Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive: Zum kompetentiellen Verhältnis von Normsetzung und Normanwendung [1 ed.] 9783428495023, 9783428095025

Die Frage, wie sich die öffentliche Verwaltung gegenüber einer von ihr als rechtswidrig angesehenen Norm verhalten soll,

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Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive: Zum kompetentiellen Verhältnis von Normsetzung und Normanwendung [1 ed.]
 9783428495023, 9783428095025

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MATTHIAS WEHR

Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 761

Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive Zum kompetentiellen Verhältnis von Normsetzung und Normanwendung

Von Matthias Wehr

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Wehr, Matthias:

Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive : zum kompetentiellen Verhältnis von Normsetzung und Normanwendung / von Matthias Wehr. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 761) Zugl.: Würzburg, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09502-2

Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09502-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Für Gabriela

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 1997/98 von der Juristischen Fakultät der Bayerischen Juhus-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation angenommen. Mein herzlicher Dank gilt an erster Stelle Herrn Professor Dr. Franz-Ludwig Knemeyer, der mir als seinem Assistenten neben der wissenschaftlichen Freiheit auch den erforderlichen zeitlichen Freiraum gewährt hat. Herr Professor Dr. Bernhard Kempen hat das Zweitgutachten dankenswerterweise in bemerkenswert kurzer Zeit erstellt. Meine Kollegin Maren Wittzack hat die Entstehung der Arbeit mit kritischem Interesse begleitet. Aus den Diskussionen mit ihr habe ich manche Anregung gewonnen. Nicht zuletzt danke ich Herrn Professor Dr. jur. h.c. Norbert Simon für die Aufnahme der Arbeit in sein Verlagsprogramm.

Würzburg, im April 1998

Matthias Wehr

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

19

I. Die Fragestellung

19

Π. Der Begriff „Normverwerfung"

21

ΠΙ. Der Gang der Untersuchung

21 1. T e i l

Die materiellrechtliche Grundlage der Normverwerfung

24

1. Kapitel Rangordnung der Normen und Kollisionsrecht I. Grundzüge der Rangordnung der Rechtsnormen 1. Innerstaatliche Rangordnung

25 25 26

2. Rangordnung im Bundesstaat

27

3. Der Rang autonomen Rechts (Satzungen)

27

Π. Normkonkurrenzen und Normkollisionen 1. Konkurrenz und Kollision von Rechtsnormen a) Normkonkurrenzen b) Normanwendungskollisionen c) Normsetzungskollisionen 2. Kollisionsnormen und kollidierende Normen ΙΠ. Konkurrenz- und Kollisionsregeln 1. Konkurrenzregeln 2. Kollisionsregeln

28 28 29 29 30 31 ....32 32 34

2. Kapitel Die Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Normen I. Einleitung II. Nichtigkeitsdogma und Vemichtbarkeitstheorie

36 36 37

nsverzeichnis

10 1. Einführung

37

2. Rechtsfolgenbestimmung als Kompetenzproblem

38

a) Richterliches Prüfungsrecht und Nichtigkeitsdogma

39

b) Differenzierung der Fehlerfolgen

41

III. Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Oberblick 43 IV. Untergesetzliche Rechtsnormen

46 3. Kapitel

Europäisches Gemeinschafts recht und nationales Recht

48

I. Das Verhältnis zwischen Europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht 48 1. Der Vorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts

48

2. Die materielle Höherrangigkeit

51

II. Kollisionslagen

53

1. Normsetzungskollisionen

53

2. Normanwendungskollisionen

54

a) Primäres Gemeinschaftsrecht

54

b) Unmittelbar anwendbare Richtlinien

55

3. Direkte und indirekte Kollisionen ΙΠ. Rechtsfolgen der Kollision von nationalem und Gemeinschaftsrecht

57 59

2. T e i l Meinungsstand und Kritik

62

7. Kapitel Normprüfungskompetenz der Exekutive? I. Meinungsstànd zur Prüfungskompetenz

63 63

1. Die Ablehnung der Prüfungskompetenz

63

2. Prüfungskompetenz und Gesetzesbindung

63

3. Die Ansicht Kabischs a) Die Stellung der Exekutive

65 66

b) Prüfungskompetenz und Selbstkontrolle

69

c) Prüfungszuständigkeit

69

II. Stellungnahme

71

nsverzeichnis

11

1. Verwaltungshandeln und Gesetzesbindung — das Gesetz als Verhaltensmaßstab für die Verwaltung 71 2. Prüfungsgegenstand und Prüfungsmaßstab 3. Normprüfung als notwendiges Element der Selbstkontrolle? a) Förmliche Gesetze als „Kompetenz"änderungen?

74 75 76

b) Normenkontrolle und Gesetzesbindung

77

c) Rechtswidrigkeit der Anwendung rechtswidriger Normen?

82

4. Die Feststellung von Normkollisionen

83

5. Antragsbefugnis der Exekutive in Normenkontrollverfahren als Gegenargument? 84 ΙΠ. Exkurs: Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen

85

IV. Zusammenfassung

86 2. Kapitel

Meinungsstand zur Verwerfungskompetenz

87

I. Einleitung und Literaturübersicht

87

Π. Die Verwerfung förmlicher Gesetze wegen vermuteter Verfassungswidrigkeit 1. Der Ausgangspunkt

88 88

2. Die Lösungsansätze

89

a) Die Theorie von der Verwerfungskompetenz b) Die Theorie von der Anwendungspflicht c) Die Theorie von der Aussetzung des Verfahrens

89 90 91

d) Die Theorie der eingeschränkten Verwerfungskompetenz e) Weitere Theorien

92 93

ΙΠ. Die Verwerfung untergesetzlicher Normen 1. Kompetenzverteilung innerhalb der Exekutive 2. Aspekt der Rechtssicherheit 3. Exkurs: Zur Behandlung fehlerhafter Bebauungspläne a) Schwerpunkte der Diskussion b) Rücknahme der Genehmigung c) Feststellung der Nichtigkeit durch die Gemeinde IV. Verwerfung nationaler Normen wegen Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht 1. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 2. Stimmen der Literatur a) Grundlage der Verwerfungspflicht b) Der Umfang der Verwerfungskompetenz c) Relevanz des nationalen Rechts

94 95 96 97 97 99 100 101 102 103 104 105 106

nsverzeichnis

12

3. Kapitel

Kritik

107

I. Rangordnung und Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Normen als Argument 108 II. Kompetenzen der Judikative

110

1. Konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG 2. Normenkontrollantragsrechte der Exekutive, Nr. 2GG III. Normsetzung und Normanwendung

110

insbesondere Art. 93 Abs. 1 113 115

1. Das Prinzip der Gewaltenteilung, Art. 20 Abs. 2S.2GG

115

a) Das „Wesen" der Verwaltung im Verhältnis zu Legislative und Judikative 116 b) Die Kembereichslehre

117

2. Die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit förmlicher Gesetze

118

3. Normverwerfung als Eingriff in die Kompetenz des Normgebers

119

3. T e i l Kompetenzen im Verfassungsprozeß

121

7. Kapitel Zum Begriff der Kompetenz

122

I. Aufgabe, Befugnis / Ermächtigung, Zuständigkeit

123

Π. Die Zweck-Mittel-Relation von Aufgabe und Befugnis

124

III. Kompetenzbegriffe

126 2. Kapitel Kompetenz und Staatsorganisation

I. Grundstruktur der Kompetenzordnung 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen a) Funktionale Gewaltenteilung (Funktionenunterscheidung) b) Organisatorische Gewaltenteilung c) Vertikale Gewaltenteilung d) Kommunale Selbstverwaltung 2. Organisation innerhalb der Gewalten II. Gründe und Ziele der Kompetenzordnung 1. Abgrenzung von Handlungsbereichen einzelner Organisationseinheiten

128 128 129 129 130 131 131 132 133 135

nsverzeichnis

13

a) Gewaltenteilung und Kernbereichslehre

135

b) Exklusivität von Kompetenzzuweisungen

137

2. Verwirklichungsmodus sachgerechter Aufgabenerfullung a) Gewaltenteilung als Element rationaler Staatsorganisation

138 139

b) Funktionsgerechtigkeit als Auslegungsgesichtspunkt und Abgrenzungsmerkmal 140 c) Konkretisierungsaufirag an den Gesetzgeber

141

d) Der normative Gehalt von Organ- und Funktionsadäquanz

142

3. Kapitel Kompetenzausübung als Konkretisierung im Entscheidungsprozeß

143

I. Relative Wirkbefugnisse im mehrstufigen Konkretisierungsprozeß

143

II. Kompetenzausübung durch Entscheidung

145

1. Kompetenz als Befugnis zu rechtsverbindlicher Entscheidung

145

2. Entscheidung als Prozeß - das „innere Verfahren"

145

a) Stationen des Entscheidungsprozesses

146

b) Inneres Verfahren als Medium der Konkretisierung

149

3. Äußeres Verfahren und Form der Entscheidung ΙΠ. Konkretisierung und Entscheidungsrichtigkeit

150 151

1. Zweck- und Rechtskonkretisierung

151

2. Kompetenzausübung als Rechtsentscheidung

152

3. Entscheidungsrichtigkeit als kompetentielles Problem

153

4. Kapitel Kompetenz und Verantwortung im Konkretisierungsprozeß I. Verantwortung als Komplement der Kompetenz 1. Verantwortung als Rechtsbegriff. 2. Umfang der Verantwortung a) Realisierungsverantwortung b) Rechtmäßigkeitsverantwortung im Entscheidungsprozeß c) Entscheidungsfolgenverantwortung 3. Grenzen der Verantwortung Π. Verantwortung und Kontrollkompetenz 1. Selbstkontrolle als Entscheidungselement 2. Entscheidung als Kontrollgegenstand ΙΠ. Voraussetzungen und Folgen kompetentiellen Vorrangs

155 155 156 157 158 159 160 161 162 162 163 164

14

nsverzeichnis 1. Bindungswirkung als kompetenzrechtlicher Grundsatz

164

a) „Tatbestandswirkung" bei Einzelfallentscheidungen

165

b) Grenzen von Rechts- und Bestandskraft

167

c) Entscheidung als Teil der Rechtsordnung?

168

d) Rechts- und bestandskraftunabhängige Bindung kraft Kompetenzverteilung 169 2. Konkretisierung und Modifizierung durch Gesetz und Verfassung

171

3. Bindung als Aufhebungs- und Abweichungsverbot

172

4. Kompetentieller Vorrang und Kontrollkompetenzen

173

a) Relativer Ausschluß der Kontrollkompetenz

173

b) Keine generelle Bindung an die Entscheidungsbegründung

174

5. Kapitel Kompetenzen im Verfassungsprozeß — Zusammenfassung des 3. Teils

175

4. T e i l Originäre oder akzessorische Verwerfungskompetenz

180

1. Kapitel Normsetzung und Normanwendung im Prozeß der Rechtskonkretisierung I. Kompetenzverhältnis nach Art. 20 Abs. 3 GG 1. Zum Verhälüiis der Legislative zu Judikative und Exekutive

180 181 181

a) Art. 20 Abs. 3 GG als Grundentscheidung

181

b) Modifizierung derrichterlichen Gesetzesbindung

182

c) Keine Modifizierung der exekutiven Gesetzesbindung

183

2. Keine originäre Verwerfungskompetenz der Exekutive im Hinblick auf förmliche Gesetze 184 3. Exekutive Normsetzung und Normanwendung 186 a) Keine Verwerfungskompetenz des Normadressaten

186

b) Irrelevanz des organisatorischen oder kompetentiellen Verhältnisses im übrigen 187 c) Keine Normverwerfung aufgrund der Nonnsetzungskompetenz II. Umfang und Grenzen der Argumentation 1. Anwendungspflicht statt Prüfungs- und Verwerfungskompetenz

188 189 189

2. Der „Anwendungsvorrang" der konkreteren Norm und Kompetenzkonflikte zwischen Normgebem 190

nsverzeichnis a) Rangordnung und Konkretisierungszusammenhang

15 190

b) Auflösung des Konkretisierungszusammenhangs

191

c) Kompetenzkonflikte zwischen Normgebern

192

3. Zusammenfassung

193 2. Kapitel

„Akzessorische" Verwerfungskompetenz I. Prinzipale Normenkontrollen

194 194

1. Parallelfälle

195

2. Parallelnormen

196

Π. Inzidente gerichtliche Normverwerfung

198

ΙΠ. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs

198

1. Anwendungsfalle

198

2. Verfahren und Entscheidungswirkungen

199

a) Vertragsverletzungsverfahren

200

b) Vorabentscheidungsverfahren

200

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

201

Literaturverzeichnis

206

Sachverzeichnis

223

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. Abs. Abt. a.E. a.F. AöR BauGB BauR BayBG BayGO BayLStVG BayVBl. BayVGH BBauG BBG BerlVerfGH BFH BFHE BGB BGH BK BRRG BV BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE B-VG DÖV DVB1. EG EGV EuGH EuGRZ EuR FS

anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Abteilung am Ende alte Fassung Archiv des öffentlichen Rechts Baugesetzbuch Baurecht Bayerisches Beamtengesetz Bayerische Gemeindeordnung Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetz Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bundesbaugesetz Bundesbeamtengesetz Berliner Verfassungsgerichtshof Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Bonner Kommentar Beamtenrechtsrahmengesetz Bayerische Verfassung Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundesverfassungsgesetz Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Europäische Gemeinschaften) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechtszeitschrift Europarecht Festschrift

Abkürzungsverzeichnis FusVO GewArch GG GVG Habil.-Schr. HdbStR HS. JA jew. JöR Jura JuS JZ KSE LAG MEPolG m.w.N. n.F. NJW NVwZ NVwZ-RR OVG PolG RAO Rs. Rspr. seil. Slg. st. StPO Tz. VerwArch VGH Vorbem. VR WDStRL VwGO VwVfG ZPO ZRP Zweitbearb.

2 Wehr

17

Fusionsverordnung Gewerbeachiv Grundgesetz Gerichtsverfassungsgesetz Habilitationsschrift Handbuch des Staatsrechts Halbsatz Juristische Arbeitsblätter jeweils Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kölner Schriften zum Europarecht Lastenausgleichsgesetz Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder mit weiteren Nachweisen neue Fassung / neue Folge Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift fur Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht — Rechtsprechungsreport Oberverwaltungsgericht Polizeigesetz Reichsabgabenordnung Rechtssache Rechtsprechung scilicet Sammlung ständig(e) Strafprozeßordnung Textzeichen Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof Vorbemerkung Verwaltungsrundschau Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zweitbearbeitung

Einleitung L Die Fragestellung 1. Die Frage, wie sich die öffentliche Verwaltung gegenüber einer von ihr als rechtswidrig erachteten Rechtsnorm verhalten soll, gehört zu den bislang noch ungeklärten Grundfragen des Verfassungs- und Verwaltungsrechts. Nach dem Streit um das richterliche Prüfungs- und Verwerfungsrecht, der unter der Geltung der Weimarer Verfassung ausgetragen wurde 1 und durch die ausdrücklichen Bestimmungen des GG (vgl. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3, 93 Abs. 1 Nr. 2, 97 Abs. 1, 100 Abs. 1, 3 GG) heute beigelegt ist, rückt heute die entsprechende Problematik im Hinblick auf die Exekutive in den Vordergrund 2. Wurde die Thematik — ausgelöst durch gegenläufige Aussagen des Bundesfinanzhofs 3 und des Bundesverfassungsgerichts 4 — zunächst vorrangig in bezug auf verfassungswidrige formelle Gesetze behandelt5, hat sich die Diskussion in den vergangenen 20 Jahren vertieft untergesetzlichen Normen zugewandt. Dies entspricht einem durchaus praktischen Bedürfnis: So hat insbesondere die Fehleranfälligkeit kommunaler Bauleitplanung zu einer großen Zahl rechtswidriger Bebauungspläne gefuhrt und die Frage aufgeworfen, wie sich die mit deren Vollzug betrauten Behörden zu verhalten haben. In jüngster Zeit gewinnt vor dem Hintergrund der „Europäisierung des Verwaltungsrechts" die Behandlung europarechtswidriger nationaler Normen an Bedeutung, eine 1

Maurer, Richterliches Prüfungsrecht, DÖV 1963, 683 ff. Die historische Entwicklung des Verwerfungsrechts der Exekutive hat Hall (Die Prüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit durch die Verwaltung, 1963; dersHistorische Anmerkungen, DVB1. 1965, 556 ff) umfassend behandelt. Auf eine erneute Darstellung soll deshalb verzichtet werden. 3 BFH v. 12.12.1958 — III 332/58 S — BFHE 68, 361, 364 mit der These, daß „im parlamentarischen demokratischen Rechtsstaat die gesetzgebenden Organe die verfassungsmäßigen Grundrechte der Bürger zu achten gewillt" seien, deshalb ein ordnungsmäßig erlassenes und verkündetes Gesetz die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit für sich habe und aus diesem Grunde die Verwaltung an einer Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit hindere. ^ BVerfG v. 21.2.1961 — 1 BvR 314/60 — BVerfGE 12, 180 ff. insbes. 186 f.: „(Der Grundsatz der Gewaltenteilung) zwingt nicht zum Vollzug eines Gesetzes, das wahrscheinlich für nichtig erklärt werden muß (..)". 5 Vgl. den Oberblick unten, 2. Teil. 2. Kap., II., S. 88. 2

20

Einleitung

Problematik, die zwar nicht neu ist, doch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur unmittelbaren Anwendbarkeit nicht oder nicht zureichend umgesetzter Richtlinien erheblich an praktischer Relevanz gewonnen hat. 2. Die vorgeschlagenen Lösungen umfassen nahezu alle denkbaren Alternativen: Sie reichen von einer „grundsätzlichen" Verwerfungspflicht über die Forderung nach der Aussetzung des Verfahrens bis hin zu einer „grundsätzlichen" Verpflichtung der Anwendung auch fehlerhafter Normen, mit Einschränkungen und Abstufungen im Detail. Erschwert wird ein Konsens nicht zuletzt durch die Tatsache, daß keine der objektiv gegebenen Möglichkeiten im Ergebnis wirklich befriedigend zu sein scheint, da eine letzte und endgültige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Norm von der öffentlichen Verwaltung ohnehin nicht zu fallen ist. Auch im Bereich untergesetzlichen Rechts, das von einem Exekutivorgan erlassen worden ist, kann mit der Kompetenz zur Aufhebung einer für rechtswidrig erachteten Norm lediglich das Problem der Nonngeltung gelöst werden. Die Aufhebung aber beseitigt diese auch dann, wenn ein Verstoß gegen höherrangiges Recht nicht vorgelegen hat. — Je nach Standpunkt räumt man der Exekutive entweder die Kompetenz ein, ein — letztlich womöglich doch — gültiges Gesetz nicht anzuwenden (Verwerfungskompetenztheorie), oder man verpflichtet sie, sehenden Auges ein — schließlich tatsächlich — rechtswidriges Gesetz zu vollziehen (Nichtverwerfungskompetenztheorie). Die scheinbar den „goldenen Mittelweg" beschreitende These von der Kompetenz, das Verfahren bis zu einer endgültigen Klärung auszusetzen, kommt angesichts der Dauer, die diese Klärung regelmäßig beansprucht, in vielen Fällen der Nichtanwendung gleich und kann infolgedessen ebenfalls keine befriedigende Lösung darstellen. 3. Die bisherigen Darstellungen beschränken sich regelmäßig (ausdrücklich oder doch der Sache nach) entweder auf Parlamentsgesetze oder auf untergesetzliche Normen bzw. beschäftigen sich entweder mit Nonnkollisionen innerhalb des nationalen Rechts oder zwischen diesem und europäischem Recht. Für die Verwaltung aber macht es zunächst keinen Unterschied, welchen Rang die (möglicherweise) fehlerhafte Norm hat oder aus welchem Grunde sie fehlerhaft ist. Es ist aus diesem Grunde ein Anliegen der vorliegenden Untersuchung, die Gemeinsamkeiten der jeweiligen Konstellationen zu behandeln, die nach Ansicht des Verfassers — und entgegen der weitaus überwiegenden Meinung — durchaus bestehen. Der hier verfolgte Lösungsansatz ist somit einerseits, nämlich im Hinblick auf die Gesamtheit der für die Verwaltung relevanten Kollisionsfalle, weiter als die herkömmliche Betrachtungsweise. Andererseits aber beschränkt sich die Untersuchung eben wegen der Konzentration auf das allen Kollisionen Gemeinsame darauf, eine Antwort auf die

Einleitung gestellte Frage allein nach deutschem (Verfassungs-) Recht zu geben. Spezifisch europarechtliche Gesichtspunkte werden nur insoweit aufgegriffen, als sie dem Problemverständnis dienen bzw. zur Darstellung des Meinungsstandes unabdingbar sind.

II. Der Begriff „Normverwerfung" Der zentrale Begriff dieser Untersuchung, der der „Normverwerfung", ist, wenngleich er gelegentlich auf Kritik stößt6, der für das behandelte Problem gängige Ausdruck,.der dementsprechend auch hier Verwendung finden soll. Von einer Verwerfung kann immer nur die Rede sein bei (aus welchen Gründen auch immer) rechtswidrigen Normen wegen ihrer Rechtswidrigkeit. Es gibt zwei Formen der Verwerfung, die prinzipale und die inzidente: Bei der prinzipalen Normverwerfung ist die fragliche Norm Gegenstand des Verfahrens und der Entscheidung. Die Verwerfung besteht in der Feststellung der Rechtswidrigkeit und/oder Nichtigkeit des überprüften Rechtssatzes. Dies ist etwa der Fall bei gerichtlichen Normenkontrollverfahren, seien sie verfassungsgerichtlicher oder verwaltüngsgerichtlicher Art. Die prinzipale Verwerfung von Normen ist nur möglich, wenn und soweit die Rechtsordnung ein entsprechendes Verfahren zur Verfügung stellt. Demgegenüber ist die inzidente Normverwerfung nur vereinzelt — etwa in Art. 100 Abs. 1 GG — normativ ausgestaltet bzw. vorausgesetzt. Dieser Begriff bezeichnet die bloße Nichtanwendung einer Norm in einem Verfahren, in dem die Rechtmäßigkeit oder Gültigkeit des fraglichen Rechtssatzes lediglich eine Vorfrage ist. In dieser Untersuchung wird mit dem Begriff „Verwerfung" stets diese inzidente Normverwerfung angesprochen. Synonym dazu werden auch die Bezeichnungen „Nichtanwendung" oder "Nichtbeachtung" verwendet.

III. Der Gang der Untersuchung Das hier erörterte Problem besitzt zwei Aspekte: den materiellrechtlichen und den kompetentiellen. Zu Beginn soll die materiellrechtliche Grundlage der 6 Schmidt-Aßmann, Rechts- und Gesetzesbindung, in: Festschrift f. Stern, S. 745, 758, Fußn. 42, bezeichnet dies etwa als „Dramatisierung".

22

Einleitung

Normverwerfung dargestellt werden (1. Teil). Die Ausführungen im 1. Kapitel zur Rangordnung der Normen (II.) zur Differenzierung von Normkonkurrenzen und Normkollisionen (III.) sowie die Behandlung der Konkurrenz- und Kollisionsregeln (IV.) dienen der näheren Eingrenzung der Problemlage, indem sie die Situation formulieren, bei der eine Normverwerfüng in Rede stehen kann. Ferner wird der Kreis der behandelten Konfliktfalle näher abgegrenzt. Im 2. Kapitel folgen Ausführungen zu den Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Normen. Die Nichtanwendung einer Norm im Einzelfall kann materiellrechtlich grundsätzlich nur gerechtfertigt sein, wenn der Rechtsverstoß zu einer Suspendierung des Geltungsanspruchs der Norm führt. Umfang und Grenzen dieser Suspendierung sollen an dieser Stelle dargestellt werden. Das 3. Kapitel widmet sich dem besonderen Verhältnis von Europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht. Auf dieser Grundlage wird im 2. Teil der Meinungsstand zur Verwerfüngskompetenz referiert und einer kritischen Würdigung unterzogen. Das erste Kapitel stellt die allgemein postulierte Normprüfüngskompetenz in Frage. Besonderes Gewicht wird dabei der Frage zugemessen, in welcher Situation eine inzidente Verwerfung von Rechtsnormen durch die Verwaltung überhaupt möglich ist, was Gegenstand und Maßstab einer Normprüfung der Exekutive ist und welche Konsequenzen hieraus für ihr Verhalten zu ziehen sind. Das zweite Kapitel bietet eine umfangreiche Aufarbeitung des Meinungsstandes zur Verwerfungskompetenz und zeigt die Fülle der Ansatzpunkte im bisherigen Schrifttum auf. Daran schließt sich (3. Kapitel) eine Kritik an, in der der Nachweis zu erbringen versucht wird, daß die bisher wesentlichen Argumentationsgrundlagen — die materiellrechtliche Frage der Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit einerseits, der Umfang der Kompetenzen der Gerichtsbarkeit andererseits — zur Bestimmung des Umfangs der Exekutivkompetenzen keine erschöpfende Antwort zu geben vermögen, vielmehr auf das Verhältnis von Normsetzungs- und Normanwendungskompetenz abzustellen ist. Der dritte Teil widmet sich der Frage, welche Bedeutung der Einräumung von Kompetenzen für das jeweilige Organ selbst und im Verhältnis zu anderen Organen zukommt. Nach einer begrifflichen Einordnung (1. Kapitel) wird der Zusammenhang von Kompetenz und staatlicher Organisation erläutert (2. Kapitel). Das 3. Kapitel stellt die Ausübung von Kompetenzen als Rechtskonkretisierung im Entscheidungsprozeß dar. Im Anschluß daran wird das kompetentielle Verhältnis zwischen unterschiedlichen staatlichen Organen untersucht. Insbesondere soll beschrieben werden, in welcher Weise und anhand welcher Kriterien Kompetenzen voneinander abzugrenzen sind und welche Konsequenzen die Wahrnehmung von Kompetenzen für andere Organe nach sich ziehen (4. Kapitel).

Einleitung

Damit sind die theoretischen Grundlagen für die Antwort auf die Frage nach einer Verwerfungskompetenz der Verwaltung bereitet. Darauf geht der abschließende vierte Teil der Untersuchung ein.

1.

Teil

Die materiellrechtliche Grundlage der Normverwerfung

Für die Beantwortung der Frage, ob die Verwaltung zur Nichtanwendung oder Nichtbeachtung einer von ihr für rechtswidrig gehaltenen Norm befugt ist, sind mindestens zwei Problembereiche auseinanderzuhalten. Der zuerst behandelte betrifft die materiellrechtliche Seite, nämlich die Bestimmung des Begriffs der Rechtswidrigkeit von Normen und deren Konsequenzen. Der zweite Komplex thematisiert die Frage der Kompetenzordnung und wird im 3. Teil 1 ausführlicher behandelt. Grundlage für die Bezeichnung eines Gesetzes als rechtswidrig ist die Rangordnung der Normen; erst der Verstoß gegen eine höherrangige Norm kann die Rechtswidrigkeit begründen. Unvereinbarkeiten von Normen gleichen Ranges sind grundsätzlich im Wege der Auslegung zu beseitigen. In diesem Zusammenhang muß genauer geklärt werden, wann überhaupt eine relevante Rechtswidrigkeit vorliegt. Dies soll zunächst allgemein mit der Unterscheidung von Nonnkonkurrenzen und Normkollisionen behandelt werden. Innerhalb der Normkollisionen ist weiter zu unterscheiden nach der Art der Kollision. Diese Differenzierung wird im weiteren Verlauf der Untersuchung noch eine Rolle spielen. Ferner ist noch darzustellen, welche Sanktion die Rechtsordnung gegen rechtswidrige Rechtsnormen vorsieht. Die Problematik der Verwerfüngskompetenz stellte sich nicht, wenn Rechtsverstöße von Rechtsnormen allgemein ohne Konsequenzen blieben. Ob sich aus den Fehlerfolgen tatsächlich Argumente für oder gegen die Annahme einer Verwerfüngskompetenz ergeben, wird im Rahmen der Kritik an den bislang vertretenen Thesen an anderer Stelle behandelt2. Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist dem besonderen Verhältnis von nationalem und europäischem Gemeinschaftsrecht unter dem Aspekt der Rangordnung und der Folgen der Kollision ein eigenes Kapitel vorbehalten 3.

1 2 3

Siehe unten, S. 121 ff Siehe dazu 2. Teil. 3. Kap., I., S. 108 ff Siehe unten, 3. Kap., S. 47 ff.

1. Kap.: Rangordnung der Normen und Kollisionsrecht

25

7. Kapitel

Rangordnung der Normen und Kollisionsrecht L Grundzüge der Rangordnung der Rechtsnormen Die deutsche Rechtsordnung wird durch eine Vielzahl von Rechtssätzen gebildet, die von unterschiedlichen Rechtsetzungsorganen verschiedener Rechtsträger normiert werden 4. Zur Gewährleistung der Einheit der Rechtsordnung muß es Regeln geben, die im Falle der Unvereinbarkeit zweier Normen Antwort auf die Frage geben, welche von beiden Geltung beansprucht5. Dies richtet sich nach dem Rang der jeweiligen Vorschrift, die wiederum grundsätzlich mit Stellung und Autorität des Urhebers der Norm im Staatsaufbau korrespondiert 6. Dieser formelle Rangbegriff besitzt jedoch nur innerhalb einer Rechtsordnung Gültigkeit, in der die normsetzenden Organe hinsichtlich der Normsetzungskompetenz in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Für das Verhältnis mehrerer (Teil-)Rechtsordnungen zueinander, etwa von Bundes- und Landesrecht 7, supranationalem und nationalem Recht8, gilt eine andere Rangordnungsreihe 9. Die Bedeutung der Rangfrage erschöpft sich jedoch nicht in ihrer Maßgeblichkeit für die Bewältigung von Unvereinbarkeiten. Die Rangordnung der Normen bezeichnet die Stufung der Geltungskraft von Rechtssätzen10 (jmaterieller Rangbegriff) und gibt Auskunft darüber, welche Normen (nämlich die höherrangigen) den Maßstab für die Rechtmäßigkeit sowie für die Interpre4

Überblick über die „Rechtsquellen im demokratischen Rechtsstaat" bei Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR ΙΠ, § 61; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 25. 5 Diederichsen, Rangverhältnisse, in: Starck, Rangordnung, S. 39 ff., 42; Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 61 Rdnr. 62. 6 Vgl. Di Fabio, Richtlinienkonformität, NJW 1990, 947, 951; Renck, Lex posterior derogat legi priori, JZ 1970, 770, 771; Wolff/BachoflStober, Verwaltungsrecht I, § 26 Rdnr. 2. Das hat etwa zur Folge, daß Rechtsverordnungen von Landesorganen stets Landesrecht sind, auch wenn sie auf einer bundesgesetzlichen Ermächtigung beruhen, vgl. BVerfG v. 23.3.1965 — 2 BvN 1/62 — BVerfGE 18,407,414 ff 7 Siehe sogleich unten 2., S. 27. 8 Vgl. fur das Verhältnis von nationalem und Europäischem Gemeinschaftsrecht unten 3. Kap., I.2., S. 51 ff. 9 Zu den beiden Rangordnungsreihen Starck, Einführung, in: ders., Rangordnung, S. 9 ff, 10 f. 10 Wolff/BachoßStober, Verwaltungsrecht I, § 26 Rdnr. 2; a.A. Christoph Böckenförde, Sogenannte Nichtigkeit, S. 32, der nur ein formales Rangverhältnis rechtsetzender Organe anerkennt.

26

1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Normerwerfung

tation anderer Regelungen bilden. Bereits die Auslegung eines Rechtssatzes muß dessen Stellung im Gefüge der Normen berücksichtigen 11 („konforme Auslegung" 12 ). Auf diese Weise lassen sich ggf. (scheinbare) Widersprüche beseitigen.

1. Innerstaatliche Rangordnung An der Spitze der innerstaatlichen Rechtsquellenhierarchie steht das Grundgesetz, das Leitbild und Maßstab allen hoheitlichen Handelns, also auch der normsetzenden Tätigkeit ist (Vorrang der Verfassung 13). Ihm folgen die vom Parlament verabschiedeten förmlichen Gesetze nach 14 . Rechtsverordnungen stehen — als Ergebnis der Ausübung abgeleiteter Rechtssetzungsgewalt (Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG) 1 5 — grundsätzlich 16 in der Stufe unter Parlamentsgesetzen17. Der Rang der Rechtsverordnungen untereinander bestimmt sich nach dem Verhältnis der normgebenden Stellen im Staatsaufbau 18.

11

Di Fabio , Richtlinienkonformität, NJW 1990, 947, 949; Stern, Staatsrecht ffl/2, § 90 II 3 a), S. 1148; Wolff/Bachofl Stober, Verwaltungsrecht I, § 28 Rdnr. 57; kritisch Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 20 f. 12 Schilling, Rang und Geltung von Normen, S. 473 f. 13 Hierzu Wahl, Vorrang der Verfassung, NVwZ 1984, 401 ff.; zu Verfassungsnormen unterschiedlicher Geltungskraft vgl. nur Stern, Staatsrecht I, § 4 Π, S. 113 ff. 14 Außer Betracht bleiben die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die nach Art. 25 S. 2 GG den Gesetzen vorgehen und somit eine Mittelstellung zwischen diesen und dem Grundgesetz einnehmen (vgl. Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 25 Rdnr. 6 m.w.N.; a.A. — Ranggleichheit mit dem Grundgesetz — Streinz, in: Sachs, GG, Art. 25 Rdnr. 85). 15 Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 64, Rdnr. 14. 16 Eine Ausnahme wird z.T. fur Rechtsverordnungen aufgrund außerordentlicher, im Verteidigungsfall erlassener Bundesgesetze angenommen, die gem. Art. 115k Abs. 1 GG entgegenstehendes Recht, also auch Bundesgesetze suspendieren sollen; so Wolff/ BachoflStober, Verwaltungsrecht I, § 25 Rdnr. 25; a.A. dagegen Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 115 k (1970), Rdnr. 37, Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 115 k, Rdnr. 5, wonach Art. 115 k Abs. 1 GG die Rangordnung der Normen unberührt läßt. 17 Die in Art. 119 GG enthaltene Ermächtigung zum Erlaß von Verordnungen mit Gesetzeskraft ist mittlerweile nicht mehr anwendbar (vgl. Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 119 Rdnr. 1). 18 Vgl. Schilling, Rang und Geltung von Normen, S. 409 f.; Wolff/Bachofl Stober, Verwaltungsrecht I, § 26 Rdnr. 13.

1. Kap.: Rangordnung der Normen und Kollisionsrecht

27

2. Rangordnung im Bundesstaat Die Rangordnung Verfassung — Parlamentsgesetz — Rechtsverordnung gilt im Bund und innerhalb jedes Bundeslandes. Das Verhältnis zwischen Bundesund Landesrecht kann sich nicht auf ein hierarchisches Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Normgebern beziehen. Es wird durch Art. 31 GG im Sinne eines Rechtsvorranges des Bundesrechts ausgestaltet19. Die genaue Reichweite des Art. 31 GG ist umstritten 20 . Dabei wird häufig nicht differenziert zwischen seiner Bedeutung als Rangordnungsregel und seiner Funktion als Konkurrenzund Kollisionsnorm 2\ Die an dieser Stelle interessierende Frage der Rangordnung geht dem Problem der Behandlung von Kollisionen vor; sie ist von entscheidender Bedeutung für die korrekte Anwendung der maßgeblichen Konkurrenz· oder Kollisionsregel, doch ebenso wichtig für die Auslegung von Gesetzen allgemein, da hierbei auch die systematische Stellung der Norm im Gefüge der Rechtssätze zu berücksichtigen ist. Als Regelung der Rangordnung bestimmt Art. 31 GG generell den Vorrang allen Bundesrechts vor Landesrecht. Damit ist zunächst nur gesagt, daß Bundesrecht jeder Stufe Landesrecht jeder Stufe im Rang vorgeht, ebenso wie etwa Parlamentsgesetze generell ranghöher sind als Rechtsverordnungen. Bedeutung und Anwendungsbereich des Art. 31 GG als Konkurrenz- und Kollisionsregel werden unten 22 näher beleuchtet.

3. Der Rang autonomen Rechts (Satzungen) Rechtssätze, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihnen vom Staat verliehenen Autonomie erlassen werden, stehen im Rang unter staatlichen Normen 23 . Für die mittelbare Staatsverwaltung ergibt 19

Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in. Isensee/Kirchhof, HdbStR ΙΠ, § 62 Rdnr. 3. Vgl. die Darstellung bei Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 99 Rdnrn. 26 ff. 21 Diese Unterscheidung ist z.B. angesprochen bei Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 Rdnr. 3. 22 Vgl. ΙΠ.2., S. 34 ff. 23 Speziell fiir das Verhältnis von Rechtsverordnung und Satzung Heintzen, Rangverhältnis, Verwaltung 29 (1996), 17 ff. — Sein Hinweis darauf (a.a.O., S. 40 f.), daß Satzungen des übertragenen Wirkungskreises mit staatlichen Rechtsverordnungen gleichrangig seien, der auf einer partiellen Verneinung des materiellen Rangbegriffs beruht, ist freilich problematisch: Bei Anerkennung von Rangunterschieden zwischen Rechtsverordnungen unterschiedlicher Verordnungsgeber (vgl. o. 1.1 a. E. bei Fußn. 18) fuhrt sie zu der merkwürdigen Konsequenz, daß Satzungen im übertragenen Wirkungskreis auf einer Stufe mit Verordnungen stehen, die ihrerseits auf verschiedenen

28

1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Normerwerfung

sich das bereits daraus, daß die Satzungsautonomie von staatlichem Recht abgeleitet ist 24 . Die verfassungsunmittelbare kommunale Selbstverwaltung und damit auch die Satzungsbefugnis der kommunalen Gebietskörperschaften ist gemäß Art. 28 Abs. 2 GG nur im Rahmen der (staatlichen25) Gesetze, und zwar jedweden Ranges26, gewährleistet. In der bundesstaatlichen Rechtsordnung teilt das autonome Recht den Rang, den die Rechtsordnung des Staates (Bund oder Land) einnimmt, dem die juristische Person angehört. Satzungen bundesunmittelbarer Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts gehen somit Landesrecht vor 27 .

IL Normkonkurrenzen und Normkollisionen 7. Konkurrenz und Kollision von Rechtsnormen Unter Normkonkurrenz wird hier das Zusammentreffen mehrerer Rechtssätze in dem Sinne verstanden, daß sich deren Tatbestände (teilweise) entsprechen und ein und derselbe Sachverhalt von ihnen erfaßt wird 2 8 . Der Begriff der Normkollision dagegen bezeichnet allgemein die Unvereinbarkeit einer Norm mit einer anderen, die für sie den Maßstab bietet. Bezogen auf den Normanwender kann man hierbei unterscheiden zwischen unmittelbaren Kollisionen {Normanwendungskollisionen) bei tatbestandlicher Übereinstimmung (Normkonkurrenz) und mittelbaren Kollisionen bei nicht-konkurrierenden Normen (Normsetzungskollisionen) 29.

Stufen stehen. Verneint man dagegen diese Rangunterschiede, so bedarf es einer Erklärung, warum der hierarchisch untergeordnete Normgeber nicht an die Norm der übergeordneten Stelle gebunden sein soll — m. E. ein nicht begründbares Ergebnis. 24 Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 61 Rdnr. 69. 25 Heintzen, Rangverhältnis, Verwaltung 29 (1996), 17, 34. 26 BVerfG v. 24.6.1969 — 2 BvR 446/64 — BVerfGE 26, 228, 237 = NJW 1969, 1843 ff; BVerfG v. 7.10.1980 — 2 BvR 584/76 — BVerfGE 56,298, 309 = NJW 1981, 1659 ff. zu Rechtsverordnungen. 27 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdnr. 34; Wolff/Bachofl Stober, Verwaltungsrecht I, § 26 Rdnr. 15. 28 Larenz, Methodenlehre, S. 266; vgl. auch Huthmacher, Vorrang des Gemeinschaftsrechts, S. 124 ff. 29 Eine einheitliche Terminologie existiert bislang nicht. Auf die Notwendigkeit der Trennung beider Formen von Kollisionen hat etwa Bettermann aufmerksam gemacht (Richterliche Gesetzesbindung, in: FS f. Eichenberger, S. 593, 601, Fußn. 18). Regelmäßig wird der Begriff der Normenkollision dem der Normkonkurrenz gleichgestellt oder

1. Kap.: Rangordnung der Normen und Kollisionsrecht

29

a) Normkonkurrenzen Bloße Normkonkurrenzen können in der Regel im Wege der Auslegung aufgelöst werden. Beispielsweise kann sich aus dem systematischen Zusammenhang unterschiedlicher Regelungen deren kumulative Geltung oder der Vorrang der einen vor der anderen Norm etwa als lex specialis ergeben. Im letzteren Fall stellt sich das Problem der „Verwerfungskompetenz" nicht. Denn der Nachrang der allgemeineren oder subsidiären Norm beruht nicht auf der (generell vermuteten) Rechtswidrigkeit, sondern auf der partiellen Unanwendbarkeit im konkreten Fall. Bloße Normkonkurrenzen sind nur tatbestandliche Konkurrenzen und werden auf Tatbestandsebene gelöst. Mit anderen Worten: Die Nichtanwendung der konkurrierenden Norm in concreto läßt deren generelle Anwendbarkeit unberührt; die Verwerfung einer Norm dagegen basiert auf der (Vermutung der) generelle(n) Unanwendbarkeit. Normkonkurrenzen in diesem Sinne können nicht nur bei Normen gleichen Ranges vorliegen 30 . Beispielsweise gelten die landesverfassungsrechtlichen Grundrechtsbestimmungen nach Maßgabe des Art. 142 GG neben denen des Grundgesetzes31. Sie existieren aber auch sonst bei der tatbestandlichen Übereinstimmung von Normen gleich welchen Ranges.

b) Normanwendungskollisionen Eine Normanwendungskollision liegt vor, wenn mehrere Normen sich an denselben Adressaten richten, einander tatbestandlich (teilweise) entsprechen (Normkonkurrenz), in den Rechtsfolgen jedoch (teilweise) widersprechen, ohne

auf einen Teilbereich derselben beschränkt (vgl. etwa BVerfG v. 29.1.1974 — 2 BvN 1/69 — BVerfGE 36, 342, 363, 366 = NJW 1974, 1181; Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 61 Rdnrn. 62 f.; Wolff/Bachofl Stober, Verwaltungsrecht I, § 26 Rdnr. 2); im hier behandelten Kontext kommt es jedoch darauf an, zunächst alle möglichen Unvereinbarkeiten begrifflich zu erfassen. Diese liegen nicht nur vor bei widersprüchlichen Normbefehlen gegenüber einem Adressaten (Normanwendungskollision), sondern bei allen zur Rechtswidrigkeit von Normen führenden Verstößen gegen die Rechtsordnung. — Zur Unterscheidung von direkten und indirekten Kollisionen von Europäischem Gemeinschafisrecht und nationalem Recht vgl. unten 3. Kap., II.3., S. 57. 30 Vgl. die Zusammenstellung bei Bodo-Falk Hoffmann, Normenkonkurrenzen, JA 1981 161 ff. 3 Zu den Grenzen der kumulativen Geltung von Bundes- und Landesgrundrechten näher Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 99 Rdnrn. 41 ff.

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Norm Verwerfung

daß eine Lösung auf Tatbestandsebene möglich ist. Aus der Sicht des Normanwenders sind Normanwendungskollisionen stets unmittelbare Kollisionen. In diesem Sinne können nur Normen unterschiedlichen Ranges miteinander kollidieren 32 .

c) Normsetzungskollisionen Eine Normsetzungskollision liegt vor bei Normen, die zwar nicht tatbestandlich konkurrieren, von denen jedoch eine den Maßstab für eine andere bietet, dem diese nicht genügt. Derartige Maßstabsnormen richten sich nur an den Normgeber, nicht an den Normanwender; im Unterschied zu Normanwendungskollisionen haben in diesem Falle die kollidierenden Rechtssätze unterschiedliche Adressaten. Für den Normanwender liegt nur eine mittelbare Kollision vor. Ob eine Norm in diesem Sinne den Maßstab für eine andere bildet, ist primär die Frage danach, an welche Rechtsätze der Urheber der Norm gebunden ist. Der Rang derartiger Maßstabsnormen ist für das Vorliegen einer Kollision zwar sekundär, nicht aber für die Frage der Rechtmäßigkeit der Norm. Soweit das rechtsetzende Organ an Normen gebunden ist, die der zu setzenden Norm im Rang nachgehen33, führt ein Verstoß gegen diese nur dann zur Rechtswidrigkeit, wenn gleichzeitig höherrangiges Recht verletzt ist. Solche Normsetzungskollisionen liegen stets dann vor, wenn die Vorschriften für das Normsetzungsverfahren mißachtet wurden, aber auch etwa dann, wenn der Umfang der Normsetzungskompetenz überschritten wurde, also in allen Fällen der formellen Rechtswidrigkeit einer Rechtsvorschrift. Darüber hinaus gibt es Normen, die materielle Maßstäbe für andere Vorschriften setzen, ohne daß eine Normkonkurrenz vorliegt. Ein Beispiel hierfür ist das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG, dem die Verfassungen der 32 Bei gleichrangigen Normen mit widersprüchlicher Rechtsfolgenanordnung liegt demgegenüber die stillschweigende Ersetzung der einen (früheren) durch die andere (spätere) vor; vgl. dazu unten in und bei Fußn. 40. 33 Maßstabsnormen in diesem Sinne sind beispielsweise die Vorschriften der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, die im Rang den Gesetzen nachgehen, gleichwohl aber bei dem Erlaß von Gesetzen zu beachten sind (BVerfG v. 6.3.1952 — 2 BvE 1/51 — BVerfGE 1, 144, 148 f. = NJW 1952, 537; Stern, Staatsrecht II, § 26 III 6 c), d), S. 83 f.). Soweit jedoch nicht zugleich wesenliche verfassungsrechtliche Förmlichkeiten verletzt sind, ist nach überwiegender Meinung ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung unbeachtlich, vgl. etwa Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 40 Rdnr. 7, m.w.N.; Stern, Staatsrecht II, §26 III 6 e), S. 84; BVerfG v. 14.10.1970 — 1 BvR 307/68 — BVerfGE 29, 221, 234 = NJW 1971, 365.

1. Kap.: Rangordnung der Normen und Kollisionsrecht

31

Länder genügen müssen. Gleiches gilt etwa für Richtlinien nach Art. 189 Abs. 3 EGV, die für den nationalen Gesetzgeber den Maßstab für die Umsetzung des vorgeschriebenen Ziels in nationales Recht bilden.

2. Kollisionsnormen

und kollidierende

Normen

Im Gegensatz zu bloßen Normkonkurrenzen führen Normkollisionen grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit der Norm, die gegen die Maßstabsnorm verstößt. Bei Normanwendungskollisionen ist dies stets die rangniedere Norm. Die Kenntnis der Rangordnungsregeln ist somit Voraussetzung zur Beurteilung der Kollisionslage. Die Rechtswidrigkeit einer Rechtsnorm kann sich insoweit nur in bezug auf ein höherrangiges Gesetz ergeben, mit der sie unvereinbar ist. Begrifflich läßt sich damit differenzieren zwischen der Maßstabsnorm als Kollisionsnorm, und der kollidierenden Norm, deren Verwerfung in Rede steht. Von der Vielfalt der möglichen Kollisionen sollen in dieser Untersuchung nur diejenigen behandelt werden, die sich auf von deutschen Hoheitsträgern gesetzte Rechtsnormen beziehen. Der Begriff der Rechtsnorm wird dabei grundsätzlich mit dem des Gesetzes im materiellen Sinne gleichgesetzt und bezeichnet jeden hoheitlichen, abstrakt-generellen Rechtssatz des Außenrechts 34. Als kollidierende Normen werden hierbei vorrangig formelle Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen berücksichtigt 35. Die Frage der Verwerfung internationalen, etwa Europäischen Gemeinschaftsrechts wird nicht erörtert 36. Dagegen finden als Kollisionsnormen neben den Gesetzen im formellen und materiellen Sinne auch die Vorschriften des Grundgesetzes und Rechtssätze des Europäischen Gemeinschaftrechts — das sind neben den Gründungsverträgen als primärem Gemeinschaftsrecht Verordnungen im Sinne des Art. 189 Abs. 2 EGV sowie Richtlinien gem. Art. 189 Abs. 3 EGV — Berücksichtigung 37.

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Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdnr. 3. Dem werden Regelungen gleichgestellt, die nur formal, aber nicht (zweifelsfrei) inhaltlich diesen Rechtsformen entsprechen, also etwa Gesetze im nur formellen Sinne. Gleiches gilt für Hoheitsakte, die zwar nicht der Form nach als Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung ergehen, jedoch materiell Rechtsnormen ähnlich sind, wie z.B. in einigen Bundesländern die Regionalpläne; dazu Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungsund Landesplanungsrecht, 1. Teil, III, Rdnrn. 22 ff. 36 Vgl. dazu Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 273 ff. 37 Entscheidungen im Sinne des Art. 189 Abs. 4 EGV werden nicht gesondert angesprochen; sie besitzen als Einzelfallregelungen — insoweit dem Verwaltungsakt nach 35

32

1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Normerwerfung

III. Konkurrenz- und Kollisionsregeln Im nationalen Recht existieren unterschiedliche Regeln zur Bewältigung von Normkonkurrenzen und Normanwendungskollisionen, die teils gewohnheitsrechtlich gelten, teils aber eine Positivierung erfahren haben. Anknüpfungspunkt zur Anwendung der Regeln ist nicht nur das Rangverhältnis zwischen den fraglichen Normen, sondern auch — und zwar vorrangig — der systematische gegenseitige Bezug. Das hat zur Konsequenz, daß es keine Regeln über die Anwendung der Konkurrenz· oder Kollisionsregeln auf den jeweiligen Fall gibt. Allenfalls läßt sich abstrakt von einem Vorrang der Konkurrenz- vor den Kollisionsregeln sprechen. Wann jedoch ein Fall der Konkurrenz oder ein Fall der Kollision vorliegt, ist eine Frage der Auslegung der entsprechenden Normen. Voraussetzung für die Anwendung von Konkurrenz- oder Kollisionsregeln ist grundsätzlich, daß die jeweiligen Normen — abgesehen von der Konkurrenz oder Kollision —jeweils rechtmäßig sind; m.a.W.: Voraussetzung ist grundsätzlich das Fehlen einer mittelbaren (Normsetzungs-)Kollision 38.

1. Konkurrenzregeln Sofern die Auslegung zweier den selben Sachverhalt regelnden Normen nicht deren kumulative Geltung ergibt, gilt entweder der Vorrang der speziellen vor der allgemeinen Norm oder — sofern sich ein Spezialitätsverhältnis nicht nachweisen läßt — der Vorrang des späteren vor dem früheren Gesetz. Der Satz „lex specialis derogat legi generali" findet auf alle Normen unabhängig

§ 35 VwVfG ähnlich — keinen Rechtssatzcharakter (vgl. nur Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rdnr. 23). Gleichwohl ist nicht zu verkennen, daß die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit staatengerichteter Entscheidungen diesen eine Bedeutung verleiht, die im hier behandelten Kontext in gleicher Weise die Frage der Verwerfung nationaler Normen aufwerfen. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit siehe unten 3. Kap., I.I., S. 49 f. Fußn. 114; zur Bedeutung fur die Verwerfung nationaler Normen siehe unten 3. Kap., III., S. 59 ff. 38 Dieser Satz gilt angesichts der Relativierungen, die das Verfahrensrecht — der Hauptanwendungsfall mittelbarer Kollisionen — durch Gesetzgebung und verfassungsgerichtliche Rechtsprechung erfahren hat, freilich nur eingeschränkt. Auf die Frage der Konkurrenz oder Kollision kann es theoretisch nur ankommen, wenn die fraglichen Normen vor der Rechtsordnung im übrigen Bestand haben, also auch dann, wenn Verfahrensfehler im Einzelfall unbeachtlich sind.

1. Kap.: Rangordnung der Normen und Kollisionsrecht

33

von ihrem Rangverhältnis Anwendung 39 . Dagegen ist der Satz „lex posterior derogat legi priori" nur auf Normen gleichen Ranges anwendbar 40. Auf der Ebene des Verfassungsrechts gilt jenseits der lex-specialis-Regel das Prinzip der praktischen Konkordanz 41 . Das Verhältnis von Bundesrecht zu nur konkurrierendem Landesrecht — also bei inhaltsgleichen Regelungen — ist strittig. Für landesverfassungsrechtlich gewählte Grundrechte, die mit den Grundrechten des Grundgesetzes übereinstimmen, ordnet Art. 142 GG die Weitergeltung an 42 . Darüber hinaus gilt auch sonstiges Landesverfassungsrecht, das mit Bundesrecht übereinstimmt, fort 43 . Anderes mit Bundesrecht übereinstimmendes Landesrecht wird dagegen gemäß Art. 31 GG grundsätzlich verdrängt 44.

39

Diese Derogation läßt sich zwar als Vorrangbildung begreifen, selbst wenn die fraglichen Normen formal ein und derselben Rangstufe angehören, vgl. Diederichsen, Rangverhältnisse, in: Starck, Rangordnung, S. 39 ff., 56 f. Sie bleibt jedoch die Lösung einer Konkurrenzlage, nicht einer Kollisionsiage. 40 Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 164; Renck, Lex posterior derogat legi priori, JZ 1970, 770 f. Die lex posterior-Regel wird hier generell als Konkurrenz- nicht als Kollisionsregel verstanden, da die frühere Norm durch die spätere nicht rechtswidrig, sondern schlicht ersetzt wird. Die lex posterior-Regel geht von der Vermutung aus, daß ein und derselbe Gesetzgeber für einen Sachverhalt vernünftigerweise nicht zwei einander ausschließende Rechtsfolgen anordnen will. Der Erlaß des späteren Gesetzes ist lediglich eine Neuregelung des von der früheren Norm erfaßten Sachverhalts. Die Nichtgeltung der früheren Norm ist somit auf ihre (stillschweigende) Aufhebung, nicht auf die Geltung der späteren zurückzufuhren (auch wenn beide Aspekte zusammentreffen). Eine Kollision im hier verwendeten Sinn liegt also nicht vor. 41 Ossenbühl, Gesetz und Recht in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 61, Rdnr. 71. Nach Renck, Lex posterior derogat legi priori, JZ 1970, 770, Fußn. 4 stellt Art. 123 Abs. 1 GG fur das Verhältnis von früherem (vorkonstitutionellem) Verfassungsrecht zum Grundgesetz indes eine positiv-rechtliche Regelung des lex-posterior-Satzes dar. Zu Art. 123 Abs. 1 GG als Kollisionsregel siehe unten 2., S. 34 f. 42 Diese Regelung wird zu Recht erstreckt auf grundrechtsgleiche Rechte (vgl. BVerfG v. 19.7.1967 — 2 BvR 639/66 — BVerfGE 22, 267, 271 = NJW 1967, 2151) sowie auf erst nach Inkrafttreten des Grundgesetzes geschaffene Landesgrundrechte, vgl. dazu Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 99, Rdnr. 42 m.w.N. 43 BVerfG v. 29.1.1974 — 2 BvN 1/69 — BVerfGE 36, 342, 366 = DVB1. 1974, 420 ff. für das Verhältnis von Grundgesetz und Landesverfassung; der zugrundeliegende Gedanke der Wahrung der Verfassungshoheit der Länder und der Vollständigkeit des Verfassungstextes, der die Staatlichkeit der Bundesländer betont, rechtfertigt auch landesverfassungsrechtliche Regelungen, die dem einfachen Landesgesetzgeber verwehrt sind, etwa im Bereich der Art. 73 - 75 GG, soweit sie mit dem Bundesrecht übereinstimmen (vgl. auch Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR IV, § 99 Rdnrn. 35, 39; a.A. etwa Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 Rdnr. 12; ders., Art. 142, Rdnr. 2 — Art. 142 GG als auf inhaltsgleiche Landesgrundrechte beschränkte Ausnahme zu Art. 31). Nach diesem Verständnis läßt sich Art. 142 3 Wehr

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Normerwerfung 2. Kollisionsregeln

Normanwendungskollisionen werden allgemein durch den Satz „lex superior derogat legi inferiori" aufgelöst. Der Rang bestimmt also den Vorrang. Dagegen bedarf es keiner allgemeiner Regeln für Normsetzungskollisionen, da bei ihnen nicht einander widersprechende Rechtsfolgen angeordnet werden. Es handelt sich dabei generell nicht um eine Frage des Rangverhältnisses zwischen den kollidierenden Normen, sondern um das Problem, welche Normen der Normgeber beachten muß 45 . Positivrechtlich sind in Art. 123 Abs. 1 GG und Art. 31 GG Teilinhalte des lex-superior-Satzes geregelt 46. Art. 123 Abs. 1 GG löst den Widerspruch zwischen vorkonstitutionellem Recht und dem Grundgesetz durch den Ausschluß der Fortgeltung des früheren Rechts. Konkurrenzen oder Kollisionen vorkonstitutionellen Rechts mit sonstigem Bundes- oder Landesrecht richten sich dagegen nach den allgemeinen Konkurrenz- oder Kollisionsregeln. Art. 31 GG löst Konflikte zwischen Bundes- und Landesrecht. Die exakte Bestimmung des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift als Kollisionsregel ist allerdings problematisch. Erfaßt werden jedenfalls nur Kollisionen von Normen, die „an sich" rechtmäßig sind. Durch die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen in Art. 70 ff. GG werden jedoch Kollisionslagen zwischen GG eine allgemeine Regelung der Konkurrenz von Landesverfassungs- und Bundesrecht entnehmen. Sonstige Konkurrenz- sowie die allgemeine Kollisionsregel ist dagegen in Art. 31 GG enthalten. 44 Vgl. Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 99 Rdnr. 38. Nur so kann Art. 142 GG als Ausnahmevorschrift zu Art. 31 GG verstanden werden. Da er nur Aussagen über gleichlautendes Landesrecht trifft, regelt er lediglich Normkonkurrenzen, nicht Normkollisionen. Demnach muß Art. 31 GG für diesen Fall etwas anderes als die Weitergeltung inhaltsgleichen Landesrechts anordnen, eben die Verdrängung durch Bundesrecht (a.A. Kunig, Rechtsprechende Gewalt, NJW 1994, 687, der Art. 31 GG ausschließlich Bedeutung für Kollisionen beimißt und Art. 142 GG deshalb für überflüssig hält). Ob dies zur „Nichtigkeit" des Landesrechts führt (so etwa Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 Rdnr. 13), oder ob dieses nach Aufhebung des Bundesrechts wieder auflebt, muß hier nicht entschieden werden. Angesichts der Besonderheit, daß inhaltsgleiches Recht nicht „rechtswidrig" ist, spricht einiges für die bloße Überlagerung ohne Aufhebungscharakter. Daß derartige Reaktionen der deutschen Rechtsordnung nicht fremd sind, zeigt die parallele Problematik des „Anwendungsvorrangs" des Gemeinschaftsrechts. 45 Vgl. Diederichsen, Rangverhältnisse, in: Starck, Rangordnung, S. 39 ff., 52: „Innerhalb des Stufenbaus der Rechtsordnung spielt die Rangfrage [...] nur dann eine Rolle, wenn das im Range nachgehende Normensystem eine Sachfrage entscheidet, zu der bereits das höherrangige Recht eine materielle Regelung getroffen hat" (Hervorhebung nur hierV Renck, Lex posterior derogat legi priori, JZ 1970, 770, 771.

1. Kap.: Rangordnung der Normen und Kollisionsrecht

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förmlichen Gesetzen weitgehend ausgeschlossen. Denkbar sind Konflikte jedoch beispielsweise bei der landesrechtlichen Ausfüllung bundesrechtlicher Rahmengesetze nach Art. 75 GG 4 7 , bei Landesrechtsverordnungen auf der Grundlage bundesrechtlicher Ermächtigungen sowie bei Satzungen landesrechtlicher juristischer Personen des öffentlichen Rechts im Rahmen von Bundesgesetzen, etwa im Bauplanungsrecht 48. Das hiergegen gerichtete Argument, bei solchen Kollisionen liege zugleich ein Kompetenzverstoß vor, so daß es eines Rückgriffs auf Art. 31 GG nicht bedürfe 49 , legt einen Kompetenzbegriff zugrunde, der die Grenzen von formeller und materieller Rechtmäßigkeit beseitigt. Unterscheidet man dagegen zwischen der (Gesetz-, Verordnungs-, Satzungsgebungs-) Kompetenz einerseits und ihrer materiell rechtmäßigen Ausübung andererseits, so eröffnet sich der genannte Anwendungsbereich für Art. 31 GG als Kollisionsnorm. In den beiden letztgenannten Fällen löst sich der Normwiderspruch auch nicht durch die Grundsätze des Vorrangs des Gesetzes vor Rechtsverordnungen und Satzungen50, da diese Grundsätze im Verhältnis von Bundes- zu Landesrecht gerade nicht gelten. Das Bundesgesetz ist nicht ranghöher, weil es ein Gesetz ist, sondern weil es Bundesrecht ist. Das aber ergibt sich wiederum (erst) aus Art. 31 GG.

47 Das wird allerdings überwiegend bestritten, vgl. z.B. Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 99 Rdnr. 29; Schilling, Rang und Geltung von Normen, S. 430. — Die hiervon abweichende Ansicht rechtfertigt sich aus der Überlegung, daß Gesetzgebungskompetenzen nach Art. 70 ff. GG gegenständlich bestimmt sind, was nicht ausschließt, daß bei ihrer Wahrnehmung inhaltliche Divergenzen zwischen Bundes- und Landesrecht auftreten können. Für diese greift Art. 31 GG ein. 48 Dies betrifft nur materiellrechtliche Verstöße, da bei Verfahrensvorschriften für die Satzungsgebung keine tatbestandliche Konkurrenz und somit keine Anwendungskollision vorhegt. 49 So Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, §99 Rdnr. 28. 50 So aber Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR IV, § 99 Rdnr. 28.

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der N o r m e r w e r f g 2. Kapitel

Die Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Normen L Einleitung M i t den bisherigen Ausführungen wurde eine erste Präzisierung des Themas vorgenommen, nämlich eine abstrakte Beschreibung der Rechtswidrigkeit von Rechtsnormen. Der zweite Aspekt der materiellrechtlichen Seite betrifft die Frage, welche Wirkung die Kollision auf die kollidierende Norm, genauer gesagt: auf deren Geltung, hat. Diese Frage läßt sich nicht aufgrund abstrakter rechtslogischer Deduktion unter Hinweis auf die Einheit der Rechtsordnung 51, die „Unverbrüchlichkeit der Verfassung" 52 oder den Stufenbau der Rechtsordnung mit der Derogation des kollidierenden Gesetzes53 durch die Kollisionsnorm beantworten. Diese Argumentationsansätze vermögen das Problem allenfalls zu umschreiben, nicht jedoch allgemein zu lösen — zumal sie, was kaum thematisiert wird 5 4 , lediglich unmittelbare (Normanwendungs-)Kollisionen betreffen, dagegen über die Folgen von mittelbaren (Normsetzungs-)Kollisionen nichts aussagen55. Sie füßen auf der Überlegung, daß in einer Rechtsordnung nicht einander widersprechende Rechtssätze gleichzeitig Geltung beanspruchen können und demzufolge die rangniedere Norm ungültig sein müsse56. Dieser Schluß ist indes nicht aus Gründen der Logik zwingend geboten57, da logische Sätze ihrer tautologischen Natur entsprechend keine normativen Aussagen zu treffen vermögen 58. Die Be51

So Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 189. Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 159 ff., 313. 53 Vgl. Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 189, 313; Stern, BK (Zweitbearb.), Art. 100 Rdnr. 141. 54 Siehe aber den Ansatz bei Christoph Böckenförde, Sogenannte Nichtigkeit, S. 30. 55 Mittelbare Kollisionen sind oben bezeichnet worden als Rechtsverstöße des Normgebers, die sich nicht als Unvereinbarkeiten zweier tatbestandlich übereinstimmender Normen auswirken (vor allem also Kompetenz- und Verfahrensverstöße). Hier greifen bereits die Kollisionsregeln nicht. Es liegt kein Widerspruch im Regelungsgehalt vor, der die Einheit der Rechtsordnung tangieren könnte. Dementsprechend liegt bereits kein logischer Widerspruch vor. 56 'Vgl. nur Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 73 ff, 189. 57 Bettermann, Richterliche Gesetzesbindung, in: FS f. Eichenberger, S. 593, 597; Moench, Verfassungswidriges Gesetz, S. 116 ff; daß die Derogationswirkung nicht zwingend zur Ungültigkeit des derogierten Gesetzes führt, zeigt sich etwa am Verhältnis des allgemeinen zum speziellen Gesetz, das die Gültigkeit beider voraussetzt und im übrigen unberührt läßt. Moench, Verfassungswidriges Gesetz, S. 116. 52

2. Kap.: Die Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Normen

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Stimmung einer Rechtsfolge ist jedoch normativer Natur 59 und muß sich somit aus dem gesetzten Recht erschließen lassen60.

Π. Nichtigkeitsdogma und Vernichtbarkeitstheorie 7. Einführung Nach deutscher Rechtstradition und überkommener Lehre hat die Rechtswidrigkeit eines Rechtssatzes deren Nichtigkeit zur Folge. Diese „Unwirksamkeit" oder „Unbeachtlichkeit" 61 tritt danach vom Zeitpunkt der Kollision an ipso iure ein, ohne daß es eines weiteren Aktes — der Judikative oder der Legislative — bedarf 62 . Das Nichtigkeitsdogma steht historisch und sachlich in engem Zusammenhang mit der Frage des richterlichen Prüfungsrechts 63 und bildet in gewisser Weise die Kehrseite fehlenden Rechtsschutzes gegen rechtswidrige Gesetze64: „Wo die alternative Sanktion der Vernichtbarkeit eines fehlerhaften Staatsaktes fehlt, bleibt nur noch die Wahl zwischen Nichtigkeit und Sanktionslosigkeit"65. Von dieser Warte aus gesehen, „bedarf" es unter der Geltung des Grundgesetzes mit der unmittelbaren Geltung der Grundrechte (Art. 1 Abs. 3), dem Rechtsschutzaufirag des Art. 19 Abs. 4, den in Art. 93 und 100 vorgesehenen verfassungsgerichtlichen Nomenkontrollmöglichkeiten sowie dem richterlichen Prüfungs- und Verwerfungsrecht in bezug auf untergesetzliche Normen 59 Zum Rechtssatzcharakter des Satzes „Verfassungswidrige Gesetze sind nichtig" vgl. Christoph Böckenförde, Sogenannte Nichtigkeit, S. 22. — Die österreichische Bundesverfassung sieht beispielsweise (in Art. 139 Abs. 2 und 140 Abs. 3 B-VG) die „Aufhebung" gesetzwidriger Verordnungen bzw. verfassungswidriger Gesetze durch den Verfassungsgerichtshof vor, die grundsätzlich erst mit ihrer Kundgabe wirksam wird. Vgl. dazu Christoph Böckenförde, Sogenannte Nichtigkeit, S. 38 f.; Söhn, Anwendungspflicht, S. 26 ff. 60 Siehe auch Bettermann, Richterliche Gesetzesbindung, in: FS f. Eichenberger, S. 593, 598; Moench, Verfassungswidriges Gesetz, S. 117. 61 Zur Vielschichtigkeit des Begriffs der „Nichtigkeit" vgl. nur Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rdnr. 16 m.w.N. Zur Terminologie vgl. Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 148 ff. Zu unterscheiden ist die ipso iure-Nichtigkeit von der Nichtigkeit „ex tunc". Jene beschreibt einen Modus, eine „Rechtstechnik", die Art und Weise, wie die Nichtigkeit „zustande kommt", in Abgrenzung zur „Vernichtung" durch einen besonderen Akt. Diese bezeichnet den Zeitpunkt, zu dem das geschieht. Zur Dogmengeschichte Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 23 ff. 64 Vgl. Ossenbühl, Fehlerlehre, NJW 1986,2805, 2807. 65 Ossenbühl, Fehlerlehre, NJW 1986,2805, 2807.

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der N o r m e r w e r f g

keiner Entscheidung zwischen ipso iure-Nichtigkeit und bloßer gerichtlicher Vernichtbarkeit rechtswidriger Normen 66 . Dem Nichtigkeitsdogma wurde die Lehre von der bloßen Vernichtbarkeit gegenübergestellt 67. Den Kern des Meinungsstreits bildet die Frage, ob im Grundgesetz, das keine allgemeine68 Aussage über die Rechtsfolge der Rechtswidrigkeit von Gesetzen trifft, eine normative Verankerung der einen oder anderen Position zu finden ist. Der praktisch außerordentlich bedeutsame Hintergrund liegt einerseits in der Problematik verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, die bei festgestellter Verfassungswidrigkeit von der Nichtigerklärung (oder Nichtigkeitsfeststellung) absehen. Andererseits müssen sich gesetzliche Bestimmungen, die — wie etwa §§ 214 ff. BauGB oder Unbeachtlichkeits- und Heilungsvorschriften mancher Kommunalgesetze — Ausnahmen von der Nichtigkeitsfolge vorsehen, mit dem Grundgesetz vereinbaren lassen.

2. Rechtsfolgenbestimmung als Kompetenzproblem Trotz der seit langer Zeit mit großem Begründungsaufwand geführten Debatte kann von einer endgültigen und überzeugenden Lösung dieser Frage keine Rede sein, was darin begründet liegt, daß die Verfassung hierauf doch keine

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So auch Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rdnr. 16 a.E. Vgl. nur Christoph Böckenförde, Sogenannte Nichtigkeit, insbes. S. 61 ff.; Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193, 195 ff.; Moench, Verfassungswidriges Gesetz, insbes. S. 114 ff.; Söhn, Anwendungspflicht, insbes. S. 28 ff. 8 Allerdings ordnet Art. 123 Abs. 1 GG die Fortgeltung vorkonstitutionellen Rechts an, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht. Folglich trifft er für den Fall des Widerspruchs die Anordnung der Ungültigkeit (die durch Art. 117 GG für bestimmte Kollisionen aufgeschoben wird). Diese Bestimmung betrifft allerdings das Verhältnis zweier aufeinanderfolgender Rechtsordnungen und sagt nichts über die Kollision von Normen innerhalb ein und derselben Rechtsordnung aus; vgl. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rdnr. 16, gegen Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 161 f. Ipsen ist zwar darin beizupflichten, daß Art. 123 GG nicht als Ausdruck der lex posterior-Regel angesehen werden kann, da diese nur auf Normen gleichen Ranges anwendbar ist (vgl. oben Obei Fußn. 40). Doch läßt sich Art. 123 GG nur entnehmen, daß das Grundgesetz vorkonstitutionellem Recht vorgeht (Rangordnungsregel) und in diesem Fall kraft ausdrücklicher Anordnung die Rechtsfolge einer Kollision das Außerkrafttreten (ipso iure) der kollidierenden Norm ist. Im übrigen kann Art. 123 GG nicht auf mittelbare Kollisionen Anwendung finden, also etwa bei Verstoß gegen grundgesetzlich vorgeschriebene Form- oder Verfahrensvorschriften (vgl. nur Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 123 Rdnr. 6), und vermag auch aus diesem Grunde nicht als Beleg für die Geltung des Nichtigkeitsdogmas dienen. 67

2. Kap. : Die Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Normen

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eindeutige Antwort gibt 69 . Im Mittelpunkt der Diskussion 70 stehen dabei die Rechtssatzkontrollvorschriflen des Grundgesetzes (hierbei vor allem 100 Abs. 1 GG) sowie das darin vorausgesetzte richterliche Prüfungsrecht.

a) Richterliches Prüfungsrecht und Nichtigkeitsdogma Betrachten wir die zentrale Aussage des Art. 100 Abs. 1 GG, so führt die Auslegung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Gewiß kann den Befürwortern der Vernichtbarkeitstheorie entgegengehalten werden, daß die postulierte, aus der Verpflichtung zur Vorlage beim Bundesverfassungsgericht gefolgerte Beachtlichkeit des verfassungswidrigen Gesetzes71 nicht zwingend darauf beruht, daß es „wirksam" oder „gültig" sein muß. Vielmehr besteht die Vorlagepflicht unmittelbar aufgrund der positiven Anordnung des Art. 100 Abs. 1 GG 7 2 , die von der Geltung der vorzulegenden Norm unabhängig ist. Zutreffend ist auch, daß Art. 100 GG das richterliche Prüfungs- und Verwerfüngsrecht voraussetzt und lediglich für die genannten förmlichen Gesetze in den darin beschriebenen Kollisionsfällen das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts begründet 73. Ferner kann Ipsen gefolgt werden, der den Begriff der „Gültigkeit" in Art. 100 Abs. 1 GG als Hinweis auf die mögliche Alternative der Ungültigkeit ansieht, die sich aus der Verfassungswidrigkeit ergeben kann.

69 Im Ergebnis ebenso Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rdnr. 17; Ulsamer, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 78, Rdnr. 11; vom Fehlen einer zwingenden verfassungsrechtlichen Anordnung der ipso iure-Nichtigkeit spricht auch z.B. Ossenbühl, Fehlerlehre, NJW 1986,2805,2807. 70 Nicht weiter verfolgt werden soll der Ansatz Christoph Böckenfördes (Sogenannte Nichtigkeit, S. 40 ff., 115 ff.), wonach aus der faktischen Anwendung des verfassungswidrigen Gesetzes bis zu seiner Nichtigkerklärung durch das BVerfG die normative Geltung folge. Dagegen vor allem Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 153 ff. und bereits Söhn, Anwendungspflicht, S. 10 f. mit Fußn. 25. 71 So bereits Christoph Böckenförde, Sogenannte Nichtigkeit, S. 61 ίί:, Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193, 197; Moench, Verfassungswidriges Gesetz, S. 123 f.; Söhn, Anwendungspflicht, S. 28 ff (Normenkontrollvorschriflen als alternative Rechtsgeltungsnormen"). 72 Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 168; Stern, BK (Zweitbearb.), Art. 93 Rdnr. 273; zutreffend schon Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 222 („Solche Begründung verwechselt Gesetzesgeltung und Verwerfungskompetenz); kritisch Moench, Verfassungswidriges Gesetz, S. 124. Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 165 rnw.N.; Ulsamer, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 78 Rdnr. 6, § 80 Rdnr. 19.

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der N o r m e r w e r f g

Die Ansicht jedoch, das richterliche Prüfungs- (und das Verwerfüngs-) recht gebiete zwingend die Nichtigkeit der rechtswidrigen Norm 74 , setzt das Ergebnis (ipso iure-Nichtigkeit) in Wahrheit bereits voraus bzw. überspannt die logische 75 Verknüpfung von richterlichem Prüfungsrecht und ipso iure-Nichtigkeit. Gewiß ist es zutreffend, daß die gerichtliche Gesetzesprüfung nur dann sinnvoll ist, wenn das Prüfungsergebnis auf die gerichtliche Entscheidung Einfluß haben kann, etwa weil die Anwendbarkeit oder Unanwendbarkeit der Norm hiervon abhängt. Art. 100 GG — und generell: die in Art. 100 GG vorausgesetzte Kompetenz der Gerichte, die Rechtmäßigkeit von Normen umfassend zu überprüfen und ggf. von einer Anwendung abzusehen — sagt aber nichts darüber aus, ob jeder Rechts- oder Verfassungsverstoß zur Ungültigkeit führt; und er enthält sich einer Klärung der Frage, auf welchem Wege (ipso iure oder kraft gerichtlicher Entscheidung) diese Ungültigkeit herbeigeführt wird. Der Einwand Bachofs 76 , Gesetzesgeltung und Verwerfüngskompetenz zu verwechseln, richtet sich nicht nur gegen den Versuch, aus dem verfassungsgerichtlichen Verwerfüngsmonopol die grundgesetzlich angeordnete bloße Vernichtbarkeit verfassungswidriger Gesetze abzuleiten77. Er trifft in gleicher Weise auf die gleichsam komplementäre Behauptung zu, die allgemeine richterliche Verwerfungskompetenz (jenseits der Vorlagepflicht) setze die (ipso iure-) Nichtigkeit denknotwendig voraus. Jeder dieser Ableitungen liegt ein Vorverständnis von Inhalt und Umfang der Verwerfüngskompetenz voraus, das zwar jeweils mit den verfassungsrechtlichen Bestimmungen vereinbar ist, sich jedoch nicht zwingend aus ihnen ergibt. Billigt man der verwerfenden 74

Bettermann, Richterliche Gesetzesbindung, in: FS f. Eichenberger, S. 593, 600; Hein, Unvereinbarerklärung, S. 92 ff; Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, insbes. S. 166 ff; Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 56 Rdnr. 100; Schiaich, Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 344; Stern, BK (Zweitbearb.), Art. 93 Rdnrn. 270 ff; ders.\ Staatsrecht, Bd. II, § 44 IV 5, S. 982 ff, V 3g, S. 1036 ff.; ΠΙ/2 § 90 II 2, S. 1144 ff. 5 Daß diese Verknüpfung der historischen Entwicklung entspricht, hat Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 23 ff, ausfuhrlich dargelegt. Der Stand der Dogmatik ist jedoch auch abhängig von den jeweils zu bewältigenden sachlichen Problemen, die sich seit dem Konstitutionalismus doch erheblich gewandelt haben. Sofern also Prüfungsrecht und ipso iure-Nichtigkeit nicht denknotwendig miteinander verknüpft sind, lassen sich geschichtlichen Entwicklungen nicht unüberwindliche dogmatische Folgerungen entnehmen. 76 Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197,222. 77 So Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193, 197; ebenso Moench, Verfassungswidriges Gesetz, insbes. S. 123 f.; Söhn, Anwendungspflicht, S. 14. Auf den dieser Verknüpfung zugrunde liegenden Denkfehler hat Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 168 f., aufmerksam gemacht. Die Vorlagepflicht besteht in einer Situation des „Normzweifels", den der Richter nicht selbst beheben kann. Erst nach der Entscheidung des BVerfG steht fest, ob es sich um ein verfassungswidriges Gesetz handelt oder nicht. Damit ist die Vorlageverpflichtung nur eine Kompetenzregelung, die über die Geltung der Norm nichts aussagt.

2. Kap. : Die Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Normen

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Entscheidung konstitutive Wirkung zu, wird man sich dem Konzept der bloßen Vernichtbarkeit rechtswidriger Normen anschließen. Beschränkt man dagegen die gerichtliche Kompetenz auf die bloße Feststellung der Rechtslage, ist in der Tat die ipso iure-Nichtigkeit naheliegend78 (wenngleich damit noch nichts darüber ausgesagt ist, welche Rechts- oder Verfassungsverstöße diese Rechtsfolgen herbeiführen). Zwar ist es denkbar, eine konstitutive Wirkung der Inzidentverwerfung zu verneinen — weil das Verdikt der Rechtswidrigkeit der Norm keine Allgemeingültigkeit besitzt und als Vorfrage noch nicht einmal an der Rechtskraft des Urteils teilhat — und daraus auf deren deklaratorischen Charakter zu schließen79. Mit dieser begrifflichen Einordnung ist jedoch in Wahrheit nicht viel gewonnen. Sie beruht auf der (modellhaften) Vorstellung, Rechtsfragen seien aus sich heraus beantwortbar und führten zwangsläufig, d.h. unabhängig vom jeweiligen Beurteiler, zu jeweils einer bestimmten Lösung. Eine derartige „Naturgesetzlichkeit" existiert nicht. Ohne eine zentrale, mit der Kompetenz zu allgemeingültig bindender Entscheidung begabte, Instanz ist die Entscheidung, welche von zwei miteinander unvereinbaren Rechtsansichten „objektiv richtig" sei, nicht zu treffen 80 . Oder anders gewendet: Über die „Richtigkeit" einer Rechtsansicht entscheidet die jeweils zu autoritativer Feststellung berufene Instanz kraft ihrer Autorität (nicht aufgrund der „objektiven Richtigkeit" der Rechtsansicht)81.

b) Differenzierung der Fehlerfolgen Die Lösung des Rechtsfolgenproblems steht nach dem Gesagten mit der Frage nach Inhalt und Umfang der gerichtlichen Verwerfungskompetenz in engem Zusammenhang. Die Normenkontrollvorschriften des Grundgesetzes sind 78

Siehe aber Sachs, Bindung des BVerfG, S. 290, der darauf hinweist, daß die Möglichkeit unterschiedlicher Rechtsfolgen nicht gegen den feststellenden Charakter der gerichtlichen Entscheidung spricht, da diese Rechtsfolgen je nach materiellrechtlicher Falgestaltung eo ipso ergäben. 9 Vgl. Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 [1976], 374, 381; so auch noch Wehr, Grundfalle, JuS 1997, 231, 233; umgekehrt sieht Pestalozza [Verfassungsprozeßrecht, § 20, Rdnr. 16] die fehlende Bindungswirkung der inzidenten Verwerfung als unvereinbar mit dem Nichtigkeitsdogma an. 80 Zur These von der „einzigrichtigen Entscheidung" siehe auch unten OS. 153 ff. 81 Das ist der Hintergrund des Satzes „The constitution is what the judge says it is ..." und die auf die deutsche Rechtsordnung umgemünzte Feststellung Smends: „Das Grundgesetz gilt... praktisch so, wie das Bundesverfassungsgericht es auslegt" (,Smend, Festvortrag zur Feier des zehnjährigen Bestehens des BVerfG am 26. Januar 1962, zitiert nach Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393, 404; vgl. a.a.O. auch Fußn. 32).

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Normerwerfung

für beide der dargelegten Deutungen offen, legen daher auch den Gesetzgeber oder, soweit eine gesetzliche Regelung fehlt, die Gerichtsbarkeit - nicht auf eine der Lösungen fest. Dies läßt Raum für eine sachgerechte Differenzierung der Fehlerfolgen je nach Art der festgestellten Rechtsverstöße und der jeweils betroffenen materiellrechtlichen Determinanten des Verfassungs- bzw. Gesetzesrechts 82. Für Normenkontrollentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts scheint das BVerfGG nach dem Wortlaut der §§ 78 (abstrakte Normenkontrolle), 82 Abs. 1 (konkrete Normenkontrolle) und 95 Abs. 3 von einer Vernichtbarkeit der rechts- oder verfassungswidrigen Normen auszugehen83. Die Rechtsfolge dieser Nichtigerklärung ist die auf den Zeitpunkt der Entstehung des Normwiderspruchs rückwirkende („ex tunc") Ungültigkeit des Gesetzes84. In den Auswirkungen sind somit die ipso iure eintretende Nichtigkeit und die ex tunc wirkende Nichtigerklärung einander weitgehend gleich. Von dieser Warte aus betrachtet kann man in einem weiteren Sinne durchaus von einer grundsätzlichen Geltung des Nichtigkeitsdogmas sprechen. Mit Blick auf die praktischen Konsequenzen und in Anbetracht der fehlenden grundge82 Daß jenseits der Normenkontrollvorschriflen das Verfassungsrecht die ipso iure Nichtigkeit als allgemeine Folge von Rechtsverstößen nicht erfordert, ist teilweise anerkannt, vgl. etwa Ossenbühl, Fehlerlehre, NJW 1986,2805,2807; Schwerdtfeger, Rechtsfolgen, JuS 1983, 270, 272; Ulsamer, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 78, Rdnr. 11; Wehr, Grundfälle, JuS 1997,231,232. 83 Maunz, Verfassungswidriges Gesetz, BayVBl. 1980, 513, 516; Stern, Staatsrecht IÜ/2, § 90 II 2, S. 1146. — Die Annahme der Geltung eines Gesetzes bis zur Feststellung des Verfassungsverstoßes und (rückwirkenden) Aufhebung durch das BVerfG läßt im übrigen Raum fur Entscheidungen, in denen die fragliche Vorschrift nicht in vollem Umfang auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden darf, weil der Prüfungsmaßstab des Gerichts beschränkt ist. Das betrifft insbesondere die kommunale Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, bei der der Beschwerdeführer nur die Verletzung des Art. 28 Abs. 2 GG rügen kann. Liegt keine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts vor, so bleibt ein möglicher Verstoß gegen andere Verfassungsbestimmungen ungeprüft; vgl. etwa BVerfG v. 26.10.1994 — 2 BvR 445/91 — BVerfGE 91, 228, 245 hinsichtlich Art. 33 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 2 und 3 GG; a.A. etwa Stern, BK, Art. 93 Rdnr. 813, der die Übertragung der im Elfes-Urteil (BVerfG v. 16.1.1957 — 1 BvR 253/56 — BVerfGE 6, 32, 36 ff. = NJW 1957, 297 ff.) entwickelten Grundsätze auf Art. 28 Abs. 2 GG befürwortet. Die Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde gegen ein aus anderen Gründen (möglicherweise) verfassungswidriges Gesetz läßt sich kaum mit dem Gedanken der ipso iure Nichtigkeit vereinbaren. Eine „relative Nichtigkeit" ist jedenfalls ausgeschlossen (vgl. Niebaum, Relativität verfassungsgerichtlicher Erkenntnisse, Landkreis 1995, 170, 171; seine Erwägung, die Kommunen könnten in einem anderen Verfahren, in dem der Prüfungsmaßstab nicht beschränkt ist, die Verfassungswidrigkeit geltend machen, übersieht jedoch das Erfordernis der Verletzung in eigenen Rechten [§§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 VwGO]. Diese aber hat das BVerfG gerade verneint). s4 Vgl. Ulsamer, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §78 Rdnr. 15 m.w.N.

2. Kap. : Die Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Normen

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setzlichen Festlegung bezeichnet es lediglich noch die Rechtsfolge der Rechtswidrigkeit einer Norm, ohne eine Entscheidung hinsichtlich der rechtstechnischen Begründung (sei es also ipso iure oder kraft richterlicher Anordnung) zu treffen. Von einem so verstandenen Nichtigkeitsdogma ist im folgenden auszugehen. Jenseits der reinen Begründungstechnik kann damit den materiellrechtlichen Forderungen an eine Fehlerlehre Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der Vorrang der Verfassung und des Gesetzes verbietet es jedenfalls, Rechtsverstöße bei Normen generell als unbeachtlich zu betrachten. Die primäre Rechtspflicht zur Beachtung der Gesetze begründet bei Verstößen die sekundäre Rechtspflicht zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände85. Vor diesem Hintergrund bedürfen von der Konsequenz der Nichtigkeit abweichende Fehlerfolgen der besonderen Rechtfertigung 86. Derartige Abweichungen sind zum ersten in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu finden, zum zweiten — hier nur untergesetzliche Rechtsnormen betreffend — in einfachgesetzlichen Regelungen im Kommunalrecht einiger Bundesländer sowie im Bauplanungsrecht. In aller Kürze sollen diese Modifikationen im folgenden vorgestellt werden; sie sind für die Normverwerfüng durch die Verwaltung jedenfalls insofern von Belang, als sie die weitere Anwendbarkeit der fehlerbehafteten Rechtsnorm fordern.

ΠΙ. Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Überblick In der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wurden bei festgestellten Verfassungsverstößen Entscheidungsalternativen entwickelt, die über die eben erörterte Problematik der Nichtigkeit bzw. Vernichtbarkeit von Gesetzen weit hinausgehen. Zwar finden sich Formulierungen, die auf die Nichtigkeit als zwangsläufige Folge der Verfassungswidrigkeit hinweisen87 oder jeden85 Morlok, Folgen von Verfahrensfehlem, S. 59; Wehr, Grundfälle, JuS 1997, 231, 232. Zur Pflicht des Gesetzgebers, ursprünglich verfassungsgemäße, aber aufgrund veränderter Umstände verfassungswidrig werdende oder gewordene Gesetze einer Korrektur zu unterziehen, vgl. Badura, Nachbesserung von Gesetzen, in: FS f. Eichenberger, S. 481 ff. 86 Ossenbühl, Fehlerlehre, NJW 1986,2805, 2807 f. 87 BVerfG v. 19.10.1982 — 2 BvF 1/81 — BVerfGE 61, 149, 206 = NJW 1983, 25 ff. („Unvereinbarkeit... führt zur Nichtigkeit..."); BVerfG v. 15.12.1983 — 1 BvR 209/83 u.a.— BVerfGE 65, 1, 3 = DVB1. 1984, 156 ff. („...unvereinbar und nichtig"); BVerfG v. 9.10.1984 — 2 BvL 10/82 — BVerfGE 67, 299 = NJW 1985, 371 ff. = DVB1. 1985, 49 („...unvereinbar und daher nichtig"); zuletzt etwa BVerfG v. 16.3.1994 — 2 BvL 3/90 u.a. — BVerfGE 91, 1, 27, 34 ff.; BVerfG v. 11.10.1994 — 1 BvR

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Normerwerfung

falls „grundsätzlich" die Nichtigerklärung verfassungswidriger Gesetze als regelmäßige Rechtsfolge akzeptieren 88. Zunehmend aber differenziert das Bundesverfassungsgericht danach, welcher Art der konstatierte Fehler ist bzw. berücksichtigt die Folgen einer Nichtigerklärung. Am ehesten akzeptiert und dogmatisch begründet — sowie als möglicher Entscheidungsausspruch in § 31 Abs. 2 S. 2 BVerfGG vorausgesetzt 89 — ist die bloße Unvereinbarerklärung 90 verfassungswidriger Gesetze in den Fällen des „gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses"91. Bei derartigen Konstellationen wird die Nichtigerklärung der besonderen Struktur des Gleichheitssatzes regelmäßig nicht gerecht. Die Verfassungswidrigkeit liegt in diesen Fällen nicht in der — die Begünstigung ausschließenden — Regelung an sich begründet, sondern nur in Beziehung zu der begünstigenden Bestimmung. Es handelt sich somit um eine „relative Verfassungswidrigkeit" 92, der die Nichtigerklärung nicht sachgerecht begegnen kann, da sie den Verfassungsverstoß nicht erfaßt 93.

337/92 — BVerfGE 91, 148, 175; BVerfG v. 10.1.1995 — 1 BvF 1/95 — BVerfGE 92, 26, 27; BVerfG v. 16.5.1995 — 1 BvR 1978/91 — BVerfGE 93, 1, 25; BVerfG v. 5.12.1995 — 1 BvR 2011/ 94 — BVerfGE 93, 362, 372; BVerfG v. 16.1.1996 — 2 BvL 4/95 — BVerfGE 93, 373, 376. 88 Vgl. aus jüngster Zeit BVerfG v. 26.4.1994 — 1 BvR 1299/89 u.a. BVerfGE 90, 263 276; BVerfG v. 7.3.1995 — 1 BvR 790/91 u.a. —BVerfGE 92, 158, 186. 9 Allerdings nur für die Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde (§ 13 Nr. 8a BVerfGG); der Wortlaut des BVerfGG ist indes keineswegs einheitlich und widerspruchsfrei, so daß es hinsichtlich der Rechtsfolgenanordnung insgesamt an einer eindeutigen Regelung fehlt (vgl. Schiaich, Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 362; pointiert kritisch Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rdnr. 17). 90 Ausführliche Darstellung und Analyse bei Hein, Unvereinbarerklärung, S. 29 ff. 91 Vgl. BVerfG v. 28.11.1967 — 1 BvR 515/63 — BVerfGE 22, 349, 359 ff. = NJW 1968, 539 ff.; aus neuerer Zeit BVerfG v. 17.11.1992 — 1 BvL 8/87 — BVerfGE 87, 234, 262 mw.N.; BVerfG v. 10.1.1995 — 1 BvL 20/87 u.a. — BVerfGE 91, 389, 404; s.a. Hein, Unvereinbarerklärung, S. 29 ff. m.w.N:, Maurer, Verfassungswidrigerklärung, in: FS f. Werner Weber, S. 345, 348 m.w.N. in Fußn. 9. 92 So Maurer, Verfassungswidrigerklärung, in: FS f. Werner Weber, S. 345, 354; Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 214, spricht von einer „verfassungswidrigen Normenrelation"; ebenso Hein, Unvereinbarerklärung, insbes. S. 100 ff; grundsätzlich gegen diesen Ansatz und die diesbezügliche Rechtsprechung des BVerfG aber Sachs, Bloße Unvereinbarerklärung, NVwZ 1982, 657, 661; gegen ihn wiederum Hein, Unvereinbarerklärung, S. 103 ff. 93 Das BVerfG verzichtet auf die Nichtigerklärung mit dem Argument, daß dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stünden, den Verfassungsverstoß zu beseitigen (BVerfG v. 10.1.1995 — 1 BvL 20/87 u.a. — BVerfGE 91, 389,404).

2. Kap.: Die Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Normen

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Ferner kommt nach der Rechtsprechung nur die Unvereinbarerklärung in Betracht, wenn der verfassungswidrige Teil einer Norm nicht abgrenzbar ist etwa wenn eine Norm weniger gewährt, als verfassungsrechtlich geboten94. Wie die Nichtigerklärung führt auch die Unvereinbarerklärung wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 GG regelmäßig zur Unanwendbarkeit der beanstandeten Norm 9 5 , und zwar vom Zeitpunkt der Unvereinbarkeit an 96 . Der Bestand dieser Norm wird allerdings nicht angetastet, so daß nicht — insoweit anders als bei der Nichtigerklärung — der Rechtszustand „wiederauflebt", der vor ihrem Erlaß existierte. Vielmehr schafft die Unvereinbarerklärung lediglich einen vorläufigen Zustand, der der — grundsätzlich rückwirkenden 97 — Bereinigung durch den Gesetzgeber bedarf. In Ausnahmefallen jedoch erkennt das Bundesverfassungsgericht trotz festgestellter Rechtswidrigkeit auf die weitere Anwendbarkeit des Gesetzes für eine Übergangszeit 98. Die Begründung hierfür besteht regelmäßig in der Erwägung, eine Nichtig- bzw. Unvereinbarerklärung führte zu einer Situation, die der von Verfassungs wegen geforderten Lage noch ferner stünde, als die durch die Verfassungswidrigkeit der Norm geschaffene. Der Grundsatz des Vorrangs der Verfassung erfahrt auf diesem Wege Einschränkungen, die sich nur durch — im Einzelfall als höher bewertete — andere Rechtsgüter von Verfassungsrang rechtfertigen lassen99. 94 BVerfG v. 26.4.1994 — 1 BvR 1299/89 u.a. — BVerfGE 90, 263, 276; BVerfG v. 7.3.1995 — 1 BvR 790/91 u.a. — BVerfGE 92, 158, 186; nach Hein, Unvereinbarerklärung, S. 56 ff., ist in diesen Fällen nicht die Unvereinbarerklärung der Norm, sondern vielmehr die Verfassungswidrigerklärung gesetzgeberischen Unterlassens geboten 9 BVerfG v. 21.5.1974 — 1 BvL 22/71 u.a. — BVerfGE 37, 217, 262 = NJW 1974, 1609 ff.; vgl. Schiaich, Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 378 m.w.N. 96 Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 217 f., mit dem zutreffenden Hinweis auf die Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG; a.A. Hoffmann-Riem, Beseitigung verfassungswidriger Rechtslagen, DVB1. 1971, 842, 843, der von der Wirksamkeit der Norm bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber ausgeht. 97 Jörn Ipsen, Rechtsfolgen, S. 218; BVerfG v. 25.9.1992 — 2 BvL 5/91 u.a. — BVerfGE 87, 153, 178; einschränkend BVerfG v. 23.9.1992 — 1 BvL 15/85 u.a. — BVerfGE 87, 114, 137 = DVB1. 1993, 33 ff. (Neuregelung grundsätzlich von der Entscheidung des BVerfG an, ggf. auch für die davor liegende Zeit, je nach den tatsächlichen Verhältnissen, auf die der Gesetzgeber trifft). 98 Etwa BVerfG v. 18.7.1972 — 1 BvL 32/70 u.a. — BVerfGE 33, 303, 347 f. = NJW 1972, 1561; BVerfG v. 3.11.1982— 1 BvR 1104, 79 — BVerfGE 61, 319, 356 = NJW 1983, 271 ff; zuletzt BVerfG v. 25.9.1992 — 2 BvL 5/91 u.a. — BVerfGE 87, 153, 178 f.; BVerfG v. 11.10.1994 — 1 BvR 337/92 — BVerfGE 91, 186, 207; BVerfG v. 11.1.1995 — 1 BvR 892/88 — BVerfGE 92, 53, 73 f.; BVerfG v. 22.6.1995 — 2 BvL 37/91—BVerfGE 93, 121, 149. 99 Ergehen solche, von der Nichtigerklärung abweichenden, Entscheidungen in Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG oder sonst im Zusammenhang mit auf die Ge-

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der N o r m e r w e r f g

Noch darüber hinausgehend sollen Verstöße gegen Verfahrensvorschriften eine andere Behandlung erfahren, als die inhaltliche Unvereinbarkeit von Normen einschließlich der inhaltlichen Überschreitung von Kompetenzschranken. Verfahrensfehler fuhren danach mit „Rücksicht auf die Rechtssicherheit" nur dann zur Nichtigkeit, wenn sie evident sind 100 .

IV. Untergesetzliche Rechtsnormen Die dargelegten Modifikationen des Nichtigkeitsdogmas haben in der prinzipalen instanzgerichtlichen Kontrolle untergesetzlicher Normen, soweit sie vom geltenden Recht vorgesehen ist (vgl. § 47 Abs. 1 VwGO) zum Teil ebenfalls Anwendung gefunden 101 . Dem Grunde nach gehen jedoch die einschlägigen Gesetze von der Nichtigkeit fehlerhafter Normen aus 102 . Das gleiche gilt, soweit eine gerichtliche Inzidentkontrolle stattfindet 103 . Abweichungen sind allerdings für bestimmte kommunale Satzungen bzw. für bestimmte beim Erlaß solcher Satzungen unterlaufene Verfahrensfehler gesetzlich vorgesehen.

Währung subjektiven Rechtsschutzes gerichteten Verfahren (etwa nach Art. 100 Abs. 1 GG), wird im Ergebnis der nach Art. 19 Abs. 4 GG garantierte Rechtsschutz vereitelt und die vom Betroffenen geltend gemachte Rechtsposition faktisch entwertet. Kritisch zu dieser Tendenz bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungspraxis etwa Seer, Unvereinbarkeitserklärung, NJW 1996,285,290 f. 100 BVerfG v. 26.7.1972 — BvF 1/71 —BVerfGE 34, 9,25 = NJW 1972, 1561 ff. = DÖV 1972,676 ff ; zuletzt — in Bezug auf eine Rechtsverordnung der Bundesregierung — BVerfG v. 11.10.1994 — 1 BvR 337/92 — BVerfGE 91, 148, 175. Dabei bleibt indes ungeklärt, wann ein Verfassungsverstoß evident ist, für wen die Evidenz vorliegen muß und schließlich, ob das für alle Verfahrensfehler gleichermaßen gelten kann; vgl. Hill Fehlerhaftes Verfahren, S. 59 ff 101 Vgl. Kopp, VwGO, § 47 Rdnrn. 64 f. m.w.N. 102 Vgl. etwa § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO. 103 So lehnt etwa das BVerwG (v. 26.1.1995 — 8 Β 193/94 — DÖV 1995, 469 f., §113 Abs. 1 VwGO betreffend) die Übernahme der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungspraxis auf Satzungen ab. Für eine stärkere Berücksichtigung dieser Grundsätze dagegen Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rdnr. 19. — Einer „Ergänzung" bzw. „Fortbildung" des § 113 Abs. 1 VwGO, wie das BVerwG meint, bedarf es hierzu jedoch nicht. Im Kern geht es um die Frage, ob jeder Gesetzesverstoß die Satzung unwirksam macht oder nicht. Verneint man diese Frage, ist ein auf die Satzung gestützter Verwaltungsakt nicht rechtswidrig, solange er nicht sonstigem Gesetzesrecht widerspricht. In der Konsequenz der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung läge es, bei fehlerhaftem, aber nicht unwirksamem untergesetzlichen Recht die Aufhebung von Einzelakten nur dann zuzulassen, wenn sich der Fehler der Norm in ihnen fortsetzt, sie also auch unabhängig von der jeweiligen Rechtsgrundlage rechtswidrig sind.

2. Kap. : Die Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Normen

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Nach dem (zunächst umstrittenen 104 ) Vorbild der §§ 155a f. BBauG sehen nunmehr die §§ 214 ff. BauGB für die Aufstellung von Flächennutzungsplänen und Satzungen nach dem BauGB sowie eine Reihe von Vorschriften in den Kommunalgesetzen der Länder für alle kommunalen Satzungen Modifizierungen der Nichtigkeitsfolge vor 1 0 5 . Die „Technik" der Fehlerbehandlung reicht dabei von der völligen Unbeachtlichkeit von Verstößen gegen Verfahrensbestimmungen (z.B. § 214 Abs. 1 und 2 BauGB) über die Befristung der Geltendmachung von Rechtsfehlern 106 (etwa § 215 Abs. 1 BauGB) bis zur nachträglichen Heilung durch Wiederholung des nachfolgenden Verfahrens (vgl. § 215a BauGB) 107 . Die genannten Abweichungen betreffen im wesentlichen 108 Normsetzungskollisionen. Normanwendungskollisionen führen dagegen grundsätzlich nach wie vor zur Nichtigkeit der fehlerhaften untergesetzlichen Norm (in der oben genannten allgemeinen Bedeutung des Nichtigkeitsdogmas).

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Umfassend Morlok, Folgen von Verfahrensfehlern, 1988; vgl. auch etwa Schmidt-Aßmarm, Vorüberlegungen, DVB1. 1984, 582, 586 („...schwerer Angriff auf die Gesetzesbindung der Verwaltung"). 105 Vgl. etwa Hill, Heilungsvorschriften, DVB1. 1983, 1 ff ; ders., Fehlerhaftes Verfahren, S. 78 ff ; Hufen, Verwaltungsverfahren, Rdnr. 474; Maurer, Bestandskraft, in: FS f. Bachof, S. 215 ff ; Morlok, Folgen von Verfahrensfehlem, insbes. S. 24 ff. 106 Zum Problem, wie solche fehlerhaften Satzungen vor Fristablauf zu qualifizieren sind und wie diese Rüge dogmatisch „in den Griff 4 zu bekommen ist, s. Hill, Heilungsvorschriften, DVB1. 1983, 1, 4 f.; Maurer, Bestandskraft, in: FS f. Bachof, S. 215,231 ff 107 Zu Einzelheiten vgl. die Nachweise oben in Fußn. 105. 108 Anders bei §§ 214 Abs. 3 S. 2, 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB: Hier können auch materielle Abwägungsfehler auf den Bestand der Satzung ohne Einfluß bleiben. Nach Morlok, Folgen von Verfahrensfehlern, S. 234, hat der Gesetzgeber mit dieser Regelung die Grenzen seines Ermessens überschritten.

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Normerwerfung 3. Kapitel

Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationales Recht I. Das Verhältnis zwischen Europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht 1. Der Vorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zu dem Recht der Mitgliedstaaten 109 läßt sich mit den herkömmlichen Begriffen der Rangordnungslehre nur unzureichend erfassen 110. Die Eigentümlichkeit dieses Verhältnisses ist dadurch gekennzeichnet, daß sich mit der nationalen und der supranationalen zwei eigenständige, originäre Rechtsordnungen gegenüberstehen und gegenseitig durchdringen 111 . Im Gegensatz zum Völkerrecht, das nur zwischen den Staaten selbst Wirkung entfaltet und lediglich kraft eines nationalen Rechtsanwendungsbefehls auch innerstaatlich Bindungen erzeugt 112 (vgl. Art. 25 GG, der zugleich den Rang bestimmt), gilt das (sekundäre 113) Gemeinschaftsrecht, also die von den Organen der Europäischen Union erlassenen

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Zum Rang Verhältnis von primärem und sekundären Gemeinschaftsrecht und der Rechtsformen des sekundären Gemeinschaftsrechts (vgl. Art. 189 EGV) näher Oppermann, Europarecht, Rdnrn. 394 f., 429; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 233 ff. 110 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 15 III 3, S. 542 ff. 111 Grundlegend für die Auffassung, Europäisches Gemeinschaftsrecht stelle eine eigene, autonome Rechtsordnung dar, war die Rechtsprechung des EuGH, vgl. insbesondere EuGH, Rs 26/62 — Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung — Slg. 1963, 1, 25; EuGH, Rs 6/64 — Costa/ENEL — Slg. 1964, 1251, 1269; dazu etwa Oppermann, Europarecht, Rdnrn. 525 ff. m.w.N.; das BVerfG hat dies frühzeitig anerkannt, vgl. BVerfG v. 18.10.1967 — 1 BvR 248/63 u.a. — BVerfGE 22, 293, 296 = NJW 1968, 348; BVerfG v. 9.6.1971 — 2 BvR 225/69 — BVerfGE 31, 145, 173 f. = EuR 1972, 51; BVerfG v. 29.5.1974 — 2 BvL 52/71 — BVerfGE 37, 271, 277 f. = NJW 1974, 1697 ff — Zur Verzahnung von Europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht vgl. insbes. Streinz, Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 182, Rdnrn. 6 ff. 112 Siehe etwa Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 25 Rdnr. 1. 113 Das primäre Gemeinschaftsrecht wird nach der Rechtsprechung des BVerfG erst durch das Zustimmungsgesetz als Rechtsanwendungsbefehl (Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG) innerstaatlich in Kraft gesetzt, vgl. BVerfG v. 25.7.1979 — 2 BvL 6/77 — BVerfGE 52, 187, 199 = EuGRZ 1979, 547; BVerfG v. 22.10.1986 — 2 BvR 687/85 — BVerfGE 73, 339, 375; BVerfG v. 8.4.1987 — 2 BvR 687/85 — BVerfGE 75, 223, 240 = DVB1. 1988, 38 ff.

3. Kap. : Europäisches Gemeinschafsrecht und nationales Recht Rechtsnormen, ohne weiteren Umsetzungsakt114 in den Mitgliedsstaaten 115 . Anders als im Bundesstaat liegen auch nicht mehrere Teilrechtsordnungen vor, deren Verhältnis zueinander durch den generellen Vorrang der einen über die andere (vgl. Art. 31 GG) gekennzeichnet wäre 116 . Da beide Rechtsordnungen voneinander unabhängig sind, sich also nicht eine von der anderen ableitet 117 , es schließlich auch keine beiden übergeordnete Regelung gibt, muß sich das Rangverhältnis grundsätzlich übereinstimmend aus beiden ergeben 118. Eine ausdrückliche Rangbestimmung des Verhältnisses beider Rechtsordnungen ist allerdings weder im Grundgesetz 119 noch im Recht der Europäischen Gemeinschaften enthalten 120 . 114 Zur hier verwendeten Terminologie vgl. auch Jarass, Grundfragen, S. 67 ff.: (I) Der Begriff der Geltung bezeichnet hier die Beachtlichkeit europäischer Rechtssätze als objektives Recht, unabhängig vom jeweiligen Inhalt bzw. Adressaten einer Norm. Diese Geltung oder Beachtlichkeit wirkt sich etwa bei der fur jeden Rechtsanwender gebotenen EG-rechtskonformen Auslegung nationalen Rechts aus und ist Voraussetzung für die unmittelbare Geltung wie für die unmittelbare Anwendbarkeit. (Π) Der Begriff der unmittelbaren Geltung hängt von der Rechtsnatur bzw. dem Wortlaut einer Norm des primären oder sekundären Gemeinschaftsrechts ab und knüpft an den Adressaten des Rechtssatzes an. So werden durch die Gründungsverträge — ihrem ursprünglich völkerrechtlichen Charakter entsprechend — unmittelbar nur die Mitgliedstaaten, nicht aber bestimmte innerstaatliche Organe oder die Bürger, berechtigt und verpflichtet. Ebenso verpflichten Richtlinien gemäß Art. 189 Abs. 3 EGV hinsichtlich des zu erreichenden Ziels unmittelbar (nur) die Mitgliedstaaten. Dagegen gelten Verordnungen nach Art. 189 Abs. 2 EGV unmittelbar in den Mitgliedstaaten und binden staatliche Organe wie Bürger bzw. gewähren unmittelbar subjektive Rechte. (ΓΠ) Von der unmittelbaren Geltung ist die unmittelbare Anwendbarkeit oder unmittelbare Wirkung zu unterscheiden. Darunter versteht man die Erstreckung der unmittelbaren Geltung einer Norm auf andere als die „eigentlichen" Adressaten. Unter bestimmten Voraussetzungen und innerhalb bestimmter Grenzen begründen nach der Rechtsprechung des EuGH Bestimmungen der Verträge wie auch Richtlinien Rechte und Pflichten fur staatliche Organe bzw. fur den Bürger und sind somit unmittelbar, d.h. ohne eine „eigentlich" notwendige innerstaatliche Norm, anwendbar. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit s. näher unten 2.; — Vgl. zur (uneinheitlichen) Terminologie ferner Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 54 ff., Jarass, Konflikte zwischen EGRecht und nationalem Recht, DVB1. 1995, 954, 955; Langenfeld, Direktwirkung, DÖV 1992 955,956. Vgl. Oppermann, Europarecht, Rdnrn. 533 f. 116 Zu entsprechenden Ansätzen der Übertragung des Vorrangs des Bundesrechts auf das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zu dem der Mitgliedstaaten vgl. Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, VVDStRL 53 (1994), 154, 159 m.w.N. 117 Stern, Staatsrecht I, § 15 ΠΙ2, S. 541 f. 118 Geiger, EGV, Art. 5 Rdnr. 19. 119 Zu Auffassungen, nach denen Art. 24 Abs. 1 GG selbst die Rangordnung bestimme, siehe Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Abs. 1 (1992), Rdnr. 16 m.w.N. 120 Lediglich in Art. 87 Abs. 2 EGV ist eine Ermächtigung zur Bestimmung des Verhältnisses von gemeinschaftsrechtlichem und nationalem Wettbewerbsrecht enthalten. Davon ist bislang jedoch nur in der Regelung der Fusionskontrolle (Verordnung des 4 Wehr

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Normerwerfung

Aus europarechtlicher Sicht wird jedoch ein Vorrang des Gemeinschaftsrechts 121 vor dem nationalen Recht aus Art. 5 Abs. 2 EGV und dem Gebot der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts, das der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft dient, abgeleitet 122 . Danach haben die Mitgliedsstaaten durch die Gründungsverträge ihre Souveränitätsrechte beschränkt, mit der Folge, daß ihnen die einseitige Abänderung durch nationale Rechtsetzung verwehrt ist. Die bundesdeutsche Rechtsordnung erkennt diesen Vorrang an durch die Übertragung 123 von Hoheitsgewalt auf die europäischen Gemeinschaften im Rahmen des Art. 23 GG (früher: Art. 24 Abs. 1 GG) und die hierzu ergangenen Vertragsgesetze 124. Er erstreckt sich auf nationales Recht, grundsätzlich unter Einschluß des Grundgesetzes 125. Grenzen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ergeben sich aus dem Umfang der vertraglich vereinbarten Kompetenzen 126 sowie aus den Schranken, die

Rates Nr. 4064/89 — FusVO) Gebrauch gemacht worden, in der die Anwendung nationalen Rechts ausgeschlossen wird (vgl. Geiger, EGV, Art. 87 Rdnr. 19). 121 Siehe dazu Everting, Vorrang des EG-Rechts, DVB1. 1985, 1201 ff.; Hans Peter Ipsen, Deutschland in den Europäischen Gemeinschaften, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 182, Rdnrn. 57 ff. m Grundlegend EuGH, Rs. 6/64 — Costa/ENEL — Slg. 1964, 1251, 1269 f.; vgl. auch Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, VVDStRL 53 (1994), 154, 160 m.w.N.; zu weiteren Ansätzen zur Bestimmung des Verhältnisses der nationalen Rechtsordnungen zum Gemeinschaftsrecht vgl. Streinz, Europarecht, Rdnrn. 180 ff ; Bleckmann, Europarecht, Rdnrn. 735 ff; umfassend Zuleeg, Recht der Europäischen Gemeinschaften, KSE 9, S. 61 ff. 123 Zum (mißverständlichen) Begriff der Übertragung vgl. BVerfG v. 29.5.1974 — 2 BvL 52/71 — BVerfGE 37, 271, 279 f. = NJW 1974, 1697 ff; da mit den Gründungsverträgen die Gemeinschaft als neuer Hoheitsträger mit originären Befugnissen entstanden ist, liegt nicht ein Übergang von Kompetenzen von der Bundesrepublik Deutschland auf die Europäischen Gemeinschaften vor. Vielmehr „öffnet Art. 24 GG (jetzt: Art. 23 GG n.F.) die nationale Rechtsordnung [..] derart, daß der ausschließliche Herrschaftsanspruch der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich des Grundgesetzes zurückgenommen und der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit eines Rechts aus anderer Quelle innerhalb des staatlichen Herrschaftsbereichs Raum gelassen wird" (BVerfG v. 29.5.1974 — 2 BvL 52/71 — BVerfGE 37, 271, 280); vgl. auch Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 (1992), C., Rdnrn. 55 f. 124 Vgl. BVerfG v. 22.10.1986 — 2 BvR 687/85 — BVerfGE 73, 339, 374 f. 125 Somit besteht die Möglichkeit der „stillschweigenden" Verfassungsänderung durch die Rechtsetzung europäischer Organe bzw. durch die Vertragsgesetze. Einer Änderung des Textes des GG bedarf es ausweislich des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG — der auf Art. 79 Abs. 1 GG nicht verweist — nicht. 126 Vgl. BVerfG v. 12.10.1993 — 2 BvR 2134/92 u.a. — BVerfGE 89, 155, 188, wonach deutsche Staatsorgane aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert wären, Rechtsakte europäischer Organe anzuwenden, die vom Zustimmungsgesetz zu den Verträgen nicht mehr gedeckt sind.

3. Kap. : Europäisches Gemeinschafsrecht und nationales Recht das Grundgesetz in Art. 23 der Übertragung von Hoheitsrechten setzt 127 . Das Zustimmungsgesetz — und damit indirekt der Vertragsinhalt — ist an Art. 23 GG zu messen. Danach setzen die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze der Integration absolute Schranken (Art. 23 Abs. 1 S. 3,79 Abs. 3 GG).

2. Die materielle Höherrangigkeit Im Gegensatz zur Rangordnung der nationalen Rechtssätze, die sich grundsätzlich nach dem Urheber und der Form der jeweiligen Normen (Parlamentsgesetz, Rechtsverordnung, Satzung etc.) richtet, kann im Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu nationalem Recht somit auch der Inhalt über den Vorrang entscheiden. In Umkehrung der oben 128 getroffenen Aussage könnte man somit für nationales und Gemeinschaftsrecht formulieren: Der Vorrang bestimmt den Rang. Keineswegs zwingend ist es indes, wegen der besonderen Konstellation ein hierarchisches Verhältnis im Sinne der herkömmlichen Rangordnungslehre generell zu leugnen 129 . Soweit der soeben beschriebene Vorrang des Gemeinschaftsrechts reicht, besitzt dieses gegenüber dem nationalen Recht höhere Geltungskraft und ist damit materiell höherrangig. Lediglich der formelle, an den Urheber der Norm anknüpfende Rangbegriff ist auf das Verhältnis zweier eigenständiger Rechtsordnungen zueinander nicht übertragbar 130. Die „höhere Geltungskraft" des Gemeinschaftsrechts wirkt sich — neben der sogleich zu behandelnden Lösung von Kollisionsfallen — zum einen durch seine Funktion als „Maßstabsnorm" bei der Bildung des nationalen Rechts aus 131 . Ferner lie-

127 Im einzelnen ist die Vorrangfrage insbesondere im Hinblick auf das Grundgesetz ungeklärt. Vgl. Streinz, Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR VII, Rdnrn. 34 ff. und die Maastricht-Entscheidung des BVerfG v. 12.10.1993 — 2 BvR 2134/92 u.a. — BVerfGE 89, 155 ff, insbes. 182 ff; diese Fragen bleiben hier außer Betracht. 128 Siehe 1. Kap., III.2., S. 34. 129 So aber Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 71 f. 130 Dies gilt jedoch ebenso fur das Verhältnis von Bundes- und Landesrecht, vgl. März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 107 f., und oben 1. Kap., 1.2., S. 27; das übersehen Di Fabio , Richtlinienkonfomität, NJW 1990. 947, 951, und Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 71. 131 Vgl. etwa Bach, Direkte Wirkungen, JZ 1990, 1108, 1111. — Zum Problem der Maßstabsnorm vgl. Langenfeld, Direktwirkung, DÖV 1992, 955, 957 einerseits, Jarass, Grundfragen, S. 105 andererseits. Im hier interessierenden Kontext (Bildung nationalen Rechts) ist der Begriff wohl unproblematisch zu verwenden: Soweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts reicht, ist der nationale Gesetzgeber an ihn gebunden; Gemein-

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Normerwerfung

fern die materielle Höherrangigkeit des EG-Rechts und seine innerstaatliche Geltung (Beachtlichkeit) die Begründung dafür 132 , daß nationales Recht EGrechtskonform auszulegen ist 1 3 3 . Diese Auslegungsregel, die vor allem hinsichtlich der richtlinienkonformen Interpretation problematisiert wird 1 3 4 , lehnt sich an die verfassungsorientierte und -konforme Auslegung 135 nationaler Normen an, die (jedenfalls auch) aus dem Vorrang der Verfassung resultiert 136 . Wie diese wird sie begrenzt durch Wortlaut, Sinn und Zweck der in Rede stehenden Norm, deren Bedeutungsgehalt hierdurch nicht neu bestimmt und dessen Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden darf 137 . Die gemeinschaftskonforme Auslegung wird weithin akzeptiert, soweit Europäisches Gemeinschaftsrecht unmittelbare Geltung besitzt bzw. unmittelbar anwendbar ist 1 3 8 . Umstritten ist jedoch die Auslegung nationalen Rechts nach Maßgabe gemeinschaftsrecht ist insofern „Maßstab" für die Bildung nationalen Rechts. Zu den — strittigen — Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung des Maßstabs s. u. ΠΙ., S. 59 f. 132 Vgl. Langenfeld, Direktwirkung, DÖV 1992, 955, 964 m.w.N.; z.T. a.A. Jarass, Richtlinienkonforme Auslegung, EuR 1991,211,216. 133 Der EuGH stützt das Gebot der gemeinschaftskonformen Auslegung auf Art. 5 EGV, der die Mitgliedsstaaten und alle nationalen Behörden zur Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts verpflichtet. Vgl. aus der Rechtsprechung: EuGH, Rs. 14/83 — von Colson und Kamann/Land Nordrhein-Westfalen — Slg. 1984, 1891, 1909; Rs. 79/83 — Harz/Deutsche Tradax — Slg. 1984, 1921, 1942; Rs. 222/84 — Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary — Slg. 1986, 1651, 1690; Rs. 80/86 — Kolpinghuis — Slg. 1987, 3969, 3986; Rs. C-196/89 — Marleasing/La Comercial Internacional de Alimentacion — Slg. 1990,1-4135, 4159. Überblick über die Rechtsprechung bei Iglesias/Riechenberg, Richtlinienkonforme Auslegung, FS f. Everling, Bd. 2, S. 1213 ff. 134 Für das übrige primäre und sekundäre EG-Recht gilt aber nichts anderes, vgl. Jarass, Richtlinienkonforme Auslegung, EuR 1991, 211, 223; Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, VVDStRL 53 (1994), 154, 165; Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 88. 135 Zu den Begriffen vgl. nur Sachs, in: ders., GG, Einf., Rdnrn. 52 ff; der Sache nach werden unter dem Stichwort „EG-rechtskonforme Auslegung" sowohl die gemeinschaftsrechtsorientierte wie die gemeinschaflsrechtskonforme Auslegung behandelt. EGrechtsorientierte Auslegung bedeutet allgemein die Norminterpretation „im Lichte des Wortlauts und Zwecks" der Gemeinschaftsnorm (vgl. EuGH, Rs. 80/86 — Kolpinghuis Nijmegen — Slg. 1987, 3969, 3986, Tz. 12); die EG-rechtskonforme Auslegung kommt zum Tragen, wenn von mehreren Auslegungsmöglichkeiten nicht alle mit dem Gemeinschaftsrecht in Übereinstimmung zu bringen sind. 136 Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, S. 19 ff; Stern, StaatsR III/2, § 90 II 3, S. 1147 m.w.N. 137 Jarass, Richtlinienkonforme Auslegung, EuR 1991, 211, 217 ff, ders., Konflikte zwischen EG-Recht und nationalem Recht, DVB1. 1995, 954, 958 unter Hinweis auf BVerfG v. 22.10.1985 — 1 BvL 44/83 — BVerfGE 71, 81, 105 = NJW 1986, 1093 ff; vgl. auch Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, VVDStRL 53 (1994), 154,166. 138 Di Fabio, Richtlinienkonformität, NJW 1990, 947, bes. 953; Jarass, Grundfragen, S. 89 ff ; Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, VVDStRL 53 (1994), 154, 165 ff; Langenfeld, Direktwirkung, DÖV 1992, 955, 965.

3. Kap. : Europäisches Gemeinschaflsrecht und nationales Recht

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schaftsrechtlicher Richtlinien (Art. 189 Abs. 3 EGV), sofern sie nicht ausnahmsweise unmittelbar anwendbar sind 139 . Folgt man jedoch dem Konzept der materiellen Höherrangigkeit des Gemeinschaftsrechts, so kann es keinen Unterschied machen, ob die Richtlinie unmittelbar anwendbar ist oder nicht, da sie als objektives Recht in jedem Fall Beachtung beansprucht, auch wenn sie nicht an den Anwender der auszulegenden Norm, sondern an deren Urheber adressiert ist 1 4 0 .

Π. Kollisionslagen 7. Normsetzungskollisionen Wie innerhalb des nationalen Rechts kann es auch im Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht zu unmittelbaren (Normanwendungskollisionen 141 ) wie zu mittelbaren (Normsetzungskollisionen 142) Kollisionen kommen. Zwar scheiden bei der letztgenannten Fallgruppe, da das Gemeinschaftsrecht keine Regelungen über das Zustandekommen nationaler Normen enthält, rein verfahrensrechtliche Kollisionen aus. Normsetzungskollisionen können jedoch auftreten, soweit ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen 139 Gegen die ,,Richtiinienkonformität als ranghöchstes Normauslegungsprinzip" Di Fabio , NJW 1990, 947; ablehnend auch Scherzberg, Innerstaatliche Wirkungen, Jura 1993, 225, 232; sein Einwand, im Rahmen der Normauslegung seien nationale Gerichte an der Heranziehung nicht unmittelbar anwendbarer Richtlinien gehindert, da Maßstab und Grenze ihrer Entscheidungskompetenz die auf das streitige Rechtsverhältnis anwendbaren Normen seien, ist jedoch nicht haltbar: Das richterliche Prüfungsrecht erstreckt sich zwangsläufig auf Normen, die auf den zu entscheidenden Fall nicht unmittelbar anwendbar sind, vielmehr als Maßstab für die streitentscheidenden Rechtssätze dienen; vgl. auch Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 94. — Zu weiteren Problemen (Umgehung der Anforderungen an die unmittelbare Anwendbarkeit; richtlinienkonforme Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist) vgl. Jarass, Grundfragen, S. 89 ff; Langenfeld, Direktwirkung, DÖV 1992, 955, 964 f. 140 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 91; Langenfeld, Direktwirkung, DÖV 1992, 955, 957, 964; Zuleeg., Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, VVDStRL 53, 154, 167; im Ergebnis ebenso Bach, Direkte Wirkungen, JZ 1990, 1108, 1112 f.; Jarass, Richtlinienkonforme Auslegung, EuR 1991, 211, 221; ders., Grundfragen, S. 90 f.; zum Unterschied von Geltung/ Beachtlichkeit des Gemeinschaftsrechts und unmittelbarer Anwendbarkeit vgl. oben Fußn. 114. 141 Zum Begriff vgl. oben 1. Kapitel. Il.l.b), S. 29. 142 Zum Begriff vgl. oben 1. Kapitel. II. l.c), S. 30; die Unterscheidung der beiden Fallgruppen findet sich bereits bei Gerhard Hoffmann, Verhältnis, DÖV 1967, 433, 439 f.

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Norm Verwerfung

der Gemeinschaften 143 bestehen und dennoch nationales Recht erlassen wurde; ferner in den Fällen, in denen gemeinschaftsrechtliche Regelungen sich nur an die Mitgliedsstaaten wenden; das betrifft vor allem primäres Gemeinschaftsrecht sowie Richtlinien, soweit sie jeweils nicht unmittelbar anwendbar sind 144 .

2. Normanwendungskollisionen Normanwendungskollisionen können stets dann auftreten, wenn auf einen Sachverhalt gemeinschaftsrechtliche und nationale Normen gleichermaßen anwendbar sind. Nach dem Grundkonzept gemeinschaftsrechtlicher Rechtsetzung kommen damit nur Verordnungen als europäische Kollisionsnormen in Betracht, die gemäß Art. 189 Abs. 2 EGV in den Mitgliedsstaaten unmittelbar gelten. Wesentlich erweitert wird der Kreis der möglichen Kollisionen durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur unmittelbaren Anwendbarkeit (unmittelbaren Wirkung) von Bestimmungen der Verträge und vor allem von Richtlinien.

a) Primäres Gemeinschaftsrecht Primäres Gemeinschaftsrecht verpflichtet — seiner ursprünglich völkerrechtlichen Herkunft entsprechend — unmittelbar die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaften und begründet insoweit grundsätzlich keine innerstaatlichen Rechte oder Verpflichtungen. Dementsprechend kann auch keine Kollision mit nationalem Recht bei der Normanwendung auftreten, da die Adressaten des Vertragsrechts — also vor allem die Parlamente — und die Adressaten des nationalen Rechts nicht identisch sind. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 145 sind jedoch Vertragsbestimmungen, die „rechtlich perfekt", d.h. abschließend und vollständig sind sowie zu ihrer Anwendung keines weiteren Umsetzungsaktes bedürfen, unmittelbar wirksam und sind damit von allen staatlichen Organen (unmittelbar) anzuwenden.

143 Zu den ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeiten vgl. Streinz, Europarecht, Rdnrn. 129 ff. 144 Zur unmittelbaren Anwendbarkeit vgl. o. Fußn. 114. — Besteht eine Unvereinbarkeit nationalen Rechts mit unmittelbar anwendbaren Normen des Gemeinschaftsrechts, liegt eine Normanwendungskollision vor, da dann widersprüchliche Normbefehle an den Normanwender gerichtet sind. 145 Grundlegend EuGH, Rs. 26/62 — Van Gend & Loos — Slg. 1963, 1, 25 f.

3. Kap. : Europäisches Gemeinschafsrecht und nationales Recht

5

b) Unmittelbar anwendbare Richtlinien Richtlinien nach Art. 189 Abs. 3 EGV verpflichten die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels und bedürfen der Umsetzung in nationales Recht. Adressaten der Richtlinien sind die innerstaatlichen Stellen, die zur nationalen Rechtsetzung ermächtigt sind 146 , also (je nach Kompetenz 147 ) die Parlamente des Bundes oder der Länder, sowie die von ihnen zu Verordnungsgebung ermächtigten Exekutivorgane 148 . Grundsätzlich finden somit Richtlinien nur mittelbar, über das nationale Umsetzungsrecht, Anwendung. Wie bei primärem Gemeinschaftsrecht scheidet deshalb eine Normanwendungskollision prinzipiell aus 149 . Werden Richtlinien jedoch nicht fristgerecht oder nur unzulänglich umgesetzt, sollen sie nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs allerdings, um die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, unter bestimmten Voraussetzungen und innerhalb bestimmter Grenzen, auch unmittelbar anwendbar sein 150 . Hierzu muß die Richtlinie inhaltlich unbedingt sowie hinreichend bestimmt sein 151 . Der zugrunde liegende Gedanke, daß sich der Mitgliedsstaat nicht innerstaatlich seinen durch die Richtlinie begründeten 146

Art. 189 Abs. 3 EGV ordnet diese Pflicht zur Umsetzung in Gesetzesform selbst nicht an, sondern „überläßt den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel". Nach der Auslegung durch den EuGH sind jedoch „die Formen und Mittel zu wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit („effet utile) der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zwecks am besten eignen (EuGH, Rs. 48/75 — Royer — Slg. 1976, 497, 517); das erfordert die Bereitstellung eines eindeutigen gesetzlichen Rahmens (EuGH, Rs. C-339/87 — Kommission/Niederlande — Slg. 1990, 851, 885 Tz. 25); die Übereinstimmung der tatsächlichen Praxis mit den Anforderungen der Richtlinie genügt ebensowenig, wie die Umsetzung durch Verwaltungsvorschriften, deren zwingender Charakter umstritten ist (EuGH, Rs. C-361/88 — Kommission/Bundesrepublik Deutschland — NVwZ 1991, 866, 867). 147 Himmelmann, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben, DÖV 1996, 145 f.; Jarass, Grundfragen, S. 60 f. 148 Zu den Anforderungen an die Ermächtigung vgl. Streinz, Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 182, Rdnrn. 54 f. 149 Vgl. Hans-Jürgen Wolff, Einhaltung von Bestimmungen in EG-Richtlinien, VR 1991 77, 80. 150 St. Rspr., seit EuGH, Rs. 41/74 — van Duyn/Home Office — Slg. 1974, 1337, 1348; vgl. ferner Rs. 148/78 — Tullio Ratti — Slg. 1979, 1629, 1642; Rs. 8/81 — Bekker/Finanzamt Münster Innenstadt — Slg. 1982, 53, 71; Rs. 152/84 — Marshall/Southampton — Slg. 1986, 737, 748 Tz. 46 f.; Rs. 71/85 — Niederlande/Federatie Nederlandse Vakbeweging — Slg. 1986, 3855, 3874, Tz. 3 f.; zuletzt Rs. C431/92 — Kommission/Bundesrepublik Deutschland — DVB1. 1996,424, 425. — Das BVerfG (v. 8.4.1987 — 2 BvR 687/85 — BVerfGE 75, 223, 237 ff. = DVB1. 1988, 38 ff.) hat diese Rechtsprechung als zulässige Rechtsfortbildung anerkannt. 151 Zu den Kriterien im einzelnen Jarass, Grundfragen, S. 72 ff.

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Normerwerfung

Verpflichtungen durch das Unterlassen der Umsetzung entziehen könne, wurde ursprünglich vor allem auf Rechtsschutzerwägungen gestützt, sofern die Richtlinie individualschützenden Charakter hatte 152 . Dies ist aber keine notwendige Bedingung 153 , da bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen die unmittelbare Wirkung der Richtlinie als objektives Recht deren Anwendung durch alle staatlichen Organe fordert 154 . Der Begründung der unmittelbaren Anwendbarkeit entsprechend greift sie nur ein, soweit sich aus der Richtlinie staatliche Verpflichtungen ergeben. Dagegen kann sich weder der Staat dem Bürger gegenüber zu dessen Lasten auf eine Richtlinie berufen, die eines nationalen Umsetzungsaktes ermangelt 155 , noch werden durch nicht umgesetzte Richtlinien Pflichten der Unionsbürger untereinander begründet (sog. horizontale Direktwirkung) 156 . Dagegen soll eine den Bürger bloß mittelbar belastende Wirkung, die nicht aus der Richtlinie selbst, sondern aus der daraus folgenden staatlichen Handlungspflicht resultiert, die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien nicht ausschließen157.

152 Der EuGH hat in der Rs. 103/88 — Constanzo — Slg. 1989, 1839 ff. = DVB1. 1990, 689, 690, erstmals klargestellt, daß die unmittelbare Anwendbarkeit nicht davon abhängt, daß sich ein Betroffener vor Gericht auf sie beruft, sondern daß bei Erfüllung der genannten Kriterien alle Träger der öffentlichen Verwaltung (objektiv) zur Anwendung verpflichtet sind; dazu Pieper, Direktwirkung, DVB1. 1990, 684 ff 153 Anders etwa Haneklaus, Direktwirkung, DVB1. 1993, 129, 132. 154 EuGH, Rs. C-431/92 — Kommission/Bundesrepublik Deutschland — DVB1. 1996, 424 ff; so schon Jarass, Voraussetzungen der innerstaatlichen Wirkung, NJW 1990 2420,2422 f. 155 Bach, Direkte Wirkungen, JZ 1990, 1108, 1115; H aneklaus, Direktwirkung, DVB1. 1993,129, 133. 156 St. Rspr. seit EuGH, Rs. 152/84 — Marshall/Health Authority — Slg. 1986, 723, 749; jüngst Rs. C-91/92 — Faccini Dori/Recreb — NJW 1994, 2473, 2474; Rs. ΟΙ 92/94 — El Corte Inglés/Cristina Blâzquez Rivero — NJW 1996, 1401, 1402; dazu Bach Direkte Wirkungen, JZ 1990, 1108, 1115. 157 So Epiney, Unmittelbare Anwendbarkeit, DVB1. 1996, 409, 413; dies ist auch die Konsequenz des Urteils des EuGH, Rs. C-431/92 — Kommission/Bundesrepublik Deutschland — DVB1. 1996, 424 ff, wenngleich das Problem dort nicht erörtert wird. Im Ergebnis zustimmend auch Calliess, Unmittelbare Wirkung, NVwZ 1996, 339, 341 m.w.N.; kritisch dagegen Gellermann, Auflösung von Normwidersprüchen, DÖV 1996, 433,437, der moniert, daß diese mittelbare belastende Wirkung sich nicht auf das — der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien zugrundeliegende — Verbot widersprüchlichen Verhaltens stützen läßt; ebenso Papier, Direkte Wirkung, DVB1. 1993, 809, 811 f., der zudem auf einen möglichen Konflikt mit dem Vorrang und dem Vorbehalt des Gesetzes hinweist, die als zentrale Rechtsprinzipien des Grundgesetzes einer Verdrängung durch Gemeinschaftsrecht nicht zugänglich seien.

3. Kap. : Europäisches Gemeinschafsrecht und nationales Recht 3. Direkte und indirekte Kollisionen In der europarechtlichen Literatur wird darüber hinaus differenziert zwischen direkten und indirekten Kollisionen 158 . Eine direkte Kollision liegt danach vor, wenn bei gleichem Regelungsgegenstand Gemeinschaftsrecht und nationales Recht einander ausschließende Rechtsfolgen anordnen. Eine indirekte Kollision ist dadurch gekennzeichnet, daß nationales Verfahrensrecht die Durchsetzung materiellen Gemeinschaftsrechts behindert oder ausschließt. Zu nennen ist hier insbesondere 159 die Ausgestaltung von Rechtsmittel- oder Präklusionsfristen 160 oder die Einräumung von Ermessensspielräumen bei der Rücknahme (gemeinschafts-) rechtswidriger Verwaltungsakte 161. Da bzw. soweit 1 6 2 hierfür keine speziellen Regelungen des (sekundären) Gemeinschaftsrechts bestehen, liegt insoweit keine direkte Kollision und keine Anwendungskollision vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jedoch verpflichtet Art. 5 EGV die Mitgliedsstaaten dazu, den ordnungsgemäßen Vollzug des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen. Bei Anerkennung unterschiedlicher Praktizierung des Gemeinschaftsrecht aufgrund divergierender nationaler Verfahrensvorschriften setzen danach aus Art. 5 und 6 EGV entwickelte allgemeine Rechtsgrundsätze den nationalen Verfahrensrechten folgende Schranken 163: Das Effizienzgebot (effet utile 1 6 4 ) fordert, daß die Verfahren die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder über158

Huthmacher, Vorrang des Gemeinschaftsrechts, bes. S. 134 ff.; Jarass, Konflikte zwischen EG-Recht und nationalem Recht, DVB1. 1995, 954, 959 f.; Streinz, Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 182, Rdnrn. 26 f.; Albrecht Weber, Verwaltungskollisionsrecht, EuR 1986,1,3. 159 Ausfuhrlich zu den in diesem Zusammenhang zu nennenden Problemfeldern Huthmacher, Vorrang des Gemeinschaftsrechts, S. 7 ff, 203 ff. 160 Vgl. z. B. EuGH, Rs. C-312/93 — Peterbroek — DVB1. 1996,249, 250. 161 Vgl. EuGH, Rs 205-215/82 — Deutsche Milchkontor/Bundesrepublik Deutschland— Slg. 1983, 2633ff. fur den unmittelbaren Vollzug von Gemeinschaftsrecht durch den Mitgliedsstaat; EuGH, Rs 310/85 — Deufil/Kommission — Slg. 1987, 901 ff. zum mittelbaren Vollzug von Gemeinschaftsrecht. Dazu etwa Streinz, Vertrauensschutz und Gemeinschaftsinteresse, Verwaltung 23 (1990), 153, 158 ff ; ders., Europarecht, Rdnrn. 479 ff. m.w.N.; Albrecht Weber, Verwaltungskollisionsrecht, EuR 1986, 1, 17 ff. 162 EuGH, Rs 205-215/82 — Deutsche Milchkontor/Bundesrepublik Deutschland — Slg. 1983, 2633, 2665; zu der sog. „Soweit-Formel" des EuGH vgl. etwa Rengeling, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, VVDStRL 53,202,226 f. m.w.N. 163 EuGH, Rs 33/76 — Rewe/Landwirtschaftskammer für das Saarland — Slg. 1976, 1989, 1998; Rs 68/79 — Just/Ministerium für das Steuerwesen — Slg. 1980, 501, 522 f.; zuletzt Rs C-312/93 — Peterbroek — DVB1. 1996, 249, 250 m.w.N.; s.a. Streinz, Europarecht, Rdnrn. 482 ff lé4 Hierzu ausführlich Streinz, Der „effet utile", in: FS f. Everling, Bd. II, S. 1491 ff, speziell zum effizienten Vollzug des Gemeinschaftsrecht daselbst S. 1500 ff; ferner

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der Norm Verwerfung

mäßig erschweren; das Diskriminierungsverbot verlangt die Gleichbehandlung mit Verfahren, die nur innerstaatliches Recht betreffen 165 . Diese Schranken sind in den Mitgliedsstaaten unmittelbar anwendbar und damit grundsätzlich 166 bei der Anwendung nationaler Normen zu beachten167. Daraus erhellt, daß es sich bei den sogenannten indirekten Kollisionen (wie bei direkten) zuvörderst um Normkonkurrenzen nach der hier vorgenommenen Unterscheidung handelt, da die fraglichen Normen denselben Adressaten haben und zugleich auf denselben Sachverhalt anwendbar 168 sind 169 . Die europarechtliche Differenzierung knüpft lediglich an den unterschiedlichen Regelungsgegenstand der „indirekt kollidierenden" Normen — hier materielles Recht, dort Verfahrensrecht — an. Die von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorgezeichnete Lösung über allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts führt bei Überschreitung der durch sie gesetzten Schranken

etwa Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht, DVB1. 1993, 924 931. Kritisch hinsichtlich der Entscheidungspraxis des EuGH, bei grundsätzlicher Zustimmung zu dessen Konzeption Albrecht Weber, Verwaltungskollisionsrecht, EuR 1986, 1,19 (der die Kollision von Effizienzgebot und Diskriminierungsverbot problematisiert); Kritik auch bei Rengeling, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, VVDStRL 53 (1994), 202,228 ff. 166 Mit dieser Formulierung soll bezüglich der Frage nach der Verwerfungskompetenz nichts vorweggenommen werden. Die Beachtenspflicht aktualisiert sich zuvörderst bei der Auslegung der einschlägigen nationalen Normen, vermag also beispielsweise die Ermessensausübung gem. § 48 Abs. 1 VwVfG zu beeinflussen oder als Element des öffentlichen Interesses im Rahmen der Abwägung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO fur die Anordnung der sofortigen Vollziehung wirksam zu werden; vgl. etwa Rengeling, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, VVDStRL 53 (1994), 202, 228 f. — Um eine echte Kollision im Sinne der hier verwandten Terminologie handelt es sich erst, wenn die Beachtenspflicht nicht mehr im Wege der Auslegung erfüllt werden kann. 167 Zur Differenzierung zwischen zu vollziehendem und zu beachtendem Recht siehe Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht, DVB1. 1993, 924, 926. 168 Genauer gesagt: Es gibt Sachverhalte, auf die die entsprechenden Normen gleichermaßen anwendbar sind. Ihre Anwendungsbereiche sind nicht deckungsgleich, überschneiden sich jedoch. 169 Deshalb lassen sich die Fälle der indirekten Kollision ebensogut als direkte Kollision verstehen (vgl. Eckart Klein, Vereinheitlichung des Verwaltungsrechts, in: Starck, Rechtsvereinheitlichung, S. 117, 137), je nachdem, welche Normen herangezogen werden. Als Beispiel sei die Rücknahme der Bewilligung einer unter Verstoß gegen Art. 92 Abs. 1, 93 Abs. 3 EGV gewährten Beihilfe genannt (vgl. EuGH, Rs 310/85 — Deufil/Komission — Slg. 1987, 901 ff.). Soweit § 48 Abs. 2 VwVfG die Rücknahme ausschließt liegt mangels gemeinsamen Regelungsgegenstands keine direkte Kollision mit Art. 92, 93 EGV vor. Fordern dagegen Effektivitätsgebot und Diskriminierungsverbot die Rücknahme der Bewilligung, so kollidiert § 48 Abs. 2 VwVfG mit diesen direkt.

3. Kap. : Europäisches Gemeinschafsrecht und nationales Recht

5

zu einer Normanwendungskollision 170 . Da es sich mithin nicht um eine wesensmäßig andere Kollisionslage handelt, wird von einer gesonderten Behandlung der indirekten Kollisionen im folgenden abgesehen.

HL Rechtsfolgen der Kollision von nationalem und Gemeinschaftsrecht Die Lösung des Problems der Kollision von nationalen und EG-rechtsnormen wird (mittlerweile nahezu einhellig 171 ) mit dem Begriff des Anwendungsvorrangs 172 des Gemeinschaftsrechts bezeichnet 173 . Damit ist gemeint, daß im Konfliktfall die dem Europarecht widersprechende Norm unanwendbar ist und stattdessen die Vorschrift des Gemeinschaftsrecht Anwendung findet. Im Gegensatz zum „Geltungsvorrang" bleibt die Gültigkeit des nationalen Rechtssatzes unberührt. Damit wird zum einen der „Übergriff' des supranationalen Rechts auf die mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen auf das Mindestmaß dessen begrenzt, was zur praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts unabdingbar ist (wenngleich eine Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers zur Anpassung besteht 174 ), zum anderen läßt diese Kollisionsregel die Geltung und

170

Auf die Abhängigkeit der jeweihgen Kollisionslage von der Bestimmtheit der Kollisionsnorm des Gemeinschaftsrechts weist Huthmacher, Vorrang des Gemeinschaflsrechts, S. 135, hin: Je generalisierender die Kollisionsnorm ist, desto häufiger liegt eine direkte Kollision vor. 171 Die von Grabitz (Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, S. 93 f., 113) begründete Lehre vom Geltungsvorrang hat sich nicht durchgesetzt und ist auch von Grabitz selbst wieder aufgegeben worden, vgl. dens., Verhältnis, in: Kruse, Zölle, Verbrauchssteuern, europäisches Marktordnungsrecht, S. 33, 43 in Fußn. 38; zu heutigen Vertretern dieser Lehre vgl. Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, VVDStRL 53 (1994), 154, 160 m.w.N. in Fußn. 29. 172 Der Begriff wird zum erstenmal verwandt von Gerhard Hoffmann , Verhältnis, DÖV 1967,433,438. 173 Vgl. Hans Peter Ipsen, Die Bundesrepublik Deutschland in den Europäischen Gemeinschaften, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 181 Rdnr. 58; Jarass, Grundfragen, S. 2 f.; Streinz, Europarecht, Rdnrn. 200 f.; BVerfG v. 8.4.1987 — 2 BvR 687/85 — BVerfGE 75,223,244 = DVB1. 1988, 38 ff; BVerfG v. 28.1.1992— 1 BvR 1025/82 u.a. —BVerfGE 85, 191,204 = DVB1. 1992, 365; BVerwG v. 29.11.1990 — 3 C 77/87 — BVerwGE 87, 154, 158 f.; s. a. BVerwG v. 30.11.1992 — 2 Β 188/92 — DVB1. 1993, 559, 560 m.w.N. — Der EuGH hat sich inzwischen ebenfalls deutlich zu dieser Sicht bekannt (Rs. C-l84/89 — Nimz/Freie und Hansestadt Hamburg — Slg. 1991, I297, 321), nachdem eine Formulierung im „Simmenthal-ir-Urteil (Rs. 106/77 — Staatliche Finanzverwaltung/Simmenthal — Slg. 1978, 629, 644) eine Tendenz zum Geltungsvorrang auszudrücken schien. ™ EuGH, Rs. 167/73 — Kommission/Französische Republik — Slg. 1974, 359, 372 f.

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1. Teil: Die materiellrechtliche Grundlage der N o r m e r w e r f g

Anwendbarkeit der nationalen Norm in den Fällen zu, in denen ein Konflikt mit Gemeinschaftsrecht nicht besteht 175 . Bereits der Begriff „Anwendungsvorrang" deutet an, daß diese Kollisionslösung nur einen Teilbereich der möglichen Normenkonflikte betrifft: nach der hier verwendeten Terminologie Nonnanwendungskollisionen, also Konstellationen, in denen sich der Normanwender widersprüchlichen Normbefehlen gegenübergestellt sieht. Die vorrangige Anwendung Europäischen Rechts in einem Einzelfall kann nur in Betracht kommen, wenn dieses Recht in diesem Fall auch tatsächlich unmittelbar gilt bzw. unmittelbar anwendbar ist 1 7 6 . Die Rechtsfolge bei Normsetzungskollisionen — etwa durch kompetenzwidrig erlassenes nationales Recht, gleichermaßen durch fehlende oder fehlerhafte Umsetzung europäischer Regelungsaufträge, die selbst nicht unmittelbar anwendbar sind — ist weithin ungeklärt. Teilweise wird hier von der Nichtigkeit 1 7 7 bzw. Unanwendbarkeit 178 der EG-rechtswidrigen nationalen Vorschrift ausgegangen, da ein Verstoß gegen höherrangiges Recht vorliege. Abgesehen von dem Problem, welches Recht stattdessen anwendbar sein soll, ergibt diese Lösung jedenfalls in einigen Fällen einen nicht zu behebenden Wertungswiderspruch mit den Grundlagen des (Anwendungs-)Vorrangs des Gemeinschaftsrechts, nämlich seiner praktischen Wirksamkeit: So kann die Nichtanwendung einer nationalen Regelung, die einen Rechtsetzungsauftrag des Europäischen Rechts nur unzureichend umsetzt, zu einem Ergebnis fuhren, das dem Gemeinschaftsrecht noch ferner steht, als seine Anwendung 179 . Ein besonders deutliches Beispiel hierfür bieten Richtlinien über Grenzwerte von Luftschadstoffen, deren Umsetzung durch Verwaltungsvorschriften (TA-Luft) der Europäische Gerichtshof als unzureichend bewertete, wenngleich diese wie 175 Vgl. etwa BGH v. 18.9.1989 — AnwZ (B) 24/89 — NJW 1990, 108 — Dazu auch Jarass, Voraussetzungen der innerstaatlichen Wirkung, NJW 1990,2420,2421. 176 Jarass, Grundfragen, S. 4; unklar Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, VVDStRL 53 (1994), 154, 162 f., der auch das kompetenzwidrig erlassene nationale Gesetz unter diese Kollisionslösung fallen lassen will, gleichwohl aber die unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts fordert. Der Normwiderspruch, der alleine in der Kompetenzüberschreitung liegt, wirkt sich aber für den Anwender der erlassenen Norm gerade nicht als Normenkonflikt aus, da Vorschriften über die Normsetzungskompetenzen den Gesetzgeber, nicht den Gesetzesanwender zum Adressaten haben. 177 So Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rdnr. 34 für den Fall der kompetenzwidrig erlassenen nationalen Norm, mit dem zutreffenden Hinweis, daß sich in diesem Falle die Rangfrage nicht stelle (siehe dazu bereits oben 1. Kap., II. 1 .c), S. 30). 178 Langenfeld, Direktwirkung, DÖV 1992, 955, 963. 179 Vgl. Jarass, Grundfragen, S. 104 f.

3. Kap. : Europäisches Gemeinschafsrecht und nationales Recht auch die darauf gestützte Verwaltungspraxis inhaltlich nicht zu beanstanden waren 180 . Daher ist der Ansicht der Vorzug zu geben, die die Gültigkeit und Anwendbarkeit des nationalen Rechts beim Vorliegen von Normsetzungskollisionen bejaht 181 1 8 2 .

180 EuGH, Rs. C-361/88 — Kommission/Bundesrepublik Deutschland — NVwZ 1991 866, 867. Im Ergebnis ebenso, wenngleich mit jeweüs unterschiedlicher Begründung etwa Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 959; Gerhard Hoffmann , Verhältnis, DOV 1967, 433, 440. 182 Freilich sind auch die Konsequenzen dieser Ansicht nicht völlig unproblematisch: Zwar besteht die Möglichkeit, etwa i.R. eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 169 EGV die Fehlerhaftigkeit des nationalen Rechts festzustellen; dieses Urteü hat jedoch keine kassatorische Wirkung und läßt die Geltung der fraglichen Norm weiter unberührt. Auch besteht keine Vollstreckungsmöglichkeit, die dem Gemeinschaftsrecht zur Durchsetzung verhelfen könnte.

2.

Teil

Meinungsstand und Kritik

Zu Beginn wurde der Begriff der Normverwerfung, wie er hier zugrundegelegt wird, als Nichtanwendung oder Nichtbeachtung einer Norm wegen ihrer Rechtswidrigkeit definiert 1. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich nach der hier verwendeten Terminologie aus einer Kollisionslage zwischen zwei Normen unterschiedlichen Ranges. In der Literatur wird regelmäßig als der Frage nach der Verwerfungskompetenz vorgelagert das Problem erörtert, ob die Verwaltung zur Überprüfung von Normen überhaupt befugt sei. Denn um festzustellen, ob es sich um eine rechtswidrige Norm handelt oder nicht, bedürfe es der Kontrolle der Norm anhand aller für sie geltenden Maßstäbe. Ist die Verwaltung nun berechtigt oder gar verpflichtet, vor jeder Beachtung und Anwendung eines Gesetzes im materiellen Sinn die Einhaltung der Entstehungsvoraussetzungen und der inhaltlichen Maßstäbe, die die Rechtsordnung für die konkrete Vorschrift setzt, zu kontrollieren? Diese Problematik ist vor allem im Hinblick auf förmliche Gesetze thematisiert worden, hat indes für alle Normen Bedeutung. Im folgenden soll zunächst der Meinungsstand referiert und einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Daran schließt sich eine Darstellung der zur Verwerfungskompetenz vertretenen Meinungen an. Zum Abschluß des 2. Teils wird auf die wesentlichen Argumente eingegangen, die für oder gegen das Bestehen einer Verwerfungskompetenz vorgebracht werden.

1

Vgl. oben Einleitung, II, S. 21.

1. Kap.: Normprüfungskompetenz der Exekutive?

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7. Kapitel

Normprüfungskompetenz der Exekutive? L Meinungsstand zur Prüfungskompetenz 7. Die Ablehnung der Prüfungskompetenz Vereinzelt wurde das Bestehen einer Prüfungskompetenz der Exekutive hinsichtlich förmlicher Gesetze geleugnet und daraus der Schluß gezogen, daß die Verwaltung jedes Gesetz zwingend als verfassungsgemäß zu betrachten habe2. Die Prüfung, so die Argumentation, verstoße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung und greife in die Kompetenzen der Legislative ein. Denn hierdurch führte die Exekutive eine Kontrolle der Gesetzgebungsorgane durch, zu der sie nicht ermächtigt sei. Zwar sei die Gewaltenteilung stets in der konkreten Ausprägung zu beachten, die sie durch das Grundgesetz erfahren habe. So ergäbe sich aus Art. 100 Abs. 1 GG, wenn auch nur implicite, die Prüfungsbefugnis der Judikative gegenüber der Legislative, da anderenfalls kein Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig halten könne. Eine dementsprechende Norm jedoch fehle für das Handeln der Exekutive. Ein Prüfungsrecht gäbe der Verwaltung eine gewichtige Einwirkungsmöglichkeit auf die Legislative an die Hand. Damit würde die Macht der vollziehenden Gewalt weiter vermehrt, was durch die Gewaltenteilung gerade verhindert werden solle3. Zudem sei die Normprüfung mit Art. 33 Abs. 5 GG nicht vereinbar: Aus der hierin verankerten Gehorsamspflicht als eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums ergebe sich die Verpflichtung des Beamten, Weisungen seiner Vorgesetzten Folge zu leisten. Dann müsse sich die Gehorsamspflicht erst recht auf ordnungsgemäß erlassene und verkündete Gesetze erstrecken.

2. Prüfungskompetenz

und Gesetzesbindung

Mittlerweile ist allerdings die Kompetenz der Exekutive, Normen auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu prüfen, nahezu unbestritten 4.

2

So Könitz, Aussetzung der Vollziehung, NJW 1960,226 ff. Könitz, Aussetzung der Vollziehung, NJW 1960, 226, 228. 4 Vgl. nur Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 823; Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), S. 393, 396 f., jüngst Schmidt3

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

Rechtsgrundlage hierfür soll — soweit es um die Vereinbarkeit mit nationalem Recht geht — Art. 20 Abs. 3 GG sein, der die Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht anordnet. Ferner ergebe sich die Prüfungskompetenz aus dem Begriff der Normanwendung: sie setze Norminterpretation voraus. Diese wiederum bedinge ihrerseits die Beachtung der Rangordnungsregeln und zwinge somit zur Prüfung der Geltung der anzuwendenden Gesetze5. Darüber hinaus wird verschiedentlich die Grundrechtsbindung der Exekutive (Art. 1 Abs. 3 GG) als Rechtsgrundlage herangezogen6. Ferner sehen manche Autoren das Bestehen der Normprüfungsbefugnis durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG bestätigt 7 : Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel über die Verfassungsmäßigkeit von Rechtsnormen entstünden nur aufgrund einer entsprechenden Prüfung, weshalb (jedenfalls) die Regierungen als Exekutivspitzen hierzu berechtigt sein müßten8. Vereinzelt wird schließlich aus den beamtenrechtlichen Gehorsamsund Remonstrationsvorschriften (§§ 37, 38 BRRG, §§ 55, 56 BBG) die Prüfungskompetenz als notwendige Voraussetzung abgeleitet9. Entsprechend wird in der europarechtlichen Literatur die Prüfungskompetenz der Verwaltung begründet. Auf der Grundlage der unmittelbaren Geltung und des Anwendungsvorrangs des Europarechts folge das Verbot europarechtswidriger Handlungen und damit die Prüfungspflicht 10 als Teil des Rechtsfindungsvorgangs 11. Aßmann, Rechts- und Gesetzesbindung, in: FS f. Stern, S. 745, 759; so auch noch Wehr, Grundfälle, JuS 1997,231,234. 5 Abelein, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 145, 147; Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 226; Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 113 ff., ders., Prüfung von Gesetzen, DÖV 1965, 253, 259; Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193, 199; Hutka, Gemeinschafisrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 131; Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 34 f., Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 823; v. Mutius/ Hi II, Behandlung fehlerhafter Bebauungspläne, S. 56; Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), S. 393, 397; Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 44 f :, Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1. 6 Vgl. z. B. Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 103 ff; auch Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 130 f. 7 Etwa Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1, 2; Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 116\ Michel, Normenkontrolle, NJW 1960, 841, 842. 8 In diesem Sinne Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 116 („direkte Positivierung" der Prüfungskompetenz fur die Exekutivspitze); Michel, Normenkontrolle, NJW 1960, 841, 842 und Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1, 2 sehen dagegen lediglich das Normenkontrolkwiragsrecht auf die Exekutivspitzen beschränkt, das Prüfungsrecht hingegen auch für die weiteren Stufen der Verwaltung bestätigt. 9 Groß, Inzidente Normenkontrolle, S. 107 ff., 123. 10 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 84. 11 Jamrath, Normenkontrolle, S. 77.

1. Kap. : Normprfngskompetenz der Exekutive?

65

Die grundsätzlich jeden Amtswalter treffende Prüfungspflicht wird jedoch teilweise modifiziert bzw. eingeschränkt. Insbesondere Bachof hat darauf verwiesen, den Prüfungsumfang an den Rechtskenntnissen der Organwalter auszurichten, die in ihrer Mehrzahl Nichtjuristen seien und denen eine Beurteilung schwieriger Rechtsfragen nicht zugemutet werden könne 12 . Im übrigen sei die Arbeitsweise der Verwaltung „in erster Linie auf tätiges Handeln und nicht auf gelehrtes Meditieren" ausgerichtet. Ihr sei es aus diesem Grunde nicht möglich, jedes Gesetz einer umfassenden Prüfung zu unterziehen. Vielmehr genüge eine allgemeine oder summarische Prüfung in dem Sinne, daß jede Behörde im Regelfall von der Verfassungsmäßigkeit einer Norm ausgehen dürfe und in eine Überprüfung nur eintrete, wenn ausnahmsweise Anlaß bestünde, an der Verfassungsmäßigkeit zu zweifeln 13 . Übereinstimmung besteht bei den Befürwortern der Normprüfungskompetenz indes hinsichtlich des Zwecks der Prüfung: Dieser bestehe nicht in der Kontrolle der (Tätigkeit der) Gesetzgebungsorgane. Eine solche widerspräche der grundgesetzlichen Ausgestaltung des Gewaltenteilungsgrundsatzes, der zwar eine parlamentarische Kontrolle der Exekutive, nicht aber eine exekutive Kontrolle des Parlaments vorsehe. Vielmehr diene die Überprüfung der Selbstkontrolle des Verwaltungshandelns 14.

3. Die Ansicht Kabischs Die bislang umfassendste und zugleich eigenwilligste Untersuchung der Prüfungskompetenz der Exekutive in bezug auf nachkonstitutionelle Gesetze hat Kabisch vorgenommen 15. Sie soll an dieser Stelle umfassender referiert werden, 12 Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 210; ihm im wesentlichen folgend Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S.108 f. Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 210; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 108 f.; Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 117 f.; ders., Prüfung von Gesetzen, DÖV 1965, 253, 259; Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1; dagegen wendet sich Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 47, mit dem Argument, der Umfang der aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Gesetzesbindung könne nicht aus Praktikabilitätserwägungen eingeschränkt werden. 14 Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 208; Groß, Inzidente Normenkontrolle, S. 123 ff.; Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 123; Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193; Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 84, 130; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 100 ff. 15 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze im Bereich der Exekutive, 1967. 5 Wehr

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

da sie sich von Ansatzpunkt, Begründung und Ergebnis erheblich von allen anderen Stellungnahmen unterscheidet und infolgedessen nicht in die „gängige" Argumentation einzuordnen ist. Kabisch kommt zu dem Ergebnis, daß zum ersten „die Exekutive" aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Eigenständigkeit gegenüber den beiden anderen Gewalten, insbesondere auch gegenüber der Legislative, nach Art. 20 Abs. 2 GG eine originäre Kompetenz zur Überprüfung von förmlichen Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit besitzt. Diese gehöre zum „gesetzesfesten Kernbereich" der exekutiven Eigenkompetenzen und diene nicht der Kontrolle legislativen Handelns, sondern der Überprüfung von Sachkompetenzen der Exekutive selbst16. Zum zweiten bestimmt er als Pflichtsubjekt der Prüfungskompetenz, d.h. als die zur Überprüfung berufenen Exekutivorgane, die (Bundes- und Landes-) Regierungen. Ihrer Funktion nach sei die Normprüfung auf das zukünftige Verhalten der Exekutive bezogen, habe damit leitenden, vorausplanenden und vorbereitenden Charakter und sei innerhalb der Exekutive deshalb nicht der Administrative als „Organ" der Gesetzesvollziehung, sondern der Gubernative zuzurechnen 17. Schließlich sei die einzig funktions- und systemgerechte Konsequenz der Prüfungsbefugnis die in Art. 93 I Nr. 2 GG eingeräumte Möglichkeit, (bereits) bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines förmlichen Gesetzes eine allgemeingültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen.

a) Die Stellung der Exekutive Der Ansatzpunkt Kabischs ist zunächst die Stellung der Exekutive im Verfassungssystem und die funktionelle Beziehung des Gesetzes auf die Exekutivfunktion. (1) Zunächst begründet Kabisch die — im Verhältnis zu anderen Gewalten, insbesondere zur Legislative — eigenständige Stellung der Exekutive. Sie besitze eigene demokratische Legitimation und habe eigene, (nur) aus der Verfassung ableitbare Kompetenzen. Ihre Handlungsfähigkeit beziehe sie aus der demokratischen Legitimation. Aus diesem Grunde sei ein Totalvorbehalt der Legislative, wie er vereinzelt postuliert wurde 18 , unter der geltenden Verfassungsstruktur im Hinblick auf das demokratische Prinzip weder erforderlich noch 16

Vgl. nur Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 190. Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 144 ff, 192 f. 18 Vgl. Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 45 ff. mit Hinweis insbesondere auf Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 171 ff. 17

1. Kap. : Normpriifìingskompetenz der Exekutive?

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begründbar. Ihrem Wesen nach sei die Exekutive eine verfassungsunmittelbare, wenngleich durch Gesetz bindbare und in ihren Kompetenzen bestimmbare und beschränkbare, eigenständige staatliche Funktion 19 . (2) Die Exekutive verfuge über eine allen Sachkompetenzen vorgelagerte „allgemeine Handlungszuständigkeit". Darunter versteht Kabisch 20 die generelle Befugnis und Verpflichtung der Exekutivorgane zur eigeninitiativen Wahrnehmung aller ihrer Sachkompetenzen. Das Prinzip der Eigeninitiative sei das fundamentale Handlungsprinzip staatlicher Organe bei Ausübung aller staatlichen Gewalt 21 im „staatsrechtlichen Außenverhältnis" zwischen dem Staat und dem Bürger. Der Staat, d. h. die für ihn handelnden Organe bedürften grundsätzlich keiner von „außen" kommenden Veranlassung zum Handeln, sondern seien weitgehend befugt und verpflichtet, aus eigener Initiative tätig zu werden. Dies gelte für die einzelnen Organe in unterschiedlicher Weise. Grundsätzlich nur auf fremde Initiative hin tätig würden die Organe der Rechtsprechung, soweit sie Rechtsprechung im materiellen Sinne ausübten22. Dies sei allerdings ein notwendiges Korrelat zur richterlichen Unparteilichkeit. In der Exekutivfunktion dagegen erscheine „der handelnde Staat" 23 , der in eigener Sache und deshalb prinzipiell aus eigener Initiative tätig werde. Die Exekutivorgane seien nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet, ihre Kompetenzen wahrzunehmen. Dies resultiere einerseits aus dem Zweck der Schaffung von Organen, staatliches Handeln zur Erfüllung von Staatsaufgaben zu ermöglichen 24. Ferner seien Kompetenzen keine subjektiven Rechte des (ohnehin regelmäßig nicht rechtsfähigen) Organs, vielmehr ergebe sich aus dem Wesen der Organbefugnis stets die Pflichtigkeit des Organs, von den Kompetenzen Gebrauch zu machen25. (3) Der Kompetenzbereich der Exekutive setzt sich nach Kabisch 26 aus zwei Kategorien zusammen: Im Bereich des Vorbehalts des Gesetzes seien die Kompetenzen der Exekutive legislativ determiniert. Soweit der Vorbehalt reicht, be-

19

Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 44 ff., insbes. S. 49. Prüfung formeller Gesetze, S. 70 ff, insbes. S. 84. 21 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 70. 22 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 71 f. 23 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 75, der hier Mayer, Verwaltungsrecht I, S. 100, zitiert. 24 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 118. 25 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 118 f. 26 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 111 ff. 20

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

stünden Exekutivkompetenzen nur in dem Umfang, in dem sie durch Gesetz begründet würden. Die zweite Kompetenzkategorie bestehe aus den (verfassungsunmittelbaren) exekutiven Eigenkompetenzen. Diese stünden jedoch in weitem Umfang zur Disposition der Legislative, die auch Bereiche jenseits des allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes oder spezieller Gesetzesvorbehalte normativ zu bestimmen vermöge. Dadurch würden ursprüngliche Eigenkompetenzen der Exekutive zu legislativ determinierten, somit ihrem Wesen nach verändert und in die erste Kategorie einbezogen. Die Grenze des legislativen Zugriffsrecht markiere der „gesetzesfeste Kernbereich", d. h. originär und ausschließlich der Exekutive zustehende Kompetenzen, die nicht der gesetzlichen Regelung zugänglich 27

seien . (4) Die funktionelle Beziehung zwischen dem Gesetz und der Exekutivfunktion trete ein, wenn das Gesetz seine funktionelle Wirkung jener gegenüber voll entfaltet hat. Dies sei der Fall, wenn das Gesetz in seiner die Kompetenzen bestimmenden und bindenden Wirkung in Erscheinung träte und die Exekutivfunktion in der allgemeinen Handlungszuständigkeit ihrer Organe beeinflusse 28. Die Wirkung eines Gesetzes bestehe in der Veränderung bislang bestehender Exekutivkompetenzen. Gesetze im Bereich des Vorbehalts des Gesetzes erweiterten die Kompetenzen um bisher alleine dem Parlament vorbehaltene Sachbereiche. Gesetze im exekutiven Eigenbereich beschränkten die Exekutivkompetenzen insoweit, als sie die Legislative nunmehr wahrgenommen habe29. Die Veränderung der Kompetenzen beeinflusse jedoch unmittelbar die allgemeine Handlungszuständigkeit der Exekutivorgane. Denn ihr zufolge müssen neue Kompetenzen unverzüglich wahrgenommen werden, während die Wahrnehmung entzogener Kompetenzen unverzüglich unterbleiben müsse30. Diese Wirkungen und damit die funktionelle Beziehung zwischen dem Gesetz und der Exekutivfunktion träten unmittelbar mit dem Inkrafttreten des Gesetzes ein.

27 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 52 f., 112 f. im Anschluß an Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 84. Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 121. 29 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 54 ff, 113, 122 f. 30 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 121.

1. Kap. : Normprfingskompetenz der Exekutive?

69

b) Prüfungskompetenz und Selbstkontrolle Aus der so bestimmten funktionellen Beziehung zieht Kabisch Schlüsse auf Bestand und Zweck der Normprüfungskompetenz 31 : Aus der Befugnis und Verpflichtung der Exekutivorgane, aus eigener Initiative ihre Kompetenzen wahrzunehmen (allgemeine Handlungszuständigkeit), ergebe sich zwingend die Notwendigkeit, ständig ihre Kompetenzen zu überprüfen. Nur insoweit, im Sinne einer Selbstkontrolle 32, bestünde eine echte Sach- und Funktionsnotwendigkeit für die Anerkennung einer Prüfungskompetenz. Eine Kontrolle der Legislative sei dagegen nicht im Kontrollsystem der Staatsfunktionen nach dem Grundgesetz vorgesehen. Als notwendiges Mittel zur Schaffung und Klärung der rechtlichen Voraussetzungen für das gegenwärtige und zukünftige Handeln der Exekutivorgane kommt der Prüfungskompetenz, so Kabisch, eine über und vor dem tatsächlichen Handeln stehende Leitund Aufsichtsfunktion für den Bereich der Exekutive zu. Die Überprüfung selbst habe keinen „administrativen Charakter", da sie keine Vollziehung des zu prüfenden Gesetzes darstelle. Im Rahmen der Exekutivkompetenzen könne sie nur dem Eigenbereich, und zwar dem gesetzesfesten Kernbereich exekutiver Kompetenzen zuzurechnen sein, da sie anderenfalls durch einfaches Gesetz — das zudem als solches potentielles Objekt der Normprüfung wäre — entzogen werden könnte. Die normative Verankerung sieht Kabisch demzufolge in der „verfassungsrechtlich unmittelbaren Legitimation der Exekutivfunktion als eigenständige(r) Staatsfunktion in Art. 20 Abs. 2 GG" 3 3 .

c) Prüfungszuständigkeit Für die Bestimmung des für die Prüfung zuständigen Organs muß nach Kabisch auf die „normkritische Situation" abgestellt werden 34 , d. h. auf den Zeitpunkt, zu dem das Gesetz für die Exekutive verhaltenserheblich wird. We31

Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 124 ff Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 131 ff, kritisiert den von ihm verwendeten Begriff „Selbstkontrolle" als mißverständlich; „Kontrolle" setze regelmäßig voraus, daß Gewesenes oder bereits Bestehendes retrospektiv einer Prüfung unterzogen werde. Gegenstand der Selbstkontrolle" der Exekutive sei jedoch nur das künftige Verhalten der Exekutivorgane aufgrund der gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen, nicht das (bereits bestehende) Gesetz selbst. Die Prüfungskompetenz trage deshalb „präventiven", nicht „repressiven" Charakter. 33 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 126. 34 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 143. 32

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

gen der die Kompetenzen verändernden Wirkung sei das der Zeitpunkt des Inkrafttretens, genauer: der Zeitpunkt der Verkündung im Gesetzblatt35. Das ergebe sich aus der Regelung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG: Für die Stellung eines Antrags auf abstrakte Normenkontrolle verweise diese Norm auf den Zeitpunkt der „formellen Gesetzeskraft". Wenn die (Bundes- oder Landes-) Regierung bereits zu diesem Zeitpunkt eine verfassungsgerichtliche Überprüfung in die Wege leiten könne, sei dies und die hierbei vorausgesetzte Prüfungskompetenz nur aus ihrer Stellung als Verfassungsorgan und aus ihrer Gubernativfünktion im Bereich der Exekutive zu rechtfertigen 36. Hieraus leitet Kabisch schließlich die alleinige Prüfungskompetenz der Regierungen für die gesamte Exekutive ab: Die präventive Kompetenzüberprüfung könne und müsse mit dem Eintritt der formellen Gesetzeskraft erfolgen; zu diesem Zeitpunkt sei (innerhalb der Exekutive) alleine die Regierung mit dem Gesetz befaßt, nicht die nachgeordneten Exekutivorgane. Wegen des gubernativen Charakters der Prüfung gehöre diese auch in den Kompetenzbereich der Exekutivspitze 37 . Die durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG eingeräumte Möglichkeit, einen Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht zu stellen, sei die abschließende und einzig systemgerechte Konsequenz aus der Prüfungskompetenz38. Daraus resultiert nach Kabisch für das Verhalten der nachgeordneten Behörden die Bindung an die von der Regierung getroffene Einschätzung: Mangels eigener Prüfungskompetenz seien sie zur Vollziehung der Gesetze verpflichtet, für die kein Normenkontrollantrag gestellt worden sei 39 .

35

Kabisch (Prüfung formeller Gesetze, S. 144 f.) verweist an dieser Stelle auf die Differenzierung zwischen formeller und materieller Gesetzeskraft im Sinne Labands (Staatsrecht, Bd. 2, S. 130 ff): Formelle Gesetzeskraft bedeute, daß der sich im Gesetz äußernde Staatswille nur wiederum in Form eines Gesetzes aufgehoben werden dürfe. Dieser „Vorrang des Gesetzes" trete sogleich mit dem Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens (der Verkündung) ein, unabhängig davon, ob es bereits in Kraft getreten sei oder nicht. Demgegenüber bezeichne der Begriff „materielle Gesetzeskraft" die vom jeweiligen Gesetzesinhalt abhängigen Wirkungen des Gesetzes. Diese trete mit dem Zeitpunkt ein, den das Gesetz selbst bestimme (vgl. Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG). 36 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 145. 37 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 146 ff. 38 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 165. 39 Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 182.

1. Kap. : Normprfngskompetenz der Exekutive?

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IL Stellungnahme 1. Verwaltungshandeln und Gesetzesbindung — das Gesetz als Verhaltensmaßstab für die Verwaltung Die Aussagen über die Prüfungskompetenz der Verwaltung werden ganz überwiegend von einem eng begrenzten Begriff der Verwaltungstätigkeit dominiert, der weder der Vielgestaltigkeit der Verwaltung Rechnung trägt, noch die Dimension des Problems in seiner ganzen Breite zu erfassen vermag. Weitaus die meisten Autoren 40 beschränken sich explizit 41 oder doch der Sache nach darauf, die Thematik anhand der typischen Handlungsform der Verwaltung — des Verwaltungsaktes — zu behandeln. Letztlich wird auf diese Weise lediglich eine spezielle Art der Gesetzesanwendung in Betracht gezogen: die Regelung eines Einzelfalls durch Ausführung eines Gesetzes. Eine allgemeine Formulierung der Problematik muß indes berücksichtigen, daß sich Verwaltungstätigkeit nicht in der Ableitung einer Rechtsfolge aus einem gesetzlichen Tatbestand erschöpft und die Gesetzesbindung der Verwaltung allumfassend ist 42 . Selbst in Bereichen, die gesetzlich nicht oder nicht vollständig determiniert sind, agiert die Verwaltung nicht in vollständig „rechtsfreien" Räumen. Das Verbot, gegen Recht und Gesetz zu verstoßen, wird auch durch Gestaltungs- und Beurteilungsspielräume nicht suspendiert. Hier liegt lediglich ein verminderter „Dichtegrad" normativer Vorgaben für eine insgesamt „gesetzesdirigierte Verwaltung" vor 43 . Der Begriff der „Verwaltungstätigkeit" umfaßt keinen abschließenden Kanon einzelner Verwaltungshandlungen, sondern bezeichnet lediglich als Sammelbegriff die tatsächlichen Verhaltensweisen der Verwaltungsorgane. Sie lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien systematisieren und so auch rechtlich

40

Anders lediglich Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 84 ff. Groß, Inzidente Normenkontrolle, S. 126; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 106. 42 Deutlich auch Schmidt-Aßmann, Rechts- und Gesetzesbindung, in: FS f. Stern, S. 745, 750 f.: „Bei der Bindungsthematik geht es nicht allein um den einzelnen Tatbestand einer Rechtsnorm und den einzelnen Anwendungsvorgang in seiner Erfassung durch die juristischen Methodenlehren, sondern [...] um die Bewältigung vielfaltig konkurrierender Bindungsansprüche". 43 Begriff von Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff, DVB1. 1974, 309, der damit allerdings nur die planende Verwaltung kennzeichnen will. Wie hier in einem umfassenden Sinn verwendet diesen Ausdruck Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 221,231 mit Fußn. 28. 41

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

als Handlungsformen erfassen 44. Rein verwaltungsinterne Maßnahmen gehören ebenso hierzu wie das nach außen tretende Verhalten etwa durch Realakte, den Erlaß von Verwaltungsakten, Normsetzung und die Abgabe von Willenserklärungen. Die Verwaltung unterliegt bei allen diesen Verhaltensweisen der Gesetzesund Verfassungsbindung, die in Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG normiert ist 45 . Im Anwendungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes ist der Verwaltung das Tätigwerden untersagt, sofern und solange ihr nicht durch ein Gesetz eine Handlungsmöglichkeit eröffnet ist. Der Vorrang des Gesetzes beinhaltet ein Anwendungsgebot und ein Abweichungsverbot 46: Jede Stelle der öffentlichen Verwaltung ist verpflichtet, bestehende Gesetze anzuwenden und sich innerhalb der durch sie gesetzten Handlungsgrenzen zu bewegen. Diese Gesetzesbindung umfaßt alle Gesetze im materiellen Sinn, also sowohl Parlamentsgesetze als auch untergesetzliche Normen 47 , ferner das Recht der Europäischen Gemeinschaften. Schließlich muß jedes Tätigwerden der Exekutive mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar sein, also beispielsweise die Grundrechtsbindung (Art. 1 Abs. 3 GG) beachten, die Verhältnismäßigkeit wahren u.v.a. mehr 48 . Daraus ergibt sich, daß sich die Wirkung der Gesetze auf die Verwaltung nicht darin erschöpft, bloße Handlungsanweisungen für die Regelung von Einzelfällen zu geben49. Schlagwortartig könnte man diese Wirkung folgendermaßen beschreiben:

44

Vgl. die Obersicht bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, vor § 9; zur Formenlehre und ihrer Kritik insgesamt vgl. Schmidt-Aßmann, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, DVB1. 1989, 533 ff. 45 Vgl. nur Wolff/Bachofl Stob er, Verwaltungsrecht I, § 30, Rdnrn. 1 ff. 46 Gusy, Vorrang des Gesetzes, JuS 1983, 189, 191, Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR ΙΠ, § 62 Rdnrn. 4 ff. 47 Herzog, in Maunz/Dürig, GG, Art. 20, VI (1980), Rdnrn. 49 ff; BVerfG v. 31.5.1988 — 1 BvR 520/83 — BVerfGE 78, 214, 227 = DVB1. 1989, 94 ff; a.A. (Art. 20 Abs. 3 GG regle nur den Vorrang des parlamentarischen Gesetzes) SchmidtAßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 24 Rdnr. 37. Auf dieses Problem kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Die Argumentation fußt im übrigen auf der (völlig unbestrittenen) Bindung an Rechtsnormen gleich welchen Ranges. Zu weiteren Elementen der Verfassungsbindung siehe Wolff/Bachofl Stober, Verwaltungsrecht I, § 30, Rdnrn. 6 ff. 49 Vgl. Wolff/BachoflStober, Verwaltungsrecht I, § 21, Rdnrn. 1 ff; Reiner Schmidt, Verwaltungsmaßstäbe, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 67 ff, 72.

1. Kap. : Normprfngskompetenz der Exekutive?

73

Gesetze normieren Handlungspflichten, eröffnen Handlungsräume und setzen Handlungsgrenzen für die Verwaltung 50 . Der gemeinsame Bezugspunkt dieser Wirkung ist das Verhalten der Verwaltung. Die Beschränkung der Verwaltungstätigkeit auf die Anwendung eines Gesetzes durch Ableitung einer Rechtsfolge für einen Einzelfall verkennt die Funktion des Gesetzes als umfassenden Verhaltensmaßstab für die Verwaltung 51 5 2 . Für unser Thema der „Verwerfungskompetenz" folgt daraus, daß es sich nicht nur um die Frage handelt, ob eine Norm als konkrete Rechtsgrundlage für eine bestimmte Einzelfallentscheidung wegen (vermuteter) Rechtswidrigkeit nicht angewandt wird 5 3 . Vielmehr stellt sich die Frage, ob irgendein Gesetz, das für ein beabsichtigtes Verhalten relevant ist, aus diesem Grunde nicht beachtet werden darf 54 . Der Unterschied besteht vor allem darin, daß die An-

50

Vgl. auch die Typologie bei Schmidt-Aßmann, VerwaltungsVerantwortung, VVDStRL 34 (1976), 221, 230: a) Organisations- und Verfahrensregelung; b) Rahmen; c) Richtpunkt und materielle Leitlinie; d) Eingriffsermächtigung; das Merkmal der Organisationsregelung bleibt in diesem Zusammenhang außer Betracht, da die behandelte Situation (Gesetzesvollziehung durch die Verwaltung) die Verwaltungsorganisation als Institution voraussetzt. 51 Bettermann, Verwaltungsverfahren, VVDStRL 17 (1959), 118, 120; ders., Rechtsprechende Gewalt, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR ΠΙ, §73 Rdnrn. 31 ff. m.w.N.; Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 87 ff; Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34, 156, Fußn. 39; Rupp, Diskussionsbeitrag ebd. S. 288. Reiner Schmidt, Verwaltungsmaßstäbe, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 67 ff, S. 71 f. 52 Darin besteht der spezifische Unterschied zur Funktion der Gesetze für die Rechtsprechung: Für diese handelt es sich um einen Kontroll- bzw. Entscheidungsmaßstab. Vgl. etwa Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 218. — Ob die Differenzierung zwischen Handlungs- und Kontrollnorm fur die funktionelle Abgrenzung von Verwaltung und Rechtsprechung hinreichend genaue Maßstäbe liefert, kann hier dahinstehen. Kritisch insoweit Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 92 Rdnrn. 29 ff — Nach Kabisch (Prüfung formeller Gesetze, S. 87) ist die Gesetzesvollziehung oder -ausführung die spezifisch der Verwaltung zugewiesene Art der Gesetzesanwendung: das Handeln gemäß dem Gesetz. Dagegen wende der Richter das Gesetz zwar ebenfalls an, aber er führe es nicht aus. — Die Terminologie ist nicht einheitlich. Im Regelfall können die Begriffe Gesetzesanwendung und Gesetzesvollziehung synonym verwandt werden. Das Grundgesetz differenziert an einer Stelle (Art. 115c Abs. 4) zwischen Anwendung und Vollzug, was in der Tat dafür spricht,, Anwendung" als Oberbegriff zu verwenden. Wesentlicher aber ist es im Hinblick auf das an dieser Stelle behandelte Thema, durch die Verwendung des einen oder anderen Begriffs nicht voreilig den Blick auf einen kleinen, willkürlich gewählten Ausschnitt zu verengen. 53 Bereits dieser Ausgangspunkt der meisten Untersuchungen ist nicht zutreffend. Auch einzelne Rechtsgrundlagen können nicht isoliert „angewandt" werden. Stets hinzuzuziehen (und zu überprüfen) sind mindestens die hierfür maßgeblichen Kompetenzund Verfahrens Vorschriften. 54 Zur Unterscheidung von Gesetzesausführung (bzw. -anwendung oder -Vollziehung) zu bloßer Gesetzesbeachtung vgl. Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 83 Rdnr. 57.

74

2. Teil: Meinungsstand und Kritik

zahl der das Verhalten leitenden Gesetze ungleich größer ist als die Zahl der Normen, auf denen eine Einzelfallregelung basiert. Das hat unmittelbare Wirkung für die Frage der Normprüfungskompetenz, da sie sich gleichfalls auf alle das Verhalten bestimmenden Regelungen beziehen muß.

2. Prüfungsgegenstand und Prüfungsmaßstab Wenn gemeinhin von Prüfungskompetenz gesprochen wird, vermißt man eine hinreichende Differenzierung zwischen Gegenstand und Maßstab der Prüfung. Dies hat eine gewisse Unschärfe in der Argumentation zur Folge, die eine überzeugende Lösung verhindert. Gemeinsamer Bezugspunkt aller die Normprüfungskompetenz der Exekutive bejahenden Stellungnahmen ist zum einen die Verfassungs- und Gesetzesbindung der vollziehenden Gewalt, zum anderen die Selbstkontrollfunktion der Normprüfung. Während die weitaus überwiegende Ansicht den erstgenannten Aspekt in den Vordergrund stellt, beschäftigt sich Kabisch vor allem mit dem letztgenannten. Er stellt zutreffend darauf ab, daß es hierbei weniger um eine Normprüfung im Sinne einer Normenkontrolle geht, als vielmehr darum, zu gewährleisten, daß das Handeln der Exekutive selbst gesetzes — und verfassungskonform ist. Deshalb stellt er auch nicht das (vermeintlich) verfassungswidrige, sondern das verfassungsgemäße Gesetz in den Vordergrund 55. Sein Lösungsvorschlag vermeidet es, die Gesetzesprüfung in eine umfassende Kontrolle der Legislative durch die Exekutive umschlagen zu lassen, die nach allgemeiner Ansicht der grundgesetzlichen Ausgestaltung des Gewaltenteilungsprinzips widerspräche 56. Auch wenn jedes Verwaltungshandeln grundsätzlich einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist, besteht doch eine primäre Verantwortlichkeit der Verwaltung zu verfassungs- und gesetzmäßigem Verhalten 57 . Eben dies ist Inhalt der Bindung an Verfassung und Gesetze58. Um ihr Genüge zu tun, muß

55 56

S. 108.

So Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 31. Vgl. Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 127; Hall, Prüfung von Gesetzen,

57 Zu Begriff, Umfang und Grenzen der Verantwortung vgl. unten 3. Teil. 4. Kap., S. 155 ff. 58 Die gerichtliche Kontrolle hat die Gesetzesbindung der Verwaltung zur Voraussetzung und folgt dieser nach. Nur weil Verfassung und Gesetze Handlungsmaßstäbe

1. Kap. : Norprfngskompetenz der Exekutive?

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folglich jedes Verhalten auf die Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen hin kontrolliert werden. Dem Handeln der Verwaltung ist aus diesem Grunde eine Prüfung der rechtlichen Handlungspflichten, -möglichkeiten und -grenzen vorgelagert 59. Als Gegenstand der Prüfung ist sonach nicht eine (möglicherweise verfassungswidrige) Norm zu bestimmen, sondern in erster Linie das künftige Verhalten der Exekutive selbst60, und zwar grundsätzlich jedes Handeln. Daher ist es zumindest mißverständlich, wenn in diesem Zusammenhang von einer „Normenkontrolle" durch die Verwaltung die Rede ist. Tatsächlich handelt es sich um eine Selbstkontrolle im Sinne einer prospektiven Prüfung der Handlungsmöglichkeiten61. Der Maßstab, der an dieses Verhalten angelegt wird, ist „Gesetz und Recht" im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG, also alle Rechtsnormen, die für das konkrete Handeln erheblich sind.

3. Normprüfung als notwendiges Element der Selbstkontrolle? Bis zu diesem Punkt besteht im Ergebnis — wenn auch mit unterschiedlicher Terminologie — weitgehend Einigkeit. Umstritten sind allerdings die hieraus zu ziehenden Konsequenzen, nämlich die Frage, in welcher Weise Gesetz und Recht als Prüfungsmaßstab anzulegen sind. Während Kabisch die Prüfung (formeller Gesetze) nur unter dem Aspekt der Aufgabenwahrnehmung behandelt, postuliert die überwiegende Meinung eine aus der Selbstkontrollfunktion resultierende, grundsätzlich umfassende Pflicht der Verwaltung zur Normenkontrolle.

der Exekutive sind, sind sie auch Prüfungsmaßstäbe der Judikative; vgl. Krebs, Kontrolle, S. 55. 59 In diesem Sinne — wenngleich nur bezogen auf die Wahrnehmung von Aufgaben — Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 127 f. 60 Dies klingt auch durchaus bei den Autoren an, die einer „Normprüfung' 4 das Wort reden, vgl. etwa Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaaζ S. 197,208 („..Selbstkontrolle seines [seil.: des staatlichen Organs] Verhaltens auf Verfassungskonformität"). 61 Der Kritik Kabischs (Prüfung formeller Gesetze, S. 131) an dem eingebürgerten Begriff der „Selbstkontrolle" ist nicht beizupflichten. Kontrolle als Vergleich eines „IstWertes" — Kontrollgegenstand — mit einem „Soll-Wert" — Kontrollmaßstab — (Krebs, Kontrolle, S. 14 ff, bes. S. 17; s. a. Brunner, Kontrolle, S. 74) setzt zwar das Vorhandensein von Kontrollobjekt und Kontrollmaßstab voraus. Die Entscheidungsa/ternative existiert allerdings bereits, bevor sie in die Tat umgesetzt wird. — Das von Kabisch verwendete Begriffspaar „präventiv-repressiv" sollte durch „prospektiv-retrospektiv" ersetzt werden, da hierdurch das zeitliche Verhältnis zwischen Prüfungs Vorgang und Prüfungsgegenstand besser um Ausdruck kommt.

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik a) Förmliche Gesetze als „Kompetenz"änderungen?

Kabisch betrachtet das Handeln der Exekutive ausschließlich unter dem Blickwinkel der Abgrenzung von Funktionsbereichen von gesetzgebender und vollziehender Gewalt. Seine Prämisse lautet: Jedes Gesetz verändert die Kompetenzen der Exekutive, sei es als Erweiterung der Kompetenzen im Bereich des Vorbehalt des Gesetzes, sei es als Einschränkung in bisher der Exekutive vorbehaltenen Sachbereichen. Die Gesetzesprüfung sei nur in bezug auf diese Kompetenzänderung zulässig und funktionsgerecht. Da aber nur ein verfassungsmäßiges Gesetz die Kompetenzen zu ändern vermöge, umfasse die Prüfung alle Voraussetzungen der Verfassungsmäßigkeit. Kabisch verwendet zunächst den Begriff der Kompetenz im Sinne Wolffs, der einen gegenständlich bestimmten Geschäftskreis, eine wahrzunehmende Aufgabe 62 bezeichne. Sehen wir einmal von dieser besonderen Terminologie ab 63 , zeigt sich bald, daß dem Problem auf dieser abstrakten Ebene — nämlich bei der Abgrenzung von Staatsfunktionen — nicht beizukommen ist. Kabischs grundlegende Annahme trifft bereits nicht zu. Betrachtet man lediglich die Funktionsbereiche der Exekutive, also die ihr in Abgrenzung zur Legislative zur Wahrnehmung übertragenen Aufgaben, so kann keine Rede davon sein, daß jedes Gesetz eine Änderung herbeiführt. Angesichts der Fülle bereits bestehender Gesetze ist längst das Änderungsgesetz zum Regelfall geworden 64. Ein solches kann aber die Zuordnung von Aufgaben zu bestimmten Organen durchaus unberührt lassen und lediglich (inhaltlich) die Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung verändern. Wäre die Normprüfung nur im Blick auf die Veränderung der Exekutivaufgaben zulässig, so müßte sie sich bei diesen Änderungsgesetzen mit dem Ergebnis begnügen, daß eben — unabhängig von der Rechtmäßigkeit im übrigen — eine solche nicht vorliegt. Eine weitergehende Rechtmäßigkeitskontrolle wäre dagegen unstatthaft. Die der Regierung nachgeordneten Behörden wären gleichwohl verpflichtet, von der Verfassungsmäßigkeit der Norm auszugehen. Von ihnen könnte nicht ermittelt werden, in welchem Umfang eine Überprüfung tatsächlich stattgefunden hat. Der Ausgangspunkt Kabischs vermag also weder der Art noch dem Inhalt der Verfassungs- und Gesetzesbindung der Verwaltung gerecht zu werden. Diese erschöpft sich nicht in der Verpflichtung zur umfassenden Erfüllung der 62

Hans Julius Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., § 72 I c) 1.); vgl. Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 66. 63 Zum Kompetenzbegriff im einzelnen vgl. unten 3. Teil. 1. Kap., III, S. 126 f. 64 Vgl. etwa die Analyse der Bundesgesetzgebung in der 9. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (1980-1983) bei Schulze-Fielitz, Parlamentarische Gesetzgebung, S. 79 ff.

1. Kap.: Normprfngskompetenz der Exekutive?

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ihr übertragenen Aufgaben, sondern bestimmt generell das Verhalten jedes Exekutivorgans. Infolgedessen muß die Prüfung (als Selbstkontrolle) auch den konkreten Gesetzesinhalt als Verhaltensmaßstab umfassen. Anders kann die Funktion der Exekutive, Gesetze zu vollziehen — und das heißt nach Kabisch: gemäß dem Gesetz zu handeln65 — gar nicht erfüllt werden 66 .

b) Normenkontrolle und Gesetzesbindung Diese inhaltliche Bindung hat zutreffend die herrschende Meinung im Blick, wenn sie von der Normprüfung zum Zwecke der Selbstkontrolle spricht. Allerdings wird weitergehend hieraus der Schluß gezogen, diese Bindung bedinge zugleich eine grundsätzlich umfassende Prüfung der Rechtmäßigkeit der anzuwendenden Normen 67 . Denn die für die Normanwendung notwendige Norminterpretation setze die Berücksichtigung höherrangigen Rechts und damit auch

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Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 89, unter Hinweis auf Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 3. Aufl., S. 69. 66 Diese Verpflichtung trifft im übrigen jedes mit der Gesetzesvollziehung betraute Organ. Kabisch jedoch schließt vom „gubernativen Charakter" der Normprüfung darauf, daß sie zum Aufgabenbereich der Gubernative gehört. Diese Folgerung wäre dann zulässig, wenn die Aufgabenabgrenzung in dieser Weise fixiert wäre. So ist ζ. B. nach Art. 92 HS. 1 GG die rechtsprechende Gewalt ausschließlich den Richtern anvertraut. Daraus ergibt sich, daß Aufgaben, die als Rechtsprechung zu qualifizieren sind, jedenfalls nicht auf andere als Rechtsprechungsorgane übertragen werden dürfen. Eine vergleichbare Aufgabenabgrenzung gibt es für die vollziehende Gewalt nicht. Auch Rechtsprechungs- und selbst Gesetzgebungsorgane können mit „Exekutivaufgaben" betraut sein (vgl. nur Stern, Staatsrecht II, § 411 3 c), S. 737). In gleicher Weise nehmen oberste Staatsorgane „administrative" Aufgaben wahr. Die Differenzierung zwischen Administrative und Gubernative hat Bedeutung fur die Funktion der einzelnen Verfassungs- und Staatsorgane sowie fur die Aufteüung „typischer" Aufgaben innerhalb der vollziehenden Gewalt, etwa im Hinblick auf staatsleitende Tätigkeiten, die den Regierungen vorbehalten sind. Vorausplanende, leitende und vorbereitende Tätigkeiten, denen Kabisch „gubernativen Charakter" zuspricht, können dagegen grundsätzlich bei jedem Exekutivorgan im Rahmen seiner Zuständigkeit anfallen. Jede Weisungsbefugnis nachgeordneten Behörden gegenüber läßt sich in diesem Sinne als „gubernativ" einordnen. Wie die Normprüfung als Ermittlung des gesetzlichen Handlungsauftrags oder -rahmens bestimmt sie ebenfalls das zukünftige Verhalten eines Exekutivorgans, ohne deshalb ausschließlich der Exekutivspitze vorbehalten zu bleiben. Die Einordnung der Prüfungskompetenz als gubernativer Aufgabe sagt somit nichts über die Zuständigkeit zu ihrer Wahrnehmung aus. 67 Vgl. Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 46; wohl auch Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 823 f.

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

die Prüfung der Vereinbarkeit der Norm mit diesem voraus 68 . Außerdem sei die Anwendung rechtswidriger Gesetze ihrerseits rechtswidriges Handeln 69 . (1) Das erstgenannte Argument erscheint indes nicht überzeugend. Nicht die Inhaltsermittlung durch Auslegung setzt die Prüfung voraus, es verhält sich vielmehr genau entgegengesetzt: Die Überprüfung einer Norm auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht kann erst erfolgen, nachdem ihr Inhalt bekannt ist 70 . Aus der Tatsache, daß jede Norm auch mit Blick auf ihre Stellung im Normengefüge hin interpretiert werden muß 71 , kann also auf die Notwendigkeit einer Normüberprüfung im Sinne eines Vergleichs unter mehreren Normen verschiedenen Ranges nicht geschlossen werden 72 . (2) Die scheinbar zwingende zweitgenannte Argumentation stößt dagegen, auch dies wird teilweise anerkannt, auf massive praktische Schwierigkeiten. Löst man sich von der Vorstellung, Verwaltung und Gesetzesvollzug sei lediglich die Ableitung einer Rechtsfolge aus einem bestimmten Gesetz für einen bestimmten Sachverhalt 73, so tritt dies klar zutage. Nicht nur Aufgaben und Handlungsformen, auch die rechtlichen Bindungen und die zu beachtenden Normen sind überaus vielfältig und komplex und stehen einer vereinfachten Sichtweise entgegen. Wenn wir in dieser Untersuchung nicht nur Parlamentsgesetze betrachten, sondern im Grundsatz das gesamte Normengeflecht berücksichtigen, innerhalb dessen sich Verwaltungstätigkeit bewegen muß, erscheint

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Abelein, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 145, 147; Bachof.\ Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 226;G. Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 113 ff., ders., Prüfung von Gesetzen, DÖV 1965, 253, 259; Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193, 199; Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 131; Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 34 f.; Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 823; Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), S. 393, 397; Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 44 f.; Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1; Stern, Staatsrecht III/l, § 74 II c) χ), S. 1348. 69 Bachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 209; Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 130; im Ergebnis auch Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983,821,823 f. 70 Vgl. Schilling, Rang und Geltung von Normen, S. 462 „Erst wenn der Inhalt der beiden Normen unterschiedlicher Rangstufe ermittelt ist, können diese Normen einander gegenübergestellt werden, läßt sich feststellen ob (und inwieweit) sie konfligieren, indem die jeweils erzielten (möglichen) Ergebnisse miteinander verglichen werden". 71 Vgl. oben 1. Teil. 1. Kap., I., S. 25 f. 72 Mindestens die Fragen des ordnungsgemäßen Zustandekommens einer Rechtsnorm bleiben bei der Inhaltsermittlung vollständig außer Betracht. Auch deshalb kann der Argumentation nicht zugestimmt werden. 73 Besonders deutlich bei Groß, Inzidente Normenkontrolle, S. 126; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 106.

1. Kap. : Normprfngskompetenz der Exekutive?

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die Vorstellung lebensfremd, jedes Exekutivorgan könnte jede der für ihr Verhalten maßgeblichen Regelung daraufhin überprüfen, ob sie mit dem jeweils höherrangigen Recht vereinbar ist 74 . Sie geht an der Realität eines komplexen modernen Staatswesens vorbei, das ein „gigantisches Normierungsbedürfnis" 75 zur nahezu unvermeidlichen Folge hat 76 und in dem angesichts der „Normenflut" die Befürchtung „selektiver Gesetzmäßigkeit" der Verwaltung geäußert wird 7 7 . Mit der Forderung nach einer umfassenden Normprüfüng ist zugleich die Feststellung verbunden, daß sie nicht erfüllbar ist. Rau 78 tritt dieser Aussage entgegen: als Argument rein pragmatischer Natur sei es für die Lösung eines verfassungsrechtlichen Problems nicht geeignet. Gewiß vermögen tatsächliche Umstände rechtliche Bindungen grundsätzlich nicht zu beseitigen. Doch wenn man die Überforderung der Exekutive mit dieser Aufgabe als Faktum annimmt, gleichwohl aber die vollständige Überprüfüng aller relevanten Normen fordert, so kommt man nicht umhin, den permanenten und zwangsläufigen Verfassungsverstoß der vollziehenden Gewalt zu konstatieren. Was aber wäre damit gewonnen, angesichts der Unabänderlichkeit der Tatsachen? Umgekehrt ist es sachwidrig, einem Verfassungsrechtssatz im Wege der Auslegung tatsächlich unerfüllbare Postulate zu entnehmen. Vielmehr fordern die Grundsätze der Effektivität und Praktikabilität des Verwaltungshandelns 79 74 Da die Rechtmäßigkeit einer Norm durch den Wandel der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse beeinflußt werden kann, läßt sich dieses Problem auch nicht dadurch lösen, daß eine solcherart begründete Prüfungspflicht lediglich bei Erlaß der Norm (so Kabisch, vgl. oben I.3.c), S. 69 f.) oder bei ihrer erstmaligen Anwendung besteht. — Zu Ursachen und Voraussetzungen nachträglicher Rechtswidrigkeit Baumeister, Rechtswidrigwerden, S. 181 ff. 75 Eichenberger, Gesetzgebung, VVDStRL 40 (1982), 7,22. 76 Vgl. dazu Eichenberger, Gesetzgebung, VVDStRL 40 (1982), 7, 15 ff.; Kloepfer, Gesetzgebung, VVDStRL 40 (1982), 63, 68 ff; Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 61 Rdnrn. 54 ff; Stern, Staatsrecht II, § 37IV. 77 Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht, DVB1. 1993, 924, 933. — Aus diesem Grunde widersprüchlich ders., Rechts- und Gesetzesbindung, in: FS f. Stern, S. 745, 747 einerseits („Heute ist nicht das Bindungsuntermaß, sondern das Bindungsübermaß ein Hauptproblem der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung"), S. 759 andererseits („...die Normprüfung [ist] eine selbstverständliche Befugnis und Pflicht jeder rechtsanwendenden Instanz"). 78 Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 47; ähnlich auch Groß, Inzidente Normenkontrolle, S. 126, Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193, 199; jeweils aber von der Vorstellung geleitet, es handle sich nur um die Überprüfung eines einzigen Gesetzes. 7 Zur verfassungsrechtlichen Fundierung vgl. Häberle, Verfassungsprinzipien, in: Boorberg-Festschrifi, S. 80 f.; Maurer, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), 135, 160.

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

auch bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG Beachtung80. (3) Zur Überwindung dieser Problematik wurde versucht, den Umfang der Prüfung auf ein praktikables Maß zu reduzieren 81. Die von Bachof vorgeschlagene Einschränkung der Prüfungspflicht nach Maßgabe des juristischen Kenntnisvermögens des jeweiligen Organwalters 82 kann hierfür jedoch keine Grundlage bieten. Neben dem grundsätzlichen Einwand, daß die Rechte und Pflichten der Organwalter sich nach den Kompetenzen des Organs richten, dem sie angehören 83 (und nicht umgekehrt!), kann von einer geminderten Rechtsbindung bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit nicht die Rede sein. Die Anforderungen an rechtmäßiges Verwaltungshandeln — und eben dies ist Gegenstand der Prüfung — bestimmen sich nach den Gesetzen und nicht nach der Leistungsfähigkeit des handelnden Beamten 84 . Diese ist wohl, etwa im Rahmen der Amtshaftung sowie des Rückgriffs des Staates (§ 839 BGB, Art. 34 GG), bei der Bewertung der zu beachtenden Sorgfalt, also bei der Frage des Verschuldens relevant. Auf die Frage der Rechtmäßigkeit indes geben sie keine Antwort. Daneben wurde auf die Funktion und das „Wesen" der Verwaltung als der „dynamischen", nicht auf „gelehrtes Meditieren", sondern „tätiges Handeln" ausgerichteten Staatsfunktion 85 abgestellt. Die Verwaltung könne grundsätzlich von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze ausgehen und sich mit einer allgemeinen oder summarischen Prüfung auf offenkundige oder leicht erkennbare Mängel begnügen86. 80 Zu Inhalt und Umfang der Gesetzesbindung der Verwaltung und den daraus resultierenden Konsequenzen für die Prüfungskompetenz vgl. unten 4. Teil., 1. Kap., II. 1., S. 189 f. 81 Vgl. Bachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197,210; Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 118 f.; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 107 f. 82 Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197,210. 83 Kritik gegen die „Personifizierung" der Staatsfunktion Verwaltung auch bei Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), S. 393,407. 84 Kritisch auch Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 116; Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 47. 85 Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 210; Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 118; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 107 f. 86 Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 210; Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 118; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 107 f.; ähnlich Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1.

1. Kap. : Normprfngskompetenz der Exekutive?

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Dieser Ansatz weist im Ergebnis durchaus in die richtige Richtung. Die „Vermutung der Verfassungsmäßigkeit" förmlicher Gesetze soll an dieser Stelle nicht in Frage gestellt werden 87 . Im weiteren Verlauf dieser Studie wird der Versuch unternommen, anstelle der nicht unbestrittenen 88 Vermutungswirkung die Abgrenzung von Kompetenzräumen zwischen Normgeber und Normanwender zu untersuchen und näher zu konturieren 89. Problematisch an der skizzierten Auffassung ist jedoch, daß sich diese Reduzierung des Prüfungsumfangs nicht mit dem Ausgangspunkt der herrschenden Meinung vereinbaren läßt. Denn wenn die Normenkontrollbefugnis der Verwaltung aus der unbedingten Verpflichtung zu rechtmäßigem Handeln folgte, so ist auch sie selbst nur als unbedingte Verpflichtung denkbar und nicht lediglich als — nach welchen Maßstäben auch immer zu bestimmende — nach „pflichtgemäßem Ermessen" auszuübende Befugnis 90 . Gründet sie aber in der Gesetzesbindung, so sind für den Umfang der Prüfung die Gesetze (und die Verfassung) maßgeblich. Das „Wesen" der Verwaltung 91 und eine wie auch immer begründete Vermutung der Rechtmäßigkeit von Rechtsnormen vermögen am Umfang der Verfassungs- und Gesetzesbindung nichts zu ändern. Wenn also die Beachtung rechtswidriger Normen stets zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns führte, so änderte auch eine Vermutungswirkung hieran nichts, da sie keine Rechtfertigung für den Rechtsverstoß geben könnte.

87 88

825.

Vgl. dazu aber unten 3. Kap., ΠΙ.2., S. 118. Kritisch etwa Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821,

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An dieser Stelle sei nur daraufhingewiesen, daß der Begriff der Vermutung unzutreffend ist. Tatsächlich handelt es sich um eine Kompetenzfrage. Eine vorläufige Erklärung soll ein Parallelfall der verwaltungsrechtlichen Dogmatik bieten: die „Tatbestandswirkung" von Verwaltungsakten. Soweit sie andere Behörden an die im Verwaltungsakt getroffene Regelung bindet, resultiert das nicht aus einer „Vermutung der Rechtmäßigkeit", sondern aus dem Regelungscharakter des Verwaltungsaktes, dessen Verbindlichkeit nur aufgrund besonderer Kompetenzzuweisung in einem Verwaltungsoder Gerichtsverfahren wieder aufgehoben werden kann. — Näher dazu unten 3. Teil, 4. Kap ΠΙ.1. und 4., S. 164 ff ; 173 ff. 9 Mittlerweile wohl allgemeine Meinung; vgl. nur Bachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 208; Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 113 ff, 119; Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193, 198 f.; Hutka, Gemeischaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 130; Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 823; Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1. 91 Die besondere Funktion der Verwaltung steht einer Normenkontrolle per se ohnehin nicht entgegen; Die Tätigkeit von Dienst-, Fach- und Rechtsaufsichtsbehörden beinhaltet auch die Rechtskontrolle in bezug auf die von den zu beaufsichtigenden Stellen erlassenen Rechtsnormen. Eine nur summarische Prüfung wäre mit dieser Aufgabe nicht vereinbar. 6 Wehr

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik c) Rechtswidrigkeit der Anwendung rechtswidriger Normen?

Die faktische Unmöglichkeit der vollständigen Normprüfung und die fehlende Begründbarkeit von Einschränkungen hinsichtlich ihres Umfangs sind Grund genug, die herrschende Meinung in Frage zu stellen. — Wenden wir uns nochmals dem Ausgangspunkt der referierten Ansicht zu. Sie besagt, die Anwendung rechtswidriger Normen sei ihrerseits bereits rechtswidriges Handeln 92 . Dieser Ansicht hegt indes ein Begriff der Rechtswidrigkeit zugrunde, der in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend ist. (1) Denn zum einen setzt sich nicht jeder Fehler einer Norm in einer auf sie gestützten Handlung fort. Die alleine aus der Rechtswidrigkeit der angewandten Norm 9 3 resultierende Rechtswidrigkeit des Handelns betrifft nur den Bereich von Rechtssatzvorbehalten und gesetzesvertretenden bzw. gesetzesergänzenden Normen. Rechtssatzvorbehalte oder Gesetzesvorbehalte im weiteren Sinne setzen für ein bestimmtes Verhalten der vollziehenden Gewalt eine entsprechende normative Ermächtigung voraus. Ein Beispiel hierfür ist die Möglichkeit des Eingriffs in Grundrechte aufgrund eines Gesetzes. Existiert ein solcher Rechtssatz nicht, ist der Eingriff rechtswidrig. Das gleiche gilt grundsätzlich für den Fall, daß die Ermächtigungsnorm zwar existiert, aber rechtswidrig ist. Gesetzesvertretende und gesetzesergänzende Normen 94 sind untergesetzliche Normen, die an die Stelle von förmlichen Gesetzen treten oder deren Inhalt in gewisser Weise modifizieren. Die Anwendung solcher Normen führt zur (teilweisen) Nichtanwendung des Gesetzes, das sie vertreten oder ergänzen. Im Falle ihrer Rechtswidrigkeit liegt also ein Verstoß gegen dieses Gesetz vor. Im übrigen aber führt die Beachtung einer rechtswidrigen Norm für sich betrachtet nicht zwingend zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns. In diesen Fällen kann von einem Rechtsverstoß nur gesprochen werden, wenn das Handeln der Verwaltung selbst gegen sonstige Rechtsvorschriften verstößt. Das kann zwar durchaus in der Rechtswidrigkeit der Norm seine Ursache haben. Als Anknüpfungspunkt für das Verdikt der Rechtswidrigkeit bedarf es aber dieser nicht. Insoweit fehlt mit der Notwendigkeit auch die sachliche Rechtfertigung für eine Normprüfüngskompetenz der Verwaltung. 92

Vgl. oben bei Fußn. 69. Davon ist der Fall zu unterscheiden, daß die Beachtung einer rechtswidrigen Norm zugleich zum Verstoß gegen ein ranghöheres Handlungsge- oder -verbot führt. 94 Zum Begriff (beschränkt auf Rechtsverordnungen) vgl. Wolff/Bachofl Stober, Verwaltungsrecht I, § 25 Rdnr. 36. 93

1. Kap. : Normprfngskompetenz der Exekutive?

83

(2) Der Schluß von der Rechtswidrigkeit einer Norm auf die Rechtswidrigkeit ihrer Anwendung ist aber noch aus einem anderen Grunde verfehlt. Er setzt nämlich voraus, was erst begründet werden soll: die Kompetenz der Verwaltung, einem für rechtswidrig erachteten Gesetz den Gehorsam zu versagen und es somit entweder inzident zu verwerfen oder doch mindestens seine Anwendung auszusetzen. Gelangt man hingegen aus kompetentiellen Gründen zu dem Ergebnis, daß die Verwaltung auch ein für rechtswidrig erachtetes Gesetz anzuwenden habe, so kann dies nicht zugleich als „rechtswidrig" bezeichnet werden. Nur das Handeln im Rahmen der jeweiligen Kompetenz kann rechtmäßig sein. Anderenfalls stellte aus Sicht der Verwaltung jedes Verhalten einen Rechtsverstoß dar. die Verwerfung der Norm als Kompetenzüberschreitung, ihre Anwendung als sonstiger Rechtsverstoß.

4. Die Feststellung von Normkollisionen Ziel dieser Ausführungen ist es nicht, aus der faktischen Unmöglichkeit einer allumfassenden und der rechtlichen Unbegründharkeit einer eingeschränkten Normprüfungsbefugnis zu schließen, daß die Verwaltung jede maßgebliche Norm „blind" und ohne Rücksicht auf ihre Auswirkung anwenden oder beachten muß. Von unserem Ausgangspunkt aus — dem Gesetz als Verhaltensmaßstab — wird die „sorgfältig verfahrende Verwaltung" 95 die für ihr Handeln im konkreten Falle einschlägigen Normen ermitteln, auslegen und beachten. Die Auslegung freilich wird und muß jeweils berücksichtigen, daß kein Gesetz isoliert betrachtet werden kann, sondern jeweils im Lichte der systematischen Zusammenhänge mit gleichrangigen und im Bezug auf höherrangige Normen einschließlich der Verfassung und ggf. europäischen Gemeinschaftsrechts interpretiert werden muß. Die prospektive Überprüfung der Handlungspflichten, möglichkeiten und -grenzen hat den Zweck, die Übereinstimmung des Verhaltens mit den für das jeweilige Organ maßgeblichen Gesetzen zu gewährleisten. In diesem Rahmen kann die Verwaltung Normkonkurrenzen oder -kollisionen „entdecken", die aus ihrer Sicht ein Handeln unter gleichzeitiger Beachtung aller einschlägigen Regelungen vereiteln. Eben dieser Widerspruch legt den „Mangel" einer Norm für die Verwaltung offen, ohne daß es einer Normenkontrolle bedarf, die „dem Wesen" der Verwaltung entsprechend reduziert werden muß.

95 So die Formulierung Ossenbühls, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393, 397 mit Fußn. 6.

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

Hier wird erneut der Unterschied von Normanwendungs- und Normsetzungskollisionen bedeutsam: Weil das Gesetz für die Verwaltung Verhaltensmaßstab ist, kann und muß sie nur Unvereinbarkeiten bei Normen feststellen, die für sie Verhaltensgebote enthalten, also tatbestandlich konkurrieren. Mit anderen Worten: Aus Sicht der Verwaltung wird die Beachtung einer Norm die Mißachtung einer anderen bedingen. Bei Normsetzungskollisionen dagegen liegt keine tatbestandliche Konkurrenz vor; die Kollisionsnorm enthält kein Verhaltensgebot für den Normanwender, für den aus diesem Grunde der Widerspruch nicht offenbar wird und werden muß.

5. Antragsbefugnis der Exekutive in Normenkontrollverfahren als Gegenargument? Wie aber verhält es sich mit den Möglichkeiten der Verwaltung, gerichtliche Normenkontrollen zu beantragen? Die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG 9 6 aufgeführten „Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel über die förmliche oder sachliche Vereinbarkeit" der darin erwähnten Normen mit dem Grundgesetz bzw. sonstigem Bundesrecht setzen eine entsprechende Prüfung zweifellos voraus, so daß man gewiß nicht von einem Prüfüngsverbot ausgehen kann. Ähnliches wird man von § 47 Abs. 2 VwGO annehmen dürfen. Da nach beiden Vorschriften eine Beschränkung auf die oben erwähnten Kollisionen im Sinne widersprüchlicher Verhaltensgebote nicht vorliegt scheint damit das soeben gefundene Ergebnis kraft ausdrücklicher Normierung widerlegt. Tatsächlich aber verhält es sich anders. Dabei muß nicht einmal darauf abgestellt werden, daß die entsprechenden Vorschriften schon deshalb keine allgemeine Prüfungskompetenz einräumen, weil sie — wie etwa Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG — nur einzelne denkbare Kollisionen 97 oder — wie § 47 VwGO — nur die Prüfung von Normen bestimmten Ranges betreffen. Die Tatsache, daß eine generelle, jede normanwendende Stelle betreffende, Verpflichtung zur Normenkontrolle nicht aus der Gesetzes- und Verfassungsbindung der Verwaltung abgeleitet werden kann, schließt nicht aus, daß bestimmte Behörden in bezug auf bestimmte Normen eine besondere Prüfungskompetenz besitzen, wenn diese ausdrücklich eingeräumt oder doch vorausgesetzt wird. Außerdem knüpft 96

Darauf verweisen insbes. Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 116; Michel, Normenkontrolle, NJW 1960, 841, 842; Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1,2. 97 Prüfungsmaßstab im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle sind ausschließlich Normen des Grundgesetzes bzw. des sonstigen Bundesrechts. Damit setzt Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 nicht die Prüfungskompetenz im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit Europarecht voraus.

1. Kap. : Noprfngskompetenz der Exekutive?

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die Antragsbefugnis nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG nicht an die Situation an, in der sich für die Verwaltung nach unserem Verständnis die Frage nach einer Normverwerfung stellt, nämlich die Entscheidung zwischen widersprüchlichen Verhaltensgeboten. Es wird also nicht vorausgesetzt, daß die Bundes- bzw. Landesregierung die fragliche Norm selbst anzuwenden hat. Daraus ergibt sich, daß sich aus Antragsbefugnissen für Normenkontrollverfahren für die Frage einer allgemeinen Prüfüngskompetenz der Verwaltung im Sinne einer Prüfungspflicht keine Schlüsse ziehen lassen.

HL Exkurs: Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen Unter dem Aspekt der Beachtung von Rechtvorschriften als Handlungsmaßstäbe der Exekutive geraten auch andere Rechtsinstitute in den Blick, die materiell betrachtet zwar nicht den Rang von Gesetzen besitzen, gleichwohl aber für die Verwaltung und/oder den einzelnen Amtswalter dieselbe Funktion besitzen. Die Rede ist von Verwaltungsvorschriften und (beamtenrechtlichen) Einzelweisungen. Neben der — im Vergleich zu Rechtsnormen unterschiedlichen — systematischen Einordnung als Binnenrecht der Exekutive 98 unterscheiden sie sich durch die normative Begründung der Bindungswirkung. Diese resultiert aus der mit der Weisungsbefugnis der erlassenden Stelle korrespondierenden Gehorsamspflicht des Adressaten 99; Art. 20 Abs. 3 GG erfaßt sie indes nicht 1 0 0 . Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen „komplettieren" den Kreis der das Verhalten der Exekutive bestimmenden Vorschriften. Sie sind aus Sicht des „Anwenders" ebenso wie Rechtsnormen in die Prüfung miteinzubeziehen. Aus der weiteren Betrachtung dürfen sie jedoch aus zwei Gründen ausscheiden: Die Frage der Behandlung möglicherweise rechtswidriger (allgemeiner oder Einzel-) Weisungen ist in den Beamtengesetzen des Bundes und der Länder 101 in Form der Remonstrationspflicht und der ausnahmsweisen Befreiung von der Gehorsamspflicht ausdrücklich und abschließend geregelt. Das allgemeine Problem der Prüfungs- und Verwerfungskompetenz stellt sich somit nicht.

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Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24, Rdnrn. 20 ff. m.w.N. Vgl. nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24, Rdnr. 16; Ossenbühl, VerwaltungsVorschriften und Grundgesetz, S. 485 f. 100 BVerfG v. 31.5.1988 — 1 BvR 520/83 — BVerfGE 78, 214, 227 = DVB1. 1989, 94 ff. 101 Vgl. §§ 55, 56 BBG, §§ 37, 38 BRRG; fur Bayern Art. 64, 65 BayBG. 99

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

Verwaltungsvorschriften und Weisungen stehen strukturell im Zusammenhang mit einem gesetzlich festgelegten, seiner Art nach bestimmten, nämlich hierarchischen Aufbau der Verwaltung. Nur diesen Bereich erfaßt die Gehorsamspflicht, nur insoweit bestehen Weisungsbefugnisse. Dagegen ist die Frage der Verwerfungskompetenz in bezug auf Rechtsnormen eine allgemeine Frage der Kompetenzverteilung zwischen Normgeber und Normanwender, die grundsätzlich unabhängig ist vom konkreten Rechtsverhältnis zwischen beiden.

IV. Zusammenfassung Die Bindung der vollziehenden Gewalt an die Gesetze und an die Verfassung bedeutet die Verpflichtung der Exekutive, gemäß den Gesetzen zu handeln. Dies bedingt eine ständige prospektive Prüfung der Handlungspflichten, möglichkeiten und -grenzen im Sinne einer Selbstkontrolle der Verwaltung. Den Maßstab bei der Prüfung der Frage, ob und wie die Verwaltung handeln darf, bilden die Verfassung und die Gesetze jeden Ranges insgesamt. Zweck der Prüfung ist die Gewährleistung rechtmäßigen Handelns der Verwaltung, nicht die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Normen. Ziel der Prüfung ist die Ermittlung von gesetzlich normierten Handlungspflichten, -räumen und grenzen. Da jedes Verwaltungshandeln der Verfassungs- und Gesetzesbindung unterliegt, muß die Prüfung permanent stattfinden. Eine „Normenkontrolle" im Sinne einer Überprüfung einer Norm am Maßstab einer anderen (höheren) findet grundsätzlich nicht statt, sofern sie nicht besonders vorgeschrieben ist. Eine aus der Gesetzesbindung der Verwaltung abzuleitende Prüfungspflicht ist nicht durchführbar, eine Reduzierung des Prüfungsumfangs ist nicht begründbar. Die Prüfung der Handlungsmöglichkeiten obliegt jedem handelnden Organ. Sie ist umfassend in dem Sinne, daß das dem Prüfungsergebnis nicht widersprechende Handeln des Organs nach dessen Rechtsüberzeugung mit keiner Norm kollidiert. Das Problem einer Normverwerfung stellt sich nur, soweit bei dieser Selbstkontrolle Normanwendungskollisionen sichtbar werden. Diese Nonnkollisionen stellen sich dar als widersprüchliche Verhaltensanweisungen, bei denen die Beachtung der einen die Mißachtung der anderen bedingt.

2. Kap.: Meinungsstand zur Verwerfungskompetenz

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2. Kapitel

Meinungsstand zur Verwerfungskompetenz

I. Einleitung und Literaturübersicht Die bislang vorliegenden Untersuchungen behandeln überwiegend 102 jeweils nur einen kleinen Ausschnitt der Gesamtproblematik. Daraus resultiert eine Fülle unterschiedlicher Lösungsansätze, die nicht miteinander zu vereinbaren sind, wenn man sich die Problematik in einem größeren Rahmen vergegenwärtigt. Letztlich werden bereits durch die Begrenzung der Thematik Differenzierungskriterien eingeführt, die ihrerseits begründungsbedürftig sind. Die wesentlichen Merkmale, die hier — alternativ oder kumulativ — eine Rolle spielen, seien vorweg genannt: Hauptsächlich wird differenziert nach dem Rang der kollidierenden Norm, deren Verwerfung in Rede steht. So wird häufig nur das formelle Gesetz 103 oder nur untergesetzliches Recht 104 thematisiert. Daneben oder stattdessen findet sich als maßgebliches Kriterium der Rang der Kollisionsnorm 105 . Schließlich

102

Anders explizit Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1, 3, der insbesondere die Unterscheidung nach dem Rang der möglicherweise zu verwerfenden Norm ablehnt, da es „nicht um die Stellung der Exekutive gegenüber einem bestimmten Normgeber gehen" könne, „sondern um ihre Stellung gegenüber der Norm schlechthin"; Fragen des Europarechts werden von ihm allerdings nicht behandelt. ™ Vgl. u.a. Abelein, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 145 ff; Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197 ff.; Groß, Inzidente Normenkontrolle, 1967; Hall, Prüfung von Gesetzen, 1963; Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193 ff ; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, 1967; Kratzer, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 150 f.; Michel, Normenkontrolle, NJW 1960, 841 ff; Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, 1974. 104 Vgl. Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374 ff; ders., Inzidentverwerfung, DVB1. 1986, 806 ff; überwiegend wird in diesem Bereich speziell die Verwerfung von Bebauungsplänen behandelt, vgl. die Nachweise unten Fußn. 153 und 154. So behandeln die in Fußn. 103 genannten Autoren nur Kollisionen förmlicher Gesetze mit dem Grundgesetz, wodurch etwa die Verwerfung formeller Landesgesetze wegen Unvereinbarkeit mit Bundesrecht außer Betracht bleibt. In der europarechtlichen Literatur dagegen wird nur auf die Kollision mit Europäischem Gemeinschaftsrecht abgestellt, ohne nach dem Rang des jeweils kollidierenden nationalen Rechts zu differenzieren, vgl. etwa Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 81 ff ; Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 77 ff ; Pietzcker, Nichtanwendung, FS f. Everling Bd. II, S. 1095 ff.

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

wird teilweise nach dem zeitlichen Verhältnis von Kollisionsnorm und kollidierender Norm unterschieden 106. An dieser Stelle sollen zunächst die vorliegenden Vorschläge in ihren wesentlichen Aussagen dargestellt werden. Daran schließt sich, bezogen auf den jeweiligen Normkontext, eine kritische Würdigung der vorgetragenen Argumente an.

IL Die Verwerfung formlicher Gesetze wegen vermuteter Verfassungswidrigkeit 1. Der Ausgangspunkt Die literarische Behandlung des Problems der Verwerfungskompetenz der Exekutive unter der Geltung des Grundgesetzes 107 nahm ihren Anfang im Anschluß an zwei miteinander unvereinbare Aussagen des Bundesfinanzhofes einerseits 108 und des Bundesverfassungsgerichts andererseits 109. In dem vom Bundesfinanzhof zu entscheidenden Fall ging es um die Frage, ob die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids gemäß § 251 RAO darauf gestützt werden könnte, daß das dem Steuerbescheid zugrundeliegende Gesetz (im entschiedenen Fall § 38 LAG) verfassungswidrig sei. Diese Frage nahm der Bundesfinanzhof zum Anlaß, generelle Ausführungen zur Wirkung eines Gesetzes auf die (Finanz-) Verwaltung zu machen. Er kam zum Ergebnis, daß ein „ordnungsgemäß erlassenes und verkündetes Gesetz die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit für sich" habe. Aus diesem Grunde könne die (Finanz-) Verwaltung nicht verpflichtet sein, die Vollziehung eines auf dieses Gesetz

106 So behandeln die in Fußn. 103 genannten Autoren nur nachkonstitutionelle Gesetze, wobei freilich häufig offenbleibt, ob damit generell Aussagen nur über ursprüngliche, d. h. bereits bei Erlaß des Gesetzes bestehende Kollisionen getroffen werden sollen, oder ob auch erst durch spätere Verfassungsänderungen entstehende Unvereinbarkeiten (temporäre Kollisionen) erfaßt werden. Nach Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193 f. ist dieser Fall gleichgelagert; laut Bachof [ Prüfungsund Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 234 f., Fußn. 9, ist nachkonstitutionelles Recht hinsichtlichtlich der nachträglich geänderten Verfassungsnorm „vorkonstitutionell" — Nach dem Zeitpunkt der Kollision differenziert durchgängig Pietzcker (Inzidentverwerfung, AöR 101 [1976], 374 ff., Inzidentverwerfung, DVB1. 1986, 806 ff., Nichtanwendung, FS f. Everling, Bd. II, S. 1095,1102 ff.). 107 Zu den historischen Grundlagen ausfuhrlich Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 3 ff. 108 BFH v. 12.12.1958 — I I I 332/58 S — BFHE 68, 361 ff. 109 BVerfG v. 21.2.1961 — 1 BvR 314/60 —BVerfGE 12, 180ff.= NJW 1961, 598.

2. Kap.: Meinungsstand zur Verwerfungskompetenz

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gestützten Verwaltungsakts auszusetzen110. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Parallelfall die Entscheidung des Bundesfinanzhofs insoweit im Ergebnis bestätigt. Allerdings führte es aus, daß der Grundsatz der Gewaltenteilung die Verwaltung nicht zum Vollzug eines Gesetzes zwinge, das „wahrscheinlich für nichtig erklärt werden muß" 1 1 1 . Damit wurde eine Diskussion angestoßen112, die weit über die entschiedene Problematik der Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts hinausreicht. Die zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1961 wird auch im neueren Schrifttum noch als allgemeine Aussage über die Verwerfungskompetenz der Exekutive bewertet 113 , obwohl bereits im Jahre 1962 zutreffend daraufhingewiesen wurde, daß beide Problemkreise miteinander unmittelbar nichts zu tun haben, da die Nichtanwendung eines Gesetzes bereits den Erlaß eines Verwaltungsaktes betreffe, nicht erst seine Vollziehung im Vorfeld einer gerichtlichen Entscheidung 114 .

2. Die Lösungsansätze a) Die Theorie von der Verwerfüngskompetenz Die uneingeschränkte Verwerfüngskompetenz der Exekutive wird teilweise aus deren Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitet. Inhalt dieser Bindung sei auch die Feststellung, was geltendes Recht ist. Verfassungswidrige Gesetze aber seien nichtig und unwirksam und könnten aus diesem Grunde die Verwaltung nicht binden. Umgekehrt bestünde jedoch eine Verpflichtung der Verwaltung zur Wahrung von Gesetz und Recht, die zur Außerachtlassung verfassungswidriger Gesetze zwinge 115 . Manche Autoren verweisen darüber hinaus darauf, daß für die Verwaltung eine Art. 100 Abs. 1 GG entsprechende Norm fehle. Anders als die Gerichte seien deshalb die Ver110

BFH v. 12.12.1958 — ΠΙ 332/58 S — BFHE 68, 361, 364. BVerfG v. 21.2.1961 — 1 BvR 314/60— BVerfGE 12, 180, 186. Angesichts der Fülle von Aufsätzen und Monographien, die sich seither speziell mit der Normverwerfungsbefugnis der Exekutive befassen, ist die Einschätzung Jörn Ipsens (Rechtsfolgen, S. 79), mit der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1960 sei die Rechtslage geklärt und die Diskussion abgeschlossen, nicht recht nachvollziehbar. 113 Vgl. etwa Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht DVB1. 1983, 821 ff., bes. 824. 114 Bachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197 ff., bes. 202 ff. 115 Vgl. Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 823 f.; wohl auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdnr. 46. 111

112

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

waltungsbehörden an einer Verwerfung verfassungswidriger Gesetze nicht gehindert 116 . Ergänzend wird teilweise auf § 76 Nr. 2 BVerfGG hingewiesen: Die für den Fall, daß ein Gesetz von der vollziehenden Gewalt wegen dessen Verfassungswidrigkeit nicht angewendet wurde, normierte Antragsbefugnis setze die Verwerfüngskompetenz der Exekutive voraus und erkenne sie einfachgesetzlich an 1 1 7 .

b) Die Theorie von der Anwendungspflicht Den entgegengesetzten Standpunkt nehmen jene Autoren ein, die die Verwaltung für verpflichtet halten, alle Gesetze strikt anzuwenden, seien sie nun verfassungsgemäß oder nicht. Hierzu gehört zunächst Rönitz, der im Anschluß an den Bundesfinanzhof eine Befugnis der Exekutive zur Gesetzesprüfüng verneint und daraus folgert, daß die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes gar nicht erkannt werden könne 118 . Von einer Anwendungspflicht geht auch Kabisch aus, dessen Konzeption bereits oben dargestellt wurde 119 . Vorzustellen ist in diesem Zusammenhang die Untersuchung von Hall 1 2 0 . Er geht zunächst von der Stellung der Verwaltung zum Gesetz aus und stellt sie derjenigen der Gerichtsbarkeit gegenüber. Die Exekutive treffe bei der Gesetzesanwendung Entscheidungen in eigener Sache und nicht, wie die Judikative, als neutrale Instanz. Vielmehr werde das Handeln der Verwaltung von den Gerichten kontrolliert. Die Rechtskontroll- im Sinne einer Letztentscheidungsbefügnis habe somit die Judikative, nicht die Exekutive inne. Deren Erkenntnisse seien deshalb stets nur vorläufiger Natur 121 . Eine Kontrolle über andere Gewalten käme der Verwaltung nicht zu. In der vorläufigen oder endgültigen Nichtanwendung einer Norm liege jedoch die Dezision über das Gesetz. Dazu sei jedoch nur das Bundesverfassungsgericht berufen. Die Regelung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG gebe der Verwaltung lediglich die Möglichkeit, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung herbeizuführen 122.

116 117 118

S. 63.

119

S. 76 f. 120

253 ff.

121

Michel, Normenkontrolle, NJW 1960, 841, 843. Michel, Normenkontrolle, NJW 1960, 841, 842 f. Rönitz, Aussetzung der Vollziehung, NJW 1960, 226 ff.; dazu oben, 1. Kap., I., Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, vgl. oben 1. Kap., 1.3., S. 65 ff. und II.3.a), Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 104 ff, ders. Prüfung von Gesetzen, DÖV 1965,

Hall, Prüfung von Gesetzen, DÖV 1965,253,260. Im Ergebnis ebenso Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rdnr. 46. 122

2. Kap.: Meinungsstand zur Verwerfungskompetenz

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Eine ähnliche Lösung verfolgt Ossenbühl123. Nach seiner Ansicht spricht für die Verfassungsmäßigkeit förmlicher Gesetze eine Vermutung, die ausschließlich durch das Bundesverfassungsgericht widerlegt werden könne 124 . Demgemäß bleibe die Behauptung der Verfassungswidrigkeit durch die Verwaltung lediglich „subjektives Meinen"; erst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vermöge die Verfassungsfrage endgültig und allgemeinverbindlich zu beantworten. Die Nichtanwendung eines Gesetzes käme in ihren Konsequenzen einem endgültigen Urteil über dessen Verfassungswidrigkeit gleich, das aber nach der grundgesetzlichen Ordnung nur das höchste Gericht fällen dürfe. Lediglich in Ausnahmefallen könne von einer Anwendung abgesehen werden. Hierzu werden angeführt 125 : das Nicht-Gesetz, das aus logischen oder tatsächlichen Gründen unvollziehbare Gesetz, vorkonstitutionelle Gesetze, da für sie kein Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts bestehe, sowie Gesetze, deren Verfassungswidrigkeit evident sei, insbesondere im Falle von Parallelnormen zu Gesetzen, die bereits für verfassungswidrig erklärt wurden; bei diesen sei die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit bereits durch das Bundesverfassungsgericht widerlegt worden.

c) Die Theorie von der Aussetzung des Verfahrens Zwischen beiden oben genanten Theorien liegt eine dritte, die die Verwaltung für verpflichtet hält, von einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit abzusehen und das Verfahren bis zu einer Klärung der Rechtslage durch das Bundesverfassungsgericht auszusetzen126. Sie geht zunächst davon aus, daß verfassungswidrige Gesetze nicht ipso iure nichtig seien, sondern erst durch einen Spruch des Bundesverfassungsgerichts vernichtet würden. Dies ergebe sich daraus, daß Art. 100 Abs. 1 GG den Gerichten nicht nur die Anwendung, sondern auch die Verwerfung solcher Normen untersage. In diesem Sinne sei das Gesetz eben nicht unbeachtlich (nichtig), sondern nur vernichtbar 127 . Das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts zwinge jedoch nicht zur Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, denn dem einzelnen Beamten obliege wie der Verwaltung insgesamt die Beachtung der Verfassung, die durch 123

Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393 ff. Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393,402 ff. 125 Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393, 408 ff. — Auch nach Wolff/BachoflStober, Verwaltungsrecht I, § 28 Rdnr. 21 besitzt die Verwaltung eine beschränkte Verwerfungskompetenz in Fällen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit. 126 Maßgeblicher Vertreter dieser Ansicht ist Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193 ff. 127 Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193, 197 f. 124

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

das Gesetz verletzt würde. Aus eigener Sachentscheidungsbefugnis vermöge die Verwaltung diese Konfliktlage nicht zu bewältigen. Der Verwaltungsbeamte habe seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes im Rahmen seiner Remonstrationspflicht seinem Vorgesetzten mitzuteilen. Schließe dieser sich der Ansicht an, habe er seinerseits seinen Vorgesetzten zu unterrichten. Auf diese Weise gelange die Frage zum zuständigen Fachminister, der sie dem Kabinett vorzulegen und auf die Stellung eines Normenkontrollantrages hinzuwirken habe. In der Zwischenzeit sei das Verfahren — ebenso wie ein Gerichtsverfahren im Rahmen des Art. 100 Abs. 1 GG — auszusetzen.

d) Die Theorie der eingeschränkten Verwerfüngskompetenz Eine von Bachof 128 begründete Ansicht versucht, die oben dargestellten Theorien im Ergebnis miteinander zu verbinden. Danach muß der einzelne Organwalter auftretende Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes auf dem Dienstwege geltend machen. Die Anwendung der Norm soll grundsätzlich bis zu einer anderslautenden Weisung des Vorgesetzten oder aber einer endgültigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt werden 129 . Die Aussetzung des Verfahrens aber sei nicht in allen Fällen praktikabel; teilweise komme sie — etwa wegen Zeitablaufs — der endgültigen Nichtanwendung des Gesetzes gleich, teilweise führe sie zu einem möglicherweise lang andauernden Stillstand der Verwaltung. In diesen Fällen müsse die Verwaltung zwischen Anwendung und Verwerfung entscheiden. Bloße Zweifel oder Bedenken könnten sich gegen die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit förmlicher Gesetze nicht durchsetzen. Sei der einzelne Verwaltungsbeamte dagegen von der Verfassungswidrigkeit überzeugt, so sei er berechtigt, von einer Anwendung abzusehen130. Den Grund sieht Bachof vor allem darin, daß der einzelne Verwaltungsbeamte und die Verwaltung insgesamt für die Rechtmäßigkeit ihres Handelns voll verantwortlich seien. Dieses Risiko trügen sie bei Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes ebenso wie bei dessen 128

Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197 ff.; ihm im wesentlichen folgend Abelein, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 145 ff.; ähnlich Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 129 ff., bes. S. 161 ff., und — mit geringfügigen Abweichungen — Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, insbes. S. 156 ff. 129 Bachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197,229 f. 130 Abelein, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 145, 150; Bachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 228 f.; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 151 ff.

2. Kap.: Meinungsstand zur Verwerfungskompetenz

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Verwerfung. Es sei aber nicht einzusehen, warum sich dieses Risiko auf Fälle erstrecken solle, in denen die Verwaltung selbst von der Rechtswidrigkeit des Handelns überzeugt sei, da es aus dem Vollzug eines rechtswidrigen Gesetzes resultiere 131 . Bei evidenten Verfassungsverstößen verdichte sich die Verwerfüngskompetenz zur Verwerfungspflicht 132 .

e) Weitere Theorien Die im übrigen vertretenen Theorien kommen im Ergebnis zu einer differenzierenden Anwendung der Aussetzungstheorie. Rau 1 3 3 schließt aus der Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge und seiner Funktion als Hüter der Verfassung, daß der Exekutive keine Befugnis zustehe, sich ein eigenes Urteil über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu bilden 134 . Dementsprechend sei der Verwerfungskompetenztheorie der Boden entzogen. Das Verfahren sei grundsätzlich auszusetzen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Dabei sieht er Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG als diejenige Norm an, die das Verfahren präjudiziere: Die Beratungs- und Unterstützungspflicht des Beamten sei die Rechtsgrundlage für die Verpflichtung, den jeweiligen Vorgesetzten über die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zu informieren 135 . Es genüge, wenn „irgendwo innerhalb des staatlichen Apparats Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit geäußert werden", um die Verpflichtung zu begründen, ein Normenkontrollverfahren einzuleiten. Auf die Meinung eines mit der Norm befaßten Beamten alleine könne es nicht ankommen 136 . Lediglich in Fällen der Eilbedürftigkeit dürfe zusätzlich die Anordnung zur Anwendung der Norm getroffen werden. Groß 137 gelangt nach Ablehnung der Theorie von der Verwerfungskompetenz 138 ebenfalls zu einer Kombination aus Aussetzungs- und Anwendungstheorie. Er macht das richtige Verhalten der Verwaltung von einer Interessenabwä131

Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197,228 f; Abelein, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 145, 149; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 118 ff, 156 ff. stützt sich dabei vor allem auf die von ihm angenommene Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze. 132 Bachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197,230; Abelein, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 145, 150. 133 Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, bes. S. 78 ff. 134 Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 83. 135 Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 156. 136 Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 152. 137 Inzidente Normenkontrolle, 1967. 138 Groß, Inzidente Normenkontrolle, S. 180 ff.

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

gung abhängig. Den Maßstab hierfür stellt nach seiner Ansicht § 80 VwGO dar. Im Ergebnis gelangt er bei belastenden Gesetzen zu einer Verpflichtung zur Aussetzung des Verfahrens, wenn die Verletzung privater Rechtspositionen „dringend zu befürchten" ist, anderenfalls das Gesetz anzuwenden sei 139 . Begünstigende Gesetze dagegen seien grundsätzlich anzuwenden 140 .

ΠΙ. Die Verwerfung untergesetzlicher Normen In der Diskussion um die Verwerfüng untergesetzlicher Normen werden teilweise dieselben Gesichtspunkte herangezogen, die auch für die Nichtanwendung formeller Gesetze eine Rolle spielen. So wird etwa aus der Rangordnung der Normen, der Nichtigkeit rechtswidriger Gesetze und der Gesetzesbindung der Verwaltung ein Anwendungsverbot und damit eine Verwerfungspflicht gefolgert 141 . Umgekehrt entnehmen andere Autoren den Vorschriften des Grundgesetzes, insbesondere Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG ein Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts, das auch untergesetzliche Normen umfasse und deshalb die Inzidentverwerfung durch die Verwaltung un1 41 tersage

139

Groß, Inzidente Normenkontrolle, S. 208. Groß, Inzidente Normenkontrolle, S. 212. 141 VGH Kassel v. 20.12.1989 — 4 UE 2251/88 — NVwZ 1990, 885, 886; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdnr. 47; Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 824; ders., VwVfG, vor § 9, Rdnrn. 22, 24; Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 138; im Ergebnis auch Renck, Anmerkung, BayVBl. 1983, 86, 87; Bielenberg (Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 Rdnr. 55) stützt diese Argumentation im Hinblick auf Bebauungspläne zusätzlich auf die Erwägung, es bestünde nach § 47 VwGO kein Verwerfungsmowopo/ der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe. 142 Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1, insbes. 4. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Bachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 199, der für landesverfassungswidrige untergesetzliche Normen eine Inzidentverwerfung der Exekutive verneint, soweit Landesverfassungsrecht über Art. 100 GG hinaus das Verwerfungsmonopol der Landesverfassungsgerichte auch auf solche Vorschriften erstreckt habe. Diese Argumentation überrascht, da es gerade Bachof ist (a.a.O., S. 216 f.), der die Unzulässigkeit oder doch Unergiebigkeit der Argumentation mit der Regelung des Art. 100 GG — und damit wohl doch auch entsprechender landesverfassungsrechtlicher Regelungen — begründet hat. — Auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Normenkontrolle stellt auch Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 293, Fußn. 44 sub II und III. ab, der die Prüfungs- und Verwerfungskompetenz „notwendigerweise" bejaht, soweit Länderregelungen über Normenkontrollverfahren gem. § 47 VwGO fehlen; vgl. auch Jung, Gemeindliche Verwerfungskompetenz, NVwZ 1985, 790, 793 f. 140

2. Kap.: Meinungsstand zur Verwerfungskompetenz

95

Neben speziellen Untersuchungen zum Problem der Behandlung fehlerhafter Bebauungspläne143 lassen sich darüber hinaus aus Rechtsprechung und Literatur verschiedene Ansatzpunkte entnehmen, die allgemein für untergesetzliche Normen Geltung beanspruchen können.

1. Kompetenzverteilung

innerhalb der Exekutive

Insbesondere Pietzcker 144 hat die organisatorische Stellung der normanwendenden Behörde gegenüber dem Normgeber zum Ausgangspunkt seiner (ersten 145 ) Stellungnahme gemacht. Aus der Gehorsamspflicht des Beamten schließt er auf das Fehlen einer Verwerfungskompetenz und die Pflicht zur Anwendung von Normen, die von in der Verwaltungshierarchie übergeordneten Behörden erlassen wurden 146 . Auch im übrigen verneint er grundsätzlich das Recht zur Nichtanwendung: Die gesetzlich verliehene Normsetzungskompetenz beinhalte zugleich die Kompetenz zur Aufhebung der Norm. Die inzidente Verwerfung durch Nichtanwendung sei gegenüber der Aufhebung ein Minus, also lediglich quantitativ unterschiedlich. Dagegen seien beide Akte qualitativ gleichwertig, da in jedem Fall die generelle Wirkung des Gesetzes aufgehoben werde. Gegenüber der Normsetzungskompetenz des Normgebers könne sich der Normanwender lediglich auf die Kompetenz zur Norminterpretation stützen. Interpretation und Verwerfung seien jedoch qualitativ unterschiedlich 147 , weshalb ein Verwerfungsrecht grundsätzlich als Eingriff in die Kompetenzen der rechtsetzenden Behörde abzulehnen sei. Zudem diene die Aufteilung von (Rechtsetzungs-)Kompetenzen der Spezialisierung und Sachnähe. Eine Verwerfungskompetenz aller normanwendenden Verwaltungsorgane widerspräche diesem der Kompetenzverteilung, der Dekonzentration und Dezentralisierung der

143

Dazu sogleich unter 3., S. 97 ff. Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374 ff; ihm im wesentlichen folgend OVG Saarlouis v. 20.2.1989 — 1 R 102/87 — NVwZ 1990, 172 ff. = DÖV 1990, 152 ff. bezüglich der Verwerfung einer städtischen Satzung durch die Stadtverwaltung. 145 In einer späteren Publikation hat er an dieser Argumentation nicht mehr festgehalten, vgl. Pietzcker, Inzidentverwerfung, DVB1. 1986, 806, 808. ™ Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 386. 147 Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 390; hiergegen ausdrücklich ders., Inzidentverwerfung, DVB1. 1986, 806, 808 („Rechtlich nimmt derjenige, der die Norm inzident verwirft, aber lediglich die ihm zugewiesene Kompetenz der RechtsanWendung wahr") mit Hinweis auf Renck, Anmerkung, BayVBl. 1983, 86, 87, der das Verwerftmgsrecht der Exekutive aus deren Vorfragenkompetenz folgert; ebenso Kopp, VwVfG, vor § 9, Rdnr. 22. 144

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

Verwaltung zugrundeliegenden Gedanken148. Bei der dezentralen Aufgabenverteilung käme ergänzend die subjektivrechtlich ausgeformte und — etwa bei Kommunen und Universitäten — verfassungsrechtlich abgesicherte Rechtsstellung der Aufgabenträger hinzu, deren Kompetenzen tangiert würden 149 . Dieser Ansatz führt Pietzcker dazu, die Inzidentverwerfungsbefugnis von Behörden in bezug auf die von ihnen selbst gesetzten Normen anzuerkennen 150. Daraus resultiert seiner Ansicht nach die Möglichkeit wie die Verpflichtung jedes anderen Normanwenders, sich mit den vorhandenen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Norm an deren Urheber zu wenden; halte dieser die Norm gleichfalls für nichtig, greife auch die „Kompetenzsperre" nicht mehr ein, so daß nunmehr von einer Anwendung des Rechtssatzes abgesehen werden könne 151 .

2. Aspekt der Rechtssicherheit Demgegenüber wird von einer Reihe von Autoren sowie mehrheitlich von der Rechtsprechung im Hinblick auf die Folgen der Nichtanwendung im Einzelfall eine Verwerfungskompetenz allgemein — also unabhängig von der Stellung des Normanwenders zu der des Normgebers — verneint. Denn mit der Anerkennung einer Verwerfüngskompetenz gehe eine unerträgliche Rechtsunsicherheit einher. Es sei nicht ausgeschlossen, daß von Fall zu Fall oder von Behörde zu Behörde die Frage der Rechtmäßigkeit einer Norm unterschiedlich beurteilt würde. Auch wenn die Vorschrift tatsächlich an einem zur Ungültigkeit führenden Fehler leide, sei durch den Rechtsetzungsakt doch der Schein der Rechtsgeltung erzeugt worden. Dieser könne nur durch einen „Gegenakt der Normsetzung" 152 beseitigt werden 153 .

148

Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 391; ihm folgend Pagenkopf, Plankontrolle, BauR 1979, 1, 13. 149 Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 391 f.; insoweit zustimmend v. Mutius/Hill, Behandlung fehlerhafter Bebauungspläne, S. 57; Pagenkopf Plankontrolle, BauR 1979, 1, 12 f.; im Ergebnis ebenso Dolde, Verwerfung nichtiger Bebauungspläne, BauR 1978, 153, 155 f. 150 Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 393. 151 Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 394. 152 So BVerwG v. 21.11.1986 — 4 C 22/83 — BVerwGE 75, 142, 144, allerdings nicht im Hinblick auf die Inzidentverwerfungsbefugnis, sondern auf die verbindliche Feststellung der Nichtigkeit bzw. Rücknahme der Genehmigung des Bebauungsplanes. 153 Pagenkopf, Plankontrolle, BauR 1979, 1, 12; BVerwG v. 21.11.1986 — 4 C 22/83 — BVerwGE 75, 142 ff.mit zust. Anm. von Steiner, DVB1. 1987, 483, 484; so

2. Kap. : Meinungsstand zur Verwerfungskompetenz 3. Exkurs: Zur Behandlung fehlerhafter

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Bebauungspläne

a) Schwerpunkte der Diskussion Der Schwerpunkt der Diskussion um die Verwerfung untergesetzlicher Normen hegt bei dem Problem fehlerhafter Bebauungspläne154. Dies ist der in der Praxis wohl am häufigsten vorkommende Fall 1 5 5 , in dem eine Nichtanwendung in Rede steht. Besondere, über die soeben vorgestellten hinausgehende Aspekte der Inzidentverwerfung durch die zur Normanwendung berufenen Behörde ergeben sich hierbei bei genauerer Betrachtung allerdings nicht. Ein baurechtliches Sonderrecht der behördlichen Normverwerfung existiert nicht 156 .

auch OVG Münster v. 24.3.1982 — 10a NE 18/80 — NVwZ 1982, 636 f., BayVGH v. 1.4.1982 — 15 Ν 81 Α. 1679 — BayVBl. 1982, 654 ff. mit abl. Anm. von Renck, BayVBl. 1983, 86 f.; Funk, Vollzug fehlerhafter Bebauungspläne, BayVBl. 1981, 74, 77; v. Mutius/Hill, Behandlung fehlerhafter Bebauungspläne, S. 56 f., 60 f.; Lohr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 10 Rdnr. 10; Schmiemann, Behandlung rechtsfehlerhafter Bauleitpläne, in: FS f. Weyreuther, S. 243; Jung, Gemeindliche Verwerfungskompetenz, NVwZ 1985, 790, 792; Spiri , Verwerfung von Bebauungsplänen, S. 73 ff., insbes. 80 f., jeweils in bezug auf Bebauungspläne; zum Aspekt der drohenden Rechtsunsicherheit ebenso OVG Saarlouis v. 20.2.1989 — 1 R 102/87 — NVwZ 1990, 172, 173 = DÖV 1990, 152 ff.; OVG Saarlouis v. 9.12.1991 — 1 R 25/91 — NVwZ 1993, 396, 397 = DÖV 1992, 673 f. 154 Speziell damit befassen sich etwa Dolde, Verwerfung nichtiger Bebauungspläne, BauR 1978, 153 ff; Funk, Vollzug fehlerhafter Bebauungspläne, BayVBl. 1981, 74 ff.; Gerschlauer, Fortbestand von Bebauungsplänen, DÖV 1984, 493 ff., insbes. 502 ff; Haldenwang, Planungspflicht, BauR 1982, 543 ff.; Jäde, „Aufhebung" nichtiger Bebauungspläne, BayVBl. 1988, 5 ff.; Jung, Gemeindliche Verwerfungskompetenz, NVwZ 1985, 790 ff.; v. Mutius/Hill, Behandlung fehlerhafter Bebauungspläne, 1983; Pagenkopf, Plankontrolle, BauR 1979, 1 ff.; Schmiemann, Behandlung rechtsfehlerhafter Bauleitpläne, in: FS f. Weyreuther, S. 235 ff; Spiri, Verwerfung von Bebauungsplänen; Volhard, Amtspflichten bei nichtigen Bebauungsplänen, NVwZ 1986, 105 ff; Wohlgemuth , Aufgabe umstrittener Bebauungspläne, BauR 1981, 213 ff ; aus der Rechtsprechung vgl. OVG Münster v. 24.3.1982 — 10a NE 18/80 — NVwZ 1982, 636 [= BauR 1982, 346] m. Anmerkungen Klapdor, Feststellung der Nichtigkeit, BauR 1982, 409 ff., Ziegler, Anmerkung, BauR 1982, 411 f. und Lenz, Aufhebung unwirksamer Bebauungspläne, BauR 1982, 546 ff.; BayVGH v. 1.4.1982 — 15 Ν 81 A. 1679 — BayVBl. 1982, 654 ff. m. Anm. Renck, BayVBl. 1983, 86 f.; BVerwG v. 21.11.1986 — 4 C 22/83 — BVerwGE 75, 142 m. Anm. Steiner, DVB1. 1987, 483 ff.; VGH Kassel v. 20.12.1989 — 4 UE 2251/88 — NVwZ 1990, 885 f. 155 Vgl. etwa die Angaben bei Pagenkopf, Plankontrolle, BauR 1979,1, der an einem Beispiel die Auswirkungen gerichtlicher und behördlicher Plankontrolle erläutert: In einer rheinischen Großstadt seien von 870 Bebauungsplänen allenfalls 30 wirksam. 156 So zutreffend Renck, Anmerkung, BayVBl. 1983, 86, 87. 7 Wehr

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Amtshaftung bei der Anwendung nichtiger Bebauungspläne157 ergibt insoweit keine neuen Aspekte. Zwar handeln danach die Bediensteten der Genehmigungsbehörde amtspflichtwidrig, wenn sie einen unwirksamen Bebauungsplan anwenden 158 . Damit jedoch wird allenfalls eine (vom BGH nicht näher erläuterte) Verwerfungskompetenz vorausgesetzt, jedoch nicht begründet. Volhard 159 hat demgegenüber zu belegen versucht, daß sich aus den haftungsrechtlichen Folgen der Anwendung fehlerhafter Bebauungspläne die Zulässigkeit, ja Verpflichtung zur Nichtanwendung ergebe. Denn ein haftungsrechtlich relevantes Risiko bestehe bei den maßgeblichen Konstellationen nur, wenn es tatsächlich zur Anwendung der Satzung komme 160 . Tatsächlich geht diese Argumentation am eigentlichen Problem vorbei. Vorausgesetzt wird dabei stets, daß über die Nichtigkeit des Plans kein Zweifel besteht, sondern auch die gerichtliche Nachkontrolle die Auffassung der Bauaufsichtsbehörde bestätigt. Indes: „Die Problematik der Prüfungsund Verwerfungskompetenz der Verwaltung liegt jedoch gerade darin, daß nicht immer von vornherein feststeht, ob die Beurteilung zutreffend ist" 1 6 1 . Unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer entgegengesetzten Beurteilung im gerichtlichen Verfahren gelangt man vielmehr zu einer ausgewogenen Verteilung von Chancen und Risiken, die keinen Rückschluß auf das Bestehen oder Nichtbestehen der Verwerfungskompetenz zulassen162. Hauptsächlich steht im Hinblick auf Bebauungspläne der konkret zu beschreitende Weg der Fehlerbeseitigung in Streit und Rede, wie er durch die Regelungen des BauGB vorgezeichnet ist. Es geht also nicht nur darum, ob der Bebauungsplan im Einzelfall Anwendung findet oder nicht (Inzidentverwerfung), sondern vor allem darum, wie der als fehlerhaft beurteilte Bebauungsplan durch die Verwaltung endgültig und mit Wirkung für die Allgemeinheit wieder beseitigt werden kann, um auch den Rechtsschein einer bestehenden Norm zu vernichten (prinzipale Verwerfung). Die wesentlichen Aussagen hierzu sollen lediglich der Vollständigkeit halber im Überblick dargestellt werden, da diese Problematik im Kern jenseits des hier behandelten Themas angesiedelt ist, gleichwohl aber Aspekte zur Sprache kommen, die im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit eine Rolle spielen können.

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BGH v. 10.4.1986 — III ZR 209/84 — NVwZ 1987, 168 f. BGH v. 10.4.1986 — I I I ZR 209/84 —NVwZ 1987, 168, 169. 159 Amtspflichten bei nichtigen Bebauungsplänen, NVwZ 1986, 105. 160 Volhard, Amtspflichten bei nichtigen Bebauungsplänen, NVwZ 1986, 105. 107. 161 So treffend Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 827 Fußn. 57; zu diesem Problem näher unten, 3. Kapitel, I., S. 108 ff. Zur Amtshaftung wegen rechtswidrig versagter Baugenehmigungen vgl. nur Bergmann/Schumacher, Kommunalhaftung, Rdnrn. 1084 ff. m.w.N. 158

2. Kap.: Meinungsstand zur Verwerfungskompetenz

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Wenn von der end- und allgemeingültigen (prinzipalen) Verwerfung einer Norm durch die Verwaltung die Rede ist, so kann die Kompetenz hierzu sicherlich nur bei Behörden hegen, die eine generelle „Verfügungsmacht" über die Norm innehaben. Daher kommen nur Behörden mit der Kompetenz zur Normsetzung in Betracht, sofern nicht andere Stellen der öffentlichen Verwaltung durch Gesetz ausdrücklich zur Aufhebung oder zur Feststellung der Nichtigkeit ermächtigt sind 163 . Fraglich und umstritten ist hingegen das bei der Verwerfung einzuhaltende Verfahren. Zugespitzt kann die sich stellende Frage dahingehend formuliert werden, ob es notwendig ist, das gesamte für die Schaffung der Norm vorgesehene Verfahren auch für ihre Beseitigung zu durchlaufen, oder ob es genügt, den der Ausfertigung und Bekanntmachung vorangehenden Beschluß rückgängig zu machen. Bei der Aufstellung von Bebauungsplänen ergeben sich insoweit Unterschiede zu anderen kommunalen Satzungen, als das Verfahren der Planaufstellung wie auch der Planaufhebung (vgl. § 2 Abs. 4 BauGB) in §§ 2 ff., 10 ff. BauGB umfänglich geregelt ist. Darüber hinaus ist neben dem Satzungsbeschluß der Gemeinde (§ 10 BauGB) zum Teil auch die Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde nach § 10 Abs. 2 BauGB erforderlich.

b) Rücknahme der Genehmigung Der letztgenannte Aspekt hat zu Überlegungen veranlaßt, ob die höhere Verwaltungsbehörde die von ihr als rechtswidrig erachtete Satzung nicht dadurch wieder beseitigen könnte, daß sie ihren Beitrag am Normsetzungsverfahren 164 — die Satzungsgenehmigung — nach den Vorschriften über die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte (§ 48 VwVfG) aufhebt 165 . Die Konsequenz dieser Ansicht wäre, daß eine Maßnahme, die gegenüber der Gemeinde 163 Ein Beispiel hierfür ist § 16 Abs. 2 PolG Baden-Württemberg. Danach ist die Nichtigkeit einer Polizeiverordnung von Kreis- oder Ortspolizeibehörden von der zur Fachaufsicht zuständigen Behörde festzustellen; vgl. dazu etwa Wölfl Stephan, Polizeigesetz fur Baden-Württemberg, § 16, Rdnrn. 6 ff. 164 Mit der Ablösung des BBauG durch das BauGB im Jahre 1986 hat diese Überlegung allerdings an Bedeutung verloren, da seither im Regelfall lediglich eine Anzeigepflicht bestand (§ 11 Abs. 1, 2. HS BauGB a.F.), — die mit Wirkung von 1.1.1998 entfallen ist (vgl. § 10 BauGB n.F.) — somit regelmäßig eine Genehmigung nicht vorhanden ist. Nach § 11 BBauG dagegen war jeder Bebauungsplan genehmigungsbedürftig. I6 *Vgl. Dolde, Verwerfung nichtiger Bebauungspläne, BauR 1978, 153, 157; Funk, Vollzug fehlerhafter Bebauungspläne, BayVBl. 1981, 74, 76, der diese Möglichkeit allerdings für rechtswidrig hält, da der staatlichen Behörde keine Verwerfungskompetenz zustehe (a.a.O., S. 77); siehe auch Volhard., Amtspflichten, NVwZ 1986, 105, 106.

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, über die Gültigkeit einer Rechtsnorm entscheiden würde, mithin allgemeine Wirkung besäße166. Die Rechtmäßigkeit dieser Vorgehensweise ist umstritten und — da es sich zugleich um die (inzidente) Beurteilung der Satzung als rechtswidrig handelt — ihrerseits abhängig von der Frage, ob die staatliche Behörde die Kompetenz zur inzidenten Verwerfung besitzt. Aus rechtsdogmatischen Erwägungen aber ist dem Rücknahmeakt nicht die Wirkung der „Vernichtung" des Bebauungsplans beizumessen: Die Satzungsgenehmigung ist nicht nur (ggf. aufhebbarer) Verwaltungsakt gegenüber der Gemeinde, sondern zugleich ein integrierter Bestandteil des Rechtssetzungsverfahrens. Die isolierte „Rücknahme" von einzelnen Schritten eines Normsetzungsverfahrens ist jedoch nach dessen Abschluß nicht mehr möglich 1 6 7 , da die Vornahme wie auch das Unterlassen der jeweiligen Verfahrensschritte aufeinander bezogen sind und nur im engen zeitlichen und sachlichem Zusammenhang mit der Normsetzung wirksam werden können 168 . Mit der Bekanntmachung der Satzung ist jedoch der rechtliche Bezugsrahmen — das Normsetzungsverfahren — „weggefallen", innerhalb dessen die staatliche Behörde über ihren Beitrag verfugen könnte. Ungeachtet der Frage, ob eine Rücknahme der Genehmigung rechtlich zulässig wäre, ist somit festzuhalten, daß sie jedenfalls keine Wirkung auf das Zustandekommen der Norm besitzt. Die Rücknahme der Genehmigung kann, mit anderen Worten, das Ziel einer „Aufhebung" des Bebauungsplans nicht bewerkstelligen und scheidet aus diesem Grunde als Mittel zur allgemeingültigen Beseitigung der Norm aus.

c) Feststellung der Nichtigkeit durch die Gemeinde Hieraus ergibt sich, daß auch ein entsprechender Beschluß der Gemeindevertretung, mit dem die Nichtigkeit des Plans allgemeinverbindlich festgestellt werden soll, keine Lösung des Problems beinhalten kann. Denn es handelt sich 166

Die Rücknahme wäre auch dann wirksam (§43 Abs. 2 VwVfG), wenn der Bebauungsplan tatsächlich nicht fehlerhaft war. Deshalb ist es zu kurz gegriffen, wenn lediglich die Frage problematisiert wird, ob diese Rücknahme „zulässig" ist (so etwa Spiri , Verwerfung von Bebauungsplänen, S. 22 f.). Vielmehr ist weiter danach zu fragen, welche Wirkung diese Rücknahme — und sei sie auch „unzulässig" — auf die Satzung hat. 167 Vgl. BVerwG v. 21.11.1986 — 4 C 22/83 — BVerwGE 75, 142, 146 f.; Bay VGH v. 1.4.1982 — 15 Ν 81 A. 1679 — BayVBl. 1982, 654; Pietzcker, Inzidentverwerfung, DVB1. 1986, 806, 807. 168 Vgl. auch BayVGH v. 1.4.1982 — 15 Ν 81 A. 1679 — BayVBl. 1982, 654. — Auch aus diesem Grunde ist keine „isolierte" Heilung von Verfahrensfehlern durch bloße Nachholung möglich; vielmehr muß stets auch das nachfolgende Verfahren wiederholt werden; vgl. etwa § 215a BauGB.

2. Kap. : Meinungsstand zur Verwerfungskompetenz

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entweder um einen „eigenständigen", vom Normsetzungsverfahren selbst losgelösten Beschluß, der keine selbständige Aufhebungswirkung besitzt. Dann aber gilt die Satzung fort, wenn die Rechtsansicht der Gemeinde von ihrer Fehlerhaftigkeit irrig ist 1 6 9 . Oder die Nichtigkeitsfeststellung stellt die Aufhebung des Satzungsbeschlusses dar. Für diese kann indes nichts anderes gelten, als für andere Teile des Satzungsverfahrens: Sie können ihre Wirkung nur in dem rechtlichen und sachlichen Bezugsrahmen entfalten, für den sie vorgesehen sind. Nach Abschluß des Normsetzungsverfahrens vermögen sie deshalb keine rechtlichen Wirkungen hervorzubringen.

IV. Verwerfung nationaler Normen wegen Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht Kollisionen zwischen nationalem und europäischem Recht stellen heute den Bereich dar, in dem die Frage nach der Inzidentverwerfungskompetenz der Verwaltung größte Aktualität und auch künftig wachsende Bedeutung besitzen dürfte. Die maßgeblich von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorangetriebene „Europäisierung" der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten greift zunehmend in das nationale Kompetenzgefüge über. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel hierfür ist — neben der Entwicklung eines europäischen Staatshaftungsrechts — die Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien 170 , sie begründet zugleich die Brisanz der Frage nach der Verwerfungskompetenz 171. Entsprechend der thematischen Beschränkung auf die nationale Rechtslage sollen hier die spezifisch europarechtlichen Gründe und Gegengründe nicht vertieft behandelt werden. Vielmehr ist nach einem Überblick über den Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur darzustellen, inwieweit Aspekte des deutschen Rechts auch für diese Kollisionslage als maßgeblich erachtet werden.

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Funk, Vollzug fehlerhafter Bebauungspläne, BayVBl. 1981, 74, 75; Wohlgemuth , Aufgabe umstrittener Bebauungspläne, BauR 1981, 213,214. ™ Vgl. oben 1. Teil, 3. Kap., II.2.b), S. 55 f. 171 Papier, Direkte Wirkung, DVB1. 1993, 809, 813; Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht, DVB1. 1993, 924, 932, spricht davon, damit seien „die Probleme der Gesetzesanwendungslehre auf eine neue Stufe gehoben" worden.

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik 1. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

Der Europäische Gerichtshof fordert in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung die Verwerfung europäischem Recht entgegenstehender nationaler Normen. Zunächst formulierte er — mit Blick auf ein vorausgegangenes Verfahren 1 7 2 —, es ergebe „sich aus der Geltung des Gemeinschaftsrechts [...] für die nationalen Behörden ohne weiteres das Verbot, eine mit dem Vertrag für unvereinbar erklärte nationale Vorschrift anzuwenden" 173 . In Ergänzung seiner Rechtsprechung, wonach sich der einzelne vor Gericht unter bestimmten Voraussetzungen auf Bestimmungen von Richtlinien berufen könne 174 , sofern diese nicht oder nicht zureichend in nationales Recht umgesetzt seien, erklärte er die „Träger der Verwaltung, einschließlich der Gemeinden und sonstigen Gebietskörperschaften" für verpflichtet diese Bestimmungen einzuhalten und Vorschriften des nationalen Rechts, die mit ihnen unvereinbar sind, unangewendet zu lassen 175 . Begründet wird diese Verpflichtung damit, es sei widersprüchlich, zu behaupten, daß zwar „die einzelnen sich vor den nationalen Gerichten auf die Bestimmungen einer Richtlinie [...] berufen können [...], trotzdem aber die Auffassung zu vertreten, daß die Verwaltung nicht verpflichtet ist, die Bestimmungen der Richtlinie dadurch einzuhalten, daß sie die Vorschriften des nationalen Rechts unangewendet läßt, die damit nicht in Einklang stehen" 176 . — Diese Rechtsprechung beruht also maßgeblich auf dem (Anwendungs-)Vorrang 177 sowie der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit 178 des Gemeinschaftsrechts, so daß sie wohl auf alle unmittelbar gelten172 In der Rs. 7/68 — Kommission/Italienische Republik — Slg. 1968, 634 ff. war Italien wegen einer Vertragsverletzung verurteilt worden, da es entgegen Art. 16 EWGV noch nach dem 01.01.1962 eine Abgabe auf den Export von Gegenständen künstlerischen, geschichtlichen, archäologischen oder ethnographischen Interesses erhoben hatte. Das entsprechende Gesetz wurde auch nach der Verurteilung weiter von italienischen Behörden angewandt, woraufhin es zum zweiten, hier erwähnten, Vertragsverletzungsverfahren — wegen Nichtbeachtung des EuGH-Urteils — kam. 173 EuGH, Rs. 48/71 — Kommission/Italienische Republik — Slg. 1972, 529, 534 (Hervorhebung vom Verfasser) — Ob das maßgebliche Argument für den Gerichtshof die Tatsache war, daß er in dem früheren Verfahren die fragliche Norm als Vertragsverletzung qualifizierte, oder ob ausschlaggebend die Geltung (und der Vorrang) des Gemeinschaftsrechts war (so Scheuing, Rechtsprobleme, EuR 1985, 229, 253; Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 89), geht aus dem Urteil nicht zweifelsfrei hervor. 174 Zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien vgl. oben 1. Teil, 3. Kap., II.2.b), S. 55 f. 1/5 EuGH, Rs. 103/88 -Constanzo/Mailand — Slg. 1989, 1839, 1871, Tz. 31.; eine ähnliche Äußerung findet sich auch in der Rs. 158/80 — Rewe/Hauptzollamt Kiel — Slg. 1981, 1805, 1837 f. sowie in der Rs. 8/81 — Becker — Slg. 1982, 53,71. 176 EuGH, Rs. 103/88 —Constanzo/Mailand —Slg. 1989, 1839, 1871, Tz. 31. 177 Dazu oben 1. Teil, 3. Kap., III., S. 59 f. 178 Zur Bedeutung dieser Begriffe vgl. oben 1. Teil, 3. Kap., 1.1., Fußn. 114, S. 49.

2. Kap.: Meinungsstand zur Verwerfungskompetenz

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den bzw. anwendbaren Gemeinschaftsrechtsnormen übertragbar ist 1 7 9 . Nicht von der Verwerfungspflicht erfaßt wären dagegen nationale Normen, die mit nicht unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht kollidierten. Damit käme eine Verwerfung nur in Betracht bei Normanwendungskollisionen im Sinne der hier verwendeten Terminologie. — Auffallend ist allerdings die Diskrepanz dieser Position zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hinsichtlich der Verwerfung sekundären Gemeinschaftsrechts wegen eines möglichen Verstoßes gegen primäres Recht 180 : Nationale Behörden sind danach gehalten, das sekundäre Recht solange als gültig anzusehen und anzuwenden, bis der Europäische Gerichtshof die Nichtigkeit festgestellt habe 181 .

2. Stimmen der Literatur In der europarechtlichen Literatur wird weithin mit dem Europäischen Gerichtshof vom Bestehen einer Verwerfungskompetenz ausgegangen182. Abweichungen gegenüber der Position des Europäischen Gerichtshofs gibt es allerdings hinsichtlich der Begründung sowie hinsichtlich des Umfangs der Verwerfungskompetenz.

179 Vgl. Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rdnr. 46; Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 102. 180 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 291 ff, 317 f.; Jarass, Grundfragen, S. 102 f.; Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 93 ff; Pietzcker, Nichtanwendung, in: FS f. Everling, Bd. II, S. 1095, 1101 f.; Scheuing, Rechtsprobleme, EuR 1985, 229, 254; ders., Europarechtliche Impulse, in. Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation und Flexibilität, S. 289, 319 („ebenso inkonsequent wie verständlich"). 181 EuGH, Rs. 101/78 — Granaria/Hoofproduktschap vor Akkerbouwprodukten — Slg. 1979,623,636. 182 Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, §3 Rdnr. 46; Everling, Vorrang des EG-Rechts, DVB1. 1985, 1201 f.; Scheuing, Rechtsprobleme, EuR 1985, 229, 252 f., ders., Diskussionsbeitrag, VVDStRL 53 (1994), 254, 255; ders., Europarechtliche Impulse, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann, Innovation und Flexibilität, S. 289, 317 ff; Streinz, Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, §182, Rdnr. 64; Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, VVDStRL 53 (1994), 154, 189 und Leitsatz 50; im Ergebnis zustimmend Pietzcker, Nichtanwendung, in: FS f. Everling, Bd. Π, S. 1095, 1100; einschränkend Jarass, Grundfragen, S. 102 f. (nur bei „gravierenden Rechtsmängeln"); Mögele, Neuere Entwicklungen, BayVBl. 1993, 129, 131 (für eine Differenzierung zwischen Verordnungen und Richtlinien); Albrecht Weber, Verwaltungskollisionsrecht, EuR 1986, 1, 25 (mit der Beschränkung auf direkte Kollisionen [zum Begriff s.o. 1. Teil, 3. Kap., Π.3., S. 57].

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik a) Grundlage der Verwerfungspflicht

So wenden sich einige Autoren dagegen, die Verwerfungspflicht mit dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts zu begründen, da „zwischen der materiellrechtlichen Frage des Vorrangs einerseits und der Frage nach den Zuständigkeiten und Verfahren zur Durchsetzung des Vorrangs andererseits unterschieden" werden müsse 183 . Nach Pietzcker 184 soll dies allerdings nur für solche Konstellationen gelten, bei denen die nationale Norm nach der gemeinschaftsrechtlichen Maßstabsnorm erlassen worden ist. Bei im Vergleich zu europäischem Recht älterem deutschen Recht könne dagegen die Verwaltung in Anwendung der lex-posterior-Regel ohne weiteres von der Beachtung absehen, wenn es für gemeinschaftsrechtswidrig angesehen wird 1 8 5 . Im übrigen aber stellt er maßgeblich darauf ab, daß die nationale Verwaltung selbst nicht die Möglichkeit besitzt, die Frage der Vereinbarkeit nationalen Rechts mit europarechtlichen Bestimmungen gerichtlich klären zu lassen 186 . Anders als im rein innerstaatlichen Bereich (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) verfüge die Verwaltung über kein Mittel, den Normenkonflikt selbst vor Gericht geltend zu machen: Ein Normenkontrollantrag zum Bundesverfassungsgericht sei nach der Rechtsprechung unzulässig, da Prüfüngsmaßstab im verfassungsgerichtlichen Verfahren nur das nationale Recht ist 1 8 7 . Eine Vorlageberechtigung zum Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 177 EGV besäßen nur die nationalen Gerichte 188 . Die schließlich verbleibende Möglichkeit, ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 169 EGV einzuleiten, stehe nur der Kommission zu, ohne daß institutionell gewährleistet sei, daß sie von dem Kollisionsfall Kenntnis erlange. Ferner sei auch der nationale 183

Pietzcker, Nichtanwendung, in: FS f. Everling, Bd. II., S. 1095, 1101 (Hervorhebung im Original); Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 105. ft4 Nichtanwendung, in: FS f. Everling, Bd. II., S. 1095, 1103 f., unter Bezugnahme auf Bachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 199. Dort wird freilich eine stichhaltige Begründung für die Differenzierung nicht gegeben. Zu Recht kritisch Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 165 f., Fußn. 691, der insbesondere auf die Gleichartigkeit der Problemstellung beider Konstellationen hinweist, angesichts der diese Differenzierung nicht zu rechtfertigen sei. 186 Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 85 hält diesen Aspekt nicht für ausschlaggebend; seiner Ansicht nach wäre das Bestehen einer Vorlagemöglichkeit zum EuGH sogar ein Indiz für die Verwerfungskompetenz der Verwaltung. 187 BVerfG v. 9.6.1971 — 2 BvR 225/69 — BVerfGE 31, 145, 173 ff. = NJW 1971, 2122 = DVB1. 1972,271. 188 Im übrigen kann in diesem Verfahren nicht die Kollision festgestellt, sondern nur die Auslegung der europarechtlichen Norm bestimmt werden.

2. Kap. : Meinungsstand zur Verwerfungskompetenz

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Richter zur (Inzident-)Verwerfung selbst förmlicher Gesetze befugt, sofern das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV nicht geboten sei 189 . Soweit im nationalen Recht vom Fehlen des richterlichen Verwerfungsrechts (Art. 100 GG) auf die Verneinung der behördlichen Verwerfungskompetenz geschlossen werde, könne diese Parallele bei Kollisionen mit gemeinschaftsrechtlichen Normen nicht gezogen werden. Bei Ablehnung einer Verwerfungskompetenz fiele nach Pietzcker 190 somit „das Durchsetzungsinteresse des Europarechts weitgehend unter den Tisch". Weniger „ergebnisorientiert" begründen Jamrath 191 und Hutka 1 9 2 die Verwerfungskompetenz bzw. -pflicht mit Art. 5 EGV, der jedes nationale Rechtsanwendungsorgan zum effektiven Vollzug des Gemeinschaftsrechts verpflichte. Da Art. 5 EGV selbst unmittelbar anwendbar und somit auch für die Verwaltungen der Mitgliedstaaten verpflichtend sei, schließe er die Kompetenz zur Nichtanwendung entgegenstehenden nationalen Rechts mit ein 1 9 3 .

b) Der Umfang der Verwerfungskompetenz Teilweise wird (aus rein europarechtlicher Perspektive) die Verwerfungskompetenz der Verwaltung über die vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Fälle hinaus auch auf Kollisionen nationalen Rechts mit nicht unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht erweitert 194 . Demgegenüber wird — vorrangig aus Sicht des deutschen Rechts — die Verwerfung nationaler Normen jedenfalls dann problematisiert, wenn es sich um Kollisionen mit unmittelbar anwendbaren Richtlinien handelt. Bedenken werden zum einen im Hinblick auf den Vorrang 195 und den Vorbehalt des Ge189

Pietzcker, Nichtanwendung, in: FS f. Everling, Bd. II, S. 1095, 1106 mit Hinweis auf EuGH, Rs. 106/77 — Staatliche Finanzverwaltung/Simmenthal — Slg. 1978, 629, 645. 190 Nichtanwendung, in: FS f. Everling, Bd. II, S. 1095, 1106. 191 Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 91 ff. 192 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 105 ff. 193 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 109 f.; Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 93. 194 Langenfeld, Direktwirkung, DÖV 1992, 955, 963; vgl. dazu Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerftingskompetenz, S. 113 ff. m.w.N.; zum Problem der Erstreckung des Anwendungsvorrangs auf diese Konstellationen siehe oben 1. Teil, 3. Kap., III., S. 59 ff. 195 Hans-Jürgen Wolff Einhaltung von Bestimmungen in EG-Richtlinien, VR 1991, 77, 84.

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

setzes vorgebracht, da die Rechtsetzungsorgane der Gemeinschaft keine hinreichende demokratische Legitimation besäßen196. Vor allem aber steht nach Ansicht einiger Autoren die Gesetzesgebundenheit der Verwaltung in Frage, was einerseits unter dem Aspekt der Rechtssicherheit 197, andererseits aber auch hinsichtlich des Gewaltenteilungsgrundsatzes 198 auf Besorgnis stößt.

c) Relevanz des nationalen Rechts Hieraus wird deutlich, daß sich die Lösung von Kollisionen zwischen nationalem und europäischem Recht nicht unabhängig davon finden läßt, wie die entsprechende Problematik innerhalb des nationalen Rechts behandelt wird. Offenbar wird dies in den bislang ausführlichsten Bearbeitungen zum Thema von Jamrath 199 und Hutka 200 . Übereinstimmend gehen beide davon aus, daß der Grundsatz der Gemeinschaftstreue die Gemeinschaft selbst zur Rücksichtnahme auf tragende Prinzipien der mitgliedstaatlichen Verfassungen verpflichte 201 , wozu nach deutschem Recht auch das Prinzip der Gewaltenteilung und der Grundsatz der Rechtssicherheit zähle. Hutka, der in enger Anlehnung an Bachof 202 grundsätzlich vom Bestehen der Verwerfungskompetenz nach deutschem Recht ausgeht, die sich zu einer Verwerfungspflicht verdichten könne 203 , sieht durch die gemeinschaftsrechtlich begründete Verwerfungspflicht das Gewaltenteilungsprinzip nicht tangiert. Denn hierdurch würde „die Zuständigkeit der Legislative zur Gesetzgebung als deren typische Aufgabe nicht in Frage gestellt" 204 und somit nicht in den unantastba196 Pieper, Direktwirkung, DVB1. 1990, 684, 688; Pagenkopf, Einfluß des Gemeinschaftsrechts, NVwZ 1993,216,222. 197 Pagenkopf Einfluß des Gemeinschafisrechts, NVwZ 1993, 216, 222; Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 110 ff.; Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht, DVB1.1993, 924, 932; ders., Europäisierung, in: FS f. Lerche, S. 513, 526 f. 198 Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung insbes. S. 118 f.; Hans-Jürgen Wolff, Einhaltung von Bestimmungen in EG-Richtlinien, VR 1991, 77, 84. 199 Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, 1993. 200 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, 1997. 201 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 199 ff, 203 f.; Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 106 ff, 109. 202 Bachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197 ff. 203 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 162 ff; zur Position Bachofs siehe oben II.2.d), S. 92 f. 204 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 257.

3. Kap.: Kritik

107

ren Kernbereich eingegriffen. Dagegen erkennt er die Gefahren für die Rechtssicherheit an, die aus einer jedem einzelnen rechtsanwendenden Organ auferlegten Verwerfungspflicht drohten. Ihnen sei indes dadurch zu begegnen, daß die Entscheidung über die Nichtanwendung bei den jeweiligen Verwaltungsspitzen (Bundes- bzw. Landesregierung) für alle ihrer Weisungsgewalt unterworfenen nachgeordneten Behörden konzentriert werde 205 . Jamrath dagegen sieht im Gewaltenteilungsprinzip insofern den maßgeblichen Grund für den Ausschluß einer Verwerfüngskompetenz nach nationalem Recht, als jede Beurteilung eines Gesetzes durch die Verwaltung einen Eingriff in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers darstelle 206 , der einer expliziten Ermächtigung bedürfe, die jedoch nicht existiere 207 . Hiervon ausgehend, qualifiziert er die gemeinschaftsrechtliche Verwerfungspflicht wegen eines Verstoßes nationalen Rechts gegen Richtlinien dann als unvereinbar mit der grundgesetzlichen Funktionenverteilung, wenn sie bereits vor einer gerichtlichen Feststellung der Kollision bestehen sollte 208 . Hinsichtlich der Bestimmungen des Vertrags sowie der Verordnungen nach Art. 189 Abs. 3 EGV dagegen habe der nationale Gesetzgeber durch das Zustimmungsgesetz seine Befugnisse selbst eingeschränkt. Insoweit vollziehe die Verwaltung lediglich eine Entscheidung nach, die durch Art. 24 Abs. 1 GG (a.F.) und die Zustimmung zu den Gemeinschaftsverträgen bereits vorweggenommen sei 209 .

3. Kapitel

Kritik Die bislang in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Lösungsmöglichkeiten lassen sich im wesentlichen auf drei Argumentationsgrundlagen zurückführen. Die erste orientiert sich an der Rangordnung bzw. den Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Normen und bemüht sich um eine „materiellrechtliche" Begründung des jeweiligen Ergebnisses. Die beiden anderen haben den kompetentiellen Aspekt im Blick. Dabei wird zum einen das Verhältnis der Verwaltung zur (Verfassungs-)Gerichtsbarkeit als Anknüpfungspunkt angesehen, zum

205 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 257; im Ergebnis ebenso Pietzcker, Nichtanwendung, FS f. Everüng, Bd. II., S. 1095, 1107 f. 206 Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 40 f. 207 Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 50 f. 208 Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 118 f. 209 Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 109, 120.

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

anderen eher das Verhältnis des Normanwenders zum Normgeber in den Mittelpunkt gerückt.

I. Rangordnung und Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Normen als Argument Auf den ersten Blick erscheint die Bezugnahme auf die Rangordnung der Normen im Sinne einer höheren Geltungskraft der ranghöheren Norm eine hinreichende Grundlage für die Annahme einer eigenständigen Verwerfüngskompetenz der Verwaltung zu bieten. Die Bindung der Verwaltung an das Gesetz und die Verfassung ebenso wie an geltendes Gemeinschaftsrecht zwinge dazu, so ließe sich argumentieren, entgegenstehendes Recht niederen Ranges außer Anwendung zu lassen 210 . In die gleiche Richtung zielt eine Argumentation, die aus den Rechtsfolgen der Rechts- bzw. Verfassungswidrigkeit dasselbe Ergebnis herleiten möchte: Gegen nationales höherrangiges Recht verstoßende Normen seien nichtig und unwirksam „und damit nicht ,Recht' i.S. des Art. 20 Abs. 3 G G " 2 1 1 ; bei Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht ergebe sich dies aus der Geltung und dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts 212. — Mittlerweile ist indes überwiegend und zu Recht anerkannt, daß mit dieser alleine dem materiellen Recht folgenden Begründung das eigentliche Problem verfehlt wird 2 1 3 . Denn die Rang- und Vorrangregelung an sich besagt noch nichts darüber, auf welchem Wege und durch welches staatliche Organ sie durchzusetzen ist. Somit haben wir es mit einer Kompetenzfrage zu tun, die das materielle Recht voraussetzt, aber nicht durch dieses bereits beantwortet wird 2 1 4 . Es bedarf in diesem Zusammenhang auch keiner definitorischen Reduktionen des Nichtigkeitsbegriffs, der sich gegenüber der Frage nach dem Inzidentverwerfüngs210

Abelein, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 145, 147; Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 823 f.; ähnlich Renck, Anmerkung, BayVBl. 1983, 86, 87; (nur) für untergesetzliches Recht ebenso Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 20 Rdnr. 27; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 1 Rdnr. 61 a.E.; Stern, Staatsrecht ΙΠ/1, § 74 II 2 c) a), S. 1347. 211 Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 823 f. 212 So die Argumentation der Rechtsprechung, vgl. EuGH, Rs. 103/88 — Constanzo/Mailand — Slg. 1989, 1839, 1871, Tz. 31. 213 Vgl. etwa Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393, 398 ff.; Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 381 f.; ders., Inzidentverwerfung, DVB1. 1986, 806, 807; ders., Nichtanwendung, FS f. Everling, Bd. II., S. 1095, 1101; vgl. auch Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 141. 214 Hall, Prüfung von Gesetzen, DÖV 1965,253,256 f., Pietzcker, Nichtanwendung, FS f. Everling, Bd. II., S. 1095, 1101 — Vgl. auch Hans-Jürgen Wolff, Einhaltung von Bestimmungen in EG-Richtlinien, VR 1991, 77, 83.

3. Kap.: Kritik

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recht der Verwaltung neutral verhalten soll 2 1 5 . Aus rein theoretischer Sicht, die den Rechtswidrigkeitstatbestand wie die Nichtigkeitsfolge als gegeben voraussetzen darf, kann zwar die Stringenz des Gedankengangs kaum geleugnet werden. Rechtspraktisch, in der konkret zu bewältigenden Entscheidungssituation, stellt sich die Sachlage indes anders dar. Der rechtsfolgenorientierten Argumentation hegt die Gewißheit der Tatbestandserfüllung zugrunde, die tatsächlich das eigentliche Problem darstellt. „In der autoritativen Feststellung dieses Kollisionsfalles liegt aber die ganze Problematik der administrativen Normenkontrolle beschlossen"216. Diese zentrale Aussage Ossenbühls ist auf den Konflikt von Verfassungsrecht mit förmlichen Gesetzen bezogen, gilt jedoch ganz allgemein für Normkollisionen 217 . Der von der Verwaltung „entdeckte" Widerspruch in den Handlungsmaßstäben beruht auf einer doppelten Konkretisierungsleistung. Die Umsetzung des abstrakt formulierten Normtextes in ein konkretes Verhaltensgebot geschieht sowohl bei der Kollisions- als auch bei der kollidierenden Norm durch Norminterpretation und Subsumtion. Die Frage nach einer Verwerfüngskompetenz der Verwaltung ist folglich die, ob die normanwendende Stelle das von ihr gefundene Ergebnis ihrem weiteren Handeln zugrundelegen darf. Diese Frage vermag eine nur rechtsfolgenorientierte Argumentation nicht zu beantworten 218 . Vom hier vertretenen Standpunkt aus, nach dem die Bestimmung der Fehlerfolge — ebenso wie die Feststellung der Rechtswidrigkeit — generell ein Kompetenzproblem darstellt 219 , läßt sich ohnehin aus den Begriffen „Nichtigkeit" oder „Vernichtbarkeit" keine Lösung des Problems ableiten, da sie nur im Zusammenhang mit der Kompetenzordnung überhaupt sinnvoll verwendet werden können.

215

So Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 381. Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393,400. 217 Das räumt auch Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821 827, Fußn. 57, ein. Im Ergebnis ebenso z.B. Bachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197 ff., 223; Hall, Prüfung von Gesetzen, DÖV 1965, 253, 262. — Von diesem Standpunkt aus betrachtet, erscheint auch der Ansatzpunkt Hutkas (Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 105 ff.) kritikwürdig. Er wendet sich zwar zutreffend gegen die Begründung einer Verwerfungspflicht mit dem Vorrang des Gemeinschaftsrecht. Das von ihm herangezogene „Effektivitätsgebot" aber kann nur dann eine tragfähige Grundlage für die Verwerfungskompetenz bieten, wenn die Verwaltung ihre Feststellung der Kollisionslage ihrem weiteren Handeln zugrundelegen darf. Ist sie dagegen daran bereits aus kompetentiellen Gründen gehindert, so vermag sie gar nicht zu entscheiden, ob nun die Verwerfung der Norm oder ihre Anwendung der effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts dient. 219 Vgl. oben 1. Teil, 2. Kap., Π.2., S. 38 ff. 216

110

2. Teil: Meinungsstand und Kritik

Π. Kompetenzen der Judikative Die Entscheidungsbefugnisse der Judikative spielen in mehrfacher Hinsicht bei der Frage der Inzidentverwerfüngskompetenz eine Rolle. Dabei gibt es im wesentlichen drei Argumentationslinien: Zum einen werden die gerichtlichen Kompetenzen zur prinzipalen Verwerfung von Normen, soweit sie bestehen, als Beleg oder doch als Indiz für ein Verwerfungsmonopol der Gerichtsbarkeit (bzw. eines Gerichtes) auch im Verhältnis zur Verwaltung herangezogen. Umgekehrt wird in der ausdrücklichen Beschränkung der Verwerfungskompetenz der ordentlichen bzw. Fachgerichtsbarkeit in Art. 100 Abs. 1 GG in bezug auf die darin genannten Kollisionen ein Hinweis dafür erblickt, daß mangels einer entsprechenden Vorschrift für die Verwaltung von deren Inzidentverwerfungskompetenz auszugehen sei. Eng mit der ersten Argumentation verbunden ist schließlich der Versuch, die Möglichkeiten der Verwaltung, einen Normenkonflikt selbst gerichtlicher Klärung zuzuführen, zum maßgeblichen Ansatzpunkt für oder gegen die Verwerfungskompetenz der Verwaltung zu erheben. Da die jeweiligen Zuständigkeiten der Gerichte davon abhängen, welchen Rang die in Frage stehende, möglicherweise rechtswidrige Norm bzw. welchen Rang die Kollisionsnorm besitzt, führt dieser Ansatz im Ergebnis zu einer differenzierten Antwort auf die Frage nach der Verwerfüngskompetenz der Verwaltung.

1. Konkrete Normenkontrolle

nach Art. 100 Abs. 1 GG

Ein Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts wurde aus Art. 100 Abs. 1 GG abzuleiten versucht. Die Tatsache, daß hierdurch den Gerichten nicht nur die Anwendung für verfassungswidrig 220 gehaltener förmlicher Gesetze, sondern zugleich deren Verwerfung untersagt wird, hat zu der Folgerung geführt, wenn schon die Gerichte insoweit nicht zu einer Verwerfung befügt seien, könne dies für die Verwaltung erst recht nicht angenommen werden 221 . Bereits Bachof hat die Stringenz einer derartigen Argumentation angezweifelt 222 . Seiner Ansicht nach ist die Gefahr, die der Autorität des 220

Bzw. bundesrechtswidrig, vgl. Art. 100 Abs. 1 S. 2 GG. So Gerhard Hoffmann, Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193, 199; Kratzer, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 150, 151; ähnlich v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Rdnr. 148. 222 Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 216 ff; im Anschluß an ihn ebenso Abelein, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 145, 148; Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungs221

3. Kap.: Kritik

111

Gesetzgebers durch eine nicht monopolisierte richterliche Verwerfung förmlicher Gesetze droht, ungleich größer als bei der Verwerfung durch die Verwaltung. Das ergebe sich aus dem Unterschied zwischen der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen einerseits und der weit geringeren Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen andererseits, die zudem „unter dem Vorbehalt richterlicher Nachprüfung" stünden 223 . Ferner fehle der Gerichtsbarkeit die Koordinierungsmöglichkeit, während die Weisungsgebundenheit der Verwaltungsbeamten voreilige Verwerfungen verhindern könne. — Ob mit dieser Argumentation nun tatsächlich dargetan ist, daß die Verwerfung förmlicher Gesetze durch den Richter nicht mit der durch die Verwaltung vergleichbar ist, mag hier dahinstehen. Dem Ergebnis, dem sich die weitaus überwiegende Meinung angeschlossen hat 2 2 4 , ist indes zuzustimmen: Aus Art. 100 Abs. 1 GG lassen sich zwingende Schlüsse auf Bestehen oder Nicht-Bestehen einer exekutiven Normverwerfungskompetenz nicht ziehen. Das ergibt zum einen daraus, daß diese Vorschrift den Konflikt zwischen Anwendung und Nichtanwendung einer verfassungsrechtlich zweifelhaften Norm gerade nicht endgültig löst. Vielmehr wird die Entscheidung hierüber dem Bundes- bzw. Landesverfassungsgericht vorbehalten und zugleich ein Verfahren bereitgestellt, das diese Entscheidung herbeifuhrt. Die Möglichkeit einer Aussetzung des Verfahrens aber steht der Verwaltung als allgemeines Mittel nicht zu Gebote 225 . Zum anderen und vor allem wird durch Art. 100 GG das kompetentielle Verhältnis der Gerichte zum förmlichen Gesetzgeber angesprochen und mit der Aussetzungspflicht sowie der Konzentration der Verwerfungskompetenz beim Bundesverfassungsgericht differenziert gelöst. Zwingende Schlüsse für das kompetentielle Verhältnis der vollziehenden Gewalt zur Legislative hieraus zu ziehen, wäre nur dann möglich, wenn kompetenz, S. 153 ff.; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 74 ff. 223 Bachofl Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in Wege zum Rechtsstaat, S. 197,216. 224 Vgl. nur Abelein, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 145, 148; Hall, Prüfung von Gesetzen, DÖV 1965, 253, 262 f.; Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungsund Verwerfungskompetenz, S. 154 f.; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 78 f.; Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 825; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 1 Rdnr. 61; Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393, 402; Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 383; Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 60; Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1, 3; Stern, Staatsrecht ΠΙ/1, § 74 II 2, S. 1345 f.; abweichend Groß, Inzidente Normenkontrolle, S. 177 f., der Art. 100 GG als Schutznorm der Legislative betrachtet, die auch die Exekutive hindere, über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes selbst zu urteilen. Vgl. auch Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 825.

112

2. Teil: Meinungsstand und Kritik

insoweit eine Regelungslücke bestünde226. Daß dies nicht der Fall ist, sondern daß die Verteilung der Kompetenzen zwischen Gesetzgebung und Verwaltung eine eigene Ausprägung erfahren hat, die der Heranziehung des Art. 100 Abs. 1 GG nicht bedarf, soll im 3. und 4. Teil näher begründet und kann an dieser Stelle nur als Grundlage für die Ablehnung einer Analogie bzw. eines Erstrecht-Schlusses vorgestellt werden. Aus dem gleichen Grunde lassen sich auch nicht gleichsam spiegelbildlich Argumente für das Bestehen einer exekutiven Inzidentverwerfüngskompetenz aus Art. 100 GG ableiten. Tatsächlich ist auch — trotz gegenteiliger Behauptungen 227 — ein solcher Umkehrschluß als konstitutive Begründung für eine Verwerfüngskompetenz auch gar nicht vertreten worden. Insbesondere Michel 2 2 8 zieht Art. 100 Abs. 1 GG lediglich heran, um darzulegen, daß diese Norm seinem Lösungsvorschlag — Bestehen einer Verwerfüngskompetenz und ihre einfachgesetzliche Anerkennung in § 76 Nr. 2 BVerfGG — nicht widerspreche. Dem ist allerdings zuzustimmen, da sich in der Tat aus Art. 100 Abs. 1 GG nichts in bezug auf das hier behandelte Problem ableiten läßt. Trifft Art. 100 Abs. 1 GG somit keine zwingende Aussage für die Verwerfüngskompetenz der Verwaltung im Hinblick auf die darin genannten Normkollisionen, so können daraus auch nicht umgekehrt für andere Unvereinbarkeiten Folgen abgeleitet werden 229 . Dies betrifft etwa vorkonstitutionelles Recht, auf das Art. 100 Abs. 1 GG nicht anwendbar ist. Das bedeutet, daß auch hinsichtlich dieser Konstellationen eine Lösung unabhängig von der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts gefunden werden muß.

226 Ähnlich Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1, 3, der allerdings auf Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG verweist. 227 Seit Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 216; vgl. etwa auch Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 154 f.; Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 59 f. 228 Normenkontrolle, NJW 1960, 841, 842 f. 229 So aber Pietzcker, Nichtanwendung, in: FS f. Everling, Bd. II., S. 1095, 1103: „Wenn man also mit der herrschenden Meinung in Parallele zu Art. 100 Abs. 1 GG ein Verwerfungsrecht der Verwaltung gegenüber nachkonstitutionellen Normen ablehnt, wird man es für vorkonstitutionelle Normen aufgrund derselben Parallele wohl annehmen müssen". — Pietzcker (a.a.O., S. 1102 ff.) erweitert diese Argumentation auf alle „temporären Normenkollisionen", also auf nachträgliche Kollisionen durch den späteren Erlaß einer höherrangigen Kollisionsnorm.

3. Kap.: Kritik

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2. Normenkontrollantragsrechte der Exekutive, insbesondere Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG wird in einigen Untersuchungen als normativer Ansatz für die Stellung der Exekutive zum Gesetz herangezogen. Neben der Begründung der Normprüfungskompetenz 230 wird ihm auch Bedeutung für die Frage der Normverwerfüng beigemessen. Denn immerhin stellt er eine Möglichkeit für die Bundes- und die Landesregierungen dar, (auch) vermeintlich verfassungswidrige Gesetze einer Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht zuzuführen. Die Vertreter der Theorien, die eine Verwerfüngskompetenz der Exekutive verneinen — also entweder einer Aussetzung des Verfahrens das Wort reden oder die Anwendung auch für verfassungswidrig gehaltener Gesetze fordern — ziehen die abstrakte Normenkontrolle als Beleg für ihre These an 2 3 1 . Die Stichhaltigkeit solcher Überlegungen darf indes nicht überschätzt werden. Gerade die Argumentation mit Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG macht deutlich, daß die Beschränkung der Thematik auf die Kollision förmlicher nachkonstitutioneller Gesetze mit dem Grundgesetz, wie sie etlichen Bearbeitungen zugrundeliegt 232 , nicht gerechtfertigt ist. Wenn diese Norm maßgeblich für die Verneinung der exekutiven Verwerfung sein soll, dann müßte dies für alle darin angesprochenen Kollisionen der Fall sein. Die abstrakte Normenkontrolle erfaßt aber Kollisionen von Bundesrecht und Landesrecht jeden Ranges mit dem Grundgesetz, einschließlich vorkonstitutionellen Rechts, zudem auch Unvereinbarkeiten von Landesrecht und Bundesrecht, jeweils ohne Ansehung des Ranges. Mit enthalten sind somit Kollisionen, bei denen das Verwerfungsrecht der Verwaltung — wenn auch ohne Begründung, so doch — unstrittig ist, also vor allem in bezug auf vorkonstitutionelles Recht 233 . Gleichfalls erfaßt werden Kollisionen, die nicht nur vom Bundesverfassungsgericht, sondern jedenfalls inzident von allen Gerichten selbständig entschieden werden können, nämlich 230

Dazu oben 1. Kap., I.2., S. 63 f. und II.5, S. 84. So soll nach Hall (Prüfung von Gesetzen, S. 126), Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG sinnlos sein, wenn die Regierung die Möglichkeit der Verwerfung besäße. Nach Gerhard Hoffmann (Verfassungswidriges Gesetz, JZ 1961, 193, 201) stellt Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG für die Verwaltung eine ähnliche Regelung dar, wie Art. 100 Abs. 1 GG für die Gerichte. Ähnlich Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1, 3 ff. Rau (Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 110 ff, 148) hält die Regierung für verpflichtet, bei Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle zu stellen. 232 Vgl. die Nachweise oben 2. Kap., I., S. 87, Fußn. 103. 233 Vgl. etwa Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 199; Ossenbühl Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393 Fußn. la; Kritik insoweit auch bei Rau, Kontrolle nachkonstitutioneller Bundesgesetze, S. 60 f. 231

8 Wehr

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

Unvereinbarkeiten von untergesetzlichem mit höherrangigem Landes- oder Bundesrecht. Für einige der genannten Kollisionen steht der Verwaltung im übrigen die Möglichkeit offen, nach Maßgabe des § 47 VwGO den Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten. Versteht man Regelungen, die Organen der Exekutive — sei es jeder Behörde, sei es der (Bundes- oder Landesregierung als Exekutivspitze — die Kompetenz zuweisen, gerichtliche Normenkontrollen zu beantragen, als positivrechtlichen Ausschluß einer eigenen Verwerfungskompetenz der Verwaltung, so kann die Beurteilung hinsichtlich aller hiervon erfaßten Normen nur einheitlich erfolgen. Umgekehrt müßte jenseits des personellen und sachlichen Anwendungsbereichs solcher Vorschriften auf das Vorhandensein einer solchen Befugnis geschlossen werden 234 . Das hätte allerdings merkwürdige Konsequenzen 235 . So wären die unterhalb der Exekutivspitze in die Verwaltungshierarchie eingegliederten Organe an der Verwerfung förmlicher (Bundes- oder Landes-) Gesetze gehindert; von der Regierung nicht repräsentierte Organe, etwa der Gemeinden dagegen nicht. Rechtsverordnungen des Bundes könnte bei Verstoß gegen einfaches Bundesrecht der Gehorsam versagt bleiben 236 ; Rechtsverordnungen der Länder müßten im gleichen Fall einer Normenkontrolle zugeführt werden. Bei Verstößen gegen europäisches Gemeinschaftsrecht blieben formelle Gesetze und gegebenenfalls auch die Verfassung außer Anwendung, da in den verfassungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren nur nationales Recht Prüfüngsmaßstab ist und die Verwaltung auch keine Möglichkeit besitzt, eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes herbeizuführen 237, während Rechtsverordnungen der Länder nach Maßgabe des § 47 VwGO gerichtlich zu überprüfen wären 238 . Neben solchen Ungereimtheiten fällt ferner auf, daß die 234

Für das Fehlen einer Vorlagemöglichkeit potentiell europarechtswidriger Normen der nationalen Verwaltung argumentiert in diesem Sinne Pietzcker, Nichtanwendung, in: FS f. Everling, Bd. II, S. 1095, 1106. 235 S. auch Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 826 f. 236 Prüfungsmaßstab für Bundesrecht ist alleine das Grundgesetz; damit kann nicht jedes Recht an höherrangigen Normen überprüft werden; auch aus dem Wortlaut des § 76 Nr. 1 BVerfGG ergibt sich nichts anderes; wie hier Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 8, Rdnr. 11; a.A. Stern, Staatsrecht II, § 44 IV 5 a), S. 984; Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II, § 56, Rdnr. 60 mit Hinweis auf den Vorrang des Gesetzes; für Bundesrechtsverordnungen mit Hinweis auf Art. 80 Abs. 1 GG Ulsamer, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 76 Rdnr. 40. 237 Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 83 ff.; Pietzcker, Nichtanwendung, in: FS f. Everling, Bd. II., S. 1095, 1105 ff. 238 Daß im Verfahren nach § 47 VwGO auch europäisches Gemeinschaftsrecht Prüfungsmaßstab ist, ist überwiegend anerkannt, vgl. etwa Pache/ Burmeister, Verwaltungsgerichtliches Normenkontrollverfahren, NVwZ 1996, 979 ff. m.w.N. — Die Gegenansicht von Rinze (Europarecht als Prüfungsmaßstab, NVwZ 1996, 458, 459 f.) ver-

3. Kap.: Kritik

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überwiegende Meinung aus der Antragsbefugnis keine Verpflichtung zur Stellung eines Normenkontrollantrags folgert 239 , was aber wohl angenommen werden müßte, wenn die entsprechenden Normen den Ausschluß der inzidenten Verwerfung regeln wollten. Schließlich kommt hinzu, daß die abstrakte Normenkontrolle die allgemeinverbindliche Entscheidung über die Vereinbarkeit einer Norm mit der jeweiligen Maßstabsnorm bezweckt. Über das Verhalten der Verwaltung im Einzelfall bis zu einer gerichtlichen Entscheidung ist den jeweiligen Vorschriften im Gegensatz zu Art. 100 Abs. 1 GG jedoch nichts zu entnehmen240.

ΙΠ. Normsetzung und Normanwendung Nach alledem verbleibt als weitere Argumentationsmöglichkeit die Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Normanwender und dem Urheber der Norm. Soweit es die Verwerfung förmlicher Gesetze betrifft, ist immer wieder auf das Prinzip der Gewaltenteilung abgestellt worden. Eng damit verwandt ist die postulierte Vermutung der Verfassungsmäßigkeit förmlicher Gesetze. Soweit dagegen die Nichtanwendung exekutiver Normen in Rede steht, ist das kompetentielle Verhältnis zwischen dem normsetzenden und dem zur Normanwendung berufenen Organ untersucht worden.

1. Das Prinzip der Gewaltenteilung, Art 20 Abs. 2 S. 2 GG Die Inzidentverwerfung förmlicher Gesetze durch die Verwaltung betrifft das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive und damit das Prinzip der Gewaltenteilung. Übereinstimmung besteht darüber, daß sich jede Lösung jedenfalls mit damit vereinbaren lassen muß. Mittlerweile ist in der Literatur fer-

kennt die Bedeutung der aus Art. 5 und 6 EGV entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze des Effizienzgebotes und des DiskriminierungsVerbotes; vgl. dazu oben 1. Teil, 3. Kap., II.3., S. 57 f. 2 Vgl. Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 150; Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 826; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 8 Rdnr. 1; Schiaich, Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 117; a.A. Hall, Prüfung von Gesetzen, DÖV 1965, 253, 261 f.; Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1,4 f. 240 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 150 f.

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2. Teil: Meinungsstand und Kritik

ner zu Recht anerkannt 241 , daß sich allein aus einem abstrakten Verständnis „des" Gewaltenteilungsprinzips nichts für oder gegen eine Verwerfungskompetenz der Verwaltung herleiten läßt 242 . Vielmehr kann es nur darauf ankommen, in welcher Weise das Grundgesetz dieses Prinzip konkret ausgestaltet hat.

a) Das „Wesen" der Verwaltung im Verhältnis zu Legislative und Judikative So wird versucht, aus der „Wesensverschiedenheit" der drei durch das Grundgesetz konstituierten Gewalten Schlüsse auf das (Nicht-)Bestehen einer Verwerfungskompetenz zu ziehen 243 . Im Verhältnis zur Legislative stehe die Exekutive in einem doppelten Abhängigkeitsverhältnis: Sie erhalte ihre Kompetenzen ausschließlich durch die Gesetze und unterhege der parlamentarischen Kontrolle 244 . Die rechtsprechende Gewalt dagegen sei zur Kontrolle der Tätigkeit der anderen Gewalten berufen. Im Gegensatz zu den Gerichten handele die Verwaltung „in eigener Sache" und unterliege gerichtlicher Rechtskontrolle. Ihr sei zwar die Prüfüngskompetenz verliehen, nicht aber die Rechtskontroll- und damit die Letztentscheidungskompetenz; diese sei bei den Gerichten monopolisiert 245 . Demgemäß gelange der jeweilige Organwalter stets nur zu vorläufigen Erkenntnissen „im Sinne eines unverbindlichen Meinens oder Dafürhaltens" 246 . Deshalb dürften hieraus verbindliche Folgerungen nicht gezogen werden. Zur Beantwortung der Frage, ob der Gesetzgeber die Verfassung beachtet habe, sei die Verwaltung „schlechthin nicht zuständig" 247 . Die Problematik dieser Argumentation liegt vor allem darin begründet, daß sie aus dem kaum näher zu beschreibenden, abstrakt formulierten „Wesen" der Verwaltung Schlüsse für ein konkretes Problem zu ziehen versucht. Die Gewaltengliederung nach dem Grundgesetz ist zwar zur Bestimmung der Kompetenzen als Ausgangspunkt grundsätzlich zutreffend. Dennoch vermag dieser 241 Vgl. etwa Abelein, Prüfung von Gesetzen, BayVBl. 1967, 145, 146 f.; Bachof.\ Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 207; Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 94; Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 142 f.; Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1 f. 242 So noch Rönitz, Aussetzung der Vollziehung, NJW 1960, 226, 227 f. mit dem Argument, bereits das „Recht" zur Gesetzesüberprüfung ermöglichte der Verwaltung eine erhebliche Einwirkungsmöglichkeit auf die gesetzgebende Gewalt; damit würde eine Situation geschaffen, die „die Gewaltenteilung vor allem verhindern soll: Die Macht der vollziehenden Gewalt würde noch weiter vermehrt" (Rönitz, a.a.O., S. 228). 243 Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 106 ff., 120 ff. 244 Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 109 f. 245 Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 121. 246 Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 122. 247 Hall, Prüfung von Gesetzen, DÖV 1965,253,261.

3. Kap.: Kritik

117

Ansatzpunkt nicht zu erklären, aus welchem Grunde sich die Gesetzesbindung der Verwaltung gegenüber ihrer Verfassungsbindung durchzusetzen vermag. Hall geht (1963 bzw. 1965) insoweit erkennbar von der „funktionellen Überlegenheit" 248 sowie einem „Totalvorbehalt" der Legislative aus 249 , was als zeitbedingte Interpretation der grundgesetzlichen Funktionsaufteilung gelten mag, indes heutzutage einer weitaus differenzierteren Sichtweise gewichen ist 2 5 0 . Insbesondere kann auch die Letztentscheidungskompetenz der Gerichte nicht überzeugend herangezogen werden. M i t gleicher Berechtigung ließe sich gerade aus der Tatsache, daß die Tätigkeit der Verwaltung gerichtlicher Kontrolle unterliegt, begründen, daß auch die Nichtanwendung eines Gesetzes (jedenfalls potentiell) eine lediglich vorläufige — und deshalb nicht unzulässige — Entscheidung darstelle 251 .

b) Die Kernbereichslehre Neuere Arbeiten legen bei der Frage der Vereinbarkeit der Verwerfungskompetenz mit dem Prinzip der Gewaltenteilung die sogenannte „Kernbereichslehre" zugrunde. Auf sie wird noch zurückzukommen sein 252 ; hier genügt eine kurze Darstellung der einschlägigen Argumentation: Das Gewaltenteilungsprinzip sei im Grundgesetz nicht rein verwirklicht, sondern beanspruche nur „prinzipielle Geltung" 253 und verbiete lediglich Übergriffe der einen Gewalt in den „unantastbaren Kernbereich" einer anderen 254. Ein solcher liege bei der Annahme einer Verwerfungskompetenz jedoch nicht vor, da hierdurch „die Zuständigkeit der Legislative für die Gesetzgebung und für die inhaltliche Ausgestaltung der Gesetze als deren typische Aufgabe nicht in Frage" gestellt sei 255 . Im übrigen seien ausdrückliche oder konkludente verfassungsrechtliche Modi-

248

Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 109. Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 110 bei Fußn. 3; ders., Prüfung von Gesetzen, DÖV 1965, 253, 258, bei Fußn. 53: „...aber stets darf die Verwaltung nur tätig werden, wenn ihr die Legislative durch Gesetz die Kompetenzen eingeräumt hat". 250 Vgl. etwa Schnapp, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43, 172, 181 f. 251 So etwa Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 147; Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 827. 252 Vgl. unten 3. Teil, 2. Kap., Il.l.a), S. 135 ff. 253 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 145; Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 42. 254 Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 146; Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 42; Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 827. 5 So Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 146; Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 42. 249

118

2. Teil: Meinungsstand und Kritik

fikationen der Gewaltenteilung jedoch möglich. So gelangt Jamrath 256 mangels ensprechender Rechtsgrundlage zur Verneinung der Verwerfungskompetenz, während Hutka 2 5 7 die Verfassungsbindung der Verwaltung (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) als Rechtfertigung für den Übergriff in den Funktionsbereich der Legislative ansieht. Hier offenbaren sich die Schwächen einer „Prinzipien"-Argumentation im allgemeinen und der Kernbereichslehre im besonderen. Denn ohne Bestimmung dessen, was den „Kernbereich" der Legislative ausmacht 258 , steht die Aussage, es hege jedenfalls ein Eingriff nicht vor, auf allzu unsicherem Fundament. Vernachlässigt wird dabei zudem der zentrale Aspekt, der der Inanspruchnahme von Gesetzgebungskompetenzen zugrundeliegt. Es kann mit der inhaltlichen Ausgestaltung des Gesetzes und seinem förmlichen Inkraftsetzen nicht sein Bewenden haben, wenn Gesetzgebung gerade darauf abzielt, Wirkungen und Bindungen (u.a.) für die staatlichen Organe zu erzeugen. Damit hängt ein methodischer Einwand gegen die Heranziehung der Kernbereichslehre zusammen: Selbst wenn sie für die Abgrenzung von Funktionsbereichen grundsätzlich tauglich wäre, könnte auf sie erst zurückgegriffen werden, wenn sich erwiesen hat, daß die explizit eingeräumten Kompetenzen von Legislative und Exekutive über das Bestehen oder Nichtbestehen einer exekutiven Inzidentverwerfüngskompetenz keine Aussagen treffen. Ein derartiger Nachweis ist indessen nicht erbracht worden.

2. Die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit

förmlicher

Gesetze

Für das Verhältnis von Exekutive zu Legislative ist ferner mit der Vermutung der Verfassungsmäßigkeit des parlamentarischen Gesetzes argumentiert worden 259 . Zu fragen ist jedoch, auf welcher Grundlage diese Vermutung basieren soll, was mit Vermutung überhaupt gemeint ist und schließlich: warum es sich für die Verwaltung um eine nicht widerlegbare Vermutung handeln soll.

256

Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 51. Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 146, 161 f. 258 Jamrath, Normenkontrolle der Verwaltung, S. 42, spricht gar von einem „Kernbereich eines Prinzips", dessen Umfang zu bestimmen allgemein nicht möglich sei. Dies allerdings trifft zu. 259 So insbesondere Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393, 402 ff.; vgl. auch Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1. 257

3. Kap.: Kritik

119

Der (umstrittene 260 ) Topos der Vermutung der Verfassungsmäßigkeit formeller Gesetze wurde ursprünglich zur Begründung des Gebots verfassungskonformer Auslegung angeführt 261 . Er basiert seinerseits auf dem Vertrauen darauf, „daß der demokratisch legitimierte Gesetzgeber das Recht verwirklichen w i l l " 2 6 2 . Damit wird aber letztlich nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil über die Rechtmäßigkeit der erlassenen Gesetze gefällt 263 , da aus dem „guten Vorsatz" nicht auf den Erfolg zu schließen ist. Es handelt sich somit nicht um eine Beweisregel im prozessualen Sinn. Daß die Vermutung widerlegbar ist 2 6 4 , bedarf angesichts verfassungsgerichtlicher Kontroll- und Verwerfungskompetenzen keiner Erläuterung. Kommen wir erneut auf die Situation zurück, in der sich die Verwaltung vor die Frage der Anwendung oder Verwerfung einer Norm gestellt sieht 265 , so wird deutlich, daß aus ihrer Sicht die Vermutung entkräftet ist, da sie widersprüchlichen Verhaltensanweisungen ausgesetzt ist. Eben wegen dieses Widerspruchs ist dem handelnden Organ mit einer Vermutungswirkung in keiner Weise geholfen, da sich die eigentliche Problematik jenseits ihrer Reichweite stellt. Damit aber ist die Frage des Verhältnisses zwischen den Kompetenzen des Normgebers und denen des Normanwenders erneut offen.

3. Normverwerfung

als Eingriff

in die Kompetenz des Normgebers

Eben diese Relation hat Pietzcker (unter Beschränkung auf untergesetzliche Normen) thematisiert 266 . Er stellt die These auf, daß Normsetzung und Normverwerfung qualitativ gleichwertige Akte seien. Durch die Verwerfung einer Norm entscheide die zur Normanwendung berufene Stelle über die Konkretisierung einer ranghöheren Norm anders als der kraft gesetzlicher Zuständigkeit 260

Ablehnend Michel, Verfassungskonforme Auslegung, JuS 1961, 274 f.; Kopp, Gesetzes- und Verordnungsprüfungsrecht, DVB1. 1983, 821, 825; Arndt, Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes, NJW 1959, 2145 spricht gar vom „demokratischen Mißtrauen". 261 BVerfG v. 7.5.1953 — 1 BvL 104/52 — BVerfGE 2, 266, 282 = NJW 1953, 1057ÎT. =DVB1. 1953, 501 ff. 262 Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393,403. 263 Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393, 403, Fußn. 29; Bachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 237, Fußn. 45, gegen Michel, Verfassungskonforme Auslegung, JuS 1961,274 ff. 264 Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393, 403 f.; Stern, Staatsrecht ΠΙ/2, § 90 II 3 c), S. 1149 schätzt die Vermutungswirkung „angesichts der doch nicht seltenen Fälle verfassungswidriger Gesetze" als eher gering ein. 265 Dazu oben 1. Kap., Π.4., S. 83. 266 Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374 ff, bes. S. 390 ff.

120

2. Teil: Meinungsstand und Kritik

ermächtigte Normgeber. Dadurch werde in dessen Kompetenzen eingegriffen 2 6 7 . Der Eingriff besteht demnach darin, daß eine unzuständige Stelle anstelle der eigentlich zuständigen eine bestimmte Entscheidung trifft. Das allerdings ist das Problem, nicht die Lösung: Liegt denn ein Eingriff vor und, bejahendenfalls, ist er nicht etwa durch eine entsprechende Kompetenz der normanwendenden Stelle gerechtfertigt? So ist das Konzept auf die These von der Gleichwertigkeit von Normsetzung und Normverwerfung angewiesen. Daß dieser Ausgangspunkt durchaus ambivalent ist, wird in einer zweiten Stellungnahme Pietzckers 268 zum Ausdruck gebracht. Darin wird der Eingriff in die Kompetenzen des Normgebers als lediglich „faktische" Beeinträchtigung gewertet, die Verwerfung der Norm hingegen auf die Kompetenz zur Rechtsanwendung (sie!) gestützt 269 . Unklar bleibt jeweils allerdings, welcher Begriff von Kompetenz zugrundegelegt wird und in welchem Kontext Normsetzer und Normanwender tätig werden. So erscheint grundsätzlich jedes Ergebnis begründbar und die Argumentation gerät in Gefahr, beliebig zu werden. Hieran zeigt sich, daß die Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzen in der Tat den Schlüssel zur Lösung des Problems liefern kann. Der Zusammenhang von Normsetzung und Normanwendung anhand der Kompetenzkategorie soll aus diesem Grund im nachfolgenden Abschnitt untersucht werden.

267

Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374 ff., 390. Inzidentverwerfung, DVB1. 1986, 806 ff. 269 Pietzcker, Inzidentverwerfung, DVB1. 1986, 806, 808; in AöR 101 (1976), 374, 390 war hingegen im Zusammenhang mit der qualitativen Gleichwertigkeit von Normsetzung und Normverwerfung noch vom „qualitativen Unterschied zwischen Interpretation und Verwerfung" die Rede, auf den unser Rechtssystem aufgebaut sei. 268

3. T e i l

Kompetenzen im Verfassungsprozeß

Die Frage nach der Normverwerfungskompetenz der Verwaltung läßt sich nur mit Blick auf den Kontext beantworten, in dem sie sich stellt. Es kann also nicht isoliert die einzelne Norm, deren Anwendung oder Nichtanwendung in Rede steht, betrachtet werden. Auch die Beschränkung auf die konkrete Situation, in der sich die Verwaltung bei der Lösung des Problems befindet — als Adressat widersprüchlicher Handlungsanweisungen —, vermag nicht weiterzuführen. Der Begriff der Kompetenz verweist dagegen auf den weit größeren Zusammenhang, innerhalb dessen die Verwaltung agiert Ihre spezifische Aufgabe als „handelnder Staat1" erfüllt die Verwaltung im Spannungsfeld zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle. Diese institutionelle „Mittellage", bereits in der Formulierung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG angelegt, kommt auch in der zeitlichen Abfolge staatlichen Handelns zum Ausdruck, der die Tätigkeit der Verwaltung an das bereits erlassene Gesetz bindet (Art. 20 Abs. 3 GG) und nachträglicher gerichtlicher Überprüfung unterwirft (Art. 19 Abs. 4 GG) 2 . Dieser verfassungsrechtlich vorgezeichnete Prozeß erfordert die Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzbereiche gesetzgebender, vollziehender und rechtsprechender Gewalt. — Im Mittelpunkt der diesbezüglichen Diskussion stehen zum einen die Kompetenzen der Judikative im Verhältnis zur Legislative, also insbesondere der Umfang verfassungsgerichtlicher Kontrolle von Parlamentsgesetzen3; ferner die Abgrenzung der Kompetenzbereiche von Gerichtsbarkeit und Verwaltung, sei es bei der Überprüfung exekutiver Normen 4, sei es bei der Kontrolle von Einzelfallentschei1

Siehe etwa Bachof.\ Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197 ff., 210; Hall, Prüfung von Gesetzen, S. 118; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, S. 107 f.; diese Kennzeichnung geht vermutlich zurück auf Lorenz von Stein, Verwaltungslehre, Teil 1, Abt. 1, Allgemeiner Teil, S. 9: „...der große Organismus der That des Staats". 2 Entsprechendes gilt im Verhältnis der normsetzenden zur normvollziehenden Verwaltung. 3 Dazu etwa Chryssogonos, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, insbes. S. 179 ff. m.w.N. 4 Vgl. nur v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, insbes. S. 161 ff.

122

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

düngen, insbesondere hinsichtlich der Frage „administrativer Letztentscheidungsermächtigungen" 5; schließlich wird unter der Überschrift „Vorbehalt des Gesetzes" die Begrenzung exekutiver Eigeninitiative durch den Umfang parlamentarischer Kompetenzen6 thematisiert. Die Frage nach der Verwerfungskompetenz der Verwaltung im hier diskutierten Umfang steht in einem anderen Zusammenhang. Bei ihr ist der kompetentielle Gehalt des Gesetzesvorrangs auszuloten, mit anderen Worten: zu fragen ist nach der Stellung der Verwaltung zur Rechtsnorm 7. Vor einer Erörterung der kompetentiellen Stellung der (normanwendenden bzw. -verwerfenden) Verwaltung in diesem Verfassungsprozeß soll im folgenden Kapitel das System der Kompetenzordnung näher dargestellt werden. Nach einer Präzisierung des Kompetenzbegriffs 8 und einem groben Überblick über die Grundstruktur der Kompetenzordnung unter dem Grundgesetz9 wird näher auf die Gründe und Ziele eingegangen, die mit dieser Staatsorganisation verbunden sind 10 . Anschließend wird die Ausübung von Kompetenzen als Entscheidungsprozeß dargestellt und als Rechtskonkretisierung beschrieben 11. Schließlich sollen Umfang und Grenzen von Kompetenzen näher betrachtet werden, wobei auch die Frage nach der Prüfungs- bzw. Kontrollkompetenz aufgegriffen wird 1 2 . Auf dieser Grundlage soll im vierten Teil die Frage nach der Verwerfungskompetenz der Verwaltung einem Lösungsvorschlag zugeführt werden.

1. Kapitel

Zum Begriff der Kompetenz Der Begriff der Kompetenz wird mit unterschiedlichen Bedeutungsgehalten versehen. Er wird in unterschiedlichen Zusammenhängen mit den Termini „Aufgaben", „Aufgabenzuweisung", „Befugnis", „Ermächtigung", „Zuständig5 Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV, Rdnrn. 188 ff. m.w.N. aus dem Schrifttum. 6 Vgl. nur Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 62, Rdnrn. 7 ff. 7 Ähnlich Johann Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1, 3. 8 Unten 1. Kap. 9 Unten 2. Kap.,I. 10 Unten 2. Kap., II. 11 Unten 3. Kap. 12 Unten 4. Kap.

1. Kap. : Zum Begriff der Kompetenz

123

keit" etc. verbunden 13. Angesichts der hieraus resultierenden Unschärfe bedarf es vorab der terminologischen Klärung dieser Begriffe und einer kurzen Darstellung des zwischen ihnen bestehenden Zusammenhangs.

I. Aufgabe, Befugnis / Ermächtigung, Zuständigkeit Unter Aufgaben werden hier nur staatliche Aufgaben verstanden. Allgemein umschrieben werden können sie als nach sachlichen Gesichtspunkten abzugrenzende Gegenstände (Sachbereiche) 14, deren Erledigung dem Staat (als Inbegriff der Träger öffentlicher Gewalt 15 ) vom Grundgesetz zugewiesen ist oder vom Staat übernommen wurde. Welcher Art diese Staatsaufgaben sind oder welcher Art sie zulässigerweise sein können, ist hier nicht zu thematisieren 16. Das Grundgesetz enthält keinen geschlossenen Katalog staatlicher Agenden. Geprägt durch Staatszielbestimmungen und verfassungsrechtliche Schutzpflichten sind sie jeweils mit Blick auf tatsächliche Entwicklungen, insbesondere den wirtschaftlichen, sozialen und technischen Wandel im einzelnen zu formulieren. Sie sind nicht zu verwechseln mit Staatszwecken, die im rechtsphilosophischen Kontext die Frage nach der „Rechtfertigung" des Staates zu beantworten suchen17. Die Aufgabenzuweisung überträgt die Berechtigung und Verpflichtung zur Erfüllung der Aufgabe auf ein staatliches Organ. Die Begriffe „Befugnis " bzw. Ermächtigung" 18 bezeichnen die Rechtsmacht eines staatlichen Organs, in

13

Vgl. hierzu vor allem Stettner, Kompetenzlehre, S. 31 ff, 52 ff, 60 ff; 64 ff.; 72 f.; 73 ff. 14 Vgl. auch Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 72 I c 1., S. 15, der zwischen Aufgaben und Sachbereichen (als Aufgaben im weiteren Sinne) differenziert. 5 Zur Unterscheidung von öffentlichen und staatlichen Aufgaben vgl. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR ΙΠ, § 57, Rdnrn. 136 ff; ferner Bull, Staatsaufgaben, S. 47 ff; zur Einbeziehung von Aufgaben der Kommunen und der Träger mittelbarer Staatsverwaltung in den Begriff der Staatsaufgaben („im weiteren Sinne") ebd. S. 51. 16 Zu grundgesetzlich zugewiesenen Staatsaufgaben vgl. Bull, Staatsaufgaben; insbes. S. 21 I f f ; Herzog,, Staatstätigkeit, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR ΠΙ, §58 Rdnrn. 28 ff. 17 Zu den Staatszwecklehren vgl. nur Bull, Staatsaufgaben, S. 17 ff. 18 Beide Begriffe werden häufig synonym verwandt (vgl. etwa Wolff/Bachofl Stober, Verwaltungsrecht I, § 30, Rdnr. 18). Nach Knemeyer (Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 104, 105, Fußn. 7) soll dagegen der Begriff der Ermächtigung auf Rechtsgrundlagen für generell-abstrakte Regelungen beschränkt bleiben, der Begriff der Befugnis dagegen auf Einzelmaßnahmen bezogen sein.

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

124

Erledigung der zugewiesenen Aufgabe ihrer Art nach bestimmte Maßnahmen zu treffen. Der Begriff der Zuständigkeit schließlich bezeichnet die Berechtigung und Verpflichtung eines staatlichen Organs, bestimmte Angelegenheiten (Aufgaben) in in der Regel bestimmten Arten, Weisen und Formen wahrzunehmen 19. Er faßt also Aufgabenzuweisung und Befugnis bzw. Ermächtigung zusam-

II. Die Zweck-Mittel-Relation von Aufgabe und Befugnis Staatliche Aufgaben rechtfertigen und begrenzen alle staatliche Tätigkeit 21 . Die Aufgabe bezeichnet insofern den Zweck, dem staatliches Handeln dient und nur dienen darf. Die Aufgabenzuweisung ordnet die Zweckerfüllung einem staatlichen Organ zu. Die Befugnis definiert das Mittel, das von dem Organ zur Zweckerfüllung verwendet werden darf. Befugnisse sind notwendig zweckbezogen, Aufgabe und Aufgabenzuweisung gehen ihnen logisch voraus 22 . Diese Zweck-Mittel-Relation ist indes in der Realität komplexer, als es die Gegenüberstellung von Staatsaufgabe und Befugnis suggerieren könnte. Die Formulierung einer einem bestimmten Organ übertragenen Aufgabe kann selbst eine Konkretisierung verfassungsrechtlich vorgegebener Zielsetzungen enthalten sein, zu deren Verwirklichung die Aufgabenerfüllung dient. Diese kann 19

Wolff/Bachof Verwaltungsrecht Π, § 72 I c, S. 15; im Anschluß daran ebenso Rasch, Rechtsnatur organisatorischer Maßnahmen, DVB1. 1983, 617; enger etwa Kirchhof Mittel staatlichen Handelns, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 59, Rdnr. 16; Rudolf Verwaltungsorganisation, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 53, Rdnr. 44, die unter Zuständigkeit nur die Aufgabenzuweisung und nicht die Art und Weise der Aufgabenerfullung verstehen. 20 Im Ergebnis ebenso Stettner, Kompetenzlehre, S. 35 ff. — Das entspricht auch dem Sprachgebrauch, der die Zuständigkeit regelmäßig auch auf die jeweilige Befugnis erstreckt bzw. sowohl auf die Aufgabenzuweisung als auch auf die Befugnis bezieht. Beispielsweise haben die Gemeinden nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG die Aufgabe, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu regeln. Sie sind (für die Erfüllung dieser Aufgabe) zuständig. Für den Erlaß einer Gemeindesatzung (Satzungsbefugnis) ist die Gemeindevertretung zuständig. 21 Kirchhof, Mittel staatlichen Handelns, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 59, Rdnr. 17. 22 Vgl. Bull, Staatsaufgaben, S. 52 f.; Stettner, Kompetenzlehre, S. 159 ff., bes. S. 164 ff.; zur Bedeutung von Aufgaben und Aufgabenzuweisung auch Knemeyer, Schutz der Allgemeinheit, VVDStRL 35, 221, 233 ff., ders., Aufgabenzuweisungsnormen, DÖV 1978, 11 ff. mit weitreichenden Folgerungen für die Inanspruchnahme von Befugnissen.

1. Kap.: Zum Begriff der Kompetenz

125

damit ihrerseits „Mittel zum Zweck" werden. In seiner allgemeinsten Fassung kann der allem zugrundeliegende Zweck mit dem Begriff des Gemeinwohls charakterisiert werden. Auch in anderer Hinsicht ist die Zuordnung von Mitteln und Zwecken nicht eindeutig. Staatliches Handeln ist in aller Regel auf die Erreichung einer Vielzahl von Zwecken gerichtet, die einander zu ergänzen vermögen, jedoch ebenso in Konkurrenz zueinander treten können. So kann die Bezogenheit eingeräumter Befugnisse auf damit zu erreichende Ziele nur als gedankliches Ordnungsmodell verstanden werden, das jedoch als Präzisierung der Kategorien von Aufgabe und Befugnis Bedeutung besitzt 23 . Der instrumentelle Charakter der einem Staatsorgan konkret eingeräumten Befugnisse belegt, daß von ihnen zwar auf die damit zu erfüllenden Zwecke sowie darauf geschlossen werden darf, daß sie gerade von diesem Organ verfolgt werden sollen. Der gegenläufige Schluß von der Aufgabe bzw. 2 4 der Aufgabenübertragung auf das zulässige Mittel ist nicht statthaft 25. Diese vor allem für die Tätigkeit der Exekutive relevante Problematik 26 kann nicht mit dem Hinweis aufgelöst werden, es könne nicht dem Sinn einer Norm entsprechen, ein Staatsorgan mit einer Aufgabe zu betrauen, ohne ihm die Mittel hierfür zur Verfügung zu stellen 27 . Die Rechtsordnung nach und unter dem Grundgesetz formuliert eine Reihe von Bedingungen, welche die Handlungen staatlicher Organe erfüllen müssen, um rechtmäßig zu sein. Zunächst ist die Frage zu beantworten, wer im Staat für die Zuweisung von Befügnissen zuständig ist. Soweit es den Bereich des allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes oder speziell nor-

23

Vgl. etwa die Kategorisierung im Sinne einer Stufung vom Allgemeinen zum Besonderen bei Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben, in: Isensee/Kirchhof \ HdbStR ΠΙ, § 57, Rdnrn. 132 ff: Gemeinwohl — Öffentliche Interessen und Staatsziele Öffentliche Aufgaben und Staatsaufgaben - Kompetenzen und Befugnisse. — Zum „Gemeinwohl als Kompetenzfrage" Stettner, Kompetenzlehre, S. 203 ff. 24 Vgl. unten ΙΠ., S. 127, Fußn. 35. 25 Siehe etwa Bull, Staatsaufgaben, S. 132 ff; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht Rdnr. 53; Schlink, Amtshilfe, S. 85 ff, 105 ff. 2 Vgl. Schlink, Amtshilfe, S. 91. — Tatsächlich besteht das Problem bei jeder Art der Ausübung von Staatsgewalt da sie in jedem Falle rechtlichen Bindungen unterworfen ist, die nicht mit den Schranken der Aufgabenübertragung kongruent sind bzw. sein müssen. 27 In diesem Sinne allerdings BVerfG v. 15.12.1970 — 2 BvF 1/69 — BVerfGE 30, 1, 20; ferner BVerwG v. 18.10.1990 — 3 C 2/88 — BVerwGE 87, 37, 47 („ die ... Aufgabe der politischen Krisenbewältigung ... muß auch die Befugnis einschließen, konkrete Grundrechtsträger als Quelle der bestehenden Gefahrensituation zu bezeichnen, wenn dies zur Erfüllung der genannten Aufgabe erforderlich ist"); vgl. auch BVerwG v. 23.5.1989 — 7 C 2/87 — BVerwGE 82, 76, 80 f.

126

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

mierter Gesetzesvorbehalte hinsichtlich der Form 28 oder der Wirkung 29 staatlicher Tätigkeit betrifft, kann die verfassungsrechtlich begründete Zuständigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers nicht durch die Übertragung von Sachaufgaben suspendiert werden 30 . Ferner muß die Ausübung der jeweiligen Befugnis im Einzelfall auch inhaltlich mit höherrangigem Recht vereinbar sein, also neben dem Vorbehalt des Gesetzes den Vorrang der Verfassung und des Gesetzes wahren. Daraus ist aber nicht der Schluß zu ziehen, die Übertragung einer Aufgabe alleine sei für das rechtmäßige Handeln des beauftragten Organs unbeachtlich 3 1 . Aus dem bisherigen ist zu schließen, daß Befügnisse dem Zweck entsprechend auszuüben sind, zu dem sie eingeräumt wurden. Die zu erfüllende Aufgabe füllt damit die Befügnisnorm inhaltlich auf und reichert sie sachlich an 32 . Der logische Vorrang der Aufgabenzuweisung kennzeichnet die Aufgabe als notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für rechtskonformes Staatshandeln. Lediglich — doch immerhin — in dem Fall, daß sich weder aus dem Vorbehalt noch aus dem Vorrang des Gesetzes (bzw. der Verfassung) anderes ergibt, kann eine staatliche Maßnahme alleine darauf gestützt werden, daß sie der Erfüllung übertragener Aufgaben dient.

III. Kompetenzbegriffe Der Begriff der Kompetenz wird in der Literatur mit jedem der genannten Termini gleichgesetzt. So identifiziert Hans Julius Wolff 3 3 Kompetenz mit der 28 Vgl. etwa Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG für die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen; zum Erfordernis einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung für den Erlaß von Verwaltungsakten Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10, Rdnrn. 5 ff. m.w.N.; differenzierend Osterloh, Erfordernis gesetzlicher Ermächtigung, JuS 1983, 281 ff. 29 Also insbesondere bei Maßnahmen, die in grundrechtlich geschützte Bereiche eingreifen. 0 Die Bedeutung der Befugnisnormen für eingreifende Maßnahmen der Verwaltung erschöpft sich somit nicht in der Beseitigung entgegenstehender Rechte, wie Knemeyer, Schutz der Allgemeinheit, VVDStRL 35 (1977), 221, 233 f., Fußn. 36, meint, sondern hat auch einen kompetentiellen Aspekt im Verhältnis der Legislative zur Exekutive. 31 Zur Problematik der Anerkennung des sog. Entschließungsermessens, der letztlich die Vernachlässigung des verpflichtenden Charakters von Aufgabenzuweisungen zugrundeliegt vgl. unten 4. Kap., I.2.a), S. 158 f. 32 Stettner, Kompetenzlehre, S. 166. 33 Wolff/Bachofl Allgemeines Verwaltungsrecht, § 72 I c 1., S. 15; ihm folgend etwa Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 47; Kabisch, Prüfung formeller Gesetze, S. 66.; Knemeyer, Schutz der Allgemeinheit, VVDStRL 35, 221, 236, Fußn. 42.

1. Kap.: Zum Begriff der Kompetenz

127

Aufgabe, andere verstehen darunter (nur) die Aufgabenzuweisung 34; auf die Befugnis bezogen wird der Begriff dagegen in Worten wie „Gesetzgebungskompetenz" oder „Organkompetenz". Einen erweiterten, Aufgabenzuweisung und Befugnis umfassenden Kompetenzbegriff verwendet insbesondere Stettner 35 , der damit Zuständigkeit und Kompetenz synonym gebraucht 36. Von einer feststehenden Bedeutung des Begriffs „Kompetenz" kann somit keine Rede sein. Er ist somit definitionsbedürftig und -fähig. Im folgenden soll im wesentlichen die Begrifflichkeit Stettners zugrundegelegt und unter „Kompetenz" die Handlungsmacht staatlicher Organe verstanden werden, in Erfüllung zugewiesener Aufgaben Maßnahmen bestimmter Art zu treffen. Die Kompetenz vermittelt die Bindung des staatlichen Organs an seine Funktion 37 . Diese Definition findet ihre Bestätigung in der allgemeinen wie der juristischen Verwendung des Kompetenzbegriffs. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet Kompetenz z.B. die Fähigkeit zu etwas; sie ist stets bezogen auf einen Gegenstand und also mit diesem nicht identisch. Daraus resultiert eine gewisse Distanz zur „Kompetenz" im Sinne H. J. Wolffs. Gegen eine Beschränkung des Kompetenzbegriffs auf die Aufgabenzuweisung spricht neben dem allgemeinen Sprachgebrauch, in dem der Aspekt der Fähigkeit und des Vermögens stärker zum Vorschein kommt als der Aspekt der Pflichtigkeit, auch die 34

Z.B. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 57, Rdnrn. 140 ff.; Kirchhof Mittel staatlichen Handelns, ebd., § 59, Rdnrn. 19 ff.; Rudolf Verwaltungsorganisation, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 53 Rdnr. 44. 35 Kompetenzlehre, bes. S. 35 und 167. — Auch seine, um größtmögliche terminologische Klarheit bemühte Darstellung ist in diesem Bereich nicht frei von Oberschneidungen; er bezeichnet das (polizeirechtliche) Verbot, „von der Aufgabe auf die Befugnis" zu schließen, als „klassisches Beispiel für die Aufgliederung der Staatstätigkeit [...] nach Staatsaufgabe und Kompetenz" und setzt Befugnis mit Kompetenz gleich (Kompetenzlehre, S. 44 f.). Tatsächlich müßte der Satz lauten: Kein Schluß von der Aufgaben Übertragung auf die Befugnis (so auch Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR ΙΠ, § 57 Rdnr. 142, mit abweichender Terminologie); anderenfalls wäre er nur Ausdruck der Selbstverständlichkeit, daß das Vorhandensein einer Staatsaufgabe nichts darüber aussagt, wer sie — und mit welchen Mitteln — wahrzunehmen hat. Sind aber Aufgabenübertragung und Befugnis zusammen nichtidentische Elemente der Kompetenz, kann nicht zugleich eines dieser Elemente mit ihr identisch sein. 36 Stettner, Kompetenzlehre, S. 35 ff., 43. 37 Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 450; Stettner, Kompetenzlehre, S. 35. Seine Definition ist insofern zu eng, als sie die Aufgabenerfüllung nur durch „hoheitliche Akte festgelegter und genau bezeichneter Art" in den Begriff der Kompetenz einschließt. Damit scheint die Ausübung der Staatsgewalt durch staatliche Organe von der vorherigen Festlegung der einzelnen Akte abzuhängen. Das kann jedoch nur ein — wenn auch wichtiger — Unterfall der Kompetenz sein, der durch diejenigen Befugnisse ergänzt wird, die keiner (gesetzlichen) Ausformulierung bedürfen.

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3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

juristische Handhabung des Begriffs: Im Anschluß an die oben erwähnten Beispiele sei noch der Terminus der „Kompetenz-Kompetenz" genannt, der bei einer solchen Beschränkung nachgerade unsinnig zu werden drohte und sich in „Kompetenz-Befugnis" bzw. „Befugnis-Kompetenz" aufspalten müßte38. Schließlich ermöglicht diese Begrifflichkeit, das in dieser Untersuchung behandelte Thema bei dem seit Jahrzehnten gebräuchlichen Namen „Verwerfungskompetenz" zu nennen und damit auf die Befugnis der Verwaltung abzustellen, bei Wahrnehmung der ihr zugeteilten Agenden von der Anwendung oder Beachtung einer Norm abzusehen.

2. Kapitel

Kompetenz und Staatsorganisation Wenn von staatlichen Kompetenzen die Rede ist, wird das Bestehen einer Organisation vorausgesetzt. Kompetenz ist nur denkbar im Hinblick auf ein Subjekt, ein staatliches Organ, das zu ihrer Ausübung berufen ist. Umgekehrt ist staatliche Organisation nur sinnvoll, wenn den konstituierten Organen Kompetenzen zustehen. Der unauflösliche Bezug von Kompetenz und Staatsorganisation, mit dem Begriff der Kompetenzordnung umrissen, macht einen kurzen Überblick über das organisatorische Gefüge des Staatswesens und die rechtlichen Grundlagen hierfür notwendig. Hieran anschließend ist mit der Frage nach den Gründen und den Zielen der Kompetenzordnung auf die Wechselwirkung zwischen Kompetenz und Staatsorganisation einzugehen.

I. Grundstruktur der Kompetenzordnung Die grundgesetzliche Rechtsordnung zeichnet sich aus durch eine hochgradig ausdifferenzierte Kompetenzordnung, durch die Aufteilung von Zuständigkeiten auf eine Vielzahl von Entscheidungsträgern 39, die untereinander durch ein dichtes Netz von Einwirkungs-, Kontroll- und Weisungskompetenzen verbunden sind. 38 Vgl. etwa Bull, Staatsaufgaben, S. 91, der von der „Kompetenz-BestimmungsAufgabe und -Zuständigkeit" spricht. 9 Zum Verwaltungsaufbau Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 219 („..Eindruck eines nahezu undurchschaubaren Geflechts.."); Krebs, Verwaltungsorganisation, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 69, Rdnr. 11.

2. Kap.: Kompetenz und Staatsorganisation L Verfassungsrechtliche

129

Grundlagen

Die staatliche Kompetenzordnung findet ihre verfassungsrechtliche Fundierung in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, der die Unterscheidung von Grundfunktionen staatlichen Handelns in die Bereiche der Gesetzgebung, der Vollziehung und der Rechtsprechung konstituiert (funktionale Gewaltenteilung) und ihre Ausübung besonderen Organen vorbehält (organisatorische Gewaltenteilung40).

a) Funktionale Gewaltenteilung (Funktionenunterscheidung 41) Mit der Benennung der Funktionen „Gesetzgebung", „Vollziehung" und „Rechtsprechung" übernimmt das Grundgesetz jedenfalls der Form nach 42 das klassische Dreiteilungsprinzip. Es bezeichnet Grundtypen staatlichen Handelns bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben 43 , also Kompetenzen 44 , bzw. diejenigen Klassen, in die sich verliehene Kompetenzen ihrer Art nach einteilen lassen45. Über den Inhalt der einzelnen Funktionen allerdings trifft Art. 20 Abs. 2 GG keine Aussage.

40

Begriffe nach Schmidt-Aßmann, Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 24 Rdnrn. 52 f. 41 Vgl. auch Herzog,, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, V, Rdnr. 38 („Gewaltenunterscheidung"); der Begriff der ,,Funktionen/reAWM«g" (vgl. nur Stern, Staatsrecht Π, § 36 Π, S. 521 ff) steht sachlich in einem anderen Zusammenhang, indem nämlich jenseits der bloßen Unterscheidung verschiedener Funktionen von ihrem (jeweiligen) Inhalt auf die Zuordnung zu bestimmten Organen zu schließen versucht wird. Funktionentrennung bezeichnet somit ein Element der organisatorischen Gewaltenteilung. 42 Zu Herkunft, Bedeutung und einzelnen Ausprägungen der funktionalen Gewaltenteilung vgl. den Überblick bei Stern, Staatsrecht Π, § 361, S. 513 ff. 43 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 487. 44 Zur Identität der Begriffe „Funktion" und „Kompetenz" vgl. Stettner, Kompetenzlehre, S. 48; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 35, 38 ff ; vgl. auch Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, V, Rdnr. 30 („Die Gewaltenteilung ist vielmehr [...] zu einem Prinzip der Zuständigkeitsverteilung herabgesunken" — Hervorhebung im Original); positiver formuliert von Maurer, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), 135, 151 („Im demokratischen Staat der Gegenwart, in dem die gesamte Staatsgewalt vom Volke ausgeht, wird die Gewaltenteüung zur Kompetenzordnung [...]"). 45 Vgl. Schmidt-Aßmann, Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, §24 Rdnr. 52; Stern, Staatsrecht II, § 36 IV 4 a α), S. 537; zu weiteren Funktioneneinteilungen und -lehren siehe nur Brunner, Kontrolle, S. 46 ff; Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 44, Fußn. 74. 9 Wehr

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3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß b) Organisatorische Gewaltenteilung

In organisatorischer Hinsicht muß die Ausübung der Funktionen „besonderen Organen" übertragen werden 46 . Idealtypisch kann zwar diese Funktionentrias einer „Organdreiheit" 47 von Legislative, Exekutive und Judikative zugewiesen werden. Eine derart strikte Zuordnung allerdings ist niemals rein verwirklicht worden, weder organisatorisch im Hinblick auf die Existenz von „nur" drei Organen, noch materiell in bezug auf die Wahrnehmung einzelner, jeweils einer Funktion zuzurechnenden Kompetenzen. Das Grundgesetz kennt eine exklusive Zuweisung nur hinsichtlich einer der Funktionen: Art. 92 GG überträgt die rechtsprechende Gewalt ausschließlich den Richtern 48 . Doch findet sich auch hier keine ein-eindeutige Kongruenz von Organ und Funktion, da Art. 92 GG der Übertragung anderer als rechtsprechender Aufgaben auf die Gerichte nicht entgegensteht; diese können deshalb zur Wahrnehmung auch anderer Aufgaben herangezogen werden 49 . Lediglich formell lassen sich die staatlichen Organe in drei Organgruppen einteilen als Organe der Gesetzgebung, der Vollziehung bzw. der Rechtsprechung 50. Die Aussagekraft einer solchen Kennzeichnung für die Kompetenzen dieser Organe wird allerdings durch die konkrete grundgesetzliche Zuständigkeitsverteilung relativiert, die nicht mit diesem „Grundmodell" übereinstimmt. Beispielsweise bestehen die Kompetenzen des Parlaments als „Gesetzgeber" nicht nur darin, Gesetze zu erlassen. Es ist ebenso berufen, die Regierung zu bestellen, sie zu kontrollieren etc. 51 . Umgekehrt ist die Regierung als Organ der „vollziehenden Gewalt" am Verfahren der Gesetzgebung etwa durch Initiativrechte maßgeblich beteiligt. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG gewinnt somit Bedeutung vor allem durch die demokratische Legitimation der Funktionsträger 52, die deren Gleichwertigkeit und prinzipielle (d.h.

46

Schmidt-Aßmann, Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 24 Rdnrn. 53 f. Stern, Staatsrecht II, § 36 II 2., S. 525. 48 Zur Problematik der inhaltlichen Bestimmung der Funktion „Rechtsprechung" ausfuhrlich zuletzt Voßkuhle, Rechtsschutz, insbes. S. 65 ff. m.w.N. 49 Auf einfachgesetzlicher Ebene findet sich ein Verbot „funktionsfremder" Aufgabenzuweisung allerdings in § 39 VwGO, das der gesetzlichen Begründung von Richtervorbehalten Grenzen setzt. Vgl. zu dieser Problematik Lüdemann, Richtervorbehalte, DÖV 1996, 870 ff., bes. 872 ff. 50 Zu Herkunft und Bedeutung der Differenzierung zwischen materiellen und formellen Funktionen vgl. Stern, Staatsrecht II, § 36 II 2, S. 525 f. 51 Vgl. Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 28. 52 Zur Unterscheidung von institutioneller, funktioneller und personeller Legitimation Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 22 Rdnrn. 15 ff.; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 196 ff. — Hier ist die verfassungsunmittelbare (auf der Ebene des pouvoir constituant erfolgende) institutionelle und funktionelle Legitimation angesprochen. 47

2. Kap.: Kompetenz und Staatsorganisation

131

vorbehaltlich spezieller Kompetenzzuordnung bestehende) Eigenständigkeit53 begründet. Dieses Prinzip der Gewaltenteilung wird durch das Grundgesetz auf Bundesebene konkretisiert: beispielsweise durch die Konstituierung der Verfassungsorgane und Regelungen ihrer Binnenorganisation (für die Bundesregierung etwa in Art. 62 ff. GG), durch Einrichtung besonderer Organe (etwa den Wehrbeauftragten nach Art. 45b, den Bundesrechnungshof nach Art. 114 Abs. 2 GG u.a.) und der Behörden der bundeseigenen Verwaltung (Art. 87 ff. GG) sowie die Zuweisung von Kompetenzen an diese.

c) Vertikale Gewaltenteilung Erweitert wird die organisatorische Gewaltenteilung durch den föderativen Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland54. Die Verteilung der Gesetzgebungs-, Vollziehungs- und Rechtsprechungskompetenzen zwischen Bund und Ländern (insbes. Art. 30, 70 ff., 83, 92 GG) kennzeichnet die vertikale Gewaltenteilung 55 . Die Bundesländer verfügen über eine originäre, nicht vom Bund abgeleitete Staatsqualität. Die in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG vorausgesetzte Verfassungsautonomie jedes Landes wird durch das Homogenitätsgebot zugleich begrenzt. So gilt die horizontale Teilung der Gewalten auch innerhalb der Länder 56 , deren Gesetzgebungs-, Vollziehungs- und Rechtsprechungsorgane (vgl. etwa Art. 5 BV) zu einer weiteren Ausdifferenzierung der gesamtstaatlichen Organisationsstruktur beitragen.

d) Kommunale Selbstverwaltung Auf einer dritten Ebene ist die grundgesetzliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 GG ein weiteres Element der verfassungskräftig festgelegten Kompetenzordnung 57. Im Hinblick auf die Kompe53 Vgl. Schmidt-Aßmann, Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, §24, Rdnr. 52. 54 Schenke, Föderalismus, JuS 1989, 698, 699 ff. 55 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 231. 56 BVerfG v. 10.10.1972 — 2 BvL 51/69 — BVerfGE 34, 52, 58 = NJW 1973, 451 f. = DÖV 1973, 132 f. 57 Zu Art. 28 Abs. 2 GG als Kompetenznorm (,Aufgabenverteilungsprinzip") vgl. BVerfG v. 23.11.1988 — 2 BvR 1619/83 u.a. — BVerfGE 79, 127, 147 ff. = DVB1. 1989, 300 ff.

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3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

tenzverteilung nach dem Grundgesetz den Ländern 58 , funktional der vollziehenden Gewalt zuzuordnen 59, ist die eigenverantwortliche Regelung der örtlichen Angelegenheiten durch die Kommunen als Ausübung von Staatsgewalt (im weiteren Sinne 60 ) den staatsunmittelbaren Organen entzogen.

2. Organisation innerhalb der Gewalten In Ergänzung der so durch das Verfassungsrecht vorgezeichneten Grobstruktur finden sich innerhalb der so konstituierten Gewalten weitere und zahlreiche Untergliederungen mit je eigenen Aufgabenbereichen. Die Judikative ist in einem System aus ordentlicher und Fachgerichtsbarkeit organisiert, innerhalb derer jeweils ein bis zu vierstufiger Aufbau unterschiedlicher instanzieller Zuständigkeiten besteht. In hohem Maße gegliedert ist die vollziehende Gewalt 61 . Ihre Organisationsstruktur kann mit den Begriffen der Dekonzentration und Dezentralisierung angedeutet werden 62 . Die staatsunmittelbare (zentralisierte) Staatsverwaltung ist in je unterschiedlichem Maße durch Einrichtung weisungsabhängiger Verwaltungseinheiten dekonzentriert organisiert 63. Durch die Einrichtung rechtlich verselbständigter (dezentraler) Verwaltungsträger werden Kompetenzen aus der staatsunmittelbaren Verwaltungsstruktur ausgegliedert und durch eine Reihe von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts wahrgenommen 64 . Die Bildung und Errichtung 65 der jeweiligen Behörden und der juri58

BVerfG v. 18.7.1967 — 2 BvF 3/62 u.a. — BVerfGE 22, 180, 210; BVerfG v. 4.3.1975 — 2 BvF 1/72 — BVerfGE 39, 96, 109; BVerfG v. 27.5.1992 — 2 BvF 1/88 u.a.—BVerfGE 86, 148,215. 59 Für die Rechtsetzungstätigkeit der kommunalen Vertretungsorgane BVerfG v. 22.11.1983 — 2 BvL 25/81 — BVerfGE 65,283,289. 60 BVerfG v. 30.7.1958 — 2 BvG 1/58 — BVerfGE 8, 122, 132 = NJW 1958, 1341 ff.; BVerfG v. 31.10.1990 — 2 BvF 2/89 — BVerfGE 83, 37, 54 = DVB1. 1990, 1397 ff. 61 Überblick bei Krebs, Verwaltungsorganisation, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR ΠΙ, § 69 Rdnrn. 11 ff. Zur Terminologie vgl. etwa Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 222 f. 63 Diese Dekonzentration ist z.T. verfassungsrechtliches Postulat, vgl. etwa Art. 77 Abs. 2 BV. 64 Auch diese Organisationsstruktur beruht z.T. auf Vorgaben des Verfassungsrechts; so sollen beispielsweise die Hochschulen (Art. 5 Abs. 3 GG) und die (öffentlichrechtlichen) Rundfunkanstalten (Art. 5 Abs. 1 GG) aus grundrechtlichen Erwägungen vor Interventionen des Staates in gewissem Umfang geschützt und so ihrer Funktion am besten gerecht werden. Vgl. (zu Hochschulen) etwa Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 III, Rdnr. 133; BVerfG v. 1.3.1978 —-1 BvR 333/75 u.a. — BVerfGE 47, 327, 370 = NJW 1978, 1621 ff; (zu Rundfunkanstalten) BVerfG v. 16.6.1981 — 1 BvL 604/76 u.a.

2. Kap.: Kompetenz und Staatsorganisation

133

stischen Personen des öffentlichen Rechts sowie die Zuweisung der jeweiligen Kompetenzen erfolgt dabei grundsätzlich durch formelles Gesetz66.

DL Gründe und Ziele der Kompetenzordnung Diese hier nur grob skizzierte Auffacherung der Ausübung von Staatsgewalt durch eine Vielzahl von Organen läßt sich unter verschiedenen Gesichtspunkten erfassen. Ausgehend von den einzelnen Organen durch Verfassung oder Gesetz übertragenen Kompetenzen kann unter einem („formalen") organisatorischen Aspekt der instrumentelle Charakter der Kompetenzordnung betont werden. Ebenso wie die einzelne Kompetenz stets zweckbezogen ist, nämlich nur im Hinblick auf die und im Rahmen der zu erledigenden Aufgabe wahrgenommen werden darf 67 , ist die Gesamtheit der Kompetenzen bezogen auf die Gesamtheit der Aufgaben. Die einzelnen Organe stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern sind durch ein dichtes Netz einander ergänzender und aufeinander bezogener Kompetenzen miteinander verbunden. Die Ausübung der Staatsgewalt vollzieht sich hierdurch in einem vielfältig aufgegliederten Prozeß. Unter diesem formalen Aspekt betrachtet besitzt die Kompetenzordnung eine Ordnungsfunktion 68 und dient der arbeitsteiligen Erfüllung staatlicher Aufgaben 69. Diese eher deskriptiven Ausführungen erschließen jedoch nicht den normativen Sinngehalt einer vielfältigen Aufgliederung der Staatsgewalt, da sie über die Gründe und Ziele weder der Gewaltentrennung im allgemeinen noch der Zuordnung einzelner Kompetenzen zu bestimmten Organen im besonderen — BVerfGE 57, 295, 320 = DVB1. 1981, 915 ff ; BVerfG v. 22.2.1994 — 1 BvL 30/88 — BVerfGE 90,60, 88. 65 Zu diesen Begriffen vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 45 ff, bes. S. 49; Rudolf Verwaltungsorganisation, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 53, Rdnr. 1. 66 Zum (hier nicht weiter zu verfolgenden) Problem, ob es stets eines Gesetzes bzw. einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung bedarf (institutioneller Gesetzesvorbehalt) zusammenfassend Rudolf Verwaltungsorganisation, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht § 53, Rdnr. 5. 67 Stettner, Kompetenzlehre, S. 159 ff; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 177; s.a. Schlink, Amtshilfe, S. 85, Fußn. 1. 68 Stettner, Kompetenzlehre, S. 306 f. 69 Vgl. Maurer, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), 135, 158; Oldiges, Diskussionsbeitrag ebd. S. 214, 215; Stettner, Kompetenzlehre, S. 138, 307; speziell auf die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Verwaltung bezogen Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §21, Rdnr. 46; Rasch, Rechtsnatur organisatorischer Maßnahmen, DVB1. 1983,617.

134

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

Auskunft geben. Was die Kompetenzordnung bewirkt und was die Zuordnung von Aufgaben an einzelne Staatsorgane bewirken soll, erschließt sich augenfälliger, wenn man das Beziehungsgefüge näher betrachtet, das durch die kompetentielle Gliederung des Staates begründet wird. Drei Aspekte lassen sich hierbei besonders herausstellen, die unterschiedliche, durch Kompetenznormen begründete Beziehungen verdeutlichen: Zum einen regelt und begrenzt die Kompetenzordnung die Ausübung der Staatsgewalt insgesamt im Verhältnis zum einzelnen. Diese rechts- und sozialstaatliche Komponente der Zuständigkeitsverteilung betrifft die Frage der Vorhersehbarkeit, Kontrollierbarkeit und Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns durch klare und eindeutige Zuordnung von Aufgaben und Befugnissen an einzelne staatliche Organe 70. Der Grundrechtsbezug staatlicher Organisation findet seinen vornehmsten Ausdruck im Verständnis der Grundrechte als negativer Kompetenzbestimmungen71, die den Freiheitsbereich des einzelnen gegen die Ausübung staatlicher Macht sichern. Ferner wird durch die Zuteilung von Kompetenzen das Verhältnis der staatlichen Organe untereinander im Sinne einer Abgrenzung der jeweiligen Handlungsbereiche fixiert 72 ; und schließlich läßt sich — zunächst auf der Ebene der Verfassung — eine besondere Beziehung zwischen der zu bewältigenden Staatsaufgabe einerseits und dem hierzu beauftragten Organ andererseits herstellen 73. Von diesen besonderen Aspekten der Kompetenzordnung sind im vorliegenden Zusammenhang zuvörderst die beiden letztgenannten relevant. Sie betreffen vor allem das „Innenverhältnis des Staates", das bei der Frage nach einer Normverwerfungsbefugnis der Verwaltung im hier behandelten Umfang 74 im Zentrum steht.

70

Vgl. Krebs, Verwaltungsorganisation, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 69, Rdnr. 77; Stettner, Kompetenzlehre, S. 320 ff. 71 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 291 ; zum Problem, ob nicht umgekehrt Kompetenznormen Grundlage grundrechtseinschränkender staatlicher Tätigkeit sein können („positives" Kompetenzverständnis) vgl. zusammenfassend (jedoch ablehnend) Selk, Asylrecht und Verfassung, S. 105 ff., bes. 108 ff.; dens., Einschränkung von Grundrechten, JuS 1990 895, insbs. 897 ff. Jew. m.w.N. Siehe sogleich unter 1. 73 Siehe sogleich unter 2., S. 138 ff. 74 Nämlich nur in bezug auf von deutschen Hoheitsträgern gesetzte Rechtsnormen, vgl. dazu oben, 1. Teil, 1. Kap., Π.2., S. 31 f.

2. Kap.: Kompetenz und Staatsorganisation

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1. Abgrenzung von Handlungsbereichen einzelner Organisationseinheiten Aus der Kompetenzzuweisung an ein staatliches Organ folgt zugleich die Abgrenzung und Begrenzung der Handlungsrahmen anderer staatlicher Organisationseinheiten75.

a) Gewaltenteilung und Kernbereichslehre Dieser „negative" Aspekt tritt als „Relativierung staatlicher Herrschaftsgewalt" 7 6 besonders hervor, wenn das grundgesetzliche Prinzip der Gewaltenteilung als Instrument der Mäßigung staatlicher Macht verstanden wird 7 7 . Aus der Unterscheidung der Staatsfunktionen in Art. 20 Abs. 2 GG wird auf ein (abstraktes) Gebot der Trennung der verschiedenen Funktionsträger und ein grundsätzliches Verbot „funktionsfremder" Tätigkeit geschlossen, das nur kraft besonderer Rechtfertigung aufgehoben werden darf. Neben diesem, Gewalten und Macht aufteilendem, Aspekt wird auch der Gesichtspunkt der gegenseitigen Kontrolle als mäßigendes Element verstanden. Schließlich wird die Aufgliederung innerhalb der jeweiligen Funktionsträger als „Gewaltenteilung innerhalb der Gewalten" 78 dem Balancierungs- und Kontrollzweck zugeordnet 79. Dieses Verständnis von Gewaltenteilung stellt in erster Linie auf das „Außenverhältnis" ziun Bürger ab und setzt die Aufgliederung der Ausübung hoheitlicher Gewalt in eine besondere Beziehung zum Freiheitsbereich des einzelnen80. 75

Zum Verständnis von Kompetenzzuweisungen als Ermächtigung und Beschränkung vgl. schon Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 450. 6 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 22 Rdnr. 87. 77 Vgl. etwa BVerfG v. 18.12.1953 — 1 BvL 106/53 — BVerfGE 3, 225, 247 = NJW 1954, 65 ff.; BVerfG v. 28.11.1957 — BVerfGE 7, 183, 188 = NJW 1958, 97; BVerfG v. 27.4.1959 — 2 BvF 2/58 — BVerfGE 9, 268, 279; BVerfG v. 10.10.1972 — 2 BvL 51/69 — BVerfGE 34, 52, 59 = NJW 1973, 451 f. = DÖV 1973, 132 f.; Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art. 20 Rdnrn. 461 f. m.w.N.; Schmidt-Aßmann, Rechtsstaat in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 24 Rdnr. 49. Begriff nach Leisner, Gewaltenteilung innerhalb der Gewalten", Festgabe f. Th. Maunz, S. 267 ff., der in der gegenseitigen Machthemmung durch Kontrolle den (einzigen?) Grundgedanken der Gewaltenteilungslehre erblickt und die vielfachen Subdivisionen innerhalb der Gewalten als deren Schwächung beurteilt. Dadurch gehe unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG das Gleichgewicht zwischen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung verloren (a.a.O., bes. S. 279 ff., 282 f.); - Kritisch zur Argumentation Leisners Schlink, Amtshilfe, S. 16 ff. 79 Stern, Staatsrecht II, § 36 IV 4 χ), S. 541. 80 Vgl. etwa Kirchhof Mittel staatlichen Handelns, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, §59 Rdnr. 21.

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3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

Allerdings kann ein derart formuliertes Gewaltenteilungsprinzip für die Abgrenzung einzelner Kompetenzen nur in engen Schranken fruchtbar gemacht werden. Denn es setzt voraus, daß die (idealtypische) Funktionenunterscheidung auch inhaltlich aufgefüllt zu werden vermag, so daß eine eindeutige Zuordnung von Funktion und Funktionsträger, von Organ und Kompetenz auch dort möglich ist, wo sich Inhalt und Grenzen der zugewiesenen Befugnisse nicht aus speziellen Kompetenznormen ermitteln lassen. Diese inhaltliche Bestimmung ist indes nicht gelungen81, wie sich am augenfälligsten in den vielfältigen Versuchen zeigt, den Begriff der „Verwaltung" anders als lediglich negativ zu definieren 82. An ihre Stelle tritt die Formulierung „des" Gewaltenteilungsprinzips als eines Grundsatzes, „der den 'Kernbereich' jeder Funktion vor Übergriffen und Überlagerungen durch eine andere schützt" 83 . Die Schwierigkeit, den jeweiligen Kernbereich einer Funktion zu bestimmen, findet ihre Ursache wiederum in der Unbestimmtheit des Funktionenbegriffs 84. Damit steht jedoch erneut die grundlegende Frage im Raum: „Wie sollte, wenn man die Grenzen nicht kennt, festgestellt werden, ob über sie hinweg ' eingegriffen ' wurde"? 85 . Bereits das der Kernbereichslehre zugrundeliegende Denkmodell „der" Gewaltenteilung als der grundgesetzlichen Rechtsordnung zugewiesenes Organisations- und Funktionenmodell erweist sich als fragwürdig 86 . Es nötigt zu der Annahme vielfältiger Durchbrechungen eines Verfassungsgrundsatzes durch die Verfassung selbst87, der dadurch seinerseits „entwertet" wird und

81 Achterberg, Funktionenlehre, S. 1; Leisner, Quantitative Gewaltenteilung, DÖV 1969, 405 ff; Ossenbühl, Gewaltenteilung, DÖV 1980, 545, 548; Zimmer, FunktionKompetenz-Legitimation, S. 19. Vgl. etwa Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §1, Rdnrn. 7 f.; Wolff/ BachoßStober, Verwaltungsrecht I, § 2, Rdnrn. 4 ff; die dort (a.a.O., Rdnr. 12) angegebene Definition kommt über eine bloße Beschreibung nicht hinaus und bestätigt die These Forsthoffs (Verwaltungsrecht I, S. 1), Verwaltung lasse sich nur beschreiben, nicht aber definieren. 83 So Stern, Staatsrecht Π, § 36IV 5, S. 541 mw.N. (Hervorhebung im Original). — Zur Problematik der Kernbereichslehre im Zusammenhang mit der Frage der Verwerfungskompetenz vgl. oben 2. Teil, 3. Kap., III. 1 .b), S. 117 f. 4 Achterberg, Funktionenlehre, S. 201 bemerkt dazu, „daß jede Abgrenzung eines Kernbereichs einer Funktion ausgeschlossen ist [...], solange der [...] (Gesamt-) Bereich einer Funktion ungeklärt ist". Zur Kritik an der Bestimmung der „Funktionen nach materiellen Begriffen" vgl. Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 22 ff. 85 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 27. 86 Maurer, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43, 135, 150. 87 BVerfG v. 18.12.1953 — 1 BvL 106/53 — BVerfGE 3, 225, 247 = NJW 1954, 65 ff ; BVerfG v. 27.4.1959 — 2 BvF 2/58 — BVerfGE 9, 268, 279; BVerfG v. 10.10.1972 — 2 BvL 51/69 — BVerfGE 34, 52, 59 = NJW 1973, 451 f. = DÖV 1973, 132 f.; kritisch deshalb etwa Leisner, Quantitative Gewaltenteilung, DÖV 1969 405, 408; ferner Hesse, Grundzüge, Rdnrn. 481 f. , Maurer, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43, 135, 150; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 27 ff

2. Kap.: Kompetenz und Staatsorganisation

137

seine „dirigierende und maßstabsetzende Kraft" verliert 88 . Durch das Grundgesetz ausdrücklich zugewiesene Kompetenzen, die den „Verfassungsalltag" prägen und die Gewichte der Verfassungsorgane untereinander konkret bestimmen, werden als „Gewaltenverschränkungen und -balancierungen" 89 begriffen, mithin als Ausnahmen eines als „rein" vorgestellten Gewaltenteilungsprinzips vorkonstitutioneller Prägung 90. Deutet man demgegenüber die Gesamtheit der verfassungsrechtlichen Kompetenznormen als Konkretisierungen der spezifisch grundgesetzlichen Gewaltenteilung 91 , entfallt nicht nur die als Kompetenzgrenze gedachte Kernbereichslehre zugunsten der ausdrücklich verliehenen Befugnisse. Zugleich schwindet die Bedeutung des Mäßigungs-, Machthemmungs- und Kontrollgedankens als Auslegungsgesichtspunkt und Argument zur Klärung konkreter Kompetenzkonflikte sowie zur Abgrenzung von Handlungsbereichen staatlicher Organe.

b) Exklusivität von Kompetenzzuweisungen Eine stärker auf das „Innenverhältnis" des Staates gerichtete („konstruktive") Sichtweise betont dagegen den Zusammenhang von Aufgabe, Aufgabenzuweisung und Befugnis und erkennt den konstitutiven Charakter von Kompetenznormen 92; erst die Übertragung einer Aufgabe macht die damit betraute Organisationseinheit handlungsfähig 93. Die Aufgabenerfüllung ist der jeweils beauftragten Stelle verpflichtend zugewiesen; zugleich aber werden die einzelnen Organe in ihren Handlungsmöglichkeiten auf den Umfang der jeweiligen Aufgabe begrenzt und von der Wahrnehmung anderer Aufgaben ausgeschlossen. Kompetenznormen wirken auf diese Weise exklusiv 94 . Hierdurch wird die 88

So Ossenbühl, Gewaltenteilung, DÖV 1980, 545. Vgl. z.B. BVerfG v. 10.10.1972 — 2 BvL 51/69 — BVerfGE 34, 52, 59 = NJW 1973 451 f. = DÖV 1973, 132 f. 96 Maurer, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43, 135, 150. 91 Hesse, Grundzüge, Rdnrn. 481 ff.; Maurer, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), 135, 150 f. 92 Knemeyer, Schutz der Allgemeinheit, VVDStRL 35 (1976), 221, 235 f.; Schnapp, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), 172, 185; für behördliche Zuständigkeiten siehe nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21, Rdnr. 52 („Die Zuständigkeit bildet also Grund und Grenze ihres [seil.: der Behörde] Handelns"). 93 Schnapp, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), 172, 186; Oldiges, Diskussionsbeitrag, ebd., S. 214, 215; vgl. auch Krebs, Verwaltungsorganisation, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR ΙΠ, § 69 Rdnr. 24. 94 Schnapp, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), 172, 186 f.; Oldiges, Diskussionsbeitrag, ebd., S. 214, 215; Stettner, Kompetenzlehre, S. 306 („Grundsatz der 89

138

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

Widerspruchsfreiheit staatlicher Machtausübung auch zwischen Organen gewährleistet, die zueinander nicht in hierarchischen Über-/ Unterordnungsverhältnissen stehen95 und die die Einheitlichkeit von Entscheidungen nicht bereits kraft organisationsrechtlicher Bestimmungen herzustellen vermögen. Das schließt Ungewißheiten über den jeweiligen Kompetenzumfang gewiß nicht aus, insonderheit nicht, wenn mehrere Organe bei der Erfüllung einer Aufgabe zusammenwirken oder jedenfalls für ihre Erledigung gleichermaßen berufen sind 96 bzw. wenn die Zuständigkeiten verschiedener Organe konkurrieren 97 . Doch vermag der Gedanke der Exklusivität von Kompetenzzuweisungen als Auslegungsgesichtspunkf* im Hinblick auf die Vermeidung von Doppelzuständigkeiten fruchtbar gemacht zu werden 99 .

2. Verwirklichungsmodus

sachgerechter Aufgabenerfüllung

Die Aufgliederung der Aufgabenerfüllung auf unterschiedliche Organe läßt sich nicht auf die bloß formale Abgrenzung von Zuständigkeiten reduzieren. Ist alles staatliche Handeln zweckbezogen, so bedarf es einer spezifischen Zuordnung von zu erreichenden Zwecken und den hierfür beauftragten Organen. Auf der Ebene der Verfassung bietet diese Perspektive eine Abkehr von der abAusschließlichkeit der Kompetenz"); vgl. auch Brohm, Steuerungsmechanismen, DÖV 1987, 265, 269 („Die absolute Respektierung der Kompetenzordnung gehört jedoch gerade zu den grundlegenden Regeln des Organisationsrechts, von denen nur kraft ausdrücklicher positivrechtlicher Festlegung abgegangen werden kann"); allgemein zu „Raumeröffnung und Raumbegrenzung von Aufgabenzuweisungsnormen Knemeyer, Aufeabenzuweisungsnormen, DÖV 1978, 11 f. Vgl. Knöpfte, „Tatbestands-" und „Feststellungswirkung", BayVBl. 1982, 225, 228 f. 96 Dies kann in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen der (Konflikt-)Fall sein. So steht etwa die Aufgabe der Staatsleitung Regierung und Parlament gemeinsam zu (vgl. Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, V, Rdnrn. 103 f.); Probleme können sich ferner beispielsweise ergeben im Verhältnis von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit oder innerhalb der Verwaltung, z.B. bei der Gefahrenabwehr durch Behörden verschiedener Verwaltungsträger (vgl. Art. 6 BayLStVG) etc. 97 Vgl. etwa für das Problem mehrfacher Genehmigungsbedürftigkeit eines Vorhabens, das als Frage nach der Bindungswirkung von Verwaltungsakten vor allem ein Kompetenzproblem darstellt, Gaentzsch, Konkurrenz paralleler Anlagengenehmigungen, NJW 1986,2787 ff, insbes. 2792 f.; s.a. Bryde, Einheit der Verwaltung, VVDStRL 46 (1988), 181,209 ff. und unten 4. Kap., III. 1., S. 164 ff. 98 Die Ungewißheiten über den Umfang der Kompetenzen sind also in diesen Fällen vor allem ein Interpretationspróbìem, vgl. Schnapp, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43(1985), 172, 187. 99 Siehe etwa OVG Münster v. 13.9.1995 — 13 A 3687/94 — NVwZ-RR 1996, 185, 186; Stettner, Kompetenzlehre, S. 306.

2. Kap.: Kompetenz und Staatsorganisation

139

strakten, auf die Trennung der drei Gewalten fixierten, Sichtweise und eine Hinwendung zu den konkret konstituierten Verfassungsorganen und ihren positiv zugewiesenen Kompetenzen.

a) Gewaltenteilung als Element rationaler Staatsorganisation Ausgangspunkt dieser Perspektive ist die Erkenntnis, daß die Verfassung im demokratischen Rechtsstaat nicht eine bereits bestehende Staatsgewalt nachträglich einschränkt, sondern überhaupt erst deren Grundlage bildet 1 0 0 und ihre Ausübung durch die Konstituierung staatlicher Organe sowie die Zuweisung bestimmter Aufgaben und Befugnisse erst ermöglicht 101 . Aufgabenerfüllung aber bedeutet die tatsächliche Bewältigung realer Sachprobleme in der sozialen Wirklichkeit. Das allerdings macht es erforderlich, daß die jeweils beauftragten Organe über die hierzu erforderlichen personellen, sachlich-instrumentellen und organisatorischen Voraussetzungen verfügen 102 , um eine sachgerechte Erledigung der Aufgaben zu gewährleisten, „...faktisches Können und rechtliches Dürfen stehen in einem inneren Zusammenhang; eine Kompetenz liegt nicht vor, wenn eine dieser Voraussetzungen fehlt" 1 0 3 . Gewaltenteilung in Form der konkreten, durch das Grundgesetz konstituierten Organe und ihrer Kompetenzen ist damit ein Element einer rationalen Staatsorganisation, die weniger nach materiellen Funktionsbegriffen als danach differenziert, welches Organ seiner Art nach über die besten Voraussetzungen für eine sachgerechte Aufgabenwahrnehmung verfügt 104 . Dieser, mit den Begriffen der „funktionsge100 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 33; Schnapp, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), 172, 185; s.a. Stettner., Kompetenzlehre, S. 7 f. Mit Stettner, Kompetenzlehre, S. 305, ist also weniger von der begrenzenden, als vielmehr von der begrenzten Natur zugewiesener Zuständigkeiten zu sprechen. 102 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 51, 178 ff.; vgl. auch Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 539 f. 103 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 179. 104 Brohm, Steuerungsmechanismen, DÖV 1987,265, 269; v. Danwitz, Funktionsgerechte Organstruktur, Der Staat 35 (1996), S. 329, 331 ff ; Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 175 ff, bes. S. 177; Hesse, Grundzüge, Rdnrn. 475 ff, 482; Maurer, Verwaltungsvorbehalt VVDStRL 43 (1985), 135, 158; die Rechtsprechung des BVerfG versucht in neueren Judikaten den Aspekt der gegenseitigen Hemmung mit dem der sachgerechten Aufgabenerfüllung zu verbinden, vgl. etwa BVerfG v. 18.12.1984 — 2 BvE 13/83 — BVerfGE 68, 1, 86 = NJW 1985, 603 = DVB1. 1985, 226 ff ; jüngst BVerfG v. 17.7.1996 — 2 BvF 2/93 — BVerfGE 95, 1, 15 = NJW 1997, 383; zustimmend Schmidt-Aßmann, Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 24, Rdnrn. 46 ff; ders., in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einleitung, Rdnr. 56; zur Entwicklung des Gedankens eines „funktionsadäquaten Organisationsschemas" vgl. Stern, Staatsrecht II, § 36 II, S. 521 ff., 526.

140

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

rechten Organstruktur" 105 bzw. der „organadäquaten Funktionenverteilung" 106 schlagwortartig zusammengefaßte, „positive" Aspekt der Gewaltenteilung — bereits in der klassischen Formulierung der Gewaltenteilungsidee angelegt 107 — kann als „organisatorisches Grundprinzip der Verfassung" 108 verstanden werden, das die gesamte Rechts- und Kompetenzordnung durchzieht.

b) Funktionsgerechtigkeit als Auslegungsgesichtspunkt und Abgrenzungsmerkmal Der Gedanke der Funktionsgerechtigkeit vermag der im Grundgesetz für die Verfassungsorgane konkretisierten wie generell für die drei Organgruppen angelegten Kompetenzordnung als Auslegungsgesichtspunkt zu dienen 109 , der auch auf die Elemente der vertikalen Gewaltenteilung 110 erstreckt werden kann. Anknüpfungspunkt ist insofern indes nicht eine abstrakte Staatsfünktion, sondern das jeweilige durch das Grundgesetz konstituierte und mit Kompetenzen ausgestattete Staatsorgan. Als staatsorganisatorisches Grundprinzip vermag der Gedanke der Zuordnung von Aufgaben zu den für ihre Erfüllung jeweils geeigneten Organen aber auch jenseits ausdrücklicher Kompetenzzuweisungen wirksam zu werden, indem die spezifische Leistungsfähigkeit der jeweiligen Organe — geprägt durch ihre Zusammensetzung, innere Organisation sowie die ihnen 105

Küster, Gewaltenproblem, AöR 75 (1949), S. 397 ff., 402, 404 ff; aufgegriffen v.a. von Ossenbühl, Gewaltenteilung, DÖV 1980, 545, 548 f.; ders., Vorbehalt des Gesetzes, in: Gö\zI¥AzmlStarck, Die öffentliche Verwaltung, S. 9, 27; ders., Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 62 Rdnr. 48; zuletzt ausfuhrlich v. Danwitz, Funktionsgerechte Organstruktur, Der Staat 35 (1996), S. 329 ff. — In dieser Bezeichnung klingt die Abgrenzung unterschiedlicher staatlicher Funktionen durch, die allerdings nur Typen staatlicher Tätigkeit beschreiben kann und keinen abschließenden Charakter besitzt. Mit dem Hinweis, daß „die sachgemäße Erfüllung der Aufgaben starre Grenzziehungen" nicht zulasse, deutet Hesse (Grundzüge, Rdnr. 487) auf die eigentliche Verknüpfung, nämlich von zu bewältigender Aufgabe und hierfür zuständigem Organ, hin. 106 Zippe lius, Allgemeine Staatslehre, § 31 II 3; vgl. auch Hesse, Grundzüge, Rdnr. 489; zu den beiden Aspekten, die mit diesen Begriffen angesprochen werden, s.u.OS. 141. 107 Vgl. dazu v. Danwitz, Funktionsgerechte Organstruktur, Der Staat 35 (1996), S. 329, 331 f.; Schlink, Amtshilfe, S. 16 ff. 108 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 498. 109 v. Danwitz, Funktionsgerechte Organstruktur, Der Staat 35 (1996), 329, 339 f.; vgl. auch die in BVerfG v. 18.12.1984 — 2 BvE 13/83 — BVerfGE 68, 1, 87 f. = NJW 1985, 603 = DVB1. 1985, 226 ff. angestellten Erwägungen zur Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs zum Kompetenzbereich der Regierung. 110 So Frenz, Gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie, Die Verwaltung 28 (1995), S. 33,44 im Hinblick auf die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung.

2. Kap.: Kompetenz und Staatsorganisation

141

jeweils zur Verfügung stehenden Verfahren — zu den zu bewältigenden Aufgaben in Beziehung gesetzt werden 111 . So kann der Gedanke der Funktionsgerechtigkeit für die Auslegung von Kompetenzbestimmungen fruchtbar gemacht werden.

c) Konkretisierungsauftrag an den Gesetzgeber Die sinnvolle, also der jeweiligen Aufgabe angemessene Ordnung und Verteilung von Kompetenzen ist auch unterhalb der verfassungsrechtlichen Ebene gefordert. Der Kompetenzen verteilende Gesetzgeber ist gehalten, die sich aus dem „positiv" verstandenen Gewaltenteilungsprinzip ergebenden Forderungen bereichsspezifisch zu konkretisieren 112 . Dabei wirkt der Konkretisierungsauftrag in doppelter Hinsicht 113 : Dem Gebot „organadäquater Funktionenverteilung" entsprechend sind die jeweiligen Aufgaben Organen zu übertragen, die zu ihrer Erfüllung auch tatsächlich in der Lage sind 114 . Umgekehrt erfordert das Gebot „fünktionsgerechter Organstruktur" die Gewährleistung sachgerechter Aufgabenerfüllung durch eine den jeweiligen Anforderungen entsprechende Organisation, durch adäquate personelle und materielle Ausstattung der jeweiligen Organe bzw. durch die entsprechende Ausgestaltung der bei der Kompe-

111

Diese funktionsadäquate und verfahrensbezogene Betrachtungsweise wird zunehmend zur Bestimmung der jeweiligen Aufgaben herangezogen; vgl. etwa für die Legislative Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 249 ff.; zum Gesetzgebungsverfahren Schulze-Fielitz, Gesetzgebung, S. 174 ff, 255 ff.; zum Verhältnis von Legislative und Exekutive Ossenbühl, Gewaltenteilung, DÖV 1980, 545, 550 f. (am Beispiel des Atomrechts); zur Exekutive als Trägerin des „Rechtskonkretisierungsverfahrens" Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 165 ff.; Maurer, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), 135, 156 ff.; Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 543 ff., 585 ff.; Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 145, 164 ff.; vgl. auch Zimmer, a.a.O. S. 266 ff.; zum Verhältnis von Exekutive und Judikative vgl. nur Ossenbühl, Gewaltenteilung, DÖV 1980, 545, 551 ff. (wiederum am Beispiel des Atomrechts), Scholz und Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 ( 1976), 145 ff., 221 ff., zur Judikative wiederum Zimmer, a.a.O., S. 288 ff.; zuletzt Voßkuhle, Rechtsschutz, insbes. S. 94 ff.; speziell zu den Kompetenzen des BVerfG jüngst Schulte, Verfassungsgerichtsbarkeit, DVB1. 1996, 1009 ff., bes. 1012-1016; grundlegend Hesse, Funktionelle Grenzen, in: FS f. Hans Huber, S. 261 ff., bes. S. 264 ff. 112 v. Danwitz, Funktionsgerechte Organstruktur, Der Staat 35 (1996), S. 329 ff., 340. 113 Zu beiden Aspekten auch v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 47 f. 114 Dem entspricht das Verbot, einem Organ Befugnisse zuzuweisen, wemi er zu einer verantwortlichen Aufgabenerledigung nicht imstande ist, vgl. Zimmer, FunktionKompetenz-Legitimation, S. 179.

142

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

tenzwahrnehmung zu durchlaufenden Verfahren 115 . Die Forderung nach einer spezifischen Zuordnung von zu erfüllender Aufgabe und hierzu beauftragtem Organ ist also mehrdimensional angelegt.

d) Der normative Gehalt von Organ- und Funktionsadäquanz Eine derartige, aus der grundgesetzlichen Funktionentrennung hergeleitete, Forderung nach Organ- und Funktionsadäquanz vermag naturgemäß nur einen groben Maßstab für konkrete Kompetenzzuweisungen abzugeben. Das Postulat sachgemäßer Aufgabenerfüllung darf nicht mißverstanden werden als ein alles überspielendes Kriterium effektiver, also rein wirtschaftlicher Erledigung zu bewältigender Agenden. Was im Einzelfall je „sachgemäß" ist, beurteilt sich nach Maßgabe der relevanten verfassungsrechtlichen Wertungen, der betroffenen Rechtsgüter, der zu erbringenden Legitimationsleistung und dergleichen 116 . Entsprechend weit wird der Spielraum des kompetenzzuweisenden Gesetzgebers einzuschätzen sein, ohne daß die Formel von der „fünktionsgerechten Organstruktur" zur bloßen Leerformel verkümmern müßte 117 . So läßt sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum prozeduralen Grundrechtsschutz 118 auch als Beispiel dafür anführen, wie grundgesetzliche Wertungen in Aufgabenzuweisungen und die verfahrensmäßige Ausgestaltung der Inanspruchnahme von Kompetenzen einzufließen haben 119 . Eine Grenze der dem Gesetzgeber bei der Zuweisung von Aufgaben zukommenden Einschätzungsprärogative muß dementsprechend dann angenommen werden, „wenn die vorhandene Entscheidungsstruktur keine Gewähr für eine sachgerechte Entschei-

115 Vgl. etwa Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 270 ff, 277; Krebs, Verwaltungsorganisation, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 69 Rdnr. 77; jeweils im Hinblick auf die Organisation der Verwaltung. 1,6 Vgl. Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 138 ff. 117 v. Danwitz, Funktionsgerechte Organstruktur, Der Staat 35 (1996), 329 ff., 346 f.; Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 140 mit dem Hinweis auf die Unbestimmtheit der ebenfalls dem Gedanken der Gewaltenteilung entspringenden Kernbereichslehre bzw. Wesentlichkeitstheorie, die gleichwohl normative Gehalte aufwiesen. 1,8 Vgl. etwa BVerfG v. 20.12.1979 — 1 BvR 385/77 — BVerfGE 53, 30, 65 f.; BVerfG v. 27.11.1990 — 1 BvR 402/87 — BverfGE 83, 130, 152 ff; BVerfG v. 22.2.1994 — 1 BvL 30/88 — BVerfGE 90, 60, 96. 119 Ein anderes Beispiel bildet die Bestimmung des grundgesetzlich geschützten Bereichs kommunaler Selbstverwaltung, vgl. BVerfG v. 23.11.1988 — 2 BvR 1619/83 u.a. — BVerfGE 79, 127, 151 f. = DVB1. 1989, 300 ff. zum SpannungsVerhältnis von Bürgernähe und Verwaltungseffizienz, das nicht einseitig zu Lasten der Gemeinden aufgelöst werden dürfe.

3. Kap: Kompetenzausübung als Konkretisierung

143

dungsfindung mehr bietet" 120 . In diesem Fall wird auch eine Folgenverantwortung des Gesetzgebers angenommen, der entweder die zur Verfugung stehenden Mittel anzupassen121 oder die Aufgabe einem anderen Organ zu übertragen habe 122 .

3. Kapitel

Kompetenzausübung als Konkretisierung im Entscheidungsprozeß I. Relative Wirkbefugnisse im mehrstufigen Konkretisierungsprozeß Die arbeitsteilige Organisation des Staates, die Konstituierung staatlicher Organe und die Zuweisung wie die Wahrnehmung von Kompetenzen vollzieht sich im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung. Nach ihrer Maßgabe sind die realen Sachprobleme von den Staatsorganen in Ausübung der jeweiligen Kompetenzen zu bewältigen. Kompetenzen sind nach der Formulierung Gerhard Zimmers „relative Wirkbefugnisse" 123 ; alles staatliche Handeln zielt ab auf die Gestaltung der Wirklichkeit 124 , also auf die Umsetzung von Zielen und Zwecken in die soziale Realität. Der Zusammenhang von der Formulierung von Zielen, der Benennung von Aufgaben, der Zuweisung der Aufgaben an staatliche Organe, der Wahrnehmung der Aufgabe durch diese bis hin zur Veränderung der Wirklichkeit läßt sich als Prozeß schrittweiser Konkretisierung verstehen125, der im Zusammenwirken kompetenter staatlicher Stellen betrieben wird. Der Terminus „Konkretisierung" läßt sich dabei sowohl auf dieses Zusammenwirken als auch auf die Tätigkeit jeweils einzelner Organe 126 beziehen.

120 V. Danwitz, Funktionsgerechte Organstruktur, Der Staat 35 (1996), 329 ff., 347 mit Hinweis auf BVerfG v. 22.2.1994 — 1 BvL 30/88 — BVerfGE 90, 60, 98 f.; ähnlich Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 141; auf die Sicherstellung der Aufgabenerfüllung stellt auch BVerfG v. 23.11.1988 — 2 BvR 1619/83 u.a. — BVerfGE 79, 127, 153 = DVB1. 1989 300 ff. ab. Knemeyer, Aufgabenzuweisungsnormen, DÖV 1978, 11, 16. 122 Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 48. 123 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 187. 124 Vgl. Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 76 ff; zum dynamischen Charakter der Verfassungsordnung als Verfassungsprozeß vgl. Brunner, Kontrolle, S. 23 f. 125 Krebs, Kontrolle, S. 27; Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 257 ff. 126 Dazu sogleich unten III. 1., S. 151 f.

144

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

Dabei bezeichnet der Begriff der Konkretisierung nicht eine bestimmte Methodik der (Verfassungs-) Interpretation 127 , deren Ergebnis auf der Ebene des Verfassungsrechts den Inhalt der Verfassungsnorm im Hinblick auf ein konkretes Problem darstellt 128 . Rechtskonkretisierung bezeichnet im hiesigen Kontext vielmehr einen über die reine Nonninterpretation hinausgehenden Akt der Rechtsschöpfung, der Normausfüllung und -ergänzung 129 in bezug auf das zu entscheidende Sachproblem durch das Setzen konkreten (oder im Verhältnis zur auszufüllenden oder zu ergänzenden Norm jedenfalls konkreteren) Rechts 13°, das aus der jeweiligen Vorschrift hergeleitet 131 , aber nicht mit ihr identisch ist. Dem durch die Wahrnehmung verliehener Kompetenzen konkretisierten Recht wächst nicht aller Gehalt zu, der sich im Entscheidungsergebnis als „konkretes" oder doch konkreteres Recht niederschlägt. Der Begriff der Konkretisierung ist nicht beschränkt auf den Erlaß abstrakt-genereller Normen durch den Gesetzgeber, der dadurch „konkretisiertes Verfassungsrecht" 132 schafft. Auch Rechtsnormen sind in ihrer Mehrzahl konkretisierungsbedürftig und -fähig; die Umsetzung der in ihnen enthaltenen Ge- oder Verbote, die Ausfüllung der durch sie eröffneten Entscheidungsspielräume, generell: jede Rechtsanwendung ist ebenso Konkretisierung durch sachverhaltsbezogene Setzung konkreten Rechts 133 .

127 Vgl. Hesse, Grundzüge, Rdnrn. 60 ff. („Verfassungsinterpretation als Konkretisierung"); Stern, Staatsrecht III/2, § 95 IV 4, S. 1712 ff. 128 Zur Kritik an der Konzeption Hesse s vgl. Ernst-Wolf gang Böckenförde, Methoden der Verfassungsinterpretation, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 53, 75 ff. 129 Siehe etwa Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 165 ff. 130 Zur Mehrdeutigkeit des Begriffs der „Konkretisierung" Wahl, Vorrang der Verfassung, Staat 20 (1981), 485, 506: „Schöpferisches 'Entfalten' der Verfassungsnorm kann nämlich zweierlei bedeuten: zum einen Konkretisieren im Sinne der Auslegung der Verfassungsnormen durch Interpretation [...] und zum anderen im Sinne des Weiterdenkens der verfassungsrechtlichen Impulse durch den Gesetzgeber". 131 In diesem Sinne auch Gusy, Administrativer Vollzugsauftrag, DVB1. 1987, 497, 498. 132 Vgl. Werner, „Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht", DVB1. 1959, 527 ff, dessen Ausführungen ebenfalls über die materielle Gesetzgebung hinausgreifen und auf die „unmittelbare Verfassungsbezogenheit des Verwaltungshandelns" hinweisen (a.a.O., S. 529); siehe auch Wahl, Vorrang der Verfasung, NVwZ 1984, 401, 403. 133 Gusy, Subventionsrichtlinie, GewArch 1980, 324, 327 unter Hinweis auf Krebs, Rechtsetzung der Exekutive, VerwArch 70 (1979), 259, 268; Maurer, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43, 135, 157; Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 145, 161 zur Rechtsanwendung der Verwaltung bzw. der Rechtsprechung: „...als sachverhaltsbezogene Dezision wird konkret-individuelles Recht geschöpft" (Hervorhebung im Original).

3. Kap Kompetenzausübung als Konkretisierung

145

So bildet sich insgesamt ein am hierarchischen Aufbau der Rechtsordnung orientierter mehrstufiger Prozeß der Rechtskonkretisierung im Zusammenwirken kompetenter staatlicher Organe. In diesem Sinne wird davon gesprochen, daß erst mit der letzten Stufe der Prozeß der Rechtsbildung vollendet und das Recht komplettiert werde 134 .

Π. Kompetenzausübung durch Entscheidung 1. Kompetenz als Befugnis zu rechtsverbindlicher

Entscheidung

Die Gemeinsamkeit der im Rahmen dieses Konkretisierungsprozesses ausgeübten und auszuübenden Kompetenzen besteht darin, daß hierbei Entscheidungen getroffen werden, die Geltung beanspruchen 135. Auch eine am Ende dieses Vorganges stehende, keiner Konkretisierung bedürftige oder fähige Tathandlung stellt sich nur als Umsetzung einer Entscheidung dar 136 . Mit dem Begriff der Entscheidung wird somit ein Grundelement staatlichen Handelns bezeichnet; die rechtliche Befugnis zu verbindlicher Entscheidung aber ist die Kompetenz 137 .

2. Entscheidung als Prozeß - das „ innere Verfahren

"

Der Begriff der Entscheidung lenkt den Blick auf den prozeßhaften Charakter der Kompetenzausübung, bezeichnet er doch sowohl das Ergebnis der Entscheidung als auch den Vorgang des Entscheidens138. Die Ausübung von Kompetenzen manifestiert sich zwar in aller Regel in einem formalen Akt dem Gesetzesbeschluß, dem Verwaltungsakt, dem richterlichen Urteil -, der nach wie vor bevorzugter Gegenstand juristischer Betrachtung ist 1 3 9 . Die Ge134

Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 145, 161 f. Vgl. Krebs, Kontrolle, S. 28,42; Stettner, Kompetenzlehre, S. 74; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 77 f.; vgl. bereits Luhmann, Verwaltungswissenschaft, S. 67 ff. im Hinblick auf Verwaltungssysteme. 136 Krebs, Kontrolle, S. 28; vgl. auch Brunner, Kontrolle, S. 66: „Wie jede menschliche Handlung setzt die Gestaltung zwei Dinge voraus: den Willensentschluß und die Willensbetätigung". 137 Krebs, Kontrolle, S. 42; Stettner, Kompetenzlehre, S. 73 ff. 138 Krebs, Kontrolle, S. 29; Walter Schmidt, Probleme des Verwaltungsrechts, Rdnr. 43. 139 Für die Einbeziehung der Erkenntnisse der Entscheidungstheorien und damit die Bedingungen der Entstehung von Entscheidungen bereits Brohm, Dogmatik des Ver135

io Wehr

146

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

bundenheit jedweder staatlicher Entscheidung an Recht und selbstgesetzte oder vorgegebene Zwecke weist sie indes als dem Gebot der Rationalität verpflichtete Tätigkeit aus 140 , die somit auch den Entscheidungsprozeß, die Bedingungen und Methoden der Entscheidungsfindung, analytischer Betrachtung zugänglich macht. Unabhängig davon, daß bezüglich einzelner Entscheidungen normative Vorgaben ausdrücklich die Berufung auf „Macht" oder „Willen" („innerer Ruck" 1 4 1 ) des Entscheidungsträgers ausschließen, kann ein rein „dezisionistischer" Entscheidungsbegriff weder den tatsächlichen Gegebenheiten142 noch der Rechtsbindung staatlichen Handelns gerecht werden 143 . Das schließt nicht aus, daß innerhalb des rechtlich fixierten Entscheidungsrahmens auch „willenhafte Elemente" 144 zur Entscheidungsfindung beitragen 145 .

a) Stationen des Entscheidungsprozesses Die Wahrnehmung verliehener Kompetenzen vollzieht sich somit notwendig in einem (teil-)rationalen Vorgang der Alternativenwahl, in einem Willensbildungs- und Informationsverarbeitungsprozeß 146. Für das Zustandekommen parlamentarischer Gesetze ist hierfür der Begriff des „inneren Verfahrens" geprägt waltungsrechts, VVDStRL 30 (1972), 245, insbes. 285 ff.; Schmitt Glaeser, Partizipation, VVDStRL 31 (1973), 179, 193 ff; ders., Verwaltungsverfahren, in: Boorberg-FS, S. 1, 36 ff.; Stettner, Kompetenzlehre, insbes. S. 74 ff.; Zimmer, Funktion-KompetenzLegitimation, S. 84 ff. 140 Vgl. Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 83: „In einem demokratischen Staatswesen muß ausnahmslos jede Entscheidung gerechtfertigt werden (...). 141 Vgl. die Kritik bei Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaften, S. 51 f. 142 Siehe den Hinweis bei Krebs, Kontrolle, S. 31: „Schon der empirische Befund weist staatliche Entscheidungen vielfach als Ergebnis arbeitsteiliger Entscheidungsvorgänge aus (...). 43 Zur Ablehnung dezisionistischer Entscheidungsmodelle Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 82 f.; zum rechtsstaatlichen Rationalitätsgebot siehe nur Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 469 ff. 144 Vgl. BVerfG v. 14.2.1973 — 1 BvR 112/65 — BVerfGE 34, 269, 287 zur richterlichen Rechtsanwendung: „(...) Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen". 145 Zur Kritik an rein rationalen Entscheidungstheorien vgl. Brohm, Dogmatik des Verwaltungsrechts, VVDStRL 30 (1972), 245,286; Krebs, Kontrolle, S. 31. 146 So für Entscheidungen der Verwaltung Brohm, Dogmatik des Verwaltungsrechts, VVDStRL 30 (1972), 245, 286; ähnlich Walter Schmidt, Probleme des Verwaltungsrechts, Rdnr. 114; Scholz, Verwaltungsverantwoitung, VVDStRL 34 (1976), 145, 149; vgl. auch Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 210 f.; Hufen, Verwaltungsverfahren, Rdnrn. 46 ff.; die Formulierung ist indes auf jede staatliche Entscheidung übertragbar, vgl. Krebs, Kontrolle, S. 31.

3. Kap Kompetenzausübung als Konkretisierung

147

worden 147 . Im Unterschied zum „äußeren Verfahren" 148 als rechtlich geordneter, den zeitlichen Ablauf strukturierender, Abfolge einzelner Stationen ist damit die Methodik der Entscheidungsfindung gemeint. Als Bezeichnung für den jeder staatlichen Entscheidung immanenten Entscheidungsprozeß läßt sich der Begriff jedoch generell auf alle staatlichen Tätigkeiten erstrecken 149. Der Vorgang des Entscheidens läßt sich gedanklich in verschiedene Stadien untergliedern, die als notwendige, funktional unterscheidbare Elemente von Entscheidungsprozessen zwar „in der Zeit" existieren, jedoch nicht im Sinne einer zeitlich-linearen Reihenfolge, sondern vielmehr problemvariabel — gegebenenfalls unter Wiederholung einzelner Phasen — eingesetzt werden 150 . Vom Gedanken der Konkretisierung ausgehend, lassen sich zunächst Anfangsund Endpunkt dieses Entscheidungsvorganges bezeichnen: Zu Beginn muß die Festlegung des zu erreichenden Ziels erfolgen, am Schluß steht die Entschließung über die konkret zur Zielerreichung zu ergreifenden Mittel als formaler Abschluß der Entscheidungsbildung151. Zwischen diesen Polen bewegen sich die weiteren Elemente, die vor allem in der Ermittlung der realen Bedingungen sowie der Bezeichnung und Auswahl der Entscheidungsalternativen bestehen. Grob strukturiert lassen sich so fünf Stadien unterscheiden: (1) die Festlegung des zu erreichenden Ziels, (2) die Information über den tatsächlichen Zustand der Wirklichkeit, (3) die Formulierung der Entscheidungsalternativen, (4) Abwägung und Auswahl sowie (5) die Beschlußfassung 152. Jede dieser Phasen kann normativ vorgeprägt oder in unterschiedlicher Konkretheit vorentschieden sein. (1) So werden durch das Grundgesetz selbst Staatsziele und grundlegende Wertentscheidungen (etwa: Schutz der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 3 GG) vorgegeben, die als solche den Entscheidungen aller Staatsorgane zugrundeliegen. Konkretere Zielvorgaben finden sich bei147 Grundlegend Schwerdtfeger, Optimale Methodik der Gesetzgebung, in: FS f. Hans Peter Ipsen, S. 173; ferner Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 61 ff., 63. 148 Gegen die Identifizierung von Entscheidungsprozeß und Verfahrensordnung schon Luhmann, Legitimation, S. 174 f. 149 Zur Erstreckung dieser Differenzierung auch auf Verwaltungs- und Gerichtsverfahren Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 545 f., 547 f.; ferner v. Arnim, Staatslehre, S. 197 ff.; vgl. auch Kloepfer, Abwägungsregeln, DVB1. 1995, 441 ff., mit der Erstreckung auf alle Normsetzungsverfahren. 150 S. auch Krebs, Kontrolle, S. 32 f.; Schmitt Glaeser, Verwaltungsverfahren, in: Boorberg-FS, S. 1, 38. 151 Der gegebenenfalls von einer konkreten Ausführungshandlung gefolgt wird. 152 Vgl. allgemein Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 88 f.; ferner die Strukturierung des Entscheidungsvorgangs bei Schmitt Glaeser, Verwaltungsverfahren, in: Boorberg-FS, S. 1, 38; dems., Position der Bürger, in: Lerche/Schmitt Glaeser/ Schmidt-Aßmann, Verfahren, S. 35, 39; zur Methodik der Entscheidungsfindung am Beispiel der Gesetzgebung siehe etwa Hill, Gesetzgebungslehre, Jura 1986, 57,60 ff.

148

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

spielsweise in den Normen, die der Verwaltung bzw. einzelnen Untergliederungen derselben spezifische Aufgaben zuweisen, also in Kompetenzvorschriff-„153 ten (2) Vorschriften für die Informationsgewinnung finden sich etwa in den Verwaltungsverfahrensgesetzen, aber auch in den Prozeßordnungen. Nach ihnen bestimmt sich z.B., wer die Tatsachenermittlung betreiben muß (bzw. darf), auf welche Weise sie zu erfolgen hat bzw. welche Tatsachen einer Entscheidung zugrundegelegt werden dürfen. So ist beispielsweise der Richter im Rahmen der zivilprozessualen Verhandlungsmaxime gehindert, eigene Ermittlungen über Tatsachen anzustellen, die von den Parteien nicht vorgetragen worden sind; gleichermaßen ist ihm die Beweiserhebung über unbestrittene Tatsachenbehauptungen untersagt 154. Auch Beweiserhebungs- bzw. -verwertungsverbote 155 sind in diesem Zusammenhang zu nennen. (3) Die Entscheidungsalternativen wiederum werden regelmäßig durch die jeweilige Befügnisnorm bzw. durch sonstige zu beachtende Rechtsvorschriften eingeschränkt, gegebenenfalls auf nur eine einzige rechtlich zulässige reduziert. (4) Soweit unter mehreren Entscheidungsalternativen auszuwählen ist, setzt die notwendige Auswahlentscheidung die Bewertung, Gewichtung und den Vergleich der Auswirkungen im Hinblick auf Zielgerechtigkeit, -angemessenheit oder -erforderlichkeit voraus 156 , der etwa durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. (5) Die Beschlußfassung schließlich wird maßgeblich mitbestimmt von der inneren Organisation des entscheidenden Organs. So bestimmen etwa die Regelungen über Abstimmungen in Kollegialorganen 157 , welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, daß eine Entscheidung zustandekommt.

153

Siehe etwa § 1 MEPolG und die entsprechenden Aufgabennormen der Länder (vgl. die Zusammenstellung bei Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 51. 154 Zum Verhandlungsgrundsatz im Zivilprozeß vgl. nur Thomas/Putzo, ZPO, Einl., Rdnrn. 1 ff. 155 Vgl. für den Strafprozeß Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Einl., Rdnrn. 50 ff. 156 Vgl. Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 89. 157 Vgl. etwa Ait. 42 Abs. 2, 79 Abs. 2 GG, § 196 GVG, § 263 Abs 1 StPO, § 15 Abs. 3 BVerfGG.

3. Kap Kompetenzausübung als Konkretisierung

149

b) Inneres Verfahren als Medium der Konkretisierung Die beschriebenen Phasen des Entscheidungsprozesses sind notwendige Teile jeder normgeprägten und -gebundenen rationalen Entscheidung. Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Vorgang des Entscheidens sich einer äußeren Wahrnehmung entzieht, also etwa bei Ein-Personen-Entscheidungen 158. Von Bedeutung ist hierbei, daß in jeder der hier typisiert dargestellten Phasen selbst wiederum (Vor-)Entscheidungen im Hinblick auf den angestrebten (End-)Entscheid getroffen werden 159 . In diesem Prozeß entsteht, was im formalen Abschluß als Ergebnis wahrnehmbar und wirksam wird. Das „innere Verfahren" ist somit das Medium der Konkretisierung, die durch die Wahrnehmung von Kompetenzen vollzogen wird 1 6 0 . Seine Stadien prägen den Inhalt der getroffenen Entscheidung. In ihrem Verlauf ergibt sich, mit welcher Zielsetzung, aufgrund welcher Informationen, unter dem Eindruck welcher Erwägungen und Prognosen - mit einem Wort: aus welchem Grunde die Entscheidung in dieser Weise getroffen wird. Im Prozeß der Entscheidungsfindung ist also die materielle Begründung des Entscheidungsträgers für das Entscheidungsergebnis enthalten 161 . Er ist konstitutiver Teil des Konkretisierungsprozesses, der durch kompetentes Handeln gestaltet wird 1 6 2 .

158

Siehe den Hinweis von Krebs, Kontrolle, S. 32. Vgl. Krebs, Kontrolle, S. 33: „ Problemsuche, Zielfindung, Altemativenbildung usw. setzen - wie gezeigt - Informationsbeschaffung und -bewertung voraus, was aber Entscheidungen darüber erfordert, welche Informationen entscheidungsrelevant sind oder nicht, welche Informationen besonderes Gewicht haben usw.". 160 Wahl, Verwaltungsverfahren, VVDStRL 41 (1983), 151, 154; vgl. auch Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 202 f. 161 Zum Verständnis des inneren Verfahrens als materieller Begründung des Entscheidungsergebnisses vgl. (am Beispiel der gerichtlichen Kontrolle planerischer Abwägung) Koch, Abwägungsgebot, DVB1. 1983, 1125, 1127 ff.; ders., Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis, DVB1. 1989, 399, 400 ff.; zustimmend Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 214; s.a. Bettermann, Rechtswidrigkeit von Staatsakten, in: FS f. Hans Huber, S. 25, 47 f.; Alexy, Ermessensfehler, JZ 1986, 701, 707 f. - Auch in der Diskussion um das „innere Gesetzgebungsverfahren" ist die inhaltliche Begründung des erlassenen Gesetzes zentraler Ansatzpunkt. In diesem Zusammenhang ist nicht die Qualifizerung der Gesetzgebung als Entscheidungsprozeß umstritten, sondern die Frage, ob das Grundgesetz die Optimierung dieses Prozesses zur Pflicht macht und ob dieser verfassungsgerichtlicher Uberprüfung zugänglich ist. Dies wird, im Anschluß an Schwerdtfeger, Methodik der Gesetzgebung, in: FS f. Hans Peter Ipsen, S. 173 etwa vertreten von Hill, Fehlerhaftes Verfahren, S. 63 ff; dems., Rechtsdogmatische Probleme, Jura 1986, 286, 291 f.; Kloepfer, Abwägungsregeln, DVB1. 1995, 441 ff.; ausführlich Burghart, Die Pflicht zum guten Gesetz, 1996; ablehnend dagegen vor allem Schiaich, Verfassungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 39 (1981), 99, 108 ff.; ders., Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 506; ebenso Gusy, Normative Gesetzgebungs159

150

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß 3. Äußeres Verfahren

und Form der Entscheidung

Die Ausübung von verliehenen Kompetenzen vollzieht sich nicht nur in dem eben beschriebenen „inneren" Verfahren, sie stellt sich ebenso als Realvorgang dar, d.h. als „prozeßhafte, dynamische Abfolge von Handlungen in der Zeit" 1 6 3 . Eine Vielzahl von staatlichen Entscheidungen ist an die Beachtung von Verfahrensstationen gebunden, die die Abfolge einzelner Verfahrensaktivitäten im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel von der Problemformulierung bis hin zur förmlichen Inkraftsetzung des getroffenen Entscheids strukturieren 164 und so dem „faktischen Verfahren" rechtliche Ordnung verleihen. Dieses „äußere", d.h. als zeitlicher Vorgang zu verstehende, Verfahren ist der Rahmen, innerhalb dessen sich der Entscheidungsprozeß vollzieht 165 . Als normativ geordneter Vorgang ist es in der Regel zunächst von der Rechtsform abhängig, in welcher die Entscheidung ergeht, und der je spezifische Wirkungen zukommen 166 . Allgemeine Regelungen wie etwa diejenigen über die Verfahren der Gesetzgebung (Art. 76 ff. GG), der Satzungsgebung (z.B. Art. 46 ff. BayGO), den Erlaß von Verwaltungsakten (vgl. etwa §§ 10, 28, 39, 41 VwVfG), die Gestaltung gerichtlicher Verfahren durch die Vorschriften der Prozeßordnungen etc. gelten unabhängig vom Inhalt der konkret zu treffenden Entscheidung. Ergänzend hängt die Ausgestaltung des Verfahrens maßgeblich von der Komplexität der bei der Entscheidung zu verarbeitenden Informationen, der mit der Entscheidung zu lösenden Konflikte, der zu leistenden Koordination mit Entscheidungen anderer Organe etc. ab und wird bereichsspezifisch fachgesetzlich normiert 167 . So besteht eine spezifische Relation zwischen Entlehre, ZRP 1985, 291, 296 ff.; vgl. auch Schiaich, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 39 (1981), 195; „Es geht (...) nicht darum, ob die Entscheidung vom Gesetzgeber begründet worden ist, sondern ob sie begründbar ist". 162 Der Ansatz Wahls (Verwaltungsverfahren, VVDStRL 41 (1983), 151, 155 „Das Verwaltungsverfahren ist konstitutiver Teil des Verwirklichungsprozesses im Verwaltungsrecht") ist somit verallgemeinerbar. 63 Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 304. 164 Zum Begriff des äußeren Verfahrens siehe auch Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 545. 165 Vgl. Luhmann, Legitimation, S. 3 „Verfahren werden als soziale Systeme gesehen, die mit Entscheidungsprozessen synchronisiert, aber nicht identisch sind"; zustimmend Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 323. 166 Zur Funktion von Rechtsformen als „Speicher" im Hinblick u.a. auf das einzuhaltende Verfahren und die rechtlichen Wirkungen vgl. Schmidt-Aßmann, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, DVB1. 1989, 533 f. 167 Zur Ausgestaltung von (Verwaltungs-)Verfahren als Konkretisierung des Grundsatzes funktionsgerechter Organstruktur („aufgabenadäquate Entscheidungsstruktur") vgl. v. Danwitz, Funktionsgerechte Organstruktur, Staat 35 (1996), 329, 340 ff. mit Beispielen.

3. Kapitel: Kompetenzausübung als Konkretisierung

151

scheidungsträger, Entscheidungsverfahren, Entscheidungsinhalt und Entscheidungswirkung.

ΙΠ. Konkretisierung und Entscheidungsrichtigkeit 7. Zweck-und Rechtskonkretisierung Für jede Entscheidung als Wahl zwischen Alternativen 168 bedarf es eines Entscheidungsmaßstabs, der aus den gegebenen Möglichkeiten die jeweils zu bevorzugende auszusuchen hilft. Kompetenzen als Entscheidungsbefugnisse sind, wie gezeigt, Instrumente für die Erfüllung staatlicher Aufgaben als mit der Entscheidung zu verfolgende Zwecke. Soll die Ausübung staatlicher Gewalt nicht willkürlich erfolgen, sondern als sachlich wie rechtlich begründet bzw. begründbar erscheinen, bemißt sich die Alternativenwahl dann am Maßstab sachgerechter Aufgabenerfüllung als optimaler Zweckerreichung 169. Insoweit kann davon gesprochen werden, daß jede staatliche Entscheidung „unter der Direktive des Richtigen " im Sinne bestmöglicher Aufgabenerfüllung steht 170 . Dieser Zweck kann außerrechtlicher („metajuristischer" 171 ), also etwa ökonomischer, politischer, technischer etc. Art sein, der besser geeignete von weniger oder ungeeigneten Mitteln scheidet. Maßstab jeder Entscheidung eines staatlichen Organs ist aber zugleich auch das Recht das die zulässigen von den unzulässigen Alternativen sondert. Eine logische Trennung von Rechts- und Sachzwecken ist dabei nicht möglich 1 7 2 , da die Bestimmung des sachlich zu erreichenden Ziels in den Aufgabenzuweisungs- und Befügnisnormen sowie den sonst für die Kompetenzausübung relevanten Vorschriften selbst enthalten ist 1 7 3 . Die Entgegensetzung von Zweck und Recht ist somit nicht durchführbar, da die Verleihung von Kompetenzen in

168

Vgl. Krebs, Kontrolle, S. 32, 34. Vgl. Krebs, Kontrolle, S. 33 f., der diese Alternativen wähl als Ergebnis eines (Selbst-)KontrollVorgangs nachweist. 170 Formulierung von Steinberg, Komplexe Verwaltungsverfahren, DÖV 1982, 619, 620 (bezogen auf Entscheidungen der Verwaltung). 171 Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 145, 151 ff. 172 So jedoch Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 145, 164 im Hinblick auf das Handeln der Verwaltung. 173 Krebs, Kontrolle, S. 75 ff; Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 183, 258; Thieme, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 34 (1976), 295, 296; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 168. 169

152

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

jedem Fall auf die Erreichung bestimmter Ziele hin angelegt ist 1 7 4 . Die Wahrnehmung übertragener Entscheidungsbefugnisse ist in diesem Sinne also stets normgeleitete Wirklichkeitsgestaltung 175 oder anders gewendet: Zweck- und Rechtskonkretisierung.

2. Kompetenzausübung als Rechtsentscheidung Die Orientierung staatlicher Entscheidungen an den rechtlichen Maßstäben bedingt die Ermittlung der rechtlich zulässigen Entscheidungsalternativen, die dem Auswahl„verfahren" im Entscheidungsprozeß zugrundeliegen. Der verbindlichen Festlegung „konkreten Rechts" gehen Auslegung und Subsumtion derjenigen Normen voraus, die der Entscheidungsträger bei Wahrnehmung seiner Kompetenz zu beachten hat. Unabhängig von der Art der zu treffenden Entscheidung und dem hierzu berufenen Organ kann eine rechtmäßige Kompetenzausübung nur dann stattfinden, wenn die rechtlichen Entscheidungsprämissen in bezug auf das zu bewältigende Problem ermittelt werden. Norminterpretation und Subsumtion sind somit notwendige Elemente staatlicher Entscheidungsprozesse. Geht man davon aus, daß sich in einem rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten Staat dessen Organe nicht bewußt ihrer Verfassungs- bzw. Gesetzesbindung entziehen oder sich gegenüber bestehenden rechtlichen Anforderungen auch nur indifferent verhalten, so lassen sich die solchermaßen getroffenen Entscheidungen als am Maßstab des Rechts ausgerichtete oder kurz: als Rechtsentscheidungen charakterisieren, die sich in den gesamten Rechtskonkretisierungsprozeß einfügen. Eine davon zu unterscheidende Frage ist es, ob es sich jeweils um „richtige", also um tatsächlich rechtmäßige Entscheidungen handelt. Der „gute Wille" vermag den Erfolg nicht zu garantieren, so daß auch eine allgemeine Vermutung der Rechtmäßigkeit staatlicher Entscheidungen hieraus nicht abgeleitet

174 Vgl. v. Arnim, Staatslehre, S. 236 f. („Zweckmäßigkeit als Rechtsprinzip"); zu den Konsequenzen für die gerichtliche Kontrolle staatlicher Entscheidungen Krebs, Kontrolle, „Wird demnach jede Entscheidung eines staatlichen Organs durch rechtliche Maßstäbe determiniert, so ist - zumindest rechtstheoretisch - auch immer eine Rechtskontrolle durch Gerichte denkbar" (S. 79). Die Einschränkung dieser unbegrenzten Kontiollmöglichkeit ist nach Krebs (a.a.O., S. 81 ff.) eine Frage nach dem Umfang der KontioWkompetenz, also der Kontrolldichte. 175 Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 258; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 182.

3. Kap Kompetenzausübung als Konkretisierung werden kann 176 . Allerdings kann auf dieser Grundlage von jeder Kompetenzausübung angenommen werden, daß sie aus Sicht des Entscheidungsträgers rechtmäßig ist 1 7 7 . Die positive Rechtmäßigkeitsbeurteilung ist damit der Konkretisierung immanent.

3. Entscheidungsrichtigkeit

als kompetentielles Problem

Mit der Charakterisierung staatlicher Kompetenzausübung als normgeleiteten Vorgangs des Entscheidens, mithin als Auswahlprozeß, wird vorausgesetzt, daß die rechtlichen Bedingungen solcher Entscheidungen hierfür Raum lassen, daß also mehrere Entscheidungsergebnisse als rechtskonform denkbar sind. Anderenfalls ergäbe die Untersuchung des Entscheidungsvorgangs keinen Sinn, da der Entscheidungsträger nur auf die Wahl zwischen der „einzig richtigen", durch Auslegung und Subsumtion im Wege eines logischen Schlusses gewonnenen, und eben einer rechtswidrigen Entscheidung verwiesen würde. Die Problematik der These von der einzig richtigen Entscheidung zeigt sich vor allem überall dort, wo mehrere staatliche Organe in Anwendung derselben Normen über denselben Sachverhalt zu befinden haben, also vorrangig im Rahmen gerichtlicher Kontrollen über Tätigkeiten anderer Staatsorgane 178. Daß nicht jede staatliche Entscheidung durch die Rechtsordnung in einer Weise determiniert wird, die die Zahl der rechtlich zulässigen Entscheidungsalternativen auf Eins reduziert, läßt sich an Begriffen wie „Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers", „Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers" 179, „Planerische Gestaltungsfreiheit" 180 ablesen. Speziell für das Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit wird die Trennlinie zwischen strikter gesetzlicher Vorausbestimmung und relativer Entscheidungsfreiheit der Verwaltung herkömmlicherweise grundsätzlich anhand der jeweiligen Normstruktur bestimmt 181 . Hier wird nach gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Ermes176

Zur Vermutung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen siehe oben OS. 118. Vgl. für die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen etwa Maunz, Verfassungswidriges Gesetz, BayVBl. 1980,513. 178 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 163 f. 179 Vgl. v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, insbes. S. 161 ff. 180 Vgl. etwa BVerwG v. 12.12.1969 — 4 C 105/66 — BVerwGE 34, 301, 309; BVerwG v. 5.7.1974 — 4 C 50/72 — BVerwGE 45, 309, 314. 181 Kritisch hierzu etwa Zimmer, Funkion-Kompetenz-Legitimation, S. 162 ff; vgl. auch Alexy, Ermessensfehler, JZ 1986, 701, 716: „Daß das Problem der Kompetenzverteilung zwischen der zweiten und der dritten Gewalt ausschließlich anhand normierungstechnischer und methodologischer Kriterien adäquat zu lösen ist, kann kaum erwartet werden'4. 177

154

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

sensentscheidungen182 einerseits, nach (bestimmten oder unbestimmten) Rechtsbegriffen andererseits unterschieden, deren Anwendung im Regelfall vollständig der Rechtskontrolle der Gerichte unterliegen und die demzufolge nur eine einzige richtige Entscheidung zulassen soll 1 8 3 . Die genannten Bereiche stellen sich indes lediglich als Beispiele einer Problematik dar, die jeder Rechtsanwendung — mehr oder minder —immanent ist 1 8 4 . Es lassen sich zwei Seiten dieses Problems voneinander unterscheiden, die jeder rechtlichen Bewertung in mehr oder minder großem Umfang beigegeben ist, da sich in der Unterscheidung von „bestimmten" und „unbestimmten" Rechtsbegriffen keine kategoriale Trennung zeigt, sondern nur quantitative Verschiedenheiten gesetzessprachlicher Genauigkeit aufscheinen. Die erste Seite betrifft die Auslegung der Norm, die „Zubereitung" des Gesetzesbegriffs und ihre „Zerlegung in einen tatbestandlich engeren Rechtsbegriff" 185 . Bereits in diesem Stadium kann eine gewisse Bandbreite von Interpretationsmöglichkeiten bestehen186, die vorderhand alle als „rechtmäßig" angesehen werden können 187 . Die andere Seite bezieht sich auf die Anwendung des unbestimmten Begriffs auf einen Sachverhalt. Die gesetzliche Determinierung dieser Gesetzesanwendung ist höchst unterschiedlich, je nach sprachlicher Fassung der jeweils in Rede stehenden Norm und nach den in Bezug genommenen tatsächlichen Verhältnissen. Je komplexer diese sind, je größer die Anzahl der zu berücksichtigenden Rechtsgüter und Interessen ist, je mehr konkurrierende Zielsetzungen zu einem Ausgleich zu bringen sind, in desto größerem Maße gewinnen der Entscheidungsprozeß und die innere Organisation des Entscheidungsträgers Bedeutung für das schließlich gefundene Ergebnis 188 . Denn dieses ist geprägt 182 Die auf der problematischen Trennung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit beruht; vgl. oben bei Fußn. 172 f. 183 Vgl. für die h. M. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rdnr. 55. 184 Rupp, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 34, 286, 287: „Alle Rechtsanwendung ist, jedenfalls erkenntnistheoretisch, Rechtsverwirklichung innerhalb mehr oder weniger weiter subjektiver Divergenzspannen". 185 Walter Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 121. 186 Vgl. Ossenbühl, Administrative Beurteilungsermächtigung, DÖV 1972,401,403. 187 Auch wenn man die Befugnis zu letztverbindlicher Auslegung als der Gerichtsbarkeit zugewiesen anerkennt (vgl. Ossenbühl, Administrative Beurteilungsermächtigung, DÖV 1972, 401, 403), bleibt das Problem divergierender Interpretationen als Kompetenzfrage bestehen, sofern die beteiligten Organe solche der Gesetzgebung bzw. der Verwaltung sind. 188 Vgl. für Verwaltungsentscheidungen etwa Grimm, Verfahrensfehler, NVwZ 1985, 865, 871; Pietzcker, Verwaltungsverfahren, VVDStRL 41 (1983), 193, 223 f.; Steinberg, Komplexe Verwaltungsverfahren, DÖV 1982, 619, 620; allgemein dazu auch Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 158 ff.

. Kap.: Kompetenz und

ranton

155

durch die in den einzelnen Phasen der Entscheidungsfindung getroffenen Vorentscheidungen189. Damit findet bei „unbestimmter" normativer Programmierung gewissermaßen eine Verlagerung von der „Ergebnisrichtigkeit" hin zur „Verfahrensrichtigkeit" 190 statt, mit der das Dogma von der einzig richtigen Entscheidung unvereinbar ist 1 9 1 . Vermögen demzufolge Entscheidungsvorgang wie die Struktur des entscheidenden Organs den Inhalt des getroffenen Entscheids maßgeblich zu beeinflussen, scheidet es bei divergierenden Beurteilungen ein und derselben Sachlage durch unterschiedliche Organe aus, den Konflikt nach dem Maßstab „objektiver Richtigkeit" aufzulösen. Es handelt sich vielmehr um „Richtigkeitskonkurrenzen" 1 9 2 , die nur durch die Bestimmung des jeweiligen Kompetenzumfangs aufgelöst werden können 193 . In diesem Fall ist die Frage, welche der kollidierenden Entscheidungen gesetzmäßig sind, danach zu bestimmen, in welchem kompetentiellen Verhältnis die beteiligten Organe zueinander stehen194.

4. Kapitel

Kompetenz und Verantwortung im Konkretisierungsprozeß I. Verantwortung als Komplement der Kompetenz Die Gesamtheit der Kompetenzen stellt sich als System gestufter Rang- und Vorrangverhältnisse zwischen staatlichen Organen dar, das im Prozeß der 189

Vgl. allgemein Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 160 ff; speziell für das Verwaltungsverfahren etwa Walter Schmidt, Probleme des Verwaltungsrechts, Rdnrn. 114 ff., zur Entscheidungssteuerung durch Organisation und Verfahren. 190 In diesem Sinne ist auch die Formel von der „dienenden Funktion des Verfahrens" im Hinblick auf die Gewährleistung 'richtiger' Ergebnisse gerechtfertigt; vgl. etwa BVerfG v. 30.1.1985 — 1 BvR 99/84 — BVerfGE 69, 126, 139 f., demzufolge „das Verfahrensrecht der Herbeiführung gesetzmäßiger und unter diesem Blickpunkt richtiger Γ...] Entscheidungen dient". Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 161; pointiert Thieme, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 41 (1983), 237, 238: „So ist das Recht [...] etwas, was es gar nicht gibt, sondern was im Verfahren entsteht". 192 Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 145, 155 f., Fußn.37. 193 Ossenbühl, Administrative Beurteilungsermächtigung, DÖV 1972, 401, 403; Walter Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 142; Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 145, 155 f., Fußn.37; Stettner, Kompetenzlehre, S. 181 mit Fußn. 165; vgl. auch Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 183. 194 Zu Kompetenzen als relativen Letztentscheidungsbefugnissen vgl. unten 4. Kap., ΙΠ., S. 164 ff.

156

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

Rechtskonkretisierung wirksam wird 1 9 5 . Das hat zur Folge, daß Entscheidungen staatlicher Organe nicht ausschließlich in bezug auf die zu erfüllende Aufgabe sachgerecht sowie hinsichtlich der Rechtsanwendung methodengerecht erfolgen, sondern sich zugleich im Hinblick auf die Entscheidungsbefügnisse anderer Staatsorgane als kompetenzgerecht darstellen müssen 196 . Denn die Rechtsgebundenheit aller Ausübung von Staatsgewalt beinhaltet die absolute Respektierung der Kompetenzräume anderer Entscheidungsträger, soweit sie Vorrang genießen197. Ein zentraler Aspekt zur Bestimmung des jeweiligen Kompetenzumfangs wird mit dem Begriff der Verantwortung umschrieben 198. Er fußt auf dem Verständnis (grund-)gesetzlicher Kompetenzverteilung als eines arbeitsteiligen, rationalen, sinnvollen Gefüges staatlicher Entscheidungsabläufe und -ergebnisse, welches die Ausübung hoheitlicher Gewalt legitimiert, ihre Kontrolle sichert und die Erfüllung staatlicher Aufgaben gewährleistet 199 .

7. Verantwortung

als Rechtsbegriff

00

Mit dem Begriff der Verantwortung wird auf die Tatsache verwiesen, daß die Handlungen und Entscheidungen jedes Staatsorgans nicht aus sich selbst 195

Stettner, Kompetenzlehre, S. 308 (ff.). Zum Vorrang der Kompetenzen vor den Methoden ausführlich und grundlegend Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 98 ff., besonders S. 188 ff; s. a. Stettner, Kompetenzlehre, S. 257; zum Verhältnis der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Verwaltung vgl. auch Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 145, 160: „Denn ein verfassungsgerechter Verwaltungsrechtsschutz hat nicht nur - dem Bürger gegenüber - effizienzgerecht, sondern - der kontrollierten Verwaltung gegenüber - auch kompetenzgerecht zu sein" (Hervorhebung im Original). 197 Brohm, Steuerungsmechanismen, DÖV 1987,265,269. 198 Vgl. insbesondere Scholz und Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 145 ff., 221 ff.; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, insbes. S. 324 ff.; Stettner, Kompetenzlehre, S. 254 ff.; zuletzt umfassend Pitschas, Verwaltungsverantwortung, 1990. 199 Der rechtliche Gehalt des Verantwortungsbegriffs wird über den hier behandelten Aspekt hinaus in der neueren Privatisierungsdiskussion entfaltet und gewinnt hierbei Bedeutung für die Abgrenzung staatlicher von privater Verantwortungsverteilung in bestimmten Aufgabenfeldem; vgl. hierzu auch Trute, Verzahnungen von öffentlichem und privatem Recht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 167, 198 ff; Ritter; Organisationswandel, in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem, Verwaltungsorgan!sationsrecht, S. 207,231 ff. 200 Mit Verantwortung ist in diesem Zusammenhang ausschließlich rechtliche Verantwortung gemeint; vgl. demgegenüber zur politischen Verantwortung als einer zwar rechtlich bestimmten, jedoch inhaltlich unterschiedlichen Verantwortungskategorie Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 251 f.; Stettner, Kompetenzlehre, S. 274. 196

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heraus legitimiert sind, sondern der Übertragung entsprechender Befugnisse bedürfen 201 . Es handelt sich stets um Ausübung verliehener, in ihrem Ursprung einheitlicher, vom Staatsvolk als ihrem Träger herrührender Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG), deren Legitimationsbedürftigkeit sich nicht in der Einräumung von Kompetenzen erschöpft, sondern ebenso die Art und Weise umfaßt, in der von ihnen Gebrauch gemacht wird. Hier offenbart sich die Pflichtenbindung, die der Übertragung von Aufgaben auf staatliche Organe innewohnt 202 . Im Gegensatz zum Bereich der Gesellschaft, der einzelnen Bürger, die alle ihnen zukommenden (Grund-)Rechte nach freier Entscheidung wahrnehmen können, unterliegt die Ausübung von Kompetenzen der Rechenschaftspflicht, der Kontrolle und der (rechtlichen) Sanktion 203 . Diese Einstandspflicht staatlicher Organe bezeichnet der Terminus „Verantwortung" 204 .

2. Umfang der Verantwortung Die Verantwortung staatlicher Organe folgt ihrer Kompetenz 205 . Die Einstandspflicht betrifft primär die eigenen Handlungen und Entscheidungen des jeweiligen Kompetenzträgers. Ihr Umfang wird bestimmt durch diejenigen rechtlichen Aspekte, die der Zuteilung von Kompetenzen zugrundeliegen und ihre Ausübung im Entscheidungsprozeß bestimmen. „Wem eine Kompetenz zugewiesen ist, der hat die Pflicht, diese ordnungsgemäß zu erfüllen; dafür trägt er die Verantwortung." 206 201

Vgl. etwa Krebs, Kontrolle, S. 43 f. Wilke, Verwaltungsverantwortung, DÖV 1975, 509, 512: „Zugleich deutet der Wortgebrauch aber an, daß die Bäume der Zuständigkeit nicht in den Himmel wachsen"; Krüger, Risikoübemahme, BayVBl. 1996, 741, 742; Trute, Verzahnungen von öffentlichem und privatem Recht in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 167,198 ff 203 Vgl. etwa Schmidt-Aßmann, Rechtsformen, DVB1. 1989, 533, 539. 204 Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 7, 29; ferner etwa Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 240 f., der weiter differenziert zwischen Verantwortung als Rechenschaftspflicht des Organs und der Verantwortlichkeit als individualisierter Einstandspflicht des Organwalters, die ersterer nachfolge. 205 Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 9 f.; Schnapp, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), 172, 191; s. a. Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 145, 149, Fußn. 9: „Zentraler Aspekt der Verantwortung ist die Kompetenz"; Kröger, Ministerverantwortlichkeit, S. 4.: „Verantwortlichkeit kann es immer nur im Rahmen übertragener Zuständigkeit geben: Ohne Aufgabe und Befugnis kennt die freiheitlich-rechtsstaatliche Ordnung keine Verantwortung, wie sie umgekehrt ohne Verantwortlichkeit keine Kompetenz und Befugnis duldet." 206 Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 10. 202

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3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

Aus den konstitutiven Elementen der Kompetenzzuweisungen und ihrer Wahrnehmung lassen sich die Eckpunkte der jeweiligen Organverantwortung ableiten.

a) Realisierungsverantwortung Der Pflichtencharakter von Kompetenzen tritt im Blick auf die Erfüllung der Staatsaufgaben in besonderer Weise hervor. Kein staatliches Organ vermag sich der Verantwortung für die Erfüllung ihm übertragener Agenden zu entziehen. Nach dem Verständnis der Kompetenzordnung als einer arbeitsteilig verfaßten, rational gegliederten Organisation, welche die spezifischen Problemlösungsfahigkeiten einzelner Einheiten zum Maßstab für die ihnen aufgetragenen Aufgaben macht 207 , kann es in dieser Beziehung kein „Ermessen" des Kompetenzträgers geben. Ihn trifft die Realisierungsverantwortung für die ihm zugewiesene Aufgabe 208 . Kompetenzen begründen Wmà\xmgspflichten 209, die durch das zu erreichende Ziel bestimmt werden 210 . Sie bestehen abstrakt, also unabhängig von der konkreten Situation. Im Unterschied dazu kann die Art und Weise der Aufgabenerfüllung in concreto durchaus einzelfallbezogen, „flexibel" gehandhabt werden, sofern sie nicht durch zwingendes Recht oder die Besonderheiten der Situation auf nur ein mögliches und zulässiges Mittel beschränkt wird. Mit der Differenzierung zwischen abstrakter, situationsunabhängiger Aufgabenzuweisung einerseits und ihrer konkreten, situationsabhängigen Erfüllung andererseits erledigt sich im übrigen der Streit um das „Entschließungsermessen" der Verwaltung, der vorrangig im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht eine Rolle spielt 211 , aber wegen der grundlegenden Unterscheidung von

207

Vgl. oben 2. Kap., Π.2., S. 138 ff. Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 256; Schnapp, Verwaltungsvorbehält, VVDStRL 43 (1985), 172, 186; zur Verwaltungsverantwortung vgl. auch Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 221, 232: „Verwaltungsverantwortung ist ferner Verantwortung für Programmverwirklichung (...)" 209 So schon Knemeyer, Schutz der Allgemeinheit, VVDStRL 35 (1977), 221, 233, Fußn. 34: „(...) so kann der Aufgabenzuweisung keine andere als pflichtenbegründende Funktion zukommen. Es ist dies die Pflicht aller drei Staatsgewalten, die ihr verfassungsmäßig zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen (...)"; vgl. dens., Aufgabenzuweisungsnormen, DÓV 1978, 11, 12 f. 210 Vgl. Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 243. 211 Zur allgemeinen Bedeutung des Opportunitätsprinzips auf dem Boden der herrschenden Lehre vgl. nur Voßkuhle, Duldung rechtswidrigen Verwaltungshandelns, Verwaltung 29 (1996), 511, 514 ff. m.w.N. insbes. in Fußn. 30. 208

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Aufgabe und Befugnis 212 im gesamten Bereich staatlicher Kompetenzwahrnehmung potentielle Bedeutung besitzt. Abgesehen davon, daß eine strikte Trennung der Fragen, ob in einer konkreten Situation überhaupt gehandelt werden soll - etwa zum Zwecke der Gefahrenabwehr - und wie dies im einzelnen zu geschehen habe, gar nicht durchfuhrbar ist, da der Handlungsimpuls von den konkreten Handlungsmöglichkeiten abhängt, liegt der herrschenden Lehre offenbar eine Verkennung der Kategorien der Aufgabe und der Befugnis zugrunde. Wenn der Staat etwa die Aufgabe hat, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, dann kann die Polizei, soweit ihr diese Aufgabe übertragen wurde 213 , über die Aufgabenerfüllung nicht disponieren 214 . Daraus kann aber nicht eine „Rechtspflicht zum Einschreiten" abgeleitet werden, die zu einem „permanenten Vollzugsdefizit" fuhren müßte 215 . — Die Diskussion ist zu sehr auf die Eingriffsbefiigïiisse konzentriert, um die Fülle von nicht normierten, weder dem Vorrang des Gesetzes widersprechenden, noch dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegenden Reaktionsmöglichkeiten mit ins Kalkül zu nehmen 216 . Bloße Untätigkeit kann angesichts verpflichtend zugewiesener Aufgaben niemals rechtmäßig sein, doch besteht die Alternative nicht nur darin, auf schadensgeneigte Situationen mit eingreifenden Mitteln zu reagie-

b) Rechtmäßigkeitsverantwortung im Entscheidungsprozeß Verantwortung konkretisiert sich im Entscheidungsprozeß und umfaßt alle rechtlichen Bindungen, denen die Ausübung von Kompetenzen unterliegt. Verantwortbar ist nur legitimiertes Handeln; aus dem positiven (konstitutiven) Charakter von Kompetenzzuweisungen218 folgt negativ das Verbot der Kompetenzüberschreitung 219 und damit die Verantwortung jedes staatlichen Entscheidungsträgers, keine anderen als die ihm übertragenen Aufgaben zu er212

Vgl. oben 1. Kap., II., S. 124 ff. Vgl. § laMEPolG. So aber etwa Schock, Grundfalle, JuS 1994, 754: „...die Regelung zum Ermessen [seil.: gemeint ist § 3 MEPolG] (...) statuiert die Befugnis (nicht: Rechtspflicht) zur Aufgabenerledigung". Wie hier Knemeyer, Schutz der Allgemeinheit, VVDStRL 35 (1977), 221, 233 f.; ders., Aufgabenzuweisungsnormen, DÓV 1978, 11, 13; jüngst Waechter, Polizeüiches Ermessen, VerwArch 88 (1997), 298, 303, 318, 320 f. 215 So aber Schoch, Grundfälle, JuS 1994,754. 216 Dazu bereits oben 1. Kap., Π., S. 124 ff, 126. 217 So zutreffend Waechter, Polizeiliches Ermessen, VerwArch 88 (1997), 298, 322. 218 Vgl. oben 2. Kap., Il.l.b), S. 137. 219 Schnapp, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 43 (1985), 172, 186. 213

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3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

füllen, keine anderen als die seinen Entscheidungen zugrundezulegenden Zwecke zu verfolgen. In diesem Rahmen zweckgebundener Handlungsmacht bzw. —pflicht hat das kompetente Organ für die Rechtmäßigkeit seiner Entscheidungen insgesamt Sorge zu tragen. Im Entscheidungsprozeß beinhaltet es die Verantwortung für die Beachtung der Regelungen des inneren wie des äußeren Verfahrens, soweit solche vorgegeben sind, sowie für die Einhaltung bestehender rechtlicher Bindungen hinsichtlich des Entscheidungsergebnisses. Mit der Übertragung der Befügnis zur Rechtskonkretisierung geht die Übernahme der entsprechenden Konkretisierungsverantwortung 220 einher.

c) Entscheidungsfolgenverantwortung M i t dem formalen Abschluß eines Entscheidungsprozesses endet nicht auch die Verantwortung des Entscheidungsträgers. Wenn Entscheidungen daraufhin abzielen, konkrete Wirkungen in der sozialen Wirklichkeit zu zeitigen 221 , wenn weiterhin die Befügnis zu rechtsverbindlicher Entscheidung nach dem Kriterium sachgerechter Aufgabenerfüllung dem hierzu nach personellem und organisatorischem Substrat geeignetsten Organ zu übertragen ist 2 2 2 , so können die Folgen solcherart getroffener Entscheidungen nicht außer Betracht bleiben 223 . Da die Wahrnehmung der Entscheidungsbefügnis auf die Bewältigung realer Sachprobleme hin ausgerichtet ist, trifft den Entscheidungsträger die Verantwortung dafür, daß die intendierten Wirkungen auch tatsächlich eintreten. Das schließt die Verpflichtung ein, im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten für die Durchsetzung der Entscheidungen Sorge zu tragen 224 . Ferner besteht eine Verantwortung dafür, daß die eingetretenen Wirkungen mit den rechtlichen Zielsetzungen übereinstimmen und sich innerhalb der vom Recht gezogenen Grenzen bewegen. Damit korrespondiert die Verpflichtung, im Rahmen der zu Gebote stehenden Mittel Fehlentwicklungen zu steuern und gegebenenfalls getroffene Entscheidungen zu korrigieren 225 . 220 Zum Konkretisierungsauftrag auch Gusy, Administrativer Vollzugsauftrag, DVB1. 1987,497,498. 221 Vgl. Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 182 und oben 3. Kap., I., S. 143. 222 Vgl. oben 2. Kap., II.2., S. 138 ff. 223 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 90 ff, 191 und öfter; Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 256 f. 224 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 89. 225 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 90.

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Verantwortung ist deshalb immer auch und in besonderem Maße Entscheidungsfolgen-Verantwortung 226.

3. Grenzen der Verantwortung Ebenso wie die Verteilung von Kompetenzen auf einzelne Staatsorgane jeweils nur beschränkte Machtbefugnisse verleiht, kann sich die Verantwortung der einzelnen Entscheidungsträger nur auf begrenzte Verantwortungsräume erstrecken. „Kompetenz" und „Verantwortung" sind jeweils Relationsbegriffe, bezogen auf einen Kanon von zweckgebundenen Entscheidungen und ihre Wirkungen. Eine Kompetenz liegt nicht vor, soweit keine Verantwortung für die Entscheidung (bzw. ihre Folgen) übernommen werden kann 227 . Von Verantwortung kann umgekehrt nicht gesprochen werden, soweit eine Kompetenz nicht besteht 228 . Damit wird der Verantwortungsraum auf den Kreis der zugewiesenen Entscheidungsbefugnisse und ihre Wahrnehmung im Entscheidungsprozeß beschränkt. So kann kein staatliches Organ für die Erfüllung anderer als der ihm übertragenen Aufgaben oder für die Rechtmäßigkeit der von anderen Organen getroffenen Entscheidungen bzw. deren Folgen verantwortlich gemacht werden. Dies bedeutet auch, daß Verantwortung nur in dem Maße besteht, in dem frei von Weisungen oder anderen Bindungen entschieden werden kann. Soweit ein Organ an die Entscheidungen anderer gebunden ist, trifft die Verantwortung für sein Handeln jene anderen 229 . Damit ist zugleich die Grenze des „Verantwortbaren" bezeichnet, also der Rahmen, jenseits dessen Entscheidungen jedenfalls auch aus kompetentiellen Gründen als rechtswidrig angesehen werden müssen. Die Wahrnehmung anderer als der übertragenen Aufgaben oder die Inanspruchnahme anderer als der 226

Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 269. Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 257; Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 187; vgl. auch Kröger, Ministerverantwortlichkeit, S. 32 hinsichtlich der Frage, ob der Bundespräsident die Kompetenz besitzt, Ministervorschläge des Bundeskanzlers nach Art. 64 Abs. 1 GG abzulehnen: „Da der Bundespräsident keinerlei Verantwortung fur die Kabinettsbildung übernehmen kann, wird man ihm auch nicht (...) Einfluß auf Bildung und Bestand der Regierung einräumen können". 228 Kröger, Ministerverantwortlichkeit, S. 4. 229 Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 226, 320, Fußn. 147; Stettner, Kompetenzlehre, S. 268; Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 261; vgl. auch BVerfG v. 27.4.1959 — 2 BvF 2/58 — BVerfGE 9, 268, 281 f.: „Verantwortung kann nicht tragen, wer in seiner Entscheidung inhaltlich in vollem Umfang an die Willensentscheidung eines anderen gebunden ist". 227

11 Wehr

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3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

eingeräumten Befugnisse stellen unzulässige Kompetenzüberschreitungen dar. Die Mißachtung von Entscheidungen anderer Organe ist ein Eingriff in deren Kompetenzen, der nur zulässig ist, wenn er sich auf eine konkret zugewiesene Kompetenz stützen kann.

Π. Verantwortung und Kontrollkompetenz Verantwortung wird durch Kontrolle aktualisiert 230 . Erst die Überprüfung des (inneren und äußeren) Entscheidungsverfahrens, seines Ergebnisses und der tatsächlichen wie rechtlichen Auswirkungen daraufhin, ob sie jeweils mit den (rechtlichen) Bedingungen übereinstimmen, denen sie unterliegen, ermöglicht die Feststellung, daß bzw. ob ein staatliches Organ seiner Verantwortung gerecht geworden ist. Diese Kontrolle kann durch den Träger der Entscheidung (Selbstkontrolle) oder durch andere Organe (Fremdkontrolle) vorgenommen werden.

7. Selbstkontrolle

als Entscheidungselement

Rechtskontrolle — nur sie soll hier im folgenden behandelt werden — ist ihrer formalen Struktur nach ein Vergleich zwischen dem rechtlich Gesollten oder Zulässigen einerseits und der tatsächlich getroffenen Entscheidung andererseits 231 . Als Selbstkontrolle des Entscheidungsträgers ist sie Teil jeder rationalen, am Maßstab des Rechts orientierten Kompetenzwahrnehmung, die in jeder Phase des — oben 232 skizzierten —Entscheidungsprozesses auf die künftig zu treffende Entscheidung bezogen ist 2 3 3 . Der — der übertragenen Kompetenz immanenten — Verantwortung im soeben beschriebenen Umfang wird nur Genüge getan, wenn die Übereinstimmung von getroffener oder zu treffender Entscheidung mit dem Entscheidungsmaßstab gewährleistet ist. Erforderlich ist mithin eine jede Kompetenzausübung begleitende, ihr Ergebnis

230

Krebs, Kontrolle, S. 44; Pitschas, VerwaltungsVerantwortung, S. 394. Brunner, Kontrolle, S. 74; zur Rechtskontrolle ebd. S. 77 f.; Krebs, Kontrolle, S. 14 f.; zu anderen Kontrollbegriffen und -funktionen ebd. S. 4 ff ; Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 256 ff, jeweils m.w.N. 232 Vgl. oben 3. Kap., Π.2., S. 145 ff. 233 Ausführlich zur Kontrolle als notwendigem Strukturelement jedes Entscheidungsprozesses Krebs, Kontrolle, S. 34 ff; dazu auch Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 392 f.; vgl. auch oben 3. Kap., III. 1., S. 151 f. bei Fußn. 169. 231

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lenkende Selbstkontrolle des Entscheidungsträgers, gerichtet auf die Sicherung der Rechtmäßigkeit seiner Entscheidungen und ihrer Wirkungen.

2. Entscheidung als Kontrollgegenstand Aus der Tatsache, daß grundsätzlich jede Kompetenzausübung rechtlich (mehr oder weniger) determiniert ist, also sich nach rechtlichen Maßstäben bemißt, ist zu schließen, daß sie grundsätzlich auch durch andere Organe (jederzeit) auf die Einhaltung dieser Maßstäbe hin überprüft werden kann 234. Die Möglichkeit einer solchen Prüfung allerdings sagt nichts darüber aus, ob und von wem sie vorgenommen werden darf und welche Wirkungen das Ergebnis dieser Prüfung nach sich zieht. Tatsächlich sind die Kompetenzen zur Kontrolle staatlicher Entscheidungen nach Gegenstand und Umfang begrenzt. Eine „totale" Kontrolle jeder Entscheidung ist allenfalls theoretisch denkbar 235 , faktisch aber nicht durchführbar 236 . Fremdkontrolle kann — wenn sie denn einen Sinn haben soll — nur im Hinblick auf eine bestimmte Reaktion, eine Maßnahme, eben eine Entscheidung des kontrollierenden Organs selbst erfolgen. Sie ist daher ebenso wie die Selbstkontrolle Teil eines Entscheidungsprozesses. Ihre Zulässigkeit kann folglich nur dann bejaht werden, wenn das Kontrollorgan eine dementsprechende Entscheidungskompetenz besitzt 237 . Kontrollkompetenzen sind somit akzessorisch238 und können über den Umfang von Entscheidungskompetenzen nicht hinausgehen. Die Überprüfung der Entscheidungen anderer Organe ist, mit anderen Worten, nur gerechtfertigt, sofern sie durch eine eigene Kompetenz des kontrollierenden Organs gedeckt wird 2 3 9 . Von einer die Kontrollkompetenz umfassenden Entscheidungsmacht kann nur dann die Rede sein, wenn die Entscheidung des Kontrollorgans vom Resultat der Überprüfung abhängt und abhängen darf. Da das Ergebnis einer 234

Krebs, Kontrolle, S. 79. Krebs, Kontrolle, S. 37. 236 Krebs, Kontrolle, S. 37 mit dem Hinweis auf die „nahezu unendliche Vielzahl von Einzelentscheidungen" in Entscheidungsprozessen; vgl. auch Pitschas, Verwaltungsverantwortung, S. 400, der auf die Frage nach der „Kontrolle der Kontrolleure" verweist. 237 Dazu vor allem Krebs, Kontrolle, S. 142 f. (am Beispiel parlamentarischer Kontrollen). 238 Krebs, Kontrolle, S. 143. 239 Zum „Verhältnis zwischen Kontrolle und Entscheidung als Kompetenzproblem" Krebs, Kontrolle, S. 47 ff. 235

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3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

Rechtskontrolle nur in der Qualifizierung des überprüften Aktes als rechtmäßig oder rechtswidrig bestehen kann, setzen Kontrollkompetenzen voraus, daß das Kontrollorgan nicht an die überprüfte Entscheidung und die ihr immanente Rechtmäßigkeitsbeurteilung 240 des Entscheidungsträgers gebunden ist. Gleiches gilt für den Umfang der Kontrolle; auch er reicht nur so weit, wie die Entscheidung, auf welche die Prüfüng jeweils bezogen ist, es erfordert 241 . Als eine Konsequenz hieraus ist es möglich, daß ein Organ bei der Wahrnehmung einer Kompetenz eine umfassende Kontrollbefügnis bezüglich einer Entscheidung besitzt, die es bei Ausübung anderer Entscheidungsbefügnisse nur eingeschränkt überprüfen darf oder an die es gar gebunden ist 2 4 2 . Diese Relativität der Kontrollkompetenz ist eine notwendige Folge der Relativität der Kompetenzordnung überhaupt.

ΙΠ. Voraussetzungen und Folgen kompetentiellen Vorrangs 7. Bindungswirkung

als kompetenzrechtlicher

Grundsatz

Im Prozeß der Rechtskonkretisierung wirkt eine Vielzahl staatlicher Organe mit je begrenzten und grundsätzlich unterschiedlichen Kompetenzen zusammen. Wenn unter Kompetenz die Befügnis zu zweckgerichteter verbindlicher Entscheidung zu verstehen 243 , wenn weiterhin die Verteilung von Kompetenzen nur als sinnvolle Ordnung gerechtfertigt ist, die Zuständigkeitsüberschneidungen vermeiden und so widersprüchlichen Entscheidungen vorbeugen soll 2 4 4 , wenn schließlich der leitende Gesichtpunkt bei der Übertragung von Entscheidungsmacht Legitimation, Sachverstand und Struktur des beauftragten und ermächtigten Organs ist, so resultiert hieraus als ein staatsorganisatorischer und 240

Vgl. oben 3. Kap., ΙΠ.2., S. 152. Krebs, Kontrolle, S. 143. 242 Als Beispiel sei die Einschränkung der Prüfungsbefugnis des BVerfG im Rahmen der kommunalen Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG genannt (vgl. etwa BVerfG v. 26.10.1994 — 2 BvR 445/91 — BVerfGE 91, 228, 245 und oben 1. Teil, 2. Kap., II.2.b), S. 41 f., Fußn. 83), die etwa im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG nicht bestünde. — Vgl. auch Krebs, Kontrolle, S. 81 ff. zum Umfang gerichtlicher Kontrollen, der davon abhängt, ob die vom Gericht zu treffende Entscheidung dem Individualrechtsschutz oder der objektiven Rechtskontrolle dient. 243 Vgl. oben 3. Kap., II. 1., S. 145 f. 244 Knöpfte, „Tatbestands-" und „Feststellungswirkung", BayVBl. 1982, 225, 228; im Grundsatz zustimmend Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rdnr. 86; vgl. auch oben 2. Kap., Π. 1 .b), S. 137. 241

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kompetenzrechtlicher Grundsatz, daß die so getroffenen Entscheidungen weder in Bestand 245 noch in Wirkung von anderen Organen angetastet werden dürfen, sofern sie hierzu nicht ausdrücklich ermächtigt sind. Eben hierin äußert sich die Exklusivität von Kompetenzen 246 und besteht die Respektierung der Kompetenzräume anderer Entscheidungsträger 247. Aus ihr folgt, daß dem Grunde nach jedes Organ die Existenz und den Inhalt der von anderen Organen getroffenen Entscheidungen bei Ausübung seiner eigenen Kompetenzen zugrundezulegen hat 248 .

a) „Tatbestandswirkung" bei Einzelfallentscheidungen Diese Bindung als Ausprägung begrenzter und aufeinander bezogener Kompetenzen ist lediglich bei Entscheidungen, die der Rechts- bzw. Bestandskraft fähig sind, also etwa gerichtlichen Urteilen oder Verwaltungsakten, dem Grunde nach anerkannt. Allerdings wird ihre Grundlage in der realen Verteilung von Kompetenzen überwiegend bestritten und es besteht keine Einigkeit über den Umfang und die Voraussetzungen dieser Bindungswirkung. So sind gerichtliche Urteile anerkanntermaßen für Behörden wie für Gerichte verbindlich 249 . Bei Verwaltungsakten besteht jedenfalls im Grundsatz Einigkeit darüber, daß sie nicht nur für die von ihnen Betroffenen sowie für die erlassende Behörde bindend, sondern gleichermaßen von anderen Behörden zu beachten sind 250 . Diese Bindung an Bestand und Inhalt — mit unter245

Zum „Grundsatz der gegenseitigen Unaufhebbarkeit der Akte", der nur kraft besonderer Kompetenz suspendiert ist, vgl. (für das Verhältnis Rechtsprechung-Verwaltung) Wolff/Bachofl Stober, Verwaltungsrecht I, § 20 Rdnr. 62; Stettner, Kompetenzlehre, S. 317. 246 Vgl. dazu schon oben 2. Kap., II. 1 .b), S. 137 f. 247 Vgl. Brohm, Steuerungsmechanismen, DÖV 1987, 265, 269: „In diesem Zusammenspiel der drei Gewalten hat jede die Aufgabe der anderen zu respektieren, ihren Beitrag darauf abzustimmen und den aufgegebenen Erfolg zu gewährleisten". 24r Knöpfte, „Tatbestands-" und „Feststellung sWirkung", BayVBl. 1982, 225, 228; vgl. fur die Bindung von Behörden an den Inhalt von Verwaltungsakten anderer Stellen öffentlicher Verwaltung, Erichsen, Verwaltungshandeln, in: ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, § 13 Rdnr. 4: „ E i n e solche Bindung ist anzuerkennen, weil sonst das System der Zuständigkeitsverteilung aus den Angeln gehoben würde". Die grundsätzliche Bindung der Gerichte an Existenz und Inhalt von Verwaltungsakten schlußfolgert Erichsen (a.a.O., Rdnr. 5) aus dem Gewaltenteilungsprinzip, also letztlich wiederum aus der Verteilung von Kompetenzen. 249 Vgl. Kopp, VwGO, § 121, Rdnr. 5, zum Unterschied von materieller Rechtskraft und der nach seiner Terminologie so genannten „Tatbestandswirkung". 250 Überblick bei Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rdnr. 83; umfassend Sez'forf, Bindungswirkung, S. 67 ff.

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3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

schiedlichen Begriffen wie Tatbestandswirkung 251, Beachtlichkeit 252 oder Maßgeblichkeit 253 bezeichnet — wird allerdings häufig generell 254 oder teilweise 255 mit der materiellen Bestandskraft des Verwaltungsaktes identifiziert bzw. aus dieser abgeleitet und damit auch von der formellen Bestandskraft abhängig gemacht 256 . Umstritten ist indes, inwieweit neben Behörden auch Gerichte an Verwaltungsakte gebunden sind. Während in der Literatur überwiegend diese Bindung bejaht wird 2 5 7 , sieht sich die Rechtsprechung teilweise 258 nur an solche Verwaltungsakte gebunden, die gerichtliche Bestätigung erfahren haben 259 . 251 Erichsen, Verwaltungshandeln, in: ders.; Allgemeines Verwaltungsrecht, § 13 Rdnr. 4; Kopp, VwVfG, Vorbem. § 35, Rdnrn. 25 ff.; Scherzberg, Enteignungsgleicher Eingriff, DVB1. 1991, 84, 92; Stettner, Kompetenzlehre, S. 317. Randak, Bindungswirkungen, JuS 1992, 33, 37. 253 Knöpj le, „Tatbestands-" und „Feststellungswirkung", BayVBl. 1982, 225,227 ff. 254 Kopp, Bestandskraft, DVB1. 1983, 392,400. 255 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rdnrn. 85, 102 ff. m.w.N.; Randak, Bindungswirkungen, JuS 1992, 33, 34, 37. Sachs und Randak differenzieren zwischen materieller Bestandskraft einerseits, die zu einem — ,jede hoheitlich entscheidende Stelle" erfassenden — Abweichungsverbot bei Identität oder Präjudizialität der Entscheidungsgegenstände führen soll, bestandskraftunabhängiger „Beachtlichkeit" andererseits, die die Pflicht beinhaltet, die durch einen Verwaltungsakt bewirkten Rechtsänderungen zu beachten. Da eine derartige Beachtungspflicht nur bestehen kann, wenn die Rechtsänderung für eine zu treffende Entscheidung von Belang, also mindestens vorgreiflich ist (Präjudizialität), lassen sich die bestandskraftunabhängigen Wirkungen von denen der materiellen Bestandskraft kaum trennen. — Auch die Unterscheidung von gestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten trägt hierzu nichts bei. Sie beruht, wie insbesondere Seibert, Bindungswirkung, S. 96 ff, gezeigt hat, auch auf der unzutreffenden These von der einzig richtigen Entscheidung. Zudem ist es widersprüchlich, der gerichtlichen oder behördlichen Aufliebung auch feststellender Verwaltungsakte gestaltende Wirkung zuzusprechen, sie aber dem Erlaß feststellender Verwaltungsakte abzusprechen, vgl. Seibert, a.a.O., S. 99. 256 Anders — alleine an die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes anknüpfend — z.B. Knöpj le, „Tatbestands-" und „Feststellungswirkung", BayVBl. 1982, 225, 229; Kopp, VwVfG, Vorbem. § 35, Rdnr. 25; Ortloff, Inhalt und Bindungswirkungen, NJW 1987, 1665 1669 f. mit Fußn. 51 ; Seibert, Bindungswirkung, S. 208 f. 257 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rdnrn. 93 ff.; Randak, Bindungswirkungen, JuS 1992, 33, 34; Knöpfle, „Tatbestands-" und „Feststellungswirkung", BayVBl. 1982, 225, 228; Erichsen, Verwaltungshandeln, in: ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, § 13 Rdnr. 5. 258 Siehe aber z.B. BGH v. 25.10.1990 — IX ZR 13/90 — BGHZ 112, 363 (Bindung nach Unanfechtbarkeit); BGH v. 26.2.1993 — V ZR 74/92 — BGHZ 122, 1 (grundsätzliche Bindung, solange der Verwaltungsakt nicht aufgehoben worden ist). 259 Das gilt vor allem für die Rechtsprechung des BGH in Fragen der Staatshaftung. An einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit von gerichtlichen Urteilen sieht sich der BGH gehindert, vgl. etwa BGH v. 8.5.1980 — III ZR 27/77 — BGHZ 77, 338, 341 f.; BGH v. 26.1.1984 — III ZR 179/82 — BGHZ 90, 4, 12; BGH v. 10.6.1985 — ΠΙ ZR 3/84 — BGHZ 95, 28, 35 ff.; an der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten jedenfalls im Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozeß dagegen nicht, BGHZ 86, 356, 359; BGHZ 90, 17, 23; BGHZ 113, 17, 18; dazu Rinne, Nachprüfbarkeit, in: FS f.

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167

Diese Rechtsprechung basiert allerdings, wie noch zu zeigen ist, zumindest zum Teil auf einer Verkennung von Inhalt und Gegenstand der Bindungswirkung 2 6 0 und vermag deshalb zumindest in ihren Begründungen nicht zu überzeugen.

b) Grenzen von Rechts- und Bestandskraft Gegen die Begründung der Bindungswirkung von Urteilen und Verwaltungsakten für grundsätzlich alle hoheitlichen Entscheidungsträger mit den Instituten der Rechts- bzw. der Bestandskraft sprechen allerdings durchschlagende Argumente 261 . Das betrifft vor allem die subjektiven Grenzen dieser Institute, die darauf angelegt sind, zwischen den Beteiligten eines Prozeß- oder Verwaltungsrechtsverhältnisses Verbindlichkeit in bezug auf den Inhalt der Entscheidung herzustellen. Diese inter-partes-Wirkung wird in den Regelungen über die materielle Rechtskraft (§ 121 VwGO, §§ 322 Abs. 1, 325 Abs. 1 ZPO) ausdrücklich genannt (und z.T. auf weitere Personen erstreckt). Dagegen läßt sich schon dem Wortlaut dieser Bestimmungen eine Erstreckung auf sonstige Hoheitsträger nicht entnehmen 262 .

Boujong, S. 633 f. — Zu dieser Differenzierung vgl. auch BVerwG v. 6. Juni 1975 — 4 C 15/73 — BVerwGE 48,271,275 ff. 260 Die Bindung kann nur den Inhalt einer Entscheidung umfassen, also den Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts, vgl. Scherzberg, Enteignungsgleicher Eingriff, DVB1. 1991, 84, 92; dazu unten S. 172 f. 261 Zur Bindungswirkung von Verwaltungsakten Seibert, Bindungswirkung, S. 192 ff. — Natürlich ist es möglich, die allgemeine Bindungswirkung für grundsätzlich alle staatlichen Entscheidungsträger auch als Rechts- oder Bestandskraft zu bezeichnen. Das ändert aber nichts daran, daß sich diese Wirkung in ihrem subjektiven und zeithchen Anwendungsbereich sowie in der rechtlichen Begründung von der gesetzlich geregelten bzw. vorausgesetzten Wirkung der Rechts- bzw. Bestandskraft unterscheidet. Es sprechen somit Gründe der terminologischen Klarheit dafür, die hier behandelte Frage mit anderen Begriffen zu belegen. Vgl. auch Sachs, Bindung des Bundesverfassungsgerichts, S. 74 ff., mit dem Vorschlag, von „Inter-Organ-Wirkung" zu sprechen. Sachs allerdings geht nicht auf die Kompetenzverteilung als Grundlage der Bindungswirkung ein und kommt deshalb zu erheblich engeren Grenzen (vgl. a.a.O., S. 79 ff.). 262 Vgl. aber Kopp, VwGO, § 121 Rdnr. 12, der die Bindungswirkung auf Gerichte aller Gerichtszweige erstreckt und dies mit der „allgemeinen Fassung des § 121 VwGO" begründet. Diese Vorschrift aber trifft über die Bindung von Gerichten, die selbst nicht Beteiligte im Verwaltungsprozeß sind (vgl. § 63 VwGO), überhaupt keine Aussage. Die (innerprozessuale) Bindung des entscheidenden Gerichts tritt vielmehr nach §§173 VwGO, 318 ZPO ein, hat jedoch mit der Rechtskraft nichts zu tun (Thomas/Putzo, ZPO, § 318 Rdnr. 1 ). Dagegen existiert keine Norm, der die Bindung anderer Gerichte entnommen werden kann.

168

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

Soweit ein Träger öffentlicher Gewalt Partei eines Rechtsstreits bzw. durch seine Behörden (sachlich 263 ) am Verwaltungsverfahren beteiligt ist und mit dem Verwaltungsakt das Rechtsverhältnis zu dem Adressaten bzw. sonstigen Betroffenen regelt, steht seiner Einbeziehung in die subjektiven Grenzen der Rechts- und Bestandskraft zwar nichts entgegen. Da nämlich die jeweiligen Behörden nicht für sich selbst, sondern nur für ihren Rechtsträger handeln, ergibt sich daraus die bestandskraftabhängige Bindung aller Behörden und Gerichte des jeweiligen Rechtsträgers 264. Damit ist indes nicht begründet, warum auch Behörden und Gerichte anderer Träger öffentlicher Gewalt der Bindung unterliegen sollen. Keineswegs läßt sich dies mit dem pauschalen Hinweis darauf erklären, daß die beteiligten Behörden „Teil und Organ der öffentlichen Gewalt" seien und somit „die öffentliche Gewalt schlechthin in all ihren Gliederungen und Untergliederungen" gebunden zu sehen 265 . Denn dadurch wird die föderalistische Ordnung und die dezentrale Organisation des Staates nivelliert und ihre Zusammensetzung aus rechtlich selbständigen und voneinander zu unterscheidenden Rechtssubjekten geleugnet.

c) Entscheidung als Teil der Rechtsordnung? Der Versuch, die bestandskraftunabhängige „Beachtlichkeit" 266 damit zu erklären, daß die durch den Verwaltungsakt bewirkten Rechtsänderungen eine neue Rechtslage schafften, die als Bestandteil der Rechtsordnung von jedem rechtsanwendenden Organ zu beachten seien 267 , mündet hingegen in einen Zirkelschluß. Der Hinweis auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Rechtsprechung trägt für sich genommen nicht. Es ist gerade die Frage, ob und warum diese neue Rechtslage von anderen Rechtsanwendern zugrundegelegt werden soll. Das Argument, daß jeder Verwaltungsakt „letztlich auf der Geltungsanordnung eines Gesetzes (beruht), deren Beachtung dann Art. 20 Abs. 3 GG fordert" 268 , läßt außer Betracht, daß die allgemeine, über die subjektiven

263

Rechtlich ist die Behörde selbst im Verwaltungsverfahren nicht „Beteiligte", vgl. § 13 VwVfG. 264 Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rdnrn. 75 ff. mit dem zutreffenden Hinweis auf die Parteienstellung des entscheidenden Verwaltungsträgers im Verwaltungsprozeß in Rdnr. 77. 265 So aber Kopp, Bestandskraft, DVB1. 1983, 392,400. 266 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rdnrn. 102 ff ; Randak, Bindungswirkungen, JuS 1992, 33, 37. 267 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rdnrn. 105 f.; Randak, Bindungswirkungen, JuS 1992, 33, 37. 268 So Randak, Bindungswirkungen, Jus 1992, 33, 37.

. Kap.: Kompetenz und

ranton

169

Grenzen der Bestandskraft hinausreichende Geltung von Verwaltungsakten gerade nicht gesetzlich festgelegt ist.

d) Rechts- und bestandskraftunabhängige Bindung kraft Kompetenzverteilung So vermag nur die Einräumung von Kompetenz als Befugnis zu verbindlicher Entscheidung und Konkretisierung die notwendige Erklärung und zugleich die hinreichende Begründung für die Bindungswirkung zu bieten 269 . Auf diese Weise wird nicht nur die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit staatlicher Entscheidungen gewährleistet 270 ; zugleich kommt auch der Grundgedanke von Kompetenzzuweisungen zur Geltung, wonach sich die Entscheidungsbefügnisse an den spezifischen Fähigkeiten des jeweiligen Organs auszurichten haben 2 7 1 , für die Rechtmäßigkeit und Sachgerechtigkeit ihrer Entscheidungen einschließlich der Entscheidungsfolgen Sorge zu tragen 272 . Schließlich wird hierdurch sichergestellt, daß die besonderen verfahrensmäßigen Vorkehrungen — der durch die innere Organisation des Entscheidungsträgers und die besonderen Bestimmungen über das innere wie das äußere Verfahren geprägte Entscheidungsprozeß —, die das Gesetz an die jeweilige, vom zuständigen Organ zu verfolgende, Entscheidungsfindung knüpft, nicht durch ein Organ umgangen werden, das nach den ihm vorgegebenen Entscheidungsstrukturen handelt, die auf die Bewältigung anderer Aufgaben ausgerichtet sind. Das gegen diesen kompetenzrechtlichen Ansatz gerichtete Argument, die von einem Verwaltungsakt ausgehende Bindungswirkung trete auch ein, wenn

269

Seibert, Bindungswirkung, S. 259 ff.; vgl. auch Ortloff.\ Inhalt und Bindungswirkungen, NJW 1987, 1665, 1666: „Wenn die Kompetenzordnung einen auf Dauer angelegten Sinn haben soll, muß sich aus ihr nicht nur die jeweilige Sachentscheidungskompetenz ergeben, sondern als Folge der im Einzelfall konkretisierten Kompetenz die Bindung aller übrigen von der Kompetenzordnung erfaßten staatlichen und kommunalen Stellen an die getroffene Sachentscheidung der zuständigen Behörde"; ähnlich Gaentzsch, Konkurrenz paralleler Anlagengenehmigungen, NJW 1986, 2787, bes. S. 2992 ff. 270 Hierauf beziehen sich etwa Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rdnr. 86; Scherzberg., Enteignungsgleicher Eingriff, DVB1. 1991, 84, 92. 271 Seibert, Bindungswirkung, S. 261: „Der Bindungswirkung fällt hier die Aufgabe zu, die auf dem jeweiligen Sachverstand basierenden Kompetenzzuweisungen zu wahren". 272 Ebenso Knöpj le, „Tatbestands-" und „Feststellungswirkung", BayVBl. 1982, 225,229.

170

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

er von der unzuständigen Behörde erlassen wurde 273 , greift demgegenüber nicht durch, da es hierbei um die Frage geht, wer im Verhältnis von Entscheidungsträger und Bindungsunterworfenen die Kompetenz besitzt, über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zu urteilen 274 . Eine so begründete Verbindlichkeit getroffener Entscheidungen für jedes andere Organ ist unabhängig davon, ob die getroffene Entscheidung bereits rechts- oder bestandskräftig ist 2 7 5 ; sie ist noch nicht einmal davon abhängig, ob sie ihrer Art nach überhaupt der Rechts- oder Bestandskraft fähig ist 2 7 6 . Denn bei — der Kompetenzübertragung immanenten — Einräumung von Konkretisierungsbefugnissen und der damit verbundenen Konkretisierungsverantwortung ist die Rechtsform, in der diese Konkretisierung erfolgt, sekundär 277 . Zudem werden durch die bloße Möglichkeit der gerichtlichen oder außergerichtlichen Aufhebung einer Entscheidung — an die die Institute der Rechts- bzw. Bestandskraft anknüpfen — gesetzlich zugewiesene Entscheidungsbefugnisse weder verkürzt noch erweitert. Die Bindung knüpft alleine an die Existenz einer Entscheidung an 2 7 8 und erfaßt grundsätzlich alle Organe innerhalb der staatlichen Kompetenzordnung 279 (auch Gerichte 280 ), sofern nicht ausdrücklich etwas anderes gesetzlich geregelt ist. 273 Fluck, Legalisierungswirkung, VerwArch 79 (1988), 406, 413; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rdnr. 86; Scherzberg, Enteignungsgleicher Eingriff, DVB1. 1991,84, 92. 274 Zutreffend deshalb Fluch, Legalisierungswirkung, VerwArch 79 (1988), 406, 413: „ E i n e Behörde prüft vor Erlaß eines VA nicht nur ihre Zuständigkeit, sie spricht sie mit Erlaß des VA auch konkludent im Rahmen des Entscheidungsgegenstandes mit verbindlicher Wirkung für alle aus". — Vgl. unten IIL4.a), S. 173 f. 275 Ebenso fur Verwaltungsakte Ortloff, Inhalt und Bindungswirkungen, NJW 1987, 1665, 1669 f.; anders etwa Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rdnr. 84: „Einer Entscheidung, die von dem Betroffenen noch auf regelmäßigem Wege angefochten werden kann, kommt indes nicht ein solches Gewicht für die Rechtssicherheit zu, daß ihr bereits generell der Vorrang vor der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eingeräumt werden dürfte". — Vom hier vertretenen Standpunkt aus ist dagegen die Beachtung der Kompetenzordnung und die damit einhergehende Einschränkung der Entscheidungsbefugnis durch vorgängige (präjudizielle) Entscheidungen Teil der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. 276 Knöpfte, „Tatbestands-" und „Feststellungswirkung", BayVBl. 1982, 225,228. 277 Vgl. auch Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34, 145, 163. 278 Kopp, VwVfG, Vorbem. § 35 Rdnr. 25, zur „Tatbestandswirkung" von Verwaltungsakten. ^ 79 Ortloff, Inhalt und Bindungswirkungen, NJW 1987, 1665, 1666. 280 Vgl. auch — unter Hinweis auf Krebs, Kontrolle, S. 55 — Scherzberg, Enteignungsgleicher Eingriff, DVB1. 1991, 84, 91 in Fußn. 106: „Wenn man sich vergegenwärtigt, daß als Maßstab gerichtlicher Kontrolle stets nur die für das überprüfte Verhalten selbst verbindlichen Regeln in Betracht kommen (...), können für Behörden und Verwaltungsgericht dabei entgegen verbreiteter Auffassung keine unterschiedlichen Maßstäbe gelten". — Da die hier vertretene Position an die Verteilung der Kompetenzen

. Kap.: Kompetenz und

ranton

171

Mit der Bindung an getroffene Entscheidungen werden somit relative — einerseits bezogen auf die jeweils beteiligten Organe, andererseits beschränkt auf die dabei in Rede stehenden Kompetenzen — Letztentscheidungskompetenzen („Prärogativen" 281 ) begründet, aus denen sich der kompetentielle Vorrang des einen vor dem anderen Organ ergibt.

2. Konkretisierung

und Modifizierung

durch Gesetz und Verfassung

Dieser kompetentielle Vorrang des zuerst entscheidenden Organs ist nicht als ein alles überspielendes Prioritätsprinzip mißzuverstehen. Selbst im Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG gründend, wird er zunächst durch das Grundgesetz näher ausgeformt, präzisiert und abgewandelt. Die grundlegende Prägung erhält er durch Art. 20 Abs. 3 GG 2 8 2 , der einerseits den (förmlichen 283 ) Gesetzgeber nur an die verfassungsmäßige Ordnung bindet und somit grundsätzlich von den Entscheidungen anderer Organe unabhängig macht, sofern nicht das Grundgesetz ein anderes bestimmt 284 , andererseits die Gesetzesunterworfenheit von vollziehender und rechtsprechender Gewalt normiert. Die kompetenzrechtlichen Verhältnisse zwischen den zuletzt genannten Staatsfunktionen werden durch die Rechtswegegarantie des Art. 19 Abs. 4 GG in ihren Grundzügen ausgestaltet. Das Verhältnis von Bundes- zu Landesorganen wird bestimmt (u.a.) in den Kompetenznormen der Art. 30, 70, 83 ff. GG etc. Auf einfach-gesetzlicher Ebene wird diese verhältnismäßige Zuordnung von Kompetenz und Bindung weiter verfeinert, präzisiert und modifiziert. Innerhalb der Verwaltung werden etwa durch die hierarchische Organisation der unmittelbaren Staatsverwaltung generelle, durch die Einräumung von Aufsichts- und Weisungsbefugnissen oder Selbsteintrittskompetenzen relative Prärogativen begründet. Im Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit genießt letztere die Letztentscheidungskompetenz, soweit ihr Entscheidungsbefugnisse (grund-)gesetzlich eingeräumt sind 285 . anknüpft, die durch Verfassung oder Gesetz erfolgt, liegt im übrigen auch keine die richterliche Unabhängigkeit über die Grenzen des Art. 97 Abs. 1 GG berührende Bindung vor. Stettner, Kompetenzlehre, S. 205 ff., 308 ff. 282 Nach Stettner, Kompetenzlehre, S. 207, findet der Gedanke des kompetentiellen Vorrangs in Art. 20 Abs. 3 GG eine seiner entscheidenden Stützen. 283 Vgl. nur Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rdnr. 23. 284 Etwa durch Kompetenzzuweisungen an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 und 100 GG. 285 Zur Divergenz von staatlicher Rechtsbindung und gerichtlicher Kontrollkompetenz vgl. Krebs, Kontrolle, S. 81 ff. — Da die Entscheidungsbefugnisse der Gerichtsbar-

172

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

Im übrigen aber, soweit keine gesetzliche Ausformung kompetentieller Relationen existiert, bleibt es bei dem oben erläuterten Grundsatz der Bindungswirkung getroffener Entscheidungen als Folge der jeweiligen Kompetenzverteilung.

3. Bindung als Außiebungs- und Abweichungsverbot An die Feststellung der aus der Kompetenzverteilung resultierenden Bindungswirkung knüpft sich die Frage nach deren Gegenstand und Inhalt. Nach dem Verständnis von Kompetenzen als relativen Wirkbefugnissen 286 , deren Ausübung daraufhin abzielt, zur Erfüllung einer übertragenen Aufgabe konkrete (rechtliche oder tatsächliche) Wirkungen in der sozialen Wirklichkeit zu zeitigen, bezieht sich die Bindung gerade auf diese Wirkungen. Anknüpfungspunkt ist daher nicht jede Einzelentscheidung, die den Willensbildungs- und Informationsverarbeitungsprozeß prägt 287 , sondern das hieraus resultierende Ergebnis. Nur dieses ist unmittelbar darauf gerichtet, außerhalb der Person oder Organisation des einzelnen Entscheidungsträgers Folgen auszulösen. Die Bindung bezieht sich, um eine bereits oben 288 gebrauchte Differenzierung aufzugreifen, auf den Entscheidungs/wAa//, nicht dagegen auf seine Begründung 289 . Der Inhalt der Bindung besteht in dem an jedes andere Organ gerichtete Gebot, nicht selbst Entscheidungen zu treffen, die die intendierten Wirkungen der bindenden Entscheidung beseitigen oder die ihnen zuwiderlaufen. Das Gebundensein äußert sich somit in einem Aufhebungs- und Abweichungsverbot 290 . Soweit der Gegenstand einer bindenden Entscheidung als Vorfrage einer Kompetenzausübung relevant ist, ist demnach die Vorfragenkompetenz eingeschränkt. Eine Verletzung dieser Verbote stellt einen Eingriff in den Kompetenz· und Verantwortungsbereich des für die Entscheidung zuständigen Organs dar 2 9 1 , der nur durch eine entsprechende Ermächtigung durch Verfassung oder keit regelmäßig auf den Schutz subjektiver Rechte beschränkt sind, kann auch nur insoweit ein kompetentieller Vorrang vor der Verwaltung angenommen werden. 286 Oben 3. Kap., I., S. 143. 287 Dazu oben 3. Kap., Π.2., S. 145 ff. 288 3. Kap., II.2.b), S. 149 f. 289 Der sachliche Umfang dieser Bindung stimmt also mit dem von Rechts- und Bestandskraft überein. 290 Zu diesem aus dem Prozeßrecht stammenden doppelten Bindungsbegriff vgl. Sachs, Bindung des BVerfG, S. 3 f.; dens., in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §43 Rdnrn. 12 f. 291 Vgl. etwa Zim mer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 96 ff.

. Kap.: Kompetenz und

ranton

173

Gesetz gerechtfertigt werden kann. Fehlt es an dieser, so ist das gebundene Organ in seinen Entscheidungsbefugnissen im Umfang der Bindung eingeschränkt. Insoweit kann es für seine Entscheidungen allerdings auch nicht zur Verantwortung gezogen werden 292 .

4. Kompetentieller

Vorrang und Kontrollkompetenzen

a) Relativer Ausschluß der Kontrollkompetenz In dem Maße, in dem durch vorgängige und vorrangige Entscheidungen die Entscheidungsbefügnisse eines Organs beschränkt sind, entfällt zugleich dessen Kompetenz, die bindende Entscheidung zu kontrollieren 293 . Denn wenn im Verhältnis zweier Organe zueinander eine bestimmte Entscheidung letztverbindlich nur einem zugewiesen ist und das andere der Bindung hieran unterliegt, so kann — wenn nichts anderes bestimmt ist — das Ergebnis einer Überprüfüng an der Existenz des Aufhebungs- und Abweichungsverbotes hieran nichts ändern. Denn der kompetentielle Vorrang basiert bereits auf der Zuweisung von Kompetenzen, nicht erst auf der Wahrnehmung in concreto. Mit anderen Worten: die Grundlage der (relativen) Letztentscheidungskompetenz ist nicht im Entscheidungsinhalt, sondern unabhängig davon im Entscheidungsträger zu sehen. Im Verhältnis der Organe zueinander und im Hinblick auf die in Rede stehenden Kompetenzen obliegt die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der bindenden Entscheidung alleine deren Urheber. Daher kann nicht gleichsam umgekehrt die Art oder der Umfang der Bindung vom Ergebnis der Überprüfüng abhängen 294 . Aus diesem Grunde ist das gebundene Organ nicht zur Kontrolle berechtigt 295 , soweit es gebunden ist.

292

Zur Beschränkung des Verantwortungsbereichs auf die Entscheidungsbefugnisse siehe oben 1.3., S. 161 f. 293 Zur Akzessorietät der Kontrollkompetenz vgl. oben Π.2., S. 163 f. 294 Sofern diese Bindung nicht gerade unter dem Vorbehalt der Überprüfung steht bzw. von ihr abhängen darf. Da eine solche Abhängigkeit jedoch eine Ausnahme von dem kompetenzrechtlichen Grundsatz der Bindung ist, kann sie nur aufgrund einer entsprechenden Ausnahmevorschrift angenommen werden. Ein Beispiel hierfür ist Art. 100 Abs. 1 GG; dazu unten 4. Teil, 1. Kap., 1.1 .b), S. 182 f. 295 Vgl. auch Kopp, VwVfG, Vorbem. § 35, Rdnr. 27. — Von diesem Ansatz her begegnet es Bedenken, wenn etwa die „Tatbestandswirkung" von Verwaltungsakten nicht lediglich an ihre äußere Wirksamkeit (rechtliche Existenz), sondern an ihre innere Wirksamkeit gebunden wird, vgl. Kopp, VwVfG, Vorbem. § 35, Rdnr. 26; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §43, Rdnr. 106; Seibert, Bindungswirkung, S. 208 f.

174

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß b) Keine generelle Bindung an die Entscheidungsbegründung

Dabei sind jedoch die Grenzen des Kontrollverbots zu berücksichtigen. Es ergibt sich aus und ist untrennbar verbunden mit der Bindung an den Inhalt der Entscheidung. Der Satz, wonach die Kontrollkompetenz vom Umfang der Entscheidungskompetenz abhängt, ist nicht umkehrbar. Das hat die Konsequenz, daß aus dem — dem Aufhebungs- und Abweichungsverbot folgenden — relativen Ausschluß einer Prüfungsbefugnis keine über den Entscheidungsinhalt hinausgreifende generelle Bindung auch an die Entscheidungsbegründung und insbesondere an die Rechtmäßigkeitsbeurteilung des Entscheidungsträgers eintritt. Es macht also einen Unterschied, ob die einer Kompetenzwahrnehmung vorgreifliche Frage lautet, welchen Inhalt eine Entscheidung eines anderen Organs hat, oder ob nur die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung im Räume steht. Wenn die kompetenzrechtliche Bindungswirkung eingreift, ist zwar eine vom Inhalt abweichende Entscheidung ausgeschlossen. Wird dagegen die vorgreifliche Entscheidung weder in Bestand noch in Wirkung von dem zu treffenden Entscheid berührt, kann ihre Rechtmäßigkeit durchaus überprüft werden, ohne daß dies als Eingriff in die Kompetenzen des kontrollierten Organs anzusehen wäre. An dieser Überlegung zeigt sich, daß die insbesondere von der Rechtsprechung vorgenommene Differenzierung bei der Bindung an Verwaltungsakte danach, ob sie gerichtliche Bestätigung gefunden haben oder nicht 2 9 6 , zwar unzutreffend begründet, aber jedenfalls dem Grunde nach im Ergebnis zutreffend ist, soweit es um die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Verwaltungsakte geht. Die inhaltliche Bindung an einen Verwaltungsakt besagt, daß von der in ihm enthaltenen Regelung nicht abgewichen werden darf. Diese Regelung aber ist von der Beurteilung der Rechtmäßigkeit zu unterscheiden, die zwar dem Erlaß des Verwaltungsakts zugrundeliegt, jedoch nicht selbst Entscheidungsinhalt ist 2 9 7 . Hat etwa ein Gericht eine Entscheidung zu treffen, die weder Bestand noch Inhalt des Verwaltungsakts angreift, beide vielmehr voraussetzt — etwa über einen Amtshaftungsanspruch —, so kann kein Verstoß gegen das Aufhebungs- und Abweichungsverbot vorliegen. Dementsprechend ist die für die Entscheidung vorgreifliche Antwort auf die Frage der Rechtmäßigkeit dem Gericht nicht durch die Bindungswirkung versagt. Wurde der fragliche Verwaltungsakt dagegen gerichtlich bestätigt, so ist Inhalt der gerichtlichen Ent-

Denn auch hier handelt es sich um Rechtmäßigkeitsbeurteilungen, die primär der erlassenden Behörde obliegen. 296 Vgl. oben III.l.a),S. 165 ff. 297 Siehe auch Scherzberg, Enteignungsgleicher Eingriff, DVB1. 1991, 84, 92.

5. Kap.: Zusammenfassung des 3. Teils

175

Scheidung die Bestätigung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts 298 . Sie kann in einem nachfolgenden (Amtshaftungs-) Prozeß nicht erneut entschieden werden. — Damit hegt in der bloßen Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung keine Ausnahme, Einschränkung oder Durchbrechung der Bindungswirkung 299 , sondern lediglich eine Anerkennung ihres auf den Entscheidungsinhalt beschränkten Umfangs. Umgekehrt läßt sich das Erfordernis gerichtlicher Bestätigung nicht auf die — im Vergleich zu Verwaltungsverfahren — besonderen verfahrensmäßigen Vorkehrungen bei gerichtlichen Entscheidungen stützen 300 , sondern lediglich darauf, daß der Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes sich vom Entscheidungsinhalt eines gerichtlichen Urteils über die Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsakts unterscheidet.

5. Kapitel

Kompetenzen im Verfassungsprozeß — Zusammenfassung des 3. Teils 1. Die komplexe Gliederung der staatlichen Kompetenzordnung gründet im Prinzip der Gewaltenteilung. Es kann nicht als Instrument der Hemmung, Mäßigung und Kontrolle staatlicher Macht (miß-)verstanden werden, sondern ist vielmehr Ausdruck einer positiven, sinnvollen, rationalen Organisation des Staates zur Bewältigung all der Aufgaben, derer sich der Staat annimmt oder annehmen muß. Die Konstituierung staatlicher Organe, die Zuweisung von Aufgaben und die Ausstattung mit hoheitlichen Befugnissen unterliegt dem Postulat sachgerechter Aufgabenerfüllung. Mit diesem Grundsatz funktionsge298 Diese allgemeine Formulierung trifft keine Aussage über den strittigen und mit vielen Zweifelsfragen belasteten Begriff des Streitgegenstandes (umfassend dazu Detterbeck, Streitgegenstand, S. 50 ff.; zur Anfechtungsklage a.a.O., S. 153 ff.). Im Ergebnis wird allerdings nach allen relevanten Streitgegenstandsbegriffen die im Text beschriebene Bindung eingreifen. 299 So aber Kopp, VwVfG, Vorbem. § 35 Rdnr. 28; Rinne, Nachprüfbarkeit, in: FS f. Boujong, S. 633, 638; krit. auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §43 Rdnrn. 93 ff. 300 So aber BVerwG v. 6. Juni 1975 — 4 C 15/73 — BVerwGE 48, 271, 276 — Das Urteü erweist sich im Ergebnis jedoch als zutreffend, wenn man als Regelung eines die Erteilung einer Baugenehmigung ablehnenden Bescheids nur die Ablehnung des Antrags als solche ansieht nicht aber die Feststellung, daß der beantragten baulichen Anlage öffentlichrechtliche Vorschriften entgegenstehen. Wie hier z.B. Gaentzsch, Konkurrenz paralleler Anlagengenehmigungen, NJW 1986, 2787, 2792; auch BVerwG v. 17.10.1989 — 1 C 18/87 — DVB1. 1990, 206, 207; anders die wohl überwiegende Meinung, vgl. nur Kopp, Bestandskraft, DVB1. 1983, 392, 399 f.; dens., VwVfG, Vorbem. § 35 Rdnr. 27 m.w.N.; Seibert, Bindungswirkung, S. 529 f.

176

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

rechter Organstruktur bzw. funktionsadäquater Aufgabenverteilung wird einerseits gefordert, daß die jeweiligen Organe durch personelle, sachliche und instrumenteile Ausstattung in die Lage versetzt werden, die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Andererseits soll sich die Verteilung neuer zu bewältigender Agenden an den spezifischen Problemlösungsfahigkeiten der einzelnen Einheiten orientieren. Das Gebot sachgerechter Aufgabenerfüllung ist nicht auf die Ebene des Verfassungsrechts beschränkt. Als Konkretisierung des aus dem Gewaltenteilungsprinzips folgenden Grundsatzes fünktionsgerechter Organstruktur muß auch die Verteilung von Aufgaben und Befügnissen innerhalb der Staatsfünktionen — als „Gewaltenteilung innerhalb der Gewalten" — die möglichst optimale Erfüllung staatlicher Aufgaben gewährleisten 301. 2. a) Staatliche Tätigkeit zielt ab auf die Gestaltung der Wirklichkeit im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung. Die Verwirklichung ihrer Maßgaben in der Realität läßt sich als Prozeß schrittweiser Konkretisierung verstehen, der von den jeweils kompetenten staatlichen Organen arbeitsteilig betrieben wird 3 0 2 . b) Die Gemeinsamkeit der in diesem Rahmen ausgeübten Kompetenzen besteht darin, daß hierbei jeweils verbindliche Entscheidungen getroffen werden. Die Bindung jedweder staatlichen Entscheidung an die verfassungsmäßige Ordnung weist die Wahrnehmung von Kompetenzen als dem Gebot der Rationalität verpflichtete Tätigkeit aus. Dies eröffnet den Blick nicht nur auf das Entscheidungsergebnis, sondern auch auf die Bedingungen und Methoden der Entscheidungsfindung, den Entscheidungsprozeß. Er gliedert sich in unterschiedliche Phasen, die sich von der Festlegung des zu erreichenden Ziels bis zur Entschließung über das zur Zielerreichung zu ergreifende Mittel erstrecken. In jeder dieser Phasen werden Vorentscheidungen im Hinblick auf den Endentscheid getroffen; jede dieser Phasen kann normativ vorgeprägt oder rechtlich vorentschieden sein. Als „inneres Verfahren" enthält der Entscheidungsprozeß die materielle Begründung für das Entscheidungsergebnis. Das äußere Verfahren, d.h. die zeitliche Abfolge einzelner Handlungen, bildet den zeithchen Rahmen, innerhalb dessen sich der Entscheidungsprozeß vollzieht. Seine rechtliche Ausgestaltung ist maßgeblich von der Handlungsform abhängig, in der der Endentscheid als formaler Abschluß des Entscheidungsprozesses ergeht. Diese Handlungsform wiederum bestimmt die (rechtlichen) Wirkungen der so getroffenen Entscheidung. So besteht eine spezifische Relation zwischen Ent-

301 302

Vgl. oben 2. Kap., Π., S. 133 ff. Vgl. oben 3. Kap., I., S. 143 f.

5. Kap.: Zusammenfassung des 3. Teils

177

scheidungsträger, (innerem wie äußerem) Entscheidungsverfahren, Entscheidungsinhalt und Entscheidungswirkung 303 . 3. a) Die Wahrnehmung verliehener Kompetenzen bedarf als Wahlhandlung eines Entscheidungsmaßstabs. Dieser besteht zunächst in der Erfüllung der zugewiesenen Aufgabe. Da sich jede Ausübung staatlicher Gewalt aber vor dem Recht legitimieren muß, bemißt sich jede Entscheidung eines staatlichen Organs auch nach diesem. Die Ausübung übertragener Entscheidungsbefugnisse ist stets normgeleitete Wirklichkeitsgestaltung, also Zweck- und Rechtskonkretisierung. Da sich in einem rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten Staat dessen Organe weder bewußt ihrer Verfassungs- und Gesetzesbindung entziehen noch sich ihr gegenüber auch nur indifferent verhalten, können die von ihnen getroffenen Entscheidungen als Rechtsentscheidungen in dem Sinne charakterisiert werden, daß sie jedenfalls aus ihrer Sicht rechtmäßig sind 304 . b) Die Frage, ob eine Entscheidung tatsächlich als „richtige" Konkretisierung des Rechts bewertet werden kann, stellt sich vor allem dann, wenn mehrere staatliche Organe in Anwendung derselben Normen über denselben Sachverhalt zu befinden haben. Da Rechtsanwendung — Norminterpretation und Subsumtion — keine ausschließlich logischen Vorgänge sind, können in diesem Fall divergierende Beurteilungen die Folge sein. Je unbestimmter die gesetzliche Determinierung der jeweiligen Entscheidung und je komplexer die tatsächlichen Verhältnisse, die der Entscheidung zugrunde liegen, in desto höherem Maße gewinnen die Ausgestaltung des (äußeren wie inneren) Entscheidungsverfahrens und die Organisation des Entscheidungsträgers Einfluß auf das schließlich gefundene Ergebnis. Damit scheidet es aus, den Konflikt zwischen unterschiedlichen Beurteilungen nach dem Maßstab „objektiver Richtigkeit" aufzulösen. Vielmehr stellt sich die Frage, welches Organ insoweit den kompetentiellen Vorrang genießt 305 . 4. Die Gesamtheit der Kompetenzen stellt sich als System gestufter Rangund Vorrangverhältnisse zwischen staatlichen Organen dar, das im Prozeß der Rechtskonkretisierung wirksam wird. Die Bestimmung der jeweiligen Kompetenzbereiche wird mit dem Begriff der Verantwortung umschrieben, der die Pflichtenbindung der Ausübung staatlicher Gewalt als Komplement der Kompetenz bezeichnet. Er füßt auf dem Verständnis (grund-)gesetzlicher Kompetenzverteilung als eines arbeitsteiligen, rationalen, sinnvollen Gefüges staatlicher Entscheidungsabläufe und -ergebnisse, welche die Ausübung hoheitlicher

303 304 305 12 Wehr

Vgl. oben 3. Kap., II., S. 145 ff. Vgl. oben 3. Kap., IH., S. 151 ff. Vgl. oben 3. Kap., ΠΙ.3., S. 153 ff.

178

3. Teil: Kompetenzen im Verfassungsprozeß

Gewalt legitimiert, ihre Kontrolle sichert und die Erfüllung staatlicher Aufgaben gewährleistet. a) Die Verantwortung staatlicher Organe folgt ihrer Kompetenz. Sie verpflichtet zur Wahrnehmung und zur Erfüllung der übertragenen Aufgaben unter Beachtung der hierbei bestehenden rechtlichen Bindungen. Da Zuweisung und Ausübung von Kompetenzen die Gestaltung der Wirklichkeit zum Zweck haben, umfaßt die Verantwortung auch die Folgen, die das jeweilige Organhandeln zeitigt. Sie erstreckt sich auf die Tätigkeit anderer Organe, soweit diese hierdurch determiniert wird. Auf der anderen Seite wird die Verantwortung durch den Rahmen der Entscheidungsbefügnisse begrenzt 306 . b) Verantwortung wird durch Kontrolle aktualisiert. Als Selbstkontrolle des Kompetenzträgers ist sie notwendiger Bestandteil des Entscheidungsprozesses bei der Wahrnehmung von Kompetenzen. Die Fremdkontrolle ist nur rechtmäßig, wenn und soweit sie zur Wahrnehmung einer Kompetenz notwendig ist. Kontrollkompetenzen sind also abhängig von Entscheidungsbefugnissen und somit nach Gegenstand und Umfang durch diese beschränkt. Entscheidungsbefügnisse, die derartige Kontrollkompetenzen beinhalten, setzen voraus, daß die zu treffende Entscheidung ihrem Inhalt nach vom Ergebnis der Kontrolle abhängen kann und abhängen darf 307 . c) Im Prozeß der Rechtskonkretisierung wirken staatliche Organe mit je begrenzten Kompetenzen zusammen. Aus dem Verständnis der Kompetenzordnung als einer sinnvollen Verteilung von Entscheidungsbefügnissen, die sich an den speziellen Fähigkeiten der Organe orientiert, folgt, daß die solcherart getroffenen Entscheidungen grundsätzlich für jedes andere Organ bindend sind. Dieser kompetenzrechtliche Grundsatz ist nicht als alles überspielendes Prioritätsprinzip mißzuverstehen. Er erfährt durch Verfassung und Gesetz ebenso Bestätigung wie auch Modifizierungen. Mit der Bindung der Gesetzgebung (nur) an die verfassungsmäßige Ordnung und der Bindung der vollziehenden Gewalt sowie der Rechtsprechung an Gesetz und Recht sind Grundstrukturen vorgezeichnet, die in weiteren Verfassungsbestimmungen näher ausgeformt sind und auch im einfachen Gesetzesrecht konkretisiert werden 308 . d) Gegenstand der Bindung ist der Entscheidungsinhalt, Inhalt der Bindung sind die damit intendierten Entscheidungswirkungen. Die Bindung läßt sich als Aufhebungs- und Abweichungsverbot beschreiben. So werden durch Kompetenznormen relative Letztentscheidungskompetenzen begründet, die im Hin306 307 308

Vgl. oben 4. Kap., I., S. 155 ff. Vgl. oben 4. Kap., II., S. 162 ff. Vgl. oben 4. Kap., III. 1 .und 2., S. 164 ff.

5. Kap.: Zusammenfassung des 3. Teils

179

blick auf die jeweiligen Entscheidungen den kompetentiellen Vorrang des speziell zuständigen vor anderen Organen statuieren. Deren Entscheidungsbefugnisse werden hierdurch inhaltlich beschränkt. Zu einer Kontrolle der bindenden Entscheidung ist der Adressat der Bindung deshalb nicht berechtigt, soweit die Bindung besteht. Insoweit — jedoch nicht darüber hinaus — sind auch die der Entscheidung zugrundehegenden Begründungen verbindlich 309 .

309

Vgl. oben 4. Kap., ΙΠ.3. und 4., S. 172 ff.

4.

Teil

Originäre oder akzessorische Verwerfungskompetenz

Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen geht es im folgenden darum, die gefundenen Resultate auf das Problem der Inzidentverwerfüngskompetenz der Verwaltung anzuwenden. Dabei ist zwischen zwei Konstellationen zu differenzieren: Alleine das kompetentielle Verhältnis zwischen Urheber und Adressat einer Norm soll bei der Frage nach einer „originären" Verwerfungskompetenz thematisiert werden. Diese Relation von Normsetzung und Normanwendung im Prozeß der Rechtskonkretisierung wird zunächst behandelt1. Unter der Überschrift „Akzessorische Verwerfungskompetenz" wird im Anschluß daran nach den Wirkungen prinzipaler oder inzidenter Normenkontrollen und Verwerfungen durch Gerichte auf die kompetentielle Stellung der Verwaltung gefragt 2. Abschließend werden die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit in Thesen zusammengefaßt 3.

1. Kapitel

Normsetzung und Normanwendung im Prozeß der Rechtskonkretisierung Nach dem Verständnis der von der Verfassung vorgezeichneten stufenweisen Konkretisierung des Rechts als eines Rechtsbildungsprozesses4, der von den staatlichen Entscheidungsträgern arbeitsteilig betrieben wird, lassen sich Normsetzung und Normanwendung als komplementäre Formen der Rechtsbildung begreifen 5. Sie enthalten jeweils selbst wiederum sowohl rechtsanwen1

Unten 1. Kap., S. 180 ff. Unten 2. Kap., S. 194 ff. Unten S. 201 ff 4 Dazu oben 3. Teil, 3. Kap., I., S. 143 f. 5 Vgl. Maurer, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985) 135, 155; Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 145, 162 f.; siehe auch Schulze-Fielitz, Parlament, in: Dreier/Hofmann, Parlamentarische Souveränität, S. 71, 72 f. 2 3

1. Kap. : Normsetzung und Normanwendung

181

dende als auch rechtsetzende Elemente6 und stellen unterschiedliche „Aggregatzustände"7 von Recht dar, welche von unterschiedlichen Organen aufgrund der ihnen zustehenden Kompetenzen nach je unterschiedlichen Regeln hervorgebracht werden. Zueinander stehen sie in einem Stufenverhältnis, das durch diejenigen Bindungen konstituiert wird, welchen die Urheber der Konkretisierungsakte jeweils unterliegen. Die grundlegendste Aussage über Gegenstand, Umfang und Inhalt dieser Bindung trifft Art. 20 Abs. 3 GG.

I. Kompetenzverhältnis nach Art 20 Abs. 3 GG 7. Zum Verhältnis der Legislative zu Judikative

und Exekutive

a) Art. 20 Abs. 3 GG als Grundentscheidung Art. 20 Abs. 3 GG knüpft mit der Benennung der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an die Gewaltengliederung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG an und bestimmt das kompetentielle Verhältnis von parlamentarischem Gesetzgeber einerseits zu den Organen der Exekutive und Judikative andererseits. Zwar wird hierdurch das Kompetenzverhältnis nicht abschließend geregelt 8. Art. 20 Abs. 3 GG setzt seinem Wortlaut nach bestehende und in anderen Normen zugewiesene Kompetenzen des Gesetzgebers voraus. Soweit dieser von seinen Gesetzgebungsbefugnissen Gebrauch gemacht hat, drückt sich in der Bindung der anderen Gewalten an das Gesetz sein kompetentieller Vorrang vor Exekutive und Judikative aus. Die Organe der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt sind als Adressaten förmlicher Gesetze verpflichtet, die jeweilige Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers als für sie verbindliche Konkretisierung der Verfassung zu respektieren. Exekutive und Judikative sind in den Prozeß der Verwirklichung des Gemeinwohls mit einbezogen und konkretisieren ihrerseits die gesetzgeberischen Entscheidungen im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständig6 Maurer,, Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), 135, 163; vgl. auch v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 54 f. 7 Begriff nach Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis, S. 140, der damit aber lediglich die vielfaltigen Erscheinungsformen förmlicher Gesetze erfassen will. 8 Die Abgrenzung der Kompetenzbereiche zwischen Legislative und Exekutive jenseits expliziter Kompetenzzuweisungen ist Gegenstand der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes; zu diesem Kompetenzproblem vgl. etwa Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR ΙΠ, § 62 Rdnrn. 7 ff.; Wehr, Grundfälle, JuS 1997,419 ff.

182

4. Teil: Originäre oder akzessorische Verwerfungskompetenz

keit. Die Bindung an das Gesetz beinhaltet das Gebot zur Anwendung bestehender Gesetze sowie das Verbot, vom Inhalt der Gesetze abzuweichen9. Damit wird gewährleistet, daß die Intentionen des Parlaments zur Wirklichkeitsgestaltung, wie sie im Gesetz Ausdruck gefunden haben, tatsächlich auch in die Realität umgesetzt werden 10 , sofern nicht ausnahmsweise das Gesetz diese Wirkung selbst unmittelbar hervorruft 11 . Daher ist es Exekutiv- und Judikativorganen verwehrt, die Prärogative des Gesetzgebers durch eigene Entscheidungen zu umgehen12.

b) Modifizierung der richterlichen Gesetzesbindung M i t der grundlegenden Entscheidung des Art. 20 Abs. 3 GG für den Kompetenzvorrang des Gesetzgebers zur Konkretisierung der Verfassung ist allerdings das letzte Wort über das kompetentielle Verhältnis zwischen den Gewalten nicht gesprochen. Die Bindung der Rechtsprechung an den gesetzgeberischen Willen wird in anderen Verfassungsbestimmungen modifiziert. Das betrifft nicht alleine die Entscheidungsbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts, sondern jede rechtsprechende Tätigkeit. Art. 100 Abs. 1 GG statuiert die Befügnis und Verpflichtung jedes Gerichts, ein förmliches Gesetz, das für verfassungs- (bzw. bundesrechts-)widrig erachtet wird, nicht anzuwenden. Diese Norm wird gemeinhin dahingehend verstanden, daß die Rechtsprechung insgesamt grundsätzlich von der Pflicht zur Anwendung solcher Normen entbunden ist, die nach ihrer Überzeugung rechtswidrig sind. Vor dem Hintergrund des Streits um die richterliche „Prüfungs-" (besser: Verwerfüngs-) kompetenz unter der Geltung der Weimarer Verfassung entstanden13, setzt Art. 100 Abs. 1 GG die Inzidentverwerfüngskompetenz der Gerichte voraus 14 , schränkt sie jedoch für die darin genannten Kollisionen ein. — Außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 100 Abs. 1 GG ist deshalb der Richter gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an die betreffende Norm gebunden, zu ihrer Anwendung verpflichtet und zur Abwei9 Gusy, Vorrang des Gesetzes, JuS 1983, 189, 191; Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 62 Rdnrn. 4 f. 10 Zur Bindung an den Entscheidungsinhalt als Folge der Verteilung der Entscheidungsbefugnisse vgl. oben 3. Teil, 4. Kap., III.3., S. 172 f. Vgl. die Beispiele bei Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 96, Fußn. 102: Herabsetzung des Wahlalters, Regelung der Geschäftsfähigkeit. 12 Gusy, Vorrang des Gesetzes, JuS 1983, 189, 191. 13 v. Doemming/Füsslein/Matz, Entstehungsgeschichte, JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 735. 14 Stern, BK (Zweitbearb.), Art. 100 Rdnr. 6.

1. Kap.: Normsetzung und Normanwendung

183

chung von ihrem Inhalt nicht berechtigt, wenn er sie für rechtmäßig erachtet. Das höherrangige Recht wirkt sich nur „normintern" 15 bei der Auslegung und Anwendung der Norm aus. Das Anwendungsgebot und das Abweichungsverbot sind allerdings suspendiert, wenn der Richter zur Überzeugung gelangt, daß die Norm gegen höherrangiges Recht verstößt. In diesem Fall hat er das ranghöhere Recht unter Verwerfüng der Konkretisierungsentscheidung des Normgebers selbst („normextern" 16 ) zu konkretisieren. Innerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 100 Abs. 1 GG stellt die Norm in dem Falle, daß das Gericht sie für rechtmäßig hält, nach Art. 20 Abs. 3 GG die für den Richter verbindliche Konkretisierung höherrangigen Rechts dar. Anderenfalls entfallt zwar die Anwendungspflicht; eine eigenständige Konkretisierungsbefügnis ist dem Richter allerdings nicht eingeräumt. Er hat vielmehr die Entscheidung des zuständigen Verfassungsgerichts einzuholen17. — So kann die Stellung der Gerichte zum (entscheidungserheblichen) Gesetz als „bedingte Bindung" und das kompetentielle Verhältnis zum parlamentarischen Gesetzgeber als „bedingter Vorrang" des letzteren bezeichnet werden. Das aus Art. 20 Abs. 3 GG fließende Anwendungsgebot und Abweichungsverbot steht unter dem Vorbehalt der Rechtmäßigkeitsbeurteilung durch das Gericht.

c) Keine Modifizierung der exekutiven Gesetzesbindung Das Grundgesetz enthält keine dem Art. 100 Abs. 1 GG entsprechende, die Gesetzesbindung der vollziehenden Gewalt modifizierende Norm. Insbesondere kann Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG nicht als eine derartige Modifizierung des Art. 20 Abs. 3 GG angesehen werden. Denn die Antragsbefügnis ist zum einen nicht daran gebunden, daß die Antragsteller selbst die zu überprüfende Norm für rechtswidrig halten 18 . Es ist auch nicht einmal notwendig, daß die Bundes- oder Landesregierung (oder die ihnen nachgeordneten Behörden) Adressaten des zu überprüfenden Gesetzes sind. So kann etwa eine Landesre-

15

Begriff nach Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19IV, Rdnr. 123. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19IV, Rdnr. 125. 17 Diese Position ist vor allem im Hinblick auf die Herleitung subjektiv-öffentlicher Rechte unmittelbar aus Grundrechten strittig. Nach hier vertretener Ansicht vermögen sich Gerichte nicht contra legem unmittelbar auf die Grundrechte zu stützen, diese entfalten also keine „normexterne" Wirkung. Vgl. zu diesem m.E. zwingenden Ansatz vor allem Wahl, Abhängigkeit des subjektiven öffentlichen Rechts, DVB1. 1996, 641, 647 ff. m.w.N.; vgl. auch Gusy, Vorrang des Gesetzes, JuS 1983, 189, 194. 18 Stern, BK (Zweitbearb.), Art. 93 Rdnr. 218. 16

184

4. Teil: Originäre oder akzessorische Verwerfungskompetenz

gierung auch das Recht eines anderen Landes zur Prüfung stellen 19 . Andererseits schließt die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts nicht — wie etwa Art. 100 Abs. 1 GG — die weitere Anwendung der zu prüfenden Norm zwingend aus. Insgesamt ergibt sich, daß die Antragsbefugnis über die (Art der) Gesetzesbindung keinerlei Aussagen trifft, sie also weder voraussetzt noch inhaltlich verändert. Auch durch Art. 1 Abs. 3 GG werden die Kompetenzrelationen nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht verändert. Die Bindung der vollziehenden Gewalt an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht begründet selbst keine Kompetenzen, sondern kann nur bei Ausübung bestehender Entscheidungsbefugnisse wirksam werden 20 . Hingegen fordert die Verfassungsbindung des vollziehenden Gewalt die Respektierung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung, also der Prärogative des Gesetzgebers. Damit bleibt es für die Exekutive bei der (unbedingten und vorbehaltlosen) Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG und dem kompetentiellen Vorrang des parlamentarischen Gesetzgebers.

2. Keine originäre Verwerfungskompetenz der Exekutive im Hinblick auf förmliche Gesetze M i t dieser Feststellung kann nun ein erstes Fazit gezogen werden: Die Stellung der Exekutive zum formellen Gesetz wird in Art. 20 Abs. 3 GG abschließend geregelt. Das Grundgesetzt weist primär dem Gesetzgeber die Verantwortung zu, im Rahmen seiner Kompetenzen für die Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung und die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen Sorge zu tragen. Das gleiche gilt dementsprechend für die Ausführung europäischen Gemeinschaftsrechts durch förmliche Gesetze21, also insbesondere die Umsetzung von Richtlinien in innerstaatliches Recht und — soweit erforderlich 22 — die legislative Ergänzung von Verordnungen. Die in Gesetzesform ergangenen Entscheidungen des Parlaments stellen für alle Exekutivorgane die verbindliche Konkretisierung aller der Regelungen dar, an die

19 BVerfG v. 26.6.1990 — 2 BvF 2, 6/89 — BVerfGE 83, 37, 49; Stern, BK (Zweitbearb.), Art. 93 Rdnr. 219. 20 Für das Verhältnis des Bundes zu den Ländern ebenso BVerfG v. 28.2.1961 — 2 BvG 1, 2/60 — BVerfGE 12, 205, 249; BVerfG v. 22.5.1990 — 2 BvG 1/88 — BVerfGE 81, 310, 333 f. 21 Dazu nur Streinz, Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 182, Rdnrn. 53 ff. 22 Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 354; Streinz, Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 182, Rdnr. 18.

1. Kap.: Normsetzung und Normanwendung

185

das Parlament bei der Normsetzung gebunden ist Die Bindungskraft der Verfassung — und, wie zu ergänzen ist, auch der Regelungen internationalen Rechts, soweit sich die Rechtsordnung nach dem Grundgesetz (Art. 23 - 25 GG) für ihre Geltung geöffnet hat — ist durch die Gesetzesbindung „mediatisiert" 23 . Sie wird durch die Gesetze vermittelt und wirkt sich „normintern" bei der Auslegung und Anwendung der Norm aus 24. Dagegen ist es der Exekutive aus kompetentiellen Gründen untersagt, die Gesetzesbindung gegen die Verfassungsbindung „auszuspielen" und sich unter Berufüng auf das Grundgesetz (oder etwa Europäisches Gemeinschaftsrecht) gesetzgeberischen Entscheidungen zu widersetzen. Die Beurteilung dessen, was im jeweiligen Fall verfassungsgemäß — oder allgemeiner: rechtmäßig — ist, steht im Verhältnis von Exekutive und Legislative in Ansehung formlicher Gesetze alleine der letzgenannten Gewalt zu. Die Nichtanwendung eines Gesetzes stellte dagegen einen Eingriff in die Kompetenzen der Legislative dar, die die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der von ihr erlassenen Norm und auch dafür trägt, daß die Anwendung des Gesetzes nicht aus Gründen, die im Gesetz liegen, zu rechtswidrigem Handeln staatlicher Organe führt 25 . Der vollziehenden Gewalt steht daher keine originäre, das heißt ihr unmittelbar durch die Verfassung zugewiesene Kompetenz zu, in ihren Entscheidungen von gesetzlichen Bindungen abzuweichen, weil sie diese für rechtswidrig erachtet. Soweit die Bindung an das Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG reicht, sind die Exekutivorgane an die durch den Erlaß der Norm dokumentierte Rechtmäßigkeitsbeurteilung des Gesetzgebers gebunden26. Damit kann auch eine verfassungsunmittelbare Kompetenz zur Aussetzung des Verfahrens, wie sie häufig vorgeschlagen wird 2 7 , nicht in Betracht kommen, da sie als vorläufige Nichtanwendung ebenfalls der Gesetzesbindüng (Anwendungsgebot) widerspräche. So vermag sich also die Exekutive nicht kraft eigener Entscheidungsmacht der Verpflichtung zu Gesetzesanwendung und -beachtung zu entziehen.

23

Begriff nach Stern, Staatsrecht III/l, § 74 II 2χ)χ, S. 1348. Seiner Ansicht nach gilt dies jedoch nur „im Regelfall". Zu möglichen Ausnahmen siehe unten Π.2., S. 190 ff. 24 Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 61, Rdnr. 27. 25 Zur Folgenverantwortung vgl. oben 3. Teil, 4. Kap., I.2.c), S. 160 f. 26 Vgl. dazu oben 3. Teil, 4. Kap., Π.2., S. 163 f. und 3. Teil, 4. Kap., m.4.a), S. 173 f. 27 Zur Theorie von der Aussetzung des Verfahrens vgl. oben 2. Teil, 2. Kap., II.2.c), S. 91 f.; zur Theorie der eingeschränkten Verwerfungskompetenz vgl. oben 2. Teil, 2. Kap., II.2.d), S. 92 f.

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4. Teil: Originäre oder akzessorische Verwerfungskompetenz 3. Exekutive Normsetzung und Normanwendung a) Keine Verwerfungskompetenz des Normadressaten

Rechtsverordnung und Satzung sind Formen exekutiver Rechtsetzung, die Ausdruck unterschiedlicher Organisationsprinzipien sind — dekonzentrierte Rechtsetzung durch Rechtsverordnung einerseits, dezentralisierte Rechtsetzung durch Satzung andererseits 28. Bei aller Unterschiedlichkeit, die diesen Arten der Normsetzung eignet, lassen sich doch im Hinblick auf die kompetentiellen Bezüge Gemeinsamkeiten ausmachen, die im hier behandelten Kontext von wesentlicher Bedeutung sind. Die Befügnis zu allgemeinverbindlicher Rechtsetzung ist nach dem Grundgesetz primär den Legislativorganen vorbehalten. Organe der Exekutive verfügen über diese Befügnis nur in dem Maße, in dem ihnen die Rechtsetzungsmacht durch die Verfassung oder durch parlamentarisches Gesetz verliehen wurde. Bei Ausübung von Normsetzungsbefugmssen ist das jeweilige Organ der Bindung an die förmlichen Gesetze unterworfen. Umgekehrt entfalten die so gesetzten Normen für die jeweiligen Adressaten Bindungswirkung nach Maßgabe des Art. 20 Abs. 3 GG 2 9 . Diese Bindung aber determiniert, wie gezeigt, das kompetentielle Verhältnis von Urheber und Adressat der jeweiligen Norm in dem Sinne, daß letzterer an die konkretisierende Entscheidung des Erstgenannten unbedingt und vorbehaltlos gebunden ist und dem Anwendungsgebot wie dem Abweichungsverbot unterliegt 30 . Damit aber erstreckt sich die Bindung ebenfalls auf die dem Normerlaß zugrundeliegende Rechtmäßigkeitsbeurteilung des normsetzenden Organs 31. Eine (allgemeine) Verwerfüngskompetenz kann dem Adressaten der untergesetzli-

28

Vgl. nur Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 61, Rdnrn. 33 f. 29 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, VI (1980), Rdnr. 51; BVerfG v. 31.5.1988 — 1 BvR 520/83 — BVerfGE 78, 214, 227. — Nach der gegenteiligen Ansicht von Schmidt-Aßmann, Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 24 Rdnrn. 38 f., wird von Art. 20 Abs. 3 GG zwar nur das förmliche Gesetz erfaßt; die Bindung der Verwaltung an untergesetzliches Recht leugnet aber auch sie natürlich nicht. 30 Siehe oben I.2.,S. 184 f. 31 Vgl. oben 3. Teil, 4. Kap., Π.2., S. 163 f. und 3. Teil, 4. Kap., III.4.a), S. 173 f.

1. Kap.: Normsetzung und Normanwendung

187

chen Norm deshalb grundsätzlich ebensowenig zukommen, wie dem Adressaten des förmlichen Gesetzes32.

b) Irrelevanz des organisatorischen oder kompetentiellen Verhältnisses im übrigen Die Bindung auch an untergesetzliches Recht ist unabhängig von der organisatorischen oder kompetentiellen Stellung des Normadressaten zum normsetzenden Organ im übrigen. Sie besteht für alle Behörden 33, also auch dann, wenn die normanwendende Behörde zugleich als Aufsichtsbehörde (auch) über die rechtmäßige Aufgabenerfüllung des Normgebers zu wachen hat, sei es im Rahmen der hierarchisch gegliederten staatsunmittelbaren Verwaltung durch die jeweilige Fachaufsichtsbehörde, sei es die staatliche Fach- oder Rechtsaufsichtsbehörde gegenüber Selbstverwaltungskörperschaften, also insbesondere den Kommunen. Denn die Aufsichts- und Weisungskompetenzen lassen zum einen die Zuständigkeit zur Normsetzung unberührt. Die Verfügung über die Norm bleibt (sofern keine Eintrittsbefügnisse bestehen34) einer Entscheidung der für die Rechtsetzung kompetenten Behörde vorbehalten, mag sie auch durch die Aufsichtsbehörde determiniert sein. Soweit die staatliche (Rechts-) Aufsicht über Kommunen in Rede steht, unterliegen ferner die Instrumente der staatlichen Einflußnahme dem Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 GG; dieser würde verletzt und die abschließende Regelung der Aufsichtsmittel (vgl. etwa Art. 111 ff. BayGO) würde durch eine inzidente Verwerfüng der Norm umgangen 35 . Zum anderen aber nimmt die in den Vollzug der Norm eingeschaltete Behörde eine von der allgemeinen Rechts- oder Fachaufsicht zu unterscheidende Aufgabe wahr, bei deren Erfüllung sie den kompetentiellen Bindungen des Art. 20 Abs. 3 GG unterliegt. Entscheidungsbefügnisse dürfen jedoch je-

32

Die Bindung eines Verwaltungsorgans an die von einer vorgesetzten Stelle erlassene Norm muß deshalb nicht auf deren Weisungsbefugnis nach § 38 Abs. 2 BRRG gestützt werden; diese kann der Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs 3 GG nichts hinzufugen. A.A. offenbar Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 386 f. 33 Ebenso v. Mutius/Hill, Behandlung fehlerhafter Bebauungspläne, S. 58, für Bebauungspläne unter Berufung auf „die gesetzliche Verleihung der Rechtsetzungsgewalt" (a.a.O., S. 57); auf die Kompetenzverteilung stellen ebenso ab Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 390 f., mit dem Hinweis auf die der Kompetenzzuweisung zugrundeliegenden Gedanken der Spezialisierung und Sachnähe (a.a.O., S. 391); ebenso Pagenkopf, Plankontrolle, BauR 1979, 1, 13. 34 Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 390, Fußn. 59. 35 Vgl. Wehr, Grundfälle, JuS 1997, 231, 235.

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4. Teil: Originäre oder akzessorische Verwerfungskompetenz

weils nur zu dem Zweck ausgeübt werden, zu dem sie dem Verwaltungsorgan übertragen wurden 36 . Daraus ergibt sich, daß auch der Vorschlag Pietzckers 37, die an der Rechtmäßigkeit zweifelnde Behörde habe bei der normerlassenden Stelle anzufragen, ob diese die Norm ihrerseits für rechtswidrig halte, nicht weiterhilft. Denn selbst wenn man dem Urheber der Norm die Inzidentverwerfungskompetenz zubilligte, könnte dieser die gesetzliche Kompetenzverteilung nicht durch sein Einverständnis mit der Inzidentverwerfung verändern 38. Der in der Nichtanwendung der Norm liegende Eingriff in die Kompetenzen des Normgebers würde durch die Zustimmung ebensowenig „geheilt", wie die Überschreitung der Eigenkompetenzen der inzident verwerfenden Behörde.

c) Keine Normverwerfung aufgrund der Normsetzungskompetenz Mit der Existenz einer Norm wird deshalb die Bindung der jeweiligen Adressaten durch Art. 20 Abs. 3 GG generell angeordnet und das dort geregelte Verhältnis von Normsetzung zu Normanwendung aktualisiert. Als „Entscheidung über zukünftige Entscheidungen" steuert die gesetzte Norm das Verwaltungshandeln und damit die jeweilige Ausübung verliehener Kompetenzen. Soweit die Bindungskraft der Norm reicht, beschränkt sie die Konkretisierungskompetenzen des Organs auf die Ausfüllung des Rahmens, den die Norm eröffnet. Die Befugnis zur Setzung der Norm und die Befugnis zu ihrer Konkretisierung stehen im gesamten Prozeß der Rechtskonkretisierung auf unterschiedlichen Stufen und unterliegen jeweils eigenen kompetentiellen, sachlichen und verfahrensmäßigen Bindungen. Daher kann in der Nichtanwendung einer Norm im Einzelfall nicht ein „Minus" im Verhältnis zur vollständigen Aufhebung der Norm erblickt werden 39 . Aus diesem Grunde kann auch der für die Normsetzung, ihre Änderung und Aufhebung zuständigen Behörde eine Inzidentverwerfungskompetenz nicht zukommen, da sie als Adressat der selbst gesetzten Norm nicht als „Gesetzgeber", sondern als „Vollzugsorgan" tätig wird 4 0 , das wie jede andere Stelle der öffentlichen Verwaltung der Bindung an 36

Zur Zweck-Mittel-Relation von Aufgabe und Befugnis sowie zu den Konsequenzen hieraus vgl. schon oben 3. Teil, 1. Kap., Π., S. 124 ff. 37 Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 394; ihm folgend Dolde, Verwerfung nichtiger Bebauungspläne, BauR 1978, 153, 157. 38 Vgl. auch v. Mutius/Hill, Behandlung fehlerhafter Bebauungspläne, S. 56. 39 So aber Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 393. 40 A.A. Pietzcker, Inzidentverwerfung, AöR 101 (1976), 374, 393; wie hier im Ergebnis v. Mutius/Hill, Behandlung fehlerhafter Bebauungspläne, S. 60 f.; Johann

1. Kap.: Normsetzung und Normanwendung

189

die für ihr Verhalten maßgeblichen Normen unterliegt. — Die „Vermischung" beider Stufen der Rechtskonkretisierung hätte im übrigen zur Konsequenz, daß eine Behörde auch dann nicht an die eigene Norm gebunden wäre, wenn sie diese zwar nicht für rechtswidrig, sondern im Einzelfall nur für „unbequem" oder „inopportun" erachten würde. Unter Berufung auf die Befügnis zur Änderung oder Aufhebung auch einer rechtmäßigen Norm könnte sie im Einzelfall jede Entscheidung treffen, die nicht nur dem tatsächlichen, sondern jedem möglichen Norminhalt entsprechen würde. Daß dies nicht richtig sein kann, ergibt sich aus den unterschiedlichen Bindungen, die der Normsetzung einerseits, ihrer Anwendung andererseits auferlegt sind.

IL Umfang und Grenzen der Argumentation 7. Anwendungspflicht statt Prüfungs- und Verwerfungskompetenz In der Zuweisung von Rechtsetzungsbefügnissen einerseits und der Bindung des Normanwenders der Exekutive an die erlassene Norm andererseits verwirklicht sich der arbeitsteilige Rechtsbildungsprozeß nach Maßgabe des Grundgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Gesetze und untergesetzlichen Normen. Im Verhältnis der jeweiligen Organe zueinander trägt alleine der Urheber des Gesetzes im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Norm insgesamt. Stellt sich mithin der Erlaß einer Rechtsvorschrift, welchen Ranges auch immer, für die jeweilige Verwaltungsbehörde als ihres Adressaten als verbindliche Konkretisierung all deijenigen Normen dar, an die das normsetzende Organ gebunden ist, so kann die Normbindung nicht unter Berufung auf eine abweichende Beurteilung aufgehoben werden. Bereits für diese Beurteilung ist diejenige Behörde, welche zur Umsetzung des gesetzgeberischen Willens aufgerufen ist, schlicht nicht zuständig. Anders ausgedrückt: Weil die Gesetzesbindung eine eigene Entscheidungsbefügnis über die Rechtmäßigkeit der Norm ausschließt, kann auch keine Befügnis und erst recht keine Pflicht zur Rechts-

Schmidt, Inzidente Prüfung, BayVBl. 1976, 1, 6; wohl auch Pagenkopf Plankontrolle, BauR 1979, 1, 11 f.

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4. Teil: Originäre oder akzessorische Verwerfungskompetenz

kontrolle bestehen41. Eine originäre Kompetenz zur Prüfimg und inzidenten Verwerfung von Normen existiert für die Verwaltung nicht.

2. Der „Anwendungsvorrang" der konkreteren Norm und Kompetenzkonflikte zwischen Normgebern Der Gedanke der Konkretisierung gründet in der Vorstellung, daß sich das Recht stufenweise der Wirklichkeit „annähert", daß etwa die abstrakten unbestimmten Begriffe des Verfassungsrechts in bereichsspezifisch an den jeweiligen Sachbedürfnissen ausgerichteten Gesetzesnormen präzisiert werden, die ihrerseits situationsorientiert Anwendung finden 42. Auf dieser Grundlage basiert die Ablehnung einer originären Normverwerfüngskompetenz der Verwaltung.

a) Rangordnung und Konkretisierungszusammenhang Innerhalb einer einheitlichen Rechtsordnung — also etwa innerhalb des Bundes- oder innerhalb des jeweiligen Landesrechts ergeben sich insoweit keine Probleme, da insoweit die Normsetzungsbefugnisse „vertikal" verteilt sind und die Rangordnung der Normen sich an der kompetentiellen Rangordnung der „Gesetzgeber orientiert (formeller Rangbegriff 43 ). Als jeweils bindende Konkretisierung der höheren Normstufen ergibt sich so für die Verwaltung aus kompetentiellen Gründen ein „Anwendungsvorrang" 44 der rangniederen als der konkreteren Norm. Dasselbe gilt grundsätzlich aber auch im Verhältnis von Normen aus verschiedenen (Teil-)Rechtsordnungen zueinander. Die Verwaltung muß daher von der Grundgesetzmäßigkeit landesrechtlicher Normen und von ihrer Ver41 Zur Akzessorietät von Kontrollkompetenzen vgl. oben 3. Teil, 4. Kap., Π.2., S. 163 ff; zum relativen Ausschluß der Kontrollkompetenz durch die Gebundenheit oben 3. Teil, 4. Kap., III.4.a), S. 173 f. 42 Zu diesem Prozeß abstrakter und konkreter Rechtsbildung vgl. Scholz, Verwaltungsverantwortung, VVDStRL 34 (1976), 145, 161 f.; auch Gusy, Administrativer Vollzugsauflrag, DVB1. 1987, 497, 498 (im Hinblick auf VerwaltungsVorschriften): „Zwischenschritte auf dem Weg vom Gesetz zum Einzelfall". 43 Dazu oben 1. Teil, 1. Kap., I., S. 25. 44 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdnr. 42, der aber hinsichtlich der Verwerfungskompetenz mit dem materiellen Recht, nicht mit der Abgrenzung von Entscheidungsbefugnissen argumentiert (a.a.O., § 4 Rdnr. 46); zur Ablehnung dieser Argumentation siehe oben 2. Teil, 3. Kap., I., S. 108 ff

1. Kap. : Normsetzung und Normanwendung

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einbarkeit mit Bundesrecht insgesamt ausgehen. Das gleiche gilt aber auch hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit nationalen Rechts mit Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrecht. Im Verhältnis zur Verwaltung obliegt die Beurteilung, ob sich aus Bestimmungen des Primärrechts- bzw. Sekundärrechts die Notwendigkeit zum Erlaß oder zur Änderung von Gesetzen ergibt, dem zuständigen Bundes- oder Landesgesetzgeber45 4 6 .

b) Auflösung des Konkretisierungszusammenhangs Dieser, der Rangordnungsreihe folgende Konkretisierungszusammenhang wird jedoch dadurch aufgelöst, daß sich zum einen die nationale Rechtsordnung ihrer bundesstaatlichen Struktur entsprechend aus mehreren Teilrechtsordnungen zusammensetzt, und daß zum anderen diese Gesamtrechtsordnung mit derjenigen der Europäischen Gemeinschaft verzahnt ist 47 . Jede dieser Teilrechtsordnungen kennt Rechtsetzungsakte unterschiedlichen Konkretisierungsgrades. Das hat zur Folge, daß Kollisionen zwischen Normen verschiedener Rechtskreise auftreten können, die sich nicht nach Konkretisierungsbefugnis und -Verantwortung des Urhebers der rangniederen Norm auflösen lassen. Als Beispiel sei die denkbare Kollision eines Bundesgesetzes und einer landesve/^&sw/7gsTechtlichen Norm, etwa eines Landesgrundrechts, genannt48. Das Bundesgesetz selbst ist zwar die „konkretere" Vorschrift, indessen konkretisiert sie nicht das Landesverfassungsrecht, da der Bundesgesetzgeber daran nicht 45

Die ausnahmsweise unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen vermag daran nichts zu ändern, da sie voraussetzt, daß sie nicht fristgerecht oder nicht zureichend umgesetzt wurden (vgl. oben 1. Teil, 3. Kap., II.2.b), S. 55 f.). Das zu beurteilen ist jedoch im Verhältnis zur vollziehenden Gewalt (primär) Sache des Gesetzgebers. 46 Die Frage, ob sich insoweit aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht etwas anderes ergibt und das Folgeproblem, ob eine evtl. europarechtlich begründete Verwerfungskompetenz der Verwaltung mit den sich aus Art. 23 GG gezogenen Grenzen vereinbaren läßt, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Jedenfalls bestehen dagegen angesichts des durch Art. 20 Abs. 3 GG bestimmten Kompetenzverhältnisses zwischen Legislative und Exekutive, das nach nationalem Recht die Inzidentverwerfung zwingend ausschließt, erhebliche Bedenken im Hinblick auf Art. 79 Abs. 3 GG, vgl. etwa auch Pagenkopf,\ Einfluß des Gemeinschaftsrechts, NVwZ 1993, 216, 222; Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht, DVB1. 1993, 924, 932 f. 47 Dazu oben 1. Teil, 3. Kap., I.I., S. 48 ff. 48 Eine vergleichbare Problematik — allerdings bezogen auf Kompetenzen eines Landesverfassungsgerichts — lag den Beschlüssen des BerlVerfGH vom 23.12.1992, NJW 1993, 513 und vom 12.1.1993, NJW 1993, 515 („Fall Honecker") zugrunde; vgl. dazu, insbes. zu Kollisionslagen und -bewältigung, Rozek, Landesverfassungsgerichtsbarkeit, AöR 119 (1994), 450,464 ff.

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4. Teil: Originäre oder akzessorische Verwerfungskompetenz

gebunden ist. Die Norm der Landesverfassung ist zwar nach Art. 31 GG rangniedriger, doch „abstrakter". Ihr regelmäßig erheblich weiterer Anwendungsbereich kann nicht auf eine entsprechende Rechtmäßigkeitsbeurteilung des Verfassungsgebers im Hinblick auf die spezielle bundesrechtliche Kollisionsnorm schließen lassen. In derartigen Fällen kann eine Beurteilung der materiellen Kollisionslage durch das für die Normanwendung zuständige (Landes-) Verwaltungsorgan nicht unterbleiben und nicht aus kompetentiellen Gründen untersagt sein. Sie führt nach Art. 31 GG zur Anwendung der konkreteren Norm unter „ Verwerfüng" des Landesverfassungsrechts 49. Dies gilt auch dann, wenn aus Sicht der Behörde die Gesetzgebungsbefügnis des Bundesgesetzgebers für die fragliche Vorschrift zweifelhaft ist. Denn im Verhältnis der Verwaltung zum Gesetzgeber ist allein dieser für die Beurteilung seiner Kompetenzen zuständig und verantwortlich. Unter Berücksichtigung dieser besonderen Konstellation kann man somit allgemein von einem „Anwendungsvorrang der konkreteren Norm" sprechen, der grundsätzlich die Verwerfüngskompetenz der Exekutive wegen einer Unveinbarkeit mit einer abstrakteren Norm ausschließt.

c) Kompetenzkonflikte zwischen Normgebern Eine weitere Fallgruppe von Kollisionen ist dadurch gekennzeichnet, daß sich zwei Normen gleichen oder doch vergleichbaren Konkretisierungsgrades gegenüberstehen. Dies ist der Fall, wenn die Gesetzgebungsbefügnis jeweils nur einem von beiden Normurhebern zustehen kann. (1) Diese Problematik tritt etwa bei einem Kompetenzkonflikt zwischen Bundes- und Landesgesetzgeber auf 50 . Wird eine Sachmaterie sowohl durch ein Bundes- als auch durch ein Landesgesetz geregelt, führt aber ihre (gleichzeitige) Anwendung im Einzelfall zu einander widersprechenden Ergebnissen, so vermag die zuständige Behörde ihre Kompetenzen vorderhand weder dem ei49

Zum Vorrang des Bundesrechts vor Landesverfassungsrecht und seinen Folgen vgl. Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 99 Rdnr. 40; Rozek, Landesverfassungsgerichtsbarkeit, AöR 119 (1994), 450,464. 50 Dazu Menzel, Kompetenzkonflikt, DVB1. 1997, 640, 647, der in Fußn. 65 zutreffend auf die Besonderheit dieser Konstellation im Vergleich zu den üblicherweise im Zusammenhang mit der Frage der Verwerfungskompetenz behandelten Kollisionsfallen hinweist.

1. Kap. : Normsetzung und Normanwendung

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nen noch dem anderen Gesetz zu entnehmen. Der Grund liegt darin, daß sich keine Norm als Konkretisierung der jeweils anderen verstehen läßt, sondern vielmehr beide sich als divergierende Konkretisierungen der grundgesetzlichen Kompetenznormen darstellen. Beide erheben sozusagen gegenüber der Verwaltung gleichen Anspruch auf Verbindlichkeit, doch kann nur eine von ihnen tatsächlich Anwendung finden. Anders als bei der vorgenannten Fallgruppe scheidet aber auch eine Lösung über die Rangordnung der Normen aus. Denn Art. 31 GG greift nur ein, wenn das Bundesrecht kompetenzgerecht erlassen wurde 51 . Genau dies ist aber die Frage. In dieser Konstellation bleibt dem Normanwender nur die Möglichkeit, auf der Basis seines Verständnisses der Normen über die Gesetzgebungskompetenzen zu entscheiden, welches Gesetz er anzuwenden hat 52 . (2) Im weitesten Sinne vergleichbar ist eine Kollision zwischen Verordnungen nach Art. 189 Abs. 2 EGV und nationalen Normen. Soweit die Verordnung nicht Regelungen enthält, die nationale Legislativakte notwendig machen, gilt sie unmittelbar im Mitgliedstaat 53 und hindert den Gesetzgeber selbst daran, gleichlautendes — und erst recht abweichendes — nationales Recht zu erlassen54. — Die Vergleichbarkeit dieser Kollision mit der soeben behandelten ergibt sich daraus, daß die Verordnung wegen ihrer unmittelbaren Geltung nicht durch weitere Akte der Normsetzung konkretisierungsbedürftig ist und infolgedessen die nationale Norm sie nicht konkretisiert. Auch in diesem Falle liegt eine Art Kompetenzkonflikt vor, der von der Verwaltung selbst zu beurteilen ist. Sofern keine Hinweise dafür vorliegen, daß der Verordnunggeber seinerseits seine Kompetenzen überschritten hat, wird hier regelmäßig wegen der unmittelbaren Geltung die nationale Norm außer Anwendung gelassen werden müssen.

3. Zusammenfassung Der Ausschluß einer originären Prüfungs- und Verwerfungskompetenz der Verwaltung gründet im kompetentiellen Vorrang des jeweiligen Normgebers zur verbindlichen Konkretisierung aller der Gesetze, deren Bindung er unter51

Zu Art. 31 GG als Kollisionsnorm vgl. oben 1. Teil, 1. Kap., III.2., S. 34 f. Menzel, Kompetenzkonflikt, DVB1. 1997, 640, 647. Zum Begriff der unmittelbaren Geltung vgl. oben 1. Teil, 3. Kap., I.I., S. 49 , Fußn. 114. 54 EuGH, Rs. 39/72 — Kommission/Italien — Slg. 1973, 101, 113; Streinz, Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 182 Rdnr. 18. 52

53

13 Wehr

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4. Teil: Originäre oder akzessorische Verwerfungskompetenz

liegt. Der Konkretisierungszusammenhang findet grundsätzlich Ausdruck in der Rangordnung der Normen und fuhrt zum Anwendungsvorrang der rangniederen Norm. Grenzen dieser Konzeption ergeben sich, wenn ein solcher Konkretisierungszusammenhang nicht existiert. In diesem Fall bleibt nur der Rückgriff auf die Anwendung der materiellen Kollisionsregeln bzw. -normen, der zum Anwendungsvorrang der konkreteren Norm fuhrt. Lediglich bei Kompetenzkonflikten zwischen den Urhebern der kollidierenden Normen ist die Verwaltung zur Nichtanwendung der aus ihrer Sicht kompetenzwidrig erlassenen Norm befugt.

2. Kapitel

„Akzessorische" Verwerfungskompetenz Steht der Verwaltung als dem Adressaten einer Rechtsnorm wegen des kompetentiellen Vorrangs des Normgebers grundsätzlich keine originäre Inzidentverwerfüngskompetenz zu, so stellt sich die weitere Frage, ob sie nicht im Gefolge einer normverwerfenden gerichtlichen Entscheidung von der Anwendung absehen kann (oder gar muß). Hinsichtlich dieser „akzessorischen" Verwerfüngskompetenz ist zu unterscheiden zwischen der gerichtlichen Normverwerfung im Rahmen prinzipaler Normenkontrollen einerseits 55 und der Inzidentverwerfung andererseits 56. Einen besonderen Fall bilden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes 57, die sich keiner der genannten Arten zuordnen lassen.

I. Prinzipale Normenkontrollen Bei der prinzipalen Normenkontrolle ist die fragliche Norm selbst Streitgegenstand. Der Inhalt der gerichtlichen Entscheidung besteht in der Feststellung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der überprüften Norm durch das Gericht58. Zu derartigen Normenkontrollen ist das Bundesverfassungsgericht 55

Siehe sogleich unter I. Dazu unten Π., S. 198. 57 Dazu unten ΠΙ., S. 198. 58 Zu berücksichtigen ist allerdings, daß jede gerichtliche Kontrolle nur im Rahmen des jeweils zulässigen Prüfungsmaßstabs erfolgen darf. Dieser ist regelmäßig enger als der Maßstab für die Rechtmäßigkeit der Norm insgesamt. Eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle (unter Einschluß des europäischen Rechts, vgl. oben 2. Teil, 3. Kap., 56

2. Kap. :,Akzessorische" Verwerfungskompetenz

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(Art. 93 Abs. 1 Nr. 2; 100 Abs. 1 GG), die jeweilige Landesverfassungsgerichtsbarkeit 59 sowie nach Maßgabe des § 47 VwGO das Oberverwaltungsgericht bzw. der Verwaltungsgerichtshof zuständig.

7. Parallelfälle M i t der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Norm wird bei allen prinzipalen Normenkontrollverfahren grundsätzlich zugleich über die weitere Anwendbarkeit der Rechtsvorschrift entschieden. Denn im Regelfall wird sie allgemeinverbindlich für nichtig erklärt (vgl. §§ 78, 82 Abs. 1, 95 Abs. 3, 31 Abs. 2 BVerfGG, § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO). Dann aber stellt sich die Frage der Verwerfungskompetenz der Verwaltung in Parallelfallen, also anderen Anwendungsfallen dieser Norm 6 0 , nicht mehr. Die Norm ist aufgehoben und entfaltet keine Bindungswirkung mehr. In den Fällen, in denen anstelle der Nichtigerklärung nur die Verfassungsbzw. Rechtswidrigkeit festgestellt wird 6 1 , bleibt der Bestand der Norm zwar unberührt. Aus den oben 62 aufgestellten Grundsätzen, nach der die Bindung an eine Entscheidung alleine von ihrer Existenz, nicht aber von der Rechtmäßigkeitsbeurteilung des gebundenen Organs abhängt, könnte zu schließen sein, daß hierdurch das Kompetenzverhältnis zwischen Urheber und Anwender der Norm nach Art. 20 Abs. 3 GG unberührt bleibt. Ausschlaggebend ist aber in dem hier erörterten Fall, daß die Feststellung der Rechtswidrigkeit auch den Normgeber bindet und zu einer Aufhebung bzw. Änderung der Norm verpflichtet 63 . Seine Rechtmäßigkeitsbeurteilung ist mit auch für ihn verbindlicher Wirkung widerlegt. Dann aber vermag sie auch die Verwaltung nicht mehr zu binden. Deshalb

Π.2., S. 114, Fußn. 238) ist lediglich in Normenkontrollverfahren nach §47 VwGO zulässig, und auch das nur, sofern kein Vorbehalt zugunsten der jeweiligen Landesverfassungsgerichtsbarkeit nach § 47 Abs. 3 VwGO existiert. Die Beschränkung des Kontrollmaßstabs beschränkt zugleich die Aussagekraft solcher Entscheidungen, die die Rechtmäßigkeit der Norm feststellen. 59 In Bayern z.B. der Verfassungsgerichtshof nach Art. 65, 92 BV i.V.m. Art. 100 GG; Art. 98 S. 4 BV. 60 Zum Begriff vgl. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rdnr. 135 mit Fußn. 398, der zutreffend daraufhinweist, daß die Parallelität nicht hinsichtlich der Sachverhalte oder Rechtsanwendungen bestehen muß, es vielmehr um jeden Anwendungsfall der betreffenden Norm geht. 61 Vgl. oben 1. Teil, 2. Kap., III., S. 43 ff. 62 3. Teil, 4. Kap., III.4.a), S. 173 f. in und bei Fußn. 295. 63 Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rdnr. 129.

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4. Teil: Originäre oder akzessorische Verwerfngskompetenz

ist die betreffende Norm grundsätzlich nicht weiter anwendbar, sofern sich nicht aus der gerichtlichen Entscheidung selbst etwas anderes ergibt 64 .

2. Parallelnormen Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, welche Auswirkungen die Nichtigerklärung einer Norm auf die weitere Anwendbarkeit solcher Vorschriften besitzt, die zwar nicht selbst Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung waren, doch sachlich vergleichbare Regelungen enthalten. Derartige Parallelnormen werden gelegentlich als Beispiele für das Vorliegen einer evidenten Rechtswidrigkeit genannt65, die selbst nach Ansicht von Autoren, welche die Verwerfungskompetenz der Verwaltung ablehnen, die Nichtanwendung rechtfertigen soll 66 . Damit würden im Ergebnis Parallelnormen und Parallelfälle gleichbehandelt 67 . Einigkeit besteht darin, daß sich die Nichtigerklärung einer Norm nicht gleichsam automatisch auf Parallelnormen erstreckt 68. Da sie nicht Gegenstand der Entscheidung sind, werden sie nicht von der Rechtskraft des Urteils oder Beschlusses erfaßt. Für bundesverfassungsgerichtliche Normverwerfungen ergibt sich auch nichts anderes aus der Bindungswirkung der Entscheidung (§31 Abs. 1 BVerfGG), da auch diese nur an den Streitgegenstand anknüpft. Eine Gleichbehandlung von Parallelfallen und Parallelnormen läßt sich insoweit nicht zwingend begründen. Wenn von Parallelnormen die Rede ist, wird gelegentlich übersehen, daß bereits die Frage, ob die jeweiligen Normen inhaltlich vergleichbar und fehleridentisch sind, eine Rechtsfrage ist und somit nicht ohne Auslegung beantwortbar ist. Selbst die Identität des Wortlauts kann keinen endgültigen Schluß auf die Identität des Fehlers rechtfertigen, da sich die Interpretation auch auf den

64 Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rdnr. 136; Schiaich, Bundesverfassungsgericht, Rdnrn. 382 ff., jew. m.w.N. Bachof Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197,215; Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393,409. 66 So Ossenbühl, Normenkontrolle, Verwaltung 2 (1969), 393,409. 67 Dafür explizit Heußner, Folgen der Verfassungswidrigkeit, NJW 1982,257,261. 68 Heußner, Folgen der Verfassungswidrigkeit, NJW 1982, 257, 261; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rdnrn. 130, 140; Schiaich, Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 381.

2. Kap.:,Akzessorische" Verwerfungskompetenz

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jeweiligen Regelungszusammenhang, die Systematik des Gesetzes, seine Entstehungsgeschichte etc. erstrecken muß 69 . Der ausschlaggebende Gesichtspunkt für das Verhalten der Verwaltung muß aus kompetentieller Sicht folgender sein: Solange die fragliche Parallelnorm nicht aufgehoben oder letztverbindlich für nichtig erklärt und damit aus dem Kreis der existenten Normen entfernt ist, verändert eine prinzipale gerichtliche Verwerfung einer parallelen Regelung grundsätzlich weder die Verantwortung des Gesetzgebers für die Rechtmäßigkeit der von ihm erlassenen Norm noch das durch Art. 20 Abs. 3 GG bestimmte kompetentielle Verhältnis zwischen Urheber und Anwender der Norm. Anderes kann nur gelten, wenn die Rechtswidrigkeit der Norm auch für ihren Urheber verbindlich festgestellt ist 70 . Gerade dies ist aber bei Parallelnormen, die nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung waren, nicht der Fall. Das bedeutet, daß im Verhältnis zwischen diesen alleine der Normgeber darüber zu entscheiden hat, ob ein wirklicher Parallelfall vorliegt und welche Konsequenzen hieraus zu ziehen sind 71 . Als Folge hiervon ergibt sich die Verpflichtung der Verwaltung zur weiteren Anwendung solcher Parallelnormen 72.

69

Vgl. auch jBachof, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, in: Wege zum Rechtsstaat, S. 197, 215: „Jedoch wird man hier vorsichtig sein müssen. Auch scheinbar gleiche oder ähnliche Regelungen können (...) eine verschiedene Interpretation erfordern und damit auch hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit verschieden beurteilt werden müssen". Bachof fahrt fort: „Aber sicher sind hier Fälle denkbar, wo alle möglichen Zweifel ausscheiden und eine Verfassungswidrigkeit tatsächlich einmal offenkundig wird" (Hervorhebung nicht im Original). — Doch: welche denkbaren Fälle sind damit gemeint und wie sind sie von den nur „scheinbar gleichen" Fällen abzugrenzen? 70 Vgl. oben 1., S. 195. 71 Vgl. auch BVerfG v. 5.11.1975 — 2 BvR 193/74 — BVerfGE 40, 296, 329: „Welche Konsequenzen aus dieser Entscheidung für die übrigen Parlamente zu ziehen sind werden diese zu entscheiden haben". 2 Pestalozza, Verfassungsprozeßrecl·^ § 20 Rdnrn. 130, 140; Schiaich, Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 381, die jeweils auf die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts zur Beurteilung der Parallelität abstellen. Gegen eine Verwerfungskompetenz bei „angeblich evidenter Nichtigkeit" von Bebauungsplänen wegen der Nichtigerklärung einer Parallelnorm auch v. Mutius/Hill, Behandlung fehlerhafter Bebauungspläne, S. 58. — Das gleiche ergibt sich aus den genannten Gründen bei „NormWiederholungen", also bei Neuerlaß einer für verfassungswidrig erklärten Norm, selbst dann, wenn man aus § 31 Abs. 1 BVerfGG bei normverwerfenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ein Normwiederholungsverbot entnimmt (zum Streitstand Stricker, Subjektive und objektive Grenzen der Bindungswirkung, DÖV 1995, 978, 980 ff.).

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4. Teil: Originäre oder akzessorische Verwerfungskompetenz

II. Inzidente gerichtliche Nonnverwerfung Damit ist die Antwort auf die Frage nach einer akzessorischen Verwerfungskompetenz der Verwaltung im Gefolge einer inzidenten gerichtlichen Verwerfung vorgezeichnet. I m Rahmen seiner Zuständigkeit ist jedes Gericht berechtigt und verpflichtet, Normen, die es für rechtswidrig hält, außer Anwendung zu lassen, sofern nicht Art. 100 Abs. 1 GG eingreift 73 . Die Nichtanwendung der Norm im Einzelfall läßt allerdings ihre Existenz und damit das Kompetenzverhältnis von Normgeber und Normanwender unberührt. Die inzidente gerichtliche Beurteilung der Norm als rechtswidrig vermag außerdem als Entscheidung einer bloßen Vorfrage des entschiedenen Rechtsstreits bereits nach allgemeinen kompetentiellen Grundsätzen keine Bindung für andere staatliche Organe, somit auch nicht für den Normgeber, zu entfalten 74 . Auch wenn der jeweilige Verwaltungsträger Partei des gerichtlichen Verfahrens war, erfaßt die Rechtskraft des Urteils nicht die Normverwerfung, da es sich bei der Frage nach der Rechtmäßigkeit der Norm nicht um den Streitgegenstand handelt. Daher — und das ist die zwingende, zugegebenermaßen aber unbefriedigende Konsequenz — ist in allen künftigen Fällen die Norm stets anzuwenden, selbst wenn absehbar ist, daß jede Entscheidung der gerichtlichen Aufhebung anheimfallen wird. Dieser Konflikt ist nur durch das Tätigwerden des Normgebers aufzulösen. Lediglich in dem „Anlaßfall", der vom Gericht zu entscheiden war, kann sich aufgrund des Richterspruchs die Verpflichtung zur Nichtanwendung ergeben. Dies gilt z.B. dann, wenn die Behörde auf eine Verpflichtungsklage hin gemäß § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO zum Erlaß eines Verwaltungsaktes verpflichtet wird, der gegen die — vom Gericht inzident verworfene — Norm verstößt.

ΠΙ. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs 1. Anwendungsfälle Auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs kann es zunächst nur in den Fällen ankommen, in denen die Verwaltung nicht ohnehin von sich aus von einer Anwendung europarechtswidriger nationaler Vorschriften absehen kann. Dies wurde oben 75 lediglich für unmittelbar geltende Verordnungen nach 73

Dazu schon oben 4. Teil, 1. Kap., 1.1 .b), S. 182 f. Zur Bindung nur an die (Endentscheidung und nicht an die Begründung vgl. oben 3. Teil, 4. Kap., ΠΙ.3., S. 172 f. 75 1. Kap., II.2.C) (2), S. 193. 74

2. Kap.:,Akzessorische" Verwerfungskompetenz

199

Art. 189 Abs. 2 EGV bejaht. Im übrigen sind Normsetzungskollisionen 76 hier auszuscheiden, da sie nicht zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts führen 77 und dementsprechend die Anwendbarkeit nationalen Rechts unberührt lassen. Die Bedeutung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs beschränkt sich demzufolge auf Kollisionen nationalen Rechts mit unmittelbar anwendbaren Bestimmungen des Primärrechts bzw. nicht — oder nicht hinreichend — umgesetzten Richtlinien. Dabei soll — der grundsätzlichen Beschränkung auf die deutsche Rechtsordnung wegen 78 — vorausgesetzt werden, daß die unmittelbare Anwendbarkeit der jeweiligen Vorschrift außer Frage steht und (was u.a. aus kompetentiellen Gründen durchaus fraglich ist 79 ) daß sie nicht nur von den nationalen Gerichten, sondern auch von der Verwaltung anzuwenden ist 80 .

2. Verfahren

und Entscheidungswirkungen

Nationales Recht spielt in den Verfahren des Europäischen Gerichtshofs bei zwei Klagearten eine Rolle 81 : Bei der Vertragsverletzungsklage nach Art. 169, 170 EGV, sofern der Vertragsverstoß in der nationalen Normsetzung begründet ist, sowie im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV. Die Entscheidungsbefügnisse des Europäischen Gerichtshofs lassen sich mit den Kategorien der prinzipalen bzw. inzidenten Verwerfung nationaler Normen allerdings nicht beschreiben.

76

Zum Begriff vgl. oben 1. Teil, 1. Kap., II.l.c), S. 30. Vgl. oben 1. Teil, 3. Kap., ΙΠ., S. 59 ff. Vgl. Einleitung 1.3. S. 20 f. 79 Vgl. dazu v.a. Hans-Jürgen Wolff \ Einhaltung von Bestimmungen in EGRichtlinien, VR 1991, 77, 81 ff. 80 Nicht überzeugend ist die Behauptung, es sei widersinnig, die Gerichte, nicht aber die Verwaltung an unmittelbar anwendbare Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu binden (so EuGH, Rs. 103/88 — Constanzo — Slg. 1989, 1839, 1871; zustimmend Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 255 m.w.N.). Denn welches Staatsorgan in welcher Weise an welche Normen gebunden ist, ist eine Kompetenzfrage. Die Möglichkeit unterschiedlicher Bindung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung ist etwa nach deutschem Recht nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern wie ausgeführt, geltendes (Verfassungs-)Recht. — Kritisch zu der Argumentation auch, mit anderer Begründung, Hans-Jürgen Wolff Einhaltung von Bestimmungen in EG-Richtlinien, VR 1991, 77, 83 f. Vgl. auch Hutka, Gemeinschaftsrechtsbezogene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, S. 188 ff. 77 78

200

4. Teil: Originäre oder akzessorische Verwerfungskompetenz a) Vertragsverletzungsverfahren

Die Entscheidung im Vertragsverletzungsverfahren hat lediglich feststellenden Charakter und verpflichtet den Mitgliedstaat dazu, die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil ergeben (Art. 171 Abs. 1 EGV) 8 2 . Die Existenz der nationalen Norm, die gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wird hierdurch zwar nicht angetastet83, doch ihre Rechtswidrigkeit ist für den Mitgliedsstaat und seine Organe verbindlich festgestellt. Urteile in Vertragsverletzungsverfahren sind also Entscheidungen vergleichbar, die bei prinzipalen Normenkontrollverfahren lediglich zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit führen. Das rechtfertigt es, sie insoweit gleich zu behandeln. Die Folge ist, wie dort, die Verpflichtung der Verwaltung, von der weiteren Anwendung der gemeinschaftsrechtswidrigen Norm zugunsten der unmittelbar anwendbaren Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Abstand zu nehmen.

b) Vorabentscheidungsverfahren Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 177 EGV, soweit es für unsere Fragestellung relevant ist 84 , ist ausschließlich die Auslegung von Gemeinschaftsrecht. Zwar kann der An laß der Vorlage durch ein nationales Gericht die Frage der Vereinbarkeit einer nationalen Norm mit Gemeinschaftsrecht sein. Hierüber zu befinden hegt allerdings nicht in der Kompetenz der Europäischen Gerichtshofs 85. Vielmehr hat das nationale Gericht die Konsequenzen aus der Entscheidung für die Anwendbarkeit der nationalen Rechtsvorschrift selbst zu ziehen. Daraus folgt, daß durch diese Enscheidungen weder der nationale Gesetzgeber hinsichtlich der Gemeinschaftsrechtskonformität seines Gesetzes gebunden wird, noch das Verhältnis der Verwaltung zum Gesetz berührt wird. Von der Warte des Grundgesetzes aus betrachtet, kann deshalb die weitere Anwendung der in Frage stehenden Vorschrift durch die Verwaltung nicht unter Berufung auf die Vorabentscheidung des europäischen Gerichtshofes unterbleiben.

82

Streinz, Europarecht, Rdnr. 510. Eine Nichtigerklärung käme angesichts des besonderen Verhältnisses zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht (Anwendungs-, nicht Geltungsvorrang, vgl. oben 1. Teil, 3. Kap., III., S. 59 ff.) ohnehin nicht in Betracht. 84 Zu den zulässigen Vorlagefragen nach Art. 177 Abs. 1 EGV vgl. nur Streinz, Europarecht, Rdnrn. 558 f. 85 Schweitzer!Hummer, Europarecht, Rdnr. 539; Streinz, Europarecht, Rdnr. 559. 83

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

I. Die materiellrechtliche Grundlage der Normverwerfung 1. Von der Inzidentverwerfung einer Norm kann nur gesprochen werden, wenn sie außer Anwendung bleibt, weil sie für rechtswidrig erachtet wird. Die Rechtswidrigkeit kann sich aus einer Normanwendungskollision oder einer Normsetzungskollision ergeben. 2. Normanwendungskollisionen werden generell durch den Satz „lex superior derogat legi inferiori" aufgelöst. In Art. 123 Abs. 1 und Art. 31 GG sind Teilinhalte dieses Satzes geregelt. Einer allgemeinen Regelung der Folgen von Normsetzungskollisionen bedarf es nicht. 3. Aus dem Grundgesetz läßt sich keine eindeutige Antwort auf die Frage ableiten, ob eine rechtswidrige Norm ipso iure nichtig oder nur vernichtbar ist. Das läßt Raum für eine sachgerechte Differenzierung der Fehlerfolgen nach Art der jeweiligen Rechtsverstöße. In einem weiten Sinn kann man von der grundsätzlichen Geltung des Nichtigkeitsdogmas sprechen können, ohne damit die rechtstechnische Begründung vorwegzunehmen. 4. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet sich neben der Nichtigerklärung verfassungswidriger Normen auch die Unvereinbarerklärung, die zur Unanwendbarkeit der Norm führt, ohne ihren Bestand anzutasten. Für untergesetzliche Normen sehen insbesondere bau- und kommunalrechtliche Vorschriften Ausnahmen von der Nichtigkeit als Rechtsfolge des Rechtswidrigkeit vor. 5. Das Verhältnis zwischen Europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht wird mit dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts in dem Umfang gekennzeichnet, in dem den Gemeinschaften Kompetenzen zulässigerweise eingeräumt wurden. Kollisionen zwischen nationalem und Gemeinschaftsrecht werden durch den Anwendungsvorrang des letztgenannten gelöst. Das betrifft nur Normanwendungskollisionen.

202

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

Π. Meinungsstand und Kritik 6. Die Verwaltung unterliegt einer umfassenden Gesetzes- und Verfassungsbindung. Die Gesetze stellen für sie Verhaltensmaßstäbe dar. Jede Handlung der Verwaltung muß im Rahmen einer Selbstkontrolle auf Übereinstimmung mit den jeweils einschlägigen Gesetzen überprüft werden. Diese Prüfüng obliegt jeder Stelle der öffentlichen Verwaltung. 7. Eine aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende, darüber hinausgehende, allgemeine Normenkontrollkompetenz im Sinne einer Prüfüngspflicht der Verwaltung existiert nicht. Sie ist weder begründbar noch durchführbar und im übrigen nicht notwendig. a) Normeninterpretation und Normenkontrolle sind voneinander zu trennen. Die Prüfüng setzt die Auslegung voraus, nicht umgekehrt. b) Eine aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Prüfüngskompetenz ist nur als Prüfüngspflicht denkbar. Sie ist aber faktisch nicht zu leisten, da sie alle Normen umfassen müßte, an die die Verwaltung gebunden ist. Eine Reduktion des Prüfüngsumfangs läßt sich nicht mit dem „Wesen der Verwaltung" begründen. Wenn eine Verpflichtung zur Normenkontrolle aus der Gesetzesbindung resultieren würde, wären für den Prüfüngsumfang nur die Gesetze und die Verfassung maßgeblich. c) Die Anwendung rechtswidriger Normen ist nicht in jedem Falle rechtswidrig. Eine auf dieses Argument gestützte Begründung der Prüfüngskompetenz setzt bereits das Bestehen einer Verwerfüngskompetenz voraus, ohne sie zu begründen. d) Die Verwaltung „erkennt" die Rechtswidrigkeit von Normen an der Unvereinbarkeit zweier Verhaltensgebote. Die Beachtung einer Norm führt aus ihrer Sicht zur Mißachtung einer anderen. Das betrifft nur Normanwendungskollisionen. 8. Die bisherigen Vorschläge gelangen zu allen denkbaren Lösungen. Sie lassen sich im wesentlichen auf drei Argumentationen zurückführen. a) Die materiellrechtliche Begründung mit der Rangordnung der Normen und den Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit läßt außer acht, daß gerade die Kompetenz zur Feststellung einer Kollision in Frage steht. b) Aus den Kompetenzen der Judikative lassen sich keine zwingenden Schlüsse auf Bestehen oder Nichtbestehen einer Verwerfüngskompetenz ziehen.

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen c) Das Verhältnis zwischen Normgeber und Normanwender läßt sich nicht unter Rückgriff auf ein abstrakt verstandenes Gewaltenteilungsprinzip bestimmen. Auch die Heranziehung der sogenannten Kernbereichslehre bleibt ergebnislos, solange nicht deutlich wird, wie dieser Kernbereich zu bestimmen ist. Maßgeblich ist die konkrete Kompetenzordnung.

DL Kompetenzen im Verfassungsprozeß 9. Unter Kompetenz ist die Handlungsmacht staatlicher Organe zu verstehen, in Erfüllung zugewiesener Aufgaben Maßnahmen bestimmter Art zu treffen. 10. Kompetenzen setzen eine staatliche Organisation voraus. Umgekehrt bedingt das Bestehen einer Staatsorganisation die Existenz von Kompetenzen der Organe. Grundlage der Staatsorganisation und der Kompetenzordnung ist das Prinzip der Gewaltenteilung. a) Kompetenzen grenzen die Handlungsbereiche einzelner Organisationseinheiten voneinander ab und dienen so der Widerspruchsfreiheit staatlichen Handelns. Auf der Ebene des Verfassungsrechts kann eine Abgrenzung der Staatsfunktionen nicht mit Hilfe „materieller" Funktionenbegriffe erfolgen, da eine solche inhaltliche Bestimmung die konkrete Kompetenzverteilung des Grundgesetzes als Ausnahmen eines als „rein" vorgestellten Gewaltenteilungsprinzips vorkonstitutioneller Prägung deuten muß, während es sich um die spezifisch grundgesetzliche Ausprägung der Gewaltenteilung handelt. b) Die Kompetenzordnung erfüllt den Zweck, die sachgerechte Erledigung der staatlichen Aufgaben zu gewährleisten. Damit ist die grundgesetzliche Ausgestaltung der Gewaltenteilung ein Element einer rationalen Staatsorganisation. Die Zuordnung von Aufgaben und Organen orientiert sich nach der jeweiligen Leistungsfähigkeit der Organe. c) Die daraus abzuleitende Organ- und Funktionsadäquanz muß auch unterhalb der verfassungsrechtlichen Ebene gewährleistet sein und bedarf der Konkretisierung durch den Gesetzgeber. 11. Alles staatliche Handeln zielt ab auf die Gestaltung der Wirklichkeit im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung. Ihre Maßgaben werden durch die kompetenten staatlichen Organe schrittweise und arbeitsteilig konkretisiert. a) Die Ausübung von Kompetenzen erfolgt durch (teil-)rationale Entscheidungen, die am Maßstab des Rechts unter den je gegebenen Möglichkeiten die geeignete auszuwählen haben. Als Rechtsanwendung ist der Entscheidungsin-

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Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

halt abhängig von Struktur, Zusammensetzung und Methodik des Entscheidungsträgers. Bei divergenten Entscheidungen verschiedener Organe ist deshalb entscheidend, welches von ihnen den kompetentiellen Vorrang genießt. b) Jedes staatliche Organ trägt die Verantwortung für die ordnungsgemäße Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben. Es hat für die Rechtmäßigkeit und die Folgen seiner Entscheidungen einzustehen. Diese Verantwortung wird durch Selbst- und Fremdkontrolle aktualisiert. Dabei folgen die Kontrollkompetenzen den Entscheidungsbefugnissen c) Das Zusammenwirken staatlicher Organe im Konkretisierungsprozeß erfordert grundsätzlich die Respektierung der von den jeweils kompetenten Organen getroffenen Entscheidungen, sofern nicht Verfassung oder Gesetz etwas anderes bestimmen. Die Bindung erfaßt den Inhalt der Entscheidung, nicht aber seine Begründung. Sie besteht in dem Verbot, die intendierten Wirkungen der Entscheidung zu vereiteln.

IV. Originäre oder akzessorische Verwerfungskompetenz 12. Das kompetentielle Verhältnis zwischen Normgeber und der normanwendenden Verwaltung wird durch Art. 20 Abs. 3 GG bestimmt. Die darin angeordnete Bindung an das Gesetz erfährt — anders als die Gesetzesbindung der Rechtsprechung — keine grundgesetzliche Ausnahme. a) Als Adressat der Normgebote muß die Verwaltung deshalb jede Norm als rechtmäßige Konkretisierung all der Gesetze betrachten, an die der jeweilige Normgeber gebunden ist. Damit kommt ihr eine Normprüfüngsbefügnis nicht zu. Das gilt nicht nur im Verhältnis zur Legislative, sondern auch innerhalb der Exekutive. Dabei ist es unerheblich, in welchem kompetentiellem Verhältnis Urheber und Adressat der Norm im übrigen stehen. Soweit eine Behörde die von ihr selbst erlassenen Normen vollzieht, unterliegt sie derselben Bindung. Ausnahmen bestehen nur, wenn sich ein Konkretisierungszusammenhang nicht herstellen läßt. Der grundsätzlich aus kompetentiellen Gründen bestehende „Anwendungsvorrang der konkreteren Norm" kommt lediglich dann nicht zum Tragen, wenn ein Kompetenzkonflikt zwischen den Urhebern der kollidierenden Normen besteht. b) Durch normverwerfende Entscheidungen der deutschen Gerichtsbarkeit wird das Kompetenzverhältnis zwischen Normgeber und der normanwendenden Verwaltung grundsätzlich nicht verändert. Bei prinzipalen Normenkontrollen stellt sich das Problem wegen der Nichtigerklärung als Regelfolge nicht, da hierdurch die Existenz der Norm beseitigt wird. Im übrigen besitzen norm-

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen verwerfende gerichtliche Entscheidungen nur dann Auswirkungen auf die Gesetzesbindung, wenn die Rechtswidrigkeit der Norm auch für den Normgeber verbindlich festgestellt wird. Das ist nur der Fall bei prinzipalen Normenkontrollen und nur hinsichtlich der für rechtswidrig erklärten Norm. c) Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes besitzen diese Wirkungen nur dann, wenn sie in Vertragsverletzungsverfahren ergehen. Dagegen lassen Vorabentscheidungen auf Vorlage eines nationalen Gerichts die Anwendungspflicht für die Verwaltung unberührt.

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averzeichnis Abweichungsverbot 72, 172 ff., 178, 181 ff, 186 s.a. Vorrang des Gesetzes Amtshaftung 80, 98,174 f. Amtswalter 65, 85 Anwendung s. Normanwendung Anwendung s— gebot 72, 181 ff, 185 f. s.a. Vorrang des Gesetzes — pflicht 20, 90, 95, 183, 189,205 — Theorie von der 90, 93 — vorrang s. a. Gemeinschaftsrecht, europäisches — der konkreteren Norm 190, 192 f., 204 — der rangniederen Norm 190, 194 Aufgabe — der Exekutive 76, 121 — der Legislative 106, 117 — und Befugnis, Zweck-Mittel-Relation 124 — staatliche 67, 76, 78, 122 ff, 137 ff, 156, 159, 161 f., 170, 176, s.a. Kompetenz Aufgaben— erfullung 75 ff, 124, 137 ff, 151, 158, 160, 172, 176 ff, 187,203 f. — träger 96 — Übertragung 76, 125 f., 133 f., 143, 157 — Wahrnehmung s. Aufgabenerfullung — Zuordnung s. Aufgabenübertragung — Zuweisung 122 ff, 137, 139 f., 142, 148, 151, 158 f., 176 Auslegung 24, 26 f., 29, 32, 39, 52, 64, 77 ff, 83, 95, 109, 141, 144, 152 ff, 177,183,185, 196,200,202 — gemeinschaftsrechtskonforme 52 — verfassungskonforme 52, 119 Aussetzung — der Vollziehung 88 f.

— des Verfahrens 20, 92, 94, 111, 113, 185 Aussetzungs— pflicht 111 — theorie91 ff Bauleitplanung 19 Bebauungsplan 19, 95, 98 — Amtspflichten 97 — Aufhebung 98, 100 Beurteilungsspielraum 71 Bindung — als Aufhebungs- und Abweichungsverbot 172,179 — an Entscheidungsbegründung 172, 174,204 — an Entscheidungsinhalt 165, 172, 174, 179,204 — Tatbestandswirkung s. Verwaltungsakt — und Kontrolle 173, 179 Bindungswirkung als kompetenzrechtlicher Grundsatz 164 ff — Durchbrechung 175 — Gegenstand 166 f., 172, 178 — Inhalt 167, 172 f., 179 Dekonzentration 95, 132, 186 Dezentralisierung 95, 132, 186 Entscheidung 143 ff, 157 ff, 203 — als Alternativen wähl 147, 151 — als Grundelement staatlichen Handelns 145 — als Kontrollgegenstand 163 — als Rechtsentscheidung 152, 177 — einzig richtige 153 ff, 177 — Verbindlichkeit s. Bindung Entscheidungs— alternativen 43, 147 f., 152 f. — begriff, dezisionistischer 146

224

averzeichnis

— ergebnis 144 f., 153,156,160,176 — materielle Begründung 149, 172, 174,177 — folgen 160 f. 169,172,178,204 — inhalt 151, 155, 165 ff., 172 ff., 179, 204 — maßstabl52,162,177,203 — Prärogative 171 f., 182, 184, s.a. Vorrang kompetentieller — prozeß 22, 122, 143, 145 ff., 152, 154, 157, 159 ff. — als Wülensbildungs- und Informationsverarbeitungsprozeß 146,172 — Elemente 146 ff., 155, 176 — richtigkeitl51,153 ff., 177 — „Richtigkeitskonkurrenz" 155 — struktur 142,170,204 — träger 128, 149 ff., 156, 159 ff., 169, 172 f., 177, 180, 204 — Rechtmäßigkeitsbeurteilung 153, 164, 173 f., 183, 185, 189, 192, 195 — Vorgang s. Verfahren — Wirkung 161, 163, 165, 172 ff., 177, 179, 199,204 Ermessen 57,81, 153, 158 — Entschließungsermessen 158 Europäische Union 48 — Mitgliedstaat 49, 55, 101, 105, 193, 199 Europäischer Gerichtshof 20, 54 f., 57 f., 60,101 ff., 114,194,198 ff. — Vertragsverletzungsverfahren 104, 199 f., 205 — Vorabentscheidungsverfahren 104, 199 f., 205 Fremdkontrolle s. Kontrolle Gemeinschaftsrecht europäisches 83, 114, 184 f., 191, 199 f. — als Maßstab 51, 104 — Anwendbarkeit, unmittelbare 20, 32 (Fußn. 37), 50 (Fußn. 123), 52 ff., 58, 60, 101 ff., 105, 191 (Fußn. 45), 198, 199,200, s.a. Richtlinien — Begriff 49 (Fußn. 114) — Anwendungsvorrang 34 (Fußn. 44), 59 f., 64, 102, 105 (Fußn. 194), 108,

198,199,200 (Fußn. 83), 201 — Entscheidung 32 (Fußn. 37) — Geltung, unmittelbare 48 f. (Fußn. 114), 52, 64, 102, 108, 193 — Geltungsvorrang 59 — horizontale Direktwirkung 56 — Kollision indirekte 57 ff. — Kollision, direkte 57 ff. — praktische Wirksamkeit 55, 57, 59, 105,109(Fußn. 218) — primäres 31, 48 (Fußn. 109, 113), 48 (Fußn. 114), 54 f., 191 — Richtlinie 20, 31, 49 (Fußn. 114), 52, 55 f., 60, 101 f., 105, 107,184,198 — sekundäres 48, 57, 48 (Fußn. 109), 48 (Fußn. 114) — Verhältnis zu nationalem Recht 22, 24,48 ff., 199 (Fußn. 83), 201 — Verordnung 31, 49 (Fußn. 114), 54, 107,184, 193, 198 — Vertrag 31, 50, 54, 102, 107 — Verwerfung 31, 103 — Vorrang 48 ff., 102 (Fußn. 173), 103, 109 (Fußn. 218) Gesetz — als Kontroll- bzw. Prüfungsmaßstab 73 (Fußn. 52), 104, 114 — als Verhaltensmaßstab 71, 73, 75, 77, 83 f. Gesetzesanwendung s. Normanwendung Gesetzesprüfung s. Normprüfung Gesetzesvorbehalt s. Vorbehalt des Gesetzes Gesetzesvorrang s. Vorrang des Gesetzes Gesetzgeber — nationaler 31, 59, 107 — parlamentarischer 42, 45, 107, 111, 116, 119, 126, 130, 141 ff., 144, 153, 171, 181 ff., 190 ff., 196, 203, s.a. Normgeber Gewaltenteilung 63, 65, 74, 89, 106 f., 115 f., 118, 129 ff., 137, 171, 175 — funktionale 129 — funktionsgerechte Organstruktur 139 ff., 176,203 — innerhalb der Gewalten 135, 176 — Kernbereichslehre 117, 135 f., 203 — organadäquate Funktionenverteilung 140 f., 203

Sachverzeichnis — organisatorische 129 ff. — vertikale 131,140 Grundrechte 29, 33, 37, 82,134,184,191 — als negative Kompetenzbestimmungen 134 Grundrechtsbindung 64, 72 Grundrechtsschutz 142 Handlungsform(en der Verwaltung) 71 f., 78,150,170, 177 Homogenitätsgebot 30, 131

225

— Verpflichtung 67 — Zweckbezug 133 — eingriff 63, 119 f., 162, 173 f., 185, 188 — konflikt 137,190,192 ff., 204 — normen 134, 136 f., 141, 148, 171, 179,192 — konstitutiver Charakter 137, 159 — Ordnung 24, 122, 128, 131, 133 f., 140,158, 164, 171, 176, 178, 184,203 — Überschreitung 83, 159, 162 — Verbot der 160

Inzidentverwerfung s. Normverwerfung

— Verteilung 95, 130, 141, 156, 169 f.,

kollidierende Norm 31, 87 f. Kollisions— norm 27, 31, 35 f., 84, 87 f. — regel 22,27, 32, 34 f., 59 Kompetenz 35, 41, 55, 83, 116, 129 f., 137,139, 185 — als Entscheidungsbefugnis 145, 151, 165 — als relative Wirkbefugnis 143,172 — Aufgabe und Befugnis 126 f. — Begriff 76,122 ff., 203 — der Exekutive 22, 66 ff., 118,131,185 — der Judikative 22,41,110,121, 131 — der Legislative 118, 122, 130 f., 181, 184 Kompetenz 128 — Relativität 161 — und Organisation 22, 128,203 — und Verantwortung 156 ff., 178 — und Zuständigkeit 127 Kompetenz— abgrenzung — kompetentielles Verhältnis 22, 81, 120 f., 136, 155, 180 ff., 203 — ausübung 142 ff., 157, 163, 176 ff., 188 — als (Rechts-) Konkretisierung 22, 143 ff. — als Entscheidung 122,145,203 — als Rechtsentscheidung 152 ff. — Pflichtenbindung 157 f. — rechtliche Bindung 152, 160 — und Entscheidungsrichtigkeit 153 ff. — und Selbstkontrolle 163

172,188,203 — zwischen Gesetzgebung und Verwaltung 112, 116 — zwischen Normgeber und Normanwender 86, 115, 119, 186 f., 195, 197,204 — Zuweisung 22, 114, 131, 133 ff., 140, 142,158,173,178 — Exklusivität 137 f. Konkretisierung 22, 109, 119, 124, 137, 145, 147, 149, 169, 176, 181 ff., 188 — Begriff 144 — Rechtsanwendung als 144 — Rechtskonkretisierung 122, 151 f., 177, 180, 188 f. — und Entscheidungsrichtigkeit 151 ff., 177 Konkretisierungs— auftrag 141,203 — prozeß 143, 145, 149, 152, 156, 164, 176, 178, 188,204 — Verantwortung 160, 170 — Zusammenhang 190 ff., 204 Konkurrenzregel 22,27, 32 ff. Kontrolle 69 (Fußn. 32), 135, 137, 156 f., 176, 178 f. — als Teil eines Entscheidungsprozesses 163 — als Vergleich 75 (Fußn. 61), 162 — der Legislative durch die Exekutive 63, 65 f., 69, 74 — gerichtliche 90, 116 f, 121, 152 (Fußn. 174), 153 f., 164 (Fußn. 242); 171 (Fußn. 280); 172 (Fußn. 285), 194 (Fußn. 58) — parlamentarische 65, 116

226

averzeichnis

— Selbstkontrolle s. dort Kontroll— kompetenz 122, 128, 152 (Fußn. 174), 163,174 — Akzessorietät 163 f., 178,204 — Ausschluß 173 — Begrenztheit 163 f. — und Bindung 164, 173 f. — und kompetentieller Vorrang 173 f. — und Verantwortung 162 ff., 178, 204 — system 69 Letztentscheidungskompetenz 90, 116 f., 121 f., s.a. Vorrang kompetentieller Maßstabsnorm 25,28, 30 f., 115 — als Kollisionsnorm 31 Nichtanwendung konkurrierender Normen 29 s. a. Norm Verwerfung Nichtigerklärung 38, 42, 44 f., 195 f., 201,204 Nichtigkeit 21,37,43, 46, 100 — ex tunc 37 (Fußn. 62), 42 — ipso iure 37 (Fußn. 62), 38, 40 ff, 91, 201 — rechtswidriger Normen 37, 40, 60, 89, 94,201 Nichtigkeitsdogma 37,42 f., 46 f., 201 — und richterliches Prüfungsrecht 37, 38 (Fußn. 68), 39 ff. Normadressat 29 f., 54, 58, 180 f., 183, 186 ff, 194,204, Normanwender 28, 30, 48 (Fußn. 114), 53, 60, 81, 84 ff, 95 f., 105 ff, 108 f., 115, 119 f., 169, 189, 192, 195, 197, 203 f. s.a. Normadressat Normanwendung 39 (Fußn. 70), 64, 71, 73 (Fußn. 53), 77 f., 82 f., 90 ff, 111 ff, 115 ff, 120, 154, 156, 177, 180, 183, 185 f., 188 f., 195 (Fußn. 60), 202 f. Normanwendungs— kollision 28, 29 ff, 34, 35 (Fußn. 48), 36,47, 53, 54 f., 57, 59 f., 84, 86, 102, 201 f. — kompetenz 22, 95 (Fußn. 147) Normenflut 79

Normenkontrolle 41, 42 (Fußn. 82), 70, 74 f., 77, 81 (Fußn. 91), 83 ff, 86, 92, 109, 194 (Fußn. 58), 202 — abstrakte 42, 70, 84 (Fußn. 97), 113 ff. — Antragsbefugnis 84, 90, 113 — gerichtliche 21, 38, 42, 84, 93, 94 (Fußn. 142), 104, 113 f., 180, 194 f., 199,204 f. — konkrete 42 Normgeber s. Normsetzer Normgeltung 20, 39, 40 (Fußn. 77), 61 (Fußn. 182) Norminterpretation s. Auslegung Normkollision 20, 22, 24, 28 ff, 34 (Fußn. 44), 35,42, 60, 62, 83, 86, 104, 109 f., 112 — Begriff 28 — mittelbare s. Normsetzungskollision Normkonkurrenz 22, 24, 28 ff, 34 (Fußn. 44), 58, 83, — Begriff 28 Normprüfung 40, 64, 66, 70, 74 ff, 82, 84, 86, 90,202 Normprüfungs— kompetenz der Verwaltung 22, 62, 63 ff, 68 ff, 74, 83 f., 94 (Fußn. 142), 98, 113, 116, 122, 189,202,204 — originäre 189, 193 — richterliche 19, 37 ff, 53 (Fußn. 139), 63, 182 Normsetzer 25 ff, 28 (Fußn. 23), 30, 34, 51, 53, 81, 86, 95 f., 107, 115, 119 f., 180, 186 ff, 191 ff, 195, 197,203 ff. Normsetzung 72, 96, 100, 115 f., 120, 180, 184, 186, 188 f., 192 f., 199 Normsetzungs— kollision 28, 30, 32, 34, 36, 47, 53, 60 f., 84, 199, 201 — kompetenz 22, 25, 30, 60 (Fußn. 176), 95,98, 186 ff. — verfahren 30, 99 ff. Normverwerfung 20 ff, 62, 82, 85 f., 89 ff. 94, 102, 105, 114 f., 185 — Begriff und Formen 21,128 — gerichtliche/ richterliche 119 — inzidente 104, 110, 194, 198 — prinzipale 110 f., 194, 197 — inzidente, durch die Verwaltung 22, 98, 113 ff, 119

Sachverzeichnis — prinzipale, durch die Verwaltung 98 f. Normverwerfungskompetenz s. Verwerfungskompetenz Normwiderspruch s. Normkollision Normwiederholungsverbot 197 (Fußn. 72) Organkompetenz 126 Organwalter 65, 80, 92, 116 Parallelfall 88, 195 Parallelnorm 91, 196 f. Prüfung s. a. Kontrolle — als Selbstkontrolle 65, 69 (Fußn. 32), 74 ff., 86, 202 — prospektive 75, 83, 86 Prüfungs— befügnis, Ausschluß 174, s.a. Normprüfungskompetenz — ergebnis40, 86, 164, 173 — gegenständ 22, 74, 75, 80 — kompetenz, Prüfungsrecht der Verwaltung s. Normprüfungskompetenz — maßstab 22, 42 (Fußn. 33), 74 f., 84 (Fußn. 97), 86, 104, 114, 194 (Fußn. 58) — pflicht 64, 65, 79 (Fußn. 74), 80, 85 f. 202 — recht s. Normprüfungskompetenz — umfang 65, 75, 77, 79, 80, 81, 86,202 — zweck 65 f., 69, 86 Rangordnung 22, 24 ff., 48 ff., 94, 107 f., 192 f., 202 — und Konkretisierungszusammenhang 190 f. — formeller Rangbegriff 25, 51, 190 — materieller Rangbegriff 25 Rangordnungsregel 27, 31, 38 (Fußn. 68), 64, 108 Realakt 72 Rechtsanwendung s. Normanwendung Rechtsformen s. Handlungsformen Rechtsverordnung 26 f., 31, 35, 51, 114, 186 Remonstration 64, 85, 92 Satzung 27 f., 31, 35, 47, 51, 98 ff., 150, 186

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— kommunale 46 f., 99 Satzungs— autonomie 28 — befügnis 28, 35 — beschluß 99 f. — genehmigung 99 f. — verfahren 101 Selbstkontrolle 65, 69, 74 f., 77,202 — als Entscheidungselement 162 f. — als prospektive Prüfung der Handlungsmöglichkeiten 75, 86 — des Entscheidungsträgers 162 f., 178 Selbstverwaltung, kommunale 28, 131, 187 Staatsaufgabe s. Aufgabe Staatszweck 123 Unionsbürger 56 Unvereinbarerklärung 45 Urheber der Norm s. Normsetzer Urteil, gerichtliches 145, 175 — Bindungswirkung 165 ff. — Rechtskraft 41, 111, 167 f., 196 f. Verantwortlichkeit s. Verantwortung Verantwortung 74, 92, 156 ff., 177 f., 184 f., 189, 192 — als Komplement der Kompetenz 156 ff., 177 — als Relationsbegriff 161 — Begriff 157 — Folgen Verantwortung 143, 160 f., 178 — Grenzen 161 f., 178 — Konkretisierungsverantwortung 160, 170, 191 — Realisierungsverantwortung 158,204 — Rechtmäßigkeitsverantwortung 160, 196,204 — Umfang 157 f., 178 — und Kontrolle 162, 178,204 Verantwortungsbereich 107, 173 Verfahren — äußeres 147, 150, 160, 162, 170, 177 — inneres 145 ff., 155, 160, 162, 170, 176 f. — als Medium der Konkretisierung 149 — als Methodik der Entscheidungsfindung 147,176

228

averzeichnis

Verfahrensrichtigkeit 155 Vermutung der Verfassungsmäßigkeit 19 (Fußn. 3), 81, 88, 91,115, 118 f. Vernichtbarkeitstheorie 37 f. Verwaltungsakt 32 (Fußn. 37), 46 (Fußn. 103), 71 f., 100, 138 (Fußn. 97), 145, 150, 169 f., 198 — Aussetzung der Vollziehung 88 f. — Bestandskraft 111,165 ff. — Bindungswirkung 165 ff. s.a. Bindung — Rücknahme 57, 99 — Tatbestandswirkung 81 (Fußn. 89), 165 ff. Verwaltungsvorschrift 55 (Fußn. 146), 60, 85 f. Verwerfung s. Normverwerfung Verwerfungsbefugnis s. Verwerfungskompetenz Verwerfungskompetenz — der Verwaltung 73, 83, 85 f., 88 ff., 94 (Fußn. 142), 95 f., 98, 100 f., 105 f., 108 ff., 121 f., 189, 190 (Fußn. 44, 46), 192, 195 f., 197 (Fußn. 72), 202 — akzessorische 180, 194 ff., 204 — Meinungsstand 87 ff. — originäre 180 ff., 190, 193,204 — des Normadressaten 186 — des Urhebers der Norm 188 — Theorie der eingeschränkten 92

— Theorie von der 20, 89, 93 — und Gewaltenteilungsprinzip 106 f., 116 ff., 134 — richterliche 19, 37 ff., 104, 182 Verwerfungs— monopol, gerichtliches 39 f., 91, 94, 110 — pflicht 20, 93 f., 102 f., 106 f., 109 (Fußn. 218) — recht s. Verwerfungskompetenz Vorbehalt des Gesetzes 67 f., 72, 76, 105, 122, 125 f., 159 — Rechtssatzvorbehalt 82 — Total vorbehält 66, 117 Vorrang — der Verfassung 26,43, 45, 52, 126 — des Bundesrechts 27 — des Gesetzes 35, 43, 56 (Fußn. 157), 70 (Fußn. 35), 72,105,126,159 — kompetentieller Gehalt, 122 — kompetentieller 156, 171, 173 ff., 177, 193 f., 204 — relative Letztentscheidungskompetenz 171 ff., 179 Weimarer Verfassung 19, 182 Weisung 63, 85 f., 92, 107, 111, 128, 132,161,172, 187