Internationalisierung von Staat und Verfassung im Spiegel des deutschen und japanischen Staats- und Verwaltungsrechts [1 ed.] 9783428507863, 9783428107865

In den letzten Jahren ist es zwischen der Europäischen Union und Ostasien zu einem dynamisch wachsenden Dialog und Inter

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Internationalisierung von Staat und Verfassung im Spiegel des deutschen und japanischen Staats- und Verwaltungsrechts [1 ed.]
 9783428507863, 9783428107865

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 153

Internationalisierung von Staat und Verfassung im Spiegel des deutschen und japanischen Staats- und Verwaltungsrechts Herausgegeben von

Rainer Pitschas Shigeo Kisa

Duncker & Humblot · Berlin

Internationalisierung von Staat und Verfassung im Spiegel des deutschen und japanischen Staatsund Verwaltungsrechts

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 153

Internationalisierung von Staat und Verfassung im Spiegel des deutschen und japanischen Staats- und Verwaltungsrechts

Herausgegeben von

Rainer Pitschas Shigeo Kisa

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Internationalisierung von Staat und Verfassung im Spiegel des deutschen und japanischen Staats- und Verwaltungsrechts / Hrsg.: Pitschas, Rainer ; Kisa, Shigeo. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer ; Bd. 153) ISBN 3-428-10786-1

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-10786-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Inhaltsverzeichnis Vorwort

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Verfassungs- und Verwaltungsrecht in Deutschland und Japan vor den Herausforderungen der internationalen Zusammenarbeit Von Rainer Pitschas

11 Erster Teil Verfassungsentwicklung in vergleichender und regionaler Perspektive

Die „Internationalisierung" des deutschen Grundgesetzes - wie weit trägt die Entgrenzung des Verfassungsstaats? Von Ulrich Fastenrath

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Die Öffnung des japanischen Verfassungsstaates gegenüber regionaler und internationaler Verantwortung für Wirtschaft, Sicherheit und Umwelt Von Koji Tonami

79

Die Integration von Verfassungsstaaten und die Grenzen der Öffnung. Diskussion zu den Referaten von Ulrich Fastenrath und Koji Tonami. Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Kathrin Schwalb

93

Verfassungsverantwortung im regionalen Kontext. Die Entgrenzung der japanischen Verfassung aus koreanischer Perspektive Von Joon-Hyung Hong

101

Japan's Leadership Search in Post-Economic Crisis Southeast Asia By David Chee-Meow Seah

115

Diskussion zu den Referaten von Joon-Hyung Hong und David C. M. Seah. Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Ulrike Keller

135

6

Inhaltsverzeichnis Zweiter Teil Entwicklungslinien des Allgemeinen Verwaltungsrechts in Japan und Deutschland

Entwicklungstendenzen des Rechtsstaates und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in Japan aus rechtsvergleichender Sicht Von Bin Takada

145

Die Grundprobleme des japanischen Verwaltungsrechts Von Yuji Onishi

173

Die Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts bei der Modernisierung und Internationalisierung des Staates VonJanZiekow

187

Das Rechtsstaatsprinzip in der Modernisierungs- und Internationalisierungsdebatte. Diskussion zu den Referaten von Bin Takada, Yuji Ohnishi und Jan Ziekow. Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Stefanie Gille

237 Dritter Teil

Ausgewählte Bereiche des Besonderen Verwaltungsrechts im Internationalisierungsprozeß Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland unter europäischem Einfluß Von Franz-Ludwig Knemeyer

245

Grundlegende Reform des örtlichen Selbstverwaltungsrechts in Japan Von Shigeo Kisa

265

Diskussion zu den Referaten von Franz-Ludwig Knemeyer und Shigeo Kisa. Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Florine La Roche-Thomé

283

Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsrecht in Japan vor den Herausforderungen der Globalisierung und der WTO Von Kiminori Eguchi

289

„Europäisierung" des öffentlichen Wirtschaftsrechts in Deutschland und sein Strukturwandel im Zeitalter der Globalisierung Von Reiner Schmidt

297

Diskussion zu den Referaten von Kiminori Eguchi und Reiner Schmidt. Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Alexandra Müller

323

Inhaltsverzeichnis

7

Die Reform des Datenschutzrechts in Deutschland Von Rainer Pitschas

327

Das neue japanische Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz Von Shizuo Fujiwara

337

Diskussion zu den Referaten von Rainer Pitschas und Shizuo Fujiwara. Leitung: Shigeo Kisa Bericht von Jan Lessner

353

Schranken der „Sozialverfassung" des Grundgesetzes für den Ausbau des europäischen Sozialrechts? Von Friedrich E. Schnapp

357

Der Ausbau des Sozialrechts in Japan und die Rolle des Staates in der sozialen Sicherung Von Miyoko Motozawa

377

Das „offene" Prinzip des Sozialstaats im internationalen Verfassungs- und Verwaltungsvergleich. Diskussion zu den Referaten von Friedrich E. Schnapp und Miyoko Motozawa. Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Christian Koch

389

Die Entwicklung des deutschen Umweltrechts als verfassungsgeleitete Umsetzung der Maßgaben supra- und internationaler Umweltpolitik Von Matthias Schmidt-Preuß

397

Lehren aus dem Umweltrecht für das Allgemeine Verwaltungsrecht in Japan Von Ryuji Yamamoto

423

Verzeichnis der Autoren

433

Vorwort Japan rückt Europa näher. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zu ihnen rechnet nicht zuletzt die allgemein wachsende Überzeugung, dass im Zeitalter der Globalisierung die Weltwirtschaft ebenso wie der Schutz der Umwelt und die Sicherung sozialer Lebensbedingungen einen gemeinsamen „set of rules" benötigen. Dessen Gestaltung ist eine politische Aufgabe, die sich auf den Einsatz des Rechts als Steuerungsinstrument angewiesen sieht. Hierfür gilt es, die rechtskulturellen und rechtssystematischen Grundlagen zu prüfen. Es liegt nahe, zu einem solchen Zweck und inmitten der in den letzten Jahren zunehmenden Kooperation zwischen der Europäischen Union und zahlreichen Staaten auf dem asiatischen Kontinent im Rahmen des ASEM (Asia-Europe Meeting) vor allem diesen Teil der Welt und dann Japan in den Blick zu nehmen. Denn gerade Japan sieht sich in Ostasien mit Deutschland zumal auf dem Gebiet des Rechts seit langem eng verbunden. Wer die Rezeption deutscher Rechtsstrukturen durch das Land aufmerksam verfolgt, vermag unschwer den großen Anteil an der Gestaltung des modernen japanischen Rechts- und Verfassungswesens zu erkennen. Eine herausragende Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Rechtstransfer von Deutschland nach Japan auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts. Zahlreiche Fragen schließen an diese Feststellung an. Sie eint die Suche nach Vergewisserung darüber, ob der Prozess der Rezeption heute noch anhält, wie er im einzelnen im Verfassungs- und Verwaltungsrecht verläuft und wie sich gleichzeitig die Entwicklung des öffentlichen Rechts in beiden Staaten unter den Herausforderungen der internationalen Zusammenarbeit gestaltet sieht. Einige der damit näherhin verbundenen Überlegungen bzw. Antworten stellt der hier vorgelegte Sammelband zusammen. In gemeinsamer deutsch-japanischer Herausgeberschaft vereinigt er jene Referate, die zu dem vorbezeichneten Thema Ende Oktober 1999 zunächst mündlich von japanischen und deutschen Rechtswissenschaftlern auf einer internationalen Tagung in Speyer unter Beteiligung namhafter Experten aus Korea und Singapore erstattet worden sind. Neben den deutschen Kollegen, die dankenswerterweise ihre Beiträge in schriftliche Form brachten, erstellten anschließend die ausländischen Kollegen in aufopferungsvoller Arbeit ihre Manuskripte ebenfalls in deutscher Sprache. Wo punktuell notwendig, wurde die Schriftfassung vom deutschen Herausgeber „nachgebessert". Dabei hat sich die ehemalige Speyerer Wissenschaftliche Mitarbeiterin Frau Kathrin Schwalb durch ihre Hilfe große Verdienste erworben. Ebenso gilt der herzliche Dank der Herausgeber den weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der Hochschule Speyer,

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Vorwort

die sich einsatzfreudig um die Tagungsvoraussetzungen, die Gäste und den Tagungsablauf kümmerten. Beispielgebend hat dabei die Koordinatorin des Internationalen Studienprogramms, Frau Gabi Gerhardt, mitgewirkt. Für die abschließenden redaktionellen Arbeiten bedanken wir uns überdies bei Frau Ass. iur. Stefanie Gille sehr herzlich. Im übrigen hat Frau Michaela Busche als Sekretärin des deutschen Herausgebers zahlreiche Schreib- und Korrekturarbeiten übernommen; dafür sei ihr wiederum und auch an dieser Stelle sehr herzlich gedankt. Die Drucklegung wäre gleichwohl nicht zustande gekommen, wenn nicht ein namhafter Druckkostenzuschuss aus den Haushaltsmitteln des Landes Rheinland-Pfalz hätte in Anspruch genommen werden können. Dafür, dass dies möglich war, danken die Herausgeber sehr herzlich dem Herrn Ministerpräsidenten und der Staatskanzlei des Landes Rheinland-Pfalz. Speyer, im Mai 2002

Rainer Pitschas!Shigeo Kisa

Verfassungs- und Verwaltungsrecht in Deutschland und Japan vor den Herausforderungen der internationalen Zusammenarbeit Von Rainer Pitschas I. Internationalisierung der Verfassungen Noch immer prägt die Begegnung souveräner Staaten das Bild der internationalen Beziehungen und die Bemühungen, durch die Entwicklung staatenübergreifender Rechtsregimes und supra- bzw. internationaler Organisationen/Institutionen so etwas wie einen „Internationalstaat" zu formieren. Die in diesem Zusammenhang verbreiteten Vermutungen über die Entstehung eines „Weltstaates" gehen zwar fehl, doch besteht kein Zweifel darüber, dass die bislang von den Einzelstaaten erbrachten Integrationsleistungen künftig in steigendem Maße von der überstaatlichen, supranationalen, aber auch von unterstaatlichen Ebenen wahrzunehmen sind - wenn auch die, wie hinzuzufügen bleibt, souveränen Staaten als maßgebliche Akteure dieses komplex-dynamische Integrationsgeflecht nach wie vor beherrschen werden. Freilich haben sich die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Nationalstaaten mit dem technischen Fortschritt der letzten Jahre und durch den Globalisierungsprozess grundlegend verändert. Entstanden ist eine globale Kommunikationsgesellschaft - auch „Weltgesellschaft" genannt - , in der moderne Kommunikationsund Massenmedien Bilder und Informationen transportieren, Bedürfnisse generieren und soziale Normen vermitteln. Kaum ein Land der Erde ist noch in der Lage, sich und seine Bürger vom „Rest der Welt" abzuschotten. Im wirtschaftlichen Bereich markiert diesen Entwicklungssprung besonders deutlich die Welthandelsorganisation (WTO). Alle Staaten dieser Erde streben ihre Teilhabe am materiellen Entwicklungswohlstand durch Integration in dieses Organisationsmodell der heutigen Weltwirtschaft an. Mit der WTO ist insoweit der Schritt von einer machtorientierten zu einer regelorientierten Aussenhandelspolitik getan. Allerdings dürfen wirtschaftliche Wirkungszusammenhänge nicht isoliert betrachtet werden. Sie stehen in enger Verbindung mit anderen Politikfeldern wie ζ. B. der Umwelt-, Sozial- oder auch Technikpolitik. Freilich ist auch in diesen Handlungssektoren die Zusammenarbeit der Staaten auf der supra- und subnationalen Ebene unabweislich. Grundlage der dadurch bedingten überstaatlichen Zusammenarbeit ist seit langem und immer stärker der Verfassungsstaat westlicher Prägung, der sich in Verbin-

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Rainer Pitschas

dung mit dem Signum einer „good governance" endgültig als globales Entwicklungsparadigma durchgesetzt hat. Zu seinen Kernelementen zählen die demokratische Struktur der Staatlichkeit, (soziale) Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit, Parlamentarismus und die Achtung der Grund- und Menschenrechte. Überdies rechnet die Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit hierzu. Denn sie bestimmt nicht zuletzt, wie sich im Geflecht der Identitäten und Interessen die Nationalstaaten gegenseitig durch zahllose Interaktionen einander zuordnen können. Der Übergang von einer „geschlossenen" zur „offenen" Verfassungsstaatlichkeit prägt in diesem Sinne die Entwicklung der Nationalstaaten. Dies gilt auch und zumal für die staatliche und in der Folge hiervon die staats- und verwaltungsrechtliche Entwicklung sowohl Deutschlands als auch Japans. Mit der Öffnung der Verfassungen „nach außen", also mit ihrer Internationalisierung oder gar Entgrenzung, wird überdies die öffentliche Verwaltung des Naionalstaates einem spezifischen Wandel unterworfen. In der heutigen Situation, in der von Behörden binnen kürzerer Zeit immer komplexere Entscheidung getroffen und Probleme gelöst werden müssen, wäre eine hierarchisch strukturierte, hochformalisierte und i. S. Max Webers verrechtlichte Bürokratie dysfunktional. Erst ein hinreichend modernisierter und ausdifferenzierter öffentlicher Sektor ist in der Lage, den Erfolg rechtsstaatlicher und demokratischer Entwicklungsstrategien zu sichern, die auf den Ausbau marktwirtschaftlicher und zugleich sozialer Strukturen gerichtet sind. Zugleich rufen die Öffnung der Märkte (insbesondere auch für traditionell staatliche Dienstleistungen), der damit einhergehende Konkurrenzdruck und der Wertewandel in der Bevölkerung nach Optimierung der Effizienz staatlicher Dienstleistungen und nach Kostensenkung im öffentlichen Sektor - d. h. nach administrativer Dezentralisierung und der Einführung betriebswirtschaftlicher Prinzipien. In der globalen Entwicklung eines „New Public Managements" spiegelt sich diese Entwicklung wider. Sie ist auch für Deutschland und Japan kennzeichnend.

1. Offene Verfassungsstaatlichkeit

der Bundesrepublik Deutschland

a) Von ihrem Beginn an unterliegt auch die Bundesrepublik Deutschland dieser Entwicklung des gemeineuropäisch-atlantisch gewachsenen Verfassungsstaates. In guter Erinnerung ist hierzu die von Klaus Vogel bereits 1964 geprägte Sicht von der Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit. Verfassungstextlich setzte diese Aussage an Art. 24 Abs. 2 GG an. Aber auch an anderer Stelle, wie etwa in Art. 1 Abs. 2 GG bzw. nunmehr in Art. 23 GG sieht sich das Handeln des deutschen Staates nicht nur in einen völkerrechtlichen Wirkungszusammenhang gestellt, sondern insgesamt dem Konzept des kooperativen Verfassungsstaates überantwortet. Kurz: Die deutsche Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit stellt staatliches Handeln in den skizzierten internationalen Wirkzusammenhang der Verfassungen und sie entwickelt ihrerseits eine Ausstrahlungswirkung auf ausländische Konstitutionen.

Recht im „offenen" Verfassungsstaat

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Dies gilt nicht zuletzt in bezug auf Japan. Der diesbezügliche Wirkungszusammenhang der Verfassungen sowie die Wirkung der deutschen Verfassungsrechtswissenschaft auf Praxis und Lehre der japanischen Verfassung ist wiederholt festgestellt worden. Konkrete Wirkfelder sind im einzelnen die Gestaltungslinien der pluralistischen Demokratie, die Prinzipien des sozialen Rechtsstaates sowie die damit zusammenhängende Verfeinerung bzw. auch Ausdehnung der Staatsaufgaben, das Verhältnis zwischen Staat und Markt, der Umgang mit dem Umweltschutz, die Entwicklung zur Informationsgesellschaft und nicht zuletzt die vielfältigen Formen der Öffnung des Verfassungsstaates nach außen: Zu den Nachbarn in der Region, zur Völkergemeinschaft wie auch zu speziellen Verantwortungsgemeinschaften im Blick auf besondere Entwicklungsstaaten (Nordkorea und die Volksrepublik China einerseits, die mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten andererseits). Die jeweilige Verfassung erweist sich dabei durchweg als Norm und Aufgabe, als Anregung und Schranke. Sie bildet eine Rahmenordnung für die politischen und rechtlichen Beziehungen im Kontext der Kultur. b) Verschiedentlich wird heute der Typus „Verfassungsstaat" in seiner Entwicklung von der „geschlossenen" über die „offene" zur „entgrenzten" Verfassungsstaatlichkeit fortgeschrieben. Dem liegt die Annahme zugrunde, der Prozess der Öffnung des „Souveränitätspanzers" mutiere zu einem solchen der Entgrenzung, wobei sich diese territorial in dem tatsächlichen Wegfall der Binnengrenzen, personell in der Entstehung eigener supranationaler Staatsbürgerschaft und schließlich in dem Hervortreten neuer wirtschaftlicher oder auch kultureller Verdichtungsräume jenseits der territorialen Binnenstruktur eines Staates manifestieren. Es mag sein, dass sich in solchen Prozessen eine neue Qualität des Verfassungsstaates offenbart. Aber sie bleibt doch in dem Verständnis territorial-nationaler Verfassungsstaatlichkeit als ein unaufgebbares Identitätsmerkmal des modernen Staates geborgen. Entgrenzung ist dann nur ein weiteres Element internationaler Öffnung - das sich im eingangs beschriebenen Sinne und besonders im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander innerhalb der Europäischen Union ausgeprägt sieht. So oder so: Sichtbar wird eine Weltgemeinschaft der Verfassungsstaaten. deutsche Grundgesetz öffnet sich in bezug hierauf sowohl universalen Verbundformen als auch weltweiter Mitverantwortung für Verfassungsentwicklung. Dabei bleiben „alte Austausch- bzw. Wahlverwandschaften" (P. Häberle) fruchtbar, insofern sie kulturelle Brückenschläge versinnbildlichen und auch den Wettbewerb der verfassungsstaatlichen Partner zu Dritten - etwa zu Korea - nicht scheuen. Die Grundlage hierfür bildet wiederum und jeweils die staatliche Bedingtheit des Überstaatlichen.

Das

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2. Japan im weltweiten Verantwortungszusammenhang der nationalen Verfassungsstaaten Auch Japan steht in diesem Produktions- und Rezeptionsverbund in Sachen Verfassungsstaat, wie sich bereits an der Präambel der japanischen Verfassung aus dem Jahr 1946 zeigt, in der das Bekenntnis zum „ewigen Frieden" verankert ist. Überdies belegt die in der Nachkriegszeit in Japan stattgefundene Auseinandersetzung um das „Rechtsstaatsprinzip" einerseits und die „Rule of Law" andererseits beispielhaft, dass die im Typus „Verfassungsstaat" geborgene Verantwortungsgemeinschaft von Staaten auch über weitere Räume und Kraft eines Brückenschlags zwischen Kulturen entfaltet werden kann. Der „Verfassungsstaat" erweist sich auf diese Weise sowohl für Japan wie auch für Deutschland als Gegenstand einer gemeinsamen Anstrengung - bei allen kulturellen nationalen Divergenzen. a) Freilich bleibt das Problem des kulturellen Kontextes. Die Verfassungen der Nationalstaaten spiegeln je eigene kulturelle Entwicklungsverläufe. Eine Verfassung ist nicht nur juristischer Text oder normatives Regelwerk, sondern vor allem der Ausdruck eines kulturellen EntwicklungsVerlaufes. So gesehen, können die „westlichen" Elemente des verfassungsstaatlichen Typus nur Bausteine eines eigenen Konzepts für die weitere Entwicklung der japanischen Verfassung und deren Verständnis bereithalten. Dies gilt auch und zumal für die Frage, wie sich die japanische Verfassung in den letzten Jahrzehnten gegenüber dem Einfluss transnationaler und weltweiter ökonomischer, ökologischer, sozialer und informationeller Faktoren geöffnet hat und wie weit diese Öffnung fortgesetzt wird. Selbst die äußerlich „westliche" und in der Konkurrenz zwischen US-amerikanischen und europäischen bzw. deutschen Regelungseinflüssen pendelnde Ausrichtung des japanischen Rechtssystems beruht auf einem „japanischen Kern". Natur und Charakter der japanischen Kultur können für deren Verlauf nicht hinweggedacht werden. b) In diesem Sinne muss sich der Verfassungsstaat, von seinen universalen Elementen wie ζ. B. den Garantien der Menschenrecht, der Demokratie und auch der sozialen Marktwirtschaft und des Umweltschutzes abgesehen, auf den kulturellen Kontext der jeweiligen Region variabel einstellen. So mögen sich auch Grenzen der Rezeption in bezug auf die offene Verfassungsstaatlichkeit ergeben. Zu fragen wäre etwa, ob die Entwicklung eines „asiatischen" Verfassungsstaates langfristig ebenso denkbar ist, wie es heute zum „europäischen Verfassungsstaat" kommen wird. Lassen sich die nationalen Grundrechtsbestimmungen im Lichte der internationalen Menschenrechtsabkommen unbeschränkt auslegen? Hat überhaupt der Begriff der „offenen Staatlichkeit" eine prinzipielle Bedeutung für die Entwicklung der japanischen Verfassung? Für die aus deutschem Verständnis weltweite Verantwortungsgemeinschaft des Verfassungsstaates sind Antworten auf diese Fragen unverzichtbar. c) Es scheint indessen so, als ob das japanische Staats- und Verwaltungsrecht der Entscheidung der japanischen Verfassung für eine offene Verfassungsstaatlichkeit steht. Denn als nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1947 die erste moderne

in

Recht im „offenen" Verfassungsstaat

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Verfassung Japans, die gemeinhin als Meiji-Verfassung bezeichnet wird (1889), durch eine neue Verfassung abgelöst wurde, sahen sich nicht nur die Menschenrechte als „unverletzliche, ewige Rechte" von dieser Verfassung garantiert und zur „ranghöchsten Rechtsvorschrift" erhoben. Auch das Prinzip der „rule of law" wurde - dem US-amerikanischen Einfluss auf die Verfassungsgebung Rechnung tragend - als ein für die japanische Verfassung geltender Rechtsgrundsatz akzeptiert. Zugleich aber sah sich in Auseinandersetzung mit deutschen Überlegungen das Verständnis des Rechtsstaatsprinzips im Sinne eines materiellen und materialen Rechtsstaatsverständnisses modifiziert. Konkretes Ergebnis dessen ist u. a. ebenso die Verabschiedung des japanischen Verwaltungsverfahrensrechts wie die Ausgestaltung des Datenschutzes in Japan. II. Das Verwaltungsrecht im „offenen" Verfassungsstaat 1. Funktionalisierung

des Verwaltungsrechts

Im Zeichen der gegenwärtigen Staats- und Verwaltungsmodernisierung in beiden Staaten liegt es nahe, die Frage nach der Aufgabe des Verwaltungsrechts im Zusammenhang der internationalen Öffnung von Staat und Verfassung in den Mittelpunkt weiterer Überlegungen zu stellen. Freilich ist überkommenem Denken diese Funktionalisierung des Verwaltungsrechts fremd. Seine Regelungskomplexe als situative Steuerungsentwürfe anzusehen, entspricht zwar den Herausforderungen eines neuen Jahrhunderts an das Verwaltungsrecht, befriedigt aber nicht unbedingt die überkommenen Erwartungen in Japan und Deutschland. Gleichwohl wird hier daran festgehalten, dass Verwaltungsrecht ein (limitiertes) Steuerungsmedium darstellt, das der offenen Staatlichkeit und der Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit sowohl in den Außenbeziehungen (ζ. B. als Außenwirtschaftsrecht) als auch „nach innen" gewendet eine entsprechende Wirksamkeit verleiht. Dies gilt dann nicht nur und beispielhaft für das öffentliche Wirtschaftsrecht oder für die Fortentwicklung des Umweltrechts, sondern auch für den Neuzuschnitt der sozialen Sicherungssysteme vor dem Hintergrund des „distanzierten" Wohlfahrtsstaates. Einbeschlossen sind ferner das öffentliche Informationsrecht im Zeitalter des Internet und auch das Kommunalrecht, für das sich der Leitgedanke der „Dezentralisierung" weltweit als Erfolgsgeschichte offenbart. 2. Verfassungsprägendes

Verwaltungsrecht

In diesem Sinne verlässt allerdings das Verwaltungsrecht zu einem Gutteil seine Funktion als bloß konkretisierendes Verfassungsrecht (F. Werner). Beispielsweise entwickelt für Deutschland die Europäisierung des Verwaltungsrechts neue Horizonte, während für Japan schon die Debatte um die Verortung eines materiellen Rechtsstaatsprinzips zeigt, dass der allfällige Gegenwarts- und Zukunftsbezug des

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Verwaltungsrechts seinerseits eben auch das Verfassungsdenken zu befruchten vermag. Dabei besteht freilich ein Kernproblem der Fortentwicklung des verfassungsprägenden Verwaltungsrechts darin, dass hochkomplexe Industriegesellschaften wie Deutschland und Japan ihre Konflikte auf nationaler Ebene nahezu ausnahmslos als Rechtsprobleme definieren und in rechtliche Regelungen überführt haben. Die Bewältigung dieser Rechtsprobleme verändert indessen die Gesellschaft mehr und mehr national, trans-, supra- und international. Daraus entsteht eine neuartige Problemdimension. Denn es werden nunmehr grenzüberschreitend harmonisierte rechtliche Regelungen verlangt, zumindest aber konvergierende rechtliche Lösungen, die das nationale Verfassungs- und Verwaltungsrecht umformen.

III. Entwicklung und Stand des Verwaltungsrechts in Deutschland und Japan Für das Gebiet des Verwaltungsrechts sind solche Problemlagen sinnvoller Weise nach Maßgabe ausgewählter „Referenzgebiete" abzuarbeiten. Betrachtet man die einschlägigen Regelungsfelder, wie z.B. das öffentliche Wirtschaftsrecht, das Kommunalrecht, das Sozialrecht, das Informationsverwaltungsrecht oder auch das Umweltrecht näher, so lassen sich sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in Japan eine Reihe von Entwicklungslinien bei der Öffnung und Flexibilisierung des Verwaltungsrechts gegenüber solchen Sachproblemen erkennen, die international veranlasst sind bzw. für deren Lösung international gültige Maßstäbe bzw. Standards auf der Grundlage von Abkommen bzw. der Rechtsentwicklung durch internationale Organisationen existieren. Dazu gehören, wie bereits angedeutet, das öffentliche Wirtschaftsrecht und das Sozialrecht, aber auch das Umwelt- und Informationsrecht. Ebenso ist das Kommunalrecht in diesem Sinne rechtlichen Entwicklungen unterworfen. Auch für das Allgemeine Verwaltungsrecht ergibt sich aus alledem der Zwang zur Neubestimmung. Denn im Grunde enthält es eine Abstraktion des Besonderen Verwaltungsrechts - oder wie F. Ossenbühl formuliert: „Von ihm enthält es Substanz, Form und Farbe". In der Bundesrepublik Deutschland stellt denn auch dAllgemeine Verwaltungsrecht zu einem Gutteil jenes Feld dar, auf dem sich die Modernisierung des Verfassungsstaates abspielt. Dafür stehen gewandelte Handlungsformen, die rechtliche Steuerung kooperativer Verwaltungsstrukturen, die engere Zusammenführung des öffentlichen und privaten Rechts, aber auch die rechtliche Begleitung neuer Informations- und Kommunikationsweisen sowie die rechtliche Ausformung der Vorsorgefunktion der Verwaltung auf verschiedenen Rechtsgebieten bis hin zum Gesundheitsrecht. Α1Γ dies wird durch die externe und interne Rationalisierung des Rechtsschutzes begleitet. Zugleich kommt es zu einem Umbau der rechtsstaatlichen Verwaltungs-

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organisation, bei dem die Frage des „Personals" von entscheidender Bedeutung ist. Manche anderen Fragen scheinen dagegen eher noch ungelöst, so und vor allem das Problem der Versöhnung rechtsstaatlicher Bindungen des Verwaltungshandelns mit betriebswirtschaftlichen Elementen wie etwa der Kosten- und Leistungsrechnung einerseits, der vertraglichen Stimulierung individueller Leistungsmotivation („Zielvereinbarungen") andererseits. Ähnliche Problemlagen ergeben sich freilich auch in Japan. Sie spiegeln sich bereits in der Entwicklung des Verwaltungsorganisationsrechts, bei dem es zu einer Infragestellung der bisherigen Verantwortungsstrukturen kommt. Ebenso gibt es Anfänge zur Restrukturierung des öffentlichen Dienstrechts. In der Vergangenheit hat überdies eine intensive Aufgabenkritik dazugeführt, dass die größten japanischen öffentlichen Unternehmen in den Bereichen der Bahn, Telekommunikation, Tabak und Salz weitgehend privatisiert worden sind. Zur Debatte stehen darüber hinaus die Handlungsformen der öffentlichen Verwaltung, die Reichweite der kommunalen Dezentralisierung, aber auch die Entwicklung eines eigenständigen Informationsverwaltungsrechts wie in Deutschland.

IV. Das öffentliche Recht in Deutschland und Japan im Zeichen der Staats- und Verwaltungsmodernisierung 1. Der moderne Staat als Verwaltungsstaat Zwischen der Entstehungsgeschichte von Nationalstaaten und dem Wachstum öffentlicher Bürokratien besteht ein enger Zusammenhang, der heute im Strukturwandel vieler Staaten und im Zuge ihrer internationalen Öffnung die Frage aufwirft, ob Bürokratie noch immer als Prototyp moderner Verwaltung und das Verwaltungsrecht noch immer als ein „bürokratisches Recht" angesehen werden dürfen. Die Frage scheint nunmehr beantwortet: Gedanken und Terminologie eines „New Public Management" bzw. eines „Lean Management" dringen zunehmend in die Amtsstuben ein - und sie verändern das Staats- und Verwaltungsrecht. Die weltweite Verwaltungsmodernisierung, häufig als eine Mischung des Verwaltungshandelns aus neo-liberaler Ökonomie, Managerialismus und der Veränderung des Bürgers zum „Kunden" gekennzeichnet, stellt die Verantwortung und zugleich die individuelle Verantwortlichkeit der Amtswalter in den Mittelpunkt von Reformstrategien. Daran knüpft die Fortschreibung des Verwaltungsrechts jedenfalls in denjenigen Staaten an, in denen öffentliche Verwaltung nicht nur - wie weitgehend in den USA - auf die Grundlagen von Managementstrategien, sondern auch auf die des Rechts gestellt ist. Dem Übergang zu einem „Neuen Verwaltungsmanagement" gesellt sich mithin ein „Neues Verwaltungsrecht" zu. Auf der Programmebene etabliert sich immer mehr ein „offenes Recht", das reflexiv wirkt und zugleich sog. Intentionalprogram2 Pitschas/Kisa

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me enthält, die von den Verwaltungsbehörden autonom umzusetzen sind. Dem Staat bleiben die Steuerungsaufsicht und die GewährleistungsVerantwortung. Auf der Organisationsebene hat diese Zunahme der Verwaltungsverantwortung in Gestalt einer prinzipiellen Informations- und Steuerungskompetenz zur Dezentralisierung der deutschen Verwaltung sowie zur Verselbständigung von Verwaltungsträgern hierzulande geführt. Daneben lässt sich eine ausgreifende Dekonzentration von Behörden feststellen. Auf der Verfahrensebene kommt es zugleich zu einer intensiven Beteiligung der Bürger, die dem wachsenden Bürgerengagement entspricht. Schließlich haben sich auch auf der Personalebene der öffentlichen Verwaltung in Deutschland mit dem Ausbau der technischen, sozialen und ökologischen Realisation tiefgreifende Veränderungen ergeben. 2. Verwaltungsreformpolitik

in Japan

Auch in Japan hat sich diese Entwicklung vollzogen. Ihr vorauf ging ein ständiges Wachstum der Verwaltungsaufgaben, das zugleich mit einer umfassenden Differenzierung der Verwaltung nach Funktionsbereichen verbunden war. So hatte sich schon Mitte der sechziger Jahre der Umweltschutz als eine wichtige Aufgabe der japanischen Verwaltung offenbart. Seit Beginn der achtziger Jahre wird die verwaltungsrechtliche Steuerung der japanischen Informationsgesellschaft vertieft. Gleichermaßen sah sich nach 1975 in Japan die Lehre von der Bürgerbeteiligung an Verwaltungsangelegenheit stark vorangetrieben. Sie befruchtete zugleich die Diskussion um das Verwaltungsverfahrenrecht. Mit alledem gingen in der Nachkriegszeit immer wieder Versuche zu strukturellen Verwaltungsreformen einher. In den neunziger Jahren hat die Verwaltungsreformpolitik in Japan eine neue Qualität erreicht. Mögen auch Spötter urteilen, dass es nunmehr um „mehr Strategien und weniger Fortschritt" gehe, so ist doch nicht zu übersehen, dass die Reformvorhaben der japanischen Regierung seit 1993 die weltweite Tendenz zum effizienten Staat aufgegriffen haben. Die darauf zentrierten Versuche zur Staats- und Verwaltungsmodernisierung in Japan haben das Wahlverfahren zum Parlament, die politische Korruption, die Steuerentlastung und das Haushaltsdefizit in den Mittelpunkt gerückt. 3. Gleichklang der Modernisierungsthemen Mustert man die Themen im einzelnen durch, so ergibt sich ein überraschender Gleichklang zu den Modernisierungsthemen in der deutschen Verwaltungsreformdebatte. Dies verwundert letztlich auch nicht. Denn die Rekonstruktion der Staatsfunktionen im modernen Staat erweist sich nicht nur in Japan und Deutschland als eine zukunftsorientierte Pflichtaufgabe, sondern sie wird allseits und im Zusammenhang offener (Verfassungs-)Staatlichkeit sowie des dieser innewohnenden Effi-

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zienz- bzw. Rationalitätsgebotes, internationale Entwicklungen in die jeweils nationale Modernisierung einzubeziehen, unvermeidbar. Freilich bleiben regionale Unterschiede zu berücksichtigen. Mag auch die interne Rationalisierung des öffentlichen Sektors im Sinne von Effektivität und Effizienz zu Beginn des neuen Jahrtausends parallel laufen, so sind doch in den hier betrachteten Staaten die kulturell verschiedenen Ausgangspositionen in jedem Fall zu berücksichtigen. Verantwortung und Verantwortlichkeit stehen in Japan in einem anderen kulturellen Kontext als dies in der individualitätsgeprägten Kultur mitteleuropäischer Staaten wie jener der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. Die Unterschiede lassen sich etwa sehr deutlich im jeweiligen Verwaltungsorganisationsrecht entdecken. V. Aktueller Vefassungs- und Verwaltungsrechtsvergleich An diese Ausgangslage knüpften die nachfolgenden Beiträge des Sammelbandes an. Während sich sein erster Teil den Verfassungen und deren Entgrenzungen zuwendet, wobei auch regionale Bewertungen hierzu aus Korea und Singapur intensiv einbezogen werden, geht es im zweiten Teil um Probleme des Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrechts, in die Reflektionen über die Problematik der WTO und aus deutscher Sicht zur Europäisierung des Verwaltungsrechts eingewoben sind. Ferner sehen sich ausgewählte Bereiche des Besonderen Verwaltungsrechts und vor allem das Kommunalrecht, Wirtschaftsrecht, Umweltrecht, Informationsund Sozialrecht einer rechtsvergleichenden Betrachtung unterzogen. 7. Offene Verfassungsstaatlichkeit

in Japan und Deutschland

a) Die Tagung wurde durch Vorträge von Koji Tonami (Tokio) zum Thema „Die Öffnung des japanischen Verfassungsstaates gegenüber regionaler und internationaler Verantwortung für Wirtschaft, Sicherheit und Umwelt" einerseits sowie von Ulrich Fastenrath (Dresden) zum Thema „Die Jnternationalisierung' des deutschen Grundgesetzes - wie weit trägt die Entgrenzung des Verfassungsstaates?" andererseits eröffnet. Beide Vorträge verdeutlichen den weltweiten bzw. regionalen Verantwortungszusammenhang des nationalen Verfassungsstaates und die daraus resultierende Herausforderung, von einer „geschlossenen" zur „offenen" Verfassungsstaatlichkeit mit der Anerkennung einer Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit überzugehen. Verfassungsmethodisch geschieht dies in Deutschland freilich anders als im Kaiserreich Japan: Während es hierzulande in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu Grundgesetzänderungen kam, die einer sich verändernden Realität der grenzüberschreitenden Staatlichkeit prozeßhaft Rechnung zu tragen suchen, gibt es in der 50-jährigen Geschichte der japanischen Verfassung bisher keine Verfassungsänderung zu verzeichnen. Verantwortlich hierfür ist die unterschiedliche Auffassung über Interpretation und Auslegung von Verfassungsrecht. Zwar gilt es auch in Japan 2*

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zunehmend als unabweisbar, dem Anforderungswandel an die Verfassung durch eine flexible Interpretation zu begegnen. Dahinter steht indessen ein anderes Bild von Rechtsstaatlichkeit, das Vorrang und Vorbehalt des (Verfassungs-)Gesetzes nicht in dem Sinne interpretiert, daß es für jeden verfassungsrechtlichen Verständniswandel einer formell und materiell ausgeformten Änderungsnorm bedürfte. Vor diesem Hintergrund verweist der japanische Vortrag speziell auf den gegenwärtig aktuellen Streit um die erste angestrebte Änderung der japanischen Wehrverfassung. Dabei geht es um das verfassungsrechtliche Verbot, sich militärisch zu betätigen (Art. 9 JV). Tonami widmet sich ausgiebig dem Anliegen der diskutierten Verfassungsänderung, das Bestehen der japanischen Selbstverteidigungstruppen verfassungsrechtlich zu legitimieren bzw. Einsätze in Übersee zu ermöglichen. Seine hierzu vorgetragenen Überlegungen verdeutlichen, daß die Diskussion um die Verfassungsänderung in einem derart sensiblen Bereich eine Stellvertreterfunktion zugewiesen erhalten hat: Im Raum steht die Frage, inwieweit nicht der Mangel einer prinzipiellen Verfassungsentscheidung für die internationale Zusammenarbeit den japanischen Verfassungsgesetzgeber dazu zwingt, punktuelle Verfassungsänderungen anzustreben und auf diese Weise eine offene Verfassungsstaatlichkeit des Kaiserreichs Japan herbeizuführen. In diesem Sinne erweist sich Art. 9 Japanische Verfassung (JV) für die Diskussion als besonders geeignet, weil aus japanischer Sicht in der Außen- und Sicherheitspolitik durch das Ende des kalten Krieges der Bedarf wächst, gemeinsam mit anderen Staaten militärische Kräfte zu bündeln und jenseits der eigenen Grenzen einzusetzen, um gegen Krisenfälle bzw. Verstöße gegen das Völkerrecht vorgehen zu können. Im Verlauf seines Referats führt Tonami aus, daß den Erwartungen, der Beteiligung japanischer Truppen an internationalen Einsätzen würde ein positiver außenpolitischer Effekt erwachsen, die Besorgnis negativer Wirkungen auf die benachbarten Regionalstaaten gegenübersteht, wie sie sich aus der Zeitgeschichte und den Erinnerungen an die japanische Militärinvasion im Zweiten Weltkrieg erklärt. Wie weit demgegenüber die Entgrenzung der deutschen Verfassung bereits fortgeschritten ist, macht das Referat von Fastenrath deutlich. Er hebt vor allem die bereits vielfach vorhandenen internationalen Verflechtungen hervor, die weithin durch das deutsche Grundgesetz aufgegeben bzw. legitimiert würden. Dabei sieht sich die Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) und die daraus erfließende Unionsbürgerschaft mit den an sie gebundenen Rechten und Pflichten ebenso genannt wie der Gemeinsame Binnenmarkt und dessen ökonomische Auswirkungen. Fastenrath kennzeichnet überdies die Ordnungsbemühungen des entstehenden „Weltstaates", etwa im Rahmen der „World Trade Organization"; hier würden Hoheitsrechte auf zwischen- bzw. überstaatliche Einrichtungen übertragen, woraus Kompetenz- und Einflußverluste der Nationalstaaten resultierten. Insgesamt läßt der Referent den Übergang vom „geschlossenen" zum „offenen" Verfassungsstaat und zu einer Internationalisierung des deutschen Grundgesetzes mit den daraus ersprießenden Folgewirkungen erkennbar werden.

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Dagegen nahm bislang die japanische Verfassungsentwicklung einen anderen Verlauf. Das Problem der Eingliederung in eine überstaatliche Gemeinschaft stellte sich bisher nicht und auch ein entsprechend verpflichtender Schritt im Rahmen asiatischer Allianzen (ASEAN, APEC, ASEM) ist weiterhin nicht in Sicht. Welche Probleme in diesen Fällen zu erwarten wären, zeigt nach Ansicht Tonamis der Streit um die Änderung des Art. 9 JV. Der Referent prognostiziert, daß Überlegungen zu Verfassungsänderungen in Japan in dem Maße zunehmen werden, in dem sich die wirtschaftliche und politische Perspektiven nachhaltig verändern. Dies meint insbesondere ein ökonomisch intendiertes Wachstum an Vertrauen der anderen asiatischen Staaten in Japan und damit einhergehende supranationale rechtliche Anforderungen. Umgekehrt wird für Deutschland und Japan gleichermaßen ersichtlich, daß durch die zunehmende internationale Zusammenarbeit und intensive Globalisierung der Einfluß des Nationalstaates schwindet. Viele Probleme können jedenfalls, so argumentieren beide Referate übereinstimmend, nicht mehr nur national gelöst werden. Dies zeige sich, wie die Referenten übereinstimmend erklären, am Beispiel der Umweltzerstörung, der Entstehung internationaler wirtschaftlicher Machtpositionen oder auch im Rahmen des Wachstums der „Internet-Governance". Entsprechende Kontrollen lassen sich nach ihrer Ansicht nur noch durch internationale Strukturen und ein globales Denken erreichen, zu dem vor allem Japan in noch weitaus stärkerem Maße finden müsse. b) Die beiden anschließenden Referate kommen in diesem Zusammenhang zu dem Ergebnis, daß die dominante Rolle des Kaiserreichs Japan in Südost-Asien der Entwicklung zu einer regional definierten Verantwortungsgemeinschaft für die Wirtschafts-, Umwelt- und sonstige Entwicklung partiell entgegensteht. Ein insoweit kritischer Grundton prägt sowohl das Referat von Joon-Hyung Hong (Seoul) mit dem Thema „Verfassungsverantwortung im regionalen Kontext. Die Entgrenzung der japanischen Verfassung aus koreanischer Perspektive" als auch das Referat von David C. M. Seah (Singapore) über „Japans Leadership Search in Post-Economic Crisis Southeast Asia". Beide Vorträge analysieren zunächst die Entwicklung der japanischen Wirtschaft im regionalen Zusammenhang mit ihren ökologischen, sozialen und informationellen Wechselwirkungen, von denen auch das japanische Staats- und Verwaltungsrecht betroffen sei. Sie halten fest, daß in diesem Zusammenhang Japan eine große Verantwortung für die Gestaltung der künftigen politischen Verhältnisse im asiatischen Raum auferlegt werde. Die Referenten betonen allerdings, daß kooperierende Wohlfahrtstaatlichkeit statt reiner Marktherrschaft und anstelle einer Anarchie des Kapitals das ökonomisch ausgewogene Verhältnis des Kaiserreichs zu seinen Nachbarstaaten die Zukunft bestimmen müßte. In interessanter Übereinstimmung diagnostizieren die beiden Referenten ferner, daß die große japanische Dominanz in Südost-Asien sowie die historischen Belastungen, aber auch die Erfahrungen mit dem Finanzgebaren Japans in der sog. AsienKrise einer harmonischen regionalen Entwicklung eher abträglich gewesen wären. Gerade das japanische Verhalten in der Asienkrise ließe, so meint Seah, eine ein-

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heitliche Markt- und Wettbewerbspolitik in der Region in weite Ferne rücken. Japan verhalte sich, so lautet sein Vorwurf, viel zu „amerikanisch-kapitalistisch"; es sei eben noch auf der Suche nach seiner eigentlichen Rolle. Dabei stelle sich, so resümiert namentlich Seah, für die Nachbarstaaten die spannende Frage, ob Japan eine Art regionales Bewußtsein gegenüber einer globalisierten Welt und in diesem Sinne „leadership" entwickeln könne. c) Diese Unsicherheit der Nachbarstaaten wird - wie sich aus der Diskussion ergibt - , in Japan durchaus wahrgenommen und teilweise sogar verstanden. Eine gewisse Verantwortung für die Situation sieht sich dabei der Verfassungsgerichtsbarkeit, die ihre Verfassungsinterpretation einem zu starken „judicial self-restraint" unterordne, zugewiesen. Dementsprechend werden zumal in Japan die Beiträge der in Korea erstarkten Verfassungsgerichtsbarkeit zur Verfassungsentwicklung hoch eingeschätzt; entsprechende Entwicklungen würden für das Kaiserreich Japan erhofft. Weitere Überlegungen zu der eigenen Identität und Rolle, damit aber auch zur Richtungsfindung hinsichtlich erwarteter Veränderungen in Japan unter dem Stichwort „Back to Asia" stehen am Ende dieser Tagungssequenz.

2. Das Allgemeine Verwaltungsrecht Zwischen der Entstehungsgeschichte von Nationalstaaten und dem Wachstum öffentlicher Bürokratien besteht ein enger Zusammenhang, der heute im Strukturwandel vieler Staaten und im Verlauf ihrer internationalen Öffnung die Frage aufwirft, ob „Bürokratie" noch immer als der Prototyp moderner Verwaltung und das Verwaltungsrecht noch immer als „bürokratisches Recht" angesehen werden müssen. Vor dem Hintergrund der Modernisierungsprozesse in beiden Staaten lag es deshalb nahe, die Frage nach der Aufgabe des Verwaltungsrechts im Zusammenhang der internationalen Öffnung von Staat und Verfassung an den Beginn weiterer Überlegungen zum Rechtsvergleich zu stellen. In der Bundesrepublik Deutschland stellt dabei nicht zuletzt, wie schon eingangs ausgeführt, das Allgemeine Verwaltungsrecht zu einem Gutteil jenes Feld dar, auf dem sich die Modernisierung des Verfassungsstaates abspielt. Ähnlich liegen die Dinge in Japan, wie bereits die Entwicklung des Verwaltungsorganisationsrechts zeigt, bei dem es zu einer Infragestellung der bisherigen Verantwortungsstrukturen innerhalb des öffentlichen Dienstes kommt. Ebenso gibt es Ansätze zur Restrukturierung des öffentlichen Dienstrechts. In der Vergangenheit hat überdies eine intensive Aufgabenkritik stattgefunden. a) Vor diesem Hintergrund weckt der Vortrag eines der „großen" japanischen Verwaltungsrechtswissenschaftler, Prof. Dr. Bin Takada (Osaka), zu dem Thema „Entwicklungstendenzen des Rechtsstaates und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzesvorbehalts in Japan aus rechtsvergleichender Sicht" herausragendes Interesse. Die Ausführungen von Takada verweisen zunächst auf bekanntes, nämlich auf die Herausbildung des materiellen Rechtsstaats

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in Japan in enger Anlehnung an die deutsche rechtsstaatliche Entwicklung, so daß der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung die Grundlage für das Entstehen allen weiteren Verwaltungsrechts bildet. Dabei sichert die Verfassungsgerichtsbarkeit die Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung. In der Phase der Re-Strukturierung des japanischen Kaiserreichs nach 1955 wurde die anhaltende Parallelisierung der deutschen und japanischen Rechtsentwicklung dadurch bewirkt, daß es zu einer Weiterentwicklung des bürgerlichen Rechtsstaates zum sozialen Rechtsstaat kam. Zeitversetzt ist dann auch in Japan die Wesentlichkeitstheorie unter Rückgriff auf die deutsche Lehre des Eingriffs- und Totalvorbehalts zu Bedeutung gelangt. Takada wirft in der Konsequenz dieser Entwicklung am Ende seines Vortrags die Frage nach dem Abschied für ein Staatsdenken auf, das bislang hauptsächlich durch das Rechtsstaatsprinzip geprägt worden sei und das nunmehr versuchen müsse, die Internationalisierung des Verwaltungsrechts zu ermöglichen. b) Die Referate von Jan Ziekow (Speyer) zum Thema „Die Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts bei der Modernisierung und Internationalisierung des Staates" einerseits und von Joji Ohnishi (Sapporo) über „Die Grundprobleme des Allgemeinen Verwaltungs- und des Verwaltungsorganisationsrecht in Japan" andererseits rahmen das Grundsatzreferat von Bin Takada sodann ein. Beide Vorträge verdeutlichen einmal mehr, daß Vergleichung im öffentlichen Recht nicht allein nach den komparatistischen Maßstäben des Zivilrechts verfahren darf. Infolge der Bindung des öffentlichen Rechts an die politische Ordnung des Gemeinwesens fließen vielmehr Erkenntniszwecke und rechtspolitische Zwecke bei der Rechtsvergleichung ineinander. In diesem Sinne unterstreichen beide Vorträge, daß der Vergleich verwaltungsrechtlicher Institute eine erhebliche rechtspolitische Dimension habe und Vergleichung im öffentlichen Recht immer auch der Einbettung in den politisch-funktionalen und sozio-kulturellen Kontext bedürfe. Aus deutscher Perspektive spielt für die Analyse der gegenwärtigen Verwaltungsrechtsentwicklung die Debatte um die Verwaltungsmodernisierung eine erhebliche Rolle. Ziekow konstatiert, daß sich im Zuge der Globalisierung ein Funktionswandel der öffentlichen Verwaltung im trans- und supranationalen Raum vollziehe. Die EU bilde dabei ein Beispiel kooperativer Vernetzung, der gegenüber das jeweilige nationale Verwaltungsrecht seine Anpassungs- und Rezeptionsfähigkeit nachzuweisen hätte. Dementsprechend nehme das deutsche Verwaltungsrecht den Charakter einer ausfüllungsbedürftigen Rahmenordnung für die Trans- und Internationalisierung der deutschen Verwaltung an. Von solchen Internationalisierungstendenzen ist dagegen das japanische Verwaltungsrecht noch weit entfernt. Nach wie vor spielt die Frage der Gewaltenteilung zwischen einer starken Exekutive und einer schwach ausgeprägten bzw. agierenden Verwaltungsgerichtsbarkeit eine große Rolle. Ebenso steht das informale Verwaltungshandeln („Gyoseishido") nach wie vor in der Diskussion, wie Ohnishi darlegt. Unter Modernisierungsgesichtspunkten findet sich darüber hinaus das anhaltende Problem der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den einzelnen Ministerien,

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das zu Schwierigkeiten der Koordination von Entscheidungsprozessen führe, diskutiert. Mit Blick hierauf und auf weitere Problemlagen entfaltet das deutsche Verwaltungsrecht, so zeigt die Diskussion, insgesamt eine große Signalwirkung für das japanische Recht. Deutlich wird überdies, daß sich mit dem wandelnden Staats Verständnis auch die dogmatischen Vorstellungen über die Eingriffs- und Leistungsverwaltung ändern. Selbst in Japan wird im übrigen nicht angezweifelt, daß eine Verwaltungsmodernisierung unabweisbar ist, die mit erheblichen Folgen für das Verwaltungsrecht verbunden sein dürfte. 3. Das Besondere Verwaltungsrecht Während das Allgemeine Verwaltungsrecht vorwiegend systemischen Charakter aufweist, indem es die in einzelnen Verwaltungsrechtsgebieten für bestimmte Problemlösungen entwickelten Rechtsfiguren zusammenfaßt und komprimiert, also gleichsam „speichert", um mit dieser Leistung der öffentlichen Verwaltung allgemein und auf allen Rechtsgebieten gleichermaßen einsetzbare rechtliche Instrumente an die Hand zu geben, bleiben die konkretisierenden Problemlösungen in der Praxis den einzelnen „Referenzgebieten" des Verwaltungsrechts überantwortet. Betrachtet man diese Regelungsfelder näher, so lassen sich sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in Japan eine Reihe von Entwicklungslinien der Öffnung und Flexibilisierung des (Besonderen) Verwaltungsrechts gegenüber solchen Sachproblemen erkennen, die international veranlaßt sind (Stichwort: Umweltrecht) bzw. für deren Lösung international gültige Maßstäbe bzw. Standards existieren (Stichwort: Sozialrecht). Dazu gehören u. a. das öffentliche Wirtschaftsrecht und das Sozialrecht, aber auch das Umwelt- und Informationsrecht. Ebenso ist das Kommunalrecht in diesem Sinne rechtlichen Entwicklungen unterworfen. a) Das Kommunalrecht wird dabei nachfolgend in zwei selbständigen großen Referaten behandelt. Einerseits trägt F. L. Knemeyer (Würzburg) seine Überlegungen über die „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland unter europäischem Einfluß" vor. Auf der anderen Seite stellt Shigeo Kisa (Sapporo) „Die große Reform des Kommunalrechts in Japan" dar. Die Entwicklung des Kommunalrechts in der Bundesrepublik Deutschland wird vor allem, so zeigt sich, zunächst durch die europäische Integration beeinflußt. Diese führt zu einem wachsenden Bedeutungsverlust der Kommunen in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Hoffnung vermittele allenfalls, so argumentiert Knemeyer; der Ausschuß der Regionen bzw. die Europäische Kommunalcharta, die dafür sorgen sollen, daß die kommunale Selbstverwaltung in Europa gestärkt werde und das Subsidiaritätsprinzip auf die kommunale Ebene verlängert werde. Gegenwärtig bliebe allerdings der europäische Standard noch hinter dem des deutschen Kommunalrechts zurück, weil die EU weitestgehend „kommunalblind" sei. Diese gälte es nach Ansicht von Knemeyer gerade im Hinblick auf die Wirkungsweise des New Public Management mit der ihm eingelagerten Dezentralisierungsvorstellung zu ändern, um eine Stärkung der Kommunen zu erreichen.

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Damit ist auch die Frage nach der Modernisierung des Kommunalrechts unter verschiedenen Gesichtspunkten angesprochen. Zum einen wäre das Verhältnis zwischen Staat und Kommunen neu zu ordnen. Während dabei in Deutschland Probleme der Einflußnahme durch die Staatsaufsicht einerseits und die Zügelung der Personalautonomie andererseits (z.B. Stellenobergrenzen im Zusammenhang der Verwaltungsmodernisierung) eine Rolle spielen, agieren in Japan die Kommunalverwaltungen bislang und zum großen Teil ohne eigenen Befugnisse in kommunalen Angelegenheiten . Sie verfügen lediglich über eine begrenzte Selbständigkeit, weil sie in erster Linie delegierte zentralstaatliche Aufgaben zu erfüllen haben. Demensprechend stellt sich in Japan seit langem die Aufgabe, das Verhältnis übertragener und eigener kommunaler Angelegenheiten neu zu definieren. Dies betrifft auch und zugleich die Rolle der kommunalen Finanzen, die in beiden Staaten gegenwärtig stark umstritten ist. An diesen Punkt knüpft das Referat von Kisa an. Er geht näher auf das in Japan zum 1. April 2000 in Kraft getretene Gesetz zur Dezentralisierung ein, das die kommunale Selbstverwaltung von Grund auf verändern werde. Grundsätzlich sei, so berichtet Kisa, die kommunale Selbstverwaltung in der japanischen Verfassung (Abschnitt 8) garantiert. Ausgestaltet werde diese Garantie durch das Kommunalselbstverwaltungsgesetz, welches u. a. dazu ermächtige, eingreifende Satzungen zu erlassen, die auch Grundrechte der Bürger beeinträchtigen dürften. Gebe es dadurch an sich eine starke Selbstverwaltung, so handele sie doch in vielen Fällen nur als Ausführungsorgan für die Zentralregierung. Die Kommunen unterliegen nämlich, wie Kisa ausführt, zahlreichen zentralstaatlichen Weisungen; ihre Finanzhoheit sei gravierend eingeschränkt. Zwar gebe es Ausgleichszahlungen für die Wahrnehmung solcher Aufgaben, die namens der Zentralregierung erfüllt würden. Dennoch bestehe kaum eigener Finanzspielraum. Die Reform der Selbstverwaltung solle deshalb nunmehr, wie Kisa erläutert, zu einer Verringerung der staatlichen Intervention bzw. Aufsicht im kommunalen Bereich führen. Die sog. Organauftragsverwaltung werde abgeschafft - ohne allerdings nennenswert eine Selbstverwaltung durch Bürger („Bürgerengagement") zu kreieren. Die angestrebte rechtliche Autonomie stellt sich freilich nach Ansicht von Kisa nicht nur insoweit für die Kommunen als eine schwierige Aufgabe dar. Vor allem müßten diese lernen, mit der zugewiesenen neuen Verantwortung tatsächlich umzugehen und das neue System den Bürgern auch nahezubringen. Abträglich sei hierfür, so meint Kisa, daß bisher keine nennenswerte Stärkung der bürgerschaftlichen Rechte und keine Intensivierung der kommunalen Verantwortung vorgesehen würden. b) In Japan steht nicht nur die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Staat und Kommunen auf der Tagesordnung, sondern es gilt auch - wie die voraufgegangenen Hinweise bereits hervorhoben - , das Verhältnis von Staat und Wirtschaft neu zu verorten. Die „Globalisierung" der Wirtschaft gehört heute zu den prinzipiellen Herausforderungen an die Wettbewerbsfähigkeit nationaler Volkswirtschaften. Diese Entwicklung läßt im jeweiligen Heimatstaat eine hochdifferenzierte „neue" Part-

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nerschaft von Staat und Wirtschaft erkennbar werden. Dabei geht es nicht nur um die rechtliche Neuordnung der außenwirtschaftlichen Beziehungen, etwa im Zeichen der WTO. Ebenso sind im nationalstaatlichen Binnenverhältnis die beiderseitigen Beziehungen zu restrukturieren. So wird ζ. B. regionale Strukturpolitik mit Blick auf die Sicherung der Arbeitsplätze zu einer gemeinsamen Veranstaltung von Staat, Kommunen, Wirtschaft und sozialen Verbänden. Zu diskutieren ist darüber hinaus die Verlagerung der staatlichen Handlungsverantwortung auf die Privatwirtschaft - selbst für öffentliche Versorgungsangebote. Deregulierung und Privatisierung bilden in diesem Sinne leitende Ziele einer Rechtsmodernisierung, die sich in Deutschland wie in Japan der Frage nach der Gewährleistungsverantwortung des Staates und deren Betätigung durch eine veränderte staatliche Wirtschaftsaufsicht zu stellen hat. Der Vortrag von Kiminori Eguchi (Tokio) zu dem Thema „Das japanische Wirtschaftsrecht vor den Herausforderungen der Globalisierung und der WTO" greift aus dieser agenda das japanische Antimonopolgesetz als ein wichtiges Thema der japanischen Wirtschaftsverfassung heraus. Die Ausführungen erhellen, daß sich Japan vor allem im Wirtschaftssektor außerordentlich intensiv an internationalen Rahmenbedingungen orientiert. Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich, so betont Eguchi, in erster Linie durch die weltwirtschaftliche Ausstrahlung auf Japan. Die japanische Wirtschaft würde sehr schnell an ihre Grenzen stoßen, wollte sie sich etwa gegen Importe durch internes Unternehmens Wachstum nachhaltig abschotten. Deshalb sei die Debatte um die Reform des Antimonopolrechts ein sehr wichtiges Thema der Wirtschaftsverfassung. Freilich bilde die Effektivität der staatlichen Fusionskontrolle immer wieder ein unerschöpfliches Feld. So ließe sich ζ. B. an der Entwicklung im Finanzsektor erkennen, daß die ausgreifende Wirtschaftsliberalisierung die staatlichen Kontrollbefugnisse viel zu stark minimalisiert habe. Um jedoch einen noch freieren Wettbewerb zu ermöglichen, werde staatliche Einflußnahme, so meint Eguchi, zunehmend durch die Anforderungen der internationalisierten Wirtschaft zurückgedrängt. Ähnliche Entwicklungen, freilich auf einer früheren Stufe des Globalisierungsprozesses, glaubt für Deutschland der Vortrag von Reiner Schmidt (Augsburg) zur „Europäisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts in Deutschland und sein Strukturwandel im Zeitalter der Globalisierung" erkennen zu können. Denn im Mittelpunkt der deutschen Diskussion, so äußert der Referent, stehe noch nicht so sehr die WTO und damit der Welthandel, sondern vielmehr die davorliegende Stufe der Wirtschaftsentwicklung in der EU. Dabei wohne der deutschen Verfassung im Hinblick auf die Belange der Wirtschaft eine unvergleichliche „Entwicklungsoffenheit" inne, die sich komplementär mit den europäischen Prinzipien des Gemeinsamen Binnenmarktes und des freien Wettbewerbs ergänze. Freilich bleibe es das Ziel der deutschen Entwicklung im Rahmen der EU, über die Wirtschafts- und Währungsunion auch die Internationalisierung voranzutreiben. Bei aller wettbewerblichen Öffnung müsse aber, so meint Schmidt, auch die sozialstaatliche Tradition bedacht

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werden, die in der Gemeinschaft durch die soziale Dimension der Integration einen Kohärenzrahmen vorfinde. Der Integrationsprozeß strebe deshalb nicht nur den freien, sondern auch den sozialgebundenen Wettbewerb an. c) Unter der neuen Verfassung nach dem Zweiten Weltkrieg stand Japan vor dem Problem, wie es seinen Wohlfahrtsstaat aufbauen sollte. Verfolgt man diese Entwicklung über die Jahre hinweg, so läßt sich heute das japanische System der sozialen Sicherheit in drei verschiedene Programmtypen aufspalten, nämlich in die Sozialversicherung einerseits, die Sozialhilfe andererseits und schließlich in öffentliche Wohlfahrtsprogramme nach US-amerikanischem Muster. Versorgungsangebote des öffentlichen Gesundheitswesens und der privaten Gesundheitsversorgung gruppieren sich um diesen Kern der sozialen Sicherheit herum. Den Vorrang nehmen öffentliche Wohlfahrtsprogramme ein, die der Sozialhilfe und der Sozialversicherung vorangehen. Mit dieser Ausrichtung des Wohlfahrtsstaates geht eine entsprechende Sozialpolitik in Japan einher, die bislang vor allem auf die Sicherung eines Mindesteinkommens zur Aufrechterhaltung des Lebensstandards zielte. Konsequenterweise dauerte es deshalb ziemlich lange, bis in Japan die Sozialversicherung eine selbständige politische Domäne bildete. Dabei ist die Entwicklung der Sozialpolitik in der Vergangenheit lange Zeit von der Entwicklung der Marktwirtschaft getrennt gehalten worden. In der heutigen Phase der ökonomischen Entwicklung Japans kann diese Trennung nicht mehr aufrechterhalten werden. Denn die Ausgaben für die soziale Sicherung sind rapide gewachsen; diese steht vor Finanzierungsproblemen. Insbesondere das Wachstum der Arbeitslosigkeit zeichnet dafür verantwortlich. Darüber hinaus macht sich eine weitere (weltweite) Tendenz zum „distanzierten" Wohlfahrtsstaat auch in Japan bemerkbar: In der heraufziehenden Altersgesellschaft ist der Staat erkennbar zukünftig nicht in der Lage, die sozialen Dienste selbst und für alle Bürger vorzuhalten. Deshalb werden mehr und mehr private Dienstleistungsangebote auf dem „sozialen Markt" registriert, die staatliche Hilfen ersetzen. Die Frage ist, wie das Sozialrecht diesen Wandel der Rolle staatlicher Dienstleistungen steuert. Einem Ausschnitt aus dieser Fragestellung widmet sich das Referat von Mijoko Motozawa (Osaka) mit dem Thema „Der Ausbau des Sozialrechts in Japan und die Rolle des Staates in der sozialen Sicherung". Die Referentin wendet sich vor allem der neugeschaffenen Pflegeversicherung in Japan zu. Hier wie auch in anderen Zweigen der sozialen Sicherung scheint es nach ihren Ausführungen, als ob Japan geneigt sei, den Sozialstaat (Wohlfahrtsstaat) als das Ideal des 20. Jahrhunderts für die Zeit des wirtschaftlichen Wachstums langsam aber doch erkennbar zu verabschieden. Entsprechende Tendenzen ließen sich an den Entwicklungslinien der einzelnen Sozialleistungszweige feststellen. So sei es etwa in der Sozialhilfe (Fürsorge), die durch Art. 25 JV gewährleistet werde - ohne freilich dem Bürger einen unmittelbaren Sozialhilfeanspruch zuzuerkennen - , zunächst in den 60er Jahren zu einem gewissen Ausbau gekommen, der sich u. a. am deutschen Beispiel orientiert hatte. Ebenso wurde eine aktive Beschäftigungspolitik ausgeformt. Seit 1982 be-

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durfte es allerdings der Entlastung der Staatsfinanzen. Im Zuge der Bestrebungen hierum habe 1984 eine erste Reform der gesetzlichen Krankenversicherung für Arbeitnehmer stattgefunden. Gleichzeitige Reformbemühungen um die Altersversicherung der Frauen schufen dann deren Anspruch auf Teilhabe an der gesetzlichen Rentenversicherung. Verbunden wurde damit für alle Bürger die Einführung einer Grundrente mit der Möglichkeit, zusätzliche Versicherungsleistungen zu erwerben. Im Jahr 1991 mußte angesichts der Wirtschaftskrise und steigender Gesundheitskosten die gesetzliche Krankenversicherung erneut reformiert werden. In der Folge dessen wurden dem Bürger Zuzahlungspflichten zu den Medikamenten und zur Krankenpflege auferlegt. Zugleich kam es zu einer Veränderung des Sozialhilfesystems. Im Jahr 1994 schob die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung den gewöhnlichen Rentenbeginn auf das 65. Lebensjahr hinaus. Gleichzeitig hob der Staat zur Steigerung der Geburtenrate das Kindergeld an. Mit dem Einschnitt in die Leistungen der sozialen Sicherung ging im übrigen eine Verringerung der Betriebsrenten einher, die von den großen Unternehmen gezahlt werden. Im Zeichen der heraufziehenden Altersgesellschaft sah sich der japanische Staat dann dazu veranlaßt, eine neue Pflicht-Pflegeversicherung zu 1. April 2000 einzurichten. Motozawa weist in diesem Zusammenhang ferner auf die Notwendigkeit hin, die soziale Selbstverwaltung auszubauen. Derzeit werde die Leistungserbringung in den einzelnen Zweigen der Sozialleistungen staatlicherseits zentral durch den Erlaß von Dienstanweisungen gesteuert. Bei der Pflege-Pflichtversicherung werde allerdings die Möglichkeit eingeräumt, diese in der Verantwortung der Gemeinden durchzuführen. Bei alledem bleibe, wie Motozawa betont, der Auslandsbezug des japanischen Sozialversicherungssystems latent. Eine Entterritorialisierung der Sozialversicherung fände nicht statt. Ganz im Gegenteil verzichte das japanische Sozialversicherungssystem auf die Verankerung des Grundsatzes der „Ausstrahlung": In den ausländischen Zweigfirmen japanischer Unternehmen beschäftigte Arbeitnehmer müßten mit erheblich niedrigeren Löhnen bzw. Sozialleistungen auskommen. Demgegenüber spielt die Frage der Entterritorialisierung sozialer Sicherung in dem deutschen Referat von Friedrich E. Schnapp (Bochum) zu diesem Themenkreis eine zentrale Rolle. Er berichtet über die Funktion des europäischen Rechts bei der Entwicklung der sozialen Sicherungssysteme in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ausgehend von der „Sozialverfassung", wie sie in Deutschland existiere, und dem hiesigen Verständnis von Sozialrecht diagnostiziert der Referent ein breites Wirkfeld des sog. Europäischen Sozialrechts. Hierbei konstatiert er eine wachsende Tendenz zur Entterritorialisierung des Sozialrechts der Mitgliedstaaten; gegenwärtig beschränke die Entwicklung sich allerdings noch darauf, ein koordinierendes Sozialrecht auszuprägen. Der Übergang zu einem „wettbewerbsspezifischen Sozialrecht" und zu einer gemeinsamen Sozialpolitik sei allerdings nach dem Vertrag von Amsterdam erkennbar. Dabei dürfe freilich die Rolle des Subsidiaritätsprinzips nicht verkannt werden.

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d) In Japan hat sich, ähnlich wie in Deutschland, im Besonderen Verwaltungsrecht die Frage nach der rechtlichen Steuerung von Information und Kommunikation zu einem zentralen Thema aller Verwaltungssektoren sowie zwischen diesen und dem Publikum entwickelt. Es geht in beiden Staaten um das Recht auf Zugang zu staatlichen bzw. behördlichen Informationen, um den Umgang mit Informationen sowie um den Datenschutz. In der Vergangenheit habe, so arbeiten die Referate zum öffentlichen Informationsrecht heraus, manche fehlgeleitete Diskussion um die Reichweite und die Bedeutung von Informationszugang und Datenschutz zu Rechtsetzungs- und -anwendungsproblemen geführt. Shizuo Fujiwara (Yokohama) nimmt diese Erkenntnis zum Ausgangspunkt seines Referates über „Das japanische Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz unter den Bedingungen des Datenschutzes und der weltweiten Informatisierung von Staat und Wirtschaft". Er erörtert anhand einiger Problemfelder die gegenwärtige Rechtslage im Kaiserreich Japan, wobei er sich zunächst mit der Reichweite des Rechts auf Zugang zu öffentlichen Informationen auseinandersetzt. Hierbei spricht er sich für die Anerkennung als ein „Jedermannsrecht" aus. Allerdings dürften trotzdem, wie es auch im gegenwärtigen Informationszugangsgesetz Japans der Fall sei, Gebühren für die behördliche Zugangsgewährung erhoben werden. Der Sozialstaatsgedanke verlange freilich, diese Gebühren auf ein angemessenes Niveau zu beschränken. Im übrigen würden in Japan die „berechtigten Interessen" der Unternehmen den Abwägungsvorgang bei der Gewährung von Akteneinsicht und Informationszugang maßgeblich steuern. Schon aus diesen Ausführungen wird ersichtlich, daß in Japan das Informationsrecht über den Stand in der Bundesrepublik Deutschland hinausgeschritten ist. Ein allgemeines Recht auf Akteneinsicht besteht in Deutschland auf Bundesebene derzeit (noch) nicht; entsprechende Regelungen, die zu einem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes führen sollen, befinden sich erst in Vorbereitung. Ein ähnliches Regelungsdefizit existiert darüber hinaus im Datenschutz. Während in Deutschland nach wie vor die abwehrrechtliche Sicht des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vorherrscht, wird gegenwärtig in Japan das Recht auf Information näher ausgestaltet. Zwar findet der Datenschutz auch hier noch immer seine Grundlage in dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung (vgl. Art. 13 JV, Art. 2 I GG), doch wird in Japan stärker als hierzulande das Sozialstaatsprinzip zur Legitimation des Datenflusses herangezogen. Ziel dieser Vorgehensweise ist die Befähigung der Gesellschaft und des einzelnen zum eigenverantwortlichen Umgang mit Informationen in einer globalisierten Informationswelt. Neben dem Sozialstaatsgedanken gewinnt so auch das Demokratieprinzip an Bedeutung. Insgesamt dürfte damit das japanische System zukunftsfähiger sein und internationalen Anforderungen an Datenerhebung und -Verwendung aufgeschlossener gegenüberstehen als das deutsche, obschon die Kontroll- und Rechtsschutzperspektive bei unbefugter Datenerhebung und -Verarbeitung unvergleichlich bürokratisch durchgeformt zu sein scheint. Dies zeige sich etwa, worauf Fujiwara hinweist, bei

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der gerichtlichen Kontrolle von Datenschutzanliegen, in die jeweils das japanische Justizministerium und gesonderte Komitees trotz prinzipiell fortbestehender gerichtlicher Zuständigkeit einbezogen seien. Fujiwara plädiert in der Bewertung dieser gewaltenteilig interessanten Situation dafür, die bevorstehende Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Japan abzuwarten. In seinem Referat über „Die Reform des Datenschutzrechts in Deutschland" bestätigt Rainer Pitschas (Speyer) den zeitlichen und rechtlichen Vorsprung des Kaiserreichs Japans vor der Bundesrepublik Deutschland in der rechtlichen Gestaltung des Informationsrechts. Er hebt hervor, daß aber auch hierzulande der Versuch längst unterwegs sei, den Schutz der vertraulichen Kommunikation, des Zugangs zu Informationen, der Privatsphäre und persönlicher Daten in offenen Netzwelten neu zu strukturieren und dabei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung fortzuentwickeln. Für die Steuerung der Telekommunikation und die Nutzung von Informations- und Kommunikationsdiensten durch den Bürger entwickle sich mittlerweile eine neue „Schicht" des Informations Verwaltungsrechts. Es nutze die Kryptografie und digitale Signatur als Mittel, die Sicherheit elektronischer Zahlungssysteme, der vertrauensvollen Kommunikation, den Schutz personenbezogener Daten sowie den Verbraucherschutz umfassend zu verwirklichen. Zudem setze der Gesetzgeber auf Mechanismen der Selbstregulierung wie ζ. B. Datenschutz-Audits. Daneben trete der eigenverantwortete Selbstdatenschutz. Im übrigen richte, so betont Pitschas, für die Bundesrepublik Deutschland die Europäische Datenschutzrichtlinie das nationale Konzept des Informationsrechts neu aus: Die Richtlinie biete mit ihren flexiblen Regelungen eine weitreichende Möglichkeit für Wirtschaft und Umweltschutz, die notwendigen Daten zu erlangen, schütze aber zugleich und auf der anderen Seite die Geheimhaltungsinteressen des Individuums und von Konkurrenzunternehmen. Dies gelte zugleich im Hinblick auf den Zugang zu öffentlichen Informationen, wobei umgekehrt dem Staat neue Informationspflichten erwüchsen. e) Die letzten der im folgenden abgedruckten Vorträge beschäftigten sich mit dem Umweltrecht. Für die Bundesrepublik Deutschland bedarf es keines weiteren Belegs, in welch hohem Maße die internationale Öffnung der Staatlichkeit zu einem umfassenden Einfluß der EU auf die Umweltgesetzgebung in Deutschland geführt hat. Zahlreiche Rechtsprobleme sind hiermit verbunden. Zugleich sieht sich die Frage nach einer Zusammenführung der zersplitterten umweltrechtlichen Regelungsgeflechte in einem einheitlichen Umweltgesetzbuch gestellt. Eine Antwort hierauf sowie einen Überblick über die tiefreichende Problematik der internationalen Verflechtung des Umweltrechts gibt das Referat von Matthias Schmidt-Preuß, der „Die Entwicklung des deutschen Umweltrechts als verfassungsgeleitete Umsetzung der Maßgaben supra- und internationaler Umweltpolitik" behandelt. Der Vortrag zeigt, in welchem Ausmaß die europäische Entwicklung im Umweltrecht weit in das deutsche Recht hineinwirkt. Dabei spielt auch und gerade das Spannungsverhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie eine herausragende Rolle. Mit Blick hierauf ist

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durch europäisches Richtlinienrecht die Eigenverantwortung der Unternehmen im Umweltsektor gegenüber der Verwaltung durch das Öko-Audit sowie durch eine Vielzahl von Richtlinien gestärkt worden. Eine wesentliche Rolle übernimmt dabei das Umweltinformationsrecht, das den Informationszugang der Bürger zu Umweltinformationen garantiert und dadurch die Verantwortung des einzelnen für die Verwirklichung des Umweltschutzes europaweit stärkt. Diese Mehrdimensionalität des deutschen Umweltrechts, die ihre Basis nunmehr - wie Schmidt-Preuß zu recht betont - in Art. 20 a GG findet, wird außerdem durch die internationalen Übereinkommen u. a. zum Klimaschutz überlagert. Insgesamt scheint die Öffnung der deutschen Verfassung gegenüber den supra- und internationalen Anforderungen nirgendwo soweit gediehen zu sein wie im Umweltrecht. Ob dies auch in Japan der Fall ist, sucht das Referat von Kenji Kameda (Osaka) herauszuarbeiten. Er verweist darauf, daß sich die internationale Perspektive des Umweltschutzes in Japan erst in den letzten Jahren Bahn breche. Besonders zu erwähnen seien die Bemühungen um den Klimaschutz, die zu der Konferenz von Kyoto geführt hätten, und die damit verbundene Entwicklung zu einem Umweltvölkerrecht. Stärker im Vordergrund stände allerdings noch immer, so führt Kameda aus, die innerstaatliche Auseinandersetzung mit den Belangen des Umweltschutzes. Hierbei nehme in Japan die Auffassung zu, daß die Umwelt als ein Gut betrachtet werden müsse, das es vor den Marktmechanismen zu schützen gelte. Den Kern des Umweltrechts bilde demzufolge unter entsprechendem verfassungsrechtlichen Schutz das subjektive Recht des Bürgers auf Umwelt, das ein Menschenrecht sei und den Charakter eines Persönlichkeitsrechts annehme. In der Folge dessen wandele sich etwa das Eigentum in seinem rechtlichen Schutz vom Besitzrecht zum Gebrauchsrecht, worin der hohe Stellenwert des Umweltschutzes deutlich werde. Das japanische Recht kenne in Übereinstimmung hiermit denn auch die Selbstkontrolle des Umweltschutzes bzw. die Selbststeuerung als einen rechtlichen Schutzmechanismus. Bei dessen Anwendung werde, ebenso wie im Wandel der Reichweite des Eigentumsschutzes, die Spannungslage zwischen Wirtschaftsfreiheit und Umweltrecht offenbar. In dieser Erkenntnis begegnet sich Kameda im übrigen mit den Feststellungen von Schmidt-Preuß nahtlos. f) Bei der Ähnlichkeit der Themenfelder und Problemlösungen in Japan wie in Deutschland überrascht denn auch die Erkenntnis nicht, daß aus dem Umweltrecht stets von neuem Erkenntnisse für das Allgemeine Verwaltungsrecht gewonnen werden. Dies gilt nicht zuletzt für das Problem des Zugangs zu einschlägigen Umweltinformationen oder auch im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für die Selbstkontrolle umweltbezogener Unternehmenswirtschaft. Näheres hierzu berichtet abschließend Ryuji Yamamoto (Tokio), der das Thema „Lehren aus dem Umweltrecht für das Allgemeine Verwaltungsrecht in Japan" ausführt. Der Referent stellt in geschliffener deutscher Sprache heraus, daß aus der Perspektive des Verwaltungsrechts für die Effektivität des Umweltschutzes der Partnerschaftsgedanke bzw. der Kooperationsgedanke unverzichtbar sei. Er werde, so führte Yamamoto aus, in Ja-

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pan vor allem bei der Umweltverträglichkeitsprüfung angewendet. Der Unternehmer sei durch das UVP-Gesetz beauftragt, alle Informationen über involvierte eigene und fremde Umweltinteressen bei der Prüfung der Umweltverträglichkeit seiner Produktion zu verarbeiten. In diesem Sinne „kooperiere" er mit dem Staat. Seine Verantwortung sei in Japan sogar einen Schritt weiter als in Deutschland ausgebaut: Auch die das UVP-Verfahren abschließende Bewertung sei ihm auferlegt. Dementsprechend würden aber auch höhere rechtliche Anforderungen an den kooperierenden Unternehmer gestellt. Nachgedacht werde überdies über die organisationsrechtliche Regelung der behördlichen Stellungnahmen zur Umweltverträglichkeitsprüfung. Daneben erörtert Yamamoto die Probleme des Vollzugsdefizits der Umweltverwaltung. Das Allgemeine Verwaltungsrecht in Japan entwickle in Antwort darauf ein Vielfalt von Sanktionen bzw. Steuerungsinstrumenten neben den klassischen Mitteln des Befehls und des Zwanges. Zum Abbau der Vollzugsdefizite würden vor allem Instrumente der ökonomischen Lenkung (Subventionen und Beiträge) sowie Informationen seitens der Verwaltung (Warnungen und Empfehlungen) und weiteres informales Handeln eingesetzt. Interessant seien darüber hinaus die Konsequenzen aus fehlgeschlagenem informalen Handeln: Umweltbehörden veröffentlichten häufig die Tatsache der Unfolgsamkeit eines Unternehmers gegen dessen informale Anleitung, um diesen zur Gehorsamkeit zu zwingen. In diesem Zusammenhang hebt Yamamoto ferner hervor, wie das Verwaltungsverfahrens- und Organisationsrecht auf die Lösung emissionsbezogener Konflikte ausgerichtet würden. Von besonderer Bedeutung sei dabei die Einrichtung von Kommissionen, die befugt wären, auf Antrag Privater bei Konflikten aus privaten sowie öffentlichen Emissionen zu vermitteln - ein Instrument, das gleichermaßen in den USA wie in Deutschland unter dem Stich wort der „Mediation" diskutiert wird. In Japan ist diese Verfahrensweise geltendes Recht: Die Kommissionen vermitteln, gleichen aus, versuchen zu schlichten oder sie bescheiden schließlich. Das Verfahren fungiert einerseits als Alternative zum Zivilprozeß, andererseits bereitet es Verwaltungsmaßnahmen oder eine entsprechende Gesetzgebung vor. Auch organisationsrechtlich seien diese Kommissionen interessant, denn sie handelten - wie Yamamoto unterstreicht - , personell und funktional von der hierarchischen Verwaltungsorganisation unabhängig. Im Falle der Bescheiderteilung führen sie quasi-gerichtliche Verfahren mit öffentlicher und mündlicher Anhörung durch.

VI. Bilanz und Ausblick Der damit dokumentierte Vergleich des gegenwärtigen Verfassungs- und Verwaltungsrechts in Deutschland und Japan hat die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt. Nach Analyse der Referate und Diskussionen wird erkennbar, daß einerseits bei der Öffnung der Verfassungen für eine internationale Zusammenarbeit ein großer Unterschied zwischen den beiden Staaten besteht. Während für Deutschland der Übergang von einer „geschlossenen" zur „offenen" Verfassungsstaatlichkeit einen ersten

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Höhepunkt erreicht hat, lassen sich in Japan allenfalls erste Tendenzen zur offenen Verfassungsstaatlichkeit erkennen. Diese entwickelt sich nicht von ungefähr, betrachtet man die jüngere Geschichte Japans, aus dem Wachstum regionalpolitischer Verantwortung - hierfür steht zuletzt der neue Sicherheitspakt mit Korea und Taiwan - und der damit verbundenen Diskussion um die zukünftige Wehrverfassung. Der für Japan speziell in diesem Politikfeld erkennbare Widerspruch zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit, der vor allem außerhalb Japans und namentlich in Singapur und Korea kritisch wahrgenommen wird, wirft die Frage nach einer Modernisierung der rechtsstaatlichen Verfassung ebenso auf, wie er das Problem der Wirkkraft von Verfassungen einerseits binnenstaatlich und andererseits „nach außen" in Erinnerung ruft. Wahrend auf diese Weise die japanische Verantwortung für internationale Beziehungen hinsichtlich ihres Beitrags zur internationalen Sicherheit verfassungsrechtlich „honoriert" zu werden beginnt, bleiben dagegen die verfassungstextliche Öffnung gegenüber den ökonomischen und sozialen Herausforderungen der globalen und regionalen Wirtschaftsentwicklung und auch die Reaktion auf die internationalen Umweltschutzbelange zurückhaltend. Anders scheinen die Dinge bei der Entwicklung des Verwaltungsrechts zu liegen. In beiden Staaten verdeutlicht der Blick auf einzelne Aufgabenfelder und deren verwaltungsrechtliche Steuerung, das sich das Staatsbild wandelt und der kooperative Staat auch supranational in den Vordergrund tritt. Allerdings haben die Vorträge und die Diskussionen zugleich erkennen lassen, daß der oberflächliche Blick auf allfällige Modernisierungstendenzen in beiden Staaten leicht zu Fehldeutungen der öffentlich-rechtlichen Entwicklung führen mag. Unter der Oberfläche existieren durchaus gegenläufige Regelungsansätze. Dies gilt einerseits für das Umwelt- und Informationsrecht, wo unterschiedliche Verständnisse von Umwelt und Informationsbedarfen existieren und dementsprechend divergierende bzw. fortgeschrittenere Problemlösungen in Japan praktiziert werden. Stärker als in Deutschland und (noch) in der EU läßt sich für Japan auch ein industriepolitisches Design der Wrrtschaft erkennen. Jenseits dessen bestehen zwar gleichgelagerte Probleme mit der Konzentrationskontrolle im Wirtschaftssektor. Umgekehrt herrscht hingegen in Japan, was das Kommunalrecht anbelangt, noch immer ein streng zentralistisches Muster der Verantwortungsverteilung vor. Nicht von ungefähr suchen deshalb gerade im Kommunalrecht japanische Wissenschaftler nach Veränderungschancen mit Blick auf die dezentralisierte deutsche kommunale Selbstverwaltung. Alles in allem zeichnen die Beiträge vor dem Hintergrund der Internationalisierung ein vielfältiges Bild der Verfassungsstaatlichkeit Deutschlands und Japans sowie der Entwicklung des Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrechts in beiden Staaten. Bei dessen Betrachtung stellt sich mehr noch für Japan als für Deutschland die Frage, in welchem Maß sich ein Nationalstaat von rechtlich zentralisierter Verantwortung und Kompetenzzuweisung lösen muß, um im Internationalisierungsprozeß zu bestehen und inwieweit offene Verfassungsstaatlichkeit dafür eine unverzichtbare Voraussetzung bildet. Die Antwort darauf dürfte der geneigte Leser für sich unschwer in den nachfolgenden Referaten finden. 3 Pitschas/Kisa

Erster Teil

Verfassungsentwicklung in vergleichender und regionaler Perspektive

Die „Internationalisierung" des deutschen Grundgesetzes wie weit trägt die Entgrenzung des Verfassungsstaats? Von Ulrich Fastenrath I. Was bedeutet Entgrenzung? Solange es keinen Weltstaat gibt, müssen sich die Staaten voneinander abgrenzen. Staaten definieren sich über Grenzen.1 Von der sechs Milliarden Menschen zählenden Erdbevölkerung grenzt jeder Staat einen Teil für sich als seine Staatsbürger aus und macht damit die anderen zu Ausländern. Jeder Staat beansprucht einen Teil der Erdoberfläche für sich. Die Grenzlinie trennt das In- vom Ausland. Aus dem Nebeneinander mehrerer Staaten folgt weiterhin, dass auch die Staatsgewalt stets begrenzt sein muss; sie erstreckt sich grundsätzlich nur auf das, was dem Staat zugeordnet ist, insbesondere das Staatsgebiet2 und die Staatsangehörigen. Die Gebietshoheit gibt dem Staat zugleich einen Anspruch auf Ausschließlichkeit der Herrschaftsausübung auf dem eigenen Territorium. 3 Seinen sichtbaren Ausdruck findet dies an der Staatsgrenze. Sie bietet die Möglichkeit, den grenzüberschreitenden Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Zahlungen zu kontrollieren, zu beschränken und zu unterbinden. Damit ist der Staat nicht nur in seinen hoheitlichen Rechtsverhältnissen begrenzt, er kann zudem den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Sektor begrenzen. In welchem Umfang von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird beziehungsweise inwieweit sich der Staat nach außen öffnet, hängt vom Staatsverständnis ab, aber auch von der Entwicklung der internationalen Beziehungen und faktischen Gegebenheiten.

1 So die Drei-Elemente-Lehre vom Staat, vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatsrechtslehre, 3. Aufl. 1914, S. 394 ff.; siehe weiterhin/. Crawford , The Criteria of Statehood in International Law, British Yearbook of International Law 1976/7,93 ff.; Ipsen-Epping, Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 55 ff. 2 Zum Verhältnis von Staatsgewalt und Staatsgebiet siehe Ipsen-Gloria, Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 242 ff. 3 Die Gebietshoheit ist Ausdruck der (inneren) Souveränität der Staaten, vgl. Ipsen-Gloria (Fn.2), S. 244.

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1. Das Bild vom geschlossenen Staat Vor zweihundert Jahren entwarf Johann Gottlieb Fichte das Ideal eines geschlossenen Handelsstaats,4 der im Innern den Menschen die Selbsterhaltung durch eigene Tätigkeit garantieren sollte. Mittel dazu war ein planwirtschaftliches System, der Preis dafür eine fast vollständige Beschneidung der grenzüberschreitenden Freizügigkeit und die Unterwerfung des Außenhandels unter ein staatliches Monopol. Das Volk wird hier zu einer unentrinnbaren Schicksalsgemeinschaft - ein Gedanke, der sich schon in den Gesellschaftsvertragstheorien früherer Zeit findet 5 und der auch von Georg Wilhelm Friedrich Hegel aufgenommen wird, wenn er das Volk als Staat zur absoluten Macht auf Erden hochstilisiert, 6 dessen erste Freiheit und höchste Ehre es ist, anderen Staaten in souveräner Selbständigkeit gegenüber zu stehen.7 Das politikwissenschaftliche Pendant hierzu ist das Billardball-Modell, 8 wonach die Staaten nach außen abgeschlossene Körper mit einer „harten Schale"9 sind. Der Staat wird so zu einer black box, deren Inneres für die internationale Politik ohne Bedeutung ist. Völkerrechtlich gestützt wird diese Auffassung durch das Verbot der Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates.10 Auf der staatsorganisationsrechtlichen Seite wird daraus ein zentralistisches Staatsgebäude mit einer „einzigen Tür", 11 durch die nur die Außenvertretungsorgane des Staates hindurchgehen dürfen. Ebenso rigorose Vorstellungen über die Trennung der Innen- und der Außensphäre gibt es hinsichtlich des Rechts: Auf der einen Seite die räumlich und vom Geltungsgrund her isoliert nebeneinander stehenden staatlichen Rechtsordnungen, auf der anderen Seite das ebenso strikt davon getrennte Völkerrecht. Der Dualismus, 4 J. G. Fichte, Der geschloßne Handelsstaat (1800); dazuL. Seip, Johann Gottlieb Fichte, in: O. Höffe (Hrsg.), Klassiker der Philosophie, Bd. II (1981), S.40 (57f.); A. Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 1963, S. 154. 5 Vgl. etwa T. Hobbes, Leviathan, Kap. 16ff.; J.J. Rousseau, Du contrat social, Kap. 1.6. 6 G.W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §331. 7 A.a.O., §322. 8 A. Wolfers, Macht und Differenz: Über das Verhalten der Staaten, in: U. Neriich (Hrsg.), Krieg und Frieden in der modernen Staatenwelt, Bd. I (1966), S. 359ff. 9 J. Herz, Aufstieg und Niedergang des Territorialstaats, in: ders. (Hrsg.), Staatenwelt und Weltpolitik im Nuklearzeitalter (1974), S.63ff. 10 Siehe dazu die „Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in Accordance with the Charta of the United Nations", verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 24.10.1970 als Resolution 2625 (XXV), in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Sartorius II, Nr. 4; weiterhin die „Declaration on Inadmissibility of Intervention in the Domestic Affairs of States and the Protection of their Independence and Souvereignty", Resolution 2131 (XX) der Generalversammlung der Vereinten Nationen; näher dazu A. Verdross! Β. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 272ff. 11 E. Wolgast, Die auswärtige Gewalt des deutschen Reiches unter besonderer Berücksichtigung des Auswärtigen Amtes, AöR N.F.5 (1923), 1 (78).

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dem Heinrich Triepel vor hundert Jahren in Deutschland zum Durchbruch verhalf, 12 ging in seiner strengen Form davon aus, dass Völkerrecht und nationales Recht völlig unabhängig voneinander sind mit jeweils unterschiedlichen Normadressaten, so dass es nicht zu Kollisionen zwischen Normen der beiden Rechtsordnungen kommen konnte. Allenfalls war es nach dieser Lehre denkbar, dass ein Staat völkerrechtlich verpflichtet ist, bestimmte innerstaatliche Regelungen zu erlassen. Keinesfalls konnte jedoch ein Bürger von einer völkerrechtlichen Norm berechtigt oder verpflichtet werden. Gepaart mit dem völkerrechtlichen Grundsatz der Ausschließlichkeit der Herrschaftsgewalt eines Staates auf seinem Gebiet ergab sich daraus die „Undurchdringlichkeit des Staates", von der Georg Jellinek gesprochen hat.13 In der heutigen Diskussion taucht dieser Grundsatz - martialischer - als Souveränitätspanzer 14 wieder auf (der freilich inzwischen viele Öffnungen erhalten hat). Diese Vorstellungen von autonomer und ausschließlicher Herrschaftsgewalt auf dem staatlichen Territorium bilden den gedanklichen Hintergrund, wenn von Entgrenzungen die Rede ist, die alten Grenzlinien zur Abschirmung des Staates also durchlöchert werden oder an Konturen verlieren. 2. Internationalisierungsprozesse Die transnationalen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Austauschbeziehungen haben ungeachtet der fortbestehenden Grenzkontrollen und Beschränkungen in einer Weise zugenommen, dass einige bereits eine Weltgesellschaft 15 (mit Weltbürgern 16) und einen Weltmarkt 17 heraufkommen sehen, der nicht staatlich fragmentiert ist. Das mag zu weit führen und zudem die Integrationsleistung nationaler Gesellschaften übersehen. Das Wort Globalisierung 18 aber ist in aller Munde. Auf der Welt gibt es kaum noch einen Menschen oder Ort, der nicht an den transnationalen Austausch angeschlossen wäre, wenngleich dieser unterschiedlich stark ausgeprägt ist, 12

H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht (1899), S. 253 ff. Jellinek (Fn. 1), S.396. 14 A. Bleckmann, Zur Funktion des Art. 24 Grundgesetz, Festschrift für Doehring (1989), S. 63 (75, 78f.); dersEuroparecht, 6. Aufl. 1997, S. 377; inhaltlich ebenso H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S.855 („Impermeabilität des Staates"). 15 Vgl. M. Albrow, The Global Age: State and Society Beyond Modernity (1996); E.-O. Czempiel, Internationale Politik (1981), S.70ff.; Ν. Luhmann, Weltgesellschaft, ARSP LVII (1971), Iff. 16 Dazu bereits I. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784). 17 So schon K.Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie (Nachdruck 1958), S. 164; W.I.Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, 3.Aufl. 1970, S.75; weitere Belege bei Czempiel (Fn. 15), S. 83 ff. 18 Siehe dazu K. Dicke, Erscheinungsformen und Wirkungen von Globalisierung in Struktur und Recht des internationalen Systems auf universeller und regionaler Ebene sowie gegenläufige Renationalisierungstendenzen, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Volkerrecht 39 (2000), 13 ff. 13

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es Zonen dichten und Zonen schwachen Verkehrs gibt. Mit dem Direktempfang des Satellitenfernsehens und dem Internet kann man jedoch inzwischen unkontrolliert nahezu überall Informationen aus der ganzen Welt erhalten. Selbst wenn die Staaten wollten, könnten sie diesen grenzüberschreitenden Informationsaustausch nicht unterbinden, allenfalls stören. 19 Aber auch die kontrollierbaren Printmedien sind durchweg überall verfügbar und selbst eine Zensur kann auf Dauer kaum verhindern, dass Nationalkulturen sich wechselseitig beeinflussen. Zwischen den europäischen Staaten zumindest hat es immer so viele Beziehungen gegeben, dass man zu Recht von einer abendländischen Kultur sprechen kann.20 Die grenzüberschreitende Wirtschaftsfreiheit reicht zwar nicht so weit, aber im Rahmen von GATT und Welthandelsorganisation21 sind Hemmnisse im zwischenstaatlichen Handelsverkehr doch in großem Umfang beseitigt worden und können wegen der völkervertraglichen Grundlage von den einzelnen Staaten nur schwer wieder aufgerichtet werden. Weiter gehen die Freihandelsassoziationen, die es in verschiedenen Weltregionen gibt, 22 und insbesondere die Europäische Gemeinschaft (EG), die die nationalen Märkte der beteiligten Staaten zu einem Binnenmarkt zusammengeschlossen hat, der - allerdings noch nicht vollends verwirklicht - einen „Raum ohne Binnengrenzen" bildet, in dem der freie Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist (Art. 14 Abs. 2 EG-Vertrag). Die Staaten unterliegen heute aber nicht nur wirtschaftlichen, kulturellen und Informationseinflüssen, die nicht oder nur schwer und unter hohen politischen Kosten abgewehrt werden können. Die Bedingungen der technisch-industrialisierten Welt erlauben auch in anderer Hinsicht keine Abschottung: Ohne Rücksicht auf Grenzen wird die Umweltverschmutzung über Wind und Wasser oder im Boden in andere Staaten getragen.23 Weiterhin hat sich der Bereich, den die Staaten autonom und unter Ausschluss ausländischer Mächte als eigene Angelegenheit regeln durften, in erheblichem Maße geändert. Durch völkerrechtliche Regelungen ist nämlich ein Vielzahl von Materien, die zuvor zum domaine réservé gehörten, internationalisiert worden. Man denke nur an die international gewährleisteten Menschenrechte,24 die das Verhältnis 19 Siehe dazu C. Engel, Das Internet und der Nationalstaat, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 39 (2000), 353 ff.; S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, Der Staat 34 (1998), 521 (538). 20 Allerdings gab es auch Zeiten mit gegenläufiger Tendenz, vgl.K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit (1964), S. 10f. mit Nachweisen. 21 Dazu Ipsen-Gloria (Fn. 2), S.616ff. 22 Z.B. in Europa: EFTA, EWR; Nordamerika: NAFTA; Südamerika: MERCOSUR; Afrika: ECOWAS. 23 Dazu P. C. Mayer-Tasch (Hrsg.), Die Luft hat keine Grenzen - Internationale Umweltpolitik: Fakten und Trends (1986). 24 Vgl. dazu U. Fastenrath (Hrsg.), Internationaler Schutz der Menschenrechte: Entwicklung, Geltung, Durchsetzung, Aussöhnung der Opfer mit den Tätern (2000); siehe weiterhin

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vom Staat zu seinen eigenen Staatsbürgern in großem Umfang prägen. Dies muss zu einem geänderten Verständnis des Verhältnisses zwischen nationalem Recht und Völkerrecht führen. Sie können nicht mehr als zwei vollständig getrennte Rechtsordnungen mit unterschiedlichen Regelungsmaterien und Normadressaten begriffen werden. Sie sind vielmehr aufeinander bezogen25 und öffnen sich dadurch einer systematisch-harmonisierenden Auslegung und Anwendung. Die grundlegenden Menschenrechte gehören neben dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und dem Aggressionsverbot zu den Staatengemeinschaftsgütern, deren Bewahrung der Staatengemeinschaft als Ganzer geschuldet wird ohne Rücksicht auf die materielle Betroffenheit der einzelnen Staaten (Verpflichtungen erga omnes).26 Verstärkt wird der Schutz der Staatengemeinschaftsgüter zum Teil durch eine internationale Strafbewehrung und eine internationale Strafgerichtsbarkeit, die es punktuell mit den Kriegs Verbrechertribunalen von Nürnberg und Tokio 27 schon am Ende des Zweiten Weltkrieges gegeben hat und heute mit dem Jugoslawien- und dem Ruanda-Tribunal 28 wieder gibt, die aber mit dem Ständigen Internationalen Strafgerichtshof weltweit und zeitlich unbegrenzt ausgedehnt werden soll. 29 In Europa sind zudem wesentliche Strukturmerkmale für die staatliche Organisation festgeschrieben. So ist der Europarat, dem fast alle europäischen Staaten angehören, laut der Präambel zu seiner Satzung gegründet worden „in unerschütterlicher Verbundenheit mit den geistigen und sittlichen Weiten, die das gemeinsame Erbe der Völker sind und der persönlichen Freiheit, der politischen Freiheit und der Herrschaft des Rechts zugrunde liegen, auf denen jede wahre Demokratie beruht...". 30 Auf dieselben Grundsätze verpflichten sich die Mitgliedstaaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in zahlreichen ihrer Dokumente, insbesondere in der Charta von Paris für ein neues Europa. 31 die Dokumentensammlung B. Simma/U. Fastenrath (Hrsg.), Menschenrechte - Ihr internationaler Schutz, 4. Aufl. 1998. 25 Vgl. zu den entsprechenden monistischen und gemäßigt-dualistischen Theorien M. Schweitzer, Staatsrecht III, 7. Aufl. 2000, S. lOff. 26 Internationaler Gerichtshof, Reports 1970,3 (32) - Barcelona Traction, Lights and Power Company; Reports 1995,90 (102) - East Timor; Reports 1996, 595 (616) - Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide. Zu den Rechtsfolgen einer Verletzung solcher Pflichten siehe Art. 40 und 48 der „Articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts", Anhang zur Resolution 56/83 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 12.12.2001. 27 Dazu G. Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht: Zum gegenwärtigen Stand des völkerrechtlichen Strafrechts (1962). 28 Die beiden Tribunale sind vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen errichtet worden, Resolution 827 vom 25.5.1993 bzw. Resolution 955 vom 8.11.1994, deutsche Übersetzung der Statuten in: SimmalFastenrath (Fn. 24), S. 108 bzw. 117. 29 Statut vom 17.7.1998 (noch nicht in Kraft), in deutscher Übersetzung abgedruckt in: EuGRZ 1998, 618 ff. 30 Satzung des Europarats vom 5.5.1949 (UNTS 87, S. 103; BGBl. 1954 II, S. 1126). 31 Abgedruckt in: U. Fastenrath (Hrsg.), KSZE/OSZE-Dokumente der Konferenz und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, A.2.

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Die Herausbildung von Staatengemeinschaftsgütern ist Zeichen eines grundlegenden Wandels des Völkerrechts von einem Recht koexistierender Staaten hin zu einem Recht kooperierender Staaten,32 der mit einer Konstitutionalisierung einhergeht.33 Viele Aufgaben können die Staaten nicht mehr alleine, sondern nur im Verbund mit anderen Staaten wahrnehmen. Es haben sich deshalb vielfältige Formen der Zusammenarbeit herausgebildet, beginnend mit internationalen Organisationen bis hin zu Städte- und Universitätspartnerschaften oder grenznachbarlichen Einrichtungen. Diese internationale Zusammenarbeit betrifft nicht mehr nur punktuelle Aufgaben, wie dies noch bei den im 19. Jahrhundert gegründeten Verwaltungsunionen für den Post-, Telegrafen- und Eisenbahnverkehr sowie den Flusskommissionen der Fall war. 34 Heute gibt es solche Kooperationsformen für nahezu sämtliche staatlichen Bereiche mit der Folge, dass nicht lediglich die Zentralregierungen, sondern auch nachgeordnete Dienststellen und Körperschaften derartige Kontakte pflegen. Wegen der Bedeutung der Materien sind bei einigen internationalen Organisationen auch parlamentarische Versammlungen eingerichtet worden, deren Abgeordnete direkt gewählt werden (so beim Europäischen Parlament) oder von den nationalen Parlamenten entsandt werden (so beim Europarat, NATO, OSZE). Damit bildet das politische System eines Staates kein in sich geschlossenes Ganzes und keinen einheitlich in der internationalen Arena auftretenden Akteur mehr. Der Staat erscheint organisatorisch zergliedert 35 und Einflüssen aus dem Ausland ausgesetzt. Hierfür steht das Bild des „offenen Staates".36

3. Supranationale Integration Besonders weitreichend öffnet sich der Staat, wenn er sich supranational integriert, d. h. hoheitliche Befugnisse auf eine internationale Organisation überträgt. 32 Vgl. dazu A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre: Vom Kompetenzzum Kooperationsvölkerrecht (1995), S. 579ff. 33 Dazu U. Fastenrath, Subsidiarität im Völkerrecht, Rechtstheorie 2002 (erscheint demnächst); J.A. Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 39 (2000), 427 ff.; B. Simma, From Bilateralism to Community Interest in International Law, Recueil des Cours de l'Academie de Droit International, Vol.250 (1994 VI), S. 217 ff. 34 Vgl. etwa die Flusskommissionen für Rhein (seit 1815) und Donau (seit 1856), den Allgemeinen Telegraphenverein (1865, abgelöst durch die Internationale Femmeldeunion ab 1932), den Weltpostverein (1874), die Union zum Schutze des gewerblichen Eigentums (1883), die Union zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (1886), die Union für internationale Eisenbahntransporte (1890). 35 Ausführlich dazu U. Fastenrath, Inwieweit ist der Staat international eine Einheit? - Völkerrechtliche, staatsrechtliche und politikwissenschaftliche Aspekte außenpolitischer Betätigung von subnationalen Körperschaften, in: P. Pernthaler (Hrsg.), Außenpolitik der Gliedstaaten und Regionen (1991), S. 15 ff. 36 Erstmals in diesem Sinne Vogel (Fn. 20), S.42; vgl. weiterhin U. Di Fabio , Das Recht offener Staaten (1998).

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Die Hoheitsakte dieser Organisation gelten dann unmittelbar für die und in den Mitgliedstaaten, ohne dass es eines weiteren staatlichen Umsetzungsaktes bedürfte. Das Musterbeispiel hierfür ist die Europäische Union mit den ihr eingeordneten drei Europäischen Gemeinschaften: der Europäischen Gemeinschaft (EG), der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG). Mit dem Umfang der übertragenen Aufgaben steigt zugleich das Bedürfnis nach Mitsprache der subnationalen Hoheitsträger, die das supranationale Recht ausführen sollen oder denen nach der Verfassung ursprünglich die entsprechenden Hoheitsbefugnisse zustanden. Dadurch - wie auch durch den hohen Abstimmungs- und Kooperationsbedarf zwischen den Mitgliedstaaten einer solchen Organisation - öffnet sich der Staatsapparat mit seinen Untergliederungen gegenüber dieser Organisation und den Mitgliedstaaten.

4. Anforderungen der internationalen und supranationalen Einbindung an den Verfassung sStaat Der Verfassungsstaat ist kein Staat mit beliebiger Verfassung; er sichert vielmehr seine Verfasstheit dauerhaft ab durch die Freiheit der Bürger, durch Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit.37 Der Verfassungsstaat ist daher ein freiheitlicher Staat, der seine Bürger nicht für sich vereinnahmt, sondern ihnen auch grenzüberschreitend durch die Gewährung von Grundrechten Freiräume eröffnet. Gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen mit dem Ausland dürfen daher nicht ohne weiteres beschnitten werden, wie das Bundesverfassungsgericht mit großer Deutlichkeit bereits im Elfes-Urteil 38 ausgeführt hat. Damit öffnet sich der Verfassungsstaat aber zwangsläufig auch aus dem Ausland kommenden Einflüssen, die er um der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit Willen kontrollieren und regulieren muss. Sonst würde der im Verfassungsstaat stets entgrenzte gesellschaftliche Sektor zur offenen Flanke werden, wenngleich dies nicht vollständig zu vermeiden ist. So lässt sich etwa die Einfuhr auf die Waren beschränken, die den Produktvorschriften des Landes entsprechen. Die Ausstrahlung von Fernsehsendungen im Ausland, die den Jugendschutzvorschriften im Empfangsland nicht entsprechen, lässt sich aber kaum verhindern. Immerhin bleibt noch die Möglichkeit einer Strafverfolgung, die freilich bei einem im Ausland lebenden Täter nur schwer umzusetzen ist. Gänzlich unmöglich wird dies jedoch im Internet, da die Urheber jugendgefährdender oder sonstiger Seiten mit verbotenen Inhalten in aller Regel nicht oder nur äußerst schwer zu ermitteln sind. Die in Deutschland zunächst versuchte Ersatzlösung, den Geschäftsführer der deutschen Niederlassung des Providers zur Verantwortung zu ziehen, ist in der Berufungsinstanz zu Recht gescheitert. Denn der 37 Zum Begriff des Verfassungsstaats siehe P. Häberle, Der kooperative Verfassungsstaat, Festschrift für Schelsky (1978), S. 141 ff.; G. Haverkate, Verfassungslehre (1992), S.6ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, § 3 III. 38 BVerfGE 6, 32 (42 ff.).

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Geschäftsführer kann weder Kenntnis von den einzelnen Seiten haben, noch hat er eine Verhinderungsmöglichkeit. 39 Die grenzüberschreitende Freiheit des gesellschaftlichen Sektors ist aber auch insofern eine offene Flanke, als der Staat in Wettbewerb mit anderen Staaten um bessere Standort- und Lebensbedingungen tritt. 40 Dadurch verliert der Staat an Autonomie, weil er nicht beliebig die Abwanderung von Menschen, Unternehmen und Kapital riskieren kann; in seiner Funktion als „policy-maker" wird er zugleich zum „policy-taker". 41 Diese Problematik ist hier nicht weiter zu erörtern. Vielmehr gilt es zu zeigen, wie der Verfassungsstaat Deutschland die mit der Internationalisierung und Supranationalisierung einher gehenden Entgrenzungen in seiner Rechtsordnung umsetzt. II. Entgrenzung des Staatsvolks 1. Veränderungen in der Zusammensetzung des Deutschen Volkes Wie eingangs festgestellt, grenzt jeder Staat einen Teil der Erdbevölkerung für sich als seine Staatsangehörigen aus. Das Grundgesetz definiert aber nicht selbst das Deutsche Volk, sondern setzt seine Existenz voraus. So heißt es in der Präambel lediglich, das Deutsche Volk habe sich dieses Grundgesetz gegeben und dieses gelte - nachdem die Deutschen in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet haben - für das gesamte Deutsche Volk. Nach Art. 16 GG kann die Staatsangehörigkeit und damit die Zugehörigkeit zum Deutschen Volk nicht entzogen werden, wohl aber kann in gesetzlich bestimmten Fällen der Verlust der Staatsangehörigkeit eintreten. Art. 116 GG ergänzt den Kreis der Deutschen über die deutschen Staatsangehörigen hinaus um die so genannten Statusdeutschen: Flüchtlinge oder Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit, die auf dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden haben. Nach der Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 199942 handelt es sich hierbei allerdings kaum noch um eine relevante Gruppe. Denn § 7 StAG sieht nunmehr den automatischen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit mit der Bescheinigung des Vertriebenenstatus vor. Indem das Grundgesetz auf eine Festlegung der Erwerbs- und Verlustgründe der Staatsangehörigkeit und damit auf eine Definition des Staatsvolkes verzichtet, bewahrt es die notwendige Flexibilität, um auf Strukturänderungen in der Bevölke39

AG München, NJW 1998, 2836ff.; LG München, NJW 2000, 1051 f. Fastenrath (Fn. 35), S. 22. 41 U.R. Haltern, Europäischer Kulturkampf: Zur Wahrung „nationaler Identität" im UnionsVertrag, Der Staat 37 ( 1998), 591 (601 ); S. Hobe, Die Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, ArchVR 37 (1999), 253 (261 f.). 42 Gesetz vom 15.7.1999, BGBl. 1999 I, S. 1618. 40

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rung antworten zu können. Diese resultieren zum einen aus dem dauerhaften Verbleib der in großer Zahl angeworbenen und hier ansässig gewordenen Wanderarbeitnehmer, zum anderen aus dem erheblichen Wanderungsdruck, dem Deutschland ausgesetzt ist durch Personen, die ihre Heimatländer als politisch Verfolgte, wegen ihrer Gefährdung in Bürgerkriegen, aus wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen verlassen haben. Diese Personenkreise machen nur wenig von der Möglichkeit Gebrauch, die deutsche Staatsangehörigkeit auf Antrag zu erwerben. Umgekehrt gibt es aber auch viele deutsche Auswanderer, die die Verbindung zu ihrem Heimatstaat haben abreißen lassen. Auf Grund dieser Entwicklungen wichen das deutsche Staatsvolk und die Wohnbevölkerung in Deutschland zunehmend voneinander ab. Der Gesetzgeber hat den ihm eröffneten, verfassungsrechtlichen Freiraum 43 genutzt und an die Seite des traditionellen ius sanguinis beim Erwerb der Staatsangehörigkeit Elemente des ius soli gestellt. In Deutschland geborene Kinder von dauerhaft und berechtigt hier wohnenden Ausländern erhalten seit dem 1. Januar 2000 die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 4 Abs. 3 StAG); sie müssen sich allerdings mit Erreichen der Volljährigkeit für die deutsche oder die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern entscheiden (§ 29 StAG). Andererseits werden die Nachkommen deutscher Auswanderer in der dritten Generation nicht mehr automatisch deutsche Staatsangehörige (§ 4 Abs. 4 StAG). Das Deutsche Volk ist mithin eine durchaus variable Größe, die Entgrenzungen im gesellschaftlichen Sektor: der grenzüberscheitenden Fluktuation von Personen, angepasst werden kann. Zumindest rechtlich ist dies relativ einfach, wenn die politischen Widerstände dagegen überwunden sind.

2. Verhältnis der deutschen Staatsangehörigkeit zur Unionsbürgerschaft Die nationale Staatsangehörigkeit wird nach Art. 17 EG-Vertrag um die Unionsbürgerschaft ergänzt. Unionsbürger sind sämtliche Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Völker werden somit zu einer übergreifenden Einheit miteinander verbunden, ohne bereits zu einem Europäischen Volk zu ver43 Dazu BVerfGE 83, 37 (52); 83, 60 (72); B. Schlüter, Volksbegriff und Volkssouveränität - Die Bindung des Gesetzgebers an den materiellen Begriff der Staatsangehörigkeit, ZAR 2000, 210 ff. Zu beachten hat der Gesetzgeber freilich neben dem verfassungsrechtlichen Verbot des Entzugs der Staatsangehörigkeit auch die völkerrechtlichen Vorgaben: Recht auf eine Staatsangehörigkeit (Art. 15 Abs. 1 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Simma/Fastenrath [Fn.24], S.5), Vermeidung von Doppelstaatsangehörigkeit (vgl. Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern vom 6.5.1963 samt Änderungs- und Zusatzprotokollen vom 24.11.1977 [UNTS 634, S.221; BGBl. 1969 II, S. 1954; European Treaty Series Nr. 95 und 96]), Bestehen einer tatsächlichen Beziehung (genuine link) zwischen Staatsangehörigen und Staat (dazu Ipsen-Gloria [Fn. 2], S. 293 f.).

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schmelzen - Art. 189 Abs. 1 EG-Vertrag spricht deshalb konsequent von den Völkern in der Gemeinschaft, die ihre Vertreter in das Europäische Parlament wählen, und Art. 17 EG-Vertrag betont ausdrücklich, dass die Unionsbürgerschaft die nationale Staatsangehörigkeit nicht ersetzt. Letztere bleibt von der Unionsbürgerschaft also unangetastet.44 Es wird vielmehr nur ein zusätzliches „auf Dauer angelegtes rechtliches Band geknüpft", 45 das die Europäische Union zu einer Union der Bürger macht.46 Die Unionsbürgerschaft ist damit ein Identifikationsfaktor, ein Grundstein für eine neue Loyalität gegenüber den europäischen Institutionen und Symbol für eine staatenübergreifende politische und Solidargemeinschaft, ausgestaltet als Statut rechtlicher Gleichheit, individueller Freiheits- und politischer Mitwirkungsrechte. Sie macht die verbundenen Völker zum Legitimationssubjekt der EU. 47 3. Das Volk als Siedlungs-, Schicksals- und Schutzgemeinschaft Nach überkommenem Staatsverständnis ist das Staatsvolk eine - auf der Siedlungsgemeinschaft beruhende - Schicksals- und Schutzgemeinschaft. 48 Kennzeichen dieser Sicht sind Genehmigungsvorbehalte für die Ausreise beziehungsweise Auswanderung von Inländern und die Einreise beziehungsweise Einwanderung von Ausländern, das Verbot der Ausweisung und Auslieferung eigener Staatsangehöriger, die Wehrpflicht der Staatsangehörigen sowie die Gewährung diplomatischen und konsularischen Schutzes für die Staatsangehörigen oder deren Interessen im Ausland. All dies findet sich auch im deutschen Recht - freilich mit so erheblichen Aufweichungen und gewandelter Zielrichtung, dass man nur noch von Schutzvorschriften für Staat und Bevölkerung sprechen kann. Zweck der Normen ist es aber nicht mehr, das Volk als in sich geschlossene und nach außen abgeschlossene Einheit zu bewahren. a) Steuerung von Ein- und Ausreise So müssen sich Deutsche zwar bei Überschreiten der Auslandsgrenzen der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich mit einem Pass ausweisen (§ 1 Abs. 1 Passgesetz). Der Pass - und damit die Ausreise - darf aber nur aus bestimmten, in der 44 Vgl. hierzu auch S. Hobe, Die Unionsbürgerschaft nach dem Vertrag von Maastricht, Der Staat 32 (1992), 245 ff.; N. Kotalakidis, Von der nationalen Staatsangehörigkeit zur Unionsbürgerschaft (2000). 45 BVerfGE 89, 155 (184)-Maastricht. 46 Siehe W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag (1999), Art. 17 EGV Rn.3f. 47 /. Pernice , Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), 148 (167); ders., Der Europäische Verfassungsverbund auf dem Wege der Konsolidierung, JÖR 48 (2000), 205 (212); J.H.H. Weiler, Der Staat „über alles": Demos, Telos und die MaastrichtEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts, JÖR 44 (1996), 91 (130). 48 Kritisch zur Nation als Schicksalsgemeinschaft Haltern (Fn.41), S. 594 ff.

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Person des Bürgers liegenden Gründen versagt oder entzogen werden (§§7 und 8 Passgesetz). Umgekehrt ist vielmehr die Ausreise- und Aus Wanderungsfreiheit als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt.49 Die Deutschen haben damit ein subjektives Recht, ihr Land zu verlassen; sie haben auf Grund Europarechts darüber hinaus sogar einen Anspruch, sich in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ständig aufhalten zu dürfen (Art. 18 EG-Vertrag). Weder rechtlich noch faktisch kann und soll ein Deutscher an der Gemeinschaft mit seinem Volk festgehalten werden. Deutschland kann aber auch den Zuzug und den Verbleib von Fremden nur noch begrenzt steuern. Zwar ist der Aufenthalt von Ausländern generell genehmigungspflichtig (§§ 5 ff. Ausländergesetz), und von diesem Instrument wird im genannten Sinne Gebrauch gemacht: durch räumliche Begrenzung, zeitliche Befristung oder vollständige Versagung der Aufenthaltsgenehmigung. Es gibt jedoch zwei große Personengruppen, die keiner Einreiserlaubnis bedürfen, deren Zuzug daher auch nicht steuerbar ist. Dies sind einmal politisch Verfolgte, die nach Art. 16 a GG ein subjektives Recht auf Asyl in Deutschland haben. Mit dieser Bestimmung, die von Beginn an im Grundgesetz enthalten (ursprünglich Art. 16 Abs. 2 S. 2), aber in ihrem Bestand politisch keineswegs unumstritten ist, sollte nach dem Terror des Dritten Reiches ein Zeichen gesetzt werden, indem man Verfolgten aus aller Welt eine Heimstatt anbot.50 Allerdings werden die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge ganz überwiegend nicht als politische Verfolgte anerkannt,51 es kommen also wesentlich mehr Personen als nach Art. 16 a GG Berechtigte. Dennoch ist ihnen allen - aus rechtsstaatlichen Gründen zwingend - während des Verwaltungsverfahrens zur Überprüfung der Asylvoraussetzungen und der sich möglicherweise anschließenden gerichtlichen Verfahren in der Regel der Aufenthalt zu gestatten (§ 55 Abs. 1 Asyl Verfahrensgesetz). Um diesen mitunter mehrere Jahre dauernden Aufenthalt von Personen zu vermeiden, bei denen eine politische Verfolgung nicht feststellbar ist, sind die Verfahren zum Teil in rechts staatlich nicht unproblematischer Weise52 verkürzt worden, zum Teil wird auch die Einreise verweigert (Art. 16 a Abs. 2 bis 4 GG). Die zweite Personengruppe, die keiner Aufenthaltsgenehmigung bedarf, sind die Staatsangehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten. Sie haben kraft Europarechts ein Aufenthaltsrecht in Deutschland und dürfen im Rahmen des Aufenthalts und bei der Arbeitsaufnahme nicht gegenüber Inländern diskriminiert werden. 53 Aus diesem Befund hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gefolgert, dass die 49

BVerfGE 6, 32 (42 ff.) - Elfes. Vgl.//./. Bonk, in: M. Sachs, Grundgesetz (2. Aufl. 1999), Art. 16a Rn. 3. 51 Vgl. C. Klos, Deutschlands Verhältnis zur Genfer Flüchtlingskonvention und zur Europäischen Menschenrechtskonvention, ZAR 2000, 202 (206f.). 52 Dazu BVerfGE 94, 49; 94, 115; 94, 166. 53 Näher zur Ausgestaltung des Aufenthaltsrechts und des Rechts zu beruflicher Betätigung U. Fastenrath/M. Müller-Gerbes, Europarecht (2000), S.61 ff. 50

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Unionsbürger in der EU nirgends den Beschränkungen für Ausländer unterliegen dürfen, die die Europäische Menschenrechtskonvention nach ihrem Art. 16 ansonsten zulässt;54 das schließt die Unzulässigkeit eines Einreiseverbots ein. Die Staatsangehörigen anderer EU- Mitgliedstaaten sind also nicht nur auf Grund und im Rahmen des EG-Vertrags mit den Inländern gleich zu behandeln, sondern auch im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Darüber hinaus kann Deutschland auch den kurzfristigen Aufenthalt von Fremden aus Drittländern nicht mehr eigenständig steuern. Im Schengener Abkommen haben sich die meisten EU-Mitgliedstaaten auf ein einheitliches Visum für diesen Personenkreis geeinigt.55 Drittausländer können sich danach bis zu drei Monaten in anderen Mitgliedstaaten frei bewegen, wenn ihnen von einem Mitgliedstaat ein Sichtvermerk erteilt wurde. Dauerhafte Zuzugsrechte können - grundrechtlich abgesichert 56 - Familienangehörige für sich in Anspruch nehmen (§§ 17 ff., 29, 31 Ausländergesetz). Deutschland kann weiterhin den Verbleib von Ausländern aus EU-Ländern nicht und aus Drittstaaten nicht ohne weiteres beenden, soweit die Ausländer sich hier rechtmäßig aufhalten. Das einzige Steuerungsmittel genereller Art ist bei Drittstaatsangehörigen die anfängliche Befristung der Aufenthaltsgenehmigung. Die nachträgliche zeitliche Beschränkung oder der Widerruf der Aufenthaltsgenehmigung ist nur aus besonderen Gründen im Einzelfall zulässig (§§ 12 Abs. 2,43,45 ff. Ausländergesetz). Kollektivausweisungen sind unzulässig (Art. 4 des Protokolls Nr. 4 zur EMRK). Von einer Schicksalsgemeinschaft des Volkes kann angesichts der Auswanderungsfreiheit der Deutschen sowie des erheblichen und in seiner Größenordnung nur geringfügig beeinflussbaren Ausländeranteils in Deutschland nicht mehr die Rede sein. Zur Schicksalsgemeinschaft ist die dauerhaft ansässige Wohnbevölkerung geworden.

b) Verbot der Ausweisung und Auslieferung eigener Staatsangehöriger Mit dem Verbot der Ausweisung und Auslieferung eigener Staatsangehöriger erweist sich das Volk als Schutzgemeinschaft. Während das Ausweisungsverbot - abgesichert durch das Recht auf Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet (Art. 11 Abs. 1 GG) 57 und Art. 3 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK - nicht in Frage steht, ist das 54

EGMR, Sérié Α. 314 - Piermont/France; dazu J.A. Froxvein/W. Peuckert, Europäische Menschenrechtskonvention, Kommentar, 2. Aufl. 1996, Art. 16 Rn. 1. 55 Art. 10 ff. Schengener Durchführungsübereinkommen, BGBl. 1993 I, S. 1010; dazu noch unten III. 3. a (S. 55 f.). 56 Art. 6 GG; Art. 8 EMRK; Art. 23 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte. 57 BVerfGE 2, 266 (271); 43, 203 (211).

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Auslieferungsverbot in Art. 16 Abs. 2 GG jetzt gelockert worden. 58 Der Gesetzgeber kann durch ein einfaches Gesetz regeln, dass Deutsche an andere EU-Mitgliedstaaten ausgeliefert beziehungsweise an internationale Strafgerichte überstellt werden können.

c) Wehrpflicht Auch die Wehrpflicht ist Ausdruck des Gedankens von einer Schutzgemeinschaft. Art. 12 a Abs. 1 GG beschränkt sie aber nicht etwa auf Deutsche, sondern spricht ohne nähere Eingrenzung von Männern, die zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden können. Dementsprechend sieht § 2 Wehrpflichtgesetz auch die Heranziehung von Ausländern und Staatenlosen vor. Freilich sind über Art. 25 GG die völkerrechtlichen Schranken zur Heranziehung von Ausländern zum Wehrdienst zu beachten.59 Umgekehrt nimmt § 1 Wehrpflichtgesetz die im Ausland dauerhaft ansässigen Deutschen weitgehend von der Wehrpflicht aus beziehungsweise lässt deren Wehrpflicht ruhen. Auch insoweit lässt sich also nicht mehr uneingeschränkt vom Volk als einer Schutzgemeinschaft sprechen.

d) Diplomatischer und konsularischer Schutz Desgleichen gibt es eine Änderung bei der Gewährung diplomatischen und konsularischen Schutzes. Anders als die Weimarer Reichsverfassung 60 enthält das Grundgesetz zwar keinen ausdrücklichen Anspruch hierauf, jedoch wird dieser als Teil des staatsbürgerlichen Status angesehen oder auf die in den Grundrechten enthaltenen Schutzpflichten des Staates gestützt.61 Dieser Anspruch hat mit Art. 20 EGVertrag jedoch eine europarechtliche Ausweitung erfahren. Danach genießen Unionsbürger in Drittländern den Schutz durch andere EU-Mitgliedstaaten, wenn der eigene Heimatstaat dort nicht vertreten ist, was eine Erweiterung der Schutzgemeinschaft bedeutet. Allerdings sind die Drittländer nicht verpflichtet, diese Ausweitung des Schutzrechts anzuerkennen (vgl. Art. 20 S. 2 EG-Vertrag).

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47. Änderungsgesetz zum Grundgesetz (BGBl. 20001, S. 1633). J. Kokott, in: Sachs (Fn. 50), Art. 12 a Rn. 8. 60 Deren Art. 112 Abs. 2 lautete: „Dem Auslande gegenüber haben alle Reichsangehörigen innerhalb und außerhalb des Reichsgebiets Anspruch auf den Schutz des Reiches." 61 BVerfGE 37, 217 (241); 55, 349 (364f.) - Hess; J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, HbStR V (1992), § 111 Rn. 123; E. Klein, Diplomatischer Schutz und grundrechtliche Schutzpflicht, DÖV 1977, 704ff. 59

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4. Das Volk als Legitimations gemeinschaft und die Volkszugehörigkeit als Voraussetzung für die Übernahme staatlicher Ämter Wesentliche Funktion des Staatsvolks ist es, die staatliche Herrschaft zu legitimieren und an dieser teilzuhaben. Dadurch werden die Staatsangehörigen zu Staatsbürgern. 62 Dementsprechend wird der Begriff „Volk", der in Art. 20 GG ohne nähere Qualifizierung als Legitimationsbasis für die Ausübung der deutschen Staatsgewalt aufgeführt ist, vom Bundesverfassungsgericht als „Deutsches Volk" verstanden, nicht im Sinne von Wohnbevölkerung.63 Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht die Einräumung des aktiven und passiven Kommunalwahlrechts an Staatsangehörige der Europäischen Union zugelassen,64 was inzwischen in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG auch ausdrücklich normiert ist. 65 Indem auf kommunaler Ebene nicht mehr allein die Deutschen über ihre Funktionsträger entscheiden und Ausländer auf dieser Ebene Mitglied in einer deutschen Volksvertretung werden können, wird die Legitimationsbasis dort verbreitert oder anders ausgedrückt: das Staatsvolk wird in seiner Legitimationsfunktion entgrenzt. Das Gleiche wiederholt sich auf europäischer Ebene. Nach Art. 19 Abs. 2 EGVertrag üben die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union das aktive und passive Wahlrecht zum Europäischen Parlament an ihrem jeweiligen Wohnsitz aus, gleichgültig ob sich dieser im Heimatstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat befindet. Obwohl die Abgeordneten im Europäischen Parlament nach Art. 189 EG-Vertrag Vertreter ihrer Völker und nicht etwa eines - nicht vorhandenen - Europäischen Volkes sind, werden sie also zum Teil von Ausländern gewählt; es können sogar Ausländer auf das Kontingent ihres Aufenthaltsstaats gewählt werden. Die Abgrenzung der Völker in der Europäischen Union wird hier somit je nach Ausländeranteil mehr oder weniger stark verwischt. Umgekehrt haben Auslandsdeutsche mangels eines inländischen Wohnsitzes kein Wahlrecht bei Kommunal- und Landtagswahlen und bei Bundestagswahlen regelmäßig dann nicht, wenn sie außerhalb Europas leben (§12 Abs. 2 Bundeswahlgesetz). Das Deutsche Volk legitimiert also nicht mehr uneingeschränkt die Staatsgewalt und hat nicht mehr uneingeschränkt an ihr teil. Die von der Hoheitsausübung nicht betroffenen, weil im Ausland wohnenden Deutschen sind teilweise ausgeschlossen, während Ausländer teilweise eingeschlossen werden. Das hat seinen guten Grund. Das Selbstbestimmungsrecht wird dem Volk zugesprochen, weil und so62 Zum Verhältnis der Begriffe Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft vgl.R. Grawert, Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft, Der Staat 23 (1984), 179 (197 ff.); s. a. U. Fastenrath, Staatsvolk, Staatsbürgerschaft, Minderheitenschutz, in: C. Degenhart/C. Meissner (Hrsg.), Handbuch der Verfassung des Freistaates Sachsen (1997), S. 106f. 63 BVerfGE 83, 37 (50f.); 83, 60 (71 f.). 64 A.a.O., S.59. 65 Eingefügt durch das 38. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom 21.12.1992 (BGBl. 1992 I, S.2086).

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weit es eine Schicksalsgemeinschaft ist; und Herrschaft kann der Einzelne nur legitimieren, soweit er der Schicksalsgemeinschaft angehört. Ist aber das Staatsvolk als Schicksalsgemeinschaft teilweise entgrenzt, muss auch die Legitimationsbasis teilweise entgrenzt werden. Dies kann nicht ohne Auswirkungen auf die Auslegung des Volksbegriffs in Art. 20 GG bleiben, der im Sinne von „ständiger Wohnbevölkerung" uminterpretiert werden müsste.66 Die Staatsgewalt als eine dem Staatsvolk zugehörige Gewalt wird weiterhin dadurch relativiert, dass staatliche Ämter ebenso wenig wie der Beamtenstatus67 den eigenen Staatsangehörigen vorbehalten werden dürfen. Zwar sichert Art. 33 Abs. 2 GG nur den Deutschen gleichen Zugang zu diesen Ämtern zu; diese Bestimmung wird jedoch überlagert durch die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union, die sich auch auf die Beschäftigung im öffentlichen Dienst erstreckt und jegliche Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit verbietet (Art. 39 EG-Vertrag). Die Bereichsausnahme für die öffentliche Verwaltung in Art. 39 Abs. 4 EG-Vertrag wird vom Europäischen Gerichtshof sehr eng ausgelegt; nur staatliche Leitungsfunktionen und Kernbereiche der Hoheitsverwaltung dürfen den Staatsangehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten verschlossen bleiben.68

I I I . Territoriale Entgrenzung Die aus dem Völkerrecht sich ergebende, grundsätzliche Begrenzung der Herrschaftsgewalt eines Staates auf sein Territorium spiegelte sich ursprünglich auch im Grundgesetz wider: der im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands aufgehobene Art. 23 69 beschrieb den räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes und damit prinzipiell auch den Geltungsbereich der darauf beruhenden Rechtsordnung. Die Grenzen des Geltungsbereichs wie auch der damit korrespondierende Ausschließlichkeitsanspruch der Herrschaftsausübung auf dem eigenen Territorium ist aus völkerrechtlicher Sicht freilich disponibel. Jeder Staat kann die Ausübung fremder Hoheitsgewalt auf seinem Gebiet zulassen und umgekehrt im Einverständnis mit dem oder den betroffenen Staaten seine Hoheitsgewalt ausdehnen.70 Inwieweit auch das Grundgesetz dies zulässt, wird noch zu prüfen sein (unten 4. und 5.). 66

In diesem Sinne ebenfalls Hobe (Fn. 19), S. 545; Schlüter (Fn.43), S. 216f. Näher dazu/. Schwarze, Deutscher Länderbericht, in: ders. (Hrsg.), Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung: Das Ineinandergreifen von nationalem und europäischem Verfassungsrecht (2000), S. 143 ff. 68 Zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in dieser Frage im Einzelnen W. Brechmann, in: Calliess/Ruffert (Fn. 46), Art. 39 Rn. 99 ff.; Fastenrath/Müller-Gerbes (Fn.53), S.69ff. 69 Art. 23 GG a. F. lautete: Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In den anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen. 70 Verdross/Simma (Fn. 10), §§ 1023 f. 67

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Mit der Abgrenzung der Herrschaftssphären der Staaten ging aus traditioneller Sicht einher, dass der Staat nach außen als einheitlicher politischer Akteur in Erscheinung trete, 71 die Binnenaufgaben im wesentlichen also ohne Außenkontakte zu erledigen seien. Inwieweit das Grundgesetz die eingangs bereits beschriebene Internationalisierung der Staatsaufgaben aufnimmt und damit eine Auffächerung des Außenprofils des Staates zulässt, wird ebenfalls zu prüfen sein (unten 1.). Schließlich ist darauf einzugehen, wie sich die Bemühungen, das Trennende der Grenzen zu überwinden, rechtlich einordnen lassen (unten 2. und 3.).

1. Die Entgrenzung des äußeren Erscheinungsbildes des Staates durch Außenkontakte von subnationalen Hoheitsträgern und Parlamentariern a) Zulässigkeit von Außenkontakten subnationaler Hoheitsträger Art. 32 Abs. 1 GG schreibt dem Bund die Pflege der auswärtigen Beziehungen zu. Unter diese sehr weit formulierte Bestimmung fallen jedenfalls völkerrechtsförmliche Handlungen wie der Abschluss völkerrechtlicher Verträge, die Anerkennung von Staaten, förmliche Proteste oder die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten in internationalen Organisationen.72 Diese Handlungen sind dem Bund vorbehalten, soweit nicht Art. 32 Abs. 3 GG den Ländern den Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen und alle damit im Zusammenhang stehenden Handlungen erlaubt. Vom Bundesverfassungsgericht geklärt ist weiterhin, dass von Art. 32 GG nur Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten erfasst werden, 73 nicht aber Beziehungen zu ausländischen subnationalen Hoheitsträgern ohne Völkerrechtsfähigkeit wie Kommunen oder staatlichen Universitäten. Grenzübergreifende Städte- und Universitätspartnerschaften sind danach also nicht verboten. Ihre Zulässigkeit hängt vielmehr davon ab, ob es sich dabei um eine Selbstverwaltungsaufgabe im Rahmen des örtlichen Wirkungskreises der Kommunen gemäß Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG beziehungsweise um eine Aufgabe im Rahmen des Lehr- und Forschungsauftrags der Universitäten handelt. Beides wird einhellig bejaht.74 Umstritten bleibt freilich die rechtliche Einordnung von Auslandsbesuchen und Reden außenpolitischen Inhalts seitens Vertretern subnationaler Hoheitsträger. Begrenzt man den sachlichen Regelungsbereich von Art. 32 GG auf völkerrechtsförm71

Siehe oben 1.1 (S. 38 f.). Vgl .1. Pernice, in: H.Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II (1998), Art. 32 Rn. 25 ff.; R. Streinz, in: Sachs (Fn. 50), Art. 32 Rn. 12. 73 BVerfGE 2, 347 (374). 74 Dazu U. Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt (1986), S. 188 ff.: H. Heberlein, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit auf kommunaler Basis, DÖV 1996, 100 (101 f.). 72

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liches Handeln,75 werden sie von dieser Norm nicht untersagt, womit freilich noch nichts Positives über ihre Zulässigkeit gesagt ist. Diese leitet sich vielmehr aus dem Auftrag zur Erledigung der Aufgaben ab, die den subnationalen Hoheitsträgern zugewiesen sind. Dieser Auftrag ist zwar durch den räumlichen Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Hoheitsträgers territorial begrenzt; das bezieht sich aber nur auf die Aufgabenerledigung als solche. Im vorgängigen Verwaltungsverfahren dürfen ohne weiteres auch Stellen von außerhalb einbezogen werden, und ohne Rücksicht auf den räumlichen Zuständigkeitsbereich kann die Aufgabenerledigung durch Öffentlichkeitsarbeit oder ihr sonst dienliche Kontakte flankiert werden. Soweit die Koordination mit ausländischen Stellen, Auslandsbesuche oder öffentliche Reden im Zusammenhang mit der Aufgabenerledigung subnationaler Hoheitsträger stehen, sind sie daher zulässig. Nach ganz überwiegender Auffassung umfasst Art. 32 Abs. 1 GG hingegen auch informelles, außengerichtetes Handeln (sog. Akte reiner Außenpolitik 76). Dennoch wird die von zahlreichen Außenkontakten der Länder geprägte Staatspraxis inzwischen allgemein als zulässig angesehen. Man beruft sich dabei zum einen auf eine Kompetenz der subnationalen Hoheitsträger kraft Natur der Sache,77 zum anderen darauf, dass Art. 32 Abs. 1 GG den subnationalen Hoheitsträgern nur verbiete, eine gesamtstaatliche Repräsentanz für sich in Anspruch zu nehmen.78 Im Ergebnis dürften sich diese Auffassungen nicht unterscheiden. Sie lassen Auslandskontakte und außengerichtetes, informelles Handeln subnationaler Hoheitsträger zu, soweit diese sich aus ihrer Stellung und den ihnen zugewiesenen Aufgaben ergeben. Für die erstgenannte Auffassung spricht die Entstehungsgeschichte und der systematische Zusammenhang der Bestimmung im Grundgesetz, wo stets nur Kompetenzen zu rechtsförmlichem Handeln geregelt sind.79 Für letztere Auffassung spricht der weite Wortlaut des Art. 32 Abs. 1 GG, aber nur vermeintlich dessen Zweckrichtung. Angesichts der politischen Entwicklung mit einem erhöhten Koordinationsbedarf auch auf subnationaler Ebene, insbesondere aber der pluralen Willensbildung in demokratischen Staaten und stets einzukalkulierender Regierungswechsel ist es längst üblich geworden, dass sich ausländische Staatenvertreter auch mit Vertretern subnationaler Hoheitsträger und Parlamentariern einschließlich Oppositionspolitikern treffen und mit ihnen Verbindungen unterhalten. Dementsprechend sieht auch die Politikwissenschaft im Staat keinen einheitlichen Akteur mehr, sondern bezieht die vielfältigen Strömungen im Staat ein, was zu einem aufgefächerten Außenprofil führt. 80 Wenn sich aber das angebliche Schutzgut des einheitli75

So Fastenrath (Fn. 74), S. 83 ff. Vgl. O. Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 5. Aufl. (2001), Art. 32 Rn.23. 77 So Streinz (Fn. 72), Art. 32 Rn. 52. 78 So Pernice (Fn. 72), Art. 32 Rn. 27; Rojahn (Fn. 76), Art. 32 Rn. 23. 79 Ausführlich dazu Fastenrath (Fn. 74), S. 84ff. 80 Vgl. etwa Czempiel (Fn. 15), S. 101 ff. 76

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chen politischen Auftretens nach außen in der Realität gar nicht mehr findet, hat es als Telos dieser Norm ausgedient.81 Das Verständnis des Staates als einer in sich abgeschlossenen politischen Einheit perpetuiert zudem das überholte Innen-AußenSchema, das zu einer Welt koexistierender Staaten passte, aber nicht in den Rahmen eines Völkerrechts, das sich als Ordnung kooperierender Staaten begreift. 82 Diese Auffächerung des Außenprofils hat die deutsche Rechtsordnung inzwischen auch im besonderen Zusammenhang der europäischen Integration anerkannt, indem das gemäß Art. 23 Abs. 7 GG ergangene Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union 83 in seinem § 8 die Eröffnung von Länderbüros bei der EU erlaubt; dies wird inzwischen allgemein als verfassungsrechtlich zulässig angesehen.84 Lediglich im völkerrechtlichen Rechtsverkehr tritt der Staat noch als Einheit auf. Als Völkerrechtssubjekt übernimmt er als Ganzer Rechte und Pflichten; insoweit muss Art. 32 GG Einheitlichkeit absichern. Dazu genügt es aber, seinen sachlichen Anwendungsbereich auf völkerrechtsförmliches Handeln zu beschränken und die Bundesländer - soweit sie nach Art. 32 Abs. 3 GG eigenständig völkervertragliche Bindungen im Rahmen ihrer Gesetzgebungszuständigkeiten eingehen dürfen - von der Zustimmung der Bundesregierung abhängig zu machen.85 Auf diese Weise lässt sich die Kongruenz der völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands sichern.

b) Zulässigkeit von parlamentarischen Außenkontakten Die erwähnten Kontakte zwischen Parlamentariern verschiedener Staaten beziehungsweise zwischen Abgeordneten und ausländischen Regierungsvertretern sind nach dem Grundgesetz ebenfalls zulässig. Der die Außenvertretung des Bundes regelnde Art. 59 Abs. 1 GG bezieht sich wie Art. 32 GG nur auf rechtsförmliche Akte. 86 Die grenzüberschreitende politische Kooperation bei der Wahrnehmung von parlamentarischen Aufgaben bleibt daher unberührt.

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Näher dazu Fastenrath (Fn. 35), S. 16ff Dazu Bleckmann (Fn. 32), S. 821 ff. 83 Gesetz vom 12.3.1993 (BGBl. 1993 I, S.313). 84 Ausführlich dazu U. Fastenrath, Länderbüros in Brüssel: Zur Kompetenzverteilung für informales Handeln im auswärtigen Bereich, DÖV 1990, 125 ff. 85 Dies gilt nicht für den Abschluss von Konkordaten mit dem Heiligen Stuhl; sie unterliegen Art. 30, nicht Art. 32 GG und bedürfen deshalb nicht der Zustimmung der Bundesregierung, dazu BVerfGE 6, 309 (362); Fastenrath (Fn. 74), S. 141 mit weiteren Nachw. 86 Fastenrath (Fn. 74), S. 202ff.; ebenso Rojahn (Fn. 76), Art. 59 Rn. 4, 9; Streinz (Fn. 72), Art. 59 Rn. 8; a .A. H. Mosler, Die auswärtige Gewalt im Verfassungssystem der Bundesrepublik Deutschland, Festschrift für Bilfinger (1954), S.243 (279ff.); Pernice (Fn.72), Art. 59 Rn. 19. 82

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2. Berücksichtigung ausländischer Interessen im Verwaltungsverfahren § 13 VwVfG stellt bezüglich der Verfahrensbeteiligung natürlicher Personen weder auf deren Staatsangehörigkeit noch den Wohnsitz ab; auch die Staatszugehörigkeit beziehungsweise der Sitz juristischer Personen ist unbeachtlich. Entscheidend kommt es vielmehr auf die formale Stellung als Antragsteller oder Adressat eines Verwaltungsakts an sowie auf die Möglichkeit, durch den Ausgang des Verfahrens in rechtlichen Interessen berührt zu sein. Die rechtlichen Interessen ergeben sich zunächst aus der deutschen Rechtsordnung, deren Wirkung regelmäßig, aber nicht stets auf Deutschland begrenzt ist. Aus dem territorialen Geltungsbereich einer Norm lässt sich deshalb nicht darauf schließen, dass ein Rechtsgüterschutz nur im Inland bestehe. So hat das Bundesverwaltungsgericht ein Beteiligungsrecht im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren auch Ausländern zugestanden, die im Nachbarland den Gefahren der Anlage ausgesetzt sind. Diese Auslandswirkung wird unter anderem mit der in § 1 Nr. 4 AtG bezeichneten Zweckbestimmung des Gesetzes begründet, „die Erfüllung internationaler Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Kernenergie und des Strahlenschutzes zu gewährleisten". Daneben stellt aber das Gericht auf die Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Atomgemeinschaft und die damit vollzogene Integration auf diesem Sektor ab, so „dass der in § 7 Abs. 2 AtG gewährte Drittschutz zumindest den Bürgern der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft... zugute kommt". 87 Zum Teil ist auch die Beteiligung ausländischer Behörden vorgesehen, soweit ein anderer Staat von Vorhaben oder Genehmigungen besonders betroffen ist: so gemäß §§8 UVPG, 11 a 9. BImSchV und 7 a Atomrechtliche Verfahrensordnung bei grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen oder gemäß § 33b Κ WG bei grenzüberschreitend miteinander verflochtenen Kreditinstituten. 88 3. Nivellierung

der Grenzen

a) Binnenmarktkonzept und Schengen-System Art. 14 Abs. 2 EG-Vertrag sieht einen Binnenmarkt vor, bei dem es sich um einen Raum ohne Binnengrenzen handeln soll, in dem der freie Verkehr von Waren, Per87 BVerwGE 75, 285 (289). Die Beteiligung von im Ausland wohnenden Ausländern wird aber selten bleiben, weil deren rechtliche Interessen trotz grenzüberschreitender Wirkungen des Verwaltungshandelns in aller Regel nicht betroffen sind; zur somit eher theoretischen Problematik der Auslandsbeteiligung siehe V. Neßler, Europäisches Richtlinienrecht wandelt deutsches Verwaltungsrecht (1994), S. 100ff.; weiterhin W. Βlümel, Gesetzliche Regelung der Einwendungs- und Klagebefugnis ausländischer Grenznachbarn?, Festschrift für Doehring (1989), S.89ff. 88 Näher dazu U. Fastenrath, Die veränderte Stellung der Verwaltung und ihr Verhältnis zum Bürger unter dem Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts, Die Verwaltung 31 (1998), 277 (300).

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sonen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist. Ausnahmen sind bei der Einund Ausfuhr nur aus besonderen Gründen, etwa der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit und des gewerblichen Eigentums, sowie bei der Einreise von Personen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zulässig.89 Dieses Konzept wird noch durch die beiden Schengener Abkommen90 verstärkt, durch die zwischen den angeschlossenen Staaten auch die Grenzkontrollen als sichtbares Symbol der Grenze beseitigt worden sind. Das Binnenmarktkonzept findet seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 23 Abs. 1 GG, der die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union mit dem Ziel der Verwirklichung eines vereinten Europas vorsieht. Es setzt freilich die Erfüllung weiterer Anforderungen voraus. Denn mit dem freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital wird deren Heimatrecht sozusagen mit in die anderen Mitgliedstaaten der EU genommen. Hierauf wird später noch näher einzugehen sein (unten 4.). Diese Fremdeinflüsse sind in einem freiheitlichen Rechtsstaat nur hinnehmbar, wenn die einwirkenden Rechtsordnungen in hinreichendem Maße aneinander angeglichen sind und menschenrechtlichen Anforderungen genügen. Nur so lassen sich grobe Ungleichbehandlungen und die Absenkung von Schutzstandards vermeiden. 91 Mittel hierzu sind Richtlinien zur Rechtsangleichung in den Mitgliedstaaten der EU gemäß Art. 94 bis 96 EG-Vertrag beziehungsweise auf der Grundlage der Kompetenzbestimmungen in den einzelnen Politikbereichen. b) Euroregionen Ebenso wie das Binnenmarktkonzept die Bedeutung der Grenze reduziert, wollen die Euroregionen das Trennende der Grenze überwinden, allerdings nicht mit rechtlichen Mitteln. Bei den Euroregionen handelt es sich um kommunale Zusammenschlüsse beiderseits von Staatsgrenzen, die die kulturelle und wirtschaftliche Einheit von Grenzräumen betonen und herstellen wollen. 92 Damit werden die Grenz89

Vgl. Art. 30, 39 Abs. 3,46 Abs. 1 EG-Vertrag. Regierungsübereinkommen über den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 14.6.1985 (GMB1. 1986, 79), Durchführungsübereinkommen vom 19.6.1990 (BGBl. 1993 II, S. 1010). Ausführliche Darstellung von Vorgeschichte und Inhalt der Schengener Abkommen bei K. Grütjen, Innere Sicherheit in der Europäischen Union - Entwicklungen und Perspektiven unter besonderer Berücksichtigung des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19. Juni 1990, Die Kriminalpolizei 1997,7ff., 50ff, 87ff., 116ff. 91 Hobe (Fn. 19), S.539. 92 Zur grenzüberschreitenden kommunalen Zusammenarbeit siehe A. Beck, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf kommunale grenznachbarschaftliche Einrichtungen (1995); U. Bey erlin, Rechtsprobleme der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (1988);//. Heberlein, Kommunale Außenpolitik als Rechtsproblem (1989); ders. (Fn.74), S. lOOff.; K.Kettwig, Rechtsgrundlagen dezentraler grenzüberschreitender Zusammenarbeit im deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Grenzraum (1994); B. Schlögel, Grenzüberschreitende interkommunale Zusammenarbeit (1982). 90

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räume ein Stück „entnationalisiert", wenn auch nur in einem politisch-symbolischen und wirtschaftlichen Sinne. Da das grenzüberschreitende Element der Euroregionen politischer Natur ist, kommen sie ohne rechtliche Grundlage aus. Wie bereits dargelegt (oben 1.) ist die grenzüberschreitende Kontaktaufnahme zwischen Organen kommunaler Körperschaften verfassungsrechtlich zulässig. c) Grenznachbarliche Einrichtungen Der 1992 eingeführte Art. 24 Abs. 1 a GG erlaubt es den Ländern im Rahmen ihrer Befugnisse und zur Erfüllung ihrer Aufgaben grenznachbarschaftliche Einrichtungen zu schaffen und diesen Hoheitsrechte zu übertragen. Meines Wrssens ist von dieser Möglichkeit bislang noch nicht Gebrauch gemacht worden. Wohl aber gibt es grenznachbarliche Einrichtungen wie kommunale Versorgungsbetriebe und öffentlichen Personennahverkehr, die Aufgaben beiderseits von Staatsgrenzen wahrnehmen. Dies geschieht jedoch auf vertraglichem Wege zwischen den beteiligten Kommunen, die solche Einrichtungen gemeinsam nutzen und finanzieren. Die Rechtsverhältnisse gegenüber dem Bürger und insbesondere die Gebührenerhebung richtet sich allein nach dem jeweiligen nationalen Recht, dem die betreffende Kommune unterliegt. 93 Zu Hoheitsrechtsübertragungen kommt es daher nicht. d) Grenzüberschreitende Raumordnung und Landesplanung Um die Nachteile der Randlage von Grenzräumen zu vermindern und sie möglichst weitgehend mit den Grenzräumen der Nachbarstaaten zusammenzubinden, sehen inzwischen das Raumordnungsgesetz des Bundes (§ 16) wie auch die Landesplanungsgesetze der Länder 94 die grenzüberschreitende Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen vor. 4. Transnationale

Verwaltungsakte

Unter transnationalen Verwaltungsakten versteht man solche Verwaltungsakte, deren Wirkungen sich nicht auf das Staatsgebiet der erlassenden Behörde beschränken.95 Sie stehen insbesondere im Zusammenhang mit dem Binnenmarktkonzept der Europäischen Union und sind zum Teil deren direkte Folge. Transnationale Wirkung können Verwaltungsakte auf zweierlei Weise erhalten. Zum einen können die übrigen Mitgliedstaaten der EU darauf verzichten, ihr Recht 93 Näher dazu M. Lüke/B. Kaplonek, Zur Zulässigkeit die Bundesgrenze überschreitender kommunaler Projekte, SächsVBl. 8 (2000), 149 (15Iff.). 94 Vgl. § 10 Sächsisches Landesplanungsgesetz. 95 Neßler (Fn. 87), S. 5; E. Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht, DVB1. 1993, 924 (935).

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auf einen grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden,96 wenn er bereits von einem anderen Mitgliedstaat geregelt worden ist. Ein Beispiel hierfür ist das Kreditwesengesetz, das Zweigstellen von Unternehmen mit Sitz in einem anderen EUoder EWR-Staat genehmigungsfrei stellt (§53b KWG). Ähnlich werden nach dem Lebens- und Bedarfsmittelgesetz Waren aus anderen EU- beziehungsweise EWRStaaten von den Anforderungen dieses Gesetzes befreit (§47 a LMBG). Schließlich sieht Art. 10 des Schengener Durchführungsabkommens einen einheitlichen Sichtvermerk für Drittausländer in allen Schengen-Staaten vor. In allen diesen Fällen wird also nur die Behörde eines Mitgliedstaates der EU tätig, die getroffenen Regelungen gelten jedoch auch in den anderen Mitgliedstaaten. Zum zweiten können Verwaltungsakte ausländischer Behörden mit denen der eigenen Behörden gleichgestellt werden. Auch dies führt zu einer Geltungserstreckung des Verwaltungsaktes über das Territorium der erlassenden Behörde hinaus. So werden etwa innerhalb der Europäischen Union berufszugangsberechtigende Diplome anderer Mitgliedstaaten als gleichwertig mit inländischen anerkannt und daraufhin die Zulassung zu einem Beruf erteilt 97 . Ebenso werden Einreiseverbote von Ausländern aus Drittstaaten, die von einem Mitgliedstaat erlassen worden sind, an den Außengrenzen der Europäischen Union von allen Mitgliedstaaten vollzogen.98 Gleiches gilt für die nationalen Bestimmungen zum Kulturgüterschutz. 99 Aus rechtlicher Sicht handelt es sich im ersten Fall, dem Verzicht auf die Anwendung des eigenen Rechts auf einen grenzüberschreitenden Sachverhalt, um eine partielle Deregulierung, die freilich aus rechtsstaatlichen Gründen daran gebunden sein muss, dass der Sachverhalt im anderen Staat in äquivalenter Weise geregelt und kontrolliert wird. Dies ist auf Grund von sekundärrechtlichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts gewährleistet. 100 Im zweiten Fall, der gesetzlichen Gleichstellung fremder Verwaltungsakte mit denen eigener Behörden, handelt es sich um die Anerkennung fremder Hoheitsakte, wie sie im zwischenstaatlichen Verkehr ohnehin häufig vorkommen. 101 Auch hier müssen sich jedoch die Voraussetzungen für den 96

C. Engel, Die Einwirkungen des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das deutsche Verwaltungsrecht, Die Verwaltung 25 (1992), 437 (452); R. Schmidt, Legitimationsfragen der Verwaltung unter dem Einfluss des Europarechts, in: Bauer/Huber/Popowska/Rabska (Hrsg.), X. Deutsch-polnisches Verwaltungskolloquium (1998), S. 13 (24); Schmidt-Aßmann (Fn.95), S.936. 97 Vgl. etwa § 3 Abs. 1 Bundesärzteordnung; § 4 Abs. 1 a Bundes-Tierärzteordnung; § 59 Abs. 2 Approbationsordnung für Zahnärzte; § 20 Abs. 2 Approbationsordnung für Apotheker. 98 Art.5f. Schengener Durchführungsübereinkommen (Fn.55); ausführlich dazu/?. Huber, Das Schengener Durchführungsübereinkommen und seine Auswirkungen auf das Ausländerund Asylrecht, NVwZ 1996,1069 ff.; T. Wielsch, Die europäische Gefahrenabwehr- Stand und Perspektiven europäischer Polizeiarbeit nach dem Maastrichter Vertrag, Diss. Leipzig 1998. 99 Richtlinie 93/7/EWG, ABl. EG 1993 L74, S. 74; näher dazu J. Schwarze, Der Schutz nationalen Kulturguts im europäischen Binnenmarkt, JZ 1994, 111 (116). 100 Fastenrath (Fn. 88), S. 303; Neßler (Fn. 87), S. 88 ff.; zweifelnd Schmidt-Aßmann (Fn.95), S.936. 101 Vgl.R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2. Aufl. 1994, §63.

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Erlass des Verwaltungsaktes im In- und Ausland gleichen; ansonsten wäre der sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebende Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. 102 5. Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben

im Ausland

a) Eigene Verwaltungsaufgaben Mit dem Abbau der Grenzkontrollen wird auch für Straftäter der Grenzübertritt erleichtert. Die damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Strafverfolgung und Festnahme von Personen will das Durchführungsabkommen zum Schengener Vertrag zumindest teilweise ausgleichen: In Artikel 40 und 41 sieht es vor, dass potentielle Straftäter auch grenzüberschreitend observiert werden und Vollzugsorgane der Strafverfolgung einem Straftäter auch über die Staatsgrenze hinaus nacheilen dürfen. Staatliche Organe sind damit berechtigt, in anderen Mitgliedstaaten des Schengener Systems bestimmte hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen.103 Aber auch dort, wo es Grenzkontrollen noch gibt, nämlich gegenüber nicht dem Schengensystem angeschlossenen Staaten, ist die Vornahme hoheitlicher Tätigkeiten auf fremdem Gebiet üblich geworden. Dies gilt insbesondere für die Grenzkontrollen im Eisenbahnverkehr, die aus Gründen der Zeitersparnis für die Reisenden regelmäßig im fahrenden Zug stattfinden und auf der einen Seite der Grenze beginnen, um auf der anderen Seite zu enden. Zöllner und Grenzschutzbeamte der beteiligten Staaten werden damit sowohl im eigenen als auch im Nachbarstaat tätig. Ähnliches gibt es zunehmend im grenzüberschreitenden Straßenverkehr. Die Grenzstationen der Nachbarstaaten werden heute in der Regel zusammengelegt, was aus geografischen Gründen sehr häufig bedeutet, dass sie sich auf dem Gebiet eines Staates befinden. Die Grenzkontrollen finden dann nicht exakt an der Grenzlinie statt, sondern die Ausgangskontrolle aus dem einen Staat wie auch die Eingangskontrolle in den anderen sind vorverlegt. 104 Einer der beteiligten Staaten nimmt also seine eigenen Verwaltungsaufgaben auf fremdem Boden vor. Eigene staatliche Aufgaben werden im Ausland aber auch etwa mit der Unterhaltung von Auslands schulen wahrgenommen, für die der errichtende Staat Schulordnungen erlässt, in denen nach dessen Lehrplänen unterrichtet wird und in denen insbesondere Prüfungen nach dessen Recht abgenommen werden. 105 102

Vgl. U. Fastenrath, Inländerdiskriminierung, JZ 1987, 170 (174ff.). Solche Vereinbarungen gibt es auch mit Staaten außerhalb des Schengen-Systems, etwa mit der Schweiz; vgl. dazu H.-J. Cremer, Der grenzüberschreitende Einsatz von Polizeibeamten nach dem deutsch-schweizerischen Polizeivertrag: ein Vorbild für die Kooperation der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung?, ZaöRV 60 (2000), 103 ff. 104 Dazu Κ. T. Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten (1991), S. 164 ff. 105 Dazu Fastenrath (Fn.74), S. 178 ff. 103

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Völkerrechtlich stellt die Vornahme von hoheitlichen Handlungen auf fremdem Staatsgebiet kein Problem dar. Es genügt deren Gestattung durch den jeweiligen Staat, auf dessen Boden die Handlungen vorgenommen werden. 106 Deshalb braucht das Grundgesetz auch keine Vorsorge für die Auslandstätigkeit deutscher Behörden zu treffen. Allenfalls könnte im Bereich der Länderaufgaben - so etwa im Schulbereich - fraglich sein, ob die Länder und gegebenenfalls welches Land für die entsprechende Auslandstätigkeit zuständig ist oder ob dem Bund diese Aufgabe zufällt. 1 0 7 Ebenfalls kann sich das Problem einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung und der Grundrechtsgeltung stellen.108 Problematischer ist hingegen die Tätigkeit ausländischer Behörden auf deutschem Boden. Denn nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet die Rücknahme des ausschließlichen Herrschaftsanspruchs der Bundesrepublik Deutschland eine Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG. 109 Die Ausübung fremder Hoheitsgewalt darf danach jedoch nur unter den Voraussetzungen dieser Bestimmung zugelassen werden, d. h. es muss sich um die Hoheitsgewalt einer zwischenstaatlichen Einrichtung handeln und die Zulassung muss auf bundesgesetzlicher Grundlage erfolgen. Die Zulassung der Hoheitsgewalt eines fremden Staates käme danach nicht in Betracht. 110 Aus einer Norm, die die europäische Integration Deutschlands ermöglichen und erleichtern soll, 111 wird damit eine Bremse für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit auf fragwürdiger gedanklicher Grundlage. Denn das Bundesverfassungsgericht rekonstruiert - ohne dies offen auszusprechen - das Bild des geschlossenen Staates und stützt diesen verfassungsrechtlich ab. Indem der Staat auf seinem Gebiet seine Allzuständigkeit mit Ausschließ106

Siehe bereits oben Text zu Fn. 70. Dazu Fastenrath (Fn.74), S. 173 ff.; S. Jutzi, Die deutschen Schulen im Ausland: Eine Untersuchung der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Bund und den Ländern nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (1977). 108 Dazu P. Badura, Territorialitätsprinzip und Grundrechtsschutz, Festschrift für Leisner (1999), S. 403 ff. 109 BVerfGE 59,63 (90) - Eurocontrol II; ebenso C. Tomuschat, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 24 Abs. 1 GG, Rn. 13 (Zweitbearb.). 110 So Pernice (Fn. 72), Art. 24 Rn. 24; A. Randelzhof er, in: Maunz/Düring, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 24 Rn. 53; Streinz (Fn. 72), Art. 24 Rn. 20; Tomuschat (Fn. 109), Art. 24 Rn. 34; a.A. Rauser (Fn. 104), S. 231 ff. Denkbar wäre freilich noch die analoge Anwendung von Art. 24 Abs. 1 GG, die das BVerfG nicht von vornherein ausschließt (BVerfGE 68, 1 [91]: bei einer Übertragung von Hoheitsrechten auf einen anderen Staat „griffe Art. 24 Abs. 1 GG jedenfalls nicht unmittelbar ein"). Wenig überzeugend will C. Gramm, Verfassungsrechtliche Grenzen der Zusammenarbeit mit auswärtigen Staaten im Hoheitsbereich, DVB1. 1999, 1237 (1238), herkömmliche Formen der Ausübung von Hoheitsgewalt fremder Staaten kraft Tradition zulassen. 111 Vgl. Carlo Schmid : „...daß das deutsche Volk zum mindesten entschlossen ist, aus der nationalstaatlichen Phase seiner Geschichte in die überstaatliche Phase einzutreten... Wir wollen uns doch nichts vormachen: in dieser Zeit gibt es kein Problem mehr, das ausschließlich mit nationalen Mitteln gelöst werden könnte." (Stenographische Berichte des Parlamentarischen Rates, 2. Plenarsitzung vom 8.9.1948, S. 15); weiterhin Stern (Fn. 37), § 15 11 a. 107

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lichkeit auszuüben berechtigt ist und dies als Souveränität definiert wird, 112 erscheint die Zulassung fremder Hoheitsgewalt als die Übertragung eines Teils dieser Souveränität auf einen anderen Staat. Diese Sicht mag dem Modell koexistierender Staaten entsprechen, wenngleich selbst dann nicht erkennbar ist, warum die Ausschließlichkeit der eigenen Herrschaftsgewalt verfassungsrechtlich abgesichert sein müsste. Ein Staat entfaltet seine Herrschaftsgewalt im Rahmen des Völkerrechts. Das Grundgesetz enthält weder nach seinem Wortlaut noch nach seiner Entstehungsgeschichte oder seinem Zweck einen Hinweis darauf, dass es den völkerrechtlich gegebenen Rahmen auch verfassungsrechtlich schützen wolle. Schon gar nicht wäre dies mit dem heutigen Kooperationsvölkerrecht vereinbar, das den miteinander kooperierenden Staaten Kompetenzen zuweist, nicht aber allzuständige Mächte voneinander abschließt. Sieht man die innere Souveränität nicht als Schutzgut des Art. 24 Abs. 1 GG an, lässt das Grundgesetz die Ausübung fremder Hoheitsgewalt, auch diejenige anderer Staaten, ohne weiteres auf deutschem Boden zu; es bedarf lediglich der Gestattung durch die jeweils zuständige Stelle.113 Sind damit Eingriffe in Rechtspositionen Einzelner verbunden, bedarf es jedoch auf Grund des Vorbehalts des Gesetzes einer gesetzlichen Grundlage durch einen deutschen Gesetzgeber. Da zudem jegliche Zulassung fremder Hoheitsgewalt ein Akt deutscher Hoheitsgewalt ist und diese dabei an das Rechtsstaatsgebot gebunden ist, muss auch die zugelassene fremde Hoheitsgewalt rechtsstaatlichen Anforderungen genügen und die Handlungen des fremden Staates müssen vor dessen Gerichten überprüfbar sein. Anderenfalls wäre deren Zulassung auf deutschem Boden unzulässig.114 b) Fremde Verwaltungsaufgaben In wenigen Fällen sind Behörden auch zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben im Ausland zuständig, die eigentlich dem fremden Staat obliegen. Dies ist etwa der Fall bei der Aufsicht über ausländische Zweigstellen von Banken und Versicherungen. Auf Grund der Zweiten Bankrechtskoordinierungsrichtlinie 115 beziehungsweise der Ersten Koordinierungs-Richtlinie Schadensversicherung 116 bedürfen solche ausländischen Zweigstellen keiner eigenständigen Genehmigung und werden vom Sitzstaat des Unternehmens aus kontrolliert. 117 Diese Aufsicht erfolgt aus Gründen der Praktikabilitität einheitlich für die Unternehmen einschließlich der Zweignie112

Zur Verwendung des Souveränitätsbegriffs in diesem überholten Sinne Di Fabio (Fn. 36),

S.94. 113

A. A. Gramm (Fn. 110), S. 1240f. Ebenso Cremer (Fn. 103), S. 127ff., 138; Rauser (Fn. 104), S.217ff.; vgl. dazu auch BVerfGE 77, 170 (222ff.) - Chemiewaffen. 115 Richtlinie 77/780/EWG, ABl. EG 1977 L386, S. 1. 116 Richtlinie 73/239/EWG, ABl. EG 1973 L228, S.3. 117 Vgl. §§24a, 44ff., 53 b KWG. 114

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derlassungen im Ausland. Da die Zweigniederlassungen ganz überwiegend dazu dienen, Geschäfte in dem betreffenden Staat zu tätigen, dient die Aufsicht über diese Zweigniederlassungen durch Ämter eines anderen Staates ganz überwiegend dem Schutz der Kunden am Ort der Zweigniederlassung.

c) Auswirkungsprinzip im Wettbewerbsrecht Einen Sonderfall auslandsbezogener Tätigkeit gibt es im Bereich der Wettbewerbskontrolle. Da dieses Rechtsgebiet dem Auswirkungsprinzip folgt, kommt es nicht darauf an, wo Kartellabsprachen getroffen, Marktmissbrauch veranlasst oder Unternehmensfusionen stattfinden. Relevant ist allein, dass derartiges Marktverhalten sich auf dem inländischen Markt auswirkt (§ 130 Abs. 2 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Somit sind auch im Ausland ansässige, ausländische Unternehmen dem Gesetz unterworfen und die Kartellbehörden werden ihnen gegenüber genehmigend, untersagend oder Zuwiderhandlungen verfolgend tätig.

IV. Entgrenzung der Herrschaftsgewalt 1. Europäisierung

und Internationalisierung

des Rechts

Es gehört zu den Gemeinplätzen, dass das Völkerrecht und insbesondere das Europarecht das nationale Recht immer mehr durchdringen. Dies geschieht zum einen durch unmittelbare Geltung und direkte Wirkung europäischer und internationaler Normen im nationalen Rechtsraum (a), zum anderen durch international oder europäisch vereinbarte beziehungsweise festgelegte, nationale Gesetzgebung (b) sowie durch eine am Völker- und Europarecht ausgerichtete Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts (c).

a) Geltung internationaler und europäischer Normen im innerstaatlichen Rechtsraum Völkerrecht geht - zumindest seinem Inhalt nach - großenteils in den deutschen Rechtsraum ein. Laut Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG können Verträge, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung118 beziehen oder die politischen Beziehungen Deutschlands regeln, 119 nur mit Zustimmung der Gesetzgebungsorgane in Form eines Gesetzes abgeschlossen werden. Unabhängig von ihrem Inhalt werden diese völkerrecht118

In Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG heißt es wörtlich: Bundesgesetzgebung; zur Bedeutung dieses Begriffs und der Klausel hinsichtlich der Gesetzgebungsverträge siehe Fastenrath (Fn. 74), S.219ff. 1,9 Zu diesem Begriff a. a. O., S. 217 ff.

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liehen Verträge damit in das deutsche Recht übernommen, 120 zumindest sind sie innerstaatlich zu beachten.121 Ob sie darüber hinaus auch unmittelbar anwendbar sind und möglicherweise subjektive Rechte und Pflichten für Bürger begründen, hängt von ihrem Inhalt und den Intentionen der vertragschließenden Parteien ab, d. h. die Vertragsbestimmungen müssen darauf gerichtet sein, wie andere innerstaatliche Vorschriften direkt rechtliche Wirkung zu entfalten, und hierfür zudem nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet und hinreichend bestimmt sein, um ohne weitere Normierungen ausgeführt werden zu können.122 Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze des Völkerrechts sind als allgemeine Regeln des Völkerrechts ebenfalls gemäß Art. 25 GG in den deutschen Rechtsraum einbezogen: Sie werden Bestandteil des Bundesrechts, gehen im Rang den Gesetzen vor 123 und können - sofern sie einen entsprechenden Inhalt ausweisen - unmittelbar Rechte und Pflichten für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen. Daneben findet auch das Europarecht Eingang in den deutschen Rechtsraum. Für das europäische Primärrecht ergibt sich das bereits aus seinem völkervertraglichen Charakter und der Notwendigkeit, dazu ein Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG zu erlassen. Für die Übertragung von Hoheitsrechten fordern darüber hinaus Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 24 Abs. 1 GG ein Gesetz.124 Die beiden letztgenannten Bestimmungen sind aber zudem das Einfallstor für das Sekundärrecht. Denn in den Verträgen ist vorgesehen, dass Rechtshandlungen von Organen der Europäischen Union und zum Teil auch von anderen zwischenstaatlichen Einrichtungen unmittelbar in allen Mitgliedstaaten gelten und von den staatlichen Organen anzuwenden sind. Im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts gilt das etwa für Verordnungen nach Art. 249 Abs. 2 EG-Vertrag, zum Teil auch für Entscheidungen nach Art. 249 Abs. 4 EG-Vertrag. Der Europäische Gerichtshof hat unter allgemeiner Zustimmung der Lehre und inzwischen auch der nationalen Rechtsprechung125 zudem unter bestimmten Voraussetzungen Richtlinien gemäß Art. 249 Abs. 3 EG-Vertrag 120

So nach der Transformationslehre, vgl. dazu Schweitzer (Fn. 25), S. 143 ff. So die Vollzugslehre, dazu Rojahn (Fn. 76), Art. 59 Rn. 32 ff. 122 Vgl. BVerwGE 87, 11 (13f.). Nach h.M. stehen die gemäß Art.59 Abs.2 S. 1 GG abgeschlossenen Verträge innerstaatlich im Rang von Bundesgesetzen, vgl. R. Bernhardt, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, HbStR VII (1992), § 174 Rn.29; a. A. K. Vogel, Wortbruch im Verfassungsrecht, JZ 1997,161 (165 ff.), der aus dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip ableitet, dass zwar bezüglich der Verwaltungsabkommen nach Art. 59 Abs. 2 S. 2 GG, aber nicht der politischen und Gesetzgebungsverträge nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG für die Dauer des Bestehens der völkerrechtlichen Bindung innerstaatlich wirksam durch späteres Gesetz abweichende Regelungen getroffen werden können; A. Bleckmann, Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung, DÖV 1996, 137 (142), der alle völkerrechtlichen Verträge in Verfassungsrang erheben will. 123 Näher zum Rang der übernommenen Völkerrechtsregeln Rojahn (Fn. 76), Art. 25 Rn. 37. 124 Zum Verhältnis von Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 24 Abs. 1 zu Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG siehe Rojahn (Fn. 76), Art. 24 Rn. 32. 125 Vgl. M. Rujfert, in: Calliess/Ruffert (Fn.46), Art. 249 Rn.71 f. 121

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direkte Wirkung in den Mitgliedstaaten zugesprochen.126 Indem die nationalen Behörden die Rechtsakte von Organen der EU umsetzen (müssen), werden sie in deren Dienst gestellt; ihr „Befehlsgeber" ist nicht der deutsche Gesetzgeber, sondern die supranationale Autorität. 127 b) Europäisierung und Internationalisierung der Gesetzgebung Das deutsche Recht ist jedoch nicht nur insofern entgrenzt, als Völker- und Europarecht in den nationalen Rechtsraum eindringen und unmittelbare Anwendung verlangen. Auch die staatliche Gesetzgebung erfolgt zu großen Teilen nicht mehr in nationaler Autonomie. So sind etwa zahlreiche Gesetze in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt, Soziales, aber auch in vielen anderen Bereichen auf Grund von EG-Richtlinien erlassen worden und damit europaweit vereinheitlicht. Der nationale Gesetzgeber hat nur noch mehr oder weniger kleine Spielräume bei der Rechtsetzung und vor allem die Freiheit verloren, ob er überhaupt ein Gesetz erlassen oder es wieder aufheben will. Vielfach wird aber auch eine international vereinbarte Rechtsetzung über die Europäische Union hinaus angestrebt. Völkerrechtliche Verträge nehmen immer mehr die Rechtsstellung des Einzelnen in den Blick und greifen damit auf einen Bereich über, der zuvor in nationaler Autonomie durch Gesetze geregelt wurde. Beispiele hierfür liefern die Welthandelsordnung, das internationale Umweltrecht, Auslieferungsverträge und nicht zuletzt die international gewährleisteten Menschenrechte. 1 2 8 Vielfach werden völkerrechtliche Verträge rechtsetzender Art auch von internationalen Organisationen ausgearbeitet - etwa der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Welternährungsorganisation (FAO), der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) oder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) - und den Staaten zur Annahme beziehungsweise Ablehnung (sog. Contracting out-Verfahren) 129 vorgelegt. Eine derartige, internationalisierte Gesetzgebung zur Erleichterung des zwischenstaatlichen Verkehrs oder zur Setzung internationaler Standards130 lässt die 126

Näher dazu und zu den Voraussetzungen der direkten Wirkung Fastenrath/Müller-Gerbes (Fn.53), S. 158ff. 127 /. Pernice , Deutschland in der Europäischen Union, HbStR VIII (1995), § 191 Rn. 25; R. Streinz, Der Vollzug des europäischen Gemeinschaftsrechts durch deutsche Staatsoigane, HbStR VII (1992), §182. 128 Vgl.R. Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, VVDStRL 56 (1997), 38 (41 f.). 129 Zu den verfassungsrechtlichen Problemen, die mit dem Contracting out-Verfahren verbunden sind, siehe Fastenrath (Fn. 74), S. 230f. 130 Zum Versuch einer Typisierung solcher völkerrechtlicher Verträge W. Fiedler, Quantitative und qualitative Aspekte der Einordnung der Bundesrepublik Deutschland in völkerrechtliche Verträge, in: R. Geiger (Hrsg.), Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht vor dem Hintergrund zunehmender Verdichtung der internationalen Beziehungen (2000), S. 11 (13 ff.).

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Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik verschwimmen 131 oder anders ausgedrückt: Innenpolitik wird mit den Mitteln der Außenpolitik abgestützt, weil eine allein nationale Gesetzgebung ihr Ziel verfehlen oder weniger gut erreichen würde. Wenn Wirtschafts- und Lebensräume nicht mehr national begrenzt, sondern europäisiert oder gar globalisiert sind, müssen auch die Steuerungsmechanismen europäisiert und internationalisiert, d.h. entgrenzt werden. 132 Zum Teil wird jedoch auch das nationale Recht in den Dienst der internationalen Gemeinschaft genommen. Dies ist der Fall, wenn die Staaten in ihrer Rechtsordnung die verbindlichen Anordnungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen auf der Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta umsetzen müssen. In der Regel handelt es sich dabei um Embargos, die im Wesentlichen durch entsprechende Bestimmungen im Außenwirtschaftsrecht durchgesetzt werden. Deutschland hat seine diesbezüglichen Kompetenzen allerdings weitgehend auf die Europäische Gemeinschaft übertragen (Art. 133 EG-Vertrag). c) Internationale Wirkzusammenhänge von Normen Unabhängig davon, ob man einer monistischen oder dualistischen Theorie für das Verhältnis von Völkerrecht, Europarecht und nationalem Recht folgt, stehen diese unterschiedlichen Rechtsordnungen unbestreitbar in einem Wrrkzusammenhang, der eine harmonisierende Auslegung von deren Rechtssätzen erfordert. Methodisch wird dies mit der systematischen Auslegung erreicht; die einzelnen Normen stehen in einem erweiterten Interpretationskontext, der über die jeweilige Rechtsordnung hinausreicht. In Deutschland wird der Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung aus der „Verfassungsentscheidung für eine offene Staatlichkeit"133 abgeleitet, die sich in der Präambel („als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen"), Art. 1 Abs. 2, 9 Abs. 2 und 23 bis 26 manifestiert. 134 Das Bundesverfassungsgericht hat sich zum Wächter der Einhaltung des Völkerrechts aufgeschwungen, in dem es „in besonderem Maße darauf" achtet, „daß Verletzungen des Völkerrechts, die in der fehlerhaften Anwendung oder Nichtbeachtung völkerrechtlicher Normen durch deutsche Gerichte liegen und eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland begründen könnten, nach Möglichkeit verhindert oder beseitigt werden". 135 Es legt deshalb verfassungsrechtliche Be131

C. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1978), 7 (32f.); Wolfrum (Fn. 128), S.43. 132 P. Kirchhof Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVB1. 1999, 637 (646f.): vgl. hierzu auch B. Ehrenzeller, Legislative Gewalt und Außenpolitik (1993). 133 Vogel (Fn. 20), S.42. 134 Vgl. Rojahn (Fn. 76), Art. 24 Rn. 1. 135 BVerfGE 58, 1 (34); 59, 63 (89) - Eurocontrol I und II. 5 Pitschas/Kisa

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griffe so aus beziehungsweise wendet das Grundgesetz so an, dass Völkerrechtsverletzungen tunlichst vermieden werden. Auch Gesetze seien im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen auszulegen und anzuwenden, selbst wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als die ebenfalls mit Gesetzesrang geltenden völkerrechtlichen Verträge; „denn es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Pflichten ermöglichen will". 1 3 6 In gleicher Weise ist das nationale Recht im Hinblick auf das Europarecht einschließlich des sekundären Gemeinschaftsrechts auszulegen. Die Verpflichtung hierzu ergibt sich aus Art. 10 EG-Vertrag, der von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union verlangt, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus dem EG-Vertrag oder aus Handlungen der Gemeinschaftsorgane ergeben, und alles zu unterlassen, was die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden könnte. Eine besondere Ausprägung findet die europarechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts in der richtlinienkonformen Auslegung der Gesetze, die der Umsetzung der EG-Richtlinien dienen.137 Damit wird der enge Zusammenhang von Richtlinie und nationalem Umsetzungsgesetz betont. Die Völker- und europarechtsfreundliche Auslegung des nationalen Rechts schließt ein, dass sie der Entwicklung des Völker- und Europarechts folgt, also nicht statisch auf dem Stand zum Zeitpunkt des Erlasses der innerstaatlichen Norm verharrt. Der Bezugspunkt der Auslegung ist damit dynamisch angelegt. Verantwortlich dafür ist zum einen die Entstehung stets neuer Rechtssätze im Völker- und Europarecht, zum anderen der Wandel von deren Auslegung und in Folge davon auch von deren Inhalt. Völker- und Europarecht haben eigenständige Interpretationsmethoden ausgebildet. So legt etwa der Europäische Gerichtshof bei der Auslegung starkes Gewicht auf die Funktionsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaften und die Verwirklichung der Vertragsziele, 138 während im Völkerrecht neben dem Willen der Parteien bei Abschluss des Vertrags die nachfolgende Staatenpraxis und die Organpraxis internationaler Organisationen bei der Anwendung der Verträge eine große Rolle spielen.139 Hohe Autorität kommt sowohl im Völkerrecht wie auch im Eu136

BVerfGE 74, 358 (370). Vgl. zum Ganzen auch O. Rojahn, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Entscheidungspraxis des Bundesverwaltungsgerichts, in: Geiger (Fn. 130), S. 123 (128ff., wo auch ein Beispiel erwähnt wird, in dem das Bundesverwaltungsgericht sich der Auslegung von Art. 3 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verweigert hat [BVerwGE 104,265 if.]); dazu auch T. Masuch, Entscheidet die Täter- oder die Opferperspektive über den Abschiebungsschutz aus Art. 3 EMRK?, ZAR 2000, 115 ff. 137 Vgl. hierzu EuGH, Rs. 14/83 [von Colson u. Kamann], Slg. 1984,1891, und BAG, NJW 1990, 65; W. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung (1994). 138 Vgl.fl. Streinz, Europarecht, 5. Aufl. 2001, S.208. 139 Zur dynamischen Auslegung von Völkerrecht siehe U. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht: Zu Rechtscharakter, Quellen, Systemzusammenhang, Methodenlehre und Funktionen des Völkerrechts (1991), S. 199ff.

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roparecht der Spruchpraxis der Gerichte 140 zu, ζ. B. des Internationalen Gerichtshofs, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs. Über die formale Verbindlichkeit der Entscheidung für die Streitparteien beziehungsweise - im Vorabentscheidungsverfahren des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 234 EG-Vertrag - für das nationale Gericht prägen die Urteile ganz allgemein das Rechtsverständnis.141 Wegen der Eigenständigkeit der Interpretationsmethoden der in bezug genommenen Rechtsordnungen und der mitunter von den Staaten nicht oder nur schwer zu beeinflussenden Auslegung einzelner Rechtssätze dieser Rechtsordnungen, verlieren die staatlichen Organe zum Teil zugleich die Interpretationsherrschaft über das nationale Recht. Mitunter müssen sie nationales Recht auch in erheblich veränderter Weise anwenden. Das gilt etwa für die Rückforderung europarechtswidriger staatlicher Subventionen, wo § 48 VwVfG nur noch als Torso erscheint 142 oder für die Staatshaftung bei Verletzung von Europarecht (soweit man keinen eigenständigen europarechtlichen Haftungsbestand annimmt).143 Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts sind damit partiell europäisiert und internationalisiert, d. h. entgrenzt. Die interpretatorische Entfaltung von Völker- und Europarecht kann das nationale Recht allerdings nicht grenzenlos aufnehmen, will es nicht seine demokratische Basis verlieren, rechtsstaatliche Grundsätze und eventuell sogar menschenrechtliche Gewährleistungevn aufgeben. Aus der Sicht der Staaten bleibt die Grundlage des Europarechts immer noch das nationale Übertragungsgesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 2 bzw. Art. 24 Abs. 1 GG, die Grundlage für die Geltung von Völkervertragsrecht im nationalen Rechtsraum das Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG. Zwar hat damit der Gesetzgeber auch in die eigengesetzliche interpretatorische Fortbildung der Völker- und europarechtlichen Rechtssätze eingewilligt, die Entwicklung muss aber für den Gesetzgeber und betroffene Bürger zumindest in groben Zügen voraussehbar sein. Vertrags- und Übertragungsgesetze von Hoheitsrechten 140 Vgl. dazu Art. 38 Abs. 1 Buchst, d Statut des Internationalen Gerichtshofs, wonach richterliche Entscheidungen ein Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen sind; ausführlich zur Bedeutung richterlicher Entscheidungen im Völkerrecht Fastenrath (Fn. 139), S. 194 ff. 141 Vgl. hierzu BVerfGE 74,358 (370): „Bei der Auslegung des Grundgesetzes sind auch Inhalt und Entwicklungsstand der Europäischen Menschenrechtskonvention in Betracht zu ziehen ... Deshalb dient insoweit auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes." Ebenso BVerwG, NVwZ 2000, 810 (811); K.-P. Sommermann, Völkerrechtlich garantierte Menschenrechte als Maßstab der Verfassungskonkretisierung - Die Menschenrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, AöR 114(1989), 391 ff. 142 Dazu Fastenrath (Fn. 88), S. 282ff. 143 Dazu Fastenrath/Miiller-Gerbes (Fn. 53), S. 196ff.; G.Hermes, Der Grundsatz der Staatshaftung für Gemeinschaftsrechtsverletzungen, Die Verwaltung 31 (1998), 371 ff.

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sind keine Ermächtigungsgesetze, um die Rechtsentwicklung auf europäischer und internationaler Ebene beliebig voranzutreiben. 144 2. Multinationale Truppenverbände und Teilnahme von Bundeswehreinheiten an Blauhelm-Einsätzen der Vereinten Nationen In den letzten Jahren sind die Einheiten der Bundeswehr, beginnend mit der deutsch-französischen Brigade, 145 zunehmend in multinationale Truppenverbände eingegliedert worden. Die Kommandeure dieser Verbände wechseln in regelmäßigen Abständen zwischen den jeweils beteiligten Staaten ab. Da militärische Verbände einheitlich geführt werden müssen und Befehl und Gehorsam unverzichtbares Ordnungsprinzip zur Erfüllung des militärischen Auftrags ist, bedeutet dies, dass deutsche Soldaten grenzüberschreitend mit ausländischen Soldaten zu einer Einheit verbunden werden und Anordnungen ausländischer Kommandeure befolgen müssen. Damit wird die deutsche Herrschaftsorganisation in Gestalt von Teilen der Bundeswehr entgrenzt und öffnet sich zugleich fremden Einflüssen. Zu einer Eingliederung von Einheiten der Bundeswehr in multinationale Truppenverbände kommt es weiterhin bei der Teilnahme an Blauhelm-Einsätzen der Vereinten Nationen, was inzwischen mehrfach geschehen ist und im Fall des Somalia-Einsatzes (UNOSOM II) zu einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geführt hat. 146 Die hierfür zwischen dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und der Bundesregierung zu treffenden Vereinbarungen regeln die Einbindung des deutschen Kontingents in den unter Leitung der Vereinten Nationen stehenden Verband. 147 Während es verfassungsrechtlich unproblematisch ist, deutsche Einheiten in biund multinationale militärische Verbände einzubeziehen, ist die Zulässigkeit der - im Einzelnen unterschiedlich ausgestalteten - Unterstellung deutscher Soldaten unter ausländische Kommandeure umstritten. 148 Dabei wird die Ausstattung des 144 Zu den Grenzen der Pflicht zur Beachtung der Fortbildung des Europarechts siehe BVerfGE 89, 155 (188) - Maastricht; zu den Grenzen völkerrechtlicher Rechtsfortbildung siehe U. Fastenrath, Inhaltsänderung völkerrechtlicher Verträge ohne Beteiligung des Gesetzgebers - Verfassungsrechtliche Zulässigkeit und innerstaatliche Wirkung, in: Geiger (Fn. 130), S. 93 (109 ff.); zu weitgehend dagegen jetzt BVerfGE, Urteil v. 22.11.2001 - Neues Strategisches Konzept der NATO (womit das frühere Urteil, BVerfGE 90, 286 [358 ff.] - AWACS/Somalia, überholt ist). 145 Protokoll vom 22.1.1988 (BGBl. 1988 II, S. 1150). 146 BVerfGE 90, 286. 147 Nachweise in BVerfGE 90, 286 (312). 148 Siehe D. Fleck, Befehls- und Kommandogewalt über deutsche Streitkräfte in multinationalen Verbänden, in: Geiger (Fn. 130), S. 163 ff.; F. Kirchhof \ Deutsche Verfassungsvorgaben zur Befehlsgewalt und Wehrverwaltung in multinationalen Verbänden, NZWehrr 1998, 152ff. einerseits; J. Wieland, Ausländische Vorgesetzte deutscher Soldaten in multinationalen Verbänden, NZWehrr 1999,133 ff.; ders., Die Beteiligung der Bundeswehr an gemischtnationalen Einheiten, Festschrift für Böckenförde zum 65. Geburtstag (1995), S.219 (232ff.) andererseits.

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Kommandeurs derartiger Verbände mit der vollen Befehls- und Kommandogewalt (full command) vermieden, da es sich hierbei eindeutig um ein ausdrücklich in Art. 65 a und 115 b GG erwähntes Hoheitsrecht handelt, dessen Übertragung auf einen ausländischen Amtswalter zweifelhaft wäre. Stattdessen hat der Kommandeur des deutsch-niederländischen Korps eine integrierte Weisungs- und Kontrollbefugnis gegenüber allen ihm integriert unterstellten Soldaten und zivilen Mitarbeitern erhalten, 1 4 9 während im Eurokorps mit deutschen, französischen, belgischen und spanischen Einheiten den Soldaten von ihren jeweiligen Verteidigungsministern in einer „Anweisung zur Zusammenarbeit" befohlen wird, den Weisungen eines ausländischen Kommandeurs zu folgen. Ähnlich ist die rechtliche Lage bei der Eingliederung deutscher Einheiten in den Blauhelm-Verband der Vereinten Nationen in Somalia ausgestaltet worden. Zwar bleibt dem unterstellten deutschen Einheitsführer in allen Fällen die Befugnis zu prüfen, ob sich die Weisung im Rahmen der getroffenen zwischenstaatlichen Vereinbarungen hält; funktional sind die Weisungen des Kommandeurs aber Befehle: Der allgemeine Befehl zur Zusammenarbeit ist ein dynamische Verweisung, fremden Anordnungen zu folgen. Folgerichtig hat das Bundesverfassungsgericht bereits die Übertragung von operational control, d. h. die Befugnis des Kommandeurs eines multinationalen Verbandes zur Erteilung von militärischen Aufträgen an ihm unterstellte Befehlshaber, ohne Umschweife als Beschränkung deutscher Hoheitsrechte gewertet. 150 Eine Beschränkung von Hoheitsrechten ist nach Art. 24 Abs. 2 GG jedoch nur im Rahmen der Eingliederung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit, wie es die Vereinten Nationen darstellen, zulässig. Deshalb ist eine deutsche Beteiligung an Blauhelm-Einsätzen ohne weiteres möglich. 151 Die genannten, ständig aufgestellten, multinationalen Truppenverbände sind jedoch weder kollektive Sicherheitssysteme noch zwischenstaatliche Einrichtungen im Sinne von Art. 24 Abs. 1 GG, weil es ihnen an rechtlicher Eigenständigkeit fehlt. Vielmehr wird operational control (im Fall des Eurokorps) beziehungsweise operational command (im Fall des deutsch-niederländischen Korps) von Zeit zu Zeit auf einen ausländischen Amtswalter übertragen. Eine solche Übertragung eines Hoheitsrechts - entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich nicht um eine Beschränkung - dürfte aber nicht einmal in analoger Anwendung des Art. 24 Abs. 1 GG zulässig sein. 152 149 So Art. 6 des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Königreichs der Niederlande über die Rahmenbedingungen für das I. Korps und dem Korps zugeordnete Truppenteile, Einrichtungen und Dienststellen vom 6.10.1997 (BGBl. 1998 II, S. 2438). 150 BVerfGE 90, 286 (352, 355); zur Definition der Begriffe „full command", „operational command" und „operational control" siehe Zentrale Dienstvorschrift 1/50 der Bundeswehr, wiedergegeben in BVerfGE 90, 286 (308). 151 Vgl. BVerfGE 90, 286 (351 ff.). 152 F. Kirchhof (Fn. 148), S. 152ff., verneint allerdings eine Hoheitsübertragung, indem er die Eingliederung des ausländischen Kommandeurs in eine Befehlskette annimmt, die von der gebündelten Befehlsgewalt der Verteidigungsminister aller Entsendestaaten ausgeht; ebenso

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3. Einschränkung der persönlichen Immunität staatlicher Funktionsträger Aus dem völkerrechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Staaten folgt, dass kein Staat über einen anderen Staat und dessen Funktionsträger zu Gericht sitzen darf, soweit es um hoheitliches Handeln geht. Staaten haben deshalb für acta iure imperii grundsätzlich Anspruch auf Immunität vor den Gerichten anderer Staaten, ebenso die staatlichen Funktionsträger für ihr amtliches Handeln, aus Gründen der Sicherheit des zwischenstaatlichen Verkehrs zum Teil auch darüber hinaus für privates Handeln.153 Die Immunität wirkt wie ein Schutzschild für die staatlichen Herrschaftsorganisationen; verantwortlich sind Staat und staatliche Funktionäre für ihr Tun nur vor den eigenen Gerichten. Die völkerrechtliche Entwicklung hat - beginnend mit der Strafverfolgung von Kriegs verbrechen 154 und von Völkermord 155 durch alle Staaten - einzelne Straftaten vom Immunitätsschutz ausgenommen. So hat das britische House of Lords in einem Aufsehen erregenden Verfahren dem früheren chilenischen Diktator Pinochet auf der Grundlage der Anti-Folter-Konvention keinen Schutz vor Auslieferung an Spanien gewährt, damit er dort vor ein Gericht gestellt werden könne. 156 Bereits zuvor hatten amerikanische Gerichte Funktionsträger anderer Staaten zu Schadensersatz gegenüber ihren Opfern verpflichtet. 157 Weitere Immunitätsausnahmen enthalten die Statuten des Jugoslawien-158 und des Ruanda-Tribunals 159 sowie das Statut für den zu errichtenden, ständigen Internationalen Strafgerichtshof 160 für Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Mit der Möglichkeit zur Strafverfolgung staatlicher Funktionsträger in anderen Staaten öffnen die Staaten ihr Herrschaftssystem gegenüber der gerichtlichen Beurteilung durch andere Staaten, was zu einer weltweiten, d. h. entFleck (Fn. 148), S. 175 f. (siehe dazu aber die zum Teil heftige Kritik in der Aussprache, a. a. O., S. 180ff.); dagegen Wieland, Ausländische Vorgesetzte (Fn. 148), S. 141; BVerfGE 68, 1 (94). 153 Ausführlich dazu M. Liike, Die Immunität staatlicher Funktionsträger (2000). 154 Art. 49 I. Genfer Abkommen (BGBl. 1954 II, S. 783); Art. 50 II. Genfer Abkommen (BGBl. 1954 II, S. 813); Art. 129 III. Genfer Abkommen (BGBl. 1954 II, S. 838); Art. 146 IV. Genfer Abkommen (BGBl. 1954 II, S.917); Art. 85 ff. I. Zusatzprotokoll (BGBl. 1990 II, S. 1551). 155 Art. IV Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9.12.1948 (BGBl. 1954 II, S.730). 156 House of Lords, Ex parte Pinochet (24.3.1999), The Weekly Law Reports 1999,827; ausführlich dazu A. Bianchi , Immunity versus Human Rights: The Pinochet Case, European Journal of International Law 10 (1999), 237 (insbes. 254ff.). 157 Vgl. Filartiga v. Pena Irala , International Legal Materials 19 (1980), 966 ff. iss Angenommen durch Resolution 827 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 25.5.1993, abgedruckt in deutscher Übersetzung in: Simma/Fastenrath (Fn.24), S. 108. 159

Anhang zu Resolution 955 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 8.11.1994, auszugsweise abgedruckt in deutscher Übersetzung in: Simma/Fastenrath (Fn.24), S. 117. 160 Angenommen am 17.7.1998, noch nicht in Kraft; in deutscher Übersetzung abgedruckt in EuGRZ 1998,618.

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grenzten Verantwortlichkeit der Funktionsträger für schwerste Verbrechen führt. 161 Bei Völkermord 162 und Kriegsverbrechen besteht sogar eine weltweite, völkerrechtliche Strafverfolgungspflicht. Diese völkerrechtliche Entwicklung wird über Art. 25 GG laufend, ohne dass es einer Gesetzesänderung bedürfte, in das deutsche Recht übernommen. Das deutsche Recht stellt auf einfachgesetzlicher Basis in § 20 Abs. 1 Gerichts Verfassungsgesetz amtlich eingeladene Repräsentanten anderer Staaten von der deutschen Gerichtsbarkeit frei und befindet sich damit auf der Linie des Internationalen Gerichtshofs, der dem Immunitätsschutz bei amtierenden hohen staatlichen Funktionären den Vorrang einräumt. 1623 Aus dem Begründungszusammenhang ergibt sich, dass dies auch für Diplomaten und Angehörige von Spezialmissionen (auf Einladung) gelten muss.

V. Entstaatlichung von Herrschaftsgewalt 7. Übertragung von Hoheitsrechten Das Grundgesetz erlaubt es in Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 24 Abs. 1, Hoheitsrechte auf die Europäische Union oder andere zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen. Mit dem Übertragungsakt wird entweder ein zwischenstaatlicher Träger von Hoheitsrechten erst konstituiert oder seine Kompetenzen werden erweitert, d. h. es wird eine originäre 163 Rechtsquelle geschaffen, die nicht in einem wie auch immer gearteten Ableitungsverhältnis 164 zum Recht der beteiligten Staaten steht. Diesen gehen die betreffenden Kompetenzen nicht verloren, sie sind aber rechtlich verpflichtet, auf deren Ausübung insoweit zu verzichten, wie das Recht des zwischenstaatlichen Hoheitsträgers es verlangt. Zugleich öffnen die beteiligten Staaten ihren Rechtsraum und erkennen die unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit des Rechts der zwischenstaatlichen Einrich161 Dazu W. J. Aceves , Liberalism and International Legal Scholarship: The Pinochet Case and the Move Towards a Universal System of Transnational Law Ligitation, Harvard International Law Journal 41 (2000), 129ff. 162 Zur Verpflichtung aller Staaten, Völkermord nach dem Weltrechtsprinzip zu verfolgen siehe International Court of Justice, Reports 1996, 797, §31 - Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia. 162a Internationaler Gerichtshof, Urteil vom 14.2.2002 - Democratic Republic of Congo v. Belgium, paras 58-61. 163 BVerfGE 22,293 (296); 31,145 (173f.); 37,271 (277f.); Randelzhofer (Fn. 110), Art.24 Abs. 1 Rn.55. 164 Anders nunmehr wohl BVerfGE 89, 155 (190); T. Flint , Die Übertragung von Hoheitsrechten: Zur Auslegung der Art.23 Abs. 1 S.2 und Art.24 Abs. 1 GG (1998), S. 112ff. (141: „Übertragung von Hoheitsrechten bedeutet Übertragung von Hoheitsrechten, d. h. Abtretung von Bestandteilen der Staatsgewalt" im klassisch privatrechtlichen Sinnej; P. Kirchhof \ Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, HbStR V I I (1992), § 183 Rn.63ff.

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tungen an. 165 Weiterhin ist das gemeinschaftliche Recht grundsätzlich vorrangig vor dem nationalen Recht anzuwenden.166 Beides ergibt sich zwingend aus dem Zweck der Übertragung. Die Errichtung einer gemeinschaftlichen Hoheitsgewalt macht nur Sinn, wenn sich ihr Recht auch entfalten kann und ihre Rechtsakte umgesetzt werden. Jedoch findet die Anwendung supranationalen Rechts nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann ihre Grenzen, wenn die Gemeinschaftsorgane ihre Befugnisse überschritten haben (ausbrechende Rechtsakte).167 Weiterhin dürfen verfassungsrechtliche Grundentscheidungen, insbesondere der Wesensgehalt der Grundrechte nicht verletzt werden. 168 Das Bundesverfassungsgericht überlässt aber die Grundrechtsprüfung von Gemeinschaftsrechtsakten dem Europäischen Gerichtshof und will erst dann eingreifen, wenn der Grundrechtsschutz durch dieses Gericht generell nicht mehr gewährleistet wird. 169 Die Übertragung von Hoheitsrechten beinhaltet - wie bei der Errichtung der Europäischen Zentralbank und der Einführung der gemeinsamen europäischen Währung, des Euros, besonders sichtbar wird - eine teilweise Entstaatlichung der Herrschaftsgewalt durch Verzicht auf eigene Politikgestaltung und -Verantwortung.170 Materiell handelt es sich also um eine Verfassungsänderung, 171 die jedoch nicht in den Formen des Art. 79 Abs. 1 GG erfolgt. Der Verlust an Politikgestaltung ist freilich nicht vollständig. Denn den Mitgliedstaaten bleiben die Mitwirkungsrechte in der supranationalen Organisation oder Einrichtung, die allerdings sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Sie sind sehr gering, teils auch gar nicht vorhanden bei der Europäischen Patentorganisation, der Flugüberwachungsbehörde Eurocontrol, der Berufungskammer der Zentralkommission nach der Mannheimer Revidierten Rheinschifffahrtsakte, dem Berufungsausschuss der Moselkommission,172 zum Teil selbst 165 BVerfGE 37, 271 (280); 58, 1 (28); 73, 339 (374); diesen Gesichtspunkt betont Cremer (Fn. 103), S. 133 f. 166 BVerfGE 31, 145 (174 f.). 167 BVerfGE 89, 155 (210); dazu H.-P. Foli , Kompetenzüberschreitende Akte von Organen der Europäischen Union - Die Sicht des deutschen Verfassungsrechts, in: B. Simma/C. Schulte (Hrsg.), Völker- und Europarecht in der aktuellen Diskussion: Akten des 23. Österreichischen Völkerrechtstages (1999), S. 19ff.; ders., Demokratie und Integration: Der Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof über die Kontrolle von Gemeinschaftskompetenzen (1999); FC. Mayer, Kompetenzüberschreitung und Letztentscheidung: Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Letztentscheidung über Ultra vires-Akte in Mehrebenensystemen-Eine rechtsvergleichende Betrachtung von Konflikten zwischen Gerichten am Beispiel der EU und der USA (2000). 168 BVerfGE 37, 271 (279 f.). 169 BVerfGE 73, 339 (Leitsatz 2); 89, 155 (174f.); 102, 147 (164). Dass die zwischenstaatliche Einrichtung über ein Rechtsschutzsystem verfügen muss, ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, das der Übertragung von Hoheitsrechten Grenzen setzt (für die Europäische Union ausdrücklich Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG) und sie einhegt. 170 Di Fabio (Fn. 36), S. 94, spricht von einer „vertikalen Diffusion der Staatsgewalt". Zum Streit um die Zulässigkeit einer möglichen Selbstaufgabe souveräner Staatlichkeit durch Beitritt zu einem europäischen Bundesstaat siehe Schwarze (Fn. 67), S. 185 ff. 171 BVerfGE 58, 1 (34); Pernice (Fn. 72), Art. 24 Rn. 21; Rojahn (Fn. 76), Art. 24 Rn. 29.

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bei der Europäischen Union: ζ. B. bezüglich der Europäischen Zentralbank und des Europäischen Gerichtshofs. In anderen Bereichen der Europäischen Union oder bei der NATO sind die Mitwirkungsrechte der Mitgliedstaaten hingegen sehr weitreichend ausgestaltet. 2. Herausbildung von Staatengemeinschaftsgütern In den letzten Jahrzehnten haben sich im Völkerrecht zwei Konzepte herausgebildet, die den Staaten die Dispositionsbefugnis für einzelne Bereiche nehmen. Es sind dies die erga omnes-Verpflichtungen und das ius cogens. Schutzgut der ersten Gruppe sind die fundamentalen Interessen der Staatengemeinschaft wie internationaler Frieden und Sicherheit, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Einhaltung grundlegender Menschenrechte. Diese Verpflichtungen werden deshalb der internationalen Gemeinschaft als Ganzer geschuldet mit der Folge, dass jeder Staat die Beseitigung des Rechtsverstoßes und Schadenersatz für den Geschädigten verlangen kann. 173 Mit der Aufnahme in die Wiener Vertragsrechtskonvention 174 ist auch allgemein anerkannt, dass es im Völkerrecht zwingende Normen gibt, von denen einzelne Staaten selbst in gegenseitigem Einverständnis nicht abweichen dürfen. Hierzu zählen das Recht der Staaten auf Existenz und Souveränität, die Gleichheit der Staaten, das Gewaltverbot, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, Kernbereiche der Menschenrechte und - noch wenig ausgeprägt - das Verbot massiver Umweltschädigungen.175 Die kurze Übersicht zeigt, dass sich beide Konzepte inhaltlich weitgehend überlappen176 und das gleiche Ziel verfolgen, nämlich die Verhinderung der Verletzung elementarer Staatengemeinschaftsgüter. Während das ius cogens seine Wirkung jedoch im materiellen Recht entfaltet, betrifft das erga omnes-Konzept die Durchsetzung von Verpflichtungen. Die Normen des ius cogens sind allgemeine Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG und als solche Bestandteil des Bundesrechts. Obwohl diese nach der ausdrücklichen Bestimmung des Art. 25 S. 2 GG den Gesetzen vorgehen, wird ihnen doch generell nur ein Rang unterhalb der Verfassung zugestanden.177 Fraglich ist jedoch, ob dies auch für ius cogens gilt, das inhaltlich zum Teil vom Grundgesetz 172 Näher zu den genannten Einrichtungen Randelzhofer (Fn. 110), Art. 24 Abs. 1 Rn. 173 ff.; Tomuschat (Fn. 109), Art. 24 Rn. 107 ff. 173 48 Abs. 2 der „Articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts" (Fn. 26). 174 Art. 53 und 64 (BGBl. 1985 II, S. 927). 175 Näher dazu S. Kadelbach, Zwingendes Recht (1992), S.210ff. 176 Dazu Kadelbach (Fn. 175), S. 32f.; Simma (Fn. 33), S. 293 ff. 177 Vgl. Rojahn (Fn. 76), Art. 25 Rn. 37 mit weiteren Nachw.; für Ranggleichheit mit dem Grundgesetz H. Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, HbStR VII (1992), § 173 Rn.61.

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selbst mit Verfassungsrang versehen wurde (Schutz der Menschenrechte, Verbot des Angriffskrieges [Art. 26 GG]). Immerhin bildet das völkerrechtliche ius cogens einen Rechtsbestand ab, der für die Staaten nicht verfügbar, d. h. ihrer Disposition entzogen ist. 178 Aus einer monistischen Sicht des Verhältnisses von Völkerrecht und nationalem Recht kann man deshalb davon ausgehen, dass das Völkerrecht insoweit dem staatlichen Recht eine Schranke setzt. Von der dualistischen Theorie her müsste man argumentieren, dass den Staaten kraft Völkerrechts die autonome Regelungsbefugnis fehle - eine Annahme, die nicht zwingend, aber auch nicht ausgeschlossen ist. In beiden Fällen wäre von einem Überverfassungsrang der ius cogens-Bestimmungen auszugehen.179 3. Wahrnehmung von Aufgaben durch Staatengemeinschaftsorgane Soweit auf internationale Organisationen keine Hoheitsrechte zur eigenständigen Wahrnehmung übertragen werden, wodurch sie zu supranationalen Organisationen mutieren würden, berührt deren Tätigkeit in der Regel nicht den staatlichen Herrschaftsbereich. Vielmehr koordinieren die Staaten ihre Tätigkeit, sie grenzen aber nicht Teile ihrer Herrschaftsgewalt aus. Zum Teil nehmen jedoch Organe solcher internationaler Organisationen oder Einrichtungen Aufgaben für die Staatengemeinschaft in einer Weise wahr, die die Staaten bindet und möglicherweise auch deren Handeln ausschließt. Ein Beispiel für die erste Kategorie ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Er hat im Rahmen des internationalen Friedens und der Sicherheit Handlungsmöglichkeiten, die den einzelnen Staaten fehlen; zugleich aber kann er alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen durch Beschluss zur Mitwirkung verpflichten (Art. 25 UN-Charta). Staatliches Handeln wird damit Teil der gemeinschaftlichen Reaktion auf einen Friedensbruch oder eine Friedensgefahr und ist deshalb dem Verantwortungsbereich des Staates im Umfang der Befolgungspflicht entzogen. Zur zweiten Kategorie, nämlich des Handelns der Staatengemeinschaft anstelle der einzelnen Staaten, gehört die Errichtung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, wie sie sich in den Nürnberger und Tokioter Kriegsverbrecherprozessen, den Tribunalen für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda sowie künftig im ständigen Internationalen Strafgerichtshof manifestiert. Wegen des menschenrechtlichen Verbots der Doppelbestrafung 180 können die internationale und die nationale Strafge178 Hobe (Fn. 41 ), S. 272; D. Thürer, Internationales „Rule of Law" - innerstaatliche Demokratie, Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht 1995,457 (464: mit einem Beispiel aus der schweizerischen Staatenpraxis). 179 Ebenso S. Hobe, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz (2000), Art. 25 Rn. 33; ohne überzeugende Begründung wird Verfassungsrang angenommen von Kadelbach (Fn. 175), S.340f. 180 Art. 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. 1973 II, S. 1534); Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (deutsche Übersetzung in: Simma/Fastenrath [Fn.24], S.278).

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richtsbarkeit nur dann nebeneinander treten, wenn das nationale Verfahren nicht ordnungsgemäß geführt wurde. Das internationale Strafverfahren schließt jedoch das nationale aus und beschränkt damit die staatliche Strafgewalt. 181 Um die eventuell notwendige Überstellung deutscher Staatsangehöriger an die internationalen Strafgerichte zu ermöglichen, ist das Grundgesetz angepasst worden. 182 VI. Schlussbemerkung Dieser Beitrag hat ohne Anspruch auf Vollständigkeit und theoretische Durchdringung zum Teil sehr disparate Phänomene grenzüberschreitenden Wirkens der Bundesrepublik Deutschland, der Einwirkung fremder Staaten und Rechtsordnungen auf deutsches Territorium, der inter- und supranationalen Einbindung Deutschlands vorgestellt. Insofern mag man von „Entgrenzungen" des Verfassungsstaats 183 sprechen. Dieses Wort bringt freilich zum Ausdruck, es handele sich bei diesen Phänomenen um etwas Außergewöhnliches, von der Norm Abweichendes. Damit erweist sich dieser Begriff jedoch als Teil einer vergangenen Vorstellungswelt, in deren Mittelpunkt die Nationen und deren politische Organisationsform, die Staaten, standen, die sich in wechselseitiger Abgrenzung voneinander definierten. In Zeiten der Globalisierung, einer weltoffenen Wirtschaft, weltweiter Mobilität, zwischenstaatlicher Kooperation und supranationaler Einbindung sind Vorstellungen, die das Trennende herausstellen, aber unangepasst. Zwar ist jede staatliche Herrschaftsgewalt mangels eines Weltstaats notwendig begrenzt, ist jedem Staate nur ein abgegrenzter Teil der Erdoberfläche als Staatsgebiet und ein abgegrenzter Teil der Erdbevölkerung als Staatsvolk zugeordnet. Daraus folgt nun allerdings nicht, dass die Staatsgewalt an den Grenzen halt machen würde. Wenn sie auch nicht räumlich ausgedehnt werden darf, soweit keine völkerrechtlichen Erlaubnistatbestände oder die Einwilligung anderer Staaten vorliegen, so bleiben Auswirkungen staatlicher Herrschaftsgewalt in anderen Staaten auf Grund natürlicher Gegebenheiten sowie des grenzüberschreitenden Wirtschafts- und Personenverkehrs doch nicht aus, die freiheitlichen Staaten treten in einen Standortwettbewerb miteinander, und sie suchen den Herausforderungen durch Zusammenwirken maßstabgebend zu begegnen.184 181 Vgl. Art. 10 des Statuts des Jugoslawien-Tribunals (deutsche Übersetzung in: Simma/ Fastenrath [Fn.24], S. 108); Art. 20 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (deutsche Übersetzung in: EuGRZ 1998, 618). 182 Siehe bereits oben II.3.b. (S.48). 183 Dieser Begriff ist für den Bereich der Rechtswissenschaften geprägt worden von K.-P. Sommermann, Der entgrenzte Verfassungsstaat, KritV 1998,404 ff.; der Begriff ist aber auch in der Politikwissenschaft geläufig, vgl. B. Kohler-Koch (Hrsg.), Regieren in entgrenzten Räumen, Sonderheft 29/1998 der Politischen Vierteljahresschrift; H. Dittgen, Grenzen im Zeitalter der Globalisierung: Überlegungen zur These vom Ende des Nationalstaats, ZPol 9 (1999), 3 ff. 184 P. Kirchhof (Fn. 132), S. 646; im gleichen Sinne Hobe (Fn. 19), S. 533, 541; Tomuschat (Fn. 131), S. 17f.

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Die Staatsorganisation und das staatliche Recht versteht man daher besser als offene Systeme, die territorial radiziert (aber nicht begrenzt) und personal legitimiert sind. 185 Der Wechsel im Denken von prinzipiell geschlossenen zu prinzipiell offenen Staaten zwingt allerdings dazu, grundlegende staatsrechtliche Begriffe zu überprüfen und zu redefinieren. Ziel des Art. 32 Abs. 1 GG kann es dann nicht mehr sein, ein einheitliches Außenprofil der Bundesrepublik zu sichern, sondern die Widerspruchsfreiheit völkerrechtlich verbindlicher Erklärungen, die von deutschen Stellen abgegeben werden. Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 24 Abs. 1 GG öffnen nicht einen imaginären Souveränitätspanzer und verstärken auch nicht den völkerrechtlichen ausschließlichen Herrschaftsanspruch verfassungsrechtlich, sondern schaffen die Möglichkeit, zwischenstaatliche Einrichtungen mit der eigenverantwortlichen Wahrnehmung staatlicher Aufgaben zu betrauen, 186 die ein einzelner Staat sinnvoll nicht mehr wahrnehmen kann. Das Wesensmerkmal supranationaler Hoheitsgewalt liegt dann nicht in der unmittelbaren Durchgriffs Wirkung auf den Bürger 187 (mag sie zumeist auch mit dem Recht supranationaler Organisationen einhergehen), die Zulassung fremder Hoheitsgewalt ist weder Übertragung noch Beschränkung eines Hoheitsrechts im Sinne von Art. 24 Abs. 1 und 2 GG. Vielmehr wird mit der Übertragung von Hoheitsrechten die grundgesetzliche Zuständigkeits- und Verantwortungsordnung im Wege internationaler Einbindung geändert. Art. 24 Abs. 1 GG lässt hierfür ein einfaches Gesetz ausreichen und erleichtert damit diesen Schritt; Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG nimmt diese Erleichterung bezüglich der Eingliederung Deutschlands in die Europäische Union bewusst zurück, 188 indem verfassungsändernde Mehrheiten, wenn auch keine ausdrückliche Verfassungsänderung für weitere Integrationsschritte gefordert werden, die den Inhalt des Grundgesetzes berühren. In dem Maße aber, wie der Staat mit seiner Herrschaftsorganisation über sich selbst hinauswächst, in supra- und internationalen Organisationen Politik staatenübergreifend mitgestaltet und mitverantwortet, wie auch unilaterales Handeln weltweite Auswirkungen haben kann - man denke nur an Tests und Einsatz von Atomwaffen oder die Genehmigung zum Betrieb unsicherer Kernkraftwerke, die Erlaubnis zur großflächigen Rodung von Regenwäldern (die den Sauerstoffhaushalt der Erde gefährdet) oder den weiteren Gebrauch der (die Ozonschicht zerstörenden) Fluorchlorkohlenwasserstoffe - und der Staat damit globale (Teil)verantwortung trägt, wird es unsinnig, jedem Staat für sich die Letzt- und Total Verantwortung zuzuschreiben. 1 8 9 Zunehmend hängen die Interessen des Staates und seiner Bürger von Fakto185

Di Fabio (Fn. 36), S.5. Diesen Aspekt stellt heraus Pernice , Europäisches und nationales Verfassungsrecht (Fn. 47), S. 165f.; ders. (Fn. 72), Art. 23 Rn. 84; so auch schon Fastenrath (Fn. 74), S. 150f. 187 So aber Randelzhof er (Fn. 110), Art. 24 Abs. 1 Rn. 42; Rojahn (Fn. 76), Art. 24 Rn. 21 ; Tomuschat (Fn. 109), Art. 24 Rn. 8. 188 D. Scheuing, Deutsches Verfassungsrecht und europäische Integration, EuR-Beiheft 1/1997, 7 (22). 189 So aber F. Ossenbühl, Maastricht und das Grundgesetz - eine verfassungsrechtliche Wende?, DÖV 1993, 629 (631); wie im Text Hobe (Fn. 19), S.545. 186

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ren ab, die außerhalb des Einflussbereiches eines einzelnen Staates liegen: jenseits seiner territorialen Grenzen oder außerhalb seiner politischen Einwirkungsmöglichkeiten. 190 Es gibt also keine territorial oder durch Staatsangehörigkeit begrenzte Schicksalsgemeinschaft mehr, sondern je nach Handlungsbereich gestufte Schicksalsgemeinschaften angefangen von der kommunalen über die regionale, staatliche, kontinentale bis hin zur globalen Ebene, die - soweit Herrschaft auf ihnen organisiert ist - ein System von Aufgabenerfüllungsebenen bilden. 191 Dort ist jeweils - den Aufgaben angepasst - für eine demokratische Legitimation zu sorgen. 192 Die Zusammensetzung des Volkes als Legitimationsbasis der Herrschaft kann auf den verschiedenen Ebenen durchaus unterschiedlich sein. So spielt auf kommunaler Ebene die Staatsangehörigkeit nur eine geringe Rolle, weil es nicht um nationale Interessen geht; es kommt weit mehr auf die Verwurzelung in der Gemeinde an, die sich aus Ansässigkeit, Besitz oder Betätigung ergibt. Ebenso ist die Staatsangehörigkeit auf supranationaler Organisationsebene kein entscheidendes Kriterium, sofern die Betreffenden nur - wie bei der Unionsbürgerschaft im Rahmen der Europäischen Union - dem Kreis der in der Organisation zusammengeschlossenen Staaten angehören; in welchem Staat sie sich an der Willensbildung beteiligen, ist dann eher zweitrangig. Anders ist dies auf der staatlichen Ebene, weil hier die nationalen Interessen wahrgenommen werden. Freilich wird man in einem Einwanderungsland, wozu Deutschland geworden ist, das Staatsvolk anders zu definieren haben als in Staaten mit fester Bevölkerungsstruktur. Das ius soli ist hier angemessener für die Vermittlung der Staatsangehörigkeit als das ius sanguinis. Zumindest muss die Geburt im Lande oder langjährige Ansässigkeit politische Mitwirkungsrechte nach sich ziehen, soll die Herrschaft von den Beherrschten getragen sein, wie es das Demokratieprinzip verlangt. Welchen Erklärungsweit soll es haben, im Ausländer, der seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat, vielleicht sogar hier geboren ist, das Land nie oder nur kurz für eine Urlaubsreise verlassen hat und über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung verfügt, aus politischer Perspektive nur einen Gast zu sehen?193 Angesichts der zwischenstaatlichen Politikverflochtenheit und der globalen Teilverantwortung, die jedes staatliche Herrschaftssystem trägt, wird man 190

Haltern (Fn.41), S.601. Hobe (Fn. 19), S. 541; P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl. 1996, S. 38. 192 B.-O. Bryde, Auf welcher politischen Ebene sind welche Probleme vorrangig anzugehen?, in: B. Sitter-Liver (Hrsg.), Herausgeforderte Verfassung: Die Schweiz im globalen Kontext (1999), S. 223 (232 f.). Bryde stellt bezüglich der Partizipation wesentlich auf den Grund der Betroffenheit ab, a. a. O. S. 228 ff.; dersDas Demokratieprinzip des Grundgesetzes als Optimierungsaufgabe, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz (2000), S. 59 (63 ff.). 193 So aber E. W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HbStR I (1987), § 22 Rn. 28; J. Isensee, Nationalstaat und Verfassungsstaat - wechselseitige Bedingtheit, Festschrift für Roellecke (1997), S. 137 (144). 191

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einem einzelnen Bürger sein Festhalten an der Verbundenheit mit einem anderen Staat, wie sie sich in der Staatsangehörigkeit manifestiert, nicht vorhalten können. Aus dem gleichen Grund verlieren die Argumente gegen die Mehrstaatigkeit 194 an Kraft. Je mehr es um Kooperation zwischen den Staaten anstelle von bloßer Koexistenz oder gar Gegeneinander geht, umso weniger macht es Sinn, Loyalität nur gegenüber einem einzelnen Staat einzufordern. Die auf stete Verteidigungsbereitschaft gerichtete Wagenburg-Mentalität muss einem Denken Platz machen, das auf die Bewältigung globaler Aufgaben in gemeinsamer Verantwortung ausgerichtet ist, wo Loyalitäten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Rechtsstellung des Einzelnen ist auch keineswegs mehr in der elementaren Weise von der Zugehörigkeit zu einem Staatsvolk abhängig wie in früheren Zeiten, als man im Ausland allein durch das völkerrechtliche Fremdenrecht geschützt war, das an die Staatsangehörigkeit anknüpft. 195 Die menschenrechtlichen Gewährleistungen geben jedem seinen Status aus eigenem Recht, der in Rechtsstaaten auch durchgesetzt werden kann und bei massiven Verletzungen die Staatengemeinschaft auf den Plan ruft. Der Staat als solcher wird bei alledem nicht in Frage gestellt.196 Er behält seine integrativen und politischen Funktionen bei der Willensbildung. Es liegt weiter an ihm, seine Interessen und die seiner Gesellschaft und Wirtschaft im internationalen Umfeld zu wahren. 197 Deshalb bleibt es dabei, dass die Staaten sich voneinander abgrenzen müssen. In der heutigen Welt geht es aber nur um Abgrenzung, nicht mehr um Ausgrenzung. Dem muss sich das Staatsverständnis anpassen mit Folgen auch für die Interpretation der Verfassungsbestimmungen - wobei sich die Änderungen des internationalen Umfelds nicht in allen Weltregionen im gleichen Umfang vollzogen haben, weshalb der Anpassungsbedarf unterschiedlich stark ist und nicht überall zur gleichen Zeit eintritt.

194

Zu völkerrechtlichen Bemühungen zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit siehe bereits oben Fn.43. Die generelle Zulassung von Mehrstaatigkeit wird als verfassungswidrig angesehen von R. Scholz/A. Uhle, Staatsangehörigkeit und Grundgesetz, NJW 1999, 1510 (1512); P.M. Huberl K.B. Butzke, Das neue Staatsangehörigkeitsrecht und sein verfassungsrechtliches Fundament, NJW 1999, 2769 (2771); zu Recht a. A. Schlüter (Fn.43), S.212. 195 Vgl. dazu Ipsen, Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 705 ff. 196 Vgl. M. Koskenniemi , The Future of Statehood, Harvard International Law Journal 32 (1991), 397 ff.; C. Schreuer , The Waning of the Sovereign State: Towards a New Paradigm for International Law?, European Journal of International Law 4 (1993), 447 ff. 197 Vgl .Hobe (Fn. 19), S. 543.

Die Öffnung des japanischen Verfassungsstaates gegenüber regionaler und internationaler Verantwortung für Wirtschaft, Sicherheit und Umwelt Von Koji Tonami I. Die Entstehung und Entwicklung des Konstitutionalismus in Japan 1. Die Entstehung des Konstitutionalismus

in Japan

Das System des Konstitutionalismus in Japan hat erst mit dem Erlass der Japanischen Verfassung (JV) nach dem zweiten Weltkrieg angefangen. Nach der Meiji Verfassung(l) hatte der Tenno als Träger der Souveränität alle Herrschaftsrechte inne. Es gab fast gar keine Vorstellung darüber, dass die Macht des Tennos von der Verfassung kontrolliert werden sollte. Auch in Wirklichkeit konnte man damals gar kein Mittel finden, die Macht des Tennos zu überwachen. Die japanische Verfassung wurde 1946 in dem nach der Meiji Verfassung organisierten, letzten Parlament beraten und verabschiedet. Sie trat am 3.5.1947 in Kraft (2). Mit dem Erlass der japanischen Verfassung wurden die Grundlagen des Verfassungsstaates gestaltet. Allerdings wurde Japan damit nicht gleichzeitig ein konstitutioneller Staat. Um zum konstitutionellen Staat zu werden, muss der Staat viele Aufgaben bewältigen, ζ. B. die Bildung eines demokratischen Parlaments durch die Wahl, die Ausgliederung der rationalen Regierung, die demokratische Willensbildung im Spiegel der Idee der Verfassung, die harmonische Beziehung zu anderen Ländern, die sich nach dem Frieden orientierende Außenpolitik u. s. w. Die japanische Politik nach dem Zweiten Weltkrieg hat diese Aufgaben einerseits im begrenzten Umfang und Maß vollzogen, andererseits aber viele Aufgaben nicht ausreichend bewältigt. Daraus ergibt sich, dass sich die Ausgestaltung der Verfassungsstaatlichkeit Japans noch in einem Entwicklungsprozess befindet. 2. Das Problem der Verfassungsänderung als Eigentümlichkeit des japanischen Verfassungsstaates Als gewichtiges Problem für die Gestaltung des japanischen Verfassungsstaates nach dem zweiten Weltkrieg nennt man den Gegensatz zwischen dem politischen

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Gedanken einer Verfassungsbewahrung und dem Gedanken einer Verfassungsänderung. Die japanische Verfassung stammt aus dem Entwurf(3) der Besatzungsmächte (besonders der USA), daher wurde sie von konservativen Vertretern, die das Tennoregime aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg wiederherstellen wollten, gelegentlich als „die aufgedrückte Verfassung" oder als „die nichtige Verfassung" kritisiert, obwohl die japanische Verfassung inhaltlich genügend demokratisch war. Zu dem brisantesten verfassungsrechtlichen Problem geriet der Streit über Artikel 9 JV nach der Umstellung der Besatzungspolitik gegenüber Japan seit 1950 (Koreakrieg, Beginn des kalten Krieges), als sich die Amerikaner veranlasst sahen, Japan in die westliche Gruppe mit aufzunehmen und wieder aufrüsten zu lassen. Im Jahre 1950 wurde eine Nationale Polizeireserve aufgebaut, 1955 wurden die japanische Selbstverteidigungsstreitkräfte gegründet. Dadurch ist das Problem, ob das Vorhandensein der Selbstverteidigungsstreitkräfte mit Art. 9 JV in Einklang steht, zum größten Streit in der japanischen Verfassungsgeschichte geworden. Entsprechend dem Wortlaut(4) des Art. 9 JV und dem Willen des Verfassungsgebers sollten die Selbstverteidigungsstreitkräfte verfassungsmäßig sein. Deswegen hätte eigentlich für die Legitimierung der Selbstverteidigungsstreitkräfte Art. 9 JV geändert werden müssen. Aber die Jiminto-Regierung(5) hat die Verfassungsmäßigkeit der Selbstverteidigungsstreitkräfte im Wege der so genannten „Verfassungsänderung durch Interpretation" erklärt, um damit eine Verschärfung des politischen Gegensatzes zu vermeiden. Diese Haltung verfolgt die Regierung noch heute. Der Wortlaut des Art. 9 JV, wonach Japan kein Kriegsmittel besitzen darf, widerspricht jedoch der Wirklichkeit, in der die Selbstverteidigungsstreitkräfte vorhanden sind. Dieser Widerspruch bildet ein großes Hindernis auf dem Wege zur Verwirklichung eines Verfassungsstaates in Japan. Wenn man über den Streit um die Änderung oder Bewahrung der Verfassung nachdenkt, ist zu berücksichtigen, wer für die Änderung oder Bewahrung eintritt. Für eine Änderung plädiert die seit dem Krieg fast ununterbrochen regierende Partei Jiminto, während der Gedanke der Bewahrung immer von den Oppositionsparteien geäussert wird, besonders von der Shakaito(6), die dem Sozialismus zuneigt, obwohl die japanische Verfassung auf dem europäischen Kapitalismus basiert. Zwar orientiert sich Jiminto immer stark nach dem Kapitalismus, und sie gewinnt ihre Regierungslegitimität im politischen Prozess, den die japanische Verfassung bestimmt; ferner befürwortet Jiminto immer die Priorität der politischen und wirtschaftlichen Systeme der westlichen Demokratie. Auf der anderen Seite hat jedoch die Jiminto immer eine kritische oder feindliche Haltung gegen die japanische Verfassung eingenommen. Insgesamt gab es und gibt es in der Beziehung der Parteien zur Verfassung ein häufig wechselndes und widersprüchliches Gedankenkarussell. Darüber hinaus bedeutet dieser Streit nicht nur die Auseinandersetzung über die Bewertung der japanischen Verfassung, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der japanischen Verantwortung für den zweiten Weltkrieg. Die Regierungen wollen die Verantwortung für die Invasion der asiatischen Länder nicht übernehmen. Es scheint,

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dass die Regierungen die Schuldfrage vermeiden und sogar den Krieg beschönigen wollen. Dagegen waren und sind die Vertreter der Bewahrungsgruppe der Meinung, dass Japan diese Schuld übernehmen und tragen solle. Auf diesen Gegensatz beziehen sich auch das Yasukuni-Schrein-Problem und das Problem der Kriegsverantwortung des Tennos. 3. Die zurücktretende Bedeutung des Verfassungsproblems und die Bevorzugung der Wirtschaft Das Problem, ob die Verfassung bewahrt oder geändert werden solle, ist jedoch nicht die gesamte Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg diskutiert worden. Es hat die Politik häufig nur im Verborgenen bestimmt. Nach dem Streit über die Revision des japanisch-amerikanischen Sicherheitspaktes (Anpo-Vertrag) 1960 hat die japanische Regierung in ihrer Politik der Wirtschaft den Vorzug gegeben. Einhergehend damit änderte Jiminto auch ihre Haltung zu einer materiellen Verfassungsänderung durch Verfassungsinterpretation. Mit dem Beginn der Politik, die der Wirtschaft den Vorrang gab, hat sich Japan zu „einem wirtschaftlich großen Land" entwickelt. Dazwischen lag der wirtschaftliche Aufschwung in den 60er und 70er Jahren, der ÖlSchock in der letzten Hälfte der 70er Jahre und der Handelsstreit zwischen Japan und den USA in den 80er Jahren. Inzwischen sind verschiedene weitere Verfassungsprobleme, so ζ. B. über den Arbeitskampf im öffentlichen Dienst, über die Erziehung, über die Universität und über die Sozialversicherung aufgetaucht. Aber diese Probleme sind nicht in einem solchen Maß groß und ernsthaft gewesen, dass die Volksstimme in zwei Lager geteilt worden wäre. In diesem Sinne kann man sagen, dass die Frage nach der Verfassungsänderung in dieser Zeit nicht in den Vordergrund der Politik trat. Mittlerweile hat sich die Entwicklung der Demokratie Japans etwas verzögert. Im Parlament ist Jiminto immer die regierende Partei gewesen, während die Oppositionsparteien immer in der Opposition geblieben sind. Obwohl die Politik der Jiminto im Rahmen der Verfassung ausgeführt worden ist, war sie in Wahrheit weit entfernt von einer wirklich demokratischen Politik. Denn die Politik wurde tatsächlich von Bürokraten vollzogen und Politiker Jimintos haben sie nicht selbst bestimmt. Die Politiker bemühten sich vielmehr nur um „Wahlstimmen und Geld": häufig passierten Korruptionsskandale, wie der Lockheed-Skandal (1975), der Recruit-Skandal (1986) und der Sagawa-Skandal (1990). 4. Die Unentwickeltheit oder das Defizit der Demokratie als Minus-Eigenschaft des japanischen Verfassungsstaates Wenn man den Entwicklungsgrad der Demokratie als Maßstab für die Verfassungsstaatlichkeit eines Landes benutzen will, so ist die Demokratie in Japan noch in einer frühen Phase verblieben. 6 Pitschas/Kisa

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Zuerst kann man kaum sagen, dass die Politik vom Volkswillen ausgeht. Den Wahlprozess beherrschen noch immer persönliche Beziehungen, Vetternwirtschaft und einseitige Interessen der Bürger. Das Verfahren, die Regierung oder Politik demokratisch auszuwählen, ist noch nicht hinreichend entwickelt worden. In bezug darauf sind auch die Organisation und die Tätigkeit der Parteien noch nicht so demokratisiert wie die europäischen Parteien, die ihre Mitglieder sammeln, dem Volk das politische Programm vorstellen, durch alltägliche Aktionen den Volkswillen dem Parlament vermitteln, der sich dann in dessen politischen Entscheidungen widerspiegelt. Japanische Parteien haben, außer Komeito(7) und Kyosanto(8), keine feste Organisation und Fähigkeit, Geld zu kassieren und Wahlstimmen zu sammeln. Die Fonds für politische Tätigkeiten sind immer abhängig von Geldspenden der Industrie oder den Arbeitergewerkschaften. Die so genannte „interessengeleitete Wahl" ist noch überall erkennbar. Auch Komeito und Kyosanto haben die innere Demokratie noch gar nicht erreicht, da die Meinungsbildung nicht von unten nach oben, sondern durch die Entscheidung des Vorstandes herbeigeführt wird. Die Politiker, die durch ein solches Wahlverfahren gewählt worden sind, haben fast keine professionellen Fähigkeiten, treffen keine politischen Entscheidungen mit Einsicht, oder sind dazu nicht imstande. Deswegen werden die materiellen Entscheidungen von den Politikern der Bürokratie zugeschoben. Dadurch entsteht ein Regime der Beamtenherrschaft, die eine der wichtigsten Eigenschaften im politischen System Japans ist. II. Die heutige Lage des japanischen Verfassungsrechts und das Problem der Verfassungsänderung 1. Die Wende der japanischen Verfassungspolitik

in den 90er Jahren

Es gibt jedoch auch Zeichen für eine Änderung dieser bisherigen Politik. Der Anlass der Änderung lag in den Ereignissen vor und nach 1990, die einige große nationale und internationale Situationsänderungen bewirkten. Erstens brachen die sozialistischen Systeme in den osteuropäischen Ländern zusammen. Dadurch wurde die wirtschaftliche und politische Erfolglosigkeit der sozialistischen Ideologie grundlegend erkannt. Zweitens entstanden neue Volkskriege nach dem Zusammenbruch der Struktur des kalten Krieges, in deren Folge nach einer neuen Ordnung für den internationalen Frieden gesucht wurde; für Japan war der Golfkrieg 1990 entscheidend. Drittens hatten wir 1993, statt der lange Zeit herrschenden Jiminto-Regierung, die neue Hosokawa-Koalitionsregierung(9), die nicht mehr zur Jiminto gehörte. In den 90er Jahren hat es dann weitere wichtige Ereignisse gegeben. Nach der HosokawaKoalitionsregierung entstand 1996 die Jiminto-Shaminto-Koalition; danach gab es immer neue KoalitionsWechsel. Wirtschaftlich dauerte die lange Flaute nach dem Zusammenbruch der Seifenblasenwirtschaft an. Hinzu kamen der Misserfolg des

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Finanzministeriums mit einer die Banken schützenden Politik, die Korruptionsfalle für Bürokraten des Sozialministeriums und die Enthüllung der Fehler bei einer früheren Aidsbekämpfungsmaßnahme. Das bisherige Vollziehungssystem der Politik durch Bürokraten scheint gescheitert, ein neues System der Initiative von Politikern ist dringend erforderlich. Daraus entstand eine Diskussion über die Reform des Verwaltungssystems. 2. Der Einsatz der Selbstverteidigungskräfte

im Ausland

Die Diskussion über die Aufgaben der Selbstverteidigungsstreitkräfte brachte den Wendepunkt der Politik. Es handelte sich um die Mitwirkung Japans am Golfkrieg und um den Einsatz der Selbstverteidigungsstreitkräfte in den alliierten Truppen. Die Regierung hatte aus verfassungsrechtlichen Gründen die Beteiligung der Selbstverteidigungsstreitkräfte verhindert und stattdessen dreizehn Milliarden Dollar bezahlt. Daraufhin beschuldigte die internationale Öffentlichkeit die japanische Regierung, internationale Angelegenheiten „nicht mit Blut, sondern mit Geld zu erledigen". Daraufhin brachte die Miyazawa-Regierung das PKO-Gesetz (Peace Keeping Operations) zustande, das den Einsatz der Selbstverteidigungsstreitkräfte in der PKF (Peace Keeping Force) der UN ermöglichte. Aufgrund dieses Gesetzes wurden die Selbstverteidigungsstreitkräfte in Kambodscha (1993) und auf der Goran-Hochebene (1997) eingesetzt. Auch in bezug auf das Japanisch-Amerikanische Sicherheitsabkommen( 10) gab es wichtige Änderungen. Das Japanisch-Amerikanische Sicherheitsabkommen ist nach dem Zweiten Weltkrieg immereine Grundlage für die japanische Sicherheit gewesen. Im April 1996 haben beide Regierungen eine gemeinsame Erklärung bezüglich der neuen Aufgabe des Japanisch-Amerikanischen Sicherheitsabkommens abgegeben. In dieser Erklärung wurde erneut festgestellt, dass das Japanisch-Amerikanische Sicherheitsabkommen für „die Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit im asiatisch-pazifischen Gebiet" notwendig sei. Ferner aber wurde vereinbart, dass Japan im Notfall in Fernost daran mitwirken werde, die amerikanische Armee von hinten zu schützen (die so genannte Neudefinition des Japanisch-Amerikanischen Sicherheitsabkommens). Diese Erklärung (Richtlinie, guideline) verfolgte das Ziel, das Japanisch-Amerikanische Sicherheitsabkommen zu stärken und konkrete Unterstützungsleistungen Japans besonders im Notfall eines Angriffs durch Nordkorea zu vereinbaren. Im Mai 1999 wurde ein entsprechendes Gesetz erlassen. 3. Mehrere politische Reformen Bedeutsam in den 90er Jahren waren auch die Zielsetzung und Durchführung verschiedener politischer Reformen. Zuerst wurde 1994 eine Wahlreform durchgeführt. Während nach dem alten Wahlsystem des Unterhauses 3-5 Vertreter in einem Wahlkreis gewählt wurden, wurde jetzt das neue Kombinationssystem eingeführt, 6*

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wonach 300 Abgeordnete in kleinen Wahlkreisen und 180 Abgeordnete auf der Grundlage der Verhältniswahl gewählt werden. Ebenso wichtig waren die Reform des Verwaltungssystems und die Dezentralisierung. Die Reform des Verwaltungssystems bezweckte, nach dem Leitbild des schlanken Staates, die übermäßige Betätigung des Staates zu vermindern und selbständige Verantwortung von privaten Subjekten einzufordern. Die Verwaltungsreform ist aber nicht nur eine gemeinsame Aufgabe der hochindustrialisierten Länder, die unter ihrer finanziellen Überlastung leiden, sondern auch eine typisch japanische Aufgabe, weil die USA die starke und weitverbreitete Kontrollbefugnis der Verwaltung stark kritisiert hatten. Im Zuge der Diskussion über die Verwaltungsreform kam 1999 das Gesetz über die Ministerialreform zustande, wonach ab Januar 2001 die Anzahl der Ministerien von bislang einem Gesamtministerium („Fu" auf Japanisch) und 22 Ministerien/Behörden („Shocho" auf Japanisch) auf ein Gesamtministerium und 12 Ministerien/Behörden reduziert wurde. Ferner sahen sich die Befugnisse des Staatsministeriums und Premierministers gestärkt und im Gegenzug die Befugnisse der Beamten eingeschränkt. Die Dezentralisierung bezweckt eigentlich die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung(ll). Denn in Japan ist die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung bisher sehr schwach gewesen, obwohl diese Garantie verfassungsrechtlich verankert ist. Im Juni 1999 wurde das neue Gesetz über eine umfassende Dezentralisierung verabschiedet. Mit diesem Gesetz werden die vom Staat den Organen der Kommunalkörperschaften aufgetragenen staatlichen Angelegenheiten („KikanInin-Jimu")(12) abgeschafft. Zwar gehörten diese Angelegenheiten eigentlich zum Staat, aber die kommunalen Verwaltungskörperschaften mussten sie, neben ihren eigenen Aufgaben mit erledigen. Sie waren dadurch sehr stark belastet. Ferner wurden die Gemeinden bei der Durchführung dieser Angelegenheiten von der zentralen Verwaltungsbehörde stark kontrolliert, während sie selbst fast keine Kontrollbefugnisse über diese Angelegenheiten durch den Rat der Kommunalkörperschaften hatten. Deswegen ist die Abschaffung des Systems „Kikanininjimu", der Übertragung von staatlichen Aufgaben auf die Gemeinden, für dringend erforderlich erachtet worden. Das Gesetz über eine umfassende Dezentralisierung trat im April 2000 in Kraft. 4. Neue Gesetzgebung für oder gegen den Konstitutionalismus Es war auch kennzeichnend für das Jahr 1999, dass viele wichtige Gesetze neben den Staatsreformgesetzen erlassen wurden und zwar mit einer Tendenz für oder gegen den Konstitutionalismus. Zu ihnen gehörten das Informationszugangsgesetz, das Änderungsgesetz über die Gleichberechtigung der Männer und Frauen bei Dienstanstellung sowie das Gesetz über die gleiche Beteiligung der Männer und Frauen in der Gesellschaft. Das Informationszugangsgesetz ist ein Gesetz, dessen Verwirklichung im Vergleich zum US-amerikanischen „Freedom of Information

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Act" von 1966 seit langem erwartet worden war. Die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung der Frauen hat den Zweck, die Diskriminierung der Frauen in der Gesellschaft, besonders in den Arbeitsverhältnissen, zu beenden. Das Gesetz soll die Grundrechtsverletzung durch Private innerhalb der Gesellschaft beseitigen und die Rechte der Frauen schützen, was auf einem ähnlichen Gedanken wie dem von der Schutzpflicht des Staates beruht. Andererseits hat das Parlament im Jahr 1999 viele konservative und staatsbezogene Gesetze verabschiedet, wie etwa das Ostasien-Notfall-Gesetz, das Nationalflaggen· und Hymne-Gesetz oder auch das Abhörgesetz, das der Polizei bei ernsthafter Kriminalität das Abhören gestattet. Diese Gesetze dienen dem ursprünglichen Staatszweck der Sicherheit und Wehrentfaltung bzw. der Erholung der Staatsgesinnung des Volkes, aber sie stehen im Widerspruch zum Konstitutionalismus. Man muss dabei die Gefahr berücksichtigen, dass eine Betonung des Leitgedankens des Staates in der Politik oft zu einem gefährlichen Nationalismus führt. Insbesondere wird die Frage der Kriegsschuld dann häufig verdrängt. Dennoch ist es im Großen und Ganzen eine begrüßenswerte Tendenz, dass die wichtigen Gesetzesentwürfe ins Parlament eingebracht, dort beraten und verabschiedet worden sind, wenn es sich auch um konservative Gesetze handelt. Man kann darin gewissermaßen eine demokratische Entwicklung in Japan sehen. Die skizzierte Entwicklung des politischen Prozesses seit 1990 hat somit dazu geführt, dass der Verfassungsstaat in Japan allmählich eine erkennbare Substanz erreicht. Auf der anderen Seite aber bleibt noch die altmodische Denkweise wie z.B. die des Nationalismus festzustellen. Es ist eine unserer Aufgaben, solche autoritären, nationalistischen Gedanken aufzuarbeiten und an ihre Stelle echte Verfassungsstaatlichkeit zu setzen.

5. Gründung der Verfassungskommission

im Parlament des Jahres 2000

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Einrichtung einer Verfassungskommission im Unter- und Oberhaus, die seit Februar 2000 damit beschäftigt ist, Verfassungsprobleme ausführlich zu untersuchen und zu diskutieren. Obwohl der Zweck der Kommission nicht in der Herbeiführung einer Verfassungsänderung liegt, wird aus ihrer Arbeit vermutlich der Vorschlag einer Verfassungsänderung folgen. Wie schon oben erwähnt, ist die Verfassungsänderung in Japan immer tabuisiert worden. Aber 1994 hat einer der größten japanischen Zeitungsverlage („Yomiuri") einen Testentwurf einer Verfassungsänderung publiziert. Danach ist diese Tabuisierung etwas geschwunden. Der Kern der Verfassungsänderungsproblematik liegt in Art. 9 JV. Doch kommen noch die Änderungsansätze zu einer Aufnahme neuer Grundrechte, wie dem Recht auf Information, dem Recht auf Umwelt, der Einführung eines Volksentscheides, der direkten Wahl des Premierministers, der Neugrün-

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dung des Verfassungsgerichtshofs usw. hinzu. Auffallend ist dabei, dass die Stimmen gegen eine Verfassungsänderung, wie etwa die Behauptung, dass die JV eine gedruckte Verfassung sei, etwas schwächer geworden sind. Heute wird eher argumentiert, dass die JV von 1947 schon alt und institutionell müde geworden und daher eine zeitgemäße Verfassungsänderung notwendig sei. Im Grunde ist dazu zu sagen, dass die Diskussion über eine Verfassungsänderung nicht tabuisiert werden darf, vielmehr noch viele Debatten notwendig sind. Deshalb ist die Gründung der Verfassungskommission begrüßenswert. Es kommt aber entscheidend darauf an, ob und welche Änderungen erzielt werden sollen. Viele Verfassungswissenschaftler sind der Meinung, dass die Verfassung nicht geändert werden solle, während die konservativen Politiker die Notwendigkeit der Verfassungsänderung bejahen. In der Bevölkerung ist keine Pro- oder ContraMeinung zu einer Verfassungsänderung ersichtlich, eher haben relativ wenige Bürger Interesse an dem Verfassungsänderungsproblem. Mir scheint eine Verfassungsänderung im theoretischen Sinne aber wünschenswert, denn die Verfassung muss sich an die gegenwärtige, soziale Lage anpassen. Aber in bezug auf Art. 9 JV, der den Kernpunkt der Änderungsproblematik ausmacht und der als Symbol für den Friedensstaat dient, sollte es zu keiner Änderung kommen. Obwohl es den Widerspruch zwischen der Norm des Art. 9 JV und der Wirklichkeit des Vorhandenseins der Selbstverteidigungsstreitkräfte gibt, ist nämlich Art. 9 JV sinnvoll für die internationale Sicherheit und auch für das Vertrauen von anderen Ländern in die japanische Politik. So ist die Existenz des Art. 9 JV auch jetzt noch sehr haltbar und notwendig. Aber letztlich hängt die Verfassungsänderung von der Entscheidung des japanischen Volkes ab.

I I I . Das Verhalten Japans in regionalen und internationalen Beziehungsproblemen 1. Die Wichtigkeit

der japanisch-amerikanischen

Beziehungen

In der japanischen Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Beziehungen mit den USA für besonders wichtig gehalten. Daraus ergibt sich, dass die politische, militärische und wirtschaftliche Verbindung zwischen den USA und Japan immer in den Mittelpunkt gestellt wurde. Zwar gab es in den 80er Jahren japanisch-amerikanische Handelskonflikte. Aber die freundschaftliche Beziehung zwischen den USA und Japan wurde davon nicht grundsätzlich betroffen. Das bedeutet aber, dass die japanische Außenpolitik nicht selbständig gewesen ist und immer der amerikanischen Außenpolitik folgte. Auf der internationalen Bühne, wie in den UN, hat Japan fast immer nur die amerikanische Politik aktiv unterstützt.

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2. Die Uneinigkeit mit asiatischen Ländern bezüglich der Kriegswiedergutmachung Andererseits hat sich die japanische Außenpolitik nicht so energisch darum bemüht, freundschaftliche Beziehungen mit asiatischen Ländern aufzunehmen. Natürlich war die japanische Regierung bestrebt, die Beziehungen besonders zu China und Korea zu verbessern. Aber diese Bestrebungen waren nicht so groß, wie die gegenüber den USA. Das Bemühen, die Beziehungen zu anderen asiatischen Ländern zu verstärken, war insgesamt nicht ausreichend. Ein typisches Beispiel dafür ist das Problem der Kriegswiedergutmachung für einzelne individuelle Opfer. Während des Zweiten Weltkrieges wurden ζ. B. zahlreiche Frauen aus asiatischen Ländern von japanischen Soldaten als so gennante „comfort women" missbraucht. Kriegswiedergutmachung heißt insofern, z. B. Menschen aus China oder Korea, die während des Krieges oder der Kolonialisierung von Japan verletzt wurden, Schadensersatz zu leisten. Nach Meinung der japanischen Regierung sind aber die Entschädigungsansprüche einzelner Opfer schon erledigt, weil Japan einen Entschädigungsvertrag mit den jeweiligen Staaten abgeschlossen hat. Einzelne Opfer haben jedoch trotzdem Einwände gegen das Unrecht Japans erhoben und sind mit ihren Klagen bis zu Gericht vorgedrungen, besonders nach dem Tod des Showa Tennos(13) im Jahre 1989. Die Kläger oder Klägerinnen sind zum einen Koreaner oder Taiwanesen, die im Krieg als japanische Soldaten gekämpft haben; zum anderen sind es Menschen, die im Krieg durch die Gräueltaten japanischer Soldaten geschädigt wurden. Darüber hinaus zählen dazu Menschen, die nach Japan verschleppt wurden und dort Zwangsarbeit leisten mussten. Schließlich gehören dazu die Frauen, die von japanischen Soldaten missbraucht wurden. Vielleicht werden diese Prozesse nicht gewonnen. Aber anhand dieser Prozesse wird ersichtlich, dass Japan die Verantwortung für das Kriegsunrecht nicht übernommen hat. Im Gegensatz zu Deutschland, das sich mit dem Wiedergutmachungsproblem aktiv beschäftigt und eine Menge Entschädigungsgeld bezahlt hat, setzte sich Japan mit diesen Problemen immer nur passiv auseinander.

3. Das Yasukuni-Schrein-Problem Auch das Yasukuni-Schrein-Problem verdeutlicht das rechthaberische Verhalten Japans. Nach dem Schrein-Glauben können mehrere Sachen der Gegenstand des Glaubens sein, z.B. natürliche Sachen wie ein Berg, Fluss, Wald, ein Stein. Ferner können geschichtliche Personen, wie z. B. Hideyoshi Toyotomi, als Götter verehrt werden. Beim Yasukuni-Schrein aber sind die Götter die im Krieg gestorbenen Soldaten. Deswegen hatte diese Verehrung, insbesondere vor dem Zweiten Weltkrieg, den japanischen Militarismus gefördert. Nach dem Krieg befahl die Besatzungsmacht dem Staat, sich von dem Yasukuni-Schrein zu trennen. Aber die japanische Regierung betrachtete diesen Yasukuni-Schrein immer als etwas Besonderes, weil

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dort die im Zweiten Weltkrieg gestorbenen Soldaten verehrt werden. Im Jahre 1985 besuchte der damalige Premierminister Nakasone den Yasukuni-Schrein erstmals öffentlich. Dagegen protestierten die asiatischen Länder, insbesondere China, sehr heftig. Der öffentliche Besuch des Yasukuni-Schreins wurde als Verantwortungsmangel gegenüber dem Krieg betrachtet. 4. Innenpolitisches Fehlverhalten Andere Beispiele für das Fehlverhalten können wir im Inneren des Landes beobachten: die Diskriminierung von Ausländern(14), besonders der in Japan wohnenden Koreaner und der Ainu-Minderheiten(15), die Konzentration der amerikanischen Truppen auf der Insel Okinawa(16) usw. Im Allgemeinen hat sich die japanische Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg nur um den eigenen Reichtum bemüht und die Nachbarländer nicht ausgleichend berücksichtigt. In der Außenpolitik sind die Beziehungen zu den USA immer in den Vordergrund gestellt worden; der Gesichtspunkt der Selbstständigkeit wurde außer Acht gelassen. Besonders in bezug auf die Kriegs Wiedergutmachung hat die japanische Regierung hartnäckig an der Meinung festgehalten, dass das Entschädigungsproblem schon erledigt sei. In diesem Punkt unterscheidet sich Japan ganz wesentlich von Deutschland, das sich der Verantwortung für die Kriegsschuld gestellt und sich bemüht hat, Kriegsentschädigungen in Form von Geldzuwendungen zu leisten. IV. Die japanische Verantwortung für die Außenpolitik, die Wirtschaft, die Sicherheit und den Umweltschutz Bis jetzt habe ich den Mangel an Verantwortung gegenüber regionalen und internationalen Verpflichtungen im außenpolitischen Bereich erwähnt. Aber auch hier kann man eine Änderung des Verantwortungsbewusstseins in den 90er Jahren feststellen. Im wirtschaftlichen Bereich unterstützt Japan die Wirtschaftsentwicklung in Asien mit dem eigenen Wachstum des GNP in Form von fünf Billionen US Dollar pro Jahr; ferner bemüht sich Japan um wirtschaftliche Kooperation durch Handel. Die aktuelle wirtschaftliche Krise hat diese Bemühungen unterbrochen; sie ist die Folge des schlechten Geschäftsganges in Japan. Sehr groß sind die Aufgaben Japans zur wirtschaftlichen Wiederherstellung im asiatischen Gebiet dennoch. Überdies zählt Japan seit fast zehn Jahren zu den größten Geberstaaten in bezug auf die internationale Entwicklungshilfe(17). Ohne Zweifel spielt Japan durch seine wirtschaftlichen Beiträge in der weltweiten Wirtschaft eine bedeutende Rolle. Im Bereich der internationalen Sicherheit hat Japan ebenfalls Verantwortung übernommen. Wie ich oben erwähnt habe, bemüht sich Japan um die Unterstützung der Zusammenarbeit zur internationalen Sicherheit, wie der Einsatz der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte und die Zusammenarbeit mit amerikanischen Truppen durch Verstärkung und Mitwirkung im Notfall zeigen. Diese Beiträge durch mi-

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litärische Hilfsmaßnahmen werden zwar innerstaatlich stark kritisiert, weil sie gegen Art. 9 JV, der das kollektive Selbstverteidigungsrecht und die Ausübung von Gewalt verbietet, verstoßen würden. Aber von der internationalen Seite her werden diese Beiträge in gewissem Maß geschätzt. Im Übrigen darf auch nicht übersehen werden, dass Japan als der einzige mit Atombomben angegriffene Staat für die Abrüstung und den Frieden plädiert(18). Obwohl diese Bemühungen in der internationalen Gesellschaft nicht richtig wahrgenommen und gewürdigt werden, sollte das aufrichtige Bestreben nach internationaler Sicherheit hoch geschätzt werden. In bezug auf den Umweltschutz ist das japanische Engagement auch im internationalen Bereich sehr stark geworden. National wurde schon 1970 das Grundlagengesetz gegen Umweltschäden erlassen, dessen eigentlicher Zweck, die Bewältigung der Umweltschäden und der Umweltverschmutzung, bis heute fast erfüllt worden ist. Anschließend wurde 1993 das Umweltgesetz erlassen, das eine gründliche Umweltschutzpolitik systematisch regelt. Im Jahre 1997 wurde das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz erlassen. Ferner fand 1997 die Weltklimakonferenz in Kyoto statt, auf der eine Verminderung von 6-8 % der C02-Immissionen vereinbart worden ist. Seit einiger Zeit beschäftigt sich Japan auch mit der Verstärkung der Kontrolle der Industrieabfälle, mit der Förderung des Abfallkreislaufs und mit der Hilfe für Entwicklungsländer im Umweltschutz. Insgesamt ist die Grundhaltung Japans gegenüber der Umweltschutzpolitik sehr aktiv geworden. V. Schlussbemerkung Seit 1990 scheinen die japanische Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf die Tendenzen der Internationalisierung und Globalisierung gut zu reagieren; die japanische Regierung scheint sich mit internationalen Problemen ernsthaft auseinanderzusetzen und gewissermaßen ihre Verantwortung zu erfüllen. Diese positive Haltung muss beibehalten werden. Abschließend möchte ich doch zwei Punkte erwähnen, um die japanische Verfassungsstaatlichkeit noch weiterzuentwickeln. Der eine ist die Mitwirkung, oder genauer gesagt die Initiative Japans im Rahmen der regionalen Integration im asiatischen Raum. In der gegenwärtigen internationalen Gesellschaft ist die regionale Integration notwendig, wie schon das Beispiel der EU zeigt. Auch in Asien ist es erstrebenswert, Solidarität und Zusammenarbeit unter den Staaten der Region weiter zu vertiefen. Dazu werden Systeme der Integration notwendig, wie z.B. eine Asiatische-Grundrechts-Charta und auch ein Asienrat. Japan sollte diese Aufgabe sehr ernst nehmen und eine leitende Rolle bei der asiatischen Integration, nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern auch aus politischer Sicht übernehmen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, bekommt Japan aber von den asiatischen Ländern wegen seiner unzureichenden Auseinandersetzung mit der eigenen Kriegsschuld zu wenig Vertrauen. Der Gewinn des Vertrauens der asiatischen Länder ist für Japan sehr wichtig geworden, um regionale und internationale Verantwortung im 21. Jahrhundert zu überneh-

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men. Der zweite Punkt ist die Überlegung über eine Verfassungsänderung, um den Konstitutionalismus in Japan weiterzuentwickeln. Die Unvereinbarkeit zwischen der Verfassungsnorm und der Wirklichkeit ist zu stark; sie beeinflusst die verfassungsstaatliche Politik negativ. Hier ist der scharfe Zwiespalt der öffentlichen Meinungen bezüglich einer Verfassungsänderung zu überwinden. Dennoch müssen wir nicht darauf verzichten, das Problem der Verfassungsänderung zu diskutieren. Ich persönlich bin kein Befürworter einer Verfassungsänderung. Ich vertrete grundsätzlich die Meinung, die gegenwärtige Verfassung zu verteidigen. Aber ich stimme zu, dass einige Änderungen notwendig sind, nämlich die Aufnahme einer Umweltschutzklausel, des Rechts auf Information und des Rechts auf privacy, die Reform des parlamentarischen Regimes, die Gründung des Verfassungsgerichts, worüber es einen wissenschaftlichen Streit gibt. Aber der wichtigste Gegensatz liegt sicherlich im Streit um Art. 9 JV. Ich bin der Meinung, dass Art. 9 JV noch symbolische Bedeutung hat und deshalb eine Änderung nur vorsichtig erfolgen sollte. Wenn jedoch die Mehrheit des Volkes einer Änderung zustimmen würde, müsste der Art. 9 JV geändert werden. Zum Schluss möchte ich betonen: bis jetzt ist die japanische Verfassung im Wesentlichen das Symbol des Gegensatzes gewesen, aber im kommenden 21. Jahrhundert sollte sie ein Symbol der staatlichen Integration sein. Anmerkungen (1) Die Meiji Verfassung wurde 1889 vom Meiji Tenno erlassen. Ihr Modell war die Preußische Verfassung von 1850. Sie garantierte die konstitutionelle Monarchie und bestimmte den Tenno als Souverän. Zwar wurden die Grundrechte garantiert, aber sie beinhalteten den Vorbehalt des Gesetzes. Die Meiji Verfassung teilte dem Tenno mehrere Befugnisse zu, die keiner Kontrolle des Parlament unterlagen. Am problematischsten war die Kommandogewalt im militärischen Bereich, die erst die militärischen Eroberungen im Zweiten Weltkrieg ermöglichte. (2) Bezüglich des Verfahrens wurde die Japanische Verfassung am 3.5.1947 als Änderung der Meiji Verfassung erlassen. Aber nach der damaligen und auch heutigen herrschenden Meinung lag die Änderung des Trägers der Souveränität rechtlich außerhalb der Grenzen der Verfassungsänderung. Daneben trat die Theorie der Revolution im August als Rechtfertigungsgrund der JV; ihr zufolge passierte am Tag der Aufnahme der Potsdamer Beschlüsse, 14.8.1945, die rechtliche Revolution, d. h. die Verschiebung des Souveränitätsträgers vom Tenno zum Volk. Obwohl die Theorie der Revolution im August einige theoretische Schwächen beinhaltet, ist sie doch als Rechtfertigungsgrund weit akzeptiert. (3) Nach dem Zweiten Weltkrieg schien die Änderung der Meiji Verfassung notwendig. Zuerst hatte die Japanische Regierung den neuen Verfassungsentwurf unabhängig von den Besatzungsmächten erstellt. Er war aber so konservativ, das Ten-

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no-Regime noch fortzusetzen. Nachdem die USA den Inhalt des Japanischen Verfassungsentwurfes erfahren hatten, stellten sie die Abfassung des Verfassungsentwurfes von japanischer Seite ein und fassten selbst den Verfassungsentwurf ab. Die japanische Regierung musste diesen Verfassungsentwurf gemäß dem Verfahren der Verfassungsrevision übernehmen. Dadurch bekam Japan erst die demokratische, friedensreiche und grundrechtsgewährleistende Verfassung, wie sie heute besteht. (4) Art. 9 JV lautet: Im aufrichtigen Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten. Um das Ziel des vorhergehenden Absatzes zu erreichen, werden keine Land-, See- und Luftstreitkräfte oder sonstigen Kriegsmittel unterhalten. Ein Recht des Staates zur Kriegsführung wird nicht anerkannt. (5) „Jiminto" heißt die Liberale Demokratische Partei auf Deutsch. Sie wurde 1955 durch die Vereinigung der konservativen Parteien gegründet. Fast alle Zeiten hindurch nach dem Zweiten Weltkrieg ist sie die Regierungspartei geblieben. (6) „Shakaito" heißt die Soziale Partei auf Deutsch. Sie ist die Partei für Arbeitnehmer. Als sie sich 1955 neu organisierte, wurde erwartet, dass sie unter dem Zwei-Parteien-System in der Zukunft die Regierungspartei werden würde. Aber die Zahl ihrer Abgeordneten ist gesunken und sie ist jetzt eine sehr kleine Partei geworden. Bis 1992 trug sie den Namen der Sozialistischen Partei, aber sie änderte den Namen zur Sozialdemokratischen Partei. (7) „Komeito" heißt die Faire Partei auf Deutsch. Sie ist eine buddhistische Partei, die aus Sokagakkai, einem buddhistischen Verband, stammt. Sie wurde 1964 gegründet und ist immer eine mittelgroße Partei geblieben. Seit dem Jahr 2001 nimmt sie als Koalitionspartei der Jiminto an der Regierung teil. (8) „Kyosanto" heißt die Kommunistische Partei auf Deutsch. Sie hat eine lange Geschichte auch in Japan. Sie entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg und hatte immer eine unabhängige Stellung von den kommunistischen Parteien in den anderen Ländern. Jetzt findet sie nicht geringe Unterstützung im Volk. (9) Die Hosokawa-Regierung wurde 1993 mit sieben Koalitionsparteien gegründet. Nur während dieser Zeit war Jiminto die Oppositionspartei gewesen. In der Mitte der Hosokawa-Regierung stand „Shinseito", die neu geborene Partei auf Deutsch, aber sie ist schon verschwunden. Stattdessen wurde eine neue Partei, die „Minshuto", die Demokratische Partei auf Deutsch, allmählich einflussreicher; jetzt ist Minshuto die zweitgrößte Partei geworden. Die Hosokawa-Regierung währte bis 1994, danach kam die Koalition der Jiminto und Shaminto bis 1996. (10) Der Japanisch-Amerikanische Sicherheitspakt wurde 1951 geschlossen. Wenn Japan von irgendeinem Land militärisch angegriffen werden sollte, so lautet

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sein Inhalt, werden die USA sich obligatorisch gemeinsam mit Japan militärisch gegen dieses Land verteidigen. Gleichzeitig hat Japan die Pflicht, den amerikanischen Besatzungstruppen den Aufenthalt in Japan zu erlauben. (11) Die Organisation der japanischen kommunalen Selbstverwaltung ist zweistufig. In Japan gibt es insgesamt ca. 3400 Gemeinden (Shi-cho-son), die in 47 Präfekturen (To-do-fu-ken) gegliedert sind. Präfekturen sind auch Kommunalkörperschaften. (12) „Kikan-Inin-Jimu" sind die administrativen Angelegenheiten, die eigentlich zur zentralen Verwaltung gehören, aber deren Vollzug den Organen der Kommunalkörperschaften, z. B. den Bürgermeistern oder Gemeindedirektoren, aufgetragen ist. Deswegen kam es zu ernsthaften Problemen, die die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung schwächten: Die Angelegenheiten der Kikan-Inin-Jimu machen ungefähr zwei Drittel der ganzen Arbeiten der Kommunalkörperschaften aus, das beauftragte Organ stand unter dem Befehl der staatlichen Minister, die Kontrolle des Rates der Kommunalkörperschaften umfasst nicht Kikan-Inin-Jimu usw. (13) Der Showa Tenno Hirohito starb im Jahre 1989. Die Showa Zeit begann 1926 mit dem Tod des Taisho Tennos, dem Vater des Showa Tennos. Der Showa Tenno war von der Zeit der Meiji Verfassung und des japanischen Militarismus bis zur Zeit der geltenden JV im Status Tenno geblieben. (14) In Japan lebten im Jahre 2000 1.5 Millionen Ausländer, die sich mehr als drei Monate in Japan aufhielten und gemeldet waren. 0.6 Millionen sind Koreaner gewesen, die schon lange oder von Geburt an in Japan wohnen. Sie führen dasselbe Leben wie Japaner, sprechen Japanisch, haben Wohnungen in Japan, trotzdem werden sie als Ausländer behandelt. Es fehlt noch das Diskriminierungsbewusstsein auf Seiten der Japaner. (15) Die Ainu bilden eine Art Volk oder Minderheit, die früher im nordischen Gebiet auf Hokkaido wohnte. Nach der Ansiedlung in der Meiji Zeit betrieb die Meiji Regierung eine Assimilationspolitik. Damit mussten die Ainu auf ihre eigene Sprache, Lebensweise und Kultur verzichten. Seit den 80er Jahren ist das Verlangen nach der Erhaltung ihrer eigenen Kultur sehr stark geworden. (16) Okinawa, die Insel südlich von Kyushu, ist der einzige Boden in Japan, auf dem in dem Krieg gegen die USA Mann gegen Mann gekämpft wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Okinawa sofort von USA-Truppen besetzt und als Aufenthaltsort benutzt. Okinawa war bis 1972 unter der Herrschaft der US-Armee. Nach der Rückgabe Okinawas an die Japanische Regierung sind aber viele Stationierungsorte geblieben. 75 % der US-amerikanischen Besatzungstruppen sind jetzt noch in Okinawa. (17) Im Jahre 1996 z. B. gab Japan 94 Millionen US Dollar hierfür aus. (18) Es könnte sein, dass Art. 9 JV eine große Rolle für die Appelle zur Abrüstung spielt.

Die Integration von Verfassungsstaaten und die Grenzen der Öffnung Diskussion zu den Referaten von Ulrich Fastenrath und Koji Tonami Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Kathrin Schwalb Der erste Fragenkomplex thematisierte, inwieweit Verfassungen für die internationale Zusammenarbeit gerüstet seien und inwieweit mit der Internationalisierung staatlicher Aufgaben ein Demokratieverlust verbunden sei. Ass. iur. Klaus Grütjen, Doktorand in Speyer, fokussierte zunächst die von beiden Rednern angesprochene Integration von Verfassungsstaaten: Während Fastenrath exemplarisch an Europa aufgezeigt habe, wie eine Integration souveräner Staaten in rechtstechnischer Hinsicht vollzogen werden könne, habe Tonami die Notwendigkeit der Öffnung des japanischen Verfassungsstaates betont. Ihn interessiere nun, wie eine Integration des japanischen Staates in eine asiatische Staatengemeinschaft rechtlich ausgestaltet werden könnte. Schmidt nahm Bezug auf den Beitrag von Fastenrath, der die Entwicklung von insich-geschlossenen Nationalstaaten zu weltoffenen, entgrenzten Verfassungsstaaten moderner Prägung beschrieben hatte. Fastenrath habe die Bestimmungen des Grundgesetzes aufgezeigt, die diese Offenheit aufzufangen versuchten, nämlich Art. 1 Abs. 2 GG (Berufung auf die Menschenrechte), Art. 23 GG (Möglichkeit zur Schaffung einer europäischen supranationalen Institution), Art. 24 GG (Integration der allgemeinen Regeln des Völkerrechts, Möglichkeit zur Übertragung von Hoheitsrechten) und Art. 59 Abs. 2GG (Behandlung von Vertragsgesetzen). In Anbetracht der tatsächlichen Öffnung des Verfassungsstaates seien - trotz dieser Öffnungsklauseln - die rechtlichen Regelungen zur Internationalisierung relativ zurückhaltend geblieben. Dies sei erstaunlich, gerade wenn man sich überlege, daß die Normalität heute nicht mehr in der Pflege der binnenstaatlichen gesellschaftlichen Verhältnisse bestehe, sondern in der Internationalität. Insofern stelle sich die Frage, ob der Verfassungsstaat nicht wesentlich intensiver auf diese Internationalisierung reagieren müsste. Schmidt untermauerte die Frage mit der Feststellung, daß ungefähr zwei Drittel aller vom Bundestag verabschiedeten Gesetze Vertragsgesetze im Sinne des Art. 59 Abs. 2 GG seien. Angesichts der Bedeutung dieser Gesetze stelle sich die Frage, ob die Verfassung nicht wesentlich stärker angepaßt werden müßte,

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beispielsweise durch die Änderung des Gesetzgebungsverfahrens oder eine Verankerung erweiterter Informationspflichten gegenüber internationalen Organisationen. Die gleiche Frage stelle sich auch bezüglich Japan, das heißt auf welche Art und Weise Japan beabsichtige, die verstärkte Internationalisierung in der Verfassungsentwicklung zu berücksichtigen. Takada jr. knüpfte ebenfalls an den Beitrag von Fastenrath an, indem er die Entgrenzung des Staatsvolkes hinterfragte: Fastenrath habe dargestellt, daß viele politische Grundrechte, welche früher nur den Bürgern eines Nationalstaates zustanden, mittlerweile auch auf die EU-Bürger übertragen wurden. Dies bedeute, daß - juristisch gesehen - der Begriff,Staat' keine Kategorie mehr für absolute Grenzen darstelle. Möglicherweise eigne sich der Begriff »Volk4 eher, um die Begrenzung des Spielraums des Verfassungs- bzw. Gesetzgebers zu kennzeichnen. Dies sei allerdings sehr schwierig: ζ. B. besage § 2 Abs. 3 des Parteiengesetzes, daß, wenn die Mehrheit der Mitglieder einer Partei Ausländer seien, diese keine politische Partei sei. Als weiteres Beispiel führte Takada jr. § 25 Abs. 3 an, wonach auch EU-Bürger Parteispenden geben könnten, aber andererseits könnten nur diejenigen Unternehmen an Parteien spenden, welche mehrheitlich im Besitz deutscher Staatsbürger i. S. d. Grundgesetzes seien. Diese Regeln seien nach Ansicht Takada jr. sehr vernünftig, aber nur schwerlich auf Dauer verfassungsrechtlich erklärbar. Dieser Punkt werde auch in Japan intensiv diskutiert. Der japanische Oberste Gerichtshof habe ζ. B. in einem Urteil über das Ausländerwahlrecht entschieden, daß die Verweigerung des Kommunalwahlrechts für Ausländer verfassungsgemäß sei, denn Art. 15 der Japanischen Verfassung (JV) besage, daß allein das Volk über die öffentlichen Bediensteten bestimmen dürfe. Andererseits sei in Art. 93 Abs. 3 JV festgelegt, daß das Kommunalwahlrecht das Recht der Bevölkerung sei. Man könnte Art. 93 JV als Sonderrecht betrachten, dann hätte der Gesetzgeber einen gewissen Spielraum. Der Oberste Gerichtshof habe aber festgelegt, daß Bevölkerung sich aus dem Begriff ,Volk' ableiten lasse, daher dürfe der Gesetzgeber den ausländischen Mitbürgern kein Kommunalwahlrecht geben. Trotzdem könne aber der Gesetzgeber mittels einfachem Gesetz das Ausländerwahlrecht einführen. Genau dies sei aber problematisch, denn wo liege die Grenze des Spielraumes des Gesetzgebers. Fastenrath hob hervor, daß es zur Beantwortung des ersten Fragekomplexes notwendig sei, sich an die Situation 1949 zu erinnern: Damals hatte man zwar den Nationalismus in seiner übersteigerten Form überwunden, aber man hatte noch keine Erfahrung, wie man Normen schaffen könnte, die eine intensive internationale Zusammenarbeit organisieren könnten. Die internationale Zusammenarbeit habe zu diesem Zeitpunkt erst begonnen, es seien die ersten internationalen Organisationen entstanden, die in wirklich großem Umfang staatliche Aufgaben zu koordinieren und zu integrieren begannen (Weltbank etc.). Die Regelungen, die das Grundgesetz enthalte, beruhten im wesentlichen auf Regelungen des letzten Jahrhunderts; insofern habe sich nicht allzu viel verändert, lediglich in kleinen Stücken. Fastenrath führte nochmals Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG an, wonach die Zustimmung zu Völkerrecht-

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liehen Verträgen in Gesetzesform zu ergehen habe, womit dann auch sichergestellt sei, daß dieser Vertrag Gesetzesrang habe (im Gegensatz zur Weimarer Verfassung). Ein weiterer Fortschritt in dieser Richtung sei auch Art. 24 Abs. 1 GG gewesen, während nach einhelliger Meinung Art. 23 Abs. 1 GG zu ausführlich geraten sei. Aber immerhin habe man versucht, frühzeitige Informationsrechte und auch Einwirkungsrechte der Parlamentarier aufzunehmen. Es bestehe nicht nur gegenüber der EU ein Demokratieproblem, sondern auch gegenüber sonstigen internationalen Verträgen. In der internationalen Zusammenarbeit hätten die Regierungen eindeutig die Vorhand, sie handelten die Verträge aus und würden sie im Ministerrat beschließen, das europäische Parlament habe allenfalls noch ein Vetorecht. Man könne natürlich über diese Vetomöglichkeit auch Inhalte beeinflussen, aber die wesentlichen Entscheidungen würden im Ministerrat getroffen, so daß der Einfluß des Parlaments relativ gering sei und über die Regelungen des Art. 23 GG habe sich nicht allzu viel daran geändert. Die rechtlichen Möglichkeiten bestünden, aber Fastenrath glaube nicht, daß diese Instrumente gut greifen würden. Man müsse an dem durchaus vorhandenen Problem arbeiten, daß über die Internationalisierung und Europäisierung von staatlichen Aufgaben nicht die Demokratie verloren gehe und das Parlament am Ende nur noch ,abnicken' könne, was international vereinbart worden sei. Diesbezüglich sei noch kein Königsweg gefunden. Den Weg, den man in der EU gewählt habe, Verbindungen zwischen den nationalen Parlamenten zu schaffen, wird man - nach Ansicht Fastenraths - nicht weiterführen, denn dies sei zu langwierig. Daher scheine der einzige Ausweg zu sein, daß man das Europäische Parlament in seiner Funktion stärke, als gemeinschaftlicher Gesetzgeber eine überzeugende Rolle zu spielen. Diese Umstrukturierung müsse nicht zu einem europäischen Bundesstaat führen, aber es müsse eine eigenständige Hoheitsgewalt mit einem eigenständigen demokratischen Unterbau geschaffen werden. Es wäre kein territorial radizierter Hoheitsträger, sondern ein Hoheitsträger, der ohne eigenes Territorium über das Territorium der Mitgliedsstaaten gebunden sei. Bzgl. der Frage von Takada jr. lasse sich festhalten, daß die Entgrenzung des Staatsvolkes noch nicht sehr weit vorangeschritten sei. Dies erkläre auch die Regelungen im Parteiengesetz, die noch allein auf dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker beruhen würden, weshalb eine übermäßige Einwirkung auf deutsche Angelegenheiten durch die 50 %-Klausel beschränkt werde. Hinsichtlich nationaler Belange sei die Beschränkung des Einflusses von außen durchaus gerechtfertigt. Andererseits sei nicht zu übersehen, daß es wegen des Diskriminierungsverbots schon zu einer gewissen Entgrenzung gekommen sei, denn es gebiete die EU-Bürger gleichzustellen, was rechtstechnisch auf verschiedene Weise geschehen könne. Entweder, indem man den Begriff ,deutsch4 einfach uminterpretiere, oder aber indem man über Art. 2 GG den gleichen Schutz erreiche, was natürlich zum Wegfall der Vorzugsrechte für Deutsche führe, aber das Staatsvolk als solches nicht angreife. Was das Ausländerwahlrecht angehe, habe Takada jr. einen wunden Punkt getroffen, denn Fastenrath könne die beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Thema nicht nachvollziehen: es sage einerseits, sobald es um deutsche

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Staatsgewalt gehe, müsse die Legitimationsbasis allein von den Deutschen kommen und insofern seien nur Deutsche wahlberechtigt. Andererseits sage es, daß auch in den Kommunen legitimationsbedürftige Hoheitsgewalt ausgeübt werde und diese solle von Ausländern mitlegitimiert werden können. Ob sich solche Regelungen, daß man die Staatsgewalt einzig und allein durch das Staatsvolk legitimiert, auf Dauer halten ließen, sei ungewiß. Innerhalb Europas gebe es sehr starke Gegenentwicklungen bspw. bei den baltischen Staaten, die mit einem hohen russischen Bevölkerungsanteil konfrontiert seien. Auch die OSZE dränge sehr stark darauf, daß die Staatsangehörigkeitsrechte geändert werden. Tonami bezog sich zunächst auf die Frage über die Integration der asiatischen Länder. Eine solche Integration sei sehr schwierig, da es große kulturelle, politische und wirtschaftliche Unterschiede gebe und es auch keine ähnliche historische Grundlage für eine Integration gebe wie bei den europäischen Ländern. Wenn man beispielsweise in einem asiatischem Land die Gerichtsbarkeit aufbauen wolle, so wäre es sehr schwierig zu entscheiden, welche Auslegungsmethode gewählt würde oder wie die Richter aus den verschiedenen Ländern ausgewählt werden sollten. Tonami glaubt, daß die Integration asiatischer Staaten noch für mindestens zwanzig oder dreißig Jahre ein Traum bleibe. Bzgl. der Internationalisierung der japanischen Verfassung führte Tonami zunächst an, daß Art. 98 Abs. 2 der japanischen Verfassung bestimme, daß die von Japan abgeschlossenen Verträge und die Regeln des Völkerrechts gewissenhaft zu befolgen seien. Aufgrund dieser Bestimmung habe sich die japanische Regierung seit 1946 immer intensiv um die Mitwirkung in internationalen Organisationen - insbesondere in der UNO - bemüht. Auch habe Japan sehr viele internationale Verträge geschlossen, weshalb gesagt werden könne, daß Japan immer aktiv an der internationalen Politik teilgenommen habe. Hinsichtlich der rechtlichen Stellung und insbesondere Integration von Ausländern, wollte Tonami grundsätzlich zwei Gruppen von Ausländern unterschieden wissen: zum einen die in Japan zum Teil in der dritten Generation lebenden Koreaner und zum anderen die illegal zugewanderten Ausländer aus anderen Ländern. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden ca. zwei Millionen Koreaner nach Japan gebracht, um dort Zwangsarbeit zu verrichten. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Hälfte von ihnen nach Korea zurück, während die andere Hälfte in Japan blieb und teilweise starken Diskriminierungen ausgesetzt war. Hier habe sich die Situation zum Positiven gewandelt und einige Koreaner der zweiten und dritten Generation hätten auch die japanische Staatsangehörigkeit. Von den heute ca. 1,4 Millionen ausländischen Arbeitnehmern seien aber nur noch rund 600.000 koreanischer Abstammung. Die anderen kämen überwiegend als Touristen aus Pakistan und den südostasiatischen Ländern und nähmen dann rechtswidrig Arbeit in Japan auf, denn in Japan sei - im Gegensatz zu Deutschland - Gastarbeit verboten. Während es jedoch früher mittels der sogenannten Staatsangehörigkeitsklausel, die bestimmte Leistungen (ζ. B. auf der Sozialversicherungsebene) nur den japanischen Staatsbürgern ermög-

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lichte, große rechtliche Beschränkungen gab, seien diese mittlerweile verschwunden und insgesamt könne festgehalten werden, daß es - bis auf die Ausübung des Wahlrechts und die Beschäftigung im öffentlichen Dienst - keinerlei Einschränkungen mehr für die ausländischen Mitbürger gebe. Die zweite Diskussionsrunde wurde von Seah eingeleitet, der auf den Aspekt der Anpassung der nationalen Rechtsordnung an eine regionale Gemeinschaft abhob. Seah sieht diese Entwicklung als einen andauernden Prozeß, in welchem eine territoriale Einheit eindeutig dabei helfe, das Rechtsystem umzustrukturieren und neu zu ordnen. In Europa habe es eine kontinuierliche Entwicklung von Stadtstaaten hin zur europäischen Gemeinschaft gegeben und gerade auch die deutsch-französischen Beziehungen seien ein gutes Beispiel für die Möglichkeit der Überwindung von Vorurteilen gegenüber Nachbarstaaten. Insofern sei die europäische Entwicklung - und hierbei eben auch die Entwicklung Deutschlands - ein gutes Beispiel für eine konsequente und aktive Auseinandersetzung mit Veränderungen, wie sie beispielsweise im Kommunikations- und Technologiebereich stattfänden, aber auch mit den Herausforderungen, die sich dadurch ergeben, daß die meisten Aktivitäten heute transnationaler Natur seien. Seah betonte, daß die asiatische Situation und dabei insbesondere die Rolle, die Japan innerhalb der ost-asiatischen Länder einnehme, sich wesentlich komplizierter darstelle. Hier sei die grundlegende Frage, ob Japan dazu bereit sei, mit anderen Ländern zu kooperieren, denn Japan tendiere dazu, ziemlich isoliert dazustehen. Dies sei einerseits mit dem Inselstaat-Status zu erklären, aber andererseits sei es auch ein nationales Charakteristikum: Daß Japan gerne isoliert und distanziert sei, könne man allein daran erkennen, daß Japaner keine Team-Spiele spielten. Die Fähigkeit im Team zu arbeiten, müßte in Japan noch deutlich ausgebaut werden. Christian Sissao - Wirtschaftswissenschaftler aus Burkina Faso, zur Zeit Aufbauhörer in Speyer - stellte auf die Haltung der USA gegenüber Japan und Deutschland ab: Beide Länder seien nach dem Zweiten Weltkrieg in ihrer Entwicklung sehr stark durch die USA beeinflußt worden, aber während in Deutschland die Europäisierung unterstützt worden sei, sei in Japan die weltwirtschaftliche Integration und insgesamt die Stärkung der wirtschaftlichen Position zum Aufbau einer Gegenmacht gegenüber Europa gefördert worden. Sissaos Frage sei nun, ob dieser Eindruck zutreffend sei, oder worin sich sonst die Haltung der USA gegenüber Deutschland und Japan unterscheide. Frédéric Kolié - Jurist aus Guinea, zur Zeit Doktorand in Speyer - richtete sich an Fastenrath mit der Bemerkung, daß die afrikanischen Staaten mit der Entgrenzung der Verfassungsstaatlichkeit keine Erfahrungen gemacht hätten: 1963 sei zwar die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) gegründet worden mit dem Ziel, die afrikanische Unabhängigkeit und Einheit zu erreichen, aber die afrikanische Einheit sei nach wie vor nicht in Sicht. Dies könne damit erklärt werden, daß die Bewahrung der nationalen Identität in Afrika immer den Vorrang gehabt habe vor einer supra7 Pitschas/Kisa

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nationalen Integration. In Europa dagegen sei eine ganz andere Entwicklung zu verzeichnen, die eventuell eines Tages dazu führe, daß es nur noch ein Europa und kein Deutschland und Frankreich mehr gibt. Für Kolié stelle sich nun die Frage, wie man auf der einen Seite die Entgrenzung der Verfassungsstaatlichkeit vorantreiben könne, ohne auf der anderen Seite die nationale Identität zu verlieren. Chang-Hwa Jung - Politikwissenschaftler aus Südkorea, zur Zeit Doktorand in Speyer - wandte sich mit seiner ersten Frage ebenfalls an Fastenrath: Die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben im Ausland (wie beispielsweise die Verfolgung von Straftätern über Grenzen hinweg) sei in Asien undenkbar und er frage sich, ob es dafür bestimmte völkerrechtliche Voraussetzungen oder Regelungen gebe. Mit seiner zweiten Frage richtete sich Jung an Tonami und thematisierte die verschiedenen Aufgaben, die Japan im asiatischen Raum wahrnehme. Dabei sei die starke Machtposition Japans gerade auch in sicherheitspolitischer Hinsicht bedeutsam: Japan könne prinzipiell Sicherheit und Stabilität gewähren, aber Südkorea, China und die anderen asiatischen Länder begegneten der Militarisierung Japans mit großem Mißtrauen (auch wenn Japan die Stärkung seiner freundschaftlichen Beziehungen zu den asiatischen Ländern betone). Jung interessierte nun, wie das japanische Volk gegenüber einem Einsatz des japanischen Militärs im Ausland stehe. Bei der Beantwortung der Frage Koliés stellte Fastenrath zunächst nochmals klar, daß natürlich die Vorstellungen über den Staat je nach Land und Generation unterschiedlich seien. Da Fastenrath selbst in einer Zeit aufgewachsen sei, in der Grenzen eigentlich keine Rolle mehr spielten, kaum mehr spürbar waren, seien für ihn transnationale Aktivitäten völlig normal und selbstverständlich. Auf der anderen Seite gebe es natürlich auch Staaten, die versuchten, sich eher abzuschütten, da sie sich noch auf der Suche nach einer nationalen Identität befänden. Die Integration von Staaten geschehe mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität, aber allgemein lasse sich sagen, daß die Wirtschaft die Integration sicherlich vorantreibe. Inwieweit man dann seine nationale Identität noch wahren könne, sei natürlich problematisch, denn ob man sich als Deutscher oder als Weltbürger empfinde, sei wiederum auch eine Generationenfrage: Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es in Deutschland beispielsweise keinen deutschen Patriotismus gegeben, sondern einen Verfassungspatriotismus. Zu Sissao gewandt, verwies Fastenrath darauf, daß sich hinsichtlich der Öffnung Deutschlands sagen lasse, daß diese eher auf den Aufbau der europäischen Institutionen denn auf die Bestimmung des Grundgesetzes zurückzuführen sei, dazu bedürfe es jedoch einer ausreichenden Flexibilität der grundgesetzlichen Regelungen. Abschließend ging Fastenrath auf den Kommentar von Jung ein und verwies prinzipiell auf das jeweils unterschiedliche Verständnis von Staatsmacht. Innerhalb Europas seien die Staaten allerdings so stark miteinander verflochten, daß kein anderer Ausweg gesehen werde, als bei der Strafverfolgung zu kooperieren. Selbst diejenigen, die der europäischen Integration sehr zurückhaltend gegenüber stünden

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und das Subsidiaritätsprinzip sehr hoch hielten, würden aus Gründen der inneren Sicherheit für eine grenzüberschreitende Strafverfolgung plädieren. Völkerrechtliche Beschränkungen gebe es in dieser Hinsicht nicht, denn letztendlich liege es allein in der Hand eines Staates, inwieweit er es zuläßt, daß ein anderer Staat innerhalb seines Hoheitsgebietes tätig wird. Tonami unterstrich den Kommentar von Seah, indem er darauf verwies, daß Japan jetzt noch nicht in der Lage sei, eine zentrale Rolle bei der Integration asiatischer Staaten zu spielen, denn noch herrsche zu viel Mißtrauen auf allen Seiten vor. Damit es zu einer Integration komme, sei ein Wandel in der politischen Kultur durch Stärkung der freundschaftlichen Beziehungen unabdingbar. Weiterhin betonte Tonami, daß Sissao auf einen sehr wichtigen Punkt hingewiesen habe: Die Japanische Verfassung sei entscheidend von der amerikanischen Besatzungsmacht gestaltet worden, Japan habe weder die Kenntnisse noch die Machtposition gehabt, um auf die Ausarbeitung der Verfassung großen Einfluß zu nehmen. Somit war Japan lange Zeit der einzige asiatische Staat mit einer Verfassung, die von der europäischen politischen Kultur und vom europäischen Konstitutionalismus geprägt war (und ist). Tonami hob hervor, daß diese Verfassung Einfluß auf die politische Kultur in Japan gehabt habe und untermauerte dies mit der Reaktion einiger asiatischer Länder auf die Wiener Konferenz von 1993, bei der die universale Gültigkeit der Menschenrechte erklärt wurde. Einige asiatische Regierungen -jedoch nicht die Bürger - hätten diese Erklärung kritisiert und die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte in Frage gestellt mit der Begründung, daß dies ein europäisches Konzept sei und für Asien keine Bedeutung habe, da die asiatischen Länder über eine eigene politische Kultur und Tradition verfügten. Die Frage von Jung nach der Haltung der japanischen Bürger zu einem Einsatz des japanischen Militärs im Ausland betrachtete Tonami als sehr schwierig: in den 60er, 70er Jahren war die Mehrheit der japanischen Bevölkerung gegen einen solchen Einsatz; 1993 waren es nach Meinungsumfragen nur noch 30%, wobei gerade die jüngere Generation relativ indifferent sei. Dies hänge damit zusammen, daß über die Problematik des Art. 9 JV der frühere Gegensatz zwischen LPD und SPD verschwunden sei. Zum Abschluß der Diskussion resümierte Pitschas folgende Punkte: Es sei die Frage gestellt worden, ob das deutsche Grundgesetz unter einer Unterausstattung internationalisierender Regeln leide und ob dies nicht erst recht für Japan gelte. Die Diskussion zu diesem Punkt habe gezeigt, daß diese Frage möglicherweise insgesamt zu kurz greife. Der Beitrag von Seah habe darauf hingewiesen - und Tonami habe dies auch aufgegriffen - daß die asiatische Situation wesentlich komplexer sei. Es gelte wohl doch einen kulturellen Kontext zu berücksichtigen, der in einem anderen Verhalten gegenüber Verfassungssetzung und -anwendung resultiere. Der Verfassungsstaat sei eben doch - um mit Häberle zu sprechen - gleichzeitig Kulturstaat. Jung habe dies mit seiner Anmerkung zur Strafverfolgung illustriert. Schließ7*

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lieh sei zu überlegen, inwieweit Verfassungen als ein Instrument gesehen werden könnten, um Vertrauen zu schaffen, denn durch die Fixierung von Regeln zur internationalen Zusammenarbeit könne Sicherheit und Stabilität erzeugt werden.

Verfassungsverantwortung im regionalen Kontext Die Entgrenzung der japanischen Verfassung aus koreanischer Perspektive Von Joon-Hyung Hong I. Einführung Derzeit drängt sich in Japan eine große Wende auf, von der vor einigen Jahren noch nicht zu träumen war. Eine Reihe von Ereignissen wie die Verabschiedung des sog. Richtlinien-Gesetzes (Guideline-legislation), des Gesetzes über die Nationalflagge (Hinomaru) und die Nationalhymne (Kimigayo), die Verabschiedung der Richtlinie für den offiziellen Besuch des „Yasukuni-Gottesschreins" durch die Kabinettsmitglieder, die Einrichtung der Verfassungsenquêtekommission im Parlament usw. zeigt die Richtung der Bewegung deutlich: Diejenigen Hindernisse, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als SicherheitsVorrichtungen die Erneuerung Japans als militärische Großmacht unterbinden wollten, werden nun in rascher Folge weggeräumt. Stellte die Friedensklausel der Japanischen Verfassung sowohl einen Eckstein der nachkriegszeitlichen Weltordnung wie ein Zeichen des Bekenntnisses zum Frieden dar, das den als Friedensstaat neugeborenen japanischen Staat legitimierte, ist es nun offenbar an der Zeit, diese Vorkehrungen Geschichte werden zu lassen. Die Nachbarstaaten werfen vorsichtige Blicke auf die Entwicklung dieser Lage der Dinge in Japan. Obwohl Washington die neue Rolle Japans in Sicherheitsfragen als einen unentbehrlichen Beitrag zur Sicherheit in Asien betrachtet, ist dies von Natur aus keine einheimische Angelegenheit Japans und nicht nur eine Sache der USA. Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung wird unmittelbar asiatisch-pazifische Räume und Regionen beeinflussen, wie ζ. B. China, Taiwan, Korea und südostasiatische Staaten. So umfasst die Verteidigungs-Richtlinien-Gesetzgebung, die eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz der militärischen Kräfte Japans im Notfalle zur Verfügung stellt, den südlichen Teil der koreanischen Halbinsel und Taiwan als Sphären möglicher Selbstverteidigungs-Aktivitäten. Die Problematik stellt daher eine gemeinsame Angelegenheit unter Nachbarstaaten dar, weshalb die offene Diskussion darüber auf der heutigen Tagung erforderlich und fruchtbar sein dürfte. Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung erfolgt im Übrigen nicht nur auf dem Gebiet des Sicherheitsrechts, sondern es gibt sie auch in den Bereichen des Wirtschaftsrechts, Umweltrechts oder des Informationsrechts usw. Hier soll aber haupt-

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sächlich auf die Problematik der Friedensklausel der Japanischen Verfassung abgestellt werden, während die anderen Aspekte nur beiläufig erläutert werden können. II. Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung und ihre Konsequenzen 1. Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung in Sicherheitsfragen a) Änderung der Friedensverfassung? Die Japanische Verfassung (JV) von 1947 statuiert in Artikel 9, dass „das japanische Volk jeglichen Krieg als ein souveränes Recht der Nation und jegliche Bedrohung oder Verwendung von Gewalt als ein Mittel zur Beilegung von internationalen Streitigkeiten für immer und ewig auf(gibt)" und „um dieses Ziel zu verwirklichen, werden keine Streitkräfte wie Armee, Marine, Luftwaffe oder kein anderes Kriegspotential unterhalten". Des Weiteren wird „das Kampfrecht (right of belligerency) des Staates nicht anerkannt."1 Hinsichtlich der Auslegung dieses Artikels haben sich in Japan unterschiedliche Lehrmeinungen herausgebildet, die im Großen und Ganzen in fünf Auffassungen eingeteilt werden können:2 Die erste interpretiert Satz 1 des Art. 9 Abs. 1 JV so, dass er jedweden Krieg einschließlich des Selbstverteidigungskrieges vollständig aufgebe, während Satz 2 zwar weder die Unterhaltung von Streitkräften noch das Kampfrecht anerkenne, aber das Recht zur Kriegsführung noch einmal feststelle. Die zweite Meinung geht dahin, es sei nur der Angriffs- oder Sanktionskrieg, der in Satz 1 des Art. 9 JV aufgegeben worden wäre, aber nicht die Selbstverteidigung. Diese Ansicht läuft jedoch auf dasselbe wie die erste Meinung hinaus, weil das Fehlen von Streitkräften und die Verneinung des Kampfrechts unausweichlich den Verzicht auf Kriegsführung zur Folge haben.3 Die dritte Lehrmeinung entnimmt den Sätzen 1 und 2 des Art. 9 JV die vollständige, substantielle Aufgabe des Kerns vom traditionellen Selbstverteidigungsrecht, 1

Die englische Übersetzung des Art. 9 lautet wie folgt: „CHAPTER II. RENUNCIATION OF WAR Article 9. Aspiring sincerely to an international peace based on justice and order, the Japanese people forever renounce war as a sovereign right of the nation and the threat or use of force as means of settling international disputes. In order to accomplish the aim of the preceding paragraph, land, sea, and air forces, as well as other war potential, will never be maintained. The right of belligerency of the state will not be recognized." 2 Siehe beispielsweise Yamauchi Toshihiro/Hurukawa Azushi , Gegenwartssituation und Perspektive der Verfassung ( l U f t « ß i / Ä J I I ffi, « Ο 1996, dfcfötti, S.38ff. 3 Yamauchi/Hurukawa (Fn. 2), S. 39.

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während die ersten beiden Auffassungen gemeinsam das Recht der Selbstverteidigung ohne Gewaltanwendung weiterhin für gegeben halten. Die vierte Ansicht geht davon aus, dass Satz 1 des Art. 9 JV das Selbstverteidigungsrecht als ein eigenes Recht der souveränen Staaten nicht verneint, doch umfasse es nur das individuelle Selbstverteidigungsrecht gemäß der UNO-Charta, nicht aber das kollektive Selbstverteidigungsrecht. Demzufolge verbiete Satz 2 nicht die Existenz eines Mindestbestandes an notwendigen Streitkräften für die Selbstverteidigung (sog. Selbstverteidigungsstreitkräfte). Die fünfte Lehrmeinung schließlich interpretiert Satz 1 so, dass ein Selbstverteidigungskrieg nicht verboten sei, mit der Folge, nach Satz 2 des Art. 9 JV sei die Unterhaltung von Streitkräften zur Selbstverteidigung zulässig. Nach Yamauchi bilden in Japan die erste und zweite Lehrmeinung die herrschende Auffassung, seitdem die Regierung ihre offizielle Position mit der Formulierung einer „Zulässigkeit des Rechts zur Selbstverteidigung ohne Gewaltanwendung" umschrieben hat.4 Daher seien der Erhalt der japanischen Selbstverteidigungstruppen (Self-Defense Forces: SDF) sowie die Stationierung von US-amerikanischen Streitkräften in Japan verfassungswidrig. Entsprechende positiv-rechtliche Sanktionen gegen die aktuelle verfassungswidrige Praxis gibt es aber nicht. Eher ist die Lage der Dinge umgekehrt: Die Friedensklausel, die als ein Eckstein für die nachkriegszeitliche Weltordnung in der Japanischen Verfassung ihren Niederschlag gefunden hatte, scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Offenkundig ist bei alledem der Widerspruch zwischen Verfassungsnorm und (verfassungswidriger) Verfassungswirklichkeit, den man wegzuinterpretieren versucht, oder man strebt eine Verfassungsänderung de lege ferenda an. Einerseits wird nämlich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Debatte um die Verfassungsmäßigkeit der japanischen Selbstverteidigungstruppen Art. 9 der Japanischen Verfassung so verstanden, dass die Kluft zwischen seinem Normgehalt und dem Bestand der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte mittlerweile durch einen Verfassungswandel überbrückt worden sei. Welche Gefahr aber eine derartige Interpretation laufen würde, ist schon auf den ersten Blick ersichtlich: sie würde leichtsinnig das Fundament der Rechtsstaatlichkeit gefährden und zugleich das Vertrauen derjenigen japanischen Nachbarstaaten schädigen, die vor einem halben Jahrhundert Opfer der imperialistischen Aggression und Besetzung durch Japan waren. In der Wirklichkeit werden die japanischen Selbstverteidigungstruppen durch die Regierungsposition zum Artikel 9 der Japanischen Verfassung nach wie vor offiziell gerechtfertigt und wirksam ausgebaut, ohne dass ihre Existenz mit Hilfe einer „Verfassungswandlungslehre" verfassungsrechtlich begründet werden würde. Die japanische Friedensverfassung sieht sich somit in der letzten Zeit leider vom alltäglichen Dasein der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte in den Schatten gestellt. 4

Yamauchi, in: Yamauchi!Hurukawa

(Fn. 2), a. a. O.

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Immerhin beschränkt sich deren Umfang auf ein Minimum, das sich allerdings je nach der internationalen Lage, militärischen Technologie und anderen Umständen verändert. Ob dann der gegebene Bestand als ein „Kriegspotential", das im Abs. 1 Satz 2 des Artikel 9 der Verfassung erwähnt wird, angesehen wird oder nicht, ist eine Frage der militärischen Stärke, über die Japan dann verfügt. Dementsprechend hängt das zulässige Ausmaß der militärischen Aufrüstung von dem Urteil ab, ob damit die verfassungsmäßigen Beschränkungen überschritten werden oder nicht. Auf jeden Fall ist es aber Japan nach der Regierungsauffassung versagt, sog. Angriffswaffen zu besitzen, deren Verwendung die totale Zerstörung anderer Länder mit sich bringen könnte, weil dadurch die Grenze des Minimums der Selbstverteidigungskraft sofort überschritten würde. So darf ζ. B. die Selbstverteidigung über keine ICBMs, strategischen Langstrecken-Bomber oder Angriffsflugzeugträger verfügen. Damit stellt sich aber die Frage, ob eine Verfassungsänderung notwendig ist, um die oben dargestellte und verfassungsrechtliche Spannungen auslösende Situation der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte zu klären. 5 Hierzu ergeben sich zwei Probleme. Ist zum einen die Verfassungsänderung notwendig, um das Bestehen der japanischen Selbstverteidigungstruppen verfassungsrechtlich zu legitimieren? Zweitens fragt es sich, ob die Friedensverfassung geändert werden muss, um überseeische Einsätze zu ermöglichen. Die Antwort auf die erste Frage dürfte aus folgenden Gründen eher verneinend ausfallen: Eine Verfassungsänderung ist vor allem deshalb nicht notwendig, weil ohnehin kein ernstzunehmendes verfassungsrechtliches Bedenken gegen die gegenwärtige Verfahrensweise erhoben wird. Durch eine solche Verfassungsänderung könnte dagegen erst das Potential für militärische Interventionen geschaffen werden. Die auf diesem Wege herbeigeführte verfassungsrechtliche Rechtfertigung der militärischen Macht hätte dann einen unerwarteten Nebeneffekt, der darin besteht, neue Aufrüstungsströmungen im ostasiatischen Raum hervorzurufen. Die Antwort auf die zweite Frage ist nicht so einfach. Die Änderung der Friedensklausel kommt im Hinblick auf die überseeischen Einsätze der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte als eine aktuelle Frage deshalb in Betracht, weil die Auffassung besteht, Artikel 9 JV verbiete den überseeischen Einsatz der Selbstverteidigungskräfte; Japan dürfe nicht direkt an einem bewaffneten Konflikt beteiligt sein. Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes der japanischen Selbstverteidigungstruppen zur Friedenssicherung bildete den Kern der hefti5 Infolge der wachsenden öffentlichen Debatten hat das Unterhaus des Parlaments ein Gesetz verabschiedet, das eine Verfassungsenquêtekommission einrichtet, welche die Frage der Änderung der „Nachkriegs-Verfassung" überprüfen soll. Zur Zeit ist es zu früh, um Ergebnisse zu prognostizieren. Doch muss man sich darüber klar sein, dass die asiatischen Länder - insbesondere die Nachbarn von Japan einschließlich Korea und China - auf jegliche Bewegungen in Japan sehr empfindlich reagieren werden, die über das Potential verfügen, den Alptraum der japanischen Expansionspolitik heraufzubeschwören.

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gen Debatte zu jener Zeit, als die japanische Regierung im Jahre 1990 die Initiative ergriff, dafür eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Der Gesetzentwurf konnte im Parlament damals nicht verabschiedet werden; stattdessen lebte der alte Streit über die Verfassungsmäßigkeit der Selbstverteidigungskräfte wieder auf. Die zentrale Frage war aber nunmehr, ob Mannschaften der japanischen Selbstverteidigungskräfte, wenn auch nur zur logistischen Unterstützung, an Aktivitäten einer internationalen Truppe teilnehmen dürften, die nicht streng unter UNO-Befehl stände. Ein positives Ergebnis der fehlgeschlagenen Entwurfsgesetzgebung war, nach der Erklärung des japanischen Außenministeriums, 6 dass die Japaner durch die Debatte anfingen, die Notwendigkeit einer neuen gesetzlichen Grundlage für die Teilnahme an Vereinte-Nationen-Friedens-Operationen (United Nations Peace-keeping Operations) einzusehen, damit Japan seiner internationalen Verantwortung nachkommen könne. b) Streitkräfteeinsatz auf gesetzlicher Grundlage Auf der einfachgesetzlichen Ebene wurde eine Rechtsgrundlage für die überseeischen Einsätze der japanischen Selbstverteidigungskräfte bereits kurz nach dem Ende des Golfkrieges geschaffen. Die Golfkrise befreite die japanische Bevölkerung aus einem psychologischen Kokon, der sie im Großen und Ganzen in den Nachkriegsjahren vor der Beteiligung an militärischen Missionen geschützt hatte. Japan stand jedoch nunmehr in der Kritik, es biete zu langsam und zu wenig Hilfe zum internationalen Ringen gegen Iraks Aggression in Kuwait an. Angesichts des durch die Einführung einer neuen Steuer geleisteten substantiellen Finanzbeitrags durch Japan, der sich auf $ 13 Milliarden belief, verwirrte die Tatsache die japanische Bevölkerung, dass die internationale Gemeinschaft keine besondere Dankbarkeit dafür aufbrachte. Stattdessen erkannte man, dass Japan als ein verantwortliches Mitglied der internationalen Gemeinschaft die Kriegslast mit Blut, Schweiß und Tränen und eben nicht gerade mit Geld zu teilen hatte. Ungeachtet dieses sich verändernden Sentiments fehlte aber in Japan noch das rechtliche Instrument, mit dem man den Einsatz der Selbstverteidigungskräfte im Ausland hätte durchsetzen können, um an internationalen Friedensbemühungen teilzunehmen. Im September 1991 brachte deshalb die japanische Regierung einen neuen Gesetzentwurf ein, der den Einsatz der Selbstverteidigungskräfte unter dem UNO-Befehl bei friedenssichernden Operationen erlauben würde. Wegen der strittigen Natur der Frage war allerdings ein größerer Kompromiß notwendig, um den Entwurf im Parlament verabschieden zu lassen. Das Ergebnis der Aushandlungsprozesse war ein Gesetz über die Beteiligung an Vereinte-Nation-Friedens-Operationen und anderen Aktionen, das die Regierung ermächtigt, die Selbstverteidigungsstreitkräfte 6

http://www.mofa.go.jp/policy/un/pko/issues.html.

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(nur) an den logistischen Aspekten der Friedensoperationen zu beteiligen. Das Gesetz schreibt ausdrücklich vor, dass die Vorschriften über den Einsatz eines Kontingents zu friedenssichernden Aktivitäten, welche über eine logistische Natur hinausgehen, eingefroren bleiben, bis eine neue Gesetzgebung erfolgt. Das Gesetz schafft zwei Hauptpfeiler für überseeische Friedenswahrungsaktivitäten Japans, aufgrund derer man an UNO-Friedenswahrungs-Operationen teilnimmt und zu den internationalen Humanitäts-Hilfsoperationen beiträgt. Es enthält die nachfolgenden fünf Voraussetzungen für den Einsatz der japanischen Streitkräfte: (1) der bewaffnete Konflikt muss durch Feuereinstellung unterbrochen sein; (2) die Konfliktbeteiligten müssen ihr Einverständnis zur Operation gegeben haben; (3) die Aktivitäten müssen in einer streng unparteiischen Weise durchgeführt werden; (4) die Teilnahme kann eingestellt werden oder aufhören, wenn die oben genannten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt werden können und (5) die Verwendung von Waffen beschränkt sich auf das notwendige Minimum, um Leben oder Gesundheit der Mannschaften zu schützen. Seit der Verabschiedung des Gesetzes im Jahre 1992 hat Japan in Angola, Kambodscha, Mosambik, El Salvador und auf den Golan-Höhen an UNO-Friedensoperationen teilgenommen. Desweiteren hat das japanische Parlament sehr wagemutige gesetzgeberische Anstrengungen unternommen, die so genannte „Richtlinien-Gesetzgebung" einschließlich des „Umgebungsnotfall-Gesetzes" zu erlassen. Die neuen Gesetze definieren, in welchem Ausmaß sich die Selbstverteidigungstruppen unter der Friedensverfassung an ausländischen Kriegen oder Konflikten beteiligen dürfen. Auch über die Erforderlichkeit eines „Krisen-Management-Gesetzes", das eine direkt auf nordkoreanische Raketenkapazitäten zielende Ermächtigung für einen vorbeugenden Abwehrschlag enthält, soll man sich einig sein. Es ist pure Selbstverständlichkeit, dass ein souveräner Staat eigene Selbstverteidigungskräfte unterhält. Einsätze der Streitkräfte bei friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen im Rahmen der Völkergemeinschaft sind auch als legitime Pflichterfüllung anzusehen. Im Grunde genommen gilt dies auch für Japan. Aber warum, so ist zu fragen, ist diese natürliche Tatsache bisher Gegenstand von so heftigen Kontroversen und Auseinandersetzungen in Japan - und nicht nur dort, sondern auch bei seinen Nachbarn - gewesen? Ist es nicht deswegen, weil die Friedensklausel einen entscheidenden Geburtsnachweis für das nach dem 2. Weltkrieg als einen Friedensstaat wiedergeborene Japan darstellt? Doch mit dem Ende der Ost-West-Konflikte hat sich inzwischen die Situation gewandelt, und es ist nun von

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einer Rollenerweiterung Japans die Rede. Allerdings bleibt noch ernsthaft zu diskutieren, ob sich wirklich die der Friedensklausel zugrunde liegenden nachkriegszeitlichen Ordnungseinstellungen so von Grund auf geändert haben, dass eine Wiederherstellung der militärischen Fähigkeit Japans begrüßt werden könnte. Aus der Perspektive des koreanischen Nachbarn erscheint es jedenfalls merkwürdig, dass der ursprüngliche, verfassungsrechtliche Zweifel an der Zulässigkeit des überseeischen Streitkräfteeinsatzes sowie am legitimen Bestand der japanischen Selbstverteidigungstruppen durch eine Reihe einschlägiger Gesetze stillschweigend als unbeachtlich beiseitegeschoben wird. Die Tatsache, dass man sich nun eine Verfassungsänderung überlegen will, kann zwar diesem Vorgehen an sich Legitimität sichern; demgegenüber ist jedoch eine nur einfachgesetzlich gestützte Praxis nachträglich kaum verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Ein solcher verfassungsrechtlicher Legitimierungsversuch würde darüber hinaus sicherlich Missfallen unter den Nachbarstaaten hervorrufen, die noch vor einem halben Jahrhundert durch die Imperialistenaggression großen Schaden erlitten haben. Im Augenblick schaut deswegen Seoul dem Ablauf der Dinge ganz aufmerksam mit der Hoffnung zu, dass Tokyo sein Verteidigungsprogramm mit der größtmöglichen Transparenz weiterentwickeln wird, um mögliche Besorgnisse zu vermeiden. Im Vergleich dazu hatte die deutsche Bundesregierung am 15.1.1993 für den „out of area"-Einsatz ihrer Streitkräfte eine Ergänzung des Grundgesetzes vorgeschlagen (BT-Drucksache 12/4107; Sten. Ber. 12/132 vom 15.1.1993). Dadurch sollten die Voraussetzungen geklärt werden, unter denen sich auch die Bundeswehr an Maßnahmen zur Sicherung des Friedens beteiligen kann. Auch dieser Vorschlag war in der ersten Lesung umstritten: Es wurde der Vorwurf erhoben, durch eine solche Verfassungsergänzung solle die Möglichkeit für militärische Interventionen außerhalb von Sicherheitsratsentscheidungen in der UNO geschaffen werden.7

2. Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung im Kontext der Globalisierung Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung ist nicht nur auf dem Gebiet des Sicherheitsrechts, sondern auch in vielen anderen Rechtsbereichen zu beobachten, in denen sich eine weltweite, beispiellose Globalisierungsbewegung niederschlägt. Mit der Globalisierung, die sich in Richtung auf Integration der ganzen Welt bewegt, werden internationale Wirtschaftsbeziehungen, ökologische, soziale und informationelle Wechselwirkungen immer weiter intensiviert. Dementsprechend hat sich das nationale Staats- und Verwaltungsrecht gewandelt, was in Japan in den folgenden Rechtsbereichen auch verfassungs- bzw. staatsrechtlich sichtbar wird. 7 Wolfrum, Rn.47.

Deutschlands Mitgliedschaft in NATO, WEU und KSZE, in: HStR VIII, § 184

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a) Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung und Internationaler Menschenrechtsschutz Die Gewährleistung der Menschenrechte, die vor langen Jahren Eingang in das Völkerrecht gefunden haben, nimmt immer stärkeren Einfluß auf die nationalen Rechtsordnungen. Teils durch nationalrechtliche Umsetzung von Menschenrechtskonventionen, teils mit der Annerkennung unmittelbarer Einklagbarkeit einer Reihe von Menschenrechten wird das Niveau des Menschenrechtsschutzes erheblich erhöht. Diese Tendenz ist auch im japanischen Staatsrecht sichtbar, so ζ. B. in der Diskussion um die Annerkennung eines Ausländerwahlrechts auf der kommunalen Ebene, am Versuch, das Grundrecht auf friedliches Leben und das Kriegsverweigerungsrecht einzuführen 8 usw. Die Garantie der Menschenrechte oder Grundrechte auf der nationalstaatlichen Ebene bildet ein sicheres Mittel gegen die mögliche Entartung der entgrenzten Verfassung Japans; auch auf diese Weise kann man sich gegen den Verfassungsmissbrauch zum Zweck der militärischen Intervention zur Wehr setzen. Auf der UNO-Ebene wird im Übrigen die Möglichkeit der Souveränitätseinschränkung wegen des internationalen Menschenrechtsschutzes diskutiert, was ebenfalls auf das japanische Staatsrecht Einfluss nehmen wird. b) Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung und das Allgemeine Verwaltungsrecht In der Mitte der 90er Jahre sind in Japan zwei Gesetze entstanden, die für die Entwicklung des Verwaltungsrechts im Globalisierungskontext von hervorragender Bedeutung sind: Es handelt sich um das Verwaltungsverfahrensgesetz einerseits und das Gesetz über den Zugang zu öffentlichen Informationen andererseits. Die Stichwörter sind hier Fairness, Transparenz und damit Vertrauenssteigerung. Die Entgrenzung der Verfassung ist zwar in diesem Zusammenhang nicht direkt sichtbar, doch wird die Verfassung selbst durch die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Verwaltungsrechts bereichert und substantiell gewandelt. Die Einführung des Verwaltungsverfahrensgesetzes und damit die Verwirklichung einer so lange Zeit von japanischen Wissenschaftlern sowie Praktikern gehegten Hoffnung steht ganz im Vordergrund, da das Gesetz als eine Erscheinungsform der Prozeduralisierung des Rechts9 eine Wasserscheide in der verwaltungsrechtlichen Entwicklung darstellt. Obschon das Gesetz angesichts seiner einzelnen Regelungen des Verwaltungsverfahrens nicht alle Probleme löst, geht es nicht zu weit, wenn ich sage, dass 8

Yamauchi/Hurukawa (Fn.2), S. 51-63. Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren - Strukturprobleme, Funktionsbedingungen und Entwicklungsperspektiven eines konsensualen Verwaltungsrechts - , München 1990, S. 80ff. 9

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es wirklich von bahnbrechender Bedeutung in der japanischen Verwaltungsrechtsgeschichte ist. Bemerkenswert ist vor allem, dass es einen verfahrensrechtlichen Rahmen für Kyoseishido („Verwaltungsanleitung"; „administrative guidance") erlässt, so dass ausländische Unternehmen im Wettbewerb mit den japanischen nicht mehr von einer unsichtbaren, diskriminierenden Regulierungspraxis benachteiligt werden (mindestens kann man jetzt aufgrund der normativen Gegebenheit Einspruch gegen eine solche ungleiche Behandlung erheben). In alledem findet sich ein deutlicher Beleg, dass die Gewährleistung eines fairen Verwaltungsverfahrens nicht mehr auf nationalrechtliche Einzelgänge beschränkt sein wird. Stattdessen findet man ein klares Beispiel für die Globalisierung des Verwaltungsrechts. Das Gesetz über den Zugang zu öffentlichen Informationen stellt japanischen Bürgern ein wirkungsvolles subjektives Recht zur Verfügung, das nicht nur Einblick in öffentliche Informationen gewährt, sondern auch mit der institutionell garantierten Transparenz ein gewisses Maß der Bürgerbeteiligung am Prozess der Verwaltungsentscheidung ermöglichen und fördern kann. Der Erlass beider Gesetzeswerke soll durch gegenseitige Informationsaustausche und wissenschaftliche Wechselwirkungen mit Korea vorangetrieben worden sein, was ein gutes Beispiel für die regionale Zusammenarbeit bei der Reform des Verwaltungsrechts aufzeigt.

c) Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung und das Umweltrecht Die Internationalisierung des Umweltschutzes mit ihrer rechtlichen Umsetzung ist schon seit den 70er Jahren eine ausgemachte Sache. Der nationalrechtlichen Isolierung wird dadurch auf dem Gebiet des Umweltrechts eine Absage erteilt. Im Vordergrund stehen bisher die „Rio-Deklaration" und die „Agenda 21". Beide vertraten bekanntermaßen das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung mit allem Nachdruck, und sie betonten die Verpflichtung der Staaten zu nationalen Anstrengungen bei deren Konkretisierung und Umsetzung. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, versuchen viele Staaten, effektive Entwicklungspfade zu finden und zu verwirklichen; dies gilt sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Nicht so ernst genommen wird jedoch die Grundforderung der „nachhaltigen Entwicklung", wie man noch vor fünf Jahren erwartete, obwohl deren Umsetzung im allgemeinen als Selbstverständlichkeit angenommen wurde. Es wäre wohl irreführend zu behaupten, dass nichts oder nicht vieles auf dem Gebiet des Rechts getan würde. Vielmehr gibt es eine Fülle von nationalen umweltrechtlichen Ausprägungen der nachhaltigen Entwicklung, wie auf der Sondertagung der UNO-Generalversammlung 1997 in New York durch die erste Gesamtüberprüfung und Bilanz der Umsetzung der Agenda 21 festgestellt wurde. Nationales Umweltrecht konkretisiert überall und immerhin die Forderung der nachhaltigen Entwicklung dadurch, der Gesellschaft normative Beschränkungen in ihrer Umweltnutzungsfreiheit aufzuerlegen, so

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dass die Grenzen der ökologischen Belastbarkeit sowohl des Menschen und der übrigen Lebewesen als auch ihrer Umwelt nicht überschritten werden. 10 Es bleibt aber noch abzuwarten, wie konkrete rechtliche Strategien zur Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung auf nationalrechtlicher Ebene zu entwickeln und zu erschließen sind, und nicht zuletzt, wie die nachhaltige Entwicklung in einzelnen nationalen Umweltrechten welche rechtlichen Wirkungen zu entfalten vermag. Das Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung, die bereits im internationalen Umweltrecht verankert worden ist, wird in seiner Rechtsnatur als ,joft law" qualifiziert. Es handelt sich dabei um zunächst unverbindliche Verhaltensregeln. Sie entfalten ihre Wirkung allerdings dadurch, dass es die Staatenpraxis wenn irgend möglich vermeidet, sich in offenen Widerspruch zu derartigem „soft law u zu setzen. Eine Gesellschaft, die jene kritische Schwelle überschritten hat, ab der die Nachhaltigkeit verfehlt wird, hat ihr Schicksal besiegelt. Die Nachhaltigkeit bildet in diesem Sinne auch eine unentbehrliche Existenzbedingung jeder Nation. Nachhaltige Entwicklung als Rechtsprinzip zu konzipieren, ist deshalb eine selbstverständliche Aufgabe auch in der Entgrenzung der Japanischen Verfassung. 11 Die Kyoto-Klimakonferenz (Kyoto-Protokoll) von 1997 bildet auch hierfür ein Beispiel, da internationale Bemühungen die nationalrechtlich zu vollziehende Regulierung der Kohlendioxyd-Emissionen unabweisbar machen. Besonderer Erwähnung wert ist es, dass die NGOs bei der Gestaltung von umweltrelevanten Rechten sowohl auf der staatlichen als auch auf der internationalen Ebene eine ausschlaggebende Rolle spielen bzw. spielen können und dass sie auf der kommunalen Ebene bereits als Hauptakteure hervortreten.

d) Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung und das Wirtschaftsrecht Im Bereich des Wirtschaftsrechts ist die Entgrenzung der Japanischen Verfassung nicht so evident. Allerdings beherrscht mittlerweile das WTO-System als supranationales Rechtswerk nicht nur zwischenstaatliche oder multilaterale Handelsverträge, sondern auch die nationale handelsrechtliche Praxis. Maßgeblich sind die Stichwörter der Wettbewerbsfähigkeit, Autonomie, Fairness und Transparenz, Reorientierung des Verhältnisses zwischen der Verwaltung und den Unternehmen, Deregulierung, Regulierungsreform bzw. der uferlosen Expandierung des „E-Commerce".

10

Benderl SparwasserI Engel, Umweltrecht, 1/1 Rn. 3. Vgl. Hong, Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development) als Grundsatz des Koreanischen Umweltrechts, Public Law (Korean Public Law Association), Vol. 25-11, 1997, S.268-292. 11

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I I I . Neue Rolle Japans im Kontext der Globalisierung Was lässt die Entgrenzung der Japanischen Verfassung erwarten? Was ist aus koreanischer Perspektive die wünschenswerte Rolle Japans im Kontext der Globalisierung? Statt näheres hierüber zu erläutern, will ich mich nur darauf beschränken, thesenhaft erwünschte Zukunftsrichtungen anzugeben, welche gegebenenfalls als Ansätze für eine Staatszielbestimmung und ihre Konkretisierung auf der verfassungsrechtlichen Ebene weiter diskutiert werden können. 1. Verfassungsverantwortung

Japans in Sicherheitsfragen

Auf dem Gebiet des Sicherheitsrechts trägt Japan von Verfassung wegen große Verantwortung dahingehend, eine Friedensmacht oder ein Friedensstaat zu bleiben statt eine militärischen Großmacht zu werden. Zur Verhinderung dessen sind einige rechtliche Maßstäbe unerläßlich, um unerwartete Nebenwirkungen der Verfassungsentgrenzung zu vermeiden und eine adäquate Verfassungsverantwortung Japans im Hinblick auf die Vergangenheit zu gewährleisten: Zunächst gilt es, ein Subsidiaritätsprinzip für den überseeischen Einsatz der japanischen Streitkräfte zu schmieden, was gegebenenfalls durch eine Verfassungsänderung begleitet werden sollte. Den friedenssichernden Aktivitäten, die ziviler Natur sind, sollte dabei vor den militärischen Aktionen der Vorzug gegeben werden. Bei der Entscheidung über den Streitkräfteeinsatz muss ein verfassungsrechtlich verankerter Demokratie-Rechtsstaatlichkeits-Vorbehalt gelten, der auch in der Wirklichkeit effektiv durchsetzbar sein muß. Denn wo von einer mächtigen Regierungskoalition im Parlament alles gestaltet werden kann, wird es keine Gewähr dafür geben, dass der imperialistische Unrechtsstaat der Vergangenheit nicht wiederbelebt wird. Aus koreanischer Sicht erscheint es deshalb wünschenswert, dass die „Friedensklausel" beibehalten wird; dies hindert nicht, den subsidiären Einsatz der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte im Rahmen der UNO-Friedenssicherungsoperationen Eingang in Japans Verfassung finden zu lassen; 2. Verantwortung

Japans für den Menschenrechtsschutz

Die Friedens Staatlichkeit, auf die sich die Öffnung der Japanischen Verfassung orientieren soll, bringt eine große Verantwortung Japans für den Menschenrechtsschutz mit sich. Insoweit Souveränitätseinschränkungen aus Gründen des internationalen Menschenrechtsschutzes für zulässig gehalten werden, steht aber die Japanische Verfassung einer entsprechenden Forderung nach Menschenrechtsstaatlichkeit entgegen. Ob sich die Entgrenzung der Japanischen Verfassung auch darauf ausrichten will, wird ein bedeutender Prüfstein für den Erfolg der weltweiten Menschenrechtsschutzbewegung sein. Das Ausländerwahlrecht, Kriegsdienstverweige-

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rungsrecht oder das Grundrecht auf friedliches Leben fallen jedenfalls unter den Katalog der Menschenrechte, welche eine offene Verfassung in ihrem Beitrag zum internationalen Menschenrechtsschutz gewährleisten sollte. Nicht zu vergessen ist bei alledem, dass Mängel der Rechtsstaatlichkeit in Menschenrechtsfragen keinesfalls mit dem Argument eines entgegenstehenden „asiatischen Wertebewusstseins'4 rationalisiert werden dürfen. Darüber hinaus existieren keine Belege für die Annahme, dass nichtdemokratische Systeme zur Wirtschaftsentwicklung besser in der Lage seien. Diese Behauptung geht auf die „Lee-Hypothese" zurück, d. h. auf die Vorstellung von Lee Kuan Yew, dem ausgezeichneten Führer und ehemaligen Präsidenten von Singapur. Er hat sicherlich Recht mit seinem Hinweis, dass einige relativ „disziplinierte Staaten" („disciplinarian states") wie das prä-demokratische Südkorea, Singapur und China in der Vor-Reform-Zeit höhere Wirtschaftswachstumraten als weniger autoritäre Staaten einschließlich Costa Rica oder Jamaika bzw. Indien aufwiesen. 12 Ein solcher Vorrang kann jedoch nicht verallgemeinert werden; die höchste Wirtschaftswachstumsrate war in Botsuana zufinden, das über Jahrzehnte hinweg eine Oase der Demokratie in Afrika war. Schon von daher ist eine umgekehrte Schlussfolgerung vertretbar, und zwar aus folgenden Gründen: Demokratie kann kurzfristig, aber sie muss nicht langfristig die wirtschaftliche Entwicklung hemmen. Die Kosten für Rechtsstaatlichkeit, die zunächst das Wirtschaftswachstum hemmen mögen, können sich aber langfristig in eine effiziente, kluge Investition verwandeln, die größere Unkosten an Unrechtsstaatlichkeit zu späterer Zeit einsparen läßt. So führt weder die Betonung „asiatischer Werte" zur Rechtfertigung eines Unrechtsstaates noch lässt sich die These von der Demokratie als Hemmfaktor der Wirtschaftsentwicklung beweisen. 13

3. Verantwortung

Japans als ein beispielgebender Umweltstaat

Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung muß ebenso von der „nachhaltigen Entwicklung" statt von einer ausbeutenden Wachstumsideologie als Leitbild ausgehen. Denn Japan trägt als ein führender Industriestaat eigene Verantwortung im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit zur Lösung immer globalerer Umweltprobleme. Zu dieser Verantwortung gehört gerade auch die Verpflichtung, zur Erhaltung der globalen nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung weltweit einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Diese Verantwortung stellt einen unerläßlichen, aber auch den stärksten Legitimationsgrund für die Entgrenzung der Japanischen Verfassung dar. Sie könnte die zur Zeit nur sporadisch erfolgende internationale Zu12

Amartya Sen, Democracy and Social Justice, Vortrag auf der Seoul Konferenz für Demokratie, Marktwirtschaft und Entwicklung, 26.-27. Februar 1999. 13 Takshi Oshimura, In Defense of Asian Colors, Asian Perspectives, Dezember 1999, Vol. 2, Issue 2, S.6.

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sammenarbeit im Umweltschutz insbesondere im ostasiatischen wie im asiatischpazifischen Raum erleichtern. In diesem Sinne stellt die Japanische Verfassung als eine Umweltverfassung sichere Rechtsgrundlagen für die internationale Kooperation bereit. Sie ermöglicht auf diese Weise nicht nur die Teilnahme an globalen Umweltschutzaktivitäten, sondern auch die zukunftsweisende Durchführung von Entwicklungshilfe auf dem Gebiet des Umweltschutzes, internationale Vereinbarungen gegen Umweltdumping, die Erweiterung von wirtschaftlichen Anreizen und die Verstärkung der Bürgerbeteiligung an der Umweltpolitik einschließlich der Unterstützung von UmweltNGOs und viele andere Aktivitäten. 4. Verantwortung

Japans für die Globalisierung der Weltwirtschaft

Mit der Entgrenzung der Verfassung trägt das „Großunternehmen Japan" in bezug auf zwei weitere Aspekte Verantwortung: Es muss eine „kooperierende Wohlfahrt" statt Marktherrschaft oder Anarchie des Kapitals im Verhältnis zu seinen Nachbarn anstreben, indem es einerseits den Zugang zum japanischen Binnenmarkt so weit wie möglich, vor allem für die Entwicklungsländer offen hält. Die wirtschaftliche Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern wird in der Zukunft eine erweiterte Rolle Japans in der Völkergemeinschaft legitimieren. Auf der anderen Seite muss Japan eine Schrittmacherfunktion übernehmen und daran denken, dass es eine große Verantwortung für die Weltwirtschaft innehat. Vor allem gilt es, das Krisenmanagement für die asiatischen Nachbarn, aber nicht in militärischer Weise, zu übernehmen. Hier sollte das große und mündige Unternehmen Japan eine organisierende Rolle spielen. IV. Schlußwort Bislang wurde das Thema „Verfassungsverantwortung im regionalen Kontext. Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung aus koreanischer Perspektive" behandelt. Zum Schluss soll folgendes gesagt werden: Die Entgrenzung der Japanischen Verfassung erscheint einerseits im Hinblick auf die Sicherheitsfrage, die in der letzten Zeit von dem abenteuerlichen Probeabschuss der Langstreckenrakete Nordkoreas erneut aufgeworfen worden ist, eine unumgängliche Konsequenz.14 Dieser Wandel ist andererseits und zugleich eine notwendige Folge vom Ende des „Kalten Kriegs". In bezug hierauf wird es erforderlich, Japan einen aktiven Beitrag zur internationalen Friedenssicherung leisten zu lassen. Dieser verlangt eine Anpassungsstrategie Japans gegenüber dem Strukturwandel 14 Die landesweite Hysterie in den Staaten am Ostmeer nach dem nordkoreanischen Raketenabschuss demonstrierte, wie schnell sich der nationale Charakter verändern kann.

8 Pitschas/Kisa

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der sich weiter globalisierenden Weltordnung. Diese hat ihren Anteil am positiven Meinungsaustausch und an der friedlich konkurrierenden Zusammenarbeit zur wünschenswerten Zukunftsgestaltung von Ostasien und Asien-Pazifik. Es fragt sich allerdings, ob eine Gewähr dafür besteht, dass die Entgrenzung der Japanischen Verfassung wirklich zur internationalen Festigung von Frieden und Sicherheit beitragen wird und Japan nicht als eine neue militärische Großmacht im ostasiatischen Raum handelt. Die Nachbarn sind sich nicht so sicher, ob Japan vertraut werden kann. Wir wollen doch, dass Japan eine friedliebende wirtschaftliche Macht bleibt. Wir erwarten aber ebensowenig, dass es friedlich unter dem U.S.amerikanischen Verteidigungsregenschirm bleibt und sich ab und zu mit der Supermacht in Handelskriegen auseinandersetzt. In diesem Zusammenhang scheint es angezeigt, einige Forderungen im Hinblick auf die Zukunftsorientierung der Japanischen Verfassung zu stellen. Erstens ist es nach wie vor erwünscht, dass die Japanische Verfassung ihren Charakter als Friedens-Verfassung so lange wie möglich aufrechterhält, um jedes gefährliche Risiko der Eskalation eines Aufrüstungswettbewerbs in Ostasien und Asien-Pazifik zu vermeiden. Um das Verständnis seiner Nachbarn zu erlangen, reicht es jedenfalls für Japan nicht aus, bloß auf die neue Forderung der Völkergemeinschaft nach Erweiterung seiner Rolle oder auf die Langstrecken-Raketenbedrohung durch Nordkorea hinzuweisen und damit die Erforderlichkeit einer verfassungsrechtlichen Befähigung zur militärischen Intervention zu betonen. Zweitens sollte der Leitgedanke der Rechtsstaatlichkeit bzw. der „Rule of Law" die Kooperation und Wechselwirkung zwischen Japan und seinen Nachbarn bestimmen. Die Berufung auf „asiatische Werte" darf weder als Korrelat zur Rechtfertigung der Diktatur verstanden werden noch gibt sie einen plausiblen Grund dafür ab, Menschenrechtsverletzungen zu legitimieren oder einen Unrechtsstaat zu rationalisieren. Die entgrenzte Verfassung Japans wird sich hoffentlich ihrer Bindung an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bewusst bleiben statt auf die Karte des „asiatischen Werts" zu setzen. Schließlich besteht die Hoffnung, dass die neue Rolle Japans in der Völkergemeinschaft diejenige sein wird, sich für internationalen Menschenrechtsschutz, globalen, nicht bloß inländischen Umweltschutz und weltweite wirtschaftliche Kooperation einzusetzen. Dies ist auch der aufrichtige Rat, den wir unserem nächsten Nachbarn geben möchten.

Japan's Leadership Search in Post-Economic Crisis Southeast Asia By David Chee-Meow Seah Japan has what may be described as a fateful attraction towards Southeast Asia ever since its emergence from its enforced seclusion during the Tokugawa period. This was so even though the other much more proximate area, northeast or continental Asia, was much more important in terms of strategic considerations. Thus, although the beginning of the Meiji restoration saw an almost immediate revival of interest in the latter area, as evinced in the thinking of leaders ranging from Saigo Takamori to Ito Hirobumi to control Korea, there was already a steady and growing desire to extend influence on Southeast Asia. The reasons were not difficult to surmise. The increased population pressure, the lack of adequate resources as the country drastically modernized itself to be on par with the western colonial powers, and periodic famines in most parts of the country had made Japan painfully conscious of the need to expand its territorial or colonization influence. Northeast Asia, despite its strategic consideration, was over-populated while the strong cultural and historical legacy in those countries would make it extremely difficult for Japan to contemplate extension of permanent settlement for its people. Southeast Asia was thus the most logical choice for such a purpose. On the other hand, much of the region was already colonized by western powers, the main exception was Siam which had a stable monarchy and which served as an indispensable buffer between British and French colonial interest. This, however, did not prevent Japan for systemically implementing an intelligence network aimed at discovering weaknesses in these colonies. It was also clear that such covert activities quickly caught the attention of the western administrators in the region. Counter-measures, including collaboration in monitoring the movements of key Japanese intelligence agents who were on their field-assignments, were among some of the methods used. Japan's links with Southeast Asia has already been discussed in a recent paper, which addressed this theme. See David C M Seah, "ASEAN and Japan's Southeast Asian Regionalism", a chapter contribution to Inoguchi Takashi, latest edited book focusing on Japan's foreign policy initiatives. Details on publication of book will be made available soon.1 This paper will not repeat what was already written. 1

See David CM Seah, "ASEAN and Japan's Southeast Asian Regionalism", a chapter contribution to Inoguchi Takashi, latest edited book focusing on Japan's foreign policy initiatives. Details on publication of book will be made available soon. 8*

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In my mind, there are three phases or "waves" of Japanese influence in this region. The first was from the Meiji period to the end of the Second World War. The second became obvious by the late fifties and ended at around the mid-1990s, at a time in which there were some reservations made to that country by economically well-off ASEAN states.2 The commencement of the third wave began with the economic crisis of 1997, which marked a re-evaluation of both Japan and ASEAN of each other's needs. The first part of the paper is to evaluate some broad issues that took place in the first two phases. The second examines the conditions, which led to a resuscitation of Japan's leadership role in Southeast Asia. While the immediate focus would be on the impact of the 1997 financial-economic crisis on the Asian NIEs (most of which were located in Southeast Asia), considerable expectations were also placed on Japan's capacity to recuperate itself from the damages of a burst bubble economy. Could Japan have that ability given its troubled domestic environment? The last section focuses on broader issues, which would impinge on Japan's future collaboration in this region during this third wave of its impact on Southeast Asia. Needless to say, among the issues to be discussed would be those relating to the dramatic changes in security strategy in Asia-Pacific region and Japan's capacity to contribute to this evolving scenario, the impact of advancements in IT and e-commerce, and the implications of accelerated globalization. I. Delayed Fulfillment of Expectations The first phase was characterized by the deliberate policy to weed the western colonial powers from the region. This was led by the crafting of the Co-Prosperity Sphere concept under which the subjugated indigenous states (or regimes) in Southeast Asia were promised liberation from their colonial masters under the overall guidance of Japanese tutelage and influence. It is worth-noting that the Southeast Asians were specifically to be treated differently from the Chinese or the Koreans under the Co-Prosperity Scheme. Plans too were initiated to enable young natives of these places to be educated in Japan as part of a longer plan to beef the administrative capabilities of these indigenous states upon their freedom from western rule. 3 Though the success of this scheme was jeopardized by adverse military fortune and defeat for Japan in the Second World War, this long-held dream to establish sustained Japanese influence in the region was not terminated. The end of the war had led to a rapid phase of de-colonization as independence was accorded to these 2 A "wave" is described more as a relatively long period of relatively sustained impact and in a determined direction. 3 Detailed treatment of the Co-Prosperity Sphere can be found in two publications, namely, Joyce C Lebra , ed., Japan's Greater East Asia Co-Prosperity Sphere in World War Two (Kuala Lumpur: Oxford University Press, 1975) and Grant Κ Goodman, ed., Japanese Cultural Policies in Southeast Asia during World War 2 (London: Macmillan, 1991).

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colonies. In rapid manner, new countries ranging from Burma in 1947 emerged. Though not much credit was given in these new states to the contributions of Japan in the decolonization process, the emergence of a host of new nations had enabled the latter to eventually extend sizeable trading and economic activities, or Japan, it was an opportune time as its post-war reconstruction had gone on successfully and the country was poised for increased external trade and economic links. This was to mark the second phase of Japan's sustained contact with Southeast Asia. This contact was mutually welcomed. The newly enfranchised states had found they could not depend on their former colonial powers for development and other assistance as rising local nationalism and financially weakened ex-colonial powers made it difficult. Japan was thus able to pursue the second phase of sustained contact vigor and largely on the understanding that this region would be rather receptive to its presence. Other factors too have helped. The successful hosting of the Olympic Games in Tokyo marked not just the end of the post-war reconstruction efforts in Japan. That games showed the growing resurgence of a highly confident, technologically competent Asian nation. Certainly, these dual image played a major role in shaping popular feelings in Southeast Asia towards that country. The fact that Japan was constitutionally prohibited from using coercive means to further its national interest was an additional welcome feature for any Southeast Asian states (or communities), that had retained negative impressions of Japanese wartime activities. Japan was thus easily acceptable in Southeast Asia. Since most of its products were noted for price competitiveness, impeccable quality, sustained innovation, and appropriate design, it was inevitable that they replace competitive models from the west. They after all fit the requirements found in the so-called "Asian family". Sustained consumerism led undoubtedly to much more intensified trade links to the extent that "made-in-Japan" became the household word for any product, which any comfortable or well-established family in the Southeast Asian region would wish to acquire. Ultra-nationalism did occur especially in the early seventies when some local intelligentsia felt that the wave of consumerism would make the region as the equivalent of a neo-colonial sub-region of Japan. The adverse reaction that greeted Premier Tanaka Kakuei, then the first of the post-war premiers to have an official visit to some of the Southeast Asian states, reflected the worry among the Southeast Asian intelligentsia as well as those restless urbanités. However, this fear was subsequently swept over as Southeast Asian states, especially those that constituted ASEAN, subscribed to the importance of economic development in sustaining their well-being. Lacking in such technology and infrastructure, these countries were especially grateful for Japan as it had the biggest inflow of investments and frequently, the amounts from the other OECD countries were of no match. The Japanese were willing to invest in a wide range of manufacturing activities, from small to large enterprises. This FDI from Japan had undoubtedly sustained the initial success of the ASEAN countries' industrialization

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programs. The willingness by Japanese corporations to establish their manufacturing bases abroad was further encouraged by adverse home environments such as the imposition of stringent environmental control measures, higher wage and production costs, and competition among the firms having similar product lines. At the same time, the willingness of the ASEAN countries to attract their investments was positively acknowledged and indeed, Southeast Asia (or ASEAN) was the nearest and most appropriate area for siting Japanese investments. The other possible areas for Japanese investments were Taiwan and South Korea, although occasional antiJapanese mood in the latter had made the place much less attractive. Alongside the creation of new industrial bases and infrastructure, Southeast Asian states found they could receive generous aid and concessional loans from the Japanese government. The amount received was way beyond their initial expectation and certainly larger than what they could seek from other OECD countries. This was not surprising because the Japanese government, aware of the economic advantages of the ASEAN countries, ensured that this region would be the bigger recipient of such ODA. In fact, even in Japan, the leadership came to the conclusion that formal visits to Southeast Asia capitals should be made by any of their newly affirmed prime ministers and that such a official call was on par which what they would have made to Washington or Japan's main military ally. This second phase of contact could thus be regarded as determined by a largely pro-Japanese sentiment from the Southeast Asian region. In a curious sense, it could be argued that the aborted pre-war aim of becoming the leader in Southeast Asia was finally materialized in the post-war period and without having to embark on military attrition. Was leadership, as envisaged in the Co-Prosperity scheme, realized in this second phase? The idea of Japan providing the leadership to the Southeast Asians in the economic field seem to have been successfully achieved. There was a mutual identification of felt needs by Japan and Southeast Asia. The former would still have needs such as resources, markets and high-yield places for its investments. The latter were fulfilling all those conditions required by Japan and were also able to use such Japanese inputs for promotion of their economic development. Japan was thus the leader of the pack of Southeast Asian states. The high watermark of Japanese influence was evidenced before the end of the seventies. Visits by Japanese politicians and administrators were welcomed and amply reported in the mass media. Premier Fukuda Takeo, in his visit to ASEAN countries, was urging the need for "heart-to-heart" contact between his country and those in the region. Stronger endorsement was seen too when his successor, Ohira Masayoshi, came with his "walking hand-in-hand" call to ASEAN countries. The 1980s in Southeast Asia could be labeled as a "Japanese decade". The height of this fever could be inferred from the strong desire of national leaders to emulate all aspects of Japan. Singapore's Lee Kuan Yew was by 1979 urging his people to

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"Learn from Japan". That campaign was carried on for a good number of years. The Malaysian leader followed suit with a Japan-geared "Look East" policy. Never had the atmosphere towards Japan been much warmer than before. ASEAN countries were busily courting for Japanese investments and aid. They were working on a collective basis (as members of ASEAN) as well as in their individual capacity to extract the most support from Japan. It was this issue of loans and aids which determined these leaders' action towards Japan. Japanese political leaders or top administrators were feted in the region on this premise that such warm hospitality could be reciprocated by rewards. When these were not forthcoming, the warmth could be rapidly replaced by less pleasant criticism. This feature should not be obscured when we try to assess Japanese "leadership" during this halcyon period. First, the ASEAN countries had strong selfish notions as to what they expect of Japanese leadership. The political and military role of Japan was to be kept under wraps because none of these countries would warmly encourage such a profile. Even though the postwar constitution had prohibited military recourse in furtherance of its national interest, there was the belief that this could just be a "bitter prescription" which the Japanese had to continually consume to regain retribution. Any occasional wisps of ultra nationalism were still carefully monitored and criticized by the governments in this region. So were the very rare references to the potential of the Japanese military undertaking a unilateral role as a "watchdog" in patrolling the sea-lanes either in South or East China Sea. A passive non-military type of military was thus the role which Southeast Asia would like Japan to assume.4 On the other hand, while the ASEAN leaders did not like Japan to assume a "watchdog" function, neither would they tolerate Japan performing the role as a shepherd in guiding this flock of ASEAN sheep even in this economic arena. The motives of the shepherd invariably would differ from those of the sheep even though both of them would like to be spared from the unexpected common tribulations, such as the poaching by less friendly predators or adverse climatic and weather conditions.5 Much more imaginative writers wrote of Japan's economic leadership in Southeast Asia as that of the leading goose leading the ASEAN flock in a V-shape formation, presumably on the path to better economic conditions. In a sense, it implies that Japan would lead the way and while the rest of the geese also have good cognition of where they were heading, they found it comfortable and to their advan4

There were a few occasional remarks by political leaders in Southeast Asia as to how Japan should pursue its role in ensuring maritime and strategic safety in this region. Of the armed forces, the maritime division in the late eighties has initiated rather regular "courtesy calls" for their "training ships". These visits are not given highlight in the local mass media. 5 The ultimate goal of the shepherd is to ensure that the sheep would eventually be sold and brought to the slaughterhouse. Thus, even though the shepherd is determined to defend the interest of the animals, it could be only a means to ensure his final role-objectivity.

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tage to follow presumably a much more knowledgeable and tested team leader. While this imagery looks attractive, it does not answer some issues such as the fate of the weaker ones who might not be able to follow the formation. Would they be left out of the flock while the others could continue to follow the leader? This is a thinking that would be difficult for ASEAN members to accept in consensus-seeking organization.6 From this argument, it would thus seem that whilst some form of leadership from Japan was acceptable (or tolerable) in the economic area, the ASEAN countries would not want the latter to assume a hegemonic status even in regard to economic growth patterns in Southeast Asia. Japan was thus a main source of guide and assistance; ultimate decision within the region would thus be left to those policy makers in their respective countries. Were the ASEAN leaders myopic or naïve in foreign policy engagement or were expecting a Japan to behave with great magnanimity? he answer seemed hard to answer. Basic to the defining of a proper role for Japan was the acknowledgement that Japan had already become an economic superpower. Despite such a status, Japan was not permitted to use this economic clout in charting the progress of those in the region. Indeed, there was the belief that with its attainment of superpower status, there would be a greater need by Japan to require or gain from the potentialities (as indicated by resources, markets and low production costs) in the region. It was thus a case of mutual benefit: ASEAN would profit from its close association with Japan inasmuch as the latter would also In a sense, the ASEAN countries were expecting what I would term as a fine balance of both positive and passive approach by Japan. It would be positive in the sense that Japanese involvement was thus a stimulant; on the other hand, the Japanese were also expected to be passive by enabling the ASEAN countries to retain their initiative as they reviewed their own economic development strategies. Needless to say, criticisms are inevitable as this fine balance would frequently be upset or when qualitative changes consequently emerged in the economic development of these countries. For example, as the ASEAN countries' industrialization showed significant improvement, there was a subsequent demand from Japan for sophisticated technological aid and/or higher valued-added industries. Irritations surfaced when such requests were not acceded. This situation became apparent by the end of the eighties. The more industrialized in the ASEAN group were already asking for greater input of technology transfer in their attempt to accelerate their pace of growth. Singapore had already aimed to have the same GDP per capita as Switzerland by 1999; Malaysia hoped to be a developed country by 2020. The demand from Japan inevitably increased. Malaysia, for 6 Consensus seeking is a key feature in the modus operandi of ASEAN. Deference and at times, delay would be initiated just to ensure a collective front. While this could impede the effectiveness of this regional body, it undoubtedly could be regarded as a source of strength since there is greater sense of commitment among the members to agreed ideas.

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example, was skeptical of Japanese reluctance to transfer technology. A joint Japanese-Malaysian car production plant was already established in that country, but the leaders were urging from more valued-added inputs into that production line inasmuch as there was also the further thought that more vehicle production facilities should be introduced into the country. Unhappy with the responses from Japan, Mahathir, was evaluating alternative non-Japanese participation such as that of another OECD country for future industrial collaboration. In a curious way, the emergence of this new disquiet over Japan's role in this region came at a time when the economic outlook of Japan and the ASEAN countries diverged. By the end of the eighties, the bubble economy that had sustained Japan's economic optimism came to a dramatic burst. Japan had to be engrossed by soul-searching measures for solutions to rejuvenate its economy. ASEAN, on the other hand, was reaching the height of its economic optimism. They (together with South Korea, Taiwan and Hong Kong) had been labeled as the new economic dynamos that would help account for making the next century as the Pacific Century. The optimism was not easily dismissed. The high growth rates have greatly impressed even the OECD countries and those international bodies such as the World Bank and IMF. Positive statements abounded. Who, for example, could dismiss Indonesia's realizable goal of eradicating mass poverty in that vast archipelago by the year 2005? The feeling of having achieved something substantial was insurmountable. ASEAN countries were no longer unknown economic weaklings for they would be the main components of the NIEs - it was the world of the dragons and young tigers. Given this feeling of positive growth and optimism in the ASEAN region, it is inevitable too that a further escalation in expectations in this region was unavoidable. ASEAN, on its own, has initiated extra-oriented regional collaboration, the two most important of which were AFTA (ASEAN free trade area) and ARF (ASEAN Regional Forum). There was too the belief that they should engage the EU as part of the attempt to reach this new generator of growth. An ASEM arrangement, which involved meetings of ministers from ASEAN and EU, was effected. On the other hand, there was also this attempt by Japan to widen its area of contact other than ASEAN. Together with Australia, Japan became a key actor in promoting a broader economic-based grouping known as APEC (Asia-Pacific Economic Community). Yet, Japan's initiative was much reduced for it was not keen to displease the Americans. Thus, when Premier Mahathir proposed the creation of a sub-grouping, to be known as EAEG (East Asia Economic Group), Japan was apparently unease, as it would exclude the presence of the US. That proposal undoubtedly displeased the Americans who had made known their unhappiness. Thus, while Mahathir had hoped that such a smaller grouping with Japan in charge and comprising the smaller Asia-Pacific countries could result in better growth strategies, Japan was unwilling

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to endorse it. Despite many attempts to popularize it, the proposal (subsequently renamed as EAEC or East Asian Economic Caucus) remained a stillborn idea. Whilst the thinking of Malaysia might not reflect that of ASEAN, nonetheless, it served to indicate a division in thought between the region and that of Japan. By the beginning of the nineties, a parting or redemarcation of relationship between Japan and those in the region, was hard to avoid. Have these geese found their new place to settle down after the long flight? If so, then would they reaffirm the importance of accepting their previous team leader if the logic of moving in a Japan-led V-shaped formation had become less meaningful in the meanwhile? It could be the ASEAN countries would probably be content with their own designs on economic development. From the perspective of hindsight, the two phases of Japanese interest in Southeast Asia showed interesting features, which undoubtedly would govern that country's future involvement in the region. First, while Japan had obviously in mind the possibility of performing more than an economic role in the region, there was a strong resistance towards Japan. This took place even when the region came under Japanese military rule during the Second World War and in the second phase of involvement, these newly emancipated states too indicated unequivocally their reluctance to tolerate any proposed strategic or political role by Japan. That country, according to ASEAN 's code, would be welcomed in terms of infusion of aid and investment, which in due course, was further re-defined to include technology transfer and a more integrated approach to upgrading these countries' industrialization capability. It is thus within these narrowly defined ambits that Japan was supposedly entrusted to be the leader or adviser. Such a role would not be extended to include security or political leadership. By the end of the eighties, it would seem that an end of this relationship could well be in sight as development-anxious ASEAN countries were pushing for more valued-added and technologically-sophisticated economic sector. For Japan, a weakening home economy had seemed to remove its resolve to lead the ASEAN world. II. The 1997 Crisis: A Reprieve for Japan's Economic Leadership? Yet, a reversal in this thinking emanated with the onset of the Asian currency crisis. While the cause of the crisis could still be debated, the most dramatically located cause was Thailand's inability to defend its baht in the deluge of currency outflow in July 1997. The crisis that took place had the impact of the domino concept. One country after another became half-paralyzed by the currency devaluation, the sharp depletion of national reserves, the exodus of funds to other countries (by both foreign those local investors who had spare funds), and the loss of confidence in the economy. This

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downslide was like an avalanche and soon these countries were thrown into the dumps of vile criticisms. The humiliations for most of the ASEAN countries were enormous. Thailand and Indonesia had to follow South Korea's frantic approach by seeking IMF assistance. All prevailing plans were thrown awry and the optimism disappeared like a mirage. Malaysia found the situation unbearable and labored to avoid seeking an IMF-inspired refuge. Brunei, though hardly much affected by the crisis since it had been rather isolated, also had considerable funds depleted by ostensibly wrongly planned investment policies. Singapore, despite the frequent review and readjustments of plans to meet crisis or contingency situations, found the crisis had seriously affected its growth. In 1998, it too went into recession. The region, to quote Mahathir, was badly affected to the extent that these young tigers found themselves transformed into mewing kittens.7 Aid from the western OECD countries could not be counted. It was despairing when some of the ASEAN countries found that even their close allies in the west were indifferent to their despair. Thailand, for example, found the United States unwilling to assist at all despite its a pro-American foreign policy stance. Indeed, the latter was insisting that all these affected countries should respond to the IMF and its call for drastic re-structuring and abandonment of all their policies. It had even suggested that some of the leaders should review their continuation of political office. Such calls made by the US were undoubtedly provocative. International bodies such as World Bank and the IMF too echoed the same comments. All too sudden, the leaders in these states (especially those that had been badly affected by the crisis) were badly criticized for cronyism, nepotism and corruption. Their hitherto praised economic and development policies were damned even though, until the emergence of the crisis, these were praised even by the same government and international agencies. For some of these countries, the task of national survival took a new dimension. Their dreams as the new economic dynamos were shelved and more desperate measures to prevent economic collapse assumed priority. Among the more important measures would be ways of keeping the private sector afloat and to ensure that the deluge of capital outflow would not bankrupt their economies. Yet, for a few of them, the task of remaining in power was also questioned. Thailand had a new prime minister to replace Chartchai, widely assumed for aggravating the Thai baht problem and the near collapse of the country. Indonesia's Suharto found his seventh term of office outmaneuvered by mass protests (as well as those criticisms from countries such as the US). Malaysia's Prime Minister had to remove his deputy lest he be displaced. In short, for these countries, they were back to the basic issues which should 7

Mahathir was one of the most vocal critic and commentator on the crisis. While some of his statements were controversial, he was trying to argue the importance of a legitimate place for these newly industrialized economies.

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have long avoided, namely, deciding on matters pertaining to state building, allocation of power, confidence building, and injecting order into the badly-shaken economic structure. Several solutions were solicited. Even though temporary reprieve by Thailand and Indonesia by accepting the IMF rescue packages, it was clear that they too would need additional sources of funds to help maneuver them out of the crisis. Malaysia, that tried to avoid all the externally enforced changes, which were associated with the IMF package, chose to go alone. Even then, it was in dire need for all forms of assistance, ranging from new capital injection to revitalization the economy. Its capital control measures had given it a temporary respite, but it was clear that such a policy was not possible for a longer-term duration. In the meanwhile, its search for alternatives and solutions were equally urgent. The economic crisis of 1997 had a long gestation period. At the time of its occurrence, it was hard for any policy makers to predict this period of uncertainties and how their countries' were able to endure. There were fears too of deflation, whilst possible devaluation of the Chinese Yuan and the collapse of other countries (such as Mexico) elsewhere did not give room for much positive hope. Would these countries have the capacities to survive and how would they emerge from these trying conditions? Indonesia, for example, was already in political turmoil and whilst Habibie, the deputy, assumed power following the resignation of President Suharto, the need for clearer mandate and a more appropriate political structure and process assumed predominance even though the economic turmoil was ravaging the urban areas. It was perhaps at this period that thought was given on how Japan could come to the assistance of these countries. Japan was urged to resume its leadership position, the one spot that it had assumed in the last two decades. Many of the reservations, which were cast on Japan a few years ago, were thrown away and so was the fine distinction, which the ASEAN countries had made for Japan's involvement into this region. The big question was whether Japan would be willing to take this position and re-state its role as the team leader. The only problem, however, was that the leading goose was considerably weakened by its insipid constitution and that the other Southeast Asian geese were physically over-stretched and, for some of them, barely surviving. What then could Japan do? Since its burst economic bubble, the Japanese had been in a shaken state of affairs. Its political structure and process were thrown to the docks. LDP lost its ruling party status and an opposition group, headed by Hosokawa, became the new government. Rapid changes took place subsequently and though the LDP had managed to make a comeback, it was on the support of other parties. The bureaucrats that used to determine the affairs of state also came under severe criticism. The economy was at a downturn with collapse in consumer spending, over-production, retrenchment, and rising bankruptcy. Non-performing loans

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had badly affected the viability of the banking system whilst inability to redeem such loans contributed to new waves of business failure or bankruptcy. It was a time in which almost every business institution was anxious to reduce their overseas' exposure so as to funnel back essential funds they desperately required by the headquarters. Needless to say, some of the measures further led to further depletion of Japanese investments in Southeast Asia. On the other hand, the adverse events in Southeast Asia too had aggravated the problems encountered in Japan when overseas subsidiaries, faced with bad debts, could merely accentuate the financial stress of the "mother companies" in Japan. What was the ensuing thinking in Southeast Asia? Undoubtedly, most of them were hoping that the crisis would not be unduly prolonged as they reviewed their deteriorating economic indices. While hoping that the conditions associated with the Great Depression of the 1930s would not be repeated, there was a certain unanimity that Japan could provide the major or critical push for them to get back into the positive development path. Curiously, many of these leaders had wish for a speedy economic recovery for recession-shaken Japan for any positive change in that country would generate import of goods and services which these countries in the region would be more than happy to supply. At the same time, an improved Japan would also mean a much more rapid infusion of funds and investments. Western countries were apparently less than helpful; the most uncooperative was none other than the US, which was only insistent that the affected by the crisis would have to adhere closely to the IMF measures. How would domestic improvement in Japan affect those abroad? The first was that the bursting of the bubble had led to what Wakatsuki Mikio called a "lost decade". It was further compounded by the five "Ds", namely, deflation, debt, deregulation, deficit and demographic factors. 8 These combined features had hampered all efforts at rejuvenating growth in that country. For the Southeast Asian states (inasmuch as it was also for other countries, such as South Korea), the downturn in Japan's imports had assumed vicious implications. Japan's Economic Planning Agency (EPA), for example, had announced that the country's import from East Asia had declined in both volume and currency terms and it was even much drastic in 1998 when compared to a year earlier. 9 The importance of Japan to Southeast Asia required no further elaboration. This came in various calls for Japan to improve itself, reduce its "barriers" so as to facilitate greater imports and to inject funds and assistance, including application of emergency measures to help tide some of the afflicted countries over the crisis. Even the least affected of the lot, Singapore, had the same thinking for its interdependency in the region would mean that the problems of other countries would also be spread 8 Wakatsuki Mikio , "The Japanese Economy on the mend", Asia-Pacific Review, Vol. 6 No. 1 (May 1999) pp. 132-142. 9 Okita Yoichi , "Japan's fiscal policy and the East Asian Financial Crisis", Asia-Pacific Review, Vol. 6 No. 1 (May 1999) p. 148.

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over to its economy. Its premier, Goh Chok Tong, in a speech to the French Entrepreneurs' Association in Paris in March of this year, mentioned: As the region's largest economy, Japan is key to Asia's recovery. Without its locomotive power to pull the ASIAN train, the rest of Asia will not chug along. In 1997, Japan absorbed 14 percent of the total exports of crisis-Asia. This figure is only second to the US, which took in 16.8 percent. In the case of Indonesia, Japan was its largest export market, accounting for one quarter of Indonesia's exports. In terms of direct investment in crisis-Asia, Japan is second only to the European Union. Therefore, Japan's economic recovery is necessary for growth in the region. 10 In spite of its weakened economic environment, Japan was much more forthcoming in offering assistance to the region. The Japanese had their versions or interpretations as to the crisis. They were not unmindful of some American critics who believed that the crisis was reflective of the inadequacy or limitations of the intrinsically inward-looking Japanese concept of economic development.11 At the same time, there appeared too a general belief among the Japanese policymakers that those in the IMF and in Washington were adamant to other interpretations. These groups had keep insisting on tough measures aimed at structural over-hauling of these afflicted countries. They were thus unwilling to accede to one possible explanation which many Japanese had accepted, namely, that the crisis arose because these affected countries' had successfully, under pressure previously exercised by such international agencies (such as the IMF), created greater liberalization and deregulation in their economies. Leading administrator, such as Dr Sekakibara Eisuke, has argued for example that the problems in the affected NIEs were attributed more to the crisis found in global capitalism with all the dependence on features such as market sentiment and confidence. 12 Japan's views or thoughts have apparently not been given their due consideration by the US or those in Washington. Nonetheless, that country proceeded by a rather fast injection of funds to the beleaguered economies. From the commencement of the crisis to November of 1998, Japan contributed US$ 19 billion to the various IMF rescue packages. It further deployed a massive amount of concessional loans to all those affected countries in the Asia-Pacific. At the ASEAN dialogue meeting at Hanoi in late 1998, there was this announcement of Miyazawa's US$ 30 billion 10

Speeches, Vol. 23 No. 2 p. 9. In a curious way, this type of interpretation would seem to hinge on the belief that the Japanese investments abroad could be described as "embraced development" and used mainly to the ultimate interests of Japanese corporations. In short, the strategy would be nothing more than an elaboration of a neo-colonial typology. It was also this type of approach which had persuaded countries like Malaysia, Indonesia and Thailand to stress on manufacturing rather than developing and strengthening their more traditional sectors such as the export of agri-related products and resources such as minerals. 12 This one-time Vice-Minister of Finance in Japan was probably the most outspoken among the Japanese elite, most of whom tend to present a reticent and non-controversial outlook even on sensitive issues which affect their portfolios. 11

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loan. The sense of relief was highly perceptible when such countries realized they would be granted a sizeable amount of the loan. It was true that there were some anxious moments when some operational problems delayed disbursements of funds, but the outlook towards Japan was undoubtedly positive. Malaysia's premier, for example, was so glad with Japan's help that he promptly announced he would not depend on Singapore for any form of assistance. (Apparently, the latter had insisted on other conditions on the proposed assistance). Indeed, of the amount announced by Miyazawa, Malaysia was able to receive US$ 1.9 billion in the form of middle to long-term yen loans. Some months later, a further amount of US$ 2.3 billion worth of short-term facility was made available as a stand-by, as requested by Malaysia. While comparisons with past examples of massive funding might not be very appropriate, there is no doubt that they could give some idea as to the magnitude of the scope of Japanese assistance. One major fund worth recalling and which was specifically tailored to rehabilitate economies in a geographical region was the socalled Marshall Fund. The US at the end of World War Two extended this US$ 17 billion fund to assist the war-ravaged European nations. Whilst the US$ 30 billion Miyazawa Fund (taking into account the actual purchasing value of the dollar) might be much smaller in terms of value, it was quite considerable. The fact that this was particularly made at a time when the Japanese had yet to recover from the depths of its recession illustrates the commitment and support which Japan had continued to uphold even the regional and global outlook was still pessimistic. The first phase of Miyazawa's commitment was followed by additional amount. There included a supplementary assistance involving US$ 3 billion to the "Asian Currency Crisis Fund", a concession-based US$ 5 billion of three year duration for the ASEAN countries, and a US$ 1.7 billion to enable Vietnam to carry out its economic reform. The Second Phase of the Miyazawa Fund followed this shortly. Central to this US$ 17 billion package was to inject fresh funds into the private sector. Among the key items were the guaranteeing of sovereign bonds from Japan's EXIM Bank, the subsidizing of interest payments which would allow Japanese funds to flow back to the region through these long-term debt instruments (and thus compensate the reduction of loans made by Japanese banks to this region), and a special stand-by facility for Malaysia. Not all the funds thus were on a government-to-government basis. The unique feature of the Miyazawa schemes was its ability to reach Japanese subsidiaries, which were also under tremendous financial constraints and thus enable them to remain viable and continue their activities in the region. This amount dispersed in the first phase of the grant was significant when approximately US$ 2.65 billion or 19 percent of the committed 14 billions went to these "Japanese affiliates". The second aspect of the grant was driven more to generate greater inflow of Japanese yen into the private sectors or to assist in the economic activities in this area.

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I I I . Maneuvering Under Constraints - Gaining Leadership without Upsetting the American Applecart? The 1997 currency has apparently bottomed out even though the affected economies are still not out of the trough. The crisis has given Japan a fresh chance to regain a sense of confidence and leadership in the ASEAN group, which by the more recent inclusion of the remaining states in the region, is the equivalent of Southeast Asia. Japan's actions, however, seem to indicate it had to play a circumspect role and to ensure its actions would not go against the main thoughts in Washington. In a curious sense, this circumspect is hard to understand. While it was true that the post-war American occupation of Japan had made the "wartime" generation extremely deferential to the Americans, it would seem unreal that the deference continued to persist. This was so even though there were still occasional outbursts from "ultra-nationalists" as to how Japan should review the war efforts or the anger expressed to calls made by other countries for various forms of apologies, the overall approach to Washington has almost reach the level of subservience. Very rare exceptions could be recorded other than perhaps, Hashimoto's remark, when he was prime minister, that the Japanese were not compelled to keep all the American Treasury bonds. This deference was apparently very much evident in the early stages of the economic crisis. US assistance was largely funneled through the IMF. It had no other intention to assist the Southeast Asian nations. Thailand was extremely taken aback at this negative reaction. It was obvious that Japan did not share these same sentiments as those of Washington or the IMF. These groups had strongly endorsed the need for massive structural reforms. Not all these measures were subsequently regarded as appropriate although in the beginning, it was argued that these were essential "bitter pills" which these states had to consume to attain recovery. There were also calls for radical political change; a major target was none other than Suharto's control of Indonesia. Yet, it would seem strange that the Japanese had not make publicly their views as to whether the Americans were acting in a strangely selfish pursuit of their national interest and leaving no room for other countries or their intentions. The US role, however justified in the name of globalization, was no more than a camouflaged attempt at expanding its interest in this region and to benefit from the setbacks as experienced by these affected countries. From a more cynical viewpoint, the strategies as pursued by the IMF and US had create fresh conditions in which the American enterprises were able to cheaply priced assets through fire-sales. They were thus predators and their main purpose was subsequent profit margin that could be attained on the recovery of the economy. Banks, finance companies and those involving highly sophisticated production had their accounts carefully scrutinised for such fire sale. Some of the major companies

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found to their advantage to acquire their licensees (especially in consumer products ranging from soft drinks to camera products). Under normal conditions, they would not be able to make such acquisitions or purchases. Evidence of such American activity could be seen from the number of successfully acquired enterprises (either through mergers or acquisitions). From the middle of 1997 to end of 1998, the American-origin corporations had already taken over 8,484 of such Asian companies. This aggregate out-numbered those from Germany, Japan and United Kingdom, which could only accumulated 4,096, 1,572 and 1,136 respectively.13 Yet, when it comes to injection of FDI into the ASEAN region, direct investment from the US was a far second when compared to that of the Japanese. Between 1996 and 1997, direct investment from US dropped by 53 percent from US$ 2,866 million to US$ 1358 million. Japan, on the other hand, increased its inflow by 87 percent, from US$ 3,831 million to US$ 7,167 million. 14 The strongest argument that was put by the Americans was that the US remained the biggest market, which absorbed much of the surplus production capacity. Figures were drawn to show that the US certainly had imported much more from all the countries in the Asia-Pacific. Yet, such an argument had merely camouflaged two intrinsic features found in that country, namely, an excessive desire to over-consumer and an even more demanding desire to get imports as cheap as possible. I could remember in late 1997 when I spent two months in New Jersey, much of the conversations and analyses as reported in American mass media was rather selfish or myopic in content. The main theme, as I could recall, was the saying that Christmas 1997 would mean much more savings since the imports from the Asia-Pacific would be cheaper. There were also those who quipped or opined that their Christmas wish for that year would be for a further continuation of the crisis for they would get an even more better deal in 1998. Yet, despite all these aspects, Japan dared not deviate from that of the Americans. It would seem rather odd and curious. For example, when the Japanese felt it was useful to propose an East Asian Monetary Fund that would also gear itself to addressing some of the more pressing issues facing such countries such as capital outflow, it was extremely mindful of the reactions of the US. Needless to say, any success in establishing such as scheme would put Japan on the leadership pedestal in the Asia-Pacific and would compromise the hitherto strong position of US and its influence over the prevailing body such as the IMF. Of course, the US would not mention this thinking. Its stated rebuttal came in the argument that this new proposed body could compromise the work of the IMF as the afflicted countries might aban13 Extracted from data found in JETRO 1999: White Paper on Foreign Direct Investment, JETRO). 14 Ibid.

9 Pitschas/Kisa

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don the tough prescriptions by seeking relief from this new organization, if it were set up. With such objection, the Japanese had to abandon this idea. Having this concept vetoed, the Japanese responded with a modified proposal in the form of the Miyazawa initiative. This gave enormous relief. Yet, the Japanese were hoping the US would assist in another joint attempt. This came in the form of the proposed creation of a multilateral Asian Growth and Recovery Initiative (AGRI). A four component concept evolved under which Japan, US and bodies such as World Bank and ADB would collectively try to accelerate the pace of bank and corporate restructuring, increase tradefinance, mobilize a new private sector capital to help such companies for restructuring, and to enhance technical aid. Other details pertaining to funding and its sources were also mentioned in this proposal which took the form of a joint statement made by President Clinton and Premier Obuchi. However, this scheme lapsed as the US became unwilling to commit financially to this proposal. This led Miyazawa then to unroll his second stage initiative or having US$ 17 billion to be made available for the resumption of a fully functioning capital market in this region. The burden, envisaged in AGRI, was now fully borne by Japan. All these events showed that the Japanese piously deferred to the US. Even the alternatives made by Japan took care as not to offend the Americans. For example, the East Asian Monetary Fund was a "no-go" as the US was vehemently against the idea; the second Miyazawa fund could be implemented because although the US, having agreed to the idea as indicated in the joint statement, did not choose to follow it through. It was only after that the brakes on the second Miyazawa initiative was released. What perhaps seems hard to understand was that despite the deference to the Americans, the Japanese had their own designs or ambitions. The fact that it was still out to assist the affected economies in spite of its own domestic economic problems would indicate some fresh idea to impose its strong intention. What would be the thinking? The answer could be seen from Miyazawa's speech at the APEC Finance Ministers meeting at Langkawi, Malaysia, on 15th May 1999. Recognizing that the crisis had caught Japan and most others off-guard, he indicated that serious study had been made to look into the issues, including the impact of a globalize financial system and the sudden reversals in market confidence which led to dramatic changes in capital flows. Asia, in his thinking, was still at the periphery of the global financial system despite its strong economic fundamentals. It was "providing the bulk of the funds to the (global financial) system while suffering from a mismatch in obtaining refunding from the center". 15 What was important was how to create "efficient market and effective financial intermediation within Asia consistent with the global financial 15

Miyazawa Kiichi, "Beyond the Asian Crisis" p. 1. (www.mof.go.jp)

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system".16 Perhaps with a veiled reference to the arrogance in the West, he affirmed that "currency or financial crises are not unique to Asia" as evinced from the financial crisis suffered by the United Kingdom in 1992 in relation to the ERM and the "major financial turmoil in the 1980s" which affected the US. 17 The Asian countries could not avoid the problems unlike those in the west, which had "deep, liquid and resilient markets in their economies" to the extent that there was no mismatching between currency and maturity. Miyazawa reviewed the global economic and currency situation and felt that there were a few significant features. The first was the broad groupings associated with NAFTA and EU. In the case of the Asia-Pacific, such a strong grouping had yet to form. Apparently, there were lots of derivations even in the range of economic development and other factors (such as race, history and culture) to the extent that unification of any form would seem impossible. This complexity too would make it difficult for Japan even to contemplate any form of leadership status in such a situation. On the other hand, the need for a stable financial environment was important. The NAFTA and EU had their US dollar and the Euro. For the Asia-Pacific, there was hardy any equivalent. Tying their currency to that of the US dollar was obviously difficult as what the most afflicted countries had discovered in the crisis. As neither the free floatation nor complete dollarisation was suitable, he proposed a currency basket approach. In this basket would be the dollar, Euro and the Yen. An average of the fluctuations among these major currencies would have less impact on the financial and economic outlook of the Asian nations. In addition, Miyazawa expressed the view that as a supplement, Japan would also want to internationalize the yen. The fact that all the US$ 85 billion assistance was in the form of yen-based loans was an indicator of how Japan was anxious to build up its Tokyo's intra- and inter-regional money market. To quote him:"The Japanese settlement system needs to be made compatible with Euro clearance, for example, and a regional clearance system connecting Tokyo, Hong Kong, Singapore, Sydney and other Asian markets needs to be quickly established".18 Through this method of creating a sound regional mechanism would participation in the global financial system be much more meaningful for all the states in the region. The adoption of the internationalization of the yen approach marks a fresh initiative that differs from past practices of FDI and expansion of the market sector. It would mean that while the past features were still important, it was equally important to go beyond and to arrive at a solution which would prevent the Asian states (especially those in Southeast Asia) from being caught in this era of electronic finance and capital flows. 16 17 18

9*

Ibid. p. 2. Ibid. Ibid. p. 4

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Miyazawa's idea has yet to be unanimously agreed by the leaders in the Southeast Asian region even though the yen has become much more firmly established in the wake of the crisis. On the other hand, there have also been some reservations that not all the money that was pumped into these afflicted states would lead to creation of more Japanese funds. One study mentioned that money that was extended to Japanese affiliates (or subsidiaries) outside Japan were used predominantly to pay off those previously committed US$-backed loans. In short, the procedure amounted no more than the Japanese government absorbing the questionable debts incurred by such enterprises abroad. The internalization of the yen has yet some distance to go. 19 The other aspect concerning the yen would be the reaction shown by the Americans and EU. The US$ is the most commonly available and accepted currency globally even though the reserve backing of this currency has been questionable. It would be obvious that the Americans would not like to see a competitive currency that could have tremendous potential as a competitive currency. In any case, the creation of the Euro has already created some pressure on the US although the impact at the moment is still little. The success in using the yen as an international currency would undoubtedly affect the next and much bigger desire of the Japanese, namely, to revive its Asian Monetary Fund. The arguments in favor of this new fund would gain much support in Southeast Asia as it would be Asia-Pacific in focus. This, together with the huge improvements in this age of IT and e-commerce, would make all the more necessary to have such an institution that could respond much more flexibly and readily to generate crisis in the ASEAN region. One national leader, indeed during the crisis, recalled his utter dismay as he watched the country's national interest swept away like an unstoppable huge current as electronic transfer of money in a two-week period rendered his country's economy to an almost impotent stage. Should there be such an institution and with rapidly designed counter-measures, the dimensions of the crisis could have been much easily contained. In short, the currency crisis of 1997 in a way demonstrated clearly that trade and currency flows are two separate entities; 19 An economist at Konan University, Yamamoto Eiji, came to the conclusion that the Miyazawa grant (first phase) had not led to the wider use of the yen as an international currency. His argument was that not many in the policy making body had realistic ideas as to how the segments of those funds that were distributed to Japanese "affiliates" were used for the production process as these companies were under heavy debt. At the same time, the Japanese banks had reduced their loan commitments to the affected states. The Bank of International Settlements reported that lending by such banks to Asia was just under US$ 86 billion at the end of 1998, a sharp drop from the US$ 114.75 billion a year ago. What the fund did was to "transfer bad Asian debts from Japan's private-sector balance sheets to that of the nation's public sector". These comments were reported in Straits Times (Singapore) 9 October 1999, p. 79. On the other hand, there was no doubt that much greater positive response could emerge from the ASEAN group towards Japan. The mood of the eighties towards Japan could be revived and this could go a long way to that country's long term goal in sustaining its economic superpower status. For a positive comment from a government official, see for example, Sujatmiko, "Japan's role in overcoming the Indonesian economic crisis", Asia-Pacific Review, Vol. 6 No. 1, pp. 109-131.

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they could diverge in importance and in scale. Government responses would require different approaches in treating capital flows and newer institutions such as the proposed Monetary Fund might be a back-up solution. Yet, despite these two features, criticisms are still present today. Apparently, some Southeast Asian states (and those in East Asia) felt that Japan was attempting to perform a hegemonic function. Basically, this idea was on the argument that the world would be divided into three groups, two of which would be NAFTA and EU. The third group, rather heterogeneous at the moment, would be the perfect ground for Japan to push for a leadership position. This fear has even led them to have some reservations even to the use of the yen as an international currency. Thus, while leadership from Japan was still required, the Southeast Asian states would still have preferred Japan to do so in a rather passive manner. The analogy of the Japan as the leading goose may be tolerated if all share in a common venture or objective. Beyond that defined objective, the idea of the goose would not be accepted. In the same manner, while the Singapore premier has depicted Japan as a locomotive engine that would drive the ASIAN train, that analogy could refer only in regard to economic rehabilitation. Obviously, the other countries, once rehabilitated, might think of delinking its car from the Japan-pulled train. What else could Japan really do? One possible solution is once again to stress the importance of the region, whether in a smaller form like ASEAN or in the bigger version like APEC. There seems to be no way out. Yet, the fact that Japan had done tremendously to assist the afflicted states would put it at least in a highly respectable position for the moment. It is thus for Japan to garner further support from this sustained position. The economic crisis, after all, is not the end of the problems that will afflict the Southeast Asian region. There are still housekeeping functions to be made. Indonesia is still trying to rebuild its entire structure, from economics to politics, and, from authority of power to building of public trust. Malaysia has yet to be fully recovered from the leadership crisis resulted from the ousting of the deputy premier. There are still contentious issues: currency control, CLOB, perceived impressions by foreign investors and fund managers of impositions on their activities, and the issue of whether the existing leadership would still be overwhelmingly re-elected to power. Thailand is still struggling and is barely out of the woods. Philippines has only been marginally better than before the crisis. It is thus for Japan to sustain a strong regional presence and at the same time, to commence the other more important aspect of strengthening bilateral links. These dual tasks are equally important. However, there is no doubt that it would still be called upon to confront (what it would hate to do so) the possibility that apparent differences between its interests and that of US could call for a review of the subservient thinking. Should Japan still try to please the Americans to the maximum? A good example would be that of the EAEC. Will EAEC be finally accepted within

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APEC and with the Japanese in charge? Ex-Premier Nakasone Yasuhiro in Acapulco in 1995 chaired a 24-nation meeting that decided on attempts to work for a "East Asia Economic Conference". Knowing the previous American's refusal, the solution apparently would be to put this new grouping under the umbrella of APEC, a move that would automatically include the participation of the US. Was that a solution more to gain American acceptance? When would that act disappear? Conflict with the US is one aspect, which the Japanese cannot hope to avoid. Granted the strong ties, which Japan shared with that superpower and that both have many common defense and security interests in the Asia-Pacific region, one cannot assume that all areas of perceived differences should be excluded from the agenda of these two countries' national interest. It is obvious that the Japanese would have to the right and determination to pursue what it believes to be in line with the country's national interest. There is no need to remind the Japanese that even the US had not been unknown to keep the Japanese4 interest by the wayside as for example, the famous visit by President Nixon to Beijing. There are also areas in defense arrangements and collaborations, for which different modes of thinking are possible. If so, this should also be extended even to the area of economic issues. Thus, perhaps the biggest psychological barrier to Japan's leadership in Southeast Asia (and also in Asia-Pacific as well) is the capacity of Japan's ability to act on its own initiative and carrying out such a scheme even if it were to upset that of the US. This is perhaps one area, which other countries in the region are watching with interest. There is nothing in the post-war constitution, which made the Japanese behave in such a manner. The US-Japan Security Pact would seem to be the most important document keeping these two countries in close defense relationship. Even then, it is clear that in any theatre of conflict, the Japanese would still be the ones that would be assigned the logistics aspect, rather than working as equal partners and sharing accountability and authority on a joint basis. It is difficult to argue that the feeling of subordination has indeed become a reflex action for Japanese policy makers and administrators. One prominent scholar, Inoguchi Takashi, has argued that this apparently subordinated position was generational, namely, the group of policy makers was still largely influenced by the war. It was his belief that in the near future and as this group fades from the scene, the outlook of a more independent and self-assertive Japan could be felt. 20 For the rest of Asia and more so in the case of Southeast Asia, the present scenario would still be regarded as most urgent. Would Japan create its own initiative and at the same time, ensure such initiative would be more valid to the Southeast Asians, rather than to the US? This is a test for Japan's search for leadership status during this immediate post-economic crisis Southeast Asia. As at the moment, an explicit answer is still awaited. 20 This remark was made by Inoguchi Takashi in his lecture series as Distinguished Visiting Professor at the National University of Singapore in August 1999.

Diskussion zu den Referaten von Joon-Hyung Hong und David C. M. Seah Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Ulrike Keller Pitschas leitete die Diskussion mit einigen eigenen Bemerkungen zu den Referaten von Hong und Seah ein. Es sei von hohem Interesse zu sehen, wie gleichsam die ausgreifende Betrachtung von Hong aus Korea noch einmal erweitert worden sei durch Seahs Referat als eine umfassende politikwissenschaftliche Analyse der Situation in der Großregion Südasien mit einem Ausblick auf künftige Konfigurationen in diesem Raum. Seah habe zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß eine der großen Unbekannten dieser Entwicklung die Volksrepublik China sei, die dann auch für die Verfassungsentwicklung von Bedeutung sein werde, wie sie Hong skizziert habe. Man habe also gleichsam ein erweitertes Bild verfassungspolitischer Erwägungen, das von der Frage nach der Rolle Japans geprägt werde. Beide Referate, so meinte er, unterstrichen die Frage nach der künftigen Rolle Japans. Hong gehe dabei eher in eine aktuelle verfassungspolitische Analyse, während Seah weiter ausgreife und eine ökonomisch-politikwissenschaftliche Weitung der Lage vorlege. Tonami wandte sich gegen den Standpunkt von Hong, insoweit dieser Japan bzw. der japanischen Regierung Vertrauenswürdigkeit bezüglich der japanischen Verfassungsentwicklung abgesprochen habe. Er verwies auf einige der von Hong diesbezüglich aufgestellten Thesen und äußerte die Meinung, daß diese Frage auch für Gesellschaft und Politik gelte. Andererseits betreibe Hong nicht nur rationale Analyse, sondern auch moralische Kritik. In Japan seien die regierende Partei bzw. die regierenden Politiker von den Verfassungswissenschaftlern etwas distanziert. Die japanischen Verfassungswissenschaftler hätten immer einen etwas kritischen Standpunkt gegenüber der Regierung, während die Regierung etwas konservativ bzw. noch weit entfernt von der Verfassungsrealität sei. Insofern müsse die japanische Regierung aber tatsächlich kritisiert werden - sie müsse die Verfassungsvorgänger mehr beachten. Pitschas stellte fest, daß Tonami Hong vorwerfe, er betreibe moralische bzw. gefühlsmäßige Angriffe gegen die japanische Position einer verzögerten Verfassungsentwicklung mit dem Abstellen auf eine moralische Schuld Japans. Warum solle dies für die verfassungsrechtliche Entwicklung von Bedeutung sein? Dieser Einwand Tonamis habe zunächst etwas für sich. Man könne gut moralisieren, aber warum sollten darin qualitative Werte liegen? Es sei denn, Tonami entschließe sich zu

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der Position Seahs, bei einer phasenhistorischen Darstellung und Analyse der japanischen Situation in moralischen Vorwürfen so etwas zu erkennen wie Hindernisse auf dem Weg zu einer neuen regionalen Politik und zu einem neuen regionalen wirtschaftlichen Erfolg. Takada jun. lobte, daß Hong sehr gut beschrieben habe, daß die normative Kraft der japanischen Verfassung sehr gering sei und daß dies für die Nachbarn Japans sehr große Unsicherheit mit sich brächte. Daher fühle er sich nun verpflichtet, zu erklären, warum eine solche Interpretation, wie ζ. B. bei Art. 9 Japanische Verfassung, sich überhaupt durchsetzen könne, d. h. warum die normative Kraft der Verfassung so schwach sei. An diesem Morgen sei von Rechtskultur die Rede gewesen. Solche Elemente könnten möglicherweise eine Rolle spielen, aber auf Erklärungen in dieser Hinsicht wolle er verzichten. Erklärungen aufgrund der Rechtskultur seien seiner Ansicht nach das letzte Mittel, da man Rechtskultur so verstehen könne, daß die Sache ohne weitere Beobachtung oder Überlegung erklärt werden könne. Er wolle eher systematische Erklärungen geben, die jedoch in diesem Rahmen nicht ganz ausführlich sein können. Er wolle so nur einen, aber sehr wichtigen Punkt nennen, und zwar die zurückhaltende Haltung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Japan. Besonders bei Art. 9 Japanische Verfassung, d. h. der Wiederbewaffnung Japans, gebe es ein sehr interessantes Vergleichsobjekt, und zwar die Wiederbewaffnung Deutschlands. Dabei sei es sehr interessant zu sehen, wie das deutsche Bundesverfassungsgericht damit umgehe und das oberste japanische Gericht reagiert habe. Die Haltungen beider Gerichte seien sehr konträr. In den 50er Jahren sei die Wiederbewaffnung Deutschlands ein großes Thema in Europa gewesen. Konrad Adenauer habe damals versucht, dies vertraglich durchzusetzen. Dieses Problem sei dann nach Karlsruhe gegangen. Zwar habe sich das Bundesverfassungsgericht ziemlich vorsichtig bei seiner Entscheidung verhalten, weil der Vertrag noch nicht in das GG umgesetzt worden war. Aber das BVerfG habe in seinem Urteil schon angedeutet, daß dieser Vertrag oder das Gesetz möglicherweise verfassungsrechtlich geprüft werden könne oder auch für verfassungswidrig erklärt werden könne. Darauf habe Konrad Adenauer damals sehr verärgert reagiert und gesagt, daß dies nicht der Sinn der Verfassungsgerichtsbarkeit sei. Adenauer habe nach der nächsten Bundestagswahl daher eine 2/3-Mehrheit bekommen müssen, was er in der Tat realisiert habe. Das oberste japanische Gericht habe völlig gegenteilig reagiert. Die japanische Verfassungsgerichtsbarkeit wurde nach der Äußerung der Meinung des obersten Gerichtshofes bezüglich dieser Frage sehr amerikanisch, d. h. sehr fallorientiert. Damit sei die Zurückhaltung und Selbstbeschränkung der japanischen Verfassungsgerichtsbarkeit vorprogrammiert gewesen, ζ. B. war die Rede vom Regierungsakt oder der "political question doctrine". Deswegen habe die Verfassungsgerichtsbarkeit, ζ. B. das oberste Gericht in Tokio gesagt, es werde sich nicht mit diesem Thema befassen. Deshalb habe die Regierung bzw. der Gesetzgeber sozusagen durch Gesetze oder Verträge die Aufstellung der Selbstverteidigungskräfte ermöglicht. Das war also der japanische Weg zur Wiederherstellung der Selbstverteidigungskräfte gewe-

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sen. Diese Passivität des Gerichtshofes sei typisch für die japanische Gerichtsbarkeit, nicht nur im Bereich von Art. 9, auch in anderen Bereichen. Sogar nach der Neuentstehung der japanischen Verfassung gebe es nur etwa vier bis fünf Entscheidungen, in denen Gesetze für verfassungswidrig erklärt worden seien. Das sei sehr, sehr wenig. Man könne daher die geringe Weiterentwicklung der Verfassung durch die Verfassungsgerichtsbarkeit als Charakter der japanischen Verfassungsstaatlichkeit betrachten. In Vergleich mit den japanischen Gerichten könne das neue Verfassungsgericht in Korea als sehr aktiv bezeichnet werden. Durch die aktive Tätigkeit des koreanischen Verfassungsgerichtes könne die koreanische Verfassung sich sehr stark entwickeln. Er könne sich schon sehr gut vorstellen, daß das Niveau der koreanischen Verfassungsstaatlichkeit schon in absehbarer Zeit das der japanischen übersteigen könne. Er glaube nicht, daß seine Vorstellungen unrealistisch seien, wenn er daran denke, daß Korea aus eigener Kraft die hochzuachtende Verfassungsstaatlichkeit durchgesetzt habe. Das dürften nicht nur Japaner, sondern auch Deutsche nicht außer Acht lassen. Die Neigung zur Verfassungsstaatlichkeit könne in Korea als sehr stark bezeichnet werden. Er hoffe aber, daß sich Japan von der Entwicklung Koreas noch eine Scheibe abschneiden werde. In diesem Sinne wolle er nun Hong eine Frage stellen: Ob seine Erwartung überhaupt realistisch sei, d. h. könne das koreanische Verfassungsgericht ohne Hindernisse, also weiterhin aktiv, Verfassungsgrundsätze bzw. Grundrechte entwickeln? Es gehe um die Frage, inwiefern man sich im ostasiatischen Bereich z.B. eine Grundrechtsgemeinschaft vorstellen könne. Pitschas bemerkte, daß Takada jun. eine Judizialisierung der japanischen Politik in der Zukunft befürworte. Hong werde sicher überlegen, ob es der richtige Schritt sei, die Verantwortung für Verfassungsentwicklung an ein Verfassungsgericht weiterzureichen. Hong stellte fest, daß Tonami eine wichtige Frage gestellt habe. Er nehme an, daß sein Vortrag insbesondere bei den japanischen Kollegen den Eindruck erweckt haben könne, daß er weniger von rechtswissenschaftlichen als von moralischen Standpunkten ausgegangen sei. Dies sei zwar richtig. Wenn er aber an einer japanischen Debatte um die Verfassungsmäßigkeit der japanischen Selbstverteidigungstruppen und ihrer Auslandseinsätze teilnehme, dann werde die Frage rechtlicher Natur sein. Wenn er aber aus koreanischer Perspektive die Entgrenzung der japanischen Verfassung beobachte, könne dies ebenfalls eine juristische Frage sein. Gehe es um Verfassungsänderung, so frage er sich, ob es eine international gemeinsame Rechtsgrundlage gebe, auf der man sich streiten könne. Insbesondere im ostasiatischen Raum gebe es eine solche Rechtsgrundlage. Als ein sehr interessierter Nachbar, könne er einen Rat zu der Problematik der Verfassungsentgrenzung geben. Man sei in Korea besorgt, weil sich das Argument in der Wirklichkeit nicht durchsetzen könne, daß japanische Selbstverteidigungstruppen oder ihre Auslandseinsätze verfas-

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sungswidrig seien. Eine solche Meinung könne sich in der Rechtswissenschaft nicht durchsetzen. Dies sei eine Quelle des Mißtrauens für Korea. Die Fragestellung, die Takada jun. aufgeworfen habe, halte er für sehr interessant. Um eine wirksam tätig werdende Verfassung zu gewinnen, brauche man zwei Werkzeuge. Zum einen ein Organ, und zum anderen eine Prozedur zur Rechtsfindung, wie die Entstehungsgeschichte des französischen Conseil d'Etat aufgezeigt habe. In Korea gab es 1987 eine grundlegende Verfassungsänderung. Damit wurde die Verfassungsgerichtsbarkeit eingeführt, die eine Mischung der deutschen und österreichischen Institutionen darstelle. Diese Verfassungsgerichtsbarkeit habe wichtige Änderungen mit sich gebracht, vor allem in zwei Aspekten. Einmal habe sie eine interpretatorische Kongruenz zustande gebracht, da Instanzgerichte einschließlich des obersten Gerichts bei ihrer Urteilsfindung nun auch verfassungsrechtliche Aspekte in Erwägung ziehen müßten. Zum anderen sei den Bürgern ein wirksames rechtliches Mittel zur Verfügung gestellt worden, mit dem man sich gegen staatliche Gewalt wegen Verletzung seiner Grundrechte wenden könne, was bislang kaum möglich gewesen sei. Damit habe die Verfassung in Korea begonnen, ein real bindendes Recht zu werden. Eine solche verfassungsrechtliche Klarheit sei das, was man in Zusammenhang mit diesem Thema von Japan erwarte. Wenn man in Japan verfassungsrechtliche Klarheit in bezug auf die Selbstverteidigungskräfte und ihren Einsatz im Ausland finden könne, werde dies das Vertrauen erheblich erhöhen, so glaube er. Aber ohne eine Verfassungsänderung durchzuführen, könne man eben alles tun, wenn man nur eine Koalition wie die jetzige Regierungskoalition formen könne. Pindani bemerkte bezüglich des Vortrages von Seah, daß es für ihn so aussehe, als ob er und Hong die Gleichgültigkeit Japans beim Übernehmen der Führungsrolle in Asien beklagten. Seine erste Frage sei daher, welche Rolle er sich für Japan in Asien vorstelle. In seinem Vortrag zeige er, daß Japan 30Mrd. USD beigetragen habe zum Rettungspaket in der Wirtschaftskrise von 1997. Geld stelle aber Macht dar, und diese Menge Geld könne nicht mit der geringen Summe verglichen werden, die die USA und die westlichen Länder beitrugen, um die asiatische Krise zu beseitigen. Oder sollte man sagen, Seah stelle sich „Vereinigte Staaten von Asien" vor wenn er sage, daß man als eine asiatische Gruppe in der Lage sein sollte, sich wirtschaftlich oder in sonstiger Weise gegen die Vereinigte Staaten und die europäische Union durchzusetzen. Zweitens frage er sich, ob es möglich sei zu argumentieren, daß Japan vielleicht die Vorteile einer regionalen Gruppe asiatischer Länder sehe im Vergleich zu der Kooperation mit den USA oder anderen westlichen Ländern? Pindani verglich dies mit seinen Erfahrungen aus der Republik Südafrika. Alle hätten gehofft, daß mit dem Ende der Apartheid in Südafrika das Land eine führende Rolle in der südafrikanischen Region übernehmen werde. Aber Südafrika zeigte Gleichgültigkeit gegenüber den Schwierigkeiten der armen Länder in der südafrikanischen Gegend. Der Grund dafür sei, daß Südafrika sehe, daß es damit nur wirtschaftliche Lasten erben würde und nur Geld verschleudern und nicht von einer regionalen Kooperation

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mit diesen armen Ländern profitieren würde. Daher sei es für Südafrika besser gewesen, mit dem Westen zu kooperieren als mit einer Gruppe armer Länder. Seah antwortete zunächst auf die erste Frage Pindanis, was die Rolle Japans sei und ob Geld käuflich mache. Geld sei für das Selbstbewußtsein Asiens sehr wichtig gewesen während der Krise. Dies sei auch ein großer Test gewesen, mit Blick darauf, daß die Amerikaner es nicht mochten, Südostasien zu unterstützen. Diese seien mehr daran interessiert gewesen zu versuchen, eine Gelegenheit zu erhalten, Südostasien nach amerikanischen Werten umzugestalten wie ζ. B. dem Konzept der „accountability" oder dem der populären Demokratie. Geld sei ein sehr wesentlicher Faktor in Krisensituationen, und 1997 sei für Südostasien eine solche Situation gewesen. Aber aus südostasiatischer Perspektive sei es auch wichtig zu wissen, worum es geht. Drehe es sich hier nur um Geld, oder könne Japan auch auf andere Art und Weise helfen? Das müsse geklärt werden. Seine Schlußfolgerung sei, daß diese Krise Japan genug Zeit gegeben habe, um zu zeigen, daß Südostasien durchaus eine wichtige Rolle für das Land spiele. Anschließend beschäftige Seah sich mit der Frage Pindanis, ob Japan überhaupt irgendwelche Vorteile in der Kooperation mit Asien sehe. Pindani habe in diesem Zusammenhang ja auch auf das interessante afrikanische Beispiel hingewiesen. Bezüglich Asien sei anzumerken, daß die Länder Asiens vor der Krise als Wirtschaftsmächte zählten, die hoch emporkommen könnten. Vor der Krise erhielten die Länder Asiens sehr viel Hilfe von Seiten der USA, aber auch von der Weltbank und dem IWF. Von Indonesien habe man behauptet, daß es bis zum Jahr 2005 die Armut eliminiert haben werde. Durch die Krise sei die wirtschaftliche Entwicklung der Länder Asiens um mindestens 20 Jahre zurückgeworfen worden. Dies bedeute aber nicht, daß diese Region deshalb uninteressant sei. Aus Sicht Japans, das selbst gerade aus einer Wirtschaftskrise herausgekommen sei, sei es möglicherweise die beste Strategie, nach Südostasien zu schauen. Man könne ja behaupten, die USA seien zwar viel wichtiger, aber was für eine Rolle werde Japan spielen? Werde es eine aktive oder eine untergeordnete Rolle sein? Ministerpräsident Hashimoto habe zugegeben, daß die Japaner sehr viele US-Anleihen gekauft hätten, was auch eine Auswirkung auf den Markt in den USA habe. Aber wie viele Ministerpräsidenten, wie viele Politiker in Japan würden so offen sprechen? In seinen Diskussionen mit Politikern und Bürokraten in Japan habe er eine Haltung festgestellt, die auf ein Untergeordnetsein gegenüber den USA hinziele. Bereits im letzten Jahr habe ein stellvertretender Minister im Außenministerium gesagt, daß sich die Außenpolitik Japans immer eng an die der Vereinigten Staaten anlehne. Er frage sich, wenn das tatsächlich der Fall sein solle, wofür man dann überhaupt dieses Ministerium brauche, dann könne man auch einfach einen Vertreter des amerikanischen State Department dafür einsetzen. Daher sei es für ihn sehr wichtig, daß Japan seine eigene Identität finde. Manche seiner Kollegen in Japan hätten behauptet, daß dies ein langfristiger Prozeß sei, der

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noch bis zu 50 Jahre dauern könne. Man müsse warten, bis die alte Generation, die noch unter dem Eindruck des 2. Weltkrieges stehe, abgelöst sei. Danach sei Japan vermutlich ganz anders. Da stelle sich allerdings die Frage, ob Südostasien überhaupt 50 Jahre warten könne. Die Möglichkeit, eine eigenständige Organisation aufzubauen, sei dann besser. Die Japaner müßten (dann) selbst entscheiden, ob sie mit den Amerikanern assoziiert sein wollten oder ob sie sagten, „Wir sind Asiaten, also wollen wir auch eher mit Asien zusammenarbeiten". Pitschas dankte Seah für die Darstellung dessen interessanter Perspektive aus einer asiatischen Sicht, sozusagen eines „back to Asia". Es sei vielleicht sehr schwer, mit verfassungsrechtlichen Überlegungen eine solche Perspektive zu fassen. Wenn man sich vergewissere, worüber man heute schon diskutiert habe, dann habe es mehrere Ansätze gegeben. Zunächst habe Tonami einen eher distanzierten Blick auf die Verfassungsentwicklung gegeben und seine Meinung deutlich gemacht, daß sich gar nicht soviel ändern solle. Danach sei der Beitrag von Takada gekommen, der eher aus einer rechtswissenschaftlichen Perspektive versuche, die japanische Situation zu begleiten und ein Plädoyer für eine stärkere verfassungsgerichtliche Steuerung abgegeben habe. Er habe es spannend gefunden, wie nun Hong an diese generelle Fragestellung herangegangen sei, da er ja doch im Schlußwort seines Referats dafür plädiert habe, daß Rechtsstaatlichkeit und die „rule of law" eine Rolle spielen sollten. Im Grunde sei das vergleichbar mit der Linie von Takada jun., die Verfassungsgerichtsbarkeit zu aktivieren, möglicherweise auch rechtsstaatliche Leitlinien zu verfassen. Aber die Frage sei natürlich, ob man einen solchen Prozeß, wie ihn Seah schildere, in den nächsten zwei Dekaden durch die Verfassungsgebung, die relativ traditionell erscheine, zumal wenn sie das Etikett „Rechtsstaat" trage, so begleiten könne. Kisa stellte fest, daß das japanische Verfassungsrecht viele Schwierigkeiten habe, soweit er heute diese Diskussionen gehört habe. Die japanischen Wissenschaftler hätten einige kritische Stimmen aus den Nachbarstaaten gehört, und diese Diskussionen kämen zu einem Problem, und zwar einem politisch-ökonomischen bzw. -wirtschaftlichen Problem. Seinem Eindruck nach funktioniere in Taiwan und in Korea im Moment das Verfassungsgericht sehr gut und spiele eine sehr große Rolle. Die Gründe dafür seien seiner Meinung nach die Mitglieder, d. h. höchste Richter und auch Minister des Kabinetts seien meistens selbst hochstehende Rechtswissenschaftler, bekannte Professoren. Aber in Japan sei die Wissenschaft von der Politik weit entfernt und auf der anderen Seite seien ebenso Wissenschaft und Verwaltung entfernt voneinander. Deswegen sei die japanische Politik und Verwaltung relativ konservativ und arbeite sozusagen isoliert „in einem Turm". Das sei seiner Meinung nach die große Problematik, mit anderen Worten seien fast keine bekannten Rechtsprofessoren jemals höchste Richter und Minister. Deswegen bestünden in fast allen Fachbereichen ähnliche Probleme. Daraus entstehe seines Erachtens auch der Unterschied zwischen Deutschland und Japan, vor allem zwischen dem seit 50 Jahren bestehenden Grundgesetz und dem japanischen Verfassungsrecht. Damit könne die-

Diskussion

se große Distanz etwas erklärt werden. Natürlich gebe es noch andere Elemente, aber dies sei sein heutiger Eindruck. In seinem Schlußwort stellte Pitschas fest, daß man am Ende eines Arbeitstages stehe, der in den angestellten verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch vergleichenden Erwägungen etwas unbefriedigend bleibe, und zwar aus doppeltem Grund. Einmal aus interdisziplinärem Grund, aber zum zweiten auch deshalb, weil von Deutschland zu wenig die Rede gewesen sei. In der Pause sei er von einigen afrikanischen Doktoranden gefragt worden, was eigentlich sein Land von Japan lerne in dem Bezug, in dem man hier diskutiere. Zunächst äußerte Pitschas sich zum interdisziplinären Zusammenhang. Es sei immer interessant, wenn in einer verfassungsrechtlichen Debatte Sozialwissenschaftler eine Prognose oder eine Analyse von Entwicklung geben würden, und Verfassungsrechtswissenschaftler dabei überlegten, was sie mit dieser Analyse und Prognose anfangen. Dabei sei das gar nicht so schwer - wie man heute gesehen habe, gäbe es zwar unterschiedliche Auffassungen, aber keiner komme um die Antwort auf die Frage herum, wie eine Verfassung den Weg eines Staates in einer Region begleiten werde. Deutschland, daraufhabe Fastenrath hingewiesen, habe durch Art. 24 und Art. 23 Grundgesetz für eine Zeitlang eine solche Begleitung vorgesehen. Die entscheidende Frage sei, vor der man heute aus japanischer Sicht gestanden habe, die nach der Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit. Wie werde Japan verfassungsrechtlich und -gerichtlich auf die herausgeschälten Anforderungen reagieren? Das gelte für den Sicherheitsbereich, aber das gelte noch viel weiter für den ökonomischen Sektor, den Seah beleuchtet habe. Ob die von Tonami vertretene Position einer Distanz bzw. Zurückhaltung, oder die Position von Takada jun. einer Verrechtlichung durch Verfassungsgerichtsbarkeit der richtige Weg sei, werde man füglich bezweifeln dürfen. Takada jun. habe selbst die „political question doctrine" des amerikanischen Supreme Court erwähnt. Man werde vielleicht eher dazu neigen dürfen, die sozialwissenschaftliche Analyse als eine Aufforderung an die japanische Politik und Verfassungsrechtsdebatte zu begreifen, sich neuen Herausforderungen zu stellen, zu denen ganz sicher auch die von Hong genannte Sicherheitsfrage gehöre. Der zweite Punkt scheine ihm für ein rechtsvergleichendes Gespräch eher mißlich. Man habe die deutsche Situation nicht weiter diskutiert, aber selbstverständlich könnten die Deutschen - er wolle die Antwort an seine afrikanischen Doktoranden nicht schuldig bleiben - etwas lernen aus dieser Debatte. Es klinge bei Fastenrath im Zusammenhang seiner Ausführungen über die Entgrenzung der Herrschaftsgewalt durchaus normal, wenn er von multilateralen Truppenkontingenten spricht, von Friedenseinsätzen im Rahmen der UN-Charta. Doch stehe dahinter das Problem, daß sich in Deutschland zunehmend entwickele, wie weit nämlich die parlamentarisch-demokratische Legitimation solcher Einsätze durch unsere Verfassung vorgesehen sei? Fastenrath habe etwas hurtig die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung erwähnt, die dem Parlament die Befugnis zugesprochen habe, über solche Fragen grundlegend zu entscheiden, aber man sei längst über die ersten Einsätze

142

Diskussion

hinaus. Der Bosnien-Einsatz der Bundeswehr zeige einerseits, wie kritisch es werden könne, und der Einsatz in Osttimor zeige andererseits, was eigentlich jenseits der Entsendung von Sanitätern entschieden werden müsse: aktive Truppen nach Osttimor, außerhalb des Natorahmens? Das seien Fragestellungen, die in der Bundesrepublik derzeit behandelt würden. Dazu könne man aber vielleicht von der japanischen Sicherheitsdebatte lernen, wie eine solche Antwort sicherheitspolitischer Art zu entwerfen ist, wenn man in einer größeren Region verfassungsrechtlich in einen Zwiespalt gerate. Das alles seien Fragen, die heute noch nicht behandelt würden, aber wo der Rechtsvergleich oder besser der Ansatz eines Vergleichs weiterhelfen könne. Es wundere also nicht, daß die Veranstalter relativ optimistisch aus diesem ersten Tag hinausgingen. Pitschas bedankte sich i. d. Sinne bei den Referenten und auch den Diskutanten für ihre Beiträge.

Zweiter Teil

Entwicklungslinien des Allgemeinen Verwaltungsrechts in Japan und Deutschland

Entwicklungstendenzen des Rechtsstaates und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in Japan aus rechtsvergleichender Sicht Von Bin Takada I. Problemstellung 1. Der Rechtsstaat und die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als Beitragsthema Gleich zu Beginn dieser Ausführungen soll darauf hingewiesen werden, daß der Titel dieses Beitrags „Entwicklungstendenzen des Rechtsstaates und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" lautet. Eigentlich wurde mir aufgetragen, „einen einführenden Überblicksbeitrag über die Entwicklung des Verwaltungsrechts in Japan aus vergleichender Sicht zu Deutschland" zu geben. Dieses Thema ist jedoch ein so weites Gebiet und erscheint so schwer in einem begrenzten Beitrag zu fassen, daß hier darauf zurückgegriffen werden muß, das Thema auf einen einzelnen Aspekt zu beschränken, auf den Rechtsstaat und die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Dieses Thema ist geeignet, ein grundlegendes Verständnis des Verwaltungsrechts zu schaffen, weil im Grunde das Verwaltungsrecht ein „Recht ist, das auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips die Verwaltung ermächtigt und bindet"1. Hier in diesem Beitrag wird jedoch besonders der Gesetzesvorbehalt unter dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hervorgehoben, weil hierüber in Japan am intensivsten diskutiert wird. 2. Eine rechtsvergleichende

Sicht

Als zweite Vorbemerkung ist wichtig herauszustellen, daß hier eine Art geschichtlich-rechtsvergleichender Untersuchung des japanischen Staats- und Verwaltungsrechts im Kontrast überwiegend zur deutschen Situation unternommen wird. Eine solche Untersuchung läßt sich mit dem Hauptthema des Siebenten Speyerer Forums „Internationalisierung der Verfassung im Spiegel des deutschen und japanischen Staats- und Verwaltungsrechts" gut in Einklang bringen. Allerdings ist beim Gesetzesvorbehalt auch die geschichtlich-rechtsvergleichende Entwicklung der deutschen und österreichischen Lehre zu behandeln, und zwar aus folgenden Gründen: 1

Zur Definition des Verwaltungsrechts vgl. IV. 2. c).

10 Pitschas/Kisa

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Bin Takada

Der erste Grund ist, daß, obwohl das deutsche wie das österreichische Staatsund Verwaltungsrecht zum selben Rechtskreis gehören, sich beide nach dem Ersten Weltkrieg eindeutig unterschiedlich entwickelt haben. Zum Beispiel gab es in Österreich u. a. die Setzung des Verfassungsgerichts (Art. 137 bis 148 B-VG 1920), das Verwaltungsverfahrensgesetz (1925) und den Totalvorbehalt (Art. 18 Abs. 1 B-VG), doch nähern sich beide Rechtssysteme nach dem Zweiten Weltkrieg in diesem Bereich einander wieder stark an. Der zweite Grund für die Einbeziehung österreichischen Situation in diese Studie ist, daß auch das österreichische Staatsund Verwaltungsrecht auf sein japanisches Pendant einen nicht unerheblichen Einfluß ausgeübt hat.2 3. Begriffsbestimmungen

in diesem Beitrag

Als Abschluß dieser einleitenden Bemerkungen möchte ich noch auf einige Begriffe eingehen, die für das Verständnis des Folgenden von zentraler Bedeutung sind. a) „Materieller Rechtsstaat" und „formeller Rechtsstaat" An erster Stelle ist hier das Begriffspaar „formeller Rechtsstaat" und „materieller Rechtsstaat" zu nennen. Diese Begriffe sind der Baustein für den Rahmen dieses Beitrages. In diesem Beitrag wird angenommen, daß diese Begriffe zwei Entwicklungsstufen des Rechtsstaates bezeichnen3: Der Rechtsstaat entwickelt sich idealtypisch vom formellen Rechtsstaat zum materiellen Rechtsstaat. Der formelle Rechtsstaat ist eine essentielle Stufe bei der Entstehung des Rechtsstaates und bedeutet inhaltlich, daß in einem solchen Rechtsstaat die Rechtsprechung und die Verwaltung dem Recht, vor allem dem von der Volksvertretung gegebenen Gesetz, folgen. Im Vergleich zu diesem formellen Rechtsstaat bezeichnet der materielle Rechtsstaat, daß zusätzlich noch der Inhalt der Gesetzgebung der Verfassung (vor allem den von der Verfassung gewährleisteten Grundrechten) entspricht. Im materiellen Rechtsstaat ist daher einerseits die Gesetzgebung an die verfassungsgemäße Ordnung und andererseits die Verwaltung wie auch die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden. 2 Lorenz von Stein beeinflußte die MV bei ihrer Entstehung (vgl. II. 1). Sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg war die Wiener Schule der japanischen Rechtsphilosophie und Staatsrechtslehre sehr bedeutsam. 3 Die Betonung meiner Definition dieser Begriffe erfolgt mit dem Ziel der Abgrenzung von einer anderen Sichtweise im Zusammenhang mit dem materiellen und formellen Rechtsstaat. Diese Vorstellung geht davon aus, daß man die formelle Seite im oben dargelegten materiellen Rechtsstaat als formellen Rechtsstaat interpretiert und die materielle Seite als den materiellen Rechtsstaat. Aus der Überzeugung heraus, daß es nötig ist, Begriffe zu besitzen, die die Entwicklungsstufen des Rechtsstaates bezeichnen, gebrauche ich die Ausdrücke in dem von mir oben dargelegten Sinne.

Entwicklungstendenzen des Rechtsstaates

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Im Folgenden ist es wichtig, nicht aus dem Blick zu verlieren, daß der formelle wie auch der materielle Rechtsstaat Idealtypen sind. Beide können in verschiedensten Ausprägungen auftreten; beide Idealtypen können von tatsächlichen Gesellschaften in unterschiedlichem Ausmaß verwirklicht werden. Beispielsweise sind beide, sowohl der Rechtsstaat unter der Bismark'schen Verfassung als auch der Rechtsstaat unter der Weimarer Verfassung, formelle Rechtsstaaten, wenn auch der letztere ein höheres Niveau aufweist als der erste. Auch bei materiellen Rechtsstaat können verschiedene Niveaus auftreten.

b) Allgemeine Modernisierung sowie Hoch- und Spätmodernisierung Als zweites ist die Aufmerksamkeit noch auf das Begriffspaar der allgemeinen Modernisierung sowie der Hoch- und Spätmodernisierung zu lenken. Allgemeine Modernisierung steht für die Umsetzung und Einhaltung von Prinzipien wie ζ. B. der Menschenrechte oder der Gewaltentrennung, wie sie für die moderne Zeit im weiteren Sinne charakteristisch sind. Hieran schließt sich unter der Überschrift der Hoch- und Spätmodernisierung jene Periode an, in der die Prinzipien der allgemeinen Modernisierung an neue und komplexere Anforderungen angepaßt werden. Eine detailliertere Erklärung erfolgt in Kapitel VI. 1.

c) Internationalisierung Als letztes soll kurz auf den Begriff der Internationalisierung, die das Hauptthema des Siebenten Speyerer Forums ist, eingegangen werden. Hier wird „Internationalisierung" in zwei Bedeutungen gebraucht: erstens Globalisierung und zweitens Universalisierung. Auch in Japan entstand das neue Wort „Globalisierung" (gurôbaruka) in der Zeit vom Ende der 1980er Jahre bis weit in die 1990er Jahre hinein. Fast gleichzeitig ist seither in der Weltöffentlichkeit von der „Globalisierung" der Wirtschaft, der Märkte, der Arbeitsplatzkonkurrenz, der Produktion, der Waren und Dienstleistungen, der Finanzströme, der Information, der Lebensstile etc. die Rede. Die „Globalisierung" kann daher als Begriff bezeichnet werden, der ganz neue Erscheinungen in der Internationalisierung beschreibt. Im Zusammenhang mit der Internationalisierung kann sich die „Universalisierung" von der „Globalisierung" in zwei Punkten unterscheiden. Erstens: „Universalisierung" bezieht sich auf die Tendenz der Internationalisierung selbst, welche in der modernen Zeit im weiteren Sinne, d. h. schon seit längerem und über die ganze Welt verbreitet (wenn auch mit verschiedenen Geschwindigkeiten), beobachtbar ist. Zweitens: „Universalisierung" ist nicht nur die Beschreibung einer Tatsache, sondern hat auch den Charakter einer gelten sollenden Norm der praktischen Vernunft. 1*

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Im Rahmen dieses Beitrages werden die allgemeine Modernisierung sowie die Hoch- und Spätmodernisierung des Rechtsstaates behandelt. Hier geht es daher hauptsächlich um Internationalisierung im Sinne von Universalisierung.

II. Vorgeschichte - Der formelle Rechtsstaat An dieser Stelle soll zunächst ein kurzer, einleitender Überblick über die japanische Geschichte und die Entwicklung des Rechtsstaates in Japan gegeben werden. Grundlegend für das Verständnis der japanischen Situation ist die klare Trennung zwischen der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Bezeichnend ist auch, daß in beiden Zeitabschnitten unterschiedliche Verfassungen gelten. 1. Die Meiji-Verfassung

vom 1. Februar 1889 (MV)

Japan kennt zwei Verfassungen im modernen Sinne. Beide wurden auf unterschiedliche Art von Deutschland beeinflußt. Die MV stand unter dem Einfluß der preußischen Verfassung von 1850. Infolgedessen übernahmen das Staatsrecht und dessen Lehre Elemente von den deutschen Vorbildern. Während nach dem Ersten Weltkrieg Deutschland eine neue Verfassung (Weimarer Verfassung) erhielt, blieben die konstitutionelle Monarchie und die ihr angepaßte MV in Japan bestehen. Dennoch beeinflußte die deutsche Wissenschaft die japanische Lehre in der damaligen Zeit, der sogenannten „Taisho-Demokratie" 4. 2. Der formelle Rechtsstaat

5

Die Parallelen in Deutschland und Japan lassen sich gut am Begriff des Rechtsstaates festmachen. Der japanische Begriff , Jlô-chi-koku " wurde aus dem Deutschen übernommen. Er kam in der Gesetzgebungsperiode der MV (1881-1889) als direkte Übersetzung des Begriffs „Rechtsstaat" auf. In der Folgezeit fand der japanische Ausdruck sowohl innerhalb als auch außerhalb der Wissenschaft breite Verwendung. Etwa seit der Jahrhundertwende wurde der Begriff und die Lehre vom Rechtsstaat unter dem starken Einfluß der herrschenden deutschen Lehre praktisch als gleichbedeutend mit dem Ende des 19. Jahrhunderts konstatierten deutschen Rechtsstaat angesehen. Fachwissenschaftlich dachte man den Rechtsstaat als zusammengesetzt aus der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und einem System, das diese Gesetzmäßigkeit sichert (z.B. Verwaltungsgerichtsbarkeit). Diese Vorstellung 4 Unter „Taisho-Zeit" versteht man die offizielle Regierungsperiode des Kaisers Taishô , die sich von 1912 bis 1926 erstreckte. 5 Vgl. Takada, Die Rezeption des Begriffs „Rechtsstaat" in Japan, Rechtstheorie Beiheft 12, 1991, S.249ff.

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wurde an die MV angepaßt.6 Das hatte zur Folge, daß das Rechtsstaatsprinzip hauptsächlich in der Verwaltungsrechtswissenschaft erörtert wurde. 3. Das Verwaltungsrecht Die Entstehung der MV brachte in Japan den Rechtsstaat, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und das Verwaltungsgericht hervor. Infolgedessen entstand das Verwaltungsrecht. In Japan wie auch in Deutschland setzte sich damit (im Gegensatz zum anglo-amerikanischen Recht) die Vorstellung vom „Verwaltungsrecht" fest. Die Verwaltungsrechtswissenschaft entwickelte sich in Japan etwa seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hauptsächlich unter dem Einfluß der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft. Bedeutsam waren hier besonders Otto Mayer und Fritz Fleiner.7 Das Verwaltungsrecht war das der Verwaltung eigentümliche öffentliche Recht. Damals wurde jedoch der Charakter des Verwaltungsrechts als spezifisch öffentliches Recht zu stark betont. Darüber hinaus bestanden weiterhin Gebiete, in denen das Rechtsstaatsprinzip bzw. der Grundsatz der gesetzmäßigen Verwaltung nicht galten. III. Der Wandel der Vorstellung vom Rechtsstaat und die allgemeine Modernisierung - Die Entstehung des materiellen Rechtsstaates 1. Der Wandel der Vorstellung vom Rechtsstaat und die Herausbildung des materiellen Rechtsstaates 8 a) Die Japanische Verfassung vom 3. November 1946 Das Ende des Zweiten Weltkrieges stellte einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung des japanischen Rechtssystems dar. War die Entwicklung bislang zwar unter ausländischem, insbesondere deutschem Einfluß graduell und grundsätzlich autonom vorangeschritten, flössen in der amerikanischen Besatzungszeit neue Einflüsse in außerordentlichem Umfang innerhalb kürzester Zeit in das japanische Recht ein. Der deutlichste Ausdruck dieses umfassenden Wandels ist der Erlaß der Japanischen Verfassung (JV) vom 3. November 1946, die im Mai 1947 in Kraft trat. Die JV entstand demnach, im Gegensatz zur MV, unter dem direkten Einfluß nicht des deutschen Rechts, sondern der amerikanischen Besatzungsmacht. Den6

Die MV behielt im 2. Abschnitt Eingriffe in bzw. Verletzungen der Rechte der Untertanen dem Gesetz vor. 7 1903 wurde Otto Mayers „Deutsches Verwaltungsrecht" (1. Aufl. 1895/96) und 1914Fniz Fleiners „Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts" (3. Aufl.) ins Japanische übersetzt. 8 Takada, Die Auseinandersetzung um „Rechtsstaat und Rule of Law" in Japan nach dem 2. Weltkrieg (1945-1955), Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht 36, 1985, S.9ff.

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noch bestand daneben weiterhin die traditionell enge Beziehung zur deutschen Verfassung, so daß das japanische Staats- und Verwaltungsrecht durch das Grundgesetz zwar eher indirekt, nichts desto trotz aber in erheblichem Umfang beeinflußt wurde.9 Das hatte zur Folge, daß beide Vorstellungen, die deutsche und die amerikanische, quasi auf dem Schlachtfeld der japanischen Rechtswissenschaft, aufeinander trafen. b) Die Auseinandersetzung um „Rechtsstaatsprinzip" und „Rule of Law" Die JV kann man als Produkt und Ausdruck der allgemeinen Modernisierung bezeichnen. Dennoch wurden nach dem Zweiten Weltkrieg etwa zehn Jahre lang der „Rechtsstaat" und das „Rechtsstaatsprinzip" im hergebrachten Sinne, d. h. im Sinne des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, verstanden. Folglich wurde ζ. T. die Auffassung vertreten, das Rechtsstaatsprinzip sei ein Prinzip der MV, das sich nicht für die JV eigne. Im Gegensatz dazu wurde die „Rule of Law" aus dem anglo-amerikanischen Recht unter der Bezeichnung „Ho-no-shihai" entlehnt und als ein beherrschender Grundsatz der JV deklariert. Hieraus ergab sich dann eine Auseinandersetzung darüber, welches als der tragende Grundsatz der JV anzusehen sei: Rechtsstaatsprinzip oder Rule of Law. Das Ergebnis war, daß einerseits die Rule of Law die anerkannte Basis der JV wurde, andererseits aber auch der Rechtsstaatsbegriff unter dem Einfluß der neuen deutschen Lehre wiederhergestellt wurde. c) Der Wandel der Rechtsstaatsvorstellung in Deutschland Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der hergebrachte Rechtsstaatsbegriff in Deutschland rasch widerlegt. Das GG von 1949 geht über die Grenzen des überkommenen Rechtsstaates hinaus und garantiert die Elemente des materiellen Rechtsstaates (Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 79 Abs. 3, Art. 93 u. a. m.). Der Rechtsstaat im GG wird also nicht mehr als der formale der bisherigen Verwaltungsrechtslehre, sondern vielmehr als materieller Rechtsstaat interpretiert. 10 d) Der Wandel der Rechtsstaatsvorstellung in Japan Die Fortschritte in Deutschland hatten wiederum Rückwirkungen auf Japan, wo der Rechtsstaatsbegriff etwa ab 1955 entsprechend der deutschen Vorstellung vom materiellen Rechtsstaat neu strukturiert wurde. Die JV gewährleistet unverletzliche, 9 Zu den direkten und indirekten Einflüssen der ausländischen Verfassungen vgl. Takada, Der Einfluß des Grundgesetzes auf ausländisches Verfassungsrecht mit Schwerpunkt auf der Verfassungsdiskussion in Japan, in: 40 Jahre Grundgesetz, hrsg. von Klaus Stem, 1990, S. 271 ff. 10 Ein Beispiel für Werke der frühen Zeit findet sich u. a. bei Christian-Friedrich Menger, Der Begriff des sozialen Rechtsstaates im Bonner Grundgesetz, 1953, insbesondere S. 16 ff.

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ewige Grundrechte (Art. 97,11), bindet die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 98 Abs. 1) und nimmt die Verfassungsgerichtsbarkeit auf (Art. 81). Anhand dieser JV ist auch der japanische Rechtsstaat unter den Idealtypus des materiellen Rechtsstaats einzuordnen. Diese Vorstellung vom Rechtsstaat, der materielle Rechtsstaatsbegriff, hat sich bis in die Gegenwart erhalten. Die Auseinandersetzung um die Reformalisierung des Rechtsstaates, die vom Ende der 1970er Jahre bis Anfang der 1980er Jahre in Deutschland stattfand, 11 hat hingegen kein Gegenstück in Japan. 2. Das materielle Rechtsstaatsprinzip

und das Verwaltungsrecht

12

a) Die JV und das Verwaltungsrecht Die JV, die unter dem Einfluß des anglo-amerikanischen Rechts entstand, schuf das kontinentale Verwaltungsgericht ab. Ungeachtet dieser praktischen Unterschiede betrachtet man in Japan, wie auch in Deutschland, das Verwaltungsrecht als ein aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entstandenes Recht und systematisiert die Verwaltungsrechtswissenschaft unter diesem Grundsatz. b) Das Verwaltungsrecht als Konkretisierung der Verfassung In Deutschland wird das Verwaltungsrecht auch als konkretisiertes Verfassungsrecht bezeichnet.13 Das spiegelt die Charakteristika des Verwaltungsrechts im materiellen Rechtsstaat wider. Auch in Japan wird vom Verwaltungsrecht als von einem die Verfassung konkretisierenden Recht gesprochen. Dieser Aspekt des Verwaltungsrechts wird zu seinem Auslegungsmaßstab. c) Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung im materiellen Rechtsstaat Hier sind, auch mit Blick auf Japan, zwei Punkte zu nennen: Erstens: Im materiellen Rechtsstaat ist die Gesetzgebung der verfassungsmäßigen Ordnung unterworfen. Um diesen Grundsatz zu sichern, wird die Verfassungsgerichtsbarkeit (Art. 81) eingerichtet. Im Unterschied zur Gültigkeitsperiode der MV 11 Vgl. u. a. Dieter Grimm, Reformalisierung des Rechtsstaats als Demokratiepostulat?, JuS 1980, Heft 10, S. 704ff.; F. Hase/K. H. Ladeur/H. Ridder, Nochmals: Reformalisierung des Rechtsstaats als Demokratiepostulat?, JuS 1981, Heft 11, S. 794ff. 12 Zur japanischen Verwaltungsrechtswissenschaft bis zur Mitte der 1970er Jahre vgl. Takada und Mitarbeiter, Hauptprobleme des japanischen Verwaltungsrechts, Verwaltungsarchiv Band 69, Heft 1, S. 34 ff. 13 Vgl. F. Werner, Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht, DVBI, 1959, S. 527 ff.

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sind Verwaltungsakte, die auf einem nicht verfassungsgemäßen Gesetz basieren, nichtig. 14 Zweitens: Im materiellen Rechtsstaat ist die Verwaltung an Gesetz und Recht gebunden. Im „Recht" sind die Verfassungsgrundsätze enthalten, woraus folgt, daß die Verwaltung nicht nur den verfassungsgemäßen Gesetzen, sondern auch den Verfassungsrechtsgrundsätzen entsprechen muß. Als diese Grundsätze gelten u.a. das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das Gleichheitsprinzip, der Grundsatz des fairen Verfahrens und der Vertrauensschutz. 15

IV. Die Entwicklung des Rechtsstaates 1. Modernisierung

- bis zum Ende der 1950er Jahre

Wie bereits ausgeführt wurde, bezeichnen die Begriffe formeller und materieller Rechtsstaat Idealtypen, die in der Realität in verschiedensten Ausprägungen auftreten können und deshalb breiten Raum für die schrittweise Entwicklung des Rechts bieten. Hier ist nun die Entwicklung des japanischen materiellen Rechtsstaates und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nachzuzeichnen. a) Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung Die Umgestaltung der Verfassung von der konstitutionellen Monarchie zur Demokratie erforderte die allgemeine Modernisierung der rechtsstaatlichen Verwaltung. 1 6 Unter der Leitlinie der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verschwanden in diesem Zuge auch jene Gebiete, die vormals nicht diesem Grundsatz unterworfen waren, z.B. die Verwaltungsorganisation, das Beamtenverhältnis, u.a., wodurch die Theorien der Organisationsgewalt und des besonderen Gewaltverhältnisses beeinflußt wurden. Der moderne Charakter der Gesetzmäßigkeit wurde in diesem Zeitraum insgesamt ausgedehnt. Praktisch läßt sich dieser Wandel an verschiedenen Elementen festmachen, die das Parlament als das einzige Gesetzgebungsorgan des Staates eta14 Ein Beispiel hierfür ist das Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH) vom 30. April 1975, Entscheidungssammlung des OGH in Zivilsachen (Minshu), Band 29, S. 572. 15 Das Vertrauensschutzprinzip wird in Japan jedoch mehr als ein allgemeiner Grundsatz des Rechts ausgelegt. 16 Unter der JV strebte die Verwaltungsrechtswissenschaft die Erfüllung dieser Forderung an. Bis ca. 1970 v/aiJiro Tanaka der führende Vertreter dieses Zweiges der Verwaltungsrechtswissenschaft in Japan. An der Spitze der Kritiker, die durch eine Veränderung dieses Verfassungsgrundsatzes eine weitergehende Demokratisierung der Verwaltungsrechtswissenschaft anstrebten, stand Toshimasa Sugimura. Nach 1970 wurde die Verwaltungsrechtswissenschaft unter dem Einfluß der Hoch- und Spätmodernisierung vielfältiger.

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blieren (Art. 41) und die Kaiserlichen Verordnungen 17 aufheben, wodurch die rechtssatzschaffende Kraft des Gesetzes und auch der Vorrang des Gesetzes vervollständigt wurden. Der Vorbehalt des Gesetzes wandelte sich ebenfalls im Zuge des Strukturwandels der Verfassung (vgl. V. 3). Die mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zusammenhängenden Prinzipien wurden ebenfalls modernisiert. 18 Hierunter fallen u. a. die gesetzliche Begründung der Selbstbezeugung des Verwaltungsaktes, Überschreitung und Mißbrauch des Ermessens, die gesetzliche Grundlage der Verwaltungsvollstreckung selbst, das faire Verfahren, die verfassungsrechtliche Festschreibung des Schadensersatzes (Art. 17) und der Entschädigung (Art. 29 Abs. 3) sowie die Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. b) Die anfängliche Modernisierung (vgl. VI. 1.) Zusammenfassend kann für die erste Periode der japanischen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, die bis zum Ende der 1950er Jahre reichte, gesagt werden, daß sie durch die Umsetzung der Modernisierung des Rechtsstaates gekennzeichnet war. Die Aufgabe der Rechtswissenschaft bestand in der Auflösung der Abweichung vom Idealtypus der Moderne. Diese Form der Modernisierung hatte jedoch zur Folge, daß es sich in einigen Bereichen nur um eine anfängliche Modernisierung im Sinne des eingangs vorgestellten Schemas handelte. Beispielsweise hatte die Kritik am Charakter des Verwaltungsrechtes als ein öffentliches Recht zur Folge, daß manchmal das Verwaltungsrecht als Sonderrecht des Bürgerlichen Rechts charakterisiert wurde. Problematisch war weiterhin, daß sich die hochmoderne Verwaltung nicht in der Verwaltungsrechtswissenschaft widerspiegelte: Das System des besonderen Verwaltungsrechtes blieb nach wie vor bestehen. 2. Die Entstehung des Sozialstaates - 1960 bis 1980 a) Die JV und das Prinzip des Sozialstaates Das Leitmotiv der anfänglichen Modernisierung wurde in der zweiten Periode der japanischen Nachkriegsentwicklung notwendigerweise von einem anderen ab17 Die MV erkannte die Kaiserlichen Notverordnungen an, welche auch Gesetze ändern oder gar aufheben konnten. 18 Unter der MV wurde z.B. die Selbstbezeugungskraft des Verwaltungsaktes ohne gesetzliche Begründung a priori anerkannt. Die Verwaltungsvollstreckung benötigte keine gesetzliche Grundlage, da die Grundlage des Verwaltungsaktes als solchem als ausreichend betrachtet wurde. Weiterhin bestand keine Staatshaftung für Schäden, die durch die obrigkeitliche Verwaltung entstanden, und die Entschädigung besaß keine verfassungsrechtliche Grundlage. Es gab nur ein Verwaltungsgericht in Tokyo, und dort wurde die Enumerationsmethode zum Gegenstand der Klage aufgenommen.

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gelöst. Nachdem die anfängliche Modernisierung einmal die Grundlagen für weitere Schritte gelegt hatte, bestand die Möglichkeit zu Modifikationen, die im Zeitraum von 1960 bis 1980 unter dem Stichwort des Sozialstaates standen. Dies kann man als Übergang vom anfangsmodernen zum hochmodernen Recht ansehen, weshalb dieser Begriff in den 1960er Jahren auch Einzug in den rechtswissenschaftlichen Sprachgebrauch hielt. Die rechtliche Basis für diese Weiterentwicklung wurde schon 1946 in der JV gelegt. Sie gewährleistet soziale Grundrechte (Art. 25-28), woraus folgt, daß der Inhalt des Eigentums dem Gemeinwohl entsprechen soll (Art. 29 Abs. 2). 19 Diese Artikel stellen die Grundlage des Sozialstaates in Japan dar.

b) Die Lehre vom Sozialstaat bzw. vom Wohlfahrtsstaat Infolge der Aufnahme des Sozialstaatsprinzips in die JV entstand der Begriff „sozialer Rechtsstaat", der wissenschaftlich aus Deutschland übernommen wurde. 20 Im Gegensatz zu Deutschland wurde in Japan aber das Verhältnis des Rechtsstaates zum „Sozialstaat" bzw. zum Attribut „sozial" nicht tiefer erörtert. Diese Debatte wurde in Japan durch die Diskussion über das Verhältnis von Grundrechten (dem Rechtsstaat entsprechend) zum öffentlichen Wohl 21 (dem Sozialstaat entsprechend) ersetzt. In Japan gebraucht man weniger das Wort „Sozialstaat" als vielmehr den Begriff „Wohlfahrtsstaat". Nach dem Einsetzen der wirtschaftlichen Hochwachstumsphase 1960 wurde über das Wesen dieses „Wohlfahrtsstaates" diskutiert, woraus folgt, daß der Begriff an sich als bloße Beschreibung dient und nicht als Würdigung aufgefaßt wird. Der Aufstieg des Sozialstaates markiert auch eine Änderung der Strömungen innerhalb der Rechtswissenschaft: Vom Recht der anfänglichen Moderne (Kindaiho) ging man nun zum „hochmodernen Recht" (Gendai-hô) über, das in den 1960er Jahren ein rechtswissenschaftlicher Begriff wurde. 22

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Artikel 29 Absatz 2 JV lautet: „Der Inhalt des Eigentums wird durch die Gesetze so bestimmt, daß er dem allgemeinen Wohl entspricht." Dieser Absatz ist so auszulegen, daß er dem Art. 151 Abs. 1 bzw. Art. 153 Abs. 3 WV sowie Art. 14 Abs. 1 und 2 GG entspricht. 20 Das Wort „sozialer Rechtsstaat" wurde 1953 in Japan zum ersten Mal zur Beschreibung des deutschen sozialen Rechtsstaates gebraucht, welcher als Begriff im GG verankert ist. 21 Die JV bestimmt, daß die Grundrechte dem öffentlichen Wohl zu ensprechen haben (Art. 12 und 13 sowie 22 und 29). Das „öffentliche Wohl" wird in diesem Zusammenhang auf zweifache Weise ausgelegt, einerseits bürgerlich-liberal und andererseits sozialstaatlich (besonders deutlich in den Art. 22 und 29, die Bestimmungen über die wirtschaftliche Freiheit und das Eigentum enthalten). 22 Von 1963 bis 1964 wurde das Sammelwerk „Hochmoderne" (Gendai, 16 Bände, Iwanami-Verlag) und von 1965 bis 1966 das Sammelwerk „Das hochmoderne Recht" (Gendai-ho, 15 Bände, Iwanami-Verlag) veröffentlicht.

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c) Das Verwaltungsrecht Wenn man Charakteristika für die Entwicklung des Verwaltungsrechts in dieser Periode nennen sollte, dann vielleicht die Tatsache, daß die hochmoderne Verwaltung und ihr Handeln selbst neue Anstöße für die Diskussion innerhalb der Wissenschaft geben. In den 1960er Jahren trat der Begriff der „Leistungsverwaltung" in Japan auf, den man aus der deutschen Lehre übernahm.23 Seither wird der Verwaltungsvertrag als eine Handlungsform anstatt des bisherigen öffentlich-rechtlichen Vertrages benutzt. Auch „Verwaltungsplan" und „Verwaltungsanleitung" (jap. Gyôsei shidô24, engl, administrative guidance, ein nicht übernommener, Japan eigentümlicher Begriff) entstanden zu dieser Zeit als weitere neue Handlungsformen. Das Verwaltungsverfahren bildete demnach eine wichtige Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft. Die neuen Verwaltungsphänomene, insbesondere der Auftritt der Leistungsverwaltung, bildeten den Anstoß zu einer inhaltlichen und quantitativen Umgestaltung des Begriffs „Verwaltungsrecht". Traditionell stand das Verwaltungsrecht für ein der Verwaltung eigentümliches, öffentliches Recht. Dies wurde nun als zu einschränkend empfunden, 25 weshalb man in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre das Verwaltungsrecht unter mehreren Aspekten als öffentliches Verwaltungsrecht und Verwaltungsprivatrecht und danach als ein der Verwaltung eigentümliches Recht definierte. Die letzte Definition ist jedoch als solche so vage, daß meines Erachtens nach das Verwaltungsrecht als dasjenige Recht verstanden werden sollte, das auf Grund des Rechtsstaatsprinzips die Verwaltung ermächtigt und bindet. In den 1970er Jahren kreiste die Diskussion eher um die Frage, wie man das Verwaltungsrecht erfassen soll. Ζ. B. wurden einzelne Handlungsformen nicht isoliert betrachtet, sondern in Verwaltungsvorgänge zusammengefaßt. Seither wurde die Systematisierung des Verwaltungsrechts im allgemeinen wie auch im besonderen Teil 26 zu einer Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft. Zu dieser Zeit trat auch der Begriff der Verwaltungsuntersuchung 27 als Bezeichnung für eine neue Handlungsform auf. 23

Damals war die Forsthoff sehe Leistungslehre in Japan weit verbreitet. Darunter werden in der Regel diejenigen nicht-hoheitlichen Realakte verstanden, mit denen ein Verwaltungsorgan zur Verwirklichung eines bestimmten Zwecks von Privaten (auch juristischen Personen) mit deren freiwilliger Zustimmung ein bestimmtes Handeln, Unterlassen, Leistungen oder Dulden fordert. 25 Die Begrenzung des Verwaltungsrechts auf das öffentliche Recht wurde auch deshalb kritisiert, weil das Verwaltungsrecht als spezifisch öffentliches Recht vor dem Zweiten Weltkrieg zu stark betont worden war. 26 Die Betonung lag überwiegend auf der Systematisierung des besonderen Teils, die nun an die neuen Umstände angepaßt werden sollte, parallel dazu wurden aber auch Stimmen laut, die die Meinung vertraten, daß jedes Gebiet des besonderen Teils als eigenes Sonderrecht untersucht werden sollte. 27 Die „Verwaltungsuntersuchung" (Gyôsei-chôsa) war bis zur Mitte der 1970er Jahre eine Unterform des sofortigen Zwangs. Da es sich hierbei jedoch nicht um einen Zwang handelt, 24

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d) Wachsendes Selbstbewußtsein der kommunalen Selbstverwaltung Wie bereits erwähnt wurde, ist die Periode von 1960 bis 1980 überwiegend dadurch gekennzeichnet, daß Veränderungen in der Praxis die Rechtswissenschaft vor neue Aufgaben stellten. Dies erschöpft sich nicht in der Herausbildung neuer Handlungsformen in der Verwaltung, sondern erstreckt sich auch auf die Auswirkungen, die ein wachsendes Selbstbewußtsein innerhalb der Organe der kommunalen Selbstverwaltung mit sich brachte. Unter den Bedingungen der wirtschaftlichen Hochwachstumsphase und der sie begleitenden Umweltzerstörung erfüllten in den Bereichen Umweltschutz und Wohlfahrtspolitik die kommunalen Körperschaften oftmals eine Vorreiterrolle gegenüber dem Staat. Infolgedessen wurde das Verhältnis der kommunalen Satzungen zum Gesetz28 überprüft und die Eigenständigkeit dieser Satzungen gestärkt. Zu dieser Zeit entstand auch der Begriff „Bevölkerungsbeteiligung" an der kommunalen Selbstverwaltung. 3. Der Rechtsstaat im Zeitalter der Relativierung

des Staates - seit 1980

Seit 1980 befindet sich Japan rechtspolitisch gesehen in einer Phase der Relativierung des Staates, der, mit anderen Worten ausgedrückt, allmählich seine alles überragende Stellung zugunsten einer größeren Dezentralisierung und Flexibilisierung sowie Internationalisierung einbüßt. a) Verwaltungsreform Die Ölpreiskrisen der Jahre 1973 und 1979 bildeten den Wendepunkt von der japanischen Hochwachstumsphase hin zur „Phase des stabilen Niedrig Wachstums". Parallel dazu betonte die Regierung den Übergang vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft und stellte sich selbst die Aufgabe der Verwaltungsreform, die seit den 80er Jahren bis heute ansteht. Neben den wirtschaftlichen Änderungen waren auch die fortschreitende Internationalisierung (Globalisierung) und der Beginn des sogenannten „Zeitalters der Regionen"29 ein Anstoß für die Verwaltungsreform. sondern um ein obrigkeitliches Tathandeln mit garantierter Strafe, wurde die Verwaltungsuntersuchung in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre unabhängig vom sofortigen Zwang als eigenständiger Begriff anerkannt. Danach trat die Unterscheidung in obrigkeitliche und nichtobrigkeitliche Verwaltungsuntersuchungen auf. 28 Art. 94 JV lautet: „Die kommunalen Körperschaften haben die Befugnis, über ihr Vermögen zu bestimmen, ihre Angelegenheiten selbst zu erledigen und die Verwaltung auszuüben sowie im Rahmen der Gesetze Satzungen zu erlassen." Aus diesem Grund war im Zusammenhang mit der kommunalen Selbstverwaltung die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den Gesetzen und den kommunalen Satzungen immer bedeutsam, und seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wird die Eigenständigkeit der Satzungen stärker betont. 29 Vom „Zeitalter der Regionen" spricht man seit 1978.

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Von 1981 bis 1983 bestand sogar ein eigens eingerichtetes außerordentliches Untersuchungskomitee zur Verwaltungsreform unter der Leitung des Ministerpräsidenten. Im Anschluß daran wurden drei Ausschüsse zur Förderung der Verwaltungsreform (1983-1993), ein Ausschuß zur Verwaltungsreform (1994) und der Arbeitsrat Verwaltungsreform (1996-1997) eingerichtet. Zu den wichtigen Aufgaben der Verwaltungsreform zählen u. a. die Privatisierung staatlicher Betriebe (ζ. B. der staatliche Monopolbetrieb NTT [Telegraphen- und Telefongesellschaft, 1985], die staatlichen Monopolunternehmen für Wein, Tabak, u.a. [jap. Senbai kôsha, 1985] sowie die Staatsbahn Japan National Railways [1987]) und die Neuordnung der Verwaltungsorganisation (Gesetze aus dem Jahr 1999), Deregulierung (jap. Kisei kanwa), Dezentralisation (Gesetze aus den Jahren 1995 und 1999) sowie die Offenlegung von Informationen (Informationszugangsgesetz aus dem Jahr 1999). b) Verwaltung und Bürger Nachdem in den 1970er Jahren die Notwendigkeit der Bürgerbeteiligung an der kommunalen Selbstverwaltung deutlich geworden war, entwickelten sich in den 1980er und 1990er Jahren Konzepte wie beispielsweise die Partizipation an der Verwaltung, die Zugänglichkeit der Verwaltung, die Transparenz 30 der Verwaltung oder die Rechenschaftspflicht (accountability31). Folglich wurden nun das Verwaltungsverfahren, die Offenlegung von Informationen und der Datenschutz zu wichtigen Aufgaben der Verwaltung. Als Ergebnis der Bemühungen wurde das Verwaltungsverfahrensgesetz, dessen Festlegung eine langjährige Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen war, am 12. November 1993 verabschiedet und trat am 1. Oktober 1994 in Kraft. Im Jahr 1999 wurde das Verordnungsverfahren u. a. durch einen Kabinettsbeschluß32, der die Einführung des sog. „Public Comment"-Verfahrens zum Inhalt hatte, einen Schritt weiter geführt.

Offenlegung von Informationen kommunale Satzungen

seit 1982

Datenschutz über die elektronische Datenverarbeitung: seit 1976 im Allgemeinen: seit 1984

nationale Gesetze

30

1999

über die elektronische Datenverarbeitung: 1988

§ 1 Verwaltungsverfahrensgesetz vom 12. November 1993 fordert diese „Transparenz" der Verwaltung. 31 § 1 Das Gesetz über die Offenlegung von Informationen, die sich im Besitz der Verwaltungsorgane befinden (erlassen am 14. Mai 1999), beinhaltet eben jene „accountability". 32 Gemeint ist hier der Kabinettsbeschluß vom 23. März 1999 zur Verfahrensweise beim Vorbringen von Meinungen zur Einführung, Änderung oder Aufhebung von Regulierungen.

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Charakteristisch für diese Entwicklungen war, daß sich im Zeitalter der Regionen die hergebrachte Rangfolge, die national regional lokal verlief, in lokal regional national zu verändern begann. Als Beleg hierfür kann beispielsweise die Tatsache herangezogen werden, daß die kommunalen Körperschaften bei der Offenlegung von Informationen und dem Datenschutz fortschrittlicher waren als der Staat.

c) Verwaltungsrechtswissenschaft Der Wandel der Rahmenbedingungen beeinflußte auch die Verwaltungsrechtswissenschaft. Seit dem Beginn der 1980er Jahre ist der Gegenstand der Verwaltungsrechtswissenschaft fortlaufend mannigfaltiger und komplizierter geworden, weshalb die Methodenlehre und die Systematisierung des Verwaltungsrechts gemäß der neuen Lage eine wichtige Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft in Japan ist. Im Rahmen der Methodenlehre ist auf die folgenden Ansätze exemplarisch hinzuweisen: •

die Betonung des Aspekts „Private in den Verwaltungsvorgängen"



Vorschläge im Zusammenhang eines Zwischenverwaltungsrechts und des allgemeinen Teils der Sonderrechte (Tokushu-ho)



die Entstehung des Begriffs „Verwaltungstechnik'4 (Gyôsei-shuhô)



die Analyse des öffentlichen Charakters des Verwaltungsrechts



die Untersuchung des Verwaltungsrechts unter Berücksichtigung der Gesetzgebungsvorgänge, der Verwaltungswissenschaft, des Völkerrechts, u. a.



der Auftritt der Politikrechtswissenschaft (Seisaku-hôgaku) u. v. a. m.

Innerhalb der Systematisierung des Verwaltungsrechts lassen sich zwei voneinander abgegrenzte Tendenzen erkennen: Auf der einen Seite stehen Ansätze, die die überkommene Struktur des Verwaltungsrechts bewahren wollen und durch die Integration der neuen Aspekte eine Rekonstruktion dieser althergebrachten Struktur vornehmen. Auf der anderen Seite werden diese traditionellen Sichtweisen abgelehnt und völlig neue Systematiken entworfen. Neben diesen beiden Vorgehensweisen gibt es in letzter Zeit die Darstellungen in den neuen Lehrbüchern für Verwaltungsrecht, die, auf große Studentenzahlen an den Universitäten ausgerichtet, eine möglichst leicht verständliche Systematisierung anbieten. Die Aufgabe der Erstellung einer Systematik kann jedoch noch keineswegs als abgeschlossen gelten. Die Behandlung der gegenwärtigen Situation der Verwaltungsrechtswissenschaft, die sich an dieser Stelle anschließen sollte, muß den anderen Beiträgen der japanischen Kollegen überlassen bleiben.

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V. Die Entwicklung des Gesetzesvorbehalts Dieses Kapitel ist der besonderen Betrachtung des Gesetzesvorbehalts unter dem Grundsatz der gesetzmäßigen Verwaltung gewidmet. Dabei sollen zunächst der deutsche und österreichische Gesetzesvorbehalt vergleichend aufgegriffen werden. 1. Symmetrische Entwicklung und Annäherung des Gesetzesvorbehalts in Deutschland und Österreich In der Zeit der konstitutionellen Monarchie zeigten die Lehren beider Länder über den Gesetzesvorbehalt eine weitgehende Homogenität, d. h. beide nahmen den Eingriffsvorbehalt auf, doch waren die rechtlichen Begründungen unterschiedlich. Der Gesetzesvorbehalt in Deutschland wurde unter Rückgriff auf den Grundsatz der Gewährleistung von „Freiheit und Eigentum" durch die Auslegung der Verfassungen begründet. Dagegen enthielt die österreichische Verfassung ausdrückliche Bestimmungen in bezug auf den Gesetzesvorbehalt. Art. 11 Abs. 1 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 über die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt33 lautete: „Die Staatsbehörden sind innerhalb ihres amtlichen Wirkungskreises befugt, auf Grund der Gesetze Verordnungen zu erlassen und Befehle zu erteilen." Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich der Gesetzesvorbehalt in Deutschland und Österreich symmetrisch. In Deutschland stellte der Eingriffsvorbehalt noch immer die herrschende Meinung dar, obgleich sich die Verfassung von der Monarchie hin zur Demokratie wandelte. Dagegen lautete Art. 18 Abs. 1 B-VG 3 4 aus dem Jahr 1920: „Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden." Auf dieses Prinzip wird in Österreich unter der Bezeichnung „Legalitätsprinzip" 35 bezug genommen. Als ein Grund für die Entstehung dieses Artikels 11 kann die österreichische Tradition genannt werden, wonach das Verfassungsgesetz selbst eine Bestimmung über den Gesetzesvorbehalt enthält. Diese Tradition kann jedoch nicht als ursächliche Erklärung für die Aufnahme des Totalvorbehalts herangezogen werden. Ein Grund hierfür kann eher im Wandel der Verfassung von der konstitutionellen Monarchie zur Demokratie gesehen werden. Eine ausreichende Erklärung ist dies jedoch, vor allem im Kontrast zu Deutschland, nicht, da sich die deutsche Verfassung ebenso wie die österreichische im Übergang befand. Stichhaltiger ist deshalb der Hinweis auf den Einfluß des Kelsen-Entwurfs auf die Entstehung des B-VG. 3 6 33

Dieses Staatsgrundgesetz gehört zur sogenannten „Dezemberverfassung" vom 21. Dezember 1867, die aus sechs Staatsgrundgesetzen besteht 34 Gesetz vom 1. Oktober 1920, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz). 35 Damals benützte z.B. Adolf Merkl (Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927. S. 163ff.) den Begriff „Legalitätsprinzip". Nach dem Zweiten Weltkrieg fand das „Legalitätsprinzip" dann breite Verbreitung. 36 Zum Einfluß von Hans Kelsen auf das Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 vgl. u. a. Georg Schmitz, Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die österreichische Bundesverfassung,

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Auch nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich die Lehren in beiden Ländern bis gegen Ende der 1960er Jahre symmetrisch, man konnte aber bereits Vorzeichen des Wandels bemerken. In Österreich wurde das Legalitätsprinzip verfeinert: Art. 18 Abs. 1 B-VG galt auch für die Privatwirtschafts Verwaltung, 37 und das Gesetz sollte nun Inhalt und Verfahren der Verwaltung binden.38 In Deutschland blieb zwar der Eingriffsvorbehalt bis Ende der 1960er Jahre die herrschende Meinung, aber schon in den 1950er Jahren zeichnete sich dessen Modifizierung ab. In den 1960er Jahren trat dann die Totalvorbehaltslehre 39 auf. Seit 1970 war die Entwicklung in Deutschland von der Herausbildung der Wesentlichkeitstheorie 40 gekennzeichnet, in welchem Zusammenhang auch eine Ausweitung der Gültigkeit des Gesetzesvorbehalts auf immer weitere Bereiche und Regelungsdichte als neuer Aspekt des Gesetzesvorbehalts gefordert wurden. In Österreich setzte sich die Modifikation des Legalitätsprinzips fort. Dieses solle für die gesamte Verwaltung nicht homogen gelten, es bedürfe vielmehr einer Abstufung seiner Reichweite und Strenge.41 Als Folge davon gilt das Legalitätsprinzip seit den 1980er Jahren nach der herrschenden Meinung nicht für die Privatwirtschaftsverwaltung.42 Dies kann als Ausdruck der erneuten Annäherung der Lehren in Deutschland und Österreich seit den 1970er Jahren gesehen werden. 2. Die Vorgeschichte in Japan - Der Gesetzesvorbehalt unter der MV Der Begriff „Vorbehalt des Gesetzes" erblickte in Japan im Jahre 1903 zum erstenmal in einer Übersetzung von O. Mayers „Deutsches Verwaltungsrecht" das 1981; Felix Ermacora (Hg.), Die österreichische Bundesverfassung und Hans Kelsen, 1982; Robert Walter, Die Entstehung des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 in der Konstituierenden Nationalversammlung, 1984. 37 Walter Antonioiii, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1954, S. 104. 38 Ludwig Adamovich, Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechts, 5. Aufl., Bd. 1, 1954, S. 15 f. Dieser Grundsatz gilt demzufolge für die HoheitsVerwaltung, nicht aber für die Privatwirtschaftsverwaltung. 39 Jesch und Rupp wurden als Vertreter dieser Richtung bekannt. Vgl. dazu Dieter Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961 (2. Aufl. 1968), S. 175 ff. und H ans Heinrich Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 113 ff. 40 Vgl. dazu u. a. den Vortrag in Speyer von Michael Kloepfer, Wesentlichkeitstheorie als Begründung oder Grenze des Gesetzesvorbehalts? - Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, hg. von Hermann Hill, 1988. 41 Das sog. differenzierte Legalitätsprinzip wurde anfangs von Winkler vertreten (vgl. dazu Günther Winkler, Gesetzgebung und Verwaltung im Wirtschaftsrecht, 1970, bes. S. 95 ff). Zum Legalitätsprinzip vgl. Ermacora/Winkler/Koja/Rill/Funk (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 1979, S. 260ff.; Ludwig K. Adamovich!Bernd-Christian Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1984, S. 103,107 f., 278. Außerdem Walter Antonioiii/Friedrich Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1986, S. 217 ff.; Robert Walter/Heinz Mayer, Grundriß des österreichischen Bundes Verfassungsrechts, 8. Aufl., 1996, S.227f. Auch die „finale Programmierung" behördlichen Handelns im Gesetz ist nun anerkannt. Vgl. hierzu Antonioiii/Koja, a. a. Ο., S. 217; Walter/Mayer, a. a. Ο., S. 228. 42 Ermacora et al, a. a. O., S. 262 ff.; Antoniolli/Koja, a. a. O. S. 226, 229 f.

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Licht der Öffentlichkeit. 43 Auch die dahinter stehende Theorie des Gesetzes Vorbehalts wurde von Deutschland übernommen. Die Entwicklung des Gesetzesvorbehalts kann vor dem Hintergrund der zeitlichen Einteilung der geschichtlichen Epochen dieser Ära systematisiert werden. Demzufolge erlebte die erste Epoche, die sogenannte Meiji-Zeit, die bis 1912 reichte, die Entstehung des Gesetzesvorbehalts als solchem. Die darauf folgende TaishôZeit (1912-1926) stand danach unter dem Zeichen der Feststellung des Eingriffsvorbehalts und die Showa-Zeit, die 1926 begann, war von der Diversifikation der Lehrmeinungen rund um den Gesetzesvorbehalt gekennzeichnet, und hier ist auch der Einfluß des damaligen österreichischen Legalitätsprinzips zu bemerken.44 3. Die Entwicklung des Gesetzesvorbehalts unter der JV a) Von der Entstehung der Verfassung bis zum Ende der 1950er Jahre Wie oben unter II. 1 erwähnt wurde, ist nach Kriegsende trotz des Wandels der Verfassung der Rechtsstaatsbegriff in Japan etwa ein Jahrzehnt lang unverändert geblieben. Auch der Gesetzesvorbehalt zeigte keine Änderung; die herrschende Lehre war und blieb der Eingriffsvorbehalt. Dennoch setzte sich damals allmählich die Einsicht durch, daß die obrigkeitliche Verwaltung der gesetzlichen Grundlage bedarf. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre trat die Auffassung auf, daß die gesamte Hoheitsverwaltung auf Grund der Gesetze erfolgen sollte. Diese letzte Vorstellung könnte man als Totalvorbehalt im Sinne der anfänglichen Modernisierung, jedoch nicht im Sinne der allgemeinen Modernisierung bezeichnen: Die hochmoderne Verwaltung (LeistungsVerwaltung u. a.) wurde nicht thematisiert. b) Die Herausbildung der hochmodernen Verwaltung seit 1960 1960 begann in Japan das rasche Wirtschaftswachstum, und die hochmoderne Verwaltung entwickelte sich verstärkt. Auf dieses Verwaltungsphänomen reagierte die Verwaltungsrechtswissenschaft, und die Lehre des Gesetzesvorbehalts veränderte sich. Es wurde nun herrschende Meinung, daß die obrigkeitliche Verwaltung der gesetzlichen Grundlage bedarf. Deswegen handelte es sich fortan um eine nichthoheitliche Verwaltung. Die Debatte drehte sich zuerst um das Thema der Subventionierung, über die damals auch in Deutschland diskutiert wurde, dann um die Leistungsverwaltung, wobei diese Bezeichnung damals entstand. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre diskutierte man in der Verwaltungsrechtswissenschaft dann die Verwaltungsanleitung und den Verwaltungsplan. Die Verwaltungsanleitung (Gyôsei 43

Vgl. Anm.7. Damals wurden jene Verwaltungsrechtler, die zur Wiener Schule gehörten, von der österreichischen Lehre vom Legalitätsprinzip beeinflußt. 44

11 Pitschas/Kisa

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shidô) trat als neuer Begriff auf und wurde damals als ein auf Japan begrenzter Sachverhalt behandelt. In diesem Zeitraum erschien zunächst die Sozialvorbehaltslehre, nach der auch die Verwaltung für die Gewährleistung der sozialen Grundrechte der gesetzlichen Grundlage bedarf. Dann wurde die echte Totalvorbehaltslehre vertreten, die auch die hochmoderne Verwaltung zum Gegenstand der Diskussion machte und Gemeinsamkeiten mit einem deutschen Ansatz aus den 1960er Jahren sowie dem österreichischen Legalitätsprinzip aufweist. Man könnte sagen, daß sich in den 1970er Jahren die Lehre vom Obrigkeitsvorbehalt bzw. vom Gewaltenausübungsvorbehalt und die Totalvorbehaltslehre gegenüberstanden. c) Modifikationen der Totalvorbehaltslehre Die Entwicklung der mannigfaltigen und komplizierten hochmodernen Verwaltung ließ erkennen, daß der echte Totalvorbehalt unter praktischen Gesichtspunkten Mängel aufwies. Deswegen akzeptierte die Totalvorbehaltslehre in den 1980er Jahren Ausnahmen von diesem Grundprinzip. In den 1990er Jahren hielt auch die Wesentlichkeitstheorie, die aus Deutschland übernommen wurde, Einzug in Japan. 4. Die gegenwärtige Lage der Gesetzesvorbehaltslehre a) Ermächtigung des Gesetzes Wie aus den vorangegangenen Abschnitten ersichtlich ist, existieren zahlreiche Denkansätze zum Gesetzesvorbehalt: Hier wurden die Lehre vom Eingriffsvorbehalt, der Obrigkeitsvorbehalt bzw. der Gewaltausübungsvorbehalt, Sozial- und Totalvorbehalt sowie die Wesentlichkeitstheorie aufgegriffen. Trotz der Unterschiedlichkeit der Theorien ist es möglich, Übereinstimmungen festzustellen. Heutzutage kann als allgemein anerkannt gelten, daß die obrigkeitliche Verwaltung, also die Gewaltenausübung der Verwaltung, nur auf Grund der Gesetze erfolgen darf. Es handelt sich deswegen um eine nicht-obrigkeitliche Verwaltung: Zwar existieren bei Fragen der Subventionierung, der regulierenden Verwaltungsanleitung u. a. m. unterschiedliche Auffassungen, doch ist zu bemerken, daß bei fast allen wichtigen Bereichen der nicht-hoheitlichen Verwaltung diskutiert wird, ob sie der gesetzlichen Grundlage bedürfen. An dieser Stelle erscheinen mir einige persönliche Anmerkungen zur Theorie des Ermächtigungsgrundsatzes angebracht. Im Grunde kann man sie als Deformation der Totalvorbehaltslehre ansehen. Werden innerhalb der Totalvorbehaltslehre Ausnahmen akzeptiert, so besteht Unklarheit darüber, was genau diese Ausnahmen sind und bis wo sich der Gültigkeitsbereich des Prinzips erstreckt. Zu bedenken ist hier, daß die Ausnahmen nicht den Bestand des Prinzips gefährden dürfen. Meiner Mei-

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nung nach ist es ein tragendes Prinzip der JV, daß die öffentliche Verwaltung außer der Privatwirtschaftsverwaltung (fiskalische Verwaltung) der Ermächtigung des Gesetzes bedarf. Dieses Prinzip kann als ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips angesehen werden, dessen Zweck die Gewährleistung der Grundrechte ist. Der Grundsatz der gesetzmäßigen Verwaltung ist ein wichtiges Mittel zu diesem Zweck. Nur wenn bewiesen werden kann, daß umgekehrt die lückenlose Anwendung des Ermächtigungsgrundsatzes die Gewährleistung der Grundrechte behindert, d. h. wenn das Mittel Selbstzweck wird, ist ein Vorgehen ohne gesetzliche Grundlage ausnahmsweise gerechtfertigt. Soweit zu meinen Anmerkungen zu diesem Thema. b) Regelungsdichte In Japan beinhaltet der Gesetzesvorbehalt nur die Ermächtigung der Verwaltung durch die Gesetze. Nach der deutschen Wesentlichkeitstheorie wird hierunter zudem noch die Regelungsdichte gefaßt. Auch das österreichische Legalitätsprinzip enthält eine ähnliche Regelung. In der hochmodernen Zeit nimmt die Bedeutung der Regelungsdichte immer weiter zu. Zwar ist das faire Verfahren als Verfassungsgrundsatz seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre etabliert und die Forderung der Verwaltungsrechtswissenschaftler nach der Regelung des Verwaltungsverfahrens durch die Gesetze besonders seit den 1960er Jahren präsent, was zur Entstehung des VerwaltungsVerfahrensgesetz im Jahre 1993 führte, dennoch hat der Begriff „Regelungsdichte" bislang in Japan wenig Gehör gefunden. Meiner Meinung nach kann die Regelungsdichte als „Bindung der Gesetze" verstanden werden und sollte auch in Japan als ein Verfassungsgrundsatz Berücksichtigung finden.

5. Offene Fragen Wegen der Kürze dieses Beitrags war es nicht möglich, alle relevanten Fragen aufzugreifen. Nicht behandelt wurden insbesondere das Verhältnis zwischen der gesetzlichen Regelung der Organisation und Tätigkeiten, Verordnungen und Einzelakte sowie Fragen, die spezielle Verwaltungsgebiete betreffen. Die Beschäftigung mit diesen Aspekten muß anderen Gelegenheiten überlassen werden.

6. Praktische Beispiele Zur Verdeutlichung der angeführten Prinzipien sollen im Folgenden einige praktische Beispiele aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung in Japan angeführt werden. 11*

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a) Beispiele für gesetzliche Regelungen § 11 des Kabinettsgesetzes sowie § 12 IV und § 13 IV des Gesetzes über die Staatsverwaltungsorganisation legen fest, daß die Bestimmungen jener Verordnungen, die Verpflichtungen für oder Einschränkungen der subjektiven Rechte von Personen beinhalten, der gesetzlichen Basis bedürfen. Oberflächlich kann so der Eindruck entstehen, daß diese Gesetze damit der Lehre vom Eingriffsvorbehalt entsprechen, eine tiefergehende Auslegung kann aber darin bestehen, daß diese Gesetze die Kernfälle festlegen, die eine gesetzliche Grundlage benötigen, weil der Gesetzesvorbehalt ein Verfassungsgrundsatz ist. b) Angelegenheiten der kommunalen Gebietskörperschaften, die eine Satzung erfordern Ähnlich wie die Bestimmungen der oben angeführten Gesetze lautet auch § 14 Abs. 2 des Kommunal Verwaltungsgesetzes: „Die kommunalen Gebietskörperschaften dürfen... nur auf der Grundlage von Satzungen den Einwohnern Pflichten auferlegen oder ihre subjektiven Rechte beschränken". Dasselbe Gesetz bestimmt aber im § 244 a I, daß Errichtung und Verwaltung öffentlicher Einrichtungen ebenfalls durch Satzungen geregelt werden sollen. Entsprechend werden nicht nur die obrigkeitlichen, sondern auch wichtige Teile der nicht-obrigkeitlichen Angelegenheiten der kommunalen Körperschaften zum Gegenstand der Regelung durch Satzungen gemacht. Auch die kommunalen Angelegenheiten sollen auf der Grundlage des Satzungsvorbehaltsgrundsatzes erledigt werden, der demzufolge dem Gesetzesvorbehalt als Verfassungsgrundsatz gleich ist. c) Subventionierung Ein Beispiel für die Umsetzung des Gesetzesvorbehalts in der Praxis kann in der Subventionierung gesehen werden. Der Kabinettsbeschluß vom 13. September 196345 legte fest, daß keine Gesetze zur Subventionierung erlassen und die bereits bestehenden Gesetze aufgehoben werden sollten. Seitdem richtet sich die Praxis nach diesem Beschluß. Beispielsweise wurde 1999 einmalig ein Gebietsförderungsgutschein an einkommensschwache Personen über 65 Jahre und an Kinder unter 15 Jahre ausgegeben, für den keinerlei gesetzliche Grundlage bestand. Diese Gutscheine konnten innerhalb des jeweiligen Bezirks gegen Waren oder Dienstleistungen getauscht werden.

45 Kabinettsbeschluß vom 13. September 1963 „Über die Ordnung der Gesetzesentwürfe, die vom Kabinett vorgelegt werden"

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d) Beispiele für die Rechtsprechung Im Gegensatz zur deutschen Rechtsprechung lassen sich in der japanischen keine allgemeinen Grundsätze bezüglich des Gesetzes Vorbehalts finden. 46 Die tatsächlichen Rechtsprechungsfälle betreffen zumeist den Vorrang des Gesetzes. Was vorliegt sind Entscheidungen über den Gesetzesvorbehalt im Zusammenhang mit einer konkreten Handlungsform, der Verwaltungsanleitung. Nach der gegenwärtigen Situation der Rechtsprechung darf die Verwaltung Verwaltungsanleitungen vornehmen, solange der Adressat diese nicht ausdrücklich ablehnt.47

VI. Die allgemeine Modernisierung und die Hoch- und Spätmodernisierung des Rechtsstaatsprinzips Ein Rückblick auf das 20. und ein Ausblick auf das 21. Jahrhundert 1. Die allgemeine Modernisierung

und die Hoch- und Spätmodernisierung

Vor der Betrachtung der Entwicklungstendenzen des Rechtsstaates, wie sie in diesem Kapitel erfolgt, sind die Begriffe „allgemeine" bzw. „Hoch- und Spätmodernisierung" genauer zu definieren, als dies bisher erfolgt ist (vgl. Problemstellung 3.b) a) Die „allgemeine Modernisierung" Dieser Begriff deutet auf die Verwirklichung von Prinzipien hin, die in der modernen Zeit im weiteren Sinne Geltung haben. „Moderne Zeit im weiteren Sinne" bezeichnet ihrerseits politisch gesehen die Zeit nach der bürgerlichen und ökonomisch die Zeit seit der industriellen Revolution sowie rechtlich den Zeitraum seit der Entstehung einer modernen Verfassung (mit Gewaltenteilung und Gewährleistung der Menschenrechte) bis zur Gegenwart. Der Zeitpunkt ihres Beginns ist in jedem Land verschieden. Für den europäischen Kontinent ist damit die Zeitspanne seit der französischen Revolution von 1789 gemeint. 46 Nach dem Urteil des OGH vom 8. März 1991 (Minshu, Bd. 45, S. 164) ist das Tathandeln einer Gemeinde, die in einem Hafen rechtswidrig eingeschlagene Pfähle ohne rechtliche Grundlage entfernen ließ, rechtmäßig, weil in diesem Fall § 720 BGB über den Notstand zutreffe. Hätte die Entscheidung über dieses Tathandeln auf rechtswidrig gelautet, hätte dieser Fall das Potential gehabt, einen allgemeinen Grundsatz zu legen. 47 Als Belege hierfür können z.B. das Urteil des OGH vom 16. Juli 1981 (Minshu, Bd.35, S.930) oder das Urteil des OGH vom 16. Juli 1985 (Minshu, Bd. 39, S.989) gelten. Das VerwaltungsVerfahrensgesetz vom 12. November 1993 legt in den §§32-36 das Verfahren der Verwaltungsanleitung fest. Diese Paragraphen begründen den Vorrang des Gesetzes gegenüber der Verwaltungsanleitung.

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Prinzipien, die in der modernen Zeit i. w. S. gelten, werden weiterhin als „allgemein gelten sollende Prinzipien der modernen Zeit i. w. S." bezeichnet. Hierzu gehören beispielsweise die Gewährleistung der Menschenrechte und die Gewaltenkontrolle. Auch das Rechtsstaatsprinzip zählt hierzu. Die „allgemeine Modernisierung" steht damit für die Bestrebung zur bzw. Schritte in Richtung auf die Verwirklichung dieser Prinzipien. b) Die „Hoch- und Spätmodernisierung"

die Moderne die Moderne im anfängliche Moderne weiteren Sinne hohe Moderne späte Moderne

Modernisierung Anfangsmodernisierung allgemeine Modernisierung Hochmodernisierung (die zu verallgemeinernde Modernisierung) Spätmodernisierung

Im Rahmen dieser Abhandlung wird mit dem Begriff „anfängliche Moderne" jener Zeitraum bezeichnet, in dem innerhalb der „modernen Zeit i. w. S." das bürgerlich-liberale Staatsprinzip, das Prinzip des Nachtwächterstaates, galt. Im Anschluß an die Phase der Modifizierung dieses bürgerlich-liberalen Staatsprinzips trat die „Hochmoderne" bzw. „hochmoderne Zeit" auf. In Europa ist dies der Zeitraum etwa seit dem Jahr 1870. In diesem Zusammenhang bedeutet „Hochmodernisierung" Schritte zur Modifizierung der Prinzipien der anfänglichen Modernisierung wie ζ. B. zur Verwirklichung der Sozialstaatlichkeit. Die Zeit seit Ende der 1980er Jahre ist wiederum so sehr von der Internationalisierung und einem Hervortreten der Regionen geprägt, daß von einer Relativierung des Staates in Verbindung mit der Globalisierung und der Entgrenzung gesprochen wird. Nun gilt nicht nur das Sozialstaatsprinzip, auch das Umweltschutzprinzip betritt die Bühne des Verfassungsrechts. Dieses Zeitalter könnte man deshalb als späte Moderne und die Schritte zur Anpassung des Rechts an die geänderten Umstände als Spätmodernisierung bezeichnen. Die Begriffe „allgemeine Modernisierung" und „Hoch- und Spätmodernisierung" sind aus einer eigenständigen Beobachtung der geschichtlichen Entwicklung in Europa und Japan erwachsen. Hierbei handelt es sich jedoch um Idealtypen und keine Beschreibung der geschichtlichen Tatsachen. Besonders bei der „allgemeinen Modernisierung" wird ihr Charakter einer gelten sollenden Norm der praktischen Vernunft deutlich. Die These, die aus der Herausarbeitung dieser Idealtypen gewonnen wurde, ist folgende: Die „allgemeine Modernisierung" bildet die Grundlage und schafft die Voraussetzungen, von denen aus die „Hoch- und Spätmodernisierung" stattfindet. Hieraus folgt, daß die „Hoch- und Spätmodernisierung" nicht unter Verletzung der

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„allgemein gelten sollenden Prinzipien der modernen Zeit i. w. S." durchgesetzt werden darf. Das gilt auch für die Entwicklung des Rechtsstaates und kann beispielsweise anhand der historischen Entwicklungen in Osteuropa seit 1989 belegt werden.

2. Die allgemeine Modernisierung und die Hochund Spätmodernisierung des Rechtsstaates Als Abschluß dieser Ausführungen soll die allgemeine Modernisierung und die Hoch- und Spätmodernisierung des Rechtsstaates aufgegriffen werden. Beide wurden bereits eingangs kurz behandelt, was hier jedoch vorgesehen ist, ist eine Untersuchung im Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip. Das Thema des Siebenten Speyerer Forums ist die Internationalisierung der Verfassung. Wie bereits am Anfang dieses Beitrags ausgeführt, gebrauche ich „Internationalisierung" im Sinne von „Globalisierung" und „Universalisierung". Die allgemeine Modernisierung des Rechtsstaatsprinzips bezieht sich innerhalb dieses Begriffsrasters hauptsächlich auf die Universalisierung des Rechtsstaatsprinzips. Dabei wird hier nicht der Gesetzesvorbehalt, sondern die Internationalisierung des Rechtsstaatsprinzips im Allgemeinen behandelt. Der Begriff „Gesetzesvorbehalt" ist ein dem deutschen Rechtskreis eigentümlicher Begriff und deshalb nicht universal. Dennoch sollte auch in Ländern, in denen man den Begriff „Gesetzesvorbehalt" als solchen nicht kennt, ein ähnlich geartetes Prinzip bestehen. Als Zwischenergebnis der vorangegangenen Ausführungen kann man feststellen, daß der Gesetzesvorbehalt in Deutschland, Österreich und Japan, der nicht immer gleich war, sich jetzt, seit etwa 1970 annähert. Man kann hierin demzufolge eine universale Tendenz sehen. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf das Rechtsstaatsprinzip im Allgemeinen.

a) Die Verallgemeinerung der Geltung des Rechtsstaatsprinzips Vor 1989 war das Rechtsstaatsprinzip im Sinne dieses Beitrages ein abendländisches Prinzip, im weiteren Sinne das Prinzip der westlichen Länder. Die sozialistische Gesetzlichkeit in Osteuropa und der Sowjetunion wurde damals als vom Rechtsstaatsprinzip abweichend angesehen. Seit 1989 hat das Rechtsstaatsprinzip jedoch auch in Osteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion Einzug in die Verfassungen gehalten. Deshalb ist die Behauptung gerechtfertigt, daß sich das Rechtsstaatsprinzip zu einem universal geltenden Prinzip entwickelt.

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b) Die Verallgemeinerung des Begriffs „Rechtsstaat" Die universale Ausdehnung des Rechtsstaatsprinzips war von einer Verallgemeinerung des Begriffs „Rechtsstaat" begleitet. Die Universalisierung des Rechtsstaatsprinzips, die oben belegt wurde, bedeutet die universale Ausdehnung des rechtsstaatlichen Prinzips, mit oder ohne tatsächlichen Rückgriff auf den Begriff des Rechtsstaates. Hierbei kommt es auf die praktischen Inhalte an, unabhängig davon, ob sie nun unter dem Begriff Rechtsstaat verfolgt werden oder unter „Rule of Law" oder wieder anderen Bezeichnungen. Auffällig war in den 1990er Jahren auch eine räumlich-geographische Ausdehnung der Nutzung des Rechtsstaatsbegriffes als solchem. In Westeuropa wird diese Bezeichnung seit Jahren nicht nur in Österreich, der Schweiz u. a., sondern auch in Holland (Rechtsstaat), Dänemark (retsstat), Schweden (Rättsstat), Norwegen (rettsstatt), Italien (Stato di diritto) und anderen Ländern gebraucht. In den letzten Jahren wurde er darüber hinaus in die Spanische Verfassung (1978, Estada de Derecho) und in die Portugiesische Verfassung (1989, Estado de Direito) aufgenommen. Bemerkenswert ist weiterhin, daß der Rechtsstaat, der bis heute als charakteristisch für den deutschen Rechtskreis gehalten wurde, nach der Entstehung des „Conseil constitutionnel" als „Etat de droit" sogar in Frankreich gebraucht wird. Seit der politischen Wende 1989 ist der Begriff des Rechtsstaates auch in Osteuropa und Rußland präsent. Beispiele hierfür finden sich in der Ungarischen Verfassung von 1989 (Präambel, Art. 2 Abs. 1, jogâllam), der Polnischen Verfassung von 1989 (Art. 1, Panstwo prawa), dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches für die DDR von 1990 (Art. 41 Abs. 1), der Tschechischen Verfassung von 1992 (Art. 1, prâvni stât), der Russischen Verfassung von 1993 (Art. 1 Abs. 1) und so weiter. Der Begriff des Rechtsstaates wird darüber hinaus nicht nur in Europa, sondern auch in Ostasien, z. B. in China, Taiwan, Korea und, wie in diesem Beitrag thematisiert, in Japan gebraucht. Eine solche Ausdehnung des Rechtsstaatsbegriffes darf man wohl mit Fug und Recht als Internationalisierung des Rechtsstaates bezeichnen. Das kann sowohl für eine Universalisierung des Rechtsstaatsprinzips als auch für eine Universalisierung des Rechtsstaatsbegriffes als solchem gelten. c) Die allgemeine Modernisierung des Rechtsstaates Hier ist zunächst die Frage zu stellen, was eigentlich die allgemeine Modernisierung des Rechtsstaates beinhaltet. Die Antwort hierauf muß lauten, daß zunächst einmal die Einführung und Anwendung des Rechtsstaatsprinzips einen entscheidenden ersten Schritt der Modernisierung darstellt, der allerdings von weiteren begleitet werden muß. Wichtig ist, den Rechtsstaat aus der bloßen Entstehungs- in eine Entwicklungsstufe voranzubringen, was im Sinne dieses Beitrages den Übergang vom formellen zum materiellen Rechtsstaat markiert. Diese Entwicklung ähnelt sich in ihren Grundzügen in Deutschland und Japan, auch wenn es in Deutschland im Un-

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terschied zu Japan auf der Stufe des formellen Rechtsstaatsprinzips eine Änderung der Staatsform von der konstitutionellen Monarchie zur Demokratie gab, die jedoch in Japan auf derselben Stufe nicht erfolgte. Zu beachten ist ferner, daß es im materiellen Rechtsstaatsprinzip verschiedene Ausprägungsformen, gleichsam „Stufen", gibt. Die allgemeine Modernisierung des Rechtsstaatsprinzips erfordert eine Entwicklung hin zu einer höheren Stufe des materiellen Rechtsstaatsprinzips. An dieser Stelle ist eine Anmerkung über „Rechtsstaat" und „Rule of Law" hinzuzufügen. Unter dem formellen Rechtsstaatsprinzip weisen beide große Differenzen auf. Während man den Rechtsstaat formell verstand, definierte Α. V. Dicey „Rule of Law" wie folgt: „the security given under the English constitution to the rights of individuals looked at from various points of view". Hieraus kann gefolgert werden, daß „Rule of Law" materiell zu verstehen ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Vorstellung vom Rechtsstaat, der nun ebenfalls materiell verstanden wurde, in Deutschland und auch in Japan. Es ist daher zu erwarten, daß sich der nun materielle Rechtsstaat und die ebenfalls materiell ausgerichtete „Rule of Law" einander annähern. Geschichtlich könnte man hierin somit eine internationale Tendenz erkennen.

d) Hoch- und Spätmodernisierung des Rechtsstaates Die Hochmodernisierung des Rechtsstaates bedeutet die Entwicklung vom bürgerlich-liberalen zum sozialen Rechtsstaat. Seit den 1980er Jahren wird der Umweltstaat ebenfalls für ein wesentliches Merkmal des heutigen sozialen Rechtsstaates gehalten. Diese Tendenz könnte man als Spätmodernisierung identifizieren. Hier kann ohne Übertreibung konstatiert werden, daß sich die jüngsten Entwicklungen des Rechtsstaates in Deutschland und Japan annähern. Geschichtlich gesehen wurde jedoch das Prinzip des sozialen Rechtsstaates im Falle Deutschlands bereits in die Weimarer Verfassung und später in das Bonner Grundgesetz (GG) aufgenommen. In Japan enthält nur die Japanische Verfassung der Nachkriegszeit dasselbe Prinzip. Der Unterschied zwischen beiden Ländern liegt damit hauptsächlich in der historischen Länge ihrer rechtlichen Erfahrungen mit der Hochmodernisierung. Die Herausbildung des „sozialen" Rechtsstaates als Hoch- und Spätmodernisierung des Rechtsstaatsprinzips zeigt Ende des 20. Jahrhunderts allmählich eine Tendenz zur Universalisierung. Beispielsweise wurde in Osteuropa nach 1989 der Begriff „sozial" an Stelle von „sozialistisch" verfassungsrechtlich aufgenommen. Konkrete Beispiele finden sich in der Präambel der Ungarischen Verfassung, in Art. 1 der Polnischen Verfassung, in Art. 41 Abs. 1 des Verfassungsentwurfs des Runden Tisches für die DDR und in Art. 7 Abs. 1 der Russischen Verfassung.

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e) Hoch- und Spätmodernisierung auf der Basis der allgemeinen Modernisierung und der Rechtsstaat inklusive seiner sozialen Aspekte Die Frage, wie der hoch- oder gar spätmoderne Rechtsstaat konkret interpretiert, welche Denkmuster bei seiner Betrachtung zu Grunde gelegt werden sollen, ist zwar auch ein Anliegen der praktischen Philosophie, aber in Ländern, in denen dieses Prinzip einen Platz in der Verfassung erhielt, handelt es sich vor allem um eine Frage, die zentral zur Verfassungsauslegung gehört. Im Rahmen der „allgemeinen Modernisierung" wird der Rechtsstaat zum materiellen Rechtsstaat weiterentwickelt, dessen Zweck die Gewährleistung der Grundrechte ist und der als Mittel zur Verwirklichung dieses Zwecks verschiedene Rechtsinstitutionen beinhaltet. Die zu gewährleistenden Grundrechte als Zweck des Rechtsstaates sind dabei keineswegs konstant, sondern ändern im Zeitablauf fortwährend ihre Inhalte. Die rechtlichen Institutionen als Mittel zum Zweck entwikkeln sich entsprechend auch ständig zweckgemäß weiter. Die Entfaltung der zu gewährleistenden Grundrechte als Zweck kann anhand verschiedener Aspekte beobachtet und belegt werden. Im Zuge der Entwicklung des bürgerlich-liberalen zum sozialen Rechtsstaat werden die Ausprägungen der Grundrechte umgestaltet. Im bürgerlichen Rechtsstaat wurde die Freiheit (d. h. der negative Status) als Kern der Grundrechte angesehen, zu deren Garantie der aktive Status und bestimmte Arten des positiven Status (z. B. das Recht auf richterliche Entscheidungen) gesichert wurden. Im sozialen Rechtsstaat wird hingegen nicht nur Freiheit, sondern auch das Dasein als essentielle Idee betrachtet und folgerichtig materielle Freiheit sowie materielle Gleichheit gefordert. Auch im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der traditionellen Freiheitsrechte wird die Anpassung der wirtschaftlichen Freiheit und des Eigentums an den Leitgedanken des menschenwürdigen Daseins verlangt (Art. 151 und 153 WV; Art. 14 GG sowie Art. 29 Abs. 2 JV). Für die materielle Gewährleistung der Freiheit werden als neue Grundrechte das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf Akteneinsicht und Informationszugang sowie das Recht auf Privatsphäre etabliert. Zur Verstärkung des politischen Engagements der Bürger werden neue konkrete Teilnahmerechte eingefordert. Mit der Entstehung des Umweltstaates ist nun auch das Umweltgrundrecht in den Blickpunkt gerückt, das den Umweltschutz nicht nur als Staatsziel, sondern auch als Verpflichtung des Staates (abstraktes subjektives Recht) behandelt. Im Verlauf der Entfaltung der Grundrechte als Zweck des Rechtsstaates werden auch die Rechtsinstitutionen als Mittel geändert. Im bürgerlichen Rechtsstaat verlangte die bürgerliche Freiheit die Minimierung der Verwaltungstätigkeiten. Im sozialen Rechtsstaat zeichnen dagegen die Orientierung der wirtschaftlichen Freiheit am menschenwürdigen Dasein, die materielle Gewährleistung der Freiheit, die Gewährleistung der sozialen Grundrechte sowie der Umweltschutz als Staatsziel für die daran orientierte Ausdehnung der vollziehenden Gewalt einerseits und die Abhängigkeit des privaten Lebens von der Verwaltung andererseits verantwortlich. In

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dieser Situation ist es wichtig, daß nicht eine allgemeine, diffuse Ausdehnung und Stärkung der Verwaltung erfolgt, sondern daß diese klar an den neuen Zielen der Staatstätigkeit ausgerichtet wird. Als Reaktion auf oder besser noch als Korrektiv für die quantitative Änderung der Verwaltung sind verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität der Verwaltung notwendig. Hier sind unter anderem die Ermächtigung durch die Gesetze und die Bindung des Verwaltungsvorgangs (Verwaltungsorganisation, Verwaltungstätigkeiten, Verwaltungsrechtsschutz und deren Verfahren sowie die Stellung von Privatpersonen hierbei) durch Gesetz und Recht, die rechtliche Kontrolle des ausgedehnten Ermessensspielraums der Verwaltung (d. h. die legislative Kontrolle, die Kontrolle der Verwaltung durch sich selbst und die gerichtliche Kontrolle), das Prinzip des fairen Verfahrens sowie die Erweiterung des Verwaltungsrechtsschutzes zu nennen. Hier ist eine kurze Anmerkung über den Verwaltungsrechtsschutz angezeigt. Im bürgerlich-liberalen Rechtsstaat handelt es sich hierbei um den formellen gerichtlichen Rechtsschutz. Im sozialen Rechtsstaat wird dieser formelle Schutz durch das Vorverfahren, den Ombudsmann, die informelle Beschwerde usw. vervollständigt. Das Ziel des gerichtlichen Rechtsschutzes liegt in der Verbesserung des effektiven Schutzes, unter anderem beispielsweise durch die Erweiterung der Klagetypen, des Gegenstandes der Anfechtungsklage oder der Klagebefugnis. Im Zeitalter der Relativierung des Staates wird ergänzend u. a. die Erweiterung der Selbstverwaltung der kommunalen Körperschaften gefordert. f) Der Rechtsstaat im 21. Jahrhundert Bislang wurde in diesem Beitrag die Vergangenheit behandelt, gleichsam eine Rückschau gehalten. Diese Rückschau ist in der Lage, uns mit dem Verständnis der Entwicklungslinien des Rechtsstaates zu versorgen. Damit ist aber erst die Hälfte der Arbeit geleistet. Wichtig ist, daß unsere Kenntnis über die Vergangenheit uns Entscheidungshilfen für die Zukunft eröffnet, eine Aufgabe, die gerade an der Schwelle zum neuen Jahrhundert erneut deutlich wird. Das Rechtsstaatsprinzip, das in der modernen Zeit i. w. S. allgemein gelten soll, entfaltete sich im 20. Jahrhundert, wurde hoch- und spätmodernisiert und verstärkte seinen universalen Charakter bis jetzt, zum Zeitpunkt der Jahrhundertwende. Diese Tendenz muß auch im 21. Jahrhundert erhalten bleiben. Als einer der wichtigsten Punkte der Hoch- und Spätmodernisierung des Rechtsstaates gilt die Entwicklung des bürgerlichen Rechtsstaates zum sozialen. Auch im 21. Jahrhundert muß das Prinzip des sozialen Rechtsstaates weiter ein Verfassungsprinzip bleiben.48 Auch in diesem Zusammenhang muß die These von der Hochund Spätmodernisierung erneut betont werden: Die Hoch- und Spätmodernisierung kann nur auf der Basis der allgemeinen Modernisierung erfolgen. In bezug auf den 48

Vgl. Anm.49.

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sozialen Rechtsstaat kann der Sozialstaat als Ergebnis der Hoch- und Spätmodernisierung nur auf der Basis des Rechtsstaates als universales Prinzip in konkreten Kontexten entfaltet werden. Das bedeutet, daß die Stärke der sozialen Elemente je nach den gegebenen Umständen des jeweiligen Verfassungsstaates unterschiedlich ist. Zum Beispiel gibt es hier deutliche Unterschiede zwischen Deutschland, Japan und den Vereinigten Staaten. Daneben kann die Umweltstaatlichkeit als einer der wichtigsten Punkte der Spätmodernisierung des Rechtsstaates bezeichnet werden. 49 Sie beruht aber möglicherweise weniger auf dem Oberbau, als vielmehr auf der Basis des Rechtsstaates, weil sie sehr internationale Eigenschaften hat, die unvermeidlich Universalität fordern. Zum Schluß sind über zwei wichtige Aspekte des Rechtsstaates im 21. Jahrhundert noch einige Worte zu verlieren: über den anthropologischen Charakter der Grundrechte sowie über das Rechtsstaatsprinzip unter den Bedingungen der Relativierung des Staates. Die Gewährleistung der Grundrechte bezweckt den Schutz der Würde des „Menschen", die auch im 21. Jahrhundert unverletzlich bleiben soll. Dies darf aber nicht bedeuten, daß ausschließlich der Egozentrismus des „Menschen" durchgesetzt wird. Die Koexistenz des „Menschen" mit der Umwelt muß gewährleistet werden. In Verantwortung für die künftigen Generationen muß deshalb der Rechtsstaat die Umwelt effektiv schützen (vgl. Art. 20 a GG). Zur Relativierung des Staates ist anzumerken, daß das Rechtsstaatsprinzip bislang hauptsächlich vom Staat getragen wurde. Im Laufe der Hochmodernisierung wurde der Geltungsbereich dieses Prinzips jedoch bis auf die kommunale Ebene erweitert. Durch die Relativierung des Staates wird sich diese Tendenz der Erweiterung des Geltungsbereiches weiter verstärken. Als Aufgabe für das 21. Jahrhundert kann im Gegensatz dazu die Ausweitung in die andere Richtung, also zur internationalen Ebene, gelten. Für das nächste Jahrhundert kann erwartet oder zumindest erhofft werden, daß das Rechtsstaatsprinzip durch seine Universalisierung und im Zuge der Globalisierung der Weltgemeinschaft international gelten wird. Im ostasiatischen Bereich muß dafür das Rechtsstaatsprinzip in den jeweiligen Staaten und Regionen Schritt für Schritt qualitativ verbessert werden, damit eine gemeinsame Grundlage für die Gemeinschaft der Rechtsstaaten geschaffen werden kann.

49

Ich bin der Meinung, daß die Umweltstaatlichkeit nun unter den sozialen Rechtsstaat subsumiert werden sollte. Im GG sind der Sozialstaat (Art. 20 Abs. 1) und der Umweltstaat (Art. 20 a) unabhängig voneinander aufgeführt. Der Inhalt der Sozialstaatlichkeit verändert sich jedoch meiner Auffassung nach entsprechend der geschichtlichen Lage, und entsprechend sollte der Umweltschutz in der spätmodernen Zeit eine der wichtigsten Aufgaben des Sozialstaates sein. Wenn man den Umweltschutz auf diese Weise unter die Sozialstaatlichkeit subsumiert, bildet der Umweltschutz einen im Artikel 20 niedergelegten Grundsatz, der auch bei einer erneuten Änderung des Grundgesetzes seine Gültigkeit behält.

Die Grundprobleme des japanischen Verwaltungsrechts Von Yuji Onishi* I. Fragestellung Japan ist ein Rechtsstaat. Das japanische Verfassungsrecht setzt die Gewaltenteilung voraus und schreibt die Achtung der Grundrechte vor. Die Gesetzgebungsbefugnis obliegt ausschließlich dem Parlament. Das Gericht überprüft die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gilt unbestritten.1 Im Rechtsstaat kommt dem Recht, das die Staatsgewalt beschränkt, die größte Bedeutung zu. Dieses Recht ist vor allem das Verfassungsrecht und das Verwaltungsrecht. Dennoch wird das Verwaltungsrecht in Japan geringgeschätzt. Das zeigt sich an der Reform, die das Verwaltungsrecht aus dem juristischen Staatsexamen ausgeklammert hat. Viele Wissenschaftler haben sich dagegen ausgesprochen, aber der Oberste Gerichtshof, die Anwaltskammer und das Justizministerium haben diese Reform durchgesetzt2. Nur wer Richter, Staatsanwalt oder Rechtsanwalt werden will, muß in Japan das juristische Staatsexamen bestehen. Er braucht nunmehr an der Universität das Verwaltungsrecht nicht mehr zu studieren. Das Verwaltungsrecht wird geringgeschätzt, weil das geltende japanische Verwaltungsrechtssystem viele Mißstände hat. Zuerst möchte ich über diese fundamentalen Mißstände referieren. Und ich zeige die Gründe dafür, warum diese Mißstände nicht beseitigt werden können. Danach greife ich die Verwaltungsreformen auf, die gerade durchgefühlt werden, und referiere insbesondere über das grundlegende Gesetz von 1998 zur Reform der Staatsministerien. Es ist sehr wichtig, welchen Einfluß diese Reform auf die Mißstände des Verwaltungsrechtssystems hat. * Dieser Beitrag ist meinem Doktorvater, Prof. Dr. Endo Hiroya, der im Jahr 1994 verstorben ist, gewidmet. Frau Margit Krause-Ono und Rechtsanwältin Henrike Vieregge haben mir bei der Übersetzung sehr freundlich geholfen. 1 Der Streit liegt darin, wieweit der Vorbehalt des Gesetzes reicht (vgl. Shiono Hiroshi, Gyosei-ho I, ergänzte 2. Auflage, 1999, S.62ff). Die Aufstellung des japanischen Gesamtentwicklungsplanes gehört nicht zur Zuständigkeit der Gesetzgebung, sondern der Regierung. Es bildet eines der wichtigsten Probleme. Der Gesamtentwicklungsplan funktioniert als Ausgangspunkt bei der Aufstellung der nachfolgenden Fachpläne und des jährlichen Budgets. Vgl. Kitahara Tetsuya, Raumordnung, in: Nishio Masaru/Muramatsu Michio (Hrsg.), Koza Gyosei-gaku, Band 3, 1994, S.279ff (299); Shiono, a. a.O., S. 64f. 2 Vgl. das japanische Staatsexamensgesetz, Shiho Shiken-ho, geändert 1998.

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II. Der gegenwärtige Zustand 1. Die fundamentalen Mißstände Hier zeige ich zunächst als die hauptsächlichen Mißstände des japanischen Verwaltungsrechtssystems, daß der Verwaltungsrechtsweg, die Verwaltungsvollstrekkung und die Verwaltungsstrafe unzulänglich sind. Der Verwaltungsrechtsweg ist nur schwach ausgestaltet, deswegen bleibt das justizfreie Verwaltungshandeln als Ausweg. Der Inhalt der Ermächtigungsnormen für das Verwaltungshandeln ist unklar. Die Ineffektivität der Verwaltungsvollstreckung und der Verwaltungsstrafe ist ein Grund dafür, daß die informelle Verwaltungsanleitung, das heißt Gyoseishido, häufig und in sämtlichen Bereichen angewendet wird. 2. Die Ineffektivität

des Verwaltungsrechtsweges

Ich referiere zunächst über die Ineffektivität des Verwaltungsrechtsweges. Der Verwaltungsrechtsweg ist in Japan für das Volk nicht so praktikabel zur Steuerung des Verwaltungshandelns, weil die Hürde der Sachentscheidungsvoraussetzungen zu hoch ist. Hier bedeutet der Verwaltungsrechtsweg hauptsächlich die Anfechtungsklage. a) Der zu enge Begriff des anfechtbaren Verwaltungsakts Der Begriff des anfechtbaren Verwaltungsakts ist auf wichtigen Gebieten zu eng. Zum Beispiel verneint der Oberste Gerichtshof grundsätzlich die Anfechtbarkeit der Stadtplanungsentscheidungen.3 Er bejaht die Anfechtbarkeit nur solcher Stadtplanungsentscheidungen, die auf ein Enteignungsverfahren eine direkte Auswirkung haben.4 Ist dies nicht der Fall, so müssen die einzelnen Entscheidungen, wie Baugenehmigungen, angefochten werden.5 b) Der zu enge Begriff der Klagebefugnis Der Oberste Gerichtshof verneinte die Klagebefugnis der Kläger in einem Fall, in dem die Fischer die einem Kraftwerk erteilte Genehmigung zur Landgewinnung in den umgebenden Fischgründen angefochten hatten, weil die Gesetzesvorschrift, auf Grund derer die betreffende Genehmigung gegeben worden war, keine drittschützende ist. 6 3 4 5 6

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

OGH, Urteil OGH, Urteil grundlegend OGH, Urteil

vom 22.4.1982, Minsyu 36-4-705. vom 26.11.1992, Minsyu 46-8-2658. OGH, Urteil vom 23.2.1966, Minsyu 20-2-271. vom 17.12.1985, Hanrei Jiho, Nr. 1179, S.56ff.

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c) Das zu enge Rechtsschutzinteresse Die japanische Verwaltungsgerichtsordnung kennt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage und ferner die einstweilige Anordnung nicht. Das Gericht gewährt eine aufschiebende Wirkung nur unter sehr engen Voraussetzungen.7 Zum Beispiel verneint der Oberste Gerichtshof ein Rechtsschutzinteresse für die Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigungen oder die stadtplanungsrechtliche Genehmigung zu Erdsockelbefestigungen und Abgrabungen, wenn das Gebäude oder die Tiefbauarbeit bereits fertiggestellt oder vollendet worden ist.8 Nach Meinung des Gerichtshofs hat die Baugenehmigung nur die Wirkung, die Bauarbeiten rechtmäßig beginnen zu können, deswegen ist es nicht möglich, die Baugenehmigung anzufechten, weil diese mit dem Beginn der Bauarbeiten ihre Wirkung verliert. d) Grundsätzliche Verneinung der Verpflichtungsklage Die geltende Verwaltungsgerichtsordnung kennt zwar die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untätigkeit einer Behörde,9 dagegen wird aber die Verpflichtungsklage nicht erwähnt. Auf rechtswissenschaftlicher Ebene mehren sich die Stimmen, die einer Verpflichtungsklage zustimmen,10 aber ein dahingehendes Urteil wurde noch nicht gefällt. e) Fazit Ich möchte wiederholen, daß der Verwaltungsrechtsweg nur schwach ausgestaltet ist, deswegen bleiben die wichtigen Verwaltungsmaßnahmen oft justizfrei, und der Inhalt der Ermächtigungsnormen der wichtigen Verwaltungsmaßnahmen ist oft unklar. 3. Die Verwaltungsvollstreckung Hier referiere ich über die Ineffektivität der Verwaltungsvollstreckung und der Verwaltungsstrafe.

7

Vgl. japanische VwGO, Gyosei Jiken Sosyo-ho 25. Vgl. OGH, Urteil vom 26.10.1984, Minsyu 38-10-1169 (Baugenehmigung); OGH, Urteil vom 10.9.1993, Minsyu 47-7-4955 (stadtplanungsrechtliche Genehmigung). 9 Vgl. japanische VwGO, Gyosei Jiken Sosyo-ho 3 Abs. 5, 37. 10 Vgl. Abe Yasutaka, Gyosei Sosyo Kaikaku Ron, 1993, S. 223 ff, 305 ff. 8

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a) Zwangsmittel Vor dem zweiten Weltkrieg wurden in Japan gesetzlich vier Zwangsmittel vorgesehen: die Ersatzvornahme, das Zwangsgeld, der unmittelbare Zwang und die Zwangsbeitreibung für öffentlich-rechtliche Geldforderungen. Nach dem Krieg wurde der unmittelbare Zwang abgeschafft, weil die durch ihn verursachte Rechtsverletzung zu schwer wog. Das Zwangsgeld wurde aufgrund dessen Wirkungslosigkeit ebenfalls abgeschafft. 11 Nach geltendem Recht gibt es daher nur zwei Zwangsmittel: die Ersatzvornahme und die Zwangsbeitreibung. Hinzu kommt, daß die Ersatzvornahme fast nie eingesetzt wird. Am 20. Juni 1994 wurde die baugesetzliche Ersatzvornahme in Tokyo erstmals gegen ein rechtswidrig errichtetes Gebäude eingesetzt, und das Fernsehen berichtete darüber. Dieses Zwangsmittel der baugesetzlichen Ersatzvornahme wird jedoch nur selten eingesetzt, in Tokyo etwa einmal in zwanzig Jahren. b) Die Verwaltungsstrafe 12 Wenn die verwaltungsrechtlichen Pflichten nicht erfüllt werden, wird man in Japan aufgrund diverser Gesetze bestraft. Die Androhung von Strafe ist ein Versuch, die Erfüllung verwaltungsrechtlicher Pflichten durchzusetzen. Aber tatsächlich wird die Strafe nur in ernsten Fällen auferlegt. Die Gründe dafür sind, daß die Gesetze gegen kleine Gesetzesübertretungen, wie Unterlassung der Anmeldungspflicht, Strafe sogar vorschreiben. Aber für die Anwendung ist es notwendig, Beweise zu sammeln, was sehr schwierig ist. Außerdem existiert bei verwaltungsrechtlichen Pflichtübertretungen, im Unterschied zu Mord und dergleichen, nur ein sehr geringes Schuldbewußtsein. c) Die häufig eingesetzte informelle Verwaltungsanleitung: Gyoseishido Wegen der Ineffektivität der Verwaltungsvollstreckung und der Verwaltungsstrafe haben die Beamten vor Ort viel Sorge und Mühe. Sie überreden die Verpflichteten zur Erfüllung der verwaltungsrechtlichen Obliegenheiten. Diese Überredung ist auch eine Art von Gyoseishido. Ob die Überredung Erfolg hat, ist abhängig vom Willen des Verpflichteten. Der Beamte vor Ort bemüht sich mit Gyoseishido, die Erfüllung verwaltungsrechtlicher Pflichten durchzusetzen.13 Hier ist es notwendig zu beachten, daß Gyoseishido oft mit anderen Mittel ausgeführt wird, und dann ist Gyoseishido keine Überredung mehr, sondern ein selbständiges Zwangsmittel.14 11

Vgl. Tanaka Jiro, Shinpan Gyosei-ho Jokan, 1974, S. 170, Fn.2. Vgl. Abe Yasutaka, Gyosei no Ho-System, 2. Auflage, 1997, S. 445 ff. 13 Vgl. Uga Katsuya, Gyosei Tetsuduki-ho no Riron, 1995, Vorwort und S.299. 14 In Japan wird die Verwaltungsanleitung, das heißt Gyoseishido, häufig und in sämtlichen Bereichen angewandt. Es gibt einerseits erwünschte Verwaltungsanleitungen, aber anderer12

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d) Ein Beispiel für Gyoseishido (informelle Verwaltungsanleitung) Stadtplanungs- und Baurecht ist ein wichtiges Gebiet, in dem die Verwaltungsanleitung häufig angewandt wird. Hier wird der Inhalt und das Verfahren der Verwaltungsanleitung beschrieben und veröffentlicht, allerdings ist die Verwaltungsanleitung keine Rechtsnorm, aber trotzdem für alle gültig. Damit man Gyoseishido, das heißt Verwaltungsanleitung, besser verstehen kann, greife ich die Verwaltungsanleitung auf diesem Gebiet auf. Die Verwaltungsanleitung tritt auf diesem Gebiet in verschiedenen Erscheinungsformen auf. 15 Ich erkläre eine Art von Verwaltungsanleitung zur Erfüllung der verwaltungsrechtlichen Pflichten. In der Zeit, als sich in Japan die Wirtschaft extrem schnell entwickelte, nahm auch die Urbanisierung rasant zu, so daß Städte in der Nähe von Großstädten vor dem Problem vieler rechtswidrig errichteter Gebäude standen. Der folgende Fall ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Der Rat der Stadt Toyonaka, in der Nähe von Osaka, verlangte von der Stadt, daß sie zur Abwehr von rechtswidrig errichteten Gebäuden diese von der Wasserversorgung ausschließe. Auf dieses Verlangen des Rats hin, verfaßte die Stadt Toyonaka ein Schriftstück. Das Schriftstück heißt Shido-yoko und ist eine Art von Verwaltungsanleitung. Die Anweisung in diesem Schriftstück befolgend, lehnte ein Beamter des städtischen Wasserwerks gegenüber einem Bauherrn die Wasserversorgung ab und verfügte ihm gegenüber eine Verwaltungsanleitung in Gestalt von Gyoseishido. Der Beamte begründete die Ablehnung damit, daß der Bauherr zuerst eine Baugenehmigung vorweisen müsse. Der Bauherr wollte jedoch die Genehmigung für einen Anbei erwirken, der rechtswidrigerweise 7,35 m 2 über die Grundstücksfläche hinaus errichtet wurde. Entgegen dieser Verwaltungsanleitung setzte der Bauherr die Arbeiten fort und vollendete sie. seits auch unerwünschte. Deswegen ist es sehr wichtig, die Verwaltungsanleitung zu kontrollieren. Nach der Begriffsbestimmung ist Gyoseishido eine Bitte, und ob die Verwaltungsanleitung Erfolg hat, ist abhängig vom Willen des Verpflichteten. Aber in Wirklichkeit ist die Verwaltungsanleitung oft ein Zwangsmittel sui generis, weil sie zusammen mit anderen Mitteln ausgeführt wird (»Koppelung'). Das Verwaltungsverfahrensrecht von 1993 hat bestimmt, daß der Beamte beachten soll, daß der Erfolg von Gyoseishido von der Freiwilligkeit des Adressaten abhängt (32 Abs. 1), und daß der Beamte den Adressaten nicht deshalb benachteiligen soll, weil dieser sich weigert, die Verwaltungsanleitung zu befolgen (32 Abs. 2). Das Verwaltungsverfahrensrecht bestimmt außerdem, daß der Beamte die Verwaltungsanleitung nicht fortsetzen soll, wenn der Adressat erklärt, daß er nicht beabsichtige, die Verwaltungsanleitung zu befolgen (33). 15 Es existieren 3 Typen der Verwaltungsanleitungen: unterstützende, einschränkende und regulierende Verwaltungsanleitungen (vgl. Shiono Hiroshi, Gyosei-ho, 1999, S. 166f.). Es gibt schon einige bekannte Entscheidungen des OGH über die Verwaltungsanleitungen. Diese Verwaltungsanleitungen betrafen z.B. die Lösung des einzelnen Konflikts, die Geltendmachung des Erschließungsbeitrags und die Verwirklichung der neuen Stadtplanung. 12 Pitschas/Kisa

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Danach erhob der Bauherr eine Schadensersatzklage gegen die Stadt Toyonaka aus dem Grund, daß die Ablehnung der Wasserversorgung das Wasserrecht verletze. Der Oberste Gerichtshof wies die Klage ab. Er begründete sein Urteil damit, daß der Beamte vom städtischen Wasserwerk die Anmeldung zur Wasserversorgung des Bauherrn nicht zurückgewiesen, sondern dem Bauherrn nur geraten hatte, zuerst die Baugenehmigung zu erwirken und sich dann anzumelden.16 In diesem Fall teilte der Beamte vom städtischen Bauamt dem Bauherrn nur die Tatsache der Baugesetzwidrigkeit mit und riet ihm, die rechtswidrige Lage sofort aufzulösen. Zwar stellte das Gesetz den Einstellungs- und Abrißbefehl und sogar die Ersatzvornahme gegen die rechtswidrige Bauarbeit zur Verfügung, aber in diesem Fall wurden diese gesetzlichen Mittel nicht angewendet und bloß die Wasserversorgung abgelehnt. Warum diese gesetzlichen Mittel nicht benutzt wurden? Der Grund dafür war nach Meinung des Berufungsgerichts, daß die gesetzlichen Mittel nicht ausreichend waren, um das Verwaltungsziel wirksam zu erreichen. 17 Ich nehme an, daß die gesetzlichen Mittel als sehr umständlich und kompliziert empfunden wurden. Wenn nämlich die Stadt die gesetzlichen Mittel angewendet hätte, hätte sie gesetzlich auf Verlangen des Bauherrn hin eine öffentliche Anhörung durchführen müssen. 4. Die Nachlässigkeit des Gesetzgebers Ich habe bisher darüber referiert, inwiefern das japanische Verwaltungsrechtssystem nicht gut funktioniert. Der Hauptgrund dafür ist, daß der Gesetzgeber die vielen überdeutlichen Probleme gänzlich unbeantwortet läßt. In Japan bereitet gewöhnlich die Regierung einen Gesetzentwurf vor. Aber ich habe niemals gehört, daß die Regierung, in diesem Fall das Justizministerium, die Reformen des Verwaltungsrechtsweges oder der Verwaltungsvollstreckung untersucht. Die japanische wissenschaftliche Gesellschaft für öffentliches Recht hat diese Probleme bereits thematisiert. 18 Meiner Meinung nach sind die Stadtplanungsentscheidungen die Grundlage für die nachfolgenden Verwaltungstätigkeiten. Deswegen ist es überaus notwendig, daß man die Anfechtbarkeit dieser Entscheidungen anerkennt und die Rechtmäßigkeit solcher Entscheidungen so früh wie möglich feststellt. Erkennt man die Anfechtbarkeit dieser Entscheidungen an, so stellt sich sofort das Problem, was die Rechtswidrigkeitsgründe dieser Entscheidungen sind. Der Inhalt der japanischen Stadtplanung ist nur sehr grob gezeichnet. Damit bleibt es unklar, was das Gericht überprüft. Folglich sollte der Gesetzgeber den Inhalt der Stadtplanungsentscheidungen detailliert festlegen. 16 17 18

Vgl. OGH, Urteil vom 16.7.1981, Minsyu 35-5-930. Vgl. OLG Osaka, Urteil vom 26.9.1978, HanreiJiho, Nr. 915, S.33ff. (37). Vgl. Ko-ho Kenkyu 45, 1983, S. 121 ff; 52, 1990, S. 138ff.

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Ferner machte die Stadt Toyonaka das betreffende Schriftstück nicht zur Satzung, weil das Wasserrecht die Fälle, in denen die Anmeldung zur Wasserversorgung abgelehnt werden kann, zum Beispiel darauf beschränkt, daß es keine Wasserleitungen gibt oder die Wasserversorgung technisch schwierig ist. Die gesetzwidrige Bauarbeit ist aber kein solcher Fall. Aus diesem Grund würde es das Wasserrecht verletzen, wenn die Satzung gesetzwidrige Bauarbeiten den oben genannten Fällen hinzufügen würde. Nach Art. 94 der japanischen Verfassung kann eine Satzung nur in den Grenzen des Gesetzes verfassungsmäßig erlassen werden. Die ein Gesetz verletzende Satzung ist somit verfassungswidrig. Wenn jedoch das Wasserrecht geändert würde, dann dürften solche Satzungen erlassen werden. Hier sehen wir, daß nicht nur der Verwaltungsrechtsweg und die Verwaltungsvollstreckung, sondern auch das materielle Gesetz, wie etwa das Stadtplanungsrecht sowie die mangelnden Befugnisse der Gemeinden, problematisch sind. Es gibt viele Probleme in allen Verwaltungsinstitutionen. Warum haben der Gesetzgeber und die Regierung keine wirksamen Maßnahmen gegen diese Probleme getroffen?

I I I . Hintergründe der Probleme 1. Die zu geringe Bedeutung der japanischen Rechtspflege Ich weiß leider nicht, wie man in einer Gesellschaft die Bedeutung der Verwaltung oder der Rechtspflege messen kann. Es wird aber in Japan davon ausgegangen, daß - anders als in Europa und in Amerika - in Japan die Verwaltung eine größere Rolle als die Rechtspflege spielt. Nach allgemeiner Meinung 19 ist in Japan der Grund hierfür, daß man es zur Verwirklichung der Modernisierung für besser hielt und hält, nicht der Nachprüfung durch das Gericht den Vorzug zu geben, sondern die Energie des Staates auf die Verwaltung zu konzentrieren und die Verwaltung die Politik durchführen zu lassen. Und bisher hat der Regierungsstil in Japan auch gezeigt, daß nicht das Gericht, sondern die Verwaltung schon den Ausgleich der sich gegenüberstehenden Interessen vornimmt, bevor es zum Gang vor das Gericht kommt.

19

Vgl. Muramatsu Michio, Gyosei-gaku Kyokasyo, 1999, S.265; Prof. Jürgen Kühling sagte in einem Symposium in Sapporo, er habe den Eindruck, daß die Rolle der Rechtspflege in der japanischen Gesellschaft gering sei. 12*

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2. Die Einteilung der Verwaltungszuständigkeiten nach besonderen oder fachspezifischen Staatsministerien („Sektionalismus") a) Einige Beispiele für Sektionalismus Beispiel eins: Das Bauministerium versuchte früher einmal, das Baugesetz zu reformieren, um die Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung von gesetzwidrig errichteten Gebäuden verbieten zu können. Aber diese Reform konnte nicht verwirklicht werden, weil das Handelsministerium und das Gesundheitsministerium dagegen opponierten. 20 Beispiel zwei: Die Lösung von Problemen in Stadtteilen gehört in die Befugnis des Bauministeriums, während für Probleme von Ackerland das Ministerium für Landwirtschafts-, Forst- und Seefischereiwesen zuständig ist. Daher ist es schwierig, die städtischen Erschließung und die Erhaltung von Ackerland in Einklang zu bringen. Beispiel drei: Wenn ein Einkaufsmarkt oder ein Großkaufhaus einmal am Stadtrand oder in naher Umgebung einer Stadt gebaut wird, gehen die Geschäfte im Stadtzentrum langsam zugrunde. Die Großkaufhäuser haben auf diese Weise einen großen Einfluß auf die Stadtplanung. Bisher war es aber schwierig, die Stadtplanung und den Bau von den Einkaufsmärkten harmonisch zu koordinieren, weil einerseits das Bauministerium zu Stadtplanung und Sanierung berufen ist, und andererseits das Wirtschaftsministerium für die Einkaufsmärkte zuständig ist. 21 b) Die Gründe für die Mißstände im „Sektionalismus" (der Einteilung der Verwaltungszuständigkeiten nach besonderen oder fachspezifischen Staatsministerien) In Japan schlägt die Regierung fast alle Gesetzentwürfe vor. Der Gesetzentwurf wird vom Kabinett entschieden. Der Kabinettsbeschluß benötigt aus alter Gewohnheit die Einstimmigkeit aller Minister. 22 Die Staatssekretärssitzung vor dem Kabinettsbeschluß ist ein Schlachtfeld der Zuständigkeiten. Es wird hartnäckig gestritten, und eine Einigung unter allen Staatssekretären ist nicht so einfach zu erreichen. 23 Zwar faßt das Kabinett die Staatsverwaltung als Ganzes zusammen und gleicht die sich gegenüberstehenden Interessen zwischen den Staatsministerien aus, aber 20 In Wirklichkeit wiesen die in den Jahren 1969 und 1971 erlassenen Verwaltungsvorschriften der Bau-, Handels- und Gesundheitsministerien die Gouverneure an, die Unternehmer unter bestimmten Umständen aufzufordern, die genannten Versorgungen sich zu vorbehalten. 21 Die betreffende Gesetze wurden im Jahr 1998 so geändert, daß die Gemeinden den Standort der Großkaufhäuser mit der Stadtplanung verknüpfen können. 22 Vgl. Higuchi Yoichi, Kenpo I, 1998, S.291. 23 Vgl. Abe, a. a. Ο. Fn. 12, S. 621.

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der Premierminister kann diese Staatsministerien nur aufgrund des Kabinettsbeschlusses leiten und beaufsichtigen (Kabinettsgesetz 6 und 7). Er hat folglich keine so bedeutende Macht. 24 Und die Mehrheit der Minister im Kabinett müssen Abgeordnete, das heißt Politiker sein (Art. 68 Abs. 1 des japanischen Verfassungsgesetzes). Der Minister, das heißt der Politiker, ist grundsätzlich Leiter seines Ministeriums (Kabinettsgesetz, Art. 3 Abs. 1). Die Staatsverwaltung und die Politik schließen sich somit kurz. Daher agiert der Minister oft als Interessenvertreter des jeweiligen Staatsministerium und bringt seine Interessen ins Kabinett ein. So kann der Premierminister kaum einen zusammenfassenden Interessenausgleich erbringen. Die zuständigen Ausschüsse im Parlament entsprechen ungefähr den einzelnen Staatsministerien. Dem Finanzministerium entspricht der Finanzausschuß und dem Bauministerium entspricht der Bauausschuß, usw.. Die den Parteien angehörenden Abgeordneten wollen zuerst wichtige Ausschußmitglieder werden und dann Minister des dem betreffenden Ausschuß entsprechenden Ministeriums. Die auf diese Weise auftretenden Minister nehmen die Interessen der Staatsministerien wahr. 25 Diese Abgeordneten werden ,Amigo-Abgeordnete 4 (,Zoku-Giin' auf japanisch) genannt. Die Staatsministerien und die Regierung tendieren dazu, die Probleme möglichst nicht durch Gesetze, sondern mittels Budgets, Ministerialverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Verwaltungsanleitungen zu lösen. Und bei der Gesetzgebung versuchen die Staatsministerien, die Probleme möglichst innerhalb der eigenen Zuständigkeiten zu erledigen. Somit kann kein umfassendes Gesetz entstehen. Es ist sehr schwer, ein mit vielen Staatsministerien zusammenhängendes Gesetz durchzubringen. 26 „Sektionalismus" ist nach Angaben eines Wissenschaftlers „der schlimmste Krebs, der der japanischen Verwaltung schadet".27 Im letzten Bericht der Sitzung für die Verwaltungsreform von 1997 wurde festgestellt, daß es die Aufgabe der Verwaltungsreform ist, die Unzulänglichkeiten der Gesamtregulierung aufgrund von „Sektionalismus" zu überwinden. 28 3. Die Einflüsse der Internationalisierung a) Die Internationalisierung allgemein Japan wurde schon immer vom Ausland beeinflußt. Selbst in der 200 Jahre dauernden Zeit der Abschottungspolitik wußte Japan durch Dejima und Hirado über die Situation im Ausland Bescheid. In der Zeit der Me//7-Restauration (von 1868 bis 1912) wurden Kultur und Rechtssysteme aus dem Ausland eingeführt, um den un24 25 26 27 28

Vgl. Abe, a.a.O. Fn. 12, S.619; vgl. auchShiono, Gyosei-ho III, 1995, S.50ff. Vgl. Endo Hiroya, Gyosei-ho Kakuron, 1977, S.28ff. Vgl. Abe, a. a. Ο. Fn. 12, S. 619 ff. Vgl. Abe, a. a. Ο. Fn. 12, S. 622 und 630. Vgl. Muramatsu, a. a. Ο. Fn. 19, S. 78 ff.

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gleichen Zustand zu beenden. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde und wird Japan überwiegend von Amerika beeinflußt. Europa und Amerika sind das stete Ziel Japans gewesen. In diesem Sinn ist die japanische Geschichte eine Geschichte der Internationalisierung. Aber als es der japanischen Wirtschaft gelang, die Flaute nach der Ölkrise von 1973 zu überwinden und sie nach dem ,Plaza4-Übereinkommen von 1985 sogar eine rasche Entwicklung erfuhr, wurde immer öfter die Ansicht ausgesprochen, daß Japan Europa und Amerika überholt habe. Ich glaube, das trifft nur auf Teilgebiete der Wirtschaft zu. Zur Zeit gibt es einige Punkte, in denen sich Japan Europa und Amerika zum Vorbild nehmen kann. Nämlich darin, daß Europa und Amerika die Internationalisierung bereits verwirklicht haben. Europa und Amerika sind, unter dem Gesichtspunkt der Moderne und der Industrialisierung, bereits Gesellschaften mit einem hohen Altenanteil, die ein ihnen entsprechendes und zu ihnen passendes System aufgebaut haben. Und sie sind Gesellschaften, in denen die Rolle des Rechts viel bedeutender ist als in Japan. In bezug auf diese Punkte bieten Europa und Amerika Japan immer noch wichtige Informationen. b) Die Internationalisierung auf dem Gebiet der Verwaltung Die Internationalisierung beeinflußt das japanische Verwaltungsrechtssystem. Der ausgewogene Außenhandel gab Amerika Anlaß dazu, viele Forderungen, wie zum Beispiel die Vergrößerung der Inlandsnachfrage, an Japan zu richten. Deswegen vereinfachte Japan viele Regulierungen und förderte die Privatisierung. Dadurch entstanden Firmen wie die Japanische Tabak AG (JT), Nippon Telegraph und Telephone (NTT) und Japan Railroad AG (JR). Und in der Flaute nach der ,Bubble Economy4 hat die japanische Regierung eine tatsächliche Deregulierung gefördert, um das Konkurrenzprinzip einzuführen und wirtschaftliche Tätigkeiten zu aktivieren. Hoffentlich wird sich durch die Deregulierung der japanische Regierungsstil ändern und der Schwerpunkt damit von der Verwaltung zum Gericht mehr und mehr übergehen. 4. Das grundlegende Gesetz von 1998 zur Reform der Staatsministerien: die Beseitigung der Mißstände, entstanden durch ,Sektionalismus' a) Das Ziel der Verwaltungsreformen Die Hauptaufgabe der ersten Verwaltungsreform von 1962 war es, der Verwaltung zu ermöglichen, effektiv zu arbeiten. In den 80er Jahren war die Hauptaufgabe zu bestimmen, wie weit die Aufgaben der Verwaltung gehen. Und jetzt gilt es, die

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Politik zu aktivieren. In jedem Fall ist es das Ziel, die immense bürokratische Macht der riesigen Staatsministerien einzuschränken. Die Verwaltungsreform plant dafür eine Dezentralisierung und Einteilung der Verwaltungszuständigkeiten der Staatsministerien in drei Bereiche, nämlich das Parlament, die lokalen öffentlichen Körperschaften und den Markt. b) Das Entstehen des grundlegenden Gesetzes von 1998 zur Reform der Staatsministerien29 Dieses Gesetz erklärt (nicht regelt und definiert, sondern nur erklärt) die Förderung der Privatisierung, der Deregulierung und der Dezentralisierung (4 Nr. 3, 32). Das Gesetz unterscheidet zwischen der Aufgabe der Planung und der Durchführung des Plans, sodann wird die Durchführung einem Sonderamt außerhalb des Ministeriums oder einer neuen unabhängigen Verwaltungseinheit überlassen. Die Staatsministerien übernehmen damit nur die Aufgabe der Planung (16) und werden dadurch beweglicher (,schlanker Staat'). Dieses grundlegende Gesetz soll das Staatsbeamtensystem reformieren. Das Gesetz versucht, das Ausscheiden des einzelnen Beamten vernünftig zu gestalten (48). Es ist ein Verfahren, in dem durch die Staatsministerien den Beamten nach ihrem Ausscheiden eine andere Stellung vermittelt wird. Bisher war es üblich, daß der Staatsbeamte nach 20 Jahren, also noch in den 40ern seiner Lebensjahre, Abschied nimmt. 30 Das wird damit begründet, daß es notwendig sei, den zukünftigen Kandidaten für das Amt des Staatssekretärs auf eine einzige Person zu beschränken. Warum? Ich bin nicht sicher, aber ich habe gehört, daß sich damit die Bürokratie die Selbständigkeit der Entscheidung, wer Staatssekretär wird, gegenüber den Politikern sichern kann.31 Aufgrund dieses Systems ist es für den einzelnen Staatsbeamten sehr wichtig, nach dem Ausscheiden eine andere Stellung zu finden. Bisher vermittelten die einzelnen Staatsministerien den Beamten eine andere Stellung und deswegen halten die Staatsbeamten den einzelnen Staatsministerien die Treue. Das grundlegende Gesetz versucht, dieses System zu verbessern. Wie? Das ist noch nicht klar. Schließlich schreibt das Gesetz die Stärkung des Kabinetts vor. Wie oben erwähnt, ist ein Grund für die Mißstände durch ,Sektionalismus' der, daß die Zuständigkeit, also Macht des Kabinetts, vor allem des Premierministers, nicht so ausgeprägt ist. 29

Vgl. Uga Katsuya, Die Verwaltungsreform im grundlegenden Gesetz zur Reform der Staatsministerien, in: Hogaku Kyoshitsu, 1998, Nr. 217, S.4ff. 30 Vgl. O'hashi Yoichi, Der von oben diktierte Personalwechsel (Amakudari auf japanisch) und die Verwaltungsrechtslehre, in: Hogaku Kyoshitsu, 1998, Nr. 211, S. 32ff. (33). 31 Vgl. auch Sakamoto Masaru, Staatsbeamte', in: Nishio/Muramatsu (Hrsg.), Koza Gyosei-gaku, Bd. 2,1994, S.75 ff. (109 ff). Ein anderer Gesichtspunkt, vgl. Inatsugu Hiroaiki, Nippon no Kanryo Jinji System, 1996, S.44f.

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Das grundlegende Gesetz versucht diese Punkte zu verbessern (Abschnitt 2). Und bisher konnten die Mitglieder der Regierung den einzelnen Ministern in den Diskussionen im Parlament helfen. Aber die Parlamentsgesetze wurden geändert und dieses System wurde grundsätzlich abgeschafft. Von diesem Jahr an werden die Informationen in den Staatsministerien bei den Ministern zusammenlaufen. Wenn außerdem das Vizeministersystem im Jahr 2001 eingeführt wird, wird dadurch die Macht der Minister gestärkt. 32 Die Steuerung der gesamten Verwaltung durch die Abgeordneten würde von diesen Reformen verbessert. IV. Zusammenfassung Zuerst habe ich über die fundamentalen Mißstände des geltenden japanischen Verwaltungsrechtssystems referiert. Vor allem sind das der Verwaltungsrechtsweg und die Verwaltungsvollstreckung. Und es gibt viele Mißstände auch im Stadtplanungsrecht usw. Das ist ein Grund dafür, daß die Verwaltungsanleitung, das heißt Gyoseishido, häufig und in sämtlichen Bereichen angewendet wird. Und ich habe den Grund dafür aufgezeigt, warum diese Mißstände nicht beseitigt werden können, nämlich wegen der Nachlässigkeit des Gesetzgebers. Der bisherige Regierungsstil sowie der , Sektionalismus4 sind verantwortlich dafür, daß sich der Gesetzgeber mit den Unzulänglichkeiten nicht auseinandersetzen kann. Der bisherige Regierungsstil heißt, daß man es für die Verwirklichung der Modernisierung für besser gehalten hat, anstatt der Nachprüfung durch das Gericht den Vorzug zu geben, die Energie des Staates auf die Verwaltung zu konzentrieren und die Verwaltung die Politik durchführen zu lassen. Danach habe ich die jetzt laufenden Verwaltungsreformen aufgegriffen. Vor allem habe ich das grundlegende Gesetz von 1998 zur Reform der Staatsministerien vorgestellt. Ich habe darüber spekuliert, was dieses Gesetz reformieren wird und welchen Einfluß dieses Gesetz auf die Mißstände des Verwaltungssystems haben wird. Mit der Zeit wird die Bedeutung des Rechts und der Rechtspflege sowie auch die des Verwaltungsrechts größer werden. Die Reformen der wichtigsten Bereiche des Verwaltungsrechtssystems werden in Zukunft thematisiert werden. Diese meine Vermutung ist optimistisch, vielleicht zu optimistisch. Wenn der japanische Gesetzgeber nachlässig bleibt, kommt diese Verwaltungsrechtsreform nicht voran. Dazu kann jedoch das grundlegende Gesetz von 1998 zur Reform der Staatsministerien in gewissem Maße beitragen. Es ist aber gleichzeitig notwendig zu untersuchen, wie man die Gesetzgebung vorantreibt. Anstatt, daß wie bisher fast nur von Bürokraten, wie zum Beispiel Staatssekretären, via Kabinett Gesetzesvorschläge im Parlament eingereicht werden, sollten nunmehr auch Abgeordnete selbst Gesetzesvorschläge zunehmend einbringen können.33 32 33

Vgl. Muramatsu, a.a.O., Fn. 19, S.51 und 55. Vgl. Igarashi Keiki, Giin Rippo, 1994.

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Das grundlegende Gesetz von 1998 hat die Zuständigkeit, also Macht, des Premierministers und des Kabinettssekretariats verstärkt. Wenn das Personal des Sekretariats aber vorwiegend aus den Staatsministerien kommt, dann wird der Premierminister in seinem Handeln unbeweglich bleiben. Und ob der Minister im Verein mit dem Vizeminister den Bürokraten entgegentritt, ist abhängig davon, wer zum Vizeminister ernannt wird. Das Ernennungsrecht steht nicht dem Premierminister zu, sondern dem Kabinett.34 Wenn die sich gegenüberstehenden Politiker zum Minister und Vizeminister ernannt werden, dann entsteht eine Lage, die die Bürokratie ausnutzt und die Lage wird immer schlechter. Außerdem geht mit der letzten Dezentralisierung keine Übertragung der Einnahmequellen einher. 35 Die lokalen öffentlichen Körperschaften müssen noch mehr Aufgaben erfüllen, aber sie haben kein Geld. Deswegen ist es möglich, daß die Staatsministerien die lokalen öffentlichen Körperschaften noch stärker kontrollieren und die Politiker noch mehr Geld von den Staatsministerien zu den lokalen öffentlichen Körperschaften mitbringen oder transferieren. Wenn eine schnelle Deregulierung nicht durchgefühlt wird, dann nimmt die Macht der Staatsministerien nur langsam ab. Das Ziel der Verwaltungsreformen ist eigentlich, die immense bürokratische Macht der riesigen Staatsministerien einzuschränken. Aber die letzte Verwaltungsreform hat in Wirklichkeit nur besonders große Staatsministerien geschaffen. Die Umorganisierung der Staatsministerien ist zunächst verwirklicht. 36 Doch hat man sich nicht an die richtige Reihenfolge gehalten. Die Dezentralisierung und Einteilung der Verwaltungszuständigkeiten der Staatsministerien in drei Bereiche, nämlich das Parlament, die lokalen öffentlichen Körperschaften und den Markt, sollten zuerst erfüllt werden. Ob diese Schritte nachher richtig durchgeführt werden, entscheidet über Erfolg oder Mißerfolg der jetzigen Verwaltungsreform.

34 Vgl. Verwaltungsorganisationsrecht der Staatsministerien, Kokka Gyosei Soshiki-ho (im Januar 2001 in Kraft), 16 Abs. 5. 35 Der entscheidende Grund dafür ist, daß die Übertragung der Einnahmequellen den Unterschied der finanziellen Kraft unter den Gemeinden vergrößert (vgl. Ushijima Tadashi, Gendai no Toshi Keiei, 1999, S. 192). Über eine Methode, die den Unterschied der finanziellen Kraft unter den Gemeinden nicht vergrößert, vgl. Jin'no Naohiko/Kaneko Masaru (Hrsg.), Chiho ni Zeigen wo, 1998, S. 161 ff und 196ff. 36 Vgl. Das grundlegende Gesetz zur Reform der Staatsministerien (Abschnitt 3) und das Verwaltungsorganisationsrecht der Staatsministerien, Kokka Gyosei Soshiki-ho (im Januar 2001 in Kraft),3 und Anlage 1.

Die Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts bei der Modernisierung und Internationalisierung des Staates Von Jan Ziekow Wenngleich der Titel des Beitrags anderes verheißt: Die Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts bei der Modernisierung und Internationalisierung des Staates wird im Rahmen der folgenden Überlegungen kaum definitiv ermittelt werden können. Zunächst handelt es sich um die Verknüpfung von drei Faktoren, nämlich Allgemeines Verwaltungsrecht, Modernisierung und Internationalisierung, die nicht einen sicheren Bestand aufweisen. Begreift man das Allgemeine Verwaltungsrecht - zumindest auch - als Auftrag \ so ist es wie die beiden anderen Faktoren Prozeß. Die Interdependenzen dieser Prozesse liegen nicht fest, sondern sind durch Ungleichzeitigkeiten mitgeformt. Die Variationsbreite möglicher Verknüpfungsvorstellungen ist dementsprechend groß. Weiterhin sind die Vorgänge, deren Verbindung zueinander zu erarbeiten ist, ihrerseits äußerst komplex und auf eine Vielzahl von Kontextbedingungen bezogen. Die Begriffe „Modernisierung" und „Internationalisierung" kennzeichnen generelle Transformationsprozesse, deren Ursachen und Inhalte historisch äußerst divergent sein können. Schon die Stein/Hardenbergschen Reformen in Preußen nach 1807 werden gemeinhin als bürokratisches Modernisierungsprogramm gewertet.2 Insoweit wird es für die Zwecke dieser Beschreibung einer thematischen Eingrenzung bedürfen. Gleiches gilt für den Begriff der Internationalisierung. Zur Kennzeichnung über- und zwischenstaatlicher Verflechtungen wird mittlerweile ein beachtliches terminologisches Arsenal aufgeboten. Genannt sei hier nur neben der Internationalisierung die Transnationalisierung, Regionalisierung, Supranationalisierung und Globalisierung. Schließlich ist auch der Inhalt der Frage nach der Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts bei der Modernisierung und Internationalisierung des Staates durchaus ambivalent. Sie kann zum einen verstanden werden als Suche nach der Fähigkeit des Allgemeinen Verwaltungsrechts zur Verarbeitung außerrechtlicher - jedenfalls außerhalb des nationalen Rechts liegender - Prozesse. Zum anderen aber kann die Fragestellung in den Zusammenhang 1 Eberhard Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht vor den Herausforderungen neuer europäischer Verwaltungsstrukturen, in: Haller/Kopetzki/Novak (Hrsg.), Staat und Recht, FS Günter Winkler, 1997, S. 995 (1000); ders., Zur Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Die Verwaltung 27 (1994), S. 137 (141). 2 Zusammenfassend Jan Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 1997, S. 142 ff. m. w. Nachw.

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des Problems der Steuerungsfähigkeit und -leistung des Verwaltungsrechts gestellt werden. I. Die Bedeutung der Internationalisierung für die öffentliche Verwaltung Will man sich dem Begriff der Internationalisierung in seinem Zusammenhang mit der Entwicklung des Verwaltungsrechts nähern, so sind grundsätzlich zwei Ebenen zu unterscheiden. Die erste ist die normative Ebene, wie sie im Grundgesetz fundiert worden ist. Ihre Betrachtung reicht jedoch nicht aus, um funktionale Veränderungen des verwaltungsrechtlichen Normzusammenhangs hinreichend zu erfassen. Hinzutreten muß vielmehr als zweite Ebene eine wirklichkeitswissenschaftliche Wahrnehmung der Wandlung von staatlichen Handlungskontexten. Soll das Allgemeine Verwaltungsrecht Medium für die Steuerung von Verwaltung sein, so muß es auf die Realbedingungen rückbezogen bleiben. Ohne Erfassung der Grundlinien der Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung können funktionsadäquate Verhaltensprogramme nicht reformuliert werden. Die Entscheidung des Grundgesetzes für die internationale Offenheit, für eine offene Staatlichkeit ist bereits hinreichend gewürdigt worden 3 und soll deshalb hier nur gestreift werden. Sie wird einer Gesamtschau der Präambel des Grundgesetzes und der Artikel 1 Abs. 2,9 Abs. 2,23,24, 25 sowie 26 GG entnommen und beinhaltet die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, sich als friedliches Glied in die Völkergemeinschaft einzuordnen.4 Scharniere dieser Öffnungsentscheidung sind in erster Linie die Art. 23 und 24 GG, die für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union sowie auf zwischenstaatliche und grenznachbarschaftliche Einrichtungen und die Beschränkung von Hoheitsrechten bei der Einordnung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit Konkretisierungen enthalten. Beide Vorschriften sind normative Reaktionen auf Verflechtungserscheinungen und Interdependenzen, denen durch verfassungsrechtliche Öffnungsklauseln Rechnung getragen werden soll.5 Ungeachtet der zahlreichen Fragen, die mit der Auslegung der Art. 23 und 24 GG im einzelnen verknüpft sind, läßt sich als Leitgedanke der Abschied von nationalstaatlicher Introversion und die Hinwendung zu ei3

Grundlegend Klaus Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964; weiterhin Ulrich Fastenrath, Die „Internationalisierung" des deutschen Grundgesetzes - wie weit trägt die Entgrenzung des Verfassungsstaats?, in diesem Band; Christian Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1978), S.7ff.; dersDie staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, 1992, § 172; Friedrich Frhr. Waitz von Eschen, Grundgesetz und internationale Zusammenarbeit, BayVBl. 1991, S.321 ff. 4 Vgl. BVerfGE 63, S.343 (370); Ondolf Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd.2,3. Aufl. 1995, Art.24 Rn. 1; Rudolf Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 1999, Art.24 Rn.6. 5 Vgl. Albrecht Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 1998, Art.24 Abs.I Rn.2.

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nem internationalen Kooperationsverbund formulieren. 6 Europäische Integration und internationale Zusammenarbeit sind Staatsziele, die für alle staatlichen Organe verbindlich sind.7 Sie haben in den Grenzen ihrer jeweiligen Zuständigkeit überstaatliche Kooperationsformen als Handlungsoption zu erwägen und sachadäquat einzusetzen.8 Grenzüberschreitend kooperative Staatlichkeit ist in diesem Rahmen Verfassungsauftrag. Mit diesen Andeutungen ist die normative Ebene von Internationalisierung selbstverständlich nicht ausgeschöpft. Die Übertragung von Hoheitsrechten hat - vor allem im Zuge der europäischen Integration - weitreichende Einflüsse auf die Entstehung miteinander verflochtener Rechtsschichtungen und die nationale Rechtsgestaltung. Diesen Phänomenen wird später am Beispiel einzelner Referenzfelder des Allgemeinen Verwaltungsrechts nachzugehen sein. Zureichend zu erfassen sind sie nur auf der Folie einer umfassend verstandenen Internationalisierung von Politik. Diese Internationalisierung ist eingebunden in den weitergreifenden Prozeß der Globalisierung. Natürlich ist Vorsicht bei der Verwendung dieses Begriffs geboten, der nicht zu Unrecht als „Modewort" bezeichnet wird. 9 Einigkeit besteht im wesentlichen nur darüber, daß das, was mit diesem „Modewort" gemeint ist, „die Karten politischer und wirtschaftlicher Strukturen neu" mischt10. Das Mischen von Karten ist allerdings kein Zustand, sondern ein Vorgang, so daß entscheidend zunächst die Einsicht in den Prozeßcharakter von Globalisierung ist. In der britischen wirtschaftswissenschaftlichen Forschung wird zu Recht darauf hingewiesen, daß das Konzept einer globalisierten internationalen Wirtschaft einen Idealtypus bezeichnet. „Globalisierung" ist danach ein Arbeitsbegriff, der Balanceveränderungen zwischen internationalen ökonomischen Aktivitäten und Wirtschaftspolitik auf nationaler bzw. regionalisierter Ebene erfassen soll. 11 Zu beachten ist weiterhin, daß „Globalisierung" nicht auf die ökonomische Perspektive verengt werden kann. Das Bemühen, definitorische Gemeinsamkeiten aus der Globalisierungsdiskussion herauszukristallisieren, setzt an beim Verständnis von Globalisierung als multidimensio6

Vgl. Tomuschat, Die staatsrechtliche Entscheidung (Anm. 3), Rn. 2. Hermann Mosler, Die Übertragung von Hoheitsgewalt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, 1992, § 175 Rn. 8; Randelzhof er (Anm. 5) Art. 24 Abs. I Rn. 17; Rojahn (Anm. 4) Art. 23 Rn. 3, Art. 24 Rn. 8; Karl-Peter Sommermann, Staatsziel „Europäische Union", DÖV 1994, S. 596ff.; Vogel (Anm. 3) S.42ff. 8 Rojahn (Anm. 4) Art. 24 Rn. 7. 9 So Thomas Straubhaar, Unternehmen und Staaten: Internationaler Leistungswettbewerb der immobilen um die mobilen Faktoren - Neue Maßstäbe für innerstaatliche Strukturveränderungen?, in: Hilterhaus/Scholz (Hrsg.), Rechtsstaat-Finanzverfassung-Globalisierung, 1998, S. 37 (38). 10 Straubhaar (Anm. 9) S. 38. 11 Paul Hirst/Grahame Thompson, Globalisierung? Internationale Wirtschaftsbeziehungen, Nationalökonomien und die Formierung von Handelsblöcken, in: Beck (Hrsg.), Politik der Globalisierung, 1998, S.85 (89ff., 130f.). 7

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nalem Entgrenzungsprozeß. Er erfaßt alle Relations- und Transaktionsebenen, also Wirtschaft, Politik, Kultur, Sozialwesen, Sicherheit, Umweltgestaltung etc., in ihrem Raum-, Zeit-, Organisations- und Hierarchiekontext. 12 In dieser Transformation bilden sich transkontinentale oder interregionale Netzwerke, die neben weiteren Akteuren weltweit operieren. 13 Die englischsprachigen Sozialwissenschaften sprechen insoweit von einem „polyarchic mixed actor system".14 Für den Nationalstaat hat diese Verbindung von Entgrenzung und internationaler Vernetzung einen Funktionswandel zur Folge, über dessen Reichweite sich trefflich streiten läßt. Als weitestgehend gesichert kann mittlerweile angenommen werden, daß die autonome Regulierungsfähigkeit des Staates zwar abnimmt, jedoch nicht in allen Sektoren. Insoweit bedarf es einer genauen Politikfeldanalyse. 15 Der Nationalstaat verläßt nicht die Bühne internationaler Politik, er bleibt vielmehr einer der Akteure mit den größten Machtressourcen. Gleichwohl haben sich die Regeln des Spiels „Internationale Politik" geändert. Mitspieler sind nicht mehr nur Staaten, sondern eine Vielzahl von Formationen und Organisationen. Zu nennen sind weltweit operierende internationale Organisationen und Regime wie UN, Weltbank, WTO etc., regionale Organisationen wie EU, NAFTA, APEC, ASEAN usw., internationale Unternehmen, Berufsverbände und Interessengruppen, soziale Bewegungen und das breite Band der sog. NGOs, der Non-Government Organizations. Sie alle agieren weiträumig, verflochten in der internationalen Politik und bilden ein Interdependenzsystem.16 Die staatliche Politik wird zur Entwicklung von Strategien eines Interdependenz-Managements gezwungen. Die überkommenen Handlungsmuster hoheitlicher Regulierung und intergouvernementaler Zusammenarbeit greifen nur noch bedingt. Die sich daraus für die Politik ergebenden Herausforderungen sind unter dem Stichwort „governing without government" formuliert worden. 17 Sie bestehen in erster Linie darin, nationale Politik in internationale Verhandlungssysteme einzubringen und sie so zu internationalisieren. 18 Der aus der Vernetzung resul12 Vgl. Harald Germann/Silke Raab/Martin Setzer, Messung der Globalisierung: ein Paradoxon, in: Steger (Hrsg.), Facetten der Globalisierung, 1999, S. 1 (4f.); David Held! Anthony McGrew/David Goldblatt/Jonathan Perraton, Global Transformations, 1999, S. 15 f.; Jonathan PerratoniDavid Goldblatt/David Held/Anthony McGrew, Die Globalisierung in der Wirtschaft, in: Beck (Hrsg.), Politik der Globalisierung, 1998, S. 134 (136f.). 13 Germann/Raab/Setzer (Anm. 13) S.5. 14 Heidt McGrew I Goldblatt/Perraton (Anm. 12) S.50. 15 Vgl. als Beispiele Fritz W. Scharpf' Globalisierung als Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten nationalstaatlicher Politik, JNPÖ 17 (1998), S.41 ff.; Martin Weckwerth, Die Handlungsfähigkeit des Staates vor dem Hintergrund der Internationalisierung von Unternehmen, 1998, S.98ff.; Christian von Weizsäcker, Logik der Globalisierung, 1999. 16 Dazu Held/McGrew/Goldblatt/Perraton (Anm. 12) S.49ff.; Beate Kohler-Koch/ Michèle Knodt, Konzepte der politischen Steuerung in einer globalisierten Welt, in: Steger (Hrsg.), Facetten der Globalisierung, 1999, S. 235 ff. 17 Exemplarisch Wolf gang H. Reinicke, Global Public Policy. Governing without Government?, 1998. 18 Dazu und zu den Problemen Guy Kirsch!Gerhard Lohmann, Globalisierung: Chaos oder legitime Anarchie?, in: Steger (Hrsg.), Facetten der Globalisierung, 1999, S. 257 ff.; Kohler-

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tierenden Abhängigkeit korrespondieren neue Chancen der Politik in Form von netzbeeinflussenden Initiativen.19 Die Formulierung staatlicher Politik in policy networks zeigt einerseits deutlich erkennbar die Tendenz zur Institutionalisierung, deren Mittel das Recht ist. 20 Ausdruck dieser rechtsförmlichen Vernetzung ist das enorme Ansteigen der Zahl der sog. IGOs - Intergovernmental Organizations - in jüngerer Zeit. 21 Sowohl unterhalb als auch neben dieser institutionalisierten Ebene besteht andererseits die Ebene kooperativer Kommunikationsnetzwerke, die informal und hochaktiv Arbeitsebenen verflechten. 22 In den Worten Klaus Königs: „Es hat sich ein dichtes Netzwerk direkter Wechselbeziehungen zwischen politisch-administrativen Untereinheiten der Nationalstaaten über die Grenzlinien hinweg entwickelt... (, das) weitgehend in den Händen von Ressorts und Fachverwaltungen" liegt. 23 Diese auf der Basis transgouvernementaler Kooperation funktionierenden Netze werden für das Handeln der nationalen Verwaltungen an Bedeutung weiter zunehmen. Entsprechende Implementationsherausforderungen kommen auf das Verwaltungsrecht zu. Eine Aufgabe könnte beispielsweise die Aufnahme und Absicherung der Offenheit der Kooperationsnetzwerke sein. Beispiel ist die Strukturierung projektbezogener Verhandlungssysteme zur Flankierung des Prozeßcharakters der Zusammenarbeit. 24 Fokussiert zeigen sich diese Verflechtungen in Regionalisierungsprozessen. Wenngleich das Verhältnis von Globalisierung und Regionalisierung noch weiterer Diskussion bedarf, kann jedenfalls unter den gegenwärtigen Bedingungen Regionalisierung auch als Strategie verstanden werden, Handlungsfähigkeit im GlobalisieKoch/Knodt (Anm. 16) S. 235 ff.; Beate Kohler-Koch, Die Welt regieren ohne Weltregierung, in: Böhret/Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert - zwischen Globalisierung und Regionalisierung, 1993, S. 109 ff.; diesJCornelia Ulbert, Internationalisierung, Globalisierung und Entstaatlichung, in: Hasse (Hrsg.), Nationalstaat im Spagat: Zwischen SupraStaatlichkeit und Subsidiarität, 1997, S.53ff.; Fritz W. Scharpf \ Legitimationsprobleme der Globalisierung, in: Böhret/Wewer, a.a.O., S. 165ff.; dersDemokratie in der transnationalen Politik, in: Beck (Hrsg.), Politik der Globalisierung, 1998, S. 228 ff. Zu Folgerungen für die Verfassungsdiskussion vgl. Christian Walter, Die Folgen der Globalisierung für die europäische Verfassungsdiskussion, DVB1. 2000, S. 1 (2ff.). 19 Rainer Pitschas, Zukunft des Rechts: Spontane und organisierte Rechtsentwicklung - Herausbildung einer neuen Architektur des global praktizierten Rechts?, in: Hilterhaus/ Scholz (Hrsg.), Rechtsstaat-Finanzverfassung-Globalisierung, 1998, S.55 (56). 20 Kohler-Koch/Knodt (Anm. 16), S.244; Pitschas (Anm. 19) S.55. 21 Held/McGrew/Goldblatt/Perraton (Anm. 12) S.53. 22 Held/McGrew/Goldblatt/Perraton (Anm. 12) S. 53. 23 Klaus König, Internationalität, Transnationalität, Supranationalität - Auswirkungen auf die Regierung, in: Hartwich/Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik V, 1993, S.235 (236). 24 Klaus König, Organisation und Prozeß: Zur Internationalisierung des Regierens, in: Böhret/Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert - zwischen Globalisierung und Regionalisierung, 1993, S. 143 (157).

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rungsprozeß zu erhalten bzw. zurückzugewinnen.25 Beispiel für einen regionalen Zusammenschluß mit hohem Integrationsgrad ist die Europäische Union. Für die Realität von Verwaltung weist die Supranationalisierung die Besonderheit auf, daß ein Mehrebenensystem ohne zentrale Steuerungsinstanz entsteht.26 Die der Integration gestellte Aufgabe der Verwaltung des Unionsraumes weist auf die Verfaßtheit der Union als Verwaltungsgemeinschaft hin. 27 Geprägt ist diese Verwaltungsgemeinschaft durch ein Netz von Kooperationsbeziehungen in vertikaler Dimension zwischen der Gemeinschaftsadministration und mitgliedstaatlicher Verwaltung und in horizontaler Ausrichtung zwischen den Verwaltungen der Mitgliedstaaten. Die Verwaltung des Mehrebenensystems erfolgt ebenenübergreifend. 28 Der Austausch von Informationen, die Einbindung in Verfahren durch Unterrichtung oder andere Formen sowie institutionelle Kooperationen diffundieren das dem gegenwärtigen Verwaltungsrecht zugrundeliegende Trennungsprinzip, 29 von dem noch zu handeln sein wird (unten IV1). Die Kommunikationslinien werden von den nationalen Verwaltungen in abnehmendem Maße ressortübergreifend gezogen, sondern verlaufen - häufig auch informal - zwischen den Fachverwaltungen. Auf nationaler Ebene sind diese sektoralen Versäulungen als „Fachbruderschaften" bekannt.30 Dabei handelt es sich nicht allein um sachbezogene Kooperationsstrukturen. Vielmehr sind kooperative Vernetzungen ein Mittel, um den durch den Aufgabenzuwachs der supranationalen Organisation bedingten Verlust in der Definitionsmacht öffentlicher Angelegenheiten durch Beteiligung an den einschlägigen Entscheidungsprozessen zu kompensieren.31 Sollen sich diese Kooperationsstrukturen funktional entwickeln, so bedürfen sie der Ordnung. 32 Denn der Hauptgrund für Kooperationsprobleme im Mehrebenensystem wird in der Inkompatibilität der Regel25 Vgl. - auch zu den Konfliktlinien zwischen Globalisierung und Regionalisierung -Erhard Forndran, Globalisierung und Regionalisierung: Möglichkeiten und Grenzen der Konfliktbearbeitung, in: Βlöcker/Heyder/Mangels-Voegt, Die Reformfähigkeit von Staat und Gesellschaft. FS für Klaus Lompe zum 60. Geb., 1997, S.265 (267 f.); Kohler-Koch/Knodt (Anm. 16) S.244; Pitschas (Anm. 19) S. 56f. 26 Arthur Benz, Verwaltungskooperation im Mehrebenensystem der Europäischen Union, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S.45 (46). 27 Rainer Pitschas, Strukturen des europäischen Verwaltungsrechts - Das kooperative Sozial- und Gesundheitsrecht der Gemeinschaft, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 123 (127); Eberhard Schmidt-Aßmann, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, in: Schmidt-Aßmann/HoffmannRiem, a.a.O., S.9 (12). 28 Pitschas (Anm. 27) S. 127; Schmidt-Aßmann (Anm. 27) S. 14f. 29 Schmidt-Aßmann (Anm. 27) S. 17 ff. 30 Klaus König, Auswirkungen der europäischen Integration auf die öffentliche Verwaltung, in: Hofmeister (Hrsg.), Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung, 1991, S. 29 (38 f.). Vgl. auch Heinrich Siedentopf '/Christoph Hauschild, Europäische Integration und die öffentlichen Verwaltungen der Mitgliedstaaten, DÖV 1990, S.445 (449). 31 König (Anm. 30) S. 36; Pitschas (Anm. 27) S. 125. 32 Benz (Anm. 26) S.46.

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systeme gesehen, denen die kooperierenden Akteure unterworfen sind.33 Hier ergeben sich ebenso Verarbeitungsaufgaben für das Verwaltungsrecht wie bei der Bewältigung punktueller Verwaltungsvorgänge mit grenzüberschreitender Wirkung, die unabhängig vom Mehrebenensystem erfolgt. Beispiele finden sich insbesondere in unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit bei Anlagenzulassungen und Planungen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen. 34 II. Aspekte der Verwaltungsmodernisierung Internationalisierung und Modernisierung des Staates stehen in einem engen Zusammenhang. Die auf Kooperation angelegte internationale Offenheit des deutschen Verfassungsstaates läßt nicht nur internationale Einflüsse bewußt zu, sondern gibt dem Staat auch die Wahrnehmung einer Gestaltungsverantwortung für die inter· und supranationale Kooperation auf. Beide Aspekte zwingen zu einer ständigen Überprüfung der Implementations- und Kooperationsfähigkeit staatlicher Organisations- und Handlungszusammenhänge. Die Dynamisierung von Globalisierung erzeugt einen verstärkten Modernisierungsdruck. Im nach wie vor aktuellen Ziel der „Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland" hat diese Beziehung sinnfälligen Ausdruck gefunden. Es wäre allerdings ein Mißverständnis, staatliche Modernisierung als bloßes Globalisierungsfolgephänomen zu begreifen. Ein derart punktuelles Verständnis wird dem Phänomen „Modernisierung" nicht gerecht. Modernisierungsfähigkeit ist eine Überlebensfrage von Organisationen schlechthin. Modernisierung ist die der Organisation permanent gestellte Aufgabe, Probleme und Krisensituationen zu erkennen und durch Reproduktion und Innovation der bestehenden institutionellen Bedingungen und Handlungsmuster zu bewältigen.35 In diesem Sinne ist staatliche Modernisierung ein Prozeß, der komplexe Strukturumbrüche und Zielvorgaben zu integrieren sucht.36 Dieser prozeßhafte Charakter, diese potentielle Endoffenheit von Modernisierung macht ihre Erfassung schwierig. Die Kontextbindung von Modernisierung erschwert die Entwicklung universaler Strategien. Rechtsvergleichende Untersuchungen zeigen, daß beispielsweise theoretische Konzepte der Institutionentransformation in der Umsetzung schnell an die 33 Vgl. Arthur Benz, Mehrebenen-Verflechtung, in: Benz/Scharpf/Zintl, Horizontale Politikverflechtung, 1992, S. 147ff.; ders. (Anm.26) S.50ff. 34 Vgl. Susan Grotefels, Gemeinsame grenzüberschreitende Regionalplanung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem Grenznachbarstaat, DVB1. 1993, S. 349 ff.; Horst Heberlein, Das Karlsruher Übereinkommen, DVB1.1999, S. 1244 ff.; Wilfried Kaiser, Grenzüberschreitende Planung, 2. Aufl. 1993; Michael Vogel, Rechtsfragen bei der grenzüberschreitenden Planung von Eisenbahnanlagen, in: Blümel/Kühlwetter (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts III, 1998, S.83ff. 35 Joachim Jens Hessel Arthur Benz, Die Modernisierung der Staatsorganisation, 1990, S. 13. 36 Helmut Klages, Modernisierung als Prozeß, in: Lüder (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung der Zukunft, 1998, S. 153 ff.

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Grenzen des historisch gewachsenen Aufgabenbestandes stoßen.37 Eine Modernisierung des Staates mag deshalb zwar im wissenschaftlichen Diskurs entwickelt und beispielsweise in den Ansätzen des New Public Management diskutiert werden. Gleichwohl bleibt Modernisierung - im Zusammenhang des vorliegenden Beitrages verstanden als Modernisierung von öffentlicher Verwaltung - ein von der jeweiligen Kultur und dem politischen Institutionengefüge eines Landes abhängiger Prozeß.38 Übergreifende Trends lassen sich nur durch eine verwaltungswissenschaftliche vergleichende Wirkungsforschung ermitteln. Selbst die Konzentration auf die Diskussion über die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland übersteigt den hier zur Verfügung stehenden Raum bei weitem. Zu vielschichtig sind die Maßnahmen, die unter den Leitbegriff „Modernisierung" gestellt werden. Mit Blick auf das Thema dieses Vortrags sollen daher einige Bereiche herausgegriffen werden, die für die Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts im Modernisierungsprozeß exemplarisch sind. Dies sind verschiedene Elemente des sog. Neuen Steuerungsmodells, Privatisierung, Deregulierung, Selbststeuerung sowie Verfahrensbeschleunigung. Dazu müssen an dieser Stelle einige allgemeine Kennzeichnungen genügen. Ein zentrales Element des sog. Neuen Steuerungsmodells39 ist die Orientierung am Ergebnis von Verwaltungsprozessen, das als Produkt verstanden wird. Die Definition des Produkts soll sich vor allem am Steuerungsinteresse von Politik und Verwaltungsführung sowie am Kundeninteresse des Bürgers ausrichten. Der Bürger wird nicht mehr als Adressat hoheitlicher Befehlsgewalt, sondern als Kunde verstanden, der Dienstleistungsprodukte nachfragt. 40 Die Haushaltserstellung soll sich in Form eines output-orientierten Budgets an den Katalog der Produkte anlehnen. Folge ist die Kongruenz von S ach- und Ressourcenverantwortung: Die Verantwortung für das Budget wird dezentralisiert und dem für die Erreichung des Sachziels Verantwortlichen übertragen. 41 Der Dezentralisierung der Ergebnis- und Ressourcenverantwortung entspricht eine dezentrale Organisationsstruktur mit abgeflachten Hierarchieebenen. Die Koordination der dezentralisierten Einheiten erfolgt nicht 37

Hesse/Benz (Anm. 35) S. 225 ff.; Elke Löffler, Verwaltungsmodemisierung im internationalen Vergleich, 1998, S.264; zum Problem auch Klaus König/Natascha Fiichtner, Von der Verwaltungsreform zur Verwaltungsmodernisierung, in: dies. (Hrsg.), „Schlanker Staat" - Verwaltungsmodernisierung im Bund, 1998, S.3 (5 ff.). 38 Löffler (Anm. 37) S.8. 39 Dazu und zum folgenden: KGSt-Bericht, Das Neue Steuerungsmodell, Bericht 5/1993; Hermann Hill, Potentiale und Perspektiven der Verwaltungsmodemisierung, in: Lüder (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung der Zukunft, 1998, S. 129 ff.; Klaus König/Joachim Beck, Modernisierung von Staat und Verwaltung, 1997; Frieder Naschold, Modernisierung des Staates, 2. Aufl. 1994, S. 74 ff.; Olaf Otting, Neues Steuerungsmodell und rechtliche Beurteilungsspielräume, 1997; Christoph Reichard, Umdenken im Rathaus: neue Steuerungsmodelle in der deutschen Kommunalverwaltung, 1996. 40 Helmut Klages, Kundenorientierung in der öffentlichen Verwaltung, in: ders., Verwaltungsmodernisierung: „harte" und „weiche" Aspekte II, 1998, S. 121 ff. 41 Dazu Thomas Clauß, Budgetierung im Neuen Steuerungsmodell, V M 1999, S. 298 ff.

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mehr im Wege einseitig-hierarchischer Anordnung, sondern primär über Zielvereinbarungen. Sie werden zunächst zwischen Politik und Verwaltung über die zukunftsgerichteten Zielvorgaben getroffen, wobei der Verwaltung das „Wie" der Zielverwirklichung überlassen bleibt. Diese Zielvereinbarungen zwischen Politik und Verwaltung sind eingebunden in ein umfassendes Kontraktmanagement als kooperatives Steuerungsinstrument. Es zont die Vereinbarungen bis herunter auf die Ebene des einzelnen Sachbearbeiters, mit dem die zu erbringenden Ergebnisse ebenfalls vereinbart werden. 42 Die Zielevaluation erfolgt durch Installation eines Controllingsystems mit einem zielbezogenen Berichtswesen.43 Den gewandelten Anforderungen an das Personal soll ein umfassendes Personalmanagement Rechnung tragen, das im Wege der Personalentwicklung den Einsatz der Personalressourcen optimiert, einen kooperativen Führungsstil verwirklicht und Strategien der Mitarbeitermotivation entwickelt.44 Weitere Schwerpunkte der Modernisierungsdiskussion sind die Felder Privatisierung, Deregulierung und Selbststeuerung. Sie waren wesentliche Elemente der Abschlußempfehlungen des Sachverständigenrats „Schlanker Staat".45 Privatisierung wird insoweit als sektorale Reaktion im Rahmen einer umfassend gebotenen substantiellen Aufgabenkritik verstanden. Deren Leitlinie soll die Rückführung staatlicher Verantwortlichkeit auf einen Bestand von Kernaufgaben sein. Grundsatz ist dabei der Vorrang der privaten vor der öffentlichen Aufgabenerledigung. Der Staat müsse von allen Aufgaben entlastet werden, die er nicht bestmöglich erfüllen kann.46 42 Dazu Anita Guth, Zielvereinbarungen, V M 1999, S.96ff.; Hermann Hill, Die Veränderung von Handlungsspielräumen durch kommunales Kontraktmanagement, in: Ziekow (Hrsg.), Handlungsspielräume der Verwaltung, 1999, S. 139ff.; Hermann Pünder, Zur Verbindlichkeit der Kontrakte zwischen Politik und Verwaltung im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells, DÖV 1998, S. 63 ff.; Gunnar Robert Schwarting, Die Veränderung von Handlungsspielräumen durch kommunales Kontraktmanagement, in: Ziekow (Hrsg.), a. a. O., S. 131 ff.; Maximilian Wallerath, Kontraktmanagement und Zielvereinbarungen als Instrumente der Verwaltungsmodernisierung, DÖV 1997, S.57ff. 43 Hermann Hill!Helmut Klages, Controlling im Neuen Steuerungsmodell, 1996; Herbert König, Controlling in der öffentlichen Verwaltung, VOP 1994, S. 158 ff.; Klaus Lüder, Verwaltungscontrolling, DÖV 1993, S. 265 ff.; Ralph-Peter Rembor, Controlling in der Kommunalverwaltung, 1997; Thomas R. Wolf, Politisches Controlling im kommunalen Kontraktmanagement, VR 1999, S. 131 ff. 44 Vgl. in diesem Zusammenhang Helmut Klages, Leistungsmotivation durch Anreize?, in: ders., Verwaltungsmodemisierung: „harte" und „weiche" Aspekte, 3. Aufl. 1999, S. 143 ff.; ders., Modernisierung der Personalentwicklung, in: ders., a.a.O., S. 125 ff.; dersJThomas Gensicke, Anreize als Instrument der Motivierung von Mitarbeitern, Die innovative Verwaltung 5/1997, S. 30ff.; dies., Führungsstil der Verwaltung im Wandel, VOP 8/1996, S. 34ff.; Helmut Klagest Gabriele Hippler, Mitarbeitermotivation als Modernisierungsperspektive, 1991; Rainer Pitschas, Verwaltungsmodemisierung im Gegenlicht der rechtsstaatlich-demokratischen Amts- und Dienstverfassung, V M 1998, S. 324 ff. 45 Sachverständigenrat „Schlanker Staat", Abschlußbericht, 1997, S. 15 ff., 56ff., 74ff., 90ff. 46 Sachverständigenrat (Anm. 45) S. 59ff.; zur Bedeutung der Aufgabenkritik vgl. etwa Hans Peter Bull, Wiedergewinnung von Handlungsspielräumen durch Aufgabenkritik?, in: Ziekow (Hrsg.), Handlungsspielräume der Verwaltung, 1999, S. 33 ff.

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An das Verwaltungsrecht ergibt sich daraus die Forderung, ein Abwicklungs- und Gewährleistungsregime zur Verfügung zu stellen. Deregulierung geht als Ziel über die Reduzierung des Normenbestandes hinaus. Auch hier steht die Kritik der Staatsaufgaben im Vordergrund. Die Notwendigkeit von Regulierungen mit daran anschließenden Vollzugsaufgaben für die Verwaltung muß überprüft werden. Zur Erreichung des verfolgten Ziels nicht erforderliche Vorschriften müssen unterbleiben. 47 Anlaß zur Deregulierung besteht nach diesem Konzept insbesondere dann, wenn selbstregulative Modelle einsetzbar sind. Unter Selbstregulierung ist dabei nicht etwa der resignative Rückzug des Staates, die Überlassung der Aufgabe an das freie Spiel der gesellschaftlichen Kräfte zu verstehen. Selbstregulierung meint nicht den Steuerungsverzicht, sondern die bewußte Instrumentalisierung gesellschaftlicher Freiwilligkeit zur Erfüllung öffentlicher Zwecke.48 Insoweit wirken Staat und Private bei der Zielerreichung zusammen, allerdings aus unterschiedlichen Motiven. Der Staat nutzt das Kooperationsverhältnis zur Realisierung öffentlicher Interessen, der Private zur Verfolgung eigennütziger Ziele. 49 Die Rollenverteilung differiert je nach der dem Staat verbliebenen Steuerungskapazität. Der Verzicht auf den Rückgriff auf imperative Handlungsoptionen als solcher indiziert keinen Kapazitätsmangel. Kooperative Verwirklichungsmodi sind vielmehr Steuerungsstrategien, die aus staatlicher Sicht Ressourcen schonen und Private von staatlichem Regulierungsdruck entlasten.50 Anders allerdings stellt sich der faktisch alternativlose Einsatz von Selbstregulierungsmechanismen dar. Beispiel ist die geringer werdende Verhandlungsmacht des Staates gegenüber internationalen Unternehmen. In der Analyse des Ökonomen sprengt „die Globalisierung ... die Territorialität nationalen Rechts. >Staatlichkeit< läßt sich nicht mehr administrativ anordnen. Technologische Fortschritte haben die Kosten des Exit gesenkt, damit Macht und Willkür politischer Entscheidungsträger eingeschränkt". 51 Mit zunehmender geographischer Mobilität der Unternehmen verlagern sich die Steuerungskapazitäten weg von hierarchischen Steuerungsebenen und hin zu einer angebotsorientierten Standortpolitik. Da sich die Standortwahl und -beibehaltung nicht erzwingen läßt, treten kooperative Steuerungsmuster in den Vordergrund. 52 Dem Verwaltungsrecht kommt die Funktion zu, den staatlichen Part des selbstregulativen Kooperationsverhältnisses in die Formensprache des Rechts zu übersetzen. 47

Sachverständigenrat (Anm. 45) S. 15 f. Udo Di Fabio , Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S.235 (238); Matthias Schmidt-Preuß, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S. 160 (165); Hans-Heinrich Trute, Die Verwaltung und das Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVB1. 1996, S. 950 (955). 49 Schmidt-Preuß (Anm. 48) S. 166. 50 Vgl. Sachverständigenrat (Anm. 45) S.93; Schmidt-Preuß (Anm. 48) S. 170. 51 Straubhaar (Anm. 9) S.44. 52 Vgl. Weckwerth (Anm. 15) S.98ff. 48

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Eine aus normativer Perspektive zentrale Rolle für die Standortfrage ist der Beschleunigung und Vereinfachung von Verwaltungsverfahren, insbesondere von Planungs- und Genehmigungsverfahren zugedacht worden. Die zeitliche Dauer und Transparenz von Verwaltungsverfahren werden als Faktoren begriffen, die für unternehmerische Investitions- und Standortentscheidungen von Bedeutung sind.53 Der Beschleunigungseffekt kann einerseits durch Gesetzesnovellierungen54, andererseits durch Änderungen der Aufbau- und Ablauforganisation 55 angestrebt werden. Bezugspunkt der Verfahrensbeschleunigung ist aber nicht allein das von einer Behörde durchgeführte Verfahren bis zum Erlaß der behördlichen verfahrensabschließenden Entscheidung. In standortpolitischer Betrachtung ist „Verfahren" vielmehr auch das sich an ein behördliches ggf. anschließende gerichtliche Verfahren. Beschleunigungsmaßnahmen sollen daher den Zeitraum verkürzen, der bis zur gesicherten Realisierbarkeit einer Behördenentscheidung reicht. 56 Straffungen des gerichtlichen Verfahrens stehen deshalb ebenfalls im Dienste der Verfahrensbeschleunigung.57 I I I . Funktionen des Allgemeinen Verwaltungsrechts In der Einleitung dieses Beitrags ist das Allgemeine Verwaltungsrecht als Auftrag, als Prozeß bezeichnet worden. Es läßt sich kaum verbergen, daß dieses Verständnis Schmidt-Aßmanns Grundlegungen zum Allgemeinen Verwaltungsrecht als offenem System verpflichtet ist: „Das allgemeine Verwaltungsrecht ist (in den Worten Schmidt-Aßmanns)... kein Gebiet der Statik, sondern der Flexibilität." „Neue Theorieansätze werden in seinem Rahmen diskutiert und erprobt." 58 Das damit gezeichnete Bild des Allgemeinen Verwaltungsrechts zeigt kreative Unruhe, Experimentierfreudigkeit, Innovationsoffenheit - um einen weiteren Leitbegriff der aktuellen Diskussion59 zu verwenden. Allerdings darf sich diese Skizze nicht ungeteilter Zustimmung gewiß sein. Die Bewertungsdiskrepanzen entstehen daraus, daß das 53

Sachverständigenrat (Anm. 45) S. 173 ff. Zusammenfassend Annette Guckelberger, Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 17 ff. 55 Vgl. Jan Ziekow, Zügige Verwaltungsverfahren, in: ders. (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S.51 (66 ff.). 56 Zu dieser Frage Ziekow (Anm. 55) S. 64 ff. 57 Vgl. Sachverständigenrat (Anm.45) S. 178 f. 58 Schmidt-Aßmann, Zur Funktion (Anm. 1), S. 137. 59 Verwendet ζ. B. von Wolf gang Hoffmann-Riem, Ermöglichung von Flexibilität und Innovationsoffenheit im Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S.9ff.; Reiner Schmidt, Flexibilität und Innovationsoffenheit im Bereich der Verwaltungsmaßstäbe, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), a. a. O., S. 67 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Flexibilität und Innovationsoffenheit als Entwicklungsperspektiven des Verwaltungsrechts, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), a. a. O., S. 407 ff. 54

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Allgemeine Verwaltungsrecht eben nicht das Verwaltungsrecht ist, sondern hierzu erst in der Ergänzung durch das Besondere Verwaltungsrecht wird. Die Verteilung der Rollen zwischen Allgemeinem und Besonderem ist leitend für die Bestimmung der Funktionen des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Dessen dynamisches Potential wird durchaus unterschiedlich wahrgenommen. Für Hoffmann-Riem ist der „Innovationspool", das „Regulierungslaboratorium der Rechtsordnung" das Besondere Verwaltungsrecht. 60 Das Allgemeine Verwaltungsrecht spielt damit den Part des tagespolitischer Aufgeregtheit entrückten ruhenden Gegenpols, des Dauerhaften, Verläßlichen.61 Zwar wird eingeräumt, daß das Allgemeine Verwaltungsrecht als System anpassungs- und aufnahmefähig bleiben muß. Jedoch wird weiterhin die Rückkoppelung an bereichsübergreifende Trends des Besonderen Verwaltungsrechts eingefordert. 62 Die referierten unterschiedlichen Gewichtungen des dynamischen Potentials des Allgemeinen Verwaltungsrechts sind natürlich nicht in dem Sinne exklusiv, daß sie sich gegenseitig ausschließen. Sie dürften vielmehr unterschiedliche Modelle der Bewältigung von Transformationsphänomenen widerspiegeln, welche komplementär eingesetzt werden können. Die überkommene und nach wie vor berechtigte Bestimmung des Verhältnisses zwischen Allgemeinem und Besonderem Verwaltungsrecht könnte als vertikales Modell bezeichnet werden. In ihm stehen allgemeines und besonderes Recht in einem gestuften Interdependenzverhältnis von Induktion und Deduktion. Das Besondere Verwaltungsrecht ist das Recht des an Sachgesetzlichkeiten orientierten Sonderrechts. Es soll sektoral spezifische Problemlagen unterschiedlicher Aufgabenbereiche bewältigen.63 Wegen der Differenziertheit der Sachmaterien entsteht ein Speicher von vielartigen Lösungsmustern, die auf ihre Generalisierbarkeit durchgemustert werden. Durch Reduktion bereichsspezifischer Erscheinungsformen entstehen verallgemeinerungsfähige Grundmuster. Deren Abstraktion ermöglicht die Entwicklung bereichsübergreifender Regelungsmodelle, die in allen oder doch mehreren Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts Anwendung finden. 64 Das Innovationspotential des Allgemeinen Verwaltungsrechts ergibt sich danach primär aus seiner Rezeptionsoffenheit. Neue Entwicklungen auf den Feldern des 60

Hoffmann-Riem (Anm. 59) S. 16. Winfried Brohm, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL 30 (1972), S.245 (255); Thomas Groß, Die Beziehungen zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen Verwaltungsrecht, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 1999, S.57 (72). 62 Groß (Anm. 61) S.73f. 63 Vgl. Franz-Joseph Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1998, Rn. 60; Rainer Wahl, Vereinheitlichung oder bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht?, in: Blümel (Hrsg.), Die Vereinheitlichung des Verwaltungs Verfahrensrechts, 1984, S. 19 (45). 64 Groß (Anm. 61) S. 70ff.; Hoffmann-Riem (Anm. 59) S. 16; Peter-Michael Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1997, S.5f.; Fritz Ossenbühl, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Die Verwaltung 32 (1999), S.97. 61

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Besonderen Verwaltungsrechts signalisieren einen Anpassungsbedarf, den das Allgemeine Verwaltungsrecht durch Bereitstellung breit einsetzbarer Regelungsmuster befriedigt. 65 Diese in Permanenz zu erbringende Adaptionsleistung rechtfertigt es, das Allgemeine Verwaltungsrecht als Prozeß zu begreifen. Entscheidende Bedeutung kommt dabei der Zusammenstellung des auf seine Transferierbarkeit durchzumusternden sektoralen Materials zu. Die Auswahl der sog. Referenzgebiete des Besonderen Verwaltungsrechts prägt die Themen des Allgemeinen Verwaltungsrechts nachhaltig. Starrheit oder Flexibilität des Allgemeinen Verwaltungsrechts hängen davon ab, ob keinen durchgreifenden Wandlungen unterworfene Bereiche oder unter hohem Innovationsdruck stehende Aufgabenfelder auf ihren Entwicklungshorizont untersucht werden. Zur Verarbeitung auf die Verwaltung zukommender neuer Herausforderungen ist das Allgemeine Verwaltungsrecht nur dann fähig, wenn ein Mix entsprechend repräsentativer Referenzgebiete gelingt.66 Die originäre Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts im vertikalen Modell besteht in der durch Abbreviatur bewirkten Speicherleistung. Die Transformation von Regelungsmustern von der Ebene des Besonderen auf die des Allgemeinen reduziert Komplexität.67 Das Allgemeine Verwaltungsrecht hält Bausteine vor, die eine vertypte Bewältigung vergleichbar strukturierter Problemkonstellationen ermöglichen. Die Speicherkapazität dieser Bausteine ist groß genug, um auch bisher nicht aufgetretene Fragen zu erfassen. 68 Beispiel ist die Ausdifferenzierung der Handlungsformenlehre. Die vertypten Handlungsformen bilden einen Speicher, der bei gelungener klassifikatorischer Zuordnung ein bestimmtes Normenregime anwendbar macht. Die Qualifizierung einer Verwaltungsmaßnahme als Verwaltungsakt führt zu den gesetzlichen Regelungen über die Bestandskraft, die Aufhebung, Anfechtung etc. Für nicht einer bestimmten Handlungsform zuordenbare Maßnahmen können strukturelle Ähnlichkeiten ermittelt und vergleichend Lösungswege entwickelt werden. 69 Das Interdependenzverhältnis des Allgemeinen Verwaltungsrechts zum Besonderen Verwaltungsrecht, d. h. seine Abstraktionsleistung einerseits und seine Aus65

Groß (Anm. 61) S.73; Hoffmann-Riem (Anm. 59), S. 16. Grundlegend Eberhard Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, in; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 11 (14f.); ders., Zur Funktion (Anm. 1), S. 148ff.; ders., Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, S. 8 ff.; vgl. auch Wolf gang HoffmannRiem, Verwaltungsrechtsreform - Ansätze am Beispiel des Umweltschutzes - , in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), a. a. O., S. 115 (117). 67 Vgl. Ludwig K. Adamovich!Bernd-Christian Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1987, S.73. 68 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht (Anm. 66), S.4f. 69 Walter Pauly, Der Regelungsvorbehalt, DVB1. 1991, S. 521 (522); Rainer Pitschas, Entwicklung der Handlungsformen im Verwaltungsrecht, in: Blümel/Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 229 (238 f.); Eberhard Schmidt-Aßmann, Die Lehre von den Rechtsformen des Verwaltungshandelns, DVB1. 1989, S.533. 66

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Strahlungswirkung auf die Materien des Besonderen Verwaltungsrechts andererseits, prädestiniert das Allgemeine Verwaltungsrecht als Brücke zwischen verschiedenen Abstraktionsebenen. Zwischen Verfassung und bereichsspezifischen Sonderregelungen ist das Allgemeine Verwaltungsrecht der „Transmissionsriemen", der die Vorgaben des Verfassungsrechts bis in die sektorale administrative Handlungspraxis hinein befördert. 70 Dies gilt auch für die Entscheidung des Grundgesetzes für die internationale Offenheit (dazu oben I). Der Verfassungsauftrag zur grenzüberschreitend kooperativen Staatlichkeit gibt zwar die zu wählende Steuerungsebene nicht vor, richtet sich jedoch auch an die transmittorische Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts. An seine Grenzen stößt das vertikale Modell, wenn die Bereitstellungsfunktion des Rechts in die Betrachtung einbezogen wird. Sie weist auf die Funktion des Verwaltungsrechts hin, ein als legitim empfundenes, rechtsstaatlich geordnetes, sachadäquate Entscheidungen produzierendes, bürgernahes und effektives Verwaltungshandeln zu ermöglichen. Das Recht muß die hierfür erforderlichen Rechtsformen, Institute, Verfahren und Organisationstypen bereitstellen. Methodisch ergibt sich daraus die Forderung nach einer aufgaben- und funktionenorientierten Betrachtungsweise: Das Verwaltungsrecht hat danach zu fragen, welche Funktionen und Aufgaben die Verwaltung zu erfüllen hat, und dasjenige bereitzustellen, damit sie dafür ausreichend gerüstet ist. 71 Diesen Aufgaben- und Wirklichkeitsbezug vermag das vertikale Modell nicht zu integrieren. Versteht man das Allgemeine Verwaltungsrecht allein als Abstraktions- und Systematisierungsordnung, so wird der Wirklichkeitsbezug durch die Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts vermittelt. 72 Doch wird eine solche Betrachtungsweise der Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts nicht mehr gerecht. Dem vertikalen Modell muß ein horizontales Modell an die Seite gestellt werden. In ihm stehen Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht nebeneinander. Die Implementation von Innovationen vollzieht sich nicht zwangsläufig stufenförmig durch Abstraktion. Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht ergänzen sich vielmehr gegenseitig. Direkte Steuerungsleistungen sind regelmäßig durch das Besondere Verwaltungsrecht zu erbringen, während beim Allgemeinen Verwaltungsrecht die indirekte Steuerungsleistung in den Vordergrund rückt. 73 Für die Erfüllung der Bereitstellungsaufgabe ist die Steuerungsebene zu wählen, die die größere Aufgabengerechtigkeit bietet. Die sich durch In70 Schmidt-Aßmann, Zur Funktion (Anm. 1), S. 140; dersDas allgemeine Verwaltungsrecht (Anm. 66), S. 5; Rainer Wahl, Die Aufgabenabhängigkeit von Verwaltung und Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 177 (212); ders. (Anm. 63) S.44. 71 Gunnar Folke Schuppert, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S.65 (96 f.). 72 In diesem Sinne Wahl (Anm. 70) S. 211 f. 73 Schuppert (Anm.71) S.97f.

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ternationalisierung und Modernisierung stellenden Herausforderungen bieten Beispiele für die „rezeptionsleitende" 74 oder - allgemeiner - innovationsleitende Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Auf internationaler und europäischer Ebene erforderliche Kooperationsstrukturierungen wären unter Kompatibilitätsgesichtspunkten auf der Ebene des Allgemeinen Verwaltungsrechts anzusiedeln. Schon jetzt vollziehen sich die Prozesse der Europäisierung des Verwaltungsrechts nicht zum wenigsten über Figuren des Allgemeinen Verwaltungsrechts (unten IV1). Auch für die Verrechtlichung zentraler Elemente des Neuen Steuerungsmodells erscheint das Allgemeine Verwaltungsrecht vorzugswürdig. Der aufgabenbezogene und wirklichkeitswissenschaftlich angebundene Umbau des Verwaltungsrechts bedarf des Allgemeinen Verwaltungsrechts als Steuerungsmedium.75 IV. Die rechtliche Verarbeitung von Internationalisierungsund Modernisierungsprozessen Der durch die Internationalisierung und die Bestrebungen zur Modernisierung des Staates für das Allgemeine Verwaltungsrecht erzeugte Verarbeitungsbedarf ist enorm. Im Rahmen des vorliegenden Beitrags können allenfalls wenige Grundlinien skizziert werden. 1. Die Internationalisierung, insbesondere Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts a) Implementationsanforderungen der Internationalisierung Blickt man auf die Herausforderungen, die durch die Globalisierung und die Internationalisierung nationaler Politik formuliert werden (dazu ο. I), so sind die bislang meßbaren Einflüsse auf das Allgemeine Verwaltungsrecht erstaunlich gering. Am unmittelbarsten feststellbar sind sie im Bereich rechtlicher Verflechtungen und internationaler Rechtsregime wie der WTO, die einen Anpassungsbedarf auch für das nationale Verwaltungsrecht erzeugen. Der Implementationsdruck auf das deutsche Allgemeine Verwaltungsrecht ist jedoch gering. Grund hierfür ist - wie in anderen Industriestaaten mit hochentwickelten Verwaltungssystemen - 7 6 die Speicherleistung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, die genügend Kapazität zur Verarbeitung neuer Aufgaben in vorhandenen Organisations- und Prozeßstrukturen be74 Schmidt-Aßmann, Zur Funktion (Anm. 1), S. 141 f.; ders., Das Allgemeine Verwaltungsrecht (Anm. 66), S.6f. 75 Rainer Pitschas, Allgemeines Verwaltungsrecht als Teil der öffentlichen Informationsordnung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S.219 (223). 76 Vgl. dazu Thomas J. Schoenbaum, The Impact of the New World Trade Organization (WTO) on Constitutional and Administrative Structures, in: Pitschas (Hrsg.), Entwicklungen des Staats- und Verwaltungsrechts in Südkorea und Deutschland, 1998, S.247 (251).

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reithält. Hier wird es darum gehen, die Entwicklung im Auge zu behalten und notwendige Anpassungsschritte rechtzeitig zu unternehmen. Das Verwaltungsrecht muß die Verwaltung in die Lage versetzen, unter den Bedingungen internationaler Vernetzung agieren zu können. Dies stellt zum einen methodische Anforderungen: Die Rechtsvergleichung wird auch im Allgemeinen Verwaltungsrecht stärkere Aufmerksamkeit beanspruchen.77 Ihre Aufgabe ist es, auf netzwerkadäquate Strukturkompatibilitäten zu achten. Der Gedanke eines „Internationalen Verwaltungsrechts" 78 ist aus seinen kollisionsrechtlichen Bindungen zu lösen und im Sinne eines sektoralen Netzwerkregimes fortzuentwickeln. Zum anderen muß das Verwaltungsrecht der Verwaltung die Netzwerkskooperation offenhalten. Der Verwaltung ist eine Kommunikationsordnung zur Verfügung zu stellen, die ihr eine rechtlich verfaßte Partizipation an grenzüberschreitenden Informationsflüssen ermöglicht. 79 Der organisations- und handlungsbezogene Rahmen muß so flexibel gestaltet werden, daß ein effektives Agieren in Verhandlungssystemen mit Projektbezug erfolgen kann. Denn wie alle Netzwerke verbinden auch administrative Vernetzungen Marktmerkmale - nämlich die Existenz unabhängiger Akteure - mit Hierarchieelementen - der Fähigkeit zu gemeinsamer Zielverfolgung. 80 Doch handelt es sich insoweit um Netzwerke zwischen Leistungsorganisationen, deren Primärziel in der Erbringung spezifischer Leistungen besteht.81

77 Zur Bedeutung der Rechtsvergleichung Hoffmann-Riem (Anm. 59) S. 17 f.; Irena Lipowicz, Rechtsvergleichende Perspektiven der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 1999, S. 155 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Zur Europäisierung des allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens. FS für Peter Lerche zum 65. Geb., 1993, S. 513 (517 ff.); Friedrich Schoch, Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 1999, S. 135 (152f.); Karl-Peter Sommermann, Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Fortentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in Europa, DÖV 1999, S. 1017 ff.; Christian Starck, Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, JZ 1997, S. 1021 ff. 78 Aus der Diskussion: Franz Matscher, Gibt es ein Internationales Verwaltungsrecht?, in: Sandrock (Hrsg.), FS für Günther Beitzke, 1979, S. 641 ff.; Karl Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4,1936; weiterführend Klaus Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965. 79 Zur Rolle des Allgemeinen Verwaltungsrechts als Kommunikationsordnung Pitschas (Anm. 75) S. 241 f. 80 Zum Begriff des Netzwerks Renate Mayntz, Policy-Netzwerke und die Logik von Verhandlungssystemen, in: Héritier (Hrsg.), Politicy-Analyse, 1993, S.39 (44f.). 81 Zu dieser Kategorisierung Dorothea Jansen, Interorganisationsforschung und Politiknetzwerk, in: Jansen/Schubert (Hrsg.), Netzwerke und Politikproduktion, 1995, S.95.

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b) Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts Wesentlich weiter fortgeschritten ist die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts.82 Die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft verankert diesen Prozeß primär normativ. Dies ist berechtigt, soweit es um die Überformung des nationalen Verwaltungsrechts durch europäisches Gemeinschaftsrecht geht. Eine pro82

Aus der überbordenden Literatur Michael Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 1996; Sabino Cassese, Der Einfluß des gemeinschaftsrechtlichen Verwaltungsrechts auf die nationalen Verwaltungsrechtssysteme, Der Staat 33 (1994), S.25ff.; Claus Dieter Classen , Strukturunterschiede zwischen deutschem und europäischem Verwaltungsrecht, NJW 1995, S.2457 ff.; ders., Die Europäisierung des Verwaltungsrechts, in: Kreuzer/Scheuing/Sieber (Hrsg.), Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, 1997, S. 107 ff.; ders., Das nationale Verwaltungsverfahren im Kraftfeld des europäischen Gemeinschaftsrechts, Die Verwaltung 31 (1998), S. 307 ff.; Thomas von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996; Thomas Dünchheim, Die Europäisierung der Verwaltungsrechtsordnung, VR 1996, S. 181 ff.; Dirk Ehlers, Die Einwirkungen des Rechts der Europäischen Gemeinschaften auf das Verwaltungsrecht, DVB1. 1991, S. 605 ff.; Christoph Engel, Die Einwirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das deutsche Verwaltungsrecht, Die Verwaltung 25 (1992), S. 437 ff.; S. Gonzâles-Varas, Probleme des europäischen Verwaltungsrechts, SächsVBl. 1997, S. 173 ff.; Hermann Hill, Einwirkungen europäischen Rechts auf Verwaltungsrecht und Verwaltungshandeln in Deutschland, ThürVBl. 1992, S.251 ff.; Stefan Kadelbach, Der Einfluß des EG-Rechts auf das nationale Allgemeine Verwaltungsrecht, in: von Danwitz/Heintzen/Jestaedt (Hrsg.), Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, 1993, S. 131 ff.; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1999; Eckart Klein, Der Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das Verwaltungsrecht der Mitgliedstaaten, Der Staat 33 (1994), S.39ff.; Rudolf Mögele, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht - wechselseitige Einwirkungen, BayVBl 1993, S. 552 ff.; Hans-Jürgen Papier, Die Einwirkungen des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das nationale Verwaltungs- und Verfahrensrecht, in: Die Bedeutung der Europäischen Gemeinschaften für das deutsche Recht und die deutsche Gerichtsbarkeit, 1989, S. 51 ff.; Hans-Werner Rengeling, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht - Wechselseitige Einwirkungen, VVDStRL 53 (1994), S.202ff.; Georg Ress, Verwaltung und Verwaltungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Einfluß des europäischen Rechts und der europäischen Gerichtsbarkeit, in: Burmeister (Hrsg.), Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung in Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland, 1991, S. 199ff.; Dieter H. Scheuing, Europarechtliche Impulse für innovative Ansätze im deutschen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 289 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht, DVB1. 1993, S.924ff.; ders. (Anm.77) S.513ff.; Friedrich Schoch, Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, JZ 1995, S. 109ff.; ders., Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts, in: ders. (Hrsg.), Das Verwaltungsrecht als Element der Europäischen Integration, 1995, S. 13 ff.; ders., Europäisierung der Verwaltungsrechtsordnung, VB1BW 1999, S.241 ff.; ders. (Anm. 77) S. 135 ff.; Jürgen Schwarze, Die Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts, in: ders. (Hrsg.), Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1996, S. 789 ff.; ders., Der Beitrag des Europäischen Gerichtshofs zur Europäisierung des Verwaltungsrechts, EuR 1997, S. 419ff.; Karl-Peter Sommermann, Europäisches Verwaltungsrecht oder Europäisierung des Verwaltungsrechts?, DVB1. 1996, S. 889ff.; Manfred Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht - Wechselseitige Einwirkungen, VVDStRL 53 (1994), S. 154ff.

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spektive Betrachtung hat zusätzlich aber die Wirklichkeit der Verwaltung im Mehrebenensystem in den Blick zu nehmen.83 In normativer Hinsicht kann an die Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Verwaltung von Gemeinschaftsrecht angeknüpft werden. Unter direkter Verwaltung ist die Eigenverwaltung der Gemeinschaft ausschließlich auf der Grundlage von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu verstehen. Indirekte Verwaltung meint hingegen die von Behörden der Mitgliedstaaten vorgenommene Verwaltungstätigkeit, bei der Gemeinschaftsverwaltungsrecht Beachtung verlangt. 84 Gemeinschaftsverwaltungsrecht ist die Gesamtheit gemeinschaftsrechtlicher Regelungen, die von den nationalen Verwaltungen zu beachten ist. 85 Diese Einwirkung des Gemeinschaftsrechts kann in zwei Formen erfolgen. Zum einen haben die mitgliedstaatlichen Verwaltungen unmittelbar Gemeinschaftsrecht anzuwenden; Grundlage des Verwaltungshandelns ist dann das Gemeinschaftsrecht selbst. Zum anderen müssen die Behörden europäisches Recht auch dann beachten, wenn sie nationales Verwaltungsrecht anwenden. In Anbetracht der grundsätzlichen verfahrensrechtlichen Autonomie der Mitgliedstaaten86 ist dies der wichtigste und für das vorliegend behandelte Thema einschlägige Fall von Verwaltungsrechtsgestaltung durch Gemeinschaftsrecht. Die Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Verwaltungsrecht kann sich zunächst daraus ergeben, daß die von der Behörde anzuwendende Vorschrift des mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechts in Umsetzung einer EG-Richtlinie erlassen worden ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind diese verwaltungsrechtlichen Normen nicht autonom, sondern „im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen".87 Diese sog. richtlinienkonforme Auslegung88 greift auch dann ein, wenn das nationale Recht nicht in Umsetzung der 83

Schmidt-Aßmann (Anm. 82) S.929. Von Danwitz (Anm. 82) S. 21 ; Schmidt-Aßmann (Anm. 82) S. 925 ff. 85 Schmidt-Aßmann (Anm. 82) S.926. 86 EuGH, Urt. v. 11.2.1971, Rs. 39/70, Norddeutsches Vieh- und Fleischkontor GmbH/ Hauptzollamt Hamburg-St. Annen, Slg. 1971, S.49 (58); Gil Carlos Rodriguez Iglesias , Zu den Grenzen der verfahrensrechtlichen Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, EuGRZ 1997, S. 289ff. 87 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.5.1976, Rs. 111/75, Impresa Costruzioni comm. Quirino Mazzalai/ Ferrovia del Renon, Slg. 1976, S.657 (666); Urt. v. 10.4.1984, Rs. 14/83, Sabine von Colson u. Elisabeth Kamann/Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1984, S. 1891 (1909); Urt.v. 10.4.1984, Rs. 79/83, Dorit Harz/Deutsche Tradax GmbH, Slg. 1984, S. 1921 (1942f.); Urt. ν. 4.2.1988, Rs. 157/86, Mary Murphy u. a./An Bord Telecom Eireann, Slg. 1988, S. 673 (690); Urt. v. 20.9.1988, Rs. 31/87, Gebroeders Beentjes BV/Niederländischer Staat, Slg. 1988, S.4635 (4662); Urt.v. 17.9.1997, Rs.C-54/96, Dorsch Consult/Bundesbaugesellschaft Berlin, Slg. 1997, S. 1-4961 (4997 f.). 88 Dazu Winfried Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994; Udo Di Fabio , Richtlinienkonformität als ranghöchstes Normauslegungsprinzip?, NJW 1990, S. 947 ff.; Hans D. Jarass, Richtlinienkonforme bzw. EG-rechtskonforme Auslegung nationalen Rechts, EuR 1991, S. 211 ff.; Georg Ress, Die richtlinienkonforme „Interpretation" innerstaatlichen Rechts, 84

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Richtlinie erlassen worden ist. Sie leitet ebenso die Anwendung schon bestehender Vorschriften, die nach Auffassung des Mitgliedstaates den Umsetzungsauftrag der Richtlinie erfüllen. 89 Über diese Fälle einer Richtlinienanknüpfung hinaus beruht die über die Vermittlung des nationalen Verwaltungsrechts erfolgende Anwendung von Gemeinschaftsverwaltungsrecht auf dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts. Kollidieren bei der Anwendung auf einen Sachverhalt nationales Recht und Gemeinschaftsrecht, so genießt das Gemeinschaftsrecht einen Anwendungsvorrang. 90 Der kollidierende nationale Rechtssatz ist also nicht nichtig, sondern wird nur im konkreten Einzelfall durch die gemeinschaftsrechtliche Norm verdrängt. 91 Vermieden werden kann die Erklärung der Unanwendbarkeit von nationalem Recht durch die sog. gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung. Sie verlangt die Auslegung des mitgliedstaatlichen Gesetzes nach den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts in den Grenzen der methodischen Zulässigkeit.92 Gemeinsame Grundlage dieser An wendungs- und Auslegungsregeln ist vor allem das Effektivitätsgebot. 93 Dabei handelt es sich um einen das gesamte Gemeinschaftsrecht durchziehenden Grundsatz, der es verbietet, daß die Anwendung nationalen Rechts Tragweite und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt. 94 Zusammen mit dem Diskriminierungsverbot leitet das Effektivitätsgebot die Handhabung des nationalen Verwaltungsrechts. Das Diskriminierungsverbot verbietet in Fällen mit Gemeinschaftsrechtsbezug eine SchlechterstelDÖV 1994, S. 489 ff.; Gil Carlos Rodriguez Iglesias/ Kurt Riechenberg, Zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, in: Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, 1995, S. 1213 ff. 89 Vgl. EuGH, Urt.v. 13.11.1990, Rs.C-106/89, Marleasing SA/La Commercial Internacional de Alimentación SA, Slg. 1990, S.I-4135 (4159f.); Urt.v. 16.12.1993, Rs.C-334/92, Teodoro Wagner Miret/Fondo de garantia Salarial, Slg. 1993, S. 1-6911 (6932). 90 EuGH, Urt.v. 15.7.1964, Rs.6/64, Flaminio Costa/E.Ν.E.L., Slg. 1964, S. 1251 (1270); Urt. v.29.4.1999, Rs.C-224/97, Erich Ciola/Land Vorarlberg, NJW 1999, S.2355. 91 EuGH, Urt. v. 22.10.1998, Rs.C-10-22/97, Ministero delle Finanze/In.Co.GE. 90 u.a., JZ 1999, S. 196 (197); Oliver Dörr, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 1999, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz Rn.396; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 82), S. 54ff.; Zuleeg (Anm. 82) S. 159ff. 92 EuGH, Urt.v.4.2.1988, Rs. 157/86, Mary Murphy u.a./An Bord Telecom Eireann, Slg. 1988, S.673 (690); Dörr (Anm. 91) Rn.388; Zuleeg (Anm. 82) S. 165 ff. 93 Dazu Albert Bleckmann, in: ders., Europarecht, 6. Aufl. 1997, Rn. 1318ff.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 82), S. 115 ff.; Schoch, Europäisierung der Verwaltungsrechtsordnung (Anm. 82), S. 244; Rudolf Streinz, Der „effet utile" in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, in: Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, 1995, S. 1491 ff. 94 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.2.1970, Rs. 40/69, Hauptzollamt Hamburg-Oberelbe/Fa. PaulG. Bollmann, Slg. 1970, S.69 (80); Urt. v.28.6.1977, Rs. 118/76, Balkan-Import-Export GmbH/Hauptzollamt Berlin-Packhof, Slg. 1977, S. 1177 (1188 f.); Urt. v. 5.3.1980, Rs. 265/78, H. Ferwerda BV/Produktschap voor Vee en Vlees, Slg. 1980, S.617 (630); Urt. v. 6.5.1982, Rs. 54/81, Fa. Wilhelm Fromme/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung, Slg. 1982, S. 1449 (1463); Urt.v.6.5.1982, verb.Rs. 146,192 u. 193/81, BayWa AG u.a./Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung, Slg. 1982, S. 1503 (1535).

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lung gegenüber der rechtlichen Behandlung von rein nach innerstaatlichem Recht zu behandelnden Sachverhalten.95 Für die Anwendung des Verwaltungsverfahrensrechts eines Mitgliedstaates hat der Europäische Gerichtshof daraus das sog. Doppelverbot formuliert: Es verbietet, daß durch die Anwendung des nationalen Verwaltungsrechts die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts praktisch unmöglich wird, sowie die unterschiedliche Anwendung des mitgliedstaatlichen Rechts im Vergleich zu Verfahren, in denen über vergleichbare nationale Fälle entschieden wird. 96 Dieses Doppelverbot gilt auch für die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes zur Durchsetzung der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte: Die Modalitäten der Klage dürfen nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz). 97 Methodisch knüpft das Doppelverbot an den Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten an. In Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Verfahrensregeln ist es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnungen, die zuständigen Stellen zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten zu regeln. Grenzen ergeben sich erst aus dem genannten Doppelverbot. Diese Grenzziehung ist unter der Bezeichnung „Soweit-Formel" bekannt, da sie der mitgliedstaatlichen Vollzugsautonomie Raum läßt, soweit das Gemeinschaftsrecht keine Regelung enthält.98 Seit der sog. Milch95

Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 82), S. 118 f. Vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.1976, Rs. 33/76, Rewe-Zentralfinanz eG und Rewe-Zentral AG/ Landwirtschaftskammer für das Saarland, Slg. 1976, S. 1989 (1998); Urt. v. 16.12.1976, Rs. 45/76, Comet BV/Produktschap voor Siergewassen, Slg. 1976, S. 2043 (2053), Urt. v. 27.2.1980, Rs. 68/79, Hans Just I/S/Ministerium für das Steuerwesen, Slg. 1980, S.501 (522f.); Urt. v.27.3.1980, Rs.61/79, Amministrazione delle Finanze dello Stato/Denkavit italiana Srl, Slg. 1980, S. 1205 (1226); Urt. v. 21.9.1983, verb. Rs. 205-215/82, Deutsche Milchkontor GmbH u. a./Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1983, S. 2633 (2665 f.); Urt. v. 9.11.1983, Rs. 199/82, Amministrazione delle finanze dello Stato/S.p.A. San Giorgio, Slg. 1983, S. 3595 (3612). Zusammenfassend Rudolf Streinz, Der Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts durch deutsche Staatsorgane, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 7, 1992, § 182 Rn.24ff. 97 EuGH, Urt. v. 2.12.1997, Rs.C-188/95, Fantask SA u. a./Industriministeriet, NVwZ 1998, S. 833; Urt.v. 15.9.1998, Rs.C-231/96, Edilizia Industriale Siderurgica Srl/Italienisches Finanzministerium, DVB1. 1999, S.30 (31); Urt.v. 17.11.1998, Rs.C-228/96, Aprile Srl/Amministrazione delle Finanze dello Stato, DVB1. 1999, S. 384 (385); Urt. v. 21.1.1999, Rs. C-120/97, Upjohn LtdyThe Licensing Authority, EuZW 1999, S. 503 (505); Urt. ν. 9.2.1999, Rs. C-343/96, Dilexport Srl/Amministrazione delle Finanze dello Stato, EuZW 1999, S.313 (315). Dazu Dörr (Anm. 91) Rn.432ff. 98 Vgl. EuGH, Urt.v. 16.12.1976, Rs.33/76, Rewe-Zentralfinanz eG und Rewe-Zentral AG/ Landwirtschaftskammer für das Saarland, Slg. 1976, S. 1989 (1998); Urt.v. 16.12.1976, Rs.45/ 76, Comet BV/Produktschap voor Siergewassen, Slg. 1976, S.2043 (2053); Urt.v. 12.6.1980, verb.Rs. 119 u. 126/79, Lippische Hauptgenossenschaft u. a./Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung, Slg. 1980, S. 1863 (1879); Urt.v. 12.6.1980, Rs. 130/79, Express Dairy Foods Limited/Intervention Board für Agricultural Produce, Slg. 1980, S. 1887 (1900). Dazu Streinz (Anm. 96) Rn.23. 96

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kontor-Entscheidung aus dem Jahre 1983 hat der Europäische Gerichtshof jedoch als autonomiebegrenzende Rechtsschicht neben den den Vollzug selbst betreffenden Regeln die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Gemeinschaft anerkannt." Beispiele sind die vom Gerichtshof aus der Verfassungstradition der Mitgliedstaaten destillierten europäischen Grundrechte 100 sowie die Grundsätze der Rechtssicherheit 101 , des Vertrauensschutzes 102, der Verhältnismäßigkeit 103 und des effektiven Rechtsschutzes104. Nationales Recht ist an diesen Grundsätzen auszurichten bzw. nach ihnen auszulegen.105 99 EuGH, Urt. v. 21.9.1983, verb. Rs. 205-215/82, Deutsche Milchkontor GmbH u. a./Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1983, S.2633 (2665). Kritisch von Danwitz (Anm. 82) S. 352 ff. 100 Zur Geltung der europäischen Grundrechte für den Vollzug vgl. nur EuGH, Urt.v. 13.7.1989, Rs.5/88, Hubert Wachauf/Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft, Slg. 1989, S. 2609 (2639 f.). Zum europäischen Grundrechtsschutz: Juliane Kokott, Der Grundrechtsschutz im europäischen Gemeinschaftsrecht, AöR 121 (1996), 599ff.; Dieter Kugelmann,, Grundrechte in Europa, 1997; Carl Otto Lenz, Ein Grundrechtskatalog für die Europäische Gemeinschaft, NJW 1997, S.3289ff.; Thomas Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, Rn. 489ff.; Hans Werner Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993; Peter Selmer, Die Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards durch den EuGH, 1998; Christian Tietje, Europäischer Grundrechtsschutz nach dem Maastricht-Urteil, „Solange III"?, JuS 1994, S. 197 ff.; Irmgard Wetter, Die Grundrechtscharta des Europäischen Gerichtshofes, 1997; Manfred Zuleeg, Der Schutz der Menschenrechte im Gemeinschaftsrecht, DÖV 1992, S. 937 ff. 101 Vgl. EuGH, Urt.v. 18.2.1982, Rs.77/81, Zuckerfabrik Franken GmbH/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1982, S.681 (695). Dazu Michael Schiockermann, Rechtssicherheit als Vertrauensschutz in der Rechtsprechung des EuGH, 1984. 102 Vgl. EuGH, Urt.v. 16.7.1998, Rs.C-298/96, Oelmühle Hamburg AG u.a./Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, EuZW 1998, S.603 (605). Dazu Klaus-Dieter Borchardt, Der Grundsatz des Vertrauensschutzes im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1988. 103 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.2.1982, Rs. 77/81, Zuckerfabrik Franken GmbH/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1982, S.681 (695); Urt.v. 11.3.1987, Rs.279, 280, 285,286/84, Walter Rau Lebensmittelwerke u. a./Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1987, S. 1069 (1125); Urt. v. 9.11.1995, Rs.C-426/93, Bundesrepublik Deutschland/Rat der Europäischen Union, Slg. 1995, S. 1-3723 (3755 f.). Dazu Eckhard Pache, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung der Gerichte der Europäischen Gemeinschaften, NVwZ 1999, S. 1033 ff. 104 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.5.1986, Rs. 222/84, Marguerite Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary, Slg. 1986, S. 1651 (1681 ff.); Urt.v. 15.10.1987, Rs. 222/86, Unectef/Georg Heylens u.a., Slg. 1987, S.4097 (4117); Urt.v.7.5.1991, Rs.C-340/89, Irene Vlassopoulou/Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten Baden-Württemberg, Slg. 1991, S. 1-2357 (2385); Urt. v. 7.5.1992, Rs.C-104/91, Colegio Oficial de Agentes de la Propiedad Immobiliaria/José Luis Aguirre Borrel u.a., Slg. 1992, S. 1-3003 (3029). Dazu Michael Brenner, Allgemeine Prinzipien des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes in Europa, Die Verwaltung 31 (1998), S. 1 (12f.); Thomas von Danwitz, Die Garantie effektiven Rechtsschutzes im Recht der Europäischen Gemeinschaften, NJW 1993, S. 1108 ff.; Dörr (Anm. 91) Rn. 429 ff. 105 Von Danwitz (Anm. 82) S. 352 f.; Dörr (Anm. 91) Rn.426; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 82), S. 130; Rengeling (Anm. 82) S. 226; zurückhaltender Streinz (Anm. 96) Rn. 23. Zur Bildung gemeinschaftsrechtlicher Grundsätze des Verwaltungsrechts Ulrich M. Gassner, Rechtsgrundlagen und Verfahrensgrundsätze des Europäischen Verwal-

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Aus den skizzierten M o d i der Einwirkung des Gemeinschaftsrechts haben sich für das deutsche Allgemeine Verwaltungsrecht zahlreiche Modifikationen für Fälle mit Gemeinschaftsrechtsbezug ergeben. Sie können hier nicht i m einzelnen dargestellt werden. 1 0 6 Wichtige Beispiele sind die europarechtlichen Überformungen der nach § 48 V w V f G erfolgenden Rücknahme von gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfebescheiden, die Dauer von Verjährungs- und Ausschlußfristen, die Fundierung durchsetzungsfähiger Rechtspositionen durch Gemeinschaftsrecht, die Europäisierung des vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes sowie das Staatshaftungsrecht. Dazu nur einige wenige Bemerkungen: aa) Einwirkungsfelder In den Fällen der unter Verstoß gegen die Art. 87, 88 E G V gewährten Beihilfen konzediert der Europäische Gerichtshof zwar, daß die Rückforderung der Beihilfe nach nationalem Recht erfolgt. 1 0 7 Doch werden die Rücknahmeregelungen des § 48 V w V f G durch Gemeinschaftsrecht sehr weitgehend modifiziert. 1 0 8 Ansatzpunkt ist tungsverfahrensrechts, DVB1. 1995, S. 16ff.; Eberhard Grabitz, Europäisches Verwaltungsrecht, NJW 1989, S. 1776ff.; Georg Haibach, Die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundsätzen des Verwaltungs Verfahrens, NVwZ 1998, S. 456 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, in: Müller-Graff (Hrsg.), Perspektiven des Rechts in der Europäischen Union, 1998, S. 131 ff.; Jürgen Schwarze, Der Schutz des Gemeinschaftsbürgers durch allgemeine Verwaltungsrechtsgrundsätze im EG-Recht, NJW 1986, S. 1067ff.; ders., Europäisches Verwaltungsrecht, 1988. 106 s. die Nachw. o. Anm. 82. 107 Vgl. nur EuGH, Urt.v. 2.2.89, Rs.94/87, Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1989, S. 175 (192); Urt.v.20.9.1990, Rs.C-5/89, Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1990, S. 1-3437 (3456); Urt.v. 16.7.1998, Rs.C-298/96, Oelmühle Hamburg AG u.a./Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, EuZW 1998, S.603 (605); Urt.v. 12.5.1998, Rs.C-366/95, Landbrugsministeriet/Steff-Houlberg Export I/S u.a., EuZW 1998, S.499 (500). 108 Zu den sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen Franz Bardenhewer, Effektive Durchsetzung des europäischen Gemeinschaftsrechts und nationaler Vertrauensschutz, in: Grawert/Schlink/Wahl (Hrsg.), Offene Staatlichkeit. FS für Ernst-Wolfgang Böckenförde, 1995, S. 239ff.; Sabine Beckmann, Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger staatlicher Beihilfen, 1996; Birgit Berninghausen, Die Europäisierung des Vertrauensschutzes, 1998; Hans Georg Fischer, Zur Rückforderung von unter Verstoß gegen Art. 92,93 EWGV gewährten nationalen Beihilfen, DVB1. 1990, S. 1089ff.; Claus-Michael Happe, Rückforderung von Zuwendungen nach negativer Kommisionsentscheidung im Beihilfenverfahren, NVwZ 1998, S. 26 ff.; Armin Hat je, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, 1998, S. 246ff.; Siegfried Magiera, Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger staatlicher Beihilfen, in: Baur/Müller-Graff/Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, Energierecht, Wirtschaftsrecht, FS für Bodo Börner, 1992, S. 213 ff.; Matthias Nickel, Das Spannungsverhältnis zwischen Europäischem Gemeinschaftsrecht und den §§48-49 a VwVfG, 1999; Eckhard Pache, Rechtsfragen der Aufhebung gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Beihilfebescheide, NVwZ 1994, S. 318 ff.; Thorsten Richter, Rückforderung gemeinschaftswidriger Subventionen nach §48 VwVfG, DÖV 1995, S. 846ff.; ders., Rückforderung staatlicher Beihilfen nach §§48,49 VwVfG bei Verstoß gegen Art. 92 ff. EGV, 1995; Rupert Scholz, Zum Verhältnis von europäi-

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das Effektivitätsgebot, das es ausschließt, daß die Anwendung des deutschen Verfahrensrechts die gemeinschaftsrechtlich bestehende Rückforderungspflicht praktisch unmöglich macht. 109 Deshalb ist die in § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG enthaltene Ausschlußfrist für die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsakts nicht anwendbar, wenn die Kommission eine rechtswidrig gewährte Beihilfe durch bestandskräftige Entscheidung für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und ihre Rückforderung angeordnet hat. 110 Die im deutschen Recht enthaltene Regelvermutung für die Gewährung von Vertrauensschutz in dem Fall, daß der Begünstigte die gewährte Leistung verbraucht hat (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG), greift nicht ein, wenn das Beihilfekontrollverfahren des Art. 88 EGV nicht eingehalten worden ist. 111 Die neue Verordnung (EG) Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 93 EGV vom 22.3.1999112 räumt in Art. 11 Abs. 2 der Kommission das Recht ein, dem betreffenden Mitgliedstaat die einstweilige Rückforderung einer unter Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 EGV eingeführten und damit (formell) rechtswidrigen Beihilfe aufzugeben, wenn hinsichtlich des Beihilfecharakters keinerlei Zweifel besteht, ein Tätigwerden dringend geboten und ein erheblicher und nicht wiedergutzumachender Schaden für einen Konkurrenten ernsthaft zu befürchten ist. 113 Eine nach Kommissionsentscheidung mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe muß vom Mitgliedstaat unter Ergreifung aller notwendigen, auch vorläufigen Maßnahmen vom Empfänger zurückgefordert werden (Art. 14 VO [EG] Nr. 659/1999). Nach Rücknahme des Beihilfebescheids ist der in §49 a Abs. 2 VwVfG vorgesehene Einwand der Entreicherung abgeschnitten.114 Da Folge der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beihilfengewährung durch die Kommission die Rückzahlbarkeit der Beihilfe ist, ist eine Betätigung des verbleibenden Rücknahmeermessens (§ 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG) zugunsten des Beihilfenempfängers grundsätzlich nicht möglich. 115

schem Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrensrecht, DÖV 1998, S.261 ff.; Frank Schulze, Vertrauensschutz im EG-Recht bei der Rückforderung von Beihilfen, EuZW 1993, S. 279 ff.; Adinda Sinnaeve, Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Beihilfen, 1997; Dimitris Triantajyllou, Zur „Europäisierung" des Vertrauensschutzes (insbesondere §48 VwVfG), NVwZ 1992, S. 436 ff. 109 EuGH, Urt. v. 20.3.1997, Rs.C-24/95, Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland GmbH, EuZW 1997, S.276 (277). 110 EuGH, Urt. v.20.3.1997, Rs.C-24/95, Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland GmbH, EuZW 1997, S.276 (278). 111 EuGH, Urt. v. 20.3.1997, Rs. C-24/95, Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland GmbH, EuZW 1997, S.276 (277). 112 AB1.EG Nr.L83, S. Iff. 113 Zur Auslegung Eberhard Kruse, Bemerkungen zur gemeinschaftlichen Verfahrensverordnung für die Beihilfekontrolle, NVwZ 1999, S. 1049 (1054). 114 EuGH, Urt. v. 20.3.1997, Rs. C-24/95, Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland GmbH, EuZW 1997, S.276 (279). 115 EuGH, Urt. v.20.3.1997, Rs.C-24/95, Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland GmbH, EuZW 1997, S.276 (278). 14 Pitschas/Kisa

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In Anbetracht der dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stellt § 48 VwVfG nur noch einen Mantel zur Verfügung, um die Rückzahlungsanforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts im Gewände des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts zu transportieren. In seinem einen österreichischen Sachverhalt betreffenden Urteil vom 29. April 1999 hat der Gerichtshof deutlich gemacht, daß er das vom Gemeinschaftsrecht Gebotene notfalls auch ohne nationale Transmissionsnorm durchsetzt. Der Gerichtshof erstreckt in dieser Entscheidung den Vorrang des Gemeinschaftsrechts nicht nur auf generell-abstrakte Normen, sondern auch auf individuelle konkrete Verwaltungsentscheidungen. Folge davon ist, daß ein Verwaltungsakt, der nach nationalem Verwaltungsrecht als bestandskräftig hinzunehmen ist, unangewendet bleiben muß, wenn sein Inhalt mit Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist. 116 In letzter Konsequenz werden für gemeinschaftsrechtswidrige Verwaltungsakte die Verfahrensvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bestandskraft und die Aufhebbarkeit von Verwaltungsakten damit zur Makulatur. Ein ähnliches Schicksal könnte nationalen Verjährungs- und Ausschlußfristen drohen. Das Problem stellt sich insbesondere dann, wenn Abgaben, die von den Behörden eines Mitgliedstaats unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben worden sind, nicht innerhalb der Verjährungs- bzw. Ausschlußfrist zurückgefordert werden. Der Europäische Gerichtshof sieht in solchen Fristen grundsätzlich keinen Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz, da sie dem Interesse der Rechtssicherheit dienen, die zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt. Voraussetzung ist allerdings, daß die Verjährungs- bzw. Ausschlußfrist angemessen ist. 117 Die Bestimmung dessen, was angemessen ist, richtet sich wiederum nach Gemeinschaftsrecht. Auch die deutsche Konzeption des subjektiven öffentlichen Rechts als Grundlage für die Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes steht auf dem Prüfstand des Gemeinschaftsrechts. Unter einem subjektiven öffentlichen Recht ist nach dem deutschen Verständnis die dem einzelnen kraft öffentlichen Rechts verliehene Rechtsmacht, vom Staat zur Verfolgung eigener Interessen ein bestimmtes Verhalten verlangen zu können, zu verstehen. 118 Wann die Verleihung einer solchen 116 EuGH, Urt.v.29.4.1999, Rs.C-224/97, ErichCiola/Land Vorarlberg, NJW 1999, S.2355 (2356). 117 EuGH, Urt.v. 16.12.1976, Rs. 33/76, Rewe-Zentralfinanz eG und Rewe-Zentral AG/ Landwirtschaftkammer für das Saarland, Slg. 1976, S. 1989 (1998); Urt.v. 16.12.1976, Rs. 45/76, Comet BV/Produktschap voor Siergewassen, Slg. 1976, S. 2043 (2053); Urt.v. 10.7.1997, Rs.C-261/95, Rosalba Palmi sani/Istituto nazionale della previdenza sociale, EuZW 1997, S. 538 (539); Urt. v. 2.12.1997, Rs.C-188/95, Fantask S/A u. a./Industriministeriet, EuZW 1997, S. 172 (175f.); Urt.v. 15.9.1998, Rs.C-231/96, Edilizia Industriale Siderurgica Srl/Finanzministerium, DVB1. 1999, S.30 (31); Urt.v. 17.11.1998, Rs.C-228/96, Aprile Srl/Amministrazione delle Finanze dello Stato, DVB1. 1999, S. 384 (385); Urt. v. 9.2.1999, Rs. C-343/96, Dilexport Srl/Amministrazione delle Finanze dello Stato, EuZW 1999, S.313 (315). Vgl. dazu mich Josef Franz Lindner, Die neueste Rechtsprechung des EuGH zur Erstattung gemeinschaftswidrig erhobener Abgaben, NVwZ 1999, S. 1079 ff. 118 Vgl. nur Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 1999, § 8 Rn.2; Helge Sodan, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 1999, §42 Rn.373.

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Rechtsmacht vorliegt, wird nach der sog. Schutznormlehre ermittelt. Danach ist entscheidend, ob der in Frage stehende Rechtssatz nicht nur den Interessen der Allgemeinheit, sondern - zumindest auch - den Individualinteressen des Bürgers derart zu dienen bestimmt ist, daß die Träger der Individualinteressen die Einhaltung des Rechtssatzes beanspruchen können.119 Die Geltendmachung eines subjektiven öffentlichen Rechts ist grundsätzlich Voraussetzung für die Anrufung der Verwaltungsgerichte (§§ 42 Abs. 2, 47 Abs. 2 S. 1 VwGO). Der deutsche Verwaltungsprozeß beruht auf einer prinzipiellen Systementscheidung für den Individualrechtsschutz.120 Die Verwaltungsgerichtsbarkeit soll den durch Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsgerichtlich gebotenen Rechtsschutz bei der Verletzung subjektiver Rechte durch die öffentliche Gewalt sicherstellen. Die objektive Rechtskontrolle, d. h. die Überprüfung des Verwaltungshandelns auf seine Rechtmäßigkeit - die Durchsetzung der Beachtung des Rechts - ist hingegen nur die (erwünschte) Folge der Rechtsschutzgewährung.121 In rechtsvergleichender Perspektive ist diese Konzentration auf den subjektiven Rechtsschutz nicht die Regel.122 Das Gemeinschaftsrecht enthält sich dementsprechend einer Stellungnahme zu den Systementscheidungen. Der Europäische Gerichtshof überläßt es den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten der Klage zu regeln, sofern Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz beachtet sind. 123 Im Vergleich zur deutschen Rechtsschutzkonzeption stärker am Gedanken der objektiven Rechtskontrolle ausgerichtet ist allerdings der Ansatz des Gemeinschaftsrechts am effet utile. Der Bürger wird zur Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts mobilisiert. 124 Instrumenteil erfolgt diese Aktivierung zur Durchsetzung des objektiven Rechts durch die gemeinschaftsrechtliche Zuerken119

Sodan (Anm. 118) § 42 Rn. 379 m. w. Nachw. Rainer Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 1998, Vorb § 42 Abs. 2 Rn. 11 ff. 121 Vgl. Walter Krebs, Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle, in: Erichsen/Hoppe/von Mutius (Hrsg.), System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. FS für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 191 (193 f.) 122 Zusammenfassend etwa Stephan Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französischen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, 1995, S. 97 f., 260ff.; Wahl (Anm. 120) Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 17 ff. 123 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.1976, Rs. 33/76, Rewe-Zentralfinanz eG und Rewe-ZentralAG/ Landwirtschaftskammer für das Saarland, Slg. 1976, S. 1989 (1998); Urt.v. 16.12.1976, Rs. 45/76, Comet BV/Produktschap voor Siergewassen, Slg. 1976, S. 2043 (2053), Urt.v. 14.12.1995, Rs. C-312/93, Peterbroeck u. a./Belgischer Staat, Slg. 1995, S. 1-4599 (4621); Urt. v. 2.12.1997, Rs. C-188/95, Fantask SA u. a./Industriministeriet, EuZW 1998, S. 172 (175); Urt.v. 15.9.1998, Rs.C-231/96, Edilizia Industriale Siderurgia Srl GmbH/Finanzministerium, DVB1. 1999, S.30 (31); Urt.v. 17.11.1998, Rs.C-228/96, Aprile Srl/Amministrazione delle Finanze dello Stato, DVB1. 1999, S.384 (385); Urt.v.9.2.1999, Rs.C-343/96, Dilexport Srl/Amministrazione delle Finanze dello Stato, EuZW 1999, S.313 (315). 124 Dazu Claus Dieter Classen, Der einzelne als Instrument zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts?, VerwArch 88 (1997), S. 645 ff.; Johannes Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 19ff. 120

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nung von Rechtspositionen, die gerichtlich durchsetzbar sein müssen.125 Daß ein solches Konzept der Funktionalisierung subjektiver Betroffenheit zur Einleitung eines objektiven Kontrollverfahrens mit dem deutschen Verständnis unvereinbar sein soll, wie gelegentlich angenommen wird, 126 kann kaum angenommen werden. So ist auch das verwaltungsgerichtliche Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO ein objektives Rechtsbeanstandungsverfahren, das durch einen subjektiv betroffenen Antragsteller lediglich angestoßen wird. 127 Die eigentlich relevante Frage ist die nach den strukturellen Unterschieden zwischen den klagbaren Positionen des Gemeinschaftsrechts und dem subjektiven öffentlichen Recht in der Deutung der Schutznormtheorie. Einigkeit besteht darin, daß das Gemeinschaftsrecht nach seinem derzeitigen Stand nicht die Einführung einer Popularklage, auch nicht einer Verbandsklage, fordert. 128 Konzeptionell unproblematisch ist die Konstellation, daß bei der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben, insbesondere einer Richtlinie, in nationales Recht eine klagefähige Position des einzelnen zu begründen ist. Dies kann für das deutsche Verwaltungsrecht in der Form eines subjektiven öffentlichen Rechts oder die nach § 42 Abs. 2 VwGO mögliche Einräumung einer nicht subjektiv-rechtlich unterfütterten Klagemöglichkeit erfolgen. 129 Die Feststellung, wann der umsetzungsbedürftige Gemeinschaftsrechtsakt die Einräumung einer klagbaren Position fordert, ist durch Auslegung der Gemeinschaftsrechtsnorm zu ermitteln. Die Maßstäbe sind dabei dieselben wie für die Untersuchung, welche gemeinschaftsrechtlichen Positionen des einzelnen ohne Vermittlung eines deutschen Umsetzungsakts vor den Verwaltungsgerichten durchsetzbar sind. 130 Notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Klagbarkeit der 125

Masing (Anm. 124) S. 37 ff. So Masing (Anm. 124) S. 176 ff. 127 Jan Ziekow, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 1999, §47 Rn.37a. 128 Vgl. Martin Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, 1996, S.54; Dirk Ehlers, Die Klagebefugnis nach deutschem, europäischem Gemeinschafts- und U.S.-amerikanischem Recht, VerwArch 84 (1993), S. 139 (170f.); Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 82), S. 371 ; Wolf gang Kahl, Der EuGH als „Motor des europäischen Umweltschutzes"?, ThürVBl. 1994, S.225, 256 (260); Juliane Kokott, Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts, Die Verwaltung 31 (1998), S.335 (357); Klaus Stern, Die Einwirkung des europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit, JuS 1998, S.769 (771); Bernhard W. Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 163 ff.; Manfred Zuleeg, Umweltschutz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, NJW 1993, S.31 (37). 129 Dörr (Anm. 91) Rn.445; Elke Gurlit, Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten und subjektive Rechte der Gemeinschaftsbürger, in: Krämer/Micklitz/Tonner (Hrsg.), Recht und diffuse Interessen in der Europäischen Rechtsordnung. Liber amicorum Norbert Reich, 1997, S. 55 (79); Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 82), S. 391 f.; Barbara Remmert, Die nationale Ausgestaltung richtlinienrechtlich geforderter subjektiver Rechtsstellungen, Die Verwaltung 29 (1996), S.465 (485 f.); Friedrich Schoch, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, NVwZ 1999, S.457 (462). A.A. Claus Dieter Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S.79: Obligatorische Annahme eines subjektiven Rechts. 130 Dörr (Anm. 91) Rn. 444. 126

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gemeinschaftsrechtlichen Position ist zunächst, daß die Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, aus der die Position abgeleitet wird, unmittelbar wirksam ist. 131 Hinzutreten muß die Erfüllung weiterer Voraussetzungen, die sich jedoch aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs nur sachbereichsbezogen erschließen lassen. Methodisch ähnlich wie nach der deutschen Schutznormlehre ist nach der individualen Schutzrichtung der Norm des Gemeinschaftsrechts zu fragen. 132 Wegen der Instrumentalisierung des Klagerechts für den effet utile ist aber der sich danach öffnende Kreis von Klagerechten deutlich weiter als nach der Schutznormlehre. 133 Anders als nach deutschem Recht genügen auch reflexartige und faktische Begünstigungen.134 Sofern diese Interessen berührt werden, kommt es nicht darauf an, ob eine unbestimmte Zahl von Personen in gleicher Weise betroffen ist. 135 Beispielsweise genügt es für die Zuerkennung eines Klagerechts, wenn die Gemeinschaftsrechtsnorm dem Schutz der menschlichen Gesundheit dient. 136 Die im deutschen Umweltrecht vorgenommene Ausgrenzung von Vorsorgebestimmungen aus dem subjektiven öffentlichen Recht 137 findet hinsichtlich der Klagbarkeit im Gemeinschaftsrecht keine Entsprechung. 138 Für die Rezeption dieser gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Klagbarkeit von individuellen Positionen des Gemeinschaftsrechts bestehen methodisch zwei Möglichkeiten: Zum einen kann die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts geschont und das im Gemeinschaftsrecht fundierte Klagerecht als durch § 42 Abs. 2 VwGO zugelassene Ausnahme von der Geltendmachung einer Rechtsverletzung gedeutet werden. 139 Zum anderen kann die Schutznormlehre in einer „gemeinschaftsrechtlich aufgeladenen Version" angewandt werden. 140 Die im Gemein131

Dörr (Anm. 91) Rn.446. Burgi (Anm. 128) S. 54f.; Dörr (Anm. 91) Rn. 448; Astrid Epiney, Gemeinschaftsrecht und Verbandsklage, NVwZ 1999, S.485 (487); Josef Ruthig, Transformiertes Gemeinschaftsrecht und die Klagebefugnis des §42 Abs. 2 VwGO, BayVBl. 1997, S.289 (295); Schoch (Anm. 129) S.464 f.; Dimitris Triantafyllou, Zur Europäisierung des subjektiven öffentlichen Rechts, DÖV 1997, S. 192 (196). 133 Dörr (Anm. 91) Rn.448; Epiney (Anm. 132) S.487; Gerd Winter, Individualschutz im deutschen Umweltrecht unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, NVwZ 1999, S. 467 (470). 134 Epiney (Anm. 132) S.487; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 82), S. 385. 135 Epiney (Anm. 132) S.487; Schoch (Anm. 129) S.464; Winter (Anm. 133) S.470. 136 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 30.5.1991, Rs. C-361/88, Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1991, S. 1-2567 (2601 ff.); Urt. v. 30.5.1991, Rs. C-59/89, Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1991, S. 1-2607 (2631 f.). 137 BVerwGE 61, S. 256 (267 f.); 65, S. 313 (320); Ferdinand O. Kopp/Wolf-Rüdiger Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Aufl. 1998, §42 Rn. 105. 138 Epiney (Anm. 132) S. 487; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 82), S. 386f.; Schoch (Anm. 129) S.464; Bernhard Wegener , Zur Begründung individueller Rechte, ZUR 1994, S. 195 (197). 139 Remmert (Anm. 129) S.477ff.; Wahl (Anm. 120) Vorb §42 Rn. 128. 140 Dörr (Anm. 91) Rn.453. 132

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schaftsrecht begründete individuelle und klagbare Position ist dann als subjektives öffentliches Recht zu kategorisieren. 141 Ein weiterer Bereich der gemeinschaftsrechtlichen Überformung deutschen Verwaltungsprozeßrechts ist die Europäisierung des vorläufigen Rechtsschutzes. 142 Hier können drei Konstellationen unterschieden werden: In der ersten Fallgestaltung wird unter Berufung auf Gemeinschaftsrecht Eilrechtsschutz begehrt, dessen Gewährung nach nationalem Recht nicht möglich ist. Hierfür leitet der Europäische Gerichtshof aus dem Effektivitätsgebot die Unanwendbarkeit des entgegenstehenden Rechts des Mitgliedstaates ab. 1 4 3 Die zweite Konstellation betrifft die Inanspruchnahme von einstweiligem Rechtsschutz gegen i m Vollzug von Gemeinschaftsrecht durch die Behörden eines M i t gliedstaats erlassene Maßnahmen. Der Gerichtshof formulierte die Pflicht der deutschen Behörden, die sofortige Vollziehung des angefochtenen Bescheids anzuordnen, wenn anderenfalls die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gefährdet wäre. 1 4 4 Das nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 V w G O bestehende Verhältnis zwischen 141 Dörr (Anm. 91) Rn.453; Walter Frenz, Subjektiv-öffentliche Rechte aus Gemeinschaftsrecht vor deutschen Verwaltungsgerichten, DVB1. 1995, S. 408 (409); Hatje (Anm. 108) S. 314ff.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 82), S. 392; Kopp!Schenke (Anm. 137) §42 Rn. 153; Matthias Ruffert, Dogmatik und Praxis des subjektiv-öffentlichen Rechts unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, DVB1.1998, S. 69 (74); Ruthig (Anm. 132) S. 292 ff. 142 Dazu Ingo Brinker, Vorläufiger Rechtsschutz im nationalen Gerichtsverfahren und Europarecht, NJW 1996, S. 2851 ff.; Burgi (Anm. 128) S.66ff.; Classen (Anm. 129) S. 101 ff.; Dörr (Anm. 91) Rn. 467 ff.; Udo von Fragstein, Die Einwirkungen des EG-Rechts auf den vorläufigen Rechtsschutz nach deutschem Verwaltungsrecht, 1997; Georg Haibach, Gemeinschaftsrecht und vorläufiger Rechtsschutz durch mitgliedstaatliche Gerichte, 1995; ders., Vorläufiger Rechtsschutz im Spannungsfeld von Gemeinschaftsrecht und Grundgesetz, DÖV 1996, S.60ff.; Alexander Jannasch, Vorläufiger Rechtsschutz und Europarecht, VB1BW 1997, S. 361 ff.; ders., Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf den vorläufigen Rechtsschutz, NVwZ 1999, S.495 ff.; Florian Krumbacher, Vorläufiger Rechtsschutz vor nationalen Gerichten in Fällen mit Gemeinschaftsrechtsbezug, 1998; Stefan Lehr, Einstweiliger Rechtsschutz und Europäische Union, 1997; Christoph Ο hier/Wolfgang Weiß, Einstweiliger Rechtsschutz vor nationalen Gerichten und Gemeinschaftsrecht, NJW 1997, S.2221 f.; Adelheid Puttler, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 1999, §80 Rn. 11 ff.; Christian Rohde, Vorläufiger Rechtsschutz unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, 1998; Wolfram Sandner, Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Gemeinschaftsrecht vor nationalen Gerichten, DVB1. 1998, S. 262ff.; Friedrich Schoch, Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes, DVB1. 1997, S. 289ff.; Jürgen Schwarze, Vorläufiger Rechtsschutz im Widerstreit von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrens- und Prozeßrecht, in: Baur/Müller-Graff/Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, Energierecht, Wirtschaftsrecht, FS für Bodo Börner, 1992, S. 389 ff.; Dimitris Triantafyllou, Zur Europäisierung des vorläufigen Rechtsschutzes, NVwZ 1992, S. 129ff. 143 EuGH, Urt.v. 19.6.1990, Rs.C-213/89, The Queen/Secretary of State for Transport, ex parte: Factortame Ltd. u.a., Slg. 1990, S. 1-2433 (2473f.). 144 EuGH, Urt. v. 10.7.1990, Rs. C-217/88, Kommission der Europäischen Gemeinschaften/ Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1990, S. 1-2879 (2905 f.).

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Rechtsschutzinteresse des Betroffenen und öffentlichem Vollzugsinteresse, welches ein Überwiegen des Vollzugsinteresses für die Anordnung der sofortigen Vollziehung voraussetzt,145 wird zu Lasten des Aussetzungsinteresses nahezu umgedreht. 1 4 6 Soweit verwaltungsgerichtlicher Eilrechtsschutz begehrt wird, ist die Aussetzung der Vollziehung eines auf Gemeinschaftsrecht beruhenden Verwaltungsakts nur unter engen Voraussetzungen zulässig: Das Verwaltungsgericht muß erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der zugrundeliegenden Gemeinschaftsrechtsnorm haben, diese Gültigkeitszweifel gemäß Art. 234 EGV dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, die Aussetzung muß dringlich sein, weil dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden droht, und das Verwaltungsgericht muß das Interesse der Gemeinschaft an einer möglichst vollen Wirksamkeit der betreffenden Gemeinschaftsrechtsnorm angemessen berücksichtigen. 147 Diese Vorgaben verändern das Entscheidungsprogramm des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes derart einschneidend, daß Zweifel an der Kompetenz des Gerichtshofs zu derartigen Nivellierungen berechtigt sind. 148 In der dritten Fallgruppe geht es nicht um die vorläufige Abwehr einer belastenden, sondern um die einstweilige Anordnung einer begünstigenden Regelung, die im Gemeinschaftsrecht nicht vorgesehen ist. Da die erstrebte Anordnung die effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts vorübergehend verhindern würde, ergeben sich keine anderen Auswirkungen auf die Gemeinschaftsrechtsordnung als im Fall der Aussetzung der Vollziehung. Der Europäische Gerichtshof überträgt deshalb die für die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung entwickelten Voraussetzungen auf den Erlaß einer einstweiligen Anordnung. 149 Das letzte Schlaglicht europarechtlicher Einwirkungen auf das deutsche Verwaltungsrecht soll dem Staatshaftungsrecht gelten. Beginnend mit der Francovich-Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof das Konzept eines Sekundärrechtsschutzes für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch die Mitgliedstaaten entwikkelt, das ebenfalls im Effektivitätsgebot gründet, also die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherstellen soll. 150 Dieser Staatshaftungsanspruch setzt voraus, 145

Puttler (Anm. 142) § 80 Rn. 86. Dörr (Anm. 91) Rn.471; zurückhaltender Puttler (Anm. 142) § 80 Rn. 13. 147 EuGH, Urt. v. 21.2.1991, Rs.C-143/88 u.C-92/89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen AG/ Hauptzollamt Itzehoe u.a., Slg. 1991, S.I-415 (542f.); Urt.v. 17.7.1997, Rs.C-334/95, Krueger GmbH & Co KG/Hauptzollamt Hamburg-Jonas, EuZW 1997, S.629 (632). 148 Wolfgang Dänzer-Vanotti, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften beschränkt vorläufigen Rechtsschutz, BB 1991, S. 1015 (1016 ff.), Ρuttler (Anm. 142) §80 Rn. 16; Sabine Schlemmer-Schulte, Gemeinschaftsrechtlicher vorläufiger Rechtsschutz und Vorlagepflicht, EuZW 1991, S.307 (309f.); Schoch (Anm. 142) S.294f. 149 EuGH, Urt.v. 9.11.1995, Rs.C-465/93, Atlanta Fruchthandelsgesellschaft mbH u.a./ Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft, Slg. 1995, S. 1-3761 (3788 ff.). 150 EuGH, Urt.v. 19.11.1991, Rs.C-6/90 und C-9/90, Andrea Francovich u.a./Italienische Republik, Slg. 1991, S.I-5357 (5413ff.); Urt.v.5.3.1996, Rs.C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur SA/Bundesrepublik Deutschland u. a., EuZW 1996, S. 205 (206f.); Urt. v. 23.5.1996, Rs. C-5/94, The Queen/Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte: 146

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daß der Mitgliedstaat gegen eine individualschützende Norm des Gemeinschaftsrechts verstößt, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist, dem Betroffenen ein Schaden entstanden ist und zwischen dem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht und dem Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. 151 Gegenüber dem deutschen Staatshaftungsrecht, insbesondere dem Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB, Art. 34 GG, enthält der Anspruch wegen Verletzung von Gemeinschaftsrecht wichtige Abweichungen: So erfaßt er auch legislatives Unrecht und ist verschuldensunabhängig. Für die praktische Anwendung von geringerer, für die vorliegend behandelte Frage der Implementationsfunktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts jedoch von eminenter Bedeutung ist das Verhältnis zwischen dem aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleiteten Staatshaftungsanspruch und derii nationalen StaatshafHedley Lomas (Ireland) Ltd, EuZW 1996, S.435 (437); Urt.v.8.10.1996, Rs.C-178/94 u.a., Erich Dillenkofer u. a./Bundesrepublik Deutschland, EuZW 1996, S. 654 (655 f.); Urt.v. 10.7.1997, Rs.C-373/95, Frederica Maso u.a./Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS) u.a., EuZW 1997, S.530 (532); Urt. v.22.4.1997, Rs.C-66/95, The Queen/Secretary of State for Social Security, ex parte: Eunice Sutton, EuZW 1997, S.338 (340); Urt.v. 10.7.1997, Rs. C-94/95 und C-95/95, Danila Bonifaci u. a./Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS), EuZW 1997, S.534 (537); Urt.v. 10.7.1997, Rs.C-261/95, Rosalba Palmi sani/Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS), EuZW 1997, S. 538 (539); Urt. v. 2.4.1998, Rs. C-127/95, Norbrook Laboratories Ltd/Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, Slg. 1998, S.1-1531 (1596if.); Urt.v. 15.6.1999, Rs.C-140/97, WalterRechberger u.a./Österreich, EuZW 1999, S.468 (469ff.). 151 Vgl. im einzelnen zu den Voraussetzungen und zu anderen Problemen des geminschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs Carsten Albers, Die Haftung der Bundesrepublik Deutschland für die Nichtumsetzung von EG-Richtlinien, 1995; Monika Böhm, Voraussetzungen einer Staatshaftung bei Verstößen gegen primäres Gemeinschaftsrecht, JZ 1997, S.53ff.; Jürgen Bröhmer, Die Weiterentwicklung des europäischen Staatshaftungsrechts, JuS 1997, S. 117ff.; Matthias Cornils, Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch, 1995; Thomas von Danwitz, Zur Entwicklung der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung, JZ 1994, S. 335 ff.; ders. y Die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung der Mitgliedstaaten, DVB1. 1997, S. 1 ff.; Martina Decken, Zur Haftung des Mitgliedstaates bei Verstößen seiner Organe gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, EuR 1997, S. 203 ff.; Steffen Detterbeck, Staatshaftung für die Mißachtung von EG-Recht, VerwArch 85 (1994), S. 159ff.; Uwe Diehr, Der Staatshaftungsanspruch des Bürgers wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch die deutsche öffentliche Gewalt, 1997; Dörr (Anm. 91) Rn. 485 ff.; Thomas Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997; Jutta Geiger, Der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Staatshaftung, 1997; Bernd Grzeszick, Subjektive Gemeinschaftsrechte als Grundlage des europäischen Staatshaftungsrechts, EuR 1998, S.417 ff.; Armin Hatje, Zur Haftung der Mitgliedstaaten bei Verstößen des Gesetzgebers gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, EuR 1997, S. 297ff.; Christoph Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzung von Gemeinschaftsrecht, 1995; Hans D.Jarass, Haftung für die Verletzung von EURecht durch nationale Organe und Amtsträger, NJW 1994, S. 881 ff.; Hartmut Maurer, Staatshaftung im europäischen Kontext, in: Ebenroth/Hesselberger/Rinne (Hrsg.), Verantwortung und Gestaltung. FS für Karlheinz Boujong, 1996, S. 591 ff.; Gert Meier, Zur Schadensersatzpflicht der Bundesrepublik Deutschland für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht, NVwZ 1996, S. 660f.; Norbert Reich, Der Schutz subjektiver Gemeinschaftsrechte durch Staatshaftung, EuZW 1996, S. 709ff.; Stephan Seltenreich, Die Francovich-Rechtsprechung des EuGH und ihre Auswirkungen auf das deutsche Staatshaftungsrecht, 1997; Martin Zenner, Die Haftung der EG-Mitgliedstaaten für die Anwendung europarechtswidriger Rechtsnormen, 1995.

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tungsrecht. Die Position des Europäischen Gerichtshofs ist nicht recht deutlich. Er weist zum einen darauf hin, daß der Haftungsanspruch „unmittelbar in Gemeinschaftsrecht begründet ist' 4152 bzw. „seine Grundlage unmittelbar im Gemeinschaftsrecht findet 44 1 5 3 . Hieraus wird teilweise entnommen, daß Anspruchsgrundlage eine unmittelbar anwendbare, ungeschriebene Norm des Gemeinschaftsrechts ist. 154 Zum anderen aber erklärt es der Gerichtshof zur Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, „die Folgen des verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben44 und die „materiellen und formellen Voraussetzungen44 festzulegen. 1 5 5 Diese Bemerkungen werden wiederum als Verweis auf die mitgliedstaatliche Vollzugsautonomie gedeutet. Bei diesem Verständnis stellen sich die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben als Verpflichtung der Mitgliedstaaten dar, einen entsprechenden Haftungsanspruch im nationalen Recht zu schaffen. 156 Eine solche Betrachtungsweise entspricht am ehesten der Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten. In diese Richtung wird auch die Bemerkung des Gerichtshofs in der Francovich-Entscheidung zu deuten sein, daß das nationale „Gericht im Rahmen des nationalen Haftungsrechts das Recht... auf Ersatz der Schäden sicherzustellen44 hat, die durch den Gemeinschaftsrechtsverstoß verursacht wurden. 1 5 7 In Deutschland steht für die Verwirklichung der gemeinschaftsrechtlichen Haftungsgarantie der Amtshaftungsanspruch zur Verfügung, der den Vorgaben des Gerichtshofs entsprechend modifiziert anzuwenden ist. 158 bb) Folgerungen Der kurze Überblick über die Beispielsfelder der Einwirkung des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das deutsche Allgemeine Verwaltungsrecht und Verwal152 EuGH, Urt. v. 19.11.1991, Rs. C-6/90 u. C-9/90, Andrea Francovich u. a./Italienische Republik, Slg. 1991, S. 1-5357 (5415). 153 EuGH, Urt. v. 5.3.1996, Rs.C-46/93 u.C-48/93, Brasserie du Pêcheur SA/Bundeserepublik Deutschland u.a., EuZW 1996, S.205 (210); Urt. v.23.5.1996, Rs.C-5/94, The Queen/Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte: Hedley Lomas (Ireland) Ltd., EuZW 1996, S.435 (437); Urt.v. 2.4.1998, Rs.C-127/95, Norbrook Laboratories Ltd./Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, Slg. 1998, S. 1-1531 (1600). 154 Cornils (Anm. 151) S. 109f.; von Danwitz, Die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung (Anm. 151), S. 3; Hans Georg Fischer , Staatshaftung nach Gemeinschaftsrecht, EuZW 1992, S. 41 (42); Fritz Ossenbühl, Staatshaftung zwischen Europarecht und nationalem Recht, in: Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, 1995, S. 1031 (1037). 155 EuGH, Urt. v. 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Andrea Francovich u. a./Italienische Republik, Slg. 1991, S.I-5357 (5415f.). 156 Albers (Anm. 151) S. 128; Deckert (Anm. 151) S.214f.; Martin Nettesheim, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für das deutsche Staatshaftungsrecht, DÖV 1992, S.999 (1000); Rudolf Streinz, Staatshaftung für Verletzungen primären Gemeinschaftsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, EuZW 1993, S.599. 157 EuGH, Urt. v. 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, Andrea Francovich u. a./Italienische Republik, Slg. 1991, S.I-5357 (5416). 158 Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 82), S. 397ff.

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tungsprozeßrecht hat deutlich gemacht, daß die Speicherleistung des Allgemeinen Verwaltungsrechts die gemeinschaftsrechtlichen Implementationsanforderungen kaum noch zu bewältigen vermag. In die Bausteine des Allgemeinen Verwaltungsrechts können gemeinschaftsrechtlich aufgeladene Problemkonstellationen nicht eingepaßt werden, weil das Gemeinschaftsrecht nicht nur andere Paßformen verwendet, sondern das nationale verwaltungsrechtliche Gebäude notfalls einreißt. Für gemeinschaftsrechtliche Sachverhalte ist das Allgemeine Verwaltungsrecht in immer mehr Bereichen nicht mehr Speicher, sondern nur noch Hülle. Seine Formen und Institute werden aus ihrem Systemzusammenhang gerissen und geben lediglich noch den Rechtsanwendungsbefehl für die vom Europäischen Gerichtshof detailliert entwickelten Inhalte. Fern- und Folgeentwicklungen dieser sektoralen Einbrüche für andere Bausteine des verwaltungsrechtlichen Systems werden dabei ausgeblendet. 1 5 9 Sie zwingen gegebenenfalls zu umfangreichen Systemkorrekturen. Nach dem derzeitigen Stand der Gesetzgebung und Rechtsanwendung ergibt sich daraus eine Zweispurigkeit des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Formal kommen zwar dieselben Normen zur Anwendung. Jedoch differiert ihr Regelungsgehalt für Fälle mit Gemeinschaftsbezug und für rein nationale Sachverhalte.160 Mit weiterer Ausdifferenzierung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben durch den Europäischen Gerichtshof entsteht ein immer komplexer werdendes Nebenregime. Die zunehmende Vernetzung auch im Bereich der Verwaltungstätigkeit wird die Sinnhaftigkeit einer solchen Zweispurigkeit mehr und mehr in Frage stellen. Spill over-Effekte für die Rechtsanwendung bei rein nationalen Sachverhalten werden nicht ausbleiben. Teilweise - etwa bei der Figur des subjektiven öffentlichen Rechts und partiell auch bei der Handhabung des einstweiligen Rechtsschutzes - können diese Effekte durch eine interpretatorische Modifikation des Speicherinhalts erreicht werden. In anderen Bereichen - beispielsweise bei der Rücknahme von Verwaltungsakten - stieße diese Vorgehens weise auf methodische Grenzen und würde zu Entscheidungen contra legem führen. In Anbetracht der Fruchtlosigkeit des Versuchs, dem Europäischen Gerichtshof in diesen Fällen eine besondere Begründungslast aufzuerlegen 161, kann die Rückkehr zur Einspurigkeit hier nur durch den Gesetzgeber erfolgen. In letzter Konsequenz würde dies zu einer der Gemeinschaft an und für sich kompetenziell verschlossenen Harmonisierung der Verwaltungsrechte der Mitgliedstaaten162 führen. 159 Schmidt-Aßmann (Anm. 77) S.521; Schoch, Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts (Anm. 82), S. 116 f. 160 Vgl. von Danwitz (Anm. 82) S. 395; Kadelbach, Der Einfluß (Anm. 82), S. 145 f.; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 82), S.483 f.; Meinhard Schröder, Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, Die Verwaltung 31 (1998), S.256 (258). 161 So der Ansatz von Albrecht Weber, Entwicklungen im europäischen Verwaltungsrecht, in: Ipsen/Stüer (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in Europa, 1999, S.35 (50). 162 Dazu etwa von Danwitz (Anm. 82) S. 427 ff.; Wolf gang Kahl, Hat die EG die Kompetenz zur Regelung des Allgemeinen Verwaltungsrechts?, NVwZ 1996, S. 865 ff.; Jürgen Schwarze, Der Beitrag des Europäischen Gerichtshofs zur Europäisierung des Verwaltungsrechts, EuR

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c) Entwicklung eines Verwaltungskooperationsrechts Über die geschilderte Überformung durch europäisches Gemeinschaftsrecht hinaus unterliegt das Allgemeine Verwaltungsrecht einem Anpassungsdruck auch durch die Faktizitäten der Verwaltung im Mehrebenensystem. Zur Abbreviatur der damit formulierten Herausforderungen ist der Begriff „Verwaltungskooperationsrecht" vorgeschlagen worden. 163 Er kann in diesem prospektiven Verständnis verwendet werden, solange präsent bleibt, daß er ein Sammelbegriff für mehrere zu bewältigende Problemschichtungen ist. Wesentlich ist weiterhin, daß mit der Verwendung des Terminus „Verwaltungskooperationsrecht" nicht die Assoziation universaler Normativierung von Kooperationsverhältnissen verbunden wird. Administrative Kooperationslinien verlaufen nicht selten quer zu rechtlichen Steuerungsebenen. Sie sind geprägt durch ein notwendiges Maß an Informalität und Flexibilität, das durch eine Institutionalisierung funktionsinadäquat beschädigt würde. 164 Die Aufgabe eines Verwaltungskooperationsrechts besteht daher darin, den rechtlichen Rahmen für das Funktionieren von Kooperation zur Verfügung zu stellen. Ein regulativer Zugriff auf den Kooperationsvorgang selbst sollte erfolgen, wenn er notwendig ist. Im übrigen muß sich das Verwaltungsrecht darauf beschränken, die Kooperation gegenüber funktionsfremden Einwirkungen abzuschirmen. Aus der Perspektive der Determinierung eines Verwaltungskooperationsrechts kann zwischen Vorgaben des Gemeinschaftsrechts und sich aus den Handlungsstrukturen der Verwaltungsvorgänge ergebenden Regelungsanlässen unterschieden werden. Die an Zielvorstellungen der Gemeinschaft anknüpfende Kooperation kann als direktive, die an der Zusammenarbeit als solcher ansetzende als non-direktive Kooperation bezeichnet werden. 165 Zentrale Vorschrift eines direktiven Kooperationsrechts ist Art. 10 EGV, der sowohl für die vertikale als auch die horizontale Kooperation gilt. Für die vertikale Kooperation zwischen Gemeinschaftsorganen und Verwaltungen der Mitgliedstaaten verlangt Art. 10 EGV von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten wechselseitige Loyalität. 166 Die Mitgliedstaaten sind zur Ergreifung der Maßnahmen verpflichtet, die den Gemeinschaftsorganen die Erfüllung ihrer Aufgabe erleichtern (Art. 10 Abs. 1 S. 2 EGV). Horizontal sind die mitgliedstaatlichen Verwaltungen zu loyaler Zusammenarbeit mit den Trägern der anderen Mitgliedstaaten zur Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts verpflichtet. 167 Diese generel1997, S.419 (430f.); Sommermann (Anm.82) S.896ff.; Christoph Vedder, (Teil-)Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts der EG?, EuR Beih. 1/1995, S.75ff. 163 Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungskooperation und Verwaltungskooperationsrecht in der Europäischen Gemeinschaft, EuR 1996, S. 270ff.; ders., Das Allgemeine Verwaltungsrecht (Anm. 1), S. 1001 ff.; vgl. auch von Danwitz (Anm. 82) S. 493 ff.; Pitschas (Anm. 27) S. 130 f. m Benz (Anm. 26) S. 69. 165 In Anlehnung an Pitschas (Anm. 27) S. 132. 166 Michael Schweitzer/Waldmar Hummer, Europarecht, 5. Aufl. 1996, Rn. 1045 ff. 167 EuGH, Urt.v. 11.6.1991, Rs.C-251/89, Nikolaos Athanasopoulos u.a./Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1991, S. 1-2797 (2848).

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len Gebote werden in zahlreichen Vorschriften des EU- und des EG-Vertrages bereichsspezifisch ausgeformt. Genannt werden sollen hier nur die operative Zusammenarbeit der zuständigen Behörden beim gemeinsamen Vorgehen im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit nach Art. 30 Abs. 1 lit. a EUV, die nach Art. 66 EGV erlassenen Regelungen über die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten sowie zwischen den mitgliedstaatlichen Behörden und der Kommission auf den Politikfeldern des Titels IV des EGV, diverse Informations-, Konsultationsund Amtshilfepflichten. In Anbetracht dieses dichten Netzes gemeinschaftsrechtlich unterfangener Kooperationspflichten wird man davon ausgehen müssen, daß non-direktive Kooperationsregeln nur in Bereichen ohne Bezug zum europäischen Gemeinschaftsrecht in Betracht kommen. Im Mittelpunkt stehen dabei Vorschriften, die ein Verwaltungshandeln regeln, das sich grenzüberschreitend auswirken kann. Ein Beispiel ist die im Raumordnungsrecht einzelner Bundesländer vorgesehene generelle Beteiligung der Behörden von Nachbarstaaten bei der Landesentwicklungsund der Regionalplanung (vgl. §§5 Abs. 3 Nr. 5 und 7, 8 Abs. 3 Nr. 3 und 5 NdsROG). Sofern der Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme 168 verabschiedet werden sollte, wird es hinsichtlich der grenzüberschreitenden Konsultation der Behörden anderer Mitgliedstaaten zu einer Vereinheitlichung kommen. Eine wesentliche Dimension eines direktiven Kooperationsprogramms ist die der Kompatibilität. Kompatibilität ist zum einen in organisatorischer Hinsicht erforderlich. Selbst wenn Kooperation nicht in spezifischen Organisationsstrukturen verfaßt wird, müssen die organisatorischen Schnittstellen der Kooperation kompatibel sein, um interaktionsbehindernde Friktionen zu vermeiden. 169 Dies meint auch eine nach Politikbereichen gefaßte Aufgabenstruktur. 170 Dadurch wird es insbesondere möglich, dem als Kooperationsstandard formulierten „Gebot der Verantwortungsklarheit" Rechnung zu tragen. Das Gebot der Verantwortungsklarheit fordert die Wahrung von Zuständigkeitsregeln und die Offenlegung von Kooperationsaufgabe und -struktur in einem KooperationsVerhältnis. 171 Zum anderen setzt Kompatibilität an den mitgliedstaatlichen Vollzugsordnungen an. 172 Koordinative Politik setzt im Mehrebenensystem die Herstellung vergleichbarer Regelsysteme voraus. Damit ist nicht notwendig die Harmonisierung verwaltungsrechtlicher Vorschriften gemeint. Die nationalen Verwaltungsrechte müssen vielmehr in einer Weise offen gestaltet 168 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, KOM (99) 73 endg., ABl. EG 1999 C83, S. 13. Dazu Jan Ziekow, Strategische Umweltverträglichkeitsprüfung - ein neuer Anlauf, UPR 1999, S. 287ff.; ders., Umweltverträglichkeitsprüfung und raumbezogene Gesamtplanung, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, 1999, S.9 (23 ff.). 169 Wolfgang Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts - Perspektiven der Systembildung, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S.317 (342f.). 170 Vgl. Benz (Anm. 26) S.68. 171 Schmidt-Aßmann (Anm. 163) S.296f.; ebenso Pitschas (Anm. 27) S. 135. 172 Benz (Anm. 26) S. 52; Hoffmann-Riem (Anm. 169) S. 351 ff.; Pitschas (Anm. 27) S. 133.

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werden, die kooperativen Vorgehens weisen Raum läßt. Typisch hierfür ist der Übergang von der Konditional- zur Final- bzw. Konzeptsteuerung. Eng verflochten mit dem Kompatibilitätspostulat ist die informationelle Dimension eines Verwaltungskooperationsrechts. Schnittstellenadäquate Organisation und Handlungsordnung ist nur in Kenntnis der entsprechenden Schritte der Kooperationspartner möglich. Weitergehend ist Kooperation nur auf der Basis wechselseitiger Information möglich. Verwaltungskooperationsrecht ist notwendig Informationsverwaltungsrecht. Dazu muß es den unterschiedlichen Häufigkeiten, Erscheinungsformen und Zwecken von Information in kooperativen Zusammenhängen gerecht werden, um Information zur Steuerung von Kooperation einzusetzen.173 Als dritte zentrale - wenngleich nicht letzte - Säule eines Verwaltungskooperationsrechts läßt sich das Prinzip gegenseitiger Anerkennung benennen.174 Eine Kooperation, in der jeder Partner die Relevanz jeder Handlung jedes Partners für sich selbst negieren kann, endet in Konfrontation. Das Anerkennungsmodell darf durchaus als der kooperativen Verflechtung der verschiedenen Verwaltungsebenen in der Gemeinschaft angemessenes Minus zu einer Harmonisierung der Verwaltungsrechtsordnungen angesehen werden, das flexibel genug ist, um unter Schonung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen Integrationsfortschritte zu implementieren. 175 Wie Kompatibilität und Information ist Anerkennung deshalb kein unmittelbar geltender Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, sondern ein bereichspezifisch unterschiedlich ausgeformter Baustein eines Kooperationsprogramms. Seine Nuancierung bietet gleichzeitig ein Ventil zum Entweichen kooperationsfeindlichen Hierarchieüberdrucks. Nimmt man am Beispiel der Produktzulassung als Pole von administrativen Zulassungsentscheidungen im Mehrebenensystem die Marktzulassung des Produkts mit Wirkung jeweils nur für den nationalen Markt - mit der Folge, daß ein Produktzulassungsverfahren in jedem Mitgliedstaat durchlaufen werden muß - auf der einen Seite und die Zulassung des Produkts durch ein Gemeinschaftsorgan mit Wirkung für alle Mitgliedstaaten auf der anderen Seite, so steht der Anerkennungsgrundsatz dazwischen. 173 Schmidt-Aßmann (Anm. 163) S.290f.; ders. (Anm. 27) S. 19f.; zum Allgemeinen Verwaltungsrecht als Informationsordnung Pitschas (Anm. 75) S. 219 ff. 174 Zu ihm von Danwitz (Anm. 82) S. 407 ff.; ders., Systemgedanken eines Rechts der Verwaltungskooperation, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 171 (179ff.); Ulrich Fastenrath, Die veränderte Stellung der Verwaltung und ihr Verhältnis zum Bürger unter dem Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts, Die Verwaltung ( 1998), S. 277 (301 ff.); Volkmar Götz, Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im europäischen Binnenmarkt, in: Götz/Selmer/Wolfrum (Hrsg.), Liber amicorum Günther Jaenicke, 1998, S. 763 ff.; Heinrich Matthies, Zur Anerkennung gleichwertiger Regelungen im Binnenmarkt der EG, in: Baur/Hopt (Hrsg.), FS für Ernst Steindorff, 1990, S. 1287 ff.; Volker Neßler, Europäisches Richtlinienrecht wandelt deutsches Verwaltungsrecht, 1994, S. 5 ff.; ders., Der transnationale Verwaltungsakt, NVwZ 1995, S. 863 ff.; Roland Niehof, Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Gemeinschaftsrecht, 1989; Ernst Steindorff, Anerkennung im EG-Recht, in: Pfister/Will (Hrsg.), FS für Werner Lorenz, 1991, S. 561 ff. 175 Vgl. von Danwitz (Anm. 82) S.413f.; ders. (Anm. 174) S. 179ff.

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Als Beispiel für ein hierarchisiertes Zulassungsverfahren kann das durch die sog. Novel- Food-Verordnung von Anfang 1997 aufgerichtete Regime für die Zulassung bestimmter neuartiger Lebensmittel gelten.176 Es führt für Produkte, die dem Anwendungsbereich der Verordnung unterfallen, ein präventives Zulassungssystem ein. Der Antrag auf Zulassung wird bei der nationalen Behörde gestellt, die eine Prüfung des Produkts durch eine nationale Lebensmittelprüfstelle herbeiführt. Der weitere Verfahrensablauf hängt vom Ergebnis dieser Prüfung ab: Fällt der Prüfbericht negativ aus, so folgt daraus nicht eine Versagung der Genehmigung durch die nationale Zulassungsbehörde. Vielmehr erfolgt eine ergänzende Prüfung auf Gemeinschaftsebene, deren Ausgang entweder zur Ablehnung oder zur Erteilung einer Gemeinschaftsgenehmigung durch die Kommission führt. Ein positiver Prüfbericht der nationalen Lebensmittelprüfstelle hingegen gibt jedem anderen Mitgliedstaat und der Kommission die Möglichkeit, Einwände gegen die Zulassung des Produkts zu erheben. Unterbleiben solche Einwände, so wird die Genehmigung durch die nationale Zulassungsbehörde erteilt. Die Erhebung von Einwänden leitet dagegen das Verfahren auf die Kommission über, die die Genehmigung erteilt oder den Antrag ablehnt. Für die Wirkung der Genehmigung ist es unerheblich, ob sie von der nationalen Zulassungsbehörde oder der Kommission erteilt wird; sie gilt in beiden Fällen gemeinschaftsweit. Gleichwohl läßt sich von einem vertikalen Kooperationsverhältnis nicht wirklich sprechen: Herrin des Verfahrens ist die Kommission. Durch die Erhebung von Einwänden kann sie das Verfahren an sich ziehen; die eigentliche Entscheidung über Erteilung oder Ablehnung der Genehmigung liegt allein bei ihr. 177 Die nationale Zulassungsbehörde wird als bloße Durchgangsstelle instrumentalisiert. Sie ist gleichsam nur noch Junior-Partner der Kommission. Insoweit unterscheidet sich das Zulassungsverfahren nach der Novel Food-Verordnung von der zentralisierten Zulassung beispielsweise für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel. Dort wird das Verfahren von Anfang an von Gemeinschaftsorganen durchgeführt; dem Kooperationsprinzip wird durch die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Bemerkungen zum Entscheidungsentwurf der Kommission zu übermitteln, Rechnung getragen. 178 176

Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.1.1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten, ABl. EG 1997 L43, S. 1 ff.; dazu Klaus Ferdinand Gärditz, Die Novel-Food-Verordnung, ZUR 1998, S. 169ff.; Rainer Wahl!Detlef Groß, Die Europäisierung des Genehmigungsrechts am Beispiel der Novel FoodVerordnung, DVB1. 1998, S.2ff. Zum Verhältnis zwischen deutschem und europäischem Lebensmittelrecht vgl. Friedhelm Hufen, Verwaltungskooperation in der EG: Lebensmittel- und Veterinärrecht, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S.99ff. 177 Zweifel an der Kompetenzgerechtigkeit der Novel-Food-Verordnung bei Gärditz (Anm. 176), S. 170ff. 178 Vgl. im einzelnen die Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22.7.1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arz-

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Solche Vergemeinschaftungen von Entscheidungen sind dem auf dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 EGV) gegründeten Binnenmarktkonzept weniger angemessen als die Ausstattung nationaler Verwaltungsentscheidungen mit transnationalen Wirkungen. 1 7 9 Derartige transnationale Wirkungen zeitigen Entscheidungen dann, wenn sie zwar von nationalen Behörden als Entscheidungen des nationalen Verwaltungsrechts getroffen werden, jedoch für die Behörden anderer Mitgliedstaaten aus rechtlichen Gründen zu einer Reduzierung des Entscheidungsprogramms führen. Idealtypisch ist insoweit die gemeinschaftrechtlich angeordnete gemeinschaftsweite Geltung einer von einer nationalen Behörde getroffenen Zulassungsentscheidung. Die Zulassung gilt in diesem Fall in jedem Mitgliedstaat, ohne eines Anerkennungsakts zu bedürfen. Läßt sich hierfür von echter Transnationalität sprechen, so meint vermittelte Transnationalität die Konstellation, daß die Wirkung der Entscheidung in anderen Mitgliedstaaten von einer ausdrücklichen Bestätigung durch die dortigen Behörden abhängig ist. 1 8 0 Diese Bestätigung kann entweder voraussetzungslos erfolgen oder von der Durchführung eines ergänzenden Prüfprogramms, insbesondere der Vergleichbarkeit mit den materiellen Standards des nationalen Rechts, abhängig gemacht werden. Beispiel für die letztgenannte Form vermittelter Transnationalität ist der für die Anerkennung von Diplomen vorgesehene Vergleich der Kenntnisse und Fähigkeiten. 181 neimitteln, ABl. EG 1993 L214, S. 1 ff.; dazu Brigitte Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren für Arzneimittel, 1996, S.65ff. 179 Von Danwitz (Anm. 82) S. 41 Of.; Stefan Langer, Subsidiarität und Anerkennungsprinzip, ZG 1993, S. 193 (205); Scheuing (Anm. 82) S. 342. Zum Subsidiaritätsprinzip vgl. nur Reimer von Borries, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union, EuR 1994, S.263 ff.; Thomas Bruha, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Gemeinschaft, in: Riklin/ Batliner (Hrsg.), Subsidiarität, 1994, S. 373 ff.; Christian Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 2. Aufl. 1999; Thomas Goppel, Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips, EuZW 1993, S. 367 ff.; Markus Heintzen, Subsidiaritätsprinzip und Europäische Gemeinschaft, JZ 1991, S. 317 ff.; Wolfgang Kahl, Möglichkeiten und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips nach Art.3b EG-Vertrag, AöR 118 (1993), S.414ff.; Gerhard Konow, Zum Subsidiaritätsprinzip des Vertrags von Maastricht, DÖV 1993, S. 405 ff.; Helmut Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, 1993; Jörn Pipkorn, Das Subsidiaritätsprinzip im Vertrag über die Europäische Union, EuZW 1992, S. 697 ff.; Stefan Ulrich Pieper, Subsidiaritätsprinzip - Strukturprinzip der Europäischen Union, DVB1. 1993, S. 705 ff.; Bernhard Schima, Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994. 180 Zur Terminologie Schmidt-Aßmann (Anm. 163) S. 301. 181 Vgl. die Richtlinie 89/48 EWG des Rates vom 21.12.1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, ABl. EG 1989 L 19, S. 16ff.; Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18.6.1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG, ABl. EG 1992 L209, S.25ff.; Richtlinie 1999/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.6.1999 über ein Verfahren zur Anerkennung der Befähigungsnachweise für die unter die Liberalisierungs- und Übergangsrichtlinien fallenden Berufstätigkeiten in Ergänzung der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise, ABl. EG 1999 L201, S.77ff. Grundlegend zur Prüfungspflicht nach Primärrecht EuGH, Urt. v. 7.5.1991, Rs. 340/89, Irène Vlassopoulou/Ministerium für Justiz etc. Baden-Württemberg, Slg. 1991, S. 1-2357 (2384f.); zuletzt Urt. v. 8.7.1999,

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Über diese transnationalen Entscheidungswirkungen hinaus finden sich weitere Transnationalitätsphänomene im Sinne einer Entgrenzung nationalen Verwaltungshandelns. Zu nennen ist etwa die Durchführung von behördlichen Aufsichtsmaßnahmen auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaats im Kreditwesen. Die Zulassung eines Unternehmens mit Hauptniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat berechtigt zum erlaubnisfreien Betrieb einer Zweigniederlassung in der Bundesrepublik Deutschland (§ 53 b Abs. 1 KWG). Die zuständigen Behörden des Herkunftsstaates können dann nach vorheriger Unterrichtung des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen bei der Zweigniederlassung, also in der Bundesrepublik, die für die bankaufsichtliche Überwachung der Zweigniederlassung erforderlichen Informationen prüfen (§ 53 b Abs. 6 KWG). 1 8 2 Aufgabe des Allgemeinen Verwaltungsrechts im Rahmen des Programms eines Verwaltungskooperationsrechts ist es, den Steuerungsrahmen aufgabenadäquat zu öffnen. Unter den Gesichtspunkten Kompatibilität, Information und Anerkennung ist das Allgemeine Verwaltungsrecht die Steuerungsebene, die am ehesten ein die unterschiedlichen Kooperationsprobleme flexibel implementierendes Rahmenrecht setzen kann. Dies gilt insbesondere für eine schnittstellengerechte Organisation und Vollzugsordnung, eine generelle Informations- und Kommunikationsstruktur sowie die Bewältigung der mit dem Anerkennungsprinzip verbundenen Folgeprobleme. 2. Verwaltungsrechtliche Herausforderungen staatlicher Modernisierung Auch die Anforderungen, die die Modernisierung des Staates an das Allgemeine Verwaltungsrecht stellt, können hier nur ausschnittweise dargestellt werden. Die verwaltungsrechtliche Reflexion des Neuen Steuerungsmodells hat zu beachten, daß es sich um einen Ansatz handelt, der nicht primär auf die normative Steuerung setzt. Das Recht kann hier nur begleiten und als Mittel der Öffnung zur Ermöglichung von Verhaltensänderungen eingesetzt werden. Orientierungspunkt ist das Leitbild einer kooperativen Verantwortungsordnung, die sich auf den Parametern Dezentralisierung, Kooperation, Kommunikation und Transparenz aufbaut. Organisationsrechtlich ist die Beseitigung der „organisierten Unverantwortlichkeit" 183 aufRs.C-234/97, Teresa Fernandez de Bobadilla/Museo Nacional del Prado u.a., EuZW 1999, S. 569 (570). Zu diesem Problembereich Susanne St. Clair Renard, Freizügigkeit für Selbständige und abhängig Beschäftigte und gegenseitige Anerkennung von Befähigungsnachweisen, in: Blaurock (Hrsg.), Der Binnenmarkt und die Freiheit der freien Berufe in Deutschland und Schweden, 1997, S.45ff.; Martin Wasmeier, Aktuelle Fragen im Zusammenhang mit der Anerkennung von Berufsabschlüssen, EuZW 1999, S. 746ff.; Klaus Winkler, Freizügigkeit und Anerkennung von Befähigungsnachweisen nach EU-Recht, WiVerw. 1998, S. 83 ff. 182 Dazu Thomas Groß, Die administrative Föderalisierung der EG, JZ 1994, S. 596ff.; Martin Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse im EG-Binnenmarkt, 1998. 183 Stefan Schweiger, Zielorientierte Steuerung in der Kommunalverwaltung, in: Neuausrichtung kommunaler Dienstleistungen, 1999, S.70 (73).

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gegeben. Das Denken in Ressortgrenzen muß einer Organisationsstruktur weichen, die kundenorientierte Problemlösungsstrategien ermöglicht. Sach- und Ressourcenverantwortung müssen zusammengeführt und dezentralisiert werden. Die in der Verantwortung verselbständigten Entscheidungseinheiten werden weitgehend aus der hierarchischen Steuerung herausgenommen und entscheiden autonom über Inhalt und Weg der Zielerreichung. Nomativ entspricht dem ein Übergang zur konzeptuellen Programmierung auf breiter Linie. Ob es auf instrumenteller Ebene wirklich einer rechtlichen Verarbeitung des Kontraktmanagements hinsichtlich der Einordnung, der Verbindlichkeit und des Leistungsstörungsregimes bedarf 184, sollte gründlich eruiert werden, um einengende Überregulierungen zu vermeiden. Andere europäische Staaten, die ihre Verwaltungen nach dem Modell des New Public Management restrukturiert haben, interpretieren Kontraktmanagement als organisierte Verhandlungskultur ohne Sanktionsmechanismen. Zielvereinbarungen sind in diesem Verständnis Mittel der Kontakt-, nicht der Kontraktsteuerung. 185 Das den Steuerungskreis schließende Berichtswesen 186 muß durch eine innerorganisatorische Kommunikationsordnung flankiert werden. Durch die Dezentralisierung werden für den Bürger als Kunden die Verantwortlichkeiten transparent. Im Rahmen der Finalprogrammierung werden Spielräume für ein auf Kommunikation aufbauendes konsensorientiertes Verwaltungshandeln eröffnet, das dem traditionellen öffentlichrechtlichen Denken in Kategorien der Subordination nicht mehr in vollem Umfang entspricht. Das Allgemeine Verwaltungsrecht muß sich um die Aufweichung zu starrer Grenzziehungen im Hinblick auf das Normenregime und die Handlungsformenlehre bemühen. Entsprechendes gilt für die Überprüfung der restriktiven Haltung des deutschen Verwaltungsrechts gegenüber Informationsrechten des Bürgers. 187 Daraus mag deutlich werden, daß das Neue Steuerungsmodell als ganzheitliches Konzept dem Allgemeinen Verwaltungsrecht einen Paradigmenwechsel abfordert. 188 Das Modernisierungsfeld „Privatisierung" stellt Anforderungen zunächst an die Entwicklung einer auf Subsidiarität gegründeten Staatsaufgabenlehre. 189 Das Allge184

Dazu Hill (Anm. 42) S. 131; Olaf Otting, Kontraktmanagement in der Kommunalverwaltung, VR 1997, S. 361 ff.; Pünder (Anm.42) S.63ff.; Wallerath (Anm. 42) S.60ff.; Thomas R. Wolf Die Verbindlichkeit im kommunalen Kontraktmanagement, NordÖR 1999, S. 31 ff. 185 So für Dänemark und Schweden Werner Jann, Wandel und Kontinuität der Verwaltungskultur in Großbritannien und Skandinavien, Vortrag auf der Sitzung des Gesprächskreises Verwaltungslehre am 6.10.1999 in Heidelberg (erscheint in der Zeitschrift „Die Verwaltung"). 186 Zum Verhältnis zwischen Controlling und Aufsicht vgl. Rainer Pitschas, Strukturen und Funktionswandel der Aufsicht im Neuen Verwaltungsmanagement, DÖV 1998, S. 907 ff. 187 Vgl. in diesem Zusammenhang Stephan H. Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, 1996. 188 Dazu Rainer Pitschas, Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungsrecht im „schlanken Staat", V M 1996, S.4ff., 83ff., 163ff. 189 Vgl. zur Problematik der Staatsaufgaben Hans Peter Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977; Josef Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutsch15 Pitschas/Kisa

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meine Verwaltungsrecht muß sich in erster Linie einer praktikablen Privatisierungstypen- und -folgenlehre widmen. Weite Vorarbeiten sind hier bereits geleistet. Soweit es nicht um die Privatisierung von Vermögen, sondern um die von Aufgaben geht, wird zwischen formeller, materieller und funktionaler Privatisierung unterschieden. 1 9 0 Bei der formellen Privatisierung verbleibt die Aufgabenverantwortung in vollem Umfang bei dem Verwaltungsträger. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt durch eine verselbständigte juristische Person des Privatrechts, die sich jedoch vollständig in der Hand des Verwaltungsträgers befindet. Demgegenüber ist die materielle Privatisierung dadurch gekennzeichnet, daß nicht nur die Aufgabenwahrnehmung, sondern auch die Aufgabenverantwortung auf ein Privatrechtssubjekt übertragen wird, das von dem Verwaltungsträger unabhängig ist. Die Kategorie der funktionalen Privatisierung umfaßt eine Vielzahl von Formen der Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und Privaten. Ihr verbindendes Merkmal besteht im Verbleiben der Aufgabenverantwortung bei dem Verwaltungsträger, während in die Aufgabenwahrnehmung zumindest partiell ein von der öffentlichen Hand unabhängiger Privater eingeschaltet wird. 191 Wichtige Beispiele sind die Finanzierungsprivatisierung 192 , gemischtwirtschaftliche Unternehmen und Formen von Public Private Partnership wie etwa das Betreibermodell im Bereich kommunaler Daseins Vorsorge 193. Für die aus diesen Privatisierungstypen folgenden unterschiedlichen Probleme ergeben sich Re-Regulierungsanforderungen für das Verwaltungsrecht. Der Rückzug des Staates von der Erfüllungs- auf die Gewährleistungsverantwortung bedarf des Einsatzes eines steuernden und kontrollierenden Instrumentariums, um die Zielerreichung durch die privaten Rechtssubjekte zu gewährleisten. Zu nennen sind die Überwachung der Regel- und Marktkonformität der Prozesse sowie die Intervention bei Gefährdung des angestrebten Ziels. 194 land, Bd. 3,1988, §57; Gunnar Folke Schuppert, Die öffentliche Aufgabe als Schlüsselbegriff der Verwaltungswissenschaft, VerwArch 71 (1980), S. 309 ff. 190 Zu dieser Typenbildung Alfons Gern, Privatisierung in der Kommunalverwaltung, 1997, S. 8ff.; Johannes Hengstschläger, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 165 (170); Friedrich Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVB1. 1994, S. 962; Jan Ziekow, Rechtliche Rahmenbedingungen der Privatisierung kommunaler Dienstleistungen, in: Neuausrichtung kommunaler Dienstleistungen, 1999, S. 132 (137ff.). 191 Lerke Osterloh, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S.204 (223). 192 Zu den einzelnen Formen Jan-Holger Arndt, Die Privatfinanzierung von Bundesfernstraßen, 1998; Annegret Bucher, Privatisierung von Bundesfernstraßen, 1996; Klaus Grupp, Rechtsprobleme der Privatfinanzierung von Verkehrsprojekten, DVB1.1994, S. 140ff.; Hannes Rehm, Modelle zur Finanzierung kommunaler Investitionen durch Private, in: Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994, S.93ff.; Tilmann Schweisfurth, Privatwirtschaftliche Formen kommunaler Investitionsfinanzierung, 1991. 193 Im einzelnen Hartmut Bauer, Verwaltungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Aspekte der Gestaltung von Kooperationsverträgen bei Public Private Partnership, DÖV 1998, S. 89 ff.; Peter J. Tettinger, Die rechtliche Ausgestaltung von Public Private Partnership, DÖV 1996, S. 764ff. 194 Dazu Hartmut Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S.243 (253 ff.); Wolf gang Hoffmann-Riem, Telekommunikationsrecht als europäisiertes Ver-

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In verwaltungsrechtlicher Perspektive eng verklammert sind die Felder Deregulierung und Selbststeuerung. Der Abbau regulativer Steuerung öffnet Räume gesellschaftlicher Selbstregulierung. Unmittelbar deutlich wird dies, wenn - wie dies in Deutschland insbesondere i m Baurecht geschehen ist 1 9 5 - behördliche Zulasssungserfordernisse abgebaut werden. Sie werden ersetzt durch das Eigeninteresse des Privaten an der Einhaltung bestimmter Standards, flankiert durch das zivilrechtliche Haftungsregime. 196 Eigenüberwachung findet sich aber nicht nur als Eröffnungskontrolle, sondern ebenso in der repressiven Überwachung, beispielsweise durch Betriebsbeauftragte. 197 Das aus dem Umweltrecht bekannte Auditierungsverfahren wird als verallgemeinerungsfähiges Instrument zur Entlastung von Unternehmen in Genehmigungs- und Überwachungsverfahren angesehen. 198 Kompensations- und Zertifikatsmodelle wollen Marktmechanismen zu einer Vorteil/Nachteil-Saldierung nutzen. 1 9 9 Für das Allgemeine Verwaltungsrecht ergibt sich die Aufgabe, solcher-

waltungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 191 (193 ff.); H einz-JoachimPabstlRolf Schwartmann, Privatisierte Staatsverwaltung und staatliche Aufsicht, DÖV 1998, S. 315 ff.; Gunnar Folke Schuppert, Vom produzierenden zum gewährleistenden Staat, in: König/Benz (Hrsg.), Privatisierung und staatliche Regulierung, 1997, S.539ff. 195 Vgl. Gerd Lautner, Bauaufsichtsrecht und Deregulierung, VR 1999, S.37ff.; KarstenMichael Ortloff, Abschied von der Baugenehmigung - Beginn beschleunigten Bauens?, NVwZ 1995, S. 112 ff.; Christina Preschel, Abbau der präventiven bauaufsichtlichen Prüfung und Rechtsschutz, DÖV 1998, S.45ff.; Bernd H. Schulte, Schlanker Staat: Privatisierung der Bauaufsicht durch Indienstnahme von Bauingenieuren und Architekten als staatlich anerkannte Sachverständige, BauR 1998, S. 249 ff. 196 Vgl. zum Haftungsrecht als Steuerungsinstrument Petra Becker, Umwelthaftungsrecht als Instrument der europäischen Umweltpolitik, 1999; Gebhard Kirchgässner, Haftungsrecht und Schadensersatzansprüche als umweltpolitische Instrumente, ZfU 1992, S. 15 ff.; Jürgen Klass, Zum Stand der Umwelthaftung in Deutschland, UPR 1997, S. 134 (136f.); Gerhard Wagner, Die Aufgaben des Haftungsrechts, JZ 1991, S. 175 (176ff.). 197 Dazu Gudrun Dirks, Die Umweltschutzbeauftragten im Betrieb, DB 1996, S. 1021 ff.; Frank Fischer, Der Betriebsbeauftragte im Umweltschutzrecht, 1996; Wolf gang Föste, Umweltschutzbeauftragte und präventiver Umweltschutz in der Industrie, 1994; Siegfried Kalmbach! Jürgen Schmölling, Der Immissionsschutzbeauftragte, 1994; Georg Kaster, Die Rechtsstellung des Betriebsbeauftragten für Umweltschutz, GewArch 1998, S. 129 ff.; Michael Kotulla, Umweltschutzbeauftragte, 1995. 198 Vgl. Heribert Schmitz, Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts im Schlanken Staat, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 171 (188 f.). Zum Umweltaudit Nicolas Glatfeld, Das Umweltaudit im Kontext der europäischen und nationalen Umweltgesetzgebung, 1998; Wolf gang Köck, Das Pflichten- und Kontrollsystem des Öko-Audit-Konzepts nach der Öko-Audit-Verordnung und dem Umweltauditgesetz, VerwArch 87 (1996), S. 644 ff.; Gertrude Lübbe-Wolff, Das Umweltauditgesetz, NuR 1996, S. 217 ff.; Jens-Peter Schneider, Öko-Audit als Scharnier in einer ganzheitlichen Regulierungsstrategie, Die Verwaltung 28 (1995), S. 361ff.; Dieter Seltner!Jörn Schnutenhaus, Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung („Umwelt-Audit"). NVwZ 1993, S. 928 ff.; Siegfried Waskow, Betriebliches Umweltmanagement, 2. Aufl. 1997. 199 Dazu Michael Bothe, Rechtliche Voraussetzungen für den Einsatz von handelbaren Emissionszertifikaten am Beispiel von S0 2 , NVwZ 1995, S. 937 ff.; Christoph Enders, Kompensationsregelungen im Immissionsschutzrecht, 1996; Alfred Endres!Eckard Rehbinder/Reils*

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maßen kooperative Vollzugsformen einzufangen. Die Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft darf nur probeweise in einer konturenlosen Grauzone verbleiben. Wird Selbstregulierung grundsätzlich als Strategie akzeptiert, so bedarf es der Entwicklung allgemeiner Verantwortungsregeln, die die Bereiche des Öffentlichen und des Privaten neu justieren. Wie bei der Privatisierung wird es auch hier darum gehen, die Gewährleistungsverantwortung des Staates normativ zu übersetzen. 2 0 0 Typologisch handelt es sich beim Übergang zur gewährleistend unterfütterten Selbstregulierung um den Wechsel zur Konzeptsteuerung. Das vorgegebene Ziel soll zunächst autonom durch die gesellschaftlichen Kräfte und erst subsidiär durch staatliches Handeln verwirklicht werden. Die extensiv geführte Diskussion um die Beschleunigung von Verwaltungsverfahren 2 0 1 berührte erst spät das Allgemeine Verwaltungsrecht. I m Mittelpunkt standen zunächst legislatorische Beschleunigungsmaßnahmen auf verschiedenen Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts. 202 Aus neuerer Zeit seien nur das Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz vom 17.5.1990 203 , das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz vom 16.12.1991 204 , das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22.4.1993 2 0 5 , das Planungsvereinfachungsgesetz vom 17.12.1993 206 , das mund Schwarze, Umweltzertifikate und Kompensationslösungen aus ökonomischer und juristischer Sicht, 1994; Anne Voigtländer, Kompensationslösungen in der Luftreinhaltung, 1995; Martin Wasmeier, Marktfähige Emissionslizenzen, NuR 1992, S. 219ff. 200 s. Christine Steinbeiß-Winkelmann, Verfassungsrechtliche Vorgaben und Grenzen der Verfahrensbeschleunigung, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S.201 (217ff.). 201 Vgl. nur Martin Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren für eilbedürftige Vorhaben, 1991; ders., Verwaltung im Rhythmus von Wirtschaft und Gesellschaft, JZ 1991, S. 53ff.; ders.; Investitionsförderung durch nachfragegerechte und kooperative Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, JZ 1994, S. 1129ff.; Lucia Eckert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1997; Rolf Krumsiek/Klaus Peter Frenzen, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, DÖV 1995, S. 1013 ff.; Paul Rombach, Der Faktor Zeit in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1994; Otto Schlichter, Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren, DVB1. 1995, S. 173 ff.; Rudolf Steinberg/Hans-Jürgen Allertl Carsten GramstJoachim Scharioth, Zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Industrieanlagen, 1991. 202 Zusammenfassend Guckelberger (Anm. 54) S. 17 ff. 203 BGBl. I 1990 S. 926 ff.; dazu Henning Jäde, Das Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz, UPR 1991, S.50ff. 204 BGBl. I 1991 S. 2174ff.; dazu Willi Blümel, Verkehrswegeplanung in Deutschland, in: ders./Magiera/Merten/Sommermann, Verfassungsprobleme im vereinten Deutschland, 1993, S. 6ff.; Stefan KlinskilHartmut Gaßner, Das Gesetz zur Beschleunigung der Verkehrswegeplanung, NVwZ 1992, S. 235 ff.; Michael Ronellenfitsch, Neues Verkehrswegeplanungsrecht, DVB1. 1994, S.441 ff.; Udo Steiner, Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege im gesamten Bundesgebiet, in: Blümel/Pitschas (Hrsg.), Reform des VerwaltungsVerfahrensrechts, 1994, S. 151 ff. 205 BGB1.I 1993 S. 466ff.; dazu Jürgen Busse, Das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz, BayVBl. 1993, S. 193 ff.; Michael Krautzberger, Das Investitionserleichterungs· und Wohnbaulandgesetz, NVwZ 1993, S. 520 f f ; Hartwig Lüers, Investitionserleichterungs· und Wohnbaulandgesetz, LKV 1993, S. 185 ff.

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Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9.10.1996 2 0 7 und das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 vom 18.8.1997 208 genannt. Eingriffe in das allgemeine Verwaltungs verfahrensrecht erfolgten durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12.9.1996 209 . Inhaltlich lassen sich die Gesetzesänderungen in die Bereiche Entwertung des Verwaltungs Verfahrens und Kooperationsmanagement unterteilen. Die sog. dienende Funktion des Verfahrens gegenüber der Einhaltung materiellrechtlicher Standards ist durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz stark akzentuiert worden. Das deutsche Verwaltungsrecht ist damit i m Begriff, sich von der Rechtsentwicklung in anderen europäischen Staaten und auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts abzukoppeln, die stärker auf eine Prozeduralisierung des Rechts setzt und das Verfahren als Garant einer den zu integrierenden Interessen auch inhaltlich angemessenen Verwaltungsentscheidung sieht. 2 1 0 Die - allerdings aus den Fachplanungsgesetzen übernommene - Erteilung einer Plangenehmigung anstatt einer Planfeststellung ( § 7 4 Abs. 6 V w V f G ) entbindet zwar nicht von der Beachtung des Abwägungsgebots. 211 Jedoch wird eine umfassende Interessenintegration dadurch erschwert, daß eine Öffentlichkeitsbeteiligung 206

BGBl. I 1993 S. 2123 ff.; Rudolf Steinberg/Thomas Berg, Das neue Planungsvereinfachungsgesetz, NJW 1994, S. 488 ff.; Udo Steiner, Das Planungsvereinfachungsgesetz, NVwZ 1994, S. 313 ff. 207 BGBl. 1 1996 S. 1498 ff.; dazu Klaus Hansmann, Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren?, NVwZ 1997, S. 105 ff.; Jürgen W. Meins, Neuerungen im Immissionsschutzrecht, BayVBl. 1998, S. 136 ff.; Franz-Josef Moormann, Die Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes durch das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren, UPR 1996, S. 408ff.; Kurt Schäfer, Die Beschleunigungsnovellen zum Immissionsschutzrecht, NVwZ 1997, S. 526 ff. 208 BGBl. I 1997 S. 2081 ff.; dazu Ulrich Battis! Michael Krautzberger/Rolf-Peter Lohr, Die Neuregelungen des Baugesetzbuchs zum 1.1.1998, NVwZ 1997, S. 1145 ff.; MichaelDolderer, Das Baugesetzbuch 1998, NVwZ 1998, S. 567 ff.; Franz-Joseph Peine, Das neue Bau- und Raumordnungsrecht 1998, JZ 1998, S.23ff. 209 BGBl. I 1996 S. 1354ff.; dazu Heinz Joachim Bonk, Strukturelle Änderungen des Verwaltungsverfahrens durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1997, S. 320ff.; Nico Feng 1er, Rechtsprobleme zum Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, RiA 1997, S. 279 ff.; Caspar David Hermann, Das GenBeschlG und die Fachplanungsgesetze, in: Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, 1997, S. 144ff.; Henning Jäde, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren nach dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, UPR 1996, S. 361 ff.; Karl Pein, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, BB 1996, S. 1399ff.; Heribert Schmitz!Franz Wessendorf, Das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1996, S. 955 ff. 210 Schmidt-Aßmann (Anm. 27) S. 36f. 211 BVerwG NVwZ 1995, S.379; BVerwGE 98, S. 100 (103). Zur Plangenehmigung Peter Axer, Die Konzentrationswirkung der Plangenehmigung, DÖV 1995, S.495 ff.; Erich Gassner, Zur Gleichstellung der Rechtswirkungen von Planfeststellung und Plangenehmigung, NuR 1996, S.492 ff.; Hans-Jürgen Ringel, Die Plangenehmigung im Fachplanungsrecht, 1996; Sandra Timmermans, Planfeststellung und Plangenehmigung, VB1BW 1998, S. 285 ff.

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nicht stattfindet. 212 Ebenfalls im Fachplanungsrecht vorgebildet war die Präklusion nicht fristgerecht abgegebener behördlicher Stellungnahmen (§ 73 Abs. 3 a VwVfG). Da sich die Präklusion nicht auf solche Belange erstreckt, die der Planfeststellungsbehörde bekannt sind oder ihr hätten bekannt sein müssen oder die für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung von Bedeutung sind, wird man ihren normativen Ausschlußgehalt als gering ansehen müssen.213 Um so höher wird hingegen von der Verwaltungspraxis ihre verwaltungspolitische Wirkung als Beschleunigungsinstrument eingestuft. 214 Gravierender als durch die genannten Möglichkeiten zur Verfahrensstraffung wird der Verfahrensgedanke durch das installierte Fehlerfolgenregime betroffen. Die in § 45 VwVfG vorgesehene Möglichkeit zur Heilung bestimmter Verfahrensund Formfehler wurde in zeitlicher Hinsicht bis zum Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erweitert (§ 45 Abs. 2 VwVfG). Erweitert wurde auch der Anwendungsbereich des § 46 VwVfG, der einen Anspruch auf Aufhebung von Verfahrens- und formfehlerhaften Verwaltungsakten ausschließt. Galt er früher nur für Entscheidungen, die inhaltlich alternativlos waren - also gebundene Verwaltungsakte und Ermessensentscheidungen im Fall der Ermessensreduzierung auf Null - , so erfaßt § 46 VwVfG nunmehr alle form- und verfahrensfehlerhaften Verwaltungsakte, wenn offensichtlich ist, daß die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflußt hat. Einbezogen sind jetzt auch Ermessensentscheidungen ohne Ermessensschrumpfung auf Null und die mit Beurteilungsspielraum ergehenden Verwaltungsakte, wenn nicht die konkret feststellbare Möglichkeit besteht, daß die Entscheidung in der Sache ohne den Fehler anders ausgefallen wäre. 215 In Parallele hierzu ist für Planfeststellungsbeschlüsse eine planerhaltende Fehlerfolgenregelung in § 75 Abs. 1 a VwVfG aufgenommen worden. Sie erklärt nur solche Abwägungsmängel für erheblich, die offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind. Selbst danach erhebliche Mängel führen nur dann zur Aufhe212

BVerwGE 98, S. 100 (104). Vgl. Franz-Joseph Peine, Die Präklusion öffentlicher Belange, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S.249 (264ff.); Hans Christian Röhl/Clemens Ladenburger, Die materielle Präklusion im raumbezogenen Verwaltungsrecht, 1997, S. 84ff. 214 Vgl. die Stellungnahmen von Franz Graßmann, Dorothea Lepold und Christiane Mende , in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 271 ff. 215 Zu diesem Problemkreis Christian-Dietrich Bracher, Nachholung der Anhörung bis zum Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens?, DVB1. 1997, S. 534ff.; Wilfried Erbguth, Zur Vereinbarkeit der jüngeren Deregulierungsgesetzgebung im Umweltrecht mit dem Verfassungs- und Europarecht, 1999, S.79ff; Athanasios Gromitsaris, Fehlerfolgenregelungen im Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, SächsVBl. 1997, S. 101 ff.; Armin Hatje, Die Heilung formell rechtswidriger Verwaltungsakte im Prozeß als Mittel der Verfahrensbeschleunigung, DÖV 1997, S. 477 ff.; Helge Sodan, Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrens- und Formfehlem, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 107 ff. 213

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bung, wenn sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können.216 Der zweite wesentliche Baustein der Änderung des VerwaltungsVerfahrensgesetzes ist die Betonung eines Kooperationsmanagements. Die dahingehende Marschroute war von der durch die Bundesregierung eingesetzten Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren - der sog. Schlichter-Kommission - , auf deren Vorschläge das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz teilweise zurückgreift, klar abgesteckt worden. Beratung und kooperative Beschleunigung sind wesentliche Elemente des von der Kommission vorgeschlagenen offenen Beschleunigungsmodells.217 Wesentliche Versatzstücke eines solchen Kooperationsmanagements nennt § 71 c VwVfG. 2 1 8 Hervorzuheben sind die Pflicht der Behörde zur Erteilung von Auskunft über die Möglichkeiten zur Beschleunigung des Verfahrens (§ 71 c Abs. 1 VwVfG) sowie zur Mitteilung über die voraussichtliche Verfahrensdauer (§ 71c Abs. 3 VwVfG). Im sog. Vor-Antragsverfahren erörtert die Behörde mit dem zukünftigen Antragsteller unter anderem, welche Nachweise und Unterlagen zu erbringen sind, welche sachverständigen Prüfungen im Genehmigungsverfahren anerkannt werden können und in welcher Weise die Beteiligung Dritter oder der Öffentlichkeit vorgezogen werden kann, um das Genehmigungsverfahren zu entlasten (§ 71c Abs. 2 VwVfG). Über diese segmentarischen Ausformungen kooperativer Verfahrensbeschleunigung hinaus enthält das in § 10 S. 2 VwVfG verankerte allgemeine Gebot, das Verwaltungsverfahren zügig durchzuführen, Anforderungen an die Aufbau- und Ablauforganisation. Sie ist so zu gestalten, daß die vorhandenen Ressourcen unter dem Blickwinkel der Beschleunigung der Verwaltungsverfahren so effektiv wie möglich eingesetzt werden. 219 Das Verfahren ist auf der Grundlage einer Ablaufanalyse generell zu organisieren. Ein Beispiel ist die Standardisierung typischer Verfahrensschritte etwa in Form von Formularsätzen, ein anderes der flächendeckende Einsatz moderner Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechnologie, sowohl im Verhältnis zum Bürger als auch in der zwischenbehördlichen Zusammenarbeit. 220 Weiterhin sind verfahrensvorgelagerte organisatorische Bemühungen der Behörde ge216

s. Hans D. Jarass, Aktuelle Probleme des Planfeststellungsrechts - Plangenehmigung, Planänderung, Planergänzung, ergänzendes Verfahren, DVB1. 1997, S. 795 ff. 217 Vgl. Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren. Bericht der Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1994, Rn. 200, 230. 218 Zu §71c VwVfG als Normierung des Kooperationsmanagements Bonk (Anm. 209) S. 326, 328; Bernhard Stüer, Die Beschleunigungsnovellen 1996, DVB1. 1997, S.326 (327). 219 Dazu Nicolai Dose, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren durch verbesserte Organisationsstrukturen der öffentlichen Verwaltung, in: Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, 1994, S.219ff. 220 Vgl. Michael Ronellenfitsch, Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, 1994, S. 82ff.

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fordert, das für den Einsatz von Projektmanagern, Verfahrensbevollmächtigten und Konfliktmittlern nötige - auch personelle - know how vorzuhalten. 221 Der Einsatz eines Projektmanagers zielt auf die Modifikation bürokratischer Strukturen durch eine zielbezogene und aktive Organisation und Koordination aller entscheidungsrelevanten Faktoren nach flexiblen Standards. 222 Die Einführung grundlegender Regelungen zum Projektmanagement in das Verwaltungs Verfahrensgesetz ist vom Sachverständigenrat „Schlanker Staat" angeregt worden. 2 2 3 Anders als der Projektmanager hat der Konfliktmittler keine organisatorische und koordinierende Funktion, sondern soll i m Verfahren aufgetretene Konflikte im Wege von Verhandlungen zwischen den Beteiligten lösen. 2 2 4 Ausdrücklich als Teil des sog. Beschleunigungspakets auf den Weg gebracht wurden die einschneidenden Änderungen des Verwaltungsprozeßrechts durch das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 1.11.1996 225 . Die wohl tiefgreifendste Neuerung ist die Einführung der generellen Zulassungsbedürftigkeit der Berufung (§124 V w G O ) und der Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts i m einstweiligen Rechtsschutz und i m Verfahren der Prozeßko-

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Ziekow (Anm. 55) S. 68 f. Vgl. Daniela Braig!Ulrich Scharpf, Die Beschleunigung administrativer Entscheidungsprozesse bei Großvorhaben, in: Fisch/Beck (Hrsg.), Abfallnotstand als Herausforderung für die öffentliche Verwaltung, 1995, S.277 (298 ff.); Rombach (Anm. 201) S.238f.; s. noch Martin Bockel, Projektmanagement in Verwaltungs verfahren, DÖV 1995, S. 102 ff. 223 Sachverständigenrat (Anm. 45) S. 175 f.; ausgeführt bei Schmitz (Anm. 198) S. 190. 224 Vgl. Winfried Brohm, Verwaltungsverhandlungen mit Hilfe von Konfliktmittlem?, DVB1. 1990, S.321 ff.; Wolfgang Hoffmann-Riem, Konfliktmittler in Verwaltungsverhandlungen, 1989; Bernd Holznagel, Konfliktlösung durch Verhandlungen, 1990; ders., Die Einschaltung Dritter in Verwaltungsverfahren, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 279ff.; Oliver Passavant, Mittlerunterstützte Kooperation in komplexen Verwaltungsprojekten, DÖV 1987, S. 516 ff.; Michael Ronellenfitsch, Konfliktmittlung aus Anlaß von Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, 1990, S. 185 ff.; Helmuth Schulze-Fielitz, Der Konfliktmittler als verwaltungsverfahrensrechtliches Problem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), a.a.O., S.55ff. 225 BGBl. 1 1996 S. 1626 ff. Zur Zielrichtung als Ergänzung der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren Sachverständigenrat (Anm. 45) S. 178; Regierungsentwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze, BTDrucks. 13/3993 S.9. Zum 6. VwGO-ÄndG vgl. Johann Bader, Das sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, DÖV 1997, S. 442ff.; ders., Praktische Erfahrungen mit dem Sechsten VwGO-Änderungsgesetz, VB1BW 1997, S.401ff., 449ff.; Clemens Krämer, Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, LKV 1997, S. 114 ff.; Klaus Werner Lötz, Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, BayVBl. 1997, S. 257 ff.; Klaus Meier, Das 6. VwGO-Änderungsgesetz und seine Folgen aus erstinstanzlicher Sicht, NVwZ 1998, S. 688 ff.; Claus Meissner, Die Novellierung des Verwaltungsprozeßrechts durch das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, VB1BW 1997, 5. 81 ff.; Wolf-Rüdiger Schenke, „Reform" ohne Ende, NJW 1997, S.81 ff.; Jörg Schmidt, Das 6. VwGO-Änderungsgesetz und seine Folgen aus der Sicht der Berufungsinstanz, NVwZ 1998, S. 694ff. 222

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stenhilfe (§ 146 Abs. 4 VwGO). 226 Auf sie kann hier ebensowenig wie auf die weiteren Bestandteile der Novellierung eingegangen werden. Hingewiesen werden soll nur auf die Regelungen, die einen engen Bezug zum Allgemeinen Verwaltungsrecht aufweisen. Dies sind insbesondere die Einschaltung des Gerichts in die Heilung von Verfahrensfehlern während des Prozesses sowie Beschränkungen der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage. Die durch die Neufassung des § 45 Abs. 2 VwVfG ermöglichte Heilung von Verfahrens· und Formfehlern bis zum Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wird durch § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 und § 94 S. 2 VwGO aufgegriffen. Vor der mündlichen Verhandlung kann danach der Verwaltungsbehörde die Gelegenheit zur Heilung binnen einer Frist von höchstens drei Monaten gegeben werden, wenn dadurch die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert wird. Nach Beginn der mündlichen Verhandlung kann das Gericht auf Antrag die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist. Gegen diese Vorschriften sind verfassungsrechtliche Bedenken vor allem unter dem Gesichtspunkt einer Einschränkung der richterlichen Neutralität vorgetragen worden. 227 Allerdings stellt eine solche Betrachtung zu sehr auf das vom Wortlaut der Vorschriften vermittelte Bild ab. In der Praxis ist der Anwendungsbereich der gerichtlichen Mitwirkung bei der Fehlerheilung äußerst gering. Wegen § 46 VwVfG werden ohnehin nur Ermessensverwaltungsakte mit konkret feststellbarer Entscheidungsalternative erfaßt. Darüber hinaus darf der angegriffene Verwaltungsakt nicht zugleich materiell fehlerhaft sein.228 Neuerungen im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes sind die Erweiterung der Möglichkeiten, Ausnahmen vom Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage zu statuieren (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, S. 2 VwGO), und die zeitliche Begrenzung der aufschiebenden Wirkung durch § 80 b VwGO. Auch hier wird die praktische BeschleunigungsWirkung skeptisch beurteilt. 229 226

Dazu Johann Bader, Zulassungsberufung und Zulassungsbeschwerde nach der 6. VwGO-Novelle, NJW 1998, S.409ff.; ders., Führen die neuen Zulassungsrechtsmittel der VwGO zu einer unzumutbaren Erschwerung des Zugangs zum OVG?, NVwZ 1998, S. 446ff.; Annette Guckelberger, Die Zulassungsbeschwerde, DÖV 1999, S. 937 ff.; Dietmar Mampel, Beschwerde-Zulassung nach dem 6. VwGO-Änderungsgesetz oder: Die Macht der Gewohnheit, NVwZ 1998, S.261 ff.; Klaus Rennert, Die maßgebliche Perspektive bei der Zulassung von Berufung und Beschwerde im Verwaltungsprozeß, NVwZ 1998, S.665 ff.; Wolf gang Roth, Der Berufungszulassungsgrund der „emstlichen Zweifel" im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, VerwArch 88 (1997), S.416ff.; Max-Jürgen Seibert, Die Zulassung der Berufung, DVB1. 1997, S. 932ff. 227 Vgl. die Kritik bei Jörg Berkemann, Verwaltungsprozeßrecht auf „neuen Wegen"?, DVB1. 1998, S. 446ff.; Karl-Heinz Millgramm, Das 6. VwGO-Änderungsgesetz, SächsVBl. 1997, S. 107 (110); Sodan (Anm. 215) S. 126. 228 Johann Bader, Die Heilung von Verfahrens- und Formfehlem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, NVwZ 1998, S.674 (678); Karsten-Michael Ortlojf, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, 1998, §87 Rn.24 h. 229 Klaus Beckmann, Kritische Gesamtschau des neuen § 80 b VwGO, NVwZ 1998, S. 373 ff.; Puttler (Anm. 142) § 80b Rn. 3; Matthias Rujfert, Suspensiveffekt und Wirtschafts-

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Jan Ziekow

Wenngleich sich die bisherigen Eingriffe des Gesetzgebers in das normative Gefüge des Allgemeinen Verwaltungsrechts und des Verwaltungsprozeßrechts als sehr moderat erweisen und sich wegen ihres punktuellen Ansatzes kaum als Elemente einer durchgreifenden Modernisierungsstrategie begreifen lassen, so macht die skizzierte Diskussion doch eines deutlich: Eine Modernisierung, die das Allgemeine Verwaltungsrecht als Implementationsmodus wählt, ist nicht zum rechtsstaatlichen Nulltarif zu haben.230 Das wegen seiner Allgemeinheit in hohem Maße auf Kontinuität angelegte System ist Ausdruck nicht nur verfassungsrechtlicher Vorgaben und regelungstechnischer Notwendigkeiten, sondern ebenso einer Verwaltungskultur und eines Grundverständnisses staatlicher Funktionenordnung. Wenngleich sich der funktionale Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß durchaus als differenziertes Gesamtrechtsschutzsystem mit wechselseitig entlastenden und stabilisierenden Wirkungen begreifen läßt 231 , so bleibt doch die Handlungsperspektive des behördlichen Erstentscheiders von der Kontrollperspektive des Verwaltungsgerichts verschieden. 232 Nimmt man diese Unterschiedlichkeit in den Blick, so lassen sich beispielsweise Neuorientierungen des Verwaltungsverfahrensrechts wie der Übergang zu kooperativen Entscheidungsmustern nicht beliebig in den Verwaltungsprozeß hinein verlängern. Ohne eine prinzipielle Neujustierung der Aufgaben von Verwaltung wird dem legislatorischen Modernisierungsversuch regelmäßig der Geruch des Systembruchs anhaften. V. Funktionalität und Beharrungsvermögen des Allgemeinen Verwaltungsrechts Überblickt man die dargestellten Referenzgebiete von an das Allgemeine Verwaltungsrecht herangetragenen Internationalisierungs- und Modernisierungsanforderungen nüchtern und ohne Europäisierungs- und Modernisierungseuphorie, so ergibt sich, daß viel von Aufgaben und wenig von einer bereits erfolgten Funktionalisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts die Rede war. Das Allgemeine Verwaltungsrecht hat bislang ein erstaunliches Beharrungsvermögen gezeigt - eine Standort Deutschland: Vorläufiger Rechtsschutz nach dem 6. VwGOÄndG, NVwZ 1997, S.654 (656). 230 Zum Problem Rainer Pitschas, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit im staatlichen Modernisierungsprozeß, in: Blümel/Pitschas (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß im Wandel der Staatsfunktionen, 1997, S.27ff.; ders., Der Kampf um Art. 19 IV GG - Funktionsgrenzen des „Neuen Steuerungssystems" in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, ZRP 1998, S. 96ff. 231 Vgl. Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S.43 (122); Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungs verfahren, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, 1988, §70 Rn.21; Jürgen Schwarze, Der funktionale Zusammenhang von Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S.44. 232 Rainer Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), S. 151 (160).

Die Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts

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Einsicht, die schon von Otto Mayer unnachahmlich prägnant formuliert worden ist. 233 Für den Bereich der Europäisierung ist diese Stabilität nur um den Preis einer Funktionseinbuße des Allgemeinen Verwaltungsrechts zu erreichen. Sieht man das Verwaltungsrecht nicht nur als - um ein anderes berühmtes Wort aufzugreifen - „konkretisiertes Verfassungsrecht" 234, sondern weitergehend als der Entscheidung für die offene Staatlichkeit Alltagsrealität vermittelnder Transmissionsriemen, so ist die derzeitige Zweispurigkeit funktionsinadäquat. Seine Funktion kann das Allgemeine Verwaltungsrecht hier nur zurückgewinnen, wenn es sich nicht selbst für die Konstellationen mit Gemeinschaftsrechtsbezug auf die Rolle einer Rechtsanwendungshülle beschränkt, sondern aktiv seine generalisierende Speicherkapazität wieder auflädt. Ohne einen Paradigmenwechsel in der Rechtsetzungstechnik und Methodologie wird sich dies nicht erreichen lassen. Das Allgemeine Verwaltungsrecht wird an Tiefenschärfe verlieren und mehr den Charakter einer Rahmenordnung annehmen. Verwaltungsrechtliche Normen müssen offener gestaltet werden und der Verwaltung mehr Raum für eine situative Steuerung lassen. Insoweit sind die von Internationalisierung bzw. Europäisierung und Modernisierung des Staates an das Verwaltungsrecht herangetragenen Erfordernisse bemerkenswert deckungsgleich. Die Kooperationsfähigkeit der Verwaltung muß im internationalen wie innerstaatlichen Rahmen rechtlich flankiert werden. Das Recht muß auf den Abbau von hierarchischen Steuerungselementen reagieren und sich mehr auf die Ausformung der Gewährleistungsverantwortung der Verwaltung konzentrieren. Information und Kommunikation müssen stärker als Steuerungselemente wahrgenommen werden. Wie angedeutet (ο. IV 2) macht ein solcher Wechsel ohne eine grundlegende Änderung der Verwaltungskultur keinen Sinn. Allerdings muß sich das Allgemeine Verwaltungsrecht dabei nicht auf die rechtliche Nachzeichnung eingetretener Veränderungen beschränken. Der heftige Streit um die integrierte Vorhabengenehmigung235 zeigt, daß sich Umdenkungsprozesse normativ auch aktiv begleiten lassen.

233 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 1924, Vorwort: „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht". 234 Fritz Werner, Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht, DVB1. 1959, S. 527 ff. 235 Vgl. Jürgen Fluck, Die Vorhabengenehmigung im Kommissionsentwurf eines Umweltgesetzbuchs aus Untemehmenssicht, NVwZ 1998, S. 1016ff.; Klaus Hansmann, Das Konzept der Vorhabengenehmigung, ZAU 1998, S. 14ff.; Heinz-Joachim Peters, Die Vorhabengenehmigung nach dem künftigen Umweltgesetzbuch, ZUR 1998, S.295 ff.; Christian Schräder, Die Vorhabengenehmigung im Kommissionsentwurf für ein Umweltgesetzbuch, NuR 1998, S. 285 ff.; Uwe Volkmann, Umweltrechtliches Integrationsprinzip und Vorhabengenehmigung, VerwArch 89 (1998), S. 363 ff.; Jan Ziekow, Handlungsspielräume der Verwaltung und Investitionssicherheit, am Beispiel der integrierten Vorhabengenehmigung, in: Ziekow (Hrsg.), Handlungsspielräume der Verwaltung, 1999, S.67ff.

Das Rechtsstaatsprinzip in der Modernisierungsund Internationalisierungsdebatte Diskussion zu den Referaten von Bin Takada, Yuji Ohnishi und Jan Ziekow Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Stefanie Gille Pitschas bedankte sich bei den Referenten für die gelungenen Beiträge und begann die Diskussion mit der Bemerkung, daß anhand der Referate seiner Meinung nach deutlich würde, wie sehr sich der Begriff der Rechtsstaatlichkeit zu einem Brückenbegriff von gestern zu heute entwickelt habe. Schmidt stieg in die Debatte unter Bezug auf die Gegenüberstellungen zum Wesentlichkeitsprinzip in dem Skript zum Vortrag von Takada ein und stellte fest, daß das Problem der Wesentlichkeit für Deutschland eine sehr große Bedeutung habe und gerade auch in letzter Zeit durch die Subventionsdebatte wieder in die Diskussion geraten sei. Bei Subventionen bliebe nämlich in manchen Fällen ein Vollzugsdefizit, da diese häufig durch bloßen Verwaltungsvollzug erteilt würden. Die Steuergesetzgebung stehe dazu im großen Gegensatz, da diese größtenteils durchnormiert wäre. Dort sei allgemein anerkannt, daß es keiner ausdrücklichen Kompetenz zur Regelung bedürfe. Die Kompetenz ergebe sich häufig allein aus dem Regelungszusammenhang, d. h. es liege eine gewisse Scheinrationalität vor. Zu dem Vortrag von Ziekow und dort speziell zu Leitsatz 8 dränge sich eine Frage zur „rechtlichen Übersetzung" der dem Staat verbleibenden Gewährleistungsverantwortung auf den Modernisierungsfeldern Privatisierung, Deregulierung und Selbststeuerung auf. Es bliebe noch zu klären, wie genau der Gesetzesvorbehalt im Hinblick auf die Gewährleistung ausgestaltet werden müsse. Knemeyer stellte fest, daß die exzellente Tagungsplanung es möglich machen würde, gerade in der Gegenüberstellung der Referate von Ziekow und Ohnishi die Divergenz zwischen dem deutschen und dem japanischen System nachzuvollziehen. Dabei fielen vor allen Dingen ein sehr moderner deutscher Systemansatz im Gegensatz zu einem eher an traditionellen Leitlinien orientierten japanischen Ansatz auf. Bezogen auf den Vortrag von Takada stelle dieser die Begriffe Eingriffsvorbehalt und Obrigkeitsvorbehalt gegenüber. Dabei dränge sich die Frage auf, wo genau dort die Unterscheidung liege. Wenn man das aus deutscher Sicht analysieren

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Diskussion

würde, käme der Begriff des Eingriffsvorbehalts eher aus dem Polizeirecht, vielleicht spiele aber auch die Unterscheidung zwischen Aufgabe und Befugnis eine Rolle. Dr.Aminoulaye Joachim, Burkina Faso, beschäftigten im Anschluß an die Vorträge noch ergänzende Fragen. Zum einen wollte er wissen, welchen Einfluß Max Weber auf das japanische Rechtssystem hatte. Im übrigen fände er es sehr interessant zu erfahren, welche Rolle die vergleichende Verwaltungswissenschaft in Japan spiele und ob es dafür an den Universitäten auch Lehrstühle gäbe. Als letztes seien ihm in dem Skript von Takada die Begriffe Wohlfahrtsstaat und Sozialstaat aufgefallen. Er frage sich nunmehr, was diese Begriffe in ihrer Unterschiedlichkeit meinten oder ob sie dasselbe betitelten, wobei es interessant wäre, ob in der japanischen Verfassung etwas ähnliches existiere wie das deutsche Sozialstaatsprinzip und ob der Wohlfahrtsstaat vielleicht nur die Folge des Sozialstaates sei. Im Anschluß daran äußerte sich Takada nunmehr zu den anhand seines Vortrags aufgeworfenen Fragen. Zum Wesentlichkeitsgrundsatz in Japan erläuterte er, daß der Vorbehalt bloße Theorie sei und die Gerichte bisher keinen Anlaß hatten, ihn in der Praxis aufzugreifen. Dabei bliebe die Rolle der Verwaltungsanleitungen in der Diskussion. Diese existierten in einigen Bereichen viel stärker als in anderen, so daß ein großes Ungleichgewicht entstehe. Der Wesentlichkeitsgrundsatz sei bisher allerdings noch nie bemüht worden, um diese Anwendung zu hinterfragen. Die Subventionierung würde in Japan analog zur deutschen Praxis eher auf Grundlage der Verwaltungspraxis vorgenommen, was auch 1963 im Kabinett ausdrücklich beschlossen wurde. Auch existierten seit 1999 sogenannte „Gebietsförderungsscheine", die alte Menschen und Kinder mit geringem Einkommen in Anspruch nehmen könnten. Diese basierten auch nur auf der Verwaltungspraxis und nicht auf einer gesetzlichen Grundlage. All diese Beispiele machten also deutlich, daß das Wesentlichkeitsprinzip in Japan eher wissenschaftliche und theoretische Bedeutung habe und in der Praxis und der Gesellschaft keine Rolle spiele. Bezogen auf den Gesetzesvorbehalt bliebe aus japanischer Sicht festzuhalten, daß er dort auch primär im Polizeirecht besondere Geltung erfahre. Die allumfassende Kompetenz der Polizei, die auch dazu führe, daß es für viele Handlungen keine explizite gesetzliche Grundlage gebe, ergebe sich aus § 2 des japanischen Polizeigesetzes. Dieser enthalte eine allgemeine Aufgabenbeschreibung und werde als Rechtfertigung des polizeilichen Handelns in vielen Situationen herangezogen. Bezugnehmend auf die Anmerkungen von Joachim stellte Takada. außerdem fest, daß die Einflüsse auf das japanische Staatsrecht sehr vielfältig seien, aber Max Weber dabei so gut wie keine Bedeutung gehabt habe. Die vergleichende Verwaltungswissenschaft existiere in Japan auch mit einigen wenigen Lehrstühlen an den Universitäten, wobei insgesamt aber vergleichende Forschung im übrigen sehr üblich sei. Der Bereich der vergleichenden Verwaltungswissenschaft habe allerdings von jeher eine recht große Distanz zur Rechtswissenschaft.

Diskussion

Die Begriffe Sozialstaat und Wohlfahrtsstaat würden in Japan austauschbar verwendet. Üblicherweise existiere im Sprachgebrauch der Wissenschaft eher der Sozialstaat, im Sprachgebrauch der Bevölkerung eher der Wohlfahrtsstaat. Ziekow äußerte sich zu der Frage nach der rechtlichen Übersetzung von Gewährleistungsregeln nachdenklich, da es seiner Meinung nach bisher sicherlich dafür noch kein Pauschalrezept gäbe. Dabei stellten sich vor allen Dingen die Fragen, welches Programm entwickelt werden könne und ob das allgemeine Verwaltungsrecht überhaupt das richtige Mittel für die Anwendung darstelle. Vielleicht müsse man für eine Weiterentwicklung auch erst einmal die Erfahrungen für Gewährleistungsregeln in bestimmten Bereichen abwarten (ζ. B. in der Telekommunikation), bevor man zu einer Verallgemeinerung übergehe. Die Privatisierungsproblematik stelle sich bei der Eingriffs- und Leistungsverwaltung sehr unterschiedlich dar, wobei es in der Eingriffsverwaltung sicherlich auch weiterhin eines Interventionsinstrumentes bedürfe, während innerhalb der Leistungsverwaltung Haftungssysteme denkbar wären und dann auch gestufte Systeme in Betracht kämen (ζ. B. Selbstkontrolle, Auditierungs-Verfahren, hoheitliche Kontrolle, Eingriff). In Anbetracht dieser Überlegungen stelle sich außerdem die Frage, ob es momentan nicht zu früh wäre, ein allgemeines System einzuführen. Fest stehe allerdings bereits jetzt, daß es der Entwicklung rechtlicher Instrumente bedürfe. Im Anschluß an diese Äußerung von Ziekow warf Pitschas die Frage auf, ob es nicht einen merkwürdigen Umstand darstelle, daß angesichts des sich wandelnden Bildes die Unterscheidung zwischen Eingriffs- und Leistungsverwaltung in das 21. Jahrhundert übertragen werden sollte. Dabei müsse man die Bedeutung der Frage nach der Tragfähigkeit der Gewährleistungsverantwortung überprüfen. Diese Frage begleitete das Seminar als offene These, die auch die Entwicklungsoffenheit von Verfassungen betraf. Durch einzelne Punkte und Analysen versuchte man innerhalb der Diskussion nun, sich einer Antwort auf diese Frage weiter anzunähern. Prof. Dr. Rainer Wahl, Freiburg, erweiterte die Diskussion, indem er auf die Gemeinsamkeiten der Vorträge von Ziekow und Ohnishi verwies, woran auch deutlich werde, wie eng die beiden Rechtssysteme im Verfassungs- und Verwaltungsrecht zusammenhingen. Dabei fiele vor allen Dingen im Vortrag von Ohnishi auf, daß die Verwaltungsanleitung eine merkwürdige Konstruktion einer Handlungsanweisung sei. In der deutschen Analyse werde sie immer sehr positiv beschrieben, weil es ein von der Verwaltung selbst geschaffenes, sehr flexibles und weites Instrumentarium darstelle. In der von Ohnishi aufgezeigten Wirklichkeit biete sich allerdings ein ganz anderes Bild, was den Eindruck entstehen ließe, daß die Gesetze in Japan zu wenig leisteten und zu unvollständig seien. Insofern würde das Instrument der Verwaltungsanleitung aufgegriffen und innerhalb einer Reform eine Weiterentwicklung der Gesetzes gefordert, die Verwaltungsanleitungen dann überflüssig machen würde. Diese interessante Beobachtung sei gepaart mit der Begriffswahl der Verwal-

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tungsreform. Bei der Analyse des Vortrags von Ohnishi dränge sich primär der Eindruck auf, daß man eigentlich von einer Regierungs- bzw. Verfassungsreform sprechen müsse, weil dort nämlich primär Veränderungen erzielt werden sollten (ζ. B. in der Ministerienstruktur). Wenn der Vortragende von einer Erhöhung der Position des Ministerpräsidenten spreche, handele es sich ganz eindeutig um ein Problem von Verfassungsänderungen. Diese Anmerkung wurde sofort von Pitschas aufgegriffen, der auf die wirkliche Intention der japanischen „Verwaltungsreform" abstellte. Dabei müsse man die starke Vormachtsstellung der öffentlichen Verwaltung in Japan bedenken, in der die Minister die Verwaltungschefs darstellten und sich die Frage stelle, wie das mit dem Reformziel der Verschlankung durch Recht zusammenpasse. Bezogen auf das Referat von Hong vom Vortag müsse er außerdem noch einmal auf die Sicht von Takada über die Vorbereitung des japanischen Rechts auf das 21. Jahrhundert verweisen. Nach dessen Sicht strebten das Rechtsstaatsprinzip und der Verwaltungsstaat in Japan einem Höhepunkt entgegen. Dies entspreche aber nicht der gestrigen Deutung von Hong. Dabei seien die zentralen angesprochenen Punkte der Wehrbereich und der Ausschluß der Justiz von der Reform, die nunmehr eher die Exekutive stärke. Beide Referenten behaupteten aber eine fortschreitende Internationalisierung. Die Frage stelle sich, ob es sich nicht eher um eine Justizialisierung handele, die Entwicklung nicht eher in Richtung „Good Governement" (WTO) laufe. Könne man diesen Anforderungen überhaupt genügen und habe nicht vielmehr die Ökonomie einen gewissen Vorrang. Handele es sich damit nicht eher um eine Scheinproblematik bei der Internationalisierung, weil eigentlich eine Reform der Verwaltung gewollt sei? Um den Bogen zur Internationalisierung zurückzuschlagen, stellte M. A. Bisher Pindani, Malawi, auf das Problem der Anerkennung aus dem Vortrag von Ziekow ab und bezog sich dabei auf den Streit zwischen Großbritannien und Frankreich um die Einfuhr britischen Rindfleisches. Dabei könne es doch sein, daß es sich nur um einen Streit über die gegenseitige Anerkennung handele. Wenn man der Forderung nach mehr gegenseitiger Anerkennung im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung nachginge, könne man nach seinem Verständnis also auch viele Gesetzesänderungen vermeiden. Direkt auf diese Anmerkung eingehend, griff Ziekow noch einmal das Verwaltungskooperationsrecht auf, was im Kern bedeute, die Strukturen und Verwaltungskultur des jeweils anderen Bereiches bzw. Landes zu kennen. Dies stelle die Basis für eine Verwaltungskooperation dar. Richtig sei wohl, daß es im Streit zwischen Frankreich und Großbritannien um ein Anerkennungsproblem ginge, soweit dies seiner Einschätzung unterliege. Eine Frage habe dabei zentrale Bedeutung, die auch in anderen Bereichen der Internationalisierung wichtig werde, nämlich ob wirklich jede Entscheidung anerkannt werden müsse. Für manche Bereiche sei dies gerade auch innerhalb der EU ausdrücklich normiert (ζ. B. Warenverkehrsfreiheit). Diese Problematik sei häufig deswegen so schwierig, weil die Gefahrenabwehr in vielen Fällen nur als Deckmantel für ein eigentlich emotionales Abwehrverhalten benutzt

Diskussion

werde. Bei der Anerkennungs-Frage sei es daher wichtig, zu entscheiden, ob noch Escape-Möglichkeiten vorbehalten sein sollten oder nicht. Beim Anerkennungsgrundsatz solle daher nur sehr zurückhaltend mit dem Vorbehalt des nationalen Rechts umgegangen werden, damit es im Grundsatz bei einer Zulassung ohne Beschränkung bliebe, was im Zuge einer besseren Zusammenarbeit notwendig wäre. Welche Zahl an Gesetzesänderungen für eine Modernisierung erforderlich sei, sei im übrigen eine Frage der Weite des Eingriffs. Das New Public Management komme größtenteils ohne neue Gesetzesnormen aus, weil kaum rechtliche Figuren erforderlich seien. Wenn man dieses Modell nun als wünschenswert annehmen würde, dann habe das Recht hier nur sehr einschränkende, eher deregulierende Funktion, so daß bei zu großer Verrechtlichung das Modell eher quer zur Verwirklichung laufen würde. Ohnishi erläuterte im Anschluß noch einmal das Ziel der Verwaltungsreform in Japan, welches primär eine Einschränkung der bürokratischen Macht und eine Stärkung der Politik bedeute. Die Deregulierung solle eine Stärkung der Regierung erreichen, was einen positiven Effekt gerade auf die Machtposition der Politiker und somit auch auf die gesamte Demokratieentwicklung habe. Das Ziel sehe er als grundsätzlich richtig an, wobei es abzuwarten bleibe, ob wirklich ein positiver Effekt eintrete. In Ergänzung zu dem von Ohnishi Gesagten griff Tonami in die Dikussion ein, der noch einmal auf die Unterschiede zu der von Ziekow aufgezeigten Entwicklung einging. In Japan habe die Deregulierung noch keinen hohen Stellenwert. Die Kontrolle der Verwaltung durch das Gesetz werde für ebenso wichtig gehalten, wie die Überprüfungsmöglichkeit durch das Gericht. Während in Deutschland die Bedeutung der informalen Instrumente deutlich zunehme, müsse in Japan erst einmal die Stärkung eines Bereichs vorgenommen werden. Dies geschehe noch durch die Kontrolle im herkömmlichen System und sei insgesamt noch stark regulierend. Hong wies noch einmal auf zwei Entwicklungen hin, die man aus seiner Sicht insgesamt im Auge behalten müsse. Dies sei zum einen, daß der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit international immer weiter verbreitet würde und zum anderen, daß sich die neue Steuerung immer weiter durchsetze. Die letztere baue dabei auf der ersten auf. Er griff die These von Prof. Dr. Klaus König, Speyer, auf, wonach regelgesteuerte Verwaltung besser sei als gemanagte und das New Public Management viele Probleme bezüglich der Konformität mit dem Rechtsstaatsprinzip habe. Es stelle sich die Frage, inwiefern - aufgrund der immer größeren Verbreitung - ein neuer Vertrag mit den Bürgern wirklich gebraucht werde und ob nicht das bestehende System der Rechtsstaatlichkeit flexibel genug sei, um die neue Entwicklung aufzufangen. Müsse denn die Distanz zu den Bürgern wirklich größer werden, weil die Rechtsstaatlichkeit zu aufdringlich wirke? Hong verwies auf die Diskussion vom Vortag über die Rolle Japans, wonach es aus Sicht der Nachbarn sehr schwierig sei, daß Japan eine Vorbildfunktion für die Rechtsstaatlichkeit einnehmen solle und 16 Pitschas/Kisa

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Diskussion

gleichzeitig versuche, wieder militärische Großmacht zu werden. Diesen Widerspruch gelte es bei zukünftigen Entwicklungen zu überwinden, was auch im Interesse der asiatischen Nachbarn geschehen müsse. Dabei müsse man sich den Herausforderungen des Rechtsstaatsprinzips stellen und dessen Anforderungen ernst nehmen. Das Statement zum Abschluß der Diskussion kam von Takada, der einmal mehr betonte, daß das New Public Management als neues Modell in Japan herzlich willkommen sei, wenn es eine Weiterentwicklung des Rechtsstaates mit sich brächte. Dies sähe man in Japan jedoch eher nicht so, weil es als sich von der Rechtsstaatlichkeit weg entwickelndes Modell eingeschätzt würde. Die Verwaltungsanleitungen in Japan stellten seit sehr langer Zeit ein flexibles Rechtsinstrument dar, welches in seinen Grundzügen große Ähnlichkeit zu den modernen Ansätzen habe. Im Hinblick auf diese Analyse stelle sich für Japan also die Frage, ob man unter Aufnahme dieser Entwicklung nicht eher wieder einen Schritt in die umgekehrte Richtung machen würde und damit die Rückkehr zum Althergebrachen eine Reform im Keim ersticken würde. Ein entscheidender Ansatz sei die Transparenz in der Öffentlichkeit, die in jedem Fall erhalten und auch erneuert werden müsse. Eine veränderte Öffentlichkeit erfordere andere Umgangsmethoden, über deren Weiterentwicklung man nachdenken müsse. Zum Abschluß schließe er sich der Auffassung von Pitschas an, der davon ausgehe, daß mit der Stärkung der Regierung auch eine Verfassungsänderung einher gehen müsse. Dies sei auch der entscheidende Punkt in der momentanen Modernisierungsphase in Japan. Die bereits vorgenommenen Änderungen seien vor diesem Hintergrund wohl eher kritisch zu beurteilen, weil sie eine Stärkung der Bürokratie nach sich zögen (in Anlehnung an die Auffassung Carl Schmids in den 20er Jahren). Pitschas Schloß die Diskussion an dieser Stelle und dankte allen Mitwirkenden und den Referenten.

Dritter Teil

Ausgewählte Bereiche des Besonderen Verwaltungsrechts im Internationalisierungsprozeß

Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland unter europäischem Einfluß Von Franz-Ludwig Knemeyer Vorbemerkung Wenn ich das Generalthema einer Internationalisierung ernst nehmen und darunter Änderungen verstehen würde und zudem die immer wieder aufgezeigte oder geforderte Öffnung auch auf die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland beziehen würde, so könnte ich mein Referat sehr kurz halten: Nicht Öffnung der Kommunen und des Kommunalrechts in Deutschland, sondern Abschottung gegenüber Europa - Abschottung vor allem gegenüber der EU in Sorge darum, den hohen Stellenwert kommunaler Selbstverwaltung in Deutschland beschnitten zu bekommen. Abschottung bedeutet dabei freilich nicht, daß die deutschen Kommunen sich gegen Modernisierungen wehren würden. Gerade die Diskussion über die neue Steuerung ist schon lange über den „Konzern Stadt" bis in die kleinste Gemeinde gelangt. Mit der Umsetzung sieht es allerdings anders aus. Gerade die kleinen Gemeinden glauben - wohl zu Recht - mit der neuen Steuerung nicht sehr vieles anfangen zu können. Eingebettet in das Tagungsthema „50 Jahre Grundgesetz - Internationalisierung der Verfassung" möchte ich zunächst einen kurzen Rückblick tun auf das Nachkriegsdeutschland und die Schaffung des Bonner Grundgesetzes mit seiner bis heute beispielhaften Garantie kommunaler Selbstverwaltung. In einem ersten Hauptteil werden in der gebotenen Kürze die Entwicklung der äußeren Kommunalverfassung, also das Verhältnis Staat/Kommunen, unter dem Grundgesetz beleuchtet und dabei auch der Aspekt kommunaler Selbstverwaltung im Bundesstaat angesprochen. Der umfangreichere zweite Hauptteil wird das mir speziell zugedachte Thema der Entwicklung kommunaler Selbstverwaltung unter europäischem Einfluß behandeln. Es wird gefragt werden, welche Auswirkungen die Öffnung der Verfassung - die Europäisierung der Rechtsordnung1 - auf die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland hat, welchen Stellenwert Subsidiarität und Dezentralisation in Europa 1

Dazu etwa Pitschas, Offene Verfassungsstaatlichkeit, MSC Speyer April 1999.

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Franz-Ludwig Knemeyer

genießen, aber auch, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen kommunale Selbstverwaltung deutscher Prägung und deutschen Standards in Europa gesichert werden kann. Dabei wird sich herausstellen, ob und inwieweit Demokratie in Europa von unten nach oben aufgebaut wird und ob man wirklich von einem Europa der Regionen, einem Europa der Kommunen, ja einem Europa der Bürger sprechen kann. Obwohl hier mannigfaltige politische und verwaltungspraktische Aspekte zu berücksichtigen wären, wird der Vortrag doch primär auf die rechtlichen - die verfassungsrechtlichen und europarechtlichen - Vorgaben eingehen. Tatsächliche Ingerenzen werden allenfalls kurz angesprochen, müssen aber ansonsten vernachlässigt werden. Es geht also primär um die Rechtsposition kommunaler Selbstverwaltung in einem sich entwickelnden Europa, einem Europa der Staaten, einem Europa der Regionen, einem Europa der Bürger. I. Einleitung: Die Situation der Kommunen im Staat im Jahre 1949 Die besondere Position der Kommunen im deutschen Bundesstaat ist bedingt durch eine lange Entwicklung kommunaler Selbstverwaltung. Ihr nachzugehen würde das Verständnis für die Regelung des Jahres 1949 erleichtern. Hier und heute seien nur zwei Aspekte notiert, die kommunale Selbstverwaltung als Thema des Parlamentarischen Rates2 kennzeichnen. Nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches" kam den Kommunen eine Schlüsselrolle beim Aufbau des politischen Lebens zu. Sie sollten aber auch die Schlüsselrolle für den Aufbau einer echten und dauerhaften Demokratie bilden. Die Alliierten hatten in den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz u. a. die Prinzipien der Demokratisierung und Dezentralisierung der Staatsorganisation als Leitziel ihrer Nachkriegspolitik deklariert und dann auch umgesetzt.3 Dies kam der Entwicklung kommunaler Selbstverwaltung und ihrer Festigung besonders zugute. Schon 2

So der Beitrag von Friedrich Henning, Kommunale Selbstverwaltung als Thema des Parlamentarischen Rates, Das Rathaus 1989, 368. 3 Zu Parallelen in der japanischen Entwicklung KisaiKnemeyer, Hundert Jahre kommunale Selbstverwaltung in Japan, DÖV 1990,98 ff. Wurden die Gemeinden in Japan Ende des letzten Jahrhunderts als nichtautonomer Teil der Staatsverwaltung nach preußischem Vorbild konstituiert, so wurde in den Art. 92 ff. der Nachkriegsverfassung von 1946 immerhin die kommunale Selbstverwaltung garantiert. Die Praxis ist jedoch von einem quasi Weisungsrecht staatlicher Behörden geprägt. Erst in den 90er Jahren läßt sich ein Trend in Richtung Dezentralisation ausmachen. Siehe dazu auch Narita, Der Wandel der kommunalen Selbstverwaltung im Nachkriegsjapan und der Trend zu einer neuerlichen Dezentralisation, in: Festschrift Stern, 1997, S. 211 ff., 220ff., und Shiono, Japanisches und Deutsches Recht der kommunalen Selbstverwaltung im Vergleich, AfK 35 (1996), 304 ff. - Zum kulturellen Kontext der Verfassungsentwicklung, zu US-amerikanischen und deutschen Einflüssen und zum japanischen Kern' vgl. Pitschas (FN 1), S.4.

Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland

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die erste deutsche Nachkriegsverfassung, die Bayerische Verfassung, formulierte - bis heute beispielhaft - in ihrem Art. 11 Abs. 4: „Die Selbstverwaltung der Gemeinden dient dem Aufbau der Demokratie in Bayern von unten nach oben."4 Schon im liberalen Kampf gegen den staatlichen Absolutismus stand neben den Forderungen einer Verankerung von Grundrechten des Einzelnen auch eine verfassungsrechtliche Absicherung der Gemeinden im Staat. In der leider nur Episode gebliebenen Frankfurter Paulskirchen-Verfassung des Jahres 1848/495 war in § 184 die Bestimmung vorgesehen, daß „jede Gemeinde als Grundrecht ihrer Verfassung" u. a. „die selbständige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten mit Einschluß der Ortspolizei" haben solle.6 Diese Normierung konnte sich freilich weder auf Reichsnoch auf Länderebene durchsetzen. Erst die Weimarer Reichsverfassung des Jahres 1919 hat in ihrem Art. 127 das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und Gemeindeverbände als allgemein gültiges Reichsrecht aufgenommen. Die Länder haben „nachgezogen".7 Wenn diese Bestimmung nicht wie selbstverständlich in das Grundgesetz übernommen wurde, so hat dies seinen Grund in einer weitverbreiteten Ablehnung bundesrechtlicher Regelungen von Materien, die Sache der Länder waren und sein mußten. Daß dann letztendlich aber doch eine Garantienorm 8 in das Bonner Grundgesetz aufgenommen worden ist, die die Länder verpflichtet, ihrerseits kommunale Selbstverwaltung in einer bestimmten Art zu garantieren, war ein für die Gesamtposition der Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland glücklicher Umstand.9 Es gelang darüber hinaus sogar, die Position der Kommunen im Staat in dieser Norm gegenüber der Vorgängerregelung des Art. 127 WV zu festigen, indem die Garantieverpflichtung nicht nach Maßgabe staatlicher Gesetze, sondern im Rahmen staatlicher Gesetze verankert wurde. 10 4 Diese beispielhafte Formulierung hat Nachahmung gefunden in Art. 3 Abs. 2 der Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern. 5 Nur der Grundrechteteil mit der Bestimmung über kommunale Selbstverwaltung war für kurze Zeit in Kraft. 6 Verortet war diese Bestimmung in Abschnitt VI: Die Grundrechte des Volkes. Zur „grundrechtsanalogen Konzeption" der Paulskirchenverfassung: Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 2, 1998, Art. 28, Rn. 12. 7 Dazu etwa Knemeyer, Die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassungen und Kommunalordnungen, in: Festschrift für Gmür, 1983, S. 137ff, 141 ff. 8 Zur „Durchgriffskomponente" des Art. 28 II GG Dreier, Grundgesetz (FN 6), Rdnr. 86. 9 Zu den Diskrepanzen im Parlamentarischen Rat in bezug auf eine Aufnahme einer derartigen Garantienorm siehe den Beitrag von Henning, Kommunale Selbstverwaltung (FN2), Das Rathaus 1989, 368 ff., 369. 10 Siehe dazu im einzelnen Knemeyer, Entwicklung, Festschrift für Gmiir (FN7), S. 145 ff.; Gabriel, Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland, BWGZ 1999, 339ff., macht darauf aufmerksam, daß die Selbstverwaltungsklausel des Grundgesetzes neben Elementen der Kontinuität zu § 184 der Paulskirchen-Verfassung und Art. 127 der Weimarer Verfassung auch deutliche Abweichungen von der traditionellen deutschen Selbstverwaltungsdoktrin enthält. Zur Selbstverwaltungsdoktrin der frühen Bundesrepublik Gabriel, Kommunale Selbstverwaltung,

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Rückblickend hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Rastede-Beschluß des Jahres 1988 die Bedeutung der Verfassungsbestimmung für die demokratische Staatsordnung signifikant dargestellt, indem es formuliert: „Das Grundgesetz hat sich auch innerhalb der Länder für einen nach Verwaltungsebenen gegliederten, auf Selbstverwaltungskörperschaften ruhenden Staatsaufbau entschieden (vgl. BVerfGE 52,95[111 ff.]).... Mit dieser Stärkung der dezentralen Verwaltungsebene wollte der Verfassungsgeber auf die gegenläufigen zentralistischen Tendenzen während des nationalsozialistischen Regimes antworten. Er tat dies im Zutrauen in die Gemeinden, im Sinne eines , Aufbaues der Demokratie von unten nach oben4 (vgl. Art. 11 Abs. 4 der Verfassung des Freistaates Bayern), die Keimzelle der Demokratie und am ehesten diktaturresistent zu sein. In diesem Sinn hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, daß Kommunalverfassungsrecht und -Wirklichkeit seit dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes von der Tendenz bestimmt sind, unter Zurückdrängung des bürokratisch-autoritativen Elements dem Gedanken des Selbstbestimmungsrechts der Gemeindebürger wieder erhebliche Geltung zu verschaffen (BVerfGE 7, 155 [167], Vgl. BVerfGE 11,266[275]). Hieran hat sich dadurch, daß sich die grundgesetzliche Ordnung in der Zwischenzeit verfestigt hat, nichts geändert. Die Zurückhaltung, die der Verfassungsgeber bei der Zulassung unmittelbar-demokratischer Elemente auf Bundesebene geübt hat, wird auf der örtlichen Ebene der Gemeinden ergänzt durch eine mit wirklicher Verantwortung ausgestattete Einrichtung der Selbstverwaltung, durch die den Bürgern eine wirksam Teilnahme an den Angelegenheiten des Gemeinwesens ermöglicht wird." 11 Vor diesem Hintergrund hat das Grundgesetz in Art. 28 Abs. 2 formuliert: „Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung." 12 Damit ist eine Formulierung erreicht, die, wie später zu zeigen sein wird, zu einem „Exportschlager" für den europäischen Raum werden sollte. Diese kommunale Selbstverwaltung deutscher Prägung hebt sich wesentlich ab vom englischen Local Government 13. Local Government sagt nichts aus über die BWGZ 1999, 341. Zur Selbstverwaltungsdoktrin in Abgrenzung zu einer britisch bestimmten Doktrin des Seif Government - heute vermehrt bezeichnet als Local Government oder Local Democracy - siehe etwa Johnson, Kommunales Selbstverwaltung, DVB1 1983, S. 250 ff.; Trossen, Staat und Gemeinden in England, Diss. iur. Würzburg 1999, S. 9 ff.; für Japan siehe Shiono, Japanisches Recht (FN3), AfK 1996, S. 304ff., 305 ff. 11 BVerfGE 79, 129 ff., 148 ff. 12 Zur Bedeutung dieser Garantienorm mit ihren verschiedenen Funktionen siehe auch Dreier, in: Dreier, Grundgesetz (FN6), Art. 28, Rn. 93 ff. m. w. N., und Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 10. Aufl. 2000, Rn. 11 ff. m. w. Hinw. 13 Dazu näher Shiono, Japanisches Recht (FN3), AfK 1996, S.304ff.,305. Siehe auch vorne FN 10.

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Stellung der Gemeinden im Staat - ihre Selbständigkeit/Staatsaufsicht, sondern nur, daß vor Ort regiert wird durch unmittelbar gewählte, demokratisch legitimierte Organe.

II. Die Entwicklung kommunaler Selbstverwaltung - der äußeren Kommunalverfassung unter dem Grundgesetz14 1. Institutionelle

Garantie

43 Jahre lang blieb der Wortlaut dieser institutionellen Garantie kommunaler Selbstverwaltung im Grundgesetz unangetastet.15 Mannigfaltigen Anläufen, so insbesondere auch denen der Enquête-Kommission Verfassungsreform aus dem Jahre 197616, war ebenso wenig ein Erfolg beschieden wie außerparlamentarischen Vorstößen etwa des Deutschen Juristentages17 oder der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 18. Der gleichgebliebene Wortlaut hat Wissenschaft und Rechtsprechung freilich nicht gehindert, den wesentlichen Gehalt der Garantienorm im Laufe der Zeit wechselnd zu interpretieren. War die erste Phase in der Frühzeit der Bundesrepublik gekennzeichnet durch Unsicherheiten in der Tragweite der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie, so begann die zweite Phase mit dem „OffenbachUrteil" des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 195219. Sie brachte noch gewisse Fortentwicklungen in der Interpretation, jedoch keine grundlegenden Wandlungen. Erst in der dritten Phase zur Zeit der umfassenden kommunalen Gebietsreformen der sechziger und siebziger Jahre wurde auch eine grundlegende Neukonzeption kommunaler Selbstverwaltung diskutiert. Die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen - zum Teil vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Rastede-Entscheidung vom 04.08.1983 aufgenommen 20 - hat die Rastede-Entscheidung des 14 Allgemein zur Reform des Grundgesetzes etwa Sannwald, Die Reform des Grundgesetzes, NJW 1999, 3313 ff., und Isensee, Mit blauem Auge davongekommen - das Grundgesetz, NJW 1993, 2583 ff. 15 Die Position und Bedeutung kommunaler Selbstverwaltung im Staat war gefestigt. Siehe etwa Ellwein, 40 Jahre Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung. Der Beitrag der Gemeinden zur Sicherung der Demokratie und zur Mehrung von Lebensqualität, BWGZ 1989,280ff. 16 Abschlußbericht in BT-Drs. 7/5924 = Zur Sache 3/76, 277; siehe dazu auch Hans-Peter Ipsen, Zum Schlußbericht der Enquête-Kommission Verfassungsreform, DÖV 1977, 537. 17 von Mutius, Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewährleisten?, Gutachten E zum 53. DJT, 1980, sowie die dazu herausgegebenen Begleitaufsätze. 18 Staatsrechtslehrertagung 1977: Referate von Blümel und Graewert, Gemeinden und Kreise vor den öffentlichen Aufgaben der Gegenwart, VVDStRL Bd. 36, Berlin 1978. 19 BVerfGE 1, 167 ff. 20 BVerwGE 67,321.

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Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 198821 zu einem (vorläufigen) Ende geführt 22 . 2. Kommunale Finanzverfassung Neben der Garantienorm hat der Verfassungsgeber die wichtigsten Voraussetzungen effektiver Kommunalautonomie in seinen Bestimmungen der föderalistischen Finanzverfassung verankert und die Finanzgarantie selbst nicht allein den Ländern überlassen.23 Diese Finanzverfassungsgarantie, auf die hier nicht im einzelnen eingegangen werden kann, hat schon früh Ergänzungen und Konkretisierungen auch und gerade in bezug auf die Gemeinden und ihre Position in den Ländern erfahren. 24 Den „vorläufigen" Abschluß dieser Entwicklung bildet eine Ergänzung des Art. 28 Abs. 2 GG durch einen eigenständigen Satz 3, der verdeutlicht, daß kommunale Autonomie ohne finanzielle Eigenverantwortung nicht denkbar ist: „Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung." Diese Konkretisierung des Jahres 1994 wurde bereits zum 25. Oktober 1997 um einen 2. Halbsatz ergänzt: „Zu diesen Grundlagen gehört auch eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle." 25 Hatten diese auf die Finanzverfassung bezogenen Grundgesetzänderungen im wesentlichen klarstellende und eine Verbindung zwischen der Grundgarantienorm und denfinanzverfassungsrechtlichen Regelungen der Art. 104 a und 106 aufzeigende Bedeutung, so führt eine Grundgesetzänderung vom 21. Dezember 1992 unmittelbar zum Thema des Vortrags: Kommunale Selbstverwaltung unter europäischem Einfluß. 3. Kommunalwahlrecht

auch für EU-Bürger

Der Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 : „Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, 21

Siehe dazu vorne FN 11 und Knemeyer/Wehr, Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: VerwArch 92 (2001), S.317ff. 22 Zu den Phasen inhaltlichen Wandels siehe Knemeyer, Kommunale Selbstverwaltung im Wandel, in: Festschrift für Scupin, Berlin 1983, S. 797ff., 800f. 23 Der Grundgesetzgeber selbst hat 1949 eine finanzielle Absicherung und eine dem Konnexitätsprinzip entsprechende Normierung abgelehnt. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz (FN 6), Art. 28, Rn. 22 m. w. Nachw. 24 Dazu näher Henneke, 50 Jahre kommunale Selbstverwaltung unter der Geltung des Grundgesetzes, BWGZ 1999, 347 ff. 25 Siehe dazu ausführlich Henneke, in: Henneke/Maurer/Schoch, Die Kreise im Bundesstaat, 1994, S.61 ff., und Ders., Der Landkreis 1997, 482.

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Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist." wurde der folgende europabestimmte Satz 3 angefügt: „Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar." Konnte und wollte man eine europäische Bürgerschaft im Sinne einer „Staatsbürgerschaft" im weitesten Sinne (noch) nicht konstituieren, so sollte doch der Europabezug der Bürger über den Wahlakt zum Europaparlament hinausgehend gestärkt werden. Man schuf ein europäisches Kommunalwahlrecht, um auf diese Weise wenigstens auf den unteren Stufen der Demokratie Europaausländer zu europäischen Mitbürgern zu machen.26 Die lange Zeit sehr umstrittene und auch in ihrer Umsetzung unterschiedlich gehandhabte europabezogene Regelung kann unter dem Aspekt „kommunaler Selbstverwaltung unter europäischem Einfluß" nicht hoch genug bewertet werden. Sie stellt eine vorerst krönende Etappe auf dem Weg zu einem „Europa der Bürger" dar. Maßgeblich bestimmt war dieser Weg durch bereits lange gepflegte und intensivierte Bemühungen um kommunale Partnerschaften. Sie dienen der Intensivierung einer grenzenüberschreitenden Einheitsstiftung durch die Bürger selbst und erfüllen „Europa" auf diese Weise mit Leben27. In der durch den ehemaligen Bundespräsidenten von Weizsäcker formulierten Erkenntnis: „Je mehr übernationale Entscheidungen zwingend notwendig werden, um so wichtiger ist die Verwurzelung zu Hause."28, soll diesem Aspekt im zweiten Teil näher nachgegangen werden.

26 Die Unionsbürgerschaft wurde durch den EU-Vertrag (Vertrag von Maastricht) eingeführt. Die auf der Basis des Art. 8 b Abs. 1 EG-V vom Ministerrat am 19.12.1994 erlassene Richtlinie wurde auch im Gefolge der verfassungsrechtlichen Verankerung des Kommunalwahlrechts in Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG durch Änderung der entsprechenden Gemeinde- und Landkreis Wahlgesetze umgesetzt. Siehe dazu etwa Gundel, Probleme der Umsetzung des EGKommunalwahrechts und ihrer gerichtlichen Kontrolle in Frankreich und Deutschland, DÖV 1999, 353 ff.; Degen, Die Unionsbürgerschaft nach dem Vertrag über die Europäische Union unter Berücksichtigung des Wahlrechts, DÖV 1993, 749ff., zur EG-Richtlinie ausführlich Schrapper, Die Richtlinie 94/80/EG zum aktiven und passiven Wahlrecht für Unionsbürger, DVB1 1995, S. 1167ff. 27 Dazu näher Knemeyer, Europa der Regionen - Europa der Kommunen, Kommunalrecht - Kommunalverwaltung Bd. 13, Baden-Baden 1994, und Hrbek, Bürger und Europa, Baden-Baden 1994; Heberlein, Europa der Kommunen, Kommunalforschung für die Praxis, Heft 31/32, Stuttgart u. a. 1995. 28 Ansprache 24. Mai 1989, BWGZ 1989, 374.

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I I I . Kommunale Selbstverwaltung unter europäischem Einfluß - Europa der Kommunen ? 1. Die Kommunen, europabetroffen, aber im EU-Recht nicht geschützt Mit der wachsenden Verdichtung der europäischen Regelungssysteme29 sind auch die Kommunen mehr und mehr eingebunden; sind sie es doch, die die überwiegende Verwaltung im Staat abzuwickeln haben, sie sind es aber auch, die den überwiegenden Teil öffentlicher Investitionen tätigen.30 Wurden lange Zeit namentlich aus der kommunalen Praxis Befürchtungen gegenüber einer zu weitgehenden Steuerung durch Brüssel besonders akzentuiert 31, so ist heute eine gewisse Relativierung eingetreten. Zwar steht auch weiterhin das Bestreben nach einer wirksamen Schutzkomponente für die kommunale Selbstverwaltung gegen Vorsteuerungen aus Brüssel in der Diskussion, so zeigen doch Bestandsaufnahmen der Einwirkungen des EG-Rechts auf nationale Verwaltungen und damit auch die deutsche kommunale Selbstverwaltung, daß das im Schrifttum häufig beschriebene Bedrohungspotential dann zurückgestuft werden kann, wenn man die von Schoch eingeführte Kategorie der kommunalspezifischen Betroffenheit aufgreift und akzeptiert. 32 Neben der auch Bund und Länder treffenden Minderung von Handlungsmöglichkeiten und Verstärkung von Vorsteuerungen, auf die die Kommunen als solche nicht oder kaum reagieren können, gilt es, die gezielten Beeinträchtigungen kommunaler Entscheidungsspielräume zu beachten, durch die die Kommunen sachlich ihnen zu29

Mit einer weiteren Zunahme der Vorgaben ist zu rechnen. Ca. 80 % der Gesetze, deren Mehrzahl Bundesrecht ist, werden von den Kommunen ausgeführt, annähernd gleich hoch ist das Investitionspotential der Kommunen, vgl. Knemeyer, Kommunale Selbstverwaltung in Europa. Bedroht durch die EU, beschützt durch den Europarat, BayGTZ 2000, 31 m. w. N. 31 Zu den kommunalpolitischen Forderungen siehe insb. Zimmermann/Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer Europäischen Union, Berlin 1997, und Knemeyer, Die lokalen Gebietskörperschaften in der EU, Der Landkreis 1995,501 ff. Zu den kommunalen Betroffenheiten siehe auch die Arbeiten von Martini, Gemeinden in Europa. Kommunale Selbstverwaltung und Gemeinschaftsrecht, Schriften zur öffentlichen Verwaltung, Bd. 39, Köln u. a. 1992, und Müller, Die Entscheidung des Grundgesetzes für die gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen der europäischen Integration, Kommunalrecht - Kommunalverwaltung, Bd. 11, Baden-Baden 1992. Zusammenfassung der Argumente Martini!Müller, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der europäischen Integration durch nationales Verfassungsrecht und gemeinschaftsrechtliche allgemeine Rechtsgrundsätze, BayVBl. 1993, 161 ff., 164ff. Zur rechtlichen und faktischen Betroffenheit der Gemeinden durch europäisches Gemeinschaftsrecht siehe auch von Zimmermann/Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer Europäischen Union, insb. S. 74 ff. 32 Schoch, Kommunale Selbstverwaltung, in: Henneke, (Hrsg.), Kommunen und Europa: Herausforderungen und Chancen, Schriften zum deutschen und europäischen Kommunalrecht Band 11, 1999,S.19ff. 30

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stehende oder zugewiesene Angelegenheiten33 der örtlichen Gemeinschaft nicht mehr oder nicht mehr so wahrnehmen können wie bisher. 34 2. Sicherungsansätze kommunaler Selbstverwaltung Integrationsprozeß

im europäischen

Obwohl etwa 80 % aller Regelungen, die das wirtschaftliche und soziale Leben der 340 Mio. Unionsbürger betreffen, von Brüssel aus initiiert und bestimmt werden 35 , findet kommunale Selbstverwaltung in den EG-Verträgen keine Erwähnung. Die kommunalen Ebenen verbleiben bislang allein im innerstaatlichen Verfassungsrecht verankert und geschützt. - Obwohl sie den Staat mitprägen und einen wesentlichen Aspekt zur Identifikation des deutschen Bundesstaates beitragen - Föderalismus und Dezentralisation kennzeichnen die offene Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland - unterfällt kommunale Selbstverwaltung nicht der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG. Auch ist die Selbstverwaltunggarantie nicht von den Art. 23 und 24 GG erfaßt 36. Im EU-Vertrag als völkerrechtlichem Vertrag haben die Kommunen keinen Platz. Nur in ihm selbst, einer späteren Europäischen Verfassung oder damit zusammenhängenden Instrumenten könnten die innerstaatlich wirkenden Garantien auch vor europäischen Einflüssen geschützt werden. Eine Garantie kommunaler Selbstverwaltung existiert de lege lata auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene nicht. - Art. 28 Abs. 2GG ist nicht europafest - . Rechtspolitische Vorschläge, etwa einen entsprechenden Verfassungsartikel einzuführen, haben bislang keinen Erfolg gehabt.37 Verschiedene Versuche, eine Garantie aus bereits bestehendem Recht abzuleiten, sind nicht überzeugend. Vor allem gehört eine Garantie kommunaler Selbstverwal33 Zu den beiden Aufgabenkategorien der Kommunen Knemeyer, Aufgabenkategorien im kommunalen Bereich, DÖV 1988, 397 ff., und Gotte , Kommunale Aufgaben in Bayern und Nordrhein-Westfalen: Abgenzung der verschiedenen Wirkungskreise einerseits und der Gemeinde-und Kreisaufgaben andererseits, Diss.jur. Würzburg 1995. 34 Dazu im einzelnen Maurer, in: Henneke, (Hrsg.), Kommunen und Europa (FN32). 35 von Ameln, Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf Kommunalpolitik und Kommunalrecht der EG-Mitgliedstaaten, DVB1.1992, 477ff., 478. 36 Zur Sicherung kommunaler Selbstverwaltung im Einigungsprozeß siehe etwas Heberlein, Kommunale Selbstverwaltung, Grundgesetz und Europa, BWGZ 1999, S. 359 ff. - Allgemein zu den neuen Regelungen, Otmar Schneider, Die innerstaatliche Willensbildung der Bundesrepublik Deutschland für ihre Mitwirkung an den Entscheidungen der Europäischen Union, europa blätter, 1996, S. 201 ff. 37 Dazu vgl. etwa Hofmann, Verankerung der Grundvoraussetzungen kommunaler und regionaler Selbstverwaltung in einer Europäischen Verfassung, in: Knemeyer, Europäische Kommunalcharta, S. 211 ff., 220. Nivellierungsbefürchtungen werden dagegen geäußert von Heberlein, Maastrich, Ein Erfolg für die kommunale Selbstverwaltung?, DVB1. 1994, 1213 ff., 1219. - Zu den kommunalen Bestrebungen, Knemeyer, Die lokalen Gebietskörperschaften in der EU, Der Landkreis, 1995, S. 501 ff.

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tung nicht zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die als ungeschriebenes Gemeinschaftsrecht gelten und die Mitgliedstaaten binden würden, da den meisten anderen Mitgliedern der Gemeinschaft trotz fortschreitender Bedeutung der Europäischen Kommunalcharta eine deutschem System entsprechende Garantie eher fremd ist. Auch vom Demokratieprinzip wird kommunale Selbstverwaltung nicht erfaßt. Ein eigenständiger allgemeiner Rechtsgrundsatz kommunaler Selbstverwaltung ist auch trotz der Europäischen Kommunalcharta nicht existent. Er zählt auch nicht zu den essentiellen Verfassungsstrukturen der Mitgliedstaaten, auf die die Gemeinschaft nach dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue Rücksicht zu nehmen hätte.38 So bleibt allein die „Hoffnung" auf weitere Aktivitäten zu einer legislatorischen Erfassung. Hier wäre schon vieles erreicht, wenn zunächst einmal das Subsidiaritätsprinzip - bislang nur im Verhältnis von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten gültig - Auswirkungen auch auf die innerstaatliche Organisation entfalten würde. a) Subsidiaritätsprinzip Wenn es gelingen würde, wenigstens das Subsidiaritätsprinzip - wenn auch noch weitgehend unkonturiert und umstritten in seiner Auslegung - bis in die kommunale Ebene zu verlängern, wäre ein grundlegender Schutz gegenüber dem eroberungslustigen Gemeinschaftsrecht erreicht. Bisher erfaßt das Subsidiaritätsprinzip des Art. 3 b des EG-Vertrages (Art. 5 n. F.) jedoch nur die nationalstaatliche Ebene39. Können schon die Mitgliedsländer eines Bundesstaates sich nicht unmittelbar auf dieses Prinzip berufen - nur die Nationalstaaten sind Mitglieder der EU - , so können die kommunalen Gebietskörperschaften als Bestandteile der Mitgliedstaaten vom Subsidiaritätsprinzip allenfalls mittelbar profitieren. Dementsprechend fordert die kommunale Seite ebenso wie der Ausschuß der regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften einmütig eine weitgehende Festschreibung des Prinzips auch für das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften etwa in einer Formulierung: ,J)ie Gemeinschaft wird nach dem 38

Siehe dazu etwa Zimmermann/Wienhues, Selbstverwaltung (FN 31 ), S. 243 f., und Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S.48ff. 39 Als allgemeines Strukturprinzip im Vertragsentwurf des Europäischen Parlaments zur Gründung einer Europäischen Union erstmals ausdrücklich genannt, hat es dann im Maastricht-Vertrag des Jahres 1992 Aufnahme in den EG-Vertrag gefunden. - Zum Subsidiaritätsprinzip nach dem Grundgesetz, siehe etwa Kuttenkeuler, Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im Grundgesetz, Frankfurt a. M. 1998 - Auf Landesebende ist das Subsidiaritätsprinzip z.B. ausdrücklich in der Bayerischen Verfassung verankert. Durch Verfassungsreformgesetz vom 20.02.1998 wurde der folgende Art. 3 a eingefügt: „Bayern bekennt sich zu einem geeinten Europa, das demokratischen, rechtstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen, sowie dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist, die Eigenständigkeit der Regionen wahrt, und deren Mitwirkungen an europäischen Entscheidungen sichert. Bayern arbeitet mit anderen europäischen Regionen zusammen".

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Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten oder regionalen und lokalen Gebietskörperschaften, die nach dem internen Recht der Mitgliedstaaten über eine Zuständigkeit verfügen, nicht ausreichend erreicht werden können. " 4 0 - Eine derartige Absicherung würde v. a. die Beweislast umkehren. Zwar hat sich die Forderung nach einer förmlichen Änderung des Art. 3 b des EGVertrages nicht durchsetzen lassen. In einem Protokoll über die Anwendung der Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit werden aber immerhin die Interessen der innerstaatlichen Gliederungen ausdrücklich anerkannt. Dementsprechend soll die Kommision bei ihren Vorschlägen in Zukunft darauf achten, daß die damit verbunden finanziellen und administrativen Belastungen für die Gemeinschaft, die Regierungen der Mitgliedstaaten, die lokalen Behörden, die Wirtschaft und die Bürger so geringfügig wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen.41 Auf die Weise wäre zumindest gegen stille oder laute Vertragserweiterungen anzugehen, ein Rückbau selbst dürfte wohl kaum erreichbar sein. Als positives Ergebnis ist auch festzuhalten, daß Amsterdam jedenfalls keine Erweiterung der Kompetenzen der Gemeinschaft in kommunalrechtsrelevanten Bereichen beschlossen hat. Bei realistischer Wertung sind also doch auf dem Amsterdamer Gipfel Entscheidungen gefallen, die auch aus kommunaler Sicht begrüßt werden können, obschon weitergehende Festlegungen wünschenswert gewesen wären. Im Gegensatz zum Rechtskreis der EU ist das Subsidiaritätsprinzip im Rechtskreis des Europarates auch auf kommunaler Ebene wirksam. Beispielhaft sei hingewiesen auf die Tagung des Kongresses der Gemeinden und Regionen - Kammer der Gemeinden - in Ancona im Oktober 1999 zum Thema „Subsidiarity in action, responsibilities andfinances of local and regional authorities" 42 b) Schutz über das Bundesratsverfahren Solange jedoch der AdR zu schwach ist, um eine wirkliche Absicherung zu erreichen, müssen die Kommunen zur Sicherung ihrer Belange gegen europäische Einflüsse sich der Mittler auf anderem Felde bedienen. Hier bleibt in rechtlich fixiertem Verfahren das sogenannte Bundesrats verfahren nach dem neuen Art. 23 des Grundgesetzes43. Mit dieser Struktursicherungsklausel sind Vorgaben und Grenzen für die 40

Beschluß des AdR vom April 1995 - bekräftigt auch in der Plenartagung vom 13./14. Januar 1999; zum Subsidiaritätsprotokoll vgl. Kenntner, NJW 1998, S. 2872f. 41 Knemeyer, Die lokalen Gebietskörperschaften in der EU, Der Landkreis 1995, S.501 ff.; zur Diskussion um die Formulierung eines gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips vgl. Kenntner (Fn. 40), S. 2871. 42 CPL/GT/CEAL (6)1 43 Zu Verfahren und einzelnen Verfahrensschritten siehe die Quellensammlung Bundesrat und Europäische Union, Bonn 1997, S.21 ff.

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Weiterentwicklung der Europäischen Union aus der Position des Mitgliedes Bundesrepublik Deutschland formuliert worden. Daraus folgt die Selbstverpflichtung der Bundesrepublik, an der Entwicklung einer Europäischen Union mitzuwirken, die „demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet" (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG). Um dieses zu erreichen, kann der Bund durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG). Hierzu könnten auch Rechte aus dem Besitzstand kommunaler Selbstverwaltung gehören, da die Selbstverwaltungsgarantie als solche nicht europafest ist. 44 Damit aber bleibt im wesentlichen der politische Weg zur Sicherung kommunaler Selbstverwaltung. Nachdem es auch in der Regierungskonferenz zum Vertrag von Amsterdam nicht zu einer Berücksichtigung kommunaler Selbstverwaltung in den Verträgen gekommen ist 45 , bleibt vorerst nur ein schwacher Weg, über das Bundesratsbeteiligungsverfahren des Art. 23 Abs. 4-7 GG und das dazu ergangene Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993.46 Dieses Gesetz ist namentlich in seinem § 10 von kommunaler Bedeutung, regelt es doch, daß bei Vorhaben der Europäischen Union das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände zur Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu wahren und ihre Belange zu schützen sind. Diese hier auf Europa bezogene Festlegung folgt zwar schon aus der allgemeinen verfassungsrechtlichen Garantie kommunaler Selbstverwaltung in Art. 28 GG, nach der Bund und Länder auf die Belange der kommunalen Selbstverwaltung Rücksicht zu nehmen und diese zu fördern haben.47 Sie wird hier jedoch in einer speziellen Richtung konkretisiert und durch ein Beteiligungsverfahren abgesichert.48

44

Siehe dazu etwa Schoch, Zur Situation der kommunalen Selbstverwaltung nach der Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, VerwArch 1990,18 ff., 51, und Heberlein, Kommunale Europapolitik, BayVBl. 1992, 417ff., 422; Allgemein zu gemeinschaftsrechtlich induzierten und bewirkten Veränderungen des Grundgesetzes Dreier, Kontexte des Grundgesetzes, DVB1.1999, S. 677 ff. - Alles bestimmend ist der Vorrang des Gemeinschaftsrechts und das nationale Folgerecht, das die Verfassungsgarantien in spezifischer Weise überlagert. Fand dieses Folgerecht seine Grenzen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Zeit vor der Formulierung des Maastricht-Vertrages in identitätsverbürgenden Grundstrukturen des Grundgesetzes, so dürften diese mittlerweile allein in Art. 23 GG und in der grundgesetzlichen Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 fixiert sein, dazu Dreier in: Dreier, Grundgesetz (FN6), Art. 28, Rn. 33 m. w. N. Zu den materiellen Verfassungsänderungen ohne Änderung des Grundgesetztextes (Stumme Grundgesetzänderungen) auf dem Wege zu den neuen Artikeln 23 und 24 GG, Dreier, Kontexte des Grundgesetzes DVB1. 1999, S. 667 ff., 678. 45 Siehe dazu die Dokumentation in: Bundesrat und Europäische Union, Bonn 1997, S. 365 ff. 46 BGBl. I,S. 313. 47 So die ganz allg. herrschende Auffassung, z. B. Knemeyer, Subsidiarität - Föderalismus, Dezentralisation, DVB1 1990, S. 449 ff., 452; Siedentopf\ Europäische Gemeinschaft und kommunale Beteiligung, DÖV 1988, S.981 ff., 983.

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Eine zweite, wenn auch nur geringe Positionsverbesserung hat die Festlegung der Mitglieder des Ausschusses der regionalen und kommunalen Gebietskörperschften gebracht. War es zunächst das Bestreben, die deutsche Delegation des beratenden Ausschusses49 mit ihren 24 Mitgliedern, allein aus Ländervertretern zusammenzusetzen und so das „Europa der Regionen" zu stärken, so hat sich nach langen Kontroversen doch zumindest eine Minimalbeteiligung der Kommunen durchsetzen lassen. Gemäß § 14 Satz 1 des Gesetzes schlägt die Bundesregierung dem Rat der Europäischen Union als deutsche Mitglieder „die von den Ländern benannten Vertreter" vor. Ein nach Kontroversen und Anrufung des Vermittlungsausschusses eingefügter Satz 2 normiert konkret: „Die Länder regeln ein Beteiligungsverfahren für die Gemeinden und Gemeindeverbände, das sichert, daß diese auf Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände mit 3 gewählten Vertretern im Regionalausschuß vertreten sind". Zu Recht weist Heber lein, der die Kontroverse um die kommunale Vertretung im Ausschuß kritisch darstellt, daraufhin, daß dies „aus verfassungsrechtlicher Sicht... ein recht bescheidener Mindeststandard (ist), der dem Stellenwert der kommunalen Selbstverwaltung, wie sie in Deutschland ihre Ausprägung erfahren hat, gerade im europäischen Vergleich wenig Rechnung trägt." 50 Immerhin kann die kommunale Seite auf diesem Wege der Präsenz ihre Positionen unmittelbar und offiziell an die europäischen Organe herantragen. 51 Gestatten Sie, nochmals Heberlein zu zitieren und seine Schlußfolgerungen zu übernehmen, um sodann noch auf die Europäische Kommunalcharta eingehen zu können. „Trotz der bescheidenen Repräsentanz im Ausschuß der Regionen hat das Grundgesetz und die darauf basierende Verfassungspraxis der kommunalen Selbstverwal48 Wie die Umsetzung allerdings erfolgt, zeigen Beispiele bei der Regierungskonferenz zum Amsterdamer Vertrag: Kommunale Selbstverwaltung war kein Thema. - Solange die Kommunen nur mediatisiert durch Bundes- oder Ländervertreter aktiv sein können, dürfte der Sicherungsprozeß allenfalls langsam vorangehen. Signifikant ist die heftige Kritik der Spitzenverbände daran, daß die Kommunen nicht an den Beratungen des Bundesrates beteiligt sind, selbst wenn Bundesratsmaterien unmittelbare Auswirkungen auf die Kommunen haben. Siehe dazu näher Thalimayer, Keine Beteiligung der Kommunen an den Beratungen des Bundesrates, BayGTZ 1999,157 f. 49 Art. 263-265, früher Art. 198 a - 198 c EG-Vertrag. 50 Heberlein, Kommunale Selbstverwaltung, Grundgesetz und Europa, BWGZ 1999, 359 ff., 364 f., unter Bezugnahme auch auf Hoffschulte, Kommunale und regionale Selbstverwaltung im Europa der Regionen - Zur Rolle der vierten Ebene in der Europäischen Union, in: Knemeyer (Hrsg.), Europa der Regionen - Europa der Kommunen (FN27), S. 135 ff., 159 ff. 51 Politisch wird sie sich mit anderen im AdR vertretenen Kommunen „verbünden". Daneben haben die Kommunen mannigfaltige informationelle Einflußmöglichkeiten etwa über ihre Europabüros in Brüssel. Dazu etwa von Ameln, Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf Kommunalpolitik und Kommunalrecht der EG-Mitgliedstaaten, DVB1. 1992, 477 ff.

17 Pitschas/Kisa

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tung zu einem auch im europäischen Maßstab hohen Standard verholfen.... Andererseits besteht ein Spannungsbogen zwischen Regierungs- und Kommunalpolitik, zwischen Regionen und Kommunen, zwischen Integrationserfordernissen und der Eigenständigkeit kommunaler Selbstverwaltung. Vor diesem Hintergrund ist die Problematik, wie der in Deutschland erreichte Standard gegen europäische Einwirkungen und eine dadurch möglicherweise drohende Nivellierung wirksam zu schützen ist, derzeit noch ungelöst."52 Zu Recht sieht Heberlein einen Ansatz zu einer derartigen Sicherung in der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung53. c) Schutz durch die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung Auch die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung - als Europaratsinstrument im Jahre 1985 verabschiedet und gegenwärtig für 30 der 40 Mitgliedstaaten des Europarats verbindlich 54 - vermag europäischen Einflüssen jedenfalls rechtlich kein wirksames Bollwerk entgegenzustellen. Für die EU ohnehin nicht verbindlich, zielt sie im wesentlichen auf eine Harmonisierung von Standards kommunaler Selbstverwaltung im Wege einer „freiwilligen" Befolgung der dort formulierten Mindeststandards. Ausgehend von der Feststellung der Bedeutung kommunaler Selbstverwaltung für Demokratie und Bürgernähe, aber auch für den Aufbau eines Europa der Kommunen, das sich auf Grundsätze der Demokratie und der Dezentralisierung der Macht begründet, werden in 10 Artikeln Prinzipien und Mindeststandards kommunaler Selbstverwaltung formuliert. Sie betreffen im einzelnen die Notwendigkeit demokratisch bestellter Entscheidungsorgane, die Anerkennung einer kommunalen Selbstverwaltungsgarantie und den Umfang von Selbstverwaltungrechten. Sie normiert ein Anhörungsrecht der Kommunen, regelt Fragen der Organisations- und Personalhoheit, sowie die Rechtsstellung der Kommunalvertreter. Sie bestimmt die Schranken der Staatsaufsicht und macht Vorgaben für ein einem Selbstverwaltungrecht entsprechendes Finanzsystem und eine Reihe weiterer Aspekte.55 52 Heberlein, Kommunale Selbstverwaltung (FN50), S. 365; - zu den „politischen Schutzmöglichkeiten" durch den Kongreß der Gemeinden und Regionen Europas, siehe etwa Hofmann, Gemeinden und Regionen „Dritte Säule" im Europarat, Städte-und Gemeinderat 1999, S. 11 ff. 53 Zu den politischen Schutzmöglichkeiten durch den Kongreß der Gemeinden und Regionen Europas, insbesondere die Kammer der Gemeinden, siehe etwa den Beitrag von Hofmann, Gemeinden und Regionen, „Dritte Säule" im Europarat, Städte-und Gemeinderat 1999, S. 11 ff. 54 Engel, Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung: Fundament und Meßlatte für echte Demokratie, EUROPAkommunal 1999, S. 67 ff., 69. - Zu Entstehung, Inhalt und Wertung der EKC, Knemeyer (Hrsg.), Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, Baden-Baden 1989. 55 Siehe dazu im einzelnen etwa Knemeyer, Die europäische Kommunalcharta: ein Instrument zur Standadisierung der verfassungsrechtlichen Garantien kommunaler Selbstverwaltung

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Da die Charta jedoch nicht über ein eigenständiges Sanktionsinstrumentarium verfügt, kommt ihr zunächst einmal politische Bedeutung zu. Diese ist freilich nicht zu unterschätzen56. Namentlich über das Kontrollverfahren entwickelt die EKC mehr und mehr eine eigene Dynamik 57 - im Ergebnis ist damit kommunale Selbstverwaltung von der EU betroffen, vom Europarat geschützt. Für die Bundesrepublik ergibt sich aus der Charta kein Handlungsbedarf, da - wie sie schon 1986 zutreffend erklärt hat - der „Rechtsstand in der Bundesrepublik Deutschland" dem durch die Charta festgelegten „hohen Maß an Selbstverwaltung" bereits entspricht. 58 Jedoch kommt ihr auch in Deutschland neben der Funktion als Auslegungsmaßstab praktische Bedeutung als „Sperre" für den Gesetzgeber zu. Ihm ist es verwehrt, kommunale Selbstverwaltung unter den Standard der völkerrechtlichen Verpflichtung aus der Charta zurückzuschrauben. 59

3. Staaten in Europa unter dem Einfluß von Prinzipien und Standards deutscher kommunaler Selbstverwaltung Gestatten Sie mir eine geringfügige Ausweitung des Themas, um die Position der deutschen kommunalen Selbstverwaltung in Europa besser zu erfassen. Neben den europäischen Einflüssen auf die deutsche kommunale Selbstverwaltung gilt es die Wechselwirkungen60 zu berücksichtigen, so die Tatsache, daß kommunale Selbstverwaltung deutscher Prägung - nicht das britische Local Government - als besonders geeignetes Instrument zur Sicherung der Demokratie mehr und mehr Einfluß gewinnt auf Europa. Über den Weg der Europäischen Kommunalcharta wird ein beispielhafter Beitrag zur Demokratisierung 61 in den Europaprozeß eingebracht. in Europa, in: Chuo-University, Festschrift zum 50. Gründungstag des ,The Institute of Comparative Law in Japan', Toward Comparative Law in the 21st Century, Tokyo 1998, S.459ff. mit Abdruck der Charta. 56 Engel, Die Europäische Charta (FN54), EUROPAkommunal 1999, S.67ff, 68. 57 Zum Kontrollverfahren näher Engel, Die Europäische Charta (FN54), EUROPAkommunal 1999, S. 67ff., 68. 58 Zitiert nach Leitermann, Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Kraft, Der Städtetag 1988, 678, 679 f. 59 Dazu im einzelnen Weiß, Einführung und Umsetzung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, insbesondere in Bayern und Nordrhein-Westfalen, 1996. - Zur Wertung der Charta auch Heberlein, Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, in: Ipsen/Rengeling (Hrsg.), Gemeinde und Kreise in einem vereinten Europa, Osnabrück 1999, S.55 ff. 60 Zur Europäisierung der Verfassungsordnung allgemein und zu Grundgesetz und internationalem Wirkzusammenhang Pitschas, Manuskript (FN 1), S. 2. 61 Dazu Rosenbauer, in: Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 10. Aufl. 2000, Rn.3 a.E. 17*

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Unter diesem Aspekt gilt es auch und gerade hervorzuheben, daß und wie die Kommunen an der europäischen Einigung mitwirken auch und gerade unter dem Aspekt, daß ein demokratisches Europa - wie die Politik es erkannt hat - nur als ein Europa der Bürger und nicht als ein Europa der Institutionen sein Ziel erreichen kann. Dieses Europa der Bürger muß in den Gemeinden - den örtlichen Gemeinschaften - beginnen. Dies ist bereits sehr frühzeitig erkannt und durch vielfältige kommunale Partnerschaften umgesetzt worden 62 - Freilich wird dieses politische Ziel wohl noch lange Zeit nicht viel mehr als eine schöne Vision sein. Europa wird gebildet und gestaltet durch Nationalstaaten (Europa der Völker?), nicht durch die Bürger. Es ist schon vieles gewonnen, wenn dieses Europa bürgerakzeptiert ist. Einen nicht zu unterschätzenden Bedeutungszuwachs hat die Europäische Kommunalcharta mit dem Zusammenbruch des Ostblocks entfaltet. Gerade die jungen Demokratien in Mittel- und Osteuropa, die mit ihrem Beitritt zum Europarat auch die Europäische Kommunalcharta ratifiziert haben, sehen in der Umsetzung eine Chance, ihre neue pluralistische Ordnung zu festigen und damit letztlich auch die Möglichkeiten zu demonstrieren, daß sie die demokratischen und innenpolitischen Anforderungen für einen Beitritt zur Europäischen Union erfüllen. So entfaltet kommunale Selbstverwaltung in ihrer standardisierten Ausgestaltung der Europäischen Kommunalcharta auch im größer gewordenen und (noch) über die Grenzen der EU hinausreichenden Europa eine nicht zu unterschätzende Bedeutung als Indikator für Stabilität und Ernsthaftigkeit der Bemühungen um demokratische Strukturen. Vor allem aber besitzt die Charta wesentliche Bedeutung für den Schutz der Gemeinden und Kreise gegen eine europäische Nivellierung ihrer bisher erreichten Selbstverwaltung.63 IV. Schlußbetrachtung Kommen wir zurück zum Referatsthema Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland unter europäischem Einfluß, so kann man als Fazit feststellen, daß die deutschen Kommunen in mannigfaltigen Bereichen von EU-Maßnahmen mittelbar aber auch unmittelbar betroffen sind, daß sie andererseits als innerstaatliche Institutionen von der EU nicht zur Kenntnis genommen werden und keinen unmittelbaren Einfluß auf und keine rechtlichen Schutz gegenüber ihre Rechte tangierenden Maßnahmen genießen. Unmittelbar sichtbar wird Europa in den Gemeinden durch die Einrichtung des Kommunalwahlrechts für EU-Bürger. 62 Zur „kommunalen Europapolitik" im einzelnen Heberlein, Kommunale Selbstverwaltung (FN53), BWGZ 1999, 359ff., 360ff. m.w.N. 63 Zur Bedeutung der Europäischen Kommunalcharta für eine Weltcharta der kommunalen Selbstverwaltung s. Hoffschulte, Auf dem Weg zu einer Weltcharta der lokalen Selbstverwaltung. Trotz Widerstände auch viele Fortschritte, in: EUROPAkommunal 2001, 130ff.

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Die Verfassungsgarantie kommunaler Selbstverwaltung entfaltet in Europa bislang allein über den Europarat und die Europäische Kommunalcharta und dort mehr politische als rechtliche Wirkungen. Weiten wir den Blick über die rechtlichen und faktischen Betroffenheiten hinaus und betrachten einige andere in diesem Kongreß angesprochene Problembereiche, so ist festzustellen, daß die modernen Wandlungen in der kommunalen Selbstverwaltung nicht von Europa ausgehen, eher ist es umgekehrt. Verwaltungsreformen und die weltweiten Tendenzen zum effizienten Staat, Deregulierung und Rücknahme der Kommunalaufsicht 64, Privatisierung und neue Philosophie im kommunalen Unternehmensrecht 65, ja Dezentralisierung der öffentlichen Verwaltung überhaupt und grundlegende kommuanlinterne Verwaltungsreformen - Reformen im Rathaus66 - gekennzeichnet etwa durch die Metapher ,Neue Steuerung4 und schließlich die Stärkung der örtlichen Demokratie durch verstärkte bürgerschaftliche Mitwirkung 67 und eine Änderung der Kommunalverfassung in vielen Bundesländern durch Anpassung an die süddeutsche Kommunalverfassung, das alles sind bedeutsame Wandlungen. Sie werden freilich nicht durch europäische Einflüsse bestimmt. Allenfalls mag man einen Gleichklang der Modernisierungsthemen sehen68. Mit der Erweiterung der Verwaltungsbetroffenheit über den Länder- und den Bundesstaatsrahmen hinaus auf Europa hin wird sich aber auch die Verwaltung weiter ändern müssen und die wechselseitigen Wirkzusammenhänge zu erfassen haben. Deutlich wird dieser einheitliche europäische Strom, der zu einer Harmonisierung auch ohne Rechtszwang führen wird. Die Rechtsentwicklungen im einheitlicher werdenden Raum vollziehen sich im wesentlichen parallel. Wie Pitschas zu Recht herausstellt, wird dieser Wandel bestimmt sein durch gegenseitiges Lernen. Von meinem Kollegen und Freund Shigeo Kisa werde ich sicher anhand des nächsten Referats erneut lernen können. V. Thesen Die Entwicklung kommunaler Selbstverwaltung - der äußeren Kommunalverfassung - unter dem Grundgesetz 1.

Wie in Japan, so haben auch in Deutschland die Alliierten Demokratisierung und Dezentralisierung als Leitziele einer neuen Ordnung vorgegeben. Für die 64

Knemeyer, Rechtsaufsicht als Vertrauensaufsicht, BayVBl. 1999, S. 193 ff. m. w.N. Knemeyer, Vom kommunalen Wirtschaftsrecht zum kommunalen Unternehmensrecht, BayVBl. 1999, S. Iff. 66 Dieckmann u. a., Reformen im Rathaus, Köln 1996. 67 Knemeyer, Bürgermitwirkung und Kommunalpolitik, 2. Auflage, München, 1997; vgl. mch Jungt Knemeyer, Im Blickpunkt: Direkte Demokratie, 2001. 68 So auch Pitschas (FN 1), Manuskript S. 7. 65

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kommunale Selbstverwaltung bedeutete dies eine Garantie und Festigung ihrer unmittelbar nach 1945 revitalisierten Rechtsgrundlagen. Die Vorgaben der Weimarer Verfassung konnten berücksichtigt und verstärkt im Grundgesetz ihren Niederschlag finden. 2.

Das Grundgesetz selbst konnte freilich nur die Länder zur Garantie kommunaler Selbstverwaltung verpflichten und seinerseits eine Gewährleistung übernehmen. Die Formulierung des Art. 28 Abs. 2 GG - niemals geändert, nur nach 43 Jahren ergänzt - konnte zum „Exportschlager" für den europäischen Raum werden. Die in die Europäische Kommunalcharta weitgehende übernommene Version kommunaler Selbstverwaltung hebt sich wesentlich ab vom englischen local government.

3.

Der gleichgebliebene Wortlaut hat Wissenschaft und Rechtsprechung freilich nicht gehindert, den wesentlichen Gehalt der Garantienorm im Laufe der Zeit wechselnd zu interpretieren. Namentlich im Zusammenhang mit den kommunalen Gebietsreformen der 60er und 70er Jahre wurde eine grundlegende Neukonzeption kommunaler Selbstverwaltung diskutiert.

4.

Über eine vorübergehend besonders starke Betonung von Effizienzgesichtspunkten hinausgehend hat das Bundesverfassungsgericht in seiner RastedeEntscheidung des Jahres 1988 die Funktionen kommunaler Selbstverwaltung wieder ins Gleichgewicht gebracht und auch die demokratischen Funktionen - Bürgermitwirkung - den ihnen gebührenden Stellenwert eingeräumt.

5.

Besonders bedeutsam war die Fortentwicklung unter dem Grundgesetz namentlich im Bezug auf die Finanzverfassung. Hier hat es einige - wenn auch noch nicht ausreichend erscheinende - Klärungen durch Verfassungsergänzung gegeben.

6.

Die erste und einzige wirkliche europäisch beeinflußte Verfassungsänderung liegt in der Ergänzung der Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 GG. Einer europäischen Richtlinie folgend hat das Grundgesetz das Kommunalwahlrecht auf Staatsangehörige der Mitgliedsstaaten der europäischen Gemeinschaft erweitert. Kommunale Selbstverwaltung unter europäischem Einfluß Europa der Kommunen? -

7.

Die deutschen Kommunen sind vielfältig europabetroffen, aber im EU-Recht nicht geschützt. Vielfältige Sicherungsansätze kommunaler Selbstverwaltung im europäischen Integrationsprozeß haben nicht zu einer echten Absicherung geführt. Art. 28 Abs. 2 GG ist nicht europafest. Einen wirksamen Schutz haben die Kommunen auch nicht über das sog. Bundesratsverfahren im Zusammenhang mit Art. 23 GG erreichen können. Den

Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland

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einzigen direkten Europazugang besitzen sie durch ihre drei Vertreter im Ausschuß der regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften. 8.

Auch das Subsidiaritätsprinzip - mittlerweile im EG-Vertrag verankert - ist nicht bis auf die kommunale Ebene verlängert und zudem mehr als nur auslegungsbedürftig. Immerhin verpflichtete sich die Europäische Kommission in einem Protokollvermerk „... bei ihren Vorschlägen in Zukunft darauf achten, daß die damit verbunden finanziellen und administrativen Belastungen für die Gemeinschaft, die Regierungen der Mitgliedstaaten, die lokalen Behörden, die Wirtschaft und die Bürger so geringfügig wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen".

9.

Im Gegensatz zum Rechtskreis der EU ist das Subsidiaritätsprinzip im Rechtskreis des Europarats auch auf kommunaler Ebene wirksam. Die Bundesrepublik Deutschland und auch die einzelnen Länder, sowie die anderen die EKC ratifiziert habenden Staaten können nicht hinter den Standard der EKC zurückfallen. Obwohl die Charta nicht über ein eigenständiges Sanktionsinstrumentarium verfügt, kommt ihr doch erhebliche politische Bedeutung, namentlich durch das wirksam installierte Kontrollverfahren zu.

10. Im Gegensatz zum Thema Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland unter Europäischem Einfluß muß man bei einer Gesamtbetrachtung feststellen, daß - vermittelt durch die Europäische Kommunalcharta - viele Staaten in Europa unter dem Einfluß von Prinzipien und Standards deutscher kommunaler Selbstverwaltung stehen. 11. Im Ergebnis kann man feststellen, daß die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland mannigfaltig EU-betroffen, aber durch die EU und vor ihr nicht geschützt ist. Die Verfassungsgarantie kommunaler Selbstverwaltung entfaltet in Europa bislang nur über den Europarat und da auch mehr politische als rechtliche Wirkungen. 12. Vielfältige Wandlungen in der kommunalen Selbstverwaltung gehen nicht von Europa aus, ein Gleichklang von Modernisierungsthemen ist jedoch festzustellen. In der Folgezeit werden diese wechselseitigen Wirkzusammenhänge noch wachsen.

Grundlegende Reform des örtlichen Selbstverwaltungsrechts in Japan Von Shigeo Kisa I. Zur Lage des Selbstverwaltungsrechts der Gebietskörperschaften 1 und zur Dezentralisierung in Japan Im Juli 1999 wurden unter Einbeziehung des Gesetzes über die örtliche Selbstverwaltung insgesamt 475 Gesetze im Wege eines Artikelgesetzes2 geändert und dadurch das System der örtlichen Selbstverwaltung in Japan grundlegend reformiert. Die meisten Gesetzesänderungen traten am 1. April 1999 in Kraft. Insgesamt gibt es 1719 Gesetze in Japan3. Im Zuge der Dezentralisierung sind durch die Verabschiedung des Dezentralisierungsartikelgesetzes sowie weitere Gesetze insgesamt 532 Gesetze von der Gesetzesreform erfaßt worden. Aufgrund weiterer Deregulierungsmaßnahmen sowie der Neugliederung der Zentralbehörden werden in den Jahren 2000 bis 2001 fast die Hälfte aller bestehenden Gesetze Änderungen erfahren. Ferner wird mit Abschluß der Tätigkeit der im Juli 1999 für die Dauer von zwei Jahren eingesetzten Beratungskommission für die Justizreform 4 eine weitreichende Novellierung der Justizgesetze erfolgen. Das japanische Rechtssystem wird sich somit in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts grundlegend ändern. 1. Das System der örtlichen Selbstverwaltung

in Japan

Das moderne System der örtlichen Selbstverwaltung entstand nach der Meiji-Restauration von 1868 zwischen 1888 und 1890. Bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges erfuhr das System der örtlichen Selbstverwaltung in Teilen eine sehr positive 1 Das Recht der örtlichen Selbstverwaltung in Japan bezieht sich nicht nur auf die Gemeinden, sondern auch auf die 47 Präfekturen. Die Bezeichnung Gebietskörperschaften (chihô kokyo dantai) wird als Oberbegriff für die Präfekturen (to-dô-fu-ken ) und Gemeinden (shi-chôson) benutzt. 2 Gesetz zur Bereinigung der die Dezentralisation betreffenden Gesetze zwecks Förderung derselben, Gesetz Nr. 87 vom 16. Juli 1999, (nachfolgend auch „Dezentralisierungsartikelgesetz"). 3 Stand zum 30. Juni 1999; Auskunft des Justizministeriums. 4 Gesetz zur Einsetzung einer Beratungskommission für die Justizreform, Gesetz Nr. 68 vom 9. Juni 1999.

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Entwicklung, wurde jedoch während des Zweiten Weltkrieges durch einen extremen Zentralismus eingeschränkt. Unter der Meiji-Verfassung (1889-1945) war die örtliche Selbstverwaltung nicht verfassungsrechtlich garantiert, sondern lediglich durch einfaches Gesetzesrecht geregelt. 2. Zur Vorgeschichte der Diskussion über die Dezentralisierung Verfassungsmäßige Garantie und tatsächliche Lage der örtlichen Selbstverwaltung

-

Nach dem Zweiten Weltkrieg trat am 3. Mai 1947 zeitgleich mit der neuen Verfassung das Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung (nachfolgend auch „SVG") in Kraft. Abschnitt 8 der Verfassung garantiert in insgesamt 4 Artikeln die örtliche Selbstverwaltung5. Während die Verfassung bisher nicht ein einziges Mal geändert wurde, war das Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung Gegenstand mehrfacher Novellier, von denen einige im Folgenden näher dargestellt werden. Die erste Änderung des Gesetzes über die örtliche Selbstverwaltung erfolgte bereits Ende 19476. Aufgrund dieser Novellierung wurden die „gewöhnlichen"7 Gebietskörperschaften ermächtigt, Satzungen zu erlassen, die - soweit diese nicht gegen bereits bestehende Gesetze verstoßen - in Rechte der Bürger eingreifen, ihnen Pflichten auferlegen sowie bei Verstößen Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zur Höhe von 100.000 Yen (seit 1991 bis zu 1.000.000 Yen) auferlegen können (Art. 14 Abs. 5 SVG). Das Recht der Gebietskörperschaften, auch ohne einzelgesetzliche Ermächtigung regulierende Satzungen erlassen zu können, stellt - abgesehen von den US-amerikanischen Bundesstaaten, die das „Homerule"-System eingeführt haben - weltweit ein seltenes Beispiel dar. 1952 wurde mit der Begründung, daß der Staat und die Gebietskörperschaften gleichberechtigt nebeneinander stünden, die Überschrift eines Abschnitts des Gesetzes über die örtliche Selbstverwaltung von „Aufsicht" in „Das Verhältnis zwischen Staat und Gebietskörperschaften" geändert. Unter Einbeziehung der verfassungsmäßigen Garantie der örtlichen Selbstverwaltung kann man festhalten, daß der gesetzliche Regelungsrahmen der Selbstverwaltung eine besondere Bedeutung zukommen läßt. 5 Siehe Kisa/Knemeyer, Hundert Jahre kommunale Selbstverwaltung in Japan, DÖV 1990, S. 98 f. mit deutscher Übersetzung der Artt. 93-95 JV auf S. 100; ferner Hiroyuki Shirafuji, Besatzungspolitik und kommunale Selbstverwaltung, in: Diestelkamp/Kitagawa/Kreiner/Murakami/Nörr/Toshitani (Hrsg.), Zwischen Kontinuität und Fremdbestimmung - Zum Einfluß der Besatzungsmächte auf die deutsche und japanische Rechtsordnung 1945-1950, Tübingen 1995, S. 97 f. 6 Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung, Gesetz Nr. 169. 7 Neben den Gemeinden und Präfekturen, die nach Art. 1-3 Abs. 2 SVG als „gewöhnliche" Gebietskörperschaften definiert werden, sieht das Gesetz in Art. 1-3 Abs. 3 „besondere" Gebietskörperschaften (z.B. Kommunalverbände) vor.

Grundlegende Reform des örtlichen Selbstverwaltungsrechts in Japan

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Es besteht in Japan jedoch Einvernehmen darüber, daß die örtliche Selbstverwaltung in der Praxis nicht verwirklicht worden ist und daß Maßnahmen der Dezentralisierung notwendig sind. Eine wesentliche Ursache hierfür lag im bisherigen System der Organauftragsangelegenheiten 8. In ihrem Rahmen wurden die Präfekten und Bürgermeister als Organ des zuständigen Ministers (der Zentralregierung) mit der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben beauftragt und unterlagen dem umfassenden Weisungs- und Aufsichtsrecht des zuständigen Ministers. Nach Schätzungen von Verwaltungspraktikern und Wissenschaftlern stellten die Organauftragsangelegenheiten 80 % der von den Präfekten sowie ca. 30-40 % der von den Bürgermeistern wahrzunehmenden Aufgaben dar. Die Gebietskörperschaften, Wissenschaftler und Bürger kritisierten hierbei, daß den Gebietskörperschaften nur ein äußerst geringer Spielraum für die Selbstverwaltung im eigentlichen Sinne verblieb. Eine weitere Ursache für die Schwächung des Selbstverwaltungsrechts lag im Finanzsystem der Gebietskörperschaften. Im Rahmen des Finanzausgleichs der Gebietskörperschaften sind bei der Festlegung der Ausgleichshöhe, insbesondere für die Gemeinden, Art und Umfang der Ausführung staatlicher Verwaltungspolitiken durch die Gebietskörperschaften ein wichtiger Faktor. Auch erhalten die Gebietskörperschaften in großem Umfang staatliche Subventionen. Dieses System führt dazu, daß die Gebietskörperschaften insoweit als ausgelagerte Verwaltungseinheiten ähnlich wie Abteilungen, Referate oder Unterreferate der Ministerien fungieren, mithin an deren „Goldene Zügel" gelegt sind. Obgleich die gesetzliche Zuständigkeit für die Erledigung von Verwaltungsaufgaben zwischen den staatlichen Behörden und den Gebietskörperschaften in einem Verhältnis von 7 zu 3 steht, kehrt sich das Verhältnis hinsichtlich der tatsächlich getätigten Ausgaben in ein Verhältnis von 3 zu 7 zu Lasten der Gebietskörperschaften um. Der Anteil der Gebietskörperschaften an den Gesamtausgaben des Staates ist also sehr hoch. Ferner beträgt der Anteil der Eigeneinnahmen der Gebietskörperschaften an ihren Haushalten mehr als 30%. 8 Zur Lage der Gebietskörperschaften bis Ende der 1980er Jahre siehe Shigeo Kisa, Local Government in Japan: Seeking Independence and Self-Reliance, in: J. J. Hesse (ed.), Local Government and Urban Affairs in International Perspective: Analyses of Twenty Western Industrialised Countries, Baden-Baden, 1991, S. 109 f. Die Aufgaben der Gebietskörperschaften wurden bis zur Novellierung des Gesetzes über die örtliche Selbstverwaltung im Jahr 1999 unterteilt in eigene Angelegenheiten (kôyu jimu), Angelegenheiten der Eingriff s Verwaltung (gyosei jimu\ also einem Bereich in dem die Gebietskörperschaften auch ohne gesetzlicher Einzelermächtigung Satzungen erlassen konnten, die Rechte und Pflichten der Bürger regeln konnten) und im gesetzesuntechnischen Sinne Auftragsangelegenheiten (inin jimu). Bei den Auftragsangelegenheiten war wiederum zu unterscheiden zwischen allgemeinen Auftragsangelegenheiten (dantai inin jimu\ Auftragsangelegenheiten auf Verband; somit Übertragung von Aufgaben auf die Präfekturen oder Gemeinden als Verbände) und den Organauftragsangelegenheiten (kikan inin jimu\ Übertragung von Aufgaben auf die Präfekten oder Bürgermeister als Organe). Abgesehen von einzelgesetzlichen Ermächtigungen stand dem Staat nur hinsichtlich der Organauftragsangelegenheiten ein umfassendes Weisungsrecht zu; siehe auch L. Ködderitzsch, Die Rolle der Verwaltungsvorschriften im japanischen Verwaltungsrecht, S.69ff.

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Nach einem statistischen Ländervergleich der OECD 9 weisen die japanischen Gebietskörperschaften einen hohen Eigenfinanzierungsanteil auf. Die japanischen Gebietskörperschaften haben jedoch nicht das Gefühl, eine eigenständige Haushaltspolitik verwirklichen zu können. Eine Umstrukturierung der Finanzierungsquellen und eine Vereinheitlichung der verschiedenen Subventionsprogramme wird daher für notwendig gehalten. 3. Zur Diskussion über die Dezentralisierung ab Mitte der 1990er Jahre - Dominanz divergierender Reformansätze Seit Einführung des gegenwärtigen Systems der örtlichen Selbstverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg haben zahlreiche Beratungs- und Untersuchungskommissionen die Notwendigkeit der Dezentralisierung, d. h. die Neuverteilung der Aufgaben zwischen dem Staat und den Gebietskörperschaften sowie die Umverteilung der Finanzmittel, erörtert. Diese Erörterungen führten gleichwohl nicht zu nennenswerten Reformen. Insbesondere in den späten 1980er Jahren, somit während der Reagan-Ära in den USA sowie der Thatcher-Regierung in Großbritannien, gab es im Rahmen der Diskussion über die Verwaltungsreform Vorschläge einer mit Fragen der Deregulierung befaßten Regierungskommission zur Dezentralisierung. Im Gegensatz zur Deregulierung kam es auf dem Gebiet der Dezentralisierung zu keiner Reform des Systems. Schließlich wurde aber, auch aufgrund internationalen Drucks, seit Ende der 1980er Jahre, insbesondere seit 1993 die Dezentralisierung zu einem politischen Thema. Regierung, Wirtschaftskreise, politischen Parteien, Gebietskörperschaften, Bürger und Wissenschaftler verlangten einstimmig die Verwirklichung der Dezentralisierung. Hinsichtlich ihrer Zielsetzung gingen die Meinungen allerdings so sehr auseinander, daß ein Verwaltungswissenschaftler die Diskussion um die Dezentralisierung als „Gemischten Chor" bezeichnete10. Beide Häuser des Parlaments nahmen im Juni 1993 einstimmig eine „Resolution betreffend die Förderung der Dezentralisierung" an. Im Mai 1995 wurde auf besonderer, zeitlich befristeter gesetzlicher Grundlage durch die Regierung ein Ausschuß zur Förderung der Dezentralisierung mit einer auf fünf Jahren beschränkten Amtszeit berufen, welcher einschließlich seiner Unterausschüsse mehr als 500 Anhörungen und Beratungen durchgeführt sowie eine Vielzahl von Berichten und Empfehlungen veröffentlicht hat.

9

OECD, National Accounts, 1994, zitiert nachN. Jinno, Chihôbunken to jichitai zaisei [Dezentralisierung und die Finanzpolitik der Gebietskörperschaften] in: Jurisuto Nr. 1974, S.45 (1995). 10 T. Tsujiyama, „Konseigashô chihô bunken" dai-ichi rakusho [„Dezentralisierung" Erste Lied eines gemischten Chores], in: Jichisôken Band 18, Nr. 9 (1992), S. 1 f.

Grundlegende Reform des örtlichen Selbstverwaltungsrechts in Japan

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4. Die Verabschiedung des Artikel ge setze s zur Dezentralisierung im Jahr 1999 Auf der Grundlage der Empfehlungen des Ausschusses für die Förderung der Dezentralisierung und des Förderungsplans der Regierung für die Dezentralisierung wurde im Jahr 1999 ein großangelegtes Gesetzesreformwerk angegangen, in dessen Mittelpunkt die Novellierung des Gesetzes über die örtliche Selbstverwaltung stand. Durch die umfangreichen Änderungen des Gesetzes über die örtliche Selbstverwaltung und die Hinzufügung zahlreicher Bestimmungen in bestehende Artikel ist dieses Gesetz außerordentlich unübersichtlich geworden 11. Das Reformpaket wurde zusammen mit den 17 Gesetzen, die die Neugliederung der Ministerien betreffen, in einem Ausschuß des Parlaments zusammenfassend beraten. Der Entwurf des Dezentralisierungsartikelgesetzes umfaßt allein in seinem Hauptteil 1850 Seiten. Ergänzende Materialien wie eine vergleichende Übersicht über die neuen und die bisherigen Regelungen erstrecken sich über 3000 Seiten. All dies entstand in weniger als zwei Monaten. Niemand - so wird allenthalben vermutet - hat diesen umfangreichen Gesetzentwurf vollständig durchgelesen, die Ministerialbeamten nicht, die Abgeordneten schon gar nicht. Ein Grund für die äußerst schnelle Verabschiedung des Gesetzes liegt darin, daß die Dezentralisierung eine Voraussetzung für die vom Jahr 2001 an durchzuführende Reform der Ministerien und staatlichen Oberbehörden bildet. Von wesentlicher Bedeutung war dabei, daß die Dezentralisierung hauptsächlich vom Ministerium für Selbstverwaltungsangelegenheiten vorangetrieben wurde. Diese Behörde wird aber nur noch bis Ende des Jahres 2000 als eigenständiges Ministerium existieren und danach in das Ministerium für Verwaltungsangelegenheiten eingegliedert, somit Teil einer Großbehörde werden. Der wesentliche Grund für die sehr schnelle, aber unsorgfältige Beratung des Gesetzes ist mithin die Befürchtung gewesen, gegenüber anderen, zentralistisch orientierten Ministerien keine politische Macht mehr ausüben zu können. Dieser Aspekt macht deutlich, daß es sich um eine Reform handelt, die weniger auf den Wünschen der Gebietskörperschaften und der Bürger beruht, als vielmehr vom Ministerium für Selbstverwaltungsangelegenheiten ausging. 5. Die Dezentralisation im Jahr 1999 als Ausgangsbasis für weitere Reformen Das durch die Dezentralisation im Jahr 1999 neu entstandene System der örtlichen Selbstverwaltung wird einerseits, insbesondere von den Beamten des Ministe11

So sind unter dem Artikel 250 SVG insgesamt 18 Ergänzungsbestimmungen aufgenommen worden, die als Artikel 250-2 bis 250-19 SVG numeriert sind (in der deutschen Gesetzestechnik würde dies den §§ 250 a bis 250r entsprechen). Auch sind gelegentlich Folgeergänzungen anzutreffen wie bei Artikel 252-17-19 (hierbei handelt es sich nicht um einen Absatz 19, sondern um eine achtzehnte Ergänzung zur sechzehnten Ergänzung des Artikels 252 SVG).

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riums für Selbstverwaltungsangelegenheiten sowie von den Professoren 12, die an den Arbeiten des Ausschusses für die Förderung der Dezentralisierung mitwirkten, überaus positiv als ein epochales Reformwerk für die örtliche Selbstverwaltung im kommenden 21. Jahrhundert bewertet. Andererseits besteht die Auffassung 13, nach der die Reform nicht den Erwartungen entspreche und teilweise auch Verschlechterungen im Vergleich zum bisherigen System herbeigeführt habe. Die Reform zielt auf verbandsrechtliche Aspekte der Selbstverwaltung, in deren Mittelpunkt die Verringerung der staatlichen Intervention und Aufsicht stehen. Der Aspekt der Verstärkung der Beteiligung der Bürger an der Selbstverwaltung wird hingegen vernachlässigt. Lediglich die Voraussetzungen, unter denen Abgeordnete der regionalen bzw. lokalen Bürgervertretungen (d. h. Präfekturtage bzw. Gemeinderäte) Satzungs- und Beschlußvorlagen/-anträge einbringen können, sind erleichtert worden. Die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung und Bürgerinitiativen sind hingegen überhaupt nicht verbessert worden. In diesem Sinne ist die Aussage einer Schlüsselfigur der Reformbewegung zutreffend 14, wonach die derzeitige Reform nicht mehr als die Errichtung eines „Ausgangslagers" für den künftigen Ausbau der örtlichen Selbstverwaltung darstelle. 6. Die „Dritte Reform " der gesamten Staatsorganisation In einem im März 1996 veröffentlichten Zwischenbericht des Ausschusses für die Förderung der örtlichen Selbstverwaltung wurde die anstehende Dezentralisationsreform als „Dritte Reform" bezeichnet15. Die „Dritte Reform" bezog sich zunächst nur auf das Dezentralisationsvorhaben im engeren Sinne. Später wurde die „Dritte Reform" jedoch zum Oberbegriff für wesentlich weitergehendere Reformen, so der Neugliederung der Ministerien und Oberbehörden mit einer Verringerung von 23 auf 13 Einheiten, sowie die Justizreform. Es handelt sich somit um Reformen die zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine grundlegende Veränderung der Struktur von Staat und Gesellschaft in Japan zur Folge haben werden.

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Ζ. B. Wataru Ohmori und Yoriaki Narita. Z. B. Takayoshi I garas hi, Katsuya Ichihashi, Hiroyuki Shirafuji etc. 14 Masaru Nishio, Professor für Verwaltungslehre an der juristischen Fakultät der Universität Tokio 15 Zwischenbericht des Ausschusses für die Förderung der örtlichen Selbstverwaltung, S. 3; veröffentlicht im „Gyosei" Verlag, 1996. 13

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II. Der Inhalt des novellierten Gesetzes über die örtliche Selbstverwaltung 1. Die neue Struktur des Gesetzes über die örtliche Selbstverwaltung Das novellierte Gesetz beschreibt die Funktion des Staates wie folgt: „Der Staat (...) übernimmt die Aufgaben, die ihn im Rahmen der Völkergemeinschaft angehen, trifft für die Tätigkeiten der Bürger einheitliche Regelungen, wo dies wünschenswert erscheint, ist zuständig für die grundsätzlichen Regeln der örtlichen Selbstverwaltung, für Maßnahmen von landesweiter Bedeutung und deren Durchführung bzw. für Maßnahmen, die im gesamtstaatlichen Rahmen durchgeführt werden müssen, sowie alle übrigen Funktionen, die der Staat üblicherweise schwerpunktmäßig zu erfüllen hat", Art. 1-2 Absatz 2 SVG 16 . Unabhängig davon, ob der Ansatz des novellierten Gesetzes in Zukunft konkret umgesetzt bzw. sich weiterentwickeln wird, führt die neue Denkweise hinsichtlich der Staatsfunktion zumindest in einem formalen Sinne zu erheblichen rechtlichen Änderungen. Diese betreffen insbesondere die Grundstruktur der Aufgabenverteilung, die Einwirkung der staatlichen Behörden auf die Gebietskörperschaften und Mechanismen zur Beilegung von Auseinandersetzungen im Falle von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Staat und Gebietskörperschaften, bei der Auslegung von Gesetzen. Im Bereich der Subventionen, der Kreditaufnahme durch Gebietskörperschaften und des Finanzausgleiches haben sich hingegen nur wenige Änderungen ergeben, auf die hier nicht weiter eingegangen wird. Nach Art. 2-2 SVG „(...) erledigen die Gebietskörperschaften die in ihrem regionalen Bereich anfallenden Angelegenheiten sowie andere Aufgaben, die ihnen zur Erledigung durch Gesetz oder darauf beruhenden (Kabinetts-)Verordnungen zugewiesen sind". Der Begriff „in ihrem regionalen Bereich anfallende Angelegenheiten" beinhaltet die den Gebietskörperschaften aufgrund von Gesetzen oder Verordnungen zugewiesenen Aufgaben sowie sämtliche Aufgaben, die die Gebietskörperschaften nach Maßgabe von Satzungen, Verwaltungsrichtlinien, Verwaltungsabkommen, Finanzzuweisungen u. ä. selbständig und freiwillig erledigen. Ob diese Aufgaben von staatlicher Natur sind oder ob sie in die gemeinsame Verantwortung von Staat und Gebietskörperschaften fallen, wird hierbei nicht hinterfragt. Als „andere Aufgaben" im Sinne der vorgenannten Vorschrift kommen nur besondere und außergewöhnliche Aufgaben in Betracht, etwa die Abordnung von Präfektur- oder Gemeindebeamten an internationale Organisation. Die hier beschriebenen Aufgaben bilden die erste Kategorie der Aufgaben der Gebietskörperschaften. 16

Diese Bestimmung ist in ihrer deutschen Fassung schwer verständlich. Dies liegt jedoch nicht nur an Schwierigkeiten bei der Übersetzung; vielmehr ist die Bestimmung auch auf Japanisch schwer zu begreifen und stellt ein weiteres Beispiel für die in gesetzestechnischer Hinsicht unzureichende Vorbereitung der Gesetzesnovellierung dar, siehe oben Abschnitt 1.4. sowie Fußnote 11.

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2. Die Abschaffung der Organauftragsverwaltung als wichtigstes Merkmal der Gesetzesnovellierung Als wichtigstes Merkmal der aktuellen Reform wird die Abschaffung des Systems der Organauftragsverwaltung angesehen. Als Folge hiervon wurden zwei neue gesetzliche Begriffe geprägt, zum einen der Begriff der „Selbstverwaltungsangelegenheiten" (jichijimu), ein Aufgabenbereich, der sich durch eine geringe staatliche Eingriffsmöglichkeit auszeichnet, sowie zum anderen der Begriff der „zugewiesenen Aufgaben" (hôteki jutaku jimu), der einen hohen Grad an staatlicher Intervention zuläßt. Beide zusammen bilden die zweite Kategorie der Aufgaben der Gebietskörperschaften. Nach der neuen Gesetzessystematik sind alle Aufgaben der Gebietskörperschaften im Rahmen der zweiten Kategorie Selbstverwaltungsangelegenheiten, mit Ausnahme derjenigen, die ausdrücklich als zugewiesene Aufgaben eingestuft sind, Art. 2 Abs. 8 SVG. Sowohl die Selbstverwaltungsangelegenheiten wie auch die zugewiesenen Aufgaben sind Angelegenheiten der Gebietskörperschaften im Sinne des Art. 2 Abs. 2 SVG. Wie bereits angemerkt, können im Rahmen beider Aufgabenkategorien den Gebietskörperschaften durch Gesetz oder darauf beruhenden Verordnungen Aufgaben übertragen werden. Nicht alle gesetzlich übertragene Aufgaben sind aber im gesetzestechnischen Sinne als „zugewiesene Aufgaben" einzuordnen. Vielmehr handelt es sich hierbei um auf gesetzlicher Grundlage zugewiesene Aufgaben, die „die vom Staat üblicherweise zu erfüllenden Funktionen betreffen und die eine Sicherstellung der ordnungsgemäßen Erfüllung im Staat besonders erfordern", Art. 2 Abs. 9 SVG. Die zugewiesenen Aufgaben ähneln den Weisungsaufgaben in der deutschen Begrifflichkeit. Innerhalb der zugewiesenen Aufgaben gibt es Angelegenheiten, die den Charakter staatlicher Aufgaben haben und deren gesetzlichen Grundlagen (Gesetze oder hierauf beruhende Verordnungen) ausführliche Durchführungsbestimmungen vorsehen. Im Verhältnis zwischen Präfekturen und Gemeinden gibt es ebenfalls den Begriff der zugewiesenen Aufgaben, auf den hier nicht näher einzugehen ist. Über das Verhältnis dieser neudefinierten Aufgaben zueinander besteht auch unter den Fachwissenschaftlern keine Einigkeit. Allerdings bestimmt das novellierte Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung bezüglich der beschriebenen Aufgaben unterschiedliche Rechtsfolgen insbesondere im Hinblick auf Aufsichts- und Weisungsrechte des Staates, so daß eine klare Begriffsbestimmung unerläßlich ist. Im Rahmen des Dezentralisierungsartikelgesetzes ist eine abschließende Aufgabenzuordnung vorgenommen worden. Von den 432 Gesetzen, die bisher eine Aufgabenerledigung durch die Gebietskörperschaften im Rahmen der Organauftragsangelegenheiten vorsahen, bestimmen 54,7 % der novellierten Gesetze eine Aufgabenerledigung im Rahmen der Selbstverwaltungsangelegenheiten und 45,3 % der no-

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vellierten Gesetze eine Aufgabenerledigung im Rahmen der zugewiesenen Aufgaben. Etwa 80 % bis 90 % der Rechtsvorschriften, die die Städteplanung betreffen, sind nunmehr den Selbstverwaltungsangelegenheiten zuzuordnen17. Unter dem novellierten Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung sind die Gebietskörperschaften befugt, Satzungen bezüglich ihrer Aufgaben im Sinne des Art. 2 Abs. 2 SVG zu erlassen, soweit dies nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstößt, Art. 14 Abs. 1 SVG. Soweit die Gebietskörperschaften Bürgern Pflichten auferlegen oder in ihre Rechte eingreifen, muß dies im Rahmen einer Satzung18 erfolgen, es sei denn, daß gesetzliche Vorschriften ein anderes bestimmen, Art. 14 Abs. 2 SVG. Aus Sicht der Eingriffsvorbehaltstheorie bedeutet dies die Anerkennung eines umfassenden Rechts zum Erlaß von Satzungen, die in Rechtspositionen der Bürger eingreifen können. Infolgedessen können Gebietskörperschaften auch hinsichtlich der zugewiesenen Aufgaben, da diese unter den Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 SVG fallen, Satzungen erlassen, soweit diese nicht gegen Rechtsvorschriften verstoßen. Bei zugewiesenen Aufgaben, die staatliche Aufgaben im eigentlichen Sinne betreffen, besteht aufgrund detaillierter und teilweiser abschließender gesetzlicher Vorgaben nur ein sehr eingeschränkter Handlungsspielraum für den Erlaß von Satzungen. 3. Das komplizierte System der Aufsicht und Weisungen im Recht der örtlichen Selbstverwaltung Unter dem bisherigen System der Organauftragsangelegenheiten unterlagen die Präfekten bzw. die Bürgermeister für diesen Aufgabenbereiches einem weitreichenden Aufsichts- und Weisungsrecht der zuständigen Ministerien bzw. staatlichen Oberbehörden 19. Mit seiner Abschaffung ist dieses weitreichende Aufsichts- und Weisungsrecht ebenfalls weggefallen. Das novellierte Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung stellt folgende drei Grundsätze in den Vordergrund: das Prinzip der Selbstverwaltung, das Generalitätsprinzip sowie die Prinzipien der Fairneß und Transparenz. Bezüglich der Selbstverwaltungsaufgaben sieht das Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung folgende vier Aufsichtsmittel vor: (a) Ratschlag bzw. Empfehlung, (b) Aufforderung zur Herausgabe/Vorlage von Akten, (c) Aufforderung zur 17

So die Einschätzung von Y. Narita, Kaisei chihôjichihô no sôten wo megutte [Hinsichtlich umstrittener Punkte der Reform des Rechts der örtliches Selbstverwaltung] in: Jichi Kenkyû Band 75, Nr. 9 (1999), S. 14. 18 Gebietskörperschaften sind nach Art. 15 SVG befugt, auch „allgemeine Vorschriften" zu erlassen, die jedoch anders als Satzungen nur in begrenztem Umfang in Rechtspositionen der Bürger eingreifen können. Bei den allgemeinen Vorschriften, die vom Präfekten bzw. vom Bürgermeister, somit nicht vom Präfekturtag bzw. Gemeinderat erlassen werden, handelt es sich in der Regel um Durchführungsvorschriften. 19 Siehe oben Fußnote 8. 18 Pitschas/Kisa

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Nachbesserung und (d) Beratung. Im Rahmen der zugewiesenen Aufgaben kommen zu den vorgenannten Mitteln (a), (b) und (d) noch folgende hinzu: (e) Einvernehmen, (f) Genehmigung/Erlaubnis/Einverständnis, (g) Weisung und (h) Ersatzvornahme, also insgesamt sieben Kategorien. Im Rahmen der Selbstverwaltungsangelegenheiten sind nur in gesetzlichen Ausnahmefällen Zwangsmaßnahmen vorgesehen, Art. 245-3 Abs. 4 bis 6 SVG. Der Staat kann gegenüber den Präfekturen und - über die Präfekturen - gegenüber den Gemeinden sowie eine Präfektur nach eigenständiger Beurteilung gegenüber Gemeinden die vorgenannten Aufsichts- und Weisungsrechte ausüben. Im Falle der Ausübung von Aufsichts- und Weisungsrechten durch den Staat gegenüber den Gemeinden erfolgt diese nicht unmittelbar; vielmehr bedient sich der Staat hierzu der Exekutivorgane der Präfekturen. Entsprechend lautet die Überschrift des einschlägigen Abschnitts im Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung20 „Interventionen des Staates sowie der Präfekturen gegenüber gewöhnlichen Gebietskörperschaften". Liest man dies unvoreingenommen, entsteht der Eindruck, als ob nur die Gemeinden gewöhnliche Gebietskörperschaften 21 seien, der Staat und die Präfekturen hingegen eine Einheit bildeten und so gegenüber den Gemeinden intervenierten. Die soeben dargestellten Aufsichts- und Weisungsrechte sowie die noch zu erörternden Schlichtungsverfahren bei Streitigkeiten zwischen dem Staat und den Gebietskörperschaften finden nur insoweit Anwendung, wie die Gebietskörperschaften Aufgaben der örtlichen Selbstverwaltung im eigentlichen Sinne erfüllen. Anders ausgedrückt, diese Regelungen finden keine Anwendung, wenn der Staat oder die Präfekturen Subventionen oder andere Fördermittel an Gebietskörperschaften vergeben oder wenn Gebietskörperschaften Regiebetriebe oder sonstige Unternehmen betreiben. In diesen Fällen werden die Gebietskörperschaften Privatpersonen oder -unternehmen gleichstellt, mit der Folge, daß die die Gebietskörperschaften schützenden Vorschriften zur Ausübung von Aufsichts- und Weisungsrechten keine Anwendung finden. Es fällt den Präfektur- und Gemeindebeamten sowie den Bürgern schwer, diese Differenzierung zu verstehen. 4. Die Einsetzung des Ausschusses für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen dem Staat und Gebietskörperschaften Für die Beilegung rechtlicher Auseinandersetzungen im Bereich der örtlichen Selbstverwaltung sind zwei Verfahren eingeführt worden. Die Gerichte und die herrschende Lehre haben bisher das Verhältnis zwischen Staat und Gebietskörperschaft als ein verwaltungsinternes Problem im weiteren Sinne angesehen. Gerichtlicher Rechtsschutz wurde in diesem Verhältnis selten gewährt und insbesondere ein Klagerecht der Gebietskörperschaften verneint. Somit war es ein Anliegen des Aus20 21

2. Buch, 11. Kapitel, 1. Abschnitt. Siehe oben Fußnote 7.

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schusses für die Förderung der Dezentralisierung, die bestehenden Klagearten durch eine neue Klageart 22 zu ergänzen, um so der verfassungsrechtlichen Garantie der örtlichen Selbstverwaltung eine erhöhte rechtliche Wirksamkeit zu verschaffen. Das erste Verfahren sieht die Einsetzung eines „Ausschusses für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staat und Gebietskörperschaften" vor, welches angerufen werden kann, wenn zwischen dem Staat und den Präfekturen bzw. den Gemeinden hinsichtlich der Auslegung der die Tätigkeit der Gebietskörperschaften betreffenden Rechtsvorschriften Meinungsunterschiede bestehen. Der Ausschuß ist in der Staatskanzlei des Ministerpräsidenten angesiedelt und besteht aus fünf Mitgliedern. Bis zu zwei Mitglieder sind hauptamtlich und die übrigen Mitglieder nebenamtlich tätig. Die Gebietskörperschaften können die Überprüfung staatlicher Aufsichtsmaßnahmen und Weisungen, insbesondere solche mit Zwangscharakter durch den Ausschuß verlangen. Bevor Gebietskörperschaften eine Klage vor Gericht erheben können, müssen sie das Beschwerdeverfahren dieses Ausschusses durchlaufen. Der Ausschuß kann nicht nur die Rechtswidrigkeit einer staatlichen Aufsichtsmaßnahme feststellen, sondern darüber hinaus die Vornahme einer Abhilfehandlung durch die beteiligte Regierungsbehörde empfehlen, wenn eine rechtswidrige Aufsichtsmaßnahme nach Einschätzung des Ausschusses „unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Eigenständigkeit und Selbständigkeit der Gebietskörperschaften unangemessen" ist. Allerdings kann der Ausschuß nicht mehr als „Empfehlungen" ohne rechtliche Bindungswirkung aussprechen. Im Gesetzgebungsverfahren konnte sich die Ansicht zahlreicher Ministerien durchsetzen, der zufolge ein Streitbeilegungsausschuß als Regierungsorgan nicht gegenüber anderen Regierungsorganen verbindliche Entscheidungen aussprechen könne. Als zweites Verfahren wurde zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Präfekturen und Gemeinden bzw. zwischen Gemeinden die Stellung eines „Beauftragten für die Beilegung von Konflikten zwischen Gebietskörperschaften" geschaffen. Der Beauftragte wird vom Minister für die örtliche Selbstverwaltung bzw. von den Präfekten ernannt. Dieser führt mit zwei weiteren Beauftragten von Amts wegen oder auf Antrag die Untersuchung eines Streitfalles durch. Hinsichtlich der Ernennung des Beauftragten hat vorab eine Beratung der im konkreten Fall beteiligten ausführenden Beamten des Ministers oder der Präfekten stattzufinden. Unter Umständen kann dies die Ernennung eines Beauftragten nach Anhörung nur einer beteiligten Partei bedeuten. Es bleiben also Zweifel unter dem Gesichtspunkt der Fairneß des Verfahrens. Im Übrigen kann auch der Beauftragte im Ergebnis nicht mehr als „Empfehlungen" aussprechen. Eine Klageerhebung vor Gericht ist erst nach Abschluß dieses rechtlich unverbindlichen Verfahrens möglich. 22

Im Japanischen wird die neu eingeführte Klageart als „Olganklage" (kikan sosho) bezeichnet. Da die Gebietskörperschaften jedoch nicht den Verfassungsorganen i. S. d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 Grundgesetz entsprechen, wird im Vorliegenden auf eine wortwörtliche Übersetzung des Begriffes verzichtet, zumal nach deutschem Verständnis es sich weniger um eine Frage einer eigenständigen Klageart als vielmehr um die der Zulässigkeit einer Klage handelt. 18*

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Als zuständiges Gericht für Klagen der Gebietskörperschaften nach Abschluß des Verfahrens vor dem „Ausschuß für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staat und Gebietskörperschaften" war ursprünglich nur das Oberlandesgericht in Tokio vorgesehen worden. Nach dem novellierten Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung sind nun aber alle acht Oberlandesgerichte Japans sachlich zuständig. Die neuen Streitschlichtungsverfahren sind in einigen Punkten jedoch unzulänglich: so beispielsweise die Pflicht der Gebietskörperschaften, zunächst die Überprüfung eines streitigen Falles durch die vorgenannten Ausschüsse oder Beauftragten beantragen zu müssen, obgleich diese nur Empfehlungen ohne rechtliche Verbindlichkeit aussprechen können; ferner der Umstand, daß in gerichtlichen Auseinandersetzungen nur Oberlandesgerichte angerufen werden können und die Gebietskörperschaften sich bei noch so kleinen Konflikten nicht an die nahegelegenen Landgerichte wenden können. Problematisch ist auch, daß im Falle verfassungsrechtlicher Streitigkeiten zunächst die vorgenannten Ausschüsse bzw. Beauftragten eingeschaltet werden müssen, obwohl diese nach herrschender Meinung als Verwaltungsorgane keine Entscheidungen in verfassungsrechtlichen Fragen treffen und somit noch nicht einmal eine Empfehlung aussprechen können. Die Initiatoren der Reform halten jedoch bereits die Tatsache für bedeutend, daß das bisher einer gerichtlichen Klärung unzugängliche Verhältnis zwischen Staat und Gebietskörperschaften sowie zwischen Präfekturen und Gemeinden nun vor Gericht geklärt werden kann. In allen Präfekturen und großen Städten Japans werden Führungspositionen, beispielsweise als stellvertretende Präfekten oder Leiter der Zentral· und Haushaltsabteilungen mit vom Staat entsandten Ministerialbeamten besetzt. Unter diesen Umständen ist es gegenwärtig schwer vorstellbar, daß entsandte Staatsbeamte Klageverfahren der Gebietskörperschaften gegen den Staat einleiten werden. 5. Das Verhältnis zwischen Präfekturen

und Gemeinden

Grundsätzlich stehen die Präfekturen und Gemeinden zueinander in einem Verhältnis der Gleichberechtigung und Kooperation. Die rechtliche Bedeutung dieses Verhältnisses ist aber bis heute weder in der Wissenschaft noch in der Praxis geklärt. Unter dem reformierten System können die Präfekturen jedoch weiterhin verpflichtet werden, als Organe des zuständigen Ministers gegenüber den Gemeinden staatliche Maßnahmen der Aufsicht zu ergreifen bzw. Weisungen zu erteilen. Ferner sind die Präfekturen nunmehr dazu ermächtigt worden, besondere Satzungen zu erlassen, durch die die Art und Weise der Erledigung von Aufgaben durch Gemeinden festgelegt werden können. Es besteht somit ein Widerspruch zwischen dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Kooperation der Präfekturen und Gemeinden einerseits und der faktischen Stellung der Präfekturen als übergeordnete Verbände andererseits. Diesen Widerspruch in theoretischer und praktischer Hinsicht zu lösen stellt sich als Aufgabe für die Zukunft.

Grundlegende Reform des örtlichen Selbstverwaltungsrechts in Japan

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6. Weitere Reformmaßnahmen Bezüglich des Haushaltsystems der Gebietskörperschaften sowie ihrer Finanzierung und der Bestimmungen über die regionalen und lokalen Bürgerversammlungen (Präfekturtag bzw. Gemeinderat) haben sich im novellierten Gesetz über die örtliche Selbstverwaltung nur geringfügige Änderungen ergeben, die hier nicht weiter erläutert werden. I I I . Wird das neue System des örtlichen Selbstverwaltungsrechts funktionieren? - Die Akteure der örtlichen Selbstverwaltung Die Bürger und Universitätsprofessoren, die Mitglieder des im Juni 2000 aufgelösten Ausschusses für die Förderung der Dezentralisierung waren, haben für die Verwirklichung einer dezentralen Rechtsordnung viel Energie aufgewandt. Jedoch bestehen Zweifel, ob in der japanischen Gesellschaft sowie in der Verwaltung tatsächlich der Wille bestand, die Dezentralisierung zu unterstützen und aktiv voranzutreiben. 1. Fehlender Wille der Gebietskörperschaften Verwirklichung der Dezentralisierung

zur

Bislang hatten die Gebietskörperschaften nur begrenzte Zuständigkeiten und unterlagen weitgehend der staatlichen Kontrolle. Dies war aus Sicht der Gebietskörperschaften jedoch insofern von Vorteil, als sie sich gegenüber ihren Bürgern im Sinne einer Ausrede stets darauf berufen konnten, daß sie eigentlich über gar keine Kompetenzen verfügten. Auch nach der Reform ist die Arbeitslast der Gebietskörperschaften groß, und es bestehen keine personellen und finanziellen Reserven, um neue Aufgaben anzugehen. Ferner haben die meisten Präfektur- und Gemeindebeamten nicht das nötige Selbstvertrauen, um eigenständig neue Lösungen zu entwikkeln und zu verwirklichen. 2. Mangelndes Interesse der Präfektur-

und Gemeindebeamten

Die Mehrheit der Präfektur- und Gemeindebeamten hat auch gegenwärtig noch kein wirkliches Interesse an der Dezentralisierung. Viele Beamte geben sich mit dem Gedanken eines sicheren Arbeitsplatzes zufrieden, ohne darüber hinausgehende Interessen zu verfolgen. 3. Verständnisschwierigkeiten

der Bürger

Die Bürger wissen oft nicht, welche Vorteile und Verbesserungen des Alltags die Dezentralisation leisten kann. Dieses mangelnde Verständnis stellte sich seit Beginn

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der Diskussion um die Dezentralisierung in den 1990er Jahren als ein Problem dar. Zwar haben die meisten Bürger und Unternehmen ein großes Interesse für Belange wie dem der Stadtplanung. Insgesamt handelt es sich aber um ein für die Öffentlichkeit schwerverständliches Thema. 4. Verbände der Gebietskörperschaften ihrer Geschäftsstellen

und die Bedeutung

Die sechs führenden Verbände23 der Gebietskörperschaften haben in den 1990er Jahren einen gewissen, wenn auch nicht bestimmenden Beitrag zur Dezentralisierung geleistet. Im Unterschied zu Europa gibt es in Japan keine Spitzenverbände, die die Interessen der Gebietskörperschaften vertreten und gegenüber ihren Verbandsmitgliedern umfassende Dienstleistungen erbringen. Die vorgenannten sechs Verbände halten im Wesentlichen einen Gedankenaustausch sowie die Kontaktpflege zwischen den Führungspersonen der Gebietskörperschaften. Im Übrigen werden die Geschäftsstellen dieser Verbände stets durch amtierende oder ehemalige hohe Beamten des Ministeriums für die örtliche Selbstverwaltung geleitet. Zwar gibt es unter führenden Politikern der Gebietskörperschaften auch solche, die sich für das Anliegen der Dezentralisation mit Nachdruck eingesetzt haben. Wie bereits dargestellt, ist aber festzuhalten, daß diese im Wesentlichen durch das Ministerium für die örtliche Selbstverwaltung gestaltet und vorangetrieben worden ist. 5. Nachlassendes Interesse staatlicher Politiker an der Dezentralisierung Politiker auf staatlicher Ebene zeigten Anfang der 1990er Jahre großes Interesse an der Dezentralisierung, verloren es aber angesichts der Finanzkrise Japans seit der Mitte des Jahrzehnts. 6. Die Rolle der Staatsbeamten in den Präfekturen

und Großstädten

Nochmals ist darauf hinzuweisen, daß zahlreiche - in manchen Fällen sogar die Mehrzahl der - Führungspositionen der Präfekturen und Großstädte von auf Zeit entsandten staatlichen Beamten besetzt werden, also mit Personen, die nicht unbedingt mit den lokalen Gegebenheiten vertraut sind. Andererseits verfügen sie oft über einen weiten Erfahrungshorizont. Gleichwohl kann man von diesen Beamten nicht erwarten, daß sie Verwaltungsprogramme und Politiken gestalten und umsetzen werden, die nicht im Interesse der sie entsendenden staatlichen Behörden lie23

Es handelt sich um die jeweiligen Verbände der Präfekten, der Oberbürgermeister von Großstädten, der Bürgermeister, der Präsidenten der Präfekturtage, der Vorsitzenden der Stadträte sowie der Vorsitzenden der Gemeinderäte.

Grundlegende Reform des örtlichen Selbstverwaltungsrechts in Japan

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gen. Die Gebietskörperschaften können somit keine eigenständige Personalpolitik im Sinne des Selbstverwaltungsrechts verfolgen. IV. Deregulierung und sich hieraus ergebende neue Ansatzpunkte Vor dem dargestellten Hintergrund wird deutlich, daß eine Stärkung des Rechts der örtlichen Selbstverwaltung im Allgemeinen, insbesondere aber die Umverteilung von Kompetenzen an die Gebietskörperschaften und die Verringerung der staatlichen Einflußnahme sowie die Verwirklichtung eines gleichberechtigten Verhältnisses zwischen Staat und Gebietskörperschaften, außerordentlich schwierig sind. Die Reform im Jahre 1999 gibt aber auch Anlaß zur Hoffnung. 1. Wertung der Dezentralisierung

als unzureichende Reform

Auch die Universitätsprofessoren, die Mitglieder des Ausschusses für die Förderung der Dezentralisierung waren, bewerten die erfolgten Maßnahmen als eine unzureichende Reform, die lediglich die Grundlage für weitere Schritten bilden kann. Maßnahmen zur Fortführung der Dezentralisierung werden daher bereits erörtert. 2. Zunehmendes Interesse an Angelegenheiten der örtlichen Selbstverwaltung in den Regionen In einigen, wenn auch nicht allen Regionen Japans nimmt das Interesse der Bürger, der Präfektur- und Gemeindebeamten sowie der Lokalpolitiker an der Gestaltung und der Umsetzung einer eigenständigen Verwaltungspolitik zu. Zwar findet noch keine ausreichende Vernetzung dieser Bewegungen statt, erste Schritte sind jedoch erkennbar. Auch gibt es eine Anzahl von Studiengruppen, die auf der Grundlage umfassender Rechtskenntnisse die volle Ausschöpfung der neuen rechtlichen Mittel der örtlichen Selbstverwaltung sich zum Ziel gesetzt haben. 3. Reformorientierte

Präfekte

und Bürgermeister

In ähnlicher Weise treten junge Präfekte und Bürgermeister, die eher dem konservativen politischen Lager zuzurechnen sind, dafür ein, die Dezentralisierung voranzubringen. Sie veranlassen in ihren Gebietskörperschaften die Durchführung neuer Verwaltungspolitiken und den Erlaß neuer Satzungen. Ferner bemühen sie sich um eine Evaluierung der Tätigkeiten der Gebietskörperschaften sowie um die Einführung von unter dem Begriff „new public management" bekannt gewordenen Verwaltungsinstrumente. Der Unterschied zwischen den Leistungen der Gebietskörperschaften mit reformorientierten Präfekten bzw. Bürgermeistern und herkömmlichen Gebietskörperschaften ist beeindruckend.

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4. Tendenz zur Evaluierung der Verwaltungstätigkeit Die Dezentralisierung hat es bislang noch nicht in ausreichender Weise geschafft, daß System der örtlichen Selbstverwaltung von unten her zu beleben und die Bürger in dieses Anliegen hinreichend einzubinden. Wie bereits angemerkt, werden derzeit Reformen in unterschiedlichen Bereichen unternommen, so die Neustrukturierung des Finanzsystems, die Modernisierung und Deregulierung der Verwaltung sowie die Justizreform; sie sind Teile einer alle Bereiche der japanischen Gesellschaft angehenden sogenannten „Dritten Reform". Hierbei geschieht eine Überprüfung bzw. Evaluierung der staatlichen Politiken und Tätigkeiten, welche teilweise überholt sind und nicht mehr den gegenwärtigen Anforderungen entsprechen. Die Tätigkeit der Gebietskörperschaften wird ebenfalls begutachtet. Die Überprüfung erfolgt unter dem Schlagwort der Evaluierung politischer Programme bzw. von Verwaltungsmaßnahmen. Durch genauere Bestimmung der Bedürfnisse der Bürger hinsichtlich der sie angehenden Verwaltungstätigkeiten werden die Evaluierungsprogramme zu einer bürgernahen örtlichen Selbstverwaltung beitragen. V. Die örtliche Selbstverwaltung Japans in rechtsvergleichender Perspektive Die oben beschriebene grundlegende Reform des örtlichen Selbstverwaltungsrechts soll nun im internationalen Zusammenhang dargestellt werden. 1. Einordnung des bisherigen Systems der örtlichen Selbstverwaltung Das japanische System der örtlichen Selbstverwaltung stand vor dem Zweiten Weltkrieg unter starkem Einfluß des französischen und deutschen, genauer gesagt preussischen Kommunalrechts. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte sich amerikanischer Einfluß bemerkbar. Das japanische System der örtlichen Selbstverwaltung wurde von einigen Wissenschaftlern 24 als eine Unterart des nord- bzw. mitteleuropäischen Systems eingeordnet. Trotz seiner verfassungsrechtlichen Gewährleistung zeichnete sich das System der örtlichen Selbstverwaltung in Japan durch seine unzureichende Entwicklung im Allgemeinen sowie durch eine ungenügende Einbindung der Bürger im Besonderen aus25. 24 Joachim Jens Hesse/Laurence J. Sharpe, Local Government in International Perspective: Some Comparative Observations, in: J.J. Hesse (ed.), Local Government and Urban Affairs in International Perspective: Analyses of Twenty Western Industrialised Countries, Baden-Baden, 1991, S. 608 f. 25 Insbesondere ist auf die unterschiedliche Arbeitsweise der Gemeinderäte (einschließlich der Präfekturräte) in Japan und Deutschland hinzuweisen. In Japan erhalten die gewählten Vertreter als Mitglieder der Gemeinderäte (Präfekturräte) ein Gehalt und erhalten nach drei Wahlperioden (somit nach 12 Jahren) einen Pensionsanspruch; es wird im Gegenzuge der volle Arbeitseinsatz erwartet und jegliche Form von Nebenerwerbstätigkeiten verboten. Zur Analyse

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2. Entwicklung hin zur Eigenständigkeit der örtlichen Selbstverwaltung? Es ist noch zu früh, um das neue System der örtlichen Selbstverwaltung abschließend bewerten zu können. Im internationalen Vergleich fällt die Größe der ca. 3252 Gemeinden (einschließlich der 23 Verwaltungsbezirke der Präfektur Tokio) in Japan auf, die durchschnittlich etwa 37.000 Einwohner haben. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bevölkerungszahlen gibt es in den alten Bundesländern der B.R. Deutschland etwa fünfmal mehr Gemeinden als in Japan. Die Regierung versucht zur Zeit, durch Eingemeindungen die Zahl der Gemeinden auf 1.000 zu reduzieren. Zu diesem Zweck gewährt die Regierung Subventionen und behandelt Gemeinden, die einer Eingemeindung zustimmen, weitere Vorzüge im Verwaltungsvollzug. Durch die Schaffung größer dimensionierter Gemeinden möchte die Regierung deren Verwaltungstätigkeit rationalisieren und auf ein höheres Fachwissen der Gemeindebeamte hinwirken. Ein Nachteil dieses Vorhabens ist, daß dadurch die Bürgernähe der Gemeindeverwaltungen verloren geht. Das japanische System der örtlichen Selbstverwaltung, welches sich durch große Gemeinden und ein kompliziertes System von Aufsichts- und Weisungsrechten auszeichnet wie auch über ein Streitschlichtungsverfahren mit dem Schwerpunkt auf außergerichtlichen Mitteln verfügt, beschreitet in der Welt einen recht einmaligen Weg. 3. Die Stärkung der Bürgerbeteiligung

als künftige Aufgabe

Die wichtigste Aufgabe, die die Dezentralisierungsreform im Jahre 1999 übergangen hat, ist die Sicherstellung einer verstärkten Beteiligung der Bürger an der örtlichen Selbstverwaltung. Zusammen mit Taiwan und Korea ist Japan einer der wenigen Staaten, die das Wahlrecht erst mit Vollendung des 20. Lebensjahres einräumen. Die Senkung dieser Altersgrenze, die Stärkung des Rechts auf Bürgerbeteiligung, eine weitere Überprüfung der Arbeitsweise der Abgeordneten der Präfekturtage und Gemeinderäte wie auch die Abschaffung des undifferenzierten Verbots von Nebentätigkeiten dieser Abgeordneten sind Fragen, die einer Antwort harren. Eine neuerrichtete Kommission zur Untersuchung des örtlichen Selbstverwaltungssystems wird sich ihrer annehmen. Aber auch die Bürger, Politiker, Beamten und Wissenschaftler sind aufgerufen, sich hierzu weiter Gedanken zu machen und Lösungen aufzuzeigen.

einer rechtstatsächlichen Untersuchung zu diesem Themenkomplex in Deutschland und Japan, siehe die Rezension von Shigeo Kisa in AöR, Band 115 (1990), S. 177 f. zum Werk von P. Kevenhörster/H. Uppendahl, Gemeindedemokratie in Gefahr? Zentralisierung und Dezentralisierung als Herausforderungen lokaler Demokratie in Japan und der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden, 1987.

Diskussion zu den Referaten von Franz-Ludwig Knemeyer und Shigeo Kisa Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Florine La Roche-Thomé Pitschas bedankte sich zunächst bei den Referenten für die auf das jeweilige nationale Kommunalrecht bezogenen Ausführungen. Im Rahmen der Diskussion, so führte er aus, biete sich zunächst ein Vergleich der Entwicklungslinien in Deutschland und Japan an, bezogen auf die Leistung der kommunalen Selbstverwaltungsidee als eine Umsetzung der Vorstellung von politischer Dezentralisation. Dazu hätten beide Referenten ein sehr eindrucksvolles Bild gezeichnet. In einer ersten Diskussionsrunde bemerkte Eguchi, daß sich die kommunale Situation in Japan und Deutschland grundsätzlich verschieden darstelle. Man verstehe unter dem Begriff Kommune in Japan auch die Präfekturen, als größte Einheit der japanischen Selbstverwaltung. Dagegen könne man in Deutschland die einzelnen Bundesländer keinesfalls unter den Begriff der Kommune subsumieren. Deshalb richte er an Knemeyer die Frage, ob und inwieweit seine Ausführungen auch auf die einzelnen Bundesländer übertragbar seien. Anschließend führte Klaus Grütjen, Doktorand, Speyer, aus, daß die japanische Kommunalverwaltung - laut Kisa - vor dem Zweiten Weltkrieg sowohl nach dem französischen als auch dem preußischen und schließlich dem deutschen Modell ausgerichtet gewesen sei. Er könne diese Verbindung allerdings nicht ganz nachvollziehen, weil er zwischen dem französischen und dem deutschen System der Kommunalverwaltung in vielen Punkten Divergenzen bzw. Gegensätzlichkeiten feststelle. Beispielsweise sei die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland eine originäre und damit ureigene Aufgabe der Gemeinden, während man in Frankreich die Selbstverwaltungsaufgaben direkt vom Staat ableite. Deshalb bitte er den japanischen Referenten, diesen gedanklichen Gegensatz etwas aufzulösen. Daran anknüpfend interessiere ihn, ob das in den frankophonen Staaten zu findende Modell einer gesetzlichen Aufstellung von kommunalen Aufgabenkatalogen auch in Japan zu finden sei. Des weiteren erkundigte sich Sea-Jun Seo, Master of Public Administration, Südkorea/Doktorand, Speyer, an Kisa gerichtet, nach Art und Umfang der Bürgerbeteiligung auf der Ebene der kommunalen Selbstverwaltung in Japan. Dabei sei das japanische Verwaltungsrecht wohl sehr weit entwickelt und diene deshalb unter allen asiatischen Ländern als Vorbild. Japan wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Einfluß aber auch die Kontrolle der Vereinigten Staaten zunehmend demokratisiert und dezentralisiert. In

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dieser Zeit habe sich das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung von oben nach unten bis auf die unterste lokale Ebene etabliert. Allerdings wurde das japanische Verwaltungsrecht vornehmlich durch Deutschland beeinflußt, was Auswirkungen sowohl auf die Struktur der japanischen Selbstverwaltung als auch auf das Recht der Kommunen selbst habe. Dadurch nähmen die Bürger intensiv an der Willensbildung der kommunalen Verwaltung teil, was eine Verbindung zum Referat von Takada zulasse. Dieser habe die grundsätzliche Beteiligung der Bevölkerung am kommunalen Willensbildungsprozeß positiv beurteilt, während Seo von Kisa den Eindruck gewonnen habe, daß dieser einer Bevölkerungsbeteiligung eher skeptisch gegenüber stehe. Über eine entsprechende Stellungnahme zu Elementen direkter Demokratie in Japan wäre er daher dankbar. Zu diesem Fragekomplex entgegnete zunächst Knemeyer auf die Frage Eguchis, daß ein direkter Vergleich der japanischen Präfekturen mit den deutschen Bundesländern wohl nicht möglich sei, weil in einem föderalistischen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland die Bundesländer Staatscharakter hätten und wiederum selbst in zwei oder drei verschiedene kommunale Ebenen gegliedert seien. Darüber hinaus zeige sich der europäische Einfluß auf die Kommunen zunächst auf der Ebene der Länder, weil die Kommunen als unselbständige Teile der Bundesländer anzusehen seien und rechtlich gesprochen - neben Bund und Ländern - keine „dritte" Ebene im Staat darstellten. Dennoch hätten die Länder versucht, ihre Position im Prozeß der Europäisierung einerseits als eigene Regionen in Europa, andererseits über die Einflußnahmemöglichkeit des Bundesrates zu stärken und zu festigen. Dies komme - über das Bundesratsverfahren - vor allem dann zum tragen, wenn der Bund Hoheitsrechte an die europäische Ebene abgebe. In einer Zwischenintervention bemerkte Pitschas, daß es in Japan zwar Präfekturen, aber keine Länder gebe. Möglicherweise sei unser Modell der kommunalen Selbstverwaltung an die Existenz von Bundesländern geknüpft, weshalb ein direkter Vergleich mit Japan schwierig sei. Daraufhin entgegnete Knemeyer, daß die Kommunen von den Ländern gewährleistete und durch das Grundgesetz abgesicherte Positionen im jeweiligen Bundesland hätten, die immer wieder neu gefestigt werden müßten. Diese Situation ergebe sich in Japan zwischen den Gemeinden und den Präfekturen aufgrund des grundsätzlich verschiedenen Systems natürlich nicht, weil die Gemeinden unmittelbar dem Staat - vermittelt über das Selbstverwaltungsministerium - gegenüber stünden. Weiterhin stellte Kisa sich den an ihn gestellten Fragen und führte aus, daß die französischen Einflüsse auf das japanische Selbstverwaltungssystem ursprünglich sehr intensiv gewesen seien. Die im Jahre 1889 inkraftgetretene Meiji-Verfassung wurde dagegen stark durch preußische Einflüsse geprägt, die im weiteren Verlauf noch zunahmen und schließlich durch Charakteristika des deutschen Selbstverwaltungssystems abgelöst wurden. Auf die Frage nach einem gesetzlich festgelegten Aufgabenkatalog antwortete Kisa, daß für das japanische kommunale Selbstverwaltungsrecht die Generalklausel des Art. 14 der japanischen Verfassung existiere, nach der die Gemeinden prinzipiell alles selbständig erledigen könnten. Ein spezieller kommunaler Aufgabenkatalog existiere folglich nicht. Schließlich

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entgegnete der japanische Referent auf die Frage nach Art und Umfang der Bürgerbeteiligung, daß nach dem Zweiten Weltkrieg der amerikanische Einfluß zunächst sehr stark war. Deshalb sei damals das System einer relativ umfangreichen mittelbaren Bürgerbeteiligung eingeführt worden. Derzeit werde jedoch verstärkt die Möglichkeit intensiver unmittelbarer Bürgerbeteiligung diskutiert, beispielsweise der Erlaß einer Satzung über Bürgerinitiative und Bürgerentscheide. Er habe im letzten Teil seines Referates die verschiedenen neuen Phänomene vermehrter Bürgerbeteiligung auf lokaler Ebene erwähnt, was keinesfalls seine Skepsis ausdrücken sollte, vielmehr mit der Hoffnung auf eine nachhaltige Umsetzung verbunden sei. Daraufhin ergänzte Fujiwara, daß es auf staatlicher Ebene kein allgemeines Gesetz gebe, welches einen Bürgerentscheid zwingend vorschreibe. Aber nach dem japanischen kommunalen Verfassungsrecht könnten die Bürger bei einer kommunale Körperschaft beantragen, daß ein sogenannter Kommunaltag eine entsprechende gemeindliche Anordnung erlasse. Für eine erfolgreiche Umsetzung müßten 2% der betroffenen Bürger ein entsprechendes Begehren unterzeichnen. Darüber hinaus werde in Japan seit einiger Zeit die Notwendigkeit eines Bürgerentscheides für bestimmte innere Angelegenheiten diskutiert. Daran anschließend erwähnte Kisa, daß bereits seit mehr als einer Dekade in Japan das Phänomen zu beobachten sei, daß die hohen Staatsbeamten kaum noch neue Politiken erfolgreich auf kommunaler Ebene umsetzen könnten. Um noch irgendeinen Einfluß im lokalen Bereich halten zu können, unterhielten die Staatsbeamten einen sehr engen Kontakt zu den Kommunalbeamten, um dort neu entwickelte Ideen aufnehmen und dann auf nationaler Ebene verbreiten zu können. Beispielsweise hätten einzelne Städte und Gemeinden informations- und kommunikationstechnische Regelungen entwickelt, die erst im Anschluß daran auf nationaler Ebene in ein materielles Gesetz eingekleidet worden seien. Damit zeige sich eine nachhaltige Beeinflussung der Legislative durch die kommunale Selbstverwaltung. In einer nächsten Diskussionsrunde ging Μ. Α., Mag. rer. pubi. Chang-Hwa Jung, Südkorea/Doktorand, Speyer, auf das von Knemeyer erwähnte Subsidiaritätsprinzip ein und stellte fest, daß dieser Grundsatz im asiatischen Raum momentan noch relativ fremd sei. Grundsätzlich diene das Subsidiaritätsprizip einerseits der Kompetenzabgrenzung zwischen verschiedenen Gesetzgebungsorganen, andererseits sichere es aber auch die Eigenständigkeit der unteren Staatsebenen und beinhalte damit ein erhebliches demokratieförderndes Element. Deshalb richte er an Kisa die Frage, ob ein solcher Grundsatz auch für die kommunale Selbstverwaltung in Japan sinnvoll sei. Weiterhin zeigte Ziekow sein Interesse an weiteren Ausführungen zur Mentalität der japanischen Kommunalbeamten, die teilweise wohl von Desinteresse und Verantwortungsabschiebung geprägt sei, jedoch in dieser Form auch in anderen Nationen gefunden werden könne. Daran anknüpfend wolle er deshalb von Kisa wissen, ob die relativ große Aufsichtsbefugnis des Staates auch in der Praxis, durch detaillierte Weisungen bis in die unterste Ebene wahrgenommen werde, oder ob dies angesichts einer sehr strikten gesetzlichen Regelungspraxis, die kaum Entscheidungsspielräume zulasse, gar nicht mehr erforderlich und möglich sei. Darüber hin-

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Diskussion

aus interessiere ihn, wie auf kommunaler Ebene die Personalrekrutierung erfolge, um eben das von Kisa geschilderte Desinteresse durch eine entsprechende Personalpolitik verhindern zu können. Daran anknüpfend, stellte Ziekow darüber hinaus die Frage, wie das Engagement und die Motivation der Beamten auf dieser untersten kommunalen Ebene verbessert werden könnten, um durch Mitarbeiterengagement eine stärkere und gegenüber den Präfekturen durchsetzungsfähigere Selbstverwaltung zu erhalten. Ferner wollte Hong von Knemeyer wissen, ob eine Standardisierung der Struktur kommunaler Selbstverwaltung sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene möglich und realisierbar sei. Wenn ja, auf welche Art und Weise habe dies zu geschehen. Abschließend griff Mag. rer. pubi. Frédéric Kolié , Guinea, Doktorand in Speyer, die von Knemeyer aufgestellte These auf, daß die Kommunen zwar durch die Europäische Union betroffen, jedoch nicht geschützt seien. Wie könnte man daher das Subsidiaritätsprinzip auf die Kommunen beziehen, wenn diese keine unmittelbaren Mitglieder der Europäischen Union, sondern lediglich mittelbar über die Mitgliedstaaten mit der supranationelen Ebene verbunden seien. Desweiteren resümierte Kolié an Kisa gewendet, daß die Beilegung der Streitigkeiten zwischen Kommunen und Staat in Japan wohl nicht durch ein Gericht, sondern vielmehr durch einen Ausschuß vorgenommen werde. Er könne sich jedoch vorstellen und stelle dies zur Diskussion, daß ein Gericht - beispielsweise das Verfassungsgericht - besser geeignet wäre, um die Rechtsschutzgarantie nachhaltiger verwirklichen zu können. Abschließend entgegnete zunächst Knemeyer auf die Frage nach der Standardisierung lokaler Selbstverwaltung, daß auf europäischer Ebene ein bestimmter Standard kommunaler Selbstverwaltung durch die europäische Kommunalcharta gesichert sei. Eine Vereinheitlichung des deutschen Standards über die nationalen Grenzen hinaus stehe deshalb nicht zur Debatte, weil durch die eben erwähnte supranationale Regelung im wesentlichen das formuliert werde, was in Deutschland ohnehin im Gesetz stehe und auch auf breiter Ebene umgesetzt werde. An Kolié gerichtet ergänzte Knemeyer, daß das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 EGV zunächst nur zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten gelte. Eine Einigung auf diesem Nenner sei damals bereits ein beachtlicher Erfolg gewesen. Der Versuch einer Ausweitung des Subsidiaritätsprinzips zumindest auf die einzelnen Bundesländer sei bei den Verhandlungen zum Amsterdamer Vertrag unternommen worden, konnte jedoch nicht realisiert werden. Daher sei eine Verlängerung dieses in Art. 5 EGV geregelten Prinzips auf die Kommunen auf absehbare Zeit wohl nicht denkbar. Schließlich ergänzte Kisa, daß sich die Mitglieder des japanischen Reformausschusses durchaus der Wichtigkeit des Subsidiaritätsgedankens bewußt gewesen seien. Allerdings wurden zu diesem Zeitpunkt die Verringerung der staatlichen Aufsicht sowie allgemein das Ausmaß staatlicher Intervention verfolgt, weshalb das Subsidiaritätsprinzip vorerst noch in den Hintergrund getreten sei. Darüber hinaus gebe es in der japanischen Verfassung keine unmittelbare Verankerung des Subsidiaritätsgedankens. Allerdings werde dieses Prinzip mittelbar aus einer Analogie zum bestehenden kommunalen Selbstverwaltungsrecht hergeleitet. Aufgrund seiner immer

Diskussion

klarer hervortretenden Wichtigkeit werde das Subsidiaritätsprinzip jedoch Gegenstand weiterer Reformbestrebungen in Japan sein. Auf die Nachfrage Ziekows zur japanischen kommunalen Personalpolitik entgegnete Kisa, daß grundsätzlich alle öffentlichen Bediensteten in einer einzigen Dienststelle - beispielsweise dem Rathaus - zusammenarbeiten würden. Dabei würde man innerhalb einer Hierarchiestufe alle zwei oder drei Jahre obligatorisch auf eine andere Position wechseln. Doch sei die Abordnung eines Staatsbeamten auf die Kommunalebene sehr selten, so daß man streng zwischen der Personalpolitik auf Staats- und Kommunalebene zu trennen habe. Schließlich gab Kisa zu verstehen, daß er den Vorwürfen hinsichtlich Motivation und Engagement der Kommunalbeamten nicht zustimmen könne, vielmehr angesichts vieler Überstunden von einer guten Arbeitsmoral ausgehe.

Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsrecht in Japan vor den Herausforderungen der Globalisierung und der WTO Von Kiminori Eguchi Vorbemerkung Das Thema ,Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsrecht in Japan vor den Herausforderungen der Globalisierung und der WTO4 führt zu der Frage, wie sich japanisches Wirtschaftsrecht nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat, wie es sich zur Zeit darstellt und wie es in der Zukunft aussehen wird. Daher werden im folgenden die Entwicklung des japanischen Wirtschaftsrechts schwerpunktmäßig aufgezeigt und seine wichtigsten Probleme und Aufgabe erörtert. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie das japanische Kartellrecht, also das Antimonopolgesetz, entstand und wie es sich in der Folge entwickelt hat.1 Auf dieser Grundlage werden dann im Zusammenhang mit der Deregulierung in Japan die wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Aspekte behandelt.

I. Die Entwicklung des japanischen Wirtschaftsrechts nach dem Zweiten Weltkrieg 1. Die Entscheidung für eine demokratische Wirtschaftsverfassung und der Charakter des ersten japanischen Antimonopolgesetzes von 1947 Das Ende des Zweiten Weltkriegs bedeutete für Japan eine zum Teil revolutionsartige Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Institutionen. Hinsichtlich der Umgestaltung gingen die Besatzungsmächte, vor allem die Amerikaner, sehr entschieden und rasch vor: Der Druck zur Demokratisierung der Wirtschaftsverfassung war so groß, daß noch in Trümmern das erste Antimonopolgesetz im Jahr 1947 entstand. Damit wurde zu Recht eine Entscheidung für eine freie und demokratische Wirtschaftsverfassung getroffen. 1 Zum japanischen Kartellrecht vgl. vor allem Wernhard Möschel, Japanisches Kartellrecht-von außen gesehen, WuW 10/1997, S. 795 ff. mit guter Literaturübersicht. Vgl. auch OECD Journal of Competition Law and Policy und die (auch englische) Internet-Seite der japanischen Fair Trade Commission (http://www.jftc.admix.go.jp/)

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Der Wesensgehalt des Antimonopolgesetzes bestand (und besteht im wesentlichen noch immer) aus den Vorschriften, die den Kernvorschriften der amerikanischen Antitrustgesetze entsprechen: dem Verbot der privaten Monopolisierung und Kartelle, dem Verbot der unlauteren Geschäftsmethoden und der Fusionskontrolle. Weil aber das Antimonopolgesetz, anders als das deutsche Kartellgesetz, schon am Anfang der Besatzungszeit entstanden ist und weil es also in direkter Verbindung mit besonderen Maßnahmen zur Demokratisierung der japanischen Wirtschaft, vor allem in Verbindung mit der Auflösung von Zaibatsu (d. h. den diktatorisch strukturierten gigantischen Wirtschaftskonglomeraten) zur Welt gekommen ist, hat das Gesetz einen ungewöhnlichen Charakter gehabt: Im ersten Antimonopolgesetz fanden sich nicht nur die oben bereits erwähnten typischen Regelungen, sondern gleichzeitig auch außergewöhnlich strikte Vorschriften wie ζ. B. das grundsätzliche Verbot von Holdinggesellschaften und von Anteilserwerb der Unternehmen. Noch bemerkenswerter als diese Tatsache selbst ist es, daß es damals in Japan keine wesentliche Tradition für das Rechtssystem der demokratischen Wirtschaftsverfassung gab: anders als in Deutschland gab es in Japan keinen Franz Böhm,2 weshalb das Antimonopolgesetz in Japan seine ersten Schritte ohne reale inländische Unterstützung machen mußte. In der Besatzungszeit bis 1952 gab es durch die Anwendungspraxis der japanischen Fair Trade Commission (FTC) gewisse Erfolge. Nach der Weichenstellung der US-amerikanischen Weltpolitik und insbesondere nach der Unabhängigkeit Japans von 1952 sah aber das Umfeld des Wirtschaftsrechts anders aus: Nun wollte man wieder - sowohl von japanischer Seite als auch von amerikanischer Seite - eine starke Wirtschaftsposition Japans gegenüber dem Ostblock. 2. Das Antimonopolgesetz unter dem Druck der Industriepolitik Von der Unabhängigkeit Japans im Jahr 1952 bis zum Anfang der sechziger Jahren waren das Antimonopolgesetz und die Wettbewerbspolitik aufgrund des Drucks seitens der Industriepolitik nicht in der Lage, eine positive Wirkung zu entfalten: 1953 wurde das Antimonopolgesetz novelliert. Durch diese Gesetzesnovelle wurden zum einen die oben genannten außergewöhnlich strikten Vorschriften gestrichen, was aber im Grunde eher als vernünftig anzusehen ist, weil damit das japanische Antimonopolgesetz soweit dem damaligen Weltstandard entsprach. Zum anderen hat die Novelle sehr umfangreiche Freistellungsmöglichkeiten vom Kartellverbot eröffnet. Dies hat dazu geführt, daß die Wirkung des Gesetzes langfristig gelähmt wurde - ein Zustand der gut zehn Jahre angedauert hat. Die relativ kleine japanische FTC war damals nämlich von der großen Machtkombination aus Wirtschaft, Regierungsparteien und dem (nun schon) weltbekannten Ministry of International Trade and Industry (MITI) geknebelt. 2

Franz Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, Berlin 1933.

Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsrecht

3. Wesentlicher Fortschritt der japanischen Wettbewerbspolitik Orientierung an den Verbraucherinteressen

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durch

Man stand damals vor der Aufgabe, aus dem Papiertiger' ein funktionsfähiges Grundgesetz für eine freie und demokratische Wirtschaftsverfassung zu machen. Ein Lösungsansatz kam Anfang der sechziger Jahre durch die Orientierung an den Verbraucherinteressen, womit auch dem Wesen der Demokratie Rechnung getragen wurde: Es war inzwischen notwendig geworden, die auf die Verbraucherinteressen bezogenen sozialen Probleme zu lösen, die sich aus dem raschen Wirtschaftswachstum ergeben hatten. Als ein Versuch, dieser Situation Herr zu werden, wurde von der japanischen Regierung das Antimonopolgesetz eingesetzt. Dabei gab es zwei Problembereiche: zum einen das Kartell verbot und das Verbot der vertikalen Preisbindung als Mittel gegen unerwünschte Preiserhöhungen. Zum anderen das Verbot der unlauteren Geschäftsmethoden als Mittel gegen die überzogenen Zugabenstrategien der Unternehmen und gegen die irreführenden Angaben für Waren und Dienstleistungen. Es ist bemerkenswert, daß die Entwicklung des japanischen Antimonopolrechts daraufhin von ihrer starken Orientierung an dem Verbraucherinteresse geprägt worden ist: Während in Deutschland die Mittelstandsverbände bei den Gesetzgebungsverfahren zum Kartellrecht eine wichtige Rolle spielten, ist in Japan der Beitrag der Verbraucherverbände zur Entwicklung des japanischen Kartellrechts beachtlich gewesen. Daher hat man erst jetzt im Inselland im fernen Osten die gesellschaftliche Bedeutung des Kartellrechts richtig erkannt. Damit sind jedoch die schon genannten negativen Entwicklungen des Kartellrechts nicht plötzlich verschwunden. Begonnen hat dann die Zeit der Machtkämpfe zwischen der Industriepolitik - vor allem durch das MITI - einerseits und der Wettbewerbspolitik der FTC andererseits. 4. Die letzten Entwicklungen des Antimonopolgesetzes und ihre Hintergründe Seit den sechziger Jahren hat sich die Wettbewerbspolitik zwar langsam, aber immer erfolgreicher durchgesetzt. Dies kann man im übrigen auch daran klar erkennen, daß die einmal im Jahr veröffentlichte Entscheidungssammlung der FTC immer umfangreicher wurde und daß das Antimonopolgesetz im Jahre 1977 eine große Novellierung hin zu verstärkter Kontrolle erfahren hat. Außerdem hat es in den neunziger Jahren eine Serie weiterer wichtiger Novellierungen des Antimonopolgesetzes gegeben, die besonders auf die Stärkung der rechtlichen Sanktionen gegen die Wettbewerbsbeschränkungen, auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Fusionskontrolle und nicht zuletzt auf die umfangreiche Abschaffung der Freistellungen vom Kartellverbot zielten. 19*

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Zum Schluß der Betrachtung der Entwicklung des japanischen Wirtschaftsrechts nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Hintergründe der eben erwähnten letzten positiven Entwicklungen zu behandeln, zumal sie für das Thema als entscheidend anzusehen sind: In bezug auf die Novellierungen des Antimonopolgesetzes in den neunziger Jahren muß man nämlich annehmen, daß diese zum großen Teil erst mit Hilfe des ausländischen diplomatischen Drucks verwirklicht wurden. Dieser Druck kam vor allem aus Washington, aber auch aus der europäischen Hauptstadt Brüssel. Das Hauptziel des Drucks ist die Öffnung des unrechtmäßigerweise geschlossen gehaltenen japanischen Marktes. Der Druck zur Öffnung stellt für Japan die wesentlichste Herausforderung durch die Globalisierung dar. II. Aufgaben der japanischen Wirtschaftsverfassung und Wirschaftsrecht vor den Herausforderungen der Globalisierung und der WTO 1. Japanisches Wirtschaftsrecht und die Aufgabe der Globalisierung (allgemeine Bemerkungen) Wie sich aus dem schon Erwähnten ergibt, beruhen die gleich nach dem Kriegsende neu bestimmte japanische Wirtschaftsverfassung und das Antimonopolgesetz als Grundgesetz der Wirtschaftsverfassung auf der Globalisierungsforderung im heutigen Sinne, die erstmals von den Alliierten in der Potsdamer Erklärung von 1945 formuliert wurde. Sie ist aber nicht die erste, sondern zweite große Globalisierungsherausforderung für Japan. Japan als modernes Land ist in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts als (schmerzhafte) Antwort auf die damalige Globalisierungsherausforderung der Europäer und Amerikaner entstanden.3 Zusammenfassend könnte man sagen, daß Japan mehr als hundert Jahre lang immer der Herausforderung der Globalisierung ausgesetzt gewesen ist. Und da der wesentliche Gehalt dieser Herausforderung im Grunde genommen europäischer und us-amerikanischer Herkunft ist, steht man vor der höchst schwierigen Frage: Wo muß der Weltstandard als heiliges Gebot berücksichtigt werden, wo ist die Identität beziehungsweise die eigene Kultur - auch die eigene Rechtskultur - vorzuziehen und schließlich wo und wie können beide Standpunkte integriert werden? Viele Bereiche wurden in Japan zwar gut geregelt, aber in vielen anderen Bereichen bleibt noch viel zu tun. Im folgenden werden die einzelnen Problembereiche behandelt, wobei vorrangig die gegenwärtige wettbewerbspolitische Haltung zugrunde gelegt wird. 3

In diesem Zusammenhang spricht man innerhalb des üblichen japanischen Vokabulars von der sogenannten ,Landesöffnung'. Nicht selten spricht man in der japanischen Presse auch von der ersten Landesöffnung im 19. Jahrhundert, von der zweiten gleich nach dem Zweiten Weltkrieg und nun von der dritten in den letzten zwanzig Jahren. Diese dritte Landesöffnung ist - nach Ansicht der zuständigen Beamten - im vollen Gange.

Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsrecht

2. Einsatz der wirksamen Wettbewerbspolitik gesamten Wirtschaftsbereichen

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auf möglichst

Vor allem angesichts der eigentlich welthandelspolitisch begründeten Washingtoner und Brüsseler Forderungen, die aber auch auf der momentan gültigen Wettbewerbspolitik in Japan beruhen, wurde schließlich jener lange Machtkampf zwischen Industrie- und Wettbewerbspolitik für letztere entschieden, weil es für Japan fatal wäre, im Welthandel isoliert zu werden: Die von Japan verfolgte Wettbewerbspolitik findet nun auch wieder Unterstützung im Ausland. Eine vorrangige Aufgabe ist es daher, eine effektive Wettbewerbspolitik auch in der japanischen Gesellschaft fest zu verankern. In diesem Zusammenhang sind in den vergangenen Jahren positive Wendungen zu verzeichnen: Erstens sind die industriepolitisch begründeten umfangreichen Freistellungsmöglichkeiten vom Kartellverbot zuerst allmählich, dann in den neunziger Jahren drastisch zurückgenommen worden. Zweitens ist die Anwendungspraxis der japanischen FTC sowohl quantitativ als auch qualitativ verbessert worden. 4 Im Rahmen dieser positiven Entwicklung ist hervorzuheben, daß der Wettbewerbsgedanke auch in den vorher mehr oder weniger öffentlich verwalteten Wirtschaftsbereichen immer mehr berücksichtigt wird. Besonders seit etwa zwanzig Jahren wird mit großer Energie untersucht und diskutiert, ob und inwieweit sich die bestehenden Rechtsinstitute für die öffentliche Wirtschaftsverwaltung wirtschaftsverfassungsrechtlich, also nicht zuletzt aus dem Gesichtpunkt des Wettbewerbsprinzips, begründen lassen. Dies ist eben juristischer Ausdruck für die Deregulierung. 3. Die Entwicklung der Deregulierung in Japan In der Deregulierung, also in einem in vielen Teilen der Welt am Ende des zweiten Jahrtausend anzutreffenden politisch-ökonomischen Phänomen, sind umfangreiche, verschiedene Elemente zu beobachten. Der Begriff der Deregulierung, wenn man ihn einmal in seinem radikalsten Gehalt erfassen würde, könnte sogar die Minimierung der öffentlichen Verwaltung im Bereich der Wirtschaft umfassen. Zumindest gilt es, das Ob und Wie in bezug auf die öffentlichen Regulierungen gründlich zu überprüfen. An dieser Stelle kann nur kurz - und auch nur beispielhaft - darauf eingegangen werden, was bisher geschehen ist, zur Zeit geschieht und künftig geschehen wird: 5 In der Finanzbranche, in der der Liberalisierungsdruck am stärksten gewesen ist, sind die bestehenden Rahmenbedingungen umfassend und substantiell umgestaltet 4

Gewünscht ist übrigens, daß junge europäische Kartellrechtler nach Japan kommen, um diese Entwicklung vor Ort zu betrachten; hierzu ist allerdings eine hohe Sprachbarriere zu überwinden. 5 Zum folgenden vgl. vor allem OECD, Regulatory Reform in Japan; OECD Reviews of Regulatory Reform, 1999.

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worden: Es wurde versucht, die Kontrollbefugnisse erst zu kürzen, dann vom Finanzministerium abzutrennen und sie schließlich einem selbständigen Verwaltungsorgan zu überlassen. Es ist jedoch nicht einfach, die bisherigen Ergebnisse objektiv zu beurteilen, da zur Zeit die japanischen Finanzinstitute - bis vor kurzem weltweit hochgeschätzte Großbanken - unter den enormen Verlusten leiden, die aus dem grundlosen Boom des Immobilienhandels notwendigerweise erwirtschaftet wurden. Wenn die japanischen Steuerzahler das prinzipiell funktionsfähige Kreditwesen nicht vor dem drohenden Untergang gerettet hätten, stünde die Branche heute in Trümmern. So muß ein neutraler Beobachter leider feststellen, daß die Aussichten in diesem Problembereich noch ziemlich getrübt sind. Andererseits kann man annehmen, daß die Telekommunikation zu den erfolgsreichsten Schülern in der Deregulierungsschule gehört. Auf die einzelnen Punkte braucht hier nicht eingegangen werden, weil die Entwicklung in Deutschland und in Japan ähnlich verlief. In beiden Ländern gilt: zuerst Privatisierung und dann Liberalisierung durch Senkung der Marktzutrittschranken für new-comers. Natürlich gibt es viele schwierige - oft auch rechtliche - Probleme, die sich aus der drastischen Entwicklung der Telekommunikationstechnologie ergeben. So wird beispielsweise in Japan diskutiert, wie man die Verbindung zwischen mehreren networks' unter angemessener Berücksichtigung der Interessen der Betroffenen erreichen kann. Eine Parallele zu dieser Diskussion in Japan findet sich in § 19 Abs. 4 Nr. 4 des im Jahr 1998 novellierten deutschen Kartellgesetzes. Die Tatsache, daß es im Bereich Telekommunikation, anders als im Finanzbereich, keine größeren negativen Zwischenfälle vorkommen, kann darauf zurückgeführt werden, daß die Telekommunikation ein schlichter technischer Bestandteil der Infrastruktur darstellt. Dagegen ist das Kredit- bzw. Finanzwesen ein ausgesprochen komplexer, da menschlicher Bereich, der nicht nur technisch-juristisch gelöst werden kann. Auch sind die Entwicklungen im Rundfunkbereich im Zusammenhang mit der Deregulierung in Deutschland und Japan vergleichbar. Allerdings zeigt die juristische Entwicklung des Rundfunkwesens der beiden Länder in einem Punkt ganz andere Züge: In Deutschland gibt es mehr als zehn Rechtsordnungen des Rundfunks, in Japan dagegen nur eine einzige. Der Grund dafür ist einfach: Deutschland ist ein föderaler Staat, der sich aus mehreren Ländern mit Kulturhoheit zusammensetzt, während Japan kulturpolitisch hochzentralisiert ist, und zwar insbesondere seit der oben erwähnten ersten Landesöffnung im 19. Jahrhundert. Vor der ersten Landesöffnung war im feudalen Japan die kulturelle Differenzierung der Teilgebiete bewahrt worden; um modern zu werden, hat Japan also auf eine - möglicherweise wertvolle - kulturelle Vielfalt verzichtet. Festzuhalten bleibt, daß der Deregulierungsprozeß im Rundfunkwesen langsamer als im Telekommunikationssektor voranschreitet, da er eine menschlich-kulturelle Größe darstellt. Der Lebensmittelsektor ist der schwierigste, da die menschliche Existenz von den konsumierten Nahrungsmitteln abhängt, und dies ist bei den anderen Sektoren nicht der Fall. Aufgabe nicht zuletzt der WTO ist es, annehmbare Kriterien herauszuar-

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beiten, mit denen man zwischen zwei Sachverhalten unterscheiden kann: erstens dem Sachverhalt, daß Lebensmittel als reguläre Waren völlig dem freien Handel überlassen sind und zweitens dem Sachverhalt, daß Lebensmittel auch auf irgendeine Weise außerhalb des freien Handels bleiben können. I I I . Schlußbemerkung Japanisches Wirtschaftsrecht, nein, schon moderne japanische Rechtsordnung ist immer den Herausforderungen der Globalisierung ausgesetzt gewesen, und das wird weiter so bleiben. Dabei geht es im Kern darum, ob die rechtlichen Rahmenbedingung für eine ausreichend starke, demokratische Gesellschaftsstruktur rechtzeitig geschaffen werden können. Daß dafür der Gedanke der Wettbewerbsordnung von zentraler Bedeutung ist, ist die wesentliche Botschaft dieses Aufsatzes.

„Europäisierung" des öffentlichen Wirtschaftsrechts in Deutschland und sein Strukturwandel im Zeitalter der Globalisierung Von Reiner Schmidt* I. Einleitung Im Prozeß fortschreitender Europäisierung und Globalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts in Deutschland spielen nationale Besonderheiten durchaus weiterhin eine wichtige Rolle. Die Entscheidung des Verfassunggebers für eine „offene Staatlichkeit"1 führte dazu, daß sich in der weiten Rahmenordnung des Grundgesetzes großer Spielraum für die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung durch den einfachen Gesetzgeber bietet. Normativ hat sich im Wirtschaftsverfassungsrecht der Bundesrepublik auch nach der Wiedervereinigung nichts geändert. Zwar ist im Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik die soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung beider Vertragsparteien erwähnt; zu einer Verfassungsänderung in bezug auf das Wirtschaftssystem kam es jedoch in der Verfassung des wiedervereinigten Deutschlands nicht2. Trotz der Ausrichtung der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern im Jahr 1967 auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht und trotz der Einfügung der Staatszielbestimmung Umweltschutz im Jahr 1994 blieb die grundsätzliche Offenheit des Grundgesetzes für das Wirtschaftssystem erhalten3. Tendenzen zur Ökonomisierung, Ökologisierung und Europäisierung bzw. Internationalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts wurden vom einfachen Gesetzesrecht, von der Rechtsprechung und von der Verwaltung rezipiert, verstärkt oder auch eingedämmt4. Die Entwicklungsoffenheit der Verfassung er* Leicht geänderter und aktualisierter Abdruck meines in der Festschrift für Klaus Vogel zum 70. Geburtstag, Staaten und Steuern, Heidelberg 2000, S. 2Iff. erschienenen Beitrags „Öffentliches Wirtschaftsrecht in einer offenen Staatlichkeit". 1 Vgl. Klaus Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, Recht und Staat, Heft 292/293, 1964. 2 Hierfür plädierte u. a. Häberle, JZ 1990, S. 361 ff. (363); ders., ZRP 1993, S. 383 ff. (388). 3 Es muß an dieser Stelle unerörtert bleiben, wie der Verfassungsstaat auf die mit der Internationalisierung verbundene Strukturverschiebung reagiert bzw. reagieren sollte; hierzu Tomuschat/Reiner Schmidt, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1997), S.7ff. Zur Parlamentisierung der Willensbildung im auswärtigen Bereich Klaus Vogel, FS Lerche, 1993, S.95ff. 4 Vgl. hierzu meine Einführung zum Besonderen Teil 1 des öffentlichen Wirtschaftsrechts, 1995, S. Vff.

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Reiner Schmidt

möglicht durchaus eine Verschiebung i m Verhältnis von Staat und Wirtschaft mit dem Ziel, die Staatsquote zu reduzieren, den Markt zu aktivieren und Private in die Verantwortung zu nehmen. Das öffentliche Wirtschaftsrecht ist insofern nur Niederschlag einer veränderten, von Privatisierung und Deregulierung geprägten Ambiance, und es ist wichtiges Referenzgebiet und Experimentierfeld zur Entwicklung neuer Formen der Kooperation zwischen Staat und Privaten 5 .

I I . Systemprägende Vorgaben des europäischen Wirtschaftsrechts 1. Europäische Wirtschaftsverfassung War die Charakterisierung der Wirtschaftsverfassung 6 unter der Geltung des EWG-Vertrages noch umstritten und wurde sogar die These von der wirtschaftspolitischen Neutralität der Gründungsverträge vertreten 7 , so ist spätestens mit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages (Vertrag über die Europäische Union) am 1.11.1993 eine Klärung dieser Streitfrage eingetreten. Nunmehr wird allgemein davon ausgegangen, daß die EG auf einem grundsätzlich liberalen und nur punktuell mit interventionistischen Einsprengseln 8 versehenen System 9 , kurzum, auf einer 5 Zur Entwicklung des öffentlichen Wirtschaftsrechts vgl. Stober, in: Pitschas (Hrsg.), Entwicklungen des Staats- und Verwaltungsrechts in Südkorea und Deutschland, 1998, S. 205 ff. Zur Entwicklung eines modernen Verwaltungsrechts näheres bei Reiner Schmidt, Die Reform von Verwaltung und Verwaltungsrecht, VerwArch 91 (2000), S. 149ff. 6 Zum Begriff der „Wirtschaftsverfassung" vgl. nur Reiner Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, AT, 1990, S. 70 m. w. Nachw. Dazu, daß die Gründungsverträge der drei Europäischen Gemeinschaften zumindest materiell als „Verfassung" eingestuft werden können, vgl. BVerfGE 22,293 (296); EuGHE 1977,741 (759); 1986,1339 (1365); v.Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Kommentar zur EU, Art. 1 EGV Rdnrn. 60 f. 7 So z.B. Scherer, Die Wirtschaftsverfassung der EWG, 1970, S.204f.; VerLoren van Themaat, FS v. der Groeben, 1987, S.425 (428 f.). 8 Zu nennen sind dabei vor allem die gemeinsame Landwirtschaftspolitik (Art. 32 ff. EGV) sowie die Ordnungen von EGKS und E AG. Zum Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Freiheit und Intervention auch Behrens, Jura 1989, S. 561 (562); Ehlers, JZ 1990, S. 1089 (1090); Scholz!Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, S.28f.; Reiner Schmidt, WUR 1990, S. 1 (2 f.). Dazu, daß es sich bei der Marktwirtschaft der EG um eine „ökologischsoziale" Marktwirtschaft handelt Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S.217, 221 f., 263 ff.; Pernice, NVwZ 1990, S.201 (203). Normative Konsequenzen hiervon sind Art. 6, Art. 95 Abs. 3-10, Art. 176 EGV; vgl. Calliess, DVB1. 1998, S. 565 ff. 9 Vgl. Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. (1999), Rdnrn. 928 f f ; Reiner Schmidt, Die Verwaltung 28 ( 1995), S. 281 (288 ff.); Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 12. Aufl. (2000), S. 75 ff. Frühzeitig Badura, VVDStRL 23 (1966), S. 34 (78; „geordnete oder geregelte Wettbewerbswirtschaft") und Ophüls, ZHR 124 (1962), S. 136 (153); grundlegend zum Ganzen Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992; Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der EU, 1996, insbes. S.45ff; Mestmäcker, Die Wirtschafts Verfassung in der EU, 1993.

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„offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb " 1 0 beruht. Markt 11 und Wettbe12 werb , so lauten die beiden wichtigsten Prinzipien des europäischen Wirtschaftsrechts. Als Kernelement der Wirtschaftsverfassung der EG ist die Herstellung eines Gemeinsamen Marktes 13 oder - seit dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) am 1.7.1986 14 -eines einheitlichen Binnenmarktes 15 anzusehen16. Der Binnenmarkt umfaßt nach der Legaldefinition in Art. 14 Abs. 2 EGV „einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages gewährleistet ist". Flankiert bzw. komplettiert wird er durch das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV), die Politik der Rechtsangleichung (Art. 94 ff. EGV), das Wettbewerbsrecht (Art. 8Iff. EGV), die Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 98ff., Art. 105 ff. EGV) und die Handelspolitik (Art. 131 ff. EGV) 17 . Die zweite tragende Säule der europäischen Wirtschaftsverfassung - neben dem Binnenmarktziel - bilden die europäischen Wirtschaftsgrundrechte. Gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV beruht die EU auf den „Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit". Als „Motor" der europäischen Grundrechtsentwicklung wirkte der EuGH. Er war es in erster Linie, der ausgehend von der Rechtssache „Stauder" (1969) sukzessive ein zwar ungeschriebenes, aber höchst wirksames und nahezu geschlossenes System von europäischen Grundrechten entwickelt hat. Diese haben dabei die Qualität von allgemeinen Rechtsgrundsätzen, welche durch „kritisch-wertende Rechtsvergleichung" aus unterschiedlichen Erkenntnisquellen gewonnen werden 18. Der mit dem Maastrichter Vertrag neu aufgenommene Art. 6 Abs. 2 EUV hat diese Entwicklung a posteriori „abgesegnet" und die ständige Judikatur des EuGH folgendermaßen resümiert: „Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in 10 In diesem Sinne eindeutig Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 98 S. 2, Art. 105 Abs. 1 S. 3 EGV; erläuternd Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 1999, Art. 4 EGV Rdnrn. 8 ff. 11 Siehe Art. 3 lit. a - c EGV. 12 Siehe Art. 3 lit. g EGV; Oppermann (FN9), Rdnr. 932. 13 Art. 2 EGV; EuGHE 1982, 1409 (1431 f.). 14 Zum Binnenmarktprogramm, das mit dem Weißbuch der Kommission aus dem Jahre 1985 begann und bis zum 31.12.1992 terminiert war, vgl. den gerafften Überblick bei Streinz, Europarecht, 5. Aufl. (2001), Rdnm.35ff.; Grabitz!v.Bogdandy, JuS 1990, S. 170ff. 15 Art. 3 lit. c, Art. 4 Abs. 1, Art. 14 EGV. 16 Zu dem Meinungsstreit, ob der Begriff des „Binnenmarktes" enger, gleichbedeutend oder weiter ist als (bzw. mit) dem Begriff des „Gemeinsamen Marktes" vgl. den Überblick bei Kahl, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 14 EGV Rdnrn.6ff. 17 Zum Stand der Verwirklichung des - noch immer „unvollendeten" (Steindorff, ZHR 1994, S. 149ff.) - Binnenmarktes vgl. Kahl, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 14 EGV Rdnrn. 26ff.; Streinz (FN 14), Rdnrn. 947 ff. (983 ff.). 18 Näheres hierzu bei Kahl, in: Reiner Schmidt, Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1998, § 1 Rdnrn. 13 f.; Oppermann (FN9), Rdnrn. 489 ff.; ausführlich Kingreen, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art.6 EUV Rdnrn. 16ff., 19ff.

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Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben." Von besonderer Bedeutung für die Europäisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts sind die Berufsfreiheit, die Eigentumsfreiheit, die Wirtschaftsfreiheit 19, die Wettbewerbsfreiheit 20, die Freiheit der Arbeit 21 , die Handelsfreiheit 22 und die Vereinigungsfreiheit 23 2 4 . Die Berufsfreiheit wird vom EuGH seit 1974 in st. Rspr. als europäisches Grundrecht anerkannt251,9. Der EuGH differenziert dabei, ähnlich wie das BVerfG in seiner „Drei-Stufen-Theorie", zwischen Eingriffen, welche nur die Modalitäten der Berufsausübung betreffen, und solchen, die den Bestand der Berufsfreiheit selbst gefährden, und unterwirft diese einem unterschiedlichen Regelungsregime 26. Als noch nicht abschließend gesichert hat dagegen die Dogmatik zur Eigentumsfreiheit zu gelten, bei welcher der Gerichtshof sich inhaltlich vor allem an Art. 1 1. Zusatzprotokoll EMRK orientiert. Hier ist noch eine Reihe von Einzelfragen betreffend den sachlichen Schutzbereich ungeklärt 27. 2. Grundfreiheiten Schlechterdings das Konstituens des Binnenmarktes bilden die vier grundrechtsähnlichen28 Grundfreiheiten von Waren (Art. 28 ff. EGV), Personen (Art. 39ff., Art. 43 ff. EGV), Dienstleistungen (Art. 49 ff. EGV) und Kapital 29 (Art. 56ff. EGV). Die Grundfreiheiten bezwecken, im Kern als leges speciales zu Art. 12 EGV angelegt, durch den Gerichtshof jedoch längst zu allgemeinen Beschränkungsverboten fortgebildet, durch die rechtlich gesicherte Herstellung von Faktormobilität die nationalen Einzelmärkte zu verschmelzen und auf diese Weise die optimale Allokation wirtschaftlicher Ressourcen zu gewährleisten. Die Grundfreiheiten sind nach Ablauf der Übergangszeit (1.1.1970) unmittelbar anwendbar, das heißt in der Lage unmittelbare Pflichten der Mitgliedstaaten und un19

EuGHE 1970, 1125 (1134); 1991,1-415 (552f.). EuGHE 1985,531 (548f.). 21 EuGHE 1974, 491 (507). 22 EuGHE 1974,491 (507); 1985, 531 (548f.). 23 EuGHE 1974, 917 (925). 24 Vgl. auch Kingreen, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 6 EUV Rdnrn. 93 ff. 25 EuGHE 1974, 491 (507f.); zuletzt etwa EuGH, EuZW 1995, S. 109 (110f.); Rengeling, Grundrechtsschutz in der EG, 1993, S.22ff. 26 EuGH, EuZW 1995, S. 109 (111). 27 Ausführlich dazu Rengeling (FN25), S.44ff; vgl. auch Thiel, JuS 1991, S. 274 ff. 28 Zur Herausbildung einer gemeinsamen Dogmatik der Grundfreiheiten und zur Klärung von deren Verhältnis zu den EG-Grundrechten weiterführend Classen , EWS 1995, S. 97 ff.; Jarass, EuR 1995, S. 202ff. 29 Einschließlich der Annexfreiheit des Zahlungsverkehrs (vgl. Art. 56 Abs. 2 EGV). 20

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mittelbare Rechte der einzelnen Unionsbürger zu begründen, die von den nationalen Verwaltungsbehörden und Gerichten zu beachten sind30. Entgegenstehende nationale Bestimmungen sind, sofern sie nicht gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden können, unanwendbar (Anwendungsvorrang des EG-Rechts)31 und von der nationalen Administration zu verwerfen 32 (Art. 10 EGV). Adressaten der Grundfreiheiten sind die Mitgliedstaaten. Hierzu rechnen nach zwar bestrittener, aber überwiegender und zutreffender Ansicht auch die öffentlichen Unter nehmen12 i. S. d. Art. 86 EGV i. V. m. Art. 2 Abs. 1 der Transparenz-Richtlinie der Kommission34. Grundlegend ist insofern das Urteil des EuGH in der Rechtssache „Sacchi". Hier hat der Gerichtshof festgestellt, daß ein öffentliches Unternehmen bei der Erfüllung seiner Aufgaben „die Diskriminierungsverbote zu beachten" habe35. Die Frage der unmittelbaren Bindung öffentlicher Unternehmen an die primär staatsgerichteten Grundfreiheiten stellt sich beispielsweise, wenn die zwischen verschiedenen öffentlichen Energieversorgungsunternehmen eines Mitgliedstaates zu Lasten der ausländischen Konkurrenz geschlossenen Demarkationsverträge als Eingriffe in die Warenverkehrs- oder Dienstleistungsfreiheit anzusehen sind 36 . Abgesehen davon erlaubt Art. 86 Abs. 1 EGV i. V. m. etwa Art. 28 EGV oder Art. 49 EGV auch die Überprüfung der Begründung oder Ausdehnung von Ausschließlichkeitsrechten (Monopolen) durch Gesetze der Mitgliedstaaten auf ihre Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht 37. Hiervon - ebenso wie von der Geltung des Wettbewerbsrechts (Art. 86 Abs. 1 i. V. m. Art. 81 ff. EGV) - gehen in der Praxis erhebliche Impulse und Zwänge in Richtung auf eine Politik der Deregulierung, Privatisierung und Entbürokratisierung aus, was nachfolgend noch eingehender betrachtet werden soll 38 . 30 EuGHE 1963, 1 (24ff.); Epiney, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art.28 EGV Rdnr.4; P.M. Huber, Recht der europäischen Integration, 1996, § 6 Rdnrn. 15 ff. 31 EuGHE 1964, 1251 (1270f.); 1978, 629 (643ff.); 1990,1-2433 (2473), st.Rspr. 32 EuGHE 1989, 1839 (1871); eingehend zum Ganzen Reiner Schmidt, in: Bauer u.a. (Hrsg.), Entwicklungstendenzen des Allgemeinen Verwaltungsrechts und des Städtebaurechts, 1999, S. 13 (25 ff.). 33 Wie hier Burgi, EuR 1997, S.261 (282ff.); Page, ELRev. 1982, S. 19 (25 f.); Pernice, in: Grabitz/Hilf (FN6), Art. 90 EGV Rdnr.49, a. A. Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole im EG-Vertrag, 1996, S. 62f. 34 AB1EG 1980 Nr. L195, S. 35; geändert durch die Richtlinie 2000/52/EG, ABIEG2000 Nr. L193, S. 75. 35 EuGHE 1974, 409 (430). 36 Burgi, EuR 1997,S.261 (282), unter Bezugnahme auf Steinberg! Britz, DÖV 1993, S.313 (317); Britz, Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994, S.233f. 37 Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. (2001), S.581 ff. und die dortigen Nachw. in FN35; vgl. auch Mestmäcker, FS Deringer, 1993, S.79ff. Betroffen hiervon sind vor allem die Dienstleistungsmonopole der Mitgliedstaaten; vgl. Emmerich, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, H.II Rdnrn. 14ff. Zur nichtdiskriminierenden Umformung staatlicher Handelsmonopole (Art. 31 EGV) vgl. Oppermann (FN 9), Rdnrn. 1309 ff. 38 Siehe unten Ill.l.b).

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Eine erschöpfende Behandlung der Grundfreiheiten ist an dieser Stelle nicht möglich. Es sei deshalb die Warenverkehrsfreiheit herausgegriffen und näher beleuchtet. Nach Art. 28 und 29 EGV sind mengenmäßige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen (Kontingentierungen) von Waren sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung grundsätzlich verboten. Von praktisch ganz erheblicher Bedeutung ist dabei vor allem das Verbot sog. nichttarifärer Handelshemmnisse. „Maßnahme gleicher Wirkung" ist nach der sog. „Dassonville-Formel" des EuGH „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten..., die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern" 39. Diese Formel gilt gleichermaßen für unterschiedslos anwendbare mitgliedstaatliche Maßnahmen wie für diskriminierende nationale Hoheitsakte. Dagegen hat der Gerichtshof nationale Bestimmungen, die nur bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nachträglich aus der Dassonville-Formel ausgenommen („Keck-Formel") 40. Vorausgesetzt es besteht keine abschließende Regelung der betreffenden Frage durch EG-Recht, kommt ausnahmsweise unter den eng auszulegenden Bedingungen des Art. 30 EGV eine Rechtfertigung von Ein- oder Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung in Betracht. Handelt es sich um nicht-diskriminierende nationale Regelungen, so können zudem die vom EuGH in seiner sog. „Cassis de Dijon-Formel" kreierten Rechtfertigungsgründe eingreifen. In dieser Entscheidung statuierte der Gerichtshof das Herkunfts- oder Ursprungslandprinzip mit folgendem Inhalt: „In Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung der Herstellung und Vermarktung... ist es Sache des Mitgliedstaates, alle die Herstellung und Vermarktung... betreffenden Vorschriften für sein Hoheitsgebiet zu erlassen. Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen... ergeben, müssen hingenommen werden, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere41 den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes." 42 3. Rechtsangleichung Soweit unterschiedliche nationale Regelungen der Mitgliedstaaten ausnahmsweise gerechtfertigt sind, weil sie den Ausnahmeklauseln des Vertrages oder sonstigen zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses dienen, nicht-diskriminierend

39

EuGHE 1974, 837 (852 f.), st.Rspr. EuGH, EuZW 1993, S. 770, st. Rspr. Die Entwicklung der Rspr. zu Art. 28 ff. EGV ist eingehend nachgezeichnet bei Epiney, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 28 EGV Rdnrn. 14 ff. 41 Hieraus ergibt sich, daß die Aufzählung der „zwingenden Erfordernisse" nicht abschließender Natur ist. Aus der späteren Rechtsprechung können etwa der Schutz der Arbeitsumwelt, der Umweltschutz oder die Kulturpolitik als weitere zwingende Erfordernisse genannt werden. 42 EuGHE 1979, 649 (662). 40

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und nicht unverhältnismäßig im weiteren Sinne sind 43 , resultieren hieraus Hindernisse für das Gemeinschaftsziel einer bestmöglichen Binnenmarktrealisation. Für diese bleibt als ultima ratio der Weg über die Rechtsangleichung (Harmonisierung) gemäß Art. 3 lit. h i. V. m. Art. 94 ff. EGV. Die wichtigste44 Vorschrift ist dabei der Art. 95 EGV 4 5 , wonach der Rat die zur Verwirklichung des Binnenmarktes erforderlichen Maßnahmen gemäß dem Mitentscheidungsverfahren (Art. 251 EGV) und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses erläßt. Lediglich Bestimmungen über Steuern, die Freizügigkeit und die Rechte der Arbeitnehmer sind von vornherein vom sachlichen Anwendungsbereich ausgeklammert (Art. 95 Abs. 2 EGV). Rechtspolitisches Leitbild ist dabei, dem Strukturprinzip der Subsidiarität (Art. 5 Abs. 2 EGV) folgend 46, nicht die Unitarisierung, auch nicht die Harmonisierung um jeden Preis, sondern nach der sog. „neuen Strategie" die Konzentration auf die Angleichung der allgemeinen Grundvoraussetzungen für die Verkehrsfähigkeit von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital im Binnenmarkt (sog. horizontale Harmonisierung) 47. Im übrigen wird auf eine („vertikale") Harmonisierung grundsätzlich verzichtet und stattdessen auf das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung zurückgegriffen, welches der Cassis de Dijon-Doktrin entspringt und welches in dem früheren, mit dem Vertrag von Amsterdam gestrichenen, Art. 100 b EGV seinen primärrechtlichen Ausdruck fand 49.

48

III. Europäisierung der Wirtschaftsverwaltung Von Ausnahmen abgesehen vollzieht die EG ihr Recht nicht selbst, sondern ist auf den indirekten (dezentralen) Vollzug durch die Mitgliedstaaten angewiesen50. 43

Zu diesen gemeinsamen Anforderungen Herdegen, Europarecht, 3. Aufl. (2001), Rdnrn.

282 f. 44

Aufzählung der spezielleren Rechtsgrundlagen bei Streinz (FN 14), Rdnr. 957. Art. 94 EGV hat sich wegen des Einstimmigkeitserfordernisses im Rat und der Begrenzung auf die Handlungsform der Richtlinie als zu schwerfällig erwiesen. Daher wurde im Zuge der EEA der Art. 95 EGV (damals Art. 100 a) neu im EGV verankert. 46 Grundlegend Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der EU, 2. Aufl. (1999), insbes. S.48ff., 129f. 47 Vgl. Kahl, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 14 EGV Rdnr. 2, Art. 94 Rdnrn. 1, 4; monographisch zu Idee und Begriff der Rechtsangleichung Eiden, Die Rechtsangleichung gemäß Art. 100 des EWG-Vertrages, 1984; Schnieder, Die Rechtsangleichung, 1978. 48 Differenziert Streinz (FN 14), Rdnrn. 955 f., 973 ff. 49 Davon unberührt bleibt die gegenseitige Anerkennung aufgrund sekundärrechtlicher Verpflichtung; vgl. Art. 47 Abs. 1 EGV (betreffend Berufsqualifikationen). 50 Vgl. Pernice! Kadelbach, DVB1. 1996, S. 1 lOOff.; Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 73 ff.; Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1977, S.8ff.; Streinz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, § 182, Rdnrn. 19ff.; Stettner, in: Dauses (FN37); Β III Rdnrn. 11 ff. 45

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Wo die nationale Wirtschaftsverwaltung quasi als „Verwaltungsunterbau der EG" 5 1 fungiert, steht sie in einem Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und Determination, denn einerseits richtet sich der indirekte Vollzug des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich nach nationalem Recht, insbesondere nationalem Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsorganisationsrecht 52, andererseits aber folgt aus dem in Art. 10 EGV verankerten Gebot zur Gemeinschaftstreue, daß die Tragweite und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts durch die Anwendung des nationalen Rechts nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden darf 53 (Vereitelungsverbot 54) und daß bei der Anwendung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften keine Unterschiede im Vergleich zu Verfahren gemacht werden dürfen, in denen über gleichartige, aber rein nationale Sachverhalte entschieden wird (Diskriminierungsverbot). Autonomie darf deshalb nicht mit Immunität der nationalen Rechtsordnung verwechselt werden 55. Vielmehr hat sich der auf der Grundlage von Art. 220 EGV vom EuGH rechtsfortbildend weiterentwickelte Art. 10 EGV in der Vergangenheit als „Scharnier- bzw. Brückennorm" 56 der Europäisierung des (Wirtschafts-) Verwaltungsrechts erwiesen. Letztere zeigt sich insbesondere im Wandel der Organisation, der Handlungsformen und der Maßstäbe der Wirtschaftsverwaltung 57 .

1. Einwirkungen

auf die Organisation der Wirtschaftsverwaltung

a) Errichtung und Ausstattung von Verwaltungsbehörden Der Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts auf die nationale Verwaltungsorganisation ist nicht gering 58. Zwar bleibt es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, für den indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts die hierfür zuständigen Behörden zu benennen und erforderliche Koordinierungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn verschiedene Stellen berufen sind. Jedoch folgert der EuGH aus dem 51

Kahl in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 10 EGV Rdnr. 23. Vgl. Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, 1998, S . l l l f f . m.w.Nachw. 53 Grundlegend EuGHE 1983, 2633 (2666f.). 54 Vgl. auch v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf (FN6), Art. 5 Rdnr. 46 u. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, 1994, S.8, die vom „Effizienzgebot" sprechen. Vgl. zur neuen Terminologie des EuGH unten III. 3. 55 Kahl, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 10 EGV Rdnr. 24, schlägt deshalb vor, nicht mehr vom „Grundsatz der Autonomie der Mitgliedstaaten" zu sprechen, sondern vom „Grundsatz der Anwendung nationaler Verfahrens- und Prozeßordnungen". 56 Kahl, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 10 EGV Rdnr. 58. 57 Zur Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts vgl. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996; Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), S.335ff. 58 Rengeling, VVDStRL 53 (1994), S.202 (211). Vgl. zum folgenden v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 194ff.; Kahl, Die Verwaltung 29 (1996), S.341 ff.; Hatje, EuR-Beiheft 1, 1998, S.7 (14ff.). 52

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Gebot zur Gemeinschaftstreue die konkrete Verpflichtung der Mitgliedstaaten, „ein System von Verwaltungskontrollen und Kontrollen an Ort und Stelle zu schaffen, das die ordnungsgemäße Erfüllung der materiellen und formellen Voraussetzungen" des Gemeinschaftsrechts garantiert 59. Den Mitgliedstaaten bleibt es deshalb verwehrt, sich bei nicht ordnungsgemäßer Durchführung des Gemeinschaftsrechts auf organisatorische Schwierigkeiten zu berufen 60. Sie sind vielmehr dazu verpflichtet, „die zur wirksamen Vollziehung des Gemeinschaftsrechts erforderlichen Behörden zu errichten bzw. personell und/oder materiell entsprechend auszustatten"61. Weitere Vorgaben treten hinzu: So stellt das schon angesprochene Vereitelungsgebot bestimmte Anforderungen an die Effizienz der Verwaltungsorganisation, ζ. B. im Hinblick auf Zuständigkeitsverteilungen62. Flankierend verbietet das sog. Diskriminierungsverbot auch im Hinblick auf die Verwaltungsorganisation eine Schlechterstellung des Vollzugs von Gemeinschaftsrecht im Vergleich zum Vollzug des nationalen Rechts. Schließlich wohnt auch den Grundfreiheiten ähnlich wie den Grundrechten eine Verfahrens- und organisationsrechtliche Komponente inne. So stellen etwa unzumutbare Verzögerungen bei der Zollabfertigung infolge einer ungünstigen örtlichen Lage oder unangemessen kurzer Öffnungszeiten verbotene Maßnahmen gleicher Wirkung nach Art. 28 EGV dar 63 . Neben diesen allgemeinen Anforderungen lassen sich dem Gemeinschaftsrecht auch gezielte Vorgaben für die Ausgestaltung der Wirtschaftsverwaltung entnehmen, insbesondere hinsichtlich der Errichtung oder Abschaffung neuer Behörden bzw. Behördenzweige. Als Beispiel hierfür kann die auf europäischem Richtlinienrecht 64 beruhende Einrichtung unabhängiger Vergabeprüfstellen und Vergabekammern genannt werden, die zunächst im Haushaltsgrundsätzegesetz (§§ 57b, 57 c HGrG) und nunmehr im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen geregelt sind (vgl. §§ 102ff. GWB 1998)65. Verwehrt ist es der Gemeinschaft allerdings, unmittelbar nationale Behörden zu errichten 66.

59

EuGHE 1990, 2321 (2360f.). St.Rspr. seit EuGHE 1982, 153 (157). 61 Kahl, Die Verwaltung 29 (1996), S.341 (349). 62 Dazu Scheuing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S.289 (303 f.). 63 Dazu Everling, DVB1. 1983, S.649 (653); Hilf, in: Schwarze (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsrecht im Werden, 1982, S.67 (72 ff.); Streinz, in: Isensee/Kirchhof (FN50), § 182 Rdnr. 20; A. Weher, Rechtsfragen der Durchführung von Gemeinschaftsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 1987, S.46. 64 Vgl. Art. 2 Abs. 8 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates v. 21.12.1989, AB1EG 1989 Nr. L395, S. 33; Art. 2 Abs. 9 der Richtlinie 92/13/EWG des Rates v. 25.2.1992, AB1EG 1992 Nr.L76, S. 14. 65 Weitere Beispiele finden sich im weitgehend vergemeinschafteten Agrarrecht. Ausführlich Scheuing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (FN62), S. 319 ff.; Kahl, Die Verwaltung 29 (1996), S.341 (354ff.). 66 Vgl. Götz, EuR 1986, S.29 (33). 60

20 Pitschas/Kisa

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b) Privatisierung öffentlicher Unternehmen Während die genannten Einwirkungen den Fortbestand der staatlichen Wirtschaftsverwaltung voraussetzen, führt der vom europäischen Gemeinschaftsrecht ausgehende Privatisierungsdruck zur Entlassung ganzer Verwaltungsbereiche in den privaten Sektor 67. Privatisierungsprozesse werden dabei nicht nur durch das sekundäre Gemeinschaftsrecht eingeleitet, wie im Fall von Bahn 68 und Post69, sondern auch durch das primäre Gemeinschaftsrecht. Die These von der vermeintlichen „Neutralität des EG-Vertrages gegenüber dem öffentlichen Sektor" 70 gilt inzwischen zu Recht als überholt, denn die Wertung der Art. 86 und 295 EGV wird von der verfassungsrechtlichen Fundamentalentscheidung des EG-Vertrags zugunsten einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" 71 deutlich überlagert 72. Am dramatischsten zeigt sich dies an den Auswirkungen des europäischen Beihilfenrechts, welches gem. Art. 86 Abs. 1 EGV grundsätzlich auch für staatliche Subventionen an öffentliche Unternehmen gilt 73 . Bei steigendem Kapitalbedarf der im europäischen oder sogar globalen Wettbewerb stehenden öffentlichen Unternehmen und gleichzeitigem Verbot staatlicher Bezuschussungen wächst der Druck in Richtung auf Voll- oder Teilprivatisierungen 74. Aktuelles Beispiel für diese Hebelwirkung ist der Streit um die als rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts organisierten Sparkassen und Landesbanken75. Der Anfang Juli 1999 von der EU-Kommission getroffene Beihilfebeschluß, der die WestLB wegen der Einbringung von Wohnungsbauvermögen durch das Land Nordrhein-Westfalen zu einer Rückzahlung von 808 Millionen Euro oder rund 1,6 Milliarden DM verpflichtete 76, war nur Vorbote einer grundsätzlicheren Infragestellung der Eigenkapitalbeschaffung öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute. Auf dem Prüfstand standen die sog. Anstaltslast, wonach die Träger die öffentlichen Banken finanziell so auszustatten haben, daß sie ihre Aufgabe erfüllen können, und die sog. 67

Vgl. Reiner Schmidt, Die Verwaltung 28 (1995), S. 281 ff. Dazu Hommelhoff/Schmidt-Aßmann, ZHR 160 (1996), S. 521 ff.; Ronellenfitsch, DÖV 1996, S. 1028 ff.; Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 ff.; Wegener , DÖV 1996, S. 305 ff. 69 Dazu Basedow (Hrsg.), Das neue Wirtschaftsrecht der Postdienste, 1995; Hoffmann-Riem, in: Reiner Schmidt (FN4), § 6 Rdnrn. 34 ff., 63 ff.; Reiner Schmidt, in: FS Lerche, 1993, S. 965 ff. 70 Vgl. etwa Hailbronner, NJW 1991, S. 593 ff.; H.P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S.658; Schoch, DVB1. 1994, S.962 (969). 71 Siehe oben II. 1. 72 Vgl. Β adura, ZGR 26 (1997), S. 291 (293 ff.); Basedow, EuZW 1994,S.359 (360); Bauer, VVDStRL 54 (1995), S.243 (259ff); Reiner Schmidt, Die Verwaltung 28 (1995), S.281 (313). 73 Vgl. Kahl, NVwZ 1996, S. 1082ff. Zur Rechtsposition öffentlicher Unternehmen im Gemeinschaftsrecht vgl. Burgi, EuR 1997, S. 261 ff. 74 Vgl. Basedow, in: FS Heimlich, 1993, S.769 (780). 75 Ausführlich v. Friesen, Staatliche Haftungszusagen für öffentliche Kreditinstitute aus europarechtlicher Sicht, 1998; Immenga/Rudo, Die Beurteilung von Gewährträgerhaftung und Anstaltslast der Sparkassen und Landesbanken nach dem EU-Beihilfenrecht, 1997. 76 FAZ Nr. 156 v. 9.7.1999, S. 13. 68

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Gewährträgerhaftung, die eine Einstandspflicht der Träger im Fall der Insolvenz der Banken statuiert 77. Wären die beiden Institute von der Europäischen Kommission oder vom EuGH als unzulässige Beihilfen eingestuft worden 78, was nach der objektiven Rechtslage zu erwarten war 79 , wären die öffentlichen Banken bei Beibehaltung von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung entweder dazu gezwungen gewesen, sich auf ihren eng umrissenen öffentlichen Auftrag zu beschränken und ihre übrigen Geschäftsfelder 80 an die private Konkurrenz abzugeben oder ihre nicht vom öffentlichen Auftrag gedeckten Geschäftsbereiche auf noch zu gründende Kapitalgesellschaften zu übertragen, also zumindest teilweise zu privatisieren 81. Zu einer Klärung des Konflikts führte im Juli 2001 eine Einigung zwischen der Europäischen Kommission und Vertretern der Bundesrepublik sowie der deutschen Bundesländer, die eine Abschaffung der Gewährträgerhaftung und eine Modifizierung der Anstaltslast vorsieht 82. c) Administrative Kooperation Festgehalten werden kann, daß aus dem Europarecht wesentliche Impulse und Stimuli für eine Umstrukturierung und vor allem Effektivierung der nationalen Verwaltungsorganisation erwachsen. Während der Europäisierungsprozess aber im allgemeinen durch die Wechselseitigkeit der Einwirkungen gekennzeichnet ist 83 , d. h. auch das nationale Verwaltungsrecht als eine Art „Speicher und Rechtserkenntnisquelle für europäische Regelungen"84 fungiert, stellt sich im Bereich des Organisationsrechts die Vergemeinschaftung weitgehend als „Einbahnstraße" dar. Grund hierfür ist, daß „die Organisation der Europäischen Union einer spezifischen Funktionenordnung und nicht einem nationalen Modell folgt und somit gegenüber Impulsen aus dem nationalen Raum nur schwer empfänglich ist" 85 . Allerdings steigt vor dem Hintergrund einer mit Europäisierung und Globalisierung einhergehenden Entgrenzung der Lebensvorgänge der Bedarf an Absprachen, Koordinierung und Information zwischen den verschiedenen Wirtschaftsverwaltun77

Dazu Chr. Koenig, W M 1995, S. 821 ff. Die EU-Kommission führte eine entsprechende Wettbewerbsuntersuchung durch. 79 Vgl. E. Kruse, NVwZ 2000, S.721 ff.; Chr. Koenig, EuZW 1995, S. 595 ff.; ders./Sander, EuZW 1997, S.363ff.; SchmidfVollmöller, NJW 1998, S.716ff.; a.A.: Gruson, EuZW 1997, S. 429ff.; Scherer/Schödermeier, ZBB 1996, S. 165ff.; Schneider/Busch, EuZW 1995, S. 602ff.; Thode/Peres, BB 1997, S. 1749ff. 80 Dazu Chr. Koenig, W M 1995, S.317ff. 81 Vgl. Chr. Koenig, EWS 1998, S. 149 (154ff.). 82 Hierzu Möschel, W M 2001, S. 1895 ff. 83 Vgl. Mögele, BayVBl. 1993, S. 552ff.; Rengeling, VVDStRL 53 (1994), S. 202ff.; Schmidt-Aßmann, DVB1. 1993, S. 924ff.; Zuleeg, VVDStRL 53 (1994), S. 154ff. 84 Schmidt-Aßmann, DVB1. 1993, S.924 (928). 85 Kahl, Die Verwaltung 29 (1996), S. 341 (384). In diesem Sinne auch Rengeling, VVDStRL 53 (1994), S.202 (211). 78

20*

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gen. Das europäische Mehrebenenkonzept setzt ein ausgebautes System administrativer Kooperation geradezu voraus 86. Dies gilt nicht nur für die vertikale Kommunikation zwischen den EG-Behörden und den mitgliedstaatlichen Behörden, sondern auch für die horizontale Kommunikation zwischen den mitgliedstaatlichen Behörden untereinander. Jenseits der Europäisierung des Rechts durch Recht läßt sich deshalb mit Schmidt-Aßmann eine allmähliche Ausbildung neuer gemeinsamer Denkmuster der Wirtschaftsverwaltung beobachten87. 2. Auswahl und Ausgestaltung der Handlungsformen a) Abkehr von „normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften" Die Europäisierung der Wirtschaftsverwaltung berührt auch deren Handlungsformen. So gibt die Rechtsprechung des EuGH zur Umsetzung von Richtlinien Anlaß, über eine grundlegende Revision des Rechtsinstituts der „normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift" nachzudenken. Bekanntlich hat der EuGH in seinen Urteilen zur „TA-Luft" normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften als eine nicht der Richtlinie entsprechende Umsetzungsform angesehen und als wesentliches Argument auf die mangelhafte Durchsetzungsmöglichkeit der Rechte des einzelnen Bürgers abgestellt88. Sollte der deutschen Verwaltungsrechtsdogmatik eine klarere und konsensfähige Einordnung der Verwaltungsvorschrift nicht gelingen, erscheint es ratsam, auch in anderen Fällen, in denen es zwar nicht um die Umsetzung von Richtlinienrecht geht, aber ebenfalls Individualrechte begründet werden sollen, vom Rechtsinstitut der Verwaltungsvorschrift zugunsten von Verordnungs- und Gesetzesregeln Abschied zu nehmen89. b) Einschränkung der Wahlfreiheit zwischen öffentlichem und privatem Recht Nach neuerer Auffassung soll für den Vollzug von Gemeinschaftsrecht auch ein Rückgriff auf Organisations- und Handlungsformen des Privatrechts verboten sein. Begründet wird diese Einschränkung der bislang ganz überwiegend anerkannten Wahlfreiheit der Verwaltung zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Organisations- und Handlungsformen mit dem Gebot einheitlicher und gleicher Geltung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten. Die Beachtung des Ge86

Zu einzelnen Informations- und Kooperationspflichten vgl. v. Danwitz (FN58), S. 198 ff. Vgl. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, Erstes Kapitel Rdnr. 63. 88 EuGHE 1991,1-2607 (2631 f.); 1991,1-2567 (2601 ff.). Vgl. schon zuvor EuGHE 1991, 1-825 (867 f.), betreffend die Grundwasser-Richtlinie. 89 Reiner Schmidt/Helmut Müller, Einführung in das Umweltrecht, 6. Aufl. (2001), §8 Rdnr.57. Vgl. auch Hoppe,/Otting, NuR 1998, S.61 (68f.); Koch, ZUR 1993, S. 103ff.; Rupp, JZ 1991, S. 1034 f. 87

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meinschaftsrechts sei bei einer Verwendung privatrechtlicher Organsiations- und Handlungsformen wegen der Disponibilität des Privatrechts und der rechtlichen Unklarheit über die Reichweite öffentlich-rechtlicher Bindungen durch das sog. Verwaltungsprivatrecht genauso wenig sichergestellt wie beim Erlaß von Verwaltungsvorschriften 90. Der These vom monistisch öffentlich-rechtlich zu organisierenden Vollzug des Gemeinschaftsrechts ist jedoch zu widersprechen. Letztlich stellt sich die Lage nicht anders dar als beim Vollzug von nationalem Recht. Wenn die Verwaltung ihren Ingerenz- und Kontrollpflichten auch bei privatrechtlicher Ausgestaltung nachkommen kann, ist nicht einzusehen, warum sie auf die höhere Rationalität der privatrechtlichen Organisations- und Handlungsform verzichten sollte. Privatrecht kann auch den Vollzug des Gemeinschaftsrechts effektivieren. Wo ausreichende Einflußmöglichkeiten dagegen nicht bestehen, bleibt die Verwaltung wie beim Vollzug nationalen Rechts auf die Organisationsformen des öffentlichen Rechts beschränkt 91.

c) Der transnationale Verwaltungsakt Die schon angesprochene Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Wirtschaftsverwaltungen ergibt sich auch aus der „räumlichen Öffnung" 92 des Wirtschaftsverwaltungsrechts durch die Handlungsform des transnationalen Verwaltungsaktes. Dessen Wirkungen beschränken sich nicht mehr auf das Staatsgebiet der erlassenden Behörde, sondern erstrecken sich auf den gesamten Rechtsraum der EG 93 . So fordern Richtlinien beispielsweise die gegenseitige Anerkennung von berufszugangsberechtigenden Diplomen und Zeugnissen aller Art, von behördlichen Produktzulassungsentscheidungen und Zulassungen im Bankenund Versicherungsrecht 94. Hintergrund dieser Entwicklung ist das schon angesprochene, auf der Cassis-de-Dijon-Doktrin beruhende Anerkennungsprinzip, welches zu einer partiellen Deregulierung des Wirtschaftsverwaltungsrechts führt 95 . Diese 90

So Brenner (FN9), S. 153 ff. Vgl. Reiner Schmidt, ZGR 25 (1996), S. 345 ff. 92 Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, S. 123 (135). 93 Diese Wirkungserstreckung kann zum einen nach dem Herkunftslandprinzip erfolgen, wonach die übrigen EG-Mitgliedstaaten darauf verzichten, ihr eigenes Verwaltungsrecht auf den schon durch fremden VA geregelten Vorgang anzuwenden, und zum anderen durch die gesetzliche Gleichstellung mit eigenen Verwaltungsakten; vgl. Fastenrath, Die Verwaltung 31 (1998), S.277 (301 ff.). Vgl. zum Begriff des transnationalen VA auch Neßler, Europäisches Richtlinienrecht wandelt deutsches Verwaltungsrecht, 1994, S.5; ders., NVwZ 1995, S.863 (865); Schmidt-Aßmann, DVB1. 1993, S. 924 (935); Becker, DVB1.2001, S. 855 ff.; Ruffert, Die Verwaltung 34 (2001), S. 453 ff. Neben der Figur des transationalen VA gewinnt die sog. Gemeinschaftsgenehmigung an Bedeutung; dazu Wahl/Groß, DVB1. 1998, S.2ff. 94 Vgl. die Nachw. bei Fastenrath, Die Verwaltung 31 (1998), S.277 (301). 95 Zum transnationalen VA als Beispiel für europarechtlich bedingte Steuerungsverluste des Gesetzgebers P.M. Huber, StwStp 1997, S.423 (444f.). 91

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bringt wiederum Vereinfachungen mit sich und entlastet die Wirtschaftsverwaltung von Doppelarbeit 96. Auf der anderen Seite trägt das Anerkennungsprinzip zu einem binnenstaatlichen „Wirtschaftsrechtspluralismus" (Stober) bei, der erhöhte Anforderungen an die Wirtschaftsbürger stellt 97 . Eine Herausforderung stellt die Deterritorialisierung des Wirtschaftsverwaltungsrechts auch für den nationalen Gesetzgeber dar, denn er muß sich dem Systemwettbewerb der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen stellen98. Sind einmal zugelassene Produkte im Binnenmarkt frei verkehrbar, so führt dies eben nicht nur zu einem Wettbewerb der Produkte, sondern auch der nationalen Qualitätsnormen. Allerdings droht die Funktion des Systemwettbewerbs als „Entdeckungsverfahren" (Hayek) angesichts der Unübersichtlichkeit der verschiedenen Standards und der Gefahr eines „race to the bottom" wieder verloren zu gehen. Zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen ist deshalb ein vergleichbares Niveau des Gesetzgebungsstandards und der Verwaltungspraxis in den einzelnen Mitgliedstaaten erforderlich 99. Letzteres soll dadurch bewirkt werden, daß vor Erlaß einer Anerkennungsrichtlinie durch Koordinierungsrichtlinien eine inhaltliche Angleichung des betroffenen Rechtsgebiets erreicht wird 100 .

3. Einschränkung nationaler Verwaltungsmaßstäbe Besonders einschneidend sind die Veränderungen im Verwaltungsverfahrensrecht 101 . Die Rechtsprechung des EuGH zur Rückforderung gemeinschaftsrechtswidrig gewährter Beihilfen hat hier zu einer radikalen Einschränkung des Vertrauensschutzes zugunsten der effektiven Durchsetzbarkeit des Gemeinschaftsrechts geführt 102 . Heftige Kritik hat zuletzt die auf ein Vorabentscheidungsersuchen des BVerwG 103 hin ergangene Entscheidung „AlcanH" hervorgerufen 104. Zwar galt schon seit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Deutsche Milchkontor 105 , daß 96

Vgl. Fastenrath, Die Verwaltung 31 (1998), S.277 (303, 305). Vgl. Stober (FN9),S.118. 98 Chr. Koenig, EuZW 1998, S.513. Vgl. auch ders./Kühling, EuZW 1999, S.517ff., zum Systemwettbewerb im Beihilfenrecht u. Freitag, EuZW 1999, S. 267 ff., zum Systemwettbewerb im Gesellschaftsrecht. 99 Vgl. EuGHE 1981, 3305 (3325 f.); 1986, 419 (436). 100 Erichsen, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. (1998), §12 Rdnr. 10. Vgl. zum Spannungsverhältnis zwischen Wettbewerb und Vereinheitlichung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen Dreher, JZ 1999, S. 105 ff. 101 Vgl. ausführlich Classen , Die Verwaltung 31 (1998), S. 307 ff.; v. Danwitz, DVB1. 1998, S. 421 ff. 102 Allgemein zur Problematik Kahl, in: Reiner Schmidt (FN 18), § 6 Rdnm. 5Iff. m. w. Nachw. Aus Sicht des EuGH Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 ff. 103 BVerwG, EuZW 1995, S.314ff. 104 EuGHE 1997,1-1591 ff. 105 EuGHE 1983, 2633 ff. 97

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bei der Anwendung der §§ 48 ff. VwVfG dem Interesse der Gemeinschaft am Funktionieren eines Systems unverfälschten Wettbewerbs i. S. d. Art. 3 Abs. 1 lit. g i. V. m. 87 ff. EGV Rechnung getragen werden muß. Die Rückforderung darf erstens nicht praktisch unmöglich gemacht werden (Vereitelungsverbot) und zweitens darf keine Ungleichbehandlung gegenüber rein nationalen Sachverhalten praktiziert werden (Diskriminierungsverbot). Das Vertrauen des Subventionsempfängers in eine unter Verstoß gegen die Notifizierungspflicht nach Art. 88 Abs. 3 EGV gewährte Beihilfe hat deshalb schon vor „Alcan" in Abweichung von § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG als nicht schutzwürdig gegolten, wenn sich der Beihilfeempfänger über die Einhaltung des Notifizierungsverfahrens ohne weiteres Klarheit verschaffen konnte. In einem solchen Fall wurde der Behörde auch kein Ermessen mehr hinsichtlich der Rücknahmeentscheidung eingeräumt 106. In der Alcan-Entscheidung hat der EuGH jedoch noch weiter in die austarierte Regelung des § 48 VwVfG eingegriffen. Die zuständige Behörde wird selbst bei Verstreichen der im Interesse der Rechtssicherheit bestehenden Ausschlußfrist des Art. 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG zur Rücknahme verpflichtet 107 . Ferner soll die Pflicht zur Rücknahme selbst dann gelten, wenn die Behörde für die Rechtswidrigkeit des Subventionsbescheids in einem Maße verantwortlich ist, daß sich die Rücknahme gegenüber dem Begünstigten als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt 108. Schließlich könne sich der Begünstigte im Hinblick auf die Rückerstattung auch nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen, wie in § 49 a Abs. 2 VwVfG vorgesehen109. Die starke Einschränkung des Vertrauensschutzes und die generelle Überbetonung des Vereitelungsverbots in der Rechtsprechung des EuGH sind scharf kritisiert und als gemeinschaftsrechts- und verfassungswidrig bezeichnet worden 110 . Im Detail kann auf die Berechtigung dieser Vorwürfe hier nicht eingegangen werden. Das BVerwG ist dieser Einschätzung in seiner Nachfolgeentscheidung jedenfalls nicht gefolgt 111 . Tatsächlich kann bei differenzierter Betrachtung von einer völligen Beseitigung des Vertrauensschutzes wohl nicht die Rede sein 112 . So bleibt für Vertrauensschutzüberlegungen Platz, wenn die Kommission eine Beihilfe zu Unrecht genehmigt hat oder die Subventionsvergabe auf sekundärem Gemeinschaftsrecht beruht 113 . Allerdings hat sich der EuGH mit seinen Äußerungen zur Frage der Fristversäumnis und der Entreicherung meilenweit von der Linie der „Milchkontor"-Entscheidung entfernt, geht er doch nunmehr davon aus, daß sich nach einer Entschei106

EuGHE 1990,1-3437 (3456ff.); 1997,1-135 (162f.). EuGHE 1997,1-1591 (1619). 108 EuGHE 1997,1-1591 (1620f.). 109 EuGHE 1997,1-1591 (1622f.). 110 Vgl. insbesondere Scholz, DÖV 1998, S. 261 ff. Kritisch auch Classen , JZ 1997, S. 724 ff.; Kahl, in: Reiner Schmidt (FN 18), § 6 Rdnrn. 60 f. 111 BVerwG, EuZW 1998, S. 730 ff. 112 Vgl. Winkler, DÖV 1999, S. 148 (149f.). Dem EuGH folgend auch Berrisch, EuR 1997, S. 155ff.; Fastenrath, Die Verwaltung 31 (1998), S.277 (282ff.). 113 Brenner/Huber, DVB1. 1999, S.764 (773). 107

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dung der Kommission über die Rückforderung nach Art. 88 Abs. 2 i. V. m. Art. 87 EGV die Rolle der nationalen Behörde auf die bloße Durchführung dieser Entscheidung beschränkt, so daß für eine echte Interessenabwägung letztlich kein Raum bleibt 114 . Jüngere Entscheidungen scheinen jedoch eine erneute Kehrtwende anzudeuten. Nachdem sich der EuGH inzwischen sprachlich umorientiert hat und statt vom Vereitelungs- und Diskriminierungsverbot vom Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz spricht 115 , hat er in einer neuen Entscheidung zum Gerichtsverfahrensrecht 116 den Grundsatz des „effet utile", der herkömmlicherweise als „Schutz- und Wirkungsverstärker zugunsten des Gemeinschaftsrechts" verwendet wurde, nunmehr umgekehrt zur „Befestigung der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie" herangezogen117. Diese Entscheidung stellt den vorläufigen End- und Höhepunkt einer jüngst zu beobachtenden Rechtsprechungsentwicklung dar, die die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das innerstaatliche Verfahrensrecht zurücknimmt und der mitgliedstaatlichen Autonomie gerade auch im Beihilfenrecht wieder mehr Bedeutung zukommen läßt 118 . Inwieweit diese Rechtsprechung auch auf die Judikatur zur Rückforderung von nicht notifizierten Beihilfen zurückwirkt, kann derzeit aber noch nicht abgesehen werden.

IV. Vergemeinschaftung der Währungspolitik 1. Die Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft Eine vollständige Europäisierung bzw. Vergemeinschaftung des öffentlichen Wirtschaftsrechts besteht seit 1.1.1999 auf dem Gebiet der Geld- und Wechselkurspolitik. Im Gegensatz zur Wirtschaftspolitik, die unter den Mitgliedstaaten nur koordiniert wird (Art. 4 Abs. 1 EGV in Verbindung mit Art. 99 Abs. 1 EGV), wurde mit der Währungsunion eine ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft begründet 119 ; ein Schritt von außerordentlicher Tragweite, dem neben seiner besonderen 114

EuGHE 1997,1-1591 (1619). Zur neuen Verfahrensverordnung in Beihilfesachen (Verordnung [EG] Nr.659/1999 v.22.3.1999, AB1EG 1999 Nr.L83, S. 1 ff.), die für die Durchführung der Rückforderung auf das nationale Recht verweist, aber zugleich zu einer sofortigen und effektiven Durchführung der Kommissionsentscheidung verpflichtet, vgl. Chr. Koenig/Kühling, EuZW 1999, S. 517 ff. Im Gegensatz zum Kommissionsvorschlag ist keine Bestimmung mehr enthalten, wonach Rechtsbehelfe gegen staatliche Rückforderungsentscheidungen keine aufschiebende Wirkung mehr entfalten sollen; vgl. dazu noch Sinnaeve, EuZW 1998, S.268 (269). 115 EuGH, EuZW 1998, S.664 (666 f.). 116 EuGH, EuZW 1999, S. 196 (198). 117 So v. Danwitz, EuZW 1999, S. 198 (199). 118 Vgl. insbesondere EuGHE 1998,1-2661 (2681 ff.); EuGH, Tätigkeitsbericht Nr. 19/1998, S.37ff. 119 v. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (FN 6), Art. 3 b Rdnr. 30.

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integrationspolitischen Wirkung vor allem auch symbolische Bedeutung zukommt 120 . Inwieweit damit in das staatsrechtliche Eigenleben der Mitgliedstaaten eingegriffen wurde, muß im Rahmen einer wirtschaftsrechtlichen Betrachtung unberücksichtigt bleiben 121 . Die unwiderrufliche Festlegung der Wechselkurse und „die Durchführung einer einheitlichen Geld- sowie Wechselkurspolitik" (Art. 4 Abs. 2 EGV) soll eine Stabilitätsgemeinschaft herstellen, von der alle anderen Bereiche der Wirtschaftspolitik berührt werden. Das Programm des Maastrichter Unions-Vertrags trägt wegen der Ausrichtung auf das vorrangige Ziel der Preisstabilität (Art. 105 Abs. 1 EGV) und wegen der Schaffung eines Systems der Europäischen Zentralbanken „geradezu revolutionäre Züge" 122 . Dies nicht nur wegen der Änderung des Status der Deutschen Bundesbank, sondern wegen der Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik der teilnehmenden Mitgliedstaaten im Ganzen. Die Regierungen müssen ihre Finanzpolitik, die Tarifvertragsparteien ihre Lohnpolitik nunmehr stabilitätskonform ausrichten. Die EU-Mitgliedstaaten, die nicht an der Währungsunion teilnehmen (ζ. Z. Dänemark, Griechenland, Schweden und das Vereinigte Königreich), können im Falle eines Abwertungsdrucks auf ihre Währung nicht erwarten, daß die EZB unter Inkaufnahme von Inflationsrisiken interveniert 123. Das Ziel, den Euro zu einer bedeutenden Transaktions-, Anlage- und Reservewährung zu machen, ist nur bei einem im inneren stabilen Geldwert zu erreichen. Allerdings kann die Grundentscheidung des Vertrages für den Vorrang der Preisstabilität nicht als allgemeines Auslegungskriterium für die Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft angesehen werden 124. Die Auswirkung für das öffentliche Wirtschaftsrecht der Bundesrepublik, in der schon bisher eine Stabilitätskultur gepflegt wurde, ist aber gravierend. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht des Art. 109 Abs. 2 GG bzw. das magische Viereck des § 1 Satz 2 StabG, das von einer Gleichrangigkeit der einzelnen Teilziele ausgeht, muß nunmehr wegen des Zusammenhanges von Geldund Finanzpolitik im Sinne eines Vorrangs der Preisstabilität verstanden werden 125. 2. Die Konvergenzkriterien Wesentlich für die Qualifikation eines Mitgliedstaates ist die Einhaltung der vier Konvergenzkriterien des Art. 121 Abs. 1 UAbs. 1 Satz EGV, nämlich • die Erreichung eines hohen Grades an Preisstabilität, ersichtlich aus einer genauer definierten Inflationsrate, 120

So zu Recht Häde, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 4 EGV Rdnr. 3. Vgl. nur BVerfGE 89, 155 (204f.); Scholz, NVwZ 1993, S.817 (818). 122 Herdegen (FN43), Rdnr. 383. 123 Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 1998/99, BT-Drucks. 14/73 Rdnr. 274. 124 So auch Schulze-Steinen, Rechtsfragen zur Wirtschaftsunion, 1998, S. 115 f. 125 Ähnlich Herdegen (FN43), Rdnr. 385. A.A. Häde, JZ 1997, S.269 (273), nach dessen Meinung § 1 StabG auch heute noch die gültige einfachgesetzliche Definition des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts enthält. 121

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• eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand, d. h. kein übermäßiges Defizit, • die Einhaltung der „normalen Bandbreiten" des Wechselkursmechanismus des EWS, • die Dauerhaftigkeit der von dem Mitgliedstaat erreichten Konvergenz, gemessen an den langfristigen Zinssätzen126. Für die Behandlung des Verhältnisses des Rechts der EG zu dem der Mitgliedstaaten in bezug auf die Währungspolitik bedarf es keiner erneuten Nachzeichnung der Diskussion um die Anwendung dieser Kriterien im einzelnen127. Wichtiger ist die Frage nach der generellen Bedeutung der Konvergenzkriterien. Nach richtiger Auffassung handelt es sich bei diesen nur um einen „Maßstab" für die Berichte von Kommission und EWI an den Rat in bezug auf den erreichten Konvergenzgrad. Die Entscheidung der Gemeinschaft über den Eintritt hat letztlich der Rat in der außergewöhnlichen Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs (Art. 114 Abs. 1 UAbs. 2 EGV) zu treffen und zwar als politische Entscheidung, für welche die Berichte von Kommission und EWI lediglich Material darstellen 128. Die entsprechende Entscheidung des Europäischen Rates wurde am 13.12.1996 in Dublin auf der Grundlage einer Empfehlung des ECOFIN-Rates und unter Berücksichtigung der Berichte von Kommission und EWI sowie einer Stellungnahme des Europäischen Parlaments getroffen 129. Entgegen der Auffassung des BVerfG m kommt es deshalb nicht mehr auf Äußerungen oder Beschlüsse nationaler Parlamente oder anderer Gremien an 131 . Der Rat entscheidet mit qualifizierter Mehrheit und hätte - rein theoretisch betrachtet - die Bundesrepublik Deutschland auch gegen deren Willen in die Währungsunion hineinzwingen können. Mit dem Beitritt der Bundesrepublik wird zwar nicht deren Finanzpolitik vergemeinschaftet, aber andererseits ist es nicht mehr möglich, im Rahmen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts des Art. 109 Abs. 2 GG das Teilziel der Preisstabilität mit einer eigenständigen Geld- und Währungspolitik zu verfolgen 132. Mit der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion geht es nicht nur um das Bemühen, übermäßige Defizite zu vermeiden, sondern ab dem 1.1.1999 besteht eine entsprechende Rechtspflicht (Art. 104 Abs. 1 EGV), greifen die im Vertrag vorgesehenen Überwachungsmechanismen (Art. 104 Abs. 2 bis 14 EGV), sind sogar Sanktio126 Näheres zu den einzelnen Kriterien siehe bei Häde, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 121 EGV Rdnrn. 4ff.; Kortz, RIW 1997, S. 357ff. 127 Siehe hierzu auch das präzisierende Protokoll BGBl 1992, II, S. 1309. 128 So zutreffend//öde, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 121 EGV Rdnr.25; Streinz (FN 14), Rdnr. 887. 129 Näheres bei Häde, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 121 EGV Rdnr. 27. 130 BVerfGE 89, 155 (202 f.). 131 Vgl. Kempen, AVR 35 (1997), S.273 (290); Puttler, ZRP 1998, S. 168 ff. 132 Zutreffend Häde, JZ 1997, S.269 (274).

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nen einschließlich der Verhängung von „Geldbußen in angemessener Höhe" (Art. 104 Abs. 11, letzter Spiegelstrich EGV) möglich. Wegen der naheliegenden Befürchtung, die vorgesehenen Sanktionen seien politisch nicht durchsetzbar 133, wurde auf Initiative des deutschen Finanzministers vom Europäischen Rat in Dublin am 13./14.12.1996 ein Stabilitätspakt vorgeschlagen, der unter anderem ein automatisches Einsetzen der in Art. 104 Abs. 11 EGV vorgesehenen Sanktionen vorgesehen hatte. Dies ließ sich jedoch nicht ohne Beeinträchtigung der Entscheidungsbefugnis des Rates aus Art. 104 EGV verwirklichen 134 . Mit dem „Halb-Automatismus" des Vertragswerkes gerät das Recht an den Rand der Überforderung 135. Die Überlagerung des Anliegens von Art. 109 GG, nämlich die Ausrichtung der Haushalte von Bund und Ländern auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht, durch das Europarecht, wurde in der Bundesrepublik bisher noch nicht verfassungsrechtlich bewältigt. Ungeklärt bleibt im Falle „übermäßiger öffentlicher Defizite" die Durchgriffsmöglichkeit auf die Länder, die Einbeziehung der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften sowie der Sozialversicherungsträger. Der Anwendungsvorrang des Europarechts allein bringt Auslegungsschwierigkeiten mit sich; auch das Korrektiv des Grundsatzes der Bundestreue ist nicht geeignet, alle Zweifelsfragen zu lösen 136 . Abhilfe könnte eine ausdrückliche Änderung der Verfassung, sprich des Art. 109 GG bewirken 137. Die Verfassungsänderung ohne Wortlautänderung sollte aus Gründen der Rechtsklarheit nur Notlösung bleiben 138 . 3. Die Tätigkeit der Europäischen Zentralbank Die genannte integrationspolitische und symbolische Wirkung der einheitlichen europäischen Währung wird nur dann von Dauer sein, wenn der hiermit verbundene tiefgreifende Souveränitätsverzicht durch den Erfolg der Geldpolitik der europäischen Zentralbank und die Stabilität des Euro gerechtfertigt wird. „Die Einführung der einheitlichen Währung steht gewissermaßen auf der Schwelle zwischen Wirtschaft und Staat, in ihr verbinden sich wirtschaftlich-funktionale und politisch-in133

Zeitler, W M 1995, S. 1600 (1611). Siehe Schulze-Steinen (FN 124), S. 292ff.; Häde, EuZW 1996, S. 138 (140); Hartmann, EuZW 1996, S. 133 (136). Zum Stabilitäts- und Wachstumspakt allgemein sieh & Blumenwitz/ Schöbener, Stabilitätspakt für Europa, 1997. Der Pakt wurde geschaffen durch die Entschließung des europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt (AB1EG 1997 Nr. C 236, S. 1), die EG-Verordnung Nr. 1466/97 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitik (AB1EG 1997 Nr. L 209, S. 1) und die EG-Verordnung Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (AB1EG 1997 Nr. L 209, S.6). 135 Ähnlich kritisch auch Herdegen (FN43), Rdnr. 382. 136 Hierzu grundsätzlich Bauer, Die Bundestreue, 1992. 137 Zum Ganzen Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. (1999), Art. 109 Rdnrn. 50 ff. 138 Vgl. zum Ganzen Häde, in: Calliess/Ruffert (FN 10), Art. 109 EGV Rdnr. 24; Reiner Schmidt, in: ders. (FN 18), § 4 Rdnr. 7. 134

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stitutionelle Elemente"139. Die Frage, ob eine Währungsunion möglicherweise auf längere Sicht auch ohne politische Union funktioniert, kann hier nicht diskutiert werden, jedenfalls ergibt sich aus der Währungsunion für das nationale Wirtschaftsverwaltungsrecht eine Reihe kaum abschätzbarer Folgerungen. Da nationale Geldund Wechselkurspolitik wegfallen, können insoweit regionale Sonderentwicklungen nicht mehr geldpolitisch beeinflußt werden; der Bedarf an Flexibilität steigt, wobei vor allem der Arbeitsmarkt entkrustet werden müßte140. Im Interesse einer bruchlosen Vergemeinschaftung der Währungspolitik sah sich der deutsche Verfassungs- bzw. Gesetzgeber zur Änderung des Art. 88 GG und des Bundesbankgesetzes veranlaßt 141. Dem einzigen Satz in Art. 88 GG („Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank.") wurde ein Satz 2 hinzugefügt, wonach die Aufgaben und die Befugnisse dieser Bundesbank im Rahmen der EU der EZB übertragen werden können, „die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet". Das Junktim für die Übertragungsermächtigung ist demnach an drei Vorbehalte geknüpft, nämlich den • Zusammenhang mit der EU, • die Unabhängigkeit der EZB und • den Vorrang der Preisstabilität. Das BVerfG spricht in diesem Zusammenhang von einer Verfassungspflicht 142, auf die andererseits die Gemeinschaftsorgane im Rahmen der aus Art. 5 EGV folgenden Loyalitätsverpflichtung Rücksicht zu nehmen haben143. In der Festlegung der Unabhängigkeit der EZB wird vom BVerfG eine mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbare Modifikation des Demokratieprinzips gesehen. Somit hat sich das deutsche Modell, wonach eine gewisse Abkopplung vom politischen Prozeß am 139

Issing, FAZ vom 21.09.1999, Nr. 129, S. 19. Zum Verhältnis von Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns vgl. die Beiträge in Hojfmann-Riem!Schmidt-Aßmann (FN62). 141 Durch das 6. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank (BGBl I, 3274) wurde das deutsche Notenbankrecht an die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts angepaßt. Die Änderungen zielen auf die Erfüllung der Verpflichtungen aus Art. 107 und 108 EGV und den dazugehörigen Bestimmungen des Protokolls über die Satzung des ESZB und der EZB. Die Neufassung des § 3 BBankG verpflichtet die Bundesbank nunmehr, an der Erfüllung der Aufgaben des ESZB mit dem vorrangigen Ziel mitzuwirken, Preisstabilität zu gewährleisten. Der Übergang der Entscheidungsbefugnis in der Geldpolitik auf den EZB-Rat bedingt auch eine Änderung der Aufgaben des Zentralbankrates. Er bestimmt die Geschäftspolitik der Bank, nicht mehr die Währungs- und Kreditpolitik. Zwar ist die Bundesbank nach wie vor von Weisungen der Bundesregierung unabhängig. Sie unterstützt auch weiterhin die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, künftig aber „unter Wahrung ihrer Aufgabe als Bestandteil des ESZB" (§ 12 Satz 2 BBankG; näheres in Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Januar 1999, S.21 ff.). 142 BVerfGE 89, 155 (201). 143 Vgl. BVerfGE 89, 155 (202) unter Bezugnahme auf EuGHE 1990,1-3367; Janzen, Der neue Artikel 88 S. 2 des GG, 1996, S. 171 ff.; Tettinger, in: Sachs (FN 137), Art. 88 Rdnr. 9. 140

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ehesten Gewähr für einen stabilen Geldwert bietet 144 , im Rahmen der EU durchgesetzt. Die rechtliche Ausstattung der EZB durch den EGV und die Satzung der EZB genügen dem deutschen Verfassungsgebot 145, wobei allerdings noch offen ist, ob und im welchem Umfang etwa über ECOFIN-Rat oder den Wirtschafts- und Finanzausschuß (Art. 114 Abs. 2 EGV) auf die durch den Vertrag unabhängig gestellte EZB (Art. 108 Abs. 1 EGV) politischer Einfluß ausgeübt werden wird. Insgesamt sind es weniger die Konstruktionsschwächen des Vertragswerks, die Bedenken aufkommen lassen146, sondern die unterschiedlichen nationalen „Stabilitätskulturen", die wegen des gewählten Entscheidungssystems (one state, one vote) spätestens nach der geplanten Ost-Erweiterung dazu führen könnten, konjunkturelle Schwächen in einzelnen Mitgliedsländern auf Kosten der Stabilität lösen zu wollen 147 . V. Die Herausforderungen der ökonomischen Globalisierung 1. Die Globalisierung der Wirtschaft Neue Herausforderungen stellen sich für das öffentliche Wirtschaftsrecht nicht zuletzt durch die Globalisierung der Wirtschaft 148. Der Trend zur weltweiten Verflechtung der Wirtschafts- und Währungsbeziehungen ist ungebrochen. Empirisch läßt sich die wachsende internationale Arbeitsteilung dem im Vergleich zur Weltproduktion überproportionalen Wachstum des Welthandels, der stetigen Zunahme der Direktinvestionen und der dynamischen Entwicklung auf den Finanzmärkten entnehmen149. Die Ursachen für diesen Vernetzungsprozeß sind vielfältig. Zu nen144

Näheres siehe Reiner Schmidt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 2. Aufl. (1996), S.1136ff. 145 Näheres zu den Organen und zur Institution der EZB bei Oppermann (FN 9), Rdnrn. 415 ff.; Streinz (FN 14), Rdnrn. 891 ff.; Herdegen (FN43), Rdnrn. 386ff. 146 Zwar ist die Unabhängigkeit der auf acht Jahre gewählten Direktoriumsmitglieder durch den Ausschluß einer Wiederernennung gesichert. Dies gilt aber nach Gemeinschaftsrecht nicht zwingend für die Gouverneure der nationalen Zentralbanken, die nur für ihre Amtszeit von fünf Jahren nicht abberufen werden dürfen (Art. 14 Punkt 2 Satzung ESZB). Damit sind die gewählten Direktoriumsmitglieder möglicherweise von länger amtierenden, weil wiedergewählten Mitgliedern des EZB-Rates umgeben. Da außerdem bei währungspolitischen Beschlüssen die Stimmen der nationalen Zentralbankpräsidenten nicht gewogen werden (Art. 10.2 der ESZBSatzung), besteht die Gefahr, daß größere Volkswirtschaften von einer Mehrheit kleiner und möglicherweisefinanzschwächerer Mitglieder überstimmt werden, vgl. hierzu Streinz (FN 14), Rdnr. 901. 147 Ähnlich auch Herdegen (FN43), Rdnr. 388. 148 Vgl. aus dem umfangreichen Schrifttum Biskup (Hrsg.), Globalisierung und Wettbewerb, 1996; Pitschas (Hrsg.), Globalisierung der Wirtschaft, 1998. 149 Vgl .H.Berg (Hrsg.), Globalisierung der Wirtschaft: Ursachen-Formen-Konsequenzen, 1999; Beyfuß/Fuest/Grömling/Klös/Kroker/Lichtblau/Weber, Globalisierung im Spiegel von

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nen sind der rasante technische Fortschritt im Verkehrs- und Kommunikationswesen 150 , die Veränderung der politischen Rahmenbedingungen durch den Wegfall des Ost-West-Konfliktes, die ungebremste Multinationalisierung der Unternehmenstätigkeit 151 , die parallel zur Globalisierung verlaufende Regionalisierung der Weltwirtschaft 152 und nicht zuletzt eine sich an der klassischen Freihandelslehre orientierende Außenwirtschaftspolitik zahlreicher Staaten, darunter inzwischen auch Transformations- und Entwicklungsländer 153. Für den Nationalstaat und seine Rechtsordnung hat die Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft gravierende Folgen. Mögen die Staaten heute auch noch die Hauptakteure des internationalen Systems sein, so wächst doch unübersehbar der Einfluß von internationalen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und multinationalen Unternehmen auf die Weltpolitik. Aufgrund der Interdependenz in fast allen Politikbereichen 154 muß der Staat erhebliche Souveränitätseinbußen in Kauf nehmen, um andererseits als offener Verfassungsstaat durch zwischenstaatliche Kooperation Handlungsspielräume zurückzugewinnen 155. Ganz allgemein läßt sich für das Recht ein Prozeß der Privatisierung der Rechtserzeugung156, der Deterritorialisierung der Rechtsetzung und Rechtsein Wirkung 157 sowie der Rechtsangleichung und Rechtsvereinheitlichung beobachten. Gleichzeitig sieht sich der Staat einem sich verschärfenden Standortwettbewerb um Investitionen und Arbeitsplätze ausgesetzt158, der ihn zwingt, verkrustete Strukturen aufzubrechen und seine Reformfähigkeit unter Beweis zu stellen159. 2. Die Globalisierung des Rechts Als Motor der Globalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts 160 hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 1994 die neue Welthandelsorganisation (WTO) erwiesen. Der von ihr ausgehende Internationalisierungsdruck ist ungleich stärker als unter dem alten GATT 1947, welches durch seinen provisorischen Charakter, die Zersplitterung Theorie und Empirie, 1997, S.5ff. Vgl. auch die Zahlen bei: WTO, Annual Report, 2001; UNCTAD, World Investment Report, 2001. 150 Vgl. zur Bedeutung technischer Basisinnovationen Klump, in: Hilterhaus/Scholz (Hrsg.), Rechtsstaat - Finanzverfassung - Globalisierung, 1998, S. 31 ff. 151 Zum Rechtsbegriff des multi- oder transnationalen Unternehmens vgl. Großfeld, Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl. (1995), S.5ff. 152 Dazu Oppermann, in: FS Fikentscher, 1998, S. 958 ff. 153 Siehe auch Stober (FN9), S. 32f. 154 Vgl. zur ökonomischen Interdependenz Jackson, Law & Policy, in: Int. Bus. 24 (1993), S. 1025 ff. 155 Vgl. Pitschas, in: Hilterhaus/Scholz (FN 150), S.55 (55f.). 156 Dies gilt vor allem für das private Wirtschaftsrecht; vgl. Berger, JZ 1999, S. 369 ff. 157 Dazu Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994. 158 Vgl. Reiner Schmidt, WUR 1990, S. 1 ff. 159 Vgl. Scholz, in: FS Zacher, 1998, S. 987 ff. 160 Dazu Reiner Schmidt, Beiheft 2 zu Die Verwaltung 32 (1999), S. 165 ff.

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seiner Rechtsgrundlagen und die geringe Durchsetzungskraft seiner Handelsregeln geschwächt war 161 . Der WTO-Rechtsordnung kommt demgegenüber nicht nur ein stärkerer Geltungsanspruch zu, sondern sie trägt durch die Einrichtung eines effektiven Streitschlichtungsmechanismus auch zur notwendigen Juridifizierung der Welthandelsordnung bei und verhilft damit der „Rule of Law" auf internationaler Ebene zur Durchsetzung 162. Zudem wirkt das WTO-Regelwerk nicht mehr nur primär auf das Außenwirtschaftsrecht ein, sondern auch auf andere Teilmaterien des öffentlichen Wirtschaftsrechts. So wurde der auf europäischer Ebene bereits erfolgten Markterweiterung und -Öffnung im Telekommunikationssektor 163 durch die auf der Grundlage des Allgemeinen Übereinkommens über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS) 164 stattfindenden WTO-Verhandlungen über Telekommunikationsdienstleistungen eine multilaterale Dimension verliehen 165 . Die im Zuge der Liberalisierung des Telekommunikationsrechts erfolgte Senkung der Verbindungsentgelte166 ist dabei ein deutlicher Beleg für die These, daß Freihandel nicht nur der Exportindustrie hilft, sondern auch dem einheimischen Verbraucher ökonomische Vorteile und damit gesamtwirtschaftlichen Nutzen bringt. Der Harmonisierungsgedanke steht im Vordergrund der Abkommen zum Subventionsrecht 167, zum öffentlichen Auftragswesen 168 und zum Lebensmittelrecht 169. Daß es dabei zu wohl unvermeidbaren Friktionen der sich überlagernden Teilrechtsordnungen kommt, zeigen der Streit um die EU-Bananenmarktordnung 170 und das Einfuhrverbot für hormonbehandeltes Rindfleisch 171. Die Europäische Union und ihre Organe werden in Zukunft akzeptieren müssen, daß nicht nur das Europarecht Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht genießt, sondern auch eine Ebene höher das Wirtschaftsvölkerrecht im Gemeinschaftsrecht stärkere Beachtung verlangt 172. 161

Vgl. Stoll, ZaöRV 54 (1994), S.241 (245) m.w.Nachw. Vgl. Petersmann, JIEL 1 (1998), S.25ff. 163 Dazu Hoffmann-Riem, in: Reiner Schmidt (FN4), § 6 Rdnr. 39; Ordemann, Archiv PT 1997, S. 109 ff. 164 Vgl. allgemein zum GATS Barth, EuZW 1994, S. 455 ff. 165 Vgl. Barth, Archiv PT 1997, S. 112ff.; Ellger, in: ders./Kluth, Das Wirtschaftsrecht der Internationalen Telekommunikation in der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 171 (207 ff.); Heilbock, MMR 1998, S. 129 ff. 166 Vgl. Fredebeul-Krein/Freytag, FAZ Nr. 44 vom 21.2.1998, S. 13. 167 Dazu Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung, 1995, S. 251 ff. 168 Dazu Haase, Internationale Harmonisierung des öffentlichen Auftragwesens, 1997; Sottési, EWS 1999, S. 81 ff. 169 Eckert, ZLR 1995, S.363ff.; Rabe, ZLR 1998, S. 129ff.; Ritter, EuZW 1997, S. 133ff.; Streinz, UTR 36 (1996), S. 435 ff. 170 Vgl. zur WTO-Konformität der reformierten Bananenmarktordnung Jürgensen, RIW 1999, S. 241 ff.; Kuschel, EuZW 2000, S. 203 ff. Zum Verhältnis völkerrechtlicher Verträge der Mitgliedstaaten zum Europarecht vgl. Klaus Vogel, FS Knöpfle, 1996, S. 387ff. 171 Zur Entscheidung der WTO-Berufungsinstanz Eggers, EuZW 1998, S. 147 ff. 172 Vgl. Epiney, EuZW 1999, S.5 ff., die von einem „beschränkten Primat" des europäischen Primärrechts ausgeht, wobei die Beschränkung in der effektiven Wirksamkeit und Beachtung 162

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Reiner Schmidt

Auch wo in vernachlässigten Rechtsgebieten wie dem Gewerbe- oder Handwerksrecht noch kein rechtlicher Zwang zur Öffnung der Märkte besteht, muß sich das öffentliche Wirtschaftsrecht dem Systemwettbewerb der Rechtsordnungen stellen und überkommene Rechtsinstitute überdenken. So stellt sich vor dem Hintergrund des vielbeschworenen „global village" die Frage, ob tatsächlich noch am gewerberechtlichen Einheimischenprivileg festgehalten werden kann 173 und ob die antiquierte Meisterprüfung im Handwerksrecht, abgesehen von ihrer verfassungsrechtlichen Fragwürdigkeit, im Zeitalter internationaler Arbeitsteilung tatsächlich noch zwingend notwendig ist, um die Einhaltung des Leistungsstandes und der Leistungsfähigkeit des deutschen Handwerks zu sichern 174. Regelungsbedarf besteht auf internationaler Ebene insbesondere im Hinblick auf ein multilaterales Abkommen zum Investitionsschutz. Nachdem die Verhandlungen im Rahmen der OECD gescheitert sind 175 , soll nun ein zweiter Anlauf in der WTO unternommen werden 176. Ferner wird angesichts der anhaltenden Fusionswelle der Ruf nach einer internationalen Wettbewerbsordnung unter Einbeziehung der Kartellkontrolle lauter 177 . Der von einer international zusammengesetzten Arbeitsgruppe entwickelte „Draft International Antitrust Code" 178 bietet hierfür eine geeignete Grundlage. Schließlich steht die bessere Berücksichtigung des Umweltschutzes im Rahmen der Welthandelsordnung weiterhin auf der völkerrechtspolitischen Agenda 179 . Es bleibt abzuwarten, inwieweit die auf der WTO-Minister-Konferenz im November 2001 in Doha eingeleitete neue Welthandelsrunde der WTO diesen Erwartungen gerecht werden und neue Impulse für die Globalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts bringen wird. VI. Schluß Für die weitere Entwicklung des öffentlichen Wirtschaftsrechts im Euro-Währungsgebiet könnte ein Vergleich mit Japan reizvoll und ergiebig sein, sind sich doch beide Volkswirtschaften ähnlicher als die mancher Mitgliedstaaten der Europäischen Union untereinander. So sind etwa die Merkmale der Produktion vergleichbar. Auf die Vorprodukte, wie ζ. B. aus den Bereichen der Landwirtschaft, Fischerei und Forstwirtschaft, entfallen in beiden Wirtschaftsgebieten rund 2% der Gesamtleistung. Der Dienstleistungssektor macht ungefähr 67% der Gesamtleivölkerrechtlicher Verpflichtungen gesehen wird. Siehe auch Petersmann, EuZW 1997, S.325ff.; A. Weber/Moos, EuZW 1999, S.229ff; v.Bogdandy, EuZW 2001, S.360ff. 173 Vgl. BurgU JZ 1999, S. 873 ff. 174 Kritisch Meier, in: Reiner Schmidt (FN 18), § 10 Rdnrn. 46 ff. 175 Zum geplanten M A I vgl. Karl, RIW 1998, S. 432ff. Allgemein zum Investitionsschutz im Völkerrecht Häde, AVR 35 (1997), S. 181 ff. 176 Vgl. Hartwig, Außenwirtschaft 54 (1999), S.75ff. 177 Vgl. Basedow, Weltkartellrecht, 1998; Immenga, in: FS Fikentscher, 1998, S.919ff. 178 Dazu Fikentscher, GRUR Int. 1996, S. 543 ff.; ders./Heinemann, WuW 1994, S.97ff. 179 Dazu Reiner SchmidtßVolfgang Kahl, in: Rengeling (Hrsg.), EUDUR, 1998, Bd. II, § 90.

„Europäisierung" des öffentlichen Wirtschaftsrechts in Deutschland

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stung des Währungsgebietes aus und ist damit über dem von Japan (59 %). Mit 31 % der Gesamtleistung im Euro-Währungsgebiet liegt der Industriesektor unter dem Anteil Japans. Gemessen am Anteil der Staatsausgaben am BIP ist der Staatssektor mit 49 % deutlich größer als in Japan mit 39 %. Dies liegt vor allem an unterschiedlichen Sozialsystemen. Die laufenden staatlichen Übertragungen an die privaten Haushalte im Euro-Währungsgebiet sind höher als in Japan, ebenso die Bereitstellung von Kollektivleistungen. Vergleichbar ist aber die Finanzstruktur insofern, als Bankeinlagen am BIP im Euro-Währungsgebiet 84% betragen, in Japan 99%. Die Forderungen aus Krediten inländischer Banken gemessen am BIP sind in Japan und im Euro-Währungsgebiet ungefähr genauso hoch. Der notwendigerweise grobschlächtige Vergleich 180 läßt unter anderem den Schluß zu, daß bei den Mitgliedstaaten der europäischen Währungsunion erhebliches Potential für Liberalisierungen liegt. Für die Umsetzung der Verpflichtung der Wirtschaftspolitik (Art. 4 EGV) auf den Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb besteht deshalb im europäischen Währungssystem noch entsprechender Aktionsraum.

180 Genaueres Zahlenmaterial im Monatsbericht der EZB, Januar 2002, insbes. Statistik des Euro-Währungsgebiets, S.71 f.

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Diskussion zu den Referaten von Kiminori Eguchi und Reiner Schmidt Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Alexandra Müller Seah eröffnete die Diskussion mit einer Frage an Schmidt. Er stelle fest, daß die staatliche Souveränität zunehmend abnehme. Deswegen richte sich seine Frage darauf, ob diese Abnahme der staatlichen Souveränität akzeptiert werde. Man könne davon ausgehen, daß nur wenige Regierungen ihre Souveränität abgeben wollen. Er gab zu bedenken, daß Deutschland dann weniger Kontrolle über Arbeitsplätze und die Wohlfahrtsentwicklung haben werde. Hong Schloß sich mit der Frage an Schmidt an, wie die Grundposition von Schmidt zum U.S.-amerikanischen Prinzip der Extraterritorialität sei. Dr. Christian Koch, Speyer, beendete diese erste Fragerunde mit einer Bemerkung gegenüber Eguchi. Er lobte die idealtypische Darstellung einer modernen westlichen Wirtschaftsverfassung in der entwickelten Gesellschaft, die von einem Demokratisierungskonzept über industriepolitische Interventionen auch unter Berücksichtigung sozialpolitischer Aspekte hin zu einer Öffnung führen würde. Gleichzeitig wies Koch auf die Darstellung der anderen Seite durch Eguchi hin, die der fortbestehende Konflikt zwischen industriepolitischer Entwicklung und Öffnungstendenz charakterisiere. Koch merkte an, es beständen in ähnlicher Weise auch in der europäischen Wirtschaftsentwicklung Spannungsfelder zwischen industriepolitischen Konzepten, sozialpolitischen Aspekten und einer wirtschaftspolitischen Öffnung und Ausweitung der Handlungsfelder der Nationalstaaten in die Gemeinschaft hinein und darüber hinaus. Allerdings gebe es auch Gegentendenzen und Vorbehalte, die ja auch EG-primärrechtlich formuliert seien. Hieran schlossen einige Fragen an: Wie würde sich ein Wirtschaftsverfassungsrecht in diesem Rahmen einrichten lassen? Wird es eher, wie im Rahmen der offenen Wirtschaftsverfassung Deutschlands, auf grundrechtliche Position orientiert sein, oder wird ein wirtschaftspolitisches Gesamtkonzept in der Verfassung verankert? Welche Rollen spielen sozialpolitische oder auch industriepolitische Erwägungen? Eguchi antwortete darauf, daß das Verhältnis zwischen der japanischen Industriepolitik und Sozialpolitk außerordentlich komplex sei. Er zog als Beispiel das Kartellamt heran. Die japanische FDC sei, im Gegensatz zum deutschen Kartellamt, ein unabhängiges Staatsorgan und dem Wirtschaftsministerium nicht untergeordnet. Der Grund für diese Vorgehensweise sei, daß den japanischen Wrrtschaftsbeamten

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Diskussion

der Wettbewerbsgedanke sonst verloren ginge. Deswegen hätte man sich in Japan für eine Trennung entschieden. In Deutschland sähe es dagegen anders aus. Das Kartellamt könne hier eine Unterordnung erfahren, weil der Wirtschaftsgedanke bei den Beamten verankert sei. Damit sei deutlich, daß Japan bezüglich des Wettbewerbsgedankens einen anderen Ausgangspunkt habe. Auf die Frage von Seah meinte Schmidt, eine allgemeine Aussage dazu falle sehr schwer. Für die BRD sei ein wesentliches Indiz die Grundhaltung zum Euro. Man war Anfangs außerordentlich skeptisch über diese gemeinsame Währung. Die Deutschen mußten ihr liebstes Kind - die D M - aufgeben und man habe die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank transferieren müssen auf das nicht ganz durchsichtige Gebilde der europäischen Zentralbank. Wenn man den Umfragen glauben könne, habe man die Abschaffung der DM durch den Euro in der Zwischenzeit aber ganz gut verkraftet. Damit würden auch in übrigen Bereichen keine wesentlichen Schwierigkeiten mit einer weitergehenden Integration entstehen. Andererseits werde es in anderen Ländern, wie Frankreich und Großbritanien, durchaus Schwierigkeiten geben, wenn tradierte Verfassungselemente sich dadurch verändern sollten. In England habe man mit der schwachen Legitimationsgrundlage einer EZB weiterhin alle Mühe. Im Ganzen werde jedoch die Besinnung auf Souveränitätsrechte den europäischen Einigungsprozeß nicht wesentlich hindern. Im Anschluß widmete Schmidt sich der Frage von Hong, die auf den Bezug der Extraterritorialität zu der Anerkennung von Urteilen abstellte. Hier lautete die Antwort, man werde schrittweise vorankommen und auf keine wesentlichen Probleme stoßen. In bezug auf die europäische Wirtschafts- und Währungsunion führte Schmidt aus, daß man willens sei, diesen Markt und den unverfälschten Wettbewerb als Leitprinzip durchzusetzen. Dieser Wille bestehe zumindest Seitens des EuGH. Die Rechtsprechung zu den Beihilfeverboten spräche ja Bände. Aus seiner Sicht seien Befürchtungen, die verbunden sind mit dem Industrieartikel des 163 EGV, so etwas wie eine französische Planifikation einzuführen, unberechtigt. Dies gelte, soweit der Grundkonsens in bezug auf die Verwirklichung des Binnenmarktes erhalten bleibe und der EuGH bei seiner Linie bleibe. Pitschas stellte an diesem Punkt fest, der von Schmidt angesprochene Tatbestand lasse in der Tat Raum für weitere marktwirtschaftliche und wettbewerbliche Aktivitäten der Gemeinschaft. Jedoch sei fraglich, ob auch alle sozialen Transfers in dem Maße einbezogen würden, wie sie einem vorschweben. Der entscheidende Angelpunkt sei, ob die Überlegungen zur offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb auf den Gesamtbereich der sozialen Dienstleistungen und der sozialen Unternehmen im weiteren Sinne - also auf öffentliche Unternehmen mit sozialem Charakter - ausgedehnt werden könnten. Ihm scheine, die Rechtsprechung des EuGH sei nicht in letzter Weise klar. Nach seiner Ansicht läge es näher, nicht nur von einer Verpflichtung der Gemeinschaft auf den freien Wettbewerb zu sprechen, sondern auf einen sozial gebundenen Wettbewerb. Man solle nicht vergessen, daß bei den Überlegungen zu der „Rule of Law4' innerhalb der EU das Sozialstaatsprinzip

Diskussion

gleichberechtigt neben dem Wirtschafts- und Wettbewerbsprinzip stehe. So gesehen, müsse bei den Sozialtranfers und der Bereitstellung von Kollektivleistungen nachgearbeitet werden. Pitschas mahnte in diesem Zusammenhang, man solle nicht aus dem Auge verlieren, daß anders als in den USA die EU als Region eine prinzipielle Entscheidung für einen sozialgebundenen Wettbewerb getroffen habe. Schließlich wandte sich Pitschas mit einer Reihe von Fragen an Eguchi. Er bezog sich auf die wirksame Wettbewerbspolitik, zu der Japan übergegangen sei. Durch die Intensivierung der Möglichkeiten und Orientierung an dem modernen „anti-trust"-Recht komme es zu einer zunehmenden Deregulierung, in deren Verlauf sich folgende Probleme ergäben: Was werde gegen inneres Unternehmenswachstum getan? Denn sofern sich Unternehmen aus eigener Kraft entwickelten, wie auch der Telekommunikationssektor, könne dies mit den Mitteln der Kartellkontrolle schlecht gesteuert werden. Japan scheine im übrigen zu einem riesen Unternehmenskonglomerat zusammenzuwachsen. Könne man da eigentlich noch von Privatsektor und Deregulierung sprechen? Oder sei dies nicht nur eine geschickte Strategie der japanischen Wirtschaft, gleichsam zu privatisieren, aber die Größeneffekte beizubehalten? Eguchi erwiderte darauf, daß es das schwierigste Problem im Kartellrecht sei, gegen das innere Wachstum vorzugehen. Bisher sei dieses Problem, dass überall und nicht nur in Japan bestehe, noch nicht gelöst. Das Kartellgesetz habe die Vorschrift des § 2 Absatz 7 (Regelung gegenüber monopolistischem Zustand), durch die man das innere Wachstum teilweise erfassen könne. Dies Vorschrift sei die Antwort der japanischen Wirtschaftspolitik auf das innere Wachstum. Sie beinhalte eine 2-fache Lösung, nämlich eine kartellrechtliche und die behördliche Kontrolle. Das Problem sei jedoch, diese zwei Ansätze zu integrieren. Die Umsetzung sei nach wie vor in Japan umstritten. In seinem Schlußwort wies Schmidt kurz und knapp auf Art. 2 EGV hin, der ein hohes Maß von sozialem Schutz anstrebe.

Die Reform des Datenschutzrechts in Deutschland Von Rainer Pitschas I. Datenschutz in der transnationalen Informationsgesellschaft Der Übergang von der Industrie- zur globalen Informationsgesellschaft ist längst vollzogen. Deren Grundtypus wird durch den Umstand gekennzeichnet, daß in ihr ein explosionsartiges und informationstechnisch ermöglichtes Wachstum der Kommunikationsmöglichkeiten und -bedürfnisse von Bürgern, Wirtschaftsgesellschaft und Staat festzustellen ist. Im Zuge dieser Entwicklung ändern sich Qualität und Quantität der verfügbaren Informationen. Zugleich erweitern und verändern sich die Medien der interaktiven Kommunikationsbeziehungen. Schließlich kommt es in Gesellschaft und Staat sowie zwischen beiden zu veränderten Formen wechselseitiger und rechtsgeschäftlicher Kommunikation. Beispiele hierfür sind die Entstehung einer virtuellen Verwaltung, die Zunahme von „Electronic Government" sowie „Electronic Commerce" bei gleichzeitiger Entwicklung eines B2B-Business und dem Entstehen eines internationalen Kommunikations Verbundes. Die Instrumente hierfür sind vor allem das Internet bzw. das Intranet. „Information" erweist sich in jeder Hinsicht als Schlüsselbegriff des Wandels der Staatsfunktionen und der Evolution der Zivilgesellschaft. Von daher steht der Begriff der „Informationsgesellschaft" für einen gesamtgesellschaftlichen und staatlichen Rationalisierungsprozeß weltweiter Natur. Er prägt die Entwicklung globaler Märkte ebenso wie die der technischen Zivilisation, die Individualisierung von Lebenslagen, den gesellschaftlichen Wertewandel und die funktionale Differenzierung der bürgerlichen Gesellschaften in aller Welt. Meine daran anschließende These ist, daß dieser Rationalisierungsvorgang national, transnational und international nach einer neuen Balance zwischen freiem Datenverkehr, staatlichem Datenschutzrecht und gesellschaftlichem Selbstschutz verlangt. Verantwortlich für deren Herstellung ist zunächst der Staat. Ihn trifft insoweit ein objektiv-grundrechtlicher Auftrag zur Förderung einer Infrastruktur für Information und Kommunikation, die sich an der höchstmöglichen Entfaltung aller Teilnehmer in den Kommunikationsvorgängen nach Maßgabe der informationellen Selbstbestimmung orientiert. Zugleich ist staatlicherseits eine informationelle Grundversorgung zu gewährleisten.

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Rainer Pitschas

1. Datenschutz durch Verwaltungsrecht Dementsprechend muß das Verwaltungsrecht als staatliches Steuerungspotential auf die sich neu herausbildenden Kommunikationsmuster reagieren. Dies gilt einerseits für die Binnenbeziehungen der öffentlichen Verwaltung, was den Auftrag zu Verwaltungsreformen einbeschließt. Daneben und andererseits kommt der Verwaltung die Aufgabe zu, in der Wirtschaftsgesellschaft den Daten- und Persönlichkeitsschutz zu sichern und für die Bürgerfreundlichkeit sowie Chancengerechtigkeit bei der Nutzung neuer Informationstechnologien zu sorgen. Das Verwaltungsrecht gewährleistet auf diese Weise in der Informationsgesellschaft individuelle und kollektive Freiheitsinanspruchnahme. 2. Nationales Informationsverwaltungsrecht und Europäisches Datenschutzrecht Eine wesentliche Rolle übernimmt dabei das Informationsverwaltungsrecht. In seiner Gestalt als staatliches Informations- und Datenschutzrecht gewährleistet es gleichermaßen den Schutz der Vertraulichkeit von Kommunikationsvorgängen, die Sicherung der Informationsteilhabe, den Auftrag zur Informationsvorsorge und zur freien Entfaltung des Datenverkehrs. Dabei müssen für die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat in der Europäischen Union (EU) die europarechtlichen Vorgaben beachtet werden. Hierbei steht die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr im Vordergrund. Diese europäische Rechtsetzung will die Informationsrechte der Bürger in der EU stärken und die Mitgliedstaaten zur Einrichtung staatlicher Kontrollstellen verpflichten, mit deren Hilfe die Einhaltung der in Umsetzung der Richtlinie geschaffenen nationalen Vorschriften ermöglicht werden soll. Durch die Richtlinie wird ein einheitliches Datenschutzniveau für die Ausführung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten der EU geschaffen. Dabei verzichtet der europäische „Gesetzgeber" auf eine Differenzierung für die Geltung des europäischen Datenschutzrechts zwischen öffentlichem und nicht öffentlichem Bereich. Alle Vorschriften der Richtlinie finden daher auch im nicht öffentlichen Bereich uneingeschränkt Anwendung, ζ. B. der Grundsatz der Zweckbindung. Die Auswirkungen des insoweit nunmehr geschaffenen Europäischen Datenschutzrechts auf die Wirtschaft sind erheblich. So werden Informationspflichten im Rahmen der Erhebung personenbezogener Daten durch Wirtschaftsunternehmen bei dem Betroffenen eingeführt sowie für bestimmte automatische Verarbeitungen die sog. Vorabkontrolle geregelt. Ferner sieht sich die Wirtschaft dem Gebot unterworfen, Kommunikationstechnik nach dem Maßstab des Prinzips der Datenvermeidung und -sparsamkeit einzusetzen.

Die Reform des Datenschutzrechts in Deutschland

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3. Informationsverwaltungsrecht als öffentlich-rechtliche „Auffangordnung " Indem das europäische Datenschutzrecht in seinen Anordnungen nicht mehr zwischen dem öffentlichen und nicht öffentlichen Sektor trennt, kommt es zu einer eigentümlichen Verzahnung zwischen dem öffentlichen Datenschutzrecht als Teil des Informationsverwaltungsrechts einerseits und dem Wirtschaftsrecht und seinen Handlungsrationalitäten andererseits. Kraft des staatlichen Auftrags zur Förderung der gesellschaftlichen Kommunikationsinfrastruktur und zum Schutz der Bürger bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch Wirtschaftsunternehmen entwikkelt sich das Datenschutzrecht als ein Steuerungspotential wirtschaftsgesellschaftlicher Vorgänge. Die Frage bleibt, ob die damit einhergehende Übertragung der Leitideen, Denkmuster, dogmatischen Figuren und Instrumente aus dem Informationsverwaltungsrecht funktionell geeignet ist, den Datenverkehr in der Wirtschaft zielführend zu steuern. II. Das „neue" Datenschutzrecht in Deutschland 1. Die Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes Vor diesem Hintergrund sieht sich nunmehr die Anpassung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) an die Europäische Datenschutzrichtlinie, die ihrerseits am 13. Dezember 1995 in Kraft getreten war, ins Werk gesetzt. Insoweit durch die Richtlinie ein einheitliches Datenschutzniveau für die Ausführung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten der EU geschaffen wurde, erwies sich auch der innergemeinschaftliche Datenverkehr und derjenige innerhalb eines Mitgliedstaats als reformbedürftig. Für den Austausch personenbezogener Daten mit Drittstaaten sieht die Richtlinie ebenfalls die grundsätzliche Geltung der gemeinschaftsrechtlichen Standards vor, ohne freilich den Wirtschaftsverkehr unangemessen beeinträchtigen zu wollen. In diesem Sinne ist die Novellierung des BDSG darauf ausgerichtet, die Richtlinie in dem erforderlichen Umfang umzusetzen und dabei von den zur Verfügung stehenden Optionen in einer möglichst kostengünstigen Weise Gebrauch zu machen. Im einzelnen nimmt das Gesetz den Grundsatz der Datenvermeidung und -sparsamkeit sowie den Vorrang pseudonymer und anonymer Formen der Datenverarbeitung in seine Regelungsgesamtheit auf. Zugleich werden Informationspflichten im Rahmen der Erhebung personenbezogener Daten beim Betroffenen auch im nicht öffentlichen Bereich eingeführt. Darüber hinaus wird die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen („Video-Überwachung") durch Verwaltung und/oder Wirtschaftsunternehmen ermöglicht aber gleichzeitig die Verpflichtung verankert, sie auch kenntlich zu machen. Zudem wird bei sog. automatisierten Einzelentscheidungen ein Auskunftsrecht eingeführt.

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Gleichzeitig sieht sich die bestehende Meldepflicht für nicht öffentliche Stellen modifiziert. Bestimmte automatisierte Datenverarbeitungen bedürfen künftig einer Vorabkontrolle. Im öffentlichen Bereich wird schließlich die Bestellung behördlicher Datenschutzbeauftragter obligatorisch. 2. Schwerpunkte der Novellierung Ein Schwerpunkt der Novellierung des Datenschutzrechts liegt in der Steigerung von Transparenz der Datenverarbeitung. Sie wird zugunsten des Bürgers u. a. durch die Ausdehnung der Benachrichtigungspflicht des Betroffenen von der Speicherung/Weitergabe seiner Daten auch auf den öffentlichen Bereich erhöht. Vor allem aber dient der Bürgerfreundlichkeit die neue Vorschrift, wonach belastende Entscheidungen, die aufgrund von Persönlichkeitsprofilen ohne zusätzliche Überprüfung durch einen Menschen getroffen werden, grundsätzlich verboten sind. Das Gesetz sieht zudem eine Reihe von Restriktionen vor, die im Zusammenhang mit der Verarbeitung sog. sensitiver Daten stehen. Dazu sind solche zu zählen, aus denen die rassische und ethnische Herkunft eines Menschen, seine politischen Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen bzw. die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen. Ferner rechnen dazu Daten über Gesundheit oder Sexualleben. Der Umgang mit diesen Daten wird besonderen Einschränkungen sowohl im öffentlichen als auch im nicht öffentlichen Bereich unterworfen. Unter dem Aspekt der Erhaltung der unternehmerischen Freiheit und möglichst uneingeschränkter wirtschaftlicher Betätigung ist die Neuregelung der Übermittlung personenbezogener Daten in Drittstaaten bedeutsam. Sie ist grundsätzlich nur bei Vorliegen eines angemessenen Datenschutzniveaus im Drittstaat zulässig. Durch einen breiten Ausnahmekatalog wird indessen sichergestellt, daß der Wirtschaftsverkehr nicht unangemessen beeinträchtigt wird. Schließlich bleibt das sog. Medienprivileg

in weitem Umfang gewahrt.

3. Ausnahmen und Regelungsdefizite Die Datenverarbeitung von Polizei- und Nachrichtendiensten wird, weil sie auch von der Europäischen Datenschutzrichtlinie nicht erfaßt ist, durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht geregelt. Es bleibt bei dem jeweils bestehenden bereichsspezifischen Datenschutzrecht. Soweit in den dort vorfindlichen Normen, etwa für die Polizei, den Bundesgrenzschutz und die Nachrichtendienste des Bundes, Rechtsgrundlagen zur Videoüberwachung und -aufzeichnung enthalten sind, bleiben diese unberührt. Allerdings gilt für diejenigen privaten Datenverarbeiter, die mit Polizei- und Nachrichtendiensten zusammenarbeiten, das BDSG. Mehr denn je bleibt darüber hinaus zu fragen, wie sich die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Datenschutzes mit der Vermarktung der Daten und den Auswirkun-

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gen dieser auf den Umgang mit personenbezogenen Angaben vertragen. Hierzu bedarf es u. a. der sorgfältigen Abstimmung der bereichsspezifischen Vorschriften mit der Neufassung des BDSG. Es liegt auf der Hand, daß die gesetzlichen Datenschutzanforderungen im gesamten Verwaltungsrecht nicht auf einige wenige Generalklauseln beschränkt werden dürfen. Erst recht verbieten sich nichtssagende, nur aus Verweisungen bestehende Regelungen. Gleiches gilt für die Entwicklung eigenständiger, unabhängig voneinander bestehender, verselbständigter Datenschutzsysteme, wie dies etwa im Telekommunikationsrecht der Fall ist. Dementsprechend versteht sich die Novellierung des BDSG derzeit als eine zweite Reformstufe auf dem Weg zu einer umfassenden, noch bevorstehenden Neukonzeption des BDSG. Deren Ziel liegt dann in der Verbesserung und Vereinheitlichung des Schutzes der Betroffenen im öffentlichen und im privaten Bereich. In Verbindung hiermit wird das gesamte bereichsspezifische Datenschutzrecht daraufhin zu überprüfen sein, ob ein einheitliches hohes Datenschutzniveau in Deutschland besteht. Zu diesem Datenschutzniveau rechnen auch ein geschlossener Arbeitnehmerdatenschutz einerseits sowie eine konsistente Regelung des Zugangs der Bürger zu den bei Behörden vorhandenen Informationen andererseits. Der freie Zugang zu Informationen erhöht die Bürgernähe und Transparenz der öffentlichen Verwaltung. Dementsprechend wird auf Bundesebene ein Informationszugangsgesetz zu schaffen sein. III. Datenschutz in der verantwortungskooperativen Informationsgesellschaft 1. Datenschutz als verfassungsgebotenes Informationsgesellschaft

Strukturelement

der

Datenschutz zu gewährleisten, ist ein verfassungsrechtlicher Auftrag nicht nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat. Zwar konzentrierte sich das Datenschutzrecht in der Vergangenheit vor allem auf einen entsprechenden abwehrrechtlichen Schutz der informationellen Selbstbestimmung gegenüber Staatshandeln. Doch mit der Fortentwicklung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu einem umfassenden Kommunikationsgrundrecht erstreckt sich dessen Gewährleistungsgehalt nunmehr ebenso auf die Informationsbeziehungen zwischen den privaten Akteuren der Informationsgesellschaft. Damit verbindet sich zugleich die staatliche Aufgabe, innerhalb der Gesellschaft sowohl kreative Kommunikation und effiziente Informationsflüsse als auch den Schutz persönlicher und insbesondere sensitiver Daten des einzelnen sicherzustellen. Denn heute leben ganze Wirtschaftszweige von dem Handel mit dem „Rohstoff Information". Ihn auszubeuten, unternehmen die privaten Interessenten bzw. Unter-

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nehmen die größten Anstrengungen. So kann man sich Informationen beschaffen durch Befragung von Wissensträgern (Sachverständige, Informanten, Zeugen u. a. m.), durch Studium und Auswertung öffentlich zugänglicher oder auch vertraulich erschlossener Quellen, durch heimliches Beobachten, Belauschen und Aushorchen, durch den Ankauf oder auch Diebstahl von Dokumenten, ebenso aber auch durch die elektronisch ermöglichte Rekonstruktion der Lesegewohnheiten am PC, die mit Hilfe von Kreditkarten generierten Bewegungsprofile, die Doppelfunktion von Suchmaschinen, durch das Internet zu führen und zugleich die Surfgewohnheiten aufzunehmen. Auch die integrierte elektronische Patientenakte dokumentiert die ebenso grenzen- wie beispiellosen Verarbeitungsmöglichkeiten. 2. Gesetzliche Vorgaben für die Datenverarbeitung nicht öffentlicher Stellen Von daher ist es folgerichtig, daß gefährdete und schutzbedürftige Bereiche individueller Entfaltung in der Gesellschaft nicht erst gegen diskriminierende Eingriffe, sondern gewissermaßen schon im Vorstadium der Datenerhebung und -Verarbeitung durch informationelle Schranken gesichert werden, wenngleich dieser Schutz nach Maßgabe verhältnismäßiger Abwägung relativiert werden kann. Ebenso erscheint konsequent, daß niemand ohne die Gelegenheit zum Widerspruch und die Möglichkeit, den eigenen Standpunkt geltend zu machen, einer erheblich beeinträchtigenden Entscheidung unterworfen werden darf, die ausschließlich der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten entstammt. Hierbei geht es darum, den Bürgern die Möglichkeit eines Dialogs unter Menschen zu gewährleisten. Denn auch die Akteure der freiheitlich verfaßten Informationsgesellschaft benötigen zur Verwirklichung ihrer Freiheit den Dialog wie die Luft zum Atmen. Erst unverzerrte Interaktion und Kommunikation sichern die Subjektivität aller Mitglieder der Zivilgesellschaft, und erst sie ermöglichen den Informationsfluß in alle Richtungen - freilich auch dabei vor einer „Vermachtung" geschützt: § 28 BDSG n. F. sieht vor, daß bei der Erhebung personenbezogener Daten die Zwecke, für die diese Daten verarbeitet oder genutzt werden sollen, konkret festzulegen sind. Überhaupt unterliegt das überkommene Datenschutzrecht insofern erheblichen Veränderungen. Diese nehmen ihren Ausgangspunkt bei dem Wandel des Dateibegriffs und der Tatsache, daß dem Begriff der Akte keine eigenständige Bedeutung mehr zukommt. Vor diesem Hintergrund wird die Datenerhebung als eigenständige Verarbeitungsform begriffen. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Verarbeitung sind damit nunmehr auch bei der Erhebung personenbezogener Daten zu beachten. Zugleich sieht sich der Gedanke der Zweckbestimmung verdeutlicht: Personenbezogene Daten dürfen nur für festgelegte eindeutige und rechtmäßige Zwekke im Geschäftsverkehr erhoben und nicht in einer mit diesen Zweckbestimmungen nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden. Bereits bei der Datenerhe-

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bung ist der Betroffene über die Zweckbestimmung zu informieren; gleiches gilt für die Verarbeitung und Nutzung der Daten. Im übrigen ist der Grundsatz der Zweckbindung im nicht öffentlichen Bereich weitergehender als bisher zu verankern. Dementsprechend schafft das neue Datenschutzrecht eine über die bisherige Regelung hinausgehende Grenze der Zweckänderung. 3. Informationskooperation

von Bürger; Wirtschaft

und Staat

Eine solche Zweckänderung stellt auch die Übermittlung der erhobenen, verarbeiteten und gespeicherten personenbezogenen Daten jenseits ihrer Nutzung als Mittel für die Erfüllung eigener Geschäftszwecke an Dritte und namentlich den Staat dar (§ 28 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BDSG n. F.). Auch der Informationsaustausch zwischen Bürger, Wirtschaftsgesellschaft und Staat unterliegt damit verschärften Regelungen. Er soll allerdings keineswegs unterbunden werden. Denn Staat und Gesellschaft stehen beide zur Bewältigung der Zukunft stärker als je zuvor in einem Verhältnis der Verantwortungspartnerschaft: Der Staat hat dem Bürger die informationelle Selbststeuerung eben zu ermöglichen, wie dieser durch sein Engagement, d. h. durch Übermittlung von Daten an den Staat dessen Aufgabe der Informationsvorsorge prinzipiell unterstützen darf. In der Konsequenz dessen muß der Gesetzgeber die durch freien Informationsfluß garantierte Persönlichkeitsentfaltung in eigener Verantwortung durch eine entsprechende Öffnung der Geltungsreichweite des Datenschutzrechts und insoweit auch gegenüber der Verwaltung rechtlich instrumentieren. Denn es wäre geradezu treuherzig anzunehmen, daß machtvolle Private oder auch Staat und Verwaltung die in der Verfügbarkeit über Informationen liegende Macht durch Wissen nicht nutzen wollten. Der kommunikationsrechtliche Ausgangspunkt der informationellen Selbstbestimmung verlangt deshalb auch den Schutz des einzelnen gegenüber Informationseingriffen von privater Hand durch Datenübermittlung an staatliche Stellen. 4. Rechtliche Grenzen der Datenübermittlung Die Übermittlung erhobener, verarbeiteter, gespeicherter oder veränderter Daten durch Private auch an den Staat ist daher weiterhin zulässig. Freilich wird durch das „neue" Datenschutzrecht der Grundsatz der Zweckbindung weitergehend als bisher zur Geltung gebracht. Darüber hinaus sieht § 28 Abs. 3 BDSG n. F. vor, daß die Übermittlung oder Nutzung von Daten für einen anderen als den ursprünglichen Geschäftszweck nur unter eng gezogenen Voraussetzungen zulässig ist. Im übrigen begrenzt der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit dem Europäischen Datenschutzrecht den Begriff des die Übermittlung an den Staat legitimierenden Interesses; diese ist nur zulässig zur „Abwehr von Gefahren für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten", soweit Erforderlichkeit hierfür besteht.

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Rainer Pitschas

IV. Informationskooperation von Staat und Wirtschaft am Beispiel des Sicherheitsgewerbes 1. Informationskooperation

zwischen Sicherheitsgewerbe

und Polizei

Für die insoweit einschlägige Informationskooperation der Bürger und namentlich der Wirtschaft in Gestalt des Sicherheitsgewerbes mit dem Staat, dieser vertreten durch die Polizei- und Sicherheitsbehörden, bieten sich vielfältige Ansatzpunkte. So ließe sich daran denken, im Vorfeld von großen Sportveranstaltungen, Kongressen, öffentlichen Umzügen bzw. bei anderen Gelegenheiten miteinander über die Kundendaten der privaten Sicherheitsdienstleiter zu kommunizieren oder Erkenntnisse aus Personenschutztätigkeiten im Sicherheitsgewerbe an die Polizei zu übermitteln. Auch Ergebnisse der Videoüberwachung an Schnittstellen zwischen privaten und öffentlichen Räumen bzw. sensitive Daten des Gewerbes könnten die Polizei- und anderen Sicherheitskräfte interessieren. Schon das frühere Datenschutzrecht (§ 28 Abs. 2 BDSG a. F.) gestattete insofern die Übermittlung oder Nutzung der erhobenen Daten jenseits eigener Geschäftszwecke, soweit dies zur Wahrung öffentlicher Interessen erforderlich sein sollte. Somit waren Übermittlungen an Polizei- und Sicherheitsbehörden nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Doch bestand keine Mitteilungspflicht, sieht man einmal von der strafrechtlichen Maßgabe des § 138 StGB ab, wonach eine Verpflichtung für jedermann zur Anzeige geplanter schwerer Straftaten existiert. Diese kann sich im Einzelfall auch auf die Weitergabe personenbezogener Daten erstrecken. 2. Polizeirechtliche Grenzen der Indienstnahme privater Datenerhebung und -Verarbeitung Allerdings gilt aus der polizeirechtlichen Perspektive ein prinzipielles Indienstnahmeverbot privater Datenerhebung, -Verarbeitung und -nutzung durch Polizeidienststellen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung legt fest, daß die polizeiliche Datenerhebung und -Verarbeitung nur im Rahmen und nach Maßgabe der entsprechenden polizeigesetzlichen Regelungen unter dem gleichzeitigen Verbot eines „Sammeins auf Vorrat" erlaubt ist. Polizeibehörden und Sicherheitsgewerbe dürfen in ihrem Zusammenwirken („Informationsnetzwerk") diese Verfassungsschranken nicht dadurch umgehen, daß private Sicherheitsdienstleister jenseits einer bloßen „Melderfunktion" die zu tatsächlichen oder nur vermuteten kriminellen Vorgängen ermittelten Daten („mittelbare Vorfeldaufhellung") aktiv sammeln und sie sodann an Gefahrenabwehr- oder andere Polizeibehörden hilfreich weiterleiten. Dadurch würde überdies gegen den Grundsatz der offenen Datenerhebung verstoßen. Allenfalls wäre eine solche „Umwegnutzung" von Informationen durch die Polizei rechtlich zulässig, wenn sonst die Erfüllung gefahrenabwehrbehördlicher oder polizeilicher Aufgaben wesentlich gefährdet bzw. erheblich erschwert würde.

Die Reform des Datenschutzrechts in Deutschland

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Die Frage ist, ob das „neue" allgemeine Datenschutzrecht, also Art. 28 BDSG in seiner jetzt geltenden Fassung diesen sehr engen Rahmen erlaubter Übermittlung erweitert. Ich meine nicht. Der in Betracht zu ziehende unspezifische Rechtfertigungsgrund der Wahrung öffentlicher Interessen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 BDSG tritt im Regelfall hinter das Umgehungs- bzw. Indienstnahmeverbot des Informationsverfassungs- und Polizeiinformationsrechts zurück. Statt dessen bedürfte es einer speziell ausgeformten gesetzlichen Legitimation durch den Gesetzgeber. Denn die Übermittlung würde den durch die Datenerhebung an sich schon gegebenen Eingriff in die Rechte eines Bürgers noch verschärfen. 3. Allgemein-datenschutzrechtliche Grenzen der Datenübermittlung durch Private Auch Art. 28 Abs. 3 Nr. 2 BDSG ändert hieran nichts. Denn die Übermittlung der personenbezogenen Daten an die Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden durch Private bedürfte hiernach einer einzelfallbezogenen Legitimation i. S. der Erforderlichkeit zur Abwehr von Gefahren für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten. In der Regel geht es allerdings bei der Tätigkeit privater Sicherheitsdienstleister gerade nicht um die Abwehr konkreter Gefahren, sondern um Straftatenverhütung und Verfolgungsvorsorge. Das „neue" Allgemeine Datenschutzrecht kennt diese Formen nicht. Es trifft diesbezüglich auf eine von ihm nicht zur Kenntnis genommene Ausdifferenzierung des Polizeirechts aus dem überkommenen Gefahrenabwehrrecht. Zwar bleibt die traditionelle elementare Unterscheidung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als Ausgangsbasis für die polizeiliche Tätigkeit und dementsprechend für die Orientierung der Übermittlung von Daten daran seitens privater Sicherheitsdienstleister erhalten. Doch sind in den letzten Jahren neue Aufgaben und Befugnisse in die Polizeigesetze der deutschen Bundesländer aufgenommen worden, die insbesondere die vorbeugende Verbrechensbekämpfung und damit vorfeldorientierte bzw. proaktive Datenerhebung und -Verarbeitung ermöglichen. Auf keinem Fall erlaubt § 28 Abs. 3 BDSG n. F. die Heranziehung privater Sicherheitsunternehmen zu Fahndungen. Private „Fahnder" haben weder amtliche Befugnisse zur Ermittlung bzw. Ausforschung privater Vorgänge noch sind ihre Übermittlungsbefugnisse in dem gewünschten Sinne vorab generalisierbar. Unüberwindliche Datenschutzprobleme bereitet schließlich der Alltag der Kooperation, wie er sich u. a. bei gemeinsamen Streifen von Polizei und privaten Sicherheitsdienstleistern zeigt. Zur Erlaubnis entsprechender Informationskooperation bedürfte es vielmehr eines ermächtigenden und insofern spezifischen Rechts der Informationsbeziehungen zwischen Polizei und Sicherheitsgewerbe, das nicht besteht.

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Rainer Pitschas

V. Zusammenfassung und Folgeüberlegungen Was lehren uns die vorangegangenen Ausführungen? Der Blick auf die Reform des Datenschutzrechts in Deutschland verdeutlicht zunächst und einerseits den Wandel, den das nationale Recht auf informationelle Sicherheit gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. Art. 1 Abs. 1 GG mit seiner Entwicklung zu einem objektiv-rechtlich die Informationsgesellschaft prägenden Kommunikationsgrundrecht genommen hat. Auf der anderen Seite gibt sich die „systemsprengende" Kraft zu erkennen, mit der die Europäische Datenschutzrichtlinie das deutsche Informationsverwaltungsrecht aufbricht und die Verzahnung beider Teilrechtsordnungen von öffentlichem Recht und Privatrecht einfordert. Übergangsweise fungiert dabei das öffentliche Datenschutzrecht mit seinen Leitideen, Denkmustern, dogmatischen Figuren und Instrumenten als „Auffangordnung" für die Gestaltung der informationsrechtlichen Strukturen in der Informationsgesellschaft für ihre Wirtschaft. Nach wie vor fehlt es freilich an einem Informationskooperations-Recht zwischen Staat und Bürgergesellschaft. Das hier gewählte Beispiel der Datenübermittlung privatwirtschaftlich erhobener Daten an die Polizeibehörden läßt das Defizit erkennbar werden. Die aus polizeilicher Sicht dysfunktionalen Grenzen einer Datenübermittlung durch Private sind nicht zu verkennen. Eine Reihe von Folgeüberlegungen knüpfen an diese Feststellung an. Zunächst stellt sich die Frage nach der praxisgerechten Abstimmung von Allgemeinem Datenschutzrecht und Entwicklung des Polizei-Informationsrechts. Ist die Beschränkung der privaten Übermittlungsbefugnis auf „Gefahrenabwehr" noch sachgemäß? Die Antwort hierauf führt in das nicht weniger schwierige Feld der zukünftig aufgegebenen geschmeidigen und flexiblen Verbindung von bereichsspezifischen Vorschriften im Besonderen Verwaltungsrecht bzw. im Privatrecht mit den allgemeinen Regelungen des BDSG hinein. Das Allgemeine Datenschutzrecht bedürfte wohl auf einer dritten Reformstufe seiner Weiterentwicklung zu einem „Grundsätze-Gesetz" als Erstem Teil eines künftigen Informationsgesetzbuchs. Darin sollten Vorgaben an eine datenminimierende Gestaltung und Auswahl von Kommunikationstechnik erhalten sein.

Das neue japanische Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz 1 Von Shizuo Fujiwara I. Verwaltungsverfahren - Datenschutz - Informationszugang Das japanische Datenschutz-, Akteneinsichts- und Informationszugangsrecht unterscheidet sich, wie auch das Verwaltungsverfahrensrecht, grundlegend von dem in Deutschland. Allen drei Bereichen ist gemeinsam, daß sie die bisherige Verwaltungspraxis in Japan verändern. Sie beruhen dabei auf unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Grundlagen und sie ermöglichen entsprechende Freiheitseinschränkungen. Die einzelnen rechtlichen Regelungen sind allerdings transparent und sie bieten dem Bürger die Möglichkeit der Selbstbestimmung und Kommunikation durch Gemeinbesitz von Informationen. Die vergleichende Untersuchung dieser drei Rechtsgebiete offenbart gewichtige Divergenzen zwischen Japan und Deutschland. Erstens hat sich jeder der drei Regelungsbereiche zeitlich verschieden entwickelt. Zum Beispiel wurde in Deutschland das Datenschutzgesetz und das Verwaltungsverfahrensgesetz fast gleichzeitig erlassen. Doch gibt es noch kein Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz auf der Bundesebene, das jedermann den Zugang zu den für die Allgemeinheit wichtigen Informationen eröffnen würde. Allerdings hat das Bundesland Brandenburg kürzlich ein solches Gesetz erlassen.2 Ganz allgemein legt man aber in Deutschland das größere Gewicht auf den Datenschutz. In Japan wurde dagegen zuerst das Datenschutzgesetz erlassen; anschließend erging eine Verwaltungsanordnung zum Thema des Informationszugangs. Zuletzt kam das Verwaltungsverfahrensgesetz. 3 Obwohl ein Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz erst im Jahr 1999 verabschiedet wurde, hatte sich inzwischen das Informationszugangsrecht des Bürgers auf der Grundlage von Verwaltungsvor1

Der Beitrag gibt die überarbeitete Fassung des für „Informationsfreiheit und Datenschutz" erstellten Beitrages „Das neue japanische Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz" wieder. 2 Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz (AIG) vom 10.3.1998. Später wurden das Gesetz zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin (Berliner Informationsfreiheitsgesetz- IFG) vom 15.10.1999 und das Gesetz über die Freiheit des Zugang zu Informationen für das Land Schleswig-Holstein (IFG-SH) vom 26.01.2000 verabschiedet. 3 Das Datenschutzgesetz trat am 1.Oktober 1989 und das Verwaltungsverfahrensgesetz am 1.Oktober 1994 in Kraft. 22 Pitschas/Kisa

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Schriften gut entwickelt. Freilich zählt das japanische Datenschutzgesetz zur „alten Generation", denn es fehlt ihm an Regelungen über den nicht-öffentlichen Bereich und über nicht-automatisierte Dateien. Deshalb hat die japanische Regierung mit entsprechenden Änderungsarbeiten begonnen.4 Zweitens sagt man oft, daß Datenschutz und Informationszugang zwei Seiten einer Medaille sind.5 Aber diese Metapher ist nicht ganz korrekt. Denn der Datenschutz betrifft auch den nicht-öffentlichen Sektor. Im Gegensatz dazu liegt der Kernpunkt des Informationszugangsrechts darin, daß es den Informationsanspruch des Bürgers gegen die öffentliche Gewalt gewährleisten soll. So sind die Größe der Vorderseite und die der Rückseite der Medaille doch verschieden. Und man darf auch nicht vergessen, daß es ein Spannungsfeld zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem im Informationszugangsgesetz verankerten Recht auf Wissen gibt. Obwohl es sich um eine klassische Streitfrage handelt, ist es schwieriger als man denkt, eine ausbalancierende praktikable Lösung zu finden. Drittens und anders als bei den voraufgehend genannten Rechtsbereichen sind wir beim Datenschutz dazu gezwungen, die Regelungen weltweit zu harmonisieren, um die Ansprüche der sich globalisierenden Wirtschaft zu befriedigen. Datenschutz in diesem Sinne verlangt eine internationale Infrastruktur der Internetgesellschaft. 6

II. Die staatliche Politik der Information der Öffentlichkeit Die Information der Öffentlichkeit kann man mit sehr unterschiedlichen Formen oder Modellen ermöglichen. Hier sei nur an den Freedom of Information-Act in den USA erinnert. Allerdings kann man den Informationszugang auch als bloßen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung und nicht als subjektiv-öffentliches Recht interpretieren. Darüber hinaus mag man die staatliche Informationspolitik so verstehen, dass Verwaltungsorgane nur in bestimmten Fällen, in denen Leben oder Gesundheit u. s. w. von Menschen betroffen sind, zur Veröffentlichung von Dateninformationen verpflichtet sind. Ich möchte diese Modelle schlagwortartig wie folgt umschreiben: • freiwillige Informationspolitik der Verwaltung • Anspruch der Bürger auf freien Zugang zu Verwaltungsinformationen 4

Das Gremium von Fachleuten, um einen umfassenden Datenschutzgesetzentwurf anzufertigen, wurde am 27. Januar 2000 eingesetzt. Der Verfasser ist ein Mitglied dieses Gremiums. 5 Siehe dazu Sokol, Datenschutz und Informationszugang, in: Bäumler (Hrsg.), Der neue Datenschutz 1998, S.37ff. 6 Gerade deshalb muss man sich an die Erklärung der OECD - die „Declaration Concerning Protection of Privacy" von 1998 - erinnern. Diese weist daraufhin, daß es notwendig sei, dass die Unterzeichner gegenseitig Verständnis für die unterschiedlichen Mittel aufbrächten, den Datenschutz tatsächlich zu verwirklichen.

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• Verpflichtung der Verwaltung zur Informationserteilung ohne entsprechenden Antrag des Bürgers. Näherhin ist zu berücksichtigen, daß je umfangreicher die freiwillige Informationserteilungspolitik der Verwaltung wird, desto geringer der Anspruch der Bürger auf freien Zugang zu Verwaltungsinformationen sein wird. Im folgenden werde ich darlegen, inwieweit der Anspruch der Bürger auf freien Zugang zu Verwaltungsinformationen im japanischen Akteneinsichts-und Informationszugangsgesetz verwirklicht ist. III. Das neue japanische Akteneinsichtsund Informationszugangsgesetz In Japan existieren Normen, die das Recht auf Einsicht in die bei den Verwaltungsorganen vorliegenden Daten jedermann unabhängig von seinem Motiv zubilligen, schon seit 1982. Damals hatte zuerst die Präfektur Kanagawa eine städtische Anordnung zum Thema des Informationszugangs beschlossen. Dabei lehnte man sich eng an den amerikanischen Freedom of Information-Act an. Seitdem erließen auch andere kommunale Körperschaften ähnliche Anordnungen nach dem Vorbild Kanagawas. Zum Stand vom 1.4.1999 haben 894 kommunale Körperschaften entsprechende Verwaltungsrechtssätze geschaffen - bei einer Gesamtzahl von ca. 3300 kommunalen Körperschaften in Japan. Mittlerweile haben sich alle 47 Präfekturen und alle 12 grossen Städte, die durch Kabinettsverordnung besondere Befugnisse erhalten haben, und viele Gemeinden des Themas angenommen. Die 17-jährige Erfahrung auf der lokalen Ebene bildete eine der Triebkräfte für die Gesetzesinitiative der japanischen Regierung. Zwar wurde bereits im Jahre 1974 auf der staatlichen Ebene ein Informationszugangsgesetz für erforderlich gehalten. Dies geschah aus Anlass der sog. Lockheed-Affäre, in der es um die Aufklärung der rechtswidrigen Amtsführung des damaligen Premierministers ging. Aber tatsächlich ist das Informationszugangsgesetz erst in den Jahren nach der Bildung der Koalitionsregierung von 1996 intensiv erarbeitet worden. In diesem Sinn kann man nicht zu unrecht sagen, daß das Gesetz dem Machtwechsel der Regierung zu verdanken ist.7 Der Erlaß des Informationszugangsgesetzes ist als ein Glied in der Kette der Verwaltungsreform in Japan zu sehen. Deshalb hatte das Verwaltungsreformkomitee ein spezielles Gremium 8 eingerichtet. Von diesem wurde der Entwurf des Gesetzes 7

Auf lange Sicht haben auch Bürgerinitiativen eine bestimmte Rolle gespielt. Der Verfasser war ein Mitglied dieses Gremiums. In diesem Gremium wurden sowohl die Erfahrungen auf der lokalen Ebene in Japan berücksichtigt als auch die gesetzlichen und rechtlichen Zustände in jenen Ländern untersucht, die ein Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz einschließlich eines Umweltinformationsgesetzes haben. 8

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im wesentlichen verfaßt. Ende 1996 wurde dieser Entwurf fast unverändert von der Regierung ins Parlament eingebracht. Nachdem der Entwurf dreimal im Parlament vorgelegt und diskutiert worden war, verabschiedete dieses das Gesetz am 7. Mai 1999. Es trat Anfang 2001 in Kraft. Das Gesetz enthält folgende Kernpunkte: 9 (1) Zweck des Gesetzes (§1): • Das Gesetz beruht auf dem verfassungsrechtlichen Prinzip, daß die Staatsgewalt vom Volk ausgeht. • Das Gesetz verleiht dem Bürger einen Rechtsanspruch auf Veröffentlichung der Verwaltungsunterlagen. • Das Gesetz will sicherstellen, daß die bei den Verwaltungsorganen vorhandenen Informationen veröffentlicht werden. Damit soll es dazu beitragen, daß die Regierung ihrer Rechenschaftspflicht („accountability") nachkommt und die Verwaltung zu einer gerechten und demokratischen Amtsführung angehalten wird. Dabei ist die Tatsache bemerkenswert, daß sich die japanische Gesetzesbegründung an den Begriff der „accountability" (also der „Rechenschaftspflicht") statt an den des „Rechts auf Wissen" („Right to know") anlehnt. Dieser Begriff der „accountability" ist das Schlüsselwort für die Legitimität der Informationszugangsgesetze in den verschiedenen Ländern. 10 Das „Recht auf Wissen" wird dagegen in der Zweckbestimmung nicht vorgeschrieben, weil sich die Meinungen über dessen Ausmaß und verfassungsrechtliche Grundlage vorerst noch widersprechen. (2) Jeder verfügt über den Anspruch auf Information, und zwar unabhängig von Nationalität oder Wohnsitz (§ 3). Ich denke, daß dieser Gedanke des Jedermannsrechts für Deutschland, das sein Rechtssystem auf der Grundlage des subjektiv-öffentlichen Rechts formt, immer noch fremd ist. Diese Tatsache dürfte ein Grund dafür sein, daß es in Deutschland bisher noch kein solches Gesetz gibt. (3) Alle Verwaltungsorgane sind auskunftspflichtig (§ 2 Abs. 1). Die oberste Polizeibehörde, das Verteidigungsministerium und das Auswärtige Amt sind in gleicher Weise verpflichtet. Allerdings gelten hier andere Ausnahmetatbestände als bei den allgemeinen Verwaltungsbehörden. Bezüglich der Informationen über die öffentliche Sicherheit oder internationale Beziehungen usw. darf das Gericht im Verwaltungsprozess nicht von neuem prüfen, ob die Erteilung oder Einsicht der gewünschten Informationen die Schutzgüter des Ausnahmetatbestandes gefährden würde. Es darf vielmehr nur prüfen, ob die Beurteilung der obersten Behörde rechts9 Die englische Übersetzung des Gesetztextes, auf die ich verweise, wird am Ende dieses Beitrages abgedruckt. 10 So etwa in den USA, in Kanada und Australien. Siehe dazu Riley, Accountability of Government: an International Perspective, Freedom of Information Review 1987, S.54.

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widrig ist. Hier gibt es eine unterschiedliche Kontrolldichte zwischen solchen „empfindlichen" Informationen und den allgemeinen Informationen. Mit anderen Worten kann man sagen, daß eine gewisse Balance zwischen dem Geheimhaltungsinteresse der Verwaltung und dem Informationszugangsanspruch gehalten wird. (4) Der Gegenstand des Informationsanspruchs sind öffentliche Akten (§2 Abs. 2). Nach dem Gesetz fallen darunter: • Akten, zeichnerische Darstellungen und elektronische Dokumente, die von den Beamten oder Angestellten dienstlich angefertigt bzw. erlangt und • die von den betreffenden Verwaltungsorganen aufbewahrt werden, damit sie dienstlich und organisatorisch genutzt werden können. Deshalb sind zum Beispiel die persönlichen Notizen eines Beamten zu einer bestimmten Angelegenheit grundsätzlich nicht zu den öffentlichen Akten zu rechnen. Akten, die Bestandteil eines laufenden Verfahrens sind, werden nicht unbedingt von der Einsichtnahme ausgeschlossen, sondern erst dann, wenn einer der Ausnahmetatbestände erfüllt ist. (5) Obwohl das Informationszugangsgesetz die Gerechtigkeit und die Transparenz der Verwaltungsführung fördern soll, dürfen hiervon andere schutzwürdige Interessen nicht einseitig beeinträchtigt werden. Folglich besteht auch die Notwendigkeit einer Grenzziehung zwischen den zu veröffentlichenden Informationen und solchen, die zugunsten Dritter vertraulich bleiben müssen. Das Gesetz normiert dazu eine Reihe von Ausnahmetatbeständen bzw. Ausschlussgründen (§ 5). Die Ausnahmetatbestände betreffen: • personenbezogene Informationen, • juristisch-personenbezogene Informationen, • Informationen, die die Sicherheit des Staates oder seine Beziehungen zu anderen Ländern und internationalen Organisationen betreffen, • Informationen, die den Schutz der öffentlichen Sicherheit tangieren, • Informationen, die Bestandteil von Beratungen und Besprechungen innerhalb der staatlichen Organe oder zwischen staatlichen und lokalen Organen sind, • Informationen, die sich auf die Amtsführung der staatlichen und lokalen Verwaltungsorgane beziehen. Im folgenden will ich nur die personenbezogenen Informationen und die juristisch-personenbezogenen Informationen näher erörtern. Die personenbezogenen Informationen werden im gleichen Sinne wie im Datenschutzrecht verstanden: Die Bestimmbarkeit einer Person ist der springende Punkt. Während des Gesetzgebungsprozesses wurde aber ein anderes Begriffsverständnis geprüft, nämlich die Verwendung des Begriffs der ,>Privatsphäre (Privacy)". Die mit

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der Gesetzgebung Befaßten befürchteten jedoch, daß die Privatsphäre der Bürger gerade durch diese Begriffswahl einer Gefahr ausgesetzt sein würden. Denn die Beurteilung dessen, was Privatsphäre meint, scheint schwieriger als die, welche Angaben die betreffende Person bestimmbar machen. Die Orientierung hieran ist für den Datenschutz günstiger. 11 Nach § 5 Nr. 2 des Gesetzes wird der Anspruch auf Informationen eingeschränkt, wenn deren Bekanntgabe das Recht eines Unternehmens auf Geheimhaltung, dessen Wettbewerbsfähigkeit oder sonstige berechtigte Interessen des Unternehmens gefährden würde. Auch die Informationen, die Verwaltungsorganen unter der Bedingung der Geheimhaltung zur Verfügung gestellt werden, dürfen nicht veröffentlicht werden, wenn die Bedingung nachvollziehbar und einsehbar ist. Allerdings müssen solche Informationen veröffentlicht werden, deren öffentliche Bekanntgabe zum Schutz des Lebens, der Gesundheit oder des Vermögens einzelner als erforderlich betrachtet wird. Eine besondere Rolle spielen sogenannte „freiwillig offengelegte Informationen", zu denen der Informationszugang streitig ist. In bezug auf diesen Streitpunkt sind zwei amerikanische Urteile bekannt: es sind dies das „National Parks"- bzw. das „Morton"-Urteil 12 sowie das „Critical Mass"-Urteil. 13 In Japan ist aber der Gesetzestext über die Geheimhaltung freiwillig offengelegter Informationen als Folge der langen und heftigen Diskussionen ein wenig strenger als der Maßstab des „Critical Mass"-Urteils. Als letzten Ausnahmetatbestand nenne ich die Informationen, die nicht mit „Ja" oder „Nein" beantworten werden dürfen (§ 8). Anders ausgedrückt, es gibt Informationen, von deren Existenz oder Nichtexistenz nicht gesprochen werden darf. Diese Kategorie stammt aus den sog. „Glomar denials"14, die sich in der Praxis des FOIA entwickelt haben. Obwohl man von den „Glomar denials" hauptsächlich beim Thema Staatssicherheit spricht, gibt es ähnliche Situationen in anderen Bereichen. Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob die Krankenkarte einer Person, die in einem Fachkrankenhaus gelegen hatte, in das Zugangs- und Informationsrecht des Bürgers mit einbezogen werden darf. Das japanische Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz erfaßt diesen Tatbestand in § 8: Wenn der Informationszugang dazu führen würde, daß die durch die Ausnahmetatbestände geschützten Informationen bekannt würden, kann der 11 Allerdings gilt für Amtsträger eine Sonderregelung. Die persönlichen Daten von Amtsträgem wie Name, Funktion u. a. können offenbart werden, wenn diese in ihrer amtlichen Funktion betroffen würden(§5 Nr. 1) 12 National Parks and Conservation Association v. Morton, 498 F.2d 765 (D. C. Cir. 1974). 13 Critical Mass Energy Projekt v. NRC, 975 F.2d 871 (D.C.Cir. 1992), cert. Denied, 507 U.S.984 (1993); FOIA Update, Spring 1993, at 1. 14 Phillippi v. CIA, 546 F.2d 1009 (D.C.Cir 1976). Glomar ist eines der Rettungschiffe, die speziell nach Atom-U-Booten suchen. Die Antwort auf die Frage, ob das Schiff ausläuft, ist zugleich die Antwort auf die Frage, ob ein Atom-U-Boot sinkt.

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Leiter eines Verwaltungsorgans den entsprechenden Antrag ablehnen. Natürlich ist diese Ablehnung als ein Verwaltungsakt zu betrachten und anfechtbar. (6) Das Gesetz enthält ferner eine Sonderregelung bei umfangreichen Akten bzw. komplexen Rechtsangelegenheiten (§11). Der Bescheid über den Informationsanspruch ist grundsätzlich innerhalb von 30 Tagen nach dem Eingang des Antrags zu erlassen; gegebenenfalls kann diese Frist noch um 30 Tage verlängert werden, wenn es einen berechtigten Grund hierfür gibt (§ 10). Hierzu rechnet nach den Erfahrungen mit den Städtischen Anordnungen auf der lokalen Ebene die Tatsache, daß mitunter einzelne Bürger immer wieder Auskunftsansprüche 15 erheben und damit die Verwaltungarbeit blockieren. Es ist freilich sehr schwer, fristgerecht eine Sache zu erledigen, wenn die Akten zum Beispiel sehr umfangreich sind oder der Beamte aus verschiedenen Akten den Zugangsanspruch erfüllen muss. Besonders viel Zeit kostet es, wenn der Verwaltungsbeamte zur Teilbekanntgabe viele Textstellen unkenntlich zu gestalten hat. In diesen Fällen darf der Leiter eines Verwaltungsorgans den Bescheid über die Akteneinsicht innerhalb von 60 Tagen erlassen. Im übrigen muss er den Bescheid in angemessener Frist erteilen, wenn die Akten umfangreich sind und die Einsicht in die Akten die Routineangelegenheiten der zuständigen Behörde erheblich beeinträchtigen würde. In diesem Fall hat der Leiter selbstverständlich über die Gründe des Aufschubs Rechenschaft zu geben und den Termin des zweiten Bescheids schriftlich mitzuteilen. Nicht von ungefähr rechnet aber der Gesetzgeber damit, daß ein Kompromiss mit dem Antragsteller nach dem ersten Bescheid eingegangen wird. (7) Auch über die Höhe der Gebühren für die Akteneinsicht gab es heftige Diskussionen. Diese führten dazu, daß nunmehr Gebühren erhoben werden, die nicht abschreckend wirken, sondern benutzerfreundlich sind (§ 16). Deshalb werden die Gebühren sehr niedrig gehalten.16 Bei Anträgen, die mit der Erfüllung eines öffentlichen Interesses begründet werden, ist die Herabsetzung der Gebühren oder eine Befreiung 17 nicht eingeführt worden, weil der Inhalt des öffentlichen Interesses nur schwer festgelegt werden kann. Was die Höhe der Gebühren in Zukunft betrifft, müssen wir erst das Ausmass der kommerziellen Nutzung des Informationszugangs bei Behörden abwarten. (8) Als Rechtsmittelinstanz18 hat das Gesetz ein neues Komitee, das aus drei Senaten besteht, eingerichtet (§21). Jeder der Senate hat drei Mitglieder und in bestimmten Fällen sind alle neun Mitglieder als ein Kollegialkomitee tätig (§ 22). Wenn ein Verwaltungsorgan in der Frage des Informationsanspruchs einen negativen Bescheid erteilt und der Betroffene sich dagegen wendet, dann muß das Verwal15

Diese Ersuchen bilden an sich noch keinen Rechtsmißbrauch. Die Gebühren betragen 300 Yen (5 DM) pro Akte. 17 Wie dies in den USA, in Kanada und Australien gesetzlich festgelegt ist. 18 Es gibt die sog. Drittenschutzklausel, damit die Betroffenen das Rechtsmittel rechtzeitig benutzen können(§ 13, 20). 16

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tungsorgan grundsätzlich das Komitee zu diesem Widerspruch befragen (§ 18). Das Komitee untersucht den Fall, berät ihn und erstattet ein Gutachten. Ich möchte betonen, dass das Komitee die Befugnis zur sogenannten „In-Camera-Inspektion" 19 hat, um seine Aufgabe effektiv wahrzunehmen (§ 27 Abs. 1, Abs. 2). In diesem Verfahren verfügt das Komitee über ein Einsichtsrecht in jene Akten, deren Offenlegung verweigert wurde. Auf der anderen Seite darf der Bürger selbst die Akten nicht einsehen. Die „In-Camera-Inspektion" wird in den USA und in Kanada vom Gericht angeordnet. Wie Sie wissen, wird in Deutschland und auch in Japan über die Einführung dieses Systems im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung heftig diskutiert. Deshalb hat das japanische Gesetz das System im Widerspruchsverfahren angesiedelt und ein spezielles Komitee mit der Aufgabe betraut. Das gesamte Verfahren beruht auf dem sog. „Vaughn Index" 20 (§ 27 Abs. 3), damit die „In-Camera-Inspektion" gut und effektiv funktioniert. Ich will noch einige Anmerkungen zur Arbeit des Komitees machen. Es wurde aufgrund der Erfahrungen mit den städtischen Anordnungen auf der lokalen Ebene gegründet. Die Tätigkeit des Komitees wird wegen seiner Neutralität relativ hoch geschätzt. Bei seiner Prüfungstätigkeit stösst das Komitee häufig auf die Behauptung der Verwaltung, bei den Informationen handele es sich um einen Wrllensgestaltungsprozess der Verwaltung. Schon dieser erfülle den Ausnahmetatbestand. Eine solche Begründung wird vom Komitee jedoch nicht ohne weiteres akzeptiert, sondern vielfach erst dann, wenn die Verwaltung sehr konkret den Beweis führt, daß die Preisgabe der Informationen den Entscheidungsprozeß der Verwaltung gefährden würde. In vielen Fällen, nicht nur bei diesem Ausnahmetatbestand, sondern auch in 19

WgLGurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, 1989; Mengel, Akteneinsicht in Verwaltungsverfahren, DV 1990, S.377; Ziekow, Die Pflicht der Behörde zur Gewährung von Informationen an die Verwaltungsgerichte, BayVBl. 1992, S. 132; Blumenberg, Die Umwelt-Informations-Richtlinie der EG und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, Natur und Recht 1992, S. 8; Engel, Der freie Zugang zu Umweltinformationen nach der Informationsrichtlinie der EG und der Schutz von Rechten Dritter, NVwZ 1992, S. 111; Cosack/Tomerius, Betrieblicher Geheimnisschutz und Interesse des Büigers an Umweltinformationen bei der Aktenvorlage im Verwaltungsprozeß, NVwZ 1993, S.841; Theuer, Der Zugang zu Umweltinformationen aufgrund des Umweltinformationsgesetzes (UIG), 1995; Kollmer, Klage auf Umweltinformation nach dem neuen Umweltinformationsgesetz (UIG), NVwZ 1995, S.858; Sokol, Datenschutz versus Informationszugang?, DuD 1997, S.380. 20 In den USA spielt der sogenannte „Vaughn Index" eine große praktische Rolle. Erfahrungsgemäß funktioniert das „In-Camera-Verfahren" erst dann gut, wenn dabei der „Vaughn Index" beachtet wird. Der „Vaughn Index", benannt nach dem Namen eines Klägers, ist ein Beweisverfahren, das in der amerikanischen Rechtsprechung (Vaughn ν. Rosen,484 F.2d 820; D. C. Cir.1973) festgelegt worden ist: Verwaltungsorgane stellen dabei einen Index auf und legen ihn dem Gericht vor. Der Index enthält eine Beschreibung der Kategorien von Informationen, die nicht bekannt gegeben werden sollen, der Ausnahmetatbestände sowie die Begründung dafür. Es hängt von der Natur der betreffenden Information und des jeweiligen Ausnahmetatbestandes ab, wie ausführlich Verwaltungsorgane diesen Index gestalten müssen.

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anderen, ζ. B. bei juristisch-personenbezogenen Informationen, trifft das Komitee Entscheidungen zugunsten des Bürgers. Obwohl ein Gutachten des Komitees nicht rechtsverbindlich ist, folgte die Verwaltung bisher den Gutachten in fast 100% der Fälle. Diese Tatsache hat auch der aktuelle Gesetzgeber berücksichtigt. IV. Resümee und Ausblick Das Informationszugangsgesetz bildet den Schwerpunkt der Verwaltungsreform in Japan. Der eigentliche Sinn und Zweck dieses Gesetzes ist der „informierte Bürger" (Informed Citizen) und die Klarstellung, daß die Verwaltung ihrer Rechenschaftspflicht (accountability) nachkommen muss. Denn die Bürger können an einem Entscheidungsprozess oder einem Bürgerentscheid erst dann effektiv teilnehmen, wenn sie über den Gegenstand gut informiert sind und gleichen Zugang zu den relevanten Informationen haben. Diese Vorstellung wird bestimmt Einfluss auf alle Gebiete der japanischen Verwaltung ausüben und eventuell eine Veränderung der Verwaltungspraxis und des Verwaltungsverfahrens zur Folge haben. Ich bin selbst gespannt, welche Entwicklungen die Zukunft für die Verwaltung bringen wird. Das japanische Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz vom 14. Mai 199921 Law Concerning Access to Information Held by Administrative Organs Chapter 1 General Provisions Article 1 [Purpose] In accordance with the principle that sovereignty resides in the people, and by providing for the right to request the disclosure of administrative documents, etc., the purpose of this law is to strive for greater disclosure of information held by administrative organs thereby ensuring that the government is accountable to the people for its various operations, and to contribute to the promotion of a fair and democratic administration that is subject to the people's accurate understanding and criticism. Article 2 [Definitions] 1. For the purposes of this law "administrative organ" refers to the following organs. 21

Übersetzt von Soumutuyo (Management and Coordination Agency).

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(1) Organs within the Cabinet or organs under the jurisdiction of the Cabinet that were established pursuant to law. (2) Organs established as administrative organs of the State as provided for in Article 3, paragraph 2 of the National Government Organization Law (Law No. 120 of 1948). (Provided that the organ is one in which an organ designated by the Cabinet Order referred to in the next subparagraph is established, the organ designated by the Cabinet Order is excluded.) (3) Facilities and other organs under Article 8, paragraph 2 of the National Government Organization Law, and extraordinary organs under Article 8, paragraph 3 of the same law, that are designated by Cabinet Order. (4) The Board of Audit 2. For the purposes of this law "administrative document" means a document, drawing, and electromagnetic record (Meaning a record created in a form that cannot be recognized through one's sense of perception such as in an electronic form or magnetic form. Hereinafter the same.), that, having been prepared or obtained by an employee of an administrative organ in the course of his or her duties, is held by the administrative organ concerned for organizational use by its employees. However, the following are excluded: (1) Items published for the purpose of selling to many and unspecified persons, such as official gazettes, white papers, newspapers, magazines, and books. (2) In the case of archives and other organs designated by Cabinet Order, as provided for by Cabinet Order, items that are specially managed as either historical or cultural materials, or as materials for academic research. Chapter 2 Disclosure of Administrative Documents Article 3 [The Right to Request Disclosure] Any person, as provided for by this law, may request to the head of an administrative organ (Provided that the organ is designated by the Cabinet Order of the preceding Article, paragraph 1, subparagraph [3], that person designated for each organ by Cabinet Order. Hereinafter the same.) the disclosure of administrative documents held by the administrative organ concerned. Article 5 [The Obligation to Disclose Administrative Documents] When there is a disclosure request, excluding cases in which any of the information mentioned in each of the following subparagraphs (Hereinafter referred to as "non-disclosure information.") is recorded in the administrative documents concerned with the disclosure request, the head of an administrative organ shall disclose said administrative documents to the requester.

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(1) Information concerning an individual (Excluding information concerning the business of an individual who carries on said business.), where it is possible to identify a specific individual from a name, birth date or other description, etc., contained in the information concerned (Including instances where through collation with other information it is possible to identify a specific individual.), or when it is not possible to identify a specific individual, but by making the information public there is a risk that an individual's rights and interests will be harmed. However, the following are excluded: (a) Information that is made public, or information that is scheduled to be made public, as provided for by law or by custom. (b) Information recognized as necessary to be made public in order to protect a person's life, health, livelihood, or property. (c) In the case that the said individual is a public official (National public employees as described in Article 2, Section 1 of the National Public Service Law [Law No. 120 of 1947] or local public service personnel as described in Article 2 of the Local Public Service Personnel Law [Law No. 261 of 1950].), when said information is information that concerns the performance of his or her duties, from within said information that portion which concerns the said public official's office and the substance of the said performance of duties. (2) Information concerning a corporation or other entity (Excluding the State and local public entities. Hereinafter referred to as a "corporation, etc."), or information concerning the business of an individual who carries on said business, as set forth below. Excluding, however, information recognized as necessary to be made public in order to protect a person's life, health, livelihood, or property. (a) Where there is a risk that, by being made public, the rights, competitive standing, or other legitimate interests of the corporation, etc. or the said individual will be harmed. (b) Where upon the request of an administrative organ it was offered voluntarily on the condition that it not be made public, and where in light of the nature of the information and the circumstances, etc. at the time, such as the corporation, etc. or the individual not ordinarily making the information public, the attachment of said condition is considered to be rational. (3) Information that, if made public, the head of an administrative organ with adequate reason deems to pose a risk of harm to the security of the State, a risk of damage to trustful relations with another country or an international organization, or a risk of causing a disadvantage in negotiations with another country or an international organization. (4) Information that, if made public, the head of an administrative organ with adequate reason deems to pose a risk of causing a hindrance to the prevention, sup-

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pression or investigation of crimes, the maintenance of public prosecutions, the execution of sentencing, and other public security and public order maintenance matters. (5) Information concerning deliberations, examinations, or consultations internal to or between either organs of the State or local public entities that, if made public, would risk unjustly harming the frank exchange of opinions or the neutrality of decision making, risk unjustly causing confusion among the people, or risk unjustly bringing advantage or disadvantage to specific individuals. (6) Information that concerns the affairs or business conducted by an organ of the State or a local public entity that, if made public, by the nature of said affairs or business, would risk, such as the following mentioned risks, causing a hindrance to the proper performance of said affairs or business. (a) In relation to affairs concerned with audits, inspections, supervision, and testing, the risk of making difficult the grasping of accurate facts, along with the risk of facilitating illegal or unfair acts or making difficult the discovery of those acts. (b) In relation to affairs concerned with contracts, negotiations, or administrative appeals and litigation, the risk of unfairly harming the State's or a local public entity's property interests or position as a party. (c) In relation to affairs concerned with research studies, the risk that their impartial and efficient execution will be unjustly obstructed. (d) In relation to affairs concerned with personnel management, the risk that the impartial and smooth maintenance of personnel matters will be hindered. (e) In relation to the business of an enterprise managed by the State or a local public entity, the risk that legitimate interests arising from the management of the enterprise will be harmed. Article 8 [Information Concerning the Existence of Administrative Documents] When non-disclosure information will be released by merely answering whether or not administrative documents concerned with a disclosure request exist or do not exist, the head of an administrative organ, without making clear the existence or non-existence of the documents, may refuse the disclosure request. Article 10 [Time Limit for Disclosure Decisions, Etc.] 1. The preceding Article's decisions (Hereinafter referred to as "disclosure decisions, etc.") shall be made within thirty days after the day of the disclosure request. However, in the case that a revision is requested as provided for in Article 4, paragraph 2, the number of days required for the revision shall not be included within this time limit.

Das neue japanische Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz

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2. Notwithstanding the preceding paragraph, when there are justifiable grounds such as difficulties arising from the conduct of business, the head of the administrative organ may extend the time limit provided for in the same paragraph for up to thirty days. In this case, the head of the administrative organ shall without delay notify the requester in writing of the extension period along with the reason for the extension. Article 11 [Exception to the Time Limit for Disclosure Decisions, Etc.] In the case that there is a considerably large amount of administrative documents concerned with the disclosure request, and there is a risk that by making disclosure decisions, etc. for all of them within sixty days of the disclosure request the performance of duties will be considerably hindered, notwithstanding the preceding Article, it shall be sufficient if the head of the administrative organ makes disclosure decisions, etc. for a reasonable portion of the administrative documents concerned with the disclosure request within the said period of time, and if disclosure decisions, etc. are made for the remaining administrative documents within a reasonable period of time. In this case, the head of the administrative organ shall within the period of time provided for in the first paragraph of the same Article notify the requester in writing of the following items: (1) The application of this Article and the reason for its application. (2) The time limit for making disclosure decisions, etc. for the remaining administrative documents. Article 13 [Granting Third Persons an Opportunity to Submit a Written Opinion, Etc.] 1. When information regarding a person other than the State, a local public entity, or the requester (Hereinafter in this Article, Article 19, and Article 20 referred to as a "third person.") is recorded in the administrative documents concerned with a disclosure request, the head of the administrative organ, when undertaking disclosure decisions, etc., may communicate to the third person concerned with the information a representation of the administrative documents concerned with the disclosure request and other items determined by Cabinet Order, and may provide the opportunity to submit a written opinion. 2. In the event that either of the following subparagraphs apply, before making a decision to disclose, the head of the administrative organ shall communicate in writing to the third person concerned with the information a representation of the documents concerned with the disclosure request and other items determined by Cabinet Order, and shall provide the opportunity to submit a written opinion. However, this shall not apply in the case that the third person's whereabouts are unknown. (1) Where, in the case that the intention is to disclose administrative documents in which information relating to a third person is recorded, it is deemed that said in-

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formation will fall within the information provided for in Article 5, subparagraph (l)(b), or within the proviso contained in subparagraph (2) of the same Article. (2) When administrative documents within which information concerning a third person is recorded are to be disclosed under Article 7. 3. In the case that the third party who was provided an opportunity to submit a written opinion as provided for by the preceding two paragraphs submits a written opinion indicating opposition to disclosure of the administrative documents concerned, the head of the administrative organ, when making a decision to disclose, shall place at least two weeks between the day of the decision to disclose and the day that disclosure will be implemented. In this case, upon making the decision to disclose the head of the administrative organ shall immediately notify in writing the third person who submitted the written opinion (In Article 18 and Article 19 referred to as an "opposition written opinion.") to the effect that the decision to disclose was made, the reason, and the date of implementation of disclosure. Article 16 [Fees] 1. The person who makes a disclosure request, and the person who obtains the disclosure of administrative documents, as provided for by Cabinet Order, shall pay respectively a fee for the disclosure request and a fee for the implementation of disclosure of an amount determined by Cabinet Order and within the limits of actual expenses. 2. In determining the amount of the fee of the preceding paragraph consideration shall be given to see that it is as affordable an amount as possible. 3. When it is deemed that there is economic hardship or other special reasons, as provided for by Cabinet Order, the head of an administrative organ may reduce or exempt the fee of paragraph 1. Chapter 3 Appeals, Etc. Section 1 References, Etc. Article 18 [References to the Review Board] When there is an appeal of a disclosure decision, etc. in accordance with the Administrative Complaint Investigation Law (Law No. 160 of 1962), the head of the administrative organ who is expected to make a ruling or decision on the appeal, excluding cases that fall within either of the following subparagraphs, shall make a reference to the Information Disclosure Review Board (When the head of the administrative organ who is expected to make a ruling or decision on the appeal is head of the Board of Audit, a review board separately provided for by law. In Section 3 generically referred to as the "Review Board"). (1) When the appeal is unlawful and is rejected.

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(2) When upon a ruling or decision the disclosure decision, etc. (Excluding decisions to the effect of disclosing all the administrative documents concerned with a disclosure request. Hereinafter in this subparagraph and in Article 20 the same.) concerned with the appeal is revoked or altered, and all the administrative documents concerned with the appeal are to be disclosed. However, this shall exclude cases in which an opposition written opinion regarding the disclosure decision, etc. has been submitted. Article 20 [Procedures in the Case that an Appeal from a Third Person is Dismissed, Etc.] The provisions of Article 13, paragraph 3, shall apply mutatis mutandis in a case in which the ruling or decision falls within either of the following subparagraphs. (1) A ruling or decision to reject or dismiss an appeal from a third person regarding a decision to disclose. (2) A ruling or decision altering the disclosure decision, etc. concerned with an appeal to the effect of disclosing administrative documents concerned with a disclosure decision, etc. (Limited to cases in which an intervenor who is a third person has expressed an intention to oppose the disclosure of the administrative documents.). Section 2 Information Disclosure Review Board Article 21 [Establishment] An Information Disclosure Review Board shall be established within the Prime Minister's Office in order to examine and deliberate appeals in response to references as provided for in Article 18. Article 22 [Organization] 1. The Information Disclosure Review Board shall be composed of nine members. 2. Members shall serve part-time. However, not more than three members may serve full-time. Section 3 The Review Board's Investigative and Deliberative Procedures Article 27 [The Review Board's Investigative Authority] 1. When it is deemed necessary, the Review Board may request the reference agency to present the administrative documents concerned with the disclosure decision, etc. In this case, no one may request to the Review Board the disclosure of those administrative documents presented to the Review Board. 2. The reference agency shall not turn down a request made in accordance with the preceding paragraph.

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3. When it is deemed necessary, the Review Board may request to the reference agency that it produce and submit to the Review Board materials classifying or arranging in a manner specified by the Review Board the contents of the information recorded in the administrative documents concerned with the disclosure decision, etc. 4. In addition to the provisions of the first paragraph and the preceding paragraph of this Article, the Review Board may, in relation to the matter concerned with an appeal, request the appellant, intervenor, or the reference agency (hereinafter referred to as "appellant, etc.") to submit written opinions or other materials, and may have persons deemed appropriate make statements about facts of which they have knowledge or request expert opinions or make any other necessary investigations.

Diskussion zu den Referaten von Rainer Pitschas und Shizuo Fujiwara Leitung: Shigeo Kisa Bericht von Jan Lessner Die Referate zu dem allgemeinen Informationszugangsrecht von Fujiwara und das von Pitschas zur Internet-governance führten nicht nur auf Grund ihrer Aktualität in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu einer angeregten Diskussion. Fujiwaras Darstellung des allgemeinen Informationsanspruchs, also eines Anspruchs, der ohne Nachweis eines besonderen Interesses besteht, stand zunächst wegen ihrer Gegensätzlichkeit zum Prinzip der Geheimverwaltung und zum Kostendeckungsprinzip des deutschen Verwaltungsrechts im Mittelpunkt. So zielten die Frage von cand. jur. Ulrike Keller, Mannheim, nach der Trennschärfe der Ausnahmetatbestände und die Frage von Ass. jur. Stefanie Gille, Speyer, bezüglich der Kosten der Informationserteilung auch darauf, daß ein solcher Anspruch bei der Umsetzung rechtstechnisch auf Schwierigkeiten stößt und eine in ihrer praktischen Bedeutung kaum zu überschätzende fiskalische Seite hat. Fujiwara bestätigte, daß die Bestimmung, wann ein zum Anspruchsausschluß führendes berechtigtes Interesses eines Unternehmens an Geheimhaltung bestehe, wenig rechtssicher sei. Er veranschaulichte dies daran, daß in Japan bereits mehr als 200 Urteile sich mit dieser Frage beschäftigt hätten. Auf dieses Kriterium passe daher der Ausspruch vom Rasiermesser, das nicht zum Brotschneiden tauge. Gilles Frage, ob nicht das Sozialstaats- bzw. Demokratieprinzip geböten, daß bei entsprechender Vermögenslosigkeit des Antragenden auch kostenlos informiert werde, hielt Fujiwara die Mißbrauchsgefahr wiederholter oder sinnloser Anträge entgegen. Anderseits seien Anträge auf Informationsgewährung kostenlos, sofern sie auch im öffentlichen Interesse liegen würden, wobei dies dann aber weder auf dem Demokratie- noch auf dem Sozialstaatsprinzip beruhe. Die Gefahr der Spaltung der Gesellschaft in Informationsbesitzende und Nichtbesitzende bestünde unabhängig von der Kostenlosigkeit der Informationsgewährung, da dies eher die Frage der aktiven Informationspflicht des Staates betreffe. Das Problem der Abschichtung der Gesellschaft in Informationsbesitzende und Nichtbesitzende steht dabei eher nur in einem mittelbaren Zusammenhang mit dem kostenlosen Informationsanspruch. Rechtssoziologisch stellen nur ohnehin schon überdurchschnittlich Informierte entsprechende Anträge. 23 Pitschas/Kisa

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Diskussion

Ziekow lenkte die Diskussion von den gesetzestechnischen Fragen auf den Problemkomplex der Durchsetzung eines Informationsanspruchs, wenn sich die Verwaltung zu Unrecht auf den Ausnahmetatbestand der Geheimhaltung beruft. Es stelle sich dann nämlich die Frage, ob gerichtlicher Rechtsschutz bestehe und bejahendenfalls, ob das Gericht nur die Plausibilität der Verwaltungsentscheidung überprüfen dürfe. Dieser im deutschen Verwaltungsprozeßrecht (§ 99 VwGO) verwirklichten Systementscheidung stellte Ziekow das „in camera-Verfahren" gegenüber, bei dem das erkennende Gericht selbst die Subsumtionsentscheidung in bezug auf die Tatbestandsmerkmale des Ausnahmetatbestandes trifft. Fujiwara stellte heraus, das sich in Japan ein eigenständiges System herausgebildet habe. In Japan, so Fujiwara, bestehe einerseits eine Art Widerspruchsverfahren, in dem eine Kommission die Entscheidung der Verwaltung nachprüfe und in einem nicht verbindlichen Gutachten eine Empfehlung abgebe. In für Japan typischer Weise werde dieser Empfehlung trotz fehlender Verbindlichkeit nahezu immer gefolgt. Zudem sei es auch - wie in Kanada - möglich, sich an einen bereichsspezifischen Ombudsmann zu wenden. Es bestünde aber auch gerichtlicher Rechtsschutz. Diese Rechtsprechung sei informationsfreundlich ausgerichtet. Im Anschluß an die Fragen zur gesetzestechnischen und verwaltungsprozeßrechtlichen Seite eines allgemeinen Informationsanspruchs sprach Dr. Aminoulaye Joachim, Burkina Faso, die verfassungsrechtliche Kehrseite und verwaltungskulturellen Aspekte an. Fujiwara griff zuerst die verfassungsrechtliche Frage auf und erläuterte Art. 13 der japanischen Verfassung als Grundlage des Datenschutzes in Japan. Diese Norm sowie die dazu ergangene Rechtsprechung seien in vielfacher Hinsicht mit Art. 2 I GG vergleichbar. Datenschutz werde auch in Japan als Untergliederung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit begriffen. Joachims rechtsvergleichende Frage nach der Rechtslage bezüglich der polizeilichen Kameraüberwachung in Japan, Deutschland und Großbritannien beantwortete Fujiwara dahingehend, daß die rechtlichen Möglichkeiten zur staatlichen resp. polizeilichen Kameraüberwachung in Großbritannien weitergehend seien als in Japan und Deutschland. Darüber hinaus ließe dieses Problemfeld keine generalisierende Antwort zu, da unterschiedliche Formen der Kameraüberwachung wie ζ. B. die Radarkontrollen im Straßenverkehr eine Differenzierung erforderten. Von der Tendenz her stünde die japanische Rechtsordnung der deutschen aber näher als der britischen. Die Diskussion ergab, daß die Akzeptanz der Kameraüberwachung und das datenschutzrechtliche Bewußtsein der Bevölkerung je nach Kulturkreis stark differieren würden. Gleiches trifft für die Datenschutzrechte zu. So verneinte Fujiwara die Frage, ob der Datenschutz bzw. das Schutzniveau in Japan von der Sensibilität der Daten für den Betroffenen abhängen. Dies gelte auch für Gesundheitsdaten. Die Ursache sei, daß die Subsumtion unter den Begriff „Sensibilität" große Rechtsunsicherheit in sich berge. Auch in Deutschland habe das Bundesverfassungsgericht ja schon früh herausgestellt, daß es im Grunde kein nichtsensiblen Daten gebe.

Diskussion

Pitschas rundete das Gesamtbild ab, indem er auf Frage von Joachim zu den datenschutzrechtlichen Regelungsperspektiven im privaten Sektor Stellung nahm. Von systembildender Bedeutung sei dabei die Orientierung des Datenschutzes an den Strukturen des Verbraucherschutzes. Der Datenschutz zwischen den Bürgern untereinander werde dabei von vornherein nicht durch staatliche Überwachung organisiert. Ziel des neuen Bundesdatenschutzgesetzes sei vielmehr, wie im Tarifvertragsrecht, eine gewisse Kampfparität zwischen denjenigen Machtverbänden, von denen datenschutzrechtliches Gerfahrenpotential ausgehe - beispielsweise Großbanken und Internetdienstleistern - einerseits und Verbraucherverbänden anderseits herzustellen. Parallel dazu würden die Konzerne gezielt zur Selbstverantwortung herangezogen, was sich auf anderen Feldern wie etwa der Einhaltung von Emissionszielen im Umweltrecht bereits bewährt habe. Schließlich skizzierte Pitschas die Entwicklung und Zukunft der entsprechenden Regelungen auf der Ebene des europäischen Gemeinschaftsrechts. Zum einen müssen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 28 der Europäischen Datenschutzrichtlinie Kontrollgremien einrichten, die dann unabhängig von den Datenschutzbeauftragten auf nationaler Ebene tätig werden können. Schließlich haben die Mitgliedstaaten auch in Art. 153 EGV dem Verbraucherschutz und damit auch dem Datenschutz besondere Bedeutung zugewiesen. Die bestehenden und die sich noch in der Entwicklung befindenden Strukturen seien damit auf die Herausforderung durch die zukünftige Internetgesellschaft durchaus vorbereitet.

Schranken der „Sozialverfassung" des Grundgesetzes für den Ausbau des europäischen Sozialrechts? Von Friedrich E. Schnapp* I. Der überkommene Sozialstaat ist nationalstaatlich geprägt; allerdings knüpft in Deutschland das Sozialversicherungsrecht nicht an die Staatsangehörigkeit an, sondern an den Geltungsbereich der jeweiligen Kodifikation. Das deutsche Sozialversicherungsrecht ist also durch das Territorialitätsprinzip gekennzeichnet1. Diese „klassische Allianz von Sozialstaat und Nationalstaat"2 gerät jedoch ins Wanken: In zunehmendem Maße überlagert und verändert das europäische Gemeinschaftsrecht die einzelstaatlichen Systeme sozialer Sicherheit. Das Europarecht zwingt die nationalen Sozialrechtsordnungen zur Öffnung, weil die konstituierenden Merkmale des klassischen Nationalstaates - das Staatsgebiet als territorium clausum, das Staatsvolk als Schicksalsgemeinschaft der Staatsangehörigen und die Staatsgewalt als die an der Spitze des Gemeinwesens gebündelte, unteilbare Souveränität - an den Rändern abbröckeln und an Bedeutung verlieren. Ich möchte zu zeigen versuchen, wie sich dieser Prozeß im Bereich des Sozialrechts abspielt, welche Instrumentarien hier eingesetzt werden und wie weit dieser Vorgang in die deutsche Sozialrechtsordnung hinein Wirkungen erzeugt. Dazu bedarf es einiger Vorklärungen.

* Der Verfasser bedankt sich bei Herrn Assessor Burkhard Frank für die wirkungsvolle Unterstützung bei der Zusammenstellung des Materials. 1 § 30 SGB I; eingehend dazu Bernd von Maydell, in: Hans-Jürgen Kretschmer/Bemd von Maydell/Walter Schellhorn (Hrsg.), Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (GK-SGB I), 3. Aufl., Neuwied u. a. 1996, § 30, Rdnm. 28 ff.; s. a. Karl Hauck, in: Karl Hauck u.a. (Hrsg.), Sozialgesetzbuch, SGB I, Allgemeiner Teil, Berlin, Stand: Juli 1999, Κ § 30, Rdnm. 1 ff.; Otfried Seewald, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 1, München, Stand: September 1999, §30 SGB I, Rdnrn.2ff.; Gerhard Baier, in: Dieter Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, München, Stand: Juli 1999, § 30 SGB I, Rdnm. 1 ff.; Stephan Zechel, Die territorial begrenzte Leistungserbringung der Krankenkassen im Lichte des EG-Vertrages, Berlin 1995. 2 Eberhard Eichenhof er, Export von Sozialleistungen nach Gemeinschaftsrecht, SGb 1999, 57 (62).

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Das Verhältnis des europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht der Mitgliedstaaten wird durch eine Grundregel geprägt, nach welcher das Gemeinschaftsrecht Vorrang vor entgegenstehendem nationalem Recht genießt. Im Kollisionsfall ist das dem Gemeinschaftsrecht widerstreitende Recht eines Mitgliedstaates unanwendbar. Das steht außer Streit, soweit es um einfachgesetzliche Normenkomplexe geht. Sobald jedoch das Verfassungsrecht eines Mitgliedstaates auf dem Spiel steht, stellt sich bei vielen Betrachtern Skepsis und Unbehagen ein hinsichtlich der vorbehaltlosen Nachrangigkeit des nationalen Rechts gegenüber dem Gemeinschaftsrecht. Hier wird ein natürliches Spannungsverhältnis virulent: Auf der einen Seite steht der Anspruch der Verfassung, das ranghöchste Gesetz des Landes zu sein (supreme law of the land), steht insbesondere der grundrechtliche Schutz, den die nationalen Organe ihren Bürgern auch gegenüber Gemeinschaftsakten schulden3; auf der anderen Seite steht der Anspruch des Gemeinschaftsrechts, im Interesse der Rechtseinheit Vorrang zu genießen4. Auch das Bundesverfassungsgericht hält es für möglich, daß sich nicht nur Unstimmigkeiten, sondern auch Widersprüche zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem Grundgesetz eröffnen. Diese Widersprüche lassen sich nicht so elegant lösen, wie man es aufgrund der Vorrangregel annehmen möchte; stehen doch hier zwei Rechtskreise „unabhängig voneinander und nebeneinander in Geltung"5. Auf dieser hohen Abstraktionsebene führt der Konfliktfall in der Tat in eine Aporie 6. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Maastricht7 erweckt immerhin den Anschein, daß Fälle denkbar sind, in denen das deutsche Verfassungsrecht einer Anwendung von Rechtsakten der Europäischen Union durch deutsche Staatsorgane entgegensteht. Das Gericht hat sich allerdings nicht zu der Frage geäußert, wie es selbst agieren wird, wenn ein solcher Fall eintritt. Jedenfalls stand im Vordergrund der Maastricht-Entscheidung nicht die Problematik einer Vor-, Gleich- oder Nachrangigkeit nationalen Verfassungsrechts, sondern die Beachtung des demokratischen Prinzips bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union und die Kompetenz der Karlsruher Richter zur Überprüfung von Gemeinschaftsrecht im Verhältnis zum EuGH. 3

Josef Isensee, Soziale Sicherheit im europäischen Markt, VSSR 1996, 169 (183). Carl Otto Lenz, Der Vertrag von Maastricht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1993, 3038 (3039). 5 BVerfGE 37, 271 (278). 6 Nachweis bei Isensee (Fn.3), VSSR 1996,169 (183): „rechtstheoretisch unlösbar"; s. auch Markus Heintzen, Die „Herrschaft" über die Europäischen Gemeinschaftsverträge - Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof auf Konfliktkurs?, AöR 119 (1994), 564 (578 ff.). 7 BVerfGE 89, 155 ff. 4

Schranken der „Sozialverfassung" des Grundgesetzes

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Die Rangfrage wird auch erst dann virulent, wenn die beiden Rechtsordnungen tatsächlich in einen Konflikt geraten und Reibungsflächen entstehen8, wenn also Rechtssätze unterschiedlicher Genese und entgegengesetzten Inhalts für denselben Sachverhalt Geltung beanspruchen. Damit rücken wir meinem Thema ein Stück näher. Bevor das Verhältnis der „Sozialverfassung" des Grundgesetzes zum Gemeinschaftsrecht näher bestimmt werden kann, ist zunächst eine Klärung erforderlich, ob dem Grundgesetz überhaupt so etwas wie eine Sozialverfassung immanent ist. Ein Blick in das Grundgesetz führt sehr schnell zu der Erkenntnis, daß es jedenfalls - anders als in der Weimarer Verfassung 9 - keinen zusammenhängenden Komplex von Verfassungsnormen zum sozialen Sicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland gibt. Aber auch wer das Grundgesetz in der Hoffnung überprüft, etwas ähnliches wie eine Sozialverfassung bzw. Einzelheiten über das Sozialrecht in ungeordneter Abfolge zu finden, wird keinen Erfolg haben. Ebenso wie das Grundgesetz keine bestimmte Wirtschaftsverfassung vorgibt 10 , enthält es auch keine in Grundzügen oder Einzelheiten vorgeprägte Gestalt des sozialen Sicherungssystems. Das Grundgesetz hält allenfalls einige Normen bereit, die sich auf den Bestand des Sozialrechts beziehen11 und auf ihn einwirken. Der Begriff Sozialrecht wird nicht einmal in der Verfassung erwähnt. Lediglich von Sozialversicherung ist in einigen Normen die Rede (Art.74 Abs. 1 Nr. 12,87 Abs.2,120 Abs. 1 S.4 GG), ohne daß näher bestimmt wird, wie diese auszusehen hat. Die Ausgestaltung der Sozialversicherung überläßt das Grundgesetz dem Gesetzgeber, der denn auch gelegentlich von der Kompetenzvorschrift des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG - mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts - in einer Art und Weise Gebrauch macht, daß man die Konturen des Versicherungsbegriffs kaum noch erkennen kann und die Grenzziehungsfunktion der Zuständigkeitsbestimmung völlig verlorenzugehen droht 12 . Diese Entscheidung des Verfassungsgebers mag für den juristischen Laien angesichts der Bedeutung der sozialen Sicherheit für das Gemeinwesen überraschend sein. Sie wird aber verständlich, wenn man den Blick auf eine Eigenheit des Sozialrechts richtet, die es wenig sinnvoll - wenn nicht geradezu unmöglich - macht, ihm in der Verfassung greifbare Konturen zu verleihen: Wie kaum ein anderes Rechtsgebiet ist das Sozialrecht ständigen Wandlungen unterworfen, die den wirtschaftlichen und de8

BVerfGE 37, 271 (278). Art. 161-165 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (WRV). 10 Zur wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes BVerfGE 4, 7 (17 f.); 7, 377 (400); 50, 290 (338); Peter Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, München 1971, S.19ff. 11 Wilhelm Wertenbruch, Sozialverfassung - Sozialverwaltung, Frankfurt a. Main 1973, S. 1; s. auch Hans-Jürgen Papier, Der Einfluß des Verfassungsrechts auf das Sozialrecht, in: Bernd von Maydell/Franz Ruland (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch (SRH), 2. Aufl., Neuwied 1988, Kap.3, Rdnrn. Iff. 12 S. im einzelnen Friedrich E. Schnapp, Sozialversicherung - Begriff ohne Kontur?, VSSR 1995, 101 ff. 9

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mographischen Veränderungen in der Gesellschaft Rechnung tragen müssen. Die Dynamik erfaßt nicht nur beispielsweise die Regelungen innerhalb der einzelnen sozialen Versicherungszweige; die Veränderungen machen auch nicht vor der organisatorischen Gliederung der Sozialversicherung halt. So hielt es der Gesetzgeber vor einigen Jahren wegen der steigenden Anzahl von Pflegebedürftigen in der Gesellschaft für nötig, eine soziale Pflegeversicherung einzuführen. Änderungen im Bereich des nationalen Sozialrechts werden nicht zuletzt auch durch die Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland am europäischen Einigungsprozeß notwendig. Eine Verfassung als rechtliche Grundordnung eines Staates ist hingegen auf Beständigkeit angelegt und somit notwendigerweise eher statisch13. Das wird abgesichert durch eine besondere Bestandsfestigkeit der Verfassung, die erhöhte Anforderungen an ihre Abänderbarkeit stellt und im Hinblick auf grundlegende Verfassungsprinzipien dem Zugriff auch des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen ist. Diese relative Unverrückbarkeit der Konstitution auf der einen und die notwendige Dynamik und Flexibilität des Sozialrechts auf der anderen Seite lassen sich schwerlich auf einen Nenner bringen. Aber auch wenn die Verfassung das System der sozialen Sicherung nicht ausdrücklich festlegt, also keine positive „Sozialverfassung" statuiert, so heißt das noch nicht, daß der Gesetzgeber bei seiner Gestaltungsaufgabe im sozialrechtlichen Bereich in die Beliebigkeit entlassen wäre. Das Grundgesetz enthält an verschiedenen Stellen Normen, die sich auf sozialrechtliche Sachverhalte beziehen und damit für das Sozialrecht von Bedeutung sind, um es zunächst neutral zu formulieren. In erster Linie wird auf das in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip zurückgegriffen, wenn es darum geht, Vorgaben für eine „Sozialverfassung" im Grundgesetz zu benennen. Die Sozialstaatlichkeit unterfällt nach Art. 79 Abs. 3 GG der Ewigkeitsverbürgung und stellt damit eines der „tragenden Prinzipien unseres Staates"14 dar, folgt man einer Formulierung des Bundesverfassungsgerichts. Mit seinem Bekenntnis zum Sozialstaat enthält das Grundgesetz einen offenen Gestaltungsauftrag, der den Gesetzgeber zu sozialer staatlicher Aktivität ermächtigt und verpflichtet 15. Bei der Aufgabe, das Sozialstaatsgebot zu konkretisieren, kommt dem Gesetzgeber notwendigerweise ein weiter Gestaltungsspielraum zu; denn der pouvoir constituant hat dem Gesetzgeber keine Handlungsanweisungen zur Herstellung von Sozialstaatlichkeit mit auf den Weg gegeben16. Die permanente Herstellung von 13

Wertenbruch (FnAl\S.3. BVerfGE 3, 377 (381). 15 Peter Badura, Der Sozialstaat, DÖV 1989, 491 (493). 16 BVerfGE 50, 57 (108); 51, 115 (125); 59, 231 (263); 82, 60 (80); 84, 90 (125); 94, 241 (263); Friedrich E. Schnapp, Was können wir über das Sozialstaatsprinzip wissen?, JuS 1998, 873 (877); Michael Sachs, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., München 1999, Art. 20, Rdnr. 47. 14

Schranken der „Sozialverfassung" des Grundgesetzes

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Sozialstaatlichkeit ist ein politisches Geschäft. Das Bundesverfassungsgericht hat daher auch von Anfang an betont, daß das Sozialstaatsprinzip der konkreten Ausgestaltung in hohem Maße bedürftig sei17. Bei der Ausgestaltung dürfen andere Grundentscheidungen der Verfassung nicht überspielt werden, so vor allem nicht ihre rechtsstaatlichen Grundzüge 18. Die staatliche Sozialgestaltung ist eingebunden in die grundrechtlichen und anderen rechtsstaatlichen Eingriffsbeschränkungen der öffentlichen Gewalt19, sie muß zudem das demokratische Prinzip im Auge behalten. Um noch einmal das Bundesverfassungsgericht zu bemühen: „Das Sozialstaatsprinzip stellt dem Staat eine Aufgabe, sagt aber nichts darüber, wie diese Aufgabe im einzelnen zu verwirklichen ist - wäre es anders, dann würde das Prinzip mit dem Prinzip der Demokratie in Widerspruch geraten: Die demokratische Ordnung des Grundgesetzes würde als Ordnung eines freien politischen Prozesses entscheidend eingeschränkt und verkürzt, wenn der politischen Willensbildung eine so und nicht anders einzulösende verfassungsrechtliche Verpflichtung vorgegeben wäre" 20 . Ein Blick in die real existierende Rechtslandschaft, wie sie sich in der Judikatur der Fachgerichte zeigt, beschert denn auch die Einsicht, daß die rechtliche Bedeutung und Bindungskraft der Sozialstaatsklausel im umgekehrten Verhältnis steht zu der Häufigkeit ihrer Invokation in der Literatur. Die jüngste Rechtsprechungsanalyse durch Heinrich Reiter, den früheren Präsidenten des Bundessozialgerichts, bestätigt dies21 : Dieses Gericht hat in keiner seiner Entscheidungen auf das Sozialstaatsprinzip als eigenständige Rechtsfindungsquelle zugegriffen. Aus ihm können keine Rechte22, aber auch keine Verpflichtungen 23 extrapoliert werden; es eignet sich nicht zur Konservierung bestehender Organisationsstrukturen, in ihm steckt auch weder ein Bevorzugungsgebot nach dem Motto „in dubio pro petitore" noch ein Rückschritts- und Verschlechterungsverbot 24 - so jedenfalls sieht die forensische Wirklichkeit aus. Schier unausrottbar scheint schließlich ein nahezu stehender Satz in der staatsrechtlichen Literatur zu sein, wonach sich das Sozialstaatsprinzip im Einzelfall doch 17

BVerfGE 10, 354 (370); vgl. auch schon BVerfGE 1, 97 (105). Friedrich E. Schnapp, Sozialstaatlichkeit und soziale Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, Politik und Kultur 6/1998, 22 (25). 19 Vgl. Papier (Fn. 11), in: SRH, Kap. 3, Rdnrn. 2, 7. 20 BVerfGE 59, 231 (263). 21 Heinrich Reiter, Das Sozialstaatsgebot in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, in: Festschrift für Hans F. Zacher, Heidelberg 1998, S. 777 ff. 22 Wilhelm Wertenbruch, Sozialhilfeanspruch und Sozialstaatlichkeit, in: Staat und Gesellschaft, Festgabe für Günther Küchenhoff, Göttingen 1967, S. 343 (349); Gernot Wiedenbrüg, Der Einfluß des Sozialstaatsprinzips auf die Zuerkennung subjektiver öffentlicher Rechte-zugleich ein Beitrag über Wesen und Motorik des Sozialstaatsprinzips, Hamburg 1978, S.399. 23 BVerfGE 59, 231 (262f.). 24 Α. A. Michael Kittner, in: Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativ-Kommentare, Teil 1, 2. Aufl., Neuwied 1989, Art. 20 Abs. 1-33 Abs. 4, Rdnrn. 29 und 79. 18

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als normative Grundlage eines - in neuerer Terminologie - Sozialhilfeanspruchs eigne. Zur Begründung wird auf BVerwGE 1,159 verwiesen. Die Unrichtigkeit dieser These wird schon bei einer aufmerksamen Lektüre des Leitsatzes offenkundig. Er lautet: „Soweit das Gesetz dem Träger der Fürsorge zugunsten des Bedürftigen Pflichten auferlegt, hat der Bedürftige entsprechende Rechte". Es existierte also damals bereits eine gesetzliche Vorschrift, die den Fürsorgeträger in die Pflicht nahm; das Bundesverwaltungsgericht hat mehrere Bestimmungen des Grundgesetzes - so u. a. auch das Sozialstaatsgebot - zur Auslegung des Gesetzes herangezogen, die dahin ging, daß der Inpflichtnahme der Verwaltung ein subjektives öffentliches Recht des Bürgers entspricht 25. Erweist sich nach allem das Sozialstaatsprinzip allein als zu offen, als daß man ihm unmittelbar Handlungsanweisungen oder gar ein bestimmtes soziales Sicherungssystem entnehmen könnte, bleibt zu klären, ob sich seine Konturen nicht im Zusammenspiel mit sozialen Grundrechten erhärten. Ein einheitlicher, unumstrittener Begriff sozialer Rechte hat sich weder im sozialpolitischen noch im juristischen Bereich herausgebildet. Er zielt ganz allgemein auf die Vorstellung von staatlicher Leistung und individueller Teilhabe und umfaßt so unterschiedliche Programme wie das Recht auf Arbeit, Recht auf Bildung und Erziehung, Recht auf soziale Sicherheit, Recht auf Wohnung und das Recht auf ein Existenzminimum26. Die Aufnahme derartiger sozialer Rechte in die Verfassung ist häufig gefordert worden. Dabei übersahen die Befürworter der sozialen Verfassungsrechte zumeist, daß eine solche Normierung den Staat überfordern würde. Einklagbare soziale Grundrechte auf eine Wohnung, einen Arbeitsplatz oder einen Ausbildungsplatz sind nur realisierbar, wenn die Verfügungsgewalt über Arbeitsplätze und Wohnungen in den Händen des Staates liegt 27 und dieser überdies die erforderliche Finanzkraft besitzt. In einer marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaft und einer freiheitlichen Rechtsordnung lassen sich keine Arbeitsplätze durch Dekret schaffen. Ein Individualanspruch auf Zuweisung eines bestimmten Arbeitsplatzes würde beispielsweise den Richter vor das Dilemma stellen, entweder den Staat zur Aufnahme des Klägers in den öffentlichen Dienst zu verurteilen oder aber in die Freiheitsrechte 25

Es ging also um die Ermittlung des zweiten Elements beim subjektiven öffentlichen Recht; der Gesetzgeber hat diese Interpretationsarbeit dem Rechtsanwender mittlerweile durch die Regelungen in § 4 BSHG und in § 38 SGB I abgenommen. Siehe hierzu Hans-Jürgen Kretschmer, in: Kretschmer/von Maydell/Schellhorn (Fn. 1), §38 SGB I, Rdnrn. 2ff; Otto Fichtner, in: Otto Fichtner (Hrsg.), Bundessozialhilfegesetz, München 1999, §4, Rdnm. 1,4; Dieter Krauskopf \ in: Krauskopf (Fn. 1), § 38 SGB I, Rdnm. 1 f.; Seewald, in: Kasseler Kommentar (Fn. 1), § 38 SGB I, Rdnm. 2 f. 26 Vgl. Schnapp (Fn. 18), Politik und Kultur 6/1998, 22 (27). 27 Andrea Sanders, Ein Grundrechtskatalog für die Europäische Union?, ZfSH/SGB 1996, 418 (422).

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eines Privaten einzugreifen und diesen zur Einstellung des Klägers zu verpflichten. Das gibt unsere Rechtsordnung aus naheliegenden Gründen nicht her. Ein anderes Verständnis sozialer Grundrechte - etwa als objektive Verpflichtung des Staates zur Schaffung von Arbeitsplätzen, Wohnungen usw. - hätte zur Folge, daß solchen Normen lediglich eine Appellfunktion zukäme, die nicht erfüllbare Erwartungen wecken würde 28. Tatsache ist, daß der Verfassungsgeber bislang den Forderungen nach einer Normierung „klassischer" sozialer Grundrechte widerstanden hat. Das Grundgesetz enthält im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung und einigen Verfassungen der neuen Bundesländer keine derartigen Normen. Lediglich drei in ihrem sachlichen und persönlichen Schutzbereich relativ begrenzte Regelungen, die als „soziale Rechte" gewertet werden können, sind im Grundgesetz enthalten: die Institutsgarantie des Mutterschutzes (Art. 6 Abs. 4 GG), der Gesetzgebungsauftrag zur Gleichstellung der unehelichen Kinder (Art. 6 Abs. 5 GG) - der eingelöst worden ist 29 - und das grundrechtsgleiche Recht der Beamten auf Fürsorge, das in die institutionelle Gewährleistung des Berufsbeamtentums eingebettet ist (Art. 33 Abs. 5 GG) 30 . Das vor einiger Zeit eingeführte Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) ist nicht als Teilhabe- oder Leistungsrecht, sondern als Abwehrrecht konzipiert. Es gehört aber ebenso wie die Staatszielbestimmung zur Förderung der Gleichberechtigung in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG zu den Verfassungsnormen, die das Sozialrecht beeinflussen und für den nationalen Gesetzgeber Auftrags- und Schrankenfunktion entfalten können. Darüber hinaus weisen mehrere Grundrechte des Grundgesetzes soziale Komponenten auf und wirken somit ebenfalls auf das Sozialrecht ein, ohne daß allerdings aus ihnen allein oder im Zusammenspiel mit dem Sozialstaatsprinzip konkrete Leistungsansprüche deduziert werden könnten. Dazu gehören an erster Stelle die Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), sowie der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), der den zentralen Prüfungsmaßstab für die Frage der Finanzierung und der Differenzierung in der Beitragsgestaltung in den Systemen der Sozialversicherung liefert 31 . 28 S. hierzu Friedrich E. Schnapp, Soziale Grundrechte aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: Bernd von Maydell (Hrsg.), Soziale Rechte in der EG, Berlin 1990, S.5 (14f.); vgl. zur Vollbeschäftigungspolitik Franz Ruland, in: Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, Berlin/New York 1987, S.679 (684). 29 BVerfGE 8, 210 (216); 25, 167 (173); 56, 363 (384f.); 84, 168 (185). 30 Übersicht über die sozialen Rechte in der Verfassung bei Josef Isensee, Verfassung ohne soziale Grundrechte, Der Staat 1980, 367 (370). 31 Eingehend hierzu Ferdinand Kirchhof Sozialversicherung und Finanzverfassung, in: Friedrich E. Schnapp (Hrsg.), Finanzierung der Sozialversicherung - Am Beispiel des Arbeitsförderungsrechts, Frankfurt a. M. u. a. 2000, S. 11 ff.

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Sozialrechtliche Dimensionen entfaltet auch Art. 14 GG. Beispielsweise erstreckt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Eigentumsschutz des Art. 14 GG auf Versichertenrenten und Anwartschaften auf Versichertenrenten der gesetzlichen Rentenversicherung 32. Ebenso üben die Berufsfreiheit (Art. 12 GG), der Familienschutz des Art. 6 Abs. 1 GG und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) Einfluß auf das Sozialrecht aus 33 . Neben den Grundrechtsbestimmungen haben verschiedene Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes (Art. 74 Nr. 7, Nr. 10, Nr. 12 GG) sowie die Vorschrift über soziale Versicherungsträger in Art. 87 Abs. 2 GG Bedeutung für die Sozialgesetzgebung. Damit ist die Zusammenstellung der für das Sozialrecht relevanten Verfassungsnormen noch nicht komplett. Man denke beispielsweise an das Rechtsstaatsprinzip, die Rechtsweggarantie und die Vorgaben der Verfassung zur Rechtsprechung, die ihre normative Wirkung eben auch für sozialrechtliche Streitigkeiten entfalten. Selbst in dem haushaltspolitischen Programm des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 Abs. 4 GG) ist eine für die Sozialgesetzgebung bedeutsame Komponente enthalten34. Dies alles macht deutlich, daß das Grundgesetz in sozialrechtlicher Hinsicht keineswegs „neutral" ist und nicht als quantité négligeable behandelt werden kann, wenn es um sozialrechtliche Sachverhalte geht. Vielmehr enthält es eine Reihe von Normen, die - nicht nur, aber auch - im Sozialrecht Beachtung einfordern. Das Grundgesetz „beauftragt" den Gesetzgeber zur Sozialgesetzgebung und setzt ihm dabei gleichzeitig Schranken. Die einschlägigen Normen in ihrer Gesamtheit als „Sozialverfassung" zu bezeichnen, mag gerechtfertigt sein, wenn man nicht den Fehler macht, mit dem Begriff ein abgerundetes und in sich geschlossenes oder gar widerspruchsfreies System zu assoziieren. Ohnehin gerät derjenige, der im Hinblick auf das deutsche Sozialrecht von „System" spricht, in den Verdacht, entweder ein Ignorant oder ein Revolutionär zu sein. Steht damit als Fazit jedenfalls fest, daß das Grundgesetz eine „offene Sozialverfassung" enthält, so läßt sich daraus bereits der vorläufige Schluß ziehen, daß die Konfliktfelder zwischen dem deutschen Verfassungsrecht und dem europäischen Sozialrecht, dem ich mich jetzt zuwenden will, nicht großflächig sein können. Wie selbstverständlich wird dem nationalen Sozialrecht mittlerweile ein Europäisches Sozialrecht gegenübergestellt. Dies ist bereits insofern problematisch, als der Begriff Sozialrecht in Europa nicht einheitlich verwendet wird. In Deutschland bezieht sich der Begriff auf das Recht der sozialen Sicherheit, so wie es im Sozialge32

BVerfGE 53, 257 (290ff.); 58, 81 (109ff.). Zur sozialrechtlichen Dimension der Grundrechte und der Menschenwürdegarantie: Ulrich Preis/Britta Kellermann, Reform des Sozialstaats zwischen Sozialstaatsprinzip und Grundrechtsschutz, SGb 1999, 329 (332ff.); Sanders (Fn.27), ZfSH/SGB 1996, 418 (422); Isensee (Fn. 30), Der Staat 1980,367 (371 ); s. auch Papier (Fn. 11 in: SRH, Kap. 3, Rdm. 40 ff. 34 Isensee (Fn. 30), Der Staat 1980, 367 (371). 33

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setzbuch seine Ausprägung gefunden hat. Die Europäische Union folgt hier aber dem Sprachgebrauch des romanischen Rechtskreises, der unter droit social eben nicht nur das Recht der sozialen Sicherheit versteht, sondern unter dieses Begriffsdach immer auch das Arbeitsrecht einbezogen hat 35 . Wichtiger erscheint folgendes: Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, jetzt Europäische Union, war von Anbeginn ein in erster Linie ökonomisches Unterfangen. Zwar bekräftigten die Gründungsstaaten in der Präambel zum EWG-Vertrag ihren Willen, durch gemeinsames Handeln nicht nur den wirtschaftlichen, sondern auch den sozialen Fortschritt in der Gemeinschaft zu sichern; dieser sollte jedoch durch die positiven Wirkungen des gemeinsamen Marktes hervorgerufen werden 36: Sozialer Fortschritt - wenn man so will - als „Abfallprodukt" bei der Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes. Die der Öffnung des Binnenmarktes dienenden Elemente, nämlich die Grundfreiheiten des EG-Vertrages, sollten aber nicht ohne Auswirkungen auf das Sozialrecht bleiben: Wollte man die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 51 EGV, Art. 42 n. F.) effektiv garantieren, so galt es zu vermeiden, daß aus der Inanspruchnahme der Freizügigkeit sozialrechtliche Nachteile resultierten. Für sog. „Wanderarbeitnehmer" müßte es unschädlich sein, daß die nationalen Sozialleistungssysteme unterschiedlich ausgestaltet sind. So entstand ein freizügigkeitsspezifisches europäisches Sozialrecht 37. Die primärrechtliche Grundlage dafür bot Art. 51 EGV, der die Gemeinschaftsorgane zum Erlaß der „auf dem Gebiete der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen" ermächtigt. Diese Vorschrift begründet eine Kompetenz zur Koordinierung der nationalen Systeme sozialer Sicherheit, und das heißt: zur „Ent-Territorialisierung" der Systeme der Mitgliedstaaten. Sekundärrechtlich hat das europäische koordinierende Sozialrecht in den Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 seinen Niederschlag gefunden. Als „Annex" der im EG Vertrag garantierten Freizügigkeit stellen diese Verordnungen auch heute noch den Kernbereich des Europäischen Sozialrechts dar 38 . Durch die Verordnung 1408/71 werden die selbständig bleibenden nationalen Sozialrechtssysteme für grenzüberschreitende Sachverhalte koordiniert. Hingegen hat 35 Eberhard Eichenhof er, Das Europäische Sozialrecht - Bestandsaufnahme und Entwicklungsperspektiven, JZ 1992,269 (270); Bettina Kahil, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, Baden-Baden 1996, S. 174; s. auch Bernd Schulte, „Konvergenz" statt „Harmonisierung" - Perspektiven Europäischer Sozialpolitik, ZSR 1990, 273 (277); Heinz-Dietrich Steinmeyer\ Europäische Rechtsprechung und Gesetzgebung im Grenzbereich von Arbeits- und Sozialrecht, in: Festschrift für Otto Ernst Krasney, München 1997, S.567 (568). 36 Vgl. Frank Maschmann, Europäisches Sozialrecht und Sozialgerichtsbarkeit, SGb 1995, 584; Achim Sohns, Soziale Sicherungssysteme in der Europäischen Union, Kompaß 1998, 53. 37 Zu dieser Terminologie s. Görg HaverkatelStefan Huster, Europäisches Sozialrecht, Baden-Baden 1999, Rdnr. 7. 38 Vgl. Bernd Schulte, Allgemeine Regeln des internationalen Sozialrechts - supranationales Recht, in: S RH (Fn. 11), Kap. 32, Rdnr. 4.

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die Verordnung nicht den Sinn, die differierenden nationalen Sozialversicherungssysteme zu harmonisieren oder gar ein einheitliches Europäisches Sozialrecht unter einheitlicher Trägerschaft zu schaffen 39, sondern nur die Funktion, das nationale Sozialrecht bei Sachverhalten mit Auslandsberührung, die aus der ungehinderten Inanspruchnahme der Grundfreiheiten resultieren, zu ergänzen. Das Prinzip des europäischen Sozialrechts, wie es vor allen in der VO 1408/71 niedergelegt ist, besteht nach wie vor in der einvernehmlichen Begründung von Kollisionsnormen, die absichern, daß unter den Mitgliedstaaten für einen der Regelung bedürftigen internationalen sozialrechtlichen Sachverhalt nur ein Sozialrechtsstatut gilt. Die VO 1408/71 regelt beispielsweise, unter welchen Voraussetzungen nach dem Sozialrecht eines Mitgliedstaates eine Leistung gewährt werden muß, falls sich der Berechtigte außerhalb seines Herkunftsstaates innerhalb der EU aufhält. Sie legt auch die Kriterien für die Zusammenrechnung der in verschiedenen Mitgliedstaaten erworbenen Anwartschaften fest. Die vollständige Harmonisierung oder Egalisierung im Sinne einer Rechtsangleichung aller sozialrechtlichen Sachnormen der Mitgliedstaaten wäre - wenigstens auf absehbare Zeit - ein unrealistisches Ziel. Sie wird auch nicht angestrebt. Ökonomische und soziale Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten würden dadurch nicht vermindert, sondern eher vergrößert, weil das gleiche Sozialrecht in unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Umgebungen unterschiedliche soziale und ökonomische Wirkungen hervorruft 40. Europäisches Freizügigkeits-Sozialrecht bleibt auf die Aufgabe der Koordination beschränkt. Schon an dieser Stelle sollte deutlich sein, daß die Äquivokation „hie nationales, da europäisches Sozialrecht" den fehlgehenden Eindruck erweckt, als stünden sich hier zwei Rechtsmassen gleichsam antithetisch gegenüber. Das ist aber, wie gesehen, nicht der Fall. Einzelstaatlich geregelt sind nach wie vor der versicherungspflichtige und -berechtigte Personenkreis, die Versicherungsfälle, die Finanzierung und die Leistungen. Europäisches Sozialrecht - behält man diese Bezeichnung einmal bei - hat eine dem Internationalen Privatrecht vergleichbare Funktion. Deswegen steckt in dem Begriff des europäischen Sozialrechts in der Tat - wie Josef Isensee bemerkt hat - „ein wenig Hochstapelei"41. Zwei Entscheidungen des EuGH vom 28. April 1998 in den Rechtssachen Kohll und Decker 42, die hierzulande einige Aufregung verursachten, haben den Blick auf eine andere Verschränkung zwischen europäischem und nationalem Sozialrecht gerichtet. Im Vordergrund dieser Entscheidungen steht nicht mehr allein das freizügig39 Raimund Waltermann, Einführung in das Europäische Sozialrecht, JuS 1997,7 (10); vgl. auch Bernd Schulte, in: Lothar Frank/Bernd Schulte/Heinz-Dietrich Steinmeyer (Hrsg.), Internationales und Europäisches Sozialrecht, Neuwied u.a. 1996, Kap. 2, Rdnr. 16; Eberhard Eichenhof er, Nationales und supranationales Sozialrecht, VSSR 1996, 187 (202). 40 Eichenhofer (Fn. 35), JZ 1992, 269 (276); s. auch Schulte (Fn. 35), ZSR 1990, 273 ff. 41 Isensee (Fn.3), VSSR 1996, 169 (172). 42 EuGH - 28.4.1998 - C-120/95 (Decker) und C-158/96 (Kohll), SGb 1998, 586 f.

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keitsspezifische Koordinationsrecht; der EuGH machte vielmehr deutlich, daß auch die primärrechtlich statuierten Grundfreiheiten des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 59 ff. EGV, Art. 49 ff. EGV n. F.) und des freien Warenverkehrs (Art. 30 EGV, Art. 28 EGV n. F.) Relevanz im sozialrechtlichen Bereich besitzen. Wenn man so will, haben wir es hier mit dem wettbewerbsspezifischen europäischen Sozialrecht 43 zu tun. In der Rechtssache Decker ging es um die Frage, ob aufgrund der Warenverkehrsfreiheit ein nach dem Sozialversicherungsrecht eines Mitgliedstaates zur Sachleistung berechtigter Versicherter anstatt der Sachleistung Kostenersatz für die in einem anderen Mitgliedstaat beschaffte Sache beanspruchen kann. In der Rechtssache Kohll war fraglich, ob vor dem Gemeinschaftsrecht eine Regelung eines Mitgliedstaates Bestand haben kann, nach der die Inanspruchnahme einer Zahnarztbehandlung in einem anderen Mitgliedstaat von der Einwilligung durch den Träger der zuständigen Sozialversicherung abhängig gemacht wird. In beiden Fällen bejahte der EuGH die Vorlagefrage, hat den Klägern des Ausgangsverfahrens also Recht gegeben. Die beiden Entscheidungen spiegeln die Grundeinstellung des EuGH wider, nach der in einem mit den Grundfreiheiten verträglichen System der supranationalen Sozialrechtskoordinierung jegliche Beschränkung des Zugangs zu Dienst- und Sachleistungen einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht darstellt. Regeln, die den grenzüberschreitenden Zugang zu Dienst- und Sachleistungen vom Wohnsitz des Berechtigten, seinem Gesundheitszustand oder einer Genehmigung eines Mitgliedstaates abhängig machen, sind demnach - ungeachtet ihrer Übereinstimmung mit der VO (EWG) Nr. 1408/71 - mit Gemeinschaftsrecht unvereinbar. 44 Auf die Tragweite der Auslegungen des europäischen Gemeinschaftsrechts durch den EuGH für die nationalen Systeme sozialer Sicherheit - betroffen sind vor allem die Krankenversicherungssysteme 45 - kann hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Es soll nur auf die Tendenz hingewiesen werden, die in dieser Rechtsprechung zum Ausdruck kommt und die für den Ausbau der Normen des Europäischen Sozialrechts in Zukunft voraussichtlich eine entscheidende Rolle spielen wird. Dies ist zum einen die aus der primär wirtschaftlichen Ausrichtung der EU resultierende Betonung der Grundfreiheiten auch für sozialrechtliche Sachverhalte, zum anderen aber auch der bedeutende Einfluß, den die Rechtsprechung des EuGH bei der Entwicklung des europäischen Sozialrechts ausübt. 43

Vgl. Haverkate!Huster (Fn. 37), Rdnr. 8. Eberhard Eichenhofer, Das Europäische koordinierende Krankenversicherungsrecht nach den EuGH-Urteilen Kohll und Decker, VSSR 1999, 101 (121). 45 Siehe hierzu Bernd Schulte, „Zur Kur nach Abano Therme, zum Zahnarzt nach Antwerpen?" - Europäische Marktfreiheiten und nationales Krankenversicherungsrecht, ZfSH/SGB 1999,269 ff., 347 ff.; Eichenhofer (Fn. 44), VSSR 1999,101 (U3ff.)\ Michael Schaaf Die Urteile des EuGH zur Leistungsgewährung in der GKV - Gefahr für die deutsche Gesundheitspolitik?, SGb 1999, 274ff.; Karl-Jürgen Bieback, Konfliktfelder zwischen nationalem Sozialrecht und EU-Recht, RsDE 41, 46 ff. 44

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Neben den Koordinierungsregelungen enthält das Gemeinschaftsrecht eine Reihe von Vorschriften über eine gemeinsame Sozialpolitik. Für den Ausbau dieser Vorschriften bedeutsam war vor allem der Gipfel von Maastricht im Jahre 1991. Über ein Abkommen zur Sozialpolitik und ein sozialpolitisches Aktionsprogramm versuchten damals die Mitgliedstaaten, eine gemeinsame Sozialpolitik auf neuen Rechtsgrundlagen zu intensivieren 46. Die infolge dieser Bemühungen mit dem Amsterdamer Vertrag als neue Art. 136-145 EGV in den Unionsvertrag integrierten Vorschriften zur Sozialpolitik brachten gewisse Erweiterungen der Gemeinschaftszuständigkeiten mit sich. Die Vorschriften enthalten aber auch in ihrer neuen Fassung in erster Linie nur Absichten und Bestrebungen der Mitgliedstaaten. Als soziale Ziele der EU werden ein angemessenes und weiter auszubauendes Maß an sozialem Schutz über die Förderung eines dauerhaft hohen Beschäftigungsniveaus, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, der soziale Dialog und die Bekämpfung von Ausgrenzungen benannt. Besonders hervorgehoben wird in Art. 3 Abs. 2 EGV der Grundsatz der Gleichstellung von Frauen und Männern als für alle Vertragsziele relevantes Prinzip. Zur Gesundheitspolitik in der EU bestimmt Art. 152 Abs. 1 EGV: „Bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt. Die Tätigkeit der Gemeinschaft ergänzt die Politik der Mitgliedstaaten und ist auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der menschlichen Gesundheit gerichtet." Die rechtliche Relevanz derartiger Programmsätze ist eher gering 47, da die rechtliche Durchsetzungsmacht fehlt, sie zu verwirklichen 48. Auch die dem Rat verliehenen Kompetenzen zum Erlaß von Richtlinien zur Sicherung von Mindeststandards (so z. B. in Art. 137 Abs. 2 EGV) ändern daran wenig. Es bleibt daher auch nach den Änderungen des Unionsvertrages durch den Amsterdamer Vertrag bei der grundsätzlichen Vertragsphilosophie, daß Sozialpolitik-jedenfalls soweit es die Systeme der sozialen Sicherheit angeht - primär Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist 49 . Der Wahrung der Sozialzuständigkeiten der Mitgliedstaaten dient auch das in Art. 5 EGV neu normierte Subsidiaritätsprinzip, nach dem zunächst geprüft werden muß, ob eine bestimmte Maßnahme nicht auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten ausreichend verwirklicht werden kann50. 46

Eingehend Otto Schulz, Maastricht und die Grundlagen einer Europäischen Sozialpolitik, Köln u. a. 1996, S. 89ff., 129ff.; Eva Kampmeyer, Protokoll und Abkommen über die Sozialpolitik der Europäischen Union, Köln u. a. 1997, S. 51 ff.; Jochen C. Κ . Ringler, Die Europäische Sozialunion, Berlin 1997, S. 182 ff. 47 Waltermann (Fn.39), JuS 1997, 7 (8). 48 Isensee (Fn.3), VSSR 1996, 169 (171). 49 Thomas Oppermann, Europarecht, 2. Aufl., München 1999, Rdnr. 1635; vgl. auch Stamatia Devetzi, Die Kollisionsnormen des Europäischen Sozialrechts, Berlin 2000, S. 19f.; Richard Gießen, Die Vorgaben des EG-Vertrages für das Internationale Sozialrecht, Köln u. a. 1999, S. 18 f.

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Europäische Sozialpolitik soll sich auch weiterhin primär über die wirtschaftsund sozialpolitische Zusammenarbeit und Abstimmung der Mitgliedstaaten und nicht über zwingende Rechtsakte der Gemeinschaft verwirklichen 51. Anstatt sozialer Harmonisierung steht eine Politik der sozialen Konvergenz auf der Agenda der Gemeinschaft 52. Erwähnung soll im Rahmen einer Bestandsaufnahme des europäischen Sozialrechts und seiner Entwicklungsperspektiven noch die Frage der Einführung „klassischer" sozialer Grundrechte auf Gemeinschaftsebene finden. Die Aufnahme sozialer Grundrechte in den EU-Vertrag wird bereits seit längerer Zeit diskutiert. Im Jahre 1989 vereinbarten die Mitgliedstaaten die - rechtlich unverbindliche - Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte 53, die beispielsweise ein Recht auf Berufsausbildung und ein Recht auf sozialen Schutz vorsieht. Gerade die deutsche Ratspräsidentschaft hat in diesem Jahr auf dem EU-Gipfel zu Köln die Aufnahme eines auch soziale Grundrechte enthaltenen Grundrechtskatalogs in den EU-Vertrag gefordert und vorangetrieben. Es läßt sich aber absehen, wie schwierig es sein wird, eine Einigung der Mitgliedstaaten auf einen gemeinsamen Text herbeizuführen. Nicht nur das: Verbindet man soziale Grundrechte mit dem Anspruch - und dem Versprechen - einer Kodifikation, unmittelbar geltendes Recht zu sein, und nimmt man die gerichtliche Kontrolle hinzu, dann gerät man unausweichlich in das beschriebene Dilemma.

III. 1. Im Hinblick auf eine Einführung verbindlicher sozialer Grundrechte auf Gemeinschaftsebene stellt sich nicht nur die Frage nach der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit, sondern auch nach eventuellen Reibungspunkten mit dem Grundgesetz, das - wie bereits erwähnt - keine „klassischen" sozialen Grundrechte enthält. Würde beispielsweise auf europäischer Ebene ein als Leistungsrecht ausgestaltetes Grundrecht auf Arbeit eingeführt, so käme es zu einer unmittelbaren Drittwirkung eines Grundrechts gegenüber den Unternehmern, da der Staat nicht die unbeschränkte Verfügungsgewalt über alle Arbeitsplätze besitzt. Das Resultat wäre die Beschränkung von Freiheitsrechten der Privaten 54 und damit ein verstärktes Auftre50

Ausführlich hierzu Kahil (Fn. 35), Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität. Oppermann (Fn.49), Rdnr. 1633. 52 Schulte (Fn. 35), ZSR 1990,273 (287); s. auch Eberhard Eichenhofer, Umbau des Sozialstaats und Europarecht, VSSR 1997,71 (78): „Das Gemeinschaftsrecht begründet indes weder die Pflicht, noch schafft es auch die Befugnis für die Gemeinschaft, das materielle Sozialrecht der Mitgliedstaaten zu harmonisieren oder gar zu vereinheitlichen". 53 Abgedruckt in ZFSH/SGB 1989,400ff., s. hierzu Ringler (Fn.46), S. 173 ff.; Kampmeyer (Fn.46), S.32ff. 54 Vgl. Isensee (Fn. 3), VSSR 1996, 169 (182f.); dens. (Fn. 30), Der Staat 1980, 367 (379); Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, Frankfurt a.M. 1986, S.461. 51

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ten von Grundrechtskollisionen. Bevor man derartige Konsequenzen in Kauf nimmt, sollte man sich vor Augen halten, in welches Dilemma eine Konstellation führen kann, wenn man die Statuierung von sozialen Grundrechten ernst meint, ihnen also Bindungswirkung beigelegt wird und die Einhaltung der Verfassung der gerichtlichen Kontrolle unterliegt: Halten die sozialen Grundrechte wegen ihrer Vagheit keine hinreichenden Handlungsanweisungen bereit, so findet bei gleichwohl bestehender ΒindungsWirkung und gerichtlicher Kontrolle eine verfassungsrechtlich problematische Verlagerung von haushaltswirksamer Sozialpolitik vom Gesetzgeber auf die Gerichte statt. Eine Möglichkeit, von vornherein unerwünschten Kollisionen mit den Freiheitsrechten des Grundgesetzes aus dem Weg zu gehen, wäre die Normierung objektivrechtlicher Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, beispielsweise eine Politik der Vollbeschäftigung oder der sozialen Sicherheit zu betreiben. Wählt man diesen Weg, muß man sich allerdings darüber im klaren sein, daß solche Normen den Rang einer politischen Wohlwollensbekundung nicht übersteigen und daher rechtlich wirkungslos bleiben würden 55. Schließlich bestünde die Möglichkeit, einen Grundrechtskatalog auf EU-Ebene einzuführen, der wie das deutsche Grundgesetz keine „klassischen" sozialen Rechte, sondern lediglich Grundrechte mit sozialem Bezug enthält56. Dies würde an der gegenwärtigen Situation kaum etwas ändern, da nach der Rechtsprechung des EuGH die Organe der Union sowie die das Gemeinschaftsrecht anwendenden Instanzen der Mitgliedstaaten die Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze ohnehin so zu beachten haben, wie sie gemeinsam aus den Verfassungen der Mitgliedstaaten sowie aus der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte hervorgehen 57. Das Bundesverfassungsgericht hat im Solange II- Beschluß bestätigt, daß der vom EuGH entwickelte Grundrechtsschutz nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im wesentlichen gleichzuachten ist 58 . Im übrigen würde die Kodifizierung eines EU-Grundrechtskatalogs auch das Problem nicht lösen, daß Grundrechte durch den EuGH auf der einen Seite und das Bundesverfassungsgericht auf der anderen Seite unterschiedlich konkretisiert oder ausgelegt werden können. Skeptiker eines Grundrechtskatalogs auf EU-Ebene befürchten sogar ein verstärktes Auftreten derartiger Konflikte 59 . 55

Vgl. Schnapp (Fn.28), in: v.Maydell, S.5 (15). S. hierzu Sanders (Fn.27), ZfSH/SGB 1996, 418 (423). 57 Ständige Rechtsprechung des EuGH; repräsentativ: EuGH NJW 1976, 467. 58 BVerfGE 73,339 ff.; siehe hierzu auch Michael Kloepfer, EG-Recht und Verfassungsrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Michael Kloepfer u.a. (Hrsg.), Die Bedeutung der Europäischen Gemeinschaften für das deutsche Recht und die deutsche Gerichtsbarkeit, Berlin 1989, S. 11 (12,16ff.). 59 So etwa Sanders (Fn.27), ZfSH/SGB 1996, 418 (423). 56

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2. Abgesehen von eventuellen Reibungen zwischen Gemeinschaftsrecht und Grundgesetz durch die Einführung eines europäischen Grundrechtskatalogs bleibt festzustellen, daß Kollisionen zwischen deutschem Verfassungsrecht und dem europäischen Sozialrecht zum einen durch die „offene Sozialverfassung" des Grundgesetzes und zum anderen durch die weitgehende Beschränkung des Gemeinschaftsrechts auf sozialrechtliche Koordinierungsnormen vermieden werden 60. Die Frage, ob der Normenbestand des Grundgesetzes mit sozialrechtlichem Bezug dem europäischen Sozialrecht Schranken setzt, bleibt rein theoretisch, solange Widersprüche und Konflikte zwischen beiden Rechtsordnungen nicht auftreten. Dieser Befund entbindet aber noch nicht davon, über das grundsätzliche Verhältnis des nationalen Verfassungsrechts zum Gemeinschaftsrecht nachzudenken. Auch wenn derzeit keine wesentliche Änderung in der Konzeption des europäischen Sozialrechts ansteht, so sind damit doch Konflikte noch nicht auf alle Zeit ausgeschlossen. Es ist allerdings nicht Aufgabe der Jurisprudenz, künftige konkrete Konfliktlagen und daraus resultierende Rechtsprobleme im Detail vorauszusehen oder gar vorherzusagen und im voraus Lösungen zu entwickeln. Der Rechtswissenschaftler kann sich hier nur auf Grundsätzliches beschränken. Die Problematik des Verhältnisses beider Rechtsordnungen zueinander61 könnte man auf die Frage reduzieren, ob zukünftiges europäisches Sozialrecht auch am Maßstab des deutschen Verfassungsrechts zu prüfen ist. Hier steht auf der einen Seite der An wendungs vorrang des Gemeinschaftsrechts, den der Europäische Gerichtshof einfordert; auf der anderen Seite stehen die verfassungsrechtlichen Vorbehalte, die das Bundesverfassungsgericht mehrfach dargelegt hat, zuletzt im bereits zu Anfang erwähnten Maastricht-Urteil 62. Die Kritiker dieser Entscheidung, die dem Bundesverfassungsgericht vorwerfen, zu sehr auf die Grenzen der Gemeinschaftsbefugnisse abgehoben zu haben und damit in traditionelles nationalverfassungsrechtliches Denken „zurückgefallen" zu sein63, erwecken den Eindruck, als habe das Bundesverfassungsgericht die Fundamente der Europäischen Union durch eine Verneinung des Grundsatzes „Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht" ins Wanken gebracht. Dabei wird übersehen, daß die Verzahnung von Europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Verfassungsrecht intensiver ist, als es in der Kürze und Schärfe der Vorrangregel zum Ausdruck kommt. Das Bundesverfassungsgericht mußte bei seiner Entscheidung die verfassungsrechtlichen Grenzen einer Kompetenzübertragung auf die Europäische Union als 60

Isensee (Fn.3), VSSR 1996, 169 (182). Zum Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und Grundgesetz s. Thomas Groß, Verfassungsrechtliche Grenzen der europäischen Integration, Jura 1991, 575 ff. 62 BVerfGE 89, 155 ff. 63 Vgl. Oppermann (Fn.49), Rdnr. 619; Klaus-Dieter Βorchardt, in: Kurt Schelter (Hrsg.), Fundstellen- und Inhaltsnachweis Arbeits- und Sozialrecht der Europäischen Union (EU), Heft 15, Stand: Januar 1999, S.39. 61

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Maßstab anlegen. Die Europäische Union kann auf diesem Gebiet nur insoweit aktiv werden, als sie von ihren Mitgliedstaaten dazu ermächtigt wird. Als „Verfassungsheber für die europäische Integration dient Art. 23 GG, der die Integrationsoffenheit der deutschen Verfassung betont, ihr aber gleichzeitig auch Schranken setzt. Das Leitbild einer Letztverantwortung des integrationsoffenen Staates, der sich auch in der Integration zu bewähren hat, trägt so, wie es in Art. 23 GG zum Ausdruck kommt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum MaastrichtVertrag 64. Das Gemeinschaftsrecht gilt nur deshalb unmittelbar in der Bundesrepublik, weil der deutsche Gesetzgeber nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG Hoheitsrechte auf die EU überträgt 65. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG bestimmt, daß eine Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU allein dann gestattet ist, wenn sie den demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen sowie dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet ist und einen dem Grundgesetz vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Durch die Neufassung des Art. 23 GG hat der Verfassungsgeber die vom Bundesverfassungsgericht in seiner früheren Rechtsprechung entwickelten Schranken zur Übertragung von Hoheitsrechten im wesentlichen kodifiziert. Bereits in früheren Entscheidungen hatte das Bundesverfassungsgericht dargelegt, daß das Grundgesetz es nicht gestatte, „im Wege der Einräumung von Hoheitsrechten für zwischenstaatliche Einrichtungen die Identität der geltenden Verfassungsordnung (...) durch Einbruch in ihr Grundgefüge, die sie konstituierenden Strukturen aufzugeben" 66. Vor der Einführung des Art. 23 GG erfolgte die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EG nach Art. 24 Abs. 1 GG. Hier sah die herrschende Meinung Art. 79 Abs. 3 GG als äußerste Grenze der Übertragung von Hoheitsrechten an, weil die dort aufgeführten Staatsstrukturbestimmungen nicht einmal zur Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers stünden und deshalb erst recht nicht vom einfachen Gesetzgeber verändert oder übertragen werden könnten67. Art. 23 Abs. 1 GG nimmt nun als neue Integrationsermächtigung ausdrücklich auf Art. 79 Abs. 3 GG Bezug (Art. 23 Abs.l S.3GG). Art. 23 Abs. 1 GG richtet sich an den (deutschen) Gesetzgeber und bestimmt, daß dieser Hoheitsrechte auf die EU übertragen muß, bevor die Kompetenzen auf die Gemeinschaft übergehen. Für die Organe der EU bedeutet dies, daß sich deren Rechtsakte in den Grenzen der der Gemeinschaft nach Art. 23 Abs. 1 GG übertragenen Hoheitsrechte halten müssen68. Hieraus zieht das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil den einzig möglichen Schluß, daß Normen des Gemeinschaftsrechts, die nicht diesen Anforderungen entsprechen, innerstaatlich nicht anwendbar 64 65 66 67 68

Vgl. Volkmar Götz, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, JZ 1993,1081. Maschmann (Fn. 36), SGb 1995, 584 (588). BVerfGE 73, 339 (375 f.); ähnlich zuvor BVerfGE 37, 271 (279). Zur früheren Rechtslage Maschmann (Fn. 36), SGb 1995, 584 (588). BVerfGE 89, 155 (156, 174f.).

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sind 69 . In dem Fall, daß die EU die ihr von einem Mitgliedstaat übertragenen Kompetenzen überschreitet, findet der Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts in der Tat seine Grenze. Ein anderer Aspekt des Verhältnisses des Gemeinschaftsrechts zum Grundgesetz ist die Überprüfbarkeit von Gemeinschaftsrecht durch das Bundesverfassungsgericht am Maßstab der Vorgaben des Art. 23 Abs. 1 GG. Da ein Unions-Vertrag, mit dem der EU Kompetenzen übertragen werden, eines innerstaatlichen Zustimmungsgesetzes bedarf, kann das Bundesverfassungsgericht mit der Frage konfrontiert werden, ob der Vertrag mit den Grundentscheidungen der deutschen Verfassung übereinstimmt. Soweit es um ein Gesetz zur Übertragung von Hoheitsrechten geht, ist die Überprüfbarkeit durch das Bundesverfassungsgericht nicht umstritten. Kritik hat das Bundesverfassungsgericht allerdings für den im Maastricht-Urteil dargelegten Standpunkt erfahren, daß es sich auch für die Überprüfung von abgeleitetem, bereits in Ausübung übertragener Hoheitsrechte entstandenem Gemeinschaftsrecht am Maßstab des GG für zuständig hält 70 . Diese Problematik kann hier nicht vertieft werden 71. Die vorangegangenen Ausführungen zum Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und deutschem Verfassungsrecht haben freilich noch nicht geklärt, welche spezielle Bedeutung die „Schlüsselnorm" Art. 23 GG für den Ausbau des europäischen Sozialrechts hat. Zunächst ist einfach festzustellen, daß Art. 23 Abs. 1 GG die integrationsoffene Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland auch für den sozialrechtlichen Bereich statuiert. Die Zusammenstellung der Normen des Grundgesetzes mit sozialrechtlichem Bezug muß also um Art. 23 GG ergänzt werden. Will man von einer „Sozialverfassung" des Grundgesetzes sprechen, so ist diese Norm ein Teil eben dieser Sozialverfassung. Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG bestimmt auch die materiellen Grenzen der Integrationsermächtigung für den sozialrechtlichen Bereich. Die Norm nennt als Anforderungen an die Union und als Schranken der Integrationsermächtigung unter anderem die sozialstaatlichen Grundsätze und die Gewährleistung eines dem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutzes. Da das Sozialstaatsprinzip und die Grundrechte des Grundgesetzes mit sozialem Bezug gerade kein bestimmtes sozialrechtliches System vorgeben, bleibt die - ohnehin nur mittelbare - Schrankenwirkung für den Ausbau des Europäischen Sozialrechts von geringer Relevanz, zumal nicht zu erwarten ist, daß sich das Sozialrecht auf europäischer Ebene in eine Richtung entwickeln könnte, die mit den elementaren Grundentscheidungen der deutschen Verfassung unvereinbar wäre. 69

BVerfGE 89, 155 (188); s. hierzu auch Maschmann (Fn. 36), SGb 1995, 584 (589). BVerfGE 89, 155(156,178). 71 S. hierzu Christian Tietje, Europäischer Grundrechtsschutz nach Maastricht, „Solange III"? - BVerfG, NJW 1993, 3047; JuS 1994, 197 (198,200ff.); Maschmann (Fn. 36), SGb 1995, 584 (589). 70

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Friedrich E. Schnapp

Auch die in Art. 23 Abs. 1 S. 1 statuierte Verpflichtung auf den Grundsatz der Subsidiarität 72 steht einer Kompetenzübertragung zum Ausbau des europäischen Sozialrechts nicht entgegen. Die Verankerung dieses Grundsatzes in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG dient vor allem dem Anliegen der Bundesländer, ihre Eigenständigkeit und ihre Kompetenzen zu wahren 73. Für den Bereich des Sozialrechts besteht die Gefahr einer Aushöhlung oder Beeinträchtigung der den Ländern verbliebenen Kompetenzen nicht, da der Bund die (konkurrierende) Gesetzgebungsbefugnis (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7, Nr. 10, Nr. 12, Art. 72 GG) besitzt und diese Kompetenz auch sozusagen bis zur Neige in Anspruch genommen hat. IV. Zusammenfassend läßt sich daher feststellen, daß deutsches Verfassungsrecht und europäisches Sozialrecht sich nicht in einem konkreten Spannungsverhältnis gegenüberstehen. Das Grundgesetz beläßt dem Gesetzgeber weite Gestaltungsspielräume für die Teilnahme am Ausbau des europäischen Sozialrechts. Konfliktpotentiale zwischen Verfassung und Gemeinschaftsrecht sind bei einer Weiterentwicklung des europäischen Sozialrechts in den vorgezeichneten Bahnen vorerst nicht zu erwarten. Anderes gilt allerdings im Verhältnis des nationalen Sozialrechts zum Gemeinschaftsrecht. Dies haben insbesondere die bereits erwähnten Urteile des Europäischen Gerichtshofes zur freien, grenzüberschreitenden Inanspruchnahme von Leistungen bei Krankheit deutlich gemacht. Hervorzuheben ist, daß der EuGH diese Entscheidungen in erster Linie nicht auf das bestehende europäische koordinierende Sozialrecht zur sozialen Sicherheit von „Wanderarbeitnehmern", also auf Sekundärrecht, stützt, sondern auf die primärrechtlich garantierte Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit. Freizügigkeit, Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit sind keine spezifisch sozialrechtlichen Freiheiten, sie haben aber Auswirkungen auf die nationalen Sozialrechtssysteme, bei denen noch keine „Entgrenzung" vorgenommen worden ist. Das Spannungsfeld liegt zwischen diesen Grundfreiheiten und dem deutschen Sozialrecht, das bislang keine wirklichen Wettbewerbselemente in der sozialen Leistungserbringung enthält. Die Rechtsprechung des EuGH macht deutlich, daß das Koordinierungsrecht nicht mehr ausreicht und einer Fortentwicklung bedarf, um der Bedeutung aller Grundfreiheiten Rechnung zu tragen 74. Die 72

Zum Subsidiaritätsprinzip als Schranke für die Übertragung von Hoheitsrechten s. Christian Kirchneri Joachim Haas, Rechtliche Grenzen für Kompetenzübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft, JZ 1993, 760 (770f.). 73 BT-Drs. 12/3896, S. 17; s. auch Rudolf Streinz, in: Sachs (Fn. 16), Art. 23 GG, Rdnr. 37. 74 Vgl. Eichenhofer (Fn.35), JZ 1992, 269 (276); dens. (Fn. 44),VSSR 1999, 101 (120f.); dens., Dienstleistungsfreiheit und freier Warenverkehr als Rechtsgrundlagen für grenzüberschreitende Behandlungsleistungen, in: Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht (Hrsg.),

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Verordnung 1408/71 EWG sollte insoweit ergänzt oder reformiert werden 75, so daß es künftig nicht mehr allein dem Europäischen Gerichtshof überlassen bleibt, den abstrakt formulierten Grundfreiheiten für sozialrechtliche Sachverhalte Gestalt zu geben. Ob auf längere Sicht überdies eine - zur Zeit nicht angestrebte - Harmonisierung in Form einer Rechtsangleichung der sozialrechtlichen Sachnormen in den Mitgliedstaaten der EU notwendig und wünschenswert wird, bleibt abzuwarten. Die Planung einer über einen kurzen Zeitraum durchgeführten Rechtsangleichung von oben wäre wohl von vornherein zum Scheitern verurteilt. Man denke nur an die extremen Widerstände, die selbst relativ geringfügige sozialpolitische Reformvorhaben in der Bevölkerung der Mitgliedstaaten hervorrufen. Die wachsende wirtschaftliche, soziale und kulturelle Verflechtung der Mitgliedstaaten und die damit verbundene Angleichung der Lebensverhältnisse werden aber weiterhin einen schon jetzt erkennbaren Veränderungsdruck auf die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit ausüben, so daß sich ein allmählicher Prozeß der Angleichung der Sozialrechtssysteme und des Ausbaus des Gemeinschaftssozialrechts einstellen wird 76 . Das deutsche Verfassungsrecht steht derartigen Entwicklungen nicht entgegen. V. Jenseits der eher rechtstechnisch zu lösenden Fragen von Koordinierung, Konvergenz oder Harmonisierung lauern aber Probleme, deren Lösung sich zwar im Recht niederschlagen muß, die aber ausgelöst sind durch äußere Zwänge und ökonomische Gesetzmäßigkeiten, die sich selbst einer rechtlichen Lösung weitgehend entziehen. Diese Probleme sind allen entwickelten Industriestaaten gemeinsam: es ist die Bevölkerungsentwicklung in ihren Facetten Geburtenrate, Altersstruktur und Lebenserwartung, welche den Fortbestand der jetzigen sozialen Sicherungssysteme nachhaltig in Frage stellt.77 Europa hat eine Geburtenrate von 1,42, ganz ähnlich wie Japan. Unterhalb der Marke von 2,1 aber nimmt die Bevölkerung ab. Eine Prognose für Deutschland, die von einer durchschnittlichen Geburtenzahl pro Frau von 1,25 Kindern ausgeht, Vorträge und Berichte, Sammelband Nr. 101, 11. Bonner Europa-Symposion, Grenzüberschreitende Behandlungsleistungen im Binnenmarkt, Bonn 1999, S. 1 (19). 75 Zum Reformbedarf vgl. auch Gerhard Igl, Probleme der Europäischen Sozialrechtskoordinierung auf Grund von Veränderungen in den Sozialleistungssystemen der EU-Mitgliedstaaten, in: Festschrift für Otto Ernst Krasney, München 1997, S. 199 (215); Bernd Schulte, Zur Kritik des europäischen koordinierenden Sozialrechts, ZFSH/SGB 1999,579ff., 653 ff.; dens., Einführung in die Tagung: Freizügigkeit und soziale Sicherheit, in: Bernd Schulte/Klaus Barwig (Hrsg.), Freizügigkeit und Soziale Sicherheit, Baden-Baden 1999, S.39 (79ff.). 76 Vgl. Eichenhofer (Fn.35), JZ 1992, 269 (277); Oppermann (Fn.49), Rdnr. 1673. 77 Eingehend dazu Friedrich E. Schnapp/Peter Kostorz, Demographische Entwicklung, soziale Sicherungssysteme und Zuwanderung, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik 2002 (im Erscheinen).

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kommt zu dem Ergebnis, daß es im Jahre 2030 noch 65 Mio. Inländer gibt - ohne Zu- und Abwanderungen. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung kontinuierlich. Bei abnehmender Bevölkerungszahl wächst der Anteil der älteren Leute: Die Gesellschaft schrumpft zahlenmäßig und altert zugleich. Nach Modellrechnungen muß schon vor der Mitte des nächsten Jahrhunderts ein Erwerbstätiger einen Rentner versorgen. Damit nicht genug: Eine alternde Gesellschaft treibt auch die Kosten des Gesundheitswesens in die Höhe, ebenso wie die der Pflegeversicherung. Bei älteren Menschen nehmen zu: die Multimorbidität, die chronischen Krankheiten und die Pflegefälle. Zur Veranschaulichung: Die Leistungsausgaben der GKV in den alten Bundesländern betrugen im Jahr 1998 knapp 200 Mrd. DM: gut 57 % davon wurden von Rentnern in Anspruch genommen; obwohl diese Gruppe nur etwa ein Viertel der Versicherten ausmacht. Das Ganze schlägt auch auf die Volkswirtschaft durch, und zwar nicht nur wegen der steigenden Lohnnebenkosten, sondern auch weil die Belegschaften altern und die Zahl der qualifizierten Neuzugänge sinkt. Das verlangt ein Umdenken in den Personalabteilungen der Betriebe. Die Szenarien, die einen Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme signalisieren, sind keine Hirngespinste phantasierender Zukunftsforscher, sondern beruhen auf Tatsachen, die z. T. bereits seit Jahrzehnten bekannt sind. Die Politik ist aufgerufen, hier energisch umzusteuern. Da alle Mitgliedstaaten der EU mehr oder weniger die gleichen strukturellen Probleme der beschriebenen Art haben, bietet es sich an, auch in der europäischen Sozialpolitik koordinierend über Problemlösungen nachzudenken - und am Ende des Überlegens auch zu handeln.

Der Ausbau des Sozialrechts in Japan und die Rolle des Staates in der sozialen Sicherung Von Miyoko Motozawa I. Die historische Entwicklung1 1. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelte sich die japanische soziale Sicherung unter dem /^-System,2 also einem Pyramidensystem der Großfamilie sehr langsam. Unter dem /^-System besaß der Hausherr (.Koshu) einerseits das gesamte Vermögen des le und alle Befugnisse über die vermögensrechtlichen und persönlichen Entscheidungen aller /^-Mitglieder, andererseits war er verpflichtet alle IeMitglieder zu unterhalten. Jeder Japaner gehörte einem Ie an, der seinen Unterhalt gesichert hat. Nur im Notfall konnte man eine staatliche Hilfe vom Tenno, also dem obersten Hausherrn der Japan-Familie, erhalten, wenn er keine /^-Zugehörigkeit hatte, oder wenn sein gehörendes Ie keine genügende finanzielle Fähigkeit dafür hatte. Dies war eine große Ausnahme, und galt als eine große Schande in der japanischen Gesellschaft. Deshalb blieb das Leistungsniveau gemäß der Armenhilfsordnung (Jukkyu-Kisoku) von 1874 und auch dem Armenhilfsgesetz (Kyugo-Hou) von 1929 sehr niedrig. Nach der Wiederöffnung des Landes am Ende der Tokugawa-Zeit wollte die Meiyï-Regierung so schnell wie möglich das Land modernisieren und industrialisieren, um das Land in der Unabhängigkeit zu halten, indem sie einen extremen Kapitalismus befürwortete. Wegen dessen Härte wurde ein Rechtssystem notwendig, daß die wirtschaftlich und sozial Schwächeren schützte.3 Zum Schutz der Jugend und der Frauen wurde das Fabrikgesetz (Koujou-Hoü) im Jahre 1911 erlassen und auf Druck der ILO im Jahre 1923 verbessert. Der Erlaß des Gesetzes über das Abfindungsgeld von 1936 (Taishokukin-Tumitate oyobi Taishoku-Teate H ou) als Schutz der Arbeitnehmer vor der einseitigen Entlassung, war wiederum dem Druck der ILO zu ver1 Einige Auszüge dieses Beitrags wurden bereits in der Zeitschrift der Universität der Präfektur Osaka veröffentlicht (Miyoko Motozawa, Einführung in das japanische Sozialrecht, Bulletin of University of Osaka Prefecture Series D, Vol. XXXIX, 1995, S.45 ff). 2 Zum le-System: Motozawa, a. a. Ο., S. 58 f. 3 Zur Geschichte des japanischen Arbeitsrechts: Satoshi ΝishitanilHans-Peter Marutschke, Einführung in das japanische Zivilrecht - Einführung in das japanische Arbeitsrecht, FernUniversität Hagen, 1991, S. Iff.

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Miyoko Motozawa

danken. Als eine Maßnahme gegen die häufigen Streiks und die radikale Linke wurde das Krankenversicherungsgesetz für Arbeiter von 1922 (Kenkou-Hoken-Hou) verkündet, aber die Leistung konnte erst im Jahre 1927 gewährt werden, weil die Regierung einen Gesamtvertrag, der für die Leistung aus der Krankenversicherung nötig war, mit dem japanischen Arztverband (Nippon-Ishi-kai) nicht einfach abschließen konnte. Dies wurde im Jahre 1942 mit dem Krankenversicherungsgesetz für Angestellte von 1938 (Shokuin-Kenkou-Hoken-Hoü) in einem Gesetz, also dem Krankenversicherungsgesetz für Arbeitnehmer (Kenkou-Hoken-Hou) vereinigt. Aus militärischen Gründen und zur Erhaltung möglichst vieler, gesunder Soldaten wurde das Volkskrankenversicherungsgesetz (Kokumin-Kenkou-Hoken-Hou) im Jahre 1942 erlassen. Viele junge Bauern, deren Gesundheitszustand wegen der Armut, verursacht durch die Krise der Landwirtschaft, sehr schlecht war, konnten freiwillig in die Volkskrankenversicherung eintreten. Ferner wurde für die Finanzierung der Kriegskosten das Rentenversicherungsgesetz für männliche Arbeiter im Jahre 1942 erlassen, dessen persönlicher Anwendungsbereich bereits 1944 auf Angestellte und Frauen erstreckt wurde (Kousei-Nenkin-Hoken-Hou). Viele Versicherten mußten Beiträge zur Rentenversicherung zahlen, obwohl noch fast keine Versicherten einen Rentenanspruch besaßen. 2. Die Niederlage des Zweiten Weltkrieges und Wirtschaftsentwicklung a) Verfassung von 1946 und eine Reihe von Gesetzesreformen Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg 1945 sollte Japan unter der Herrschaft der amerikanischen Besatzungstruppen einen demokratischen Staat aufbauen. Der Demokratisierung lag die neue Verfassung von 1946 zugrunde, deren Grundprinzipien die Volkssouveränität, die Würde des Individuums, der Friedensstaat und der Sozialstaat sind. Das /^-System im alten Familien- und Erbrecht mußte abgeschafft werden, weil es gegen die Würde des Individuums und gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau verstieß. Im neuen Familien- und Erbrecht ist die Kernfamilie das Vorbild der modernen Familie. Der Personenkreis und der Umfang des Familienunterhalts ist beschränkt.4 Unter diesen Umständen mußte der Staat die soziale Sicherung systematisieren, d. h. Japan mußte auch ein Sozialstaat werden. Der Sozialstaat ist das staatliche Ideal des 20. Jahrhunderts. Ein solches Prinzip kommt in Artikel 25 der Verfassung im folgenden zum Ausdruck: 5 4 Zur Unterhaltspflicht zwischen Ehegatten und zwischen Verwandten vgl.: Miyoko Motozawa, Die Ehescheidung in Japan, FamRZ 1989, S.464; dies., Familiäre und sonstige Pflege der alten Menschen im japanischen Sozialrecht, ZfSH/SGB April 1995, S. 173 f. 5 Die deutsche Übersetzung der japanischen Verfassung wurde dem folgenden Buch entnommen: Toshiyoshi Miyazawa (Heuser/YamasakiJ, Verfassungsrecht (Kempo), Japanisches Recht Band 21, 1986, S. 301.

Der Ausbau des Sozialrechts in Japan

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(1) Jeder Angehörige des Volkes hat das Recht, ein Leben in Gesundheit mit einem Mindestmaß an Kultur zu führen. (2) Der Staat muß in allen Lebensgebieten um die Hebung und Förderung des sozialen Wohles, der sozialen Sicherheit und der öffentlichen Hygiene bemüht sein. Dieser Artikel garantiert der Bevölkerung ein Existenzminimum. Dieser Grundsatz liegt allen sozialrechtlichen Gesetzen zugrunde, und ist der wichtigste Maßstab ihrer Auslegung. Dieser Grundgedanke wird durch das Recht auf Ausbildung in Artikel 26 und das Recht auf Arbeit in Artikel 27 sowie durch die Garantie der Vermögensrechte in Artikel 29 unterstützt. Vor der Verkündigung der neuen Verfassung wurde das alte Fürsorgegesetz von 1946 (,Seikaisu-Hogo-Hou) zum Schutz der Bevölkerung vor dem Hungertod gemäß der Anweisung der Besatzungstruppe erlassen. Nach dem Inkrafttreten der Verfassung 1947 wurde das Gesetz gemäß Artikel 25 der Verfassung im Jahre 1950 grundlegend reformiert. Dies ist das geltende Fürsorgegesetz. Ferner wurden - nach dem Grundsatz des Sozialstaates - das Kinderwohlfahrtsgesetz ([Jidou-Fukushi-Hou) im Jahre 947 und das Wohlfahrtsgesetz für körperlich Behinderte (,Shintai-ShougaishaFukushi-Hou) im Jahre 1949 verkündet. Zum Wiederaufbau und zur Verbesserung des Sozialversicherungssystems wurden das Unfallversicherungsgesetz von 1947 (Roudousha-Saigai-Hoken-Hou), das Arbeitslosenversicherungsgesetz von 1947 (.Shitsugyou-Hoken-Hou) und das Gesetz über die Rentenversicherung für Arbeitnehmer von 1954 (Kousei-Nenkin-Hoken-Hou) erlassen. Der berühmteste, wichtigste Fall hinsichtlich des Existenzrechts (Seizon-Ken) in Artikel 25 der Verfassung war der Asahi-Fall.6 Er begann mit einer Klage des Herrn Asahi, einem Fürsorgeempfänger im Jahre 1957. Damals war das Leistungsniveau der Fürsorge sehr niedrig und deckte nicht den Sonderbedarf von Herrn Asahi, der wegen einer Tuberkulose Erkrankung in einem Sanatorium in der Präfektur Okayama eingewiesen war. Er mußte seine Klage gemäß der Zivilprozeßordnung gegen den zuständigen Minister für Gesundheit und Wohlfahrt in Tokyo richten. Das Landesgericht Tokyo bestätigte seine Rechtsauffasung und entschied im Jahre 1960 folgendes: die Richtlinie der Fürsorgeleistungen, die vom zuständigen Minister erlassen wurden, ist rechts- und verfassungswidrig, da sie die Führung eines Lebens in Gesundheit mit einem Mindestmaß an Kultur nicht garantiert. Das Oberlandesgericht Tokyo und der Oberste Gerichtshof waren zurückhaltender: aus Artikel 25 der Verfassung kann der einzelne Bürger keinen konkreten Anspruch ableiten. Zwar hat jeder Bürger einen Rechtsanspruch gemäß dem Fürsorgegesetz, aber Inhalt und Höhe der Fürsorgeleistungen stehen im Ermessen des zuständigen Ministeriums. Falls die Entscheidung nicht angemessen war, steht die Regierung in der politischen Verantwortung. Die Entscheidung ist aber erst dann rechtswidrig, wenn das Ermessen mißbraucht oder überschritten wird. Diese Auslegung des Obersten Gerichtshofs über Artikel 25 der Verfassung ist immer noch die Grundlage aller Gerichtsentscheidungen. 6

OGH vom 24. Mai 1967, Minshu, Band 21 Nr. 5, S. 301.

Miyoko Motozawa

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Zwischen der Entscheidung des Oberlandesgerichts von 1963 und der des Obersten Gerichtshofs von 1967 ist Herr Asahi gestorben. Durch diesen 10-jährigen Prozeß lernte die japanische Bevölkerung das Existenzrecht und die Bedeutung des Sozialstaats kennen. Ferner wurde dadurch eine Form der Sozialbewegung zum Schutz der wirtschaftlich und gesellschaftlich Schwachen gebildet und brachte in mehreren Umweltverschmutzungsfällen in den 60er und 70er Jahren den Geschädigten Erfolg. Der direkte Erfolg des Asahi-Falls war eine erhebliche Erhöhung des Leistungsniveaus der Fürsorge. Bereits nach dem Urteil des Landgerichts wurde es erhöht und danach mehrmals verbessert. b) Phase des hohen Wirtschaftswachstums in den 60er Jahren Seit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg zielte Japan in erster Linie auf eine gute wirtschaftliche Entwicklung ab. Damit konnte Japan zunächst die Armut und Wirrnisse der Nachkriegszeit überwinden und die kapitalistische Gesellschaft stabilisieren. In der Folge wollte Japan mit dieser Strategie einen guten Platz unter den entwickelten Ländern der Welt erreichen, was ihm auch gelang und weiterhin seine Zielsetzung ist. Das hohe Wirtschaftswachstum in den 60er Jahren führte zu starken Veränderungen in den japanischen Arbeitsbeziehungen.7 Zur Förderung einer positiven Beschäftigungspolitik wurden das Beschäftigungsgesetz von 1966 (Koyou-TaisakuHou) und weitere Gesetze erlassen. Auch das Beschäftigungsversicherungsgesetz (Koyou-Haken-Hou) wurde als Reformfassung des früheren Arbeitslosenversicherungsgesetzes im Jahre 1974 verkündet. Als Maßnahme gegen die zunehmenden Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten wurde erst im Jahre 1972 das Gesetz für Sicherheit und Hygiene am Arbeitsplatz (Roudau-Anzen-Eisei-Hoü) erlassen. Das hohe Wirtschaftswachstum in den 60er Jahren brachte eine rasche Expansion der städtischen Bevölkerung und einen beschleunigten Wandel der japanischen Gesellschaft. Die Industrialisierung und Urbanisierung innerhalb einer kurzen Zeitspanne haben einen tiefgreifenden Einfluß auf das Leben der Bevölkerung ausgeübt. Aus den geänderten sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen sind für das menschliche Leben nicht nur Annehmlichkeiten, sondern auch Schwierigkeiten entstanden. In diesem Zusammenhang wollte die Regierung, daß die gesamte japanische Bevölkerung in der öffentlichen Kranken- und Rentenversicherung versichert wird. Dafür wurden das Volkskrankenversicherungsgesetz (.Kokumin-Kenkou-Hoken-Hou) im Jahre 1958 und das Volksrentenversicherungsgesetz (Kokumin-Nenkin-Hoken-Hou) im Jahre 1959 verabschiedet. Im Bereich der Sozialwohlfahrt und Sozialleistung wurden ferner eine Reihe von Gesetzen erlassen; ζ. B. das Wohlfahrtsgesetz für Geistesschwache von 1960 (Seishin-Hakujakusha-Fukusi-Hou), das Wohlfahrtsgesetz für die alten Menschen von 7

Nishitani/Marutschke,

a. a. O., S. 8f.

Der Ausbau des Sozialrechts in Japan

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1963 (Roujin-Fukushi-Hou), das Wohlfahrtsgesetz für die alleinerziehenden Mütter von 1964 (Boshi-Oyobi-Kafu-Fukushi-Hoü), das Gesetz über das Gesundheitswesen der werdenden Mütter und der Neugeborenen von 1965 (Boshi-Hoken-Hou), das Unterhaltsbeihilfegesetz für alleinerziehende Mütter von 1961 (.Jidou-FuyouTeate-Hou), das Unterhaltsbeihilfegesetz für die geistig Schwerbehinderten Kinder von 1964 (Tokubetsu-Jidou-Fuyou-Teate-Hou) und das Kindergeldgesetz von 1971 (,Jidou-Taate-Hou). Im Jahre 1973 wurde durch eine Reform des Wohlfahrtsgesetzes für die alten Menschen die kostenlose ärztliche Behandlung für die über Siebzigjährigen in ganz Japan eingeführt. Mehrere Präfekturen und Gemeinden hatten diese gesundheitliche Versorgung zuvor selbständig finanziert. c) Phase der stagnierenden Wirtschaftsentwicklung nach der Ölkrise in der letzten Hälfte der 70er und in den 80er Jahren Die langfristige Stagnation der Wirtschaft, die mit der ersten Ölkrise begann, erzwang die Änderung der japanischen Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur. Die japanischen Firmen konnten diese Phase durch eine beschleunigte Hochtechnologisierung und Computerisierung sowie eine restriktive Betriebsführung erfolgreich bewältigen. Die Stagnation der Wirtschaft wirkte sich deutlich negativ im sozialrechtlichen Bereich aus. Wegen der Verschlechterung der Staatsfinanzen wollte die Regierung eine Reihe von Gesetzesreformen durchführen, um die Finanzlast des Staates zu verringern. Im Jahre 1982 wurde das Gesetz zum Gesundheitswesen der alten Menschen (Roujin-Hoken-Hou) verabschiedet.8 Das Gesetz zielte einerseits auf eine stabile Finanzierung der ärztlichen Behandlung für die wachsende Zahl der über Siebzigjährigen und andererseits auf eine Erleichterung der hohen Finanzlast des Staates ab. Die Finanzierung der medizinischen Behandlung der über Siebzigjährigen erfolgt durch die Abgaben der sieben gesetzlichen Krankenversicherungen (70%) und durch Steuern (Staat 20%, Präfektur 5 %, Gemeinde 5 %). Danach mußte jeder über Siebzigjähriger einen Teil der Behandlungskosten, in Form einer Pauschalabgabe selbst tragen. Der Pauschalebetrag wurde in den Jahren 1986 und 1991 erhöht. Im Jahre 1984 wurde die Reform des Krankenversicherungsgesetzes für Arbeitnehmer durchgesetzt. Danach muß jeder Versicherte im Gegensatz zu früher 20 % aller Kosten der ärztlichen Behandlung selbst tragen, während er vor der Reform keine Behandlungskosten tragen mußte. Um soziale Härten zu vermeiden, wurde eine Übergangszeit festgelegt, in der nur ein Kostenanteil von 10 % den Versicherten auferlegt wird. Durch diese Reform wurde ein spezielles Krankenversicherungssystem für ältere, noch nicht Siebzigjährige und ihre unterhaltsrechtliche Familie, die bis zum Ruhestand in einer Krankenversicherung der Arbeitnehmer und nach dem Ruhestand in der Volkskrankenversicherung versichert wurden, in die Volkskran8

Vgl. Motozawa, ZfSH/SGB April 1995, S. 174f.

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kenversicherung eingeführt. 9 Die Versicherten der Volkskrankenversicherung müssen 20 % aller Kosten und ihre Familie 20 % bei der ambulanten Behandlung und 30 % bei der Krankenhausbehandlung selbst tragen, während die allgemein Versicherten der Volkskrankenversicherung 30 % aller Kosten selbst tragen müssen. Im Jahre 1985 wurde eine gründliche Reform der Rentenversicherung durchgeführt. 1 0 Das frühere Rentenversicherungssystem war sehr kompliziert, weil sich die sieben öffentlich-rechtlichen Rentenversicherungen historisch unabhängig entwikkelten, und dadurch große Unterschiede im Bereich der Leistungen und der Finanzierung aufwiesen. Die Reform hatte deshalb die Vereinheitlichung der sieben Rentenversicherungen, die Sicherung eines landesweiten angemessenen Rentenniveaus, die Vermeidung künftig untragbarer Beiträge, die Verwirklichung eines eigenen Rentenanspruchs der Frauen und die Verbesserung der Behindertenrente zum Ziel. Das neue japanische Rentenversicherungssystem der Grundrenten mit Zusatzsicherung ist ein spezielles Grundrentenmodell. Der Zuschuß des Staates deckt nur ein Drittel aller Leistungskosten der Grundrenten ab. Das neue System erfuhr eine kleine Änderung bereits im Jahre 1989, um einen Teil der oft kritisierten Probleme des Systems zu lösen. Außerdem wurde zur Entlastung des Staates im Jahre 1985 die Reform des Unterhaltsbeihilfegesetzes für alleinerziehende Mütter durchgeführt. Damit wurden drei Einkommensstufen für die Mütter als Voraussetzung für die Leistungsgewährung eingeführt ohne Rücksicht darauf, ob und wieviel Kinderunterhalt die Väter tatsächlich zahlen.11

d) Phase der stagnierenden Wirtschaftsentwicklung nach der Asienkrise in den 90er Jahren Ende der 80er Jahre war in Japan durch die Grundstückinvestitionen eine Zeit der Hochkonjunktur, aber nach kurzer Zeit platzte die Seifenblase der ,bubble-economy'. Die folgende eine große Wirtschaftskrise zwang erneut zu einer Änderung der japanischen Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur. Gleichzeitig kam es zu einem Geburtenrückgang und zu einem Anstieg der Anzahl der älteren Menschen. Daher kam es auch zu einer Änderung im System der sozialen Sicherung. 9

Vgl. Motozawa, ZfSH/SGB April 1995, S. 174 Zur Reform der Rentenversicherung von 1985: Miyoko Motozawa, Die Rentenversicherung in Japan - das neue Rentenversicherungssystem der Grundrente mit Zusatzversicherung, ZIAS 1/1988, S. 85 ff. 11 Die Höhe der Unterhaltsbeihilfe für eine Familie von zwei Personen (Mutter und ein Kind) beträgt im Jahre 1999 monatlich 42.370 Yen, wenn ihr Jahreseinkommen 2.048.000 Yen nicht erreicht; bei einem Einkommen zwischen 2.048.000 Yen und 3.000.000 Yen beträgt sie 28.350 Yen; bei einem Einkommen über 3.000.000 Yen wird keine Beihilfe geleistet. Vgl. Ministerium für Gesundheit und Wohlfahrt, Weißbuch von 1999, Tokyo 1999, S.430. 10

Der Ausbau des Sozialrechts in Japan

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Das Gesetz zum Gesundheitswesen der alten Menschen wurde im Jahre 1991 reformiert. Ein Element dieser Reform bestand darin, ab 1995 den Betrag der Pauschalabgabe der über Siebzigjährigen dem Verbraucherpreisindex anzupassen. Der Betrag lag im Jahre 1999 bei 520 Yen pro ambulante Behandlung; 1200 Yen pro Tag bei einer Krankenhausbehandlung. Ferner wurde bei dieser Reform das Kostentragungssystem der ambulanten Krankenpflege eingeführt, um ein Versorgungssystem für die Krankenpflege der zu Hause gepflegten alten Menschen aufzubauen. Das allgemeine Versorgungssystem für die häusliche Krankenpflege wurde durch die Änderung der Arten der Versicherungsleistungen bei der Reform des Krankenversicherungsgesetzes für Arbeitnehmer und des Volkskrankenversicherungsgesetzes von 1994 eingefühlt. Ferner mußten nach dieser Reform alle Krankenhauspatienten (inkl. der über Siebzigjährigen) die Verpflegungskosten, die früher in den Behandlungskosten der Krankenhäuser enthalten waren, in Form einer Pauschalabgabe selbst tragen. Bei der Reform der obengenannten drei Gesetze von 1997 wurde die Regel der Vergütung der Arzneimittel geändert. Ferner wurde der Kostenanteil, den die Versicherten der Arbeitnehmerkrankenversicherung selbst tragen mußten, von 10% auf 20% erhöht. Das Gesetz über die Rentenversicherung für Arbeitnehmer wurde im Jahre 1994 reformiert und dabei entschieden, ab 2001 die Rentenalter von 60 auf 65 stufenweise zu erhöhen und inzwischen entsprechend der Arbeitstätigkeit Teilrenten zu gewähren. Für Verwirklichung der Teilbeschäftigung und Teilrenten wurde eine neue Leistung für Fortbeschäftigung der alten Menschen, die ab 1995 gewährt wurde, in die Beschäftigungsversicherung eingeführt. Ferner wurde entschieden, neben der weiteren Erhöhung der monatlichen Beitragssätze den neuen Beitragssatz für den halbjährlichen Bonus ab 1995 einzuführen. Im Jahre 1999 wird eine Reform des Gesetzes über die Volksrentenversicherung und des Gesetzes über die Rentenversicherung für Arbeitnehmer durchgeführt, um die Beiträge zu erhöhen und das Niveau der Altersrenten zu reduzieren. Ferner wird nach dem Muster der USA vorgeschlagen, daß jeder Versicherte der Rentenversicherung für Arbeitnehmer einen Teil seines Fonds der Altersrenten und der Betriebsrenten selbständig investieren kann. Als Maßnahme gegen die rückgängige Geburtenrate wurden das Kindergeldgesetz im Jahre 1991 reformiert. Damit wird seit 1902 das Kindergeld auch für das erste Kind, das früher bei der Gewährung des Kindergeldes außer Betracht blieb, gewährt. Der Betrag des Kindergeldes wurde verdoppelt, aber die Altersgrenze der Kinder halbiert. 12 Ferner wurde 1991 das Gesetz über den Erziehungsurlaub (IkujiKyuugyou-Hoü) erlassen. Damit können Väter und Mutter seit 1992 höchstens ein Jahr lang Erziehungsurlaub nehmen, aber sie erhalten keine finanzielle Unterstützung, also kein Gehalt, keine Sozialversicherungsbeiträge und kein Erziehungsgeld. 12 Im Jahre 1999 betrug die Höhe des Kindergeldes für das erste und das zweite Kind je 5.000 Yen, für das dritte und weitere Kinder je 10.000 Yen, sofern sie noch nicht drei Jahre erreicht haben. Die Jahreseinkommensgrenze eines Haushaltes von vier Personen betrug 2.840.000 Yen. Vgl. Weißbuch von 1999, S.430.

Miyoko Motozawa

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Nach der Reform des Beschäftigungsversicherungsgesetzes von 1994 können sie seit 1995 25 % des Monatsgehalt erhalten. Im Jahre 1995 wurde das Gesetz über den Erziehungsurlaub reformiert und der Pflegeurlaub in dieses Gesetz eingeführt (Ikuji-Kaigo-Kyuugyou-Hoü). Damit kann seit 1999 jeder Arbeitnehmer einen Pflegeurlaub höchstens drei Monaten lang nehmen und 25 % von Monatsgehalt erhalten. Im Jahre 1997 wurde das Kindeswohlfahrtsgesetz reformiert, um den Eltern die Auswahl des Kinderhortes zu ermöglichen und die Kindererziehung der Eltern in der Gesellschaft zu unterstützen. Im Bereich der Sozialwohlfahrt waren auch eine Reihe von Gesetzesreformen nötig, weil das frühere japanische Wohlfahrtssystem den notwendig gewordenen Bedarf an häuslicher Pflege der sprunghaft zunehmenden Zahl der alten Menschen nicht decken konnte. Die früheren Gesetze dienten hauptsächlich den armen Leuten, und die Sozialwohlfahrt wurde von der öffentlichen Seite getragen. Die Wohlfahrtsgesetze zielten auf die Unterbringung der armen, alleinstehenden Behinderten und Alten in angemessenen Einrichtungen. Im Jahre 1990 gab es eine große Reform aller acht Wohlfahrtsgesetze, um die häusliche Pflege zu fördern. Zu diesem Zweck wurden die Zuständigkeit der Sozialwohlfahrt auf die Gemeinde konzentriert, die Funktion der Sozialwohlfahrtsbüros verbessert, die Möglichkeiten der Geschäftsführung der Sozialwohlfahrt mit Privaten Träger erweitert. 13 Für die Stabilität der Finanzierung der Altenpflege versuchte die Regierung zuerst, eine neue indirekte Steuer einzuführen und damit den Bedarf der alten Menschen an der Pflege und Hilfe zu decken, aber gegen diese Steuer gab es großen Widerstand von Seiten der Öffentlichkeit. Daher wurde eine neue Pflichtversicherung für die Altenpflege unter dem Einfluß der deutschen Pflegeversicherung vorgeschlagen. Das Gesetz zur Einführung der Pflegepflichtversicherung wurde Mitte Dezember 1997 erlassen und wird am 1. April 2000 in Kraft treten. II. Zentralisierung und Dezentralisation 7. Zentralisierung

durch Dienstanweisung (Verwaltungsanleitung) des Ministeriums

In der Praxis haben die Gesetze normalerweise nur eine Bedeutung als Rahmen oder Ziel. Die japanische Bürokratie spielt die viel größere Rolle. Zwar ist das Nationale Parlament das höchste Organ der Staatsgewalt und die einzige gesetzgebende Körperschaft in Japan. Aber bei der Durchführung der Gesetze können sich die Regierung und jedes Ministerium eine eigene Auslegung, die die japanischen Elitebeamten ausarbeiten, zu eigen machen. Diese Auslegung wird durch Verordnungen und insbesondere durch ausführliche Dienstanweisungen der Ministerien auf ganz Japan ausgedehnt. Gerichte bejahen die allgemeine Rechtswirkung der Dienstan13

Vgl. Motozawa, ZfSH/SGB April 1995, S. 176f.

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Weisung und vermeiden die Entscheidung, ob eine Dienstanweisung rechts- oder verfassungswidrig ist. Die Dienstanweisung entfaltet aber nur innerhalb einer Behörde bindende Wirkung. Um auf Privatpersonen auszuüben, benutzt jedes Ministerium eine VerwaltungsanleitungiGyosei-Shido). Durch dieses Instrument kann das Ministerium die private Körperschaft veranlassen, die Entscheidung des Ministeriums zu befolgen und es kann sich so durchsetzen. Im Bereich der Sozialwohlfahrt spielen Dienstanweisungen des Ministeriums für Gesundheit und Wohlfahrt eine erhebliche Rolle, weil die Wohlfahrtsleistungen durch die Verwaltungsmaßnahme (Sochi) auf einem Antrag gewährt. Bei Entscheidungen hinsichtlich der Fürsorgeleistung zum Beispiel hat ein Angestellter des Sozialwohlfahrtsbüros der Gemeinde fast keinen Spielraum, weil Dienstanweisungen des Ministeriums oder der Präfektur eine bestimmte Lösung verschiedenster Probleme vorgeben.14 So gibt es beispielsweise ein spezielles Handbuch zur „Richtigstellung der Fürsorge" (Hogo no Tekisei-ka). Dieses Handbuch verfaßte ein Beamter des Rechnungshofs und veröffentlichte es in einer Zeitschrift im Jahre 1987, um die Anzahl der Fürsorgeantragsteller und -empfänger zu reduzieren und damit die Ausgaben des Staates zu senken. In diesem Handbuch wurde als Behandlung der Antragsteller folgendes angeordnet: Gründe sind zu suchen, um Antragsbewerbern die Antragsformulare vorzuenthalten; beim ersten Besuch des Antragsteller ist der Antrag nicht anzunehmen; verschiedene Formulare zur Antragstellung sind auszugeben, um das Antragsverfahren zu verkomplizieren; unterschiedliche Prüfungen sind dem Antragsbewerber abzuverlangen, damit dieser auf die Antragstellung verzichtet. Im Handbuch war auch die Behandlung der Fürsorgeempfänger enthalten; das heißt, wie man die Fürsorgeempfänger zur Aufgabe ihrer Leistungsansprüche bringt. Die „Richtigstellung der Fürsorge" war ein staatliches Projekt, um Einsparungen im Staatshaushalt zu erzielen. Einerseits war dies nötig, um den Mißbrauch im Fürsorgewesen einzudämmen. Andererseits ging dies aber zu Lasten der sozialen Schwachen. Zum Beispiel waren die meisten Yakuza Fürsorgeempfänger, denn sie verfügten nur über ein irreguläres Einkommen. Die Angestellten der Gemeinde hatten in Yakuza-Fällen jedoch Angst um ihr Leben. Deshalb gingen sie einer Konfrontation mit dieser Gruppe aus dem Weg und zogen es vor die Zahl der übrigen Fürsorgeempfänger, also alten Menschen, Behinderten und alleinerziehenden Mütter zu reduzieren. Dabei wurde das obengenannte Handbuch von vielen Angestellten der Gemeinde benutzt, um sich durch die Verminderung der von ihnen übernommenen Fürsorgeempfänger zu profilieren. Viele Gemeinden, Städte und Präfekturen folgten dem Handbuch. Denn alle Kosten hinsichtlich der Fürsorge mußten sie zuerst selbst tragen, und sie bekamen erst nachträglich 70 % der Kosten vom Staat 14 Vgl. Miyoko Motozawa, Selbstbestimmung im Sozialrecht - Schranken der Privatautonomie aufgrund des Fürsorgerechts, in: Dieter Leipold (Hrsg.), Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft aus deutscher und japanischer Sicht (Freiburger Rechts- und Staats wirtschaftliche Abhandlungen Bd. 62), Heidelberg 1997, S. 224 ff.

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Miyoko Motozawa

erstattet. Der Staat übernimmt diese aber nicht, wenn die gewährten Leistungen als nicht angemessenen angesehen werden. Zu großzügige Leistungen gelten regelmäßig als nicht angemessen, mit der Folge, daß solche nicht gewährt werden. Letztendlich gehen diese zu Lasten der Gemeinde, Städte und Präfekturen. Im Bereich der Sozialwohlfahrt hat das Ministerium aus historischen und finanziellen Gründen sehr große Macht. Die Elitebeamten, die an der Spitze der Pyramide der japanischen Bürokratie stehen, möchten und können durch die Dienstanweisungen und durch die Finanzierung einen großen Einfluß ausüben. Selbständigkeit und Autonomie können die Gemeinden, Städte und Präfekturen kaum erwarten. Durch diese starke Zentralisierung erreichte das Ministerium eine nahezu uniforme Behandlung der Leistungen in ganz Japan. Als nächsten Schritt will das Ministerium die bisherige Richtung der Altenpflege wegen der zunehmenden Aufgabenlast ändern. Zum Zweck der Förderung der häuslichen Pflege will die Zuständigkeit auf die Gemeinden, Städte und Präfekturen übertragen. Den meisten Gemeinden fehlt es aber an der erforderlichen Sachkompetenz. Sie erwarten deshalb Hilfe ,νοη oben', also von den Präfekturen oder dem Ministerium. 2. Eine Möglichkeit der Dezentralisation durch die Pflegeversicherung Nach dem Pflegeversicherungsgesetz werden die Gemeinden für die Durchführung der Pflegepflichtversicherung verantwortlich sein. Die Gemeinden müssen sich mit 12,5 % auch an den Leistungskosten beteiligen. Weitere 12,5 % entfallen auf die Präfekturen und 25 % trägt der Staat. Die verbleibenden 50 %finanzieren die Versicherten mit ihren Beiträgen, wobei zwei Gruppen von Versicherungspflichtigen unterschieden werden. Zur ersten Gruppe gehören die über 65-Jährigen, deren Wohnsitz sich in einer Gemeinde in Japan befindet, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, ihrem Geschlecht, Jahreseinkommen usw. Sie müssen 17% der Leistungskosten aufbringen. Die Höhe der Beiträge wird allerdings in ganz Japan unterschiedlich bemessen, da er nach den tatsächlichen Kosten, die jede Gemeinde für die Leistungen aus der Pflegeversicherung braucht, berechnet wird. Die zweite Gruppe umfaßt die Versicherten zwischen 40 und 65 Jahren und deren unterhaltsberechtigte Ehegatten. Sie sollen 33 % der Leistungskosten tragen. Ihre Beiträge müssen sie im Verhältnis zur Höhe ihres Monatseinkommens mit den Krankenversicherungsbeiträgen zusammen zahlen. Wenn sie Mitglieder der Krankenversicherung für Arbeitnehmer sind, wird die Hälfte der Beiträge vom Monatsgehalt abgezogen und die andere Hälfte von ihrem Arbeitgeber getragen. Die Mitglieder der Volkskrankenversicherung zahlen den zuständigen Gemeinden die Hälfte ihrer Beiträge und die andere Hälfte trägt der Staat. Die Zuordnung zu den beiden Gruppen ist auch für die Leistungen bedeutsam. Die Versicherten der ersten Gruppe erhalten Leistungen bei Pflege- und Hilfsbedürf-

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tigkeit ohne Wartezeit. Die Versicherten der zweiten Gruppe können dagegen nur bei Pflegebedürftigkeit wegen altersbedingter Erkrankungen (z.B. Alzheimer) Leistungen beanspruchen. Pflegebedürftige erhalten ambulante und stationäre Leistungen, Hilfsbedürftige dagegen nur ambulante Leistungen. Direkte Geldleistungen und Leistungen an die ehrenamtlich Pflegenden sind nicht vorgesehen. Die ambulante Pflege umfaßt den Pflegeplan, hauswirtschaftliche Versorgung, Grundpflege, ambulante Krankenpflege, Rehabilitation, ärztliche und zahnärztliche Versorgung, Tagespflege und -rehabilitation, Kurzzeitpflege und Pflege in Gruppenheimeinrichtungen sowie Hilfsmittelversorgung und Zuschüsse zum Wohnungsumbau. Hinsichtlich der Höhe der Leistungen lassen sich sechs Stufen unterscheiden: 640 DM, 1700 DM, 2010 DM, 2740 DM, 3130 DM und 3680 DM monatlich. Beim Erhalt der Leistungen müssen die Hilfs- und Pflegebedürftige außer dem Pflegeplan einen Eigenteil von 10% tragen. Nach der Entscheidung jeder Gemeinde können eigene Zusatzleistungen aus der Pflegeversicherung gewährt werden. Diese Kosten werden allerdings zu den Kosten der obengenannten gesetzlichen Leistungen zugezählt und sind damit höher als die Beiträge der Versicherte der ersten Gruppe in der betroffenen Gemeinde. Außerdem kann jede Gemeinde entscheiden, daß ihre eigenen Leistungen für Gesundheitswesen, Pflege und Hauswirtschaft durch Steuer erfolgen. Die stationäre Pflege beschränkt sich nicht auf Altenpflegeheime, sondern umfaßt Heilbehandlung, Rehabilitation und Pflege in Altengesundheitspflegeanstalten, einem angemessenen Altenkrankenhaus. Die stationäre Leistungshöhe liegt auf fünf Stufen und in jeder obengenannten Einrichtung durchschnittlich 2250 DM, 3540 DM, 4310 DM monatlich. Die Pflegebedürftigen müssen auch dabei einen Eigenteil von 10 % und dazu Verpflegungskosten tragen. Der Monatsbetrag dieses Eigenteils ist abhängig vom Jahreseinkommen der Bewohner und in der Einrichtung durchschnittlich 500 DM, 530 DM oder 600 DM. Je mehr Pflegebedürftigen die stationäre Pflege und die medizinischen Einrichtungen benutzen, desto höher werden die Beiträge der Versicherten der ersten Gruppe in jeder Gemeinde. Zwar entscheidet der Ministerium für Gesundheit und Wohlfahrt über die Berechnungsmethode der Beiträge, das Verfahren und den Maßstab der Begutachtung zur Bestufung, die Beschwerdeverfahren gegen Entscheidungen der Gemeinde über die Höhe der Beiträge und die Einstufung, das Verfahren und den Maßstab der Zulassung der Präfekturen als Leistungserbringer, den Betrag, der von jeder Gemeinde bezahlten Vergütung usw. Aber jede Gemeinde kann über die Art der Zusatzleistungen und die Höhe der Beiträge der Versicherten der ersten Gruppe selbst entscheiden. Ferner kann jede Gemeinde nach dem Maßstab des Ministeriums Pflegegruppen und -gemeinschaften, die keine juristischen Körperschaft haben, als ortsbeschränkte Leistungserbringer in der Gemeinde zulassen. Falls jede Gemeinde diese Möglichkeit der Erweiterung ihres Spielraums gut benutzt, kann die Dezentralisation auch in Japan gefördert werden.

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Das „offene" Prinzip des Sozialstaats im internationalen Verfassungs- und Verwaltungsvergleich Diskussion zu den Referaten von Friedrich E. Schnapp und Miyoko Motozawa Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Christian Koch I. Einleitung: Zu den Aufgaben der Verfassung eines „entgrenzten" Staatswesens Auch in dieser Diskussionsrunde bildete das Leitthema die Frage, in welchen Hinsichten sich die Internationalisierung des deutschen Grundgesetzes würde ausdifferenziert sehen lassen können, vor allem nach den Maßgaben aus Art. 23 und 24, und inwieweit eine internationalisierte deutsche Verwaltungsrechtsordnung im rechtsvergleichend angelegten Zusammenhang mit der Öffnung des japanischen Staats- und Verwaltungsrechts sinnvoll betrachtet werden kann: Welche Bezugssysteme und Referenzgebiete erlauben nicht nur den Vergleich, sondern enthalten zugleich Anknüpfungspunkte für unmittelbare wechselseitige Einflußnahmen auf gemeinsame, wenn vielleicht auch zeitversetzt auftretende Entwicklungen und Entwicklungs-Chancen? Deutlich wurde jedenfalls die herausragende Funktion einer Verfassung, die in ihren stabilisierenden und ordnenden Funktionen nicht nur nach innen, sondern in weitergreifenden transnationalen Zusammenhängen ebenso wahrgenommen wird, wie im internationalen Gefüge. Wieviel Substanz gewinnt die Verfassung eines „entgrenzten", eines für internationale und supranationale und transnationale Einflüsse geöffneten Staatswesens dann? Wo büßt die Verfassung aber auch an Integrationswirkung ein, wo verliert sie an Verbindlichkeit angesichts sie überwölbender supranational und international vereinbarter rechtsgeleiteter Ordnungssysteme? II. Die Internationalisierung der Verfassungsordnungen und nationale Verfassungsverantwortung für den Bereich sozialstaatlicher Entwicklung Das perspektivisch angelegte Prinzip einer offenen Verfassungsstaatlichkeit bleibt zunächst konträr zu den Traditionsbindungen, in denen die japanische Verfas-

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sungsentwicklung steht, so daß angesichts der gerade das Verfassungsrecht kennzeichnenden vielfältigen Prozesse von der „Entstehung und Vergänglichkeit des Rechts" (Pitschas) die japanische Entscheidung für eine internationale Zusammenarbeit deutliche Veränderungen im Wertegefüge der Verfassung und der Gesellschaft in ihrer je generationengeprägten Wandlungsfähigkeit nach sich ziehen dürfte. Den Verfassungsstaat in eine Mehrebenenbetrachtung einzubinden und auf einzelne („Referenz"-)Gebiete des Verwaltungsrechts hin zu konkretisieren, macht die Anforderungen und die Unausweichlichkeit bestimmter offenerer Entwicklungen in einem „entgrenzten" Verfassungsgefüge erfahrbar und beständig. Das staatliche Prinzip von Abgrenzung (und Ausgrenzung), die Staatsgrenze als sichtbarem Ausdruck staatlicher Souveränität nach außen und ihrer inneren Gestaltungsfreiheit - in einer Vielzahl konkreter Fallgestaltungen herausgefordert - wird zunehmend fragwürdig. Schon die entgrenzende Wirkung vieler Sachmaterien - nicht zuletzt auch der Sozialpolitik - läßt die verfassungsstaatliche Selbstvergewisserung angeraten erscheinen. Mögliche Antworten ergeben sich aus Ausgleichsmechanismen, an denen der territorial und in seiner Außendimension auch funktional entgrenzte Staat sich beteiligt, um die berechtigten Erwartung verfaßter Stabilität auch weiterhin zu erfüllen. Wenn die Gestaltungsinitiative zunehmend in den supranational und international formulierten und institutionell ausgeprägten Rechtsraum übertragen wird, müssen auf diesen Ebenen auch Substitute geschaffen werden, die einen Ausgleich für Verluste verfassungsstaatlicher Stabilität und Souveränität erwarten lassen. Ansätze sind erkennbar: Die Menschenrechtsdimension kann sich als Flankenschutz relativierter staatlich verfaßter Grundrechtssysteme erweisen; dies gilt auch für die Erwartungen, die sich an den Rechtsstaat knüpfen, nicht zuletzt aber auch für die sich nicht mit gleichbleibender Deutlichkeit abzeichnenden Konturen sozialstaatlicher Entwicklung. I I I . Supranationale Öffnung der Sozialverfassung des Grundgesetzes Die Frage nach den „Schranken der Sozialverfassung" des Grundgesetzes für den Ausbau des europäischen Sozialrechts hatte Schnapp zunächst in rechtssystematische Bahnen gelenkt; das Sozialrecht erweise sich als eine „dritte Schicht des Rechts" zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht. Den Ausgangspunkt für Internationalisierungsbemühungen bildet auch hier das Territorialprinzip. Öffnungserfordernisse zeigen sich allenthalben; entsprechende sozialrechtspolitische und nicht zuletzt auch jurisdiktionell begründete und ausdifferenzierte Forderungen wirken zunehmend auf die deutsche Sozialrechtsordnung ein. Hingewiesen sei auf das Vorrangprinzip des Gemeinschaftsrechts und das Prinzip der Unanwendbarkeit eines dem gemeinschaftsrechtlichen Implementationsanspruch entgegenstehenden nationalen Rechts. Mit Skepsis begegnet man allerdings immer noch den Öffnungserfor-

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dernissen zumindest dann, wenn nationale Verfassungsregelungen zur Disposition gestellt werden müßten. Dieses natürliche Spannungsverhältnis zwischen the supreme law of the land , zwischen der Verfassung einerseits und dem rechtseinheitlichen Anspruch andererseits als Rangfrage zu lösen, fällt schwer, erweist sich zumindest theoretisch zumeist als Aporie. Das Verhältnis der „Sozialverfassung' 4 des Grundgesetzes dem Gemeinschaftsrecht gegenüber wird sich denn auch nach Ansicht von Schnapp vielleicht nur nach Maßgabe eines immanenten Prinzips lösen lassen. Die Sozialverfassung wird Elemente der nationalen Verfassung ebenso wie des Gemeinschaftsrechts notwendig enthalten müssen und diese unter dem gemeinsamen Dach der Supranationalität zu einem Ausgleich im Sinne einer Bemühung um praktische Konkordanz zu bringen haben. Gerade der Sozialversicherungsbegriff wird hier als tragfähiger Anknüpfungspunkt dienen können. Indessen bleiben schärfere Verfassungskonturen für den Bereich des Sozialrechts angesichts der - gemeinschaftsrechtlich verstärkten - Entwicklungsdynamik problematisch. Das Ringen um die Bestandsfestigkeit der Verfassung könnte sich so indirekt als Gegenprinzip erweisen. Wenn auch Art. 20 und Art. 28 des Grundgesetzes die Sozialstaatlichkeit bestätigen, befestigt nach Maßgabe des Art. 79 Abs. 3 GG, so handelt es sich dennoch nach wie vor um ein offenes Gestaltungsprinzip; es fehlt an Handlungsanweisungen für ein bestimmtes Bild eines festgefügten Handlungsrahmens von Sozialstaatlichkeit. Es handelt sich um eine Aufgabe ohne Ausgestaltungsdirektiven, Ausdruck eines politischen Prozesses. Gebrochen allerdings wird dieser freie Gestaltungsauftrag durch die Realitäten der sozialrechtlichen Jurisdiktion. Eine Bestandsaufnahme sozialer Grundrechtspositionen hat heute überdies - zumindest in ihrer politischen Dimension - die sozialen und verfassungsrechtlichen Aussagen der Länderverfassungen einschließlich der entsprechenden Staatszielbestimmungen mit in Betracht zu ziehen. Angesichts der Offenheit der deutschen Sozialverfassung lassen sich die Konfliktfelder zum Gemeinschaftsrecht und den dort formulierten sozialpolitischen und sozialrechtlichen Gestaltungsansprüchen reduzieren. Sie erscheinen nicht allzu „großflächig". Deutlich zu betonen sind allerdings noch bestehende Begriffs-Diskrepanzen, enthält doch das droit social als Ausgangspunkt des gemeinschaftlichen Sozialrechtsverständnisses die Komponente des Arbeitsrechts, wenn auch die Liberalisierung des Binnenmarktes zunächst den sozialen Schutz nicht im Blick hatte und hier ein freizügigkeitsspezifisches und wohl auch freizügigkeitsakzessorisches Sozialrecht die Grundlage der Entwicklung bildet und ohne Harmonisierungs^pproac/z in der einvernehmlichen Begründung von Kollisionsnormen auch die derzeitige Diskussion noch konditionieren will.

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IV. Tendenz wechselseitiger nationaler und supranationaler Harmonisierungsverantwortung So ergaben sich doch zunehmend und in einer mittlerweile jahrzehntelangen Entwicklung aus der Formulierung eigenständiger sozialer Ziele der Europäischen Union und einer Gemengelage von Vorschriften über eine gemeinsame Sozialpolitik Anknüpfungspunkte für eine eigenständige kompetenzielle und nicht zuletzt institutionelle Dimension,1 die zunächst - wie etwa die Verpflichtung auf ein „hohes Gesundheitsschutzniveau" - durchaus Kennzeichen des sogenannten soft law tragen. Sozialer Dialog und soziale Gleichstellung (Nicht-Diskriminierung) lassen sich aber keinesfalls außerhalb eines Harmonisierungskonzepts stehend vorstellen. Wenn auch derzeit noch eine Auslegungs- und Konkretisierungskonkurrenz mitgliedstaatlicher Verfassunggebung und gemeinschaftlicher Sozialrechtsbildung bejaht werden kann (so auch Schnapp), dürfte in Zukunft gerade das offene Sozialstaatsprinzip in den gemeinschaftsrechtlichen und unionspolitischen sozialen Gestaltungsvorgaben aufgehen. Das Postulat von der „Letztverantwortung des integrationsoffenen Staates" könnte sich in Zukunft gegenüber einer regulierten Verantwortungsteilung im Mehrebenensystem als fragwürdig, wenn nicht obsolet erweisen, zumal die Verantwortlichkeit gerade im sozialpolitischen Aktionsfeld nicht von allen mitgliedstaatlichen Regierungen nachgerade gesucht wird. So werden die materiellen Grenzen der integrationsoffenen Verfassungsstaatlichkeit des Grundgesetzes gerade im Bereich der Sozialpolitik sich womöglich auf Dauer nicht halten lassen. Offenbar sei - so wurde auf Nachfrage von Kolié deutlich - der EU-Ausbaubeitrag zu einem gemeinschaftlichen Sozialstaatsverständnis und zu gemeinschaftlichen Sicherungssystemen durch die unterschiedliche Interpretation des Sozialrechtsbegriffs (droit social) erschwert. In den Definitionsbemühungen durch Joachim - er wollte Sozialrecht als all dasjenige materielle Recht, das in den deutschen Sozialgesetzbüchern enthalten ist, verstanden wissen - zeigte sich die Notwendigkeit überzeugender Begriffsbildung als Basis leistungsfähiger Angleichung und Harmonisierung in supranationaler und internationaler Perspektive. Ansonsten würden die bereits zu beobachtenden Harmonisierungstendenzen auch weiterhin zur sozialrechtlichen Realität gehören, indessen ohne von effizienten Kontrollmechanismen begleitet zu sein, etwa im Hinblick auf die Problemfelder angemessener Sicherung geschiedener und alleinstehender Frauen. Weiter stabilisierungswürdig ist die Rolle einiger Institutionen in rechtlich-organisatorischer Hinsicht; genannt sei hier nur die „Europäische Beratungsstelle für Familienpolitik". In begrifflicher Hinsicht nachschärfend verwies Schnapp auf die landläufige Zuordnung des Sozialversicherungsrechts zum öffentlichen Recht gegenüber dem pri1 Vgl. auch Christian Koch, Die institutionelle Entwicklung des Europäischen Sozialstaats (Tagungsbericht), DÖV 1992, S.66ff.

Diskussion vatrechtlich und durch die Antinomie von Arbeitgeber und Arbeitnehmer (auch in der Tarifvertragspartnerschaft) geprägten Arbeitsrecht, jeweils eingebunden in die zuvörderst durch das Grundgesetz zum Ausdruck gebrachten Bindungen. Hingegen habe der Schutz der Arbeitsumwelt auf Gemeinschaftsebene erhebliche (und harmonisierende) RegelungsWirkungen ausgelöst. 2 A n Joachim gewandt, betonte Schnapp vor diesem Hintergrund noch einmal die Zweckrichtung einer Sozialrechtsdefinition: als Grundlage einer transnationalen Verständigungsfunktion dienen zu können. Soweit andere Erklärungsmuster mittels der Begriffsdefinition einen Ausgangspunkt gewinnen wollten, um soziale Gerechtigkeit herstellen zu können, gingen sie über die dogmatische (und auch sozialpolitische) Leistungsfähigkeit eines solchen Begriffs weit hinaus. Die soziale Sicherung der Frau sei kein spezifisch sozialrechtlich verankertes Thema, sondern berühre allgemeiner unter dem Aspekt der Nichtdiskriminierung 3 die grundlegende Gleichstellungsdimension. Prognosen zu den Harmonisierungschancen in der Sozialversicherung bleiben noch sehr zurückhaltend: 4 angesichts der erheblichen Diskrepanzen Steuer- oder 2 Vgl. hier als Beispiel für die erreichte Regelungsdichte: Rahmenrichtlinie 89/391/EWG v. 12.6.1989 betreffend die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer, AB1.EG Nr. L183 v. 29.6.1989, S. 1 ; zu dieser und dem von ihr bestimmten Richtlinien-System siehe Marlene Schmidt, Sicherheit und Gesundheit, in: Roger Blanpain/Marlene Schmidt/Ulrike Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, 2. Aufl. Baden-Baden 1996, S. 307 ff. Aus den hierzu ergangenen Einzel-Richtlinien vgl. beispielsweise die Richtlinie 89/654/EWG v. 30.11.1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten, AB1.EG Nr. L 393 v. 30.12.1989, S. 1; die Richtlinie 90/270/EWG v. 29.5.1990 über die Arbeit an Bildschirmgeräten, AB1.EG Nr. L 156 v.21.6.1990, S. 14; die Richtlinie 90/679/EWG v.26.11.1990 über die Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit, AB1.EG Nr. L 374 v. 31.12.1990, S. 1, geändert durch Richtlinie 93/88/EWG v. 12.10.1993, AB1.EG Nr. L 268 v. 29.10.1993, S.71; die Richtlinie 92/57/EWG v. 24.6.1992 über die auf zeitlich begrenzten oder ortsveränderlichen Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften, AB1.EG Nr. L 245 v. 26.8.1992, S. 6; die Richtlinie 92/85/EWG v. 19.10.1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz, AB1.EG Nr. L 348 v. 28.11.1992, S. 1; die Richtlinie 93/103/EWG v. 23.11.1993 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bord von Fischereifahrzeugen, AB1.EG Nr.L307 v. 13.12.1993, S. 1. Zur Umsetzungsdimension vgl. am Beispiel der Richtlinie 90/394/EWG: EuGH, Urt.v. 17.12.1998, Rs.C-2/97 (Società italiana petroli/Borsana srl), NZA 1999, S.811 ff. 3

Vgl. Jürgen Stahlberg, Europäisches Sozialrecht, Bonn 1997, S. 311 ff.; Christian Koch, „Ein Job mit Weiterbildungsmöglichkeiten"? - Die Rechtssache Kreil vor dem Europäischen Gerichtshof, NZWehrr 1998, S. 221 ff.; ders., Anmerkung zu: EuGH, Urt.v. 11.1.2000-C 285/98, DVB1. 2000, S. 476ff. 4 Vgl. hierzu grundlegend Bernd Schulte, „Konvergenz" statt „Harmonisierung" - Perspektiven Europäischer Sozialpolitik, ZSR 1990, S. 273 ff.; ders., Abstimmung der Ziele der Politiken des Sozialschutzes in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften - Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Sozialgemeinschaft? - , ZfSH/SGB 1991, S. 281 ff. Eine systematisierte Übersicht zu Harmonisierungsgraden der supranationalen Sozialrechtsgestaltung gibt Stahlberg, Europäisches Sozialrecht, S.23f.

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beitragsfinanzierter Systeme, angesichts der institutionell-organisatorischen Unterschiede und angesichts der Differenzen in den Leistungstypen. V. Der japanische entwicklungsoffene Sozialstaat Vor dem Hintergrund solcher hier nur angedeuteter Bewertungen und Begrenzungen des „offenen" sozialverfassungsrechtlichen Selbstverständnisses durch deren Internationalisierung vermittelten die Orientierungslinien zum „Ausbau des Sozialrechts in Japan und die Rolle des Staates in der sozialen Sicherung", die Motozawa auszeichnete, Eindrücke nationaler Entwicklungstendenzen, teils parallel, teils phasenverschoben, teils aber auch deutlich abweichend gegenüber denen in Deutschland. Die in der Nachkriegsgesellschaft Japans zu einem der sozialpolitischen Aufbaumuster erhobene Kernfamilie als Prototyp der „modernen" Familie verlangte angesichts begrenzten Familienunterhalts und angesichts nunmehr deutlich geringerer oder gänzlich entfallener Ressourcen nach flankierenden Systemen sozialer Sicherung, als Grundlage einer sozialstaatlichen Entwicklung. Der kulturell eingebettete Ausbau des Sozialstaats, wie er in Art. 25 der japanischen Verfassung zum Ausdruck kommt, folgt ebenfalls dem Leitbild einer offenen Sozialverfassung, am ehesten wohl den (begrenzten) Erwartungen entsprechend, die sich aus den sozialpolitischen Staatszielbestimmungen moderner europäischer Verfassungen ableiten lassen. Das offene Sozialstaatsprinzip realisiert und konkretisiert sich in der Fülle einfachen, flexibel steuernden Gesetzesrechts - auch in Japan. Erst Judikate des Obersten Gerichtshofes haben im Verlaufe der sechziger Jahre in Japan den subjektivrechtlichen Charakter sozialer Leistungsgewähr herausbilden helfen. Neue Implikationen für die Entwicklung des Sozialstaatsprinzips findet die japanische Gesellschaft im Gestalten einer öffentlichen Kranken- und Rentenversicherung (im Jahr 1958). Die Belastbarkeit offener Sozialstaatlichkeit in Japan hatte sich in der Phase stagnierender Wirtschaftsentwicklung während der zweiten Hälfte der siebziger Jahre und in den achtziger Jahren zu bewähren. Weiterer Ausbau einer Volkskrankenversicherung und von Formen der Selbstbeteiligung kennzeichnen seit Mitte der achtziger Jahre die Entwicklung des Sozialversicherungswesens, bis hin zu einer grundlegenden Reform der Rentenversicherung im Jahr 1985: So wurden die bestehenden sieben Rentenversicherungssysteme vereinheitlicht und ein eigener Rentenanspruch für Frauen geschaffen; ebenso wurde die Behindertenrente verbessert, letztlich alles im Rahmen der Konzeption eines Grundrentenmodells. Auch die folgenden Wirtschafts- und Strukturkrisen in Japan seit Ende der achtziger Jahre haben zu Reformüberlegungen geführt, die denjenigen in Deutschland in vieler Hinsicht nicht unähnlich sind. Die verwaltungspolitische Steuerung der weiteren Entwicklung offener Sozialstaatlichkeit in Japan bewegt sich ebenfalls im Spannungsfeld von Zentralisierung

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und Dezentralisation. So versuchen punktgenau regelnde ministerielle Dienstanweisungen als Steuerungsimpulse der Bürokratie einerseits und ein neuer, auch im Hinblick auf Kostenbelastung und gesellschaftliche Übernahme von Betreuungslasten nachvollziehbarer Trend zur Dezentralisierung andererseits, wie er sich in der den Kommunen übertragenen Organisation und Umsetzung der Pflegeversicherung zeigt, den neuen fachlichen Herausforderungen einer veränderten Altersstruktur der Bevölkerung gerecht zu werden. VI. Modernisierungsdruck und Reformtendenzen in der japanischen Sozialverfassung Die angedeuteten Veränderungs- und Anpassungschancen in Japan weckten Nachfragen: Wie etwa werde - so fragte Joachim - der Gesetzgeber in Japan auf die neuen Herausforderungen angemessener sozialer Sicherung der Frauen, Alleinstehender, aber auch alleinerziehender Menschen reagieren? Entwickle er ein umfassendes Grundrenten-Modell? Werde auch eine Konzeption für einen National Health Service weiter verfolgt? Ein zentraler Aspekt des japanischen Systems sozialer Sicherung liege indessen - hierauf wies Seah hin - zumindest bisher noch in der traditionellen japanischen Firmen-Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern und deren Familien, eingerichtet in lebenslanger (wo nicht generationenübergreifender) gegenseitiger Treuebindung. Auf die Irritationen dieser zuverlässigen Erwartungen in dauerhafte Beschäftigung müsse die japanische Sozialgesetzgebung reagieren. Die Sozialversicherung müsse daher in ihrer Bereitstellungsfunktion weiter gestärkt werden. Dies gelte gerade, obwohl ein derzeit deutlicher Rückschnitt des ökonomischen Ertrags sich zunehmend auf die Sozialversicherungssysteme und auf die Systeme betrieblicher Alterssicherung auswirke. Motozawa sah durchaus die an die Systeme sozialer Sicherung in Japan gerichteten Herausforderungen und Erwartungen, ausgelöst durch fortschreitende gesellschaftliche Emanzipation bestimmter Gruppen. Indessen bedürfte es hier angesichts der komplexen Wirkungszusammenhänge noch deutlicher herauszuarbeitender politischer und sozialversicherungstechnischer Lösungswege. Das Prinzip der Grundrente sei ein diskutiertes und erörterungswürdiges Modell. Im Bereich der Krankenversicherung scheitere eine Vereinheitlichung derzeit noch an dem in Japan einflußreichen Ärzteverband, der an einer Unifizierung kein Interesse zeige. Hingegen entstehe eine Volkskrankenversicherung als Basissicherung für alle Menschen ohne festen Wohnsitz. Auch Ausländer könnten hier sinnvoll einbezogen werden. Seah betonte demgegenüber noch einmal deutlicher die Gefahren für das japanische System sozialer Sicherung insgesamt: Sie rührten vor allem her von den erheblichen Risiken für das Wirtschaftswachstum. Angesichts steigender Staatsquote, die derzeit in Japan noch bei 30 bis 35 % liege, ebenso wie angesichts der politischen

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Erwartungen an einen globalisierten Markt und entsprechender Sorge um den Erhalt der Konkurrenzfähigkeit der japanischen Wirtschaft sehe sich die Entwicklung der Systeme sozialer Sicherung neuen Herausforderungen und Belastungen ausgesetzt. Aber auch die „heranalternde" Gesellschaft samt absinkender Geburtenrate, ebenso wie sich veränderndes In-Ehren-Halten der älteren Generation unterstützten hier Tendenzen einer Neubewertung der Lastenverteilung und des Leistungsprofils der Systeme sozialer Sicherung. Sei indessen auch die Skepsis der nachwachsenden Generation unüberhörbar, scheine eine optimistischer eingestellte Richtung doch zunehmend über den Ausbau der individuellen wie auch gesamtgesellschaftlichen Chancen nachzudenken, die durch geordnete Systeme sozialer Sicherung begründet werden. Pitschas regte - unter Bezug auf die von Seah dargelegten kritischen Aspekte - eine weitere Vertiefung der Konnexität von wirtschaftsrechtlicher und sozialrechtlicher Steuerung an. Schon die Reduzierung ausdifferenzierter Beitragsgefüge in einem „Verbund der Konkurrenz" biete hier ein Beispiel. Die gesellschaftlichen Spannungen und Identitätskrisen angesichts des Prinzips lebenslanger Firmenzugehörigkeit und des Bildes von der Firma als Familie seien sodann ein anderer wichtiger Aspekt in der Einschätzung sozialer Kontinuität und Stabilität, ein anderer allerdings auch die moralisch-ethische Diskrepanz, die darin zum Ausdruck komme, im eigenen Land hohe Sozialstandards aufrechterhalten sehen zu wollen, dabei zugleich aber in Billiglohnländern zu investieren.

Die Entwicklung des deutschen Umweltrechts als verfassungsgeleitete Umsetzung der Maßgaben supra- und internationaler Umweltpolitik Von Matthias Schmidt-Preuß* Das deutsche Umweltrecht ist mehrdimensional. Es hat eine nationale, eine europarechtliche und eine internationale Ebene. Eine Bilanzierung des deutschen Umweltrechts muss diese Wirkungsdimensionen in ihrer Unterschiedlichkeit identifizieren, aber auch in ihren Interdependenzen analysieren. Allein aus nationaler Perspektive lässt sich das Umweltrecht nicht begreifen. I. Verfassungsrechtliche Leitpunkte des Umweltrechts der Bundesrepublik Deutschland 1. Föderalismus und Umweltschutz Wenn man sich vor diesem Hintergrund zunächst der nationalen Ebene des deutschen Umweltrechts zuwendet, so ist vorab ein interner Faktor in Rechnung zu stellen: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Bundesstaat. Der föderale Staatsaufbau bedeutet, dass der Bund - soweit er zur Gesetzgebung kompetent ist - das Umweltrecht normiert und 16 Bundesländer die Gesetze vollziehen. Dabei kann der Bund in Form von Verwaltungsvorschriften - wie etwa im Fall der TA Luft 1 oder der 2 TA Siedlungsabfall - vollzugssteuernde Vorgaben formulieren, wozu er aber die Zustimmung des Bundesrates braucht.3 Thematisch ist die Zuständigkeit des Bundes für die Umweltgesetzgebung nicht umfassend unter einem einheitlichen „Titel" zusammengefasst, sondern sektoral aufgelistet. So gibt der Katalog der sog. konkur* Der Beitrag stellt die mit Fußnoten versehene und aktualisierte Fassung des Vortrags dar, der am 20.9.1999 auf dem von Prof. Dr. R. Pitschas geleiteten 7. Speyerer Forum zur Rechtsund Verwaltungszusammenarbeit über „50 Jahre Grundgesetz - Internationalisierung der Verfassung im Spiegel des deutschen und japanischen Staats- und Verwaltungsrechts" gehalten wurde. Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. 1 Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA Luft) vom 27.2.1986, GMB1. S. 95, ber. S. 202. 2 Dritte Allgemeine Verwaltungs Vorschrift zum Abfallgesetz (TA Siedlungsabfall) - Technische Anleitung zur Verwertung, Behandlung und sonstigen Entsorgung von Siedlungsabfällen) vom 14.5.1993, BAnz.Nr. 99a (vom 29.5.1993). 3 Vgl. Art. 84 Abs. 2 GG.

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rierenden Gesetzgebung dem Bund die Zuständigkeit etwa für die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung, die Abfallbeseitigung, das Bodenrecht sowie die friedliche Nutzung der Kernenergie. 4 Von diesen Möglichkeiten hat der Bund jeweils durch Erlass des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, des am 1.3.1999 in Kraft getretenen Bundes-Bodenschutzgesetzes5 sowie des Atomgesetzes Gebrauch gemacht. Von den Kompetenzzuweisungen zur Rahmengesetzgebung sind hier die Zuständigkeiten für den Naturschutz und die Landschaftspflege sowie für den Wasserhaushalt zu nennen.6 Sie boten dem Bund die Grundlage für den Erlass des Bundesnaturschutzgesetzes und des Wasserhaushaltsgesetzes. Die Unterscheidung zwischen konkurrierender und bloßer Rahmengesetzgebung betrifft die zulässige Regelungsdichte. Bei der konkurrierenden Gesetzgebung - die dem Bund das „Recht des ersten legislativen Zugriffs" nach Maßgabe der Erforderlichkeit einräumt - kann er die Materie ohne weiteres einer Vollregelung unterziehen. Anders liegen die Dinge bei der Rahmengesetzgebung. Hier ist der Bund - wie das Wort besagt - im Prinzip auf die Normierung eines Rahmens beschränkt, dessen Ausfüllung grundsätzlich den Ländern vorbehalten ist. Punktuelle Vollregelungen und Außennormierungen dürfen nur „in Ausnahmefällen" 7 getroffen werden. Nach dieser Maßgabe haben die Länder eigene Wasser- und Naturschutzgesetze erlassen. Dass all dies nicht nur Theorie ist, zeigt die Tatsache, dass ein so epochales Projekt wie das Umweltgesetzbuch, das Politik und Wissenschaft seit zehn Jahren beschäftigt und für dessen Erlass sich zwei Kommissionen8 ausgesprochen haben, unter Hinweis auf eine mangelnde Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach einer Sitzung des Bundeskabinetts vom 1. September 1999 kurzfristig nicht weiter verfolgt wird. 9 Die im Vorschlag der sog. Sendler-Kommission und daraufhin in mehrfachen internen Entwürfen des BMU vorgesehene integrierte 4

Art. 74 Abs. 1 Nr. 24, 18 und 11 a GG. Darüber hinaus ist die 1994 neugefaßte „Erforderlichkeits-Klausel" des Art. 72 Abs. 2 GG zu wahren. 5 Zu Recht die Bundeskompetenz unter dem Aspekt des Bodenrechts gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG bejahend Peine, NuR 1992,353 (356); Holzwarth, in: Ders./Radtke/Hilger, BundesBodenschutzgesetz, 1998, Einführung Rdnr.42; BT-Drcks. 13/6701, S.42ff.; a. A. Bichel, Bundes-Bodenschutzgesetz, 1999, Einleitung, S. 1 ff. 6 Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GG. Die „Erforderlichkeits-Klausel" des Art. 72 Abs. 2 GG gilt auch hier. Zudem ist der 1994 eingeführte Art. 75 Abs. 2 GG zu beachten, der detaillierte oder unmittelbar außenwirksame Regelungen nur in Ausnahmefällen zuläßt. 7 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., 2002, Art. 75 Rdnr. 2f.; vgl. auch BTDrcks. 12/6000, S. 36. 8 Unabhängige Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998 (sog. „Sendler-Kommission"); KloepferIRehbinderlSchmidt-Aßmann!Kunig, Umweltgesetzbuch - Allgemeiner Teil - , 1990, sowie JarasslKloepferlKuniglPapierIPeine!Rehbinderl SalzwedellSchmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch - Besonderer Teil - , 1994 (sog. „Professorenentwurf"); in krit. Würdigung Breuer, Gutachten Β zum 59. DJT, 1992, S.B 31 ff., sowie die Beiträge von Hansmann und Dolde, Sitzungsbericht Ν zum 59. DJT, 1992, S. Ν 8 ff., S. Ν 33 ff. 9 s. Presseerklärung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 2.9.1999, S. l f .

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Vorhabenzulassung stellte eine medienübergreifende Genehmigung „aus einer Hand" dar, womit zugleich die - später noch aufzugreifende - „EG-Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung" - kurz: IVU-Richtlinie 10 - umgesetzt werden sollte. Dieses Konzept - das bereits in einem Arbeitsentwurf des BMU zu einem UGB I 1 1 finalisiert wurde - wäre an kompetenzrechtlichen Hürden nicht gescheitert. Er hätte sich noch innerhalb des von Art. 75 Abs. 2 GG keineswegs ausgeschlossenen, sondern - wie betont - für Ausnahmefälle aus guten Gründen belassenen Spielraums bewegt.12 Unter dem Diktat der Zeit - die Frist für die Umsetzung der IVU-Richtlinie ist am 30.10.1999 abgelaufen - blieb schließlich allein die Option eines Artikelgesetzes 13, in dessen Mittelpunkt das Bundes-Immissionsschutzgesetz als Magna Charta des Umweltschutzes steht. 2. Staatsziel Umweltschutz Im Vortragsthema ist vom verfassungsgeleiteten Umweltrecht die Rede. Neben den bereits angesprochenen kompetentiellen und administrativen Vorgaben des Grundgesetzes richtet sich damit der Blick auf materielle Eckpunkte und Direktiven. Es entspricht in der Tat der deutschen Umweltrechtstradition, einen starken Bezug zum Verfassungsrecht zu suchen Ein erster Ansatzpunkt ergibt sich aus dem Verfassungstext selbst. So wurde 1994 Art. 20 a in das Grundgesetz aufgenommen. 14 Diese Vorschrift enthält das Staatsziel „Umweltschutz". Danach schützt der Staat „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung". Die komplizierten Wendungen dieser Vorschrift reflektieren das damalige Ringen in der Verfassungskommission 15 und den Kompromisscharakter der letztendlichen Formulierung. Hauptadressat ist der Gesetzgeber. 16 Ihm steht jedoch - wie auch sonst - der aus seiner demokratischen Legitimation erwachsende Gestaltungsspielraum zu Gebote. Ob er tätig wird und - falls ja - welche Maßnahmen er trifft, ist damit prinzipiell Gegenstand seiner Einschätzungsprärogative. Nur bei evidenter Untätigkeit oder Untauglichkeit des gewählten Instruments ließe sich hier von einem Pflichtenverstoß sprechen.17 10

Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24.9.1996, AB1.L257 (vom 10.10.1996), S.26. Abgedruckt bei Rengeling (Hrsg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch I, 1999, S. 273 ff.; dazu Schmidt-Preuß, ibid., S. 115 ff. = DVB1. 1998, 857ff. 12 Vgl. Rengeling, DVB1. 1999,997 (1002); Schmidt-Preuß, NVwZ 2000,252 (255); zu eng Gramm, DÖV 1999, 540 (542 ff.). 13 Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27.7.2001, BGB1.I, S. 1950. 14 Gesetz vom 27.10.1994, BGB1.I, 3146. 15 Abschlußbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drcks. 13/6000, S. 65 ff. 16 s. auch Kloepfer, DVB1. 1996, 73 (75). 17 Vgl. - im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips - BVerfGE 90, 145 (173). 11

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Als weitere Adressaten des Staatsziels Umweltschutz nennt Art. 20 a GG auch Verwaltung und Rechtsprechung - allerdings expressis verbis nur nach Maßgabe von Gesetz und Recht. Da eine solche normative Bindung bereits aus Art. 20 Abs. 3 GG mit Selbstverständlichkeit folgt, lässt sich dieser Zusatz nur als restriktives normatives Signal deuten: Art. 20 a GG kann danach nicht für eine konstitutiv -ver schärfende Umformung geltender Umweltgesetze in Anspruch genommen werden. Eine Ausfüllung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen in diesem Sinne ist ausgeschlossen. Damit verbietet sich auch eine Heranziehung zur Begründung subjektiver öffentlicher Rechte.18 In den fünf Jahren seiner Existenz hat sich Art. 20 a GG insgesamt als klassische Staatszielbestimmung erwiesen und bewährt. Zum Einfallstor eines - von manchen befürchteten und anderen erhofften - expansiv-rigorosen Umweltstaats ist er nicht geworden. Dafür bietet Art. 20 a GG in der Tat keinerlei Grundlage. 3. Die staatliche Schutzpflicht Ein zweites verfassungsrechtliches Postulat ist die staatliche Schutzpflicht. Im Bereich des Umweltschutzes ist sie in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG - dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit - verankert. 19 Diese Rechtsfigur hatte ihre Geburtsstunde im Kalkar-Beschluss des BVerfG 20 von 1978. Kennzeichnend ist nicht wie im klassischen Fall des status negativus ein unmittelbarer Eingriff des Staates in den Freiheitsbereich, sondern das konstruktive Bild des Dreiecks. Es geht im Horizontalverhältnis um den Streit zwischen zwei Privaten 21 - etwa zwischen einem Betreiber, der seine Gestaltungsinteressen geltend macht, und dem gestörten Nachbarn, der seine Verschonungsinteressen wahren will. Hier darf der Staat nicht passiv zusehen, wenn die Emissionen zu Gesundheitsschädigungen führen würden. Vielmehr - so die Doktrin - muss er sich in diesem Fall schützend vor den beeinträchtigten Dritten stellen und durch Gesetzgebung bzw. administrative Anordnungen die erforderliche Abhilfe schaffen. Fehlt es an einer entsprechenden Norm, geht es in der Sache um einen Anspruch auf legislatives Handeln. Damit ist auch bei der Schutzpflicht - wie bei Art. 20 a GG - der prinzipielle Gestaltungsspielraum des demokratisch legitimierten Gesetzgebers für das „Ob" und „Wie" einer Regelung zu beachten.22 Auch hier gilt demnach das Evidenzkriterium. 23 So hat 18 SoKloepfer, DVB1.1996,73 (76);Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl., 1999, Art.20a Rdnr. 73; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S.80ff. 19 Vgl. Isensee, in: Ders./Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, 1992, § 111 Rdnr. 77 ff.; Steiger, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 02/Rdnr. 154ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (215 ff.); Schmidt-Preuß (Fn. 18), S.69ff. 20 BVerfGE 49, 89 (140f.). 21 Schmidt-Preuß (Fn. 18), S. 17ff., 69ff., 141 ff. 22 Vgl. BVerfGE 88, 203 (262). 23 So z.B. BVerfGE 56, 54 (80); BVerfG, NJW 1998, 3264 (3265); BVerfG, NJW 1998, 2961; in der Sache ebenso BVerfG, NJW 1997, 2509 r. Sp.; s. auch Badura, in: FS f. Eichenberger, 1982, S.481 (487).

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401

denn auch das BVerfG ζ. B. in zwei Entscheidungen zum Immissionsschutz ein Schutzpflichtdefizit unter Hinweis auf die TA Luft 2 4 bzw. die Ozon-Gesetz- und Verordnungsgebung 25 verneint. 26 Ebenso wenig hat das BVerfG 27 in der Entscheidung für die friedliche Nutzung der Kernenergie im Atomgesetz einen Verstoß gegen die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gesehen. Entsprechendes hat das BVerwG zu Recht zum Emissionsgrenzwert für Cadmium in § 5 Abs. 1 Nr. 3 lit. a der 17. BImSchV festgestellt. 28 Die Schutzpflicht-Doktrin ist - notabene - keine Besonderheit deutscher Verfassungsdogmatik. Das zeigt die interessante Entscheidung des - nunmehr „permanenten" - Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte29 aus dem Jahr 1998 im Fall Anna Maria Guerra . Danach ergibt sich aus der Garantie der Privatsphäre in Art. 8 der EMRK die einklagbare positive staatliche Schutzpflicht zur Information der Bevölkerung über Sicherheitsmaßnahmen vor einer Genehmigung gefährlicher Produktionsprozesse.

4. Die klassische status-negativus-Funktion

der Grundrechte

Aktiver Umweltschutz bedeutet nicht zuletzt Einwirkung auf das Verhalten der Unternehmen. Soweit die Nutzung von Ressourcen verboten oder der Einsatz von Produktionsfaktoren eingeschränkt wird, kommt die klassische status negativusFunktion der Grundrechte zum Zuge. Dies gilt z. B. bei der Verschärfung von Grenzwerten, der Einführung von Ablieferungspflichten oder etwa der Ausweisung eines Landschaftsschutzgebiets. Soweit der Staat hierdurch in grundrechtliche Rechtspositionen eingreift, bedarf er der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Art. 12 und 14 GG einerseits und der angestrebte Umweltschutz stehen hier in einem SpannungsVerhältnis.30 Es lässt sich letztlich nur anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes i. w. S. auflösen. 31 Dabei sind die Gebote der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit (Angemessenheit, Proportionalität) strikt einzuhalten. 24

BVerfG, NJW 1983, 2931 (2932). BVerfG, NJW 1996, 651. 26 S. ferner z.B.BVerfGE 56, 54 (81); 77, 170 (214f.); 79, 174 (201 f.). 27 BVerfGE 49, 89 (143); 53, 30 (57 ff.); BVerfG, NVwZ 1997, 158 f.; s. dazu SchmidtPreuß, et 1998, 750 (755). 28 BVerwG, NVwZ 1998, 1181 (1182f.); dazu R. Schmidt, JZ 1999, 1147 (1151); s. ferner - anhand der 16. BImSchV - ΒVerwGE 101,1 (10f.): keine Gesundheitsgefährdung bei einem Gesamtbeurteilungspegel (unter Einrechnung der Vorbelastung) von 61 dB(A) tags und 53 dB(A) nachts als Außenwohnwert. 29 EGMR, NVwZ 1999, 57 Tz.56ff.; s. auch bereits EGMR, EuGRZ 1995,530 (533)-Lopez Ostra. 30 Dazu Isensee, in: Ossenbühl (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S.3 (4 f.). 31 Vgl. für die eigentumsrechtliche Würdigung einer Landschaftsschutzverordnung BVerfG, NJW 1998, 367 (368). 25

2

Pitschas/Kisa

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II. Supranationales Umweltrecht - die europäische Dimension 1. Aufgaben, Ziele, Verfahren In der Präambel des Vertrages über die Europäische Union in der Amsterdamer Fassung von 1997 - in Kraft seit dem 1. Mai 1999 - betonen die Unterzeichnerstaaten ihren festen Willen, „im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarktes sowie der Stärkung des Zusammenhalts und des Umweltschutzes den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Völker unter Berücksichtigung des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung zu fördern...". Dies dokumentiert den gesteigerten Stellenwert, den der Umweltschutz bei der Realisierung „einer immer engeren Union der Völker Europas" genießt. Es kommt daher nicht von ungefähr, wenn im Aufgabenkatalog des Art. 2 des EG-Vertrags in der Amsterdamer Fassung „ein hohes Maß an Umweltschutz" und „die Verbesserung der Umweltqualität" ausdrücklich aufgeführt sind.32 Noch stärker ins Auge springt, dass die sog. Querschnittsklausel - nach der bei allen Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen die Erfordernisse des Umweltschutzes einbezogen werden müssen - nunmehr prominent im Ersten Teil des EGV - nämlich in Art. 6 - lokalisiert ist. Das unterscheidet sie von allen anderen Integrationsklauseln.33 Ob aus dieser systematischen Hervorhebung in praxi eine erhöhte normative Kraft erwächst, bleibt allerdings abzuwarten. Dies gilt auch für die rechtliche Verpflichtung auf ein „hohes Schutzniveau" im Zielkatalog des Art. 174 Abs. 2 Satz 1 EGV n. F. Eine bemerkenswerte institutionelle Neuerung bei umweltpolitischen und -rechtlichen Maßnahmen bringt der Amsterdamer Vertrag durch die Änderung des Beschlussverfahrens im neuen Art. 175 Abs. 1 EGV. Während hier bislang das sog. Kooperationsverfahren galt, verleiht nunmehr das Kodezisionsverfahren dem Europäischen Parlament eine echte Mitsprache bei der Gestaltung umweltpolitischer Rechtsakte.34 Hieran wird sich der Rat gewöhnen müssen.

2. Wirtschaftsfreiheit

und Umweltschutz

Die Umweltpolitik kann mit anderen Sachpolitiken kollidieren und auf primärrechtliche Restriktionen stoßen. So kann die Freiheit des Warenverkehrs für die ungehinderte grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen sprechen, während Um32 Die Nachhaltigkeit ist dagegen vom Umweltschutz - anders als im Rio-Prozeß - auffällig abgetrennt, s. dazu M. Schröder, NuR 1998, 1 (2), mit Hinweis auf die Präambel und Art. 2 zweiter Spiegelstrich EUV; zum Konzept der Nachhaltigkeit auf europäischer Ebene Haighl Kraemer, ZUR 1996,239 (240 f.); Epiney, in: Lang/Hohmann/Epiney, Das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung, 1999, S. 43 (47 ff.); allg. Hennecke, in: Marz/Seeber/Stippwroweit (Hrsg.), Wie gestalten wir die Zukunft?, 1998, S.97 (102ff.). 33 s. z.B. Art. 151 Abs.4 (ex-Art. 128 Abs.4) EGV oder Art. 152 Abs. 1 (ex-Art. 129 Abs. 1) EGV; vgl. auch Breier/Vygen, in: Lenz (Hrsg.), EG-Vertrag, 2. Aufl., 1999, Art. 6 Rdnr. 4. 34 Zum Verfahrensablauf s. Art. 251 EGV. Nur in den Fällen des Art. 175 Abs. 3 EGV erfolgt eine einstimmige Beschlußfassung im Rat nach Anhörung des Europäischen Parlaments.

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weltbelange die Entsorgung am Entstehungsort nahelegen mögen. Derartige Kollisionen sind möglichst durch EG-Rechtsakte selbst zu lösen, wie dies z.B. für Abfälle durch die EG-Abfallverbringungsverordnung von 199335 weitgehend geschehen ist. Wenn nötig, muss der EuGH - die „Wahrung des Rechts" sichernd - für Klarheit sorgen. So hat er ζ. B. in den Fällen „ Wallonie " 3β - wo die Einfuhr von Abfällen ausgeschlossen wurde - und „Dänische Pfandflaschen " 3 7 - wo ein nationales Rückgabesystem zu Einfuhrerschwernissen führte - den Umweltschutz als einen Gemeinschaftsbelang anerkannt, der eine ungeschriebene - immanente - Grenze der Freiheit des Warenverkehrs darstellen kann. Ein automatischer Vorrang für den Umweltschutz besteht allerdings nicht. Dies zeigt sich im Dusseldorp-Urteil des EuGH n vom Juni 1998. In diesem Fall hatte das holländische Umweltministerium die Ausfuhr von ca. 2000 to Ölfiltern, die in Deutschland verwertet werden sollten, aus Gründen der Entsorgungsautarkie und des Näheprinzips verboten. Der EuGH stellte klar, dass diese Postulate weder auf der Abfall-Richtlinie 39 noch nach Maßgabe der EG-Abfallverbringungsverordnung für Abfall zur Verwertung gelten. Im übrigen lagen die Voraussetzungen für eine verstärkte mitgliedstaatliche Schutzmaßnahme nicht vor, weil eine Beschränkung der Ausfuhrfreiheit mangels zwingender Umweltschutzerfordernisse nicht gerechtfertigt war. Diese wenigen Fallbeispiele aus dem Abfallrecht zeigen, dass die Spannungslage zwischen Wirtschaftsfreiheit und Umweltschutz jeweils neu und differenziert zu lösen ist. Das gilt auch für die primärrechtlichen Restriktionen, die sich für die Umweltpolitik aus dem Beihilfenverbot des Art. 87 (ex-Art. 92) EGV ergeben. Es gehört zum verbreiteten Instrumentarium der Mitgliedstaaten, den Einsatz umweltfreundlicher Stoffe oder die Entwicklung ressourcenschonender Fertigungsprozesse finanziell zu honorieren. Dies hat Konsequenzen für die Wettbewerber. Daher sieht das EG-Beihilfenregime strenge formelle und materielle Anforderungen vor. Die 2001 neu formulierte Genehmigungspraxis der EG-Kommission40 lässt Umweltschutzbeihilfen nur zu, wenn es zu keiner Verfälschung des Wettbewerbs kommt. Primärrechtlich begründete Zielkonflikte können auch dort entstehen, wo Umweltschutzmaßnahmen mit den Wettbewerbsregeln des Art. 81 Abs. 1 (ex-Art. 85 35 Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1.2.1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft, AB1.L Nr. 30 (vom 6.2.1993), S. 1. 36 EuGH, Slg. 1992,1-4431 (4478-4480) - Wallonie. 37 EuGH, Slg. 1988,1-4607 (4630) - Dänische Pfandflaschen: „Der Umweltschutz ist... ein zwingendes Erfordernis, das die Anwendung des Artikels 30 EWG-Vertrag einschränken kann." 38 EuGH, Slg. 1998,1-4075 (4126f.)-Dusseldorp. 39 Richtlinie des Rates vom 15.7.1975 über Abfälle (75/442/EWG), AB1.L Nr. 194 (vom 25.7.1975), S.47, geändert durch Richtlinie 91/156/EWG vom 18.3.1991, ABl. L Nr. 78 (vom 26.3.1991), S.32. 40 Vgl. den „Gemeinschaftsrahmen für staatliche Umweltschutzbeihilfen", ABl. C Nr.37 (vom 3.2.2001), S. 3.

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Abs. 1) EGV kollidieren. Das kann vor allem dort der Fall sein, wo auf Selbstverpflichtungen 41 gesetzt wird. Die Kommission42 hat die Bedeutung dieses selbstregulativen Steuerungsmodus Ende 1996 zu Recht unterstrichen. Sofern es zur Koordinierung marktrelevanter Wettbewerbsparameter kommt, ist auf die Kartellrechtskonformität - ggf. im Wege der Freistellung gem. Art. 81 Abs. 3 (ex-Art. 85 Abs. 3) EGV - zu achten.

3. Die Umweltverträglichkeitsprüfung als Modell prozeduralen Umweltschutzes Die Praxis des EG-Umweltrechts spielt sich auf der sekundärrechtlichen Ebene - insbesondere in Form von Richtlinien, aber auch Verordnungen - ab. Hierbei sind prozedurale und materielle Regelungsmaterien zu unterscheiden. Ein Paradebeispiel für die - aus der anglo-amerikanischen Tradition stammenden - Instrumen43 te der ersten Kategorie ist die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung. Sie verlangt eine Ermittlung der Auswirkungen geplanter industrieller wie infrastruktureller Projekte auf die Umwelt. Dabei wird ein medienübergreifender Ansatz verfolgt, d. h. die Konsequenzen für Menschen, Fauna, Flora, Boden, Wasser, Luft, Klima, Landschaft und das kulturelle Erbe sollen ermittelt werden - und zwar auch in ihren „Wechselwirkungen" Der Projektträger muss der Behörde die entsprechenden Untersuchungsergebnisse vorlegen. Diese hat sie in der Genehmigungsentscheidung „zu berücksichtigen". 45 Dabei bleibt das materielle Zulassungsrecht unverändert. Die UVP hat - dies ist zwischenzeitlich in der Rechtsprechung des BVerwG 46 anerkannt - nur verfahrensrechtlichen Charakter. 47 Sie ist ein Instrument der Sachverhaltsermittlung und setzt die Entscheidungsinstanz in den Stand, auf einem höheren Informationsniveau eine bessere Sachentscheidung zu treffen. 48 In dieser Ergebniswirksamkeit besteht der prozedurale Steuerungsansatz der Umweltverträglichkeitsprüfung.

41 Vgl. Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 1998,BT-Drcks. 13/10195 Tz. 266ff.; Di Fabio, JZ 1997,969 (973 f.); Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (214ff.). 42 „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über Umweltvereinbarungen" (KOM [96] 561 endg. vom 27.11.1996); s. auch Europäische Umweltagentur, Umweltvereinbarungen - Ökologische Wirksamkeit, 1997, S. 5 ff. 43 Richtlinie des Rates vom 27.6.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/335/EWG), ABl. L Nr. 175 (vom 5.7.1985), S.40, geändert durch die Richtlinie 97/11/EG vom 3.3.1997, AB1.L73 (vom 14.3.1997), S.5. 44 Art. 3 UVP-RL i. d. F. d. Änderungs-RL. 45 S. Art. 8 UVP-RL sowie § 12 UVPG. 46 BVerwG 100,238 (242ff.); BVerwG, U. v. 24.3.1997, Buchholz 442.09 AEG Nr. 16, S.26 (35). 47 Schmidt-Preuß, DVB1. 1995, 485 ff. 48 Ibid. S. v492.

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An diesem Konzept hält die UVP-Änderungs-Richtlinie von 1997 49 zu Recht fest. Sie sieht neben dem Scoping - einem frühen Abklärungstermin 50 - insbesondere eine fortschreibende Ausweitung der Projekte vor, die nunmehr ebenfalls einer UVP unterliegen sollen.51 Die UVP-Änderungs-Richtlinie war bis zum 183.1999 umzusetzen. Die Bundesrepublik Deutschland hat diese Frist bedauerlicherweise verstreichen lassen. Das am 3.8.2001 in Kraft getretene, soeben erwähnte Artikelgesetz (1.1. a. E.) hat die Umsetzungslücke geschlossen und auch den Monita des EuGH 52 hinsichtlich der UVP-Richtlinie in ihrer Ursprungsfassung Rechnung getragen. 4. Die EG-Öko-Audit-Verordnung als Modell selbstregulativer Kontextsteuerung Die Philosophie des prozeduralen EG-Umweltrechts verbindet sich auf charakteristische Weise mit dem innovativen Ansatz der Selbstregulierung. Dieser setzt anstelle des staatlich-imperativen „ command and control " auf eigenverantwortliches Handeln der privaten Akteure. Als Beispiel hierfür sei die EG-Öko-Audit-Verordnung53 genannt. Dieses für das deutsche Umweltrecht neue Steuerungsinstrument bietet gewerblichen Unternehmen die Möglichkeit für eine „freiwillige Beteiligung ... an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und für die Betriebsprüfung". Nimmt ein Unternehmen hieran teil, muss es eine sog. „ Umweltpolitik" definieren, in der es sich über die Einhaltung der einschlägigen Umweltvorschriften hinaus „zur angemessenen kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes" verpflichtet. 54 Dementsprechend ist für einen bestimmten Standort ein Umweltprogramm 55 zu formulieren und ein Umweltmanagement 56 zu 49

S.Fn.43. Art. 5 Abs. 2 UVP-Änderungs-RL; das Scoping ist im deutschen UVP-Recht bereits enthalten, s. § 5 UVPG; zur Funktion Haneklaus, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 1995, § 5 Rdnr. 1 ff.; Schmidt-Preuß, in: Vollkommer (Hrsg.), Die Erhaltung der Umwelt als Herausforderung und Chance, 1995, S. 39 (43 ff.); zum Scoping als „Formalisierung des Informalen" ders., VVDStRL 56 (1997), 160 (178). 51 Dazu Anhang I und I I der UVP-Änderungs-RL. 52 EuGH, Slg. 1998,1-6135 (6164-6168) - Kommission/Deutschland, mit der Rüge, daß die Bundesrepublik Deutschland ganze Klassen von Anhang II-Vorhaben vom Anwendungsbereich ausgenommen habe. 53 Verordnung (EWG) Nr. 1836/93 des Rates vom 29.6.1993 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung, AB1.L Nr. 168 (vom 10.7.1993), S. 1; zur Novellierung s.unten Fn.65. 54 Art. 3 lit. a EG-Öko-Audit-VO; s. hierzu und zum Folgenden Lübbe-Wolff,, DVB1. 1994, 361 (362 ff.); Waskow, Betriebliches Umweltmanagement. Anforderungen nach der Audit-Verordnung der EG und dem Umweltauditgesetz, 2. Aufl., 1997, S.58f.; Schmidt-Preuß, in: FS f. Kriele, 1996, S. 1157 (1162ff.); durch die Novellierung (Art. 2 lit. a, b η. F.) hat sich in der Sache nichts geändert. 55 Vgl. Art. 3 lit. c i. V. m. Art. 2 lit. c (jetzt Art. 2 lit. h-j) EG-Öko-Audit-VO. Das „Umweltprogramm" muß dazu dienen, die in der „Umweltpolitik" formulierten Verpflichtungen zu erfüllen. 50

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installieren. Nach der ersten Umweltprüfung 57 und sodann nach jeder regelmäßig folgenden sog. internen Umweltbetriebsprüfung 58 gibt das Unternehmen die sog. Umwelterklärung 59 ab. Sie erstreckt sich auf Umweltpolitik, Umweltprogramm und Umweltmanagementsystem und enthält für den Standort eine quantitative Darstellung über „Schadstoffemissionen, Abfallaufkommen, Rohstoff-, Energie- und Wasserverbrauch und ggf. über Lärm und andere bedeutsame umweltrelevante Aspekte, soweit angemessen". Bevor das Unternehmen mit der Umwelterklärung an die Öffentlichkeit gehen kann, bedarf sie der Validierung 60 durch den - zugelassenen - unabhängigen Umweltgutachter. Gibt er „grünes Licht", wird der Standort in ein Register eingetragen und die Umwelterklärung publik. Darüber hinaus kann sich das Unternehmen des Öko-Audit-Labels bedienen, allerdings nicht zur Produktwerbung, wohl aber zu imagefördernden Marketingzwecken. Das Öko-Audit ist ein bemerkenswertes Beispiel für die - dem traditionellen deutschen Umweltrecht fremde - Kontextsteuerung, mit der freiwillige Gemeinwohlbeiträge privater Unternehmen induziert werden 61 und für die auch die Verpackungsverordnung ein prominentes Beispiel ist. Dieses Vorgehen verspricht möglicherweise einen höheren Grad an Beachtung von Umweltvorschriften, als dies beim klassisch-imperativen Verbotsansatz angesichts bekannter Implementationsdefizite 62 der Fall wäre. Für die behördliche ex-post Kontrolle ist es nicht ohne Bedeutung, wenn ein Unternehmen das Öko-Audit praktiziert. 63 Die staatliche Letztentscheidungsverantwortung - ein Grundpfeiler gesteuerter Selbstregulierung - bleibt dabei unangetastet. Insgesamt hat sich das Öko-Audit bewährt, 64 seine Akzeptanz ist in Deutschland mit ca. 2.500 registrierten Standorten zum Ende 2001 hoch. Zur weiteren Optimierung haben Eu56 Art. 3 lit. c i. V. m. Art. 2 e (jetzt Art. 2 lit. k) EG-Öko-Audit-VO. Zu den Anforderungen an Umweltmanagementsysteme s. die Auflistung in Anhang I Teil A. 57 Art. 2 lit. b (jetzt Art. 2 lit. c, Anhang VII) EG-Öko-Audit-VO. 58 Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Anhang I I (jetzt Art. 3 lit. b, Anhang II) EG-Öko-Audit-VO; dazu Waskow (Fn. 54), S. 75 ff.; Bartram, in: Ewer/Lechelt/Theuer (Hrsg.), Handbuch Umweltaudit, 1998, C/Rdnr. lOff. 59 Art. 5 (jetzt Art. 2 lit. o, Anhang III) EG-Öko-Audit-VO; dazu Theuer, in: Ewer/Lechelt/ Theuer (Fn. 58), B/Rdnr. 58 ff. 60 Art. 4 Abs. 3 (jetzt Art. 3 lit. d)EG-Öko-Audit-VO („erklärt... für gültig"); zu Prüfung und Validierung durch den Umweltgutachter Schicken, Der Umweltgutachter der EG-Umwelt-Audit-Verordnung, 2001, S. 288 ff. 61 S. näher Schmidt-Preuß, in: FS f. Kriele, 1997, S. 1157 (1166 ff.); ders., VVDStRL 56 (1997), S. 160 (185 ff.), zum Begriff der Induktion S. 165. 62 Dazu Krämer, in: Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, S.7 (9 ff.). 63 Zu Möglichkeiten und Grenzen einer Reduzierung des Nachweisaufwandes im Rahmen der ex-post-Kontrolle H.-J. Koch Anlagenüberwachung im Umweltrecht-Zum Verhältnis von staatlicher Überwachung und Eigenkontrolle - , 1998, S. 263 ff.; zu den Substitutionskatalogen im Zusammenhang mit dem Bayerischen Umweltpakt s. Böhm-Amtmann, GewArch. 1997, 353 (355 ff.); s. insgesamt - auch zur Substitution präventiver Kontrolle - Schmidt-Preuß, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 309 (323 f.). 64 Vgl. aber auch die Analyse von Breuer, NVwZ 1997, 833 (840ff.), der neben positiven Wirkungsmöglichkeiten auch von „Schwachstellen" spricht.

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ropäisches Parlament und Rat eine Novellierung der EG-Öko-Audit-Verordnung beschlossen, nachdem der (Umweltminister-)Rat am 24./25. Juni 199966 eine politische Einigung über einen Gemeinsamen Standpunkt erzielt hatte. Danach wird der Anwendungsbereich - etwa auf den Dienstleistungssektor - erweitert, ein werbewirksames Logo eingeführt, die Prüftiefe für Auditoren und Umweltgutachter 67 konkretisiert und eine Verknüpfung mit der ISO 14001 eingeführt werden. Dies sind allesamt positiv zu beurteilende Elemente. Sie werden das Öko-Audit - auch im internationalen „Systemwettbewerb" - und damit den Steuerungsmodus der Selbstregulierung insgesamt weiter stärken.

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5. Sektorales EG-Umweltrecht a) Luftreinhaltung Das sektorale EG-Umweltrecht erstreckt sich vor allem auf die Bereiche Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung, Abfall, Naturschutz und Wasser. Die außerordentlich zahlreichen, komplexen und fast ständig im Stadium der Fortschreibung befindlichen Richtlinien bzw. Verordnungen auf allen diesen Feldern stellen die Mitgliedstaaten vielfach vor erhebliche Anpassungsprobleme. Dies hängt mit den verschiedenen Rechtstraditionen und dem in den einzelnen Staaten erreichten Schutzniveau zusammen. Der Steuerungsansatz der bisherigen Luftreinhaltungs-Richtlinien ist - soweit er am Stand der Technik orientierte Emissionsgrenzwerte einerseits und qualitätsbezogene Immissionsgrenzwerte andererseits kombiniert 68 - dem deutschen Umweltrecht durchaus vertraut. Den Emissionsbezug repräsentiert z.B. die aus dem Jahre 1988 stammende und nunmehr novellierte EG-Richtlinie über Großfeuerungsanlagen, 69 die seinerzeit der bereits vorliegenden deutschen Groß65 Verordnung (EG) Nr. 761/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung vom 19.3.2001, ABl. L Nr. 114 (vom 24.4.2001), S. 1. Die gegenüber dem Vorschlag vom 30.10.1998 (AB1.C Nr. 400 S.7) vorgenommenen Änderungen berücksichtigen eine Reihe von Änderungsanträgen des Europäischen Parlaments. Dieses war im April 1999 im „ersten Durchgang" mit dem Vorschlag befaßt. Zum Vorentwurf der Kommission s. Lütkes!Ewer, NVwZ 1999, 19ff. 66 Vgl. umweit 1999, S.309 (310f.) sowie S.565. 67 Hierzu im Sinne einer mittleren Linie Schmidt-Preuß, FS f. Kriele, 1997, S. 1157 (1173 ff.); so auch Feldhaus, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd.I, 1998, §36 Rdnr. 67; Franzius, NuR 1999, 601 (603 f.); umfassend jetzt Schickert (Fn. 60), S.419ff. 68 Vgl. dazu Epiney, in: Barth/Köck (Hrsg.), Qualitätsorientierung im Umweltrecht, 1997, S.77 (81 ff., 88ff.); Appel, DVB1. 1995, 399 (402ff.). 69 Richtlinie des Rates vom 24.11.1988 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft (88/609/EWG), ABl.L Nr. 336 (vom 7.12.1988), S. 1 und die neue Richtlinie 2001/80/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2001 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft, ABl. L Nr. 309 (vom 27.11.2001), S.l.

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feuerungsanlagen-Verordnung 70 weitgehend nachempfunden wurde. Stellvertretend für den Immissionsbezug seien die drei sog. EG-Luftqualitäts-Richtlinien mit ihren Grenzwerten für Schwefeldioxid und Schwebestaub,71 Blei 72 und Stickstoffdioxid 73 genannt, die in Deutschland durch die 22. BImSchV 74 umgesetzt wurden. Weit hierüber hinaus geht - mit systematisch umfassendem Zuschnitt - die sog. Luftqualitäts-Rahmenrichtlinie von 1996.75 Nach ihren Vorgaben werden derzeitSchadstoff für Schadstoff - Immissionsgrenzwerte in speziellen Tochter-Richtlinien 76 definiert. Dabei ist abzusehen, dass - wie ζ. B. bei Schwefeldioxid - strengere Anforderungen als die Immissionswerte nach der 22. BImSchV oder der TA Luft gestellt werden. Zugleich verlagert sich der Regelungsstandort - da der EuGH 77 eine Umsetzung durch Rechtsnorm fordert - weiterhin weg von der TA Luft. Verzichten will die Bundesregierung auf dieses flexible Handlungsinstrument aber nicht. Dies zeigt die Kabinettsentscheidung vom 12.12.2001 zur Festschreibung der TA Luft. 78

b) Abfallrecht Struktureller Umsetzungsbedarf ergab sich für die Bundesrepublik auf dem Gebiet des Abfallrechts. Die schon erwähnte Abfall-Richtlinie in der Fassung von 1991 umschloss ohne weiteres auch wiederverwertbare Stoffe. Demgegenüber blieben entsprechende Reststoffe außerhalb des Anwendungsbereichs des damaligen deutschen Abfallgesetzes. Hier bestand akuter Anpassungsbedarf. Ihn deckte das 70

Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Großfeuerungsanlagen - 13. BImSchV) vom 22.6.1983, BGB1.I, 719. 71 Richtlinie des Rates vom 15.7.1980 über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub (80/779/EWG), AB1.L Nr. 229 (vom 30.8.1980), S.30. 72 Richtlinie des Rates vom 3.12.1982 betreffend einen Grenzwert für den Bleigehalt in der Luft (82/884/EWG), ABl. L Nr. 378 (vom 31.12.1982), S. 15. 73 Richtlinie des Rates vom 7.3.1985 über Luftqualitätsnormen für Stickstoffdioxid (85/203/EWG), ABl. L Nr. 87 (vom 27.3.1985), S. 1. 74 Zweiundzwanzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Immissionswerte - 22. BImSchV) vom 26.10.1993, BGB1.I, 1819, geändert durch Verordnung vom 27.5.1994, BGB1.I, 1095. 75 Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27.9.1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität, ABl. L Nr. 296 (vom 21.11.1996), S.55; dazu Hansmann, NuR 1999, lOff. 76 Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22.4.1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft, ABl. L Nr. 163 (vom 29.6.1999), S. 41; Richtlinie 2000/69/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.11.2000 über Grenzwerte für Benzol und Kohlenmonoxid in der Luft, ABl. L Nr. 313 (vom 13.12.2000), S. 12; s. auch Ludwig, in: FS f. Feldhaus, 1999, S. 181 (185 f.). 77 Vgl. EuGH, Slg. 1991,1-2567 (2599 ff.) - Schwefeldioxid; EuGH, Slg. 1992,1-4983 (5023) - Grundwasser-Richtlinie; s. allg. Pernice , EuR 1994, 325 (328 ff.); A. Weber, UPR 1992, 5 (6 ff.); Hoppe/Otting, NuR 1999, 61 f. 78 Dazu umweit 2002, S.214ff.; s.zuvor BT-Drcks. 13/10175, S.2f.

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am 7.10.1996 in Kraft getretene Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz, 19 das durch die Einführung der Kategorie des Abfalls zur Verwertung - als Pendant zum Abfall zur Beseitigung - mit dem Gemeinschaftsrecht gleichzog. Dies führte zu einer erheblichen Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs des Abfallregimes. 80 Seither ist die Trennlinie zwischen Verwertung und Beseitigung Gegenstand der Kontroverse. 81 In ihr spiegelt sich das Ringen privater und öffentlicher Abfallentsorgung um das knappe Gut Abfall. 82 Hintergrund sind unausgelastete Müllverbrennungskapazitäten und die Vorwirkung der - zwischenzeitlich durch die sog. Deponie-Verordnung vom 20.2.2001 in zentralen Punkten modifizierten- TA Siedlungsabfall. Für den Sektor des Verpackungsabfalls hat die EG-Richtlinie 94/62/EG83 gemeinschaftsrechtliche Rahmendaten gesetzt. Die bereits zuvor eingeführte Verpackungsverordnung - die kürzlich novelliert wurde 84 - hatte sich bereits als selbstregulatives Steuerungsmodell bewährt. Im Sinne der Kontextsteuerung verbindet es ordnungsrechtliche Primär pflichten mit einer sekundären „Abwendungsbefugnis". Auf diese Weise können die Wirtschaftssubjekte den Gemeinwohlzweck eigenverantwortlich bei fortbestehender staatlicher Letztentscheidungskompetenz realisieren. 85

c) Vogelschutz-Richtlinie und FFH-Richtlinie Welche immensen Auswirkungen vom EG-Umweltrecht auf das deutsche Recht ausgehen, zeigt auch die „Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen", die sog. Fauna-Flora-Habitat-, kurz: 79 Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (KrW-/AbfG) = Art. 1 des Gesetzes zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen vom 27.9.1984, BGB1.I, 2705. 80 Vgl. dazu Kunig, in: Ders./Paetow/Versteyl, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 1998, § 3 Rdnr. 7; s. auch F luck, in: Ders. (Hrsg.), Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, § 3 Rdnr. 5 ff. 81 Vgl. einerseits Dolde/Vetter, NVwZ 1997,937 ff., andererseits Weidemann, NVwZ 1998, 258 ff.; für eine - vermittelnde - Auslegungsmaxime „funktionsgerechter Verteilung dualer Verantwortung zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgem" SchmidtPreuß, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat, 1999, S. 195 (214 ff.). 82 S. zum Ganzen Schmidt-Preuß (Fn. 81), S. 197 ff., 206ff. 83 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle, ABl. L Nr. 365 (vom 31.12.1994), S. 10; s. dazu Kloepfer, EWS Beilage 2 zu Heft 7/1998, S. 1 ff. 84 Verordnung vom 27.8.1998, BGB1.I, 2379; hierzu der Überblick bei Flanderka, Verpackungsverordnung, 1999, S. 13ff.; H.-J. Koch, NVwZ 1998, 1155ff. 85 Schmidt-Preuß, in: FS f. Lieberknecht, 1997, S.549ff.; ders., VVDStRL 56 (1997), S. 160 (185 f.); ders. (Fn. 81), S. 198 ff.; Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, 1998, S.49ff.; s. unter dem Aspekt des Kooperationsprinzips BVerfGE 98, 106 (130ff.); des weiteren auch BVerfGE 98, 83 (101 ff.).

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FFH-Richtlinie von 1992.86 Im Fall der A 20- der Ostsee-Autobahn - hatte das BVerwG 87 zwar nicht wie beantragt den fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsbeschluss aufgehoben. Die rechtlichen Überlegungen zeigen aber, welch „Sprengsatz" die FFH-Richtlinie für die Zulassung von Infrastrukturvorhaben in sich birgt. Ihr abgestuftes Prozedere sah vor, dass die Mitgliedstaaten der Kommission bis zum 5.6.1995 eine Liste mit Lebensraumtypen bzw. einheimischen Arten melden. Auf dieser Grundlage hätte die Kommission eine Liste von Gebieten mit gemeinschaftsweiter Bedeutung - das als „Natura 2000 " bezeichnete kohärente europäische Netz besonderer Schutzgebiete88 - erstellen sollen. In diesen Gebieten haben die Mitgliedstaaten Schutzgebiete auszuweisen. Können Vorhaben oder Projekte zu erheblichen Beeinträchtigungen dieser Gebiete führen, bedarf es einer besonderen FFH89 Verträglichkeitsprüfung. Bei negativem Ergebnis kann eine Genehmigung nur ausnahmsweise und zwar aus Gründen des „überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art" ergehen und dies auch nur, wenn zugleich Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen sind. 90 Werden durch das Gebiet prioritäre Lebensraumtypen oder Arten - wie ζ. B. Moorwälder oder der Goldsalamander-geschützt, können Ausnahmegenehmigungen lediglich zum Schutz der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit oder der Umwelt oder aus entsprechenden zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses erteilt werden. 91 Diesen Vorgaben entsprechen die §§ 19 äff. im 2. Änderungsgesetz zum BNatSchG, 92 das am 9.5.1998 in Kraft getreten ist und mit dem der Bundesgesetzgeber - bereits durch den EuGH 93 dazu angehalten - die FFH-Richtlinie umgesetzt hat. Freilich lief die Umsetzungsfrist bereits am 5.6.1994 ab. Für die Praxis wichtig ist die Frage, ob für Projekte, deren Zulassungsverfahren in den letzten 6 Jahren anhängig geworden sind, das geschilderte FFH-Regime gilt. Eine direkte Anwendung scheidet mangels inhaltlich unbedingter und hinreichend bestimmter Richtlinienvorschriften aus. Dies ergibt sich vor allem aus der Möglichkeit des sog. Konzertierungsverfahrens, das bei einem Dissens zwischen Kommission und Mitgliedstaat über die Aufnahme prioritärer Gebiete stattfindet und dem Mitgliedstaat mit der Anordnung einer einstimmigen Beschlussfassung im Rat gem. Art. 5 Abs. 3 FFH-RL ausdrücklich ein autonomes Bestimmungsrecht einräumt. Dies muss respektiert werden. Daher gibt es - das 86

Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.5.192, ABl. L Nr. 206 (vom 22.7.1992), S.7. BVerwG, NVwZ 1998, 961 ff. 88 Vgl. zu Konzeption und Maßstäben für Auswahl und Ausweisung der Schutzgebiete Gellermann, Natura 2000, 1998, S. 15 ff.; zur Verträglichkeitsprüfung gem. Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL ibid., S.59ff.; Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, 1998, S. 113 ff. 89 Näher hierzu und zu § 19c BNatSchG Schink, UPR 1999,417 (418ff.). 90 Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL; vgl. hierzu EuGH, DVB1. 1997, 38 (40). 91 Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL i. V. m. Anhang I und II. 92 Zweites Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 30.4.1998, BGB1.I, 823; vgl. dazu im Überblick Müller-Terpitz, NVwZ 1999, 26 ff.; Apfelbacherl AdenauerlIven, NuR 1998, 509 ff. sowie NuR 1999, 63 ff. 93 EuGH, NVwZ 1998, 721. 87

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BVerwG 94 „neigt" in seinem A 20-Urteil zur gegenteiligen Auffassung - keine potentiellen oder faktischen FFH-Gebiete. 95 Anders liegen die Dinge bei der Vogelschutzrichtlinie von 1979. 96 Hier fehlt ein Konzertierungsverfahren mit unvorhersehbarem Ausgang. Dem Mitgliedstaat steht zwar ein Auswahlermessen hinsichtlich der Festlegung von Schutzgebieten zu, das aber nach Maßgabe ornithologischer Kriterien „auf Null schrumpfen" kann. Dass in diesem Sinne potentielle bzw. faktische Vogelschutzgebiete möglich sind, hat der EuGH 97 in zwei grundlegenden Urteilen unterstrichen. Was den Maßstab angeht, so ordnet Art. 7 FFH-RL im Interesse einheitlicher Standards eine abschwächende Modifizierung des Schutzregimes des Art. 4 Abs. 4 Vogelschutz-RL an. Insgesamt ist zu hoffen, dass die FFH-Richtlinie Schritt für Schritt realisiert wird, bis es - gleichsam kaskadenartig - von der Meldung der Länder an die Bundesregierung „über Brüssel" schließlich zur förmlichen Unterschutzstellung z.B. durch Naturschutz- oder Landschaftsschutzverordnungen auf der Ebene eines Landratsamtes kommt. 98 d) Gewässerschutz Das EG-Gewässerschutzrecht enthält über 30 heterogene, vielfach nicht abgestimmte und oft mangels Erlasses konkretisierender Tochter-Richtlinien unvollständige Richtlinienwerke, die kein organisches Gesamtbild, sondern eher einen „Fleckenteppich"99 bilden. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat die Kommission 1997 den Vorschlag für eine Wasser-Rahmen-Richtlinie m vorgelegt. Ihr - ambitiöses - Ziel sind die „Erhaltung und der Schutz der aquatischen Umwelt in der Gemeinschaft" durch „eine wirksame und kohärente Wasserpolitik". Der erstrebten Verbesserung des Zustands von Oberflächengewässern und Grundwasser in der Gemeinschaft dient das sog. „kombinierte Konzept" einer am Stand der Technik orientierten Verschmutzungskontrolle an der Quelle einerseits und der Festlegung von Umweltqualitätszielen andererseits. Eine zunächst zu befürchtende Vernachlässigung des - in der Bundesrepublik Deutschland bewährten - Emissionsansatzes 94 BVerwGE 107, 1 (21); das VG Stade, NuR 1999, 11 (412), geht dagegen davon aus, daß sich das BVerwG bereits endgültig festgelegt habe. 95 Vg. Schmidt-Preuß, in: FS f. Hoppe, 2000, S. 1071 (1096ff.); a. A. BVerwG, NVwZ 2000, 1171 (1172). 96 Richtlinie des Rates vom 2.4.1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (79/409/EWG), ABl. L Nr. 103 (vom 25.4.1979), S. 1. 97 EuGH, Slg. 1993,1-4221 (4278ff.)-Santona; zuvor bereits EuGH, Slg. 1991,1-883 (930 f.) - Leybucht. 98 Zum Ablauf Gebhard, NuR 1999, 361 (362ff.). 99 Treffend Breuer,OVBL 1997, 1211 (1216). 100 Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. L Nr. 327 (vom 22.12.2000), S. 1; s. zum Kommissionsvorschlag von 1997 Bosenius, NVwZ 1998,1039ff., zum Neuvorschlag von 1998 Holtmeier, ZfW 1999,69ff.; zum Gemeinsamen Standpunkt vom 11.3.1999 Knopp, ZFW 1999, 257 (266ff.).

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konnte erfreulicherweise vermieden werden. So bleiben die Emissionsgrenzwerte der Tochter-Richtlinien zur Gewässerschutzrichtlinie 76/464/EWG 101 und die in ihrem Art. 6 verankerte Ermächtigungsgrundlage unberührt. Die - neben weiteren Neuerungen besonders kontrovers diskutierte - Einführung des Maßstabs kostendeckender Preise ist zwischenzeitlich nicht mehr obligatorisch. Neben all dem hätte die Wasser-Rahmen-Richtlinie einen gravierenden institutionellen Einschnitt in das geltende deutsche Umweltrecht mit sich bringen können. Sie sieht nunmehr vor, dass die Mitgliedstaaten Einzugsgebiete - also Gewässer von der Quelle bis zur Mündung - erfassen, ihnen sog. Flussgebietseinheiten zuordnen und als zentrales wasserwirtschaftliches Steuerungsinstrument Bewirtschaftungspläne erlassen. Damit schienen neue Vollzugsinstanzen an die Stelle der bisherigen Wasserbehörden zu treten. Bei grenzüberschreitendem Zuschnitt hätte der nucleus einer gemeinschaftseigenen Umweltadministration entstehen können.102 Aus beiden Gründen wurde ein Übergriff in die Autonomie mitgliedstaatlicher Verwaltungsorganisation geltend gemacht.103 In der Schlußfassung konnte dem entgegengewirkt werden: Die Mitgliedsstaaten bestimmen die zuständige Behörde. Im Falle „internationaler Flußgebietseinheiten" sorgen sie gemeinsam für die Koordinierung. Auch weitere zentrale Streitpunkte - wie ζ. B. die Bemessung des Zeitrahmens bis zur uneingeschränkten Geltung der Gewässergüteanforderungen oder die Behandlung gefährlicher Substanzen - konnten zwischen Rat und Europäischem Parlament im Vermittlungsverfahren bereinigt werden. 104 e) Die EG-Altauto-Richtlinie Dass auch ein ganzer Teilbereich nationalen Umweltschutzes durch das EG-Umweltrecht regelrecht „überholt" werden kann, verdeutlicht die EG-Altauto-Richtlinie. 105 Hatte das deutsche Regelungsmodell in Form des Selbstbeschränkungsabkommens der Automobil-Industrie von 1996 die kostenlose Rücknahme auf Neuwagen bis zu 12 Jahren nach einer Erstzulassung ab 1998 beschränkt, 106 geht die EGAltauto-Richtlinie ohne weiteres den „,radikalen " Weg. Danach umfasst die Pflicht 101

Richtlinie des Rates vom 4.5.1976 betreffend die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft (76/464/EWG), ABl. L Nr. 129 (vom 18.5.1976), S.23. 102 Nach Art. 3 Abs. 4 Wasser-Rahmen-Richtlinie wird die Kommission nunmehr ausdrücklich nur auf Antrag der betroffenen Mitgliedsstaaten tätig. 103 Breuer, NVwZ 1998, 1001 (1003 ff.); ders., in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd.II, 1999, §66 Rdnr.49ff.; Reinhardt, DVB1.2001, 145 (152 f.). 104 umweit 1999, S. 196. 105 Richtlinie 2000/53/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.9.2000 über Altfahrzeuge, Vorschlag der Kommission, ABl. L Nr. 269 (vom 21.10.2000), S.34 . 106 Verordnung über die Entsorgung von Altautos und die Anpassung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 4.7.1997, BGB1.I, 1666; s. hierzu als Beispiel für duale Systeme der „zweiten Generation" Schmidt-Preuß (Fn.81), S. 203 ff.; s. auch Faber, UPR 1997,431 ff.

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zur unentgeltlichen Rücknahme sämtliche PKW. Nachdem es im Umweltrat am 28.6.1999 nicht zur Verabschiedung des Gemeinsamen Standpunktes gekommen war, erfolgte die Beschlussfassung am 22.7.1999.107 Dabei wurde der Gemeinsame Standpunkt mit der Maßgabe verabschiedet, dass die Pflicht zur kostenlosen Rücknahme drei Jahre später als von der Kommission vorgeschlagen - nunmehr am 1.1.2006 - für ab 1.1.2001 zugelassene Kraftfahrzeuge in Kraft treten sollte. 108 Der Umweltausschuss des Europäischen Parlamentes hat demgegenüber für die zweite Lesung dem Plenum ein Inkrafttreten ab 1.1.2003 empfohlen. 109 Nach dem Vermittlungsverfahren ist die Richtlinie so verabschiedet worden, daß ab 1.7.2002 vor diesem Zeitpunkt in Verkehr gebrachte Fahrzeuge kostenlos zurückgegeben werden dürfen. Für davor zugelassene Fahrzeuge gilt dies - auch im Hinblick auf die Rückwirkungsproblematik - erst ab dem 1.1.2007. 6. Die IVU-Richtlinie - Herausforderung des deutschen Industrieanlagenzulassungsrechts Die bereits erwähnte IVU-Richtlinie 110 ist ein weiteres ebenso aktuelles wie markantes Beispiel für die Europäisierung des deutschen Umweltrechts. Flexible Steuerung, integrativer Ansatz und prozedurale Ergänzung gehen eine konzeptionelle Verbindung ein, die eindeutig die britische Handschrift trägt. 111 Für das konditional programmierte, rechtsförmlich ausgestaltete deutsche Industrieanlagenzulassungsrecht stellt sich damit eine Herausforderung ersten Ranges. Das gilt auch dann, wenn es - nach der schon angesprochenen Entscheidung der Bundesregierung, das UGB I-Projekt kurzfristig nicht weiter zu verfolgen - nur noch um die Umsetzung der IVU-Richtlinie durch ein Artikel-Gesetz gehen konnte. In dessen Mittelpunkt steht das Bundes-Immissionsschutzgesetz als Magna Charta des Industrieanlagenrechts. Was die materielle Integration angeht, bedurfte es im Grunde nur einiger punktueller Ergänzungen oder Klarstellungen. So wäre zunächst der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen 112 zu erweitern gewesen, um als Immission (§ 3 Abs. 2 BImSchG) auch den Direkteintrag in Wasser und Boden zu erfassen. Auf dieselbe Weise wäre der Begriff der Emission (§ 3 Abs. 3 BImSchG) zu ergänzen.113 Damit ließe sich die Lücke zur IVU-Richtlinie mit ihren integrativen Begriffen der Umweltverschmutzung 114 und der Emission115 schließen. Diesen - eleganten - Weg 107

S. zum Prozedere krit. Fischer, EUmagazin 10/1999, 28f. Art. 12 Abs. 2 des Gemeinsamen Standpunktes des Rates, 8095/1/99 (10.9.1999). 109 Entwurf einer Empfehlung für die zweite Lesung - 1997/0194 (COD) - (8.11.1999). 110 s.o. Fn. 10. 111 Vgl. Haigh, in: Dokumentation zur 21. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V., 1997,1998, S. 57 (60ff.); krit die Würdigung von Breuer, in: FS f. Feldhaus, 1999, S. 49 (71 ff.). 112 Dazu Kutscheidt, in: FS f. Feldhaus, 1999, S. 1 (3 ff.). 1,3 Vgl. Schmidt-Preuß, NVwZ 2000, 252 (258 f.). 114 Art. 2 Nr. 2 IVU-RL. 108

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hat der Gesetzgeber nicht beschritten, der hier lediglich eine Änderung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BlmSchG vorsah. Umsetzungsbedarf ergab sich auch im Blick auf den Katalog der Grundpflichten. Hier manifestiert sich mit der effizienten Energieverwendung 116 als Genehmigungsvoraussetzung ein Novum. Vorzugsweise sollte dieser Topos durch einen nunmehr unmittelbar geltenden neuen § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG - aufgenommen werden. Was den Stand der Technik angeht, so will der Standard der „best available technology " (BAT) U1 gegenüber dem deutschen Recht 118 flexibler erscheinen, da er mit dem Merkmal der Verfügbarkeit auch Kosten-Nutzen-Aspekte, die sektorielle technisch-wirtschaftliche Vertretbarkeit und eine - auch individuelle, für den Betreiber vertretbare - „Zugänglichkeit" im Auge hat. Freilich ist auch das generalisierende deutsche Konzept des Standes der Technik - mit dem Merkmal der praktischen Eignung - elastisch genug, um die gebotene Ausgewogenheit sicherzustellen, und der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 119 gilt ohnehin. Vor diesem Hintergrund können einzelne konkretisierende Elemente des BAT-Standards durchaus in § 3 Abs. 6 Satz 1 BlmSchG zur Verdeutlichung aufgenommen werden. Zu einer Absenkung käme es aber, wenn auch individuell betriebs- und kostenbezogene Aspekte, die nach der IVU-Richtlinie ebenfalls berücksichtigungsfähig sind, Eingang fänden. Dem überwiegenden Verständnis des Stands der Technik in § 3 Abs. 6 Satz 1 BlmSchG entspricht dies nicht. Insoweit mußte die Politik entscheiden, ob sie eine solche Absenkung will oder ob sie den bisherigen Technikstandard als gewachsene und bewährte mitgliedstaatliche Schutzmaßnahme beibehalten möchte - Art. 176 EGV n. F. lässt dies ausdrücklich zu. Der neue § 3 Abs. 6 BlmSchG erweist sich als hinreichend elastisch. Was die insbesondere von Art. 7 IVU-RL geforderte formelle Integration angeht, steht vor allem die Frage „Vollkonzentration - ja oder nein?" im Mittelpunkt. Die IVU-Richtlinie hat den Mitgliedstaaten insoweit - in letzter Sekunde auf deutsches Drängen - Entscheidungsspielraum gelassen. Freilich verlangt Art. 7 IVU-RL „ein wirksames integriertes Konzept aller... zuständigen Behörden". M. E. konnte es beim derzeitigen § 13 BlmSchG bleiben. Die Vorschrift nimmt im wesentlichen nur die wasserrechtlichen Gestattungen von der Konzentration aus. Die notwendige prozedurale Verzahnung - die „vollständige Koordinierung des Genehmigungsverfahrens" - wird durch die interne Behördenbeteiligung sichergestellt. So hat die Wasserbehörde im BImSchG-Genehmigungsverfahren hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme. Bei evidenter Gestattungsunfähigkeit nach Wasserrecht fehlt es am Sachbescheidungsinteresse. 120 Etwaige unzuträgliche Sachdivergenzen zwischen 115

Art. 2 Nr. 5 IVU-RL. Art. 3 Satz 1 lit. d IVU-RL; zum Rechtsmaßstab der Effizienz s. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, Kap. 6 Rdnr. 89 ff. 117 Art. 2 Nr. 11 i. V. m. 9 Abs. 4 IVU-RL. 118 § 3 Abs. 6 BlmSchG; dazu Jarass, BlmSchG, 4. Aufl., 1999, § 3 Rdnr. 78 ff., sowie bereits Feldhaus, DVB1. 1981, 165 (166 ff.). 119 BVerfGE 90,145 (112 f.); Lerche, Übermaß undVerfassungsrecht, 2.Aufl., 1999,S. VII ff. sowie S. 19ff., 61 ff. 120 Zum Ganzen näher Schmidt-Preuß, NVwZ 2000, 252 (257 f.). 116

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BImSchG- und Wasserbehörde können im Instanzenzug harmonisiert werden. Damit ist die erforderliche „vollständige Koordinierung des Genehmigungsverfahrens" ebenso wie ein „wirksames integriertes Konzept aller für diese Verfahren zuständigen Behörden" sichergestellt. Zur Klarstellung ist diese Koordinierungspflicht im Rahmen der Behördenbeteiligung in § 10 Abs. 5 Satz 2 BImSchG zu Recht besonders hervorgehoben worden. Echter formell-integrativer Anpassungsbedarf bestand bei der Unterlagenbeibringung, die sich nun insbesondere auch auf die Thematik der effizienten Energieverwendung erstrecken muss. Schließlich: Das gegenüber den Anforderungen der IVU-RL deutlich anspruchsvollere Öffentlichkeitsverfahren der 9. BImSchV war als gewachsener Bestand - im Sinne der eben erwähnten mitgliedstaatlichen Schutzmaßnahme - beibehalten worden. I I I . Das internationale Umweltrecht 1. Die Globalisierung der Umweltpolitik Umweltbeeinträchtigungen machen nicht an nationalen Grenzen Halt. Der Umweltschutz muss sich darauf einstellen. Dies führt zur Globalisierung der Umweltpolitik. 1 2 1 Das ist zunächst von Bedeutung dort, wo es um es um Immissionskonflikte „über die Grenze" geht. Hier hat das klassische umweltvölkerrechtliche Nachbarrecht seine ungebrochene Bedeutung.122 Längst ist anerkannt, dass staatliche Souveränität nicht „absolut" verstanden werden kann, sondern durch das legitime Integritätsinteresse anderer Staaten „begrenzt" ist. Prägnanten Ausdruck hat dies im nach wie vor grundlegenden Trail-Smelter-Schiedsspruch 123 gefunden. Auf der prozeduralen Ebene kommen bei derartigen grenzüberschreitenden Risikolagen folgerichtig verfahrensrechtliche Vorkehrungen zum Zuge. Völkergewohnheitsrechtliche Informationspflichten 124 bestehen dann, wenn erhebliche Beeinträchtigungen zu besorgen sind. Für eine entsprechende Warnpflicht ist dort Raum, wo in Notfällen mit gravierenden Beeinträchtigungen gerechnet werden muss.125 Dagegen sind Konsul121 Zur Globalisierung der Umweltpolitik Jänicke/Kunig/Stitzel, Umweltpolitik, 1999, S. 138 ff. 122 Vgl.R. Schmidt, Einführung in das Umweltrecht, 6. Aufl., 2001, §7 Rdnr. 23 ff.; Epiney, AVR 33 (1995), 309 (316 ff.); Randelzhof er/Simma, in: FSf. Berber, 1971, S. 389 (395 ff., 407 ff.); zum Drittrechtsschutz von Ausländem s. BVerwGE 75, 285 (286ff.), für das Atomrecht; OVG Saarlouis, AS 25 (1997), 377, (379 ff.), für das Immissionsschutzrecht; Kutscheidt, in: Landmann/Rohmer/Hansmann, Umweltrecht, § 5 BImSchG Rdnr. 18; Ress, in: Ders. (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verfahrensbeteiligung im Umweltrecht der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, 1985, S. 1 (14ff); Schmidt-Preuß (Fn. 18), S.439f. 123 9 1.L.R. 315 sub I. 124 Graf Vitzthum, in: Ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Aufl., 2001, 5. Abschn. Rdnr. 158; eher zurückhaltend Randelzhofer, in: Bernhardt (ed.), Encyclopedia of Public International Law, Instalment 9 (1986), S.378 (380): „doubtful"; weitergehend/?. Schmidt (Fn. 122), §7 Rdnr.28; Streinz, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1999, 1999, S.319 (331). 125 S. hierzu IGH, ICJ Reports 1949, S.4ff. sowie S.22-Korfu-Kanal.

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tationspflichten völkergewohnheitsrechtlich nur im Rahmen des - die Nutzung internationaler Binnengewässer betreffenden - „equitable apportionment"-Prinzips nachweisbar. Für darüber hinausgehende Pflichten fehlt es nach wie vor an der allgemeinen Rechtsüberzeugung.126 Als allgemeiner Rechtsgrundsatz 121 anerkannt ist u. a. das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme. 128 Wie relevant all dies ist, zeigt sich am Beispiel der Meinungsunterschiede zwischen Österreich und Tschechien bzw. der Slowakei im Hinblick auf die in diesen beiden Ländern betriebenen oder geplanten Kernkraftwerke. Es handelt sich um einen Sachverhalt, dem unter dem Aspekt der EG-Beitrittsverhandlungen besondere Beachtung zu schenken ist. Wo Umweltkonflikte globaler Natur sind, hat das Umweltvölkerrecht in Gestalt multilateraler Verträge seinen besonderen Platz. Von der Verhütung der Meeresverschmutzung129 über die Eindämmung des Abfallexports 130 in die weniger entwickelten Länder bis hin zum Artenschutz 131 - weithin ist wirksamer Umweltschutz vor allem durch abgestimmtes internationales Vorgehen auf vertraglicher Grundlage erreichbar. 132 Soweit sich die beteiligten Staaten der Jurisdiktion des Internationalen Gerichtshofes unterworfen haben, ist auf die Kammer für Umweltschutzfragen hinzuweisen. Zum Zwecke der Durchsetzung einer Entscheidung steht es der obsiegenden Partei frei, sich an den Sicherheitsrat zu wenden. Dieser kann gem. Art. 94 Abs. 2 UNO-Charta Empfehlungen aussprechen oder nach Ermessen Maßnahmen beschließen, um dem Urteil Wirksamkeit zu verschaffen. 133 Die Globalisierung der Umweltpolitik entfaltet sich auch außerhalb staatlicher Aktivitäten. Von internationaler Selbstregulierung ist zu sprechen, wo private Akteure eigenverantwortliche Beiträge für eine nunmehr weltweit verstandene „gute Ordnung" leisten. 126 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 4. Aufl., 1999, § 58 Rdnr. 37; weitergehend für Konsultationspflicht R. Schmidt (Fn. 122), § 7 Rndr. 29; DahmlDelbrück/Wolfrum, Völkerrecht 1/1,2. Aufl., 1989, S.449f.; Brunnée, ZaöRV 1989,791 (795); dagegen Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., 1984, § 1031; Oppermann, in: HdUR, Bd.I, 2. Aufl., 1994, Sp. 906 (914). 127 S. zu dieser Quelle des Völkerrechts Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut. 128 Kunig, BDGV 32 (1992), 9 (15ff.); Graf Vitzthum (Fn. 124), 5. Abschn. Rdnr. 155 (für das internationale Wasserrecht); Doehring, Völkerrecht, 1999, Rdnr. 1183. 129 Z.B Übereinkommen vom 22.9.1992 zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks, BGBl. (1994) II, 1355, 1360. 130 Übereinkommen vom 22.3.1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung (Basler Übereinkommen), BGBl. II (1994), 2703. Vertragspartei ist auch die Europäische Gemeinschaft; s. insoweit die Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1.2.1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft, ABl. L Nr. 30 (vom 6.2.1993), S. 1. 131 Übereinkommen vom 3.3.1973 über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (Washingtoner Übereinkommen), BGBl. (1973) II, 773. 132 Zu Verträgen im internationalen Umweltvölkerrecht s. den Überblick bei Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl., 1998, §9 Rdnr. 84ff. 133 Vgl. Doehring (Fn. 128), Rdnr. 1189; zur Vollstreckung von Entscheidungen des IGH im einzelnen Guillaume, SZIER 1997,431 (437 ff.).

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Hierzu können sie als „global players" Expertise, Initiative und Know-How im Rahmen des nationalen, supranationalen und internationalen Rechts aktivieren. Das gilt gerade auch für den Umweltschutz. Ein Beispiel hierfür ist die Normung. 134 So hat sich das Managementsystem der ISO 14001 - im besten Sinne internationaler Selbstregulierung - weltweit als ein Instrument zur Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes etabliert. Hiervor kann die gemeinschaftsrechtliche Öko-AuditVerordnung - will sie im Weltmaßstab nicht zurückbleiben - nicht die Augen verschließen. Deshalb war es richtig, sie hier für die ISO 14001 zu öffnen. 135 2. Klimaschutz Welche Dimensionen die Globalisierung der Umweltpoltik längst erreicht hat, beweist die Thematik des Klimaschutzes. Die generationenübergreifenden Risiken einer weiteren Aufheizung der Erdatmosphäre infolge von Treibhausgasen machen ein gemeinsames Handeln unabweisbar. Die Zielvorgabe ist das im Bericht der Brundtlandt-Kommission geprägte Postulat des „sustainable development", das zum Kernprinzip der Rio-Deklaration von 1992136 geworden ist und auch seinen europarechtlichen Platz gefunden hat. 137 Die Klima-Rahmen-Konvention m von Rio wurde auf Grund des Berliner Mandats auf der 3. Vertragsstaatenkonferenz in Kyoto völkerrechtlich finalisiert: Das am 11.12.1997 verabschiedete sog. Klimaschutzprotokoll 139 verpflichtet die in Annex I genannten Industriestaaten zu einer Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen um durchschnittlich 5,2% in den Jahren 2008 bis 2012 gemessen am Stand von 1990. Zu den 155 Unterzeichnern des Klimaschutzprotokolls gehören auch die Europäische Gemeinschaft und alle ihre Mit134 Vgl. Schmidt-Preuß, in: Kloepfer (Hrsg.), Selbst-Beherrschung im technischen und ökologischen Bereich, 1998, S. 89 ff. 135 Vgl. zum „Wettbewerb zwischen EMAS und ISO 14001" Feldhaus, UPR 1992, 41 ff. Femer oben nach Fn. 67. 136 S. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro - Dokumente, 1992, „Prinzip 4". 137 Art. 2 und 6 EGV; s. hier nur Geiger, EUV/EGV, 3. Aufl., 2000, Art. 6 EGV Rdnr. 3. 138 In deutscher Übersetzung abgedruckt als Anlage 2 zum „Beschluß der Bundesregierung zum Klimaschutzprogramm der Bundesrepublik Deutschland auf der Basis des Vierten Berichts der Interministeriellen Arbeitsgruppe ,C02-Reduktion' (IMA ,C0 2 -Reduktion')", BT-Drcks. 13/8936 (6.11.1997), S. 101 ff.; zu den Einzelheiten S.Schuppert, Neue Steuerungsinstrumente im Umweltvölkerrecht am Beispiel des Montrealer Protokolls und des Klimaschutzrahmenüberkeinkommens, 1998, S. 178 ff.; Bodansky, YJIL 1993, 451 (492ff.); Feist, JuS 1997, 490 (494f.); s. auch bereits Randelzhofer, in: FSf. Sendler, 1991, S.465 (474 ff.). 139 Kyoto Protocol to the United Nations Framework Convention on Climate Change, UNDoc. FCCC/CP/1997/L.7/Add. 1, ebenfalls abgedruckt als Annex 2 in: German Advisory Council on Global Change, The Accounting of Biological Sinks and Sources under the Kyoto Protocol - A Step Forwards or Backwards for Global Environmental Protection? (Special Report 1998), 1998, S. 54ff.; zu Einzelheiten auch Schaßausen, et 1998, 11 ff.

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gliedstaaten - ein Beispiel für gemischte Abkommen. 140 Dabei hat sich die EG zu einer Reduktion um 8% verpflichtet - für Japan sind es - 6 %, für die USA - 1 % . Das interne burden sharing im Rahmen der EG erfolgte auf dem Umweltministerrat vom 16./17.6.1998.141 Danach entfällt auf die Bundesrepublik Deutschland ein Anteil von -21 %.142 Das kontrastiert mit den Quoten anderer Mitgliedstaaten. So übernimmt ζ. B. Großbritannien -12,5 %, während Portugal eine „Gutschrift" von + 21% erhält. Für Frankreich ergibt sich 0 % - ein „Bonus" für die Vermeidung von C0 2 durch Stromerzeugung aus Kernenergie. Die im Kyoto-Protokoll übernommenen Reduktionslasten stellen völkerrechtliche Pflichten aus einem multilateralen Vertrag dar. Dies kennzeichnet eine neue Dimension eines ressourcenverbrauchssteuernden Umweltvölkerrechts. Mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit vollziehen sich innovative Entwicklungen: So eröffnet das Kyoto-Protokoll instrumenteil vor allem das sog. „«emissions trading das den An- und Verkauf von „Emissionsrechten" erlaubt. Hierzu wurden auf der Ende Oktober/Anfang November 1999 in Bonn durchgefühlten 5. Vertragsstaatenkonferenz u. a. die Ausgestaltung der Kyoto-Mechanismen beraten. Unverändert kontrovers blieben dabei u. a. (1) der Umfang des Emissionshandels, (2) die Modalitäten der gemeinsamen Umsetzung („Joint Implementation"), (3) die Anrechenbarkeit von sog. „Senken" sowie (4) die Definition einer Obergrenze für die Pflichtenerfüllung im Wege des Emissionshandels.143 Nachdem die 6. Vertragsstaatenkonferenz im November 2000 in Den Haag noch nicht die gewünschten Ergebnisse brachte und sich die neue US-Administration im März 2001 vom Kyoto-Protokoll distanzierte, kam es auf der Bonner Folgekonferenz vom Juli 2001 zum Durchbruch: In bezug auf die vorgenannten Punkte wurde eine tragfähige Kompromisslinie gefunden. Gleiches gilt für das schwierige Problem der Durchsetzung der Verpflichtungen („compliance"). 144 Hier sprach alles für ein Sanktionssystem, das einerseits die Vertragsstaaten nicht überfordert, andererseits aber empfindlich genug ist, um die nötige Disziplin zu erwirken. Nach Klärung letzter Punkte auf der 7. Vertragsstaatenkonferenz in Marrakesch Ende Oktober/Anfang November 2001 sind die Voraussetzungen für eine Ratifikation geschaffen.

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Zu den Voraussetzungen EuGH, Slg. 1971, 263 Tz.6ff., 31 - AETR; EuGH, Slg. 1994, I - 5267 Tz. 77, 89 - GATT/WTO/TRIPS, zu Möglichkeiten paralleler Kompetenzen im Überblick E. Klein/Kimms, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1996, 1996, S.53 (64ff.); konkret für das Kyoto-Protoll eine gemeinsame Kompetenz von EG und Mitgliedstaaten bejahend Breier, EuZW 1999, 11 (15), der hilfsweise aber auch - zu Recht - die Voraussetzungen des gemischten Abkommens als erfüllt ansieht. 141 Rats-Dokument 9702/98; s. auch Bull. EU - 6/1998, S. 72. 142 S. Art. 3 i. V. m. Annex Β des Kyoto-Protokolls. 143 Vgl. Addink, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1999, S.393 (405 ff.); BrockmannEUmagazin, 12/1999, S. 31 f. 144 Dazu Addink, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1999, S. 393 (400ff.).

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3. Welthandel und Umwelt: Die WTO Handel und Umwelt - dies lässt sich mit einiger Verlässlichkeit prognostizieren - werden auf der umweltpolitischen Agenda der nächsten Jahre „ganz oben" stehen. Das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Sektoren liegt auf der Hand. 145 Weltweite Wohlstandsmehrung setzt freien Handel voraus. Im internationalen Wettbewerb spielen die Produktionskosten die entscheidende Rolle. Dass der Ressourcenverbrauch ökologisch zuträglich bleibt, ist das Ziel einer verantwortungsbewussten Umweltpolitik. Dabei muss jede Form des Protektionismus vermieden werden. Kein Forum ist so berufen, diese Zusammenhänge zu klären, wie die Welthandelsorganisation (WTO). Bereits ein Jahr nach Abschluss der Uruguay-Runde mit der Marrakesch-Deklaration vom 15.4.1994 nahm das „Committee on Trade and Environment" seine Arbeit auf. 146 Vorschläge zum Einbau umweltpolitischer Elemente in das Regelwerk des multilateralen Handelssystems enthielt eine Ende September 1999 vorgelegte Experten-Studie. 147 Auf der Dritten WTO-Ministerkonferenz vom 29.11. bis zum 3.12.1999 in Seattle sollte das Mandat für eine neue Welthandelsrunde beschlossen werden. Die Europäische Gemeinschaft hatte dafür plädiert, u. a. auch die Thematik „Handel und Umwelt" in die Agenda aufzunehmen. Nachdem in Seattle insgesamt keine Einigung erzielt werden konnte, bedarf es nunmehr eines neuen Anlaufs, um in den drängenden Fragen - nicht zuletzt auch im Hinblick auf die ökologische Dimension des Handels - zu einem Konsens zu gelangen. Das geltende GATT/WTO-Regime ist die rechtliche Grundlage eines freien Welthandels. Seine Prinzipien sind Nicht-Diskriminierung, Meistbegünstigung und Inländergleichbehandlung. Nach Art. X I GATT gilt das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen. Das Spannungsverhältnis zwischen freiem Welthandel und Umweltschutz wird auch im Vertragstext deutlich. So stehen ζ. B. ökologisch motivierte mengenmäßige Ein- und Ausfuhrrestriktionen im Widerspruch zu Art. X I GATT. Derartige Maßnahmen können aber gem. Art. XX GATT gerechtfertigt sein, wenn sie „für den Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Personen und Tieren oder die Erhaltung des Pflanzenwuchses" (lit. b) oder „zur Erhaltung erschöpflicher Naturschätze..." (lit. g) notwendig sind. 148 Konflikte zwischen den Vertragsstaaten können im Streitbeilegungsverfahren 149 bereinigt werden. Dabei wird zunächst ein sog. „Panel " mit dem Fall befasst, das ei145

Vgl. Hilf NVwZ 2000,481 f.; Sachverständigenrat für Umweltfragen (Fn.41), Tz. 935 ff.; Schoenbaum, AJI1 Law 91 (1997), S.268 (273ff.); Grämlich, AVR 33 (1995), S. 131 (140ff.). 146 „Decision on Trade and Environment", in: World Trade Organization, The Results of the Uruguay Round of the Multilateral Trade Negotiations, 1995, S. 469 ff. 147 Vgl. FAZ vom 12.12.1999, S. 18. 148 S. hierzu näher/?. Schmidt/Kahl, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, 1999, §90 Rdnr. 104 ff. 149 Art. 6 ff., 17 ff. des „Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes"; in: World Trade Organization, The Results of the Uruguay Round of the Multilateral Trade Negotiations. The Legal Texts, 1995, S.404ff.; s. dazu z.B. Leier , EuZW 1999, 204ff. 2*

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nen Bericht - ggf. mit Empfehlungen - vorlegt. Hiergegen kann eine Partei die Berufungsinstanz - den sog. „Appellate Body " - anrufen. Über die Annahme des Berichts eines Panel bzw. des Appellate Body entscheidet der „Dispute Settlement Body " (DSB). Eine Ablehnung durch die Vertragsstaaten kann nur im Konsens erfolgen. Die Entscheidung des DSB ist zu befolgen. Notfalls kann er Sanktionen aussprechen. Es ist ein historisches Verdienst der Marrakesch-Deklaration von 1994, die - lange entbehrte - Verrechtlichung des multilateralen Handelssystems bewirkt zu haben. Dass der EuGH 150 die Bedingungen für eine Direktanwendung des GATTRegimes gleichwohl nach wie vor als nicht erfüllt ansieht, steht dem nicht entgegen. Betrachtet man die bisherige Spruchpraxis, sind die nicht geringen Erwartungen an die Streitbeilegung bisher keineswegs enttäuscht worden. Im Gegenteil: Wegweisende Akzente sind erkennbar. Dies gilt nicht zuletzt auch für den Kontext „Handel und Umwelt". So hat der Appellate Body in seiner - am 6.11.1998 vom DSB angenommenen - Entscheidung im „Shrimps-Turtle" -Fall151 Einfuhrbeschränkungen der USA zur Durchsetzung höherer Schutzstandards zwar im Ergebnis als „arbitrary" und „unjustifiable discrimination" im Sinne der sog. „chapeau"-Klausel des Art. XX GATT 1 5 2 angesehen. Zuvor aber hat er die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Rechtfertigung einer Handelsbeschränkung gem. Art. XX g GATT durchaus bejaht. Damit hat er in einer über den konkreten Fall hinaus gültigen Weise unterstrichen, dass unilaterale - extraterritorial wirkende - Umweltschutzmaßnahmen nicht schon per se GATT-widrig sind. 153 Darüber hinaus wird - hierin liegt das eigentlich Bemerkenswerte - in dieser „carefully balanced"154 Entscheidung erstmals ein detailliertes Prüfraster formeller wie materieller Rechtfertigungskriterien für umweltschutzorientierte Handelsbeschränkungen entwickelt. Im einzelnen handelt es sich um einen detaillierten, inhaltlich anspruchsvollen und sicherlich nicht leicht zu erfüllenden Kriterienkatalog. 155 Eine besondere Rolle spielen dabei das Kooperationsgebot und das Erforderlichkeitsprinzip - beide waren nach Auffassung des Appellate Body im konkreten Fall nicht erfüllt. In der Kontroverse um die Zulässigkeit extraterritorialen Umweltschutzes ist der Spruch ein deutliches Signal. Die bereits im - niemals „angenommenen" - Panelbericht im Fall „Tuna-Dolphin II " 156 150 U. v. 23.11.1999 - Rs. C-149/96 Tz. 42ff. - Portugal/Rat; zum GATT 1947 EuGH, Slg. 1994,1 - 4973 Tz. 105 ff. - Bananenmarktordnung. 151 World Trade Organization,United States - Import Prohibition of certain Shrimp and Shrimp products, AB-1998-4, Report of the Appellate Body, WT/DS58/AB/R (12 October 1998), S.63ff., ff., 72ff. 152 Zum Verhältnis von Art. XX GATT zu Art. X I Epiney, DVB1. 2000,77 (79, 81 ff.); Ginzky, ZUR 1997, 124 (126 ff.). 153 Vgl. die Würdigung bei Qureshi, ICLQ 48 (1999), 199 (204); s. auch Hilf, NVwZ 2000, 481 (484 f.); Ginzky, ZUR 1999, 216 (219). 154 Appleton, Journal of International Economic Law 1999, All (491). 155 Dazu Hilf ; NVwZ 2000,481 (485 f.), der acht (nicht abschließende) Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen unterscheidet. 156 I L M 33 (1994), S. 839 (886 ff.); dazu - befürwortend - R. Schmidt/Kahl (Fn. 148), § 90 Rdnr. 112ff.; s. auch Altemöller, Handel und Umwelt im Recht der Welthandelsorganisation

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zum Ausdruck gekommene Position erhält damit ein dogmatisch verfeinertes Fundament157 wie vor allem auch ein für die Praxis unverzichtbares anwendungsorientiertes Prüfraster. Auch in prozeduraler Hinsicht gewinnt die Entscheidung des Appellate Body im „Shrimps-Turtle"-Fall besondere Bedeutung, weil nunmehr die Stellungnahmen der „Non-Governmental Oganizations" (NGOs) Eingang in das Streitbeilegungsverfahren finden können.158 Insgesamt wird die Unterscheidung zwischen umweltpolitisch veranlassten Maßnahmen und verstecktem Protektionismus immer eine Gratwanderung bleiben. Wie sich der Prozess der Verrechtlichung insgesamt weiter entwickelt und ob es zur Rechtsfortbildung kommt, bleibt abzuwarten. Eine Rezeption von Rechtsinstituten und -traditionen der Mitgliedstaaten - etwa nach dem Vorbild des EuGH 159 - dürfte bei einer Zahl von 134 Ländern allerdings nicht einfach sein. 160 Der Schritt zu einer Welthandels-Rechtsgemeinschaft aber wurde 1994 getan. Daher ist es die Aufgabe von Panel und Berufungsinstanz, das GATT/WTO-Vertragswerk unter systematisierender Berücksichtigung auch der Rechtsordnungen der Vertragsstaaten auszulegen und so die Strukturelemente eines freien, auch ökologische Belange ausbalancierenden Handelssystems Schritt für Schritt zu entfalten. IV. Ausblick Handel, Wirtschaftswachstum, Entwicklung und Wohlstand - dies sind universale, ja letztlich friedensstiftende Ziele der Menscheit. Ihre Realisierung hat jedoch einen Preis: Sie bedingt zwangsläufig Ressourcenverbrauch. Ökonomie und Ökologie stehen in einem Spannungsverhältnis. Hier die richtige Balance zufinden - national, auf europäischer Ebene und in der internationalen Staatengemeinschaft - ist die gestellte Aufgabe. Sie ist gewaltig, aber - bei gemeinsamer Anstrengung - letztlich auch lösbar.

WTO, 1998, S. 223 ff., 246ff.; Epiney, DVB1. 2000,77 (82). Der Bericht wurde noch nach Art. X X I I und XXIII GATT 1947 erstellt. 157 S. demgegenüber noch die extraterritorial wirkende Handelsbeschränkungen generell ausschließende Position im Panelbericht zum „Tuna-Dolphin Γ'-Fall, BISD 39 (1993), S. 155 (191 ff., insbes. S. 199 sub 5.27f.); dazu Housman/Zaelke, Environmental Law Reporter 22 (1992), S. 10268 (10271 ff.). 158 Appellate Body (Fn. 149), Tz. 107 f. (unverlangte Stellungnahme von NGOs), Tz. 109 f. (Stellungnahme, die sich eine Partei zu eigen gemacht hat); Ohlhojf, EuZW 1999,139 (141 f.); Hilf, NVwZ 2000, 481 (486). 159 Vgl. Pernice, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 164 EGV Rdnr. 58: „»wertende' Rechtvergleichung". 160 S. hierzu Hilf, NVwZ 2000, 481 (488): In Zukunft könnten sich „auch die innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitglieder der WTO als fündige Quellen erweisen".

Lehren aus dem Umweltrecht für das Allgemeine Verwaltungsrecht in Japan Von Ryuji Yamamoto In der Begrüßungsansprache hat Univ.-Prof. Dr.Hermann Hill, Rektor der DHV Speyer, das Umweltrecht als „Motor" für die Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts gekennzeichnet. An diesen Gedanken anknüpfend, versuche ich im folgenden Referat die Bedeutung des Umweltrechts als „Motor" in Japan zu erörtern. Zunächst möchte ich theoretische Erläuterungen geben (I. und II.), dann zwei ausgewählte Beispiele anführen (III. und IV.) und abschließend ein Fazit ziehen (V.). I. Wechselseitiges Lehren sowie Lernen des Allgemeinen und des Besonderen Verwaltungsrechts miteinander In den 70er Jahren haben japanische Verwaltungsrechtslehrer über die Beziehung zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen Verwaltungsrecht oft diskutiert und nachgedacht. Dabei wurde die Unabhängigkeit oder Befreiung der Besonderen von der Allgemeinen Lehre behauptet: Unterschiedlichste Sachstrukturen der jeweiligen Verwaltungsbereiche seien durch allgemeine Lehre weder faßbar noch integrierbar. Und jedes Fachgebiet sei nicht ausschließlich vom Verwaltungsrecht beherrscht, sondern Verwaltungs- und Privatrecht würden dort zusammen funktionieren. Schon der Ausdruck „Besonderes" „Verwaltungsrecht" sei deswegen irreführend. 1 Wenn man damit jedoch auf eine solche strikte Trennung zielen würde, daß Allgemeines Verwaltungsrecht und einzelne Rechtsgebiete miteinander unberücksichtigt ihre eigenen Dogmen entwickeln würden, dann wäre es zu weitgehend. Allge1

Grenzen der Möglichkeit zur Ausarbeitung einer geschlossenen einheitlichen Systematik betonend Shiono, Gyousei sayouhou ron (Über besonderes Verwaltungsrecht) (1972), in: Ders., Kouhou to shihou (Öffentliches Recht und Privatrecht) (1989), S. 197ff.; Kaneko, Tokushuhou no gainen to gyouseihou (Begriff des speziellen Rechts und Verwaltungsrecht) (1974), in: Ders., Gyouseihou to tokushuhou no riron (Theorie des speziellen Rechts und Verwaltungsrechts) (1989), S. 266 ff. mit der Polarisierung, Verfahrensrecht könne verallgemeinert werden, während materielles Recht immerhin fachspezifisch bleibe. Dagegen hat Tsutomu Muroi einzelne Fachbereiche mit der „Werthierarchie der Grundrechte" unmittelbar verbunden und analysiert, welches Interesse oder Grundrecht in einzelnen Verwaltungsgebieten bevorzugt ist bzw. sein soll. Vgl. Ders., Gendai gyouseihou no kadai (Aufgaben des modernen Verwaltungsrechts) (1970), in: Ders., Gendai gyouseihou no genri (Prinzipien des modernen Verwaltungsrechts) (1973), S. 3 ff.

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meines und Besonderes Verwaltungsrecht müssen vielmehr immer wechselseitig „lehren" und lernen: Einerseits soll die allgemeine Lehre Aufgabenbereiche der Verwaltung nach Maßgabe des Rechts ausformen und ordnen, um die Neigungen jedes Verwaltungsressorts zur sektoralen Eigengesetzlichkeit zu konterkarieren, Prinzipien vom verfassungsrechtlichen Rang bei allen Verwaltungstätigkeiten durchsetzen zu lassen, und ferner Instrumentarium verschiedener Verwaltungsbereiche miteinander vergleichbar, gegebenfalls aufeinander übertragbar zu machen. Andererseits soll man in Fachbereichen neuartiges Material herausfinden, um unbewußte Einseitigkeit sowie Befangenheit der allgemeinen Lehre zu korrigieren, und ihre generalisierten Thesen zu nuancieren sowie mehrgliedrig zu differenzieren. 2 II. Reale Bedingungen im Umweltrecht und ihre normativen Konsequenzen Umweltrecht ist eines der wichtigsten neueren Referenzgebiete des Allgemeinen Verwaltungsrechts. 3 Was lehrt das Umweltrecht dem Allgemeinen Verwaltungsrecht in Japan? Man kann zunächst zwei reale Faktoren in der Umweltverwaltung nennen: Vollzugsdefizit und Schwierigkeiten im Interessen- und Informationsverarbeitungsprozeß. 1. Vollzugsdefizit

und „ Sanktionen "

Vom Vollzugsdefizit der Umweltverwaltung ist seit den 80er Jahren die Rede. Es veranlaßt das Allgemeine Verwaltungsrecht dazu, Effektivität der Zielerreichung der Verwaltung zu berücksichtigen und damit Vielfalt von „Sanktionen" oder Steuerungsmitteln zu entwickeln: Neben dem klassischen Mittel wie Befehl und Zwang sollten ökonomische Lenkung (Subventionen und Beiträge), Informationen (Warnung und Empfehlung) und anderes informales Handeln eingesetzt werden. Dieses Thema stellt einen Ansatz zur steuerungswissenschaftlichen Betrachtung des Verwaltungsrechts dar 4 und ist jetzt ein beliebter Gegenstand der wissenschaftlichen Tagungen in Japan.5 Freilich wäre die einseitige Betonung der effektiven Implementation und Motivation problematisch. Zum Beispiel wird informales Verwaltungshandeln in Japan,6 2

Dazu sowie zur Notwendigkeit weiterer Abstufungen Groß, Die Verwaltung Beiheft 2 (1999), S. 57 (72ff.). 3 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee (1998), 1/9ff., 3/2 ff. 4 Ansatzweise Abe, Gyousei no houshisutemu (Rechtssystem der Verwaltung), 2 Bde, 2.Aufl. (1997). 5 Z. B.: das zweite Thema der Japanischen Staatsrechtslehrertagung von 1995 war „Effektivitätssicherung im Verwaltungsrecht"; das Thema des Symposiums der Deutsch-Japanischen Juristenvereinigung von 1998 war „Sanktionen im Recht". 6 Dazu näher Ohashi, ZJapanR, Heft 7 (1999), S.43ff.

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anders als in Deutschland, oft weder als Alternative noch als Vorstufe des rechtsförmlichen Handelns eingesetzt, sondern durch Koppelung bzw. Koppelungsdrohung sanktioniert.7 Manchmal veröffentlicht eine Behörde die Unfolgsamkeit eines Unternehmers gegen ihre informale Anleitung, nicht um die Öffentlichkeit oder Umwelt so unmittelbar zu schützen, wie bei der Warnung, sondern nur um sie dem Unternehmer vorzuwerfen und ihn damit zum Gehorchen zu zwingen.8 Man sollte derartige Formen von informalen Handlungen nicht so sehr als „Streitvermeidung",9 denn vielmehr als „Kommunikationsvermeidung" bezeichnen, oder genauer als dysfunktionale Kommunikationserstickung. Solche auf den Kommunikationsschluß zielende Verwaltungshandlungen sind dem klassischen Eingriff gleichzustellen angesichts des Gesetzesvorbehalts, Verhältnismäßigkeitsprinzips und der verfahrensrechtlichen Anforderungen. 2. Schwierigkeiten

mit der Interessen- und Informationsverarbeitung

So muß die Verwaltungsrechtswissenschaft neben Steuerungsmedien reale Bedingungen für die Interessen- und Informationsverarbeitung analysieren und auf dieser Basis einen rechtlichen Rahmen für die Kommunikation ausgestalten.10 Dazu gibt das Umweltrecht einen guten Anlaß. Die Schwierigkeiten der Interessen- und Informationsverarbeitung bei der Umweltverwaltung kommen von den folgenden Umständen: „Umwelt" ist so ein komplizierter Wirkungszusammenhang, daß Umweltbelange nicht immer auf einzelne Individuen oder Personen zurückführbar sind (z.B. Natur, Biotop); der Schutz eines Umweltmediums kann einem anderen Umweltmedium schaden (oder eine eine Umwelt kurzfristig begünstigende Maßnahme kann derselben langfristig schaden usw.); und schließlich haftet der Darstellung der Umweltbelange immer eine Ungewißheit an. Diese netzwerkartige Struktur der Umweltbelange bildet einen klaren Kontrast zum ihr gegenüberstehenden wirtschaftlichen Interesse und stellt somit ein Handikap dar. Außerdem sind umweltbezogene Informationen und Wissen nicht immer vorhanden. Sie müssen erst allmählich hergestellt, ausgearbeitet und immer wieder korrigiert werden. Diese Offenheit der Information macht zum einen die Chance aus, die Verantwortung für die Gemeinwohlsverwirklichung zu dezentralisieren, begründet aber zum anderen die Gefahr von Manipulationen. Zum Beispiel könnte ein Unter7

Vgl. den Beitrag von Onishi, in diesem Band. Vgl. Shiono, in: FS für Lerche (1993), S.851 (859f.). 9 Ausdruck von Fujita, NVwZ 1994, S. 133 ff. 10 Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns (1994), S. 9(19ff.) benennt Steuerung, Entscheidung, Interesse, Information, und Kommunikation usw. als „Schlüsselbegriffe, die auf mögliche Aufmerksamkeitsfelder deuten". 8

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nehmer ihn benachteiligende Informationen und Wissen verstecken oder überhaupt nicht herstellen. 11 Deswegen muß Verwaltungsrechtswissenschaft für das Gleichgewicht der kollidierenden Interessen sorgen, nicht nur durch ein materiell-rechtliches Programm, 12 sondern auch durch die Verfahrens- und organisationsrechtliche Gestaltung des Prozesses der Informationsherstellung, -ausarbeitung und -Veröffentlichung. 3. Verwaltungsrecht als gegliederter und differenzierter Kommunikationsrahmen Dieser Befund der realen Bedingungen führt zur „Reform" des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Klassische Dogmatik des Verwaltungsrechts wollte sich auf eine bestimmte Phase des Entscheidungsprozesses der Verwaltung konzentrieren und sie möglichst intensiv kontrollieren: wenn die Verwaltung einen Einzelfall regele, solle sie möglichst weit durch Gesetz dirigiert und durch Gerichtsbarkeit kontrolliert werden. Dabei sollten das Beteiligungsrecht am Verwaltungsverfahren und die Klagebefugnis dem in materiellem subjektivem Recht zu Verletzenden sowie Verletzten gewährleistet werden. 13 Aber dieses Konzentrationsdenken des Verwaltungsrechts wird in Japan schon lange kritisiert: diese Denkweise sei nicht in der Lage, die Wirklichkeit der Verwaltung zu erfassen und sie damit effektiv zu kontrollieren. Verwaltungsrechtswissenschaft müsse ganze Phasen des Entscheidungsprozesses in Betracht ziehen und je nach der Situation differenzierte Steuerungs- und Schutzmechanismen entwickeln.14 Allerdings bleibt diese kritische Stimme noch heuristisch. Zur neuen Systembildung wäre ein klareres Konzept des Verwaltungsrechts als ein gegliederter und differenzierter Kommunikationsrahmen notwendig.15 Das Umweltrecht könnte dafür einen guten Anstoß geben, weil ein solcher Kommunikationsrahmen zur Bewältigung von Umweltproblemen, insbesondere Risikoproblemen, unentbehrlich ist. 16 11

Dazu näher Hagenah, Prozeduraler Umweltschutz (1996), S. 16 ff. Dazu ausführlich Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht (1992). 13 Auch in der japanischen Gerichtsbarkeit gilt die Schutznormlehre trotz Kritik der Literatur. Und das japanische VwVfG ist meistens am Adressaten orientiert. 14 Schon Endo, Gyousei-kateiron no igi (Bedeutung der Lehre über den Prozeß der Verwaltung), Hokudai hougaku ronshu (Zeitschrift der juristischen Fakultät an der Universität Hokkaido), Bd. 27,3/4 Abt. (1977), S. 227 ff.; Ders., Gyouseihougaku no houhou to taishou ni tuite (Methode und Gegenstand der Verwaltungsrechtswissenschaft), FS für Tanaka, Bd. 3, l.Abt. (1977), S. 1605 ff. 15 Konzept bei Pitschas, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts (1993), S. 219ff. In Japan Ohashi, Gyouseihougaku no kouzouteki henkaku (Strukturelle Reform der Verwaltungsrechtswissenschaft) (1996): Verwaltungsrecht als Kommunikationsprozeß (S. 172ff.). 16 Zur „risk communication" Fujiwara, in: Kankyou mondai no yukue (Perspektiven über die Umweltprobleme), Jurist Sonderheft (1999), S.70ff. 12

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Der Kommunikationsrahmen muß funktional gegliedert werden, wie die Rechtsformenlehre schon teilweise zeigt, um Interessen und Informationen Schritt um Schritt zu verarbeiten und damit rationale Entscheidungen oder Konsens zu erreichen. 17 Außerdem muß der Kommunikationsrahmen in der Breite „zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung" differenziert werden: Der Staat soll, je nach der Schutzwürdigkeit und/oder den Ressourcen der gesellschaftlichen Teilsysteme bzw. Organisationen, die Interessen- und Informationsverarbeitungsprozesse der Gesellschaft unterstützen, lenken und aufnehmen, oder aber regulieren und ersetzen.18 Im folgenden möchte ich nur zwei konkrete Bereiche des japanischen Umweltrechts, einen älteren (III.) und einen neueren (IV.) zeigen, um daraus einige Lehren für die Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts zu ziehen. III. Verwaltungsverfahren und -Organisationen für die Lösung von immissionsbezogenen Konflikten In den 60er Jahren wurden in vier Gebieten in Japan schwere Lebens- und Gesundheitsschäden durch Immissionen von Chemiefabriken verursacht. Dies führte zum Erlaß vieler Gesetze für Immissionsschutz.19 So wurden beispielsweise das Gesetz zur Erledigung von immissionsbezogenen Konflikten (1970) bzw. das Gesetz zur Errichtung der Kommission für die Lösung von immissionsbezogenen Konflikten (1972) erlassen. Diese Kommission20 ist befugt, grundsätzlich auf Antrag Privater Konflikte aus privaten sowie öffentlichen Immissionen zu vermitteln (d. h. Konfliktmittlung), a b zugleichen (Konsensbildung zwischen Beschädigten und Verursacher), zu schlichten (Schiedsspruch in Fällen vorheriger Vereinbarung), oder zu bescheiden (Bescheid über den Schadenersatz sowie über die Kausalität). Die meisten Anträge sind auf Ausgleichsverfahren gestellt. Derjenige Beteiligte, der sich über den Schadenersatzbescheid beschweren will, sollte innerhalb der bestimmten Frist eine Leistungs- oder Feststellungsklage zwischen Beschädigten und Verursacher erheben, also nicht die Anfechtungsklage gegen die Kommission.

17 Vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 4/1: Rechtsstaat und Demokratie zielen als Formungsentscheidungen auf einen strukturierten öffentlichen Entscheidungsprozeß und auf Rationalität seiner Ergebnisse. 18 Zur Typologie Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 160ff; kritisch beobachtend di Fabio , VVDStRL 56, S. 235 ff.; dagegen 7rute, DVB1.1996, S.950ff. 19 Vgl. den Beitrag von Kameda auf der Tagung. 20 Und jede Präfektur kann aufgrund eigener Satzung einen Immissionsausschuß errichten.

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1. Verwaltungsverfahren für Interessenermittlung und -darstellungshilfe So ermittelt die Kommission kollidierende Interessen und hilft zugleich den Beteiligten, ihre eigenen Interessen klar darzustellen und miteinander glatter zu kommunizieren. Dieses Verfahren für Interessenermittlung und -darstellungshilfe funktioniert auf zweierlei Weise im Vorfeld von formaleren Verfahren: es funktioniert einerseits als ADR (alternative dispute resolution), also als Alternative des Zivilprozesses, die in Japan ansonsten in vielen Bereichen (z.B. Verbrauchersschutz) institutionalisiert ist; andererseits kann es zu Verwaltungsmaßnahmen oder zu Gesetzgebung führen. Ein bekanntes Beispiel ist der Ausgleich der Kommission, daß die sieben großen Reifenhersteller innerhalb von drei Jahren aufhören sollten, Spikereifen zu produzieren bzw. zu verkaufen (1988). Dieser Ausgleich hat den Erlaß des „Gesetzes gegen den Staub durch Spikereifen' 4 veranlaßt (1990). 2. Quasi-gerichtliche

Verwaltungsorganisation

und -verfahren

Auch in organisationsrechtlicher Hinsicht ist die Kommission bemerkenswert. Sie ist Sachverständigengremium mit eigener Geschäftsstelle und eigenem Personal. Ihr und ihren Mitgliedern ist die Unabhängigkeit von der hierarchischen ministerialen Verwaltungsorganisation gewährleistet.22 Ferner führt die Kommission bei dem Schadenersatzbescheid quasi-gerichtliche Verfahren aus, z. B. grundsätzlich öffentliche und mündliche Verhandlung. Diese Organisations- und Verfahrensform hat einen allgemeinen geschichtlichen Hintergrund. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Japan Verwaltungskommissionen mit quasi-gerichtlicher Unabhängigkeit und damit auch Verwaltungsverfahren mit quasi-gerichtlicher Formalität von der Besatzungsbehörde in vielen Bereichen eingeführt, natürlich nach dem Vorbild des amerikanischen Rechts (administrative commission). Aber nach und nach wurden diese unabhängigen Kommissionen durch den „Gegenangriff" der traditionellen bürokratischen Verwaltungsbehörden aufgehoben oder umstrukturiert. Die Neuerrichtung der Kommission für Immissionskonflikte macht eine Ausnahme, und es bleiben heute insgesamt nur acht unabhängige Kommissionen tätig (z.B. [sachverständige] Kommission für gerechten Wettbewerb, [pluralistische] Kommission für Arbeitsstreitigkeiten). In der Zukunft allerdings, könnte sich diese quasi-gerichtliche Gestalt der Verwaltungsorganisationen und -verfahren infolge der heutigen Durchdringung des Verfahrensgedankens im Verwaltungsrecht und angesichts der gegenwärtigen Debatte über die Deregulierung sowie die Verwaltungsorganisationsreform rehabilitieren. 23 21

Vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 3/50ff. Es ist auch interessant und außerordentlich in der Verwaltungsorganisation, daß die Kommission nicht nur für den Immissionsschutz, sondern auch für die beigrechtlichen Streitigkeiten zuständig ist. 22

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IV. Umweltverträglichkeitsprüfung in Japan Nun gehen wir zu einem zweiten Bereich des Umweltrechts über: Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Sie ist moderner als das oben (III.) dargestellte Verfahren, denn sie orientiert sich in jeder Hinsicht am Vorsorgeprinzip. Außerdem ist sie der rechtlich gegliederte Interessen- und Informationsverarbeitungsprozeß par excellence, so daß sie verschiedene Facetten der neueren Entwicklung des Verwaltungsrechts plakativ zeigt. Im folgenden möchte ich „Lehren" aus der UVP für das Allgemeine Verwaltungsrecht in drei Punkten zusammenfassen. In den frühen 80er Jahren wurde erfolglos versucht ein Gesetz für die UVP in Japan einzuführen. Anschließend hat das Kabinett den Beschluß über die Ausführung der UVP gefaßt, der jedoch keine Außen Wirkung hatte. Erst 1997 wurde das UVPGesetz erlassen. Trotzdem sollte man berücksichtigen, daß viele Gemeinden seit langem aufgrund ihrer Satzungen oder Vorschriften die UVP ausführen (die erste UVP-Satzung wurde 1976 von der Stadt Kawasaki erlassen). 1. Noch nicht individualisierte, oder gar nicht individualisierbare aggregierte Interessen Der Zweck der UVP liegt in der selbständigen Ermittlung sowie Artikulation des Interesses „Umwelt". Man könnte diese Umweltbelange als ein noch nicht individualisiertes, oder gar nicht individualisierbares, also aggregiertes Interesse bezeichnen.24 Die Ermittlung sowie Artikulation des aggregierten Interesses funktioniert einerseits im Vorfeld des Schutzes des subjektiven Rechts von klassischer Art und hat eine etwas andere Prägung: während für diesen die präzise Auslegung der materiellrechtlichen Normen wichtig ist, 25 geht es bei jener vielmehr darum, je nach dem Regelungsbereich verschiedene Verfahren bzw. Organisationen für klare und effektive Interessendarstellung auszugestalten. Andererseits braucht die Ermittlung sowie Artikulation des aggregierten Interesses ein feineres Gefüge als die schlichte Öffentlichkeitsbeteiligung, die neuerdings in Japan mehr und mehr favorisiert wird, zum Beispiel das unverbindliche Bürgervotum aufgrund einer Gemeindesatzung sowie das sogenannte „public comment", d. h. einer Stellungnahme jedermanns bei der regulierenden Normsetzung der Staatsverwaltung.26 Manchmal ist sogar behauptet worden, daß die vorhandenen 23

Der Letzte Bericht von Gyousei kaikaku kaigi (Rat für die Verwaltungsreform) vom 3.12.1997 schlägt die Errichtung der „Kommission für Widerspruchsverfahren" vor. 24 Vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 3/51. 25 Dazu näher Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht. 26 Dieses „public comment" Verfahren wurde durch den Beschluß des Kabinetts vom 23.3.1999 eingeführt.

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pluralistischen und/oder sachverständigen Gremien, 27 eine Organisationsform für Interessenermittlung und -artikulation, durch die Öffentlichkeitsbeteiligung möglichst „ersetzt" werden sollten.28 Richtig ist zwar, daß die japanischen Behörden bisher zuviel unnötige Ausschüsse errichtet, tatsächlich beherrscht und damit benutzt haben, denn der Entscheidung einer Behörde, die durch einen Ausschuß unterstützt wird, ist rechtlich sowie politisch schwerer zu widersprechen. Dagegen hat das Amt für die Reform der staatlichen Verwaltungsorganisation zutreffend die Richtlinien für Errichtung, Verfahren und Organisation von Kollegialorganen bestimmt (1999). Aber die Idee der „Ersetzung" der Gremien durch die Öffentlichkeit verkennt sowohl die eigentlichen Funktionen der Gremien als auch die Eigenschaft der Öffentlichkeitsbeteiligung, die wohl die Chance zur dezentralen diskursiven Gemeinwohlsverwirklichung, aber auch die plebiszitäre Gefahr bringen kann. 2. Kooperation Bei der UVP ist der Unternehmer weder nur eine von mehreren Informationsquellen für die Behörde, noch macht er sein eigenes Interesse geltend. Er ist vom UVPGesetz beauftragt, Informationen über das andere Interesse als sein eigenes, also Umweltbelange, zu verarbeiten. In diesem Sinne „kooperiert" er mit dem Staat. Seine Verantwortung ist in Japan sogar insofern einen Schritt weiter ausgebaut als in Deutschland, als die UVP-Verfahren abschließende Bewertung nicht der Behörde, sondern dem Vorhabenträger auferlegt ist (§§ 21 ff. japanisches UVPG; vgl. andererseits §§11 und 12 deutsches UVPG). Dann in Japan müßten höhere rechtliche Anforderungen an den kooperierenden Unternehmer gestellt werden. Die allgemeinen Anforderungen an den kooperierenden Privaten hat Hans-Heinrich Trute formuliert: Sachverständigkeit, Neutralitätssicherung und gleichmäßige Interessenberücksichtigung. 29 Hinsichtlich der japanischen UVP ist schon oft Zweifel geäußert worden an der Sachlichkeit und Neutralität des UVP ausführenden Subjekts, also an der Abteilung des Unternehmers oder des von ihm Beauftragten. Die Stellungnahme des Umweltministeriums sowie der Genehmigungsbehörde und die Öffentlichkeitsbeteiligung können und sollen die Funktion des Vorhabenträgers ergänzen, aber seine mögliche Schwäche nicht „kompensieren". Man muß nochmals über organisatorische Regelungen sowie ein Ausbildungssystem für die UVP ausführenden Subjekte nachdenken.

27 Z.B. Ausschuß für Umwelt, Ausschuß für Sicherheit der Atomkraft. Die hier gemeinten Gremien haben keine eigene Geschäftsstelle mit Personal und funktionieren normalerweise nur konsultativ, insofern sind sie von den oben genannten Kommissionen zu unterscheiden. 28 Ähnlich der Letzte Bericht von Gyousei kaikaku kaigi, S. 63 f. 29 Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung (1994), S. 317 ff. Er hat darüber auch in Japan vorgetragen {ders. (Übersetzung von Yamamoto), Jichi kenkyu (Zeitschrift für kommunale Selbstverwaltung), Bd. 75, 2.Abt. (1999), S.3 (7 ff.).

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3. Argumentationsmaterial

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und argumentative Kette

Die Bewertung als Ergebnis der UVP enthält, anders als der Verwaltungsakt, keine Handlungsanweisungen. Sondern sie stellt, wie oben (in 1.) dargelegt, die selbständige Artikulation der Umweltbelange dar und bietet damit Argumentationsmaterial 30 für die spätere Abwägung mit anderen Interessen. Es ist eine der allgemeinen neueren Tendenzen des Verwaltungsrechts, daß diejenigen Argumentationsmaterialien, die, im Gegensatz zu Handlungsanweisungen, aus noch offenen Aussagen bestehen, immer mehr eingesetzt werden. Ich nenne noch zwei andere Beispiele: Erstens: Nach § 5 und § 12 japanisches VwVfG muß bzw. soll die Behörde einen allgemeinen Maßstab oder Standard für den Verwaltungsakt im voraus erlassen und veröffentlichen. Der Unterschied zur Rechtsverordnung liegt darin, daß die Abweichung im Einzelfall vorgesehen und sogar geboten ist, wenn es gute Gründe gibt, und daß er immer in Verbindung mit der späteren konkreteren Begründung des Verwaltungsakts (§§8 und 14 japan. VwVfG) funktioniert. Zweitens: Konzept- und Programmsetzung ist in Japan sehr beliebt. Es gibt etwa ein Dutzend sogenannter »grundsätzliche Gesetze' (z.B. das grundsätzliche Gesetz über den Umweltschutz vom Jahr 1993), die nur ein allgemeines Programm erklären und die Organisation bzw. das Verfahren für seine Verwirklichung bestimmen. Im Bereich des Umweltrechts kann man auch viele verschiedenen Planungen der Verwaltung finden, die wenig verbindliche Aussagen, sondern mehr Konzept und Programm enthalten. Die Benutzung dieser Argumentationsmaterialien ist vernünftig und nötig in solchen komplizierten Situationen, in denen der Staat gar nicht mit einigen Handlungsanweisungen (typischerweise: Gesetz - Rechts Verordnung - Verwaltungsakt) Interessen und Informationen verarbeiten könnte. Daraus folgt, daß Argumentationsmaterialien nicht isoliert voneinander, sondern in Verbindung miteinander oder mit verbindlichen Handlungsanweisungen funktionieren. Um das Argumentationsmaterial effektiv wirken zu lassen und nicht zur bloßen Propaganda zu denaturieren, sind die argumentativ ununterbrochenen Stufen von abstrakterer bis zur konkretesten Aussage einerseits und die vertikale Koordination von fachlich verschiedenen Aussagen andererseits rechtlich sicherzustellen. Aber im Bereich der Umweltplanungen mangelt es in Japan an einem solchem Stufen- und Koordinierungssystem. 31 Ein ähnliches Problem taucht auf in bezug auf die „Berücksichtigung" des Ergebnisses der UVP bei dem späteren Anlagegenehmigungsverfahren (§§ 33 ff. japanisches UVPG; § 12 deutsches UVPG). Um die Ef30

Ausdruck von Schmidt-Aßmann, in: FS für Stern (1997), S.745 (754) über Verwaltungsvorschriften. 31 Zur deutschen Rechtslage BMU (Hrsg.), UGB-KomE (1998), S. 568 ff.

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fektivität dieser „Berücksichtigung" zu sichern, ist der Konnex zwischen dem Ergebnis der UVP und der Begründung der späteren Entscheidung unentbehrlich. 32 Die Behörde könnte auch den „Maßstab oder Standard" für die Berücksichtigung erlassen, den viele Genehmigungsbehörden jedoch zur Zeit als unnötig empfinden. Wünschenswert wäre ferner der Konnex der projektbezogenen UVP mit allgemeineren Umweltplanungen oder mit der plan- und programmbezogenen UVP. 33 Dann könnte man von der „argumentativen Kette für den Umweltschutz" sprechen. V. Fazit Wer diese Ansätze aus dem Bereich des Umweltrechts in Betracht zieht, der wird viele Grundbegriffe des Allgemeinen Verwaltungsrechts nachprüfungsbedürftig finden: die trennscharfe Dichotomie von Verwaltungsverfahren und Gerichtsverfahren, von öffentlichem Recht und Privatrecht ist ebenso zu korrigieren, wie die Idee der Einheit und Autarkie der Verwaltungsorganisation. Sowohl die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht als auch die Rechtsformenlehre sind um neue Perspektiven zu ergänzen. Diese Argumentationsmaterialien als Anreize nicht zur bloßen Enumeration oder Nivellierung von Begriffen, sondern zur neuen Systematik zu verarbeiten, ist die gegenwärtige gemeinsame Aufgabe des Allgemeinen Verwaltungsrechts in Deutschland und in Japan.

32 Aber solcher Konnex ist in Japan nicht immer gesichert, weil § 8 japanisches VwVfG die Behörde zwar bei der Ablehnung der Genehmigung, aber nicht bei der Genehmigung zur Begründung verpflichtet. 33 Über die plan- und programmbezogene UVP nimmt das japanische Umweltministerium z. Z. eine Untersuchung vor, aber es ist noch nicht in der Lage, einen konkreten Entwurf zu veröffentlichen.

Verzeichnis der Autoren Dr. Kiminori Eguchi, Professor an der Jochi Universität, Tokyo Dr. Ulrich Fastenrath, Professor an der Technischen Universität, Dresden Dr. Shizuo Fujiwara, Professor an der Kokugakuin Universität, Tokyo Stefanie Gille, Ass. jur., Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Dr.Joon-Hyung Hong, Professor an der Graduate School of Public Administration, Seoul National University Ulrike Keller, Rechtsreferendarin, ehem. Wissenschaftliche Hilfskraft an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Dr. Shigeo Kisa, Professor an der Universität Kyushu, Fukuoka Dr. Franz-Ludwig Knemeyer, Professor an der Universität Würzburg Dr. Christian Koch, Habilitand an der Deutschen Hochschule für Verwaltungs Wissenschaften Speyer Florine La Roche-Thomé , Ass. jur., Forschungsreferentin am Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Jan-Hendrik Lessner, Rechtsreferendar, Mannheim Dr. Miyoko Motozawa, Professorin an der Universität Osaka Alexandra Müller, Cand. jur., Wissenschaftliche Hilfskraft an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Dr. Yuji Ohnishi, Professor an der Hokkai Gakuen Universität, Sapporo Or. Rainer Pitschas, Dipl.-Verwaltungswirt, Professor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Dr.Reiner Schmidt, Professor an der Universität Augsburg Dr. Matthias Schmidt-Preuß, Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Dr. Friedrich

E. Schnapp, Professor am Institut für Sozialrecht, Ruhr-Universität Bochum

Kathrin Schwalb, Dipl.-Verw. Wiss., Lie. oec. int., ehem. Referentin an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Dr.David C.M. Seah, Professor an der National University of Singapore Dr. Bin Takada, Professor an der Universität Osaka Dr. Koji Tonami, Professor an der Waseda Universität, Tokyo Dr. Ryuji Yamamoto , Professor an der Universität Tokyo Dr. Jan Ziekow, Professor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer 28 Pitschas/Kisa