelungen.“ (Fallbeispiel Abaga, Unt. Tobias D., 32)
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Im Folgenden sind die Aktivitäten, die von der Fremdenpolizeibehörde und der Exekutive gesetzt werden, näher erläutert. A.2.1 Entscheidung über die Form der Abschiebung Die Fremdenpolizeibehörde trifft die Entscheidung, welche Form der Abschiebung stattfindet. Das erfolgt einerseits je nach Abschiebezielland und andererseits auf Basis der Informationen, die die Behörde von Seiten der Exekutive, des Polizeianhaltezentrums (PAZ) oder der Justizanstalt über die betreffende Person haben. Die Art der Abschiebung hängt von unterschiedlichen Kriterien ab: (1) Entfernung zum Zielland: Wahl des Transportmittels Über den Abschiebeweg und damit das Transportmittel wird zumeist je nach Entfernung zum Zielland entschieden. Die meisten Abschiebungen erfolgen mittlerweile per Flugzeug. Landabschiebungen werden zumeist mit gecharterten Bussen durchgeführt. Landabschiebungen per Bus erfolgen meistens bei DublinÜberstellungen, wie zum Beispiel in Nachbarstaaten oder nicht allzu weit entfernte Destinationen wie Polen. Nur in Einzelfällen werden Personen mit einem Polizeifahrzeug oder früher auch mit dem Zug abgeschoben (vgl. Winkler 2011: 111). (2) Einschätzung des Durchführungsrisikos: Art des Polizeieinsatzes Die dritte Differenzierung erfolgt danach, wie die Polizei das Risiko einschätzt, dass es bei der Durchführung der Abschiebung zu Problemen kommen könnte, also die Abschiebung nicht reibungslos ablaufen oder abgebrochen werden, oder die Sicherheit der Beamten und Beamtinnen beziehungsweise Unbeteiligter gefährdet sein könnte. Hier bestehen verschiedene Möglichkeiten: 1. Bei der einfachsten Form der Abschiebung wird die betreffende Person von der Polizei nur bis zur Grenze (bei einer Landabschiebung) oder bis zum Betreten des Flugzeuges (bei einer Flugabschiebung) überwacht. Diese Form der Abschiebung nenne ich die „überwachte Abschiebung“ (vgl. „kontrollierte Ausreise“ bei Winkler 2011: 111). 2. Bei einer „begleiteten Abschiebung“ fahren bzw. fliegen drei Exekutivbedienstete eines speziellen „Abschiebepools“ der Polizei mit (Beh. Leon L, 57). Sie begleiten die betreffende Person bis zur Übergabe an eine Amtsperson im Abschiebezielland (vgl. ebd.: 112). In spezifischen Fällen wird das Einsatzkommando Cobra (EKO Cobra) zur Durchführung der Abschiebung oder zur Unterstützung bei einer Ab-
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3.
schiebung herangezogen (s. BMI 2011a und BMI 2011b). Zur Cobra gehören die ausgebildeten „Air Marshals“, die seit 1981 Flüge österreichischer Airlines begleiten (nicht nur Abschiebungen) (vgl. BMI 2007b). Die Entscheidung, ob eine einfache Form der Abschiebung oder eine begleitete Abschiebung gewählt wird, fällt die Fremdenpolizeibehörde – bei Schubhäftlingen auf Empfehlung des Leiters des Polizeianhaltezentrums. Sie entscheidet auf Basis ihrer Einschätzung, wie gefährlich die betreffende Person ist (z.B. bei Straftäter_innen) und je nachdem ob die Person sich mit der Abschiebung schlussendlich einverstanden zeigt oder nicht. Eine weitere spezifische Form der begleiteten Abschiebung ist die Charterabschiebung. Hier erfolgt die Abschiebung mit extra hierfür gecharterten Flugzeugen. Diese Charterabschiebungen sind länderübergreifend organisiert. Durchgeführt werden diese, wenn für die betreffende Person, so die österreichische Koordinationsstelle im BMI („National Frontex Point of Contact – NFPOC2, Nationale Stelle Frontex, Referat II/2/3 im BMI3), ein Platz in einer Chartermaschine mit einem passenden Zielland frei ist.
(3) Einzelperson, Familie oder unbegleitetes Kind: spezielle Vorbereitungen und Unterbringung Die Vorbereitungen der Abschiebung unterscheiden sich auch ein wenig darin, ob eine Einzelperson abgeschoben, oder die betreffende Person gemeinsam mit minderjährigen Familienangehörigen abgeschoben wird. Als Familienabschiebung zählt jede Abschiebung, bei der mindestens ein minderjähriges Kind gemeinsam mit den Eltern abgeschoben wird. Auswirkungen hat dies beispielsweise auf die Organisation des Transports (eigene Fahrzeuge, Kindersitz) oder die Vorbereitung passender Verpflegung. Seit 2011 werden Familien für die Nacht vor der Abschiebung oder überhaupt für die Schubhaft nicht mehr in den üblichen Polizeianhaltezentren untergebracht, sondern kommen immer, auch aus den Bundesländern, in die Familienunterbringung Zinnergasse in Wien. Dies gilt auch für unbegleitete Minderjährige.
2
Vgl. BMI 2006b.
3
Vgl. BMI 2012c.
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A.2.2 Feststellung der Identität Falls die Identität der abzuschiebenden Person nicht feststeht, versucht die Fremdenpolizeibehörde diese zu identifizieren. Damit einher geht die Beschaffung eines Heimreisezertifikats, im Beamtenjargon auch „ausreisefähiges Dokument“ genannt. Ein Heimreisezertifikat wird von der Botschaft des jeweiligen Landes ausgestellt und ermöglicht für eine bestimmte Zeit den Grenzübertritt. So berichtet der Unterstützer Tobias D. vom Fallbeispiel Abaga: „Wurde dann in Wien, als er in Schubhaft genommen war – er ist monatelang in Schubhaft gesessen – das ist aber alles schon relativ lang zurück. Es ist jedenfalls nicht gelungen, für ihn ein Heimreisezertifikat zu organisieren. Ja. Das heißt, sie haben ihn dalassen müssen. Die Nigerianer wollten ihn einfach nicht nehmen.“ (Fallbeispiel Abaga, Unt. Tobias D.: 32)
A.2.3 Abstimmung zwischen BMI und Fremdenpolizeibehörde Die Initiative für die konkrete Außerlandesbringung kann sowohl von der Koordinationsstelle im BMI als auch von der lokalen Fremdenpolizeibehörde ausgehen. Sind alle Dokumente für eine betreffende Person vorhanden, holt die Fremdenpolizeibehörde bei der Koordinationsstelle des Bundesministeriums für Inneres das Einverständnis für die Abschiebung einer bestimmten Person ein. In anderen Fällen informiert die BMI Koordinationsstelle die Fremdenpolizeibehörde, sobald eine Chartermaschine gebucht ist. Sie gibt der Fremdenpolizeibehörde den Auftrag, eine oder mehrere bestimmte Personen festzunehmen, um sie abzuschieben. Sind die notwendigen Dokumente nicht vorhanden, müssen sie dann zunächst eingeholt werden. So erläutert ein höherer Beamter eines Polizeianhaltezentrums: „Und zwar lauft das so ab, wenn jetzt jemand über den Flughafen Wien Schwechat abgeschoben wird, über die nördlichen Grenzen abgeschoben wird: Dann plant das Innenministerium die Transporte, so dass es eben wirtschaftlich und sparsam ist, und wir bringen die Angehaltenen dann über diesen Auftrag in das Anhaltezentrum Wien.“ (Beh. Felix K.: 11)
A.2.4 Reiseorganisation Die Fremdenpolizeibehörde legt in Abstimmung mit dem BMI den Abschiebetermin fest. Im Falle einer Abschiebung per Linienflugzeug bucht die Fremdenpolizeibehörde einen Flug, bei einer Charterabschiebung erfolgt die Flugbuchung durch die BMI Koordinationsstelle. Die eigene Reise der Beamt_innen
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wird von der Exekutive selbst organisiert: Bei einer begleiteten Abschiebung ist beispielsweise das Abschiebeteam für die eigene Reiseorganisation (Flugbuchung, eventuell Hotelbuchung etc.) zuständig. A.2.5 Festnahmeauftrag Die Fremdenpolizeibehörde erlässt einen Festnahmeauftrag. Die Exekutivbeamt_innen der Polizei führen die Festnahme auf Basis dieses Auftrags durch. A.2.6 Durchführung einer Festnahme Sobald ein Festnahmeauftrag durch die Fremdenpolizeibehörde besteht, führt die Polizei die Festnahme durch. Eine Festnahme erfolgt im Zuge eines routinemäßigen Dienstbetriebs der Polizei entweder in Folge eines Festnahmeauftrages oder auf Grund einer Verwaltungsübertretung oder weil ein Drittstaatsangehöriger oder eine Drittstaatsangehörige die Aufenthaltsberechtigung nicht nachweisen konnte (§ 39 Abs 1 FPG 2005 BGBl l 38/2011). Das bedeutet, wenn die Polizei Ausweiskontrollen durchführt oder jemanden bei der Begehung eines Delikts aufgreift, wird der Aufenthaltsstatus der betreffenden Person überprüft. Hat diese keinen legalen Aufenthaltstitel, wird die Person festgenommen. A.2.7 Festhaltung in einer Polizeiinspektion In einer Polizeiinspektion (umgangssprachlich Wachstube oder Polizeiposten) darf die betreffende Person für höchstens 48 Stunden festgehalten werden. Wenn eine Festhaltung für einen längeren Zeitraum als notwendig erachtet wird, muss ein Schubhaftbescheid ausgestellt werden. A.2.8 Ausstellung eines Schubhaftbescheides Den Schubhaftbescheid kann die Fremdenpolizeibehörde entweder vor einer Festnahme oder im Polizeianhaltezentrum nach einer Festnahme ausstellen. Gegen eine Festnahme oder einen Schubhaftbescheid kann eine Beschwerde beim Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) eingebracht werden (§ 82 FPG 2005 BGBl l 38/2011). Tobias D., der privat abschiebungsgefährdete Personen unterstützt, erläutert die Möglichkeiten, die sich aus seiner Sicht für den spezifischen Fall von Abaga ergeben: „Du kannst auch gegen eine Festnahme allerhand machen. Aber das ist in der Regel viel / braucht viel länger bis es vom UVS bearbeitet wird, überhaupt. Der ist LÄNGST weg, bis der UVS diese Maßnahmenbeschwerde einmal angreift. Eine Schubhaftbeschwerde, da
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reagieren sie viel schneller. Müssen sie ja auch vom Gesetz her viel schneller reagieren. […] Die Fristen sind so: Du kannst ja nicht länger als 48 Stunden festgenommen werden. Dann musst du einem Richter vorgeführt werden. Dann muss es zu einer richterlichen Entscheidung kommen. Und wenn sie es schaffen, dich innerhalb dieser 48 Stunden abzuschieben, dann hat das Recht / dann greift das Recht nicht mehr. Weil ein Österreicher, der wird nach 48 Stunden einer Haftprüfung auf alle Fälle unterzogen, ja, und kommt dann heraus oder nicht. Aber wenn der mittlerweile in Nigeria sitzt, dann ist nicht mehr viel zu machen. Das heißt, du kannst schon zum UVS, und das werden wir in dem konkreten Fall auch machen. Du kannst sonst eh / hast sechs Wochen Zeit für eine Beschwerde beim Verwaltungssenat, weil es ist auch bei der Abschiebung allerhand nicht rechtens gewesen. Das haben wir aber erst nachher erfahren. Das ist ja das Perverse in so einer Situation. Wir sind drauf gekommen, eigentlich nur durch Zufälle, dass sie den überhaupt nicht rechtzeitig abgeschoben haben. Sie hätten den innerhalb von 48 Stunden abschieben müssen, haben das aber nicht geschafft. Sie haben sich irgendwie vertan mit der Zeit. Das heißt, der ist einen Tag länger gesessen, in Wien, im Polizeianhaltezentrum, als es rechtlich gedeckt war. Das heißt, die Abschiebung hätte eigentlich nicht stattfinden dürfen. Oder: Es war schon eine Schubhaft. Dann hätte es aber eines Bescheides bedurft. Den gab es nicht. Aber jetzt stell dir die Situation vor: Der sitzt in Nigeria, wir haben auch nach wie vor einen Kontakt mit ihm. […] Der sitzt in Nigeria und wir bringen jetzt die Schubhaftbeschwerde ein und das dauert jetzt ein paar Monate. Du kannst sicher sein, dass der Spruch des Verwaltungssenats jetzt nicht lauten wird, dass der Mensch wieder geholt werden muss. Mit Sicherheit nicht.“ (Fallbeispiel Abaga, Unt. Tobias D.: 37-39)
Wird einer Beschwerde gegen die Verhängung der Schubhaft stattgegeben noch während die betreffende Person in Schubhaft ist, wird diese freigelassen. Bei einer erfolgreichen Beschwerde gegen die Schubhaftbedingungen werden diese gemäß der Entscheidung verändert. Die Behandlung einer Maßnahmenbeschwerde (d.h. einer Beschwerde gegen eine Festnahme) dauert jedoch in der Regel länger als die tatsächliche Außerlandesbringung. Wenn der Beschwerde stattgegeben wird und die Person schon außerhalb der Landesgrenzen ist, hatte die Beschwerde keine Auswirkungen auf die betreffende Person selbst.
A.3 Die letzten 48 Stunden Nach der Festnahme werden in den maximal 48 Stunden vor der Abschiebung noch die letzten Vorbereitungen getätigt. Die betreffende Person wird von der Polizei darüber informiert, dass und wann sie abgeschoben wird.
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Nach einer Festnahme darf die betreffende Person ihre Rechtsvertretung oder eine nahe Verwandte/einen nahen Verwandten anrufen. – Dies ist zumindest in der untersuchten Stadt die übliche Vorgehensweise. Unterstützer D. berichtet über den Fall Agaba wie folgt: „Naja, dann hängt es jetzt davon ab, also die Möglichkeit unmittelbar nach der Festnahme jemanden zu verständigen, wird dem Betroffenen durchaus eingeräumt. Jetzt und in (Stadt anonymisiert). Das ist alles nicht selbstverständlich, aber in (Stadt anonymisiert) läuft das so. Das heißt, bei der / die Polizei sagt dir: Wenn du dich aufführst und abtobst und ungut wirst, dann kann passieren, dass sie dir das so nicht sagen, aber normalerweise werden sie sagen: „Sie, wollen Sie wen anrufen?“ ja. „Wir müssen Ihnen dann das Handy abnehmen. Wir dürfen Sie nicht mit dem Handy in die Zelle lassen […] Aber wenn Sie wollen, rufen Sie jetzt wen an. Haben Sie eine Rechtsvertretung? Haben Sie einen Anwalt?“ Da waren eben wir die Rechtsvertretung. Und der hat uns angerufen. Wir haben das relativ schnell erfahren und sind dann auch hin. Und jetzt ist die Frage dann: Du musst nicht offiziell vorgelassen werden. Nur dann, wenn du die Rechtsvertretung bist. Oder ein Verwandter. Ein Bruder, oder Vater oder so. Würde auch vorgelassen werden, ja. Aber sonst nur die Anwälte oder sonstige Vertretungen. Andere müssen sie dort gar nicht hineinlassen.“ (Fall Agaba, Unt. Tobias D.: 45)
Schubhäftlinge werden nach der Information über die bevorstehende Abschiebung durch die Schubhaftbetreuung auf die Abschiebung vorbereitet. Hier werden zum Beispiel Fragen dahingehend angesprochen, wie mit den Beamt_innen des Abschiebeziellandes umgegangen wird. Die Schubhaftbetreuer_innen bieten an, bei den Kontaktgesprächen mit den Beamt_innen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, die die Abschiebung durchführen, dabei zu sein. Bei einer begleiteten Abschiebung führen die Beamt_innen des Abschiebeteams ein so genanntes „Abschiebegespräch“. Hiervon wird auch der Menschenrechtsbeirat informiert, der auf eigenen Wunsch hin daran teilnehmen kann. Ebenso nimmt ein Vertreter oder eine Vertreterin des Vereins, der die Schubhaftbetreuung übernommen hat, teil. Ein Abschiebegespräch findet zumeist eine Nacht oder bis zu 24 Stunden vor der Abschiebung statt. In einer amtsärztlichen Untersuchung soll die Flugtauglichkeit geprüft werden. Eines der Hauptkriterien dabei ist ein Harntest. Der oder die Abzuschiebende bekommt noch eine Möglichkeit zu einem Telefonat ins Abschiebezielland. Bei einer Flugabschiebung werden die Abzuschiebenden meist zuerst nach Wien gebracht (PAZ Rossauer Lände, PAZ Hernalser Gürtel oder in das Familienanhaltezentrum Zinnergasse, welches für Familien und unbegleitete minder-
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jährige Flüchtlinge zuständig ist). Der Transport erfolgt durch die Beamt_innen des Polizeianhaltezentrums (PAZ) des jeweiligen Bundeslandes oder durch das Abschiebeteam. Erhält eine Person, die in einer Justizwacheanstalt in Haft war, einen aufenthaltsbeendenden Titel und soll sie abgeschoben werden, wird sie in das Polizeianhaltezentrum überstellt und dort in Schubhaft genommen oder sie wird direkt aus der Justizwacheanstalt abgeschoben.
A.4 Die tatsächliche Außerlandesbringung Im Folgenden ist die tatsächliche Außerlandesbringung, vom Polizeigewahrsam bis zum Abschluss der Abschiebung, dargestellt. Unterstützer Simon M. versuchte die Abschiebung von Nesrin und ihren Kindern zu stoppen. Im Zuge seiner Erzählung schildert er, wie der Transfer zum Flughafen ablief: „Ich habe mich dann entschieden, dass ich als letzter in diesen Flieger einsteige. Hab auch diese Familie während dem Boarding überhaupt nicht gesehen. Also die ist komplett in einer anderen, auf anderen Wegen in dieses Flugzeug gekommen. Die ist nicht beim normalen Boarding dabei, die ist auch nicht in dem Bus, in dem Transferbus, der raus auf die Rollbahn fährt, gar nix. Es hat sich dann rausgestellt, dass diese Familie vorher, also die wird vorher, bevor die anderen Passagiere den Flieger betreten, werden die mit einem separaten Bus einfach hingebracht.“ (Fallbeispiel Nesrin, Unt. Simon M, 52)
Das Verfahren bei einer Flugabschiebung hat sich in den letzten Jahren geändert. Auch die Entscheidung, ob eine überwachte oder eine begleitete Abschiebung durchgeführt wird, beeinflusst vor allem das Vorgehen während der tatsächlichen Außerlandesbringung. Abbildung 6 gibt einen Überblick. A.4.1 Überwachte Abschiebung Bei einer überwachten Flugabschiebung wird die betreffende Person im Polizeiauto vom Polizeianhaltezentrum in Wien (Rossauer Lände oder Hernalser Gürtel) oder im Fall von Familien seit 2011 vom Familienanhaltezentrum Zinnergasse zum Flughafen gebracht. Die überwachte Abschiebung endet damit, dass die Exekutivbeamt_innen die betreffende Person bis zum Flugzeug begleiten und das Einsteigen in das Flugzeug kontrollieren. Die Befehlshoheit im Flugzeug hält der/die Pilot_in. Gesetzlich müssen die Beamt_innen nicht nur bis zum Abflug des Flugzeugs warten, sondern so lange, bis das Flugzeug gemäß der Reisezeit den Punkt überschritten hat, an dem es im Falle einer Notlandung oder aus
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sonstigen Gründen nicht mehr zum Ausgangsflughafen zurückkehren, sondern in einem anderen Land als Österreich landen würde. Abbildung 6: Ablauf der tatsächlichen Außerlandesbringung
Quelle: eigene Darstellung
Bei einer Landabschiebung findet eine überwachte Abschiebung nur dann statt, wenn • •
für das Land beziehungsweise die Länder, die durchquert werden, kein Aufenthaltsverbot besteht, oder wenn die Behörden der Transferländer einwilligen, dass die betreffende Person trotz Aufenthaltsverbots das Land durchquert und die Behörden die Kontrolle dieses Transfers übernehmen.
Bei einer überwachten Landabschiebung bringen zwei Polizeibeamt_innen die abzuschiebende Person mit dem Polizeifahrzeug (oder mit Bus oder Bahn) bis
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zur Grenze. Eine überwachte Abschiebung endet damit, dass die Exekutivbeamt_innen den Grenzübertritt der betreffenden Person kontrollieren. A.4.2 Begleitete Abschiebung Ebenso wie bei einer überwachten Flugabschiebung wird bei einer begleiteten Flugabschiebung die betreffende Person im Polizeiwagen zum Flughafen gebracht. Zuvor wird die betreffende Person von den Beamt_innen des Polizeianhaltezentrums daraufhin durchsucht, ob sie Gegenstände mitführt, die die Abschiebung verhindern könnten. Das Abschiebeteam, das den Transport dann durchführt, nimmt noch einmal eine gründliche Leibesvisitation und eine Durchsuchung des Koffers vor. Am Flughafen gibt es seit einiger Zeit eine eigene Dienststelle der Polizei, die auf die Durchführung von Abschiebungen spezialisiert ist. Bei normalen Linienflügen erledigen die Beamt_innen das Einchecken am öffentlichen Schalter. Bei Charterabschiebungen existiert ein eigens eingerichteter Schalter (Terminal 240). Früher musste ein Beamter/eine Beamtin mit der abzuschiebenden Person in einer Zelle in der Flughafenpolizei Schwechat warten, während der/die andere Beamt_in das Einchecken erledigte. Mit der Einrichtung des Terminals 240 müssen die Beamten und Beamtinnen nicht mehr bei den normalen Reiseschaltern einchecken. Die abzuschiebende Person wird direkt zum Flugzeug gebracht. Bei Linienflügen besteigt das Abschiebeteam mit der betreffenden Person noch vor allen anderen Passagieren das Flugzeug. Vor oder beim Besteigen des Flugzeugs informiert der Leiter des Abschiebeteams den Flugzeugpilot_innen über die Abschiebung sowohl mündlich als auch mit einem Informationsblatt. Es wird zumeist vereinbart, dass der/die Pilot_in das Abschiebeteam ermächtigt, sicherzustellen, dass die abzuschiebende Person nicht die Flugsicherheit gefährdet. Sollten die Beamt_innen es als notwendig erachten, kann die abzuschiebende Person im Falle von Widerstand mit Bandschlaufen gefesselt werden (sowohl bei Linien- als auch bei Charterflügen). Eine begleitete Abschiebung endet mit der Übergabe der betreffenden Person von den österreichischen Beamt_innen an jene des Abschiebeziellandes. Diese Übergabe erfolgt bei Flugabschiebungen am Flughafen selbst. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) müssen seit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 im Abschiebezielstaat auf jeden Fall jemandem übergeben werden: entweder einem erwachsenen Familienmitglied bzw. einem anderen Vormund odereiner geeigneten Aufnahmeeinrichtung (vgl. § 46 Abs 3 FPG 2005 BGBl l 38/2011; Winkler 2011: 59).
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G LOSSAR Sofern nicht anders gekennzeichnet, beziehe ich mich in allen folgenden Ausführungen auf den Stand vom 31.12.2012, da in den Jahren 2011 und 2012 die wichtigsten empirischen Daten erhoben wurden. Durch das BFAEinrichtungsgesetz (2014) wurde das Asyl- und Fremdenwesen mit 1.1.2014 neu geregelt – diese Entwicklungen wird hier nicht mehr berücksichtigt. Abschiebehaft Siehe: „Schubhaft“ Abschiebepool Der Abschiebepool besteht aus eigens geschulten Exekutivbeamt_innen. Bei jenen Abschiebungen, die die Polizei als problematisch einschätzt, begleiten jeweils drei dieser Beamt_innen die abzuschiebende Person bis zum Zielland der Abschiebung. Abschiebung Die zwangsweise Außerlandesbringung einer Person ohne österreichische Staatsbürgerschaft nachdem ihr der rechtmäßige Aufenthalt in Österreich nicht gestattet oder entzogen wurde. Abschiebungsgefährdete_r/Abschiebungsgefährdete Personen Siehe: „Unautorisierte Migrant_innen“ Angeordnete Ausreise Siehe: „Angeordnete Rückkehr“ Angeordnete Rückkehr Als „angeordnete Rückkehr“ bezeichne ich die amtlich als „freiwillige Rückkehr“ benannten Ausreisen von unautorisierten Migrant_innen. Damit folge ich dem Begriff des „mandatory return“ des Europäischen Flüchtlingsrates ECRE (vgl. Cuttitta 2010: 184). Bei einer angeordneten Rückkehr erhalten die unautorisierten Migrant_innen in Österreich durch EU-Mittel und/oder Projektförderungen für NGOs eine Unterstützung für ihre Ausreise (vgl. BMI 2012a: 7). Gesetzlich wird dies auch als „Rückkehrhilfe“ bezeichnet. Je nach NGO ist das Unterstützungsangebot unterschiedlich. Zumindest enthält eine Rückkehrberatung jedoch eine individuelle Perspektivenberatung in Österreich, eine Unterstützung bei der Beschaffung von Reisedokumenten und eine erste Unterstützung im Heimatland (z.B. Zugang zu Hilfsorganisationen). Die angeordnete Ausreise wird vom Staat gefördert (§ 67 AsylG 2005 BGBl I 38/2011).
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Asyl Asyl, das heißt internationalen Schutz, erhalten jene, denen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschn A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (1951) droht (s. § 3 Abs 1 AsylG 2005 BGBl l 38/2011). Das betrifft besonders Verfolgung auf Grund von Rasse, Religion, Nationalität und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder auf Grund politischer Überzeugung. Ausgenommen sind jene Personen, für welche ein anderer Staat zuständig ist (s. § 3 Abs 1 AsylG 2005 BGBl l 38/2011), vgl. „DublinÜberstellung“. Asylverfahren Während des laufenden Asylverfahrens beim Bundesasylamt (BAA) besteht Abschiebeschutz. Im zweitinstanzlichen Verfahren beim AsylGH besteht ebenfalls Abschiebeschutz, jedoch kann dieser vom BAA aberkannt werden. Sollte aber die reale Gefahr bestehen, dass das Leben oder die Unversehrtheit der asylsuchenden Person im Falle einer Abschiebung verletzt wird, kann der AsylGH die aufschiebende Wirkung (das heißt, den Abschiebeschutz) wieder zuerkennen (§ 38 AsylG 2005 BGBl l 38/2011).4 Eine Beschwerde beim VfGH hat jedoch keine aufschiebende Wirkung, außer diese wurde durch den VfGH selbst auf Antrag hin zuerkannt (vgl. VfGH 2011). Wird also kein Antrag auf aufschiebende Wirkung beim VfGH gestellt oder zuerkennt dieser keine aufschiebende Wirkung5, steht einer Abschiebung rein rechtlich auch während eines laufenden Verfahrens nichts im Wege. Nach negativem rechtskräftigem Abschluss eines Asylverfahrens kann ein neuer Asylantrag gestellt werden (ein so genannter Asyl-Folgeantrag). Nachdem eine Person, gegen die eine Ausweisung besteht, einen Asylfolgeantrag gestellt hat, kommt ihr nur dann ein faktischer Abschiebeschutz zu, wenn sie den Behörden glaubhaft machen konnte, dass sie den Folgeantrag zu keinem früheren Zeitpunkt stellen konnte oder sich die objektive Situation im Herkunftsstaat entscheidend verändert hat (vgl. § 12a AsylG 2005, BGBl I 38/2011).
4
Für die Gründe für eine Aberkennung des Abschiebeschutzes vergleiche § 38 Abs 1 AsylG 2005, BGBl I 38/2011.
5
Laut Bundes-Verfassungsgesetz ist dann eine aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, „insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.“ (§ 85 Abs 2 VfGG 1953 BGBl I 111/210)
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Abbildung 7: Asylverfahren (Stand Dez. 2012) Zulassung zum Asylverfahren Asyl gewährt
Subsidiärer Schutz 1.Instanz Duldung Z: FrePoBehörde
Antrag auf Niederlassungsbewilligung
Prüfung des Asylantrags Zuständigkeit: BAA
Ausweisung vorübergehend unzulässig Ausweisung auf Dauer unzulässig
Ausweisung
Abschiebung möglich
Asyl gewährt
Subsidiärer Schutz 2.Instanz Duldung Z: FrePoBehörde
Ausweisung vorübergehend unzulässig Ausweisung auf Dauer unzulässig
Berufung Zuständigkeit: AsylGH (vor 1.7.2008: UBAS) Abschiebeschutz (außer Aberkennung durch AsylGH)
Bestätigung des Bescheids Ablehung der Beschwerdebehandlung
VfGH
Aufhebung / Beschwerde wird stattgegeben Zurückweisung der Beschwerde
Beschwerde Zuständigkeit: VfGH mit aufschiebender Wirkung
Abweisung / Beschwerde wird nicht stattgegeben
ohne aufschiebende Wirkung
Quelle: eigene Darstellung Letztlich kann auch eine Person, welcher der Asylstatus oder Status des subsidiären Schutzes aberkannt wurde, abgeschoben werden. Eine Aberkennung des Asylstatus ist möglich, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 BGBl I 38/2011 oder nach Art 1 Abschn C der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegt, oder wenn der oder die Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner/ihrer Lebensbeziehungen nicht mehr in Österreich hat (vgl. § 7 AsylG 2005 BGBl I 38/2011). Das Bundesasylamt ist für die Aberkennungsverfahren zuständig. In der Praxis erkennt das BAA nur dann Asyl ab, wenn eine strafbare Handlung wie Schlepperei unter menschenunwürdigen Zuständen, schwere Drogendelikte oder eine mit einer Freiheitsstrafe über fünf Jahre belegte Straftat vorliegt (vgl. Krainz 2011: 141-145). Aufenthaltsrecht Das Recht, sich in Österreich legal aufzuhalten. Mit diesem Begriff wird hier kein bestimmter Rechtstitel (wie etwa Niederlassungsbewilligung, Rot-Weiß-Rot-Karte, Staatsbürgerschaft etc.) verbunden.
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Aufenthaltsbewilligung für besonderen Schutz Drittstaatsangehörige können auch eine „Aufenthaltsbewilligung für besonderen Schutz“ erteilt bekommen: entweder auf eigenen Antrag hin oder von Amts wegen. Dies kann entsprechend § 69a NAG 2005 BGBl l 38/2011 dann der Fall sein, wenn (a) sie mindestens ein Jahr lang geduldet waren und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen (außer sie stellen eine Gefahr für die Allgemeinheit dar oder wurden rechtskräftig nach § 17 StGB (1974) verurteilt), (b) ihre Anwesenheit wichtig ist, um gerichtlich strafbare Handlungen zu verfolgen (dies trifft z.B. auf Opfer oder Zeugen von Menschenhandel zu), (c) die Aufenthaltsbewilligung für ein Opfer von Gewalt notwendig ist, um Schutz vor weiterer Gewalt zu bekommen, (d) es eine unbegleitete minderjährige Person ist (e) für eine minderjährige Person ein Aufenthaltsrecht nicht gemäß § 23 Abs 4 NAG BGBl l 38/2011 abgeleitet werden kann und sie sich in Obhut von Pflegeeltern befindet. Aufenthaltsverbot Siehe: „Fremdenpolizeiliches Verfahren“ Einer Berufung gegen ein Aufenthaltsverbot kann die aufschiebende Wirkung aberkannt werden, wenn dies „im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist“ (§ 68 Abs 3 FPG 2005 BGBl l 38/2011). Eine Berufung gegen eine Ausweisung hat eine aufschiebende Wirkung, die auch nicht aberkannt werden darf (§ 68 Abs 2 FPG 2005 BGBl l 38/2011). Ausweisung(sbescheid) Eine Ausweisung war nach Rechtslage von 2011 sowohl nach einem fremdenpolizeilichen Verfahren (siehe: „Fremdenpolizeiliches Verfahren“) als auch nach einem Asylverfahren möglich. Laut Asylgesetz ist eine Ausweisung bei folgender Sachlage zulässig: a) Es wird kein Asyl gewährt UND b) es wird kein subsidiärer Schutz gewährt UND c) eine Ausweisung wird als zulässig anerkannt. Als nicht zulässig würde sie erachtet werden, wenn im Falle einer Abschiebung folgende Faktoren stark beeinträchtigt oder bedroht wären: a) Das Privat- und Familienleben (Art 8 EMRK). Hier werden im Asylgesetz (§ 10 Abs 2 Z 2 AsylG 2005 BGBl l 38/2011) einige besonders zu berücksichtigende Aspekte aufgezählt:
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•
die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des/der Fremden rechtswidrig war;
•
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
•
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
•
der Grad der Integration;
•
die Bindungen zum Herkunftsstaat des/der Fremden;
•
die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
•
Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
•
die Frage, ob das Privat- und Familienleben des/der Fremden zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;
•
die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des/der Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
b) Das Leben oder die Unversehrtheit der betreffenden Person, was eine Verletzung von Art 3 EMRK darstellen würde (§ 10 Abs 3 AsylG 2005 BGBl l 38/2011). Eine Person, die durch einen Ausweisungsbescheid eines ihrer in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Rechte verletzt sieht, kann gegen den österreichischen Staat Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einreichen. Entscheidet der EGMR, dass die Europäische Konvention für Menschenrechte verletzt wurde, kann er dem/der Beschwerdeführer_in „eine ‚gerechte Entschädigung‘ zubilligen, einen finanziellen Ausgleich für bestimmte Schäden“ (EGMR 2012: 6). „Wenn eine ernsthafte Gefahr für die körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers besteht“ (ebd.), kann der EGMR eine vorläufige Maßnahme ergreifen (vgl. EGMR 2012). Eine vorläufige Maßnahme („interim measure“) bedeutet in den meisten Fällen, dass ein Staat angehalten wird, den/die Beschwerdeführer_in nicht abzuschieben (vgl. ECHR 2012). Außerlandesbringung Vor einer Außerlandesbringung, sei es einer Zurückschiebung oder einer Abschiebung, durchlaufen die betreffenden Personen unterschiedliche Verfahren. Mögliche Verfahren sind: (1) Zulassung zum Asylverfahren, (2) Asylverfahren, (3) Niederlassungsverfahren und (4) Fremdenpolizeiliches Verfahren.
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Abbildung 8: Überblick über behördliche oder gerichtliche Verfahren im Vorfeld einer Ab- oder Zurückschiebung (Stand Dez. 2012) Zurückschiebung
Asylantrag
Asyl gewährt
Zulassungsverfahren
Zulassung zum Asylverfahren
Kein Asyl, aber subsidiärer Schutz
Asylverfahren
Ausweisung
Abschiebung
Antrag auf Niederlassungsbewilligung
Personen ohne Aufenthaltstitel
Personen mit Aufenthaltstitel
Kein Asyl, kein subsidiärer Schutz, aber Ausweisung unzulässig
Bei gewissen Voraussetzungen
Festnahme
Niederlassungsverfahren
Fremdenpolizeiliches Verfahren
Positiver Bescheid
Rückkehrentscheidung (je nach Aufenthaltstitel und Voraussetzungen)
Aufenthaltsverbot (je nach Aufenthaltstitel und Voraussetzungen)
Ausweisungsbescheid (je nach Aufenthaltstitel und Voraussetzungen)
Bewilligung: Rot-Weiß-Rot-Karte, Rot-Weiß-Rot-Karte plus od. Niederlassungsbewilligung
Abschiebung
Abschiebung
Quelle: eigene Darstellung
Begleitete Abschiebung Bei einer „begleiteten Abschiebung“ fahren bzw. fliegen drei Exekutivbedienstete eines speziellen Abschiebepools der Polizei mit. Sie begleiten die betreffende Person bis zur Übergabe der Person an eine Amtsperson im Abschiebezielland. Bleiberecht Bleiberecht ist der gebräuchliche Begriff für die zwei Aufenthaltstitel der Rot-Weiß-RotKarte plus und der Niederlassungsbewilligung. Catch-22 Catch-22 bezeichnet eine paradoxe Situation, in der die einzige Lösung des Problems durch die Bedingungen der Situation bzw. durch sie bestimmende Regeln verunmöglicht wird. Joseph Heller prägte den Begriff mit seinem so benannten Roman (1961). Charterabschiebung Abschiebungen, bei denen die Abschiebebehörden mehrerer EU-Länder kooperieren und gemeinsam verschiedene Abschiebezielländer mittels Charterflügen anfliegen.
236 | I RREGULÄRE L EBEN Compliance Bezeichnet in der Psychologie die Bereitschaft eines Patienten/einer Patientin zur aktiven Mitwirkung an therapeutischen Maßnahmen (vgl. Duden online 2014). Im Zusammenhang mit Catch-22 des irregulären Aufenthalts bedeutet Compliance die Bereitschaft einer Person zur aktiven Mitwirkung an behördlichen Untersuchungen. Drittstaat Ein Drittstaat ist ein Staat außerhalb des Schengen-Raumes. Drittstaatsangehörige Staatsbürger_innen eines Staates, die nicht EWR-Bürger_innen oder Schweizer_innen sind. Dublin-II- und Dublin-III-Verordnung Die Dublin-Verordnung bestimmt, dass jener Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, welcher die wichtigste Rolle bei der Einreise des Antragstellers bzw. der Antragsteller eingenommen hat (vgl. Europäische Kommission 2014: 7). Zwölf EUMitgliedsstaaten haben die Dublin-II-Verordnung (2003) unterzeichnet (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien sowie Finnland, Island, Norwegen und die Schweiz. Am 19.7.2013 ist die Dublin-III-Verordnung (2014) in Kraft getreten. Sie ist seit dem 1.1.2014 anzuwenden. Dublin-Staat Staat, der die Dublin-II-Verordnung unterzeichnet hat Dublin-Überstellung Bei der Dublin-Überstellung wird eine Person laut Dublin-Übereinkommen in jenen EUStaat überstellt, der für das Verfahren zuständig ist. Ein Antrag auf Asyl kann im Zulassungsverfahren zum Asylverfahren zurückgewiesen werden, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-II-Verordnung der EU für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist (§§ 4 und 5 AsylG 2005 BGBl I 38/2011). Prinzipiell gilt bei der Dublin-II-Verordnung, dass wenn einer der Vertragsstaaten (im Folgenden: „Dublin-Staat“) schon mit der Prüfung eines Asylantrags begonnen hat, dieser Staat die asylsuchende Person, die sich unerlaubt in einem anderen Dublin-Staat aufhält, wieder aufnehmen und die Prüfung des Antrags abschließen muss (vgl. Zusammenfassung der EU-Gesetzgebung – „Dublin-II-Verordnung“; Heschl 2011; Krainz 2011; NPO Fabian O.: 85).
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Duldung Der Aufenthalt eines nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen Fremden wird nach dem FPG 2005 geduldet, wenn eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist (BMI 2013b: 7).Fallen jedoch die Gründe, die gegen eine Ausweisung sprachen, weg, endet die Duldung und eine Abschiebung ist möglich. Die Duldung kann auf Antrag jährlich verlängert werden (§ 46a Abs 1und 3 FPG 2005 BGBl I 38/2011). Lebt eine Person auf Grund mehrerer Jahre geduldeten legalen Aufenthalts schon länger in Österreich, kann sie um die Rot-Weiß-Rot-Karte oder eine Niederlassungsbewilligung ansuchen. Ersatzreisedokument Ein Ersatzreisedokument kann von den Zielländern ausgestellt werden, wenn keine Identitätspapiere (z.B. Reisepass) vorhanden sind. Die österreichischen Behörden bezeichnen das Ersatzreisedokument im Zusammenhang mit Abschiebungen als „Heimreisezertifikat“. Diese Benennung kann kritisch beleuchtet werden, da das Wort „Heimreise“ eine positive Assoziation hervorruft, wohingegen die Betreffenden selbst die Konsequenzen oftmals nicht als zu begrüßende „Reise in die Heimat“ wahrnehmen. EURODAC EURODAC ist eine europäische Datenbank, in der die Fingerabdrücke von Asylwerber_innen gespeichert werden. Sie wurde 2003 installiert (Vgl. European Commission 2017). Freiwillige Rückkehr Siehe: „Angeordnete Rückkehr“ Fremdenpolizeiliches Verfahren Dem fremdenpolizeilichen Verfahren (Stand 31.12.2012) liegt das Fremdenpolizeigesetz 2005 zu Grunde. Es sind drei aufenthaltsbeendende Verfahren zu unterscheiden: Das Rückkehrentscheidungsverfahren, das Ausweisungsverfahren und das Aufenthaltsverbotsverfahren. Zu den Zuständigkeiten im Verfahren: Das Bundesministerium für Inneres (BMI) ist die oberste Sicherheitsbehörde. Ihr nachgeordnet sind die Bezirksverwaltungsbehörden als Erstinstanzen. Das sind die Bundespolizeidirektionen (BPD)6, die Magistrate7 oder die
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In den Statuarstädten Eisenstadt, Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Linz, Salzburg, Steyr, St. Pölten, Villach, Wels, Wien, Wiener Neustadt und in den Städten Leoben und Schwechat.
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In den übrigen Statuarstädten: Krems und Waidhofen an der Ybbs.
238 | I RREGULÄRE L EBEN Bezirkshauptmannschaften (BHs) (vgl. Winkler 2011: 91). In den Bundespolizeidirektionen ist das fremdenpolizeiliche Referat als Fremdenpolizeibehörde die entscheidende Instanz in den Verfahren. Berufungen zu Entscheidungen der Fremdenpolizeibehörde, die EW-Bürger_innen, Schweizer Bürger_innen oder begünstigte Drittstaatsangehörige betreffen, gehen an den Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) (§ 9 Abs 1 Z 1 FPG 2005 BGBl l 38/2011). Der UVS wurde 1991 in jedem Bundesland eingerichtet und ist zur „Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung berufen (Artikel 120 B-VG)“ (s. http://www.uvs.at/, abgerufen am 05.05.2012). Berufungen gegen Rückkehrentscheidungen werden ebenfalls vom UVS bearbeitet (§ 9 (1a) FPG 2005). In allen anderen Fällen entscheidet die Sicherheitsdirektion über Berufungen (§ 9 [1] 2 FPG 2005). Vor 2011 (ehemals § 53 FPG 2005) waren die Sicherheitsdirektionen auch für Entscheidungen über Berufungen gegen die Ausweisung Drittstaatenangehöriger ohne Aufenthaltstitel, die von Rückkehrentscheidungen betroffen sind, zuständig (vgl. Winkler 2011: 60f.). Gegen eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot von Drittstaatsangehörigen spricht eine Aufenthaltsverfestigung. Nach § 64 FPG 2005 BGBl l 38/2011 ist dann von einer Aufenthaltsverfestigung zu sprechen, wenn der oder die Drittstaatsangehörige vor dem maßgeblichen Sachverhalt die Voraussetzungen für eine Staatsbürgerschaft erfüllt hat oder er beziehungsweise sie „von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist“ (§ 64 Abs 1 Z 2 FPG 2005 BGBl l 38/2011). Daneben gibt es noch einige Bestimmungen, die den Unterhalt (§ 62 Abs 2 FPG 2005 BGBl l 38/2011) und die öffentliche Ordnung und Sicherheit (§ 62 Abs 3, 4 und 5 FPG 2005 BGBl l 38/2011) betreffen. Laut § 13 Abs 2 des FPG sind in jedem Stadium einer fremdenpolizeilichen Amtshandlung Art 2, 3 und 8 EMRK besonders zu beachten. Bei allen drei Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung wird geprüft, ob der Eingriff in das Privat- oder Familienleben nach Art 8 EMRK dringend geboten ist, um die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral oder den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer zu erreichen (§ 61 FPG 2005 BGBl l 38/2011). Würde das Privat- und Familienleben nicht bloß vorübergehend verletzt werden, ist eine BGBl l 38/2011Rückkehrentscheidung oder Ausweisung auf Dauer unzulässig (§ 61 Abs 3 FPG 2005). Die Abschiebung oder Zurückschiebung ist besonders dann unzulässig, wenn dadurch das Leben oder die Unversehrtheit der betreffenden Person ernsthaft verletzt werden würde: gemäß Art 2 oder 3 EMRK oder dem Protokoll Nr. 6 oder 13 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe. Dieser Hinderungsgrund wird als „Refoulementverbot“ bezeichnet (vgl. §§ 50 und 51 FPG 2005 BGBl l 38/2011).
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Bei einer Rückkehrentscheidung (§ 52 Abs 1 FPG 2005 BGBl l 38/2011), einer Ausweisung und einem Aufenthaltsverbot ist die betreffende Person verpflichtet, sofort auszureisen (§ 70 Abs 1 FPG 2005 BGBl I 38/2011). Die Behörden müssen Personen, gegen die eine Rückkehrentscheidung oder eine Ausweisung erlassen wurde, über deren Ausreiseverpflichtung informieren (§ 58 FPG 2005 BGBl l 38/2011). In manchen Fällen wird ein Durchsetzungsaufschub von höchstens drei Monaten erteilt, das heißt, die betreffende Person muss erst innerhalb der nächsten drei Monate ausreisen (§§ 71 und 80 FPG 2005 BGBl l 38/2011). Eine Abschiebung kann erfolgen, nachdem die Fremdenpolizeibehörde festgestellt hat, dass der oder die Abzuschiebende einer Ausreiseaufforderung nicht nachgekommen ist oder wenn die Behörde befürchtet, dass er oder sie nicht ausreist, wenn die Überwachung der Ausreise für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit als notwendig erscheint oder wenn er oder sie nach einem Einreise- oder Aufenthaltsverbot wieder nach Österreich zurückkehrt ist (§ 46 Abs 1 FPG 2005 BGBl l 38/2011). Heimreisezertifikat Siehe: „Ersatzreisedokument“ Identitätspapiere Dokumente, die die Identität bezeugen, wie etwa Personalausweis und Reisepass. Integrationsvereinbarung Die „Integrationsvereinbarung“ wurde in der Integrationsvereinbarungs-Verordnung (2005) gesetzlich festgeschrieben. Hierin sind Leistungen bestimmt, welche Drittstaatsangehörige erbringen müssen, wie etwa die Absolvierung von Deutschkursen, den Nachweis von Kenntnissen der österreichischen Landeskunde, der Geschichte und des Rechtssystems. Die Integrationsvereinbarung setzt sich aus zwei aufeinander aufbauenden Modulen zusammen. Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn ein Deutsch-Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen wurde, ein Nachweis über „vertiefte elementare Sprachkenntnisse“ (§ 14 Abs 2 Z1 NAG 2005 BGBl I 38/2011) vorliegt, die Person über einen Schulabschluss verfügt, der der Universitätsreife oder dem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht, oder sie einen Aufenthaltstitel Rot-Weiß-Rot-Karte besitzt (§ 14a Abs 4 NAG 2005 BGBl I 38/2011). Irreguläre Migrant_innen Siehe: „Unautorisierte Migrant_innen“
240 | I RREGULÄRE L EBEN Irregulärer Aufenthalt Kein legaler Aufenthaltsstatus Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) Das NAG betrifft sämtliche Drittstaatsangehörigen, die länger als sechs Monate in Österreich bleiben wollen, und sämtliche EWR-Bürger_innen, die länger als vier Monate in Österreich leben wollen (Hanik 2011: 11-13). Abschiebungen können also während oder in Anschluss an ein negativ abgeschlossenes Verfahrens zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung oder einer Rot-Weiß-Rot-Karte (in Folge kurz: NL-Verfahren) erfolgen. Niederlassungsbewilligung Die Niederlassungsbewilligung (vor dem FrÄG 2011 war dieser Titel ähnlich der Niederlassungsbewilligung beschränkt, vgl. Hanik 2011: Abs 25) genehmigt eine befristete Niederlassung (§ 8 Abs 1 Z 3 NAG 2005 BGBl l 38/2011), die Ausübung einer Erwerbstätigkeit jedoch nur mit einer extra Beschäftigungsbewilligung vom AMS (Hanik 2011: 25). Um einen Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) sollte grundsätzlich bei der österreichischen Botschaft vom Ausland aus angesucht werden. Sind gewisse Voraussetzungen gegeben, können Drittstaatsangehörige auch im Inland um einen Aufenthaltstitel ansuchen. Die zuständige Behörde ist in allen Bundesländern der Landeshauptmann oder die Landeshauptfrau, beziehungsweise die von ihm oder ihr ermächtigte Behörde (Bezirkshauptmannschaft bzw. Magistrat). Nach dem NAG gibt es absolute Versagungsgründe, die eine Erteilung eines Aufenthaltstitels jedenfalls ausschließen (vgl. Abermann 2007: 31). Diese sind: (a) Das Vorliegen einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 11 Abs 1 Z 4 NAG 2005 BGBl I 38/2011); (b) eine vorliegende Bestrafung für die Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßige Einreise in das Bundesgebiet in den letzten zwölf Monaten (§ 11 Abs 1 Z 6 NAG 2005 BGBl I 38/2011); (c) ein gültiges Aufenthaltsverbot, ein Rückkehrverbot oder eine Rückkehrentscheidung Österreichs oder eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz (§ 11 Abs 1 Z 1 und 2 NAG 2005 BGBl I 38/2011), (d) eine „Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts“ (§ 11 Abs 1 Z 5 NAG 2005 BGBl I 38/2011); (e) eine Ausweisung und Ausreise innerhalb der letzten 18 Monate (ausgenommen sind jene Personen, die ihrer Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen und vom Ausland aus einen NL-Antrag gestellt haben (§ 11 Abs 1 Z 3 NAG 2005 BGBl I 38/2011). Darüber hinaus gibt es relative Voraussetzungen, die eine Erteilung eines Aufenthaltstitels prinzipiell möglich machen, mit deren Vorliegen jedoch kein Rechtsanspruch verbunden ist (vgl. Abermann 2007: 31): (a) Der Aufenthalt der antragsstellenden Person darf nicht öffentlichen Interessen widersprechen (§ 11 Abs 2 Z 1 NAG 2005 BGBl I 38/2011); (b)
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durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels dürfen „die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat […] nicht wesentlich beeinträchtigt werden“ (§ 11 Abs 2 Z 5 NAG 2005 BGBl I 38/2011). (c) die antragsstellende Person muss eine adäquate Unterkunft und einen Krankenversicherungsschutz nachweisen (§ 11 Abs 2 Z 2 und 3 NAG 2005 BGBl I 38/2011), ihr Aufenthalt darf zu keiner finanziellen Belastung der Gebietskörperschaft führen (§ 11 Abs 2 Z 4 NAG 2005 BGBl I 38/2011), und im Fall eines Verlängerungsantrages muss sie das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllen (§ 11 Abs 2 Z 6 NAG 2005 BGBl I 38/2011). Wird kein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt, gibt es noch die Möglichkeit einer Berufung, über die der/die Bundesminister_in für Inneres entscheidet. Bei den Aufenthaltstiteln für besonders berücksichtigungswürdige Fälle, welche die Mehrheit der betreffenden Personen ausmachen, ist keine Berufung möglich. Im NAG ist nirgends zu finden, dass mit einem negativen Abschluss des Niederlassungsverfahrens eine extra Ausreiseaufforderung, eine Ausweisung, ein Aufenthaltsverbot oder eine Rückkehrentscheidung verbunden sei. Es bleiben jedoch jene Rechtstitel aufrecht, die schon vor dem Verfahren galten. Das heißt, wenn eine Person vor dem Antrag auf Niederlassung nicht rechtmäßig in Österreich aufhältig war bzw. eine Ausweisung erlassen war, ist eine Abschiebung sowohl während des Verfahrens als auch nach dem negativ abgeschlossenen Verfahren grundsätzlich zulässig. Außerdem sind die Daten in einem zentralen Fremdenregister verwaltet. Die Daten werden von den Fremdenpolizeibehörden nach dem NAG und dem FPG gemeinsam mit dem Bundesasylamt und dem Asylgerichtshof verarbeitet (§ 102 Abs 1 FPG 2005 BGBl l 38/2011), wodurch die Fremdenpolizeibehörde Einblick in die Entscheidungen der Niederlassungsbehörde hat. Niederlassungsbewilligung für „besonders berücksichtigungswürdige Fälle“ Für Fälle, die im Gesetz als „besonders berücksichtigungswürdig“ (§§ 41a Abs 10 und 43 Abs 4 NAG 2005 BGBl l 38/2011) bezeichnet werden, gibt es Ausnahmeregelungen. Diese Regelungen sind das Resultat der Änderungen der früheren „Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen“ (§ 73 NAG 2005 BGBl l 38/2011). 2009 wurde ein Antragsrecht für die betreffenden Personen geschaffen, das zuvor nicht möglich gewesen war. Ein eigenständiger humanitärer Aufenthaltstitel ist seit 2009 nicht mehr im NAG verankert. Auch wenn eine Ausweisung oder eine Überschreitung des erlaubten Aufenthalts (§ 11 Abs 1 Z 3 und 5 NAG 2005 BGBl l 38/2011) vorliegt, ist bei „besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ unter gewissen Umständen die Erteilung einer Rot-Weiß-RotKarte plus oder einer Niederlassungsbewilligung möglich beziehungsweise für die Behörde sogar verpflichtend. (a) Eine Niederlassungsbewilligung muss erteilt werden, wenn dies „zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist“ (§ 43 Abs 3 Z 2 NAG 2005 BGBl l 38/2011) und wenn kein gültiges Aufenthaltsverbot, Rückkehrverbot
242 | I RREGULÄRE L EBEN oder keine Rückkehrentscheidung oder eine Aufenthaltsehe, -partnerschaft oder -adoption vorliegt (§ 43 Abs 3 Z 1 NAG 2005 BGBl l 38/2011). (b) Bei gleichen Gegebenheiten muss eine Rot-Weiß-Rot-Karte plus erteilt werden, wenn zusätzlich die antragsstellende Person das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausübt (§ 21a Abs 9 Z 3 NAG 2005 BGBl l 38/2011). (c) Eine Niederlassungsbewilligung kann erteilt werden, wenn die antragsstellende Person 1. „nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist und 2. mindestens die Hälfte des Zeitraums des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist“ (§ 43 Abs 4 NAG 2005 BGBl l 38/2011). Dabei hat die Behörde auch „den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen“ (§ 43 Abs 4 NAG 2005 BGBl l 38/2011). (d) Bei gleichen Voraussetzungen kann eine Rot-Weiß-Rot-Karte plus erteilt werden, wenn zusätzlich die antragsstellende Person Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausübt (§ 21a Abs 10 Z 3 NAG 2005 BGBl l 38/2011). Auch die Art und Dauer der Erwerbstätigkeit muss von der Behörde berücksichtigt werden (§ 21a Abs 10 NAG 2005 BGBl l 38/2011). Wenn eine Ausweisung erst nach einem Antrag auf Niederlassung oder Rot-Weiß-RotKarte plus eingeleitet wurde und wenn die Erteilung einer Niederlassung oder Rot-WeißRot-Karte plus wahrscheinlich ist, wird unter Umständen von einer Abschiebung während des Niederlassungs-Verfahrens abgesehen. Bei jenen Personen, die seit dem 1. Mai 2004 in Österreich leben und zumindest die Hälfte des Zeitraumes rechtmäßig aufhältig waren (und bei Antrag auf die Rot-Weiß-Rot-Karte plus das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt haben oder erwerbstätig sind), wird sehr wahrscheinlich keine Abschiebung durchgeführt. Rot-Weiß-Rot-Karte Die Rot-Weiß-Rot-Karte (vor dem FrÄG 2011 war dieser Titel ähnlich der „Niederlassungsbewilligung – Schlüsselkraft“, vgl. Hanik 2011: Abs 23) ermöglicht eine befristete Niederlassung (§ 8 Abs 1 Z 1 NAG 2005 BGBl I 38/2011) für jeweils ein Jahr (ebd.: Abs 26) und zur „Ausübung einer Erwerbstätigkeit, für die eine schriftliche Mitteilung oder ein Gutachten gemäß §§ 12d oder 24 AuslBG erstellt wurde“ (§ 8 Abs 1 Z 1 NAG 2005 BGBl I 38/2011). Rot-Weiß-Rot-Karte Plus Die Rot-Weiß-Rot-Karte plus (vor dem FrÄG 2011 war dieser Titel ähnlich der Niederlassungsbewilligung – unbeschränkt, vgl. ebd.: 24) ermöglicht eine befristete Niederlassung
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auf ein Jahr, die Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit und einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt (§ 8 Abs 1 Z 2 NAG 2009 BGBl l 38/2011; ebd.: 24, 26). Rückkehrentscheidung Siehe: „Fremdenpolizeiliches Verfahren“ Bei einer Rückkehrentscheidung hat die Berufung eine aufschiebende Wirkung: Die Person darf nicht sofort abgeschoben werden. Diese aufschiebende Wirkung muss jedoch bei bestimmten Bedingungen aufgehoben werden: Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, Rückkehr in das Bundesgebiet trotz Einreiseverbot, bestehende Fluchtgefahr (§ 57 (1) FPG 2005 BGBl l 38/2011). Rückkehrhilfe Siehe: „Angeordnete Rückkehr“ Schengen-Raum Der Schengen-Raum umfasst die EU-Mitgliedstaaten und vier Staaten, die nicht der EU angehören (Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz), mit unterschiedlichen Sonderregelungen. Der Schengen-Raum basiert auf dem Schengener Abkommen (1995 von Österreich unterzeichnet). Dabei wird auf Kontrollen des Personenverkehrs verzichtet. Stichprobenkontrollen hinter den Landesgrenzen werden durchgeführt. Die Kontrolle an den Außengrenzen gegenüber „Drittstaaten“ erfolgt nach einheitlichen Standards. Hilfsmittel dafür ist das Schengener Informationssystem (SIS). Für nähere Informationen s. http://europa.eu/legislation_summaries/justice_freedom_security/free_movement_of_pers ons_asylum_immigration/l33020_de.htm, abgerufen am 10.10.2013. Schengener Abkommen Siehe: „Schengen-Raum“ Schubhaft Der Zweck der Schubhaft ist es, „ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes und die Abschiebung, Zurückschiebung oder Durchbeförderung sicherzustellen. Schubhaft stellt keine Strafhaft oder eine richterlich verordnete Haft dar, sondern wird lediglich von der Verwaltungsbehörde per Bescheid ausgesprochen und durchgesetzt. Die Schubhaft sollte laut Gesetz grundsätzlich so kurz wie möglich dauern, längstens aber zwei Monate. Die Schubhaft kann auf sechs Monate ausgedehnt werden, wenn die Identität nicht geklärt ist, wenn ein Antrag auf Unzulässigkeit der Festnahme im Laufen ist oder die notwendigen Ein- und Durchreisepapiere nicht vorhanden sind oder nicht rechtzeitig beschafft werden können.“ (HELP.gv.at 2014)
244 | I RREGULÄRE L EBEN Jene Person, welche zur Sicherung der Abschiebung oder Zurückschiebung in Schubhaft genommen wurde (vgl. § 76 Abs 1 FPG 2005 BGBl l 38/2011) oder welche mit dem Ziel der Abschiebung festgenommen wurde, kann sofort abgeschoben werden. Gegen die Verhängung von Schubhaft sowie gegen eine Festnahme oder Anhaltung kann beim UVS Beschwerde eingelegt werden. Trotz einer Beschwerde kann die Person während des laufenden Berufungsverfahrens abgeschoben werden (§§ 82 und 83 FPG 2005 BGBl l 38/2011). Wenn die Voraussetzungen für die Schubhaft nicht oder nicht mehr gegeben sind und die betreffende Person sich noch in Haft befindet, ist sie freizulassen (§ 81 Abs 1 FPG 2005 BGBl l 38/2011). In den Fällen, in denen auf Grund eines Strafrechtsverstoßes die betroffene Person schon in Haft in einer Justizanstalt ist, kann sie gleich aus der Haft heraus abgeschoben werden In Deutschland wird statt „Schubhaft“ das Wort „Abschiebehaft“ verwendet; die rechtlichen Bestimmungen sind zum Teil anders als in Österreich. Subsidiärer Schutz Ein subsidiärer Schutz wird laut Asylgesetz dann gewährt, wenn das Leben oder die Unversehrtheit des Lebens einer Person in ihrem Herkunftsstaat ernsthaft bedroht ist. Erhält eine Person den Status der subsidiär Schutzberechtigten, erhält sie ein vorübergehendes und verlängerbares Einreise- und Aufenthaltsrecht. § 8 Abs 1 AsylG 2005 BGBl l 38/2011 lautet: „Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen, 1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder 2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.“ Erlischt der Status des subsidiären Schutzes, kann die Person abgeschoben werden. Denn ein subsidiärer Schutz ist, mit der Möglichkeit auf Verlängerung, mit einer auf ein Jahr befristeten Aufenthaltsberechtigung verknüpft (§ 8 Abs 4 AsylG 2005 BGBl I 38/2011). Eine Person, deren Ausweisung auf Dauer unzulässig ist, erhält gemäß § 44a NAG 2005 BGBl I 38/2011 eine Niederlassungsbewilligung. Überwachte Abschiebung Bei der einfachsten Form der Abschiebung wird die betreffende Person von der Polizei nur bis zur Grenze (bei einer Landabschiebung) oder bis zum Betreten des Flugzeuges (bei einer Flugabschiebung) überwacht.
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Unautorisierte Migrant_innen Menschen, die über einen längeren Zeitraum ohne Aufenthaltsrecht in Österreich gelebt haben und zum Zeitpunkt der Erhebung von Abschiebung bedroht waren oder früher bedroht gewesen waren. Unterstützte Ausreise Siehe: „Angeordnete Rückkehr“ Unterstützte Rückkehr Siehe: „Angeordnete Rückkehr“ Zulassungsverfahren zu Asylverfahren Das Zulassungsverfahren ist dem eigentlichen Asylverfahren vorgeschaltet. Das vollständige Zulassungsverfahren wird von den Erstaufnahmestellen durchgeführt. In Österreich gibt es drei Erstaufnahmestellen (EASt): EASt Ost in Traiskrichen, EASt West in Thalham und EASt Flughafen am Flughafen Wien Schwechat. Die Erstaufnahmestellen gehören zum Bundesasylamt (BAA) und sind als solche dem Bundesministeriums für Inneres untergeordnet (BMI 2012a; Krainz 2011). Erstbefragungen im Rahmen eines Zulassungsverfahrens können aber auch von der Polizei (Organe des Sicherheitsdienstes oder einer Sicherheitsbehörde) durchgeführt werden (§§ 17 und 45 AsylG 2005 BGBl l 38/2011). Die Berufungsinstanz für Entscheidungen im Zulassungsverfahren ist der Asylgerichtshof (AsylGH). Ein Antrag auf Asyl kann im Zulassungsverfahren aus verschiedenen Gründen zurückgewiesen werden. Mit einer Zurückweisung ist eine Zurückschiebung verbunden. (1) Der Antrag wird zurückgewiesen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-II-Verordnung der EU für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist (§§ 4 und 5 AsylG 2005 BGBl l 38/2011). (2) Ein Antrag auf Asyl wird ohne weitere Prüfung abgewiesen, wenn a) die betreffende Person den Schutz einer Organisation der Vereinten Nationen genießt (ausgenommen UNHCR), b) ein Ausschlussgrund gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegt8,
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Diese Gründe sind: Dass die Person „ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begangen hat, dass die Person „ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes“ begangen hat, oder „dass sie sich Handlungen zu Schulden kommen [ließ], die den
246 | I RREGULÄRE L EBEN c) sie eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
d) die Person durch ein inländisches Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde (§ 6 AsylG 2005 BGBl l 38/2011). Die wichtigsten Gründe, die gegen eine Zurückschiebung wirksam werden können, sind Art 2, Art 3 und Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), auf welche im Asylgesetz verwiesen wird. Bei jedem negativen Bescheid muss geprüft werden, ob im Falle einer Zurückschiebung das Leben der asylsuchenden Person bedroht ist oder ihr Familienleben unverhältnismäßig stark beeinträchtigt wäre. Eine mögliche Verletzung von Art 2, Art 3 oder Art 8 EMRK verhindert eine Zurückschiebung. Zurückschiebung Eine Zurückschiebung ist die Folge eines negativen Ausgangs eines Zulassungsverfahrens zum Asylverfahren. Das Zulassungsverfahren ist im Asylgesetz geregelt (AsylG 2005). Eine Zurückschiebung erfolgt auf Grund bilateraler Abkommen in einen Nachbarstaat Österreichs. Die Polizei zwingt Personen zur Ausreise, nachdem sie innerhalb von sieben Tagen nach einer nicht rechtmäßigen Einreise oder nach Ende des Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet aufgegriffen wurden, oder wenn ein anderes Land die Personen auf Grund eines Übernameabkommens oder einer internationalen Verpflichtung innerhalb von sieben Tagen zurücknehmen muss. Zurückschiebungen können auch innerhalb von EU-Grenzen erfolgen. Beispielsweise ist es Asylwerber_innen normalerweise nicht erlaubt, in ein anderes EU-Land zu reisen. Überschreitet nun ein_e Asylwerber_in etwa die italienischösterreichische Grenze, kann diese Person binnen 24 Stunden von der lokalen Bundespolizei nach Italien zurückgeschoben werden. Sobald ein Antrag in einem Zulassungsverfahren negativ entschieden wird, kann der/die Asylsuchende zurückgeschoben werden: entweder in das angenommene Herkunftsland selbst oder in einen Dublin-Staat, durch den die Person gereist ist oder in dem sie sich aufgehalten hat, bevor sie nach Österreich gekommen ist. Es kann eine Berufung beim Asylgerichtshof (AsylGH) eingebracht werden. Eine solche Berufung hat aber nicht von Vornherein aufschiebende Wirkung, sondern muss vom Asylgerichtshof erst zuerkannt werden. Zuerkennt der Asylgerichtshof die aufschiebende Wirkung, ist eine Zurückschiebung erst erlaubt, wenn der erstinstanzliche negative Bescheid bestätigt wird (§ 36 AsylG 2005 BGBl l 38/2011).
Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen“ (Genfer Flüchtlingskonvention 1951, Art 1 F, UNHCR 2015a).
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L ITERATURVERZEICHNIS
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Erläuterung Beamter/Mitarbeiter einer Behörde/Entscheidungsträger Beamter/Mitarbeiter einer Behörde/Entscheidungsträger Behördenmitarbeiter auf nationaler Ebene Mitarbeiter auf einer höheren Funktionsebene einer lokalen Fremdenpolizeibehörde Menschenrechtsexpertin
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Exp. Philipp P. Mig. Alex A. Mig. Anna E.
Menschenrechtsexperte Ehemals unautorisierter Migrant Abschiebungsgefährdete/unautorisierte Migrantin, Mutter von Lena E. Mig. Lena E. Abschiebungsgefährdete/unautorisierte Migrantin, Tochter von Anna E. Mig. Marie G. Abschiebungsgefährdete/unautorisierte Migrantin Mig. Sophie F. Ehemals unautorisierte Migrantin Mig. Thomas U. Abschiebungsgefährdeter/unautorisierter Migrant Mig. Viktor A. Abschiebungsgefährdeter/unautorisierter Migrant NPO Fabian O. Mitarbeiter einer Non-Profit-Organisation im Bereich Asyl und Migration, Kollege von Laura O., Interview wurde gemeinsam geführt NPO Jakob J. Mitarbeiter einer Non-Profit-Organisation im Bereich Asyl und Migration mit juristischer Fachausbildung NPO Laura O. Mitarbeiterin einer Non-Profit-Organisation im Bereich Asyl und Migration, Kollegin von Fabian O., Interview wurde gemeinsam geführt. NPO Mia Q. Mitarbeiterin einer Non-Profit-Organisation im Bereich Asyl und Migration, nationale Ebene NPO Sarah C. Mitarbeiterin einer Non-Profit-Organisation im Bereich Asyl und Migration mit juristischer Fachausbildung NPO Stefan S. Mitarbeiter einer Non-Profit-Organisation im Bereich Asyl und Migration, nationale Ebene Unt. David I. Private Person, die abschiebungsgefährdete Menschen unterstützt Unt. Lisa U. Private Person, die einen abschiebungsgefährdeten Menschen unterstützt Unt. Nina V. Private Person, die einen abschiebungsgefährdeten Menschen unterstützt Unt. Simon M. Private Person, die abschiebungsgefährdete Menschen unterstützt Unt. Tobias D. Private Person, die abschiebungsgefährdete Menschen unterstützt Prot. Netzwerk Protokoll vom Treffen eines zivilgesellschaftlichen Netzwerks in der Bundeshauptstadt Prot. Unt. [JahrMonat] Protokolle von Treffen einer lokalen Gruppe von Unterstützer_innen von abschiebungsgefährdeten Menschen
A NHANG
V ERZEICHNIS Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4:
Tabelle 5: Tabelle 6:
DER
T ABELLEN
UND
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ABBILDUNGEN
Kriterien zur Auswahl der Interviewpartner_innen Überblick über die Forschungsaktivitäten Anzahl der Ausreiseaufforderungen zwischen 2008 und 2015 in Österreich Abschiebungen, Dublin-Überstellungen und angeordnete („freiwillige“) Rückkehr abgelehnter Asylwerber_innen, absolut und prozentualer Anteil, im Jahresvergleich 2005-2010 Aufgefundene Drittstaatenangehörige mit illegalem Aufenthalt in Österreich Anzahl der Drittstaatsangehörigen in Österreich, die zur Ausreise aufgefordert wurden, deren tatsächliche Ausreise („Rückkehr“) jedoch nicht bestätigt wurde, 2008-2015
Abbildung 1: Graphische Darstellung der „Responsible Action“ von Barry Barnes Abbildung 2: EU-weiter Vergleich zwischen 2015 zur Ausreise aufgeforderten und nach Ausweisung in ihren Herkunftsstaat oder einen Drittstaat ausgereisten Drittstaatsangehörigen Abbildung 3: Abschiebungen und Zurückschiebungen 2002-2015 Abbildung 4: Anzahl der Zurückschiebungen, Abschiebungen, angeordneten Rückkehrungen und bestätigten „freiwilligen Ausreisen“ Abbildung 5: Catch-22 des irregulären Aufenthalts: Statuszuweisungen und deren Konsequenzen für die Ausprägung von Catch-22 Abbildung 6: Ablauf der tatsächlichen Außerlandesbringung Abbildung 7: Asylverfahren (Stand Dez. 2012) Abbildung 8: Überblick über behördliche oder gerichtliche Verfahren im Vorfeld einer Ab- oder Zurückschiebung
31 34 66
73 93
96
45
66 69
71
100 228 232 235
Soziologie Uwe Becker
Die Inklusionslüge Behinderung im flexiblen Kapitalismus 2015, 216 S., kart. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3056-5 E-Book PDF: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3056-9 EPUB: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-7328-3056-5
Gabriele Winker
Care Revolution Schritte in eine solidarische Gesellschaft 2015, 208 S., kart. 11,99 E (DE), 978-3-8376-3040-4 E-Book PDF: 10,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3040-8 EPUB: 10,99 E (DE), ISBN 978-3-7328-3040-4
Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.)
Die Welt reparieren Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis 2016, 352 S., kart., zahlr. farb. Abb. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3377-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation ISBN 978-3-8394-3377-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Soziologie Carlo Bordoni
Interregnum Beyond Liquid Modernity 2016, 136 p., pb. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3515-7 E-Book PDF: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3515-1 EPUB: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-7328-3515-7
Sybille Bauriedl (Hg.)
Wörterbuch Klimadebatte 2015, 332 S., kart. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3238-5 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3238-9
Mathias Fiedler, Fabian Georgi, Lee Hielscher, Philipp Ratfisch, Lisa Riedner, Veit Schwab, Simon Sontowski (Hg.)
movements. Journal für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung Jg. 3, Heft 1/2017: Umkämpfte Bewegungen nach und durch EUropa April 2017, 236 S., kart. 24,99 E (DE), 978-3-8376-3571-3
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