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German Pages 222 [225] Year 2004
Studienreihe der Stiftung Kreditwirtschaft Hrsg.: Prof. Dr. Joh. Heinr. v. Stein
Wigbert Böhm
Investor Relations der Emittenten von Unternehmensanleihen
Verlag Wissenschaft & Praxis
Investor Relations der Emittenten von Unternehmensanleihen
Studienreihe der Stiftung Kreditwirtschaft an der Universität Hohenheim Herausgeber: Prof. Dr. Joh. Heinr. v. Stein
Band 38
Wigbert Böhm
Investor Relations der Emittenten von Unternehmensanleihen Notwendigkeit, Nutzen und Konzeption einer gläubigerorientierten Informationspolitik
Verlag Wissenschaft & Praxis
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
D100 ISBN 3-89673-197-1 © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2004 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094
Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany
Geleitwort des Herausgebers Mit der Studienreihe möchte die Stiftung Kreditwirtschaft Arbeiten, die an der Universität Hohenheim zu bank- und finanzwirtschaftlichen Themen entstanden sind, einem interessierten Fachpublikum zugänglich machen. Die veröffentlichten Schriften sollen den Gedankenaustausch zwischen Universität und Praxis fördern. Aufgrund einer zunehmend restriktiven Kreditvergabe und deutlich ansteigender Bonitätsrisikoprämien bei Bankkrediten sowie einer deutlichen Verschärfung der Wettbewerbssituation auf den Anleihemärkten, die zunehmende Anstrengungen bei der Begebung solcher Instrumente erfordert, sehen sich kapitalsuchende Unternehmungen einem härteren Wettbewerb um Fremdkapital ausgesetzt. Parallel dazu erzeugt die wachsende Vielfalt an Anlagemöglichkeiten und der damit notwendige Vergleich der Anlagealternativen einen steigenden Informationsbedarf der Investoren. Begünstigt wird diese Entwicklung ferner durch einen Paradigmenwechsel im Anleihemanagement hin zu Anlagestrategien, die auf das Ausnutzen von bonitätsbedingten Wertveränderungen bei Unternehmungsanleihen abzielen. Hier setzt der Autor an und weist nach, dass sich Anleiheemittenten durch eine auf Dauer angelegte Bereitstellung gläubigerrelevanter Informationen signifikante Wettbewerbsvorteile bei der Aufnahme von Fremdkapital verschaffen können. Ferner entwickelt er in dem vorliegenden Band beachtliche Gestaltungsempfehlungen für eine gläubigerorientierte Informationspolitik, die sowohl für Anleiheemittenten als auch für andere Kreditnehmer nützlich sind. Damit leistet die vorliegende Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Lösung einer bislang im wissenschaftlichen Schrifttum kaum beachteten Aufgabe. Gleichzeitig gibt sie kapitalsuchenden Unternehmungen ein leistungsfähiges Instrumentarium an die Hand, um bei wachsendem Wettbewerb zu bestehen. Ich wünsche diesem Band der Studienreihe der Stiftung Kreditwirtschaft reges Interesse und fruchtbare Wirkung. Hohenheim, im Juni 2003 Prof. Dr. Joh. Heinr. von Stein
Vorwort des Verfassers Für einen „reingeschmeckten“ Mitarbeiter einer schwäbischen Universität ist die Fertigstellung der Dissertation gleich zweifach Grund zur Freude. Erstens: Kein Mensaessen mehr. Zweitens: Endlich Umzug. Bevor ich aber diesen Lebensabschnitt mit der Veröffentlichung der Arbeit abschließe, möchte ich noch all denjenigen danken, die mich auf diesem Weg begleitet und unterstützt haben. An erster Stelle danke ich Herrn Prof. Dr. Joh. Heinr. von Stein für die erfahrungsreiche Zeit am Lehrstuhl für Kreditwirtschaft der Universität Hohenheim sowie die Erstellung des Erstgutachtens. Daneben möchte ich Herrn Prof. Dr. Helmut Kuhnle für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und Frau Prof. Dr. Christina Escher-Weingart für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes danken. Eng verbunden bin ich Holger Köckritz für die kritische Durchsicht des Manuskriptes und Johannes Lentz für die stetige Diskussionsbereitschaft sowie zahlreiche Anregungen. Ausserdem danke ich allen Homburger, Heidelberger und Hohenheimer Freunden. Sie haben mich während der Arbeit an der Dissertation ertragen und mir zur Seite gestanden. Von ganzem Herzen möchte ich meiner Mutter, meinem Bruder Klemens und Günther Stern danken, die mich während der gesamten Ausbildung stark gefördert haben (wenngleich Deutschland hierdurch ein großer Fliesenleger verloren gegangen ist). Ohne ihren Beistand wäre auch die Verwirklichung dieses Vorhabens nicht möglich gewesen. Ihnen widme ich in tiefer Dankbarkeit diese Arbeit. München, im Juni 2003 Wigbert Böhm
I
INHALTSVERZEICHNIS A PROBLEMSTELLUNG, ZIELSETZUNG UND GANG DER UNTERSUCHUNG....................................................................................... 1 B GRUNDLAGEN FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK........................................................................ 5 1 INVESTOR RELATIONS ALS BEZUGSRAHMEN FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK ......................................... 5 1.1 Charakteristika der Investor Relations...................................................... 5 1.1.1 Begriff und Gegenstand der Investor Relations.............................................5 1.1.2 Teilgebiete der Investor Relations .................................................................7 1.1.3 Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes .............................................12
1.2 Zielgruppen für Investor Relations der Emittenten von Unternehmensanleihen............................................................................ 13 1.2.1 Private Kapitalgeber....................................................................................14 1.2.2 Institutionelle Kapitalgeber.........................................................................14 1.2.3 Multiplikatoren ...........................................................................................16
1.3 Anforderungen der Kapitalgeber an die in Investor Relations offenzulegenden Informationen ............................................................... 17 2 PUBLIZITÄTSVERHALTEN DEUTSCHER AKTIENGESELLSCHAFTEN MIT INVESTOR RELATIONS-AKTIVITÄTEN ......................................................... 20 2.1Pflichtpublizität........................................................................................ 20 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4
Prospektpflicht ............................................................................................20 Jahresabschluß und Lagebericht..................................................................21 Zwischenberichterstattung ..........................................................................24 Ad hoc-Publizität ........................................................................................25
2.2 Freiwillige Berichterstattung .................................................................. 25 2.2.1 Quantitative Berichterstattung ....................................................................26 2.2.2 Qualitative Berichterstattung ......................................................................27
3 UNTERNEHMENSANLEIHEN ALS OBJEKT DER GLÄUBIGERORIENTIERTEN INFORMATIONSPOLITIK ..................................... 29 3.1 Anleihen als Instrument der Kreditfinanzierung für Unternehmen ......... 29 3.1.1 Spezifische Charakteristika von Anleihen ...................................................29 3.1.2 Abgrenzung der einzubeziehenden Anleiheobjekte.....................................32
II
3.2 Bestimmungsfaktoren für die Marktrendite von Unternehmensanleihen............................................................................ 34 3.2.1 Marktbezogene Faktoren.............................................................................35 3.2.2 Emittenten- und emissionsspezifische Faktoren..........................................37
3.3 Credit Ratings als alternative Institution zur Bereitstellung von Bonitätsinformationen... .......................................................................... 40 C BEGRÜNDUNG FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK...................................................................... 45 1 UNVOLLKOMMENHEITEN IN DER INFORMATIONSVERARBEITUNG ............... 46 1.1 Theorie und Empirie der Informationsverarbeitung auf den Anleihemärkten........................................................................................ 46 1.2 Begründungsansätze für eine Informationspolitik bei unvollkommener Informationsverarbeitung ............................................ 48 1.2.1 Kosten für die Informationsbeschaffung und -auswertung ..........................48 1.2.2 Asymmetrische Informationsverteilung.......................................................52
1.3 Bedeutung des Credit Ratings für eine Informationspolitik bei unvollkommener Informationsverarbeitung ............................................ 55 1.3.1 Einfluß auf die Kosten der Informationsbeschaffung und -auswertung ......56 1.3.2 Einfluß auf die asymmetrische Informationsverteilung...............................58
1.4 Empirische Studien zum Zusammenhang zwischen Informationsbereitstellung und Fremdkapitalkosten............................... 60 2 FREMDKAPITALGEBERSPEZIFISCHE INFORMATIONSBEDÜRFNISSE .............. 62 2.1 Nachweis auf Basis der Optionspreistheorie........................................... 63 2.1.1 Optionspreistheoretisches Grundmodell......................................................63 2.1.2 Fremdkapitalgeberspezifische Informationsbedürfnisse als Folge einer ungeeigneten Abbildung der Realität durch das Grundmodell...........67 2.1.2.1 Marktunvollkommenheiten .............................................................68 2.1.2.2 Mehrere Kreditbeziehungen und Kreditsicherheiten.......................69
2.2 Nachweis auf Basis der Prinzipal-Agenten-Theorie................................ 71 2.2.1 Struktur und Grundtypen von Prinzipal-Agenten-Problemen .....................71 2.2.2 Ausprägung von Prinzipal-Agenten-Problemen bei Finanzierungsbeziehungen..........................................................................74 2.2.2.1 Eigenfinanzierung ...........................................................................75 2.2.2.2 Fremdfinanzierung ..........................................................................76
III
2.2.3 Fremdkapitalgeberspezifische Informationsbedürfnisse als Folge spezifischer Prinzipal-Agenten-Probleme der Fremdkapitalgeber ..............78 2.2.3.1 Unsicherheit über die Bonität des Kreditnehmers ..........................78 2.2.3.2 Fehlanreize bei Investitionsentscheidungen ...................................79 2.2.3.3 Fehlanreize bei Finanzierungs- und Konsumentscheidungen.........81
3 SYNTHESE: BEGRÜNDUNG FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK ............................................................................... 82 D KONZEPTIONELLER BEZUGSRAHMEN FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK ................ 83 1 ZIELSYSTEM EINER GLÄUBIGERORIENTIERTEN INFORMATIONSPOLITIK ...... 83 1.1 Shareholder Value als Erfolgsmaßstab für eine gläubigerorientierte Informationspolitik .................................................................................. 83 1.2 Einfluß einer gläubigerorientierten Informationspolitik auf den Shareholder Value................................................................................... 86 1.2.1 Reduktion der Kapitalkosten.......................................................................86 1.2.1.1 Reduktion des Fremdkapitalkostensatzes ......................................86 1.2.1.2 Erhöhung des Verschuldungsgrades ..............................................87 1.2.2 Steigerung der Cash Flows..........................................................................89 1.2.2.1 Durchführung zusätzlicher und profitablerer Investitionsprojekte .......................................................................89 1.2.2.2 Reduktion der Kosten für die Aufrechterhaltung der Liquidität .......................................................................................90
1.3 Shareholder Value-orientiertes Zielsystem einer gläubigerorientierten Informationspolitik............................................... 90 2 BEURTEILUNG DES PUBLIZITÄTSVERHALTENS DER ANLEIHEEMITTENTEN ................................................................................. 92 2.1 Vorüberlegung......................................................................................... 92 2.2 Beurteilung des Publizitätsverhaltens auf Basis optionspreistheoretischer Ansätze........................................................... 95 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5
Unternehmenswert ......................................................................................96 Volatilität ....................................................................................................96 Verschuldung ..............................................................................................98 Mehrere Kredite und Stellung von Sicherheiten .........................................99 Weitere Faktoren.......................................................................................101
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2.3 Beurteilung des Publizitätsverhaltens auf Basis von Rating-Verfahren................................................................................... 103 2.3.1 Emittentenspezifische Faktoren ................................................................105 2.3.1.1 Verschuldung des Anleiheemittenten ..........................................106 2.3.1.2 Fälligkeitsstruktur der Verbindlichkeiten ....................................109 2.3.1.3 Bestand an Zahlungsmitteln.........................................................110 2.3.1.4 Zukünftige Zahlungsbewegungen................................................111 2.3.1.5 Geschäftsrisiko ............................................................................112 2.3.1.6 Managementqualität ....................................................................113 2.3.2 Emissionsspezifische Faktoren .................................................................114 2.3.2.1 Vertragliche Nachrangigkeit ........................................................116 2.3.2.2 Strukturelle Nachrangigkeit .........................................................117 2.3.2.3 Kreditvertragliche Vereinbarungen..............................................119
2.4 Zwischenfazit: Defizite im Publizitätsverhalten der Anleiheemittenten .................................................................................. 119 E VERBESSERUNG DER BERICHTERSTATTUNG ÜBER DAS AUSFALLRISIKO.................................................................................... 121 1 INFORMATIONEN ÜBER DIE WAHRSCHEINLICHKEIT EINER ZAHLUNGSSTÖRUNG ................................................................................. 121 1.1 Berichterstattung über die finanzielle Lage des Anleiheemittenten ...... 121 1.1.1 Liquidität des Anleiheemittenten ..............................................................121 1.1.2 Verschuldung des Anleiheemittenten........................................................124 1.1.2.1 Hybride Finanzinstrumente..........................................................125 1.1.2.2 Verbriefte und veräußerte Forderungen des Anleiheemittenten........................................................................125 1.1.2.3 Verbindlichkeiten nicht konsolidierter Tochtergesellschaften und Joint Ventures .......................................................................127 1.1.2.4 Verpflichtungen aus Miet- und Leasingverträgen........................129 1.1.3 Aufgliederung der bilanziellen Verbindlichkeiten ....................................130
1.2 Risikoberichterstattung ......................................................................... 133 1.2.1 Ausgestaltung des Risikomanagementsystems .........................................134 1.2.1.1 Aufbau des Risikomangementsystems.........................................135 1.2.1.2 Ablauf des Risikomanagementprozesses .....................................135 1.2.2 Darstellung der Risikolage........................................................................141
V
1.3 Bonitätssignale und Berichterstattung über die Reputation des Anleiheemittenten .................................................................................. 145 1.3.1 Bonitätssignale..........................................................................................145 1.3.2 Reputation des Anleiheemittenten ............................................................146
2 INFORMATIONEN ÜBER DAS MÖGLICHE AUSMAß EINER ZAHLUNGSSTÖRUNG ................................................................................. 148 2.1 Berichterstattung über die Struktur des Aktivvermögens des Anleiheemittenten .................................................................................. 148 2.2 Berichterstattung über die Ausprägung der vertraglichen und strukturellen Nachrangigkeit................................................................. 151 2.2.1 Vertragliche Nachrangigkeit .....................................................................151 2.2.2 Strukturelle Nachrangigkeit ......................................................................153
F AUFBAU EINER BERICHTERSTATTUNG ÜBER DAS EREIGNISRISIKO................................................................................... 157 1 MÖGLICHKEITEN ZUR INTEGRATION DES EREIGNISRISIKOS IN DIE BERICHTERSTATTUNG............................................................................... 157 2 INFORMATIONEN ÜBER VERÄNDERUNGEN DER GESCHÄFTSAKTIVITÄTEN DES ANLEIHEEMITTENTEN ............................... 159 2.1 Berichterstattung über die Auswirkungen der Veränderungen auf das Geschäftsrisiko................................................................................ 160 2.2 Berichterstattung über die vorgesehenen Realisierungsalternativen .... 163 2.2.1 Auf- und Ausbau von Geschäftseinheiten.................................................164 2.2.2 Aufgabe von Geschäftseinheiten...............................................................170
3 INFORMATIONEN ÜBER VERÄNDERUNGEN DER KAPITALSTRUKTUR .............. DES ANLEIHEEMITTENTEN ........................................................................ 172 3.1 Berichterstattung über Veränderungen aufgrund der Finanzierungsstrategie.......................................................................... 172 3.2 Berichterstattung über Veränderungen aufgrund der Aufnahme von Fremdkapital im Rahmen von Unternehmensakquisitionen ........... 174 3.3 Berichterstattung über die Gefahr einer feindlichen Übernahme ......... 176 G ERGEBNISSE UND AUSBLICK............................................................ 179
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. B.1: Teilgebiete der Investor Relations ........................................................ 7 Abb. B.2: Marktbezogene Bestimmungsfaktoren für die Rendite von Unternehmensanleihen ...................................................................... 35 Abb. B.3: Ratingsymbole für Unternehmensanleihen......................................... 41 Abb. C.1: Grundgedanke der Bewertung von Eigen- und Fremdkapital auf Basis der Optionspreistheorie ........................................................... 63 Abb. D.1: Wertsteigerungsnetzwerk ................................................................... 85 Abb. D.2: Zielsystem einer gläubigerorientierten Informationspolitik............... 91 Abb. D.3: Vorgehensweise der Rating-Agenturen bei der Beurteilung emittentenspezifischer Faktoren ...................................................... 105 Abb. E.1: Berücksichtigung der Verschuldung nicht konsolidierter Tochtergesellschaften und Joint Ventures ....................................... 128 Abb. E.2: Aufgliederung der bilanziellen Verbindlichkeiten nach Fälligkeiten...................................................................................... 132 Abb. E.3: Risikomanagementprozeß................................................................. 137 Abb. E.4: Darstellung der Unternehmensrisiken im Risikoportfolio ................ 143 Abb. E.5: Aufgliederung der Verbindlichkeiten nach Hierachie und Fristigkeiten..................................................................................... 152 Abb. E.6: Darstellung der Konzernstruktur des Anleiheemittenten.................. 154 Abb. F.1: Darstellung der geplanten Veränderungen der Geschäftsaktivitäten......................................................................... 161 Abb. F.2: Optionen zur Entwicklung von Geschäftseinheiten und Auswirkungen auf das Geschäftsrisiko ............................................ 163 Abb. F.3: Realisierungsalternativen für den Auf- und Ausbau von Geschäftseinheiten........................................................................... 164 Abb. F.4: Dimensionen des strategischen Aktionsradius ................................. 167 Abb. F.5: Realisierungsalternativen für die Aufgabe von Geschäftseinheiten . 170
PROBLEMSTELLUNG, ZIELSETZUNG UND GANG DER UNTERSUCHUNG
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A Problemstellung, Zielsetzung und Gang der Untersuchung Betrachtet man die Quellen für die Fremdfinanzierung deutscher Unternehmen, ist zu beobachten, daß Kreditinstitute als bislang bedeutendste Fremdkapitalgeber deutscher Unternehmen zunehmend restriktiv Kredite vergeben und im Firmenkundengeschäft deutlich höhere Bonitätsrisikoprämien durchsetzen. Der wesentliche Grund hierfür ist ein wachsendes Risikobewußtsein der Geschäftsbanken und der zunehmende Ertragsdruck. Weiter begünstigt wird diese Tendenz auch durch die aktuellen Reformvorschläge des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht zur Neuregelung der Eigenkapitalausstattung von Kreditinstituten. Kapitalsuchende Unternehmen sind deshalb auf andere Quellen als Bankkredite zur Deckung ihres Fremdkapitalbedarfes verwiesen. Sie wenden sich verstärkt Unternehmensanleihen zu, die aufgrund ihrer spezifischen Vorteile, wie hohe Flexibilität und Überwindung der bei anderen Fremdfinanzierungsquellen bestehenden Mengenrestriktionen, in den letzten Jahren bereits stark an Bedeutung gewonnen haben. Das Volumen ausstehender Anleihen, die von deutschen Unternehmen und ihren ausländischen Finanzierungstöchtern begeben wurden, hat sich allein im Zeitraum Dezember 1997 bis Juni 2001 von 36 Mrd. USD1 auf 172 Mrd. USD2 fast verfünffacht. Dabei wird mit weiter steigenden Emissionsvolumina gerechnet. Wenngleich dies die wachsende Bedeutung dieses Finanzierungsinstrumentes zeigt, kommt es parallel zu dieser Entwicklung zu einer deutlichen Verschärfung der Wettbewerbssituation auf den Anleihemärkten, die zunehmende Anstrengungen bei der Begebung von Unternehmensanleihen erfordert. Für anleihebegebende Unternehmen wird es schwieriger, die Aufmerksamkeit potentieller Investoren zu gewinnen, Anleihen zu günstigen Konditionen abzusetzen und die Vorteile der Anleihefinanzierung zu nutzen. Zusätzlich wird der Wettbewerb auch durch zahlreiche neue Kapitalmarktprodukte, die ebenfalls um die Anlagegelder konkurrieren, weiter verschärft.
1 2
Eigene Berechnung. Quelle: Bank for International Settlements, June, 2000, S. 69ff. Eigene Berechnung. Quellen: Bank for International Settlements, September, 2001, S. 75; Bank for International Settlements, December, 2001, S. 83.
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PROBLEMSTELLUNG, ZIELSETZUNG UND GANG DER UNTERSUCHUNG
Aus Sicht der Anleiheinvestoren führt der notwendige Vergleich der zunehmenden Anlagemöglichkeiten zu steigenden Informationsanforderungen. Ferner bewirkt der Paradigmenwechsel im Anleihemanagement, von Buy and HoldStrategien hin zu aktiven, auf ein Ausnutzen von bonitätsbedingten Wertveränderungen gerichteten Anlagestrategien eine stark anwachsende Nachfrage nach bonitätsrelevanten Informationen. Anleiheinvestoren können zwar auf die bestehenden, an den Informationswünschen der Aktionäre ausgerichteten Investor Relations-Aktivitäten zurückgreifen. Wegen teilweise sehr unterschiedlicher Informationsbedürfnisse beider Gruppen wird die steigende Nachfrage der Anleihegläubiger nach bonitätsrelevanten Informationen hierdurch jedoch nicht ausreichend befriedigt. Dies gilt selbst dann, wenn Credit Ratings zur Verfügung stehen. Diese Bonitätseinstufungen berücksichtigen nicht alle bonitätsrelevanten Faktoren. Sie werden zudem von den Marktteilnehmern zunehmend kritisch hinterfragt und weisen außerdem nur einen sehr geringen Informationswert für Anleger mit aktiven, handelsorientierten Strategien auf. Darüber hinaus bestehen keine Möglichkeiten zur Differenzierung gegenüber anderen Anleiheemissionen mit identischen Credit Ratings. Wollen deutsche Unternehmen weiterhin Fremdkapital zu günstigen Konditionen aufnehmen und über ein ausreichendes Fremdfinanzierungsvolumen zur Nutzung sich bietender Chancen verfügen, ist die Durchführung einer gläubigerorientierten Informationspolitik zwingend notwendig. Nur bei einer Erweiterung der Investor Relations um die Informationswünsche der Anleiheinvestoren ist es möglich, dem Wettbewerbsdruck auf Anleihemärkten zu begegnen und signifikante Finanzierungsvorteile zu generieren. Trotz dieser vielversprechenden Möglichkeiten werden solche Aktivitäten bisher nur ansatzweise durchgeführt. Auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik fehlt bislang. Aus diesem Grund ist es Ziel der vorliegenden Untersuchung, die Wirksamkeit einer gläubigerorientierten Informationspolitik zu begründen und praktische Gestaltungsempfehlungen für eine an den Informationsbedürfnissen der Anleiheinvestoren ausgerichtete Berichterstattung zu formulieren. Der vorliegenden Arbeit liegt dabei ein analytisch-deduktiver Ansatz zugrunde, der sich auch im Gang der Untersuchung niederschlägt:
PROBLEMSTELLUNG, ZIELSETZUNG UND GANG DER UNTERSUCHUNG
3
Kapitel B untersucht zunächst die Grundlagen der gläubigerorientierten Informationspolitik. Es spannt mit einer Behandlung der Investor Relations den hierfür erforderlichen Rahmen auf (Kap. B.1), bevor das Publizitätsverhalten deutscher Aktiengesellschaften beleuchtet (Kap. B.2) und Unternehmensanleihen als Objekt der gläubigerorientierten Informationspolitik charakterisiert werden (Kap. B.3). Kapitel C begründet die Durchführung einer gläubigerorientierten Informationspolitik. Hierfür werden ausgewählte informationsökonomische Modellansätze auf die Anleihemärkte übertragen und die Wirkungen einer von den Anleiheemittenten initiierten Informationspolitik diskutiert. Vor dem Hintergrund des Credit Ratings als Alternative zur Bereitstellung von Bonitätsinformationen werden diese Ansätze kritisch hinterfragt und der diesbezügliche Stand der empirischen Forschung aufgezeigt (Kap. C.1). Durch eine finanzierungstheoretische Analyse wird anschließend auf Basis der neoklassischen und neoinstitutionalistischen Finanzierungstheorie erstmals die Existenz fremdkapitalgeberspezifischer Informationsbedürfnisse nachgewiesen (Kap C.2), bevor die Ergebnisse in Kapitel C.3 zu einer Begründung für eine gläubigerorientierte Informationspolitik zusammengeführt werden. Zur Formulierung von Gestaltungsempfehlungen wird in Kapitel D zunächst der konzeptionelle Bezugsrahmen für eine gläubigerorientierte Informationspolitik geschaffen. Durch Überführung der nachgewiesenen Wirkungen der Informationsbereitstellung in Shareholder Value-relevante Zielsetzungen wird hierbei das Zielsystem einer gläubigerorientierten Informationspolitik entwickelt (Kap. D.1), bevor dann das Publizitätsverhalten der Anleiheemittenten auf Basis der von institutionellen Anleiheinvestoren genutzten Bewertungsverfahren für Unternehmensanleihen untersucht wird (Kap. D.2). Aufbauend auf den identifizierten Publizitätsdefiziten werden in Kapitel E systematisch Vorschläge zur Verbesserung der Berichterstattung über das Ausfallrisiko formuliert. Eine umfassende Anleitung zur Verbesserung der Berichterstattung über die Wahrscheinlichkeit einer Zahlungsstörung enthält Kapitel E.1. Sie wird ergänzt durch Empfehlungen für den Ausbau der Berichterstattung über das Ausmaß einer möglichen Zahlungsstörung (Kap. E.2). Kapitel F entwickelt Gestaltungsempfehlungen für den Aufbau einer Berichterstattung über das Ereignisrisiko (Risiko bonitätsverändernder Ereignisse). Diese Risikokomponente gilt bisher mangels geeigneter Informationen als unvorhersehbar und bleibt deshalb – trotz ihrer hohen Relevanz für den Wert von
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PROBLEMSTELLUNG, ZIELSETZUNG UND GANG DER UNTERSUCHUNG
Unternehmensanleihen – bei Anlageentscheidungen außen vor. Aus diesem Grund wird zunächst erarbeitet, wie das Ereignisrisiko in die freiwillige Berichterstattung der Anleiheemittenten integriert werden kann (Kap. F.1). Aufbauend auf dieser Vorüberlegung werden Vorschläge zur Berichterstattung über Veränderungen der Geschäftsaktivitäten (Kap. F.2) und der Kapitalstruktur des Anleiheemittenten (Kap. F. 3) ausgearbeitet. Kapitel G beschließt die vorliegende Untersuchung mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und einem Ausblick.
GRUNDLAGEN FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK
5
B Grundlagen für eine gläubigerorientierte Informationspolitik 1
Investor Relations als Bezugsrahmen für eine gläubigerorientierte Informationspolitik
1.1
Charakteristika der Investor Relations
1.1.1 Begriff und Gegenstand der Investor Relations Für den Investor Relations-Begriff liegen in der Literatur verschiedene Definitionen vor. Diese unterscheiden sich teilweise deutlich. Wegen des divergierenden Verständnisses der hierunter zu subsumierenden Aktivitäten ist der Investor Relations-Begriff zunächst einzuordnen und seine Verwendung für diese Untersuchung zu präzisieren. Investor Relations werden in der Literatur als „Kommunikation für das Objekt Wertpapier“1 verstanden. Sie orientieren sich an den Bedürfnissen der Kapitalgeber und sollen „die Marktwiderstände zwischen Kapitalangebot und Kapitalnachfrage überwinden“2. Neben dieser engen Auffassung, nach der Investor Relations-Aktivitäten auf „Maßnahmen der Finanzpublizität“3 beschränkt sind, wird von einigen Autoren auch der Standpunkt vertreten, daß Investor Relations über kommunikative Maßnahmen hinaus weitere Bereiche umfassen. Nach diesem weiten Begriffsverständnis werden Investor Relations als „Gesamtheit aller [...] Maßnahmen von Unternehmen [verstanden], die darauf abzielen, die Bereitstellung finanzieller Mittel durch unternehmensexterne Kapitalquellen langfristig sicherzustellen und die bei finanziellen Transaktionen typischerweise auftretenden Abschlußhemmnisse zu überwinden“4. Dieses Verständnis von Investor Relations wird zuweilen auch mit dem Begriff Finanzmarketing gleichgesetzt. Es umfaßt ne-
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Bittner, Wirkungen, 1996, S. 6. Pohle, Publizitätsverhalten, 1995, S. 69. Drill, Investor Relations, 1995, S. 54. Lingenfelder/Walz, Investor Relations, 1988, S. 467.
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GRUNDLAGEN FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK
ben kommunikativen Maßnahmen auch produkt-, preis-, und distributionspolitische Aktivitäten5. In dieser Arbeit soll der Investor Relations-Begriff in seiner engen Auslegung, also mit einer Beschränkung der Aktivitäten auf kommunikative Maßnahmen, verwendet werden. Unabhängig vom Umfang der Aktivitäten wird die Freiwilligkeit der durchgeführten Maßnahmen in der Literatur übereinstimmend als weiteres konstituierendes Merkmal der Investor Relations angesehen6. Aktivitäten sind aus Sicht eines Unternehmens, welches Wertpapiere begibt, freiwillig, wenn sie nicht aufgrund gesetzlicher oder sonstiger Anforderungen, wie z. B. aufgrund privatrechtlicher Vereinbarungen zur Aufnahme in ein bestimmtes Börsensegment, durchgeführt werden müssen. In verschiedenen Quellen wird allerdings betont, daß dieses Kriterium zu praktischen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Maßnahmen der Investor Relations führt7. Die Pflichtpublizität ist definitionsgemäß nicht Gegenstand der Investor Relations. Bei der Ausgestaltung der Pflichtpublizität bestehen aber große Freiheitsgrade8. Solche freiwilligen Möglichkeiten zu ihrer Differenzierung umfassen beispielsweise Maßnahmen zur Erhöhung des Informationsgehaltes über den durch die Publizitätspflicht vorgegebenen Mindeststandard. Weitere Merkmale der Investor Relations sind ihre langfristige Ausrichtung9 sowie ihre hohe Kontinuität bzw. die Stetigkeit der Aktivitäten10. Investor Relations sind also stets unabhängig von konkreten Finanzierungsanlässen11. Folglich sind punktuelle, auf die Emissionszeitpunkte beschränkte Maßnahmen, wie etwa Roadshows, nicht den Investor Relations zuzurechnen, sofern sie nicht von weiteren Aktivitäten begleitet werden.
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Vgl. Süchting, Finanzmarketing, 1986, S. 654ff.; Link, Aktienmarketing, 1991, S. 10; Link, Finanzmarketing, 1995, Sp. 689ff. Vgl. Hartmann, Publikumsgesellschaft, 1968, S. 70; Lingenfelder/Walz, Investor Relations, 1988, S. 467; Allendorf, Investor Relations, 1996, S. 6ff. Für die vorliegende Untersuchung ist dieses Abgrenzungsproblem irrelevant. Es wird angenommen, daß die betrachteten Unternehmen bereits über Investor Relations-Aktivitäten verfügen. Vgl. Abschnitt B.1.1.3. Vgl. Allendorf, Investor Relations, 1996, S. 8f.; Hank, Informationsbedürfnisse, 1999, S. 27f. Vgl. Hartmann, Publikumsgesellschaft, 1968, S. 70f.; Lingenfelder/Walz, Investor Relations, 1988, S. 467. Vgl. Krystek/Müller, Disziplin, 1993, S. 1875f. Vgl. Weidekind, Finanzierungsmarketing, 1994, S. 274.
GRUNDLAGEN FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK
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1.1.2 Teilgebiete der Investor Relations Investor Relations können in drei verschiedene Teilgebiete unterteilt werden. Sie umfassen eine eigenkapitalgeber- und eine gläubigerorientierte Informationspolitik sowie eine für beide Kapitalgebergruppen einheitliche Kommunikationspolitik. Die drei Teilgebiete entstehen, wenn Investor Relations gleichzeitig nach ihren Gegenstandsbereichen (Informations- und Kommunikationspolitik) und der Gruppe der Kapitalgeber (Eigen- bzw. Fremdkapitalgeber), die mit Aktivitäten angesprochen werden soll, differenziert werden. Die Teilgebiete der Investor Relations zeigt unten stehende Abbildung (vgl. Abb. B.1), in der die beiden Gegenstandsbereiche der Investor Relations auf der Vertikalen abgetragen sind. Die Horizontale zeigt Segmente der Investor Relations, die bei einer Differenzierung der Aktivitäten nach der im Mittelpunkt der Bemühungen stehenden Gruppe der Kapitalgeber entstehen.
EigenkapitalgeberEigenkapitalgeberorientierte orientierte Informationspolitik Informationspolitik
Gläubigerorientierte Gläubigerorientierte Informationspolitik Informationspolitik
Kommunikationspolitik
Abb. B.1: Teilgebiete der Investor Relations In der Investor Relations-Literatur wird zwischen zwei sich gegenseitig ergänzenden Gegenstandsbereichen der Investor Relations, der Informationspolitik und der Kommunikationspolitik, unterschieden12. Dieses Verständnis weicht zwar von der im Marketing gängigen Auffassung ab, nach der die Informations12
Vgl. Drill, Investor Relations, 1995, S. 60; Lindemann et al., KMU, 1998, S. 20.
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GRUNDLAGEN FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK
politik ein Teil der Kommunikationspolitik ist. Es ist jedoch wegen der sehr viel größeren Bedeutung der Informationsbereitstellung im Finanzierungsmarketing im Vergleich mit anderen Bereichen notwendig und auch gerechtfertigt13. Sujet der Informationspolitik ist die Bestimmung der im Rahmen der Investor Relations-Aktivitäten offenzulegenden Informationen. Ihr fällt die Aufgabe zu, den Anlegern durch die Bereitstellung finanzieller und qualitativer Unternehmensdaten sowie titelspezifischer Angaben eine möglichst objektive Bewertung der Finanztitel zu ermöglichen14. Gegenstand der Kommunikationspolitik ist die Bestimmung der Art und Weise der Informationsübermittlung15. Bei den Planvariablen der Kommunikation handelt es sich um die Festlegung der anzusprechenden Subjekte und der vorzustellenden Objekte, die Planung der einzusetzenden Kommunikationsträger und mittel sowie das für die geplanten Maßnahmen aufzuwendende Budget sowie das Timing der Aktivitäten16. Für Investor Relations ist zudem die Festlegung von Grundsätzen zur Verbreitung der offengelegten Informationen wichtig17. Unabdingbare Voraussetzung für die Erzielung optimaler Informationswirkungen, also eine effektive und effiziente Gestaltung der kommunikationspolitischen Aktivitäten, ist eine zielgruppenspezifische Ansprache der Rezipienten18. Die Kommunikationspolitik ist deshalb – im Gegensatz zur Informationspolitik – stets zielgruppenspezifisch auszugestalten19. Zielgruppen der Investor Relations sind aktuelle und potentielle Kapitalgeber und verschiedene Multiplikatoren. Wegen der geforderten „Kongruenz von Botschaft und Medium“20 ist die Kommunikation stets auf die zu transportierenden Inhalte abzustimmen. Die Kommunikationsplanung setzt daher die Kenntnis der zu übermittelnden Inhalte voraus. Somit ist die Informationspolitik der Kommunikationspolitik gedanklich vorgelagert.
13 14 15 16 17 18 19 20
Vgl. Weidekind, Finanzierungsmarketing, 1994, S. 270f. Vgl. Drill, Investor Relations, 1995, S. 81. Vgl. Lindemann et al., KMU, 1998, S. 20. Vgl. Nieschlag et al., Marketing, 1994, S. 508ff.; Bänsch, Kommunikationspolitik, 1995, Sp. 1188ff. Vgl. Ellis, Investor Relations, 1985, S. 40. Vgl. Weidekind, Finanzierungsmarketing, 1994, S. 305; Bänsch, Kommunikationspolitik, 1995, Sp. 1187; Hank, Informationsbedürfnisse, 1999, S. 22. Vgl. Drill, Investor Relations, 1995, S. 75. Weidekind, Finanzierungsmarketing, 1994, S. 282.
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Praktisch alle Autoren vertreten die Auffassung, daß sowohl Eigenkapitalgeber (bei der Hingabe von Eigenkapital in verbriefter Form: Aktionäre) als auch Fremdkapitalgeber (Anleiheinvestoren bzw. Anleihegläubiger bei verbrieften Kreditbeziehungen) Zielgruppen der Investor Relations sind21. Bei der Hingabe von Eigenkapital handelt es sich um eine unbefristete Kapitalüberlassung, die zu einer Partizipation am Geschäftserfolg des betrachteten Unternehmens führt. Sie ist mit der Leitungsbefugnis bzw. zumindest bestimmten Mitspracherechten verbunden. Die Überlassung von Fremdkapital ist hingegen befristet und durch einen festen Rückzahlungsanspruch in nominaler Höhe gekennzeichnet. Sie weist eine im voraus festgelegte, vom Geschäftserfolg unabhängige Verzinsung auf. Eine Beteiligung bzw. Mitsprache an der Geschäftsführung ist nicht vorgesehen. Im Konkursfall sind die Fremdkapitalgeber Haftungsberechtigte und werden daher vor den Eigenkapitalgebern befriedigt, die Haftungsverpflichtete sind22. Obwohl die hohe Relevanz der Anleiheinvestoren als Zielgruppe der Investor Relations bzw. das Fehlen einer fremdkapitalgeberorientierten Investor Relations von einigen Autoren sogar besonders herausgestellt wird23, sind bisher sämtliche Monographien und der überwiegende Teil der Aufsätze auf die Eigenkapitalgeber bezogen.
21
22 23
Bereits Hartmann, Publikumsgesellschaft, 1968, S. 71, weist darauf hin, daß auch Gläubiger in die Investor Relations-Aktivitäten einzubeziehen sind. Vgl. exemplarisch auch Lingenfelder/ Walz, Investor Relations, 1988, S. 467; Link, Aktienmarketing, 1991, S. 8; Herdt, Creditor Relations, 1996, S. 1; Allendorf, Investor Relations, 1996, S. 46; Claussen, Fixed-Income-Investoren, 1998, S. 20; Lindemann et al., KMU, 1998, S. 5; Gentz, Finanzstrategien, 1998, S. 119f.; o.V., Corporate Bonds, 1999, S. 51; o.V., Mittelständler, 2000, S. 5. Vereinzelt wird allerdings bisher auch die Ansicht vertreten, daß die Anleiheinvestoren als Zielgruppe der Investor Relations weniger relevant als die Aktionäre sind. Hierfür werden unterschiedliche Begründungen angeführt. Nach der Umfrage von Günther/Otterbein, Gestaltung, 1996, S. 493, haben deutsche Unternehmen eine fremdkapitalgeberorientierte Investor Relations wegen der zum Erhebungszeitpunkt geringen Bedeutung der Anleihefinanzierung für wenig relevant gehalten. Dürr, Investor Relations, 1994, S. 40, sieht lediglich im Credit Rating „die Herausforderung auf der Fremdkapitalseite“. Tiemann, Publikumsgesellschaften, 1997, S. 4, billigt einer fremdkapitalgeberorientierten Investor Relations nur geringe „Gestaltungsspielräume“ zu. Hingegen kann Bittner, Wirkungen, 1996, S. 7, nur geringe Unterschiede in Informationsbedürfnissen von Eigen- und Fremdkapitalgebern erkennen. Vgl. Schmidt/Terberger, Finanzierungstheorie, 1997, S. 18ff. Vgl. Becker, Finanzmarketing, 1994, S. 299; Jacob/Klein, Investment Banking, 1996, S. 97; Paul, Instrument, 1996, S. 393f.; Labhart, Value Reporting, 1999, S. 278; Finanzplatz e.V., Corporate Bonds, 2000, S. 21; Landesbank Baden-Württemberg, Markt, 2000, S. 17; Klein/Claussen, Fremdkapital, 2000, S. 141; Ford, Bondholders, 2000, S. 24ff.
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Investor Relations, die auf die Aktionäre fokussiert sind, werden als „Stockholder“ bzw. „Shareholder Relations“ bezeichnet24. In der deutschsprachigen Literatur hat sich hierfür der Begriff „Investor Relations“ eingebürgert, obwohl er terminologisch nicht korrekt ist. Dieser Begriff beschreibt sowohl die Aktivitäten mit den Eigen- als auch mit den Fremdkapitalgebern25. Es ist davon auszugehen, daß die unscharfe Begriffsverwendung eine Folge der Fokussierung der wissenschaftlichen Diskussion auf die Eigenkapitalgeber ist. Für die auf Anleiheinvestoren bezogenen Aktivitäten werden unterschiedliche Termini verwendet. Sie werden teilweise als „Bondholder Relations“26, aber auch als „Creditor Relations“27 bezeichnet. Dies ist insbesondere der Fall, wenn nach dem Verständnis des betreffenden Autors nicht nur Anleihen, sondern auch andere Instrumente der Fremdfinanzierung Objekte der Investor Relations sind28. Investor Relations sind aber darauf ausgelegt, die „Informationslücke“ zwischen Kapitalgeber und -nehmer zu schließen und die zwischen beiden Parteien vorhandene Anonymität zu überwinden. Beide Probleme sind bei verbrieften, auf organisierten Sekundärmärkten handelbaren Finanzkontrakten besonders ausgeprägt29. Aus diesem Grund sollen Aktivitäten, die nicht auf das Objekt Wertpapier bezogen sind, in dieser Untersuchung als Teil des Finanzmarketings, nicht aber als Bestandteil der Investor Relations aufgefaßt werden. Die durch eine Differenzierung nach Kapitalgebergruppen entstehenden Segmente der Investor Relations werden in dieser Untersuchung als eigenkapitalgeberorientierte bzw. fremdkapitalgeberorientierte Investor Relations bezeichnet. Für letztere wird synonym auch der Begriff Investor Relations der Emittenten von Unternehmensanleihen verwendet. Die enge Verbindung der beiden Segmente soll bereits sprachlich durch die gewählte Terminologie verdeutlicht werden.
24 25 26 27
28 29
Vgl. Hartmann, Publikumsgesellschaft, 1968, S. 74; Lingenfelder/Walz, Investor Relations, 1988, S. 467; Link, Aktienmarketing, 1991, S. 9ff.; Link, Finanzmarketing, 1995, Sp. 690. Vgl. Drill, Investor Relations, 1995, S. 53. Vgl. Link, Aktienmarketing, 1991, S. 9ff.; Drill, Investor Relations, 1995, S. 53; Link, Finanzmarketing, 1995, Sp. 690. Vgl. Lingenfelder/Walz, Investor Relations, 1988, S. 467; Weidekind, Finanzierungsmarketing, 1994, S. 305; Bittner, Wirkungen, 1996, S. 7; Tiemann, Publikumsgesellschaften, 1997, S. 4; Gentz, Finanzstrategien, 1998, S. 119f.; Klein/Claussen, Fremdkapital, 2000, S. 151. Vgl. Link, Aktienmarketing, 1991, S. 9ff.; Becker, Finanzmarketing, 1994, S. 299. Vgl. Abschnitt B.3.1.
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Die Informationsbedürfnisse von Eigen- und Fremdkapitalgebern unterscheiden sich, weil zur Bewertung von Aktien und Unternehmensanleihen unterschiedliche Daten benötigt werden. Es ist deshalb notwendig, zwischen einer eigenkapitalgeber- und einer gläubigerorientierten Informationspolitik zu differenzieren (vgl. Abbildung B.1)30. Wegen starker Überschneidungen in der Kommunikationspolitik sind hingegen die im Rahmen der Shareholder Relations bestehenden kommunikationspolitischen Ansätze direkt auf die Investor Relations der Emittenten von Unternehmensanleihen übertragbar. Dies zeigt die Ausgestaltung erster in der Praxis durchgeführter fremdkapitalgeberorientierter Investor Relations-Aktivitäten31. Außerdem kann die Übertragbarkeit auch auf Basis theoretischer Überlegungen belegt werden: Erstens verfolgen kapitalsuchende Unternehmen mit beiden Segmenten der Investor Relations ähnliche Zielsetzungen (Reduktion der Kapitalkosten und Verbesserung der Bedingungen für eine Kapitalaufnahme). Zweitens weisen die Planvariablen der Kommunikation mit Eigen- und Fremdkapitalgebern sehr ähnliche Ausprägungen auf. Die anzusprechenden Subjekte beider Investor Relations-Segmente sind eng verwandt. Ihre Anlageprozesse laufen ähnlich ab, genau wie die Verarbeitung der übermittelten Informationen. In beiden Fällen sind Wertpapiere Objekte der Kommunikation. Beide Segmente der Investor Relations haben außerdem ein disperses Publikum mit einer potentiell gleichartigen Erreichbarkeit der Rezipienten. Die Zielgruppen der beiden Segmente sind daher mit ähnlichen Kommunikationsträgern bzw. -mitteln anzusprechen. Ferner ist zu erwarten, daß das Timing genau wie das Budget bei beiden Kapitalgebergruppen von ähnlichen Überlegungen bzw. Parametern beeinflußt wird. So wird beispielsweise bei beiden Segmenten die Intensität der Kommunikation und die Ausgaben hierfür erhöht werden, wenn die Begebung neuer Wertpapiere geplant ist. Die Gestaltungsempfehlungen für die Aktionäre sind somit weitgehend auf die Anleiheinvestoren übertragbar.
30
31
Für erste Hinweise auf Unterschiede in den Informationsbedürfnisse von Aktionären und Anleiheinvestoren bzw. von spezifischen Informationsbedürfnissen dieser Gruppe vgl. Jakobs/Landgraf, Bondholder Value, 2000, S. 33; Herdt, Creditor Relations, 1996, S. 1; Fridson, Relationships, 1989, S. 84ff.; Gentz, Finanzstrategien, 1998, S. 107ff.; Claussen, Fixed-IncomeInvestoren, 1998, S. 20; Klein/Claussen, Fremdkapital, 2000, S. 141ff. Vgl. Gentz, Finanzstrategien, 1998, S. 120; Claussen, Fixed-Income-Investoren, 1998, S. 20; Schneidereit, Kapitalmarkt, 2000; Schwab, Emittenten, 2000; Klein/Claussen, Fremdkapital, 2000, S. 150f.
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Drittens führt die Forderung nach Kompatibilität und Konsistenz der Kommunikation mit allen Adressaten, die eine notwendige Bedingung für eine effektive Kommunikation ist, dazu, daß beide Segmente der Investor Relations auch identische Kommunikationsgrundsätze aufweisen müssen. Aus den eben aufgezeigten Gemeinsamkeiten folgt, daß die Ausgestaltung der Kommunikation mit den Anleiheinvestoren in weiten Teilen mit der Kommunikationspolitik übereinstimmen muß, die bei einer eigenkapitalgeberorientierten Investor Relations gewählt wird. Es ist daher gerechtfertigt, in dieser Untersuchung auf eine Differenzierung der Kommunikationspolitik in Abhängigkeit von der anzusprechenden Gruppe der Kapitalgeber zu verzichten (vgl. Abbildung B.1). 1.1.3 Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes Wegen der weitgehenden Übertragbarkeit der kommunikationspolitischen Ansätze besteht nur ein geringer Forschungsbedarf für die Kommunikationspolitik im Rahmen einer fremdkapitalgeberorientierten Investor Relations. Da mit der vorliegenden Untersuchung Investor Relations um den sehr bedeutenden, bisher aber stark vernachlässigten Fremdkapitalgeber-Aspekt ergänzt werden sollen, ist eine Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes auf die gläubigerorientierte Informationspolitik geboten. Ferner ist der Untersuchungsgegenstand im Hinblick auf die einzubeziehenden Informationen zu präzisieren. Neben spezifischen Informationen, die nur für Aktionäre oder für Anleiheinvestoren relevant sind, gibt es eine Vielzahl von Daten, die beide Kapitalgebergruppen für ihre Anlageentscheidungen benötigen. Die beiden Segmente der Informationspolitik weisen also starke Überschneidungen auf. Die für die Aktionäre relevanten und daher offenzulegenden Informationen, die teilweise auch für die Anleiheinvestoren wesentlich sind, werden in der eigenkapitalgeberorientierten Investor Relations-Literatur bereits breit diskutiert. Aus diesem Grund ist in dieser Untersuchung zwar eine Identifikation, aber keine vertiefte Behandlung solcher Inhalte sinnvoll. Um nur die aus Sicht der Fremdkapitalgeber bestehenden Publizitätsdefizite aufzudecken, wird unterstellt, daß die betrachteten Anleiheemittenten ein idealtypisches Publizitätsverhalten aus der Perspektive der Eigenkapitalgeber aufweisen. Sie legen die aufgrund von Publizitätspflichten bereitzustellenden In-
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formationen vollständig offen. Außerdem verfügen sie über eigenkapitalgeberorientierte Investor Relations-Aktivitäten und veröffentlichen alle Informationen, deren Bereitstellung in der Investor Relations-Literatur empfohlen wird. Mit dieser Vorgabe wird erreicht, daß jene Inhalte einer gläubigerorientierten Informationspolitik im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen, die für die Eigenkapitalgeber nicht relevant sind und die wegen der bisher einseitigen Orientierung bei den Investor Relations-Aktivitäten an den Eigenkapitalgebern bisher auch nicht offengelegt werden. Die getroffene Annahme impliziert, daß nur in der Rechtsform von Aktiengesellschaften bzw. KGaA geführte, börsennotierte32 Anleiheemittenten in dieser Untersuchung betrachtet werden. Nur an den Wertpapierbörsen notierte Unternehmen führen Investor Relations-Aktivitäten durch. Diese Einschränkung ist aber vertretbar, weil die abzuleitenden Gestaltungsempfehlungen auf nicht börsennotierte Anleiheemittenten übertragen werden können. Im Rahmen dieser Untersuchung sollen Gestaltungsempfehlungen für deutsche Anleiheemittenten erarbeitet werden. Darüber hinaus werden auch Anleiheemissionen ausländischer Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen in die Analyse miteinbezogen. Aufgrund steuerrechtlicher Überlegungen werden Anleihen, die der Finanzierung deutscher Unternehmen dienen, überwiegend von ausländischen Konzerntöchtern begeben33. 1.2
Zielgruppen für Investor Relations der Emittenten von Unternehmensanleihen
Da Publizität bereits hergestellt ist, wenn eine Information an eine Teilöffentlichkeit weitergegeben wird, ist es nicht möglich, im Rahmen der Informationspolitik zielgruppenspezifisch zu differenzieren. Im Gegensatz zur Kommunikationspolitik ist deshalb die gläubigerorientierte Informationspolitik, der Gegenstand dieser Untersuchung, nicht zielgruppenspezifisch auszugestalten34. Zur Behandlung des Untersuchungsgegenstandes ist die Kenntnis der Zielgruppen bzw. ihres Markt- und des dahinter stehenden Entscheidungsverhaltens jedoch trotzdem notwendig. Die Informationsanforderungen der einzelnen Ziel32 33 34
Börsennotiert im Sinne von § 3 Abs. 2 AktG sind Kapitalgesellschaften, deren Aktien im Amtlichen Handel, am Geregelten Markt oder am Neuen Markt gehandelt werden. Vgl. Müller-Trimbusch, High-Yield-Anleihen, 1999, S. 237f. Vgl. Abschnitt B.1.1.2.
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gruppen können in Abhängigkeit von ihrem Entscheidungsverhalten variieren. Folglich werden die Informationsbedürfnisse sämtlicher Rezipienten nur vollständig befriedigt, wenn die gläubigerorientierte Informationspolitik an der Zielgruppe mit den höchsten Informationsanforderungen ausgerichtet ist. Zur Ableitung der Informationsbedürfnisse der Anleiheinvestoren sollten deshalb die Entscheidungskriterien dieser Gruppe herangezogen werden. Die Kenntnis der unterschiedlichen Zielgruppen bzw. ihres Entscheidungsverhaltens ist aber auch relevant, um die abzuleitenden Begründungsansätze für eine gläubigerorientierte Informationspolitik zu hinterfragen, wenn die Anleihen des betrachteten Emittenten bereits über Credit Ratings verfügen. Analog zu den Zielgruppen der eigenkapitalgeberorientierten Investor Relations können bei einer Investor Relations der Emittenten von Unternehmensanleihen private und institutionelle Kapitalgeber als primäre Zielgruppen unterschieden werden35. Darüber hinaus sind auch Multiplikatoren, die Einfluß auf die Anlageentscheidungen der Kapitalgeber haben, Zielgruppen dieses Investor Relations-Segmentes36. 1.2.1
Private Kapitalgeber
Alle Wirtschaftssubjekte, die juristisch betrachtet als natürliche Personen über ihre eigenen Gelder disponieren, werden als private Kapitalgeber bezeichnet37. Ihnen wird eine sehr geringe Informationsverarbeitungsfähigkeit bescheinigt, da sie ihre Anlageentscheidungen auf Basis eines geringeren Informationsstandes und stark emotional treffen38. Ihr Informationsbedarf ist deshalb sehr niedrig. 1.2.2
Institutionelle Kapitalgeber
Institutionelle Anleger sind Investoren, die als juristische Person gewerbsmäßig mit der Bereitstellung von Finanzmitteln betraut sind39. Die handelnden Personen sind durch einen hohen Wissens- und Informationsstand gekennzeich-
35
36 37 38 39
Vgl. Weidekind, Finanzierungsmarketing, 1994, S. 102ff.; Drill, Investor Relations, 1995, S. 110ff.; Tiemann, Publikumsgesellschaften, 1997, S. 61ff.; Hank, Informationsbedürfnisse, 1999, S. 31. Vgl. Hank, Informationsbedürfnisse, 1999, S. 28f. Vgl. Weidekind, Finanzierungsmarketing, 1994, S. 133ff. Vgl. Süchting, Finanzmarketing, 1986, S. 658; Link, Aktienmarketing, 1991, S. 363. Vgl. Weidekind, Finanzierungsmarketing, 1994, S. 111ff.
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net. Ihren Anlageentscheidungen wird deshalb eine hohe Rationalität zugebilligt40. Im Anleihemanagement institutioneller Investoren werden aktive handelsorientierte Strategien41 oder Buy and Hold-Strategien42 verfolgt. Wegen eines stark zunehmenden Performancedrucks43 ist gegenwärtig ein Paradigmenwechsel im Management von Anleiheportefeuilles institutioneller Investoren zu beobachten. Handelsorientierte, auf Veränderungen in der Kreditqualität ausgerichtete Strategien gewinnen stark an Bedeutung. Hingegen werden aktive Strategien mit einem Fokus auf dem Ausnutzen von (erwarteten) Zins- oder Währungsveränderungen44 bzw. Buy and Hold-Strategien, die das Anleihemanagement bisher dominiert haben, zunehmend aufgegeben45. Aktive Strategien mit einem Fokus auf der Kreditqualität zielen darauf ab, durch das Antizipieren von Bonitätsveränderungen Überrenditen zu erzielen. Anleihen werden gekauft, wenn sie eine Verbesserung der Bonität erwarten lassen, die zu Kurssteigerungen führt. Im umgekehrten Fall werden Schuldverschreibungen veräußert46. Eine permanente und intensive Beobachtung des Anleihemarktes ist ein zentraler Erfolgsfaktor einer solchen Strategie. Investoren, die ein aktives Anleihemanagement betreiben, haben folglich einen sehr hohen und auch stetigen Informationsbedarf. Ein anderer zentraler Erfolgsfaktor ist der Einsatz eines Bewertungsmodells für Anleihen mit einer hohen prognostischen Qualität. Die 40 41
42
43 44 45 46
Vgl. Süchting, Finanzmarketing, 1986, S. 656. Handelsorientierte Strategien werden von Rentenfonds, Versicherungsgesellschaften und Kreditinstituten verfolgt, sofern sie Anleihen für das Handelsbuch erwerben. Vgl. Ziese, Emission, 2000, S. 3. Kreditinstitute, die Unternehmensanleihen als Kreditsubstitut erwerben, halten Anleihen üblicherweise bis zu ihrer Endfälligkeit. Vgl. Ziese, Emission, 2000, S. 3. Banken substituieren Kredite an Firmenkunden mit einer hohen Bonität gegen Anleihen mit einem höheren Ausfallrisiko. Bei gleicher Eigenkapitalunterlegung können höhere Risikoprämien erzielt werden. Vgl. MüllerTrimbusch, High-Yield-Anleihen, 1999, S. 278. Es ist zu erwarten, daß sich diese Investorengruppe nach einer für die nahe Zukunft zu erwartenden risikoadjustierten Eigenkapitalunterlegung von Krediten zurückziehen wird. Vgl. Müller-Trimbusch, High-Yield-Anleihen, 1999, S. 255ff. Vgl. Fong, Bond Management, 1997, S. 869ff.; Steiner/Bruns, Wertpapiermanagement, 2000, S. 184. Vgl. Howe, Credit Analysis, 1997, S. 371; Eckert, Rentenportfoliomanagement, 2000, S. S1; Benkner, Portfolio-Management, 2000, S. 40. Vgl. Fabozzi, Bond Portfolio Management, 1996, S. 331f.; Breipohl/Löffler, Anlagepolitik, 1998, S. 363; Eckert, Rentenportfoliomanagement, 2000, S. S1; Benkner, PortfolioManagement, 2000, S. 40.
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Modelle, die von institutionellen Investoren mit diesem Anlagestil eingesetzt werden, sind überwiegend an die von Rating-Agenturen zur Bestimmung der Credit Ratings eingesetzten Verfahren angelehnt oder verarbeiten zumindest dieselben Eingangsparameter47. Darüber hinaus werden zunehmend auch optionspreisbasierte Verfahren verwendet48. Einige Marktteilnehmer setzen beide Verfahren auch parallel ein49. Hierdurch kann eine höhere Prognosefähigkeit erreicht werden50. Charakteristisch für Buy and Hold-Strategien ist, daß einmal erworbene Schuldtitel bis zu ihrer Endfälligkeit gehalten werden. Institutionelle Anleger, die diesen Ansatz verfolgen, treffen ihre Anlageentscheidungen zumeist nach denselben Gesichtspunkten wie Anleger mit aktiven, handelsorientierten Anlagestrategien. Sie müßten deshalb zum Erwerbszeitpunkt dieselben Informationsbedürfnisse aufweisen. Da die Anleihen aber bis zur Endfälligkeit gehalten werden, ist der laufende Informationsbedarf, also nach dem Erwerb, jedoch geringer als bei Anlegern mit aktiven, handelsorientierten Anlagestrategien. 1.2.3
Multiplikatoren
Multiplikatoren bereiten die von den Unternehmen kommenden Informationen auf und kommentieren sie. Dieser Zielgruppe werden Sell Side-Analysten sowie Wirtschaftsjournalisten51 zugerechnet. Eine spezifische Zielgruppe der fremdkapitalgeberorientierten Investor Relations sind die Rating-Agenturen52, die Bonitätsbeurteilungen gewerbsmäßig durchführen53. Die von den Rating-Agenturen durchgeführten Bonitätseinschätzungen sind, besonders zu den Emissionszeitpunkten, sehr fundiert und basieren auf einer umfangreichen Analyse der Anleiheemittenten. Diese Institutionen weisen folglich sehr hohe Informationsanforderungen, insbesondere bei der Anleihebegebung, auf54. Die Sell Side-Analysten, deren Analysen Basis für Anlageentscheidungen 47
48 49 50 51 52 53 54
Vgl. Rezmer, Fußstapfen, 1999, S. 27; DG Bank Research, Cresta-Score, 2000, S. 1ff.; Eckert, Rentenportfoliomanagement, 2000, S. S1; Eckert/Kassin, Corporate Bonds, 2000, S. 21ff.; Landesbank Baden-Württemberg, Markt, 2000, S. 15; o.V., Cresta Score, 2000, S. 73. Vgl. Bank for International Settlements, Developments, 2000, 4ff.; Eckert/Kassin, Corporate Bonds, 2000, S. 24. Vgl. Eckert/Kassin, Corporate Bonds, 2000, S. 21ff. Vgl. McQuown, Comment, 1993, S. 1; Crosbie, Modeling, 1999, S. 7. Vgl. Hank, Informationsbedürfnisse, 1999, S. 29f. Vgl. Shapiro, Corporations, 1976, S. 47ff.; Klein, Fremdkapitalmarketing, 1996, S. 417. Vgl. Abschnitt B.3.3. Vgl. Abschnitt D.2.3.
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von Investoren und Anlageberatern sind, haben ebenfalls hohe Datenanforderungen, insbesondere zu den Erstellungszeitpunkten ihrer Studien55. Wegen der weniger stark ausgeprägten anleihespezifischen Fokussierung der Wirtschaftsjournalisten ist hingegen ein geringerer Bedarf an gläubigerspezifischen Informationen zu erwarten. Investoren mit handelsorientierten Anlagestrategien haben folglich die höchsten Informationsanforderungen in bezug auf den Umfang der eingesetzten Daten und die Stetigkeit des Informationsbedarfs. Aus diesem Grund soll das Entscheidungsverhalten dieser Zielgruppe als Deduktionsgrundlage zur Identifikation der vorhandenen Publizitätsdefizite genutzt werden. 1.3
Anforderungen der Kapitalgeber an die in Investor Relations offenzulegenden Informationen
Um das Publizitätsverhalten deutscher Aktiengesellschaften aus Sicht der Anleiheinvestoren beurteilen und hierauf aufbauend Gestaltungsempfehlungen für eine Informationspolitik ableiten zu können, ist es notwendig, Anforderungen der Kapitalgeber an die im Rahmen von Investor Relations-Aktivitäten offenzulegenden Informationen zu formulieren. Zur Beurteilung der mit einer Kapitalanlage verbundenen Chancen und Risiken benötigen die Kapitalgeber „sämtliche verfügbaren Informationen, die den inneren Wert“56 des betrachteten Finanztitels beeinflussen. Konsequenterweise wird deshalb gefordert, im Rahmen von Investor Relations-Aktivitäten alle „kursund bewertungsrelevanten“57 Faktoren eines Wertpapiers offenzulegen. Dieses Leitbild wird in den konstituierenden und einschränkenden Grundsätzen der Investor Relations konkretisiert58. In den konstituierenden Grundsätzen wird erstens die Versorgung der Kapitalgeber mit „sachlich richtigen“59 Informationen gefordert. Zweitens wird die Vollständigkeit der Finanzpublizität postuliert. Alle bewertungsrelevanten In-
55 56 57 58
59
Vgl. Hax, Informationsintermediation, 1998, S. 11ff. Drill, Investor Relations, 1995, S. 82. Diehl et al., Kapitalmarktkommunikation, 1998, S. 15. Vgl. Hank, Informationsbedürfnisse, 1999, S. 71. Auf eine Darstellung der Prinzipien, die vor allem auf die Kommunikationspolitik, den zweiten, in dieser Untersuchung nicht behandelten Gegenstandsbereich der Investor Relations bezogen sind, wird hier verzichtet. Lindemann et al., KMU, 1998, S. 3.
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formationen sind offenzulegen60. Dieser Grundsatz schließt auch die Forderung ein, sowohl positive und negative Nachrichten mit derselben Offenheit61 bereitzustellen. Darüber hinaus sind gerade auch zukunftsbezogene Informationen offenzulegen, ohne die eine zutreffende Bewertung von Finanztiteln nicht möglich ist62. Drittens gilt der „Grundsatz der Aktualität“63. Neue Daten sind zeitnah offenzulegen64, weil „Entscheidungsnützlichkeit einer Information nur bei rechtzeitiger Vermittlung derselben gegeben ist“65. Um eine Überversorgung der Kapitalnehmer mit Informationen zu verhindern, wird als einschränkender Grundsatz die „Wesentlichkeit“66 der offenzulegenden Informationen gefordert. Bei der Auswahl der Daten, die den Kapitalgebern zur Verfügung gestellt werden, ist darauf zu achten, daß die Veröffentlichung unwesentlicher Sachverhalte unterbleibt67. Die Forderung nach umfassender Information wird darüber hinaus auch durch den „Grundsatz der begrenzten Offenlegung“68 beschränkt. Die Veröffentlichung kursrelevanter Informationen ist zu unterlassen bzw. verzögern, wenn die Nachteile einer erhöhten Transparenz, auch aus der Perspektive der Kapitalgeber, größer als die Vorteile durch die Bereitstellung dieser Daten sind69. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn durch die Veröffentlichung bestimmter Daten, z. B. der Bekanntgabe konkret geplanter Akquisitionen, Umweltreaktionen hervorgerufen werden, welche die Umsetzung dieser Pläne erschweren bzw. die Erreichung der Unternehmensziele gefährden können70.
60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70
Vgl. Allendorf, Investor Relations, 1996 S. 61; Hank, Informationsbedürfnisse, 1999, S. 66. Vgl. Lindemann et al., KMU, 1998, S. 34; Drill, Investor Relations, 1995, S. 105. Vgl. Drill, Investor Relations, 1995, S. 107. Drill, Investor Relations, 1995, S. 107. Vgl. Allendorf, Investor Relations, 1996, S. 62; Lindemann et al., KMU, 1998, S. 35; Diehl et al., Kapitalmarktkommunikation, 1998, S. 17f. Hütten, Geschäftsbericht, 2000, S. 237. Allendorf, Investor Relations, 1996, S. 62; Diehl et al., Kapitalmarktkommunikation, 1998, S. 15; Hank, Informationsbedürfnisse, 1999, S. 68; Hütten, Geschäftsbericht, 2000, S. 237. Vgl. Verboom, Aktivitäten, 1992, S. 339; Hank, Informationsbedürfnisse, 1999, S. 68. Hank, Informationsbedürfnisse, 1999, S. 67. Vgl. Lindemann et al., KMU, 1998, S. 34. Vgl. Drill, Investor Relations, 1995, S. 105f.; Hank, Informationsbedürfnisse, 1999, S. 67. In die-sem Zusammenhang wird regelmäßig auch eine mögliche Verschlechterung der Wettbewerbssituation durch eine Veröffentlichung konkurrenzrelevanter Daten als Gegenargument gegen eine transparente Informationspolitik angeführt. Es ist aber zumindest fraglich, „ob Konkurrenten nicht auch bessere Quellen finden können, um relevante Daten über ein anderes Unternehmen zu erhalten“. Vgl. Hank, Informationsbedürfnisse, 1999, S. 67. Dies dürfte stark von der
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Entsprechend den hier abgeleiteten Anforderungen an die offenzulegenden Informationen bestehen Publizitätsdefizite, wenn die von den Anleiheemittenten zur Verfügung gestellten Informationen aus Sicht der Anleiheinvestoren entweder unvollständig oder nicht aktuell sind. Dabei wird unterstellt, daß die von den Anleiheemittenten veröffentlichten Informationen stets der Wahrheit entsprechen. Aus diesem Grund wird das Publizitätsverhalten der Anleiheemittenten auf Basis der Kriterien Vollständigkeit und Aktualität überprüft. Die Empfehlungen zur Ausgestaltung der Berichterstattung orientieren sich ebenfalls an diesen Anforderungen.
spezifischen Situation abhängig sein. Siehe auch Labhart, Value Reporting, 1999, S. 283. Er kommt zu dem Ergebnis, daß das Konkurrenzproblem insgesamt überschätzt wird.
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Publizitätsverhalten deutscher Aktiengesellschaften mit Investor Relations-Aktivitäten
Die aus der Perspektive der Anleiheinvestoren bestehenden Publizitätsdefizite, die durch Offenlegung zusätzlicher Informationen geschlossen werden sollen, variieren in Abhängigkeit vom Publizitätsverhalten des betrachteten Anleiheemittenten. Je niedriger das Publizitätsniveau ist, um so größer sind tendenziell auch die Publizitätsmängel aus der Perspektive der Anleiheinvestoren und der anderen Rezipienten. Um vor diesem Hintergrund Publizitätsdefizite klar herausarbeiten und Gestaltungsempfehlungen für eine gläubigerorientierte Informationspolitik ableiten zu können, ist das Publizitätsverhalten der betrachteten Anleiheemittenten zu konkretisieren. Es wurde davon ausgegangen, daß die in dieser Untersuchung betrachteten Anleiheemittenten börsennotiert sind und ein aus Sicht der Aktionäre idealtypisches Publizitätsniveau aufweisen71. Deshalb werden erstens die Publizitätsvorschriften vorgestellt, die von börsennotierten Aktiengesellschaften einzuhalten sind, und ihre materielle Bedeutung diskutiert. Diese Vorschriften bilden den Mindeststandard der von diesen Unternehmen offenzulegenden Informationen. Darüber hinaus wird gezeigt, welche Informationen börsennotierte Aktiengesellschaften über die Pflichtpublizität hinaus im Rahmen der freiwilligen Berichterstattung zusätzlich offenlegen müssen, um die Informationswünsche der Eigenkapitalgeber vollständig zu befriedigen72. 2.1
Pflichtpublizität
Die Pflichtpublizität umfaßt neben der Prospektpflicht bei der Emission von Wertpapieren regelmäßige Publizitätspflichten (Jahresabschluß und Zwischenberichterstattung) sowie die Ad hoc-Publizität als fallbezogene Berichterstattung. 2.1.1
Prospektpflicht
Sofern Wertpapiere öffentlich angeboten werden, unterliegen die Emittenten nach dem Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz (VerkProspG) bzw. dem Börsen-
71 72
Vgl. Abschnitt B.1.1.3. Das in dieser Untersuchung vorausgesetzte Publizitätsniveau wird von deutschen Aktiengesellschaften jedoch häufig nicht erreicht.
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gesetz (BörsG) der Verpflichtung zur Erstellung eines Emissions- bzw. Börsenzulassungsprospektes. Darin sind alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse anzuführen, die für die Beurteilung der zuzulassenden Wertpapiere wesentlich sind. Der Prospekt enthält also Angaben zum zugrundeliegenden Angebot, d. h. den Merkmalen der zu begebenden Wertpapiere, zur emittierenden Gesellschaft, ihrer Vermögens-, Finanz-, und Ertragslage, ihrer Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgane und den Geschäftsaussichten, der Ertragsentwicklung und dem Geschäftsverlauf73. Die Darstellung ist jedoch stets auf den Emissionszeitpunkt bezogen und damit für Anlageentscheidungen nach diesem Zeitpunkt nur eingeschränkt hilfreich74. 2.1.2
Jahresabschluß und Lagebericht
Bestandteile des Jahresabschlusses börsennotierter Aktiengesellschaften sind die Bilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Anhang75. Er wird durch den Lagebericht ergänzt. Jahresabschluß und Lagebericht sind von börsennotierten Gesellschaften nach ihrer Feststellung unverzüglich offenzulegen76. Der Jahresabschluß hat ein „unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft zu vermitteln“77. Die mit diesem Publizitätsinstrument zur Verfügung gestellten Informationen sind überwiegend vergangenheitsorientiert. Sie sollen eine Beurteilung der wirtschaftlichen Situation des abgelaufenen Geschäftsjahres ermöglichen78. Im Anhang wird der Jahresabschluß erläutert (z. B. durch Kommentierungen einzelner Bilanzpositionen)79. Der Konzernanhang börsennotierter Muttergesellschaften ist seit 1998 um eine Segmentberichterstattung zu erweitern, in der das Geschäftsergebnis nach Tätigkeitsbereichen und geographisch bestimmten Märkten differenziert wird80. Darüber hinaus ist der Anhang um eine Kapi-
73 74 75 76 77 78 79 80
Vgl. Alvarez/Wotschofsky, Zwischenberichterstattung, 2000, S. 6f. Vgl. Behrenwaldt, Anleger, 1996, S. 294. Vgl. § 264 Abs. 1 HGB. Vgl. § 65 Abs. 1 BörsZulV. § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB. Vgl. Diehl et al., Kapitalmarktkommunikation, 1998, S. 25. Vgl. Diehl et al., Kapitalmarktkommunikation, 1998, S. 43ff. Vgl. Böcking, Segmentsberichterstattung, 1999, S. 511ff.
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talflußrechnung zu ergänzen81. Sie gibt Auskunft über den Bestand und die Veränderung der liquiden Mittel im Berichtszeitraum und ermöglicht den Kapitalgebern einen besseren Einblick in die Finanz-, insbesondere die Liquiditätssituation des betrachteten Unternehmens82. Der Lagebericht, der den Jahresabschluß ergänzt, soll durch zusätzliche Angaben und zukunftsorientierte Informationen einen verbesserten Einblick in die wirtschaftliche Lage des betrachteten Unternehmens ermöglichen. Neben dem Wirtschaftsbericht (Darstellung der Geschäftstätigkeit bis zum Bilanzstichtag) werden ein Nachtragsbericht (Entwicklung vom Bilanzstichtag bis zum Berichtszeitpunkt), ein Prognosebericht (Ausblick auf die weitere Entwicklung), ein Forschungs- und Entwicklungsbericht sowie ein Zweigniederlassungsbericht als Sollbestandteile gefordert83. Darüber hinaus wurden börsennotierte Unternehmen mit dem 1998 in Kraft getretenen Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) zur Einrichtung eines Überwachungssystems zur Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen84 (Risikofrühwarnsystem) und zu einer Darstellung der Risiken der zukünftigen Entwicklung im Rahmen der Lageberichterstattung verpflichtet85. Die offenzulegenden Informationen haben jedoch aus verschiedenen Gründen keinen Informationswert, sofern ergänzend weitere Informationen nicht freiwillig zur Verfügung gestellt werden. Vom Gesetzgeber wurde zwar nicht konkretisiert, welche Risiken berichtspflichtig sind und wie umfassend hierüber informiert werden muß86. Im Schrifttum hat sich inzwischen aber die Auffassung herausgebildet, daß nur über bestandsgefährdende Risiken sowie Risiken mit einem wesentlichen Einfluß auf die Vermögens-, Finanz-, und Ertragslage zu berichten ist87. Wegen dieser Beschränkung ist über Gefahren, die per se zwar nicht bestandsgefährdend sind, trotzdem
81 82 83 84
85 86 87
Vgl. Born, Vergleich, 1999, S. 55. Vgl. Küting/Weber, Bilanzanalyse, 2000, S. 140ff. Vgl. Alvarez/Wotschofsky, Zwischenberichterstattung, 2000, S. 4f. Risiko im Sinne des KonTraG wird verstanden als Verlustgefahr bzw. die Möglichkeit einer ungünstigen Entwicklung, nicht aber als Streuung des Zukunftserfolges um einen Erwartungswert, die sowohl positive als auch negative Abweichungen einschließt. Vgl. Kromschröder/Lück, Grundsätze, 1998, S. 1573; Dörner/Bischof, Zweifelsfragen, 1999, S. 446. Vgl. § 315 Abs. 1 HGB. Vgl. Baetge/Schulze, Lageberichterstattung, 1998, S. 937. Vgl. Dörner/Bischof, Zweifelsfragen, 1999, S. 445ff.
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aber aufgrund einer hohen Korrelation mit anderen Risiken eine erhebliche Gefährdung sind, nicht zu berichten. Das Risikofrühwarnsystem ist Teil des unternehmensinternen Risikomanagementsystems, das die Gesamtheit aller Aktivitäten umfaßt, „die der Identifizierung, Analyse und Quantifizierung von Risiken sowie der Gestaltung der Risikoposition mittels risikopolitischer Instrumente [...] dienen“88. Deshalb besteht keine Verpflichtung zur Berichterstattung über die zur Gestaltung der Risikoposition ergriffenen Maßnahmen89. Die ursprüngliche Risikosituation des Unternehmens vor den risikopolitischen Maßnahmen entspricht jedoch regelmäßig nicht der verbleibenden Risikolage. Ohne freiwillige Informationen über die ergriffenen Maßnahmen würde eine Risikosituation abgebildet, die nicht mit der tatsächlichen Risikolage übereinstimmt. Außerdem ist bei einer mangelhaften Erfassung und Bewertung der vorhandenen Risiken, also geringen Güte des eingesetzten Systems, eine zutreffende Abbildung der Risikolage nicht sichergestellt. Von einer hohen Effektivität des eingesetzten Systems kann trotz der Verpflichtung gemäß § 317 Abs. 4 HGB zur Prüfung des Risikofrüherkennungssystems durch den Abschlußprüfer aber auch nicht ausgegangen werden. Das System wird bei im amtlichen Handel, nicht aber in anderen Segmenten notierten Gesellschaften geprüft90. Ferner sind der Prüfungsgegenstand91 und der Umfang dieser Prüfung92 stark begrenzt. Darüber hinaus fehlt ein eindeutiger, vom Gesetzgeber vorgegebener Beurteilungsmaßstab93. Außerdem führen selbst gravierende Mängel wegen stark eingeschränkter Berichtspflichten der Wirtschaftsprüfer regelmäßig nicht zu einer Einschränkung des Bestätigungsvermerks94.
88 89 90 91
92 93 94
Bartram, Corporate Risk Management, 1999, S. 17. Vgl. Dörner/Bischof, Zweifelsfragen, 1999, S. 447f. Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., Prüfungsstandard, 1999, S. 660; Böcking/Orth, Testat, 2000, S. 247. Nach berufsständischer Rechtsauffassung ist nur das Risikofrüherkennungssystem, nicht aber die übrigen Bestandteile des Risikomanagementsystems, insbesondere die vom Unternehmen durchgeführten risikopolitischen Maßnahmen, zu prüfen. Vgl. Böcking/Orth, Testat, 2000, S. 249. Im Rahmen der Prüfung nach § 317 Abs. 4 HGB wird bspw. keine Prüfung der Effektivität des Systems vorgenommen. Vgl. Böcking/Orth, Testat, 2000, S. 250. Vgl. Pollanz, Mega-Erwartungslücke, 1999, S. 393ff. Das Ergebnis der Prüfung ist lediglich im Prüfbericht, der nur den gesetzlichen Vertretern der Gesellschaft übergeben wird, zu dokumentieren. Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., Prüfungsstandard, 1999, S. 661; Böcking/Orth, Testat, 2000, S. 252ff.
24
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Trotzdem wird keine Verpflichtung gesehen, über die Ausgestaltung des implementierten Risikomanagementsystems zu informieren95. Eine Risikoberichterstattung ohne diese Informationen kann jedoch keinerlei Informationswert haben, weil sich die Bilanzleser keinen Eindruck von der Güte des eingesetzten Systems machen können. Ergänzende Informationen, die eine Beurteilung der Risikolage ermöglichen würden, werden von deutschen Aktiengesellschaften gegenwärtig auch auf freiwilliger Basis nur unzureichend publiziert96. Die Offenlegung von Informationen über Gefahrenpotentiale wird in der eigenkapitalgeberorientierten Investor Relations-Literatur aber auch nicht gefordert97, obwohl die praktizierte Risikopublizität auch kritisiert wird98. 2.1.3
Zwischenberichterstattung
Gemäß § 44 b Abs. 1 BörsG sind Emittenten, deren Aktien zum amtlichen Börsenhandel zugelassen sind, verpflichtet, „innerhalb des Geschäftsjahres regelmäßig mindestens einen Zwischenbericht zu veröffentlichen, der anhand von Zahlenangaben und Erläuterungen ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Finanzlage und des allgemeinen Geschäftsgangs [...] vermittelt“99. Die Zwischenberichte sollten Angaben über die Tätigkeit und Ergebnisse (Umsatzerlöse, Ergebnis vor oder nach Steuern, Vergleichszahlen) sowie Erläuterungen (Aufgliederung der Umsatzerlöse, Ausführungen über die Auftragslage, Entwicklung der Kosten und Preise, Zahl der Arbeitnehmer sowie Vorgänge von besonderer Bedeutung) enthalten100. Darüber hinaus wurden die im DAX sowie
95 96
97
98 99 100
Vgl. Böcking/Orth, Testat, 2000, S. 246. Eine empirische Untersuchung der Lageberichte der im DAX und MDAX enthaltenen Unternehmen (bereinigt um Kreditinstitute und Versicherungen) kommt zu dem Ergebnis, daß die offengelegten Daten nur eingeschränkte Aussagekraft aufweisen. Darüber hinaus informiert nur ein geringer Teil der untersuchten Unternehmen über die Ausgestaltung des Systems. Vgl. Böcking/Orth, Lagebericht, 1999, S. 6ff.; Böcking/Orth, Testat, 2000, S. 256f. Die geringe Qualität der Risikoberichterstattung wird auch von der zweiten empirischen Untersuchung über die Risikoberichterstattung der im DAX enthaltenen Unternehmen bestätigt. Vgl. Fröhling, Risikoberichterstattung, 1999; Fröhling, Risikoreporting, 1999. Wegen des Risikoverständnisses, das nur die Möglichkeit einer ungünstigen Entwicklung, nicht aber die Streuung des Zukunftserfolges um einen Erwartungswert mit positiven und negativen Abweichungen umfaßt, haben solche Informationen für die Aktionäre nur einen geringen Informationswert. Vgl. Schrand/Elliot, Discussion, 1998, S. 271ff. § 44 b Abs. 1 BörsG. Vgl. Alvarez/Wotschofsky, Zwischenberichterstattung, 2000, S. 11ff.
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MDAX enthaltenen Gesellschaften aufgrund ihrer Indexzugehörigkeit101 sowie die Unternehmen des Neuen Marktes aufgrund privatrechtlicher Vereinbarung zur Veröffentlichung von Quartalsberichten mit vergleichbarem Inhalt verpflichtet102. 2.1.4
Ad hoc-Publizität
§ 15 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) fordert von börsennotierten Unternehmen, neue Tatsachen unverzüglich zu veröffentlichen, sofern sie unter seinen Tätigkeitsbereich fallen, nicht öffentlich bekannt sind und sich auf die Vermögens- oder Finanzlage auswirken und dadurch zu einer erheblichen Kursbeeinflussung der zugelassenen Wertpapiere führen. Für die konkrete Ausbildung von Verhaltensnormen (Definition der Kursrelevanz, Wahl des Veröffentlichungszeitpunktes und dem Umgang mit vertraulichen Informationen) und damit auch der Art der zu veröffentlichenden Daten, die gesetzlich nicht geregelt wurden, hat sich inzwischen ein allgemein akzeptierter Ordnungsrahmen gebildet103. 2.2
Freiwillige Berichterstattung
Im Rahmen der freiwilligen Berichterstattung werden die aufgrund von Publizitätspflichten zur Verfügung gestellten Informationen durch Offenlegung zusätzlicher Daten präzisiert und durch zukunftsbezogene Angaben ergänzt. Hierdurch sollen die Informationsdefizite der Eigenkaptialgeber abgebaut werden104. Nachfolgend werden die hierzu in der Shareholder Relations-Literatur empfohlenen Maßnahmen vorgestellt. Insbesondere wird erläutert, wie die Pflichtangaben durch eine erweiterte quantitative Berichterstattung und einer Offenlegung qualitativer Unternehmensdaten ergänzt werden müssen, um das hier unterstellte, aus der Perspektive der Eigenkapitalgeber bestehende idealtypische Publizitätsniveau zu erreichen105.
101 102 103 104
105
Vgl. Deutsche Börse, Leitfaden, 2000, S. 25. Vgl. Deutsche Börse, Regelwerk, 2001, S. 26ff. Vgl. Rosen, Investor Relations, 1997, S. 3f. Vgl. Pohle, Publizitätsverhalten, 1995, S. 69f.; Lindemann et al., KMU, 1998, S. 24ff.; Böcking/Benecke, Business Reporting, 1998, S. 94ff.; Diehl et al., Kapitalmarktkommunikation, 1998, S. 4ff.; Böcking, Segmentsberichterstattung, 1999, S. 512ff. Vgl. Abschnitt B.1.1.3.
26
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2.2.1
Quantitative Berichterstattung
Den empfohlenen freiwilligen Maßnahmen der quantitativen Berichterstattung ist zunächst eine Erhöhung der Häufigkeit der unterjährigen Berichte über die gesetzlichen Maßnahmen hinaus zuzurechnen, z. B. durch die Erstellung von Quartalsberichten106. Durch eine zeitnähere und kontinuierlichere Information nimmt die Unsicherheit der Kapitalgeber hinsichtlich der Geschäftsentwicklung des betrachteten Unternehmens ab107. Es wird angenommen, daß alle in dieser Untersuchung betrachteten Anleiheemittenten, unabhängig von einer Verpflichtung hierzu, Quartalsberichte erstellen. Ihr Inhalt soll den Anforderungen genügen, die an die Zwischenberichterstattung gestellt werden. Publizitätswilligen Unternehmen wird in der Investor Relations-Literatur empfohlen, ihre Rechnungslegung auf internationale Standards (IAS oder USGAAP) umzustellen. Diese Standards gelten hinsichtlich der Breite und Tiefe der offengelegten Informationen als sehr viel gehaltvoller als das vom Gläubigerschutzgedanken geprägte deutsche Handelsgesetzbuch108. Insbesondere wegen des Verzichts auf umfangreiche Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte wird ein sehr viel präziserer Einblick in die finanzwirtschaftliche Unternehmenslage ermöglicht109. Darüber hinaus sind sehr umfangreiche Erläuterungen zu machen. In dieser Untersuchung wird angenommen, daß die betrachteten Anleiheemittenten nach IAS oder US-GAAP bilanzieren und alle geforderten Angaben offenlegen. Ab 2005 müssen alle börsennotierten Unternehmen der Europäischen Union ohnehin nach IAS bilanzieren. Dies soll von 2007 auch für Unternehmen gelten, die nicht börsennotiert sind, aber Unternehmensanleihen ausstehen haben. Darüber hinaus wird in der Investor Relations-Literatur der Aufbau einer zukunftsbezogenen quantitativen Berichterstattung propagiert, weil Informationen über die künftige Entwicklung – im Gegensatz zu Daten über Vergangenes – eine Beurteilung der Entwicklungsperspektiven des Unternehmens und präzisere Schätzungen der künftigen Aktienkursentwicklung ermöglichen110. Sie sollte konkrete Angaben über den künftigen Umsatz, den geplanten
106 107 108 109 110
Vgl. Alvarez/Wotschofsky, Zwischenberichterstattung, 2000, S. 1f. Vgl. Tiemann, Publikumsgesellschaften, 1997, S. 32. Vgl. Diehl et al., Kapitalmarktkommunikation, 1998, S. 31. Vgl. Jacob/Klein, Investment Banking, 1996, S. 100f. Vgl. Pohle, Publizitätsverhalten, 1995, S. 69; Diehl et al., Kapitalmarktkommunikation, 1998, S. 9.
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operativen Gewinn und die zukünftigen freien Cash Flows enthalten. Außerdem sollten die in den Prognoserechnungen getroffenen Annahmen über Konjunktur-, Branchen- und Währungsentwicklung offengelegt werden111. In dieser Untersuchung wird angenommen, daß o. g. Informationen von den betrachteten Anleiheemittenten offengelegt werden. Darüber hinaus wird empfohlen, über intangible Vermögenswerte, wie marktlich verwertbare Erkenntnisse aus Forschung- und Entwicklung, Know How der Mitarbeiter oder Markenwerte, zu berichten, ihren Einfluß auf die Wettbewerbsfähigkeit aufzuzeigen und ihren Wertbeitrag zu quantifizieren112. Diese Forderung wird erhoben, weil intangible Unternehmenswerte die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zunehmend beeinflussen113 und deshalb ihr Einfluß auf den Unternehmenswert wächst114. Gleichzeitig werden sie in der Rechnungslegung wegen ihres ungewissen Charakters bisher nicht adäquat abgebildet115. Deshalb besteht, insbesondere bei wissensbasierten Unternehmen, eine enorme Differenz zwischen den Buchwerten und der Marktkapitalisierung116. Es wird davon ausgegangen, daß die betrachteten Anleiheemittenten entsprechende Informationen bereitstellen. 2.2.2
Qualitative Berichterstattung
Neben den eben präsentierten Maßnahmen kommt qualitativen Angaben (Hintergrundsinformationen zum Unternehmen, zukunftsbezogenen Informationen und Informationen über Management und Aktionäre) eine große Bedeutung zu. Im Jenkins-Report117 wird eine genaue Beschreibung der Geschäftstätigkeit, Informationen über Visionen, Unternehmensziele und -strategien118 und den Ein-
111 112 113 114
115 116 117
118
Vgl. Drill, Investor Relations, 1995, S. 92ff. Vgl. Labhart, Value Reporting, 1999, S. 275f. Vgl. Lev, Old Rules, 1997, S. 35. Dies manifestiert sich bspw. in einem abnehmenden Erklärungsgehalt von Gewinnveränderungen auf die Aktienperformance. Vgl. Lev/Patell, Usefulness, 1989, S. 153ff.; Lev/Sougiannis, Capitalization, 1996, S. 107ff.; Lev/Amir, Value-relevance, 1996, S. 3ff. Vgl. Steward, Unreal Reporting, 1998, S. 207f.; King/Henry, Intangible Assets, 1999, S. 32ff.; Batchelor, Balance Sheet, 1999, S. 81. Vgl. Labhart, Value Reporting, 1999, S. 23. Von einem Komitee des American Institute of Certified Public Accountants (AICPA) wurde eine vielbeachtete Studie über eine am Benutzer orientierte Unternehmensberichterstattung angefertigt. Nach dem Vorsitzenden des Komitees wird sie auch als „Jenkins-Report“ bezeichnet. Nicht gefordert wird jedoch, über die Wege zur Erreichung der strategischen Ziele zu informieren.
28
GRUNDLAGEN FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK
fluß der Branchenstruktur auf das Unternehmen gefordert. Darüber hinaus wird empfohlen, Aussagen aus der Vergangenheit über zukünftige Erwartungen der tatsächlich realisierten Unternehmensperformance gegenüberzustellen. Ferner werden Informationen über das Management und die Aktionärsstruktur erwartet. Darüber hinaus wird empfohlen, intensiver über die Chancen und Risiken der Pläne des Managements zu informieren119. Außerdem wird angeregt, vom Management benutzte Kennzahlen und operative Daten auf hoher Aggregationsstufe offenzulegen. In Kennziffern, die von der Unternehmensleitung für Steuerungszwecke genutzt werden, werden bei einer Reduktion der Datenmenge auch für Kapitalgeber relevante Informationen gesehen. Darüber hinaus wird die Kommentierung der offengelegten Daten aus Sicht des Managements gefordert. Solche Erläuterungen erleichtern einen Vergleich der internen und externen Perspektive und lassen Folgerungen über die Führungsrichtung des Managements zu120. Abschließend wird vorgeschlagen, die Berichterstattung um Kennzahlen zur Kundenperspektive (z. B. Marktanteil, Kundenzufriedenheit, Marketinginnovationen), einer Prozeßperspektive (z. B. Qualitätsrating der angebotenen Produkte und Dienstleistungen, durchschnittliche Reaktionszeit des Services, Entwicklungszeit neuer Produkte) und einer Entwicklungsperpektive (z. B. Mitarbeiterzufriedenheit, Produktivität der Mitarbeiter und Investitionen in Mitarbeiterausbildung) zu ergänzen121. Es wird davon ausgegangen, daß auch diese Informationen von den betrachteten Anleiheemittenten bereits offengelegt werden. Damit liegt – wie angenommen – ein aus Sicht der Aktionäre idealtypisches Publizitätsverhalten vor.
119 120 121
Vgl. AICPA, Business Reporting, 1994. Vgl. Labhart, Value Reporting, 1999, S. 233. Vgl. Labhart, Value Reporting, 1999, S. 271.
GRUNDLAGEN FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK
3
Unternehmensanleihen als Objekt der gläubigerorientierten Informationspolitik
3.1
Anleihen als Instrument der Kreditfinanzierung für Unternehmen
29
3.1.1 Spezifische Charakteristika von Anleihen Anleihen weisen im Vergleich zu anderen Instrumenten der Kreditfinanzierung einige spezifische Charakteristika auf. Sie führen dazu, daß Investor Relationsbzw. Finanzmarketingaktivitäten für Anleihen sehr viel relevanter sind als für andere Formen der Kreditfinanzierung. Eine in Teilbeträge aufgeteilte Schuldaufnahme durch einheitlich ausgestattete, selbständige Einzeldarlehensverträge, bei der die Ansprüche der Geldgeber in standardisierten Wertpapieren verbrieft werden, wird als Anleihe122 bezeichnet123. Die Rechte und Pflichten von Gläubigern und Anleiheemittenten werden vor der Begebung des Wertpapiers in den Anleihebedingungen festgelegt124. Ein Schuldner, der die Anleihe begibt (Anleiheemittent), verpflichtet sich in der zugrundeliegenden Urkunde insbesondere zur Zahlung einer laufenden Verzinsung sowie zur Tilgung des Darlehensbetrages, der Anleiheinvestor zur Hingabe eines bestimmten Kreditbetrages125. Ferner wird in den Anleihebedingungen die Rangstellung der Gläubiger in der Insolvenz konkretisiert, also die Priorität, mit der die betrachteten Forderungen in diesem Fall befriedigt werden. Darüber hinaus wird festgelegt, ob Sicherheiten gestellt werden. Die Bestellung dinglicher Sicherheiten ist bei Anleihen im Vergleich zu anderen Kreditbeziehungen jedoch deutlich weniger gebräuchlich126. Weit verbreitet ist hingegen die Stellung von Personalsicherheiten in Form von Garantien, insbesondere bei grenzüberschreitenden Finanztransaktionen127. Darüber hinaus werden in den Anleihebedingungen regelmäßig bestimmte Gläubigerrechte, 122 123 124 125 126 127
Der Begriff der Anleihe wird sowohl für den Gesamtbetrag als auch für die Teilforderungen verwendet. Vgl. Löffler, Anleihen, 1987, S. 38; Achleitner, Investment Banking, 1999, S. 411. Vgl. Randow, Anleihebedingungen, 1994, S. 24. Vgl. Süchting, Finanzmanagement, 1995, S. 150. Vgl. Schäfer, Unternehmensfinanzen, 1997, S. 302. Beispielsweise werden von Konzernobergesellschaften häufig Garantien für die Emissionen ausländischer Tochtergesellschaften abgegeben. Vgl. Achleitner, Investment Banking, 1999, S. 413.
30
GRUNDLAGEN FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK
wie z. B. die Einhaltung einer bestimmten Mindesteigenkapitalquote, sog. Covenants, vereinbart. Sie werden ebenfalls den Sicherheiten i. w. S. zugerechnet128. Aus Sicht des Anleiheemittenten ist die Emission einer Anleihe ein einheitliches Kreditgeschäft. Alle Teilschuldverschreibungen weisen die gleichen Bedingungen auf und sind gleichberechtigt. Aus der Perspektive der Gläubiger, also der Anleiheinvestoren, bildet jede Anleihe ein selbständiges Gläubigerrecht. Dessen Bestand und Ausübung ist von den anderen Teilrechten unabhängig. Der Gesamtschuldbetrag kann somit auf viele Gläubiger aufgeteilt werden129. Anleihen werden durch die Stückelung des Schuldbetrages fungibel, d. h. vertretbar. Jedes Wertpapier verkörpert die gleichen Rechte (sofern es sich um den gleichen Nennwert bzw. die gleiche Stückelung handelt). Deshalb ist ein Austausch der Stücke untereinander möglich, ohne daß der neue Eigentümer eine Minderung oder Mehrung seiner Rechte erfährt130. Da Anleihen fungibel sind, können sie auf hoch organisierten Wertpapiermärkten gehandelt werden. Der Handel von Schuldverschreibungen auf hoch organisierten Märkten weist verschiedene Vorteile auf. Dies gilt insbesondere für Papiere mit mittleren oder langen Laufzeiten. Deshalb werden solche Anleihen regelmäßig an einer oder mehreren Wertpapierbörsen zum Handel notiert131. Erstens werden die verbrieften Darlehen zu geringen Transaktionskosten handelbar. Zweitens wird eine langfristige Kapitalaufnahme des Anleiheemittenten selbst dann möglich, wenn alle Anleger einen kurz- oder mittelfristigen Anlagehorizont haben. Jeder Gläubiger kann seine Stellung als Kreditgeber zu jedem beliebigen Zeitpunkt durch Veräußerung der Wertpapiere beenden. Der Erwerber tritt in die Kreditbeziehung ein, die unverändert weiterbesteht. Deshalb können auf diese Weise unterschiedliche zeitliche Präferenzen der Kapitalgeber und Kreditnehmer aus-
128
129 130 131
Zu den zentralen Ausstattungsmerkmalen von Anleihen vgl. Löffler, Anleihen, 1987, S. 41; Süchting, Finanzmanagement, 1995, S. 151; Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 21f.; Schäfer, Unternehmensfinanzen, 1997, S. 301ff.; Achleitner, Investment Banking, 1999, S. 411ff.; Bodie et al., Investments, 1999, S. 400ff. Vgl. Wahrenburg, Anleihefinanzierung, 1992, S. 137ff. Vgl. Schäfer, Unternehmensfinanzen, 1997, S. 299. Der überwiegende Teil des Handels von festverzinslichen Wertpapieren vollzieht sich aber im Telefonhandel zwischen den Banken. Vgl. Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 25.
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geglichen werden132. Drittens erlaubt der Handel von Anleihen an organisierten Wertpapiermärkten eine marktorientierte Bewertung des Engagements133. Aktuelle Marktpreise sind stets kostenlos beobachtbar. Die Märkte für Anleihen lassen sich also danach einteilen, ob sie der Erstplazierung, also der Begebung neuer Anleihen (Primärmarkt), oder dem Handel bereits plazierter Titel (Sekundärmarkt) dienen. Die Austauschprozesse zwischen den Emittenten und den Anlegern vollziehen sich zwar ausschließlich auf dem Primärmarkt. Anleiheemittenten haben jedoch ein Interesse an der Existenz eines funktionierenden Sekundärmarktes, da dieser die Begebung von Finanztiteln auf dem Primärmarkt fördert. Kapitalgeber sind eher zu einer Kapitalhingabe bereit, wenn sie ihre Forderungstitel bei Bedarf auf dem Sekundärmarkt zu geringen Transaktionskosten veräußern können134. Darüber hinaus verbessert eine positive Preisentwicklung bereits begebener Anleihen die Bedingungen für künftige Emissionen desselben Anleiheemittenten135. Die Handelbarkeit von Anleihen, die Aufteilung des Gesamtschuldbetrages auf viele verschiedene Gläubiger sowie der Ablauf der Anleihebegebung führen jedoch dazu, daß Anleiheemittenten und -investoren während der gesamten Laufzeit der Anleihe nicht notwendigerweise miteinander in direkten Kontakt treten136. Die Stückelung des Kreditbetrages bewirkt, daß eine individuelle Aushandlung der Vertragskonditionen nicht stattfindet137. Da die Distribution der Schuldtitel in der überwiegenden Zahl der Fälle durch eine Emissionsbank vorgenommen wird, kommt auch in dieser Phase kein Kontakt zwischen Kapitalgeber und -nehmer zustande. Darüber hinaus erfährt der Anleiheemittent regelmäßig nicht von den Gläubigerwechseln. Es werden überwiegend Inhaberwertpapiere und nicht auf Namen lautende Wertpapiere begeben, um ihre Übertragbarkeit und ihren Handel zu fördern138. Außerdem werden Zins- und Til132
133 134 135 136
137 138
Kapitalgeber präferieren kurzfristige Anlagemöglichkeiten und sind i. d. R. nur gegen eine höhere Prämie zu einer längerfristigen Kapitalüberlassung zu bewegen. Kreditnehmer haben dagegen eine Präferenz für eine langfristige Finanzierung. Vgl. Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 20. Vgl. Franke/Hax, Finanzwirtschaft, 1999, S. 53ff. Vgl. Klein, Fremdkapitalmarketing, 1996, S. 292. Vgl. Klein, Fremdkapitalmarketing, 1996, S. 16f. Er unterschiedet nach dem Ausmaß, in dem die Kapitalgeber den Kapitalnehmern bekannt sind, anonyme und personalisierte Fremdkapitalmärkte. Finanzierungstitel, die auf hoch organisierten Wertpapiermärkten gehandelt werden, weisen daher tendenziell größere Standardisierung auf. Vgl. Franke/Hax, Finanzwirtschaft, 1999, S. 58f. Vgl. Süchting, Finanzmanagement, 1995, S. 150; Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 20; Achleitner, Investment Banking, 1999, S. 41.
32
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gungszahlungen i. d. R. über Dritte abgewickelt und Gläubigerrechte von einem Treuhänder wahrgenommen139. Die hieraus resultierende lose, anonyme Beziehung zwischen dem Anleiheemittenten und seinen Gläubigern, die spezifisch für diese Art der Kreditfinanzierung ist, führt zu Informationsdefiziten der Anleiheinvestoren, aber auch zu einer mangelnden Kontrolle der Anleiheemittenten. Beide Aspekte werden durch eine Stückelung des Kreditbetrages aber wiederum begünstigt. Die Forderung jedes einzelnen Anleiheinvestors repräsentiert i. d. R. nur einen geringen Betrag. Dieser hat deshalb nur geringen Anreiz zur Sammlung von Informationen über den Anleiheemittenten und seiner Kontrolle140. Merkmale verbriefter Kreditbeziehungen, die auf organisierten Sekundärmärkten gehandelt werden, sind also eine große Distanz zwischen Gläubiger und Schuldner. Investor Relations-Aktivitäten sind aus diesem Grund für solche Finanztitel sehr relevant. 3.1.2 Abgrenzung der einzubeziehenden Anleiheobjekte Anleihen können nach der Art der Emittenten differenziert werden. Es werden von der öffentlichen Hand begebene Anleihen (öffentliche Anleihen), von Kreditinstituten141 emittierte Titel (Bankschuldverschreibungen) und von sonstigen Unternehmen begebene Anleihen unterschieden. Unternehmensanleihen und damit Gegenstand dieser Untersuchung sind also Schuldverschreibungen, die von Unternehmen emittiert werden, die keine Bankgeschäfte betreiben. Ferner sollen auch von Versicherungen142 begebene Anleihen nicht einbezogen werden, da diese Unternehmen einige spezifische Charakteristika aufweisen, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Unternehmensanleihen dienen i. d. R. der langfristigen Kapitalbeschaffung143. Sie können von Unternehmen jeder beliebigen Rechtsform begeben werden144. 139 140 141
142 143
Vgl. Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 18. Vgl. Wahrenburg, Anleihefinanzierung, 1992, S. 18; Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 19f. Gemäß der in § 1 Abs. 1 KWG vorgenommenen Definition sind Kreditinstitute Unternehmen, die Bankgeschäfte gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreiben, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Gemäß § 1 VAG sind Versicherungsunternehmen Gesellschaften, die den Betrieb von Versicherungsgeschäften zum Gegenstand haben und nicht Träger der Sozialversicherung sind. Vgl. Süchting, Finanzmanagement, 1995, S. 150; Perridon/Steiner, Finanzwirtschaft, 1997, S. 383f.; Schäfer, Unternehmensfinanzen, 1997, S. 298f.; Tessin, Risikostruktur, 1999, S. 1;
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Es wurde bereits betont, daß die Informationsdefizite der Anleiheinvestoren bei Schuldverschreibungen, die auf organisierten Sekundärmärkten gehandelt werden, besonders groß sind. Um die vorliegende Untersuchung hierauf zu fokussieren, ist sie auf börsennotierte Unternehmensanleihen beschränkt. Hieraus folgt erstens, daß privat plazierte Schuldverschreibungen nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind. Privatplazierungen zeichnen sich dadurch aus, daß die zu emittierenden Titel ausschließlich bestimmten individuell ausgesuchten Anlegern angeboten werden145. Da kein öffentliches Angebot stattfindet, sind mit dieser Emissionsform Erleichterungen bei Prospekt- und Registrierungspflichten verbunden146. Zweitens werden in dieser Untersuchung auch Schuldscheindarlehen nicht betrachtet, die eine Sonderform der Privatplazierung sind. Bei diesem Finanzierungsinstrument handelt es sich um anleiheähnliche Großdarlehen, die primär von Kapitalsammelstellen, insbesondere Versicherungsgesellschaften, erworben werden. Der hohen Bonitätsanforderungen solcher Institutionen wegen haben sie nur eine untergeordnete Bedeutung für die Unternehmensfinanzierung147. Nicht einbezogen werden drittens Geldmarktpapiere, wie etwa Commercial Papers, die eine Laufzeit von bis zu einem Jahr aufweisen. Wegen ihrer kurzen Laufzeit werden sie in den meisten Fällen nicht zum Börsenhandel eingeführt148. Damit bei der Ableitung der von den Gläubigern gewünschten Informationen die Eigenkapitalperspektive ausgeblendet bleibt, sind nur idealtypische Fremdfinanzierungskontrakte Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung. Hybride Finanzierungsinstrumente, also Mischformen zwischen Eigen- und Fremdfinan-
144
145 146 147 148
Drukarczyk, Finanzierung, 1999, S. 392f.; Bodie et al., Investments, 1999, S. 42. Für Unternehmensanleihen sind auch die Begriffe Industrieobligation sowie Industrieschuldverschreibungen gebräuchlich. Da aber die Bedeutung des tertiären Sektors stetig zunimmt und daher zu erwarten ist, daß auch Unternehmen aus diesem Sektor verstärkt Anleihen begeben werden, wird in dieser Untersuchung der Begriff Unternehmensanleihe verwendet. Vgl. Schäfer, Unternehmensfinanzen, 1997, S. 299. Die vorliegende Untersuchung ist aber auf Anleiheemittenten beschränkt, die als Aktiengesellschaft bzw. KGaA firmieren. Vgl. Abschnitt B.1.1.3. Vgl. Jacob/Klein, Investment Banking, 1996, S. 108; Dittrich, Privatplazierung, 1998, S. 6; Fischer, Emissionsgeschäft, 2000, S. 955. Vgl. Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 22. Vgl. Süchting, Finanzmanagement, 1995, S. 166ff.; Eichwald/Pehle, Kreditarten, 2000, S. 773ff.; Müller-Trimbusch, High-Yield-Anleihen, 1999, S. 22. Vgl. Schäfer, Unternehmensfinanzen, 1997, S. 289ff.
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zierungskontrakten, werden nicht betrachtet149. Zu den hybriden Finanzierungsinstrumenten gehören insbesondere Wandel- und Optionsanleihen (zusätzliches Options- bzw. Wandelrecht zum Erwerb von Eigenkapitaltiteln des Emittenten150) sowie Genußscheine (Verzinsung in Abhängigkeit vom unternehmerischen Erfolg des Emittenten151). Außerdem sind strukturierte Finanzierungen, wie z. B. Asset Backed Securities, kein Bestandteil dieser Untersuchung. Im Gegensatz zu Unternehmensanleihen werden die Ansprüche der Gläubiger bei solchen Finanzierungsinstrumenten nicht aus dem Cash Flow des Unternehmens, sondern aus den Einzahlungen separierter Finanzierungsaktiva gedeckt152. Die Informationsbedürfnisse der Gläubiger sind daher ausschließlich auf die Werthaltigkeit der Finanzierungsaktiva gerichtet, nicht aber auf die Bonität des Anleiheemittenten und der sie beeinflussenden Bestimmungsfaktoren. Aus diesem Grund werden auch Anleihen, die dinglich besichert sind, in dieser Untersuchung nicht betrachtet. Sie sind ohnehin sehr selten. Die betrachteten Anleihen können jede Rangstellung und beliebige kreditvertragliche Vereinbarungen (Covenants) aufweisen. Aus Vereinfachungsgründen wird jedoch angenommen, daß sämtliche kreditvertraglichen Vereinbarungen aller Kreditbeziehungen eines Anleiheemittenten identisch sind. Außerdem wird davon ausgegangen, daß die emittierten Anleihen endfällig sind, d. h. keine Sonderkündigungsrechte seitens des Emittenten bestehen. 3.2
Bestimmungsfaktoren für die Marktrendite von Unternehmensanleihen
Die Informationsbedürfnisse der Kapitalgeber sind zwar grundsätzlich auf alle preisbeeinflussenden Faktoren eines Wertpapiers gerichtet153. Aufgabe einer Informationspolitik ist jedoch, den Kapitalgebern Informationen bereitzustellen, die „jederzeit eine realistische Einschätzung des inneren Wertes“154 der betref149 150 151 152 153 154
Trotzdem ist bei einer Offenlegung gläubigerrelevanter Informationen auch die Verbesserung des Informationsstandes der Kapitalgeber solcher Finanzierungsinstrumente zu erwarten. Vgl. Perridon/Steiner, Finanzwirtschaft, 1997, S. 386ff.; Achleitner, Investment Banking, 1999, S. 423f. Vgl. Schäfer, Unternehmensfinanzen, 1997, S. 161ff. Zur Abgrenzung strukturierter Finanzierungen vgl. Bund, Asset Securitisation, 2000, S. 40ff. Vgl. Abschnitt B.1.3. Drill, Investor Relations, 1995, S. 81.
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fenden Wertpapiere ermöglichen. Marktbezogene Faktoren, die auf alle Wertpapiere gleichermaßen wirken, sind deshalb nicht Gegenstand einer gläubigerorientierten Informationspolitik. Sie sollte auf die Bereitstellung emittentenbzw. emissionsspezifischer Informationen beschränkt bleiben155. Aus diesem Grund werden nachfolgend die marktbezogenen Bestimmungsfaktoren für die Rendite endfälliger Unternehmensanleihen sowie die emittenten- bzw. emissionsspezifischen Faktoren herausgearbeitet. 3.2.1
Marktbezogene Faktoren
Marktbezogene Bestimmungsfakoren für die Rendite von Unternehmensanleihen umfassen zum einen ein Entgelt für die Überlassung von Kapital, zum anderen Renditeaufschläge aufgrund von Marktunvollkommenheiten (Vgl. Abbildung B.2).
Liquiditätsprämie Liquiditätsprämie Renditeaufschläge Renditeaufschläge aufgrund aufgrund von von Marktwiderständen Marktwiderständen Renditeaufschläge Renditeaufschläge aufgrund aufgrund von von regulatorisch regulatorisch bedingten bedingten Nachfragebeschränkungen Nachfragebeschränkungen
Renditeaufschläge aufgrund von Marktunvollkommenheiten
Laufzeitenprämie Laufzeitenprämie Inflationsrate Inflationsrate
Entgelt für die Kapitalüberlassung
Realzins Realzins Abb. B.2: Marktbezogene Bestimmungsfaktoren für die Rendite von Unternehmensanleihen156
155 156
Vgl. hierzu ähnlich Klein, Fremdkapitalmarketing, 1996, S. 419f. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Stahl, Struktur, 1988, S. 51; Achleitner, Investment Banking, 1999, S. 444.
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Das marktgerechte Engelt für die reine Kapitalüberlassung entspricht dem Marktzinssatz für risikolose Anlagen gleicher Laufzeit. Zu seiner Bestimmung werden Regierungsanleihen des betreffenden Landes mit identischen Ausstattungsmerkmalen (insbesondere Laufzeit und Währung) herangezogen. Sie gelten als sehr liquide und annähernd ausfallsicher157. Das Entgelt für die Kapitalüberlassung ist marktspezifisch bestimmt und daher nicht Gegenstand einer gläubigerorientierten Informationspolitik. Renditeaufschläge aufgrund von Marktunvollkommenheiten können verschiedene Ursachen haben. Erstens besteht die Gefahr einer mangelnden Marktgängigkeit des zugrundeliegenden Titels (Liquiditätsrisiko). Das Liquiditätsrisiko hängt wesentlich von der Breite des betrachteten Marktes ab158. Eine geringe Marktgängigkeit führt dazu, daß eine Schuldverschreibung unter Umständen nicht oder nur mit einem Abschlag auf den angemessenen Preis veräußerbar ist. Für wenig liquide Anleihen wird deshalb eine Liquiditätsprämie gefordert159.
Zweitens sind Renditeaufschläge aufgrund der zwischen Anleiheemittenten und -investoren bestehenden Marktwiderstände zu erwarten. So bestehen beispielsweise Renditeunterschiede in Abhängigkeit von der Emissionsbank, welche die Begebung der Anleihen begleitet. Die von der begleitenden Bank „geliehene“ Reputation wird als implizite Garantie für die Qualität einer Emission gesehen. Sie ist aber institutsspezifisch verschieden und wirkt daher in unterschiedlichem Maße auf die Anleihespreads160. Darüber hinaus bestehen in Abhängigkeit von der Art der Zeichnungsmethode variierende Renditeaufschläge (Underwriting Method Spread). Festpreisangebote sind im Vergleich mit Preisfindungsverfahren, die auf Auktionen basieren, unterbewertet. Sie weisen also höhere Renditen auf161.
157 158
159 160 161
Vgl. Müller-Trimbusch, High-Yield-Anleihen, 1999, S. 51. Vgl. Kempf/Uhrig-Homburg, Liquidity, 2000, S. 26ff. Aus diesem Grund werden häufig Market Maker eingesetzt, um den Markt in Gang zu halten und das Liquidiätsrisiko zu begrenzen. Vgl. Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 29. Vgl. Dattareya/Fabozzi, Risks, 1997, S. 22. Vgl. Beattie/Ritter, Investment Banking, 1986, S. 213ff.; Johnson/Miller, Prestige, 1988, S. 19ff.; Carter/Manaster, Initial Public Offerings, 1990, S. 1045ff. Vgl. Sorensen, Impact, 1979, S. 863ff.
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Drittens ergibt sich eine Erhöhung der Rendite auch durch regulatorisch bedingte Nachfragebeschränkungen162. Bei diesen Faktoren handelt es sich um rentenmarktbezogene Parameter. Informationen über diese Faktoren sind deshalb ebenfalls nicht Gegenstand einer gläubigerorientierten Informationspolitik163. 3.2.2
Emittenten- und emissionsspezifische Faktoren
Der zentrale emittenten- bzw. emissionsspezifische Bestimmungsfaktor für die Marktrendite von Unternehmensanleihen ist die Prämie zur Abgeltung des Bonitätsrisikos. Dieses Risiko wird auch als Ausfallrisiko bzw. Default Risk bezeichnet. Hierunter wird die Gefahr verstanden, daß Zins- und Tilgungszahlungen nicht zum vereinbarten Zeitpunkt oder nicht in vereinbartem Umfang geleistet werden. Es kann durch die Wahrscheinlichkeit und Schwere einer Zahlungsstörung beschrieben werden. Diese Definition schließt nur das Verlustrisiko ein, also die Gefahr einer negativen Abweichung164. Das Ausfallrisiko kann durch die Ausgestaltung der Unternehmensanleihen, also emissionsspezifische Merkmale, erhöht bzw. vermindert werden, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Bonitätsrisikoprämie165. Es ist beispielsweise zu erwarten, daß die Rückzahlung einer nachrangigen Anleihe im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Emittenten weniger wahrscheinlich ist bzw. niedrigere Befriedigungsquoten aufweist, da zunächst bevorrechtigte Gläubiger bedient werden. Das Ausfallrisiko sinkt dagegen, wenn eine Unternehmensanleihe besichert ist oder werthaltige kreditvertragliche Zusatzvereinbarungen aufweist166. Als emittenten- bzw. emissionsspezifischer Faktor ist das Ausfallrisiko Gegenstand einer gläubigerorientierten Informationspolitik.
162
163
164 165 166
Vgl. Stahl, Struktur, 1988, S. 53. Ein Beispiel für regulatorisch bedingte Nachfragebegrenzungen sind die in den Vereinigten Staaten bestehenden kapitalmarktrechtlichen Regulierungen. Institutionelle Investoren dürfen Unternehmensanleihen nur erwerben, wenn sie über mindestens zwei von behördlich anerkannten Rating-Agenturen verliehenen „Investment Grade“-Ratings verfügen. Vgl. Dale/Thomas, Regulatory Use, 1991, S. 9ff. Etwas anderes könnte dagegen für emittentenspezifische Maßnahmen zur Verminderung der Folgen dieser Marktunvollkommenheiten gelten, wie z. B. die Verpflichtung eines Market Makers zur Sicherstellung einer gewissen Mindestliquidität. Vgl. Holzer, Anlagestrategien, 1990, S. 12; Uhlir/Steiner, Wertpapieranalyse, 1994, S. 58f.; Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 28f.; Heinke, Bonitätsrisiko, 1998, S. 15f. Vgl. Tessin, Risikostruktur, 1999, S. 7. Vgl. Bodie et al., Investments, 1999, S. 411.
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Die Bonität ist im Zeitablauf jedoch nicht notwendigerweise konstant. So können beispielsweise Veränderungen der Geschäftsaussichten die Zahlungsfähigkeit eines Anleiheemittenten verbessern oder verschlechtern. Das Risiko von Änderungen des Ausfallrisikos wird durch das Bonitätsänderungsrisiko (auch als Kreditrisiko bzw. Credit Risk bezeichnet) beschrieben. Im Gegensatz zum Bonitätsrisiko kann es positive und negative Ausprägungen annehmen. Es gibt die Schwankungen um den erwarteten Ausfall an167. Abwertungen in der Bonitätseinstufung, die markteinheitlich wahrgenommen werden, führen zu Kursverlusten, Verbesserungen in der Einschätzung der Bonität dagegen zu Kurssteigerungen. Aus diesem Grund ist auch das Bonitätsänderungsrisiko ein emittenten- bzw. emissionsspezifischer Bestimmungsfaktor für die Marktrendite von Unternehmensanleihen und damit Gegenstand der gläubigerorientierten Informationspolitik. In den allermeisten Fällen ist das Ereignisrisiko Ursache für starke, schnell ablaufende Bonitäts- und damit auch Kurswertveränderungen von Unternehmensanleihen. Es gilt deshalb als Bestandteil des Bonitätsänderungsrisikos168. Das Ereignisrisiko beschreibt „sprunghafte, nicht aus dem allgemeinen Geschäftsverlauf vorhersehbare Veränderungen der finanziellen oder rechtlichen Situation des Unternehmens“169. Es umfaßt insbesondere das Gestaltungsrisiko. Ein Anleiheemittent, d. h. die Anteilseigner und das Management des emittierenden Unternehmens, können die Vermögensposition der Anleiheinvestoren durch Nutzung ihrer Gestaltungsmöglichkeiten verändern. Sie können erstens die Geschäftsaktivitäten des Anleiheemittenten ändern, z. B. durch die Aufgabe bestehender oder den Aufbau neuer Geschäftseinheiten. Solche Veränderungen beeinflussen insbesondere das Geschäftsrisiko des Anleiheemittenten und damit auch die Werthaltigkeit der verbrieften Forderungen. Zweitens umfaßt das Gestaltungsrisiko Veränderungen der Kapitalstruktur. Anleihebegebende Unternehmen können ihre Kapital167
168
169
Vgl. Foss, Quantifying, 1995, S. 29f.; Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 131f.; Heinke, Bonitätsrisiko, 1998, S. 15ff. In dieser Quelle wird kritisiert, daß in der Literatur häufig nicht sauber zwischen dem Bonitäts- und Bonitätsänderungsrisiko abgegrenzt wird. Vgl. Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 132. Häufig wird das Ereignisrisiko aber auch als separate Risikoart gesehen. Vgl. Dattareya/Fabozzi, Risks, 1997, S. 23f.; Fabozzi et al., Corporate Bonds, 1997, S. 225ff.; Tessin, Risikostruktur, 1999, S. 23ff. Tessin, Risikostruktur, 1999, S. 25. In der Literatur werden für diese Risikoart jedoch auch deutlich engere Definitionen gewählt. Einen Überblick über die Unterschiede hierbei gibt Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 132.
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struktur durch verschiedene Maßnahmen verändern, wie z. B. durch Aktienrückkäufe. Solche Maßnahmen haben ebenfalls teilweise gravierende Auswirkungen auf die Vermögensposition der Anleiheinvestoren170. Änderungen der Bonität aufgrund von Veränderungen des Geschäftsrisikos und der Kapitalstruktur können sowohl positive als auch negative Ausprägungen annehmen. Bonitätsverschlechterungen überwiegen aber deutlich. Eine weitere Ursache für Veränderungen der Vermögensposition der Anleiheinvestoren und damit ebenfalls Bestandteil des Ereignisrisikos sind feindliche Übernahmen, also ein vom bestehenden Management nicht gebilligter Wechsel der Eigentümermehrheit des emittierenden Unternehmens, oder die Abwehr solcher Versuche171. Feindliche Übernahmen sind häufig mit einer deutlichen Erhöhung der Verschuldung verbunden. Von dem Erwerber werden regelmäßig weitere Kredite aufgenommen, um den Kaufpreis zu finanzieren. Hierdurch wird die Position der Altgläubiger meistens verschlechtert172. Auch bei der Abwehr feindlicher Übernahmen kommt es häufig zu einer Erhöhung der Verschuldung. Um das Zielunternehmen für den Aufkäufer weniger attraktiv zu machen, werden, verschiedene, insbesondere verschuldungserhöhende Maßnahmen durchgeführt, wie z. B. der Rückkauf eigener Aktien, die meistens auch die Anleiheinvestoren schädigen173. Der Eintritt bonitätsverändernder Ereignisse hat also teilweise gravierende Auswirkungen auf den Kurswert bzw. die Marktrendite von Unternehmensanleihen. Das Ereignisrisiko ist emittenten- bzw. emissionsspezifisch bestimmt und deshalb auch Gegenstand einer gläubigerorientierten Informationspolitik. Darüber hinaus wird meistens auch das sog. Operational Risk, also das „Risiko von Verlusten durch menschliches Versagen, fehlerhafte Managementprozesse, Natur- oder sonstigen Katastrophen, Technologieversagen und Änderungen im externen Umfeld“174 als Teil des Ereignisrisikos verstanden. Charakteristisch ist für diese Risikokategorie ist eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit, gleichzeitig aber ein hohes Schadensausmaß175. Beispiele für solche Risiken, die den Kurswert von Unternehmensanleihen nachhaltig beeinträchtigen können, sind
170 171 172 173 174 175
Vgl. Fabozzi et al., Corporate Bonds, 1997, S. 227. Vgl. Altman/Nammacher, Junk Bonds, 1987, S. 171. Vgl. Bruder/Hirt, Event Risk Covenants, 1990, S. 296. Vgl. Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 139. Beeck/Kaiser, Operational Risk, 2000, S. 637. Vgl. Beeck/Kaiser, Operational Risk, 2000, S. 647.
40
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die Gefahr von Fehlspekulationen im Unternehmen oder Haftungsrisiken aufgrund von Umwelt- oder Gesundheitsschäden, die durch das Unternehmen selbst bzw. durch dessen Produkte verursacht wurden176. Da das Operational Risk nur negative Ausprägungen annehmen kann, muß es konsequenterweise dem Bonitätsrisiko und nicht dem Ereignis- und damit dem Bonitätsänderungsrisiko zugerechnet werden. Deshalb wird das Operational Risk entgegen der sonst üblichen Zuordnung wegen seiner ausschließlich negativen Ausprägungen in dieser Untersuchung als Teil des Ausfallrisikos verstanden. Es ist ebenfalls in eine gläubigerorientierte Informationspolitik einzubeziehen. 3.3
Credit Ratings als alternative Institution zur Bereitstellung von Bonitätsinformationen
In vielen Fällen wird eine Bonitätseinschätzung von Schuldverschreibungen von hierauf spezialisierten Institutionen, sogenannten Rating-Agenturen, übernommen. Sie treffen Aussagen über die wirtschaftliche Fähigkeit und rechtliche Bindung eines Anleiheemittenten, die mit einem bestimmten Schuldtitel verbundenen Zins- und Tilgungsverpflichtungen vollständig und rechtzeitig zu erfüllen. Wegen eines zunehmenden Bedeutungsgehaltes beschreiben sie inzwischen neben der Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsverzuges auch die Schwere einer Zahlungsstörung177. Die durch spezielle Symbole ausgedrückte Meinung einer Rating-Agentur bezüglich der Bonität eines Finanztitels178 wird als Credit Rating bezeichnet179. Credit Ratings sind also keine objektive Eigenschaft eines Finanztitels, sondern ein Indikator für ein Merkmal, das nicht gemessen werden kann180.
176 177 178 179 180
Vgl. Behrenwaldt, Anleger, 1996, S. 300; DG Bank Research, Cresta-Score, 2000, S. 22. Vgl. Cantor/Fons, Evolving Meaning, 1999; West, Bankruptcy, 2000, S. 3ff.; Hamilton/Keenan, Distressed Exchanges, 2000, S. 3ff.; Moody's Investors Service, Priority of Claim, 2000. Von dem Emissionsrating wird das Emittentenrating unterschieden, das nicht finanztitelspezifisch ist. Vgl. Heinke, Bonitätsrisiko, 1998, S. 18ff. Vgl. Everling, Agenturen, 1991, S. 24; Berblinger, Marktakzeptanz, 1996, S. 31; Heinke, Bonitätsrisiko, 1998, S. 17. Vgl. Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 105.
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S&P
Moody‘s
Fitch/ IBCA
41
Ratingdefinition/Beurteilung Investmentqualität
AAA
Aaa
AAA
Erstklassige Fähigkeit zur vertragsgerechten Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen, Rückzahlung gilt auch bei negativen äußeren Umständen als sicher
AA
Aa
AA
sehr gute Fähigkeit zur vertragsrechten Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen, Anfälligkeit bei negativen äußeren Umständen unwahrscheinlich
A
A
A
gute Fähigkeit zur vertragsgerechten Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen, Anfälligkeit bei negativen äußeren Umständen möglich
BBB
Baa
BBB
Wahrscheinlichkeit vertragsgerechter Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen hoch, jedoch mangelnde Immunität gegen negative äußere Umstände
Spekulativer Bereich BB B
Ba B
BB B
z. Zt. Vertragsgerechte Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen, künftige Erfüllung aber unsicher
CCC CC C D
Caa Ca C ---
CCC CC C DD DD D
nicht vertragsgerechte Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen sehr wahrscheinlich, z. T. in Zahlungsverzug in Zahlungsverzug
Abb. B.3: Ratingsymbole für Unternehmensanleihen181
Die Bonitätseinschätzung einer Rating-Agentur wird auf einer ordinalen Skala unterschiedlicher Bonitätsstufen ausgedrückt. Innerhalb dieser Klassen werden teilweise noch weitere Differenzierungen, etwa durch Plus-/Minuszeichen oder Ziffern, vorgenommen182. Die Symbole, die von den einzelnen Rating-Agenturen verwendet werden, unterscheiden sich nur leicht (vgl. Abb. B.3). Credit Ratings,
181 182
Quelle: Bund, Asset Securitisation, 2000, S. 24 (modifizierte Darstellung). Vgl. Hoffmann, Einsatzmöglichkeiten, 1991, S. 67.
42
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die von verschiedenen Rating-Agenturen vergeben wurden, sind deshalb direkt miteinander vergleichbar183. Gegenstand der Beurteilung durch die Rating-Agenturen ist ausschließlich das Ausfallrisiko einer Unternehmensanleihe. Bewertet werden sowohl das Bonitätsrisiko des Emittenten als auch emissionsspezifische Aspekte (Sicherungsformen und Anleihebedingungen)184. Dabei wird aber das Operational Risk, das Teil des Bonitätsrisikos ist, nur teilweise berücksichtigt185. Auch Ereignisrisiken, die von großer Bedeutung für den inneren Wert von Unternehmensanleihen sind, werden praktisch nicht in das Credit Rating einbezogen186. Ihre Berücksichtigung im Rating-Verfahren ist sehr schwierig, weil diese Risikokategorie, wie bereits erläutert, durch die Unvorhersehbarkeit der Ereignisse charakterisiert ist und die spezifische Wirkung möglicher Ereignisse auf das Ausfallrisiko ungewiß ist187. Ereignisrisiken werden deshalb nur im nachhinein durch die Beurteilung der Auswirkungen bereits eingetretener Ereignisse in das Rating-Verfahren einbezogen. Da Ereignisrisiken aber eine wesentliche Ursache für starke, schnell ablaufende Bonitätsveränderungen sind, ist dies aus Gläubigersicht äußerst unbefriedigend188. Um diese Informationslücke zu schließen, wurde von Standard & Poor’s, einer international tätigen Rating-Agentur, ein sogenanntes „Event Risk Covenant Ranking“ eingeführt. Es bewertet die Anleihebedingungen im Hinblick auf ihre Schutzwirkung gegen die negativen Folgen des Eintritts bonitätsverschlechternder Ereignisse. Das Ranking geht jedoch nicht in das Credit Rating ein189. Zudem wird das eigentliche Ereignisrisiko hierdurch nicht beurteilt190. Wegen dieser Schwächen wurde das Event Risk Covenant Ranking bisher kaum von anderen Agenturen imitiert191.
183 184 185 186 187 188 189 190 191
Vgl. Cantor/Packer, Industry, 1994, S. 3. Vgl. Heinke, Bonitätsrisiko, 1998, S. 17f. Vgl. Hilderman, Apocalypse, 2000, S. 1ff. Vgl. Hilderman, Apocalypse, 2000, S. 1f. Vgl. Everling, Agenturen, 1991, S. 57ff.; Fabozzi et al., Corporate Bonds, 1997, S. 225ff. Vgl. Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 146. Vgl. Bruder/Hirt, Event Risk Covenants, 1990, S. 296ff. Vgl. Hoffmann, Einsatzmöglichkeiten, 1991, S. 67. Vgl. Everling, Agenturen, 1991, S. 61.
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43
Ferner sind auch die marktbezogenen Bestimmungsfaktoren für die Rendite von Unternehmensanleihen nicht Gegenstand der Beurteilung durch die RatingAgenturen192. Credit Ratings werden nach ihrer Vergabe im Emissionszeitpunkt bei Änderungen des Ausfallrisikos im Zeitablauf durch Herauf- und Herunterstufungen aktualisiert. Somit handelt es sich bei den Credit Ratings theoretisch nicht um eine stichtagsbezogene Beurteilung, sondern im Idealfall um eine permanent aktualisierte Einschätzung des Ausfallrisikos. Die Intervalle, in denen die Bonität einer Anleiheemission durch eine Rating-Agentur erneut überprüft wird, sind jedoch recht lang193. Bei Anleiheemissionen, die ein geringes Volumen aufweisen, erfolgt die Überprüfung der Bonitätseinstufungen sogar nur in unregelmäßigen Abständen. Die Informations- und Prognosefunktion des Credit Ratings wird hierdurch erheblich eingeschränkt194. Trotz der Einschränkungen bei dem Beurteilungsgegenstand und der Aktualität des Ratings besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der RatingKlasse und dem Renditeaufschlag gegenüber Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt bzw. den Emissionsspreads. Der Zinsaufschlag nimmt zu, je niedriger eine Rating-Agentur die Bonität einer Unternehmensanleihe einschätzt195. Dennoch sind die bonitätsbedingten Renditeaufschläge von Unternehmensanleihen durch das Credit Rating nicht vollständig determiniert. Insbesondere wegen der Zusammenfassung unterschiedlicher Bonitäten zu einer Bonitätsklasse können
192 193
194 195
Vgl. Serfling/Pries, Möglichkeiten, 1990, S. 381; Heinke, Bonitätsrisiko, 1998, S. 17. Die Angaben zu der Länge dieser Intervalle sind widersprüchlich. In der Literatur wird meistens von einer jährlichen Überprüfung der Credit Ratings ausgegangen. Vgl. Berblinger, Marktakzeptanz, 1996, S. 120; Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 104; Standard & Poor's, Criteria, 2000, S. 6. Es finden sich aber auch Hinweise, daß Credit Ratings nach der Begebung eines Schuldtitels nur überprüft werden, wenn der betroffene Anleiheemittent dies wünscht. Vgl. Berblinger, Marktakzeptanz, 1996, S. 118. Von den Rating-Agenturen wird aber auch erklärt, daß Änderungen der Bonitätsbeurteilungen auch unabhängig von den turnusmäßigen Überprüfungen vorgenommen werden, z. B. wenn aus der laufenden Überwachung einer Emission Bonitätsveränderungen deutlich werden. Vgl. Heinke, Bonitätsrisiko, 1998, S. 34. Kaserer, Kurseffekte, 1995, S. 265, verweist dagegen darauf, daß Rating-Agenturen gar nicht über die technischen und personellen Möglichkeiten verfügen, alle gerateten Unternehmen ständig zu beobachten. Vgl. Müller-Trimbusch, High-Yield-Anleihen, 1999, S. 17; o.V., Kritik, 2000, S. 34. Vgl. Everling, Agenturen, 1991, S. 224; Cantor/Packer, Industry, 1994, S. 10; Berblinger, Marktakzeptanz, 1996, S. 47; Fabozzi et al., Corporate Bonds, 1997, S. 232.
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Unternehmensanleihen mit identischen Credit Ratings Renditeunterschiede aufweisen, die in einigen Fällen auch beträchtlicher Natur sind196. Um zu zeigen, daß eine gläubigerorientierte Informationspolitik trotz der weitgehend durch das Credit Rating determinierten Finanzierungskosten sinnvoll und gerechtfertigt ist, werden im folgenden Hauptkapitel Begründungsansätze für solche Aktivitäten abgleitet.
196
Vgl. Foss, Quantifying, 1995, S. 30. Siehe auch Schulte, Kursänderungsrisiken, 1996, S. 109.
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C Begründung für eine gläubigerorientierte Informationspolitik Die Durchführung einer gläubigerorientierten Informationspolitik ist nur gerechtfertigt, wenn hierdurch die Bedingungen für die Kapitalaufnahme des Anleiheemittenten nachhaltig verbessert werden können. Aus diesem Grund sind zunächst die Wirkungen einer von einem Anleiheemittenten initiierten Informationspolitik zu untersuchen. Aus Sicht des Anleiheemittenten erwünschte Wirkungen setzen jedoch Unvollkommenheiten in der Informationsverarbeitung voraus. Aus diesem Grund werden zunächst Theorie und Empirie der Informationsverarbeitung auf den Anleihemärkten betrachtet. Anschließend werden Begründungsansätze für eine von den Anleiheemittenten initiierte Informationspolitik abgeleitet, die explizit von Unvollkommenheiten in der Informationsverarbeitung ausgehen. Diese werden vor dem Hintergrund des Credit Ratings als Alternative zur Bereitstellung von Bonitätsinformationen hinterfragt. Um die Ergebnisse zu untermauern, wird zudem der diesbezügliche Stand der empirischen Forschung aufgearbeitet. Ferner ist die Durchführung einer eigenständigen, an den Informationswünschen der Anleiheinvestoren ausgerichteten, gläubigerorientierten Informationspolitik nur bei der Existenz fremdkapitalgeberspezifischer Informationsbedürfnisse wohlbegründet. Bei identischen Informationsbedürfnissen von Eigen- und Fremdkapitalgebern kann es hierfür keine Rechtfertigung geben. Aus diesem Grund wird im zweiten Teil dieses Hauptkapitels die Existenz fremdkapitalgeberspezifischer Informationsbedürfnisse auf Basis einer finanzierungstheoretischen Analyse belegt, bevor durch eine Synthese der Ergebnisse die Begründung für eine gläubigerorientierte Informationspolitik formuliert wird.
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Unvollkommenheiten in der Informationsverarbeitung
1.1
Theorie und Empirie der Informationsverarbeitung auf den Anleihemärkten
Bei einem gegebenem Informationsstand haben die Marktteilnehmer bestimmte Vorstellungen über Höhe, zeitliche Struktur und Unsicherheit der zukünftigen Zahlungen und damit über den inneren Wert der am Anleihemarkt angebotenen Schuldtitel. Neue, bewertungsrelevante Informationen ändern die Einschätzungen der Marktteilnehmer mit entsprechenden Auswirkungen auf die Anleihepreise1. Umfang und Geschwindigkeit mit denen neue Informationen in Anleihepreise umgesetzt werden, können aber variieren. Wenn alle bewertungsrelevanten Informationen stets in den Anleihepreisen enthalten sind und neue Nachrichten ohne zeitliche Verzögerung eingepreist werden, kann eine vom Anleiheemittenten initiierte Informationspolitik keine Wirkung entfalten. Ihr Gegenstand ist die Bereitstellung bewertungsrelevanter Informationen. FAMA bezeichnet einen Kapitalmarkt, der diese Bedingungen erfüllt, als informationseffizient2. Er unterscheidet jedoch darüber hinaus in Abhängigkeit von der Art der verarbeiteten Informationen drei verschiedene Stufen der Informationseffizienz3. Die verschiedenen Stufen haben unterschiedliche Implikationen für die Wirkung bzw. den Nutzen einer von einem Anleiheemittenten initiierten Informationspolitik: (1) Strenge Informationseffizienz liegt vor, wenn alle bewertungsrelevanten Informationen in den Anleihepreisen verarbeitet sind. Dies gilt auch für private Informationen, zu denen ein Marktteilnehmer oder mehrere Investoren einen monopolistischen Zugang haben. Liegt eine solche Effizienzstufe vor, ist die Weitergabe von Informationen über das Unternehmen und damit auch eine von einem Anleiheemittenten durchgeführte Informa1 2 3
Vgl. Hirshleifer/Riley, Uncertainty, 1979, S. 1399. Vgl. Fama, Review, 1970, S. 383ff. Als hinreichende Bedingung für informationseffiziente Märkte nennt Fama, Review, 1970, S. 386f., die Abwesenheit von Transaktionskosten, kostenlos verfügbare Informationen und ein einheitliches, von allen Marktakteuren akzeptiertes Bewertungsmodell. Grossman/Stiglitz, Impossibility, 1980, S. 393ff., zeigen aber analytisch, daß in einem informationseffizienten Markt kein Gleichgewichtspreis gefunden wird. Informationen können nicht mehr in Überrenditen transformiert werden. Deshalb gibt es keinen Anreiz, Informationen zu beschaffen und auszuwerten. Der Informationsgehalt in den Preisen sinkt (sog. „Infomationsparadoxon“).
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tionspolitik nutzlos. Alle Nachrichten, die von dem Emittenten weitergegeben werden könnten, sind bereits in den Wertpapierpreisen enthalten4. (2)
Halbstrenge Informationseffizienz ist gegeben, wenn alle öffentlich zugänglichen Informationen bereits in den aktuellen Anleihepreisen enthalten sind, d. h. neue Nachrichten sofort zu Änderungen in den Wertpapierpreisen führen. Ist eine solche Ausprägung der Informationseffizienz vorhanden, kann die Weitergabe von Informationen helfen, die Schätzfehler in bezug auf die erwartete Rendite und ihre Verteilungscharakteristika zu reduzieren5. Folglich kann eine von einem Anleiheemittenten initiierte Informationspolitik bei Vorliegen halbstrenger Informationseffizienz dazu beitragen, die Einschätzungen der Investoren über den inneren Wert einer Anleihe zu verbessern.
(3) Schwache Informationseffizienz liegt vor, wenn die Preise auf dem Kapitalmarkt nur historische Informationen reflektieren. Eine Informationspolitik bzw. eine Investor Relations der Emittenten von Unternehmensanleihen kann deshalb auch bei Vorliegen dieses Effizienzgrades helfen, den Informationsgehalt in den Anleihepreisen zu erhöhen. Zur Informationsverarbeitung auf den Kapitalmärkten wurden zahlreiche empirische Untersuchungen durchgeführt6. Sie kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Hierfür werden aber auch methodische Probleme verantwortlich gemacht7. Es gilt jedoch als gesichert, daß zumindest die strenge Form der Informationseffizienz, bei der jegliche Art von Informationsbereitstellung bzw. In-
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Vgl. Süchting, Finanzmarketing, 1986, S. 659; Becker, Finanzmarketing, 1994, S. 296. Vgl. Jaffe, Use, 1975, S. 831ff. Das Fehleinschätzungsrisiko nimmt mit zunehmender Informationsqualität ab. Vgl. Labhart, Value Reporting, 1999, S. 83f., und die dort angegebene Literatur. Investoren fordern für die nicht diversifizierbare Komponente dieses Risikos eine Prämie. Es ist jedoch nicht klar, inwieweit dieses Risiko diversifizierbar ist. Vgl. Clarkson et al., Estimation Risk, 1996, S. 69ff. Der überwiegende Teil der empirischen Untersuchungen testet jedoch die Effizienzhypothesen für die Aktienmärkte. Da Informationen über ein Unternehmen kaum zwischen Aktien- und Anleihemärkten segmentiert werden können, werden die Preisreaktionen auf beiden Teilmärkten eine hohe Korrelation aufweisen. Vgl. Müller-Trimbusch, High-Yield-Anleihen, 1999, S. 82f. Vgl. Neumann/Klein, Probleme, 1982, S. 165ff.; May, Stand, 1991, S. 313ff.
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vestor Relations-Aktivitäten nutzlos wären, in der Realität weder auf den Anleihe- noch auf den Aktienmärkten vorliegt8. Die Theorie der Informationsverarbeitung und ihre empirische Überprüfung zeigt also, daß bei den in der Realität vorgefundenen Bedingungen die Durchführung einer Informationspolitik der Emittenten von Unternehmensanleihen gerechtfertigt sein kann. 1.2
Begründungsansätze für eine Informationspolitik bei unvollkommener Informationsverarbeitung
Explizite Begründungsansätze für eine Informationspolitik können formuliert werden, wenn die Ursachen für Unvollkommenheiten in der Informationsverarbeitung auf den Wertpapiermärkten, nämlich Kosten für die Informationsbeschaffung bzw. -auswertung und eine asymmetrische Informationsverteilung9, in die Analyse einbezogen werden. 1.2.1 Kosten für die Informationsbeschaffung und -auswertung Bisher wurde der Zusammenhang zwischen den Kosten für die Beschaffung und Auswertung von Informationen und den Fremdkapitalkosten durch Plausibilitätsüberlegungen begründet. Anleiheinvestoren versuchen, Kosten für die Beschaffung und Auswertung von Informationen über höhere Renditeforderungen auf die Anleiheemittenten überzuwälzen. Deshalb kann durch eine Informationspolitik, welche die Informationskosten der Anleiheinvestoren senkt, auch der für das betrachtete Unternehmen gültige Fremdkapialkostensatz reduziert werden10. In diesem Abschnitt wird der vermutete Zusammenhang für die Anleihemärkte erstmals modelltheoretisch fundiert nachgewiesen. Hierzu werden ausgewählte
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Eine Übersicht über die für die Anleihemärkte durchgeführten empirischen Tests geben Heinke, Bonitätsrisiko, 1998, S. 152ff.; Müller-Trimbusch, High-Yield-Anleihen, 1999, S. 76ff. Für die Aktienmärkte wurde eine sehr viel größere Anzahl von Studien durchgeführt. Vgl. Link, Aktienmarketing, 1991, S. 39ff.; May, Stand, 1991, S. 315ff. Eine asymmetrische Informationsverteilung liegt vor, wenn ein Marktteilnehmer über einen Informationsvorsprung im Vergleich zu seinem Marktpartner verfügt. Der besser Informierte verfügt über Informationen, die der schlechter Informierte benötigt, um die Markttransaktion bewerten zu können. Vgl. Schmidt/Terberger, Finanzierungstheorie, 1997, S. 391. Vgl. Klein, Fremdkapitalmarketing, 1996, S. 356.
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Forschungsarbeiten, mit denen derselbe Zusammenhang bisher zumeist für die Aktienmärkte belegt wird, besprochen und auf die Anleihemärkte übertragen. Kosten für die Informationsbeschaffung und -auswertung führen einerseits zu divergierenden Informationsständen der Investoren. Die Investoren haben unterschiedliche Präferenzen für die Informationsbeschaffung und -auswertung und wenden in unterschiedlichem Maße Ressourcen hierfür auf. Andererseits ist bei der Existenz von Informationskosten zu erwarten, daß über einige Anleihen mehr Informationen verfügbar oder bewertungsrelevante Daten leichter erhältlich sind als über andere Schuldverschreibungen. In diesem Fall variiert die Verfügbarkeit von Informationen in Abhängigkeit vom betrachteten Schuldtitel. Die Wirkungen ungleicher Informationsstände von Investoren auf die Kapitalkosten untersucht MERTON11 in einem Gleichgewichtsmodell. Er geht davon aus, daß stets nur ein Teil der risikoaversen Marktakteure über Informationen zu einem bestimmten Wertpapier, über dessen erwartete Rendite und Risikocharakteristika, verfügt. Für jedes beliebige, von einem Unternehmen begebene Wertpapier, welches der Wertpapierart nach nicht spezifizert ist, gibt es also stets uninformierte Marktteilnehmer und informierte Investoren. MERTON nimmt an, daß die Marktteilnehmer bei der Konstruktion ihrer Portefeuilles grundsätzlich nur diejenigen Wertpapiere in Betracht ziehen, deren Rendite- und Risikocharakterisika ihnen bekannt sind. Zunächst untersucht er, wie rationale Investoren bei Gültigkeit dieser Hauptverhaltensannahme ihre Portefeuilles zusammenstellen. Anschließend leitet er aus der individuellen Nachfrage der Investoren, die er zu einem Marktgleichgewicht aggregiert, Gleichgewichtspreise für die betrachteten Wertpapiere und damit auch ihre erwarteten Renditen ab. Dabei zeigt er, dass der Marktwert eines Unternehmens (also die Summe der Preise aller ausstehenden Wertpapiere) am größten ist, wenn alle Investoren eine Einschätzung der Rendite- und Risikocharakteristika des betrachteten Wertpapieres vornehmen. Dies können sie aber nur tun, wenn sie über geeignete Informationen verfügen. Der Preis eines von einem Unternehmen begebenen Wertpapiers ist um so niedriger und damit sind die Kapitalkosten um so höher, je weniger Anleger die Rendite- und Risikocharakteristika kennen. Ein Unternehmen kann seine Kapitalkosten also bereits dadurch senken, wenn es bereits veröffentlichte Informatio11
Vgl. Merton, Incomplete Information, 1987, S. 483ff.
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nen breit am Markt streut. Der kapitalkostensenkende Effekt tritt also selbst dann ein, wenn keine neuen Informationen offengelegt werden, sondern Daten, die der informierten Gruppe bereits bekannt sind, an die uninformierten Marktteilnehmer weitergegeben werden12. Das Modell von MERTON ist somit geeignet, eine Informationspolitik der Emittenten von Unternehmensanleihen zu begründen. BARRY/BROWN13 gehen hingegen von homogenen Informationsständen der Marktteilnehmer aus. Ihrem Modell liegt aber die Vorstellung zugrunde, daß über gewisse Wertpapiere mehr Informationen vorliegen als über andere Titel. Grundlage dieses Modells ist die Unsicherheit der Investoren bezüglich der Renditeverteilung eines Wertpapiers. Durch eine hohe Informationsverfügbarkeit wird das Estimation Risk, also das Schätzrisiko der Investoren bezüglich der Rendite-/Risikoparameter, reduziert. Hiermit verringert sich auch der nicht diversifizierbare, systematische Teil dieser Risikokomponente, der für höhere Renditeforderungen der Kapitalgeber verantwortlich ist. BARRY/BROWN weisen analytisch nach, daß Wertpapiere, über die viele Informationen verfügbar sind, geringere Kapitalkosten aufweisen, als Wertpapiere mit einer geringen Datenverfügbarkeit. Ein Unternehmen, das Wertpapiere am Kapitalmarkt begibt, kann seinen Kapitalkostensatz deshalb durch eine Verbesserung des Informationsstandes der Marktteilnehmer14 senken. Die Überlegungen gelten auch für die Anleihen. Deshalb ist das Modell von BARRY/BROWN auch geeignet, die Durchführung einer Informationspolitik der Emittenten von Unternehmensanleihen zu begründen. Darüber hinaus weisen Wertpapiere, über die wenig Informationen verfügbar sind, auch deutlich geringere Handelsvolumina im Vergleich zu Titeln auf, über die viele Nachrichten veröffentlicht werden. Dieser Effekt wird als Liquidity Effect bezeichnet15. Investoren haben eine Präferenz für leicht handelbare, liquide Titel. Sie fordern deshalb für illiquide Titel eine Prämie16. Deshalb besteht über die Liquidität eines Wertpapiers auch ein mittelbarer Zusammen12 13 14
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Hingegen lehnt Allendorf, Investor Relations, 1996, S. 112, dieses Modell auf Basis einer undifferenzierten Kritik zur Erklärung von Investor Relations ab. Vgl. zu dem nachfolgend dargestellten Modell Barry/Brown, Equilibrium, 1985, S. 407ff. Als Maß für die Informationsqualität verwenden sie die Anzahl der beobachteten Renditen. Alternativ kann bspw. auch die Meinungsstreuung von Analysten hierfür herangezogen werden. Vgl. Barry/Brown, Equilibrium, 1985, S. 419f. Vgl. Heinke, Bonitätsrisiko, 1998, S. 186f. Vgl. z. B. Chakravarty/Sarkar, Liquidity, 1999.
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hang zwischen den über ein Wertpapier verfügbaren Informationen und seiner Rendite. Durch eine Informationspolitik der Emittenten von Unternehmensanleihen steigt folglich die Liquidität der emittierten Anleihen und die Renditeforderungen der Anleger sinken. Dieser mittelbare Zusammenhang wird von DIAMOND/VERRECHIA17 und BAIMAN/VERRECHIA18 in einem Market-Maker-Modell mit einem Wertpapier aufgezeigt19. Ihre Überlegungen gelten für alle Arten von Wertpapiere, sofern die beschriebene Marktstruktur vorliegt. Diese Ansätze unterstellen, daß Marktteilnehmer ohne Informationsvorsprünge Wertpapiere grundsätzlich nur zu Liquiditätszwecken handeln. Daneben gibt es auch Teilnehmer am Wertpapiermarkt, die Informationsvorsprünge aufweisen. Sie handeln Wertpapiere auch aus Spekulationsgründen. Die Wertpapieraufträge werden von einem risikoaversen Marktmacher ausgeführt, der nicht zwischen den Orders der besser informierten Händler und der anderen Marktteilnehmer unterscheiden kann. Der Marktmacher muß deshalb damit rechnen, mit einem besser informierten Spekulanten eine für ihn nachteilige Transaktion einzugehen. Um diesen Nachteil zu kompensieren, erhöht der Market Maker die Spanne zwischen Anund Verkaufskurs. Eine größere Spanne reduziert die Liquidität im Markt und erhöht deshalb die Renditeforderungen der Investoren20. Deshalb vermögen auch die liquiditätsorientierten Modellansätze, die für alle Arten von Wertpapieren gelten, die Durchführung einer von Anleiheemittenten initiierten Informationspolitik modelltheoretisch fundiert zu erklären. Obwohl die hier vorgestellten Modelle unterschiedliche Arten der „Informationsungleicheit“ unterstellen und die Ergebnisse auf unterschiedliche Weise ableiten, kommen sie zu identischen Ergebnissen. Übereinstimmend konnte gezeigt werden, daß durch eine von den Anleiheemittenten initiierte Informationspolitik die Fremdkapitalkostensätze gesenkt werden können. Die vorgestellten Modelle lie-
17 18
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Vgl. Diamond/Verrecchia, Liquidity, 1991, S. 1325ff. Vgl. Baiman/Verrecchia, Relation, 1996, S. 1ff. In diesem Modell wird der liquiditätsorientierte Ansatz mit der Agency-Problematik verbunden. Es wird angenommen, daß es sich bei den Marktteilnehmern mit Insiderinformationen um das Management des betrachteten Unternehmens handelt. Die durch Insiderhandel erzielten Gewinne sind Teil der Managementkompensation. Weitere Vertreter des liquiditätsorientierten Ansatzes sind insbesondere Demsetz, Transacting, 1968, S. 33ff.; Copeland/Galai, Bid-Ask Spread, 1983, S. 1457ff.; Glosten/Milgrom, Transaction Prices, 1985, S. 71ff.; Amihud/Mendelson, Bid-Ask Spread, 1986, S. 223ff. Vgl. Labhart, Value Reporting, 1999, S. 83.
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fern äußerst wertvolle Begründungsansätze für eine vom Anleiheemittenten initiierte Informationspolitik. Eine größtmögliche Reduktion der Informationskosten setzt aber voraus, daß die zur Verfügung gestellten Informationen an den Bedürfnissen der Nutzer, in diesem Fall der Anleiheinvestoren und sonstigen Zielgruppen, ausgerichtet sind. Die von den Anleiheemittenten initiierte Informationspolitik sollte also unbedingt an den Informationsbedürfnissen der Anleiheinvestoren orientiert sein. 1.2.2 Asymmetrische Informationsverteilung Die Kreditfinanzierung ist durch eine asymmetrische Informationsverteilung gekennzeichnet, bei der die Kreditgeber schlechter informiert sind als die Kreditnehmer. Sie führt zu einer Unsicherheit über die Qualität der Kreditnehmer und über ihr Verhalten, das die Kreditgeber nicht vollständig beobachten können21. Wegen geringer Möglichkeiten zur Beschaffung von Informationen über den Anleiheemittenten und schlechterer Möglichkeiten zur Überwachung und Kontrolle des Kreditnehmers22 ist die asymmetrische Informationsverteilung bei der Anleihefinanzierung im Vergleich mit anderen Formen der Kreditfinanzierung, wie z. B. Bankkrediten, besonders stark ausgeprägt23. Aus diesem Grund ist auch die Anleihefinanzierung besonders stark von den Folgen der Kooperationsprobleme betroffen, die aufgrund der asymmetrischen Informationsverteilung auftreten. Folgen dieser Kooperationsprobleme sind erstens höhere Renditeforderungen der Anleiheinvestoren (neben Risikozuschlägen für das Projektrisiko) und damit steigende Kapitalkosten für die Anleiheemittenten24. Die höheren Renditen sollen die zusätzlichen Risiken, die aus der asymmetrischen Informationsverteilung resultieren, abgelten. Zweitens müssen die Anleiheemittenten mit einer Beschränkung der Kreditgewährung rechnen, da das zusätzliche Risiko nicht immer über höhere Prämien abgegolten werden kann. Ein steigender Zinssatz führt dazu, daß Kreditnehmer mit überdurchschnittlicher Qualität keine Kredite mehr nachfragen und die verbleibenden Kreditnehmer das Risiko ihrer Projekte erhöhen. Das durch21 22 23 24
Zu der asymmetrischen Informationsverteilung bei der Fremdfinanzierung und den hieraus resultierenden Kooperationsproblemen im Detail vgl. Abschnitt C.2.2.2. Vgl. Abschnitt B.3.1.1. Vgl. Rajan, Debt, 1992, S. 1367ff.; Wahrenburg, Anleihefinanzierung, 1992, S. 17ff. Vgl. Abschnitt C.2.2.
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schnittliche Kreditrisiko, das der Kreditgeber zu tragen hat, nimmt zu (sog. adverse Selektion). Unter Umständen sinken die Kreditrückzahlungen, die ein Kreditgeber erwarten kann, trotz der Erhöhung des Kreditzinses25. STIGLITZ/WEISS26 zeigen, daß sich Kreditgeber aufgrund dieses negativen Anreizeffektes bei einer asymmetrischen Informationsverteilung rational verhalten, wenn sie die Kreditgewährung der Höhe nach beschränken (sog. Kreditrationierung). Hierdurch können die Kreditgeber einer adversen Selektion vorbeugen. Deshalb ist es bei Vorliegen einer asymmetrischen Informationsverteilung möglich, daß Anleiheemittenten, genau wie andere Kreditnehmer, Fremdkapital nicht in der gewünschten Höhe aufnehmen können. Sofern andere Finanzierungsquellen nicht zur Verfügung stehen, können unter Umständen nicht alle Investitionsprojekte mit einem positiven Kapitalwert realisiert werden. Alternativ ist es möglich, daß wegen einer Beschränkung der Kreditgewährung eine optimale Kapitalstruktur nicht erreicht werden kann. Drittens kann es in Folge einer asymmetrischen Informationsverteilung zu einer Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Anleiheemittenten kommen, wenn nur Anleihen mit handlungsbeschränkenden Covenants absetzbar sind. Durch solche kreditvertraglichen Vereinbarungen können sich die Anleiheinvestoren vor den negativen Auswirkungen der Unsicherheit über das Verhalten des Kreditnehmers schützen27. Aus Sicht der Anleiheemittenten können solche Beschränkungen dazu führen, daß einerseits vorteilhafte Investitionsprojekte unter Umständen nicht durchgeführt werden können und eine optimale Kapitalstruktur andererseits nicht erreicht werden kann. Zwar haben sich in der Realität Intermediäre herausgebildet, die solche Kooperationsprobleme reduzieren, wie z. B. reputationsstarke Emissionsbanken28 oder Rating-Agenturen29. Sie können die vorliegenden Kooperationsprobleme jedoch nicht vollständig abbauen. Deshalb haben die Anleiheemittenten selbst 25 26 27 28
29
Vgl. Pfingsten, Kreditvergabe, 2000, S. 704ff. Vgl. Stiglitz/Weiss, Credit Rationing, 1981, S. 393ff. Vgl. Abschnitt C.2.2. Vgl. Beattie/Ritter, Investment Banking, 1986, S. 213ff.; Carter/Manaster, Initial Public Offerings, 1990, S. 1045ff.; Slovin/Young, Bank Lending, 1990, S. 729ff.; Jacob/Klein, Investment Banking, 1996, S. 113. Vgl. Wakeman, Function, 1984, S. 391ff.; Steiner/Heinke, Finanzierungstheorie, 1996, S. 611ff.; Heinke, Bonitätsrisiko, 1998, S. 202ff.; Oehler/Voit, Informationsökonomische Aspekte, 1999, S. 968ff.
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bei Nutzung solcher Intermediäre ein starkes Interesse, die Ausprägung der Kooperationsprobleme weiter abzumildern. Dies kann durch eine vom Anleiheemittenten durchgeführte Informationspolitik erreicht werden. Die auftretenden Kooperationsprobleme können um so stärker abgemildert werden, je mehr die zur Verfügung gestellten Informationen den Bedürfnissen der Fremdkapitalgeber entsprechen30. Aus diesem Grund sollten gläubigerrelevante Informationen zur Verfügung gestellt werden. In der Literatur wird den von Unternehmen selbst ausgesendeten Signalen überwiegend nur eine geringe Glaubwürdigkeit attestiert31. Diese Wertung ist auf den Anreiz der Kreditnehmer zurückzuführen, ihre Zahlungsfähigkeit besonders positiv darzustellen, um Kapital zu günstigen Konditionen aufnehmen zu können32. Deshalb werden die Anleiheinvestoren den vom Anleiheemittenten erhaltenen Informationen zunächst wenig Glauben schenken oder diese Daten um die ihnen inhärente systematische Verzerrung bereinigen33. Der Anreiz der kapitalsuchenden Unternehmen, ihre Zahlungsfähigkeit besonders positiv darzustellen, besteht jedoch nur kurzfristig. Die Anleiheinvestoren können bei mehrmaliger Informationsbereitstellung die ex ante angekündigten mit den ex post realisierten Ergebnissen vergleichen. Sie können auf diese Weise erkennen, ob der betrachtete Anleiheemittent wahrheitsgemäß berichtet. Zwar können selbst bei wahrheitsgemäßer Berichterstattung aufgrund von exogenen Umweltereignissen die im voraus prognostizierten Daten von den tatsächlich realisierten Ergebnissen abweichen. Die Abweichungen sind aber zufälliger Natur34. Bei einer wahrheitsgemäßen Berichterstattung sollte deshalb eine Entsprechung der insgesamt prognostizierten und der realisierten Daten erwartet werden können. Da die Anleiheinvestoren den auf kurze Sicht bestehenden Anreiz der kapitalsuchenden Unternehmen zur beschönigenden Berichterstattung erkennen, werden sie den vom Anleiheemittenten zur Verfügung gestellten Informationen erst vertrauen, wenn sie die wahrheitsgemäße Berichterstattung feststellen konnten. Die positiven Wirkungen, die sich ein Anleiheemittent von der Durchführung einer Informationspolitik erhofft (Reduktion der Fremdkapitalkostensätze, Ab30 31 32 33 34
Vgl. Spremann, Reputation, 1988, S. 622. Vgl. z. B. Wagner, Unternehmungen, 1991, S. 82. Vgl. Schmidt/Terberger, Finanzierungstheorie, 1997, S. 414. Vgl. Spremann, Reputation, 1988, S. 621. Vgl. Spremann, Reputation, 1988, S. 622.
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bau der Mengenbeschränkungen bei der Fremdkapitalaufnahme, Abschwächung von kreditvertraglichen Handlungsbeschränkungen), werden deshalb erst mit einer zeitlichen Verzögerung eintreten. Außerdem können nur Anleiheemittenten mit wahrheitsgemäßer Berichterstattung mit diesen Wirkungen rechnen. Eine auf Dauer angelegte Informationspolitik der Emittenten von Unternehmensanleihen ist deshalb geeignet, die bei der Anleihefinanzierung besonders stark ausgeprägten Kooperationsprobleme, die sich aus einer mangelnden Information der Anleiheinvestoren sowie einer zu geringen Überwachung und Kontrolle der Anleiheemittenten ergeben, zu reduzieren und die beschriebenen negativen Folgen zurückzuführen. Deshalb ist bei Vorliegen einer asymmetrischen Informationsverteilung eine auf Dauer angelegte Informationspolitik auch wohlbegründet. 1.3
Bedeutung des Credit Ratings für eine Informationspolitik bei unvollkommener Informationsverarbeitung
Credit Ratings erfüllen dieselben Funktionen wie eine von den Anleiheemittenten initiierte Informationspolitik, nämlich eine Reduktion der Informationskosten und eine Verminderung der zwischen Anleiheemittenten und -investoren bestehenden Kooperationsprobleme. Deshalb ist es denkbar, daß die abgeleiteten Begründungen nicht mehr gelten, sofern ein Anleiheemittent bzw. die von ihm begebenen Emissionen über ein oder mehrere Credit Ratings verfügen. Aus diesem Grund sind die modelltheoretisch abgeleiteten Begründungsansätze kritisch zu hinterfragen. Dazu wird erstens untersucht, ob die Informationskosten und damit auch die Renditeforderungen der Anleiheinvestoren auch bei Anleiheemittenten bzw. Emissionen, die über Credit Ratings verfügen, gesenkt werden können. Wegen des nachgewiesenen Zusammenhangs zwischen den Informations- und den Kapitalkosten ist eine möglichst starke Reduktion der Informationskosten wünschenswert. Zweitens wird untersucht, ob eine von den Anleiheemittenten initiierte Informationspolitik auch zur Abmilderung der bei der Anleihefinanzierung bestehenden Kooperationsprobleme beitragen kann, wenn Credit Ratings verfügbar sind.
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BEGRÜNDUNG FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK
1.3.1
Einfluß auf die Kosten der Informationsbeschaffung und -auswertung
Credit Ratings sind eine sehr kompakte Zusammenfassung der über einen Emittenten bzw. eine Emission verfügbaren Bonitätsinformationen35. Deshalb ist auch zu erwarten, daß die Informationskosten der Anleiheinvestoren durch Ratings signifikant gesenkt werden können. Eine darüber hinausgehende, weitere Reduktion der Informationskosten durch eine vom Anleiheemittenten initiierte Informationspolitik bei Emittenten bzw. Emissionen mit Ratings ist jedoch nur ausgeschlossen, wenn Anlageentscheidungen allein auf Basis der Credit Ratings getroffen werden. In diesem Fall würden die Anleiheinvestoren über die Bonitätseinstufungen der Rating-Agenturen hinaus keine weiteren Informationen verarbeiten. Selbst die Rating-Agenturen räumen aber ein, daß Credit Ratings nicht alle bewertungsrelevanten Faktoren berücksichtigen36. Credit Ratings sind eine Einschätzung der Rating-Agenturen über das Ausfallrisiko. Sie beinhalten also keine Bewertung des Ereignisrisikos, obwohl diese Risikokategorie in den allermeisten Fällen die Ursache für starke, schnell ablaufende Bonitätsveränderungen ist und deshalb den inneren Wert von Unternehmensanleihen wesentlich beeinflußt. Darüber hinaus wird das Operational Risk nicht in das Credit Rating einbezogen37. Sofern Anleiheinvestoren auch diese bewertungsrelevanten Faktoren bei ihren Anlageentscheidungen berücksichtigen wollen, müssen sie trotz der Credit Ratings Informationen sammeln und auswerten. Hierbei entstehen Informationskosten, die durch eine Informationsbereitstellung – genau wie bei Emittenten bzw. Emissionen ohne Ratings – gesenkt werden können. Darüber hinaus ist zu beobachten, daß Anleiheinvestoren die Bonitätseinstufungen der Rating-Agenturen zunehmend hinterfragen und sich verstärkt eine eigene Meinung über die Bonität von Anleihen mit Credit Ratings bilden38. An den Credit Ratings wird kritisiert, daß die Gewichtung, mit der die einzelnen Bonitätsfaktoren in das Rating eingehen, nicht offengelegt wird39. Deshalb be-
35 36 37 38 39
Vgl. Wagner, Unternehmungen, 1991, S. 69ff. Vgl. Berblinger, Marktakzeptanz, 1996, S. 295; Meyer-Parpart, Ratingkriterien, 1996, S. 114. Vgl. Abschnitt B.3.3. Vgl. Claussen, Fixed-Income-Investoren, 1998, S. 20. Vgl. Everling, Agenturen, 1991, S. 289ff. Die Anleger sind also bei ihren Anlageentscheidungen auf die Bewertungskriterien der Rating-Agentur festgelegt und an die ihnen unbekannte Gewichtung der einzelnen Faktoren gebunden. Wenn sich alle Anleger ausschließlich an Credit Ra-
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steht keine Möglichkeit, einzelne Faktoren anders als die bewertende RatingAgentur zu gewichten, da nur die Credit Ratings, nicht aber die Ausprägungen der einzelnen Bonitätsfaktoren offengelegt werden. Ferner sind die von den Rating-Agenturen verwendeten Rating-Klassen relativ groß. Sie beschreiben deshalb das Ausfallrisiko nicht sehr genau. Unterschiedliche Bonitäten können folglich mit derselben Note bewertet sein40. Dies gilt insbesondere für niedrige Bonitätsklassen. Außerdem sind sog. „Split Ratings“, also unterschiedliche Urteile über dieselbe Anleihe bei einer Beurteilung durch mehrere Rating-Agenturen, relativ häufig41. Aber am stärksten wird jedoch die mangelnde Aktualität des Ratings kritisiert42. Die Investoren beklagen, daß Credit Ratings wegen der unregelmäßig stattfindenden Ratingüberprüfungen häufig sehr spät angepaßt werden. Manchmal passiert dies sogar erst, wenn eine kursbeeinflussende Information bereits in den Marktwert einer Anleihe eingepreist ist43. Wenn sich die Anleiheinvestoren wegen der skizzierten Schwächen des Credit Ratings eine eigene Meinung über die Bonität eines Anleiheemittenten bilden wollen, müssen sie Bonitätsinformationen sammeln und auswerten. Trotz der Credit Ratings entstehen Informationskosten. Sie können vom Anleiheemittenten – genau wie im Fall ohne Credit Ratings – durch die Bereitstellung gläubigerrelevanter Informationen reduziert werden. Daneben ist eine steigende Nachfrage nach bonitätsrelevanten Informationen auch wegen des gegenwärtig ablaufenden Paradigmenwechsels im Anleihemanagement zu erwarten. Die Möglichkeiten, die Informationskosten der Anleger durch Credit Ratings zu senken, werden hierdurch eingeschränkt. Im Anlei-
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41
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tings orientieren würden, wäre damit faktisch ein einheitliches, für alle Anleger gültiges Bewertungsmodell vorgegeben. Vgl. Abschnitt B.3.3. Unkritisch äußert sich hierzu Everling, Agenturen, 1991, S. 225. Er geht davon aus, daß in allen Ausstattungsmerkmalen gleiche Rentenpapiere, die das gleiche Rating, aber unterschiedliche Renditen aufweisen, risikolose Arbitragemöglichkeiten eröffnen. Er vernachlässigt aber dabei, daß unterschiedliche Bonitäten in einer Rating-Klasse zusammengefaßt werden. Vgl. Steiner/Heinke, Finanzierungstheorie, 1996, S. 621. Über die Hälfte der Anleihen mit Ratings von mehreren Agenturen weisen ein „Split Rating“ auf, vgl. Cantor et al., Split Ratings, 1997, S. 1. Ursachen für „Split Ratings“ sind unterschiedliche Einschätzungen bezüglich der Bonität des Emittenten. Dies gilt insbesondere für qualitative Faktoren, wie z. B. der Beurteilung der Managementqualität. Vgl. Ederington, Split Ratings, 1986, S. 37ff.; Rudolf, Anleihen, 1989, S. 170f. Daneben werden aber auch methodische Unterschiede als Ursachen hierfür angeführt. Vgl. Cantor/Packer, Industry, 1994, S. 12ff. Vgl. Abschnitt B.3.3. Vgl. Leffers, Konsortialgeschäft, 1996, S. 364; Behrenwaldt, Anleger, 1996, S. 295.
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BEGRÜNDUNG FÜR EINE GLÄUBIGERORIENTIERTE INFORMATIONSPOLITIK
hemanagement werden zunehmend aktive Anlagestrategien verfolgt. Dabei wird versucht, Veränderungen im inneren Wert von Unternehmensanleihen frühzeitig zu erkennen und eigene Einschätzungen hierüber in gewinnbringende Transaktionen umzusetzen, u. a. also Rating-Änderungen zu antizipieren. Investoren mit einer solchen Anlagestrategie sind auf zeitnahe Informationen über den betroffenen Anleiheemittenten bzw. die von ihm begebenen Wertpapiere angewiesen. Sie können Rating-Informationen nur sehr bedingt nutzen. Deshalb können auch die Informationskosten dieser Anleger durch Credit Ratings praktisch nicht gesenkt werden. Durch eine von den Anleiheemittenten initiierte Informationspolitik ist dies aber möglich. Aus diesen Gründen sind die abgeleiteten Begründungsansätze für eine Informationspolitik bei Informationskosten unabhängig von vorhandenen Credit Ratings gültig. 1.3.2
Einfluß auf die asymmetrische Informationsverteilung
Die zweite gemeinsame Funktion von Credit Ratings und einer Informationspolitik der Anleiheemittenten betrifft die Abmilderung der bei einer Anleihefinanzierung aufgrund der asymmetrischen Informationsverteilung bestehenden Kooperationsprobleme. Credit Ratings gelten als ein glaubwürdiges Signal für die Bonität eines Emittenten44, das geeignet ist, die bei der Anleihefinanzierung auftretenden Kooperationsprobleme abzumildern. Dagegen wird jedoch eingewendet, daß der durch das Credit Rating entstehende Zertifizierungseffekt wegen der eingeschränkten Aktualität dieser Bonitätseinstufungen zeitlich auf die Neuemission von Anleihen beschränkt ist. Kooperationsprobleme, die nach der Anleiheemission auftreten, können durch die Verwendung von Credit Ratings nur begrenzt abgemildert werden45. Dieses Argument zeigt bereits, daß Credit Ratings die bestehenden Kooperationsprobleme nicht vollständig lösen können. Deshalb ist die Verwendung einer weiteren Institution, nämlich einer von einem Anleiheemittenten initiierten Informationspolitik, nützlich und gerechtfertigt, um die Kooperationsprobleme
44 45
Vgl. Steiner/Heinke, Finanzierungstheorie, 1996, S. 613. Vgl. Steiner/Heinke, Finanzierungstheorie, 1996, S. 620.
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weiter zurückzudrängen. Somit wird auch der zweite Ansatz, der eine vom Anleiheemittenten initiierte Informationspolitik durch die Abmilderung der bestehenden Kooperationsprobleme erklärt, nicht durch das Vorhandensein von Credit Ratings beeinträchtigt. Darüber hinaus kann der durch das Rating entstehende Zertifizierungseffekt durch neu auftretende Prinzipal-Agenten-Probleme, die durch die Zwischenschaltung der Rating-Agentur zwischen den Anleiheemittenten und die Anleiheinvestoren entstehen (im Vergleich mit einer direkten Kreditbeziehung), geschmälert werden. Der Anleiheinvestor wird zum Prinzipal der Rating-Agentur, von der er sich eine Minderung der „Schädigungspotentiale“ des Anleiheemittenten erhofft. In der Literatur werden die aus dieser Prinzipal-Agenten-Beziehung resultierenden Kooperationsprobleme, wie z. B. ein mangelnder Arbeitseinsatz der Rating-Agenturen für die Bontiätsbewertung46 oder Gefälligkeitsgutachten47 aufgrund einer Abhängigkeit der Rating-Agenturen, u. a. als Folge der Entgeltpolitik48, breit diskutiert. Diese Probleme werden jedoch durch den für private Rating-Agenturen notwendigen Aufbau von Reputation abgemildert. Die hohe Akzeptanz des Credit Ratings deutet auch darauf hin, daß der zwischen den Agenturen bestehende marktliche Wettbewerb ausreicht, um die skizzierten Probleme stark abzumildern49. Dieser Anreiz kann jedoch beeinträchtigt werden, wenn eine ratingakzessorische Regulierung besteht50. Wegen der mit einer Ratingvergabe verbundenen kapitalmarktrechtlichen Qualifikation besteht selbst dann eine Nachfrage nach Credit Ratings, wenn die Marktteilnehmer den Ratings keinen Informationswert beimessen51. Eine solche Gefahr ist wegen der oligopolistischen Marktstruktur insbesondere bei den von der amerikanischen Aufsichtsbehörde akkreditierten Rating-Agenturen (sog. NRSRO) gegeben, die den Ratingmarkt international dominieren. Sie können, unabhängig von der Güte ihrer Bonitäts-
46 47 48 49 50 51
Vgl. Heinke, Bonitätsrisiko, 1998, S. 222. Vgl. Hoffmann, Einsatzmöglichkeiten, 1991, S. 105; Jahn, Bonitätsindikator, 1995, S. 513. Vgl. Cantor/Packer, Industry, 1994, S. 4. Der Anreiz hierzu nimmt jedoch mit steigender Zahl unterschiedlicher Emittenten ab, die ein Rating nachfragen. Vgl. Randow, Wettbewerb, 1996, S. 558; Pohl, Kapitalanforderungen, 2001, S. 118. Vgl. Pohl, Kapitalanforderungen, 2001 , S. 124ff. Vgl. Cantor/Packer, Credit Standards, 1995, S. 1f.
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einstufungen, mit Ratingaufträgen rechnen52, da ihre Credit Ratings in den USA für Zwecke der Kapitalmarktregulierung anerkannt werden. Sofern der durch Ratings entstehende Zertifizierungseffekt durch solche Kooperationsprobleme beeinträchtigt ist, gewinnt die Notwendigkeit zur gleichzeitigen Durchführung einer Informationspolitik noch stärker an Relevanz, um die zwischen den Anleiheemittenten und -investoren bestehenden Kooperationsprobleme abzumildern. Aus diesen Gründen gilt der bei Vorliegen einer asymmetrischen Informationsverteilung abgeleitete Begründungsansatz auch bei Anleiheemittenten mit Credit Ratings weiterhin. 1.4
Empirische Studien zum Zusammenhang zwischen Informationsbereitstellung und Fremdkapitalkosten
Um die modelltheoretisch abgeleiteten Ergebnisse zu belegen, werden nachfolgend die beiden bislang einzigen Ereignisstudien vorgestellt, die den Zusammenhang zwischen der Qualität der von den Anleiheemittenten offengelegten Informationen und den Fremdkapitalkosten testen. Allerdings testen sie nur die Wirkungen der Informationsbereitstellungen auf die Fremdkapitalkostensätze und damit nur eine der herausgearbeiteten Wirkungen53. SENGUPTA54 untersucht erstmals den Zusammenhang zwischen der Berichtsqualität und den Anleiherenditen und damit auch den für die betrachteten Unternehmen gültigen Fremdkapitalkostensätzen. Als Parameter für Berichtsqualität verwendet sie den jährlich erscheinenden Score Report des Corporate Information Committee der Financial Analysts Federation. Darin wird die Berichterstattung amerikanischer Unternehmen nach ihrer Qualität beurteilt und eingeordnet. Qualitätskriterien sind Zeitnähe der offengelegten Informationen, Informationsgehalt und Klarheit der Berichterstattung55. 52 53
54 55
Vgl. Pohl, Kapitalanforderungen, 2001, S.127f. Studien, die den Zusammenhang zwischen der Informationsbereitstellung und den Eigenkapitalkosten untersuchen, haben eine größere Forschungstradition. Für die Anleihemärkte wurden bisher nur die beiden hier vorgestellten Studien durchgeführt. Sonst finden sich lediglich einige Praxisberichte, die diesen Zusammenhang bestätigen. Vgl. Paul, Instrument, 1996, S. 373ff.; Celarier, Roadshow, 1997, S. 60; Claussen, Fixed-Income-Investoren, 1998, S. 20; Taylor, Emerging Market, 1998, S. 314f.; o.V., Corporate Bonds, 1999, S. 51. Vgl. Sengupta, Debt, 1998, S. 459ff. Vgl. Sengupta, Debt, 1998, S. 462.
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Das verwendete Datensample umfaßt 532 U.S.-amerikanische Anleiheemissionen unterschiedlicher Bonitätsklassen. Die Anleiheemittenten, die diese Schuldtitel begeben haben, publizieren ihre Unternehmensinformationen nach amerikanischen Rechnungslegungsstandards (US-GAAP). Ihre Berichterstattung weist damit eine relativ hohe Mindestqualität auf. Die betrachteten Emissionen weisen zudem mindestens zwei Credit Ratings von Rating-Agenturen auf, die von der amerikanischen Aufsichtsbehörde akkreditiert sind. SENGUPTA bereinigt die Ergebnisse um marktbezogene Faktoren sowie um emittenten- und emissionsspezifische Determinanten, wie z. B. Zinsniveau, Bonität und Rangstellung der betrachteten Anleihen. Danach weist sie einen Unterschied in den Anleiherenditen und damit den Fremdkapialkostensätzen zwischen Unternehmen mit der höchsten Berichtsqualität im Vergleich mit Anleiheemittenten der niedrigsten Kategorie von ungefähr 1,1 Prozentpunkten nach56. Sie zeigt damit den bisher nur für den Aktienmarkt nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Informationsqualität und Kapitalkosten57 erstmals auch für die Anleihemärkte auf. Bei der Interpretation ihrer Ergebnisse ist zu berücksichtigen, daß die Ausgangsberichtsqualität deutscher Anleiheemittenten tendenziell niedriger ist. Deshalb bestehen größere Spielräume für eine Senkung der Fremdkapitalkostensätze. Eine darüber hinaus gehende Reduktion der Fremdkapitalkosten ist aber auch möglich, wenn die Informationspolitik an den Informationsbedürfnissen der Anleiheinvestoren ausgerichtet ist. Bisher gibt es nur geringe Erfahrungen auf diesem Gebiet. Empfehlungen für eine an den Bedürfnissen der Anleiheinvestoren ausgerichteten Informationspolitik werden erstmals in dieser Untersuchung abgeleitet. Darüber hinaus zeigen FRIDSON/GARMAN58 für den amerikanischen High Yield-Anleihemarkt, daß identische bzw. vergleichbare Anleihen sehr große Renditeunterschiede aufweisen können. Obwohl sie die 18 wichtigsten umweltspezifischen59 und emittentenspezifischen60 Faktoren, wie z. B. das Credit Rating 56 57
58 59
Vgl. Sengupta, Debt, 1998, S. 470. Die Erkenntnisse dieser Untersuchung stimmen mit den Ergebnissen von Welker, Disclosure Policy, 1995, S. 801ff., und Botosan, Cost of Equity Capital, 1997, S. 323ff., überein, die den selben Zusammenhang für die Eigenkapitalkosten testen. Vgl. Fridson/Garman, Determinants, 1998, S. 28ff. Folgende umweltspezifische Parameter werden als abhängige Variablen berücksichtigt: Anleihespreads, Zinsstrukturkurve, Ausfallraten im Anleihemarkt, Emissionsvolumen am Aktienmarkt, Emissionskalender als Indikator für Angebotsbedingungen, Zuflüsse zu Investmentfonds als In-
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oder das vorherrschende Zinsniveau, in einer multiplen Regressionsanalyse testen, können sie lediglich 56% der Anleihespreads neu emittierter Unternehmensanleihen im spekulativen Bereich mit diesen Faktoren erklären61. Dies ist bemerkenswert, weil solche Anleihen sehr viel höhere Renditeaufschläge als Anleihen höherer Bonität aufweisen. FRIDSON/GARMAN führen die nachgewiesenen Renditeunterschiede im wesentlichen auf eine unterschiedliche Qualität der Investorenveranstaltungen, die bei Anleihebegebungen durchgeführt werden, und den darin vermittelten Informationen zurück62. Ihre Ergebnisse belegen den Zusammenhang zwischen den von Anleiheemittenten offengelegten Informationen und den Fremdkapitalkostensätzen. Anleiheemittenten können deshalb bei Durchführung einer Informationspolitik eine Reduktion der Fremdkapitalkostensätze erwarten. Beide Studien bestätigen übereinstimmend den modelltheoretisch abgeleiteten Zusammenhang zwischen der Informationsbereitstellung und den Fremdkapitalkosten empirisch.
2
Fremdkapitalgeberspezifische Informationsbedürfnisse
In diesem Kapitel wird zum Nachweis fremdkapitalspezifischer Informationsbedürfnisse mit der Optionspreis- und der Prinzipal-Agenten-Theorie sowohl die neoklassische als auch die neoinstitutionalistische Finanzierungstheorie herangezogen. Die beiden Sichtweisen der modernen Finanzierungstheorie unterscheiden sich in den ihnen zugrundeliegenden zentralen Fragestellungen63. Sie schließen sich aber nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich vielmehr64 und
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61 62
63 64
dikator für die Nachfragebedingungen zum Emissionszeitpunkt, Liquiditätshaltung von Investmentfonds, Zinsveränderung. Folgende unternehmensspezifische bzw. emissionsspezifische Parameter werden als abhängige Variablen getestet: Credit Rating, Rangstellung, Laufzeit und Kündbarkeit der Anleihe, Anleihe mit Kupon oder Nullkuponanleihe, Emissionsvolumen als Indikator für die Marktgängigkeit, Status der Anleihe nach der Rule 144a (aufsichtsrechtlichen Regelung zur Erleichterung der Anleihebegebung), erstmalige oder wiederholte Emission des betrachteten Emittenten, Typ des die Anleiheemission begleitenden Emissionshauses. Das verwendete Datensample umfaßt alle in dem Zeitraum von 1995 bis 1996 neu emittierten Unternehmensanleihen der Ratingklassen BBB+ bis B- (insgesamt 428 Emissionen). Als weiteren mögliche Ursache für die Renditeunterschiede nennen die Autoren die Branchenzugehörigkeit der getesteten Anleihen. Sie messen diesem Faktor aber nur eine geringe Bedeutung bei. Vgl. Fridson/Garman, Determinants, 1998, S. 37. Vgl. Schmidt/Terberger, Finanzierungstheorie, 1997, S. 5ff. Vgl. Krahnen, Finanzwirtschaftslehre, 1993, S. 793ff.
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können deshalb aus unterschiedlicher Perspektive spezifische Informationsbedürfnisse der Fremdkapitalgeber aufzeigen. 2.1
Nachweis auf Basis der Optionspreistheorie
2.1.1 Optionspreistheoretisches Grundmodell Bereits BLACK/SCHOLES65 sowie MERTON66 erkennen in ihren klassischen Arbeiten, daß die Marktwerte von Eigen- und Fremdkapital auch als Optionen auf das Vermögen des betrachteten Unternehmens interpretierbar sind. Auf vollkommenen Märkten entspricht der Marktwert eines Unternehmens der Summe der Marktwerte von Eigen- und Fremdkapital. Ein Unternehmen ist überschuldet, wenn dessen Marktwert den Wert der Verschuldung unterschreitet. Von den Kosten, die bei einer Insolvenz auftreten, wird abstrahiert.
Risiko durch Schwankungen
Ökonomischer Ökonomischer Wert Wert der der Aktiva Aktiva
Eine Eine Krisensituation Krisensituation tritt tritt dann dann ein, ein, wenn wenn Ökonomischer Wert des Fremdkapitals
Wert der Aktiva