Intermediales Erzählen im frühneuzeitlichen illustrierten Roman: Zu Struktur und Wirkung der Medienkombination bei Jörg Wickram 9783110344967, 9783110344721

The Colmar literary figure, Meistersinger, and painter Jörg Wickram employed the pictorial dimension of his early modern

201 10 12MB

German Pages 296 Year 2014

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Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Die Bilder der frühneuzeitlichen Erzählliteratur
Erzählen in kombinierten Medien
Ziele und methodisches Vorgehen
1. Die intermediale Erzählstruktur im illustrierten frühneuzeitlichen Roman. Entwicklung eines Modells auf Grundlage der Erzähltheorie Gérard Genettes
1.1 Innere, äußere und transtextuelle Strukturebene
1.2 Ordnung
1.3 Dauer
1.4 Frequenz
1.5 Modus
1.6 Stimme
2. Vier Romane Jörg Wickrams
2.1 Liebliche und klaegliche Geschichten. Zum diegetischen Geschehen
2.1.1 „Ritter Galmy“
2.1.2 „Gabriotto und Reinhart“
2.1.3 „Knabenspiegel“
2.1.4 „Goldfaden“
2.2 Gedruckt zuo Straßburg bey Jacob Froelich. Zu den Erstausgaben
2.2.1 Typografie
2.2.2 Illustrationsprogramme
2.2.3 Tabellarisches Illustrationsverzeichnis
3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram
3.1 Damit der leser jr gestalt vor jm gespieglet sihet. Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens
3.1.1 Ikonische Anachronien als kapitelübergreifendes Phänomen
3.1.2 Ikonische Anachronien als kapitelinternes Phänomen
3.1.3 Textinterne Bildwiederholungen unter dem Aspekt der narrativen Frequenz
3.1.4 Bildwirkung im Kontext der narrativen Geschwindigkeit und Distanz der Spracherzählung
3.1.5 Die narrative Perspektive in Sprach- und Bilderzählung
3.1.6 Intradiegetische Erzähler und Adressaten
3.1.7 Extradiegetische Erzähler und Adressaten
3.1.8 Beteiligte implizite Beobachter
3.1.9 Unbeteiligte implizite Beobachter
3.1.10 Zusammenfassung
3.2 Liß mich. Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens
3.2.1 Kapitelüberschriften
3.2.2 Titelblätter
3.2.3 Vor- und Nachreden
3.2.4 Zusammenfassung
3.3 Woellest bedencken die alten Historyen. Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens
3.3.1 Transtextuelle Verknüpfungen zwischen „Ritter Galmy“ und „Gabriotto und Reinhart“
3.3.2 Transtextuelle Verknüpfungen zwischen „Ritter Galmy“, „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“
3.3.3 Transtextuelle Verknüpfungen mit anderen Prosaerzählungen der Zeit
3.3.4 Zusammenfassung
Schluss
Perspektiven intermedialen Erzählens bei Jörg Wickram
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweise
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Intermediales Erzählen im frühneuzeitlichen illustrierten Roman: Zu Struktur und Wirkung der Medienkombination bei Jörg Wickram
 9783110344967, 9783110344721

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Intermediales Erzählen im frühneuzeitlichen illustrierten Roman

Literatur | Theorie | Geschichte Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik Band 8 Herausgegeben von Udo Friedrich, Bruno Quast und Monika Schausten

Raphael Kuch

Intermediales Erzählen im frühneuzeitlichen illustrierten Roman Zu Struktur und Wirkung der Medienkombination bei Jörg Wickram

Dissertation der Universität Konstanz, Tag der mündlichen Prüfung: 11. Juli 2012 Referent: Prof. Dr. Bruno Quast Referentin: Prof. Dr. Juliane Vogel Umschlagabbildung: Jörg Wickram: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), L1r.

ISBN 978-3-11-034472-1 eISBN 978-3-11-034496-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Akademie Verlag GmbH, Berlin Ein Unternehmen von De Gruyter Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck und Bindung: Hubert & Co GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung

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Die Bilder der frühneuzeitlichen Erzählliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . Erzählen in kombinierten Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziele und methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die intermediale Erzählstruktur im illustrierten frühneuzeitlichen Roman. Entwicklung eines Modells auf Grundlage der Erzähltheorie Gérard Genettes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6

Innere, äußere und transtextuelle Strukturebene Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vier Romane Jörg Wickrams

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2.1 Liebliche und klagliche Geschichten. Zum diegetischen Geschehen 2.1.1 „Ritter Galmy“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 „Gabriotto und Reinhart“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 „Knabenspiegel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 „Goldfaden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . o e 2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben . . 2.2.1 Typografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Illustrationsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Tabellarisches Illustrationsverzeichnis . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram . . . . .

3.1 Damit der leser jr gestalt vor jm gespieglet sihet. Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Ikonische Anachronien als kapitelübergreifendes Phänomen . . . . . . 3.1.2 Ikonische Anachronien als kapitelinternes Phänomen . . . . . . . . . 3.1.3 Textinterne Bildwiederholungen unter dem Aspekt der narrativen Frequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Bildwirkung im Kontext der narrativen Geschwindigkeit und Distanz der Spracherzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Die narrative Perspektive in Sprach- und Bilderzählung . . . . . . . . 3.1.6 Intradiegetische Erzähler und Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.7 Extradiegetische Erzähler und Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.8 Beteiligte implizite Beobachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.9 Unbeteiligte implizite Beobachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.10 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Liß mich. Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens . . . . . . . . 3.2.1 Kapitelüberschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Titelblätter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Vor- und Nachreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e 3.3 Wollest bedencken die alten Historyen. Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Transtextuelle Verknüpfungen zwischen „Ritter Galmy“ und „Gabriotto und Reinhart“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Transtextuelle Verknüpfungen zwischen „Ritter Galmy“, „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Transtextuelle Verknüpfungen mit anderen Prosaerzählungen der Zeit 3.3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Perspektiven intermedialen Erzählens bei Jörg Wickram

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Als ich im März 2007 auf einer dreiwöchigen Bergtour durch den nepalesischen Himalaja begann, abends im Zelt den „Fortunatus“ für das kommende Sommersemester zu lesen, fielen mir sehr bald die frühneuzeitlichen Holzschnitte ins Auge, welche in Form von Reproduktionen meine Studienausgabe zierten. Von ihrer schlichten Ästhetik angesprochen, begann ich diese im Verlauf meiner Lektüre genauer unter die Lupe zu nehmen. Als ich schließlich einige Bildwiederholungen bemerkte, welche mich zum Zurückblättern anregten, begann ich, mir über den Einfluss der Illustrationen auf mein Leseverhalten Gedanken zu machen. Ich stellte fest, dass meine Lektüre nicht unwesentlich durch das Bildwerk der Ausgabe mitbestimmt war, und fragte mich, wie das Zusammenspiel von Wort und Bild in diesem Fall funktionierte. Da meine Umgebung vorerst keine Befragung der Forschungsliteratur zuließ, musste ich meine Wissbegierde auf das Sommersemester vertagen, in dem ich mich im Zusammenhang des Hauptseminars „Frühneuhochdeutsche Prosaromane“ bei Bruno Quast mit weiteren Prosaromanen des 15. und 16. Jahrhunderts befasste. Dabei stieß ich schließlich auf die Romane Jörg Wickrams. Für diese lag die Frage nach der Wirkung des Zusammenspiels von Wort und Bild aufgrund der von der kunsthistorischen Forschung angenommenen personalen Einheit von Autor und Illustrator noch stärker auf der Hand. Nach einem inspirierenden Gespräch mit Herrn Quast über die Fokalisierung der Romane begann ich, meinem Erkenntnisinteresse narratologisch nachzugehen, und entwickelte schließlich den Ansatz der hier vorliegenden Arbeit. Diese wurde im Sommersemester 2012 vom Fachbereich Literaturwissenschaft der Universität Konstanz als Dissertation angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet. Mein ganz besonderer Dank gilt Bruno Quast für die kontinuierliche Förderung und Betreuung meiner Arbeit, die Unterstützung beim Einwerben des Stipendiums bei der Landesgraduiertenförderung sowie die Möglichkeit, mich an der Universität Münster in Forschung und Lehre einbringen zu können. Weiter bin ich Juliane Vogel für die Zweitbetreuung meiner Arbeit sowie die Übernahme des Koreferats zu großem Dank verpflichtet. Diesen und Ulrich Gotter, der mich nicht nur während meines Geschichtsstudiums stetig förderte, sondern auch auf meinem weiteren akademischen Weg als Unterstützer und Ratgeber begleitete, möchte ich darüber hinaus für das anregende

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Vorwort

Kolloquium danken. Weiter bedanke ich mich bei allen Beteiligten des Doktoratsprogramms „Medialität in der Vormoderne“ des NCCR mediality an der Universität Zürich für den kollegialen Austausch, bei Hans-Jörg Künast für die buchwissenschaftliche Unterstützung, bei den Landes- und Staatsbibliotheken in München, Göttingen, Wolfenbüttel, Berlin, Darmstadt und Stuttgart sowie der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main und der Ratsbücherei Lüneburg für den unkomplizierten Zugang zu über 50 Frühdrucken, bei der Landesgraduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg und dem Exzellenzcluster „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne“ für die finanziellen Mittel und nochmals bei Herrn Quast sowie Monika Schausten und Udo Friedrich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Literatur – Theorie – Geschichte“. Mein herzlichster Dank gilt schließlich Ulrich Hoffmann und Robin Hoffmann für zahlreiche anregende Gespräche und kritische Anmerkungen sowie meiner Freundin Magdalena und meinen Eltern, Hans-Georg und Roswitha, für ihre tatkräftige Unterstützung. Ohne Sie und euch alle hätte diese Arbeit in der vorliegenden Form nicht zustande kommen können! Esslingen, im Dezember 2012

Einleitung

Die Bilder der frühneuzeitlichen Erzählliteratur Bilder als zusätzliches mediales Gestaltungsmittel gedruckter volkssprachiger Erzählliteratur etablierten sich in Form von Holzschnitten bereits in den Augsburger, Nürnberger und Basler Frühinkunabeln der 1470er Jahre als Mittel der Ordnung, der Beglaubigung sowie als Lektüre- und Erinnerungshilfe 1. Vielfach wurden die entsprechenden Bildprogramme dabei aus illuminierten Handschriften adaptiert2. Bald gehörten umfangreiche Illustrationszyklen zum typografischen Standard hochwertiger Druckausgaben volkssprachiger Erzähltexte3. Die Figurendarstellungen der Inkunabelzeit erfolgten dabei zumeist als schlichte, in der Strichführung an Federzeichnungen angelehnte Umrissholzschnitte, die sich erst gegen Ende des Jahrhunderts vermehrt mit Schraffuren füllten und auf diese Weise eine leicht malerische Wirkung entfalteten4. Sie beziehen sich in der Regel sehr genau auf den Sprachtext und variieren nur gelegentlich „im Sinne einer Ergänzung, nicht eines Widerspruchs“5.

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Vgl. Anneliese Schmitt: Zum Verhältnis von Bild und Text in der Erzählliteratur während der ersten Jahrzehnte nach der Erfindung des Buchdrucks. In: Text und Bild. Bild und Text. DFG-Symposium 1988. Hrsg. von Wolfgang Harms, Stuttgart 1990, S. 168–182; Manuel Braun: Illustration, Dekoration und das allmähliche Verschwinden der Bilder aus dem Roman (1471–1700). In: Cognition and the Book. Typologies of Formal Organisation of Knowledge in the Printed Book of the Early Modern Period, Hrsg. von Karl Enenkel und Wolfgang Neuber, Leiden/Boston 2005, S. 369–408, dort S. 375–382; Jan-Dirk Müller: Das Bild – Medium für Illiterate? Zu Bild und Text in der Frühen Neuzeit. In: Schriftlichkeit und Bildlichkeit. Visuelle Kulturen in Europa und Japan. Hrsg. von Ryozo Maeda, Teruaki Takahashi und Wilhelm Voßkamp, München 2007, S. 71–104, dort S. 75–77. Vgl. Norbert H. Ott: Frühe Augsburger Buchillustration. In: Augsburger Buchdruck und Verlagswesen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Helmut Gier und Johannes Janota, Wiesbaden 1997, S. 201–241, dort S. 206–225. So liegt etwa der prozentuale Anteil illustrierter volkssprachiger Prosaromanausgaben über die gesamte Inkunabelzeit betrachtet bei 89,9 Prozent. Vgl. Braun (2005), S. 402. Vgl. Elisabeth Geck: Grundzüge der Geschichte der Buchillustration, Darmstadt 1982, S. 16 f. Braun (2005), S 380. Vgl. auch Jan-Dirk Müller: Augsburger Drucke von Prosaromanen, 1470 bis 1600. In: Gier/Janota (1997), S. 337–352, dort S. 350.

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Einleitung

In den nachfolgenden Jahrzehnten wandten sich namhafte Künstler wie Albrecht Dürer, Hans Baldung Grien, Jörg Breu d. Ä., Hans Schäuffelin, Hans Burgkmair und Leonhard Beck der Illustration gedruckter volkssprachiger Literatur zu und steigerten die handwerkliche Qualität und bildliche Komplexität der Holzschnittdarstellungen. Feine Schraffuren verbunden mit einer mathematisch fundierten Abbildungsmanier verleihen ihren Figuren vielfach einen zunehmend plastischen Schwarz-Weiß-Effekt, die aus der italienischen Renaissancekunst adaptierten perspektivischen Neuerungen schaffen räumliche Weite6. Vor diesem Hintergrund entstanden zahlreiche illustrierte Erstdrucke – unter anderem die des „Ritters vom Turn“ 7, des „Fortunatus“ 8 und „Till Eulenspiegels“9 sowie die besonders wirkungsmächtig bebilderten Ausgaben von Sebastian Brants „Narrenschiff“10 und Kaiser Maximilians I. „Theuerdank“11, deren komplexes Zusammenspiel von Wort und Bild mehrfach das Interesse der neueren Forschung geweckt hat12. Gleichzeitig jedoch begann sich im beginnenden 16. Jahrhundert ein Segment von verstärkt auf Kostengünstigkeit ausgerichteten Literaturausgaben herauszubilden. Verfahren der ökonomischen Mehrfachverwendung von Bildmaterial durch textinterne Bildwiederholungen und Realisierungen von fremden, ursprünglich für andere Texte angefertigten Druckstöcken13, die in den exklusiven Ausgaben der Inkunabelzeit ledig6

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Vgl. Albrecht Dürer: Vnderweysung der messung / mit dem zirckel vnd richtscheyt / in Linien ebnen vnnd gantzen corporen, Nürnberg: Hieronymus Andreae 1525, 2° 89 Blatt. Marquard von Stein (Bearb.): Der Ritter von Turn, Basel: Michael Furtner 1493, 2° 74 Blatt. Fortunatus, Augsburg: Johann Otmar 1509, 4° 109 Blatt. Hermann Bote: Till Eulenspiegel, Straßburg: Johann Grüninger 1510, 4° 130 Blatt. Sebastian Brant: Das Narrenschiff, Basel: Johann Bergmann 1494, 4° 159 Blatt. Kaiser Maximilian I.: Theuerdank, Nürnberg: Melchior Pfintzing 1517, 2° 290 Blatt. Zum „Narrenschiff“ vgl. Konrad Hoffmann: Wort und Bild im „Narrenschiff“. In: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Hrsg. von Ludger Grenzmann und Karl Strackmann, Stuttgart 1984, S. 393–426; Hans-Joachim Raupp: Zum Verhältnis von Text und Illustration in Sebastian Brants „Narrenschiff“. In: Bibliothek und Wissenschaft. Ein Jahrbuch Heidelberger Bibliothekare 19 (1985), S. 146–197; Thomas Cramer: Der bildniss jch hab har gemacht – Noch einmal: Zu Text und Bild im „Narrenschiff“. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 111 (1989), S. 314–335; Cordula Peper: Zu nutz und heylsamer ler. Das „Narrenschiff“ von Sebastian Brant (1494). Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Text und Bild, Leutesdorf 2000; Gregor Legerlotz: Die Frühzeit des Buchdrucks als Zeugnis eines Medienwandels am Beispiel des Text-Bild-Bezugs im Narrenschiff des Sebastian Brant, München 2007; Müller (2007), S. 80–83. Zum „Theuerdank“ vgl. Hans-Joachim Ziegeler: Der betrachtende Leser – Zum Verhältnis von Text und Illustration in Kaiser Maximilians I. „Theuerdank“. In: Literatur und bildende Kunst im Tiroler Mittelalter. Hrsg. von Egon Kühebacher, Innsbruck 1982, S. 67–110; Stephan Füssel: Kaiser Maximilian und die Medien seiner Zeit. Der Theuerdank von 1517. Eine kulturhistorische Einführung, Köln 2003; Jan-Dirk Müller (2007), S. 78 f. Die Verwendung stark typisierter Bildformeln für unterschiedliche Texte findet sich zuvor bereits im Bereich der Handschriften-Illumination spätmittelalterlicher Schreibwerkstätten. Vgl. Norbert H. Ott: Auf dem Weg zur Druckgraphik. Illustrationen deutschsprachiger Handschriften des Spät-

Die Bilder der frühneuzeitlichen Erzählliteratur

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lich sehr behutsam eingesetzt worden waren14, wurden nun zunehmend expandiert. Ebenfalls der Produktionskostensenkung förderlich war das bereits 1500 im Straßburger Erstdruck von „Hug Schapler“15 umgesetzte Verfahren der Montage von Illustrationen aus unterschiedlich kombinierbaren Versatzstücken – der Kombinationsholzschnitt. Darüber hinaus leidet häufig die darstellerische Qualität der für kostengünstige Ausgaben neu geschaffenen Holzschnitte. Die veränderte ökonomische Ausgangslage des inzwischen im Zusammenhang der Massenproduktion reformatorischer Schriften expandierenden Druckgeschäfts schlug sich ab den 1530er Jahren in drastischer Form auf die Herstellungspraxis volkssprachiger Literatur nieder. Zahlreiche Drucker setzten ihr Bildmaterial zunehmend auch im Widerspruch zur Spracherzählung ein. Teilweise wurden nicht einmal für Erstausgaben noch neue Druckstöcke angefertigt, was mehrfach zu einer Vermischung unterschiedlichster thematisch unpassender Bildprogramme führte16. Ein prominentes Beispiel für eine derartige Illustrationspraxis ist die deutschsprachige Erstausgabe der „Schönen Magelone“17 des Augsburger Druckers Heinrich Steiner, der diese mit Holzschnittmaterial aus verschiedensten anderen Werken – darunter Petrarcas „Glücksbuch“18 und der bereits genannte „Fortunatus“ – „in loser Beziehung zum Text“19 ausstattete. Diese Entwicklung fand ihre Fortsetzung in den 1540er und 1550er Jahren zeitgleich mit der allmählichen Verlagerung der Produktion volkssprachiger Literatur von Augsburg und Straßburg nach Frankfurt20 und der zunehmenden Herabsetzung des Formats der Aus-

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mittelalters und ihre Beziehung zu Holzschnitt und Kupferstich. In: Exlibris-und-Graphik-Jahrbuch (1992), S. 5–17, dort S. 6–8; Ott (1997), S. 201–206; Lieselotte E. Saurma-Jeltsch: Spätformen mittelalterlicher Buchherstellung. Bildhandschriften aus der Werkstatt Diebold Laubers in Hagenau. Bd. 1, Wiesbaden 2001, S. 213–217, 224. Manuel Braun zufolge wird das Zusammenspiel von Wort und Bild kaum gestört. Vgl. Braun (2005), S. 380. Michael Camille vermutet sogar eine poetologische Instrumentalisierung des Verfahrens zur Reduktion von Komplexität im Sinne einer leichteren Memorierbarkeit. Vgl. Michael Camille: Reading Printed Image. Illuminations and Woodcuts of the ,Pélerinage de la vie humaine‘ in the Fifteenth Century. In: Printing the Written World. The Social History of Books circa 1450–1520. Hrsg. von Sandra Hindman, Ithaca/New York 1991, S. 259–291, dort S. 268. Gräfin Elisabeth von Nassau-Saarbrücken (Bearb.): Hug Schapler, Straßburg: Hans Grüninger 1500, 2° 56 Blatt. Vgl. Braun (2005), S. 382–388; Müller (2007), S. 86 f. Veit Warbeck (Bearb.): Die schöne Magelone, Augsburg: Heinrich Steiner 1535, 4° 50 Blatt. Francesco Petrarca, Georg Spalatin und Peter Stachel (Bearb.): Glücksbuch, Augsburg: Heinrich Steiner 1532, 4° 144 Blatt. Müller (2007), S. 87. Bodo Gotzkowsky dokumentiert im Rahmen seines Werkverzeichnisses der Roman-Illustrationen Hans Brosamers deren Wiederverwendung in 28 Frankfurter Druckausgaben volkssprachiger Literatur – Bild-Recycling in einem bis dahin unbekannten Ausmaß. Vgl. Bodo Gotzkowsky: Die Buchholzschnitte Hans Brosamers zu den Frankfurter „Volksbuch“-Ausgaben und ihre Wiederverwendungen, Baden-Baden 2002, S. 247–351.

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Einleitung

gaben von Quart auf Oktav21. So lösten sich die Bilder wie in der angeführten Erstausgabe der „Schönen Magelone“ vielfach weitgehend von ihren früheren Funktionen ab – Jan-Dirk Müller resümiert: „Das Bild ist zum bloßen Schmuck geworden, soll den ,Wert‘ des Textes anzeigen“22. In den Zeitraum dieser vornehmlich dekorativen Illustrationspraxis fällt auch das Roman-Œuvre des Colmarer Literaten, Meistersängers und Malers Jörg Wickram. Der vielseitig begabte Künstler verfasste in den 1530er bis 1550er Jahren neben Spielen, Exempel-Sammlungen, Meisterliedern, einer Übersetzung der „Metamorphosen“ Albrechts von Halberstadt, einem Losbuch sowie kleineren Schriften vermutlich eine Verserzählung und fünf Romane 23, ohne dabei auf direkte Vorlagen zurückzugreifen. Jedoch bediente sich Wickram bei der Adaption von Namen und Erzählmotiven eines umfangreichen Kanons in deutschsprachigen Ausgaben verfügbarer Prosaromane und Renaissance-Novellen24. Es gelang ihm aber auch, sich durch die Verwendung selbstgeschöpfter Elemente und die Transformation bisweilen starrer Erzählschemata stellenweise von der Tradition zu lösen25. Die Bedingungen seiner späten Romanproduktion reflektiert Wickram ausführlich in einem fingierten Dialog zwischen Autor und Leser – dem „Dialog vom ungeratnen Sohn“ – und stellt dabei unter anderem explizit die Fiktionalität der „Knabenspiegel“-Handlung aus 26. Auch durchbricht er im „Nachbarn-

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Vgl. Braun (2005), S. 389–393. Müller (2007), S. 87. Vgl. Jörg Wickram: Sämtliche Werke. Hrsg. von Hans-Gert Roloff. Bd. 1–13/2, Berlin 1967–2003. Dieter Kartschoke zweifelt an der Korrektheit der Zuschreibung des anonym erschienen Galmy an Wickram und vermutet eine verlorengegangene lateinische Vorlage; siehe: Dieter Kartschoke: Ritter Galmy uß Schottenland und Jörg Wickram aus Colmar. In: Daphnis 21 (2004), S. 469–489. Vgl. Hermann Tiedge: Jörg Wickram und die Volksbücher, Hannover 1904, S. 3–22; Reinhold Jacobi: Jörg Wickrams Romane. Interpretation unter besonderer Berücksichtigung der zeitgenössischen Erzählprosa, Bonn 1970, S. 90–101, 104–112, 141–146, 166–173, 202–204. Wickrams Schaffen zwischen Tradition und Innovation war seit Tiedge (1904) vielfach Gegenstand der Wickram-Forschung des 20. Jahrhunderts. Diesbezüglich einen Überblick liefert Elisabeth o o Waghäll in ihrem Forschungsbericht von 1995. Vgl. Elisabeth Waghäll: Georg Wickram – Stand der Forschung. In: Daphnis 24 (1995), S. 491–540. Über die Grenzen der Wickram-Forschung hinaus wird Clemens Lugowskis Dissertationsschrift „Die Form der Individualität im Roman“ von 1932, die in Wickrams Romanen die Transformation vormoderner Erzähltypen – als ,Zerrüttung‘ eines ,mytischen Analogons‘ gefasst – beschreibt, bis ins 21. Jahrhundert hinein rezipiert. Vgl. Jan-Dirk Müller: Der Prosaroman – eine Verfallsgeschichte? Zu Clemens Lugowskis Analyse des ,Formalen Mythos‘. In: Kulturwissenschaftliche Frühneuzeitforschung. Beiträge zur Identität der Germanistik. Hrsg. von Kathrin Stegbauer u. a., Berlin 2004, S. 143–163. Vgl. Jörg Wickram: Dialog vom ungeratnen Sohn, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 8 Blatt. Sämtliche Verweise auf den „Dialog vom ungeratnen Sohn“ innerhalb der vorliegenden Arbeit beziehen sich auf diese Ausgabe. Zur Funktion des „Dialogs vom ungeratnen Sohn“ vgl. Dieter Kartschoke: Jörg Wickrams Dialog vom ungeratnen Sohn. In: Daphnis 7 (1978), S. 377–401; Christine Pfau: Wundert dich dis meins buechlins? Poetik und Reflexion in Jörg Wickrams „Dialog von einem vngerathnen Son“. In: „Worüber man (noch) nicht reden kann, davon kann die Kunst ein Lied

Die Bilder der frühneuzeitlichen Erzählliteratur

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Roman“ endgültig die Ständeklausel, indem er ein Romangeschehen erstmals vollständig ins stadtbürgerliche Milieu verlegt 27. Wickrams Romanwerk unterscheidet sich in dieser Hinsicht trotz der teilweise erheblichen Abhängigkeit von der Tradition signifikant von den zahlreichen Prosaauflösungen mittelalterlicher Vers-Romane und den Bearbeitungen französisch-, italienisch- und spanischsprachiger sowie lateinischer Vorlagen, die den Großteil der heute dem Prosaroman-Genre zugerechneten Texte ausmachen28. Wickrams frühneuzeitliche Form des Romans weist nicht zuletzt aufgrund der genannten Aspekte vergleichsweise modernere Züge auf und kann somit zusammen mit Werken wie dem Fortunatus als Vorstufe zum neuzeitlichen Roman des 17. und 18. Jahrhunderts angesehen werden29. Die mit der Mehrzahl der wickramschen Romane verbundene Illustrationspraxis hebt deren Erstdrucke30 vom Gros der zeitgenössischen Prosaromanausgaben zusätzlich ab. So vereint Wickram den frühneuzeitlichen Roman und die Druckgrafik, indem er seine vier in Straßburg bei Jakob Frölich erstmals erschienenen Romane vermutlich selbst mit Bildmaterial ausstattet, woraus eine vermeintliche relative Einheit des gestaltenden Willens resultiert. So entsprechen die für die Erstausgaben von „Ritter Galmy“31, „Gabriotto und Reinhart“32, „Knabenspiegel“33 und „Goldfaden“34 neu angefertigten Bilddarstellungen in ihrer naiven charakteristischen Stilistik dem von der Forschung bereits mehrfach in den Blick genommenen Illustrationsprogramm zu Wickrams Aus-

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singen“. Texte und Lektüren. Beiträge zur Kunst-, Literatur- und Sprachkritik. Hrsg. von HansChristian Stillmark und Brigitte Krüger, Frankfurt a. M./New York 2001, S. 235–250. Vgl. Jörg Wickram: Von guten und bösen Nachbarn, Straßburg: Johann Konobloch 1556, 4° 100 Blatt. Sämtliche Verweise auf den „Nachbarn-Roman“ innerhalb der vorliegenden Arbeit beziehen sich auf diese Ausgabe. Vgl. André Schnyder: Das Corpus der frühneuhochdeutschen Prosaromane: Eine tabellarische Übersicht als Problemaufriss. In: Eulenspiegel trifft Melusine. Der frühneuhochdeutsche Prosaroman im Licht neuer Forschungen und Methoden. Hrsg. von Catherine Drittenbass und André Schnyder, Amsterdam/New York 2010, S. 545–556. Zur Positionierung des „Fortunatus“ im Prozess der Herausbildung des modernen Romans vgl. Hannes Kästner: Fortunatus – Peregrinator mundi. Welterfahrung und Selbsterkenntnis im ersten deutschen Prosaroman der Neuzeit, Freiburg 1990, S. 207–238. Hinzu kommen einige im Bereich der Illustrationen gar nicht oder lediglich marginal veränderte Nachdrucke bei Jakob Frölich. Jörg Wickram: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt. Sämtliche Verweise auf den „Ritter Galmy“ innerhalb der vorliegenden Arbeit beziehen sich auf diese Ausgabe. Jörg Wickram: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt. Sämtliche Verweise auf den „Gabriotto und Reinhart“ innerhalb der vorliegenden Arbeit beziehen sich auf diese Ausgabe. Jörg Wickram: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt. Sämtliche Verweise auf den „Knabenspiegel“ innerhalb der vorliegenden Arbeit beziehen sich auf diese Ausgabe. Jörg Wickram: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt. Sämtliche Verweise auf den „Goldfaden“ innerhalb der vorliegenden Arbeit beziehen sich auf diese Ausgabe.

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Einleitung

gabe der „Metamorphosen“35. Dort gibt sich Wickram in der Widmungsvorrede nicht nur als Bearbeiter, sondern zugleich als autodidaktischer Illustrator des Werks aus: Die selben reimen hab ich nit alleyn geendert oder corrigiert / sunder gantz von neüwem nach e meinem vermogen inn volgende ordnung brocht / vnd auch mit schlechter kunst / als eyn selb gewachsner Moler mit Figuren gekleydet36. Im Unterschied dazu finden sich in dem ebenfalls in Straßburg, jedoch bei Johann Knobloch gedruckten „Nachbarn-Roman“ ausschließlich Druckstöcke aus älteren Werken, welche stilistisch nicht auf Wickram zurückgeführt werden können37. Jedoch weisen auch die bei Jakob Frölich erschienen Romanausgaben gleichzeitig partielle Spuren des zeittypischen ökonomischen Umgangs mit Bildmaterial auf, wie häufige textinterne Bildwiederholungen, Kombinationsholzschnitte und die Verwendung von Fremdmaterial aus anderen Werken. Dies mag dazu beigetragen haben, dass die wickramschen Romanillustrationen vor wenigen Jahren noch als rein dekorative Elemente abgetan wurden38. Die ersten eingehenderen Untersuchungen der Bildprogramme durch Peter Schmidt und Hubertus Fischer 39, die im Kontext des in den letzten Jahren neu aufkeimenden Forschungsinteresses an Wickrams Romanen40 erfolgten, verdeutlichen jedoch, dass es sich bei den Romanillustrationen, dem Anschein der ökonomischen Illustrationspraxis zum Trotz, um deutlich mehr als nur wertsteigernde Zierelemente handelt. So wurde nicht nur aufgezeigt, dass sich die Illustrationen gelöst von den Kapitelüberschriften als Teil der Darstellung des narrativen Inhalts verschiedenartig

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Vgl. Peter Schmidt: Literat und „selbstgewachsener Moler“. Jörg Wickram und der illustrierte Roman der Frühen Neuzeit. In: Künstler und Literat. Schrift- und Buchkultur in der europäischen Renaissance. Hrsg. von Bodo Guthmüller, Berndt Hamm und Andreas Tönnesmann, Wiesbaden 2006, S. 143–194, dort S. 150 f.; Hubertus Fischer: Wickrams Bilderwelt. Vorläufige Bemerkungen. In: Vergessene Texte – Verstellte Blicke. Neue Perspektiven der Wickram-Forschung. Hrsg. von Maria E. Müller und Michael Mecklenburg, Frankfurt am Main 2007, S. 199–214, dort S. 200. Zur bisherigen Forschung zu Wickrams „Metamorphosen“-Illustrationen vgl. Max Dittmar Henkel: Illustrierte Ausgaben von Ovids Metamorphosen im XV., XVI. und XVII. Jahrhundert. In: Warburger Vorträge 6 (1926/27), S. 56–144; Evamarie Blattner: Holzschnittfolgen zu den Metamorphosen des Ovid: Venedig 1497 und Mainz 1545, München 1998; Anna Schreurs: Ein selbstgewachsner Moler illustriert die Malerbibel. Wickrams Holzschnitte zu Ovids „Metamorphosen“. In: Müller/Mecklenburg (2007), S. 169–183; Wolfgang Neuber: Prekäre Theologie. Textsemantik und Bildsemantisierung am Beispiel von Wickrams erstem Bild seiner „Metamorphosen“. In: Müller/Mecklenburg (2007), S. 185–197; Fischer (2007), S. 202–207. Jörg Wickram (Bearb.): Metamorphosen. In: Ders. Sämtliche Werke. Hrsg. von Hans-Gert Roloff. Bd. 13/1, Berlin 1990, S. 6. Zwei Holzschnitte entstammen Wickrams Verserzählung „Der irr reitende Pilger“, die übrigen älteren Verlagswerken Knoblochs – teilweise aus der Zeit um 1500. Vgl. Schmidt (2006), S. 153. Vgl. Braun (2005), S. 383 f.; Müller (2007) S. 87. Schmidt (2006); Fischer (2007). André Schnyder liefert eine umfangreiche bibliografische Übersicht über die neueste Forschung. Vgl. André Schnyder: Bibliographie zum Prosaroman des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Drittenbass/Schnyder (2010), S. 557–609, dort S. 604–609.

Erzählen in kombinierten Medien

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auf die Rezeption der Werke auswirken. Schmidts Beobachtungen zum Illustrationszyklus im „Ritter Galmy“ legen sogar nahe, dass der Einsatz von textinternen Bildwiederholungen dort poetologisch instrumentalisiert wird 41.

Erzählen in kombinierten Medien „Erzählt wird allenthalben um uns herum“42, konstatiert Monika Fludernik und verweist damit auf Alltägliches wie Nachrichten im Radio und Fernsehen, Reportagen in der Zeitung, Unterricht in der Schule, Gespräche zwischen Kollegen, Freunden und Partnern oder im Zeitschriftenladen zwischen Verkäufer und Kunde. ,Erzählen‘ kann demnach als Aktivität oder Vorgang bestimmt werden, in dem etwas, das meist in der Vergangenheit zurückliegt, in mündlicher oder schriftlicher Form vermittelt wird. Der Begriff ,Erzählung‘ kann im Deutschen hingegen sowohl auf die mediale Manifestation – den Signifikant – dessen, was erzählt wird – das Signifikat – als auch auf den Akt des Erzählens selbst bezogen werden. Gérard Genette regt in „Die Erzählung“ 43, der deutschsprachigen Ausgabe seiner erzähltheoretischen Standardwerke, folgende Terminologie zur Unterscheidung der drei aus dieser Beobachtung resultierenden Ebenen an: „Ich schlage vor, […] das Signifikat oder den narrativen Inhalt Geschichte zu nennen […], den Signifikanten, die Aussage, den narrativen Text oder Diskurs Erzählung im eigentlichen Sinne, während Narration dem produzierenden narrativen Akt sowie im weiteren Sinne der realen oder fiktiven Situation vorbehalten sein soll, in der er erfolgt“44. Eine besondere, künstlerische Form des Erzählens stellt das literarische oder dichterische Erzählen dar. Konventionell wird diese Form des Erzählens mit bestimmten literarischen Gattungen, zum Beispiel der Novelle, der Ballade oder dem modernen Roman, verbunden. Deren theoretische Erfassung bildete – ausgehend unter anderem von Werken Günther Müllers, Eberhard Lämmerts, Franz Karl Stanzels und Käte Hamburgers 45 – einen Schwerpunkt in der deutschen literaturwissenschaftlichen Forschung der späten 1940er und 1950er Jahre und geriet im Rahmen des französischen Struktura-

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Vgl. Schmidt (2006), S. 158 f. Fludernik (2008), S. 9. Gérard Genette: Die Erzählung. Aus dem Französischen von Andreas Knop, München 21998. In der Ausgabe sind enthalten: „Diskurs der Erzählung. Ein methodologischer Versuch“ (frz. 1972) und „Neuer Diskurs der Erzählung“ (frz. 1983). Genette (1998), S. 16. Günther Müller: Morphologische Poetik, Darmstadt 1948; Eberhard Lämmert: Bauformen des Erzählens, Stuttgart 1955; Franz Karl Stanzel: Die typischen Erzählsituationen im Roman: Dargestellt an Tom Jones, Moby-Dick, The Ambassadors, Ulysses u. a., Wien/Stuttgart 1955; Käte Hamburger: Die Logik der Dichtung, Stuttgart 1957.

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lismus in den frühen 1960er Jahren endgültig in den Fokus der westlichen literaturwissenschaftlichen Forschung. Ältere russische Ansätze von Michail Bachtin und Vladimir Propp46 sowie weiteren, zumeist dem russischen Formalismus angehörigen Autoren47 lagen zu dieser Zeit erstmals in Übersetzungen vor und wurden zu umfassenden Theorieentwürfen weiterentwickelt. Es entstanden zahlreiche unterschiedliche Methoden und Terminologien48, von denen sich das narratologische Modell Gérard Genettes als eines der ausschlaggebendsten für weitere Entwicklungen der Erzähltheorie erwies 49. Während sich die genannten Erzählgattungen in der Regel intramedial, innerhalb der Grenzen eines Sprachmediums, bewegen, bedienen sich intermediale Erzählformen bei der Vermittlung der Geschichte unterschiedlicher Sprach-, Bild- oder Tonmedien. Dies kann gemäß der Terminologie Irina O. Rajewskys im Rahmen der Medienkombination, des Medienwechsels oder des intermedialen Bezugs erfolgen. Die Medienkombination meint dabei „das Resultat der Kombination mindestens zweier, konventionell als distinkt wahrgenommener Medien, die in ihrer Materialität präsent sind und jeweils auf ihre eigene, medienspezifische Weise zur (Bedeutungs-)Konstitution des Gesamtprodukts beitragen“50. Eine derartige Kombination zweier Medien liegt zum Beispiel im Kunstlied vor. Der Medienwechsel bezieht sich hingegen produktionsästhetisch orientiert auf „den Prozeß der Transformation eines medienspezifisch fixierten Prätextes bzw. Textsubstrats in ein anderes Medium, d. h. aus einem semiotischen System in ein anderes“51. Davon betroffen ist beispielsweise die Dramatisierung eines Romans. Das Phänomen des intermedialen Bezugs schließlich beschreibt das Bezugsverhältnis eines bestimmten kontaktnehmenden medialen Produkts auf ein anderes „Medium qua semiotischem System bzw. auf bestimmte Subsysteme desselben, also bestimmte […] Diskurstypen, die konventionell dem fraglichen Medium zugeordnet werden“52. In diesen Bereich fallen Erzählformen wie etwa die Ekphrasis. Intermediale Erzählformen rückten dabei seit den späten 1970er Jahren vermehrt in den Fokus der erzähltheoretischen Forschung. So lieferte unter anderem Seymour Chatman in seinem 1978 erschienen Werk „Story and Discourse“53 einen Grundstein der

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Insbesondere Michail Bachtin: Problemy tvorhestva Dostoevskogo, Leningrad 1929 und Vladimir Propp: Morfologiä skazki, Leningrad 1928. Deutschsprachige Ausgaben: Michail Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs. Aus dem Russischen von Adelheid Schramm, München 1971; Vladimir Propp: Morphologie des Märchens. Übersetzt von Christel Wendt, Frankfurt a. M. 1975. Eine Zusammenstellung in deutscher Übersetzung liefert Wolf Schmid. Vgl. Russische ProtoNarratologie. Texte in kommentierten Übersetzungen. Hrsg. von Wolf Schmid, Berlin 2009. Vgl. Matias Martinez und Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, München 72007, S. 7. Vgl. Monika Fludernik: Erzähltheorie. Eine Einführung, Darmstadt 22008, S. 20 f. Irina O. Rajewsky: Intermedialität, Tübingen 2002, S. 15. Rajewsky (2002), S. 16. Rajewsky (2002), S. 17. Seymour Chatman: Story and Discourse. Narrative Structure in Fiction and Film, Ithaca/London 1978.

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narratologischen Filmanalyse. Diese wurde nicht allein im angelsächsischen Raum bis heute kontinuierlich weiterentwickelt54 – den derzeitigen Schlusspunkt bilden die umfassenden Film-Narratologien von Claudia Pinkas55 und Markus Kuhn56. Über die Filmanalyse hinaus entstanden im deutschsprachigen Raum im Umfeld Vera und Ansgar Nünnings zahlreiche weitere transmediale und interdisziplinäre narratologische Theoreme57, zuletzt die intermediale Erzähltheorie zum Comic Martin Schüwers58. Die Öffnung der Narratologie für intermediales Erzählen bewirkte dabei eine weitere Fassung des Erzählerischen im Rahmen derartiger Bemühungen. So beschreibt Nicole Mahne das Erzählerische in ihrer „Transmedialen Erzähltheorie“ etwa als „grundlegende kognitive Fähigkeit des Menschen, Ereignisse der Lebenswirklichkeit sinnvoll zu organisieren und zu vermitteln“59.

Abb. 1: Intermediale Beschaffenheit des frühneuzeitlichen illustrierten Romans

Solange Bilder als Bestandteil der Erzählung an der Vermittlung der Geschichte teilhaben, ist auch der frühneuzeitliche illustrierte Roman im Sinne der Medienkombination als intermediale Erzählgattung anzusehen. In Form von einzelnen in den Schriftverlauf des Sprachtexts eingefügten Holzschnittillustrationen erweitert dabei die Druckgrafik die medialen Darstellungsoptionen des frühneuzeitlichen Romans, der infolge des damit einhergehenden Montagevorgangs zum illustrierten frühneuzeitlichen Roman ausgeweitet wird. Somit verfügt die Erzählung jeweils dort, wo ein Bestandteil der Geschichte innerhalb einer Illustration zum Ausdruck kommt, neben der verbalen über eine ikonische Erzählebene60. Dabei erfolgt das Zusammenspiel der sprachlichen und bild-

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Vgl. Claudia Pinkas: Der Phantastische Film: Instabile Narration und die Narration der Instabilität, Berlin/New York 2010, S. 112–120. Pinkas (2010). Markus Kuhn: Film-Narratologie. Ein erzähltheoretisches Analysemodell, Berlin/New York 2011. Darunter erzähltheoretische Modelle zu Genres aus den Bereichen Theater, Musik, Cartoon, Malerei und Hyperfiktion. Vgl. Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär. Hrsg. von Ansgar und Vera Nünning, Trier 2002. Martin Schüwer: Wie Comics erzählen. Grundriss einer intermedialen Erzähltheorie der grafischen Literatur, Trier 2008. Nicole Mahne: Transmediale Erzähltheorie. Eine Einführung, Göttingen 2007, S. 9. Die Adjektive ,verbal‘ und ,ikonisch‘ werden pragmatisch verwendet. Das Erstere ist auf den medialen Bereich des Romans, das Letztere auf den der Druckgrafik zu beziehen, wohlwissend um mögliche im semiotischen Sinn ikonische Anteile von Romanen einerseits und mögliche symbolische oder auch indexikalische Anteile druckgrafischer Romanillustrationen andererseits.

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Einleitung

lichen Zeichen im Vergleich zu Film oder Comic etwa weniger genuin61. Zumeist zeigt sich zudem die verbale gegenüber der ikonischen Erzählebene dominant62. Diesem Umstand – möglicherweise in Verbindung mit einer Rückprojektion des in der Regel bilderlosen modernen Romans auf seine illustrierte frühneuzeitliche Vorstufe – dürfte deren bisherige Vernachlässigung von Seiten der Narratologie geschuldet sein63. Im besonderen Fall der bei Jacob Frölich erschienenen illustrierten frühneuzeitlichen Romane Jörg Wickrams beinhaltet die Medienkombination sogar sehr punktuell ein drittes konventionell als distinkt wahrgenommenes Einzelmedium. Auch dieses ist in seiner Materialität präsent und trägt medienspezifisch zur Bedeutungskonstitution bei. So werden auf der verbalen Erzählebene in „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“ insgesamt drei Meisterlieder als Produkte diegetischer Figuren – in zwei Fällen sogar unter paratextueller Angabe ihres Tons – in die Erzählung eingebunden. Die Integration erfolgt dabei in Form des Erzählerberichts oder der Figurenrede64.

Ziele und methodisches Vorgehen Das zentrale Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, anhand der Straßburger Erstausgaben der vier vermeintlich von Jörg Wickrams sowohl verfassten als auch illustrierten Romane „Ritter Galmy“, „Gabriotto und Reinhart“, „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“ Erzählstruktur und Wirkungen der Medienkombination im illustrierten frühneuzeitlichen Roman zu beleuchten. Dabei soll zugleich den Fragen nach der Nutzung des vom zeitgenössischen Funktionsverlust der Illustration ausgehenden Gestaltungsfreiraums sowie nach dem poetologischen Umgang mit den ökonomischen Strategien der Mehrfachnutzung von Druckstöcken nachgegangen werden. Der im Sinne dieses Bestrebens ausgerichtete inhaltliche und methodische Aufbau der sich in drei Kapitel unterteilenden Arbeit soll nachfolgend erläutert werden: Der kürzlich erschienene Sammelband „Historische Narratologie – Mediaevistische Perspektiven“ der Herausgeber Harald Haferland und Matthias Meyer entfacht eine Forschungsdebatte darüber, ob und inwiefern die vornehmlich auf der Grundlage moderner Literatur ab etwa 1700 entwickelten narratologischen Instrumentarien zur Anwendung auf ältere Texte modifiziert werden müssen. Dabei schreiben Haferland und Meyer insbesondere der historischen Entwicklung der Medien einen gravierenden Ein-

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Vgl. Rajewsky (2002), S. 15 f. Vgl. Werner Wolf: Intermedialität. In: Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie: Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Ansgar Nünning, Stuttgart/Weimar 42008, S. 327 f. Hinzu kommt die zumeist problematische Editionslage. So werden die bildlichen Bestandteile in den meisten Editionen frühneuzeitlicher illustrierter Romane entweder gar nicht oder aus typografischen Gründen bezüglich ihrer Eingliederung in den Sprachtext verfälscht aufgenommen. Zur Einbindung der Lieder in die Erzählung siehe ausführlich S. 160–166.

Ziele und methodisches Vorgehen

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fluss auf das Erzählen zu65, dem eine ihrem Untersuchungsgegenstand angemessene Erzähltheorie gerecht werden muss. Im Falle der vier im Fokus dieser Arbeit stehenden Romane Jörg Wickrams, deren relative Nähe zum modernen Roman bereits thematisiert wurde, fordert vor allem die den Texten innewohnende Intermedialität des Erzählens eine Anpassung der an reinen Spracherzählungen entwickelten Modelle. Diese Modifikation erfolgt im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit und kann demnach sowohl als explorativer Beitrag zur historischen als auch zur intermedialen Narratologie verstanden werden. Aufgrund der Nähe der frühneuzeitlichen illustrierten Romane zum bilderlosen modernen Roman bietet sich dabei eine Erweiterung der Erzähltheorie Gérard Genettes an. So zählt Genettes Modell für den Bereich der Romananalyse zum einen noch immer zu den feingliedrigsten Analyse-Instrumentarien und bildet zum anderen inzwischen auch in der germanistischen Forschung neben Weiterentwicklungen der deutschen Tradition66 den wohl verbreitetsten Ansatz67. Ausschlaggebend für die Wahl eines insbesondere auf den modernen Roman ausgerichteten Modells und nicht etwa auf die Analyse anderer intermedialer Erzählgattungen ist dabei der Umstand, dass die Druckgrafik als frühere bildliche Erweiterung der später rein sprachlich vermittelnden Erzählgattung anzusehen ist. Andere moderne intermediale Erzählgattungen wie etwa die Romanverfilmung ersetzten hingegen die medialen Darstellungsoptionen des modernen Romans vollständig durch solche einer neuartigen Erzählgattung. Im Rahmen der Entwicklung des narratologischen Modells zur Analyse der illustrierten frühneuzeitlichen Romane werden zunächst in 1.1 grundlegend die Strukturebenen der inneren, der äußeren sowie der transtextuellen Elemente intermedialen Erzählens unterschieden. Im Anschluss daran werden in den Abschnitten 1.2 bis 1.6 die genetteschen Kategorien ,Ordnung‘, ,Dauer‘, ,Frequenz‘, ,Modus‘ und ,Stimme‘ für die Analyse illustrierter frühneuzeitlicher Romane modifiziert. Im zweiten Kapitel der vorliegenden Arbeit erfolgt daraufhin in 2.1 eine inhaltliche Einführung in das diegetische Geschehen der vier zu untersuchenden Romane. Der nachfolgende Abschnitt 2.2 liefert eine umfassende Darstellung sowohl der typografischen Erscheinung der frühneuzeitlichen Romanerstausgaben als auch der Bild- und Figurengestaltung der darin enthaltenen Illustrationsprogramme. Es folgt ein tabellarisches Verzeichnis aller Illustrationen unter Berücksichtigung der Lagensignatur, des ver-

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Vgl. Harald Haferland und Matthias Meyer: Einleitung. In: Historische Narratologie – Mediaevistische Perspektiven. Hrsg. von dens., Berlin/NewYork 2010, S. 3–15, dort S. 4 f. Franz Karl Stanzel stellte 1979 anschließend an die germanistischen narratologischen Ansätze des Nachkriegsjahrzehnts unter linguistischem Einfluss eine umfassende Erzähltheorie fertig. Diese erschien 2009 bereits in der achten Auflage. Vgl. Franz Karl Stanzel: Theorie des Erzählens, Göttingen 82009. Zur Verbreitung der Narratologie Genettes in der germanistischen Forschung trug die in weiten Teilen auf Genettes Theorie basierende Standardeinführung von Matias Martinez und Michael Scheffel, welche 2009 bereits in der achten Auflage erschienen ist, maßgeblich bei. Vgl. Matias Martinez und Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, München 82009.

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Einleitung

wendeten Druckstocks, des Status ihrer Verwendung, ihrer Position auf dem Blatt sowie verschiedener Besonderheiten. Das dritte Kapitel bildet das Kernstück der vorliegenden Arbeit und gliedert sich dabei in die Abschnitte 3.1 bis 3.3 gemäß der im ersten Kapitel eingeführten Unterteilung intermedialen Erzählens in innere, äußere und transtextuelle Elemente. Dabei wird zum einen auf der Basis der zuvor entwickelten narratologischen Theoreme die intermediale Erzählstruktur der vier im Fokus der Arbeit stehenden Romane beleuchtet. Zugleich aber soll die Strukturanalyse mit einer wirkungsästhetischen Interpretation verbunden werden, um zum anderen Zusammenhänge von intermedialen Strukturelementen und in der Lektüre aktualisierbaren Wirkungspotenzialen aufzuzeigen. Die dafür notwendige über das narratologische Instrumentarium hinausgehende Methodik wird jeweils zu Beginn der Abschnitte 3.1 bis 3.3 auf der Grundlage einiger Explikationen und Implikationen der Romane selbst sowie der iserschen Wirkungsästhetik68 entwickelt. Dabei bilden die Straßburger Erstdrucke der vier illustrierten frühneuzeitlichen Romane selbst den Gegenstand der Untersuchung. Da die im Rahmen der Gesamtausgabe der Werke Wickrams durch Hans-Gert Roloff 69 erfolgte Edition der frühneuzeitlichen Druckausgaben weder deren vollständige typografische Erscheinung noch die ursprüngliche Position der Bilddarstellungen im Sprachtext zugänglich macht und somit insbesondere durch den zweitgenannten Aspekt ein verzerrtes Bild der intermedialen Erzähltexte entwirft, kommt sie als Grundlage der vorliegenden Arbeit nicht in Frage. So nimmt gerade die exakte Position der Illustrationen im Sprachtext erheblichen Einfluss auf die narrative Ordnung der intermedialen Erzähltexte und der mit ihr einhergehenden Wirkungspotenziale. Da die auf Roloff basierenden Ausgaben jedoch die Lagensignatur der Erstdrucke verzeichnen, können sie dennoch zum Nachvollzug der Sprachtextzitate verwendet werden70. Die frühneuzeitlichen Erstdrucke selbst können in den Staatsbibliotheken München und Göttingen eingesehen werden71 und sind im Fall von „Ritter Galmy“ und „Knabenspiegel“ darüber hinaus online in Form von Digitalisaten zugänglich72. Die Ergebnisse der narratologischen und wirkungsästhetischen Analysen werden sowohl jeweils am Ende der Abschnitte 3.1 bis 3.3 zusammengefasst als auch in einem abschließenden Fazit und Ausblick im Hinblick auf die zuvor formulierten Anliegen der

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Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München 41994. Roloff (1967–2003). Dabei sind die jeweils im Nachwort erläuterten Eingriffe des Editors in den Sprachtext zu beachten. Die Signaturen der im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersuchten Exemplare sind im Anhang dem Literaturverzeichnis zu entnehmen. URL: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00025610/image_1 [Stand: 31. 12. 2011]; URL: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00008420/image_1 [Stand: 31. 12. 2011].

Ziele und methodisches Vorgehen

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Arbeit resümiert. Darauf aufbauend wird in einem breiteren Kontext deren Beitrag einerseits zur literaturgeschichtlichen und andererseits zur narratologischen Forschung beleuchtet. Zuletzt sollen Anwendungs- und Erweiterungsperspektiven des im Rahmen der vorliegenden Arbeit entwickelten und erprobten Instrumentariums aufgezeigt werden.

1. Die intermediale Erzählstruktur im illustrierten frühneuzeitlichen Roman Entwicklung eines Modells auf Grundlage der Erzähltheorie Gérard Genettes

1.1 Innere, äußere und transtextuelle Strukturebene Erzählungen werden sowohl auf einer internen als auch auf einer externen Ebene strukturiert. Die als innere Erzählstruktur bezeichnete interne Strukturebene umfasst dabei die drei bereits in der Einleitung thematisierten Dimensionen des Erzählens, die gemäß der genetteschen Terminologie als Erzählung, Narration und Geschichte bezeichnet werden. Wie bereits erläutert, beschreibt die Erzählung die Ebene der Signifikanten, d. h. die in einem Zeichenkomplex verbundenen Zeichen, die ich im Sinne eines weiten, nicht auf verbale Zeichen begrenzten Textbegriffs als Text fassen möchte. Texte implizieren eine Instanz, die sie hervorgebracht oder zumindest verfasst bzw. arrangiert hat. Diese mag in historischen Personen oder im Sonderfall heiliger Texte im Transzendenten verortet werden, sie ist im Text selbst nach der auf Wayne C. Booth zurückgehenden Konzeption in Form des impliziten Autors73 repräsentiert. Da es sich um eine nicht auf Erzähltexte beschränkte Instanz handelt, ist diese in einem weiteren Sinne als Textinstanz und weniger als erzählspezifische Instanz aufzufassen74. Da Erzählungen jedoch einmal in Form von Texten zutage treten, möchte ich den impliziten Autor dennoch nicht gänzlich aus dem narratologischen Untersuchungsfeld ausschließen. Der implizite Autor muss jedoch nicht zwangsläufig – wie ich es gerade getan habe – als rein textgenerierte Instanz verstanden werden. Er kann ebenfalls im produktionsästhetischen Zugang zum Text als vom historischen Autor entworfenes Selbstbildnis oder auch rezeptionsästhetisch als lesergenerierte Autor-Instanz aufgefasst werden. Für den Bereich der ikonischen Anteile des Textes soll an die Stelle des impliziten Autors ein impliziter Illustrator treten.

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Zur Konzeption des ,impliziten Autors‘ vgl. Wayne C. Booth: The Rhetoric of Fiction, Chicago/ London 21983, S. 70–76. So sieht Genette im impliziten Autor einen Gegenstand der Poetik, nicht aber der Narratologie. Vgl. Genette (1998), S. 284, 289.

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1. Die intermediale Erzählstruktur

In der fiktionalen Erzählung umfasst die Ebene der Narration den produzierenden narrativen Akt, der sich zwischen einem oder mehreren Erzählern und einem oder mehreren narrativen Adressaten vollzieht 75. Diese sind im Bereich literarischen Erzählens als Teil der literarischen Fiktion anzusehen, unabhängig davon, ob sich Erzähler und narrativer Adressat innerhalb oder außerhalb der Geschichte befinden. Die Ebene der Narration kann dabei implizit gestaltet sein oder explizit hervortreten, indem Erzähler- und Adressatenfiguren expliziert werden. Auf der ikonischen Erzählebene tritt die Narration, soweit man im ikonischen Bereich einer Erzählung überhaupt davon sprechen möchte, in der Regel nicht explizit zutage, da dort ohne Hervortreten einer Vermittlungsebene erzählt wird. Greifbar ist allein der Beobachterpunkt. Die Instanz des Beobachters selbst – sie bildet gewissermaßen gleichzeitig die Produktions- und Rezeptionsinstanz des Dargestellten, weshalb in ihr eine Entsprechung sowohl zum Erzähler als auch zum narrativen Adressaten gesehen werden könnte – wird im Bildgenre der Romanillustration normalerweise nicht thematisiert, bildet jedoch eine Implikation des Bildtexts. Diese kann in Ausnahmefällen auf der verbalen Erzählebene expliziert werden, indem diese den Beobachter als Figur der Geschichte zu erkennen gibt. Dies ist dann der Fall, wenn die Spracherzählung76 das Blickfeld einer Figur dermaßen detailliert beschreibt, dass es in der Bilddarstellung der Illustration – sowohl in der Perspektive als auch in den Objektmanifestationen – unverwechselbar wiederzuerkennen ist. Als Ausnahme, in der die ikonische Erzählebene selbst einen Beobachter expliziert, könnte man beispielsweise die Figurendarstellungen in den Randleisten der Straßburger „Eulenspiegel“-Ausgaben des Druckers Johann Grüninger77 anführen, die keinen Bestandteil der Geschichte darstellen und außerhalb des durch Rahmung begrenzten in der Illustration verbildlichten Geschehens dargestellt werden. Diese explizieten Beobachterfiguren verweisen zumeist durch ihre Blickrichtung und einen Zeigegestus auf den verbildlichen Handlungsmoment. Jedoch muss an dieser Stelle ein weiterer verdeckt bleibender Beobachter der bildlichen Darstellungen der Randleisten, der demnach die figürlichen Beobachter der Illustration beobachtet, angenommen werden. Des Weiteren kann sich die Illustration auf den narrativen Akt des Sprachtextes beziehen, z. B. indem sie die Erzählerfigur in Interaktion mit einer Zuhörerschaft darstellt. In diesem Fall erzeugt die Illustration eine ikonische Rahmenhandlung, die in der Spracherzählung nicht expliziert sein muss. Die in der Erzählforschung als diegetisch bezeichnete Dimension der Geschichte umfasst den chronologischen Ablauf des Geschehens, das sich aus Geschehnissen und Hand-

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Genette (1998), S. 16. Der Terminus „Spracherzählung“ bezieht sich auf die verbale Erzählebene des intermedialen Erzähltexts. Entsprechend meint „Bilderzählung“ die ikonische Erzählebene des intermedialen Erzähltexts. Nachgewiesen sind Ausgaben von 1510, 1515 und 1519. Vgl. VD16.

1.1 Innere, äußere und transtextuelle Strukturebene

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Abb. 2: Explizite Beobachterfigur in der Randleiste der Illustration zur zwölften „Eulenspiegel“-Historie

lungen zusammensetzt. Unter Geschehnissen versteht man dabei „nicht intendierte Zustandsveränderungen“ innerhalb der erzählten Welt, z. B. eine Naturkatastrophe und deren Folgen. Handlungen treten entweder in Form von äußeren Handlungen als „Situationsveränderungen durch die Realisierung von Handlungsabsichten“78 der Figuren zutage – z. B. „Peter küsst Anna“ – oder in Form von Vorgängen in der figürlichen Gefühls- und Gedankenwelt, die als innere Handlungen bezeichnet werden. Das Geschehen kann je nach Komplexitätsgrad der Geschichte mehrere Handlungsstränge umfassen. Ein Handlungsstrang setzt sich in der Regel aus mehreren auseinander hervorgehenden Ereignissen an einem Ort verbunden mit einer bestimmten Anzahl von Figuren zusammen. Im Fortlauf des Geschehens können Handlungsstränge sowohl aufgespaltet als auch wieder zusammengeführt werden. Das Ereignis stellt dabei die kleinste thematische Einheit einer Geschichte dar. Dynamische Ereignisse wirken sich auf den Fortlauf der Handlung aus, während statische Ereignisse keinen Einfluss auf deren weiteren Verlauf nehmen79. Damit eine Abfolge von Ereignissen eine Handlung generiert, müssen dynamische Ereignisse durch eine Motivation aufeinander bezogen sein. Dabei handelt es sich entweder um kausale Motivationen, die die verketteten Ereignisse in einen UrsacheWirkungs-Zusammenhang stellen, oder um finale Motivationen, die Ereignisse nach

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Martinez/Scheffel (2007), S. 109. Vgl. Martinez/Scheffel (2007), S. 108 f.

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1. Die intermediale Erzählstruktur

Abb. 3: Geschehen aus zwei zusammengeführten Handlungssträngen

einem starren, nicht notwendigerweise auf Kausalbeziehungen basierenden Schema festlegen80. Motivationen können oftmals lediglich in Form von Implikationen durch den Rezipienten erschlossen werden, wobei der Sprachtext sie auch explizit benennen kann. Die Geschichte an sich ist als subjektives Konstrukt des Interpreten anzusehen, da sie zwangsläufig auf dessen Lesart des Textes beruht. Da zwischen der Darstellungsebene der Erzählung und der Inhaltsebene der Geschichte ein Selektionsvorgang vollzogen wird, der in der Instanz des impliziten Autors verortet werden kann, ist die Geschichte in der medialen Form der Erzählung oftmals lückenhaft. Derartige Lücken, die in der Rezeptionsästhetik als Leerstellen bezeichnet werden81, sind in der Regel vom Rezipienten zu füllen, um vor seinem inneren Auge ein kohärentes Bild der Geschichte entstehen zu lassen. Eine Erzählung kann zudem eine oder mehrere Binnenerzählungen umfassen. In diesem Fall fungieren in der Regel Figuren der Geschichte als Erzähler. Die Dimension der Binnennarration ist demnach Teil der Geschichte. Die Binnengeschichte spielt in einer von der Geschichte unabhängigen und dieser untergeordneten fiktionalen Welt und umfasst gleich der Geschichte selbst Figuren, Orte, Zeit, Ereignisse und Motivationen. Die ikonischen Bestandteile einer Erzählung könnten zwar rein theoretisch durchaus eigenständige Binnenerzählungen erzeugen – z. B. in Form der Abbildung eines Ausstellungsraums, der mehrere Gemälde, deren Inhalte eine Bildfolge ergeben, beherbergt –, greifen jedoch häufiger Inhalte von Binnenerzählungen des Sprachtexts auf. Erzählungen werden außerhalb der inneren Erzählstruktur zudem auf einer externen Ebene strukturiert. Die externe Ebene, die als äußere Erzählstruktur bezeichnet werden kann, umfasst dabei paratextuelle Strukturelemente, insoweit diese kein mimetisches Bezugsverhältnis zur Geschichte (oder einer fiktionsinternen Rahmen- oder Binnen-

80 81

Vgl. Martinez/Scheffel (2007), S. 111–113. Zum Begriff der „Leerstelle“ vgl. Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München 41994, S. 302. „Immer dort, wo Textsegmente unvermittelt aneinanderstoßen, sitzen Leerstellen, die die erwartbare Geordnetheit des Textes unterbrechen.“

1.1 Innere, äußere und transtextuelle Strukturebene

27

handlung) aufweisen 82 – in diesem Fall müssten sie als deren Manifestation als Teil der Erzählung selbst und somit der internen Ebene angesehen werden. Dabei bezieht sich der Terminus Paratextualität auf in der Umgebung von Texten befindliche Objekte, die Genette als „Begleitschutz einiger gleichfalls verbaler oder auch nicht-verbaler Produktionen wie einem Autorennamen, einem Titel, einem Vorwort und Illustrationen“83 beschreibt. Paratexte mit metanarrativem Charakter wie Titel, Titelillustrationen, Vorworte, Zwischentitel oder Anmerkungen des Verfassers oder Herausgebers – dies ist teilweise kaum zu unterscheiden – sind dabei genauso wie beispielsweise Druckvermerke als Teil der äußeren Erzählstruktur zu verstehen, während Illustrationen, die einen Moment der Handlung (oder einer fiktionsinternen Rahmen- oder Binnenhandlung) verbildlichen, im Rahmen des an dieser Stelle entwickelten Modells als Bestandteil der inneren Erzählstruktur aufzufassen sind. Dennoch sind insbesondere die metanarrativen Paratexte der äußeren Erzählstruktur für die Lektüre des Rezipienten von Relevanz, da sie Hinweise über den narrativen Text bereithalten, die den Fokus der Lektüre beeinflussen können.

Abb. 4: Äußere und innere Erzählstruktur

Während die interne und die externe Strukturebene als textimmanent zu betrachten sind, weist die transtextuelle Strukturebene über die Einzeltexte hinaus, indem sie deren Verknüpfungen zu anderen Texten beschreibt 84. Der auf Genette beruhende Begriff der Transtextualität bildet dabei einen Überbegriff, der unterschiedliche Arten der Bezug-

82 83

84

Vgl. Fludernik (2008), S. 34. Gérard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Aus dem Französischen von Dieter Hornig, Frankfurt am Main 2001, S. 9. Gegen die genettesche Auffassung der Paratextualität als Unterkategorien der Transtextualität gehört diese gemäß der hier getroffenen Dreiteilung nicht dem Bereich der transtextuellen Elemente sondern dem der äußeren Elemente intermedialen Erzählens an.

28

1. Die intermediale Erzählstruktur

nahme von Texten untereinander beschreibt und dabei unter anderem die Bereiche der Intertextualität und der Hypertextualität umfasst85. In das Feld der Intertextualität fallen etwa als solche deklarierte oder nicht deklarierte wörtliche Text-Übernahmen – gemäß der Terminologie Genettes Zitate und Plagiate 86. Diese können sowohl auf der verbalen als auch durch die Wiederverwendung alter Druckstöcke auf der ikonischen Erzählebene erfolgen. Des Weiteren treten transtextuelle Verknüpfungen auf dem Gebiet der Hypertextualität auf. Dabei werden auf der Ebene der Geschichte Erzählmotive 87 oder ganze Motivketten aus anderen Texten nachgeahmt oder transformiert. Je nach Grad der thematischen und handlungsfunktionalen Übereinstimmung bzw. Veränderung eines Motivs oder einer Motivkette innerhalb von Hypo- und Hypertext 88 sollen derartige Verknüpfungen als Entlehnung, Adaption oder Transformation bezeichnet werden. Hypertextuelle Phänomene können dabei sowohl auf der verbalen als auch auf der ikonischen Erzählebene zutage treten und sogar transmedial ausgebildet werden – das ist beispielsweise der Fall, wenn eine Illustration den Hypotext eines verbalen Hypertexts bildet. Bildliche und sprachliche transtextuelle Verknüpfungen treten in illustrierten frühneuzeitlichen Romanen zudem häufig in intermedialer Kombination zutage. Während auf der ikonischen Erzählebene aufgrund der ökonomischen Attraktivität der Wiederverwendung alter Druckstöcke dabei Plagiate besonders häufig sind, vollziehen sich auf der verbalen Erzählebene transtextuelle Verknüpfungen zumeist im hypertextuellen Bereich. So gehen bildliche Plagiate vielfach mit hypertextuellen sprachlichen Verknüpfungen einher.

1.2 Ordnung Erzählungen treten in der Dualität von erzählter Zeit und Erzählzeit zutage. Während sich die erzählte Zeit auf die Zeitlichkeit der Geschichte bezieht, meint Erzählzeit die Zeitlichkeit der Erzählung selbst. Diese empfängt der narrative Text lediglich „metonymisch von seiner Lektüre“ 89. Daher spricht Genette bezüglich der Erzählzeit auch von

85

86 87

88

89

Vgl. Gérard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Aus dem Französischen von Wolfram Bayer und Dieter Hornig, Frankfurt a. M. 1993, S. 10 f., 14–18. Genette (1993), S. 10. Das Erzählmotiv wird gemäß der Begriffsverwendung innerhalb dieser Arbeit im Unterschied zum Erzählstoff nicht an bestimmte Namen, Orte und Zeiten gebunden und im Unterschied zum Thema inhaltlich konkreter gefasst. Es bezieht sich auf eine Handlungseinheit, der innerhalb des diegetischen Geschehens in der Regel eine Funktion zukommt. So handelt es sich beispielsweise bei der vom Landesfürsten geförderten Hochzeit mit einer standeshöheren Person um ein Erzählmotiv des sozialen Aufstiegs einer diegetischen Figur. Genette bezeichnet als Hypertext „jeden Text, der von einem früheren Text [dem Hypotext] durch eine einfache Transformation“ oder „durch Nachahmung“ abgeleitet wurde. Genette (1993), S. 18. Genette (1998), S. 22.

1.2 Ordnung

29

„Pseudo-Zeit“ 90. Die erste Relation von erzählter Zeit und Erzählzeit kann in der jeweiligen Ordnung – im Sinne der Reihenfolge – der Ereignisse ausgemacht werden. Dissonanzen zwischen der Ordnung der Geschichte und der Ordnung der Erzählung bezeichnet Genette als Anachronien. Diese können zum einen in Gestalt der Prolepse und zum anderen als Analepse sowie in verschieden kombinierten Varianten auftreten. Während die Prolepse jegliche Form des vorweg Erzählens oder Evozierens gemäß der Ordnung der Geschichte erst später erfolgender Ereignisse meint, bezeichnet die Analepse „jede nachträgliche Erwähnung eines Ereignisses, das innerhalb der Geschichte zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hat“91. Die temporale Erzählebene, auf deren Bezug sich eine Anachronie als solche definiert, nennt Genette Basiserzählung. Prolepsen oder Analepsen, die sich auf ein Ereignis beziehen, die gemäß der Ordnung der Geschichte zwischen Anfangs- und Endpunkt der Basiserzählung liegen, werden als intern, liegen sie außerhalb dieses Rahmens, als extern bezeichnet 92. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Eine Geschichte X umfasst die Ereignisse A, B, C, D und E. In Erzählung 1 werden die Ereignisse in der Ordnung B – C – D – A – E dargestellt. Innerhalb von Erzählung 1 bildet die erzählerische Darstellung der Ereignisse B, C, D und E die Basiserzählung, während die von Ereignis A eine externe Analepse darstellt. Erzählung 2 hingegen gibt die Ereignisse in der Ordnung A – C – D – B – E wieder. Innerhalb von Erzählung 2 umfasst die Basiserzählung die erzählerische Darstellung der Ereignisse A, C, D und E. Bei der erzählerischen Darstellung von Ereignis B handelt es sich um eine interne Analepse. Bezüglich der internen Analepsen und Prolepsen führt Genette eine weitere Unterscheidung ein. So bezeichnet er interne Anachronien, „die einen Strang der Geschichte bzw. einen diegetischen Inhalt betreffen, der sich von dem (oder denen) der Basiserzählung unterscheidet“ 93 – z. B. die von der Geschichte selbst unabhängige Vorgeschichte einer neu eingeführten Figur – als heterodiegetisch. Fungieren interne Anachronien als zunächst ausgelassener, an späterer Stelle jedoch nachträglich ergänzter oder als vorweg genommener Teil der Basiserzählung, werden sie hingegen als homodiegetisch aufgefasst. Des Weiteren können Anachronien auch selbst als Basiserzählung weiterer Anachronien dienen. Denkbar ist auch folgende Ordnung der Geschichte X in der Darstellung einer Erzählung 3: D – B – A – C – E. In Erzählung 3 ist die Basiserzählung auf die erzählerische Darstellung der Ereignisse D und E zusammengeschrumpft, wobei die erzählerische Darstellung der Ereignisse B, A und C ebenfalls eine interne Analepse umfasst. Innerhalb dieser ist jedoch eine weitere interne Analepse – die erzählerische Darstellung von Ereignis A – ausgebildet. Wenn Analepsen oder Prolepsen wie im Fall von Erzählung 3 selbst die Basiserzählung einer weiteren Analepse oder Prolepse bilden, spricht Genette

90 91 92 93

Ebd. Genette (1998), S. 25. Genette (1998), S. 32. Genette (1998), S. 33.

30

1. Die intermediale Erzählstruktur

von Prolepsen bzw. Analepsen zweiten Grades 94. Zudem sind auch Kombinationen von Prolepse und Analepse – proleptische Erzählabschnitte als Basiserzählung von Analepsen und analeptische Erzählabschnitte als Basiserzählung von Prolepsen – möglich. Überträgt man Genettes Kategorie der Ordnung auf den illustrierten frühneuzeitlichen Roman, so können dort neben verbalen auch verbal-ikonische oder ikonische Anachronien auftreten. Zum einen können in den Schriftverlauf verbaler Anachronien Illustrationen eingebettet sein, die sich auf ein Ereignis der umliegenden anachronischen Passage des Sprachtexts beziehen – in diesem Fall schlage ich vor, von verbal-ikonischen Anachronien zu sprechen. Zum anderen können sich, wenn man die Illustration als in den Schriftverlauf montierte ikonische Erweiterung des Sprachtexts auffasst, auch rein ikonische Anachronien ergeben, und zwar immer dann, wenn eine Illustration an der Stelle ihrer Eingliederung in den Text ein Ereignis zeigt, das gemäß der Ordnung der Geschichte den Darstellungen des sie umgebenden Sprachtexts (oder Bildtexts – im seltenen Fall mehrerer direkt aufeinander folgender Illustrationen) vorweggenommen ist oder sich auf eine frühere Stelle zurückbezieht. Das im Bildmedium dargestellte Ereignis muss dabei nicht notwendigerweise im Sprachtext enthalten sein. Jedoch muss es im diegetischen Verlauf der Ereignisse einzuordnen sein, damit die Illustration als Bestandteil der Erzählung betrachtet werden kann. So ist beispielsweise Ereignis E in der in Grafik 3 schematisierten Erzählung 4 kein Bestandteil der Spracherzählung. Da jedoch eine Motivation die Ereignisse D und E verknüpft, ist Ereignis E dennoch als Bestandteil der Geschichte aufzufassen.

Abb. 5: Anachronien eines verbal-ikonischen Erzähltextes (Spracherzählung und Bilderzählung sind als ineinander montiert zu denken)

1.3 Dauer Die zweite Relation von Erzählzeit und erzählter Zeit umfasst verschiedene Phänomene, die die Dauer der Zeit der Erzählung in ein Verhältnis mit der der Zeit der Geschichte stellen. Dabei gestaltet jeder Versuch einer konkreten Bestimmung der Dauer der Erzählzeit, die sich in der Dauer der Lektüre des Rezipienten bemisst, als problematisch,

94

Genette (1998), S. 54.

1.3 Dauer

31

da diese im Roman im Gegensatz zu anderen Medien, wie zum Beispiel Film oder Hörspiel, von Fall zu Fall je nach Lesegeschwindigkeit des Rezipienten abweichen kann95. Die Dauer der Erzählzeit lässt sich daher genauer lediglich im Raummaß – in Zeilenund Seitenlänge bei gleicher Schriftgröße und gleichen Zeichen- und Zeilenabständen – bemessen. Setzt man dieses Raummaß in ein Verhältnis zu der im Zeitmaß gemessenen Dauer der erzählten Zeit – in Sekunden, Minuten, Stunden, Tagen, etc. – dann ergibt sich die Geschwindigkeit der Erzählung96. Im Roman variiert diese Geschwindigkeit im Regelfall ständig. Zwischen den Randphänomenen der Ellipse, in der ein „Nullsegment der Erzählung einer beliebig langen Dauer der Geschichte entspricht“ 97 – d. h. ein Teil der Geschichte ausgelassen wird 98 – und der Pause, wo ein beliebig umfangreiches Segment der Erzählung die Geschichte um keinen noch so winzigen Moment vorantreibt, ergeben sich theoretisch unzählige Abstufungen. Genette beschreibt neben den Extremen der Ellipse und der Pause zwei mittlere Geschwindigkeiten: Zum einen die der Szene, wo oftmals in Form von Dialogen eine „konventionelle Gleichheit 99 von Erzählter Zeit und Erzählzeit“ 100 vorherrscht, und zum anderen die summarische Erzählung, die das gesamte Spektrum der Geschwindigkeit zwischen Szene und Ellipse abdeckt. Der summarischen Erzählung zur Seite stellen möchte ich an dieser Stelle zur Beschreibung des Spektrums zwischen Szene und Pause die dehnende Erzählung 101. Demnach werden alle denkbaren Geschwindigkeiten der Spracherzählung des Romans von den fünf genannten Kategorien – Ellipse, summarische Erzählung, Szene, dehnende Erzählung, Pause – erfasst. Für den Bereich der ikonischen Erzählebene gestaltet sich die Dimension der Dauer scheinbar noch problematischer, da sich die Erzählzeit einer Illustration gänzlich im zeitlichen Bedürfnis des Rezipienten in ihrer Betrachtung zu verweilen bemisst. Illustrationen können zwar je nach Informationsmenge und Komplexität 102, Ästhetik sowie zugleich ihrer Anschlussfähigkeit an die momentane Gedankenwelt des Rezipienten zu einer mehr oder weniger ausführlichen Betrachtung anregen, deren zeitliche Dauer jedoch dürfte noch stärker von Rezipient zu Rezipient variieren als die Lesegeschwindig-

95 96 97 98 99

100 101

102

Vgl. Genette (1998), S. 61. Vgl. Genette (1998), S. 62. Genette (1998), S. 67. An diesen Stellen bilden sich die besagten Leerstellen. Da sich die Sprechgeschwindigkeit der Figuren im Dialog keinesfalls mit der Lesegeschwindigkeit der Rezipienten decken muss, kann an dieser Stelle lediglich von „konventioneller Gleichheit“ gesprochen werden. Vgl. Genette (1998), S. 61 f. Ebd. Bei Martinez/Scheffel als „Dehnung“ bezeichnet und näher ausgeführt, vgl. Martinez/Scheffel (2007), S. 40–44. In der Regel verlängert visuelle Über- oder Unterdetermination die Erzählzeit einer bildlichen Darstellung. Vgl. Sabine Gross: Lese-Zeichen. Kognition, Medium und Materialität im Leseprozess, Darmstadt 22006, S. 107.

32

1. Die intermediale Erzählstruktur

keit. Zudem bietet im Gegensatz zur Spracherzählung auch das Raummaß keine überzeugende Alternative, da eine größere Illustration, die im Vergleich mit einer kleineren über dieselbe Darstellung verbunden mit derselben Anzahl an Details verfügt, keinesfalls zwangsläufig zu einer ausgiebigeren Betrachtung anregen dürfte. Demnach ist eine exakte Bemessung der Erzählzeit einer Illustration nicht möglich. Für die Spezifizierung der Geschwindigkeit der Erzählung stellt dies jedoch nicht die zu befürchtende Hürde dar, wenn die bildhaften Darstellungen den Charakter von spezifischen Momentaufnahmen haben, indem sie einen ganz bestimmten Augenblick der erzählten Zeit in verbildlichter Form einfrieren – z. B. den Sturz einer Figur vom Pferd. Die erzählte Zeit steht während der Betrachtungszeit des Rezipienten still, weshalb die jeweilige Illustration eingebettet in den Verlauf einer schriftlichen Spracherzählung als Pause angesehen werden kann. Aber auch für den Fall, dass eine Illustration einen unspezifischen Moment der Geschichte manifestiert, indem dieser auch in Verbindung mit der Spracherzählung keinem spezifischen Augenblick der Geschichte sondern lediglich einem Zeitraum zugeordnet werden kann, ist es möglich diesbezüglich von einer narrativen Pause zu sprechen. So stellt beispielsweise auch die bildhafte Darstellung des schlafenden Dornröschens (ohne Prinzen) eine Momentaufnahme und damit verbunden eine Pause dar, wobei der Rezipient jedoch nicht weiß, wo genau im Zeitraum des hundertjährigen Schlafs er diese einzuordnen hat. Eine Sonderstellung bezüglich der Bestimmung der mit ihnen verbundenen narrativen Ordnung und Geschwindigkeit nehmen polyszenische Bilddarstellungen ein. Diese integrieren mehrere Ereignisse und damit auch zeitliche Ebenen innerhalb einer räumlichen Darstellung. Indem sie dazu anregen, den Blick von einer Szene zur nächsten schweifen zu lassen, kann die Ordnung und in gewisser Hinsicht auch die Zeitlichkeit der Geschichte nachvollzogen werden. Dabei kann eine Rezeption gemäß der Ordnung der Geschichte durch blicklenkende Bildelemente angelegt sein. So wirken die Blicke von Figuren beispielsweise nicht nur aufmerksamkeitsfokussierend sondern steuern darüber hinaus über ihre Blickrichtungen den Blick des Rezipienten: „Der Blick im Bild repräsentiert den Blick ins Bild, fängt ihn ein und lenkt ihn aus dem frontalen Winkel ab in die Lateralität des Bildes. Die im Bild kompositorisch angelegte Bahn wird vom betrachtenden Blick nachgezogen […]“ 103. Die Ordnung und Zeitlichkeit der Geschichte kann jedoch auch gezielt aufgebrochen werden, indem verschiedene im Bild manifestierte Ereignisse gleichzeitig oder in einer gegen die zeitliche Chronologie der Geschichte verstoßenden Reihenfolge betrachtet werden. Eine Rezeption gegen die Chronologie der Geschichte regt dabei zu Vernetzungen der Ereignisse über die ihnen von der Geschichte auferlegte Ordnung und Zeitlichkeit hinaus an, wodurch unter Umständen weitere Bedeutungsdimensionen erschlossen werden können.

103

Gross (2006), S. 105; vgl. zudem Horst Wenzel: Spiegelungen. Zur Kultur der Visualität im Mittelalter, Berlin 2009, S. 131–133.

1.3 Dauer

33

Abb. 6: Blicklenkung innerhalb der polyszenischen Darstellung der Geschichte Jonas

Zur Verdeutlichung eine auf den Monogrammisten AW zurückgehende 104 polyszenische Holzschnittillustration zum Buch Jona der Leipziger Lutherbibel von 1542105. Die Bilddarstellung zeigt sechs Ereignisse aus der Geschichte Jonas: Jona erhält vom Herrn den Auftrag (Ereignis 1: mitte), der Stadt Ninive (oben rechts) ihr Strafgericht anzukündigen; Jona flieht auf ein Schiff, in die entgegengesetzte Richtung (Ereignis 2: mitte links); Jona wird vom Schiff geworfen, von einem Fisch verschluckt (Ereignis 3: unten links) und am Ufer wieder ausgespuckt (Ereignis 4: unten rechts); Jona erhält seinen Auftrag erneut (Ereignis 5: mitte rechts); Jona sitzt unter der verdorrten Rizinusstaude, die Sonne brennt auf sein Haupt, während er mit dem Herrn spricht (Ereignis 6: oben mitte).

104

105

Vgl. Stefan Strohm: Die Bibelsammlung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Abt. 2. Bd. 1: Deutsche Bibeldrucke 1466–1600, Stuttgart 1987, S. 190. Martin Luther (Übers.): Bibel, Leipzig: Nikolaus Wolrab 1542, 2° insgesamt 844 Blatt.

34

1. Die intermediale Erzählstruktur

Von der Bildmitte ausgehend wird der Blick zunächst durch die Körperposition Jonas und daraufhin durch die Blickrichtung einer Figur auf dem Schiff sowie die Richtung, in der Jona ins Meer geworfen wird, gelenkt. Schließlich lassen die Bewegungen der Wellen den Blick des Rezipienten von der ersten Darstellung des Fischs hin zur zweiten schwenken, bevor Jona in Richtung Ufer wieder ausgespuckt wird, wo er erneut seinen Auftrag erhält. Jonas Körperhaltung und der Blick des Herren wenden sich nun in Richtung Ninive. Die spitzen Dächer der Stadt zeigen in Richtung der Sonne, deren Strahlen wiederum auf Jona unter der Rizinusstaude treffen. Der Betrachter der Darstellung wird jedoch daneben auch zu Querverbindungen angeregt. Ein Vergleich der Ereignisse 1 und 5, die in etwa auf selber Höhe liegen, eine auffällig ähnliche Figurenkonstellation zeigen und durch Jonas Blickrichtung in der Darstellung von Ereignis 1 und die Linien des Wassers im Fluss zudem optisch verbunden werden, bietet sich an. Der ersten Situation, in der Jona vom Herrn seinen Auftrag erhält, sich diesem aber zu entziehen versucht, wird die zweite, in welcher der geläuterte Prophet seinen Auftrag annimmt, entgegengestellt. Somit weist die bildhafte Darstellung auf den Schluss, dass sich der Prophet seinem Auftrag nicht entziehen kann, hin.

1.4 Frequenz „Ein Ereignis kann nicht nur eintreten, es kann erneut oder wiederholt eintreten“106. Von einem gewissen Abstraktionsgrad aus betrachtet, können sich Ereignisse sowohl auf der Ebene der Geschichte als auch im narrativen Diskurs der Erzählung wiederholen. Die dritte Dimension der Relation von Erzählzeit und erzählter Zeit umfasst demnach das Verhältnis der Anzahl eines Ereignisses im Verlauf der Geschichte zur Anzahl von dessen Manifestationen in der Erzählung. Genette bestimmt diese als narrative Frequenz. Wird etwas, das sich innerhalb einer Geschichte n-mal zuträgt – z. B. die Sonne geht unter –, auch n-mal erzählt, dann handelt es sich gemäß Genettes Terminologie um eine singulative Erzählung107. Liegt der Wiederkehr eines Ereignisses auf der Ebene der Erzählung jedoch keine Wiederholung auf der Ebene der Geschichte zugrunde, dann spricht Genette von einer repetitiven Erzählung108. Werden hingegen mehrere sich innerhalb der Geschichte wiederholende Ereignisse in der Erzählung zusammengefasst, liegt eine iterative Erzählung vor 109. Ein Beispiel: „Im Sommer 2010 trank Peter jeden Morgen eine halbe Stunde Kaffee.“ Iterative Erzählungen können dabei nach ihrer Determination, Spezifikation und Extension weiter bestimmt werden. Die Determination einer iterativen Erzählung gibt den Anfang und das Ende der in ihr enthaltenen Ereignisse an.

106 107 108 109

Vgl. Genette (1998), S. 81. Vgl. Genette (1998), S. 82. Vgl. Genette (1998), S. 83. Ebd.

1.4 Frequenz

35

Im obigen Beispiel sind dies der erste und der letzte Morgen im Sommer 2010. Die Determination kann auch unbestimmt bleiben110. Die Spezifikation hingegen umfasst die „Frequenz im eigentlichen Sinne“ 111. Sie gibt je nach Grad der Bestimmtheit exakt oder nur vage an, in welchen Abständen sich die in einer iterativen Erzählung subsumierten Ereignisse wiederholen. Die Spezifikation wird im obigen Beispiel durch das temporale Adverbiale „jeden Morgen“ bestimmt. Zuletzt umfasst die Extension einer iterativen Erzählung die Dauer je Ereignis – so im obigen Beispiel „eine halbe Stunde“. Umfassen die Ereignisse jeweils lediglich einen Augenblick – wie beispielsweise in „täglich um acht wachte er auf“ – spricht Genette von „punktuellen Iterationen“ 112. Die ikonischen Bestandteile der Erzählung in illustrierten Formen des Romans können ausschließlich in Verbindung mit verbalen iterativen Erzählungen iterativen Charakter annehmen, da Bilder allein nicht in der Lage sind, eigenständige iterative Erzählungen auszudrücken. So kann etwa eine Illustration, die einen Jäger beim Kampf mit einem Bären zeigt, nur wenn sie sich auf einen iterativen Sprachtext – z. B. dreimal erledigte der Jäger einen Bären – bezieht, Teil einer iterativen Erzählung werden. In diesem Fall verdeutlicht der Sprachtext, dass die Illustration auf mehrere Ereignisse bezogen werden kann – so im obigen Beispiel den ersten, zweiten und dritten Kampf des Jägers gegen einen Bären. Demnach liegt eine verbal-ikonische iterative Erzählung vor. Von besonderem Interesse bezüglich der narrativen Frequenz in illustrierten Romanen können Bildwiederholungen sein. Diese, welche insbesondere im frühneuzeitlichen illustrierten Roman als Folge der Mehrfachverwendung von Druckstöcken häufig vorzufinden sind, können selbstständig ohne Bezug auf den sie umgebenden Sprachtext oder im Zusammenspiel mit ihm entweder singulativen oder repetitiven Charakter innehaben. Demnach ergeben sich vier Varianten: a) Die Illustration ist auf eine in der Geschichte aber nicht in der Spracherzählung, in die die Illustration eigebettet ist, enthaltene Wiederholung eines Ereignisses bezogen: Eine ikonische singulative Erzählung liegt vor. b) Die Illustration bezieht sich auf eine sowohl in der Geschichte als auch in der die Illustration umgebenden Spracherzählung enthaltene Wiederholung: Hierbei handelt es sich um eine verbal-ikonische singulative Erzählung. c) Die Illustration beinhaltet eine nicht von der Geschichte jedoch von der Spracherzählung umfasste Wiederholung: An dieser Stelle ist die Erzählung verbal-ikonisch repetitiv gestaltet. d) Die Wiederholung eines Ereignisses erfolgt ausschließlich im Rahmen einer Illustration: Demnach liegt dort eine ikonische repetitive Erzählung vor.

110 111 112

Vgl. Genette (1998), S. 91. Genette (1998), S. 92. Ebd.

36

1. Die intermediale Erzählstruktur

Im Fall rein ikonischer Wiederholungen von Ereignissen ist es dabei oftmals schwierig zu entscheiden, ob das im ikonischen Erzählmedium wiederholte Ereignis auch innerhalb der Geschichte wiederholt wird, oder nicht, weshalb Bildwiederholungen zum Teil weder eindeutig als ikonisch singulative noch als ikonisch repetitive Erzählungen klassifiziert werden können. Während der Sprachtext nämlich die Verortung eines Ereignisses in der zeitlich chronologischen Abfolge des Geschehens durch temporale Adverbialbestimmungen deutlich machen kann, fehlen dem ikonischen Medium diesbezüglich adäquate Ausdrucksmöglichkeiten, auch wenn sich Ereignisse in einer bildhaften Darstellung z. B. über den Stand der Sonne im Tageszyklus oder über jahreszeitenspezifische Witterungsbedingungen im Jahreszyklus vage verorten lassen. Konkretere Angaben sind allemal mit Hilfe in die Bildkomposition integrierter symbolischer Zeichen wie z. B. eine Uhr mit Jahres- und Datumsanzeige denkbar.

Abb. 7: Narrative Frequenz eines verbal-ikonischen Erzähltextes (Spracherzählung und Bilderzählung sind als ineinander montiert zu denken)

1.5 Modus Der narrative Modus beschreibt die Regulierung der narrativen Information. So kann die Geschichte dem Rezipienten zum einen mehr oder weniger mittelbar und zum anderen aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt werden. Die in der Erzählung aufgebaute Distanz zur Geschichte, d. h. deren Grad an Mittelbarkeit, bildet dabei gemäß Genette die erste Kategorie des narrativen Modus113. Dabei wird zwischen der narrativen Distanz innerhalb der Wiedergabe von Ereignissen und der Wiedergabe von Worten unterschieden. Im ersteren Bereich können mehrere Komponenten, die nicht alle allein den narrativen Aspekt des Modus betreffen, ein narratives Verfahren der Erzeugung von Unmittelbarkeit bilden. Hierbei stellt die „Ausschaltung des Erzählers“114, worunter man ein Unterlassen jeglicher Erzählerpassagen (eines außerdiegetischen Erzählers) verstehen darf, die erste Komponente dar. Diese verweist auf Genettes Kategorie der Stimme,

113 114

Vgl. Genette (1998), S. 115. Genette (1998), S. 222.

1.5 Modus

37

während die zweite Komponente in direkter Korrelation mit der narrativen Geschwindigkeit steht. So kann auch eine niedrige narrative Geschwindigkeit, die viel Raum zur Darstellung von Details bereithält, die Erzeugung von Unmittelbarkeit fördern. Dies geschieht insbesondere dann – und damit sind wir bei Genettes dritter Komponente angelangt –, wenn Details den Eindruck funktionaler Überflüssigkeit erwecken. Die funktionale Überflüssigkeit schlägt sich dabei im Fehlen der pragmatischen Funktion, d. h. dem Bezug auf die von der Handlung umfasste, durch Motivation verknüpfte Ereigniskette, nieder. An deren Stelle tritt eine andere Funktion, die als „Wirklichkeitseffekt“ umschrieben werden kann115. Am anderen Ende einer gedachten Skala der narrativen Distanz steht dementsprechend ein Erzählverfahren, das von zahlreichen ausgiebigen Erzählerpassagen, einem Minimum an Detailreichtum und vor allem ausschließlich der Wiedergabe pragmatisch funktionaler Elemente geprägt ist. Die zweite und dritte Komponente der Erzeugung von Unmittelbarkeit (oder Mittelbarkeit) können direkt auf die ikonischen Bereiche illustrierter Romanformen übertragen werden. So tragen auch detailreiche, über die Kette der motivierten Ereignisse selbst weit hinausgehende bildliche Darstellungen innerhalb der Erzählung zur Erzeugung von Unmittelbarkeit bei, indem sie beim Rezipienten den Eindruck einer ungefilterten Bilddarstellung der erzählten Welt erwecken. Hingegen betont die Reduktion einer Bildszene auf tragende Elemente der Handlung den Selektionsprozess hinter der Beschränkung auf die pragmatisch funktionalen Elemente und damit die Filterung der visuellen Eindrücke durch den Blick des Beobachters. Außerdem spielt die Distanz im eigentlichen Sinne, nämlich die des Beobachterpunkts zum Bildgeschehen, eine Rolle. Darstellungen des Geschehens aus der Ferne wirken dabei weniger unmittelbar als solche aus der Nähe, die beim Rezipienten den Eindruck direkter Teilhabe entstehen lassen können. Medienbedingt gestaltet es sich hingegen problematisch, eine Entsprechung zur ersten Komponente, dem Hervortreten des Erzählers in eigenen Erzählpassagen wie Kommentierungen, Reflexionen, Erläuterungen, etc., auf ikonischer Erzählebene zu finden, da der Beobachter selbst bis auf ganz wenige Ausnahmen – eine habe ich im Rahmen der Erläuterung der Ebene der Narration in 1.1 vorgestellt – im Bildmedium nicht dargestellt wird. Jedoch zeigt sich abgesehen von polyszenischen und rein theoretisch auch von multiperspektivischen Darstellungen die Beobachterperspektive im Rahmen einer Illustration auf die visuelle Wahrnehmung aus einer bestimmten Position – der des Beobachters – beschränkt. Diese ist in Form des Beobachterpunkts zugänglich. Dieser Blickpunkt des impliziten Beobachters kann unabhängig von der konkreten Distanz in Form der Vogelperspektive über dem Geschehen liegen oder auch sich auf Augenhöhe der Figuren befinden. Ebenfalls denkbar ist darüber hinaus eine Beobachtung aus der Forscherperspektive. Im Fall der vergleichsweise weniger mittelbar wirkenden Position

115

Genette bezieht sich dabei auf Roland Barthes, Charles Dickens und Michael Riffaterre. Siehe Genette (1998), S. 222 f.

38

1. Die intermediale Erzählstruktur

Abb. 8: Blickpunkt auf figürlicher Augenhöhe

Abb. 9: Blickpunkt oberhalb der figürlichen Augenhöhe

des Beobachtungspunkts auf Augenhöhe der diegetischen Figuren kann das Blickfeld des impliziten Beobachters sogar dem einer beobachteten diegetischen Figur angenähert werden. So liegt der Beobachterpunkt der ersten Textillustration der Nürnberger Ausgabe des Goldfadens von 1663116 beispielsweise recht nahe am Blickpunkt der Figur des Hirten Erich – leicht seitlich, etwas dahinter. Im Unterschied dazu befindet sich der Beobachterpunkt in anderen Illustrationen derselben Ausgabe, die einem älteren „Melusinen“-Illustrationszyklus entstammen, über dem der einzelnen Figuren und eröffnet auf diese Weise eine von deren Blickfeld sehr differente Perspektive auf das Geschehen. Bezüglich der narrativen Distanz innerhalb der Wiedergabe von gesprochenen oder gedachten Worten umfasst die Skala der Mittelbarkeit Formen der erzählten Rede, der transportierten Rede und der zitierten Rede117. Dabei erzeugen die Formen der erzählten Rede die größte Distanz, wobei sie die Figurenrede reduziert wiedergeben, indem ein sprachlicher Akt entweder lediglich erwähnt oder in Form eines Gesprächs- oder Gedankenberichts wiedergegeben wird. Die transportierte Rede umfasst die indirekte und die erlebte Rede. Beide Formen sind zwar prinzipiell im Stande die Figurenreden unverkürzt wiederzugeben, dennoch fehlt ihnen der Charakter der Wörtlichkeit. Zudem schlägt sich die Anwesenheit des Erzählers bereits auf syntaktischer Ebene nieder118. Die zitierte Rede umfasst die unmittelbarsten Wiedergabeformen figürlicher Gespräche und Gedanken. Während eine Vermittlung durch den Erzähler in der direkten Rede und im Gedankenzitat noch gegeben ist, entfällt sie in deren autonomen (uneingeleiteten) Varianten. Zur Exemplifikation dienen die Beispiele in Abbildung 10. 116

117 118

Vgl. Jörg Wickram: Goldfaden, Nürnberg: Michael und Johann Friedrich Endter 1663, 8° 135 Blatt. In dieser Unterscheidung beziehe ich mich auf Martinez/Scheffel (2007), S. 51–63. Vgl. Genette (1998), S. 122.

1.5 Modus

39

Abb. 10: Narrative Distanz in der Wiedergabe von Worten

Ein Charakteristikum der Erzähltheorie Genettes für den Bereich der narrativen Perspektive bildet die strikte Trennung der Fragen „Welche Figur liefert den Blickwinkel, der für die narrative Perspektive maßgebend ist?“ und „Wer ist der Erzähler?“119, bzw. kürzer: Wer nimmt wahr? und Wer spricht? Während die letztere Frage im Bereich der Stimme zu verorten ist, stellt die erstere einen weiteren Aspekt des narrativen Modus dar. Dieser wird bei Genette unter der Bezeichnung Fokalisierung behandelt, um auf einen nicht so sehr im Visuellen allein verhafteten Begriff wie etwa Sicht zurückzugreifen. Die Fokalisierung beschreibt die Einschränkungen der Wahrnehmungen, auf die der Erzähler zurückgreift. Genette bestimmt drei Grundtypen der Fokalisierung120. Den ersten bildet die Nullvokalisierung. Diese erlaubt dem Erzähler uneingeschränkten Zugriff auf das Geschehen und die Wahrnehmungsvermögen aller Figuren der Geschichte – eine Art Übersicht. Im Fall von interner Fokalisierung hingegen ist er auf Mitsicht, die Wahrnehmungen einer oder mehrerer bestimmter Figuren, beschränkt. Die interne Fokalisierung kann dabei fest, variabel oder multipel angelegt sein. Feste interne Fokalisierung verharrt auf den Wahrnehmungen einer spezifischen Figur, wogegen die variable interne Fokalisierung die wahrnehmende Figur wechselt. Wo derartige Wechsel der wahrnehmenden

119 120

Genette (1998), S. 132. Vgl. Genette (1998), S. 133–138.

40

1. Die intermediale Erzählstruktur

Abb. 11: Interne Fokalisierung in der Bilderzählung von Jakobs Traum von der Himmelsleiter

Figuren sehr schnell, d. h. in sehr kurzen Intervallen erfolgen, spricht Genette von multipler interner Fokalisierung. Um im Fall mehrerer wahrnehmender Figuren dennoch eindeutig von einer Form interner Fokalisierung ausgehen zu können, sollte die Anzahl der Figuren, auf deren Wahrnehmungen zurückgegriffen werden kann, auf eine deutlich als solche erkennbare Teilmenge aller Figuren der Geschichte begrenzt bleiben. Ansonsten fließen die Grenzen zwischen interner Fokalisierung und Nullfokalisierung, wenn nicht Erzählpassagen, die „ihren ,Fokus‘ […] an einem so unbestimmten oder fernen Ort“ haben, „dass er unmöglich der einer Figur sein kann“121, die Fokalisierungsform als Nullfokalisierung vereindeutigen. Den dritten Grundtyp der Fokalisierung bildet die externe Fokalisierung. Sie erlaubt dem Erzähler lediglich eine Außensicht auf das Geschehen. Demnach hat er keinerlei Einblick in die figürlichen Gedanken- und Gefühlswelten. Genette beschreibt darüber hinaus polymodale Mischformen der drei Grundtypen von Fokalisierung, welche paraleptisch gegen die Erzähllogik verstoßen122. Auf der ikonischen Erzählebene des frühneuzeitlichen illustrierten Romans herrscht im Fall realistischer Bilddarstellungen, die an der visuellen Beobachtung orientiert keine figürlichen Gedanken- und Gefühlswelten wiedergeben, in der Regel Außensicht, d. h. externe Fokalisierung vor. Ausnahmen bilden dabei bildliche Darstellungen von Räumen und Figuren, welche im Kontext der Spracherzählung eindeutig der Gedankenwelt einer diegetischen Figur angehören – z. B. ein ausschließlich von einer diegetischen Figur geträumtes Ereignis. Eine weitere Ausnahme bilden unrealistische Bildelemente, welche der Darstellung diegetischer Figuren Darstellungen aus deren Gedankenwelt beiordnen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Holzschnittillustration Jost Ammans in der 121 122

Genette (1998), S. 241. Vgl. Genette (1998), S. 147–149.

1.6 Stimme

41

sogenannten Feyerabend-Bibel123 den träumenden Jakob sowie dessen Traum von der Himmelsleiter zugleich darstellt. Je nachdem, ob die Bilderzählung in derartigen Fällen lediglich die Gedankenwelt einer einzigen, mehrerer oder aller diegetischer Figuren auf diese Weise zugänglich macht, ergibt sich daraus eine feste interne Fokalisierung, eine variable, bzw. bei schnellen Wechseln multiple interne Fokalisierung oder eine Nullfokalisierung.

1.6 Stimme Die Stimme umfasst Aspekte des Erzählens, die die Beschaffenheit der Narration und deren Relation zur Geschichte beleuchten. Dabei können drei Dimensionen der Stimme unterschieden werden: Zeit der Narration, Ort der Narration und Person der Narration. Die Zeit der Narration umfasst dabei das zeitliche Bezugsverhältnis von narrativem Akt und Geschichte. Dieses wird innerhalb der verbalen Erzählung bereits fundamental durch die gewählte Zeitform – Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft – bestimmt, wobei die Vergangenheitsform die bei weitem häufigste darstellt. Entweder wird es bei dieser grundlegenden Festlegung der Zeit der Narration durch das Tempus belassen oder sie wird durch temporale Adverbialbestimmungen weiter konkretisiert. Genette ergänzt die Unterscheidung von späterer, gleichzeitiger und früherer Narration um die eingeschobene Narration, die auf eine insbesondere in Briefromanen häufig angewandte Praxis des Einschubs gleichzeitiger Passagen in eine ansonsten spätere Narration zurückzuführen ist124. Diese führt dort teilweise zum Verschwimmen der Grenzen zwischen einem auf seine Vergangenheit zurückblickenden erzählenden Ich und einem simultan berichtenden und erlebenden Ich125. Der implizite Beobachter der ikonischen Erzählebene in illustrierten Formen des Romans hingegen kann aufgrund der zeichenspezifischen Ausdrucksmöglichkeiten des Bildes in der Regel weder zurück in die Vergangenheit – unter der Ausnahme, dass sein Blick auf eine Ahnengalerie oder ähnliches fällt – noch in die Zukunft blicken. Sein Blick verläuft üblicherweise zeitlich simultan zu dem, was er beobachtet, es sei denn er wird vom Text expliziert und seine Beobachtung als Flashback oder Zukunftsvision klassifiziert. Demnach handelt es sich im Regelfall auch bei Textillustrationen, welche Ereignisse der Geschichte manifestieren, gewissermaßen um eine Form der gleichzeitigen Narration, die in eine verbale meist spätere Narration eingeschoben wird.

123

124 125

Frankfurter Ausgaben der Lutherbibel, verlegt von Sigmund Feyerabend, 1564 bis 1583. Vgl. VD16. Vgl. Genette (1998), S. 154 f. Martinez/Scheffel erläutern dieses Phänomen detailliert anhand eines Briefs aus Goethes Werther. Vgl. Martinez/Scheffel (2007), S. 73 f.

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1. Die intermediale Erzählstruktur

Die zweite Dimension der Stimme bestimmt den narrativen Ort, an dem sich ein narrativer Akt vollzieht, bzw. seine Relation zum Ort der Geschichte. Wie bereits in 1.1 ausgeführt wurde, findet die Narration der Geschichte außerhalb der Geschichte selbst statt. Daher kann sie als extradiegetisch bezeichnet werden. Gleichzeitige Narrationen in Verbindung mit einem Erzähler, der einen Teil der von ihm erzählten Geschichte bildet – auf die Frage nach der Beteiligung des Erzählers am durch ihn vermittelten Geschehen komme ich noch zu sprechen –, stellen einen diesbezüglichen Ausnahmefall dar. Der Ort an sich, an dem sich ein extradiegetischer narrativer Akt vollzieht, wird dabei nur selten spezifiziert126. Fungieren jedoch Figuren der Geschichte innerhalb der Geschichte als Erzähler einer Binnengeschichte, entsteht eine intradiegetische Binnennarration. Dies wurde bereits in 1.1 thematisiert. Bei mehrfach gerahmten Erzählungen bildet die jeweils zweitäußerste Ebene, auch wenn sie eine vergleichsweise wenig umfangreiche Rahmenhandlung umfasst, die Ebene der Geschichte127. So ist beispielsweise in Boccaccios „Il Decamerone“128 das Geschehen um die drei Männer und sieben Frauen, welche in einem Landhaus in den Hügeln vor Florenz Zuflucht vor der Pest suchen und sich dabei 10 Tage lang Geschichten erzählen, als Geschichte aufzufassen und deren Erzählungen, die wesentlich umfangreichere Handlungen beinhalten, als Binnenerzählungen. Die Geschichte von den drei Männern und sieben Frauen wird demnach extradiegetisch, deren Geschichten intradiegetisch erzählt. In mehrfach gerahmten Erzählungen ergeben sich teilweise Binnengeschichten zweiten und dritten Grades. Während sich die Binnennarration ersten Grades auf der intradiegetischen Ebene vollzieht, wäre die Binnennarration zweiten Grades auf einer „intra-intradiegetischen“129 und die dritten Grades entsprechend auf einer „intra-intra-intradiegetischen“ Ebene zu verorten. Überschreitungen von extradiegetischer und intradiegetischer oder intradiegetischer und „intra-intradiegetischer“, usw. stellen Verstöße gegen die Erzähllogik dar. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein extradiegetischer Erzähler einen Dialog mit einer intradiegetischen Figur führt. So stellt „jedes Eindringen des extradiegetischen Erzählers oder narrativen Adressaten ins diegetische Universum“130 eine Transgression dar, die als narrative Metalepse bezeichnet wird. Ikonische Bestandteile einer Erzählung können sich sowohl auf die verbale Rahmenerzählung als auch auf verbale Binnenerzählungen beziehen. Wie in 1.1 ausgeführt wurde, sind sie rein theoretisch auch in der Lage, eigenständige Binnennarrationen auszubilden. Sie können in Verbindung mit der Spracherzählung zudem narrative Metalepsen erzeugen, indem sie Bestandteile der dort erzähllogisch getrennten Ebenen

126 127 128 129

130

Vgl. Genette (1998), S. 154. Vgl. Martinez/Scheffel (2007), S. 75 f. Giovanni Boccaccio: Il Decamerone. Hrsg. von V. Branca, Turin 1980. Genette bezeichnet diese Ebene als „metadiegetisch“, verweist dabei jedoch selbst auf die missverständliche Verwendung des Praefixes „meta“. Vgl. Genette (1998), S. 163. Genette (1998), S. 168.

1.6 Stimme

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vermischen, z. B. den als solchen klar identifizierbaren extradiegetischen Erzähler innerhalb des diegetischen Geschehens zeigen. Der implizite Beobachter hingegen befindet sich gewissermaßen der Natur der visuellen Beobachtung gemäß auf intradiegetischer – bzw. „intra-intradiegetischer“ usw. – Ebene. Auch wenn der implizite Beobachter das Geschehen aus der Vogelperspektive betrachtet, hält er sich dennoch innerhalb der diegetischen Welt auf. Ausgenommen sind dabei rein theoretisch implizite Beobachter, die auf der verbalen Erzählebene als extradiegetische Figuren expliziert werden und deren Wahrnehmung der Status einer nicht visuellen, Ebenen überschreitenden Vision zukommt. Die dritte Dimension der Stimme, die Person der Narration, bestimmt das Maß, in dem Erzähler und auch narrativer Adressat im Text als Figur expliziert werden und inwieweit sie am diegetischen Geschehen beteiligt sind. Ein extradiegetischer Erzähler, der selbst nicht am Geschehen der Geschichte beteiligt ist, kann verdeckt bleiben, indem er ausschließlich der Funktion, den narrativen Akt zu produzieren, nachkommt. Auch extradiegetische narrative Adressaten können vage Implikationen darstellen oder durch direkte Ansprachen des Erzählers oder Erläuterungen über seinen Adressaten expliziert werden131. Intradiegetische Erzähler und Adressaten hingegen müssen per Definition explizit sein, da sie Figuren der Geschichte darstellen. Erzähler können dabei über ihre Rolle des sprachlichen Vermittlers der Geschichte einer Erzählung oder Binnenerzählung hinaus als Reflektor und Kommentator des Geschehens angelegt sein. In solchen Fällen werden auch extradiegetische Erzähler als Figur expliziert. Diese Erzählerfigur tritt häufig in Form eines „Ichs“ zutage132. Die Sichtweise des Erzählers kann unter Umständen als eine eingeschränkte oder verzerrte gestaltet sein. Dieser Eindruck kann unter anderem entstehen, wenn in reflektierenden, kommentierenden oder wertenden Erzählerpassagen der Eindruck erweckt wird, dass der Erzähler der Geschichte nicht gerecht wird oder eine Geschichte in ihrer vermittelten Form inkohärent wirkt. In diesem Fall entpuppt sich dieser basierend auf der Differenzierung zum impliziten Autor möglicherweise als naiv, hinterhältig, berauscht oder als obsessiven Ideen verfallen. In diesem Fall wird er als unzuverlässiger Erzähler bezeichnet133. Es liegt dementsprechend über eine eventuell gegebene Einschränkung durch die modale Dimension der Fokalisierung hinaus ein mentales Defizit in der Figur des Erzählers vor, welches dazu führt, dass die dem Erzähler zur Verfügung stehenden Wahrnehmungen verzerrt, verfälscht oder unvollständig an den narrativen Adressaten vermittelt werden. Auch der implizite Beobachter der ikonischen Erzählebene kann rein theoretisch den Charakter der Unzuverlässigkeit annehmen. Dies wäre z. B. der Fall, wenn die Bilddarstellung unscharf ist oder die gedoppelte Perspektive eines Betrunkenen zeigt.

131 132 133

Vgl. Wolf Schmid: Elemente der Narratologie, Berlin/New York 2005, S. 103–107. Vgl. Fludernik (2008), S. 37. Vgl. Fludernik (2008), S. 38 f.

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1. Die intermediale Erzählstruktur

Unabhängig davon, in welchem Ausmaß Erzähler verdeckt bleiben oder als Figuren hervortreten, ob sie auf der extradiegetischen oder intradiegetischen Ebene zu verorten sind oder wie es um ihre Zuverlässigkeit bestimmt ist, können sie in unterschiedlichem Maß an der von ihnen vermittelten Geschichte beteiligt sein. Gemäß der von Genette vorgeschlagenen Terminologie sind an der durch sie vermittelten Geschichte unbeteiligte Erzähler als heterodiegetisch und solche, die einen Bestandteil ihrer Geschichte darstellen, als homodiegetisch zu bezeichnen134. Weiter können homodiegetische Erzähler dabei in unterschiedlichem Maß an der Geschichte beteiligt sein. Sie stellen gemäß einer Unterteilung von Susan Sniader Lanser unbeteiligte Beobachter, beteiligte Beobachter, Nebenfigur, Hauptfigur oder alleinige Protagonisten des von ihnen erzählten Geschehens dar135. Genette weist diesbezüglich darauf hin, dass die erste Variante des bloßen Zuschauers und letzte des alleinigen Protagonisten am gebräuchlichsten sind. Die letztere, die gewissermaßen „den höchsten Grad des Homodiegetischen“136 umfasst, bezeichnet er als autodiegetisch. Die impliziten Beobachter der Bilderzählung sind demnach der Natur ihrer visuellen Beobachtung gemäß nicht allein als intradiegetisch sondern zugleich als homodiegetisch anzusehen. Dabei sind wiederum implizite Beobachter, deren Wahrnehmung nicht visuell erfolgt, ausgenommen. Weiter können die impliziten Beobachter der ikonischen Erzählebene jedoch an der diegetischen Handlung unbeteiligt sein oder im Kontext der Spracherzählung als diegetische Handlungsträger erkennbar werden. Während es sich im ersteren üblichen Fall um unbeteiligte implizite Beobachter handelt, ist das bildlich dargestellte Blickfeld im letzteren Fall erzähllogisch dem einer diegetischen Figur der Handlung zugeordnet, weshalb von einem beteiligten impliziten Beobachter auszugehen ist. Ein beteiligter impliziter Beobachter ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn ein diegetischer Handlungsträger gemäß der Spracherzählung eine Szene, etwa die Übergabe eines Objekts, beobachtet, und eine Illustration die sprachlich als Beobachtung vermittelte Szene, ohne den Beobachter selbst darzustellen, aus einem erzähllogisch möglichen Blickwinkel desselben wiedergibt – also beispielsweise mit einem Betrachterpunkt auf Augenhöhe der beobachteten Figuren und nicht aus der Vogelperspektive, wenn der Beobachter gemäß der Spracherzählung seine Beobachtung nicht aus einer erhöhten Position, z. B. von einem Felsen herab, trifft. Die Differenzierungen extradiegetisch und intradiegetisch, heterodiegetisch und homodiegetisch stellen im Prinzip gemäß Genette sowohl voneinander als auch von der Fokalisierung unabhängige Parameter dar. Demnach lassen sie sich theoretisch beliebig kombinieren. Dabei sind jedoch zwei Kombinationen auf ihre Realisierbarkeit hin zu

134 135

136

Vgl. Genette (1998), S. 175. Vgl. Susan Sniader Lanser: The Narrative Act. Point of View in Prose Fiction, Princeton 1981, S. 160; Martinez/Scheffel (2007), S. 81 f. Genette (1998), S. 176.

1.6 Stimme

45

Abb. 12: Kombination von Parametern der Stimme und der Fokalisierung

überprüfen. So stellt sich die Frage, ob sich ein homodiegetischer Erzähler mit Nullfokalisierung kombinieren lässt, ohne dabei gegen die Erzähllogik zu verstoßen. Genette spricht im Neuen Diskurs der Erzählung diesbezüglich von einer Präfokalisierung, da er dem homodiegetischen Erzähler zugesteht, dass dieser alle Informationen rechtfertigen muss, die er dem Adressaten „über Szenen gibt, in denen er als Figur nicht anwesend war, oder über die Gedanken anderer, usw.“137.

137

Genette (1998), S. 244.

2. Vier Romane Jörg Wickrams

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2.1 Liebliche und klagliche Geschichten. Zum diegetischen Geschehen Die vier im Fokus der Untersuchung stehenden frühneuzeitlichen illustrierten Romane Jörg Wickrams weisen auf diegetischer Ebene jeweils einen zentralen Handlungsstrang um den oder die Helden der Geschichte sowie mehrere Haupt- und Nebenfiguren auf, der sich in seinem Verlauf mitunter mehrfach unterteilt und am Ende wieder zusammengeführt wird. Diese Entwicklung des diegetischen Geschehens der vier Romane wird im Folgenden anhand der zentralen dynamischen Ereignisse umrissen. Vorweg sollen jeweils die diegetischen Figurenkonstellationen grundlegend erläutert und die wichtigen diegetischen Schauplätze genannt werden.

2.1.1 „Ritter Galmy“ Die Geschichte im „Ritter Galmy“ entfaltet ein Geschehen um den Titelhelden Galmy, einen in Schottland gebürtigen, äußerst begabten Ritter am Hof des Herzogs von Britannien, der sich in dessen Gattin, die Herzogin, verliebt hat. Diese erwidert bald Galmys Gefühle. Gemäß den Beteuerungen des Erzählers und der Figuren handelt es sich dabei um eine keusche Liebe, die an sich nicht im Widerspruch zur Beziehung der Herzogin zu ihrem Gatten steht. Dennoch birgt sie die ständige Gefahr missverstanden zu werden und muss daher unbedingt geheim gehalten werden. Friedrich, der engste Freund und Vertraute Galmys, ist ebenfalls Ritter am Hof des britannischen Herzogs und fungiert auf diegetischer Ebene als Ratgeber, Trostspender und loyaler Unterstützer Galmys am Hof, dessen Stellung und Existenz durch Neider bedroht ist. Dabei bildet die Figur des Ritters Wernhard den Kopf der Missgünstigen. Nachdem Galmy schließlich den Hof zu seinem eigenen Schutz und zu dem der Herzogin verlassen hat, ergibt sich eine neue Figurenkonstellation. Der den sich auf Pilgerfahrt befindlichen Herzog vertretende Marschall wird zur Bedrohung der Herzogin, indem er diese zunächst erfolglos begehrt und ihr daraufhin nach dem Leben trachtet. Der Marschall instrumentalisiert

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2. Vier Romane Jörg Wickrams

einen Küchenjungen für eine Intrige, die den Hof gegen die Herzogin aufbringen und zu deren Hinrichtung führen soll. Auf der Seite der Herzogin stehen hingegen der Graf aus Piccardey, ein angesehenes Mitglied des örtlichen Hochadels, der in Britannien verbliebene Friedrich, der treue Bote Lupoldt und letztlich auch der in Schottland weilende Galmy. Den wichtigsten Schauplatz des Geschehens bildet die britannische Stadt Vannes mit dem herzöglichen Hof sowie dem Turnier- und dem Richtplatz. Nebenschauplätze stellen unter anderem eine Abtei in der Umgebung von Vannes, der Hof des schottischen Königs in Idenburg wie auch der königliche französische Hof dar. Das diegetische Geschehen des illustrierten Romans setzt novellenartig in medias res ein138. Galmy hat sich aus dem höfischen Alltag zurückgezogen, liegt liebeskrank im Bett und wünscht sich den Tod, da er sich in die Gemahlin seines Herrn verliebt hat. Sein Freund Friedrich kann ihm schließlich den Grund seines Leidens entlocken und Galmy von seinem Ansinnen abbringen, indem er ein Gespräch zwischen Galmy und der Herzogin zu arrangieren verspricht. Friedrich trifft die Herzogin im Garten an und kann sie zu einem Krankenbesuch bei Galmy überreden, nachdem er ihr versichert hat, dass Galmy kein unziemliches Vorhaben hege. Das Gespräch zwischen Galmy und der Herzogin verläuft positiv. Galmy gibt dabei seine Gefühle preis und gewinnt ihre Freundschaft, als deren Zeichen er einen Ring erhält. Beflügelt kehrt Galmy ins höfische Leben zurück, während der Ritter Wernhard versucht, die Missgunst der anderen Ritter gegenüber Galmy zu schüren. Der König von Frankreich veranstaltet bald darauf ein Turnier, auf das Galmy den Herzog begleiten darf. Nachdem Galmy auf dem Turnier alle Kämpfe für sich entscheiden kann, erhält er den Preis. Währenddessen unterhält sich die Herzogin mit Friedrich über ihre Verbindung zu Galmy und erzählt von ihrer auf einem Traum basierenden Ahnung, dass dem Ritter in Frankreich großes Leid oder große Freude widerfahren werde. Der Herzog und seine Gefolgschaft kehren zurück nach Vannes, wo der Herzog Galmys Erfolg vor der Hofgesellschaft lobt und damit den Neid auf ihn schürt. Nachdem Friedrich Galmy von den Sorgen der Herzogin um ihn berichtet, schenkt der Ritter seiner Herrin als Liebeszeichen einen auf dem Turnier in Frankreich gewonnen Ring. Die Herzogin bekundet gegenüber Galmy ihre Gefühle – damit du warlich mein hertz gefangen hast (I2v) – und bedauert, diese nicht gefahrlos offen bekunden zu dürfen. Galmys Neider um Wernhard beschließen, den Herzog zur kurzfristigen Veranstaltung eines Turniers zu bewegen, um Galmys Ansehen durch einen Triumph über ihn herabzusetzen. Die Herzogin lässt Galmy unter einem Vorwand einen Brief

138

Der novellistische Einstieg in das Geschehen kann sowohl als Verweis auf die Stoffgeschichte als auch auf novellistische Elemente innerhalb der Erzählweise im „Ritter Galmy“, z. B. die Funktion der Dialoge, aufgefasst werden. Vgl. Walter Haug: Jörg Wickrams „Ritter Galmy“. Die Zähmung des Romans als Ursprung seiner Möglichkeit. In: Traditionswandel und Traditionsverhalten. Hrsg. von Walter Haug und Burghart Wachinger, Tübingen 1991, S. 96–120, dort S. 96–97. Bruchteile der Vorgeschichte werden in externen Analepsen ergänzt. Vgl. Ritter Galmy (1539), C4r–C4v, P3r.

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2.1 Liebliche und klagliche Geschichten. Zum diegetischen Geschehen

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zukommen, in dem sie ihn über das geplante Turnier benachrichtigt, damit Galmy sich in Ruhe darauf vorbereiten kann. Als Reaktion auf Galmys briefliche Zusage lässt die Herzogin Galmy durch Friedrich Geld und edel bestickte Seidenbinden für seine Ausstattung zukommen. Am ersten Turniertag fordert Wernhard Galmy zum Kampf und wird deutlich besiegt. In einem Traum der Herzogin deutet sich ihre Zukunft an. Galmy kann am zweiten Turniertag fünf Gefährten Wernhards und am dritten den Edelmann von Cleff bezwingen, weshalb er erneut zum Turniersieger gekürt und daraufhin vom Herzog zum Truchsess der Herzogin befördert wird. Vergeblich versucht Wernhard seine Gefährten zu einem Mordanschlag auf Galmy zu bewegen. So können Galmy und die Herzogin ein halbes Jahr lang die gemeinsam verbrachte Zeit genießen, bis sich der Ritter beim Vorschneiden den Finger aufritzt, da er seine Augen nicht von seiner geliebten Herrin lassen kann. Die Herzogin erbleicht und fällt in Ohnmacht. Auf Bitten der Herzogin erzählt Galmy, er sei beim Schneiden ungeschickt abgerutscht, was lediglich eine Ermahnung des Herzogs nach sich zieht. Bald darauf erbleichen Galmy und die Herzogin bei einer zufälligen Begegnung im Beisein der Hofgesellschaft. Sie werden dabei von Wernhard bemerkt, der daraufhin Friedrich sein Vorhaben mitteilt, Galmy weiterhin scharf im Auge zu behalten und ihn gegebenenfalls beim Herzog anzuschwärzen. Galmy wird von Friedrich gewarnt, der ihm rät, Britannien zu verlassen. Als Vorwand soll ein fingierter Brief von Galmys Vater aus Schottland dienen. Auch die Herzogin weiß keinen anderen Ausweg und stimmt dem Vorhaben zu. Friedrich nimmt den falschen Brief auf eine Dienstreise nach Lunden mit, wo er auf einen Kaufmann aus Idenburg trifft, der einen echten Brief von Galmys Vater mit sich führt. Die Herzogin bittet Galmy indes, Friedrich als seinen Nachfolger vorzuschlagen und verspricht Galmy zum Herzog zu machen, sollte ihr Gatte ums Leben kommen. Friedrich und der Kaufmann treffen in Vannes ein, und Galmy gelingt es in einem langen Gespräch, vom Herzog die Erlaubnis für seine Abreise nach Schottland zu erhalten. Tränenreich verabschiedet sich Galmy von der Herzogin und reitet nach Lunden, um von dort aus mit dem Schiff nach Schottland zu fahren. Galmy schifft an einem schottischen Hafen ein, kuriert eine Krankheit, die er sich auf der Schiffsreise eingefangen hat, aus und reitet nach Idenburg. Hier trifft er auf seinen Vater und begibt sich vorübergehend in den Dienst des schottischen Königs. Galmy übt sich in Turnieren, erfreut sich am höfischen Leben, vermisst aber die Herzogin und Friedrich. Währenddessen begibt sich der Herzog von Britannien auf eine Pilgerfahrt nach Jerusalem. Er setzt seinen Marschall für die Zeit seiner Abwesenheit als Stellvertreter ein. Dieser versucht bald darauf vergeblich die Herzogin für eine Affäre zu gewinnen. Als diese ihm vorhält, ihre Ehre zu verletzen und mit der Benachrichtigung des Herzogs droht, erkennt der Marschall in ihr eine Gefahr, die er durch eine Intrige aus dem Weg räumen will. Er stattet einen schönen aber törichten Küchenjungen mit viel Geld aus unter der Bedingung, dass er auf Nachfragen nach seinem plötzlichen Reichtum angeben soll, von der Herzogin Geld für nächtliche Dienste zu erhalten. Der Plan des Marschalls geht auf und das Gerücht verbreitet sich unter der Hofgesellschaft. Auch Friedrich erfährt davon und warnt die Herzogin. Der Marschall bringt den Jungen

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2. Vier Romane Jörg Wickrams

durch falsche Versprechungen dazu, bei einer Befragung auf seiner Geschichte zu beharren, weshalb der Junge in den Kerker geworfen wird. Indem ihm der Marschall verspricht, in seinem Beisein dem Henker anzuordnen, ihn nicht herabzustoßen, kann er den Küchenjungen überzeugen, auch am Galgen nicht zu widerrufen. Tatsächlich erhält der Henker jedoch zuvor den Befehl, die im Beisein des Jungen erfolgende Anordnung zu ignorieren. So bleibt der Junge trotz Zusicherung von Straffreiheit im Fall des Widerrufs bei seinen Aussagen und wird erhängt. Das Urteil über die Herzogin wird währenddessen dem Herzog überlassen, die den Marschall inzwischen als Ausgangspunkt der Intrige erkennt. Der Herzog kehrt zurück und lässt seine Gattin, ohne sie anzuhören, in den Kerker werfen, wo sie auf ihre Hinrichtung warten soll. Friedrich leitet ein Gespräch zwischen der Herzogin und dem Grafen von Pickardey in die Wege, bei dem die Herzogin den Grafen von ihrer Unschuld überzeugen kann. Der Graf bittet daraufhin den Herzog im Beisein seiner Räte um einen Gerichtskampf. Er erläutert Anzeichen im Verhalten des Marschalls, die auf eine Intrige hindeuten und bringt sogar schließlich den Henker dazu, auszupacken. Der Herzog steht dennoch zu seinem Marschall, kann aber von seinen Räten zur Zustimmung eines Gerichtskampfs bewegt werden. Der Marschall wird hereingeholt und muss in den Gerichtskampf einwilligen, jedoch kann er im Folgenden dafür sorgen, dass sich am Hof kein Kämpfer für die Herzogin findet. Friedrich gewinnt Lupoldt als zuverlässigen Boten der Herzogin. Diese bittet in einem Brief um Galmys Teilnahme am Gerichtskampf. In einem Traum kündigt sich der Herzogin erneut ihre Zukunft an. Lupoldt erreicht Galmy in Idenburg und muss enttäuscht feststellen, dass dieser nicht mit ihm nach Britannien reisen möchte. Jedoch verfasst Galmy einen Brief an die Herzogin, in dem er sein Erscheinen zum Gerichtskampf vage andeutet: doch sey eüch hyeran nichts abgeschlagen / kumm ich / jr werdent mich sehen (Ff2v). Galmy begibt sich heimlich nach Britannien in eine Abtei in der Umgebung von Vannes. Der dortige Abt, ein Verwandter Galmys, rät ihm, sich als Beichtvater zu tarnen und der Herzogin die letzte Beichte abzunehmen. Gesteht sie ihre Schuld nicht ein, solle Galmy ein Kleinod von ihr verlangen, und inkognito für sie kämpfen. Lupoldt kehrt mit der enttäuschenden Nachricht zurück nach Vannes. Friedrich wird zum Abt gebeten. Galmy bittet Friedrich, ihn nicht zu verraten und ihm seine in Vannes verbliebene Rüstung in die Abtei zu bringen. Galmy zieht seine Rüstung unter die Kutte und erscheint zur geplanten Hinrichtung. Die Herzogin beteuert in der Beichte ihre Unschuld und gibt Galmy einen Ring. Dieser fordert nun zum Erstaunen aller den Marschall zum Kampf und besiegt ihn. Der Herzog erlaubt dem Marschall zu sprechen, der daraufhin geständig um sein Leben bettelt. Der Herzog jedoch überlässt ihn dem unbekannten Beichtvater – Galmy, der den Marschall den Flammen übergibt, bevor er sich unerkannt in die Abtei zurückzieht. Der Herzog bittet die Herzogin um Verzeihung. Diese kann ihm vergeben und bittet zugleich, den Beichtvater suchen zu lassen, da sie ihn belohnen möchte. Ein Bote wird zum Abt geschickt und dort vertröstet. Friedrich reist zur Abtei und verabschiedet sich von Galmy, der zurück nach Schottland reist. Beide verabreden, dass Friedrich ihm, sobald der Herzog oder die Herzogin stirbt, Bericht erstatten soll. Zurück

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2.1 Liebliche und klagliche Geschichten. Zum diegetischen Geschehen

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in Idenburg wundert sich die Hofgesellschaft über Galmys neue Frisur. Galmy jedoch verschweigt den wahren Grund seiner Reise. Währenddessen meint der Herzog, Galmy im Gewand des Beichtvaters erkannt zu haben und wird dabei von der Herzogin bestärkt. Friedrich reitet zum Abt und bittet ihn, dem Herzog seinen Verdacht auszureden. Der Herzog lässt den Abt zu sich kommen und kann davon überzeugt werden, dass es sich bei dem Beichtvater um einen schottischen Abt handelt, der für die Vollstreckung des göttlichen Willens nicht belohnt werden möchte. Friedrich wird dennoch mit Geschenken nach Schottland geschickt, wo er Galmy besucht. Bald darauf stirbt der Herzog. Galmys Verwandter, der Abt, schickt Lupoldt nach Idenburg, um Galmy Bericht zu erstatten. Der sich auf der Rückreise nach Britannien befindende Friedrich trifft auf dem Weg auf Lupoldt und übernimmt seinen Botendienst. Galmy und Friedrich reisen zurück nach Britannien und verweilen zunächst in der Abtei. Dort schreibt Galmy einen Brief an die Herzogin, in dem er sich als ihr Retter zu erkennen gibt, und legt zum Beweis den von ihr als Beichtvater erhaltenen Ring bei. An der Schlosspforte angelangt wird ihm zunächst der Einlass verweigert. So übergibt Galmy dem Pförtner seinen Brief als Nachricht des schottischen Beichtvaters an die Herzogin. Diese unterrichtet als Reaktion auf den Brief die Räte über die wahre Identität ihres Retters und empfängt Galmy herzlich. Sie heiratet ihn und sichert Galmy damit die Herrschaft. Nach einem klärenden Gespräch zeigt sich Galmy als neuer Herzog gegenüber Wernhard und seinen Gefährten versöhnlich. Lupoldt benachrichtigt Galmys Eltern vom Aufstieg ihres Sohnes und bringt sie mit nach Britannien. Friedrich wird zu einem mächtigen Rat erhoben und erhält die schönste und wohlhabendste Jungfrau am Hof als Gemahlin. Der Roman endet in einem Ausblick, der Galmy und der Herzogin noch viele glückliche Jahre bescheidet.

2.1.2 „Gabriotto und Reinhart“ e

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Die Schone vnd doch klagliche History / von dem sorglichen anfang vnd erschrocklichen vßgang / der brinnenden liebe (A1r), die bereits in der Fassung des „Buchs der Liebe“ (1587) unter dem Titel Gabriotto und Reinhart erschien und unter diesem in die Literaturgeschichte eingegangen ist, umfasst die Geschichte der beiden tragischen Titelhelden und ihrer Liebe zu den standeshöheren Damen Philomena und Rosamunda. Gabriotto und Reinhart sind zwei französische Jünglinge am Hof des Königs von England, in dessen Dienst sie sich zusammen mit dem alten Ritter Gernier, Gabriottos Vater, begeben haben. Gabriotto und Reinhart sind engste Freunde und Vertraute. Auch Philomena und deren Hofdame Rosamunda verbindet neben enger Freundschaft intime Vertrautheit. Beim abendlichen Tanz nach einem Turnier haben sie sich in die von Erfolg gekrönten Jünglinge verliebt. Ihre Gefühle stoßen bei Gabriotto und Reinhart auf Erwiderung. Wenngleich Gabriotto und Reinhart zu Rittern erhoben werden, müssen die beiden sich im Verlauf der Handlung entwickelnden Liebesverhältnisse aufgrund des dennoch

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2. Vier Romane Jörg Wickrams

beträchtlichen Standesunterschieds geheim gehalten werden. Dabei ist Laureta, Philomenas Ärztin, den Liebenden behilflich. So sind diese dauerhaft bedroht durch Philomenas Bruder, den englischen König, der weder eine Verbindung Rosamundas, der Tochter eines mächtigen Grafen, noch Philomenas, seiner eigenen Schwester, zu einem Ritter dulden kann. Mehrfach versucht Orwin, ein missgünstiger Neider Reinharts, diesen beim König in Verruf zu bringen. Später fungiert ein Narr zuerst als Spion und daraufhin als erfolgloser Ausführer eines Giftmordanschlags im Auftrag des Königs, dem Gabriotto verdächtig geworden ist. Als loyal gegenüber den jungen Rittern erweisen sich hingegen der Freiherr Eberhart von der Lilien, ein namentlich nicht genannter Bursche, der Reitknecht Gabriottos und letztendlich auch Gernier. Dabei bilden der Hof des englischen Königs in Lunden und seine Umgebung den Hauptschauplatz des Geschehens. Außerdem stellen der französische Hof in Pariß sowie ein französisches Landgut außerhalb der Stadt neben verschiedenen Stationen auf den Schiffsreisen der Protagonisten zwischen Frankreich, England und Portugal Nebenschauplätze dar. Das diegetische Geschehen in „Gabriotto und Reinhart“ setzt damit ein, dass der Ritter Gernier zu unrecht vom französischen König von dessen Hof verstoßen wird. Gernier teilt seinem Sohn Gabriotto die Notwendigkeit der Abreise aus Pariß mit. Gabriottos engster Freund Reinhart, der Waise ist, entschließt sich kurzer Hand mitzukommen. Nachdem sie ihr Hab und Gut verkauft haben und der König Gernier schließlich freies Geleit für die Abreise zugesichert hat, gelangen Gernier, Gabriotto und Reinhart über Portugal, das ihnen wenig zusagt, nach England. Dort werden alle drei in den Dienst des englischen Königs aufgenommen. Da Gabriotto und Reinhart bei einem Turnier überzeugen können, werden sie mit Gernier zum abendlichen Tanz eingeladen. Gernier darf mit der Königin tanzen, Gabriotto mit Philomena, der Schwester des Königs, und Reinhart mit einer Grafentochter, der Hofdame Rosamunda. Philomena und Rosamunda verlieben sich auf der Stelle in ihre attraktiven Tanzpartner. Nachdem Gabriotto sich bei einem Jagdunfall schwer verletzt hat, übermittelt Rosamunda im Auftrag Philomenas Gabriotto heimlich einen Stein mit besonderen Heilkräften, der in einen Ring gefasst ist. Gabriotto zeigt sich tief berührt und verspricht, Philomena auf ewig treu ergeben zu sein. Daraufhin erholt er sich schnell von seinem Unfall, während Philomena gegenüber Rosamunda, die sie vor dem König warnt, ihre nicht standesgemäße Liebe verteidigt. Aber auch Rosamunda muss sich ihre Gefühle gegenüber Reinhart eingestehen. So beobachten Philomena und Rosamunda Gabriotto und Reinhart beim Zeitvertreib auf dem Lustplatz von einem Fenster aus, werfen ihnen verliebte Blicke und schließlich Blumensträuße mit goldenen Bändern zu. Die beiden Jünglinge haben sich inzwischen ebenfalls in ihre Tanzpartnerinnen verliebt. Auch Reinhart warnt Gabriotto vor den möglichen Konsequenzen seiner Gefühle. Doch Gabriotto ist gleichermaßen wie Philomena eher zum Tod als zur Aufgabe seiner Liebe gewillt. Nun gibt auch Reinhart zu, in eine standeshöhere Dame verliebt zu sein. Auf Reinharts Rat hin wirft Gabriotto in einem günstigen Moment Philomena einen Ball, der einen Liebesbrief enthält, zu, verbunden mit der Bitte diesen zu zerschneiden. Philomena ist vom

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Liebesgeständnis Gabriottos zutiefst ergriffen und lässt ihm auf die selbe Art ihre Antwort zukommen. Darin zeigt sie ihm ihre Gefühle an und versichert Gabriotto, ihrer würdig zu sein. Darüber hinaus erkundigt sie sich, ob auch Reinhart in Rosamunda verliebt ist. Reinhart ist darüber hoch erfreut, da er sich nun der Gefühle Rosamundas sicher sein kann. Am Rande eines Ballspiels kommt es zu einem Gespräch zwischen Philomena, Rosamunda und Reinhart, in dem Philomena Reinhart auf Rosamundas Gefühle ihm gegenüber hinweist. Reinhart begibt sich in den Dienst Rosamundas und erhält daraufhin ein Liebesgeständnis von ihr. Um keinen Verdacht zu erregen beendet Rosamunda das Gespräch, indem sie Reinhart verspricht, ihm bald einen Brief zukommen zu lassen. Reinhart erhält Rosamundas Brief in einem Blumenstrauß versteckt. Gabriotto erinnert ihn an die notwendige Geheimhaltung seines Verhältnisses. Orwin, ein verschmähter Verehrer Rosamundas, beobachtet Reinhart und Rosamunda bei einem Spaziergang im Garten, kann jedoch nichts Ungeziemliches erkennen. Dennoch ist er erbost, macht Rosamunda Vorwürfe und richtet schließlich den königlichen Papagei mithilfe von Süßigkeiten darauf ab, Orwin Rosamunda hat dich nit sunder Reinharten lieb (I1r), immer dann wenn Orwin den Raum betritt, zu krächzen. Als der König vom Geschrei des Papageien erfährt, wird er jedoch misstrauisch, berät sich mit dem Pfleger des Vogels und entlarvt Orwin vor der versammelten Hofgesellschaft. Gabriotto und Reinhart werden daraufhin zu Rittern geschlagen, damit sie Orwin zukünftig auf Augenhöhe begegnen können. Philomena bittet Gabriotto und Reinhart bald darauf zu sich und zieht sich mit ihnen und Rosamunda zurück. Es kommt zu Liebesbekundungen der beiden Damen, die in Eheversprechen gipfeln. Auf Verlangen Philomenas wird ihre Ärztin Laureta in die heimlichen Liebschaften eingeweiht. Laureta zeigt sich bereit, die Liebenden zu unterstützen. Indem Philomena eine Krankheit vortäuscht, kann Laureta ein heimliches Treffen arrangieren. Gabriotto und Reinhart beschenken ihre Damen, und die Paare tauschen erneut Liebesschwüre aus. Laureta rät Gabriotto, sich beim König nach oben bis in den Stand eines Grafen zu dienen. Nach mehreren Partien Schach und vielen Gesprächen verschwinden die jungen Ritter unbemerkt. Bei einem Turnier zur Feier der Geburt eines Prinzen schlägt Gabriotto Orwin und erfreut den König durch seine Kampfeskunst. Jedoch erweckt Reinharts Rüst- und Saumzeug, das Rosamunda mehrfach mit einem Rosenmotiv hat ausstatten lassen, das Misstrauen des Königs. Gabriotto gewinnt das Turnier. Als Sieger steht ihm der erste Tanz mit Philomena zu. Außerdem kann er Reinhart Rosamunda als Tanzpartnerin zuteilen, was den Verdacht des Königs zusätzlich bestärkt. Listig versucht der König von Gabriotto etwas über Rosamundas und Reinharts Verhältnis zu erfahren. Doch Gabriotto erkennt das falsche Spiel und streitet alles ab. Da der König nicht restlos befriedigt ist, setzt er seine Ritter auf Rosamunda und Reinhart an. Eberhard von der Lilien empfiehlt diesen jedoch, sollten sie etwas Verdächtiges bemerken, einfach wegzusehen, und warnt Reinhart vor Orwin. Er berichtet ihm zugleich vom Befehl des Königs. Reinhart berät sich daraufhin mit Gabriotto und beschließt, Rosamunda in einem Brief mitzuteilen, weshalb er zunächst auf Distanz zu ihr gehen müsse. Rosamunda erhält den Brief über Lau-

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reta und ist entsetzt. Gabriotto und Reinhart treffen indes auf einen alten Pariser Bekannten, der nun als Zauberer tätig ist und ihnen die Anwendung einer nur im Wasser lesbaren Geheimschrift lehrt. Orwin erwischt wenig später Reinhart in Philomenas Gemach beim Plausch mit den Hofdamen und erstattet dem König Bericht. Der König ermahnt Reinhart und bittet Gernier, dem jungen Mann ins Gewissen zu reden. Gernier kommt der Bitte des Königs nach. Als Reinhart ihm entgegenhält, dass er und Rosamunda sich heimlich die Ehe versprochen hätten, sucht Gernier verzweifelt Rat bei Gabriotto. Sein Kummer mehrt sich, als Gabriotto eingesteht, dass auch er Philomena die Ehe versprochen hätte. Gabriotto sieht einen Ausweg und kann nach langer Überzeugungsarbeit Reinhart dazu bewegen, für eine begrenzte Zeit England gemeinsam in Richtung der alten Heimat zu verlassen, um den Verdacht im Keim zu ersticken. Reinhart benachrichtigt Rosamunda durch einen Brief in Geheimschrift. Diese ist mit dem Verfahren vertraut, wässert das Papier und kann kaum glauben, was Reinhart ihr mitteilt. Philomena lässt Laureta, nachdem sie von Rosamunda alles erfahren hat, ein weiteres Treffen in die Wege leiten. Sie kann schließlich überzeugt werden und drängt daraufhin Rosamunda, auch Reinhart für ein Jahr nach Frankreich ziehen zu lassen. Gabriotto und Reinhart holen beim König die Erlaubnis für ihre Reise ein. Dieser stimmt unter der Bedingung, dass Gernier in England bleibt, zu und verwirft seinen gegen Reinhart und Rosamunda gerichteten Verdacht. Laureta arrangiert ein Abschiedstreffen der Liebenden im Kräutergarten, bei dem Philomena Gabriotto einen Ring schenkt. Gernier stößt dazu, spendet Trost und begleitet die jungen Ritter an den Hafen. Er erklärt sich bereit in der Geheimschrift geschriebene Nachrichten an Philomena und Rosamunda entgegenzunehmen. Gabriotto und Reinhart führen zwei edle englische Hunde als Geschenk für den französischen König mit sich. Bald darauf zerschellt ihr Schiff an den Klippen. Gabriotto und Reinhart können sich, jedoch nicht die Hunde, retten und setzen ihre Reise fort. Die Hunde flüchten sich derweilen auf einen Felsen und werden von einem Handelsschiff aufgenommen. Der Kapitän bringt sie zurück nach Lunden, wo sie zugleich zum Palast laufen. Der König ist äußerst beunruhigt und lässt vergeblich nach Gabriotto und Reinhart suchen. Auch Gernier hört von dem Unglück und benachrichtigt Philomena und Rosamunda, die in tiefste Trauer verfallen. Nachdem sich Gabriotto und Reinhart unter die Edelleute am französischen Hof gemischt haben, begleiten sie einen älteren Ritter auf dessen Landsitz. Reinhart zieht sich dort in ein Rosenfeld zurück. Er ahnt schließlich vom Leid der geliebten Damen in Folge eines Traums. Gabriotto erkundigt sich nach dem Wohlergehen seines Freundes und beide beschließen daraufhin ihre Geliebten durch Briefe von ihrer heilen Ankunft zu benachrichtigen. Reinhart sucht von da an ständig das Rosenfeld auf und assoziiert eine besondere Rose mit Rosamunda. Als diese verblüht, verfällt er in lethargische Schwermut, betrauert Rosamundas Ableben und sehnt sich nach dem Tod. Gabriotto gelingt es jedoch in einem langen Gespräch seinen Freund wieder aufzurichten und von der falschen Assoziation zu befreien. Gernier erhält die Briefe der jungen Ritter und übergibt sie schließlich an Philomena und Rosamunda. Große Erleichterung setzt ein.

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Währenddessen kehren Gabriotto und Reinhart nach Pariß zurück, wo der König Gabriotto mit einer reichen Jungfrau vermählen möchte, in der Hoffnung Gernier auf diesem Wege zurückzugewinnen. Gabriotto jedoch kann von den Dienern des Königs nicht zur Hochzeit bewegt werden. Dennoch kommen er und Reinhart einer Einladung der für Gabriotto auserwählten Dame nach. Dort werden sie von den königlichen Dienern überfallen, welche Gabriotto nun mit Gewalt zur Hochzeit drängen. Die jungen Ritter töten mehrere ihrer Widersacher und flüchten sich auf ein Schiff, das sie zurück nach England bringt. Bald kommt es zum ersehnten Wiedersehen mit Philomena und Rosamunda in Lauretas Kammer. Gabriottos Plan scheint aufgegangen zu sein, bis die alte Königin Philomenas Ring an seinem Finger erkennt und den König darüber in Kenntnis setzt. Der König sieht darin eine Erklärung für die Trauer seiner Schwester während Gabriottos Abwesenheit und engagiert einen jungen schottischen Edelmann, der im Narrenkostüm Gabriottos Vertrauen gewinnen soll. Gabriotto beginnt den vermeintlichen Narren zu mögen und duldet seine Anwesenheit während eines Treffens mit Philomena. Der König wird benachrichtigt und droht daraufhin Gernier mit harten Strafen für seinen Sohn. Dieser warnt Gabriotto, der Philomena in Anwesenheit des Narren einen Brief schreibt. Der falsche Narr leitet den Inhalt an den erzürnten König weiter, der ihm daraufhin den Auftrag erteilt, Gabriotto auf einer Jagd einen vergifteten Apfel anzubieten. Das Gespräch wird jedoch von einem jungen Burschen belauscht. Dieser warnt Gabriotto vor dem Mordkomplott. Gabriotto entschließt sich, England erneut zu verlassen, nachdem er an dem Verräter Rache geübt hat. Er weiht Reinhart in seine Pläne ein und leitet ein Treffen mit Rosamunda und Philomena in die Wege. Philomena ist außer sich vor Kummer und möchte Gabriotto folgen, doch dieser rät ihr davon ab. Er möchte in Portugal auf eine Gelegenheit zur Rückkehr warten. Gabriotto verspricht Philomena, ihr im Fall seines Todes ihren Ring zukommen zu lassen. Philomena verflucht ihre Herkunft und ihren Bruder, bevor sie sich von Gabriotto verabschiedet. Während Gabriottos Knecht dessen Flucht vorbereitet, begibt sich Gabriotto auf die königliche Jagd und erhält dort den Auftrag auf den Narren Acht zu geben. Dieser entfernt sich von der Jagdgesellschaft, damit Gabriotto ihm folgt. Als ihm der vergiftete Apfel angeboten wird, zwingt Gabriotto den vermeintlichen Narren, die Frucht selbst zu verzehren. Der falsche Narr gibt sich daraufhin zu erkennen und bittet im Sterben begriffen um Vergebung. Gabriotto reitet zum Hafen und tritt zusammen mit seinem Knecht die Reise nach Portugal an. Die Leiche des schottischen Edelmanns wird kurz darauf von Dienern des Königs aufgefunden, während Gabriotto auf seiner Reise in tiefe Melancholie verfällt. Er bereut, sich nicht in England in den sicheren Tod begeben zu haben, und weiht seinen Knecht in seinen Kummer ein. Gabriotto erkennt, dass sein Tod naht, und schreibt Abschiedsbriefe an Philomena und seinen Vater. Zum Lohn dafür, den Ring, die Briefe und das Herz Gabriottos zurück nach England zu befördern, vermacht Gabriotto seinem Knecht seine übrige Habe. Er stirbt schließlich in einer portugiesischen Kleinstadt, nachdem er dem dortigen Schlossherrn und einigen Edelleuten seine Leidensgeschichte anvertraut hat. Der Knecht lässt Gabriotto das Herz

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herausschneiden, verstaut es zusammen mit den Briefen und dem Ring in einem Kästchen und begibt sich auf den Rückweg nach Lunden. Philomena hat währenddessen Trauerkleidung angelegt und sich gänzlich aus der höfischen Gesellschaft zurückgezogen. Als sich der König nach ihrem Befinden erkundigt, hält sie ihm den versuchten Mord an Gabriotto vor. Der König erkennt den Ernst der Lage und gibt vor, der Meinung gewesen zu sein, dass Gabriotto ihr gegen ihren Willen nachgestellt habe. Zudem verspricht er, dass Gabriotto, sollte er am Leben sein, zurückkehren darf. In einem Traum Philomenas verabschiedet sich Gabriotto im Totengewand von ihr. In Lunden angelangt versucht der Knecht in Verkleidung seinem Auftrag nachzukommen. Dabei wird er jedoch von den königlichen Dienern enttarnt und vor den König geschleppt. Die Briefe und das Herz überzeugen den König vom Tod Gabriottos. Er ringt Philomena das Versprechen ab, ihre Trauer abzulegen, sollte sie einen Brief von Gabriotto erhalten. Philomena bittet ihren Bruder den Brief von dem Boten, der ihn gebracht hat, selbst zu erhalten. So wird dieser angewiesen Philomena während eines Essens mit ihren Hofdamen das Kästchen zu übergeben. Philomena drückt Gabriottos Herz mehrfach an das ihre und übergießt den Brief mit Tränen. Um ihrem Versprechen nachzukommen, entschließt sie sich fröhlich zu sterben. Sie zieht sich mit Rosamunda und Laureta zurück, dankt diesen für ihre treue Freundschaft und folgt ihrem Geliebten in den Tod. Der König bereut sein Fehlverhalten und gibt sich die Schuld am Tod seiner Schwester. Nichts ahnend vom Ableben seines Freundes erfährt Reinhart von Philomenas Tod und sorgt sich um Gabriotto. Er verfällt ins Fieber und sucht einen Arzt zum Aderlass auf. Danach schleicht er sich in Lauretas Kammer und trifft dort auf Rosamunda und Laureta, welche den Leichnam Philomenas bewachen. Als Reinhart auch vom Tod Gabriottos erfährt, begibt er sich voll Kummer in Rosamundas Schoß. Seine Wunden vom Aderlass beginnen unentwegt zu bluten. Zu spät bemerkt Laureta seinen Blutverlust, und so kann Reinhart Rosamunda nur noch einen letzten verliebten Blick zuwerfen, bevor er in ihren Armen verstirbt. Als Philomena, Reinhart und Gabriottos Herz schließlich bestattet werden sollen, wirft Rosamunda sich heimlich in der königlichen Gruft auf den Leichnam ihres Geliebten und scheidet stillschweigend dahin. Laureta findet sie und zieht durch ihr Geschrei die Aufmerksamkeit der Trauergesellschaft auf sich. Von neuem Kummer und Schuldgefühlen ergriffen ordnet der König die Bestattung aller vier im selben Grab an. Gernier kehrt von einer Reise zurück und erfährt alles. Der König beteuert ihm gegenüber seine Reue und verspricht, ihm die Wertschätzung entgegen zu bringen, die er seinem Sohn schuldig geblieben sei. Auch Rosamundas Eltern erfahren vom Tod ihrer Tochter. Der Graf ist über den Tod seiner Tochter um so mehr bestürzt, als er nichts gegen die Verbindung seiner Tochter zu einem stattlichen Ritter einzuwenden gehabt hätte.

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2.1.3 „Knabenspiegel“ Der „Knabenspiegel“ umfasst die Geschichte des aus der Bahn geratenen Willbalds, der leiblicher Sohn des Ritters Gottlieb ist. Willbalds Ziehbruder Friedbert, ein gebürtiger Bauernsohn, und der junge Lehrer Felix fungieren als positive Folien. Während Friedbert und Felix sich durch Fleiß und Wissbegierde steile Karrieren erarbeiten, wendet sich der dem Müßiggang zugeneigte Willbald von ihnen und Gottlieb ab und begibt sich in den Einfluss des Herumtreibers Lottarius. Nachdem er mit seinem falschen Freund, der später als Krimineller am Galgen endet, von zu Hause davongelaufen ist, sein ganzes Geld verprasst hat und schließlich als verarmter Hirte ganz allein dasteht, erkennt Willbald seine Fehler und begibt sich auf den langen und steinigen Weg der Wiederherstellung seines gesellschaftlichen Rangs und hin zur Versöhnung mit seinem Vater. Das diegetische Geschehen umfasst neben seinem in Preußen gelegenen Hauptschauplatz Boßna, wo Gottlieb sein Anwesen hat, zahlreiche Nebenschauplätze. So stellen Wirtshäuser in Preßla und Antorff, ein Bauernhof auf dem preußischen Land, Dobrin und Vladißlavia als Wegstationen Willbalds weitere Schauplätze dar. Im „Knabenspiegel“ nimmt das diegetische Geschehen mit der Beförderung des preußischen Ritters Gottlieb zum Hochmeister seinen Anfang. Gottlieb erhält zudem Concordia, die noch junge und kinderlose Witwe seines Vorgängers, zur Frau. Da Concordia drei Jahre lang nicht schwanger wird, beschließen sie und Gottlieb, ein Kind des gottesfürchtigen Bauern Rudolf aufzunehmen und wie ein leibliches aufzuziehen. Das Kind wird auf den Namen Friedbert getauft. Kurz darauf wird Concordia selbst schwanger und bringt einen Sohn zur Welt. Während Friedbert streng erzogen wird, verwöhnt Concordia ihren leiblichen Sohn Willbald. Im Alter von sechs bzw. sieben Jahren werden beide Jungen zur Schule geschickt. Während Friedbert sich, nachdem er Lesen und Schreiben kann, wissbegierig der Natur widmet und Latein lernen möchte, lässt Willbald jeglichen Fleiß vermissen und rauft sich lieber mit den anderen Kindern. Die Ermahnungen des Lehrers Felix laufen dabei ins Leere, da Concordia Willbalds Verhalten in Schutz nimmt und Felix verbietet, ihren Sohn körperlich zu züchtigen. Willbald freundet sich mit dem verdorbenen Metzgerssohn Lottarius, der ihm schmeichelt, an und lässt sich von ihm gegen seinen Ziehbruder Friedbert aufbringen. Als Gottlieb sich bei Felix über Willbald erkundigt, erschrickt er und ordnet ihm an, seinen verzogenen Sohn mit der Rute auf den rechten Weg zurückzubringen sowie zugleich bessere Freunde für ihn zu suchen. Willbald jedoch erweicht seine Mutter mit Heultiraden, so dass diese gegen den Willen Gottliebs dafür sorgt, dass Willbald nicht mehr geschlagen wird und sich wieder mit Lottarius treffen kann. Damit sie sich gemeinsam im Trinken und Glücksspiel üben können, stiftet Lottarius seinen Freund bald dazu an, Concordia finanziell durch Betteln und Stehlen auszunehmen. Gottlieb erwischt seinen Sohn in der Kneipe und macht Felix Vorwürfe. Als dieser sein Verhalten mit den Anweisungen Concordias rechtfertigt, hat Gottlieb ein Nachsehen und schickt Felix in die Kneipe, um Willbald dort vor allen anderen eine Prügelstrafe zu erteilen. Willbald jedoch kommt

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Felix frech, sticht ihm mit dem Messer ins Bein und läuft mit Lottarius davon. In Preßla angekommen bettelt Willbald bei Concordia um Geld, die ihn weiterhin großzügig unterstützt. Drei Jahre lang leben Willbald und Lottarius ohne arbeiten zu müssen bei einem Wirt in Preßla, bis Lottarius die Tochter des Wirts schwängert, der er die Ehe versprochen hat. Um der Verpflichtung aus dem Weg zu gehen, lässt Lottarius die Wirtstochter sitzen und zieht mit Willbald von Stadt zu Stadt. Angekommen in Antorff treffen die beiden auf einen Wirt, der ihnen schmeichelt, da er ein gutes Geschäft wittert. Willbald und Lottarius gönnen sich reichhaltige Speisen, Dirnen, Musiker und Narren. Inzwischen setzt Gottlieb gänzlich auf Friedbert und möchte ihn auf eine höhere Schule schicken. Concordia stirbt vor Gram darüber, dass Gottlieb mit seinem davongelaufenen Sohn gänzlich abgeschlossen hat. Auf einem höfischen Fest erzählt Gottlieb dem Fürsten von Friedberts Begabung und seinem engagierten Lehrer Felix. Der Fürst lädt die beiden zu sich ein, überzeugt sich von ihrem Verstand und entschließt sich, ihnen ein Studium zu finanzieren. Als Willbald und Lottarius in finanzielle Schwierigkeiten geraten, gelingt es ihnen den gierigen Wirt mehrfach bezüglich ihrer Zahlungstüchtigkeit zu täuschen und alle weiteren Leistungen bei ihm anschreiben zu lassen. Ihr Plan, ausschließlich den Wirt auszuzahlen und alle weiteren Rechnungen offen zu lassen, misslingt, da der Wirt sie festhält, bis der Schuhmacher und der Schneider dazustoßen. Als Willbald und Lottarius zudem von einer Dirne zur Zahlung aufgefordert werden, müssen sie ihr letztes Hab und Gut veräußern und verlassen schließlich die Stadt in Lumpen. Willbald macht Lottarius Vorwürfe, für die Misere verantwortlich zu sein und bereut nun, nicht auf Friedbert, Felix und seinen Vater gehört zu haben. Lottarius sieht keinen weiteren Nutzen in der Freundschaft und trennt sich von Willbald. Er zieht nach Prüssel und wird dort Geselle eines wohlhabenden alten Metzgers. Er erschleicht dessen Vertrauen, stiehlt seine Ersparnisse, wird jedoch von den Knechten erwischt. Der alte Metzer zeigt sich gnädig und lässt Lottarius ungestraft davonziehen. So gelangt Lottarius nach Halle und wird dort Angestellter eines Wirts. Im Wirtshaus stiehlt er einem reichen Kaufmann einen Beutel Geld und macht sich aus dem Staub ins nächste Dorf. Jedoch wird er dort angekommen bald gestellt. Der Kaufmann überlässt Lottarius dem Richter, der ihn nach einem Geständnis aufhängen lässt. Währenddessen zieht Willbald aus Angst vor weiteren Gläubigern durch Westfalen, Sachsen und Brandenburg, bis er schließlich in einer ländlichen Region Preußens eine Anstellung als Hirte findet. Friedbert ist inzwischen Doktor und Kanzler des Fürsten geworden, Felix Magister und Hofsekretär. Der Fürst möchte die beiden verheiraten. Caritas, die Witwe des ehemaligen Kanzlers, hat schöne und gebildete Töchter. Friedbert nimmt Felicitas, Felix Concordia zur Frau. Die Hochzeitsfeierlichkeiten sind prächtig. Als Willbald eines Tages am Waldrand einschläft, reiben Wölfe seine Herde auf und reißen ihm viele Tiere. Willbald flüchtet vor dem Bauern ins Gestrüpp. Dieser vermutet bald, dass auch Willbald von den Wölfen zerfetzt worden ist. Willbald flüchtet durch die Wälder nach Dobrin, wo er als Bettler für sein Auskommen sorgt, bis er eine Anstellung als Knecht findet. Er erlernt von seinem Meister das Dudelsackspiel und wird darin so geübt, dass er sich schließlich

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als fahrender Musikant durchschlagen kann. Er entwickelt das Vorhaben, so lange zu sparen, bis er sich die Reise zurück nach Boßna leisten kann, wo er hofft, sich mit seinem Vater aussöhnen zu können und als dessen Knecht leben zu dürfen. Dabei schöpft er Kraft aus der biblischen Geschichte vom verlorenen Sohn. In Vladißlavia trifft Willbald in einer Kneipe auf Friedbert und Felix, die dort gerade auf Geschäftsreise sind. Er trägt ein Lied vor, das von seiner Lebensgeschichte handelt. Friedbert wird auf Willbalds Lied aufmerksam und möchte es nochmals hören. Obwohl sich Willbald inzwischen Heinz nennt, da niemand seine Herkunft wissen soll, erkennt Friebert in dem Musikanten seinen Bruder. Auch Felix erkennt den von nichts ahnenden Willbald. Felix und Friedbert bitten ihn, sie auf ihrer Geschäftsreise zu begleiten. Unter einem Vorwand bringen sie Willbald bei Nacht nach Boßna, so dass diesem zwar einiges merkwürdig bekannt vorkommt, er jedoch nicht glaubt, in Boßna zu sein. Willbald wird im Haus von Caritas, wo auch Felix und Concordia wohnen, untergebracht. Friedbert berichtet derweilen Gottlieb davon, in welcher Gestalt er Willbald aufgefunden hat. Dieser zeigt sich schließlich bereit, seinem Sohn zu verzeihen und ihn als Knecht aufzunehmen. Für den nächsten Tag organisiert Felix ein Fest, wo Willbald auftreten und auf seinen Vater treffen soll. Gottlieb schleicht sich zunächst aus dem Saal und setzt sich in einem unbemerkten Augenblick Willbald den Rücken zugewendet an die Tafel. Nachdem Willbald sein Lied gesungen hat, wird er von Friedbert nach seiner Herkunft gefragt. Er gibt sie schließlich preis, weint vor Reue und erblickt seinen Vater. Dieser macht Willbald zunächst Vorwürfe, kann jedoch erneut von Friedbert beschwichtigt werden und verzeiht ihm schließlich. Willbald erkennt nun auch Friedbert und Felix und wird als Knecht Friedberts aufgenommen. Er erzählt seine Leidensgeschichte und bereut seine Verfehlungen zutiefst. Willbald erhält ordentliche Kleider und bildet sich. Schließlich nimmt ihn der Fürst als seinen Forstmeister an. Er erhält ein Pferd und einen Knecht. Er erlegt vielerlei Wild – eines Tages eine gewaltige Bärin, die er in einem Kampf auf Leben und Tod bezwingt. Drei Jahre später hat Willbald sich durch seine Tüchtigkeit dermaßen bewährt, dass der Fürst sich dazu entschließt, ihn zum Nachfolger des inzwischen alt gewordenen Gottliebs zu machen. Friedbert und Felix werben die schöne und reiche Kaufmannswitwe Marina im Namen des Fürsten als Gattin für Willbald. Sie ist von der inzwischen stattlichen Erscheinung Willbalds beeindruckt und lässt sich trotz seiner Jugendjahre von Willbald überzeugen. Während der Hochzeitsfeierlichkeiten stellt Marina Verstand und Geschick unter Beweis, indem sie den Fürsten, der zu den besten Schachspielern seines Landes zählt, mehrfach besiegt. Marina und Willbald leben glücklich und werden Eltern eines gesunden Jungen, wenige Monate bevor Gottlieb stirbt. Am Totenbett weist er seinen Sohn an, seine Frau allzeit zu ehren und alle seine zukünftigen Kinder mit Gottesfurcht und Strenge zu erziehen, damit diesen einmal das Schicksal der Jugendjahre ihres Vaters erspart bleibe. Unter großem Wehklagen wird Gottlieb in Boßna zu Grab getragen. Ein Jahr später stirbt auch der Fürst. Willbald, Friedbert und Felix dienen daraufhin unter dessen Nachfolgern. Marina bringt noch weitere Kinder zur Welt. Alle Söhne werden zu gebildeten Gelehrten oder tugendhaften

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Rittern, alle Töchter zu tüchtigen Hausfrauen und halten dabei freundschaftlich Kontakt zu den Kindern von Friedbert und Felix. Willbald, Marina, Friedbert und Felix verscheiden schließlich nach einem langen und erfüllten Leben.

2.1.4 „Goldfaden“ Das Geschehen im „Goldfaden“ begleitet Leufried, den Helden des Romans, auf seinem sozialen Aufstieg vom Hirtensohn bis hin zum Grafen. Leufried ist der leibliche Sohn von Erich und Felicitas. Der wohlhabende Kaufmann Hermann und dessen Gattin nehmen Leufried jedoch als Einjährigen zu sich und ziehen ihn zusammen mit ihrem leiblichen Sohn Walter auf. Als Leufried sich in die Dienste eines Grafen begibt, verliebt er sich bald in dessen Tochter Angliana und erobert schließlich ihr Herz. Es folgt ein dauerhafter Austausch von Liebesbotschaften und -zeichen. In zahlreichen Abenteuern stellt Leufried zudem seine Tugenden unter Beweis. Dennoch muss die Beziehung aufgrund des enormen Standesunterschieds unter allen Umständen geheim gehalten werden, da vom Grafen, bis dieser Leufried schließlich als seinen Schwiegersohn annimmt, eine dauerhafte Gefahr für Leib und Leben ausgeht. Diese gipfelt, nachdem das Paar durch eine Närrin enttarnt wird, in einem vereitelten Mordanschlag auf Leufried. Bei der Bewältigung zahlreicher Hürden wird das junge Paar von Walter, Anglianas engster Vertrauter Florina und einem nicht namentlich genannten Burschen unterstützt. Zudem erweist sich der Löwe Lotzmann, der zu Leufrieds ständigem Begleiter wird, mehrfach als dessen Retter in der Not. Dabei umfasst das Geschehen mehrere Schauplätze im Bereich von Hermanns Anwesen bei Salamanca, dem gräflichen Hof in Merida, dem königlichen Hof in Lißbona sowie verschiedenen Wegstationen zwischen Salamanca, Merida und Lißbona. Das Geschehen setzt mit dem armen Hirten Erich, dessen Frau schwanger ist, ein. Dieser wird täglich von einem zahmen Löwen aufgesucht, der ihm schließlich einem Hund gleich beim Hüten der Tiere hilft. Die Kuriosität spricht sich schnell herum, sodass der zahme Löwe viele Schaulustige anzieht. Unter anderem besucht Hermann, ein reicher Kaufmann, dessen Frau nach der Geburt eines Sohnes gebärunfähig geworden ist, den Löwen regelmäßig. Als Hermann die Nahbeziehung der schwangeren Felicitas zu dem Löwen bemerkt, bietet er Erich an, das Kind nach seiner Geburt bei sich aufzunehmen und es zusammen mit seinem leiblichen Sohn Walter aufzuziehen. Zudem sagt er Erich und Felicitas finanzielle Unterstützung zu, die diese gerne annehmen. Felicitas bringt bald darauf einen Sohn mit einem Löwenmal auf die Welt, der nach diesem auf den Namen Leufried getauft wird. Erich erhält ein Gehöft Hermanns als dessen Verwalter. Leufried wird im Alter von einem Jahr von seinen leiblichen Eltern getrennt, um zukünftig bei Hermann in Salamanca aufzuwachsen. Leufried hat bereits im Kindesalter den Verstand eines jungen Erwachsenen und findet auch große Anerkene nung unter seinen Mitschülern. Er wird zum Konig einer bürgerlichen Jugendbande gewählt, die sich mit einer Gruppe adliger Jugendlicher bekriegt. Ein Verräter befindet

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sich in Leufrieds Bande. Als dieser enttarnt wird, lässt Leufried ihn mit Rutenhieben strafen. Als dessen Vater sich beim Lehrer beschwert, droht Leufried eine harte Prügelstrafe. Leufried schreibt Hermann einen Abschiedsbrief und flieht zu einem Grafen nach Merida. Dort beginnt er als Küchenjunge und kann bald durch seinen ansprechenden Gesang überzeugen. Leufried wird bald darauf zu Neujahr bei der Beschenkung der Angestellten durch die Grafentochter Angliana übergangen. Er ist betrübt darüber, dass diese ihn anscheinend nicht kennt, und beginnt sich dabei heimlich in Angliana zu verlieben. Als der Graf Leufried eines Tages singend im Garten antrifft, ist er davon so angetan, dass er ihn zum Kammerdiener seiner Tochter befördert. In einem Lied deutet Leufried gegenüber Angliana an, welchen Kummer sie in ihm zu Neujahr ausgelöst hat. Angliana, die an Leufrieds Gesang großen Gefallen findet, wird darauf aufmerksam und übergeht Leufried beim nächsten Neujahrsfest erneut, um herauszufinden, ob sich das Lied auf sie bezieht. Als Leufried erneut in tiefe Trauer verfällt, erkundigt sich Angliana nach dem Grund seiner Trübsal. Als sie erfährt, dass sein Kummer tatsächlich auf dem erneuten Ausbleiben ihres Neujahrsgeschenks gründet, entschließt sie sich Leufried zunächst zu einem weiteren Trauerlied anzuregen, ihn kurze Zeit darauf jedoch reich zu beschenken. Angliana begabt Leufried mit einem Stück goldenen Faden von ihrem Webrahmen. Leufried ist über das materiell nahezu wertlose Geschenk gegen Anglianas Erwartung hin hoch erfreut und näht sich den Faden in seine Brust ein. Auf ihre spätere Nachfrage nach dem Aufbewahrungsort für den Faden hin schneidet sich Leufried vor Anglianas Augen die Brust auf und gewinnt zugleich ihr Herz. In einem Brief teilt Angliana schließlich Leufried ihre Gefühle mit, verbunden mit der Aufforderung diese unter allen Umständen geheim zu halten. Dafür verspricht sie, sich gegen den Willen ihres Vaters ihrer Liebe heimlich hinzugeben, bis Leufried sich weit genug nach oben gedient habe. Leufried, der zudem einen Ring als Liebeszeichen erhält, ist überglücklich. Als der Graf in ihm jedoch wenig später einen erwachsenen Mann erkennt, entfernt er Leufried aus Gründen der Schicklichkeit aus seinem Amt und stellt ihn in seine eigenen Dienste. Auf einer Botenreise läuft Leufried ein edler Jagdhund zu, den er später unter Einsatz seines Lebens gegen den Diener des Hundebesitzer verteidigt. Angliana findet großen Gefallen an dem prächtigen Tier und fertigt ein edles Halsband für den Hund an, den Leufried ihr daraufhin zum Geschenk macht. Inzwischen hat Hermann Erich und Felicitas zum Dank für die ertragreiche Bewirtschaftung seiner Güter mit der Hälfte des von ihnen verwalteten Viehs begabt. Sein Sohn Walter bittet ihn schließlich, sich auf die Suche nach seinem Ziehbruder Leufried machen zu dürfen, den er über all die Jahre in bester Erinnerung behalten hat. Auch wenn Hermann von Walters Vorhaben nicht angetan ist, lässt er ihn ziehen und gibt ihm einen Knecht mit auf den Weg. Auf ihrer Reise werden Walter und der Knecht von drei Räubern zuerst getäuscht und später überwältigt, ausgenommen und an einen Baum gebunden zurückgelassen. Leufried gerät derweilen auf einer Dienstreise nach Lißbona in denselben Wald, wird ebenfalls überfallen, überwältigt jedoch seine Angreifer souverän und rettet seinem Ziehbruder und dessen Knecht daraufhin das Leben. Erst als Walter Leufried

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auf dem Weg ins Wirtshaus von seinem Vorhaben erzählt, erkennt Leufried seinen Ziehbruder und versichert sich über das Wohlergehen seiner Eltern. Als er erfährt, dass Hermann Erich und Felicitas trotz seiner Flucht wohlgesinnt geblieben ist und sie sogar großzügig beschenkt hat, gibt auch er sich unter Tränen zu erkennen. Walter und der Knecht begleiten Leufried nach Lißbona, wo sie im königlichen Garten auf den zahmen Löwen treffen, der Erich ehemals beim Viehhüten geholfen hatte und den der König inzwischen zu sich hat holen lassen. Zur Verwunderung aller Anwesenden reicht der Löwe Leufried seine Tatze zur Begrüßung. Nachdem Leufried Geschenke für Angliana und ihre Hofdamen besorgt hat, macht er sich mit Walter und dem Knecht auf den Rückweg nach Merida. An der gräflichen Mittagstafel erzählt Leufried von den Begebenheiten seiner Reise und findet nicht nur bei Angliana Bewunderung für seine Heldentat. Leufried beschenkt Angliana daraufhin mit einer edlen Haube und Florina, Anglianas engste Vertraute, mit einem Schloss als Zeichen dafür, dass sie ihre vertraulichen Gespräche mit Angliana in ihrem Herzen verschließen soll. Da der Graf Leufrieds Erzählung von dem ihn mit der Tatze begrüßenden Löwen nicht so recht glauben kann, möchte er sich selbst davon überzeugen und lässt sich von Leufried auf ein Fest nach Lißbona begleiten. Im königlichen Garten angelangt wird Leufried zum Erstaunen des Grafen vom Löwen auf die übliche Weise begrüßt. Die merkwürdige Begebenheit dringt bis zum König vor, der großen Gefallen an Leufried und seinem rätselhaften Nahverhältnis zu dem Löwen findet und ihn daher als Diener bei sich behalten möchte. Auf die dringlichen Bitten des Grafen hin tritt der König jedoch von seinem Wunsch zurück. Als deutlich wird, dass Leufried und der Löwe inzwischen unzertrennlich geworden sind, lässt er sogar den Löwen frei, der Leufried zurück nach Merida folgt. Dort zeigt sich Angliana von dem Löwen tief beeindruckt. Sie versichert sich bei einem heimlichen Treffen im Garten der Gefühle Leufrieds und verspricht ihm die Ehe. Die anwesende Florina erschrickt und fürchtet sich vor dem Grafen. Als Walter seinen Verstand beim Schachspielen mehrfach unter Beweis stellt und gegen Angliana und ihren Vater gewinnt, werden er und Leufried zur gräflichen Tafel geladen, wo insbesondere Leufried durch die wohlwollenden Worte des Grafen den Neid anderer Höflinge auf sich zieht. Bald darauf schenkt Angliana Leufried im Beisein einer ihr gut bekannten Närrin einen Ring. Auf der Hochzeit einer Hofdame spricht die Närrin daraufhin Angliana öffentlich auf den Ring an. Obwohl die Närrin gemäß dem Rat Florinas in den Glauben versetzt werden kann, dass Leufried den Ring lediglich erhalten habe, um ihn zum Goldschmied zu bringen, wird die Liebe Anglianas und Leufrieds enttarnt: Der Graf beobachtet Leufried und die Närrin bei der Übergabe des Rings, den die Närrin nach der angeblichen Reparatur durch den Goldschmied Angliana zusammen mit einem Brief zustellen soll. Da er Leufried verdächtigt, mit Hilfe der Närrin um die Gunst einer Hofdame zu werben, fängt er die Närrin ab, nimmt den Brief an sich und liest ihn. Daraufhin erzürnt der Graf dermaßen gegen Leufried, dass er nach seinem Jäger schickt und diesem den Mord an Leufried aufträgt. Leufried soll auf einer gemeinsamen Jagd erstochen werden. Allerdings wird das Gespräch von einem Burschen belauscht, der

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2.1 Liebliche und klagliche Geschichten. Zum diegetischen Geschehen

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Leufried rechtzeitig warnen kann, so dass er sich auf den Anschlag einstellen und den Jäger mit Hilfe des Löwen überwältigen kann. Leufried flüchtet daraufhin zusammen mit Walter und dem Löwen nach Salamanca, wo er sowohl auf Hermann als auch auf Erich und Felicitas trifft. Nachdem der Graf durch seine Diener das Scheitern seines Anschlags vernommen hat, lässt er Angliana und Florina zu sich rufen und macht seiner Tochter Vorwürfe. Diese nimmt ihre Freundin in Schutz und verteidigt ihre Gefühle zu Leufried, da sie ihn aufgrund seiner Tugenden und nicht seiner Abstammung erwählt habe. Angliana kündigt zudem an, jegliche Nahrung zu verweigern, bis sie von Leufried erfahren habe, und legt Trauerkleidung an. Ein weiteres Gespräch des Grafen mit Florina und Cordula, einer weiteren Vertrauten Anglianas, bewirkt bei ihm eine innerliche Wende. Er erkennt den Wert der Tugenden Leufrieds und bereut sein Verhalten. Er lässt seine Tochter benachrichtigen, dass Leufried am Leben sein müsse und schickt einen Boten nach ihm aus, der ihn zurück an den Hof bringen soll. Täglich zieht sich Leufried auf ein Feld zurück, um dort um Angliana zu trauern. Dabei trifft er auf den Boten und vermutet Verrat hinter der Botschaft des Grafen. Daher schreibt er dem Grafen, dass er in Lißbona verweilen wolle, bis er sich dort den Orden der Ritterschaft verdient habe, und lässt seinen Brief durch Walter zustellen. Ohne Walter darüber in Kenntnis zu setzen, entscheidet sich Leufried jedoch insgeheim zu einer anderen Vorgehensweise. In einem weiteren Brief erklärt er sich gegenüber Angliana, beteuert seine Liebe zu ihr und verspricht ihr, sie als Waldbruder verkleidet vor der Kirche aufzusuchen und ihr dort weitere ausführliche Nachrichten über seine Erlebnisse als Gebetsbuch getarnt zu übergeben. Nachdem Walter in Richtung Merida abgereist ist, besorgt sich Leufried eine Kutte und einen falschen Bart und macht sich auf in den gräflichen Forst, wo er von einer Einsiedelei weiß. Im nächtlichen Wald begegnet ihm unter anderem der Geist des Jägers. Dieser bereut es inzwischen zutiefst, dass er sich vom Graf hat kaufen lassen. Als Waldbruder verkleidet wagt Leufried sich schließlich nach einem Aufenthalt in der Einsiedelei zurück an den Hof, wo er Angliana das vermeintliche Gebetsbuch übergeben kann. Daraufhin möchte Angliana Leufried von der inneren Wende ihres Vaters glauben machen. Sie schickt Walter zu Leufried, um ihn zu überzeugen, dass er sich dem Grafen als Einsiedler zu erkennen geben soll. Indem es Walter gelingt, Leufried zu einem klärenden Gespräch mit dem Grafen zu bewegen, kommt es zur Aussöhnung. Das Festmahl zu Leufrieds Rückkehr wird daraufhin von einem Boten aus Lißbona unterbrochen, der dem Grafen den Befehl des portugiesischen Königs übermittelt, sich für einen Krieg gegen den König von Kastilien zu rüsten. Der Graf zieht mit seiner Gefolgschaft, darunter auch Leufried, in den Krieg. Aufgrund seiner kriegsentscheidenden Taten, die zur Festsetzung des kastilischen Königs führen, wird Leufried vom portugiesischen König in den Ritterstand erhoben. Angliana wird durch einen Brief ihres Vaters benachrichtigt und ist außer sich vor Freude, Leufried nun heiraten zu können. Als die bevorstehende Hochzeit am Hof die Runde macht, fühlt sich ein reicher Freiherr brüskiert, dem Angliana zuvor vom Grafen verwehrt worden war. Um sich zu rächen, lässt er den Grafen überfallen und festsetzen, während Walter, der für Leufried

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2. Vier Romane Jörg Wickrams

gehalten wird, verschleppt wird. Leufried gelingt es jedoch den Grafen zu befreien, den Freiherrn im Kampf zu bezwingen und Walter der Gewalt von dessen Bediensteten zu entreißen. Der Hochzeit steht nun nichts mehr im Weg. Zu Ehren der Trauung Anglianas und Leufrieds wird ein prächtiges Fest abgehalten. Einige Zeit später erleidet Leufried einen Jagdunfall. Bereits im Sterben begriffen wird er von seiner Gemahlin im Wald liegend aufgefunden und im letzten Augenblick gerettet. Als der Graf jedoch von Leufrieds Unfall erfährt, stürzt er vor Schreck von der Treppe und erliegt bald darauf seinen Verletzungen. Leufried tritt dessen Nachfolge an. Er lässt zunächst seine Eltern und bald darauf auch Hermann, den er zu seinem Hofmeister macht, nach Merida holen. Während Walter eine Dame von hohem Adel heiratet und ein Schloss als Lehen erhält, entwickelt sich Leufried, beraten durch Hermann, zu einem vorbildlichen Herrscher. Gemäß dem abschließenden Ausblick lebt Leufried mit Angliana, die ihm zahlreiche Kinder schenkt, glücklich bis an sein Lebensende.

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2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben Nach dem Tod des Straßburger Druckers Matthias Schürer 1519 übernahmen dessen Erben die Offizin und beschäftigten den gebürtigen Badener Jakob Frölich als Faktor, bis dieser sich vermutlich um 1530 selbstständig machte. Zuvor hatte Jakob Frölich 1520 die Witwe eines Hans Grav geehelicht und war im Zuge dessen am 6. November 1520 Bürger Straßburgs geworden. Ansässig war Frölich vermutlich zunächst in der Pergamentgasse, bis er 1543 ein Haus am Kornmarckt kaufte. Jakob Frölich hatte mit einer zweiten namentlich unbekannten Ehefrau eine Tochter, welche er mit seinem Druckergesellen Christian Müller d. Ä. verheiratete. Dieser druckte noch zu Lebzeiten seines Schwiegervaters einzelne Werke in dessen Offizin und übernahm den Betrieb nach Frölichs Tod um 1557/1558139. Neben reformatorischen Schriften und Gebrauchsprosa bildeten auch Drucke volkssprachiger Prosaliteratur einen Schwerpunkt des frölichschen Verlagsprogramms. So druckte Frölich unter anderem den „Eulenspiegel“ (1539, 1543, 1551), „Kaiser Octavian“ (1548), „Tristan und Isolde“ (1557), „Griseldis“ (1538, 1540, 1554), „Giletta“ (1554), die Spruch- und Exempelsammlungen „Das Buch der Weisheit“ (1539, 1545) und „Schimpf und Ernst“ (1539)140, sowie vermutlich auch den „Fortunatus“141 und die „Melusine“ 142. 139

140

141

Vgl. Christoph Reske: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing, Wiesbaden 2007, S. 877, 883 f. Die angeführten Drucke sind im VD16 verzeichnet. Eine Ausnahme bildet dabei der „Eulenspiegel“-Druck von 1539, ein Kriegsverlust der Staatsbibliothek zu Berlin. Vgl. Peter Honegger: Ulenspiegel. Ein Beitrag zur Druckgeschichte und zur Verfassergeschichte, Neumünster 1973, S. 73. Eine frölichsche Ausgabe des „Fortunatus“ ist zwar nicht erhalten, jedoch ein Nachdruck sei-

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2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben

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17 erhaltene Druckausgaben – darunter die vier im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersuchten Romanerstausgaben – zeugen darüber hinaus von der langjährigen und intensiven Zusammenarbeit mit Jörg Wickram. So erschienen bei Frölich neben Wickrams Spielen „Die zehn Alter der Welt“ (1531), „Der treue Eckard“ (1538), „Das Narrengiesen“ (1538), „Tobias“ (1551), „Das Apostelspiel“ (1552) und „Das Knabenspiegel-Spiel“ (1554), fünf Ausgaben vom „Ritter Galmy“ (1539, 1540, 1548, 1554, o. J.), je zwei Ausgaben von „Gabriotto und Reinhart“ (1551, o. J.) und vom „Knabenspiegel“ (1554, 1555), eine Ausgabe vom „Goldfaden“ (1557) sowie der „Dialog vom ungeratenen Sohn“ (1554) 143. Im Folgenden sollen die Grundzüge der Typografie der in Frölichs Offizin gedruckten Erstausgaben der vier vermutlich von Wickram selbst illustrierten Romane, welche der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegen, beleuchtet werden. Anschließend werden die zugehörigen Illustrationsprogramme der Ausgaben einer grundlegenden Betrachtung unterzogen. Das Kapitel schließt in einem tabellarischen Verzeichnis aller Illustrationen unter Berücksichtigung der Lagensignatur, des verwendeten Druckstocks, dem Status ihrer Verwendung, ihrer Position auf dem Blatt sowie mehrerer Besonderheiten ab. Alle Druckstöcke sind darüber hinaus mit verkleinerten Abbildungen der Holzschnitte und unter Angabe ihrer Maße, ihrer Realisierungen innerhalb der vier untersuchten Erstdrucke sowie der zugeordneten Titel bzw. Kapitelüberschriften im Anhang verzeichnet.

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143

nes Nachfolgers Christian Müller d. Ä.: Fortunatus, Straßburg: Christian Müller d. Ä. 1558, 4° 92 Blatt. Da Holzschnittmaterial aus dem dortigen Illustrationszyklus jedoch bereits bei Frölich in der 1551 gedruckten Erstausgabe von „Gabriotto und Reinhart“ sowie späteren Drucken der 1550er Jahre realisiert wird, ist von einem frölichschen „Fortunatus“-Druck von 1551 oder früher auszugehen. Vgl. Gabriotto und Reinhart (1551), L3v, T3v, V3v. Eine frölichsche Ausgabe der „Melusine“ ist nicht erhalten, jedoch enthalten beide „Knabenspiegel“-Drucke Frölichs sowie seine Ausgabe von „Tristan und Isolde“ Holzschnitte aus einem aus dem späteren Straßburger „Melusinen“-Druck Christian Müllers d. J. von 1577 bekannten „Melusinen“-Illustrationszyklus. Daher kann eine „Melusinen“-Ausgabe Frölichs von 1554 oder früher angenommen werden. Vgl. Knabenspiegel (1554), E1v; Jörg Wickram: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1555, 4° 55 Blatt, E1v; Tristan und Isolde, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 100 Blatt, D3r, L1r, N3r; Thüring von Ringoltingen: Melusine, Straßburg: Christian Müller d. J. 1577, 8° 92 Blatt, A6r, D6v, K6r, K7r, L6v. Die angeführten Drucke wickramscher Werke sind im VD16 verzeichnet. Die dortige zeitliche Einordnung der undatierten zweiten Ausgabe von „Gabriotto und Reinhart“ in das Jahr 1552 scheint dabei zweifelhaft, da in dieser zwei für den „Goldfaden“ angefertigte Holzschnitte enthalten sind. Vgl. Jörg Wickram: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich o. J., 4° 108 Blatt, P4v, T3v. Da einzelne Holzschnitte aus dem für den „Goldfaden“ angefertigten Illustrationszyklus erstmals in der Erstausgabe des „Knabenspiegels“ von 1554 realisiert werden, sollte die undatierte Ausgabe von „Gabriotto und Reinhart“ besser auf 1554 oder später angesetzt werden.

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2. Vier Romane Jörg Wickrams

2.2.1 Typografie Sowohl der „Ritter Galmy“ als auch „Gabriotto und Reinhart“, „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“ erscheinen bei Frölich im Quartformat. Während 1539 in der Erstausgabe vom „Ritter Galmy“ noch eine Oberrheinische Bastarda als Texttype zum Einsatz kommt, wird in den drei späteren Romanerstausgaben 1551, 1554 und 1557 eine Schwabacher Schrift als Texttype verwendet. Auch verfügt der „Galmy“-Druck recto sowohl über eine am Romanbeginn einsetzende Blattnummerierung (I.–CXXXIX.) am rechten oberen Blattrand als auch eine das Titelblatt mitberücksichtigende Angabe der Lagensignatur (A–Mmiiij) am rechten unteren Blattrand. Dabei geben 23 lateinische Majuskeln (A, B, C, …) 144 und daraufhin Kombinationen aus Majuskeln und Minuskeln (Aa, Bb, Cc, …) die jeweilige Lage an. Diesen ist die Angabe des Blatts innerhalb der jeweiligen Lage beigefügt, wobei das jeweils erste über keine numerische Blattangabe verfügt. Das jeweils vierte Blatt einer Lage verfügt weder über eine Angabe der Lage noch des Blatts. Bei der Foliierung haben sich Fehler eingeschlichen: Ciij = IX, statt richtig X; Giij = XXVII, statt richtig XXVI; Ee = CVIIII, statt richtig CVIII; CIX = Ddij, statt richtig Eeij145. Die drei späteren Romanerstausgaben hingegen verfügen über keine zusätzliche Blattnummerierung neben der Angabe der Lagensignatur. Diese beruht bis auf eine Abweichung auf dem bereits im „Ritter Galmy“ verfolgten Prinzip – in Frölichs „Goldfaden“ von 1557 folgen den 23 Majuskeln keine Kombinationen aus Majuskel und Minuskel sondern lediglich Minuskeln. Alle vier Romanerstausgaben weisen zudem durchgehend recto am rechten unteren Blattrand Kustoden auf. Die jeweiligen Titelblätter der Ausgaben weichen in ihrer typografischen Gestaltung in Teilen voneinander ab. So beinhaltet das Titelblatt der „Galmy“-Ausgabe eine sechszeilige Haupt- und eine einzeilige Nebengruppe, welche durch die Titelillustration voneinander getrennt werden. Die von einer Schmuckinitiale eingeleitete Hauptgruppe e

EIn schone vnd liebli / che History / von dem edlen vnd theüo ren Ritter Galmien / vnd von seiner züchtigen liebe / So er zu einer Hertzogin getragen hat / welche er in eines Münches gestalt / von dem e o o feür / vnd schendtlichen todt erloßt hat / zu letst zu eim gewaltigen Here e tzogen in Britanien erwolt / mit schonen figuren angezeygt. (A1r)

weist nach den ersten drei Zeilensprüngen eine Herabsetzung der Schriftgröße auf und läuft im Dreiecksatz aus. Die Nebengruppe Ritter Galmy uß Schottenland steht zwischen typografischen Schmuckstücken in Form von Blättchen. Für die dritte Zeile der Hauptgruppe wird die Texttype eingesetzt, für die erste und zweite Zeile der Hauptgruppe 144 145

J fehlt und U, V und W sind zu V zusammengefasst. Vgl. Hans-Gert Roloff: Nachwort. In: Georg Wickram: Sämtliche Werke. Hrsg. von Hans-Gert Roloff. Bd. 1, Berlin 1967, S. 310.

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2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben

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sowie die Nebengruppe zwei vergleichsweise größere Auszeichnungstypen und für die übrigen Zeilen der Hauptgruppe eine im Vergleich zur Texttype kleinere Auszeichnungstype. Hingegen verfügt das Titelblatt der Erstausgabe von „Gabriotto und Reinhart“ lediglich über eine siebenzeilige Hauptgruppe e

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– Ein Schone vnd doch kla gliche History / von dem sorglichen anfang vnd erschrocklichen vßgang / der brinnenden liebe / Namlich vier Personen betreffen / zwen Edle Jüngling von Pariß / vnd zwo e schoner junckfrawen vß Engelandt / eine des Künigs schwester / die an o der eines Graffen tochter. Allen junckfrawen ein gute warno r ung fast kurtzweilig zu lesen. (A1 ) –,

welche ebenfalls von einer Schmuckinitiale eingeleitet wird, und eine darunter befindliche Titelillustration. Eine Nebengruppe ist nicht vorhanden. Die gleichsam im Dreiecksatz auslaufende Hauptgruppe weist nach dem ersten, zweiten und vierten Zeilensprung eine Herabsetzung der Schriftgröße auf. Dabei wird für die Zeilen drei und vier die Texttype eingesetzt. Demnach werden für die ersten beiden Zeilen zwei vergleichsweise größere und für die letzten drei Zeilen eine vergleichsweise kleinere Auszeichnungstype verwendet. Im Unterschied zu den vorangegangen Titelblättern erfolgt das Titelblatt der „Knabenspiegel“-Ausgabe im Schwarz-Rot-Druck – die ersten beiden Zeilen der Hauptgruppe und die einzeilige Nebengruppe sind dabei rot gedruckt. Die neunzeilige Hauptgruppe Der Jungen Knaben Spiegel. Ein schön Kurtzwyligs e Buchlein / Von zweyen Jungen Knaben / Einer eines Ritters / Der ander eines bauwren Son / würt in disen beiden fu´rgebildt / was grossen nutz das studieren / gehor o o samkeit gegen Vatter vnd Muter / schul vnd lermeistern bringet / Hergegen auch was grosser geferligkeit auß dem widerspyl erwachsen / die o o o Jugent darin zu lernen / vnd zu einer warnung fürzuspieglen. New e lich in Druck verfertiget durch Jorg Wickram. (A1r)

weist eine Heraufsetzung der Schriftgröße nach dem ersten Zeilensprung sowie Herabsetzungen nach dem zweiten, dritten und fünften Zeilensprung auf und läuft dabei ebenfalls im Dreiecksatz aus. Auf eine Titelillustration folgt die Nebengruppe Im Jar / M. D. LIIII. Dabei wird für die Zeilen vier und fünf der Hauptgruppe die Texttype eingesetzt. Für die Zeilen eins bis drei der Hauptgruppe sowie die Nebengruppe werden zwei vergleichsweise größere und für die Zeilen sechs bis neun der Hauptgruppe eine vergleichsweise kleinere Auszeichnungstype verwendet. Der Aufbau des Titelblatts der frölichschen „Goldfaden“-Ausgabe ähnelt dem des drei Jahre zuvor erschienenen „Knabenspiegels“. Es verfügt über eine neunzeilige im Dreiecksatz auslaufende Hauptgruppe

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2. Vier Romane Jörg Wickrams – Der Goldtfaden. Ein schöne liebliche vnd kurtzweilige Histori von eines armen hir ten son / Lewfrid genant / welcher auß seinem fleißigen studieren / vnderdienstbarkeyt / vnd Ritterlichen thaten eines Grauen Tochter vberkam / allen Jungen knaben sich der tugendt o o zubefleissen / fast dienstlich zu lesen / Newlich an tag e geben durch Jorg Wickram von Colmar. (A1r) –,

eine Titelillustration und eine zweizeilige Nebengruppe o

– Getruckt zu Straßburg bey e Jacob Frolich. (A1r) –

und erfolgt ebenfalls im Schwarz-Rot-Druck. Jedoch sind die zweite und dritte Zeile der Hauptgruppe sowie die Nebengruppe rot gedruckt. Eine Heraufsetzung der Schriftgröße erfolgt wiederum nach dem ersten Zeilensprung, Herabsetzungen nach dem zweiten und dritten Zeilensprung innerhalb der Hauptgruppe sowie nach dem einzigen Zeilensprung innerhalb der Nebengruppe. Dabei wird für die Zeilen fünf bis neun der Hauptgruppe sowie die zweite Zeile der Nebengruppe die Texttype verwendet. Für alle übrigen Zeilen kommen zwei vergleichsweise größere Auszeichnungstypen zum Einsatz. Dem ersten Kapitel geht im „Ritter Galmy“ eine Inhaltsübersicht über das Romangeschehen sowie eine an den Rezipienten gerichtete Aufforderung auf der Rückseite des Titelblatts voraus. Die Inhaltsangabe, die am Ende in weitere um potenzielle Leser werbende Hinweise übergeht, beginnt mit einer Zierinitialen und hat die zweizeilige Überschrift Argument in einer gemeyn der o gantzen History dises Buchs (A1v).

Diese weist eine Herabsetzung der Schriftgröße von der ersten zur zweiten Zeile auf, wobei für die zweite Zeile der Überschrift, die nachfolgende Inhaltsangabe sowie die zweizeilige durch eine Leerzeile abgesetzte Aufforderung Ich bitt nit vrteyl den anfang / o Erwig zuuor den außgang. (A1v)

die Texttype verwendet wird. In „Gabriotto und Reinhart“ hingegen füllt allein ein Holzschnitt, der am Romanende wiederholt wird, die Rückseite des Titelblatts, während diese in den beiden jüngeren Erstausgaben gänzlich frei bleibt. Dennoch gehen dem ersten Kapitel im „Knabene o spiegel“ eine Widmung des historischen Autors Jorg Wickram an Antoni Kuntzen, den o Schulteiß zu Rufach (A2r), sowie eine Aufforderung des sprechenden Buchs voraus. Abgesehen von der ersten Zeile der Grußformel, die in einer größeren Auszeichnungstype gesetzt ist, wird für beide die Texttype verwendet. Die Grußformel der Widmung ist dabei als dreizeilige Überschrift, welche eine Herabsetzung der Schriftgröße nach dem ersten Zeilensprung aufweist und im Dreiecksatz ausläuft, vom nachfolgenden Text

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2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben

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abgesetzt. Auch die anschließende Widmungsrede, deren Beginn von einer Zierinitialen markiert wird, läuft im Dreiecksatz aus. Die in vier Verszeilen gesetzte Aufforderung des sprechenden Textes Jüngling wilt du gen Antorff faren / Liß mich so magstu dich bewaren / e o Vor Bulschafft / Schlam vnd bosem Spyl / Die all drey bringen schadens vil. (A2v)

wird durch ein Rubrum-Zeichen eingeleitet und von der Widmungsrede durch Leerzeilen und Schmuckleisten abgegrenzt. Die typografische Gestaltung der einzelnen Kapitel erfolgt innerhalb der vier Romanerstausgaben unterschiedlich. Allen Drucken gemeinsam sind vier verschiedene Möglichkeiten der Anordnung von Kapitelüberschrift, Illustration und Spracherzählung. Dabei zeugen alle diesbezüglichen Anordnungsmöglichkeiten von der druckhistorischen Maxime, dass keine größeren Freiflächen auf den Blättern entstehen dürfen, was zum einen der ökonomische Umgang mit dem Material verlangt und zum anderen ein aufwendiges Anbringen von mit Papiermasken abgedeckten Stützen anstelle der Typen verhindert146. So zeigt sich die Anordnung von Kapitelüberschrift, Illustration und Spracherzählung in einer Abhängigkeit vom zur Verfügung stehenden Freiraum auf der ersten Kapitelseite. Steht die volle Seite zur Verfügung, da die Spracherzählung des vorangegangenen Kapitels die davorliegende Seite bis an den unteren Rand füllt, folgt der Kapitelüberschrift am oberen Seitenrand die Illustration und dieser die Spracherzählung (Abb. 13). Reicht der Platz hingegen lediglich für die Realisierung von Kapitelüberschrift und Illustration aus, so setzt die Spracherzählung auf der darauffolgenden Seite ein (Abb. 14). Genügt der Freiraum ausschließlich für eine Realisierung der Kapitelüberschrift, so findet sich die Illustration zuoberst der darauffolgenden Seite oberhalb vom Beginn der Spracherzählung (Abb. 15). Steht hingegen unterhalb der Kapitelüberschrift zwar nicht ausreichend Platz zur Realisierung der Illustration, jedoch genügend zur Realisierung von mehren Zeilen Sprachtext zur Verfügung, so beginnt die Spracherzählung direkt unterhalb der Kapitelüberschrift und wird zuoberst der darauffolgenden Seite durch die Illustration unterbrochen (Abb. 16). Der Beginn einer jeweiligen Kapitelüberschrift wird dabei in den drei ältesten Romanerstausgaben durch ein Rubrum-Zeichen markiert. Dieses entfällt hingegen im „Goldfaden“ (Abb. 13–16). Allein der „Galmy“-Druck verfügt unterhalb der Kapitelüberschrift, durch eine Leerzeile von ihr getrennt, über zusätzliche Abschnittsbezeichnungen: Das Erst Capitel (A2r), Das Ander / Capittel (A4r), Das III. Capittel (B3r), etc.

146

Diese Stützen waren notwendig, um eine waagrechte Position des Druckbogen und damit einen sauberen Abdruck zu gewährleisten. Vgl. Ernst-Peter Wieckenberg: Zur Geschichte der Kapitelüberschrift im deutschen Roman vom 15. Jahrhundert bis zum Ausgang des Barock. Göttingen 1969, S. 53.

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Abb. 13: Erste Anordnungsvariante

Abb. 14: Zweite Anordnungsvariante

2. Vier Romane Jörg Wickrams

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2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben

Abb. 15: Dritte Anordnungsvariante

Abb. 16: Vierte Anordnungsvariante

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2. Vier Romane Jörg Wickrams

Die mehrzeiligen Kapitelüberschriften aller vier Druckausgaben laufen im Dreiecksatz aus und weisen im „Ritter Galmy“, in „Gabriotto und Reinhart“ und im „Goldfaden“ zudem eine Herabsetzung der Schriftgröße nach dem ersten Zeilensprung auf (Abb. 13–16). Während die Type der ersten Zeile der Kapitelüberschrift dabei in den beiden älteren Romanerstdrucken der Texttype entspricht, gilt dies im „Goldfaden“ für die in der Größe herabgesetzte Type der Kapitelüberschrift nach dem ersten Zeilensprung (Abb. 13–16). Im „Knabenspiegel“ hingegen wird für alle Kapitelüberschriften – abgesehen von der größeren Auszeichnungstype der ersten Zeile der Überschrift zum ersten Kapitel – die Texttype verwendet. Während im „Ritter Galmy“ und im „Knabenspiegel“ alle Kapitel sowie im „Goldfaden“ alle bis auf das 33. Kapitel147 über eine Illustration unterhalb der Kapitelüberschrift oder zuoberst der zweiten Kapitelseite verfügen, weist die Erstausgabe von „Gabriotto und Reinhart“ zahlreiche illustrationslose Kapitel auf. So beinhalten dort 19 von 68 Kapiteln keine Illustration. Schmälere Holzschnittillustrationen, welche für ältere Druckausgaben anderer Werke angefertigt und innerhalb der Erstdrucke von „Gabriotto und Reinhart“, dem „Knabenspiegel“ und dem „Goldfaden“ wiederverwendet wurden, werden in der Breite beidseitig mit Zierleisten versehen. Daneben enthalten die Erstausgaben vom „Ritter Galmy“, von „Gabriotto und Reinhart“ und vom „Knabenspiegel“ je ein Kapitel mit einer zweiten in die Spracherzählung montierten Illustration148. Der Beginn der Spracherzählung wird in allen Ausgaben durch Initialen hervorgehoben. Zur Binnengliederung der kapitelinternen Spracherzählung werden allein im „Goldfaden“ Absätze verwendet. Das Kapitelende wird in der Regel lediglich durch einen Absatz markiert. Ausschließlich im Schlusskapitel des „Knabenspiegels“ sowie an einigen Stellen des „Galmy“-Drucks läuft die kapitelinterne Spracherzählung im Dreiecksatz aus149. Kapitelinterne Besonderheiten bilden zudem in den beiden jüngeren Romanerstausgaben im Zusammenhang mit nachfolgenden Liedstrophen stehende Hinweise. So werden die Verweise auf Willbalds Auftritt im „Knabenspiegel“150 und auf den Ton der Lieder Leufrieds im „Goldfaden“151 typografisch durch den Einsatz einer im Vergleich zur Texttype größeren Auszeichnungstype hervorgehoben. Innerhalb der nachfolgenden Liedstrophen markieren Rubrum-Zeichen den jeweiligen Beginn der Strophen, deren Grenzen zudem durch Absätze markiert werden. Die erste Strophe eines Liedes beginnt jeweils mit einer Initiale.

147 148 149

150 151

Siehe O2v–O4r. Vgl. Ritter Galmy (1539), Ii2r; Gabriotto und Reinhart (1551), X4r; Knabenspiegel (1554), N4r. Vgl. Ritter Galmy (1539), D4v, L2v, Y3r, Z1r, Z3r, Aa2r, Aa3v, Bb2v, Cc1r, Cc3r, Dd3r, Ee1r, Ee4v, Gg4r, Kk2v, Kk4r; Knabenspiegel (1554), O2v. Wilbaldus singt sein Liedlein (K1v). Im thon gang mir auß den Bonen (D2r); Im thon ach lieb mit leyd (E1r).

o

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2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben

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Große Unterschiede in der typografischen Gestaltung weisen auch die Kolophone am Ende der Druckausgaben auf. Im „Ritter Galmy“ folgt der von einem Rubrum-Zeichen o eingeleiteten Schlussformel Darzu vns allen helff / Gott der vatter / Sun vnd heyliger Geyst / AMEN (Mm4 r) ein Stern sowie die Druckermarke, die einen Schwan mit Frölichs Initialen in einem Kranz zeigt. Darunter folgt, wiederum durch ein Rubrum-Zeichen eingeleitet, der mittelbündige zweizeilige Druckvermerk o

e

Getruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich / im Jar / M. D. XXXIX. (Mm4r).

Dabei wird, abgesehen von der Zahl, die Texttype verwendet. Unterhalb des Druckvermerks wird die Ausgabe durch vier Zeigehände, die von rechts und links sowie oben und unten auf einen Stern in der Mitte deuten, abgeschlossen.

Abb. 17: Kolophon der Erstausgabe vom „Ritter Galmy“

Das Kolophon der Erstausgabe von „Gabriotto und Reinhart“ fällt vergleichsweise schlicht aus. Einem zentrierten in Majuskeln gesetzten Amen folgt nach einer Leerzeile e der Hinweis auf den Autor – Jorg Wickram von Colmar. – sowie nach einer weiteren Leerzeile der mittelbündige dreizeilige Druckvermerk o

e

Getruckt zu Straßburg / bei Jacob Frolich / Jm Jar / M. D. LI. (Dd4r).

Wiederum wird von der Zahl abgesehen die Texttype verwendet. Im „Knabenspiegel“ wird der Freiraum unterhalb der Schlussformel durch eine Schmuckvignette gefüllt. Auf der nächsten Seite wird die Widmungsrede unterhalb des zentrierten Vermerks Beschluß (O3r), der durch eine größere Auszeichnungstype hervorgehoben wird, fortgesetzt. Dabei wird wiederum die Texttype verwendet. Unterhalb der im Dreiecksatz auslaufenden Fortsetzung der Widmungsrede befindet sich auf der darauffolgenden Seite das Kolophon. Der mittelbündige dreizeilige Druckvermerk

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2. Vier Romane Jörg Wickrams o

Gedruckt zu Straß / e burg / bey Jacob Frolich. Jm Jahr / M. D. LIIII. (O3v)

wird durch große Auszeichnungstypen hervorgehoben, weist eine Herabsetzung der Schriftgröße nach dem ersten Zeilensprung auf und steht zwischen Zierleisten. Zudem geht dem Druckvermerk ein typografisches Schmuckstück in Form eines Blättchen voraus.

Abb. 18: Kolophon der Erstausgabe vom „Knabenspiegel“

Das Kolophon der „Goldfaden“-Ausgabe hingegen fällt wiederum schlicht aus, indem auf Zierelemente verzichtet wird. Vermutlich da unterhalb der Schlussformel der Spracherzählung nicht ausreichend Platz zur Verfügung stand, wurde der mittelbündige dreizeilige Druckvermerkt o

Gedruckt zu Straßburg e bey Jacob Frolich. M. D. LVII. (Dd4r)

mittig zentriert auf die darauffolgende Seite gesetzt. Er weist eine Herabsetzung der Schriftgröße nach dem ersten Zeilensprung auf und wird dabei durch große Auszeichnungstypen hervorgehoben.

o

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2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben

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2.2.2 Illustrationsprogramme Zur Illustration der vier bei Frölich erschienenen Romanerstausgaben, welche insgesamt 208 Text- und vier Titelillustrationen152 enthalten, wurden 86 ganze Druckstöcke153 und 27 Druckstockhälften154 neu angefertigt. Diese gehen, wie bereits in der Einleitung dargelegt, vermutlich auf eigene Bildentwürfe Jörg Wickrams zurück. Darüber hinaus wurde Fremdmaterial in Form von weiteren 15 ganzen Druckstöcken155 und sieben Druckstockhälften156 aus älteren Straßburger Drucken hinzugezogen. Diese können zwar großteils ihrem ursprünglichen Werkkontext zugeordnet werden, jedoch sind ihre verschiedenen Illustratoren nicht überliefert. Dabei entfallen 36 ganze Druckstöcke und zwei Druckstockhälften auf die 61 Illustrationen des 1539 erschienenen Erstdrucks vom „Ritter Galmy“, in dem ausschließlich für die Ausgabe selbst angefertigtes Bildmaterial enthalten ist. 14 ganze Holzstöcke sowie die beiden Druckstockhälften werden dabei mehrfach realisiert157. Abgesehen von der größeren Titelillustration mit 11,6 cm in der Breite und 10,9 cm in der Höhe variieren deren Maße in der Breite zwischen 9,9 und 10,1 cm und in der Höhe zwischen 8,0 und 9,2 cm. Die Gruppe I der Druckstockhälften, der auch die beiden bereits im „Ritter Galmy“ verwendeten Hälften Ia und Ib angehören, wurde für den Erstdruck von „Gabriotto und Reinhart“ um fünf weitere Hälften Ic bis Ig zur Realisierung von insgesamt zwölf Kombinationsholzschnitten erweitert. Als Anschlussstelle der jeweiligen Kombinationen dient ein Baum in der Mitte, welcher dabei jeweils zur Hälfte von jeder der beiden Druckstockhälften dargestellt wird. Indem die Druckstockhälfte Ic sowohl eine Baumhälfte am rechten als auch am linken Bildrand aufweist, erweist sie sich an beiden Seiten anschlussfähig. Daneben wurden für „Gabriotto und Reinhart“ die elf Druckstöcke 37

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Diese werden im Folgenden der Reihe ihres Auftretens im Verlauf der Texte nach mit RG1 bis RG61, GR1 bis GR52, KS1 bis KS31 und G1 bis G68 bezeichnet. Dabei stehen die Kürzel RG, GR, KS und G für „Ritter Galmy“, „Gabriotto und Reinhart“, „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“. Diese sollen in der Reihenfolge ihrer ersten Verwendung innerhalb der Erstdrucke in chronologischer Folge nach dem Erscheinungsjahr im Folgenden als Druckstock 1 bis 86 bezeichnet werden. Diese unterteilen sich nach ihrer bildlichen Anschlussfähigkeit in vier Gruppen von I bis IV. Gemäß der chronologischen Reihenfolge der ersten Realisierungen sollen sie im Folgenden als Druckstockhälften Ia–g, IIa–m, IIIa–c und IVa–d bezeichnet werden. Diese sollen in der Reihenfolge ihrer ersten Verwendung innerhalb der Erstdrucke in chronologischer Folge nach dem Erscheinungsjahr im Folgenden als Druckstock F1 bis F15 bezeichnet werden. Diese unterteilen sich nach ihrer bildlichen Anschlussfähigkeit in zwei Gruppen von FI und FII. Gemäß der chronologischen Reihenfolge der ersten Realisierungen sollen sie im Folgenden als Druckstockhälften FIa–c und FIIa–d bezeichnet werden. Druckstock 3, 5, 12, 19, 21, 30 und 32 sowie die beiden Druckstockhälften Ia und Ib werden zweifach, Druckstock 4, 8, 10, 11 und 27 dreifach und Druckstock 6 und 7 vierfach eingesetzt.

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bis 47 für zwei Illustrationen auf dem Titelblatt sowie zehn Textillustrationen angefertigt. Zudem werden in „Gabriotto und Reinhart“ für 28 weitere Illustrationen 18 ganze Holzstöcke aus dem „Ritter Galmy“ sowie drei weitere vermutlich aus der nicht erhaltenen Ausgabe des frölichschen „Fortunatus“ eingesetzt158. Dabei werden insgesamt sieben ganze Holzstöcke mehrfach realisiert159. Abgesehen von den größeren Illustrationen GR1 mit 11,3 cm in Höhe und Breite sowie GR49 mit 10,0 cm in der Breite und 10,6 cm in der Höhe variieren die Maße der Illustrationen, welche auf den übrigen neun für den Roman selbst angefertigten Druckstöcken beruhen, von 9,9 cm bis 10,1 cm in der Breite und 8,9 cm bis 9,2 cm in der Höhe. Die auf den „Fortunatus“ zurückgehenden Illustrationen hingegen messen lediglich 6,9 bis 7,0 cm in der Breite sowie 5,0 bis 5,1 cm in der Höhe – ein Bildformat, das sich nicht nur für Drucke in Quart, sondern auch in Oktav eignet. Den größten Anteil nicht wickramschen Holzschnittmaterials hat unter den vier untersuchten Romanerstausgaben der „Knabenspiegel“ inne. So bilden dort fünf „Fortunatus“-160, zwei „Eulenspiegel“-161 und eine „Melusine“-Illustration162 sowie zwei weitere aus stilistischen Gründen nicht auf Wickram zurückführbare Holzschnitte163, deren Herkunft nicht ermittelt werden konnte, immerhin rund ein Drittel der 30 Textillustrationen. Sie beruhen auf den Druckstöcken F1 sowie F4 bis F12. Neben den neun

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Die Illustrationen GR22, GR39 und GR40 beruhen auf den Druckstöcken F1, F2 und F3. Sie sind Teil des Illustrationszyklus’ der erhaltenen „Fortunatus“-Ausgabe von Frölichs Nachfolger Christian Müller d. Ä., welche vermutlich einen Nachdruck einer frölichschen Ausgabe von 1551 oder früher darstellt. Vgl. Fortunatus (1558), O3r, Q4v, H2v. Der für „Gabriotto und Reinhart“ angefertigte Druckstock 38 sowie die für den „Ritter Galmy“ erstellten Druckstöcke 8, 10, 12, 26 und 29 werden dabei zweifach, der ebenfalls für den „Ritter Galmy“ erstelle Holzstock 11 wird dreifach verwendet. Die Illustrationen KS2, KS7, KS13, KS17 und KS31 sind Teil des Illustrationszyklus’ der erhaltenen „Fortunatus“-Ausgabe von Frölichs Nachfolger Christian Müller d. Ä., bei welcher es sich vermutlich um einen Nachdruck einer frölichschen Ausgabe von 1551 oder früher handelt. Vgl. Fortunatus (1558), C2v, M1v, K4v, P1v, Q4v. Die Illustrationen KS3 und KS4 sind Teil des Illustrationszyklus’ der jüngsten erhaltenen „Eulenspiegel“-Ausgabe Frölichs von 1551, für welche aufgrund des Wechsels vom Quart- ins Oktavformat ein neuer Illustrationszyklus angefertigt wurde. Vgl. Hermann Bote: Till Eulenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 8° 112 Blatt, A2r, N8r. Der Straßburger Illustrationszyklus der Ausgabe von 1551 steht dabei in einem sehr engen Verhältnis zum Illustrationszyklus der Frankfurter Ausgabe von 1549. Vgl. Hermann Bote: Till Eulenspiegel, Frankfurt: Hermann Gülfferich 1549, 8° 126 Blatt. Die Illustration KS 10 ist Teil des Illustrationszyklus’ der erhaltenen „Melusine“-Ausgabe von Christian Müller d. J., dem Nachfolger seines Vaters Christian Müller d. Ä. Es handelt sich dabei vermutlich um einen Nachdruck einer frölichschen Ausgabe von 1554 oder früher. Vgl. Melusine (1577), A6r. Die Illustrationen KS8 und KS25 entstammen wahrscheinlich im Oktavformat gedruckten, jedoch vermutlich nicht erhaltenen Verlagswerken Frölichs.

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neu angefertigten Druckstöcken 48 bis 56, von denen zwei mehrfach realisiert sind164, werden vier bereits für den „Ritter Galmy“ erstellte Druckstöcke zur Illustration der Ausgabe verwendet. Daneben finden sich fünf aus neun neu angefertigten Druckstockhälften kombinierte Illustrationen. Sechs Druckstockhälften (IIa–IIf) entstammen dabei der Gruppe II, welche ebenfalls einen jeweils zur Hälfte dargestellten Baum als Bindeglied verwendet, jedoch im Vergleich mit Gruppe I eine geringere Höhe von 7,0 bis 7,2 cm anstatt 8,9 bis 9,1 cm aufweist. Zwei Druckstockhälften (IIIa, IIIb) gehören hingegen der Gruppe III an, die zwar ebenfalls Darstellungen im Außenbereich umfasst, jedoch über keinen Baum als Bindeglied verfügt. Eine weitere Druckstockhälfte (IVa) bildet einen Bestandteil der Gruppe IV, die ausschließlich Darstellungen in Innenräumen beinhaltet. Die Maße der „Knabenspiegel“-Illustrationen, die auf neu angefertigten Druckstöcken beruhen, variieren dabei zwischen 10,3 und 10,5 cm in der Breite und zwischen 7,0 und 7,3 cm in der Höhe. Das auf „Fortunatus“, „Eulenspiegel“, „Melusine“ sowie ein oder zwei unbekannte Werke zurückgehende Fremdmaterial weist wiederum das auch für Oktav geeignete Bildformat auf – 6,9 bis 7,1 cm in der Breite und 4,9 bis 5,2 cm in der Höhe. Eine Ausnahme bildet dabei Illustration KS8 aufgrund ihrer geringeren Breite von nur 6,0 cm. Im Bereich der neu angefertigten Holzstöcke sind alle vier Druckstöcke sowie mindestens zwei Druckstockhälften inhaltlich dem erst später erschienen „Goldfaden“ zuzuschreiben. So kann Illustration KS27, welche einen Reiter mit einem Löwen bei der Jagd auf einen Hirsch zeigt, kaum auf das verbal vermittelte diegetische Geschehen bezogen werden. Während in dem der Illustration nachfolgenden Kapitel Willbald um eine Beförderung seines ehemaligen Knechts zum Forstmeister bittet – die einzige kapitelinterne Berührung mit dem Thema Jagd –, wird auch in den vorausgehenden und nachfolgenden Kapiteln weder von einer Hirschjagd noch von einem Löwen berichtet. Demnach wurde der Druckstock eindeutig für den „Goldfaden“ angefertigt, wo dessen Realisierung als Illustration G64 die kapitelintern auch verbal dargestellte Hirschjagd Leufrieds mit seinem Löwen verbildlicht165. Gleichsam kann auch Illustration KS26 kaum auf das verbal vermittelte Kapitelgeschehen bezogen werden. Die gezeigte Situation eines festlichen Mahls mit zwei anwesenden Damen und vier Herren, die sich am verbildlichten Bereich der Tafel versammelt haben, sowie einem Diener, der die Speisen hereinreicht, ist dort nicht enthalten. Stattdessen gibt die Spracherzählung lange Dialoge zwischen Friedbert, Felix und dem preußischen Hochmeister wieder, der Willbald zu seinem Hofmeister befördern möchte und die beiden mit der Suche nach einer geeigneten Ehefrau für Willbald betraut. Im „Goldfaden“ hingegen kann die Realisierung desselben Druckstocks als Illustration G26

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Druckstock 52 wird dabei zweifach, Druckstock 48 dreifach verwendet. Vgl. dazu auch Hans-Gert Roloff: Nachwort, in: Georg Wickram: Sämtliche Werke. Hrsg. von Hans-Gert Roloff. Bd. 3, Berlin 1968, S. 181–197, dort S. 185; Schmidt (2006), S. 152.

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2. Vier Romane Jörg Wickrams

problemlos auf das verbal geschilderte Kapitelgeschehen bezogen werden, wo Leufried bei einem Festmahl in Anwesenheit Anglianas und des Grafen von seiner abenteuerlichen Botenreise nach Lißbona berichtet. Außerdem entspricht die hinten rechts sitzende Figur aufgrund ihrer Schaube, ihrem Barett, ihrer Haar- und Barttracht sowie ihrer Kette weitgehend anderen Darstellungen des Grafen aus dem Bildprogramm des „Goldfadens“.

Abb. 19–22: Darstellungen des Grafen, Details der Illustrationen G26, G31, G39 und G52

Darüber hinaus weist auch die in den Illustrationen KS30 und G31 zutage tretende Bilddarstellung, welche auf Druckstock 56 beruht, die größeren Übereinstimmungen mit den verbalen Darstellungen im „Goldfaden“ auf. Dabei zeigt sie eine Schachpartie zwischen einem Jüngling und einer jungen Dame in Anwesenheit eines bärtigen herrschaftlich gekleideten Herren. So wird dort die im nachfolgenden Kapitel ausführlich geschilderte Schachpartie zwischen Walter und Angliana, die dabei von ihrem Vater, dem Grafen, beraten wird, verbildlicht. Im „Knabenspiegel“ hingegen kann die Bilddarstellung lediglich auf eine Partie Schach zwischen Marina und dem preußischen Hochmeister auf Willbalds und Marinas Hochzeitsfest bezogen werden. Der im Bild als Gegenspieler der jungen Dame in Szene gesetzte Jüngling widerspricht dabei den verbalen Darstellungen. Zudem stimmt die Figur des bärtigen Herren mit dem Erscheinungsbild des Grafen überein. Auch die junge Dame entspricht aufgrund ihres Obergewands und Rocks, ihres Baretts mit einer zentralen Blütendarstellung, ihres Haarnetzes sowie

Abb. 23–26: Darstellungen Anglianas im Vergleich zu Marina, Details der Illustrationen G27, G31, G52 und KS29

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ihrer Frisur und Kette anderen Darstellungen Anglianas und weist deutliche Unterschiede zur Erscheinung Marinas auf, die bei der durch Illustration KS29 verbildlichten Trauung eine Frauenschaube mit Stehkragen sowie als Gattin Willbalds eine Haube trägt. Gleichsam zeigt die den Illustrationen G23, G52, KS22 und KS28 zugrunde liegende Bilddarstellung die größten Übereinstimmungen mit dem verbalen Kontext im „Goldfaden“ als Illustration G52. Sie verbildlicht das Mittagsmahl, zu dem der Graf Leufried und Walter einlädt, um Leufrieds Rückkehr an den Hof kundzutun. Dabei wird der Graf zwischen Leufried und Walter auf der hinteren Sitzbank sowie Angliana und zwei ihrer Hofdamen in Rückenansicht auf der vorderen Sitzbank dargestellt. Ein am linken Bildrand dargestellter Diener bringt die Speisen herein. Der Graf wird dabei ausnahmsweise ohne Kette dargestellt (Abb. 22), und Angliana trägt das für ihr Erscheinungsbild charakteristische Barett (Abb. 25). In beiden Fällen der Realisierung der Bilddarstellung im „Knabenspiegel“ hingegen widerspricht allein die Anzahl der Figuren am Tisch dem verbalen Kontext. So wird im verbalen Kontext der Illustration KS22 ein abendliches Mahl, an dem neben Willbald, Friedbert und Felix lediglich Concordia und Felicitas beteiligt sind, jedoch keine weitere weibliche Figur, geschildert. Im Bereich der verbalen Darstellungen im Kontext der Illustration KS28 finden sich sogar lediglich drei Figuren – Friedbert, Felix und Marina – am Tisch ein166. Darüber hinaus werden im „Knabenspiegel“ mehrere Druckstockhälften verwendet, welche vermutlich ebenfalls für den „Goldfaden“ angefertigt wurden. Ein deutlicherer Bezug zum Bildprogramm des „Goldfadens“ sowie eine stimmigere Eingliederung in die Spracherzählung kann allen voran in den Realisierungen der Druckstockhälften IIe und IVa ausgemacht werden. So zeigt die auf der Druckstockhälfte IIe basierende Bild-

Abb. 27–30: Realisierungen der Druckstöcke IIe, IIk, IVa und IVd innerhalb der Illustrationen G33 und G11

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Zur Einbindung der Bilddarstellung als KS22 und KS28 in den verbalen Kontext siehe ausführlich S. 252–254.

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darstellung zum einen eine dem Erscheinungsbild des Grafen entsprechende Figur. Zum anderen hält diese ein Schriftstück in der linken Hand, wobei die einzige Realisierung, welche kapitelintern auf eine verbal geschilderte Situation um ein Schriftstück bezogen werden kann, durch Illustration G33 im „Goldfaden“ gebildet wird. Dort geht es um die Närrin, die Leufrieds Brief an Angliana ungeplanterweise dem Grafen anstatt seiner Tochter selbst übergibt – mit den bekannten schwerwiegenden Folgen. Die Närrin wird dabei von der ausschließlich im „Goldfaden“ realisierten Druckstockhälfte IIk verbildlicht, welche zudem ein bruchloses Gegenstück zur Druckstockhälfte IIe bildet. Druckstockhälfte IVa stellt währenddessen von Seiten der Bildgestaltung das passende Gegenstück zur Druckstockhälfte IVd dar, welche wie die Druckstockhälfte IIk ausschließlich im „Goldfaden“ realisiert wird. Die Kombination mit Druckstockhälfte IIIa, die im „Knabenspiegel“ in der Illustration KS6 zutage tritt, weist hingegen einen klaren Bruch zwischen der auf Druckstockhälfte IVa basierenden Innenraumdarstellung und der auf Druckstockhälfte IIIa basieren Außendarstellung auf. Die auf der Druckstockhälfte IVa beruhende Darstellung verbildlicht darüber hinaus einen Jüngling, der in der rechten Hand ein kleines Messer hält und daher zweifellos auf das Geschehen im „Goldfaden“ referiert, das verbal vermittelt der Realisierung der Druckstöcke IVa und IVd als Illustration G11 nachfolgt. Dort ist es Leufried, der sich in Anglianas Gemach vor ihren Augen mit einem Schreibmesser die Brust öffnet, um ihr den Aufbewahrungsort für den goldenen Faden zu demonstrieren. Im „Knabenspiegel“ hingegen erscheint der Jüngling mit dem Messer im Rahmen der Illustration KS6 thematisch unpassend. Darüber hinaus scheint auch eine Anfertigung der Druckstöcke IIa, IIb, IIc, IIf und IIIa für den erst später gedruckten „Goldfaden“ denkbar167. Über die bereits im „Knabenspiegel“ verwendeten beiden halben und drei ganzen Druckstöcke hinaus wurden für den „Goldfaden“ 30 weitere ganze Druckstöcke (47–86) angefertigt, von denen lediglich die Druckstöcke 58, 62 und 65 dort zweifach realisiert werden. Zudem wurden weitere elf Druckstockhälften (IIg–IIm, IIIc und IVb–IVd) geschaffen, welche an 17 von insgesamt 23 Kombinationsholzschnitten beteiligt sind. Daneben werden im „Goldfaden“ auch drei ganze Druckstöcke aus dem „Ritter Galmy“ für insgesamt vier Illustrationen sowie je eine Druckstockhälfte aus dem „Ritter Galmy“ und aus „Gabriotto und Reinhart“ für eine weitere Illustration verwendet. Auch wird der für den „Knabenspiegel“ angefertigte Druckstock 52 im „Goldfaden“ zweifach realisiert. Außerdem werden alle für den „Knabenspiegel“ angefertigten Druckstockhälften auch im „Goldfaden“ eingesetzt und abgesehen von Illustration G15 mit für den „Goldfaden“ angefertigten Hälften kombiniert. Darüber hinaus finden sich zwei ganze fremde Druckstöcke (F14–F15) je einfach realisiert, die vermutlich für die frölichschen

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Da die Hinweise in diesen Fällen jedoch weniger eindeutig sind, werden diese in 2.2.3 unter Vorbehalt als für die zuerst erschienene Erstausgabe vom „Knabenspiegel“ erstellt aufgeführt.

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Ausgaben vom „Fortunatus“168 und von der „Giletta“169 erstellt wurden, sowie ein einfach realisierter ganzer Druckstock (F13), der sich in Frölichs Ausgabe von „Tristan und Isolde“ wiederfindet170. Hinzu kommen sieben fremde, nach ihrer bildlichen Anschlussfähigkeit in zwei Gruppen zu unterteilende Druckstockhälften (FIa–FIc, FIIa–FIIc), welche großteils ebenfalls in Frölichs Ausgabe von „Tristan und Isolde“171 enthalten sind. Die Maße der Illustrationen, welche auf für den „Goldfaden“ selbst angefertigten Druckstöcken beruhen, variieren zwischen 10,3 cm und 10,5 cm in der Breite und zwischen 7,0 cm und 7,3 cm in der Höhe. Die Maße des Fremdmaterials hingegen variieren stark. Während die dem „Fortunatus“ entstammende Illustration den „Fortunatus“Illustrationen in „Gabriotto und Reinhart“ und im „Knabenspiegel“ entsprechend 7,2 cm in der Breite und 5,0 cm in der Höhe misst, weist die „Tristan“-Illustration 7,0 cm in der Breite und 6,3 cm in der Höhe und die „Giletta“-Illustration 7,7 cm in der Breite und 9,1 cm in der Höhe auf. Die teilweise oder vollständig auf Fremdmaterial beruhenden Kombinationsholzschnitte hingegen variieren von 10,0 bis 10,5 cm in der Breite und 6,9 bis 7,2 cm in der Höhe, wodurch sie sich im Format nur geringfügig von den für den „Goldfaden“ selbst angefertigten Holzschnitten unterscheiden. Bis auf die polyszenische Titelillustration im „Ritter Galmy“ und die drei auf kombinierte Holzstöcke zurückgehenden polyszenischen Textillustrationen KS12 und KS16 im „Knabenspiegel“ sowie G19 im „Goldfaden“ sind alle Bilddarstellungen monoszenisch. Im Fokus der zentralperspektivischen Bilddarstellungen, die durch schlichte Balken-

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Die Illustration G62 ist Teil des Illustrationszyklus’ der erhaltenen „Fortunatus“-Ausgabe von Frölichs Nachfolger Christian Müller d. Ä., bei welcher es sich vermutlich um einen Nachdruck einer frölichschen Ausgabe von 1551 oder früher handelt. Vgl. Fortunatus (1558), N1v. Die Illustration G68 ist die Titelillustration zu Frölichs „Giletta“, einer Boccaccio-Bearbeitung Erhart Lurckers, die Frölich unter dem Titel Zwo liebliche vnd nützliche Hystori / von gehorsam / o standthafftigkeyt / vnd gedult Erbarer frommen Ehefrauwen / gegen jr Ehgemaheln / mengklich gut o vnd nützlich zu lesen zusammen mit der Griseldis druckt. Vgl. Giovanni Boccaccio, Erhart Lurcker (Bearb.): Giletta, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 19 Blatt, D1v. Die Illustration G57 ist Teil des Illustrationszyklus’ der einzigen erhaltenen frölichschen Ausgabe von „Tristan und Isolde“. Da die dem Illustrationszyklus angehörigen Holzschnitte dort bereits deutliche Abnutzungsspuren aufweisen, sind sie vermutlich für eine frühere nicht erhaltene Ausgabe angefertigt worden. Auch kann bei den sehr unspezifisch gehaltenen Darstellungen nicht mit Sicherheit bestimmt werden, ob es sich bei „Tristan und Isolde“ tatsächlich um deren ursprünglichen Zusammenhang handelt. Vgl. Tristan und Isolde, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 100 Blatt, B2r. Alle im „Goldfaden“ verwendeten stilistisch nicht auf Entwürfe Wickrams zurückführbaren Druckstockhälften werden abgesehen von FIb und FIIc wie bereits Druckstock F13 auch in Frölichs „Tristan und Isolde“ realisiert. Stilistisch gehören jedoch auch die Druckstöcke FIb und FIIc dem in „Tristan und Isolde“ erhaltenen Illustrationszyklus an, dessen Holzschnitte bereits deutliche Abnutzungsspuren aufweisen und dessen ursprünglicher Zusammenhang nicht eindeutig bestimmt werden kann. Vgl. Tristan und Isolde (1557), A4v, C3v, E2r, G4 v, H1r, H2 r, K1r, L3 v, M3 r, O1r, O4 v, X4 r.

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2. Vier Romane Jörg Wickrams

rahmen begrenzt werden, stehen Szenen mit ein bis sieben fokussierten Figuren172. Die zurückhaltende Gestaltung der oftmals detailarmen, zum Teil sogar lediglich durch wenige Linien angedeuteten Außen- oder Innenräume stärkt dabei die Fokussierung der Figuren selbst173. Die Bildmotivik der wickramschen Textillustrationen wird dabei von reinen Gesprächsszenen sowie Darstellungen von Gesprächen verbunden mit der Übergabe von Objekten dominiert. So zeigen rund 43 Prozent aller Realisierungen auf Wickrams Vorlagen beruhender Druckstöcke reine Gesprächsszenen174 und rund 13 Prozent die Übergabe von Objekten175. Einen weiteren recht häufigen Motivtyp bilden Szenen der Durchreise, welche rund zwölf Prozent ausmachen176. Deutlich seltener hingegen finden sich Kampfszenen. Diese umfassen lediglich rund sechs Prozent der auf Wickrams Entwürfen beruhenden Textillustrationen177. Weitere seltene Motivtypen entstammen den Themenbereichen Jagd und Jagdunfall178, Gesang179, Spiel180, Tanz181 und Briefe-Schreiben182. Das Erscheinungsbild der Figuren entspricht der Mode des 16. Jahrhunderts, wie in den Bereichen der Haar- und Barttracht, der Gewandung sowie der vielfach in ihrer Üppigkeit vom antiken Schönheitsideal abweichenden Körperfülle beobachtet werden kann. Männliche Figuren tragen in der Regel die bei den Herren der Reformationszeit übliche Haartracht der Kolbe, „bei der das ungescheitelte Haar in halber höhe der Stirn und von Ohr zu Ohr rund um den Kopf geschnitten war“183. Während jüngere Herren zumeist glattrasiert sind, haben reifere Herren zumeist Vollbärte, die oftmals zeittypisch unter dem Kinn waagrecht gestutzt sind184 (Abb. 31, 32, 34). Als häufigste Fußbeklei172

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Abgesehen von den auf Druckstock 26 beruhenden Illustrationen RG44, GR6 und GR48 – diese fokussieren ein Schiff, wobei dessen Besatzung lediglich durch grobe Figurenköpfe angedeutet wird. Darauf komme ich mit Bezug auf die narrative Perspektive in 3.1.5 noch ausführlich zu sprechen. 80 von 188 Illustrationen: RG3, RG5–7, RG13–15, RG25–27, RG30–32, RG35, RG37, RG39–42, RG46–48, RG52–56, RG59, RG60, GR3, RG4, GR11, GR13, GR16, GR19, GR20, GR25–31, GR35, GR36, GR38, GR43–46, KS6, KS12, KS15, KS20, KS22, KS28, G2, G6, G8, G11, G13, G16–18, G23, G29, G30, G34, G36, G37, G39, G44, G46, G47, G49, G52, G53 und G61. 25 von 188 Illustrationen: RG4, RG11, RG18, RG23, RG24, RG38, GR10, GR15, GR33, GR37, GR47, GR50, GR51, KS24, G7, G10, G14, G27, G32, G33, G41, G45, G48, G51 und G54. 23 von 188 Illustrationen: RG9, RG12, RG34, RG36, RG44, RG45, RG50, GR51, RG58, GR6, GR21, GR42, GR48, KS9, KS11, G4, G25, G28, G35, G40, G42, G43, G50, G55 und G67. 12 von 188 Illustrationen: RG10, RG20, RG22, RG57, GR7, GR23, KS14, G5, G15, G22, G38, G60. 5 von 188 Illustrationen: GR9, KS27 und G64–66. 3 von 188 Illustrationen: KS21, KS23 und G9. 5 von 188 Illustrationen: RG49, GR8, GR12, KS30 und G31. 4 von 188 Illustrationen: RG21, GR27, KS19 und G63. 7 von 188 Illustrationen: RG16, RG17, RG19, GR14, GR17, GR34 und G12. Erika Thiel: Geschichte des Kostüms. Die europäische Mode von den Anfängen bis zur Gegenwart, Leipzig9 2010, S. 170. Vgl. Thiel (2010), S. 170.

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dung für Herren können dabei stark ausgeschnittene sogenannte Kuhmaulschuhe185 (Abb. 31, 33, 34) sowie verschiedene Formen von zumeist langen Reitstiefeln (Abb. 32) ausgemacht werden. In der Gewandung der Herren können dabei im Vergleich der Illustrationszyklen zum „Ritter Galmy“ und zu „Gabriotto und Reinhart“ mit den neu für den „Knabenspiegel“ und den „Goldfaden“ geschaffenen Bilddarstellungen leichte Unterschiede beobachtet werden. So tragen die Herren in den beiden früheren Romanen über dem Hemd zumeist einen weit ausgeschnittenen Faltrock mit weiten Ärmeln (Abb. 32) oder eine aus der spanischen Mode um 1520/30 adaptierte Capa (Abb. 31) zum Teil mit Kapuze186, dazu Kniestrümpfe und oftmals ein Straußenfederbarett (Abb. 31, 32). In den beiden späteren Romanen hingegen werden die ausladenden Straußenfederbarette zumeist durch schlichtere Formen (Abb. 33, 34) ersetzt, und auch die Capa wird seltener getragen. Zudem weichen die im frühen 16. Jahrhundert charakteristischerweise noch weit ausgeschnittenen Faltenröcke vielfach hoch geschlossenen Wamsen zum Teil mit Knopfleiste187 (Abb. 34), und wohlhabende Patrizier, Gelehrte und adlige Herren tragen wesentlich häufiger als in den früheren Romanen in der Regel knielange Schauben mit breiten Schulterkrägen aus Pelz188 (Abb. 33). Niederrangige männliche Figuren, wie z. B. der Hirte Erich, werden in der Regel im einfachen Wams oder Faltenrock und teilweise ebenfalls mit Barett gezeigt. Dabei spiegeln sich die verhältnismäßig geringen sozialen Unterschiede in der Gewandung der Renaissancezeit wider189.

Abb. 31–34: Erscheinungsbild männlicher Figuren, Details der Illustrationen RG47, GR23, KS15 und G9

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Eine Modeerscheinung des frühen 16. Jahrhunderts, vgl. Thiel (2010), S. 171 f. Vgl. Harry Kühnel: Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung. Vom Alten Orient bis zum ausgehenden Mittelalter, Stuttgart 1992, S. 43. Der weite Ausschnitt von Faltröcken und Wamsen wurde im Verlauf der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer weiter nach oben verlegt. Vgl. Thiel (2010), S. 169. Schauben entwickelten sich aus dem spätmittelalterlichen Tappert, wandelten sich vom spezifischen Gelehrtengewand zur allgemeinen Gewandung wohlhabender Herren und gelten als „charakteristisches Männerobergewand der deutschen Renaissance“. Kühnel (1992), S. 221. Vgl. Thiel (2010), S. 182 f.

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2. Vier Romane Jörg Wickrams

Höfische weibliche Figuren tragen zeittypisch ihre Haare zumeist aufgesteckt unter einem einfachen Haarnetz (Abb. 37) oder einer bestickten Calotte190 (Abb. 35), darüber vielfach ein Barett oder vereinzelt auch ein Schapel (Abb. 36). Die bei den Herren bereits thematisierte Tendenz weg von Straußenfederbaretten (Abb. 35) der beiden früheren Romane hin zu den schlichteren federlosen Formen (Abb. 37) der beiden späteren Romane kann auch bei den Damen beobachtet werden. Darüber hinaus wird die angleichende Tendenz zwischen Damen- und Herrenmode der Renaissancezeit sichtbar191. Höfische Damen tragen über ihren hoch geschlossenen Hemden in der Regel ebenfalls

Abb. 35–38: Erscheinungsbild weiblicher Figuren, Details der Illustrationen RG37, GR10, G53 und G4

Abb. 39–41: Figürliche Mimik, Details der Illustrationen GR37, G29 und G66

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Das Tragen von Damenbarett und Calotte ist eine süddeutsche Mode des frühen 16. Jahrhunderts. Vgl. Thiel (2010), S. 174. Vgl. Thiel (2010), S. 172.

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zeittypische Oberteile mit Schnürmiedern und Puffärmeln sowie lange rund geschnittene Überröcke192 (Abb. 35–37). Gelegentlich wird auch das Unterkleid sichtbar, wenn die Dame zum Voranschreiten ihr Obergewand ein wenig anhebt (Abb. 35). Niederrangige Frauen wie beispielsweise des Hirten Erichs Frau Felicitas tragen hingegen einfachere Schnürmieder und Röcke, mehrfach mit Schürze sowie teilweise Goller193 und als Zeichen ihrer Ehe eine Bundhaube (Abb. 38). Die in der Regel recht grob gestalteten figürlichen Gesichtszüge lassen dabei nur selten Emotionen in der figürlichen Mimik erkennen. Gelegentlich verbildlichen jedoch deutlich erkennbar herabgezogene Mundwinkel die Trauer von Figuren (Abb. 39). Auch kann ein weit aufgerissener Mund den Schrecken einer Figur anzeigen (Abb. 40). Selten wird darüber hinaus ein Lächeln angedeutet (Abb. 41). Oftmals deutlicher ausgeprägt ist hingegen die Gestik der Figuren. Am häufigsten treten dabei verschiedene Formen des Redegestus auf. In den meisten Fällen richten Figuren dabei ihren rechten Arm mit offener Handfläche oder ihren rechten Zeigefinger auf den Gesprächspartner (Abb. 46). Das Gegenüber kann dabei auch entgegnend die rechte Hand heben (Abb. 43). Außerdem kann das Gesprächsthema durch einen Zeigegestus angezeigt werden (Abb. 47). Wird jedoch der rechte Arm mit dem Handrücken auf den Gesprächspartner gerichtet, kann dadurch Distanz ausgedrückt werden. So findet sich dieser Redegestus in Situationen, in denen Figuren von höherrangigen Figuren verhört oder gemaßregelt werden. Die Gegenüber nehmen in diesen Fällen in der Regel einen demütigen Gestus ein (Abb. 48). Darüber hinaus kann das Richten beider geöffneter Handflächen in Richtung des Gegenübers einen beschwichtigenden Redegestus zum Ausdruck bringen (Abb. 44). Daneben drücken Gebärden auch Trauer und Nachdenk-

Abb. 42–45: Figurengestik, Details der Illustrationen RG2, RG3, RG30 und KS14

192 193

Ebd. Der Goller ist ein im späten 15. Jahrhundert entstandener Umlegekragen, der den tiefen Halsausschnitt der Damenkleider bedeckt. Vgl. Kühnel (1992), S. 90.

86

2. Vier Romane Jörg Wickrams

lichkeit aus: Trauert die Dame, so führt sie ihr Taschentuch zum Trocknen ihrer Tränen zum rechten oder linken Auge. Verfallen Herren in eine schmerzliche Nachdenklichkeit, so stützen sie ihren Kopf auf den linken Arm (Abb. 42). Darüber hinaus enthalten die Illustrationsprogramme Kampf- und Drohgebärden. Dabei richten Figuren ihre Waffe entweder direkt auf ihr Gegenüber oder holen damit zu einem Hieb aus (Abb. 45).

Abb. 46 – 48: Figurengestik, Details der Illustrationen G6, G29 und G39

Teilweise verfügen die bildlichen Darstellungen der Hauptfiguren dabei über einheitliche Individualmerkmale, welche eine unzweifelhafte Zuordnung der Figuren gewährleisten. So wird die Figur des Ritters Galmy durchgehend bartlos und mit zeittypischer Kolbe dargestellt. In der Mehrzahl der Darstellungen erscheint sein Haar darüber hinaus leicht lockig. Abgesehen von Darstellungen im Krankenbett, im Harnisch oder in der Mönchskutte trägt Galmy stets ein Straußenfederbarett oder hält dieses in der Hand. Unter Ausnahme der Illustrationen RG21 und RG49 wird er dabei außerhalb seiner

Abb. 49–53: Darstellungen Galmys, Details der Illustrationen RG8, RG11, RG29, RG34 und RG35

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2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben

87

eigenen Kammer, wo er ohne sein Übergewand gezeigt wird, mit einem weit ausgeschnittenen schwarzen Faltenrock über dem Hemd und Strumpfhosen verbildlicht. Galmys ebenfalls bartloser Freund Friedrich verfügt zwar ebenfalls über die Frisur der Kolbe, wird hingegen durchgehend in einer Capa meist mit Kapuze und einem dunklen Streifen am unteren Rand dargestellt. In der Mehrzahl der Darstellungen trägt Friedrich darüber hinaus im Unterschied zu Galmy ein federloses Barett.

Abb. 54 –58: Darstellungen Friedrichs, Details der Illustrationen RG6, RG13, RG17, RG30 und RG48

Abb. 59–63: Darstellungen der Herzogin, Details der Illustrationen RG4, RG13, RG21, RG29 und RG 54

Die Herzogin wird hingegen mit unterschiedlichen Kopfbedeckungen und Frisuren dargestellt. Einerseits erscheint sie mit Calotte und Federbarett (Abb. 60, 62) oder federlosem Barett (Abb. 61), andererseits mit Haarnetz oder Carlotte und Schapel (Abb. 59).

88

2. Vier Romane Jörg Wickrams

Abb. 64–67: Darstellungen Gabriottos, Details der Illustrationen GR1, GR5, GR10 und GR28

Zu ihrer geplanten Hinrichtung trägt sie darüber hinaus eine schwarze Haube (Abb. 63). Ihr Oberteil mit Schnürmieder und Puffärmeln hingegen, unter dem sie meist ein hoch geschlossenes Hemd trägt, variiert nur geringfügig. Für „Gabriotto und Reinhart“ und für den „Knabenspiegel“ hingegen wurden verhältnismäßig wenige neue Druckstöcke angefertigt. Da das mehrheitliche Zurückgreifen auf Druckstöcke aus verschiedenen anderen Werken einem weitgehend einheitlichen individuellen Erscheinungsbild der Hauptfiguren von vornherein entgegenstand, wurde vermutlich auch innerhalb der auf Neuanfertigungen beruhenden Bilddarstellungen weniger auf die Stimmigkeit der individuellen figürlichen Erscheinung achtgegeben. Die daraus resultierende Varianz innerhalb des figürlichen Erscheinungsbilds kann am Beispiel der unterschiedlichen Darstellungen Gabriottos verdeutlicht werden. Während sich nämlich einige Darstellungen Gabriottos am Erscheinungsbild Galmys orientieren, zeigen andere Darstellungen die Figur in einem schulterbetonten hellen Faltenrock mit länglichen Zierelementen am Rocksaum (Abb. 64) oder in einer Schaube (Abb. 65, 67). Gabriottos Haare wirken dabei teilweise glatt (Abb. 65) und teilweise lockig (Abb. 66, 67). Auch die Form seines Baretts variiert vom ausladenden Straußenfederbarett (Abb. 64, 66) hin zu schlichteren Formen (Abb. 65, 67). Zudem wirken auch seine Gesichtszüge recht unterschiedlich markant. In Kombinationsholzschnitten scheint darüber hinaus sogar mehrfach die Zuordnung der bildlich dargestellten Figuren kaum möglich194. Der „Goldfaden“ schließlich weist wiederum günstigere Voraussetzungen für ein weitgehend einheitliches individuelles Erscheinungsbild der Hauptfiguren auf, indem der

194

Dieses Phänomen wird unter dem Aspekt der narrativen Frequenz in 3.1.3 ausführlich zur Sprache gebracht.

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2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben

89

Großteil der Illustrationen auf für den „Goldfaden“ selbst angefertigte Druckstöcke zurückgeht. Auf der einen Seite kann somit erwartungsgemäß eine recht hohe Konstanz innerhalb der Darstellungen Anglianas und des Grafen beobachtet werden. Deren individuelle Erscheinungsmerkmale wurden bereits oben im Zusammenhang mit den im „Knabenspiegel“ zuerst realisierten, jedoch für den „Goldfaden“ angefertigten Druckstöcken thematisiert.

Abb. 68–72: Darstellungen Leufrieds, Details der Illustrationen G22, G27, G42, G44 und G64

Abb. 73 und 74: Darstellungen Leufrieds, Details der Illustrationen G65 und G66

Umso erstaunlicher erscheinen auf der anderen Seite die Differenzen innerhalb der Darstellungen Leufrieds im Bereich der Illustrationen, welche auf für den „Goldfaden“ selbst erstellten Druckstöcken basieren. Diese sind lediglich zum Teil mit dem Bestreben, den Wandel der Figur vom bürgerlichen Schuljungen bis hin zum stattlichen Grafen auch bildlich nachzuvollziehen, zu erklären. So erscheint Leufried während seiner Zeit als Diener am Grafenhof als leicht gelockter Jüngling im einfachen Faltenrock oder Wams mit federlosem Barett (Abb. 68, 69). Unstimmigkeiten sind jedoch nach dem vereitelten Mordanschlag des Grafen zu beobachten. So wechselt in der Phase von Leufrieds heimlicher Rückkehr zu Angliana sein Erscheinungsbild abrupt zwischen jugendlichen Darstellungen, welche Leufrieds früherer Erscheinung weitgehend entsprechen (Abb. 71), und Darstellungen, die Leufried deutlich gealtert und untersetzt

90

2. Vier Romane Jörg Wickrams

zeigen (Abb. 70). Noch beträchtlichere Unterschiede weisen die drei Darstellungen Leufrieds innerhalb der Episode der Hirschjagd mit dem aus ihr resultierenden Unfall auf. So erscheint Leufried zuerst als bärtiger Herr mit Federbarett im hochgeschlossenen Wams (Abb. 72), wird direkt im Anschluss jedoch bartlos und in einem weit ausgeschnittenen Faltenrock, zuerst ohne Kopfbedeckung (Abb. 73) und dann mit einem schmalkrempigen Hut (Abb. 74) dargestellt.

2.2.3 Tabellarisches Illustrationsverzeichnis „Ritter Galmy“ (RG) Kürzel

Lagensignatur

Druckstock

Verwendung195

Position196

Besonderheit 197

RG1

A1r

1

Ia

6

TH

RG2

A2r

2

Ia

2

RG3

A4r

3

Ia

1

RG4

B3v

4

Ia

4

RG5

C2r

5

Ia

4

RG6

D1v

Ia/Ib

Ia

1

RG7

E1r

3

Ib

1

RG8

D3v

6

Ia

1

RG9

F2v

7

Ia

4

RG10

G1r

8

Ia

4

RG11

G4v

9

Ia

1

RG12

H2r

7

Ib

3

195

196

197

KH

Ia: Druckstock wurde zur Illustration dieses Textes angefertigt und wird erstmals verwendet; Ib: Druckstock wurde zur Illustration dieses Textes angefertigt, wurde aber an mindestens einer Stelle zuvor bereits realisiert; Ic: Druckstock wurde zur Illustration dieses Textes angefertigt, jedoch bereits in einem früheren Text aus dem Korpus realisiert; II: Druckstock wurde zur Illustration eines anderen Textes aus dem Korpus angefertigt; III: Es handelt sich um Fremdmaterial des Druckers, in der Regel aus anderen Drucken der Offizin. 1: Position direkt unter dem Summarium; 2: Position direkt über dem Summarium; 3: Position oben auf der dem Summarium nachfolgenden Seite über dem Beginn des Kapiteltexts; 4: Position oben auf der dem Summarium nachfolgenden Seite; der Kapiteltext hat bereits unter dem Summarium begonnen; 5: Position freistehend im Kapiteltext ohne Anbindung an ein Summarium; 6: Position auf dem Titelblatt unter dem Titel; 7: Position freistehend zwischen Titelblatt und Beginn des ersten Kapitels. Z: mit Zierleiste versehen; TH: Titelholzschnitt; KH: Kombinationsholzschnitt; H: Hybrid aus Wort und Bild.

o

e

91

2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben Kürzel

Lagensignatur

Druckstock

Verwendung

Position

RG13

H4v

10

Ia

4

RG14

I3v

6

Ib

1

RG15

K1r

11

Ia

1

RG16

K3v

12

Ia

1

RG17

L1r

13

Ia

3

RG18

L3r

4

Ib

1

RG19

M1r

12

Ib

3

RG20

M2r

8

Ib

1

RG21

M4v

14

Ia

4

RG22

N3v

8

Ib

4

RG23

O1v

4

Ib

3

RG24

P1v

15

Ia

3

RG25

P4r

Ia/Ib

Ib

1

RG26

Q1v

10

Ib

1

RG27

Q3v

6

Ib

1

RG28

R2r

16

Ia

4

RG29

R4r

17

Ia

1

RG30

S3r

18

Ia

3

RG31

T2r

11

Ib

4

RG32

V1r

10

Ib

4

RG33

V2v

19

Ia

4

RG34

V4v

20

Ia

1

RG35

X2v

11

Ib

4

RG36

X4v

7

Ib

4

RG37

Y1v

21

Ia

1

RG38

Y3v

22

Ia

3

RG39

Z1v

6

Ib

3

RG40

Z3r

23

Ia

1

RG41

Z4r

21

Ib

1

RG42

Aa2v

24

Ia

3

RG43

Aa4r

25

Ia

1

RG44

Bb3r

26

Ia

3

RG45

Cc1v

7

Ib

4

RG46

Cc3v

27

Ia

1

Besonderheit

KH

92

2. Vier Romane Jörg Wickrams

Kürzel

Lagensignatur

Druckstock

Verwendung

Position

RG47

Dd3v

28

Ia

4

RG48

Ee1r

27

Ib

1

RG49

Ee3r

29

Ia

4

RG50

Ff1r

30

Ia

1

RG51

Ff3r

31

Ia

4

RG52

Gg2r

27

Ib

1

RG53

Gg4v

32

Ia

4

RG54

Hh3r

33

Ia

1

RG55

Ii1r

34

Ia

4

RG56

Ii2r

35

Ia

5

RG57

Ii3v

36

Ia

4

RG58

Kk3r

30

Ib

1

RG59

Kk4v

32

Ib

3

RG60

Ll3r

5

Ib

4

RG61

Mm1r

19

Ib

4

Besonderheit

„Gabriotto und Reinhart“ (GR) Kürzel

Lagensignatur

Druckstock

Verwendung

Position

Besonderheit

GR1

A1r

37

Ia

6

TH

GR2

A1v

38

Ia

7

H

GR3

A2r

11

II

1

GR4

A4r

Ia/Ib

II

1

GR5

B2r

39

Ia

4

GR6

B4r

26

II

4

GR7

C1v

8

II

1

GR8

C3v

29

II

4

GR9

C4v

40

Ia

1

GR10

D4r

41

Ia

1

GR11

E2r

33

II

5

GR12

E4r

6

II

1

GR13

F1v

Ia/Ib

II

1

GR14

G1v

13

II

4

GR15

G3r

15

II

3

GR16

H1r

Ic/Ib

Ia/II

1

GR17

H2r

12

II

1

KH

KH

KH

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93

2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben Kürzel

Lagensignatur

Druckstock

Verwendung

Position

Besonderheit

GR18

H4r

19

II

1

GR19

I1v

Ia/Id

II/Ia

1

GR20

K1r

10

II

3

GR21

K3r

20

II

4

GR22

L3v

F1

III

1

GR23

M1v

8

II

1

GR24

M4r

14

II

1

GR25

N2r

11

II

4

GR26

N3r

Ie/Ib

Ia/II

3

KH

GR27

N4v

Ia/Ic

II/Ib

4

KH

GR28

O3r

42

Ia

4

GR29

O4r

Ic/Id

Ib

1

KH

GR30

P1v

Ic/Ib

Ib/II

1

KH

GR31

P3r

Ie/Ib

Ib/II

1

KH

GR32

P4v

3

II

1

GR33

Q2v

4

II

1

GR34

Q4r

12

II

1

GR35

R3r

11

II

4

GR36

R4v

10

II

4

GR37

S3v

43

Ia

1

GR38

T2r

Ia/If

II/Ia

4

KH

GR39

T3v

F2

III

1

Z

GR40

V3v

F3

III

1

Z

GR41

X1r

17

II

1

GR42

X2v

7

II

1

GR43

X4r

Ic/Ig

Ib/Ia

5

GR44

Y3r

6

II

4

GR45

Y4r

Ie/Ib

Ib/II

1

GR46

Z1r

18

II

3

GR47

Z3v

44

Ia

4

GR48

Aa2v

26

II

4

GR49

Bb1r

45

Ia

4

GR50

Bb4v

46

Ia

1

GR51

Cc2r

47

Ia

4

GR52

Dd2v

38

Ib

4

KH

Z

KH

KH

H

94

2. Vier Romane Jörg Wickrams

„Knabenspiegel“ (KS) Kürzel

Lagensignatur

Druckstock

Verwendung

Position

Besonderheit

KS1

A1r

48

Ia

6

TH

KS2

A3r

F4

III

1

Z

KS3

A4r

F5

III

1

Z

KS4

B2r

F6

III

4

Z

KS5

B3v

6

II

1

KS6

C2v

IVa/IIIa

Ic/Ia

3

KH

KS7

C4v

F7

III

4

Z

KS8

D2v

F8

III

4

Z

KS9

D4v

30

II

4

KS10

E1v

F9

III

4

KS11

E3r

20

II

4

KS12

E4v

IIIb/IIIa

Ia/Ib

4

KH

KS13

F1v

F1

III

1

Z

KS14

F3v

IIa/IIb

Ia

4

KH

KS15

G1r

49

Ia

4

KS16

G3r

IIc/IId

Ia

1

KH

KS17

G4v

F10

III

1

Z

KS18

H2v

50

Ia

4

KS19

H4r

14

II

1

KS20

I2v

51

Ia

4

KS21

K1r

48

Ib

4

KS22

K4r

52

Ia

1

KS23

L2r

48

Ib

4

KS24

L3v

IIe/IIf

Ia/II

1

KH

KS25

M1r

F11

III

4

Z

KS26

M2v

53

II

1

KS27

M4v

54

II

1

KS28

N1v

52

Ib

1

KS29

N3v

55

Ia

4

KS30

N4r

56

II

5

KS31

O1r

F12

III

1

Z

Z

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95

2.2 Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frolich. Zu den Erstausgaben „Goldfaden“ (G) Kürzel

Lagensignatur

Druckstock

Verwendung

Position

Besonderheit

G1

A1r

57

Ia

6

TH

G2

A2r

58

Ia

1

G3

A4v

59

Ia

4

G4

B2r

60

Ia

4

G5

B3v

IIg/IIh

Ia

4

G6

C1r

61

Ia

3

G7

C2v

62

Ia

1

G8

C4v

IIIb/IIIc

II/Ia

4

G9

D2r

63

Ia

4

G10

D3r

IVb/IVc

Ia

1

KH

G11

D4v

IVa/IVd

Ic/Ia

1

KH

G12

E2v

64

Ia

1

G13

E4v

IIi/IIf

Ia/Ic

4

KH

G14

F3r

IIe/IVc

II/Ia

4

KH

G15

F4v

IIa/IIb

II

4

KH

G16

G2r

59

Ib

3

G17

G3v

65

Ia

1

G18

G4v

IIc/IIIa

II

1

KH

G19

H2r

IVb/IVd

Ib

4

KH

G20

H3v

FIa/FIb

III

4

KH

G21

H4v

66

Ia

1

G22

I2v

67

Ia

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G23

I4r

53

Ic

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G24

K2v

68

Ia

4

G25

K3v

IIc/IIj

II/Ia

1

G26

L1r

54

Ic

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G27

L3v

69

Ia

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G28

M1r

7

II

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M2v

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Ia

1

G30

M4v

71

Ia

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G31

N2v

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Ic

4

G32

N4r

72

Ia

1

G33

O1v

IIe/IIk

II/Ia

3

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G34

O4v

IIIb/IIf

II/Ic

1

KH

KH

KH

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2. Vier Romane Jörg Wickrams

Kürzel

Lagensignatur

Druckstock

Verwendung

Position

Besonderheit

G35

P2r

IIl/IIc

Ia/II

1

KH

G36

P3r

IIi/IIIa

Ib/II

1

KH

G37

Q1r

66

Ib

4

G38

Q3r

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Ia

4

G39

Q4v

74

Ia

1

G40

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FIIa/IIm

III/Ia

1

G41

R3v

75

Ia

4

G42

S1r

76

Ia

1

G43

S3r

FIIb/IIj

III/Ib

4

G44

S4v

77

Ia

4

G45

T2r

78

Ia

3

G46

T3r

79

Ia

4

G47

V1r

IIc/IId

II

4

G48

V2v

80

Ia

4

G49

V4r

IIi/IIf

Ib/Ic

4

G50

X1r

20

II

1

G51

X3r

81

Ia

1

G52

Y1r

53

II

4

G53

Y2r

82

Ia

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G54

Y4r

62

Ia

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G55

Z1r

7

II

1

G56

Z3r

FIIc/FIIa

III

1

KH

G57

Z4v

F13

III

1

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G58

Aa2r

FIa/FIc

III

1

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G59

Aa3v

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III

4

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G60

Bb1r

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Bb3r

Ia/Ic

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Bb4v

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Cc1v

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Cc3v

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Dd1r

86

Ia

1

G68

Dd2v

F15

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1

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

3.1 Damit der leser jr gestalt vor jm gespieglet sihet. Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens sie aber will ich ein wentzig abmalen / damit der leser jr gestalt vor jm gespieglet sihet (K4v), verspricht der Erzähler im „Goldfaden“, nachdem Angliana mit ihren Hofdamen den Speisesaal betritt und ihre engelsgleiche Erscheinung die Anwesenden in ihren Bann zieht198. Der Ankündigung folgt eine detaillierte, mit Vergleichen angereicherte Beschreibung: Sie was einer zimlichen lenge / mit einer wolgeschickten proportz / ihr haupt auffrichtig / ihr har gelb vnd etwaß gekreüßlet / jr stirnlin rund vnd breit mit liechtbrawen wenig gebogen augprewlin e gezieret / jr eüglin nach falcken art / klar vnd geschwind das naßlin ein wenig gebogen in zimlicher e e scherpfe / die wenglin mit schonen grublin vnd mit rosenfarb geziert / das mündlin einem Rubin gleich an der farb / allzeit sich ein wenig lachend erzeiget / dem helfenbein gleich weiß waren jre e zanlin schmal vnd klein nach rechter ordnung gesetzt / das kinn doppelt obeinander / an den obern e kinn ein wolgeschicktes grublin / jr helßlin rund vnnd langlecht weiß als der schnee / jr brust waß starck vnd breit / ihr arm vnnd hendlin gantz wol formieret / die weych schwanger vnnd rhan (K4v).

Demnach wird einer bestimmten Art der narrativen sprachlichen Beschreibung (in ihrer strukturellen Beschaffenheit), welche in der metaphorischen Wendung ,abmalen‘ zum Ausdruck kommt, die Wirkung zugeschrieben, ein mentales Bild der gestalt Anglianas beim leser zu erzeugen. Ein kausaler Zusammenhang von Struktur und Wirkung der Zeichen wird behauptet. Zugleich jedoch erscheint der Text nicht als alleiniger Gestalter der mentalen bildhaften Vorstellung, wenn die Metapher des ,Spiegelbilds‘ als Hinweis auf den eigenen Anteil des Rezipienten an den Projektionen seiner Wahrnehmung verstanden wird. Auch bieten Formulierungen wie ,mit einer wolgeschickten proportz‘ oder ,jhr arm vnnd hendlin gantz wol formieret‘ erheblichen Spielraum für eine individuelle Vorstellungsbildung. Demzufolge kann die Annahme, dass Wirkung aus dem Zusammenspiel der Zeichen in ihrer strukturellen Anordnung und der individuellen Wahrnehmung eines Rezipienten entsteht, als Implikation des Textes angenommen werden. 198

allen die so ir ansichtig wurden / sie nit einem menschen / sunder einem Engel verglichen (K4v).

98

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Zudem enthält die metaphorische Umschreibung des Erzählens als ,abmalen‘ einen Verweis auf die intermediale Beschaffenheit der Textsorte des illustrierten frühneuzeitlichen Romans199. Über die Metapher ,abmalen‘ wird Bezug auf ein Erzählen in Bildern genommen, das sich in Form der im Holzschnittmedium vermittelnden Bilderzählung im Text wiederfindet. Dabei liegt der Integration des Bildmediums in den Sprachtext, wie in der Einleitung ausgeführt, eine Montagetechnik zugrunde. Die Spracherzählung wird in weitgehend regelmäßigen Abständen zugunsten einer punktuell einsetzenden Bilderzählung unterbrochen, wobei Sprach- und Bildtext implizieren, miteinander in Bezug gesetzt zu werden, um nicht unvermittelt nebeneinander zu stehen. Es wird nach der Mitarbeit eines Rezipienten verlangt, der Sprach- und Bilderzählung zu einem Gesamtprodukt integriert und dadurch die Grundlage der Erschließung des intermedial vermittelten Sinnpotenzials des frühneuzeitlichen illustrierten Romans bildet. Darüber hinaus fordern die Erzähler mehrfach zur aktiven Mitarbeit am diegetischen Geschehen auf. So lässt der Erzähler im „Goldfaden“ beispielsweise seinen Bericht von den Feierlichkeiten anlässlich der Vermählung Leufrieds und Anglianas mit dem Hinweis abbrechen, ein jeder möge selb errichten was fúr freüd vnd kurtzweil fúrgangen sey (Cc2r). Auch sollen persönliche Erfahrungswerte in die Bedeutungskonkretisation sprachlicher Zeichen einbezogen werden, etwa wenn der Erzähler im „Ritter Galmy“ demjenigen die große freüd des Protagonisten über den von der Herzogin gespendeten e drost zu ermessen gibt, der sich selbst in liebe geubt hat und ihr vnderworffen gewesen (C3v) ist. Aus den angeführten Implikationen und Explikationen der Texte heraus scheint eine Interpretation angemessen, die in der Beleuchtung der Zusammenhänge von Erzählstruktur und in der Lektüre aktualisierbaren Wirkungspotenzialen den Rezipienten in Form einer implizit von den Texten vorgesehenen Rezipienten-Rolle berücksichtigt. Diese soll im Folgenden als ,impliziter Rezipient‘ bezeichnet werden und verkörpert gemäß der iserschen Terminologie „die Gesamtheit der Vororientierung, die ein fiktionaler Text seinen möglichen Lesern als Rezeptionsbedingungen anbietet“200. Aufgrund der oben aufgezeigten Möglichkeit des expliziten Hervortretens einer diesen impliziten Rezipienten scheinbar umfassenden Adressaten-Figur als leser sowie zahlreicher paratextueller Hinweise 201 soll von einer stillen Rezeption ausgegangen werden. Da es sich

199

200 201

Horst Wenzel beschreibt die Verschmelzung von malen und dichten im „Prosalancelot“ als Verweis auf eine „Textur von schriftlichen und ikonischen Zeichen“. Horst Wenzel: Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995, S. 303 f. Vgl. dazu auch Haiko Wandhoff: Ekphrasis. Kunstbeschreibung und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters, Berlin/New York 2003, S. 285 f. Iser (1994), S. 60. o Werbewirksame Hinweise auf Titelblättern und in Vorreden: on allen anstoß menigklich zu leßen o v r (Ritter Galmy, A1 ), fast kurtzweilig zu lesen (Gabriotto und Reinhart, A1 ), Liß mich (Knabeno spiegel, A2v), fast dienstlich zu lesen (Goldfaden, A1r).

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

99

beim impliziten Rezipienten um eine am Text entwickelte und textimmanent angenommene Instanz handelt, ist dieser von etwaigen historischen Rezipienten, deren individuelle Lektüren aufgrund des Mangels an überlieferten Rezeptionszeugnissen schwer zugänglich sind, strikt zu differenzieren. Im Folgenden sollen die in 1.2 bis 1.6 modifizierten genetteschen Theoreme auf die vier im Fokus der Untersuchung stehenden Romane Jörg Wickrams in Gestalt ihrer Erstdrucke angewendet werden, wobei auf diese Weise gewonnene narrative Strukturelemente vielfach zugleich den Ausgangspunkt wirkungsästhetischer Analysen bilden.

3.1.1 Ikonische Anachronien als kapitelübergreifendes Phänomen Kapitelübergreifende ikonische Anachronien treten innerhalb der vier fokussierten illustrierten Romane zumeist im Zusammenhang mit literarischer Affektevokation zutage. Auf das Evozieren von Affekten ist Literatur bereits seit der Antike ausgerichtet. So schreibt die aristotelische Poetik der griechischen Tragödie die Emotionalisierungsabsicht, Mitleid (gr. eleos) und Furcht (gr. phobos) zu erregen, zu und diskutiert eine diesbezüglich optimale Kombination von Figurenmerkmalen und Handlungsmustern202. Thomas Anz verallgemeinert und erweitert die aristotelischen Überlegungen und formuliert dabei unter anderem folgende Regeln: a) „Literarische Texte evozieren Mitleid, wenn Figuren, die sie zu Sympathieträgern machen, ein Unglück erleiden“. b) „Literarische Texte evozieren neben Mitleid auch Empörung, wenn Figuren, die sie zu Sympathieträgern machen, ein Unglück erleiden und wenn zusätzlich Antipathieträger für das Leid verantwortlich erscheinen“203. Eine weitere Regel lässt sich unter Bezug auf Anzs Ausführungen aufstellen: c) Literarische Texte evozieren neben Mitleid auch Traurigkeit, wenn Figuren, die sie zu Sympathieträgern machen, ein Unglück erleiden und wenn zusätzlich Sympathieträger für das Leid verantwortlich erscheinen204. Derartige Techniken der Affektevokation sind in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Erzählliteratur weit verbreitet205. Auch die Romane Jörg Wickrams bedienen sich

202 203

204 205

Vgl. Aristoteles: Poetik, übers. und hrsg. von Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, S. 39–43. Thomas Anz: Kulturtechniken der Emotionalisierung. Beobachtungen, Reflexionen und Vorschläge zur literaturwissenschaftlichen Gefühlsforschung. In: Im Rücken der Kulturen. Hrsg. von Karl Eibl u. a., Paderborn 2007, S. 207–240, dort S. 232. Vgl. Anz (2007), S. 232 f. Vgl. Ingrid Kasten u. a.: Zur Performativität von Emotionalität in erzählenden Texten des Mittelalters. Eine Projektskizze aus dem Berliner Sonderforschungsbereich ,Kulturen des Performa-

100

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

vielfach solcher Emotionalisierungsstrategien. So erleidet etwa die Herzogin im „Ritter Galmy“ das Unglück, an den lüsternen Marschall zu geraten, der ihren Gatten während dessen Jerusalemfahrt als Landesoberhaupt vertritt und dabei die Herzogin für eine Liaison zu gewinnen versucht. Dabei wird er mit normativen Wertzuschreibungen versehen: der schandtlich Marschalck (Y1v), Der schalckhafftig Marschalck (Y2r). Die negativen Attribuierungen kennzeichnen den Marschall als Antipathieträger, während zugleich die Rolle der Herzogin als Sympathieträgerin durch positive Attribute hervorgehoben wird. So bezeichnet der Erzähler die Herzogin, die das unmoralische Angebot des Marschalls empört zurückweist und seine Verfehlung anprangert, im Gegenzug als e züchtig vnd Edel (Y2v). Nachdem der Marschall von seinem bosen fürnemen (Y2v) nicht abrückt und die Herzogin weiter mit listigen worten (Y2v) zu täuschen meint, droht diese ihm mit der Benachrichtigung ihres Gatten über die Angelegenheit bei dessen Rückkehr. o Der Marschall verfällt daraufhin in grosse sorg vnd angst (Y2v) und grübelt, biß er zu e o letst ein bosen fund erdacht / dardurch er die Edel Hertzogin vnderstund vmb leib / Eer vnd o o gut zu bringen (Y3r) – die Herzogin soll des Ehebruchs mit einem Küchenjungen bezichtigt und durch dessen vom Marschall erkauftes falsches Zeugnis dem Anschein nach überführt werden. Als die Herzogin durch Friedrich von den falschen Ehebruchgerüchten um sie erfährt, fällt sie in Ohnmacht: der Edelman [Friedrich] der Hertzogin das vor allen jren Frawen vnd Junckfrawen erzalet / dardurch sye in solchen grossen schmertzen e kam / das schnellichen nider zu der erden sancke / all jr krafft vnd vernunfft verschwinden e thet / lang in solcher omacht lag / als ob sye gantz von diser welt gescheyden war (Z2v). Die Ohnmacht wird als körperliche Folge der grossen schmertzen der Herzogin dargestellt und evoziert dabei eine empathische Reaktion der Anwesenden. So spiegeln Friedrich und die anwesenden Hofdamen zunächst die schmerzliche Emotion der Herzogin, die sich bei den Hofdamen in Form von Tränen körperlich niederschlägt und somit nach außen getragen wird: in grossem weynen vnd klagen jre Junckfrawen ob jr [der Herzogin] o o stunden / […] Fridrich in grossem leyd bey der hertzogin stund (Z2v). Indem die Figuren sich von der beobachteten Emotion ihres Gegenübers anstecken lassen, entwirft die frühneuzeitliche Erzählung eine Modellreaktion, die gemäß der aktuellen neurowissenschaftlich ausgerichteten Kognitionsforschung als neuronale Simulation der Gefühle des Gegenübers – emotional empathy – aufgefasst werden könnte206. Daraufhin scheint sich in den Figuren eine Selbst-Fremdunterscheidung zu vollziehen, welche diese veranlasst,

206

tiven‘. In: Encomia – Deutsch. Sonderheft der Deutschen Sektion der International Courtly Literature Society. Hrsg. von Christoph Huber, Tübingen 2000, S. 42–60; Jutta Eming: Emotion und Expression. Untersuchungen zu deutschen und französischen Liebes- und Abenteuerromanen des 12.–16. Jahrhunderts, Berlin/New York 2006; Elke Koch: Trauer und Identität: Inszenierungen von Emotionen in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin 2006. Vgl. G. S. Tsoory-Shamay, A. Ahron-Peretz und D. Perry: Two Systems for Empathy. A Double Dissociation between Emotional and Cognitive Empathy in Inferior Frontal Gyrus versus Ventromedial Prefrontal Lesions. In: Brain 132 (2009), S. 617–627.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

101

anstatt im geteilten Schmerz zu verharren, villerley Versuche zu unternehmen, die ohnmächtig zu Boden gesunkene Herzogin wieder zu jren verlornen krefften (Z2v) zu bringen. Die in keiner Weise als unangemessen markierte Reaktion der Figuren legt zudem nahe, dass auch die implizite Rezipienten-Rolle darauf angelegt ist, die Emotion zunächst mitzufühlen, um sie daraufhin nach einer Selbst-Fremdunterscheidung dem wahrgenommenen Subjekt zuzuschreiben207. Gemäß den von Thomas Anz weiterentwickelten aristotelischen Überlegungen würde sich dann je nach Sympathie bzw. Antipathie der Figur gegenüber eine Empfindung von Mitleid oder Genugtuung anschließen.

Abb. 75: Illustration RG40

Schließlich werden die Bemühungen Friedrichs und der Hofdamen von Erfolg gekrönt: o Als nun die Hertzogin ein wenig wider zu jr selbs kam / jre zarten eüglin ein wenig vffschloß / von stund an Friderichen bey jr mit weynenden augen ston sach (Z3r). An dieser Stelle endet das 38. Kapitel. Obwohl die Herzogin aus ihrer Ohnmacht bereits wieder erwacht ist, lenkt die nachfolgende Kapitelüberschrift den Fokus zurück auf den aus der Schreckensbotschaft resultierenden körperlichen Verfall der Herzogin, der zugleich ihr großes Leiden versinnbildlicht: Wie die Hertzogin in ein groß omacht kam / als sye sollichs mordt vnd übels auff sye reden vernam (Z3r). Die darauffolgende Bilddarstellung,

207

Vgl. Kasten (2000), S. 53; Katja Mellmann geht in diesem Zusammenhang von empathischen Repräsentationen mit ,quasi-emotionaler‘ Qualität aus. Vgl. Katja Mellmann: Gefühlsübertragung? Zur Psychologie emotionaler Textwirkungen. In: Machtvolle Gefühle. Hrsg. von Ingrid Kasten, Berlin/New York 2010, S. 107–119.

102

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Illustration RG40, verweist ebenfalls zurück, indem sie die von einer Hofdame gestützt zu Boden gesunkene Herzogin im Beisein Friedrichs, der im Redegestus den Damen zugewandt ist, zeigt. Sie bildet demnach eine die Kapitelgrenze überschreitende ikonische Analepse. Dabei nähert sich die kapitelübergreifende Szenendramaturgie in der direkt unterhalb der Illustration wieder einsetzenden Spracherzählung ihrem finalen Höhepunkt. Mit weynenden augen (Z3v) wendet sich die erneut emotional erregte Herzogin an Friedrich: O mort mein aller liebster diener / wer mag mir doch solliche grosse o schand on alle vnschuldt zulegen (Z3v). Indem die Herzogin sich nach dem Verantwortlichen für ihr Unglück fragt, verweist sie indirekt auf den Marschall, der dem impliziten Rezipienten an dieser Stelle als Ausgangspunkt der Intrige längst bekannt ist und als solcher gemäß den von Thomas Anz weiterentwickelten aristotelischen Überlegungen Empörung generiert. Währenddessen evoziert die Betrachtung der sich direkt darüber befindlichen Illustration beim impliziten Rezipienten zunächst mitempfundenen Schmerz und daraufhin Mitleid mit der als Sympathieträgerin markierten Herzogin, indem die Bilderzählung ihm deren Körperreaktion auf das ihr zugefügte Leid vor Augen hält und somit die bereits sprachlich im Kapitel zuvor evozierten Affekte fortträgt. Davon, dass im 16. Jahrhundert derartige Bildwirkungen bereits bekannt waren208, zeugt das zu Wickrams Zeit im deutschsprachigen Raum weit verbreitete Traktat „De Pictura“ des italienischen Humanisten Leon Battista Alberti 209: Animos deinde spectantium movebit historia, cum qui aderunt picti homines suum animi motum maxime prae se ferent. Fit namque natura, qua nihil sui similium rapacious inveniri potest, ut lugentibus conlugeamus, ridentibus adrideamus, dolentibus condoleamus. [Ferner wird ein Vorgang die Seelen der Betrachter dann bewegen, wenn die gemalten Menschen, die auf dem Bild zu sehen sind, ihre eigene Seelenregung ganz deutlich zu erkennen geben. Die Natur nämlich, die in unvergleichlichem Maße an sich reißt, was ihr gleicht: die Natur also schafft es, dass wir mit den Trauernden mittrauern, dass wir die Lächelnden anlächeln, dass wir mit den Leidenden mitleiden210.]

Bedingt durch die analeptisch zurückblickende Illustration können sich Mitleid und Empörung somit in ihrer direkten Gegenüberstellung in Wort und Bild gegenseitig verstärken. Anschließend erlebt das visualisierte körperliche Verfallsmoment der (zeitlich

208

209

210

Die Vorstellung von einer Affektübertragung von der gemalten Figur auf den Betrachter geht auf die antike Rhetorik zurück. So messen bereits Cicero und Quintilian der Gestik und dem physiognomischen Ausdruck des Redners größere Bedeutung für die Evokation von Affekten beim Rezipienten bei als der Auswahl der Worte. Vgl. Oskar Bätschmann und Christoph Schäublin: Einleitung. Leon Battista Alberti über das Standbild, die Malkunst und die Grundlagen der Malerei. In: Leon Battista Alberti: De Statua, De Pictura, Elementa Picturae. Hrsg. und übers. von Oskar Bätschmann und Christoph Schäublin, Darmstadt 2000, S. 13–140, hier S. 96. Zur Verbreitung und Rezeption von „De Pictura“ im 16. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum vgl. Bätschmann (2000), S. 104–110. Leon Battista Alberti: De Statua, De Pictura, Elementa Picturae. Hrsg. und übers. von Oskar Bätschmann und Christoph Schäublin, Darmstadt 2000, S. 268 f.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

103

begrenzten) Ohnmacht seine erste verbale Steigerung in der Todesgewissheit der Herzogin: Ach was wil mein aller liebster herr sagen / so er von seiner weiten reyß wider heym o kumpt / vnd mich / als ein verlimbdte eebrecherin meynt zu finden / daran mir doch gewalt o vnd vnrecht beschehen thut / warlich er würt nit anderst dann wie mit einem brüchigen weib mit mir handlen / vnd mich mit dem grimmen todt darumb straffen (Z3v). Die Figurenrede gipfelt schließlich, indem die Herzogin die postmortale Schande einer Ehebrecherin noch über den eigenen Tod hängt: Den todt aber ich nit klagen wolt / wo man nit sprech / mich vmb solche schand verurteylt worden sein. O du frummer Fürst vnd Herr mein / e mochtest du mich doch nach meinem tod vnschuldig erfinden / wolt ich gern sterben (Z3v). In der Schlusspassage der Figurenrede der Herzogin wird das enorme Ausmaß eines mit Ehebruch einhergehenden Ehrverlusts im vollen Ausmaß deutlich. Da die schand den durch eine Hinrichtung bewirkten körperlichen Schaden überwiegt, wodurch das Maß des der Herzogin zugefügten Leids auf die Spitze getrieben wird, kann sowohl die Empörung des impliziten Rezipienten gegenüber dem Marschall als auch sein Mitleid mit der Herzogin nochmals eine abschließende Steigerung erleben.

Abb. 76: Illustration RG46 (RG48, RG52)211

Eine weitere Illustration im „Ritter Galmy“ bildet eine kapitelübergreifende ikonische Analepse. Diese – Illustration RG46 – zeigt Friedrich, der unzweifelhaft anhand seines in 2.2.2 erläuterten charakteristischen Erscheinungsbildes zu erkennen ist, beim Besuch der im Kerker ausharrenden Herzogin unter Beobachtung eines Wächters. Die Herzogin

211

Weitere Realisierungen derselben Druckstöcke innerhalb der vier untersuchten Erstausgaben wickramscher Romane werden in Klammern angegeben.

104

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

trocknet mit einem Taschentuch ihre Tränen, während sie sich im Gespräch mit Friedrich befindet. Die Szene bezieht sich auf eine Erzählpassage des vorangegangenen Kapitels: Nachdem die Herzogin bei ihrem aus dem Heiligen Land zurückgekehrten Gatten kein Gehör findet und in den Kerker geworfen wird, wo sie auf ihre Hinrichtung warten soll, stattet ihr Friedrich dort einen Besuch ab. Die Herzogin zeigt sich zunächst vor grossem schmertzen (Cc1v) sprachlos. Wiederum spiegelt Friedrich zunächst die Emotion o seiner Herrin: Der edel Fridrich in grossem leyd vnd schmertzen stund (Cc1v). Daraufhin versucht er ihr Trost zu spenden, indem er von einem Grafen aus Pickardey berichtet, der zusammen mit dem Herzog das Heilige Grab besucht hat und sich nun am Hof aufhält. Die Herzogin soll den Grafen vom Verrat des Marschalls überzeugen und ihn bitten, den Herzog zu einem Gerichtskampf zu bewegen. Für den Fall, dass sich am Hof kein Kämpfer finden ließe, bietet Friedrich der Herzogin an, selbst nach Schottland zu reisen, um Galmy zurück nach Britannien zu holen. Die Herzogin bedankt sich für den Rat und bittet Friedrich mit weynenden augen (Cc2r) ein Gespräch zwischen ihr und dem Grafen in die Wege zu leiten. Nachdem Friedrich den Grafen zur Herzogin gebracht hat, berichtet diese von den an sie gerichteten Avancen des Marschalls sowie von dessen e e e bosen vnd verrhaterischen anschlag (Cc3r) mit Hilfe des gekauften Küchenjungen. Auch wenn sie weder marter noch todt fürchte, habe sie eine letste bitt (Cc3r) an ihren Gatten – einen Gerichtskampf, der mit Gottes Hilfe ihre Unschuld ans Licht bringen soll. Die Erzählung der Herzogin bewegt den Graf schließlich zu groß mitleiden. Daher verspricht er, sich für sie beim Herzog einzusetzen: Mit disen worten der Graff von der Herzogin inn o groß mitleiden beweget ward / jr versprach / so vil mit dem Hertzogen zu uerschaffen / das jr o solliche bitt zu gelassen würde (Cc3r). An dieser Stelle endet das 44. Kapitel. Die Kapitelüberschrift des nachfolgenden Kapitels 45 verweist voraus auf den Erfolg des Grafen: o Wie der Graff auß Piccardey zu dem Hertzogen kumpt / der Hertzogin zwen monat frist erlanget / vnd wie es harnach gieng (Cc3v). Die unterhalb der Kapitelüberschrift abgedruckte Illustration RG46 bezieht sich hingegen analeptisch auf Friedrichs Besuch am Kerker der Herzogin. Direkt unterhalb der Illustration setzt wiederum die Spracherzählung ein und greift erneut die Emotionen des Grafen und der Herzogin auf: DEr Edel e e o vnd gutig Graff / groß mitleiden mit der betrubten Frawen hat / sich eilendts zu dem Herte e o zogen fuget / etlich seiner mit bruder vnd gesellen / so mit einander zu Jerusalem gewesen waren / mit jm nam (Cc3v). In einem langen und schwierigen Streitgespräch, in das der Graf schließlich auch die Landts herren (Cc4r) des Herzogs einbindet, kann er einen e Gerichtskampf erwirken. Sein groß mitleiden mit der betrubten Frawen motiviert dabei sein beträchtliches Engagement für die Herzogin. Die direkt darüber abgedruckte Illustration evoziert ein vergleichbares Mitleidsempfinden beim impliziten Rezipienten, indem sie ihm rückblickend die weinende unschuldig hinter Gitter gebrachte Herzogin vor Augen führt. Die emotionale Motivation des Grafen, der im folgenden Gespräch mit dem Herzog alle Hebel in Bewegung setzt, um einen Gerichtskampf zu erlangen, kann vom impliziten Rezipienten emotional nachvollzogen werden, indem er durch die Bilddarstellung dazu angeregt wird, die Emotion der Figur des Grafen zu teilen.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

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Abb. 77: Illustration RG49 (GR8, GR12

Neben Illustrationen, die kapitelübergreifende ikonische Analepsen bilden212, enthalten die untersuchten Romane auch einige wenige Kapitelgrenzen überschreitende ikonische Prolepsen, die sich nicht aus der romaninternen Mehrfachverwendung von Druckstöcken ergeben213. So zeigt Illustration RG49 aus dem „Ritter Galmy“ den Titelhelden beim kurzweiligen Steine-Stoßen mit anderen jungen Edelleuten214 im Garten vor dem Schloss am Hof des schottischen Königs – eine Szene, deren Entsprechung in der Spracherzählung erst ein Kapitel später, wenn der Bote Lupoldt mit dem Brief der Herzogin am schottischen Hof eintrifft und Galmy beim Steine-Stoßen vorfindet, enthalten ist. In Kapitel 48 hingegen, wo RG49 zuoberst der zweiten Kapitelseite in den Sprachtext montiert ist, berichtet die Spracherzählung vom Brief der Herzogin, in dem sie von den unziemlichen Annäherungsversuchen des Marschalls und dessen Intrige verbunden mit der Instrumentalisierung des Küchenjungen schreibt und Galmy an die lieb, die sie o in grossen trewen zusamen getragen (Ee3v), seine Rettung durch sie von seiner Krankheit und ihr Mitgefühl bei seiner Fingerverletzung erinnert. Daraufhin bittet sie ihn, er solle o sich ihr groß ellendt gleichsam zu hertzen nemmen (Ee3v) und ihr in ihrem grossen leiden o zu hilff kummen (Ee4r). Die Herzogin übergießt ihren Brief an Galmy mit heyssen

212

213 214

Neben den besprochenen Illustrationen RG40 und RG46 bilden die Illustrationen RG50 und G38 weitere kapitelübergreifende ikonische Analepsen. Dabei lässt sich auch Illustration G38 mit Affektevokation in Verbindung bringen. Kapitelübergreifende Prolepsen bilden die Illustrationen RG49, RG54, GR37 und G9. Galmy mit andren Herren vnd Edlen vmb kurtz weyl willen den steyn stieß (Ff1r–Ff1v).

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 78: Illustration GR37

trehern (Ee4r). Die Chronologie der diegetischen Ereignisse wird an dieser Stelle aufgebrochen, um der Spracherzählung eine spätere Szene des diegetischen Geschehens gegenüberzustellen: Die Not der Herzogin, von der die Spracherzählung berichtet, wird in der Konfrontation mit einem Bild Galmys beim kurzweiligen Zeitvertreib mit Gleichgesinnten kontrastiert. Dabei kann die visuelle Präsenz des vergnügten Galmy in Verbindung mit der direkt unterhalb der Illustration dargestellten Not der Herzogin und ihrem verzweifelten Hilfegesuch im ersten Moment Wut über den Ritter erregen, der sich amüsiert, während seine Dame leidet und auf seine Hilfe angewiesen ist. Diese wandelt sich jedoch in Betroffenheit als eine Form von Trauer, sobald die Ahnungslosigkeit des kontinuierlich als Sympathieträger markierten Protagonisten reflektiert wird. Auch hat die Spracherzählung an dieser Stelle bereits eine klare Erwartungshaltung bezüglich Galmys Reaktion auf die Not der Herzogin aufbaut. So implizieren Figurenreden seines besten Freundes Friedrich Galmys sofortige Rückkehr nach Britannien: Ach mein aller liebster e e gesell Galmy / mochtest du wissen in was grossen leidens dein aller liebste Hertzogin war / du würdest inn Schottenland nit bleiben / vnd dein lieb in Britanien in solchem leyd lassen (Z2v–Z3r); den weyß ich / er [Galmy] eüch [die Herzogin] inn ewer letsten nodt nit lassen wolt (Cc2r). Das Gegenüberhalten der beiden durch Liebe verbundenen Figuren und ihrer gegensätzlichen Emotionen der Freude und des Leids, entfaltet demnach die besondere Tragik, welche der Szene anhaftet – die Ahnungslosigkeit des Ritters vom großen Leid seiner Hilfe bedürftigen Dame beim Amüsement. Eine weitere Gegenüberstellung konträrer Affekte in Bild- und Spracherzählung verbunden mit einer ikonischen Prolepse ist in „Gabriotto und Reinhart“ enthalten. So

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

107

zeigt Illustration GR37 den alten Ritter Gernier bei der Übergabe von Briefen an Philomena und Rosamunda, die zu diesem Zeitpunkt ihre geliebten Ritter Gabriotto und Reinhart für tot halten. Fallende Mundwinkel, Augenringe, aufeinandergepresste Lippen, die schlaffe Nackenhaltung, der gesenkte Blick sowie die erstarrt wirkende Körperhaltung der Damen veranschaulichen dabei die schwermütige Traurigkeit, in der sich die beiden seit der Schreckensbotschaft vom Schiffbruch Gabriottos und Reinharts befinden215. Zudem sind auch die beiden Hunde, deren Rückkehr den Schiffbruch angedeutet hat, anwesend. Die Illustration führt dem impliziten Rezipienten demnach die Traurigkeit der Damen vor Augen und regt ihn dazu an, diese nachzuempfinden. Indem die Spracherzählung am Ende des 45. Kapitels dem Holzschnitt vorangehend vom Weinen und Klagen Philomenas und Rosamundas um ihre tot geglaubten Geliebten sowie von der Trauer Gerniers berichtet, wird der impliziete Rezipient bereits vorweg auf das Thema eingestimmt216. Zugleich verweist die Kapitelüberschrift des 46. Kapitels oberhalb der Illustration bereits auf die große Freude, in die sich die Trauer der beiden Damen verkehrt, als sie die Handschriften ihrer geliebten Ritter erkennen: Wie die beyo den jungen Ritter jren aller liebsten junckfrawen Bottschafft thund / dardurch sye von newem erfrewt werden (S3v). Jedoch gibt die nachfolgende Spracherzählung sowohl die Briefübergabe als auch die Freude über das Lebenszeichen der Ritter erst im 48. Kapitel wieder 217. Im 46. Kapitel berichtet sie zudem keineswegs davon, dass Gabriotto und Reinhart ihren Damen brieflich Entwarnung geben. Die beiden jungen Ritter suchen stattdessen Vergnügungen – freüd vnd kurtzweil mit anderen edelleüten, beysen, jagen und fischen: ALs nun Gabriotto vnd Reinhart yetzund in Franckreich kummen waren / jres schreckens gantz vergessen hatten / vnd yetzundt mit andren Rittern vnd edelleüten mancherley freüd vnd kurtzweil o suchten / doch under andrem jrer aller liebsten junckfrawen nye vergessen theten / sich eines tags begab das sye mit einem alten Ritter auff ein halbe tagreyß von Pariß auff einen seinen sitz ritten / ettlich tag mit beyßen / jagen vnd fischen jr zeit vertriben (S3v–S 4r).

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216

217

Die Darstellungen Philomenas und Rosamundas entsprechen hierbei weitgehend den Kriterien Albertis für die bildliche Umsetzung figürlicher Traurigkeit: Nam videmus ut tristes, quod curis astrici et aegritudine obsessi sint, totis sensibus ac viribus torpeant, interque pallentia et admodum labantia membra sese lenti detineant. Est quidem maerentibus pressa frons, cervix languida, denique omnia veluti defessa et neglecta procidunt. [So sehen wir zum Beispiel, wie Schwermütige – weil in Sorgen verstrickt und von Gram besessen – mit allen ihren Sinnen und Kräften erstarrt sind und fast unbeweglich verharren, während ihre Glieder fahl wirken und ganz so als brächen sie ein. Die Stirne von Trauernden ist gefurcht, der Nacken schlaff, und alles fällt schließlich vornüber, wie infolge von Erschöpfung und Vernachlässigung.] Alberti (2000), S. 268 f. e o Als nun der gut alt Ritter Gernier die beiden junckfrawen so gantz klaglich geberen sah / sye so bester e e o o mocht anhub zu trosten / als er aber solchs alles befand vmb sunst sein / mit betrubtem hertzen von jhn schied (S3r). erst wurden sie mit grosser freüd vmbgeben / von stund an die handtschrifft jrer lieben Ritter erkannten (T4v).

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Die verbal vermittelte Freude und Kurzweile Gabriottos und Reinharts kontrastiert dabei die direkt darüber bildlich umgesetzte Traurigkeit ihrer Damen. Auch wenn die beiden Ritter die Erinnerung an ihre aller liebsten junckfrawen kontinuierlich aufrechterhalten, verfliegt mit ihrem eigenen Schrecken auch der Gedanke an die möglichen Folgen einer Benachrichtigung ihrer Damen von dem Schiffsunglück an der britannischen Küste. Die Gegenüberstellung der zur Nachempfindung anregenden Affekte kann dabei wiederum zunächst Ärger über die jungen Ritter evozieren, die durch eine frühere Botschaft die Leidenszeit ihrer Damen hätten zeitig beenden können. Zugleich jedoch entfaltet sich erneut eine Tragik, welche auf dem Nichtwissen der durchweg als Sympathieträger markierten Protagonisten um das Unglück ihrer geliebten Damen beruht – die Ritter amüsieren sich, während ihre Damen leiden. Jedoch hat die Zeit des Amüsements an dieser Stelle insbesondere für Reinhart nicht allzu lange Bestand. Seine scheinbar unbewusste Ahnung schlägt sich auf dem Landgut des alten Ritters in einem für ihn zunächst rätselhaften Traum nieder218. Erst dessen gemeinsame Deutung veranlasst die jungen Ritter später schließlich doch noch dazu, ihre Damen brieflich über den überstandenen Schiffsbruch und ihr Wohlergehen in Frankreich zu benachrichtigen. Zahlreiche weitere Erzählmomente mit Kapitelgrenzen überschreitender anachronischer Wirkung entstehen im Zusammenhang der textinternen Mehrfachverwendung von Holzschnittmaterial. Diese sollen unter dem Aspekt der narrativen Frequenz, die der Abschnitt 3.1.3 behandelt, diskutiert werden.

3.1.2 Ikonische Anachronien als kapitelinternes Phänomen Während kapitelübergreifende Anachronien innerhalb der vier untersuchten Romanausgaben ziemlich selten auftreten, kann die große Mehrzahl der Illustrationen auf Ereignisse bezogen werden, die zugleich in der Spracherzählung des der jeweiligen Bilddarstellung zugehörigen Kapitels enthalten sind. Die allermeisten gehen dabei der Manifestation des von ihnen als Szene verbildlichten Ereignisses im Sprachtext voraus, indem sie, wie in 2.2.1 aufgezeigt, entweder dem verbalen Kapitelbeginn (nicht aber der Kapitelüberschrift) vorangestellt oder zuoberst der zweiten Kapitelseite in den Verlauf der Spracherzählung montiert sind. Auch die wenigen frei im Sprachtext stehenden Illustrationen gehen den Ereignissen der Spracherzählung, auf die sie sich beziehen, voraus219. Demnach haben die meisten Bilddarstellungen innerhalb der Mikrostruktur der Kapitel proleptischen Charakter.

218

219

Zur Traumsemantik in „Gabriotto und Reinhart“ vgl. Christine Pfau: Drei Arten, von Liebe zu träumen: Zur Traumsemantik in zwei Prosaromanen Jörg Wickrams. In: Zeitschrift für Germanistik 8 (1998), S. 282–301. Vgl. die Illustrationen RG56, KS30 und GR43 in ihrem jeweiligen verbalen Kontext.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

109

Dabei stellt die proleptische Positionierung des Großteils der Illustrationen ein Phänomen nicht allein von typografischer Relevanz dar. Die Position der Bilddarstellungen im Sprachtext hat Anteil an der Gestaltung der Lektüreerfahrung. Kapitelinterne ikonische Prolepsen führen demnach verschiedene Rezeptionseffekte herbei: Zum einen erhöhen proleptisch vorangestellte Illustrationen die Achtsamkeit des impliziten Rezipienten nach erstmaliger Bildbetrachtung in seiner fortfahrenden Lektüre der Spracherzählung bezüglich der dargestellten Szene – ein Effekt, der vom höheren Aufmerksamkeitswert von Bild- gegenüber Schriftmedien220 begleitend verstärkt wird. In einigen Fällen wird dabei zugleich Spannung erzeugt. Zum anderen regt die Illustration zu einer erneuten Betrachtung an, wenn das der bildhaften Szene entsprechende verbal dargestellte Ereignis im Verlauf der Lektüre erreicht ist, was die Aufmerksamkeit auf das intermedial vermittelte Handlungsmoment zusätzlich intensiviert. Dabei unterstützt die zweite Bildbetrachtung die Memorierung der bildlich dargestellten Szenen und festigt deren mentale Verknüpfung mit dem Romangeschehen221. In späteren Reflexionen über das Geschehen nehmen die verbildlichten Szenen daher einen besonderen Stellenwert ein. Zudem wird die Möglichkeit gefördert, sich mit Hilfe der Illustrationen das vorangegangene Geschehen etwa nach einer längeren Unterbrechung der Lektüre zurück in Erinnerung zu rufen222. Im Folgenden sollen mehrere der gerade beschriebenen Effekte anhand einer Passage aus dem „Goldfaden“ exemplarisch aufgezeigt werden: Im 65. Kapitel wird dort berichtet, wie Hermann und Walter den bei der Jagd von einem Hirsch verwundeten Leufried bei einem Brunnen im Wald liegen finden. Da Leufried vor grosse[n] schmertzen (Cc4r) nicht mitkommen kann, reiten Hermann und Walter allein zum Hof, um dort einen Pferdekarren zu besorgen. Ein neues Kapitel beginnt – unter der Kapitelüberschrift Wie Angliana von dem kauffman vnd seinem son Walther vernam / das Lewfrid von einem e o Hirschen todtlich verwundt / vnd sie von stund an in den Wald zu jhm lieff (Cc4r) stellt Illustration G66 dabei dem impliziten Rezipienten ein Schreckensszenario vor Augen: Leufried liegt verwundet am Boden im finsteren Wald unweit des gewaltigen, blutenden Hirschs223, während Angliana die Hände nach oben gerissen und zum Schrei ansetzend ihren Mund weit geöffnet hat. Im Hintergrund brüllt auch Leufrieds ständiger Begleiter, der Löwe Lotzmann, mit weit aufgerissenem Maul.

220 221

222

223

Vgl. Winfried Nöth: Handbuch der Semiotik, Stuttgart/Weimar 22000, S. 481. Zur Memoria-Funktion der Illustration in der frühneuzeitlichen Erzählliteratur vgl. Müller (2007), S. 76 f. Vgl. Julia Buchloh: Hans Baldung Grien und Dyl Ulenspiegel. Studien zu den Illustrationen und zur Text-Bild-Struktur des Straßburger Eulenspiegeldrucks S 1515. Diss., TU Berlin 2005, S. 133. URL: http://opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2005/1095/pdf/buchloh_julia.pdf [Stand: 31. 12. 2011]. Dessen räumliche Nähe zum verletzten Leufried widerspricht der verbalen Darstellung des diegetischen Geschehens, weshalb der Hirsch als Element ,uneigentlichen Sehens‘ aufzufassen ist. Siehe ausfühlich S. 193.

110

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram e

Zusammen mit dem Hinweis der Kapitelüberschrift auf eine todtlich[e] Verwundung Leufrieds versetzt die Bilddarstellung den impliziten Rezipienten in Schrecken, da die Situation im Kapitel zuvor als bei weitem weniger gefährlich dargestellt wurde 224. Die Reaktionen der im Zentrum der Bilddarstellung stehenden scheinbar vor Schreck und Leid aufgewühlten Gattin des Schwerverletzten und seines Begleiters, des Löwen, stellen dabei den der Situation anhaftenden Schrecken aus. Darüber hinaus spricht der Anblick Leufrieds, der sich mit schmerzverzerrter Mine das Bein hält, in einer möglichen weiteren emotionalen Reaktion den Empathiemechanismus des impliziten Rezipienten an – nach Spiegelung der Emotion und Selbst-Fremdunterscheidung wird zusätzliches Mitleid mit dem Schwerverletzen generiert. Die Aufmerksamkeit des impliziten emotional bewegten Rezipienten richtet sich an dieser Stelle somit bereits auf die ihm vor Augen geführte Szene, wodurch Spannung generiert wird – ist Leufrieds Verletzung wirklich tödlich oder kann er doch gerettet werden?

Abb. 79: Illustration G66

Bevor die Lektüre der Spracherzählung fortgesetzt werden kann, muss geblättert werden. Angliana erfährt am Hof vom Unfall ihres Gatten, der einem Gerücht zufolge ohnmächtig im Wald liegt: DAs geschrey kam eylens für Angliana wie das ihr liebster gemahel Lewfrid hefftig von einem hirschen verwundet were / vnd in dem wald vor grossem schmertzen gar onmechtig lege / darab die Angliana grossen schrecken empfieng (Cc4v). Angliana o macht sich ohne zu zögern oder die Hilfe anderer abzuwarten mit guter vnd krefftiger

224

Vgl. Cc3v–Cc4 r.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

111

Latwergen 225 (Cc4v) auf in den Wald. Am Brunnen findet sie ihren Gatten liegen, der zwischenzeitlich tatsächlich sein Bewusstsein verloren und viel Blut gelassen hat. Die Spracherzählung beschreibt im Folgenden Anglianas emotionale Reaktion auf den Anblick ihres schwerverletzten Gatten, die bildlich bereits in der Mimik und Gestik der Figur präsent zu sein scheint: Angliana was mit grossem hertzenleyd vmbfangen (Cc4v). Verzweifelt schreit sie ihn an und erhält zunächst keine Antwort. Schließlich aber e erwacht Leufried aus seiner Ohnmacht: wie fast sie jm ruffet / so wolt er jr gar kein e antwurt geben / zu lest kam jm von jrem steten rieffen sein verschwundener gaist harwider (Cc4v). Das dem impliziten Rezipienten zuvor bereits bildlich vor Augen geführte Handlungsmoment ist erreicht. Von diesem Zeitpunkt an regt die Illustration zur erneuten Betrachtung an, wobei die zu Beginn des Kapitels aufgebaute Spannung impliziert, möglicherweise zuvor den Ausgang der gefährlichen Situation abzuwarten, die sich dramatisch fortentwickelt: Er [Leufried] blicket sein liebste fraw mit einem grossen súffzen an / vnd sagt / O du mein liebste gemahel wie schwach vnd krafftloß bin ich an meinem hertzen (Cc4v). Angliana tröstet ihren Gatten, so gut sie es vermag, und stärkt ihn mit den mito gebrachten gu ten krefftigen Confecten (Cc4v), bis Hermann und Walter mit einem Wundarzt und einem Pferdekarren erscheinen. Von da an entspannt sich die Situation zunehmend: Der Arzt verbindet Leufrieds Wunden, sodass er zum Schloss transportiert werden kann. Sehr selten hingegen sind kapitelinterne Analepsen226. Sie entstehen, wenn die den bildlichen Szenen entsprechenden Stellen der Spracherzählung auf der ersten Kapitelseite bereits vor dem Seitensprung abgeschlossen werden, die zugehörige Illustration jedoch erst zuoberst der zweiten Kapitelseite folgt. Die Aufmerksamkeit des Rezipienten wird demnach nachträglich auf ein Ereignis zurückgelenkt, das die Spracherzählung bereits hinter sich gelassen hat. Für den Fall, dass es sich dabei um ein dynamisches Ereignis handelt, wird dem Rezipienten möglicherweise der Ausgangspunkt des nachfolgenden Handlungsgeschehens vor Augen gehalten. So zeigt die dem „Knabenspiegel“ entstammende Illustration KS29 beispielsweise die Vermählung Willbalds und Marinas durch den Hochmeister im Beisein von Friedbert und Felix, während die Spracherzählung jenen Akt in lediglich einem Halbsatz erwähnt und daraufhin, noch bevor umgeblättert werden muss, mit dem anschließenden Kirchgang fortfährt: die jung edel Marina ward von einer ehrlichen geselschafft auff einem wagen gen hoff gefieret / aldo von dem Hochmeister dem Wilbaldo selb vermehelt / demnach als auch der kirchgang geschehen was / blies man gar […] (N3r). Nach dem Blättern wird der Rezipient nochmals visuell auf das Ereignis der Vermählung des Helden mit

225

226

Latwergen sind Elektuarien, eine seit der Spätantike gebräuchliche Arzneiform auf der Basis von Honig oder Sirup, die man im Mund zergehen lässt. Vgl. LexMa III (1998), Sp. 1798. Lediglich die Illustrationen RG45, RG51, KS29, G4, G14 und G19 sowie Illustration GR25 bei intratextuellem Bezug auf die kapitelinterne Spracherzählung bilden innerhalb der vier untersuchten Romanerstausgaben kapitelinterne ikonische Analepsen.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

der jungen, sittsamen, attraktiven und zudem sehr wohlhabenden Kaufmannswitwe von adliger Herkunft 227 aufmerksam gemacht, die von der in summarischem Erzähltempo voran schnellenden Spracherzählung im Eiltempo durchschritten worden ist. Die Aufmerksamkeit des Rezipienten wird nochmals zurück auf den Akt der Ehelichung gelenkt, der insoweit von erheblicher Bedeutung ist, als er zum einen die endgültige gesellschaftliche Rehabilitierung des Helden anzeigt und zum anderen sich als Garant von dessen glücklicher von reichem Kindersegen und familiärer Harmonie geprägter Zukunft erweist. Während die unterhalb der Illustration wieder einsetzende Spracherzählung vom freudigen Treiben des Hochzeitsfests berichtet 228, ist der Anlass der Feierlichkeiten, die Eheschließung, direkt darüber bildhaft präsent.

Abb. 80: Illustration KS29

227

228

e

ein zuchtige schonevund reiche Witfraw / von Edlen stammen geboren […] sie heißt mit jrem nammen o Marina / vnd hat zuuor einen richen kauffmann gehabt / welcher nit gar ein jar bey jren gelebt hat / sie ist gantz einig vnd groß reichtumbs gewaltig (N1r–N1v). Der imbyß ward mit grosser kostlicheit volbracht / nach dem ein schoner tantz angefangen / von den e züchtigen frawen / als aber die dantzens mudt wurden / das doch selten geschicht / sind sie in ein e o schonen garten spatzieren gangen / die jungen Herren so zu hoff waren / fingend an allerhand o kurtzweil zu triben / einen schimpff vnnd kurtzweil über den andren / do spylt man das ballenspyl / dort stieß man den stein / an einem andren ort sach man gar ritterlichen fechten / ringen / vnd sprine e gen / die edlen jungen zu´chtigen frawen sangen ein reyen / aldo hort man manche susse stymm ertonen e e / in dem garten stund ein schoner Palast / in welchem vil schoner tisch gar reülich bedecket / vnd mit kostlichem confeckt vnnd lattwergen besetzet / in dem palast hort man die gantz musick / dann die cantores je eins vmm das ander gon liessen / jetz mit instrumenten / darnach mit gesang (N3v–N4r).

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

113

3.1.3 Textinterne Bildwiederholungen unter dem Aspekt der narrativen Frequenz Unter Ausnahme des „Knabenspiegels“ werden im jeweiligen Verlauf der einzelnen untersuchten illustrierten Romane, wie bereits in 2.2.2 aufgeführt, zahlreiche Druckstöcke und Druckstockhälften mehrfach – meistens zweifach, in Ausnahmefällen jedoch bis zu sechsfach – verwendet. So finden sich im „Galmy“ vierzehn ganze Druckstöcke und zwei Druckstockhälften, in „Gabriotto und Reinhart“ acht ganze Druckstöcke und fünf Druckstockhälften und im „Goldfaden“ fünf ganze Druckstöcke und dreizehn Druckstockhälften mehrfach abgedruckt, während im „Knabenspiegel“ lediglich zwei ganze Druckstöcke und eine Druckstockhälfte je zweifach genutzt werden229. Aus dieser Illustrationspraxis ergeben sich zahlreiche textinterne Wiederholungen von vollständigen Bilddarstellungen und einzelnen Bildhälften. Dabei haben die Wiederholungen vollständiger Bilddarstellungen unter dem Aspekt der narrativen Frequenz entweder rein ikonisch repetitiven Charakter oder sie bilden über ihren repetitiven Bezug hinaus vordergründig den Bildbestandteil einer singulativen Erzählung und beziehen sich somit zugleich auf ihren kapitelinternen Kontext. Es wird demnach im folgenden davon ausgegangen, dass der implizite Rezipient die wiederholten Bilddarstellungen in beiden Varianten als solche erkennt und dabei in der Lage ist, sie auf den Kontext der textinternen Erstverwendung des Druckstocks zu beziehen. Im letzteren Fall werden die Bilddarstellungen in ihrer wiederholten Form darüber hinaus entweder bereits in der ersten Betrachtung oder während des weiteren Lektüreverlaufs – im Fall kapitelinterner ikonischer Prolepsen – mit einem Ereignis aus der den wiederholten Holzschnitt kapitelintern umgebenden Spracherzählung verknüpft 230. In diesem Zusammenhang vollzieht der implizite Rezipient eine Umdeutung, die jedoch auch jederzeit wieder zurückgenommen werden kann. Auf diese Weise ist es möglich, dass die Verortung der bildlichen Darstellung innerhalb des linearen Geschehensverlaufs der Geschichte während einer Betrachtung variiert. Darauf, dass ein solcher Mehrfachbezug sowohl auf den direkten als auch auf den weiteren Kontext durchaus intendiert sein kann, verweist das im „Ritter Galmy“ dem ersten Kapitel vorangestellte Argument o in einer gemeyn der gantzen History dises Buchs: […] Mit bezierung jrer figuren nach einer o yegklicher handlung / so sich neben vnd weitleüffiger zutragen (A1v). Derartige sowohl repetitiv als auch singulativ verknüpfbare Bilddarstellungen als textuelles Gestaltungsmittel im „Ritter Galmy“ wurden bereits von Peter Schmidt anhand zweier Beispiele untersucht. Der auf Druckstock 3 zurückgehende Holzschnitt stellt zum einen als Illustration RG3 den liebeskranken Galmy dar, welcher seinem

229 230

Vgl. tabellarisches Illustrationsverzeichnis S. 90–96. Hubertus Fischer spricht diesbezüglich von einer „neuen Semantisierung“ aus dem vorliegenden Erzählkontext. Vgl. Fischer (2006), S. 209.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Freund Friedrich am Krankenbett den Grund seines Leidens anvertraut 231. Zum anderen verbildlicht der Holzschnitt in seiner wiederholten Form als Illustration RG7 den Ritter beim Gutenachtgruß seines Freunds Friedrich vor dem Zubettgehen nach einem ausführlichen Gespräch der beiden Freunde über Galmys Genesung aufgrund der vertrauten, äußerst positiv verlaufenen Unterredung mit der Herzogin232.

Abb. 81: Illustration RG3 (RG7, GR32)

Anhand der zweifachen Verwendung von Druckstock 3 als Illustration RG3 und RG7 zeigt Schmidt eine Funktion der Bildwiederholung als Episodengrenzen ausstellende visuelle Klammer auf: Bei der Erstverwendung der Darstellung stand sie für den liebeskranken Galmy auf dem Liebeskrankenbett, nun steht es für die erquickende Bettruhe nach der ersten überstandenen Krise. Das erste Mal veranschaulicht die Figur Galmys auf dem Bett seine depressive Unfähigkeit zum Handeln, nun bezeichnet sie wie eine visuelle Klammer das Ende dieser Episode, nach der im abschließenden Schlaf Kraft für den Fortgang der Handlung gesammelt wird233.

Schmidt führt als weiteres Beispiel die auf Druckstock 19 zurückgehenden Illustrationen RG33 und RG61 an, welche eine Umarmung Galmys und der Herzogin im Beisein Friedrichs zeigen:

231 232 233

Vgl. A4r–B3r. Vgl. D2r–E1r. Schmidt (2006), S. 158–159.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

115

Ebenso verhält es sich etwa mit dem Holzschnitt der ersten unschuldigen Umarmung des Paares, der die Reise Galmys nach Schottland einleitet. Es ist die Reise, die durch die Abwesenheit des Protagonisten erst die Intrige ermöglicht. Derselbe Holzschnitt, der hier die Abschiedsumarmung auf dem Weg in die große Krise bezeichnet, wird ein zweites Mal ganz am Ende des Buches abgedruckt – wenn alles gut ausgegangen ist und das Paar nun öffentlich verbunden werden kann234.

Indem der implizite Rezipient die wiederholte vordergründig singulative Bilddarstellung, wie bereits dargelegt, ebenso als repetitive Darstellung eines viele Kapitel zurückliegenden Ereignisses auffassen kann, werden ihm wechselseitig Beginn und Abschluss der Episode vor Augen geführt. Die durch die wiederholte Verwendung des Druckstocks erzeugte Ambiguität der Bilderzählung hebt auf diese Weise den Episodencharakter eines Textabschnitts hervor.

Abb. 82: Illustration RG33 (RG61, GR18)

Eine derartige Funktion mehrfach abgedruckter Holzschnitte als visuelle Markierung von Episodengrenzen lässt sich im „Ritter Galmy“ über die von Schmidt beschriebenen Beispiele hinaus an weiteren Stellen beobachten. So markieren die jeweils auf Druckstock 7 zurückgehenden Illustrationen RG9 (Abb. 130) und RG12 sowie RG36 und RG45 den Beginn bzw. den Abschluss einer Periode der Abwesenheit des Herzogs in Vannes, indem sie diesen hoch zu Ross auf der Durchreise zeigen. Dabei handelt es sich zum einen um die Turnier-Episode in Frankreich, in der Galmy unter den Augen seines

234

Schmidt (2006), S. 159.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Herren erstmals einen Turniersieg davonträgt, und zum anderen um die Zeit der Jerusalemfahrt des Herzogs, die mit der Erhebung des Marschalls zu seinem Stellvertreter in Vannes und damit dem Sturz der Herzogin ins Verderben einhergeht. Daneben begrenzen die auf Druckstock 32 basierenden Illustrationen RG53 und RG59, welche den Abt und Galmy im Mönchsgewand im Gespräch mit Friedrich zeigen, den geheimen Aufenthalt Galmys in der Abtei, von wo aus er die Herzogin inkognito vor dem unverschuldeten Flammentod bewahrt und wohin er sich, nachdem er ihren überführten Peiniger dem Feuer übergeben hat, unerkannt zurückziehen kann. Im Fall der Illustrationen RG46 (Abb. 76) und RG52 hingegen wird der Abschluss einer Episode lediglich vorgetäuscht, um eine Steigerung der Geschehensdramatik zu bewirken. Denn während der auf Druckstock 27 beruhende Holzschnitt als Illustration RG46 – wenn auch erst, wie bereits in 3.1.1. aufgezeigt, im darauffolgenden Kapitel analeptisch nachgestellt – das erste Gespräch Friedrichs mit der Herzogin hinter Gittern verbildlicht, das diese auf einen Gerichtskampf hoffen lässt, zeigt dieselbe Bilddarstellung als Illustration RG52 eine Situation, in der die Herzogin alle diesbezüglichen Hoffnungen begräbt, da sie aufgrund eines missverständlichen Briefs davon überzeugt ist, dass Galmy sie für schuldig hält und daher nicht zum Gerichtskampf erscheinen wird235. Über die Funktion der Illustrationen RG33 und RG61 als visuelle Umklammerung einer Episode hinaus beschreibt Schmidt einen „Aha-Effekt“ 236, der sich beim impliziten Rezipienten einstellt, wenn er in Illustration RG61 die Umarmung des Abschieds als die eines Happy Ends wiedererkennt. Der von Schmidt nicht weiter ausgeführte Effekt geht mit einer emotionalen Neubewertung von Seiten des impliziten Rezipienten bezüglich der Bilddarstellung einher. Zuerst wird die bildlich dargestellte Umarmung im Kontext des verbal emotionalisierten schmerzlichen Abschieds der Liebenden mit der Emotion Leid verbunden: Als nun die Hertzogin vnd der Ritter lang in solcher gstalt mit einander vil vnd mancherley red o getriben / vnd sye yetz bede zeit daucht / zu scheyden / der Ritter mit schwerem seüfftzen / die hertzogin züchticklich an sein arm nam. Nun gesegen eüch Gott mein aller liebste Hertzogin / welche do ist ein vffenthalt meiner seelen / auch ein eyniche hilff meines lebens / die weil ich leb / o ich ewer diener sein will / Dann mir nit müglich ist ewer zu uerbergen. Die Hertzogin dem Ritter e vor weynen nit antwurt geben mocht / im sein leyd dardurch großlich meret (V3r–V3v).

Während die Abschiedsszene von seüfftzen, weinen und leyd bestimmt ist, dominieren in der Wiedersehensszene die grossen freüden der Herzogin über die Rückkehr ihres geliebten Ritters, der sich zuvor als ihr Lebensretter auf dem Richtplatz zu erkennen gegeben o hat: Die Hertzogin mit grossen freüden vmbgeben ward / zu jrem aller liebsten Ritter kam / jn mit grossen freüden in jre arm empfahen thet (Mm2v). Die zuvor mit Leid konnotierte Bilddarstellung kann demnach an der Stelle ihrer Wiederholung im Verlauf der nach235

236

e

e

ich forcht / er [Galmy] mich / glaub gantzlich schuldig an der sach sein / vnnd gedencket villeicht o seinen leib vmb eines solchen weibs willen nit zu wagen (Gg3v). Schmidt (2006), S. 159.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

117

folgenden Spracherzählung auf ein äußerst freudiges Ereignis bezogen werden. Die Ähnlichkeit der äußeren Handlung, die die Bildwiederholung ausgestellt, wird von der konträren Emotionalität der inneren Handlung, welche die Spracherzählung hervorhebt, kontrastiert. Die auf konträr emotionalisierte Ereignisse bezogenen sich entsprechenden Holzschnitte stellen einerseits auf spielerische Art die Abhängigkeit der Bilddarstellungen von ihrem verbalen Kontext aus. Dabei fungiert eine vermeintliche qualitative Schwäche der Bilddarstellung – der durch dichte Schraffuren verdunkelte Gesichtsausdruck des Ritters, der keine Rückschlüsse auf eine Emotion zulässt – als notwendige Leerstelle der Bilderzählung. Andererseits verweist das Ausstellen der Leerstelle durch eine Schwärzung auf das medienspezifische Potenzial von Bilddarstellungen, Emotionen nonverbal durch Gesichtszüge zu vermitteln. Die reizvolle Konstellation von Ähnlichkeit der äußeren und Kontrast der inneren Handlung bildet eine Voraussetzung des von Schmidt beobachteten Effekts, der sich entweder bereits in der ersten Betrachtung oder spätestens im Verlauf der weiteren Lektüre einstellt: Die Montage der Bilddarstellung in die Spracherzählung erfolgt dabei innerhalb der Darstellung von Friedrichs Besuch in Idenburg, um Galmy vom Tod des Herzogs zu berichten: So bald Galmy der Ritter von seinem gsellen vernam / das der Her[RG61]tzog tod was (Ll4v–Mm1r) 237. Die bildliche Wiederholung der Abschiedsszene, auf deren Umdeutung bereits die Kapitelüberschrift hindeutet238, erfolgt demnach exakt an der Stelle der Spracherzählung, an der der Protagonist davon erfährt, dass der Herzog als Ausgangspunkt ständiger Gefahr hinfällig geworden ist. Die Trennung Galmys von seiner geliebten Dame bildet demnach keine Notwendigkeit mehr für den Erhalt von Leib und Leben – das Wiedersehen erscheint lediglich als die logische Folge der veränderten Voraussetzungen. Indem sich die als Abschiedsszene bekannte Bilddarstellung entweder von Beginn an oder spätestens im weiteren Lektüreverlauf als freudige Wiedersehensszene zu erkennen gibt, wird ein Aha-Erlebnis angeregt. Die Mehrzahl der vordergründig singulativen Bildwiederholungen hingegen verbildlichen weder verbal konträr emotionalisierte Ereignisse noch fungieren sie als Episodengrenzen ausstellende visuelle Umklammerungen. Stattdessen wird die Ähnlichkeit von Ereignissen oder Ereignisketten ausgestellt. So hebt etwa die gemeinsame Bilddarstellung der verschiedenen siegreich abgeschlossenen Turnierkämpfe Galmys sowohl die Ähnlichkeit der Duelle selbst als auch deren direkte Folge – sie erzeugen Wohlgefallen beim Herzog bzw. der Herzogin – hervor. Zudem wird das Bild Galmys als siegreicher Turnierkämpfer verdichtet, indem die auf Druckstock 8 basierenden Illustrationen RG10, RG20 und RG22 jeweils auf mehrere Turnierkämpfe bezogen werden können, aus denen Galmy in Frankreich unter den Augen des Herzogs und in Britannien zudem

237 238

Die Position von Illustrationen im Fließtext wird in eckigen Klammern angegeben. Wie Galmy der Ritter wider in Britanien schiffet / vnd wie er von der Hertzogin empfangen ward (Ll4v).

118

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

im Beisein der Herzogin immer als Sieger hervorgeht. Die sich entsprechenden, auf Druckstock 8 beruhenden Bilddarstellungen zeigen ein Duell zweier gepanzerter Reiter: Der rechte Turnierkämpfer stößt seinen Gegner mit der Lanze vom Pferd. Dabei scheut das Pferd des mutmaßlichen Unterlegenen, dessen Lanze wiederum bereits am Boden liegt. Im Hintergrund befindet sich ein Publikum vornehmlich edler Damen und Herren hinter einer Absperrung, wobei eine Dame, die ihren Blick auf den überlegenen Kämpfer gerichtet hat, leicht hervorsticht.

Abb. 83: Illustration RG10 (RG20, RG22, GR7, GR23)

In ihrer ersten Realisierung als Illustration RG10 bezieht sich die ikonische Darstellung zunächst auf Galmys erstes Turnierduell gegen den Herzog von Burgund auf dem vom französischen König veranstalteten Turnier. Die markante Dame im Publikum kann an dieser Stelle keiner spezifischen Figur der Spracherzählung zugeordnet werden. Die Illustration ist dabei direkt in die verbale Darstellung des entscheidenden dritten Ritts montiert, welcher die Entscheidung herbeiführt, indem Galmy seinen Gegner dermaßen hart treffen kann, dass dieser vom Pferd stürzt: Als nun die zwen mannlichen Helden / eynander des ersten Ritts so mannlich vnd Ritterlichen o troffen haten / beyde wider zu end der schrancken geritten waren / mit anderen speren vnd glenen e o versehen wurden / Von newem zusamen ritten / beyd eynander mit solchen krafften treffen theten / o das jr beyder roß zu hauffen giengen / doch die so gschwind wider auffmusterten / das sye vnuero o ruckt in jrem sattel bliben / zuhand wider zu end der schrancken kamen / sich nit lang saumpten / e o wider zusamen ranten / jren beyden rossen die sporen gaben / eyn[RG10]ander so vngestu migklich traffen / in dem der Burgunner die schantz übersah / das er hinder seinem gaul auff der erden auff o stund (F4v–G1r).

119

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

Während der britannische Herzog über die mannheyt vnd geschickligkeyt (G1r) seines Ritters hoch erfreut ist, wächst die Missgunst der Neider Galmys um den Ritter Wernhard 239. Im Folgenden kann Galmy weitere Kontrahenten bezwingen. So trifft Galmy am zweiten Turniertag einen unedlen Knecht des Herzogs von Burgund bereits im zweiten Ritt dermaßen hart, das man in [den Knecht des Herzogs von Burgund] halb todt e o hynder seinem pferdt aufflosen mußt / vnd also onmechtig vß den schrancken tragen (G2v), und wird daraufhin an diesem Tag nicht mehr herausgefordert. Am dritten Tag gerät das Turnier aus den Fugen, und es kommt zu einem ungeordneten Kampfgetümmel. Galmy stößt jeden Ritter, der ihm in den Blick kommt, vom Ross 240. Nachdem der König die Ordnung wiederhergestellt hat 241, kommt es zum finalen Zweikampf der bis dahin erfolgreichsten Turnierkämpfer. Galmy steht nun ein französischer Graf gegenüber. Die Ereignisse des ersten Turniertags scheinen sich zu wiederholen: In einem spannenden Duell, in dem erneut – lediglich in umgekehrter Reihenfolge – sowohl beide Pferde stürzen, ihre Reiter jedoch im Sattel bleiben, als auch die Waffen ausgetauscht werden müssen, bezwingt Galmy seinen Gegner wiederum im dritten Ritt: e

o

o

die beden manlichen Helden mit lowen mut gegen eynander ranten / beyde roß vnd man zu hauffen e fallen theten / doch keyner keynen sattel raumet / Die beyden pferdt schnell wider auff iren fussen o o o o stunden. Den anderen ritt zusammen thetten / jre beyden sper zu stucken ranten / zuhand in andre sper verordnet wurden / vff ein newes treffen theten. Galmy der Ritter erst alle sein mannheyt vnd o kunst brauchet / den Grauen von seinem gaul zu der erden rennet (G3r).

Zudem wird zum wiederholten Mal die große Freude des Herzogs über den Erfolg seines Ritters herausgestellt: Als bald der Herzog solchs ersach / grosse freüd sein hertz vmbgeben thet (G3r). Indem sich die Illustration auf alle drei erfolgreich zu Ende geführten Turnierkämpfe Galmys beziehen lässt – eventuell sogar zudem auf die verbal iterativ zusammengefassten Kampfhandlungen Galmys im ungeordneten Getümmel –, nimmt sie iterativen Charakter an und stellt dadurch die Ähnlichkeit der Ereignisse aus. Zugleich geht von ihr mehrfach der Effekt der bildlichen Präsenz des verbal dargestellten Geschehens aus, wodurch die Bilddarstellung innerhalb des Kapitels immer wieder auf das Neue in Erinnerung gerufen wird, bzw. zur wiederholten Betrachtung einlädt und dadurch verstärkt im Gedächtnis bleibt. Um Galmys nach seinem Turniererfolg weiter gestiegene Gunst des Herzogs herabzusetzen, wird dieser von Galmys Neidern überredet, ein großes Turnier in Vannes zu veranstalten, in der Hoffnung, dem Ritter vor den Augen des gemeinsamen Herren eine Niederlage zu bescheren. Daher wird Galmy gleich zu Beginn des Turniers von Wern-

239 240 241

Wernhard aber mit seiner geselschafft ein groß mißfallen darab nam (G1r). e e o o wolcher jm [Galmy] der nachst zu gesicht kam / der ward von jm zu der erden gerant (G2v). Do ward keyn sundre ordnung mer gbraucht / biß durch des Künigs befelch / solichs abgestelt ward (G2v).

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

hard herausgefordert 242. Illustration RG20 ist dabei der verbalen Schilderung des Kampfgeschehens kapitelintern um einige Zeilen vorangestellt und weckt daher zunächst die Erinnerung an Galmys Siege auf dem Turnier in Frankreich. Dennoch deutet neben der Kapitelüberschrift 243 bereits ein Detail der Bilddarstellung zugleich auf den vordergründig singulativen Bezug auf die kapitelintern folgende Spracherzählung hin: Der implizite Rezipient erkennt bei genauer Betrachtung die mit Sternen bezierte Satteldecke als Teil der neuen, Galmy von der Herzogin vermachten Turnierausstattung, von der im Kapitel zuvor die Rede war244. Wiederum kann Galmy seinen Widersacher vom Pferd stoßen – an dieser Stelle, um Wernhards mangelhafte Qualitäten herauszustellen, wie im Fall des Duells mit dem unedlen Knecht des Herzogs von Burgund bereits im zweiten Ritt. Zudem erweist sich Wernhard dabei als schlechter Verlierer: e

Galmy der Edel vnd mannlich Ritter mit schonen geberden dem Edelman [Wernhard] begegnet / jn so züchtigklich auff sein brust traff / das sich Wernhard kum endthalten mocht / das er nit von o seinem gaul fallen thet. Die beyden Helden wider zu end der schrancken ritten / vff ein newes jr o sper zu handen namen / mit grosser begird wider gegen eynander ranten / Galmy dem Edelman o o ein solchen freuelichen stoß gab / das er mit sampt seinem gaul zu boden fallen mußt / auß seinem o sattel kam / so hertigklich gefallen was / das er des dritten rits nit begeret / zuhand auff sein v r pferdt saß / von dannen reiten thet (M3 –M4 ).

Erneut beeindruckt der Ritter sowohl den Herzog als auch die Herzogin, die ebenfalls zugegen ist: Als aber die Hertzogin sollichs als gesehen hat / nam sye grosse freüd ab jrem lieben Ritter / als sye sach / das sich der Ritter so mannlich gebraucht hat (M4r). Die aus der Bilddarstellung des Publikums leicht hervorstechende Dame, welche ihren Blick ganz auf Galmy gerichtet hat, kann demnach innerhalb der ersten Bildwiederholung als Herzogin erkannt werden. Indem sich die Bilddarstellung an dieser Stelle als noch besser auf die Spracherzählung abgestimmt erweist, wird ihr vordergründiger singulativer Bezug zusätzlich gestärkt. Wernhard bereut im Nachhinein das von ihm selbst in die Wege geleitete Turnierduell und ist auf Rache aus. Er zieht sich mit seinen Sinnesgenossen vom abendlichen Tanz o zurück und fordert diese dazu auf, Galmy am folgenden Tag die Stirn zu bieten. Rupert ein mechtiger vnd starcker Ritter (N2r) erklärt daraufhin siegessicher seine Bereitschaft, sich als Erster des durch die Gunst des Herzogs verhassten Ritters anzunehmen. Die zweite Wiederholung des Holzschnitts als Illustration RG22 verweist zu Beginn des

242

243 244

o

zuhand der vngetrew vnd falsch Wernhard gegen jm [Galmy] geritten kam / also sprach. Du hoche o mutiger Ritter / welcher in Franckreich grossen rum vnd preiß erholt hast / wiewol er dir mer vß gunst e o dann auß verdienst zugemessen würt / Damit man aber sech / das mein Gnadiger Herr / noch stercker vnd mannlicher leüt an seinem hoff hat / dann dich / So bin ich deß willens vnd meynung / drey ritt o o mit dir zu thun (M3v). Wie Galmy der Ritter des ersten tags den preiß behielt / vnd wie es harnach gieng (M2r). e o Der Ritter ließ sich in gantz blaw kleyden / ein schone blauwe decken auff seinem gaul zurichten / vnd e o an ein yede seiten ein kostliche trew / mit feinem gold vergulden / darzu die decke allenthalben mit gulden sternen kleyden (M1v).

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

121

nachfolgenden Kapitels einerseits zurück auf Galmys bereits errungene Siege und deutet andererseits der verbalen Darstellung wiederum vorausgehend die nachfolgende Niedero lage Ruperts an. Der folgende Zweikampf ähnelt den vorangegangen Duellen Galmys gegen den Herzog von Burgund und den französischen Grafen insofern, als ihn Galmy erst im dritten Ritt für sich entscheidet: o

o

die beden Helden von eynander ritten / zuhand jr sper zuhanden namen / mit grosser begird o o zusamen ranten / zu beyder seyten mannlich traffen / keynr sich minder dann der ander brauchet / o o beyde steiff vnd vnuerruckt sitzen bliben / zuhandt den andren ritt zusamen ranten / in gleichem o o wie vor / keyner fallen wolt / zu letst in dem dritten sprengten sye in solchen krefften zusamen / so o trifft Galmy den Rupert mit einem solchen harten stich / das er sich von stund an seines sattels o schemen must / vnd hinder seinem pferdt an der erden vffston (N4v).

Wiederum kann Galmy zur großen Freude der in der Illustration auszumachenden Herzogin245 einen starken Gegner bezwingen, und ein letztes Mal wird die bildhafte Präsenz Galmys als überlegener Streiter im Turnierduell durch die verbale Wiedergabe des Stoßes seines Kontrahenten vom Ross in Erinnerung gerufen, bevor das Bild als allzu präsent zu sein scheint, um abermals aufgerufen zu werden. So gibt der Erzähler die weiteren Siege Galmys lediglich gerafft in einer summarischen und zugleich iterativen Erzählung wieder: damit ichs aber bekürtz / so wurden sye all die sich deß selben tags e gegen dem Ritter emporten niderlegt / diß wert so lang biß Galmy der Ritter vieren des e Hertzogen diener jre sattel raumet (O1r). Die iterative Darstellung bildet dabei den Abschluss der Schleife der siegreichen Turnierkämpfe Galmys und zeigt an, dass sich die mit ihnen verbundene, sich mehrfach nahezu entsprechende Ereignisfolge scheinbar bereits zu sehr abgenutzt hat, um wiederholt oder in einer weiteren Variation ausgeführt werden zu können, ohne dabei in ungewolltem Maße redundant zu wirken. Gleichfalls wird darauf verzichtet, weitere Male durch verbale Darstellungen der entscheidenden Kampfhandlung die bildliche Präsenz Galmys als überlegener Streiter im Turnierduell in Erinnerung zu rufen, zumal die dreifach realisierte Illustration bereits auf fünf verbal ausführlich dargestellte Kampfduelle Galmys bezogen werden kann und daher bereits in einem hohen Maße präsent ist. Stattdessen wird die Raffung der verbalen Geschehenswiedergabe und damit der Verzicht auf eine weitere Demonstration der Turnierqualitäten Galmys explizit ausgestellt, wodurch der Erzähler die Konstanz und Absehbarkeit der Ereignisse abschließend hervorhebt und Galmys Siege im Zug dessen als eine Art Automatismus erscheinen lässt. Während zahlreiche wiederholte Illustrationen sich wie in den bisher besprochenen Beispielen kapitelintern singulativ oder iterativ auf ein Ereignis der Spracherzählung beziehen lassen, können einige wenige Bildwiederholungen ausschließlich repetitiv mit der verbalen Geschehensdarstellung verknüpft werden. Beispielsweise zeigen die auf Druckstock 6 zurückgehenden Illustrationen RG8, RG14, RG27 und RG39 im Vordergrund

245

Die Hertzogin solchs alles mit jren augen sehen mocht / nit wenig freüd empfieng (O1r).

122

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 84: Illustration RG8 (RG14, RG27, RG39, GR44, KS5)

zwei junge Edelmänner, von denen der linke anhand seiner Kleidung unmissverständlich als Galmy zu erkennen ist 246. Im Hintergrund sind drei weitere Edelmänner zu sehen, die ihre Köpfe zusammenstecken, scheinbar um sich leise zu unterhalten. Dabei haben die beiden linken Herren ihren Blick auf die jungen Edelmänner im Vordergrund gerichtet, wodurch ihr Gesprächsthema angedeutet wird. Die erste Realisierung des Holzschnitts als RG8 im siebten Kapitel bezieht sich auf die Situation, durch welche die Figur Wernhards in das Romangeschehen eingeführt wird. Galmy, der durch das Gespräch mit der Herzogin seine Krankheit überwunden hat, kommt mit seinem Freund Friedrich zurück an den Hof. Das gantz hoffgesind empfindet ein groß verwundren (E3v) über die rasche Genesung des Ritters. Wernhard, der vom Erzähler als ein neydiger / verbinstiger mensch (E4r) beschrieben wird und von Beginn an bereits einer Galmy feindlich gesinnten Gruppe von Edelleuten angehört, versucht sich die Situation zu Nutze zu machen, um gegen Galmy zu hetzen. Er verdächtigt Galmy der Vortäuschung seiner Krankheit und versucht daraufhin, den Neid der anderen zu schüren, indem er ihm eine steile Karriere am britannischen Hof voraussagt. Dabei zielt Wernhard zudem auf Galmys schottische Herkunft ab: e

Als nu die bosen vnd argen neydler / die beden gsellen [Galmy und Friedrich] gen hoff kummen e e o sahen / Wernhardt sich zu seinen mithalern fugen thet / vnnd also sprach / Sehendt jr nit / mein o aller liebsten gsellen und guten günner / mit was betrug der schantlich vngetrew Schott [Galmy]

246

Zum individuellen Erscheinungsbild der Galmy-Figur vgl. S. 86 f.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

123

o

vmbgon thut? Hat er sich nit den gestrigen tag einer kranckheyt nidergelegt vnd angenummen / e o sehen doch ob nit sein alte farb / noch in seinem angesicht sich erzeygen thu. Hiebey wol abzuneo men ist / mit was betrug vnnd falschen listen / er sich behelffen thut. Noch wil in dannocht vnser e e Gnadigster Herr gantz empor tragen / jr werden sehen mein aller liebsten gesellen / wo er langer an dem hoff wonen vnd beleiben sol / in der Hertzog warlichen groß machen würt / vnd jn mit e e eynem reylichen ampt begaben / Dann mussen wir dahinden (wie wol wir alle inn vnsers Gnadigen Herren land ertzogen vnd geboren seind) beliben / vnd sehen den vngetreüwen Schotten über vns herschen (E4r).

Der Galmy wohlgesinnte Ritter Heinrich, den Wernhard übersehen hat, verteidigt Galmy daraufhin in allen Punkten und erklärt Galmys Gunst beim Herzog durch sein Verdienst, diesem in der Schlacht das Leben gerettet zu haben247. Wernhard gibt sich verlegen und keiner der anderen Neider traut sich, weitere Worte gegen Galmy zu richten, wodurch die durch Illustration RG8 verbildlichte Gesprächssituation ein abruptes Ende o findet: Derhalb er [Wernhard] gantz schamrot vor Heynrichen ston must / dorfft auch keyo o ner nichts dazu reden / dieweil jn allen vnuerborgen was / die liebe / so der Hertzog zu dem Ritter [Galmy] tragen thett (F1r). Die zweite Realisierung des Holzschnitts als RG14 erfolgt im 13. Kapitel direkt e o unterhalb der Kapitelüberschrift Wie der vngutig Wernhard sich heymlich zu seinen mite e gsellen fuget / vnd was falschen anschlags sie wider den Ritter erdachten. Doch gantzlich über sye selbs vßgieng (I3v). In der darunter einsetzenden Spracherzählung wird vom Treffen Wernhards mit den anderen Neidern Galmys berichtet. Da Wernhard an seine früheren Worte anschließt, erscheint das Gespräch als spätere Fortsetzung der von Wernhard eingeleiteten, jedoch durch Heinrichs Gegenrede abgewürgten Unterhaltung: Darumb ist noch mein entlich will vnd meynung / wie ich mit eüch geredt hab / ee dann wir inn Franckreich kummen seind (I4r). Zumal sich Galmys Gunst beim Herzog durch seinen Turniererfolg in Frankreich inzwischen zusätzlich gemehrt hat, fühlt sich die Gruppe zum Handeln genötigt und fällt in diesem Zusammenhang den besagten Entschluss, den Herzog zur Veranstaltung eines Turniers in Britannien zu bewegen, um Galmy dort vor seinen Augen eine schmerzliche Niederlage zu bescheren. Weder Galmy noch Friedrich, die im Vordergrund der Bilddarstellung stehen, befinden sich gemäß der verbalen Darstellung in der Nähe der Gruppe. Zumal deren Treffen heymlich stattfindet, wäre die Anwesenheit Galmys und Friedrichs in nächster Umgebung auch mehr als abwegig. Daher kann die Illustration zu Beginn des Kapitels ausschließlich repetitiv auf die eben thematisierte Situation im siebten Kapitel bezogen werden. Sie schlägt zu Beginn des 13. Kapitels den Bogen zurück auf den in der Kapitelüberschrift genannten

247

e

als er mit vnserem Gnadigen Herren in Irrland / in einem harten streyt gewesen ist / das er im sein e e leben von der feind hand erloßt hat / dann als ich von vnserm Herren selb verstanden vnnd gehort hab / e o wo in Galmy nit mit seiner worlichen hand zu hilff kummen wer / er von den feinden erlegt vnd todt e e e geschlagen worden war. Wie mocht dann mein Gnadiger Herr solcher trew ymmermer an jm vergessen. Darumb mein Wernhard / nit haß den / so billich gelobt sol werden / vnd alles lobs wirdig ist (E4v – F1r).

124

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Wernhard und seine mitgsellen, indem sie dem impliziten Rezipienten den ersten Auftritt Wernhards im Roman nochmals vor Augen führt. Dabei ruft sie Wernhards erste Hetzrede gegen Galmy in Erinnerung, welche im Verlauf der unterhalb der Bildwiederholung einsetzenden Spracherzählung fortgesetzt wird. Da der Versuch, Galmy auf dem Turnier in Britannien zu schlagen, bekanntermaßen misslingt, so dass Galmy seine Gunst beim Herzog noch weiter mehren kann und von ihm zum Nachfolger des verstorbenen Truchsess’ der Herzogin erhoben wird 248, leitet Wernhard ein weiteres Treffen mit seinen mitgsellen in die Wege, um sich über das weitere Vorgehen zu beratschlagen. Wiederum wird die auf Druckstock 6 basierende Illustration unterhalb einer Kapitelüberschrift, die auf Wernhard und seine gesellen verweist, realisiert: Wie Wernhard und seine gesellen mancherley anschleg machten / den o Ritter vmb zu bringen / doch alles widersins außgieng (Q3v). Erneut bezieht sich die Bilddarstellung repetitiv zurück auf den ersten Auftritt Wernhards im siebten Kapitel, da auch in der Situation des in Kapitel 26 thematisierten Treffens der Gruppe Galmy und Friedrich weder gemäß der Spracherzählung anwesend sind, noch ihre Anwesenheit an dieser Stelle plausibel erscheint. So kann auch die zweite Wiederholung des Holzschnitts als Illustration RG27 als Rückverweis und Bindeglied der verschiedenen WernhardEpisoden aufgefasst werden. Indem die Situation der ersten Hetzrede Wernhards dem impliziten Rezipienten vor Augen geführt wird, regt die Illustration dazu an, die vorangegangenen Versuche Wernhards, etwas gegen die steile Karriere Galmys zu unternehmen, von ihrem Beginn in Kapitel sieben an Revue passieren zu lassen, bevor die auf der nächste Seite wieder einsetzende Spracherzählung eine Fortsetzung der Bemühungen Wernhards zur Lektüre bereithält. Der auf Druckstock 6 zurückgehende Holzschnitt wird im „Ritter Galmy“ ein drittes Mal wiederholt, jedoch nicht im Zusammenhang einer weiteren Wernhard-Episode. Die Bilddarstellung befindet sich stattdessen über dem Beginn der Spracherzählung des 38. Kapitels, auf dessen Thematik – die Entfaltung der Intrige gegen die Herzogin – die o Kapitelüberschrift Wie sich Seboldt zu dem kuchenknecht gesellet / vnd alle heymligkeyt o o von jm meynet zu erfaren / aber nichts dann lugen von jm erfur (Z1r) bereits eine Seite zuvor hindeutet. Der Herzog hat Britannien verlassen, um eine Pilgerreise nach Jerusalem zu unternehmen, und den Marschall für die Zeit seiner Abwesenheit zu seinem Stellvertreter erhoben. Als die unkeuschen Annäherungsversuche des Marschalls an die Herzogin scheitern, bekommt dieser es mit der Angst zu tun und versucht, die Herzogin als Ehebrecherin zu diffamieren, um sie schließlich auf den Scheiterhaufen zu bringen. Für sein Unterfangen gewinnt er einen attraktiven Küchenjungen, den er mit Geld, edlen Kleidern und Schmuck ausstattet. Dafür stellt er die Bedingung, dass der Junge auf die Frage nach seinem plötzlichen Reichtum, auf die Herzogin und gemeinsam mit ihr verbrachte Nächte verweisen muss. Die Verwunderung der jungen Edelleute am Hof über 248

dann mengklich weyßt das meiner Frawen Truckseß vergangen etlichen tagen mit todt abgangen ist / dem Gott genad. Derhalben ich dich an sollichs ampt ordnen will (P3r).

125

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

das neue Erscheinungsbild des ehemaligen Küchenjungen ist groß und so entschließt sich Sebold, der Sache auf den Grund zu gehen. Er macht den Jungen in der Kneipe betrunken und spricht ihn schmeichlerisch auf die Quelle seines neuen Wohlstandes an, woraufhin dieser seiner Pflicht nachkommend die Herzogin angibt: e

dieweil mein Herr yetz auß gewesen ist / hab ich ein gantz Gnadige Frauw gehaben / dann sye o seidthar zum dickeren mal / des obendts nach mit geschicket hat / so binn ich von jr freündtlich empfangen worden / vnnd hab darnach die selb nacht in freüden bey jr geschlaffen. Wann ich dann des morgens von jr vffstand / sye mir vnbegert vil gelt vnd kleynot schencket (Z2r).

Ein singulativer Bezug der Illustration RG39 auf das in der Spracherzählung dargestellte Geschehen – Sebold und den Küchenjungen in der Kneipe – kann demnach ausgeschlossen werden.249 Vielmehr verweist die Bilddarstellung auf das Thema der Intriganz und regt zu einem Vergleich Wernhards und des Marschalls an: Dabei hebt sich das geschickte Intrigenspiel des später von der Herzogin als listig (Ee1r) bezeichneten Marschalls bereits an dieser Stelle von den plump wirkenden Neidtiraden Wernhards und dessen im Vergleich unbeholfen und einfallslos erscheinender Vorgehensweise ab: Während Wernhards Versuche jeweils schnell an konzeptionellen Fehlern scheitern – beim ersten Mal übersieht er einen Freund Galmys in der Runde, daraufhin überschätzt er seine eigenen kämpferischen Qualitäten und die seiner mitgesellen und zuletzt geht er zu weit, so dass diese nicht mehr bereit sind, ihm zu folgen –, erweist sich die Intrige des Marschalls folgerichtig lange Zeit als ernste, schwer zu überwindende Bedrohung. Demnach können textinterne, ausschließlich repetitiv mit dem diegetischen Geschehen verknüpfbare Bildwiederholungen sowohl analeptisch auf den Ausgangspunkt einer Entwicklung zurückverweisen als auch der im verbalen Kontext vermittelten Handlung eine frühere – oder auch spätere – thematisch vergleichbare Szene der Geschichte gegenüberhalten, wodurch zum Vergleich anregt wird. Während ganze wiederholte Holzschnitte sich entweder, wie eben aufgezeigt, ausschließlich repetitiv auf das Geschehen beziehen lassen oder, wie anhand mehrerer vorangegangener Beispiele verdeutlicht, mindestens eine repetitive Komponente innehaben, spielt diese im Fall von Wiederholungen einzelner Holzschnitthälften meist keine Rolle. So beschränkt sich beispielsweise das Programm der Kombinationsholzschnitte in „Gabriotto und Reinhart“ auf die Darstellung von Gesprächssituationen, in denen die Dialogpartner in verschiedenen Gesten vor einem Baum gezeigt werden. Dieser dient dabei, wie bereits angesprochen, als optisches Bindeglied jeweils zweier der sieben in „Gabriotto und Reinhart“ verwendeten Druckstockhälften. Acht zum Teil mehrfach realisierte Kombinationsmöglichkeiten vollziehen dabei bildlich das dialogische Erzählprinzip der Spracherzählung nach. Die bildlich dargestellten Situationen der exakt 249

Unter Umständen wäre ein singulativer analeptischer Bezug auf die ob der Erscheinung des Jungen verwunderten Edelleute denkbar, wobei die Anwesenheit des zu diesem Zeitpunkt des Geschehens in Schottland verweilenden Galmys in diesem Fall einen offenen Widerspruch darstellen würde.

126

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 85: Ia

Abb. 86: Ib

Abb. 87: Ic

Abb. 89: Ie

Abb. 90: If

Abb. 91: Ig

Abb. 88: Id

wiederholten Kombinationen (Ia/Ib, Ic/Ib und Ie/Ib) oder auch der einzelnen mehrfach abgedruckten Holzschnitthälften (Ia, Ib, Ic, Id, Ie) sind dabei zu unspezifisch, um eine repetitive Wirkung entfalten zu können und somit auf eine frühere Realisierung zurückzuverweisen. So beziehen sich die Darstellungen im Kombinationsholzschnitt in „Gabriotto und Reinhart“ jeweils singulativ auf eine kapitelinterne Dialogsituation, wobei die Zuordnung der bildlich dargestellten Figuren zu denen der Spracherzählung mehrfach wechselt. Dabei ist Schmidts Einschätzung, bis auf einen Fehler mit einem Bart bleibe „die Kontinuität der Figuren in den Kombinationsholzschnitten gewahrt“250, in Zweifel zu 250

Schmidt (2006), S. 161.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

127

ziehen. So sind lediglich die Figurendarstellungen der Druckstöcke Id, If und Ig entweder aufgrund eindeutiger Attribute – Krone und Zepter (Id) oder Narrengewandt (Ig) – oder aufgrund von Körperposition und Gestik (If) in ihren Realisierungen GR19, GR29, GR38, und GR43 unmissverständlich zuordenbar. Hingegen zeugen die Realisierungen der anderen Druckstockhälften von einer losen Bindung zwischen bildlichen und sprachlichen Figuren. Während die Druckstöcke Ia und Ib noch ausschließlich zur Darstellung junger Edelleute – Gabriotto und/oder Reinhart (GR4, GR13, GR16, GR26, GR27, GR30, GR31, GR38 und GR45) und Orwin (GR19) – eingesetzt werden, geht in der Verwendung der Druckstöcke Ic und Ie sogar die Kontinuität des Alters verloren. So kann die bärtige Figur im zurückweichenden Gestus (Ic) einerseits Reinhart (GR16) und Gabriotto (GR27, GR43), andererseits jedoch auch den alten Ritter Gernier (GR29, GR30), und der edle bärtige Herr im Redegestus (Ie) den Grafen Eberhart (GR26) und Gernier (GR31), aber auch Gabriotto bzw. Reinhart251 (GR45) darstellen. Die scheinbare Beliebigkeit der Darstellung von Figuren im Bereich der Verbildlichung von Dialogsituationen durch Kombinationsholzschnitte in „Gabriotto und Reinhart“ beschränkt die Wirkung der Bilderzählung in diesem Bereich auf das Markieren von Dialogsituationen an sich. Im „Goldfaden“ jedoch kann am Beispiel der Illustrationen G10, G11 und G19 gezeigt werden, welches Sinnpotenzial von Wiederholungen einzelner Druckstockhälften ausgehen kann, wenn dabei eine repetitive Komponente ins Spiel kommt. Nachdem Angliana erfahren hat, dass sich Leufrieds Klagelied tatsächlich auf sie bzw. das von ihr ausgebliebene Neujahresgeschenk bezieht, entschließt sie sich, Leufried erneut zum Klagen zu bringen, um ihm einen Anlass zur Produktion eines weiteren Liedes zu geben. Danach jedoch möchte sie ihn reich beschenken: Angliana als sie von Lewfriden die vrsach vernam / gedocht sie heimlich in jr selb / wie sie den o o guten jungen wider wolt verursachen über sie zu klagen / damit er aber etwan ein liedlin dauon o o machet / Jedoch nam sie ihr für ihme in kurtz hernach ein reiche verehrung zu thun. Sie griff also nach einem gezwirnten güldin faden / so sie an ihr wirckrammen hat hangen / vnd mit spötlichem o worten gab sie den selbigen dem guten Lewfriden vnd sagt / Damit du mein lieber diener nit sagen dörffest / du seyest jetzund aber von mir so gar außgeschlossen / vor andrem hoffgesind / So nimm o von mir zu danck dise reiche schanckung vnd gab / behalt die wol / damit du mir das künfftig Jar mögest zeigen / mit was fleiß du sie habest auffgehaben (D4r).

Dabei verbildlicht die zu Beginn des Kapitels realisierte, aus den Druckstockhälften IVb und IVc zusammengesetzte Illustration G10 das Moment der spöttischen Übergabe des goldenen Fadens. Ganz gegen die Intention Anglianas nimmt Leufried jedoch das materiell wertlose Geschenk mit grosser freud (D4r) entgegen und deutet das Spottgeschenk als ein Zeichen

251

Dies ist im Fall von GR45 nicht zu entscheiden.

128

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 92: Illustration G10

von Wertschätzung 252, welches er sogleich mit Hilfe von einem schreibmesser (D4v) – also einem Werkzeug der Herstellung von Zeichen – in seinen Körper im buchstäblichen Sinne einschreibt 253. Er öffnet sich die Brust, nimmt den Goldtfaden / legt jn zwischen hut o vnd fleysch / vnd mit einer Nadlen / so er vormal darzu bereit hat / hefftet er sein haut wider nit on kleinen schmertzen zusammen (D4v). Der goldene Faden wird im Akt der Einschreibung bzw. Einverleibung 254 unter Verwendung des Schreibmessers zu einer Art Kontaktreliquie umcodiert, die Leufried metonymisch mit Angliana verbindet255.

252

253

254

255

Gemäß Andreas Solbach kann Leufried aufgrund seiner „lutherisch“ angelegten „anti-allegorischen Hermeneutik“ gar nicht anders als „in ihrem Geschenk nichts als eine aufrichtige Gabe“ zu erkennen. Andreas Solbach: Wiederholung als literarische Technik bei Jörg Wickram. In: Simpliciana 18 (1996), S. 181–194, dort S. 190. Vgl. Armin Schulz: Texte und Textilien. Zur Entstehung der Liebe in Georg Wickrams Goldfaden (1557). In: Daphnis 30 (2001), S. 53–70, dort S. 65. Die körperliche Einschreibung bzw. Einverleibung verweist dabei auf ein unter anderem aus dem Bereich der Mystik bekanntes Erzählmuster der Erzeugung medialer Unmittelbarkeit in Form einer scheinbaren direkten Teilhabe. Vgl. Bruno Quast: „drücken“ und „schriben“. Passionsmystische Frömmigkeit in den Offenbarungen der Margarethe Ebner. In: Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. Hrsg. von Cornelia Herberichs und Manuel Braun, München 2005, S. 293–306; Urban Küsters: Narbenschriften. Zur religiösen Literatur des Spätmittelalters. In: Mittelalter. Neue Wege durch den Kontinent. Hrsg. von Jan-Dirk Müller und Horst Wenzel, Leipzig / Stuttgart 1999, S. 81–109; Alois Hahn: Handschrift und Tätowierung. In: Schrift. Hrsg. von Hans Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer, München 1993, S. 201–218. Vgl. Susanne Reichlin: Erzählen vom magischen Augenblick. Mediale Selbstüberschreitungen in Jörg Wickrams ,Goldtfaden‘. In: Mediale Gegenwärtigkeit. Hrsg. von Christian Kiening. Zürich 2007, S. 207–224, dort S. 213 f.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

129

Nachdem Leufried durch ein freudiges lied von dem Goldtfaden (E1r) Angliana auf den Verwahrungsort des Fadens neugierig gemacht hat, fädelt diese durch Vortäuschung einer Krankheit ein Treffen mit ihm unter vier Augen ein und spricht Leufried direkt auf den goldenen Faden an: Angliana sagt mein lieber Lewfrid sag mir doch / hastu noch in behaltnis den goldtfaden / welchen ich dir von meiner Ramen gegeben hab / so bit ich e wollest mich den selbigen weisen / dir soll ein reiche vnd gar vil bessere schenck darfür werden (E1v). Leufried gibt daraufhin an, den Schlüssel zu dem behalter in seiner Kammer zu haben, eilt dorthin und kehrt mit dem besagten schreibmesserlin (E1v) eilig zu Angliana zurück. Er betätigt das Werkzeug erneut zur Zeichenerzeugung bzw. -umcodierung, indem er sich damit vor ihren Augen die Brust öffnet und ihr den Faden übergibt, der im Folgenden als Liebe übertragendes Objekt fungiert 256: Angliana erschrickt und schickt Leufried, der angibt, keinen Arzt zu benötigen, zur Verbindung der Wunde zurück in seine Kammer. Während Leufried in grossen freuden die Gemächer Anglianas verlässt, sodass er des schmertzens seiner wunden gar nit spürt, wäscht Angliana den zu ihrem Erstaunen unversehrten Faden und verliebt sich sogleich in den Jüngling 257: Von der stund an ward Angliana gar hart mit dem pfeil der liebe Cupidinis verwundet (E2r). Die aus den Druckstockhälften IVa und IVd kombinierte Illustration G11 verbildlicht dabei den zentralen Moment der zweiten Betätigung des Schreibmessers durch Leufried: Dabei zeigt die Bilddarstellung den Jüngling mit einem an die Brust angesetzten Messer in der rechten Hand. Leufrieds Linke zeigt währenddessen einen Redegestus an. Ihm gegenüber sitzt Angliana hinter einem Tisch und webt. Wie bereits in der Bilddarstellung der Illustration G10 ist zudem ein Hund anwesend, den die Spracherzählung genauso wenig wie Anglianas Tätigkeit am Webrahmen wiedergibt. Symbolisiert der goldene Faden die Verbindung der Liebenden258, so kann das bildlich dargestellte Weben Anglianas als Arbeit an dieser Verbindung verstanden werden: Sie verwandelt den zarten Faden nach und nach in ein festes Gewebe. Entsprechend beginnt Angliana, anstatt sich gedankenlos ihren Gefühlen hinzugeben, nach Leufrieds Rückkehr in ihr Gemach, sogleich Voraussetzungen für eine positive Entwicklung der Verbindung zu schaffen, die aufgrund des mehr als beträchtlichen Standesunterschieds unter allen Umständen vor der Hoföffentlichkeit geschützt werden muss. Da sie die baldige Rückkunft ihrer Hofdamen aus der Kirche erwartet, verzichtet sie darauf, Lewfrid an Ort und Stelle ihre Gefühle für ihn offenzulegen. Sie verschafft sich stattdessen den vermeintlich sicheren Weg, dies in einem Liebesbrief nachzuholen, wobei sie die Verbin-

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258

Die Übertragungsleistung wird dabei durch die Abwesenheit Leufrieds kenntlich gemacht. Vgl. Reichlin (2007), S. 214 f. Susanne Reichlin gibt eine Übersicht und methodische Gliederung der zahlreichen weiteren in der Forschung vertretenen kommunikationstheoretischen sowie semiotischen Erklärungsansätze der Liebesentzündung im Kontext des goldenen Fadens. Vgl. Reichlin (2007), S. 210. Vgl. Jacobi (1970), S. 172.

130

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 93: Illustration G11

dung zusätzlich durch zeichenhafte Geschenke, unter anderem einen mit einem blauen Saphir besetzten Ring ihrer verstorbenen Mutter, festigen möchte259: sie [Angliana] sagt aber Lewfrid laß dich nit belangen der gaben / welche ich dir verheissen / dann die zeit mags jetzund nit geben / vff den morgigen tag aber will ich dir in ansehen aller meiner Junckfrawen ein kleines Büntelin oder Pecklin geben / dir dabei befelen wo du das hintragen solt / du aber solt dich an keinen meinen befelch keren / sonder den nechsten weg in dein gemach gon / das Pecklin sampt allem dem so du darinn finden würst / fleißig auffheben / Du wirst auch einen brieff darbey finden / des selbigen inhalt soltu fleißig warnemen (E2r).

Das durch Anglianas Brief und Ring begründete Liebesverhältnis konstituiert sich im Folgenden aus dem Austausch von Liebesbotschaften und -zeichen, auf den sich die Liebeshandlung lange beschränkt 260. Auf einer Dienstbotenreise läuft Leufried ein edler Hund zu und führt ihn aus einem Wald, in dem er sich verlaufen hat. In einem Wirtshaus begegnet Leufried einem Reitknecht des Forstherren, dem der Hund gehört. Nachdem der Hund jedoch Leufried nicht von der Seite weichen will, kommt es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung, wobei Leufried seinen Widersacher in die Flucht schlägt. Zurück am Hof des Grafen präsentiert Leufried Angliana das edle Tier und erzählt ihr von seinen Erlebnissen. Diese zeigt sich tief beeindruckt von der Treue des Hundes und verspricht ihm daher ein

259

260

dann die Junckfrauw mit der blawen farb anzeigen wolt / die stehtigkeyt der liebe gegen irem Jüngling o (F2r); aus dem Brief Anglianas: vnd domit dise vnser liebe stet vnd fest sey / so nim von mir zu einem o zeichen disen ring / welcher mir seer angenem / vnd von meiner lieben fraw muter seligen an jrem o todtbet zur letze gelassen (E3v). Vgl. Schulz (2001), S. 67.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

131

Abb. 94: Illustration G19

edles Halsband anzufertigen: fürwar Lewfrid du solt disem edlen Pracken seiner freundte schafft vnd trew nimmer vergessen / ich will jn auch mit einem schonen halßband zieren / des er dann von wegen seiner trew von mir tragen sol / du solt ihn auch fürbaß alweg mit seinem nammen nit anderst nennen dann trew (H1v). Der Name des Hundes verweist dabei auf dessen allegorische Bedeutung261. Angliana macht sich daraufhin an die Arbeit: Die Junckfraw (nach des Jünglings abscheid) hat sich nit lang bedacht / in jr gemach gangen von e o stund an schone Perlin / Samat vnd Seiden zu handen genommen / dem Pracken ein reiches vnd e e e o kostliches halßband angefangen zu sticken / ein schone trew auff yeder seiten vnd mit schonen vere o gulten spangen gezieret / desgleichen mit eim vergulten schloßring oder hafften zusamen gefuget v (H1 ).

Die Spracherzählung wird an dieser Stelle von Illustration G19 unterbrochen. Diese kombiniert die bereits zuvor realisierten Druckstockhälften IVb und IVd. Die Unstimmigkeit des Übergangs der Holzschnitthälften stellt zum einen den Montagecharakter der Komposition aus und separiert zum anderen die beiden einzelnen bildhaften Darstellungen voneinander. Diese Abgrenzung der einzelnen Bildhälften voneinander geht dabei mit dem polyszenischen Charakter der Bilddarstellung einher. So wird dem impliziten Rezipienten zweimal Angliana vor Augen geführt – die linke Bildhälfte zeigt sie bei der Besorgung eines Fadens, während die rechte Bildhälfte sie bei dessen Weiterverarbeitung darstellt. Indem der implizite Rezipient die beiden Bildhälften als Wiederholungen erkennt, kann er diese sowohl repetitiv als auch singulativ auf das Geschehen beziehen, bzw. den repetitiven und den singulativen Bezug ineinander überblenden. 261

Vgl. Solbach (1996), S. 191.

132

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Dadurch offenbart sich der Symbolcharakter der Szene: Die Seiden, aus der Angliana das Halsband anfertigt, wird von der Bilderzählung mit dem goldenen Faden verknüpft und deren Verarbeitung mit der Verfestigung der Verbindung zwischen Angliana und Leufried. Angliana fertigt demnach aus dem Faden, der ihre Liebesbindung symbolisiert, ein mit Kostbarkeiten (Perlin, Samat, vergulten Spangen und einem vergulten Schloßring) verziertes Kunstprodukt, welches für ihre inzwischen fortgeschrittene und verfestigte Verbindung mit Leufried steht. Indem das Halsband der Allegorie der Treue – dem edlen Pracken, welcher entgegen dem verbal vermittelten Geschehen am Fußboden liegt262 – als Schmuck um den Hals gelegt werden soll, erscheinen die Liebenden als deren Musterbeispiel. Darüber hinaus findet sich die Treue sogar gewissermaßen in der e Materialität des Halsbands wieder, indem es ein schone trew auff yeder seiten ziert, wobei trew an dieser Stelle ein kostbares Stück Stoff bezeichnet 263. Auch wird rückblickend auf die Anwesenheit des Hundes innerhalb der Bilddarstellungen der Illustrationen G10 und G11 ein weiteres allegorisches Sinnpotenzial entfaltet, insbesondere da auch dort ein Hund in keiner der verbalen Darstellungen des verbildlichten Geschehens Erwähnung findet. So begleitet die Treue in ihrer allegorischen Gestalt des Bracken rückblickend Angliana und Leufried von den Anfängen ihrer Verbindung an.

3.1.4 Bildwirkung im Kontext der narrativen Geschwindigkeit und Distanz der Spracherzählung Wickrams frühe illustrierte Romane, der „Ritter Galmy“ und „Gabriotto und Reinhart“, weisen eine besonders hohe Anzahl langer Dialogpassagen auf 264, welche neben inneren Monologen und Briefen oftmals die Innenwelt der Figuren entfalten265 und dabei größtenteils in direkter Rede ausgeführt werden. Vielfach werden Dialoge, die als dynamische Ereignisse mit weitreichenden Folgen für den weiteren Handlungsverlauf verbunden sind, in den Fokus von Kapiteln gerückt. Dabei heben sich diese in der Regel aufgrund der geringen narrativen Distanz ihrer Darstellung von den sie umrahmenden mittelbareren Erzählpassagen ab. Auch die Illustrationen vollziehen das Strukturmerkmal der Fokussierung von Gesprächen nach, indem sich unterhaltende Figuren ein sehr häufiges Bildmotiv darstellen. So zeigen beispielsweise 39 der 60 Textillustrationen innerhalb des „Ritter Galmy“ Szenen, in denen geredet wird 266. Oftmals gehen für den 262

263 264 265 266

Der Hund kann nicht in Anglianas Gemach verblieben sein, da diese, nachdem sie das Halsband fertiggestellt hat, Florina bitten muss, nach Leufried und dem Hund zu schicken: Sag im e [Leufried] / so bald er seiner geschefft halben zeit haben mog / daß er mit dir in mein gemach kome e r men woll / sampt seinem schonen weissen Pracken (H2 ). Vgl. Solbach (1996), S. 191. Vgl. Jacobi (1970), S. 240 sowie Gertrud Fauth: Jörg Wickrams Romane, Straßburg 1916, S. 75. Vgl. Haug (1991), S. 96–120, dort S. 97–105. Vgl. zudem Schmidt (2006), S. 157–161. Vgl. Schmidt (2006), S. 158.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

133

Abb. 95: Illustration RG13 (RG26, RG32, GR20, GR36)

Handlungsverlauf bedeutende Dialoge mit Illustrationen einher, die die entsprechenden Dialogpartner einander in Redegestik zugewandt abbilden. So steht im „Ritter Galmy“ eine in nahezu voller Länge wiedergegebene Unterhaltung zwischen Galmy und der Herzogin im Fokus des zwölften Kapitels. Diese wird durch ein in weiten Teilen vergleichsweise mittelbarer dargestelltes Gespräch zwischen Galmy und Friedrich motiviert. Bereits die Kapitelüberschrift lenkt die Aufmerksamkeit auf den umfangreichen Dialog zwischen Galmy und der Herzogin: Wie die Hertzogin den andren tag nach Galmien dem Ritter schicket / jn empfacht vnd was freündtlichen gesprech sye mit nander hatten / wie nachstot (H4r). Das Kapitel, dem der Tag der Rückkehr des Protagonisten vom Turnier aus Frankreich vorausgeht, beginnt mit einem summarischen Erzählbericht: e

e

ALs nu der ander tag mit frolichem gesang der edlen vogel an den hymel brach / Der Ritter mit e o o freüden auffstund / zu Friderichen kam / mit eynander spacieren ritten / in den grunen angern e e vnnd walden / manchen sussen vnnd lieblichen thon von der wunnsamen drosteln vernamen / auch e e grosse freüd ab den lustbaren Blumelein namen / wolche mit mancher farben gekleydt vnd geziert r waren (H4 ).

Galmys freudige Erwartung des Wiedersehens mit der Herzogin spielt hier zusammen e mit positiv attribuierten Naturbeschreibungen wie etwa dem frolichem gesang der edlen e vogel 267.

267

Zum Zusammenspiel von Naturbeschreibung und figürlicher Innenwelt im „Ritter Galmy“ vgl. Haug (1991), S. 102 f.

134

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Es folgt ein Gespräch zwischen Galmy und Friedrich über die Herzogin, das zu Beginn von einem Gesprächsbericht in die weniger mittelbare indirekte Rede übergeht: In solchem reiten vnd spacieren / Galmy nichts anders dann von seiner liebsten Hertzogin reden thet / ein grosse freüd hat / das jm sein gsell von der Hertzogin saget / wie sye so offt seinethalben nach jm geschickt hat / vnd also treülich nach jm gefragt / […] wie er sich vff dem stechen in Franckreich gehalten hett (H4r–H4v). Dabei muss geblättert werden. Der Sprachtext wird zuoberst der neuen Seite durch Illustration RG13 unterbrochen. Im Vordergrund der Bilddarstellung stehen Galmy und die Herzogin, die sich einander zugewandt haben. Die Redegestik der beiden Figuren zeigt an, dass sie sich im Gespräch befinden. Hinter Galmy am linken Bildrand ist Friedrich zu sehen, während sich eine Hofdame hinter der Herzogin am rechten Bildrand befindet. Die Darstellungen Friedrichs und der Hofdame werden dabei vom bildbegrenzenden Rahmen unterbrochen, wodurch der Fokus noch stärker auf die beiden vorderen Figuren gelenkt wird. Die Illustration richtet die Aufmerksamkeit des impliziten Rezipienten erneut vorweg auf das bereits von der Kapitelüberschrift fokussierte Gespräch zwischen Galmy und der Herzogin. Die Wiedergabe des Gesprächs zwischen Galmy und seinem Freund Friedrich hingegen wird bis zum dynamischen Kern des Ereignisses hin verkürzt: mit solcher red o vnd kurtzweiligem gsprech sye die zeit lang vertriben / Zu letst Friderich seinen gsellen fraget / wie er sich vff dem stechen in Franckreich gehalten hett (H4v). Galmy berichtet Friedrich von seinen drei in Frankreich gewonnenen Siegerpreisen. Als Friedrich von e dem mit einem kostlichen steyn (H4v) besetzten Ring erfährt, kommt ihm ein Gedanke. Die Redewiedergabe wechselt in direkte Rede, wodurch sich die narrative Geschwindigkeit auf das szenische Erzähltempo verlangsamt: o

e

Als nun Friderich verstund von seinem gsellen / das er so ein kostlichen ring mit eynem solchen e o kostlichen steyn versetzt / gewunnen hat / er zu dem Ritter sprach. Mein liebster Galmy ich dich e bitt mir an disem ort volgen wollest / vnd meinem rhat gehorchen / wo mich das glück mit einem e e o o solchen schonen bulen begabt het / vnd mir nachgands ein solch kleynot zustund / deren du nun e o zumal drey gewunnen hast / ich wolt das treülich mit jr theylen / ich sag dir / wo du meiner Gnad. e Frawen den ring / von wolchem du mir yetz gesagt hast / geben würst / sye in warlich für ein grosse freüd annemen würt (H4v–I1r).

Galmy bedankt sich für den guten Einfall seines Freundes, auf den er, wie er Friedrich zugesteht, selbst nicht gekommen wäre, und möchte der Herzogin gleich alle drei kleynot schenken. Friedrich jedoch rät ihm davon ab und erklärt seinem Freund, dass es nicht auf die Menge und Kostbarkeit des Geschenks ankomme: dann sye [die Herzogin] jr gantz nit e vmb der kostligkeyt willen achtet / sunder alleyn von liebe wegen / die für lieb vnd werd halten würd (I1r). Die narrative Distanz der Spracherzählung vergrößert sich wieder, indem ein summarischer Erzählbericht zur Begegnung Galmys und der Herzogin überleitet: Mit disen worten sie yetzundt der statt naheten / yetz die zeit kam / das man das mal nemen solt. Nach dem solches volbracht ward / Die Hertzogin mit jren zweyen Junckfrawen in jren garten / o nach jrer gewonheyt spacieren gieng / so bald sye in den garten kummen was / zuhand / ein jrer e o o kamer buben nach Galmien dem Ritter schicken thet / wolchen der knab zuhoff fandt / bey Friderichen seinem gesellen ston (I1r).

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

135

Nachdem der Kammerjunge den Ritter in den Garten gebeten hat, wird Galmy, der von Friedrich dorthin begleitet wird, von der über sein Erscheinen freudig bewegten Herzoo e gin empfangen: So bald die hertzogin des Ritters zukunfft vernemmen ward / als jr geblut inn freüden erbrinnen thet / jr schne weisse hand dem Ritter in die sein hand verschlossen o ward / also zu jm sprach. Edler Ritter / jr sond mir wilkum sein auß einem frembden land / sagend vns was news bringt jr vns auß Franckreich? (I1v). Indem die Herzogin Galmy bei der Hand nimmt, wird auf den Moment der Entzündung von Galmys Gefühlen verwiesen268. Die ins szenische Erzähltempo übergehende Spracherzählung verliert zugleich deutlich an Geschwindigkeit und Mittelbarkeit. Indem die Spracherzählung das Gespräch Galmys und der Herzogin (im Beisein Friedrichs und mindestens einer Hofdame) erreicht, welches dem impliziten Rezipienten zuvor durch Illustration RG13 vor Augen geführt wurde, wird die visuelle Präsenz der in Interaktion dargestellten Figuren erinnert. Diese kann als mentale Repräsentation die Lektüre der folgenden Dialogpassagen in direkter Rede begleiten269. Die geringe Distanz der Figuren zum Beobachterpunkt unterstützt dabei den Eindruck, das Geschehen von dieser Stelle an wenig mittelbar bzw. aus nächster Nähe mitverfolgen zu können. Die Herzogin versichert sich im Folgenden der Gefühle Galmys. Zunächst möchte sie sich vergewissern, ob sich Galmy zwischenzeitlich nicht in einen anderweitigen Frauendienst begeben hat. Daher spricht sie ihn auf die Franckreichischen weiblin (I1v) an. e Galmy reagiert zurückweisend: von schonen frawen / deren hab ich warlich kein acht gehabt (I1v). Damit gibt sich die Herzogin noch nicht zufrieden: Wie? sprach die Hertzogin / Mein lieber Galmy / ich hab eüch doch ye vnd allweg für einen getrewen vnd rechten frawen diener gehalten / vnd sagendt / jr keyn acht auff sye haben (I1v). Sie nimmt Galmy erneut bey seiner hand (I1v) und begibt sich mit ihm auf einen Spaziergang in den Garten. Der implizite Rezipient kann dabei seine möglicherweise auf das visuelle Angebot der Illustration RG13 zurückgehende mentale Repräsentation der sich im Gespräch befindenden Figuren fortspinnen und diese simultan zur Lektüre Hand in Hand durch einen auf individuellen Vorstellungen beruhenden Schlossgarten bewegen270. In Abwesenheit ihrer Hofdamen und Friedrichs kann sich die Herzogin endgültig der Zuneigung ihres Ritters versichern, indem sie ihn durch Vorhaltungen weiter provoziert, seine Gefühle für sie offenzulegen: Ach mein aller liebster Ritter / […] Wie hastu mich / die dich ob aller welt lieb hat / in solchem sehnen vnd verlangen mügen lassen / nun meyn ich doch /

268

269

270

Galmy erzählt der Herzogin bei deren Besuch an seinem Krankenbett vom Beginn seiner Gefühle für sie zwei Monate zuvor, als er sie während einer Jagd aufgrund des unwegsamen Geländes bei e der Hand nahm: so bald aber ewer schone weisse hand / inn die mein verschlossen ward / augenblicklich mich ein brinnender flamm vmb mein hertz entzünden thet / vnd von solchem tag an / die liebe e sich in mir statigs gemeret (C4v). Zur Steuerung mentaler Repräsentationen durch Sprach- und Bildtext vgl. Wenzel (2009), S. 41–44. Der Schlossgarten wird von der Erzählung bis dahin nicht näher bestimmt.

136

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

ich dir für allen anderen weiben lieb sein / so anderst sich dein hertz nit erst in Franckreich verkert hatt. Warlich solt mir glauben / Mich vil sorg vnd angst deinenthalben in deinem abwesen vmbgeben hat (I1v–I2r). Galmy hält dagegen und macht der Herzogin, in deren Zuneigung er den Quell seines Erfolgs sieht, schließlich den auf dem Turnier in ihrem dienst gewonnenen Ring gemäß der Empfehlung Friedrichs zum Geschenk: e

o

o

Ach mein außerwolte / aller liebste Fraw mein / […] Ja was mir zu handen gangen / ich allweg zu o vor gewünschet hab / eüch solchs zu wissen / das ich aber schon gern ewer Gnaden meiner e außerwolten Frawen / etwas entbotten het / mir keyns wegs müglich gewesen ist / on sunder o o grossen argwon zu wegen zu bringen. Jr sond wissen / mein aller liebste Fraw / das ich alles das / o so ich gehandlet hab / in ewerem gefallen beschehen ist / hab auch zu allen zeiten krafft vnd o o stercke genugsam gehabt / so ich ab eüch gedacht hab. Als ich mich zu dem Stechen vnd Turnier o rüsten thet / ewer liebe zu aller zeit jngedenck was / Glaub auch mich alles glücks / so mir e o zugestanden ist / von eüch kummen sein […] / Hierumb aller liebste fraw mein / wollent disen ring von mir nemen / welchen ich in ewerem dienst erlangt hab / Gott wolt müglich gewesen wer / das jr sollichs selbs hetten mügen sehen (I2r–I2v).

Die Herzogin steckt den Ring an jr schnee weissen getrungenen fingerlin (I2v). Hoch erfreut über die Geste ihres Verehrers zeigt sich die Herzogin nun zufriedengestellt: Edler Ritter sprach sie / Mich warlich nit mer bekümmern soll / das / so ich dir vorgehalten hab. o Dieweil ich dich doch inn sollichen trewen spüren thu / hab auch von deiner mannheyt o genugsam / ehe dann du wider harkummen bist / verstanden / mit was grossen lobs du vß Franckreich gescheyden seyest (I2v). Ermutigt bekräftigt Galmy seine Rede von zuvor und bekundet der Herzogin das Glück, welches ihn beim Gedanken an sie erfüllt: Aber was ich in Franckreich erlangt hab / eüwer tugendt vnd liebe ein vrsach ist / Ich sey wo ich e o e o woll / vnd ich an eüch mein aller liebste fraw gedencken thu / mir nichts trubsals zuhanden o gon mag / sunder als mein thun vnnd lassen lauter glück ist (I2v). Der Dialog entfaltet seinen Höhepunkt. Scheinbar tief bewegt macht die Herzogin dem Ritter eine Liebeserklärung, die ihre erste an Galmy gerichtete Zuneigungsbekundung271 bei Weitem übertrifft: e

Mein vßerwolter Ritter vnd aller liebster freünd auff erden / Dein liebe vnd trew gegen mir nit o o nodt ist zu probieren / dann ich dich zu aller zeit / als einen waren vnnd rechten liebhaber gespürt vnd erkent hab / damit du warlichen mein hertz gefangen hast / Gott wolt / wir on alle sorg vmb e e e einander wonen mochten / damit wir vns in keynen weg verdachtich mochten machen. Aber ich hoff die zeit noch kummen soll / in welcher ich dich nach meines hertzen willen vnd begeren e anschawen mog (I2v).

Die Figurenrede der Herzogin begründet endgültig die intime, jedoch enthaltsame Liebesbeziehung 272 des Protagonisten mit der Herzogin, die das Romangeschehen über weite Teile bestimmt. Die genauen Details der Reaktion Galmys auf die Liebeserklärung werden dem Rezipienten vorenthalten, indem die narrative Distanz der Spracherzählung

271 272

Vgl. Ritter Galmy (1539), C4v. Schulz sieht einen außerliterarischen Grund der „Aussparung der sexuellen Sphäre“ in der „verstärkten Sozialdisziplinierung der Frühen Neuzeit“. Schulz (2001), S. 55, vgl. auch S. 69 f.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

137

kurzzeitig zunimmt: solichs Galmy der Ritter auch von hertzen wünschen ward. Als sich nun die zwey liebhabenden menschen nach jrem wunsch vnd willen erspracht hatten / vnd in o die zeit nit lenger vergünnen wolt / bey einander zu bleiben. Sie beyde wider an das ort / da sye Friderichen vnd die zwo Edlen Junckfrawen gelassen hatten / giengen (I2v–I3r). Zurück bei Friedrich und den beiden Hofdamen verabschieden sich Galmy und die Herzogin voneinander und geben dabei vor, ein gewöhnliches Gespräch geführt zu haben: Der Rite ter vrlob von der hertzogin begeren thet/ jr sein hand bodt / also sprach. Gnadige Fraw / ich e bitt ewer gnad / wollendt mir mein geschwatz / so ich gegen ewer gnaden gethan hab / verzeihen. Ach mein Galmy / vil mer jr mir verzeihen solt / das ich eüch so lang mit worten auffgehalten hab (I3r). Dabei wird die Rede der Herzogin nicht eingeleitet. Die autonome direkte Rede stärkt abschließend die Unmittelbarkeit der verbalen Darstellung des im Zentrum des Kapitels stehenden Gesprächs zwischen Galmy und der Herzogin. Erneut wird Illustration RG13 und die von ihr ausgehende visuelle Präsenz der interagierenden Figuren in Erinnerung gerufen. Das dem impliziten Rezipienten unterbreitete Bildangebot lässt sich an dieser Stelle sogar noch stimmiger auf das verbal dargestellte Geschehen beziehen als zu Beginn des Gesprächs, da die Herzogin den Ritter diesmal, wie in der Bilddarstellung zu sehen, nicht bei der Hand nimmt, bzw. vom Erzähler nichts dergleichen berichtet wird. Der die Unmittelbarkeit der Erzählung unterstützende Effekt, welcher von der geringen Distanz zwischen Beobachterpunkt und Figuren ausgeht, kann sich beim Erinnern der Illustration oder einer erneuten Betrachtung nochmals entfalten. Ein summarischer Erzählbericht schließt das Treffen im Schlossgarten ab: Mit solichen worten von eynander schieden. Fridrich sich gegen der Hertzogin neyget / vrlop e o o begert / mit seinem aller liebsten Ritter von dannen gieng / wolcher wol zu mut was (I3r). Die Herzogin verweilt mit ihren Hofdamen weiter im Garten und berichtet von Galmys Erfolg in Frankreich. Das Gespräch wird sehr verkürzt und mittelbar in einer Verbindung aus Gesprächsbericht und indirekter Rede wiedergegeben273. Die abschließende Erzählerpassage blendet den weiteren Fortlauf der Figurenhandlungen um Galmy, Friedrich, die Herzogin und ihre Hofdamen aus und leitet auf das nächste Kapitel und die dort wiedergegebene Handlung um Galmys Neider über: Hie bey wend wirs bleiben lassen / vnd sagen was grossen leyds (die so dem Edlen vnd theüren Ritter widerwertig waren) ab seinem lob / so er in Franckreich erholt hat / tragen thetten. Wie jr dann nache gendts klarlich bericht werden (I3r–I3v). Das Ausstellen des Abbruchs einer Figurenhandlung und Überschwenkens zu einer anderen betont dabei den mittelbaren Status des Geschehens. Auch wenn der Erzähler seine Adressaten durch ein kollektives „wir“ einbezieht, stellt er sich an dieser Stelle dennoch als selektiver Vermittler des Geschehens zur Schau.

273

o

Die Hertzogin mit jren junckfrauwen noch ein gute zeit inn dem Garten beleiben thett / jnen des Ritters mannheyt offenbaret / wie er in Franckreich das best gethan het / Dardurch er dann drey kostlicher kleynot erlangt hette. Darab dann die Junckfrauwen auch sunderliche freüd empfiengen (I3r).

138

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 96: Illustration GR10

Demnach fungieren Illustrationen, die Figuren im Gespräch zeigen und sich auf einen wenig mittelbar in direkter (oder autonomer direkter) Rede wiedergegeben Dialog beziehen lassen, als Verstärker einer in der Wiedergabe des Geschehens generierten Unmittelbarkeit. Insbesondere wenn die Figuren dem impliziten Rezipienten aus der Nähe (geringe Distanz zwischen Beobachterpunkt und Figuren) vor Augen geführt werden und der Beobachterpunkt sich dabei in etwa auf Augenhöhe der Figuren befindet, wird der Eindruck einer unmittelbaren passiven Teilhabe erweckt, die mit der eines stillen Beteiligten am Geschehen vergleichbar ist. Einen ähnlichen Effekt erzeugen einige Illustrationen, die Figuren bei der Übergabe von Objekten darstellen. So zeigt Illustration GR10 aus „Gabriotto und Reinhart“ beispielsweise die Übergabe des Rings Philomenas an den kranken Gabriotto durch Rosamunda im Beisein von Reinhart – das proleptisch vorangestellte zentrale Moment der äußeren Handlung des zehnten Kapitels, welches zugleich im Fokus der sich direkt über der Illustration befindlichen Kapitelüberschrift274 steht. In der Lektüre der sich unterhalb der Illustration fortsetzenden Spracherzählung, wo zunächst im summarischen Erzähltempo von den Gewissensbissen Rosamundas – sie weiß wohl, dass ihr Botenauftrag nicht im Sinne des Königs ist –, ihrem Entschluss, der Anweisung Philomenas dennoch nachzukommen, und schließlich ihrem Anklopfen an

274

e

Wie Rosamunda den Jüngling einen kostlichen ring bracht / auß befelch der Junckfrawen Philomena (D4r).

139

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

Gabriottos Kammer berichtet wird 275, ist die Aufmerksamkeit des impliziten Rezipienten bereits auf das Ereignis der Ringübergabe gerichtet, das in Form der Illustration visuell präsent ist. Wiederum verlangsamt sich die narrative Geschwindigkeit und geht nach einer kurzen leicht dehnenden Passage vor Erreichen des in der Illustration bildlich umgesetzten Ereignisses ins szenische Erzähltempo über: Rosamunda wird von Reinhart in Gabriottos Gemach eingelassen, wobei die noch unausgesprochenen Gefühle beider e füreinander aufflammen: Reinhardt bald auff stund der junckfrawen die thür offnet / die nit wenig freüd von disem Portner empfahen thet / auch nit minder freüd Reinhart von jr o zukunfft empfieng / noch mocht jr keins mit dem andren kein wort gereden / solich alls jr grosse liebe / die mit vnmeßlicher freüd vnnd scham vermischst was (D4r–D4v). Bevor Rosamunda den mit der Übergabe des Rings verbundenen im Zentrum des Kapitels angesiedelten Dialog eröffnet, verweist die Spracherzählung auf die ihr vorangestellte Illustration, indem sie Gabriotto gemäß der Bilddarstellung im Sessel positioniert: also mit einander in des Jünglings kammer bekamen / welcher yetz von seinem beth auffgestanden was / auf einem sessel in der kammer sitzen thet (D4v). Das Adverb yetz erzeugt dabei einen Präsenzeffekt, der auf die nun anschließende bildlich bereits präsente Szene hindeutet. Unter folgender Rede übergibt Rosamunda das Geschenk Philomenas: o

o

Edler jüngling / jr sond euch nit verwundren ab meiner zukunfft / dann ich zu euch als ein vertrawe ter bott geschickt bin / von Philomena meiner aller gnadigsten junckfrawen / die dann groß also o mitleiden mit euch hat / das ich euch das nun zumal nit erzalen mag / damit aber jr ein waren e o ernst an meiner junckfrawen spüren mogen / so hat sye mir befohlen / euch diß kleinot zu bringen / e o in welchem / ein sunder kostlicher steyn verfaßt ist / der euch dann zu ewer kranckheyt nit wenig o nutzet / vnnd zu gesundtheyt fúrdern mag / darumb edler jüngling / so nemendt hin dise gab / welche euch uß sunder lieb geschickt würdt (D4v).

Rosamundas Aufforderung so nemendt hin diese gab impliziert dabei die von der Illustration gezeigte Übergabe des Rings. Die erinnerte visuelle Präsenz der dem impliziten Rezipienten eine Seite zuvor bildlich vor Augen geführten Szene verstärkt wiederum in Verbindung mit der geringen der Bilddarstellung inbegriffenen Distanz zwischen Beobachterpunkt und Figuren den Eindruck einer unmittelbaren passiven Teilhabe am momentanen Geschehen. Zugleich beginnt die weitreichende Bedeutung des dynamischen Ereignisses sich zu erschließen: Einerseits geht von dem in den Ring gefassten Stein selbst eine heilsame Wirkung aus, welche möglicherweise neben der hilff der Artzet (E1r) zu Gabriottos baldiger Genesung beiträgt. Vor allem aber erfährt Gabriotto von Philomenas Zuneigung ihm gegenüber – uß sunder lieb. Überwältigt von seinen aufflammenden Gefühlen, die ihn alle Schmerzen vergessen lassen276, begibt er sich in ihren o dienst: ich mich nymmer mer genugsam bedancken mag / Gott wolt aber / ich mich in jhrer 275

276

DIe junckfraw Rosamunda mit grossen sorgen beladen was / in jr selbs vil vnd mancherley gedencken e ward / was grosser sorg jr des Künigs halb / darauff stunde / yedoch nach langem jrem gedencken / e o sich heymlich on all ander jre junckfrawen zu des Jünglings gemach fuget / züchtiglichen anklopffet (D4r). also das der jüngling Gabriotto alles seines schmertzens yetzt gantz vergessen thet (D4v).

140

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram e

e

gnaden dienst / nach allem jrem willen fleissen mocht / […] der Allmechtig Gott / woll sye o vor allem ley vnd übel bewaren / vnd mir genad geben / jr nach jrem gefallen zu dienen / dann ich von disem tag an sunderlich in jren dienst begeben will (D4v–E1r). Mit der Begründung des dienst-Verhältnisses endet der Dialog, wobei die narrative Distanz der Spracherzählung zugleich zunimmt, indem sie sich zurück ins summarische Erzähltempo begibt: nach disen worten die junckfraw vrlaub von dem jüngling nam / Sich wider o e zu Philomena fuget (E1r). Während Bilddarstellungen von Gesprächen und Objektübergaben in der Regel eher statisch wirken, zeigen beispielsweise Kampf- oder Jagdszenen „bewegte“ Figurenhandlungen. Auch wenn die Bewegungen im abgebildeten Moment „eingefroren“ erscheinen, werden Bewegungsabläufe vielfach bereits im Bild impliziert. Derartige Implikationen kann der implizite Rezipient mental im Rahmen belebender Bildbetrachtungen umsetzen, wie sie in Wickrams „Irr reitendem Pilger“ verbalisiert werden277. Dort beschreibt der Erzähler einige Wandgemälde im Lustgarten des Pilgers Arnolt, die unter anderem Gantz lebendig wirkende Jagdszenerien zeigen: Da liff der hirsch / kalb vnd die hind Mit nander durch die hag geschwind / e Die jager eylten ihnen nach […] Gantz lebendig dauchts einen wie / Sich da das laub an beümen reget Vnd sich als durch einander weget 278.

Im Zusammenhang der wickramschen Romanillustrationen regen über die ikonischen Implikationen hinaus weitere in der Spracherzählung wiedergegebene Bewegungshandlungen den impliziten Rezipienten an, die bildlichen Repräsentationen der Figuren und Objekte im Raum auf mentaler Ebene in bewegten Bildern weiterzuspinnen. Dieser Vorgang kann simultan zur Lektüre ablaufen. Die mentale Entwicklung einer Bildsequenz wird dabei von einer geringen narrativen Geschwindigkeit und Distanz begünstigt, welche Raum für verbale Darstellung von Bewegungshandlungen im notwendigen Detail bietet. Bewegungshandlungen setzen sich dabei aus mindestens einem Prädikat und einem Argument, oftmals in der semantischen Rolle des Agens 279, zusammen. Gemäß der Prototypensemantik muss sich ein sprachliches Zeichen auf der Basisebene oder

277

278

279

Dabei bedient sich Wickram antiker rhetorischer Techniken der narrativen Visualisierung. Vgl. Hannes Kästner: Garten-Bilder. Illustration und narrative Visualisierung in Georg Wickrams „Der irr reitende Pilger“ (1555). In: Müller/Mecklenburg (2007), S. 215–228, dort S. 221–225; Wandhoff (2003), S. 54–57. Jörg Wickram: Der irr reitende Pilger, Straßburg: Johann Knobloch 1556, 4° 96 Blatt, F1r. Sämtliche Verweise auf den „Irr reitenden Pilger“ innerhalb der vorliegenden Arbeit beziehen sich auf diese Ausgabe. „Der Agens macht etwas oder verursacht etwas wie Arno in Arno nimmt sich einen Joghurt oder Valentine in Valentine ärgert Arno“. Jörg Meibauer u. a.: Einführung in die germanistische Linguistik, Stuttgart/Weimar 2002, S. 151.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

141

einer untergeordneten Ebene befinden, um kognitiv visualisiert werden zu können280. So ist beispielsweise der eine Bewegungshandlung wiedergebende Ausdruck „Der Löwe läuft.“ gerade hinreichend konkret, um mit einer bildlichen Vorstellung verknüpft werden zu können, während sich etwa „Das Tier bewegt sich.“ als zu abstrakt für eine kognitive Visualisierung erweist. Werden von einer Illustration verbildlichte Figuren oder Objekte als Gegenstand einer hinreichend konkreten Bewegungshandlung aufgegriffen, so kann die ikonische Darstellung mental aufgegriffen und in Bewegung gesetzt werden. Auf einen derartigen Effekt wurde bereits im Zusammenhang mit der Illustration RG13 und dem Spaziergang Galmys und der Herzogin im Schlossgarten hingewiesen. Wie Illustrationen in Verbindung mit der Spracherzählung auf diese Weise den Ausgangspunkt einer umfangreichen mental weiterentwickelbaren Bildsequenz bilden können, soll anhand zweier Beispiele – einer Kampf- und einer Jagdszene aus dem „Goldfaden“ – gezeigt werden: Walter und der ihn auf der Suche nach seinem Ziehbruder Leufried begleitende Knecht sind in einem Wald von drei Räubern, die sich zuvor in einem Wirtshaus als Kaufleute ausgegeben hatten, überwältigt, ausgeraubt und an einen Baum gefesselt worden. Die Überschrift des Kapitels 23 kündigt ein Aufeinandertreffen Leufrieds und der drei Räuber an: Wie Lewfrid gon Lysabona will reitten / kompt auch in die vorgenant Hero o berg / erfart von dem Wirt / wie etlich kaufleüt zu roß vnd fuß erst newlich durch den wald o e seyen: Er eylet bald hinnach / kompt zu den dreyen mordern (I2r). Indem der an die Begegnung anschließende Fortlauf des Geschehens offen bleibt, wird Spannung erzeugt. Auf der Reise nach Lißbona, wo Leufried einen Auftrag des Grafen zu erledigen hat, wird ihm im selben Wirtshaus von den vermeintlichen Kaufleuten berichtet. Leufried möchte die Gruppe einholen, um sie auf der gefährlichen Reise durch den Wald zu verstärken. Nach einem einstündigen Ritt trifft er auf die drei Räuber. Die narrative Geschwindigkeit verlangsamt sich ins szenische Tempo, wodurch die narrative Distanz verringert wird. Als die Räuber den allein reitenden Leufried im Wald erspähen, wirft der älteste Räuber ein Auge auf dessen Pferd: als bald sie Lewfriden ersahen also eintzig daher reiten / o o sagt der elter vnder jnen / seind munder lieben bruder und setzend dapffer zusamen / ich e hoff wir wollend all drey beritten werden (I2r). An dieser Stelle angelangt muss geblättert werden. Die Spracherzählung wird von Illustration G22 unterbrochen. Diese zeigt Leufried zu Pferd im Kampf mit den drei Räubern, welche Leufried mit ihren Säbeln und einem Messer bedrohen. Die hinteren beiden Räuber holen zur Säbel- bzw. Messerattacke aus, während der vordere in der Rechten ebenfalls einen Säbel und mit der Linken Leufrieds Pferd hält. Leufried erhebt sein Schwert zum Gegenschlag. Die Bewegungen implizierende Kampfszene erzeugt eine visuelle Präsenz des sich in der Spracherzählung noch nicht vollzogenen Ereignisses und erhöht dadurch die Spannung, wäh-

280

Vgl. Georg Kleiber: Prototypensemantik. Eine Einführung. Übers. von Michael Schreiber, Tübingen 1993, S. 58–62.

142

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 97: Illustration G22

rend die Spracherzählung mit der Wiedergabe eines kurzen Gesprächs in indirekter Rede fortfährt, was die narrative Distanz auf niedrigem Niveau kurzzeitig zunehmen lässt: In o dem kam Lewfrid hart auff sie / er versan sich keines argen grußt sie freundtlich / vnd fragt ob nit ihren fünff vor jm durch den wald zugen mit zweyen ledigen pferden / der elter e boßwicht sagt ja / sie weren nit weit vor jm (I2v). Der implizite Rezipient hat bereits das Bild des Kampfgeschehens im Hinterkopf und richtet seine Aufmerksamkeit auf das Einsetzen der Kampfhandlungen. Dem kurzen freundlichen Gespräch folgt der erwartete Überfall: Der älteste Räuber hält Leufrieds Gaul am Zaumzeug fest und fordert ihn plötzlich zur kampflosen Herausgabe des Pferdes auf. Die Rede des Räubers wird dabei direkt wiedergegeben, wodurch sich die o narrative Distanz wieder verringert: Stand ab schnell vnd bald oder du must vns dein leben lassen (I2v). Der im Bild präsente Kampf beginnt: Lewfrid ein vnuerzagter reyter / sauo e met sich nit lang / zucket sein gutes schwerdt / vnd hew dem eltern morder die hand an dem zaum ab (I2v). Die bildliche Darstellung Leufrieds impliziert Leufrieds Schwerthieb, indem sie, wie bereits angesprochen, ihn in einer zum Schlag ausholenden Pose zeigt. Der implizite Rezipient nimmt das Bildangebot der Illustration auf und kann die Szene mental fortspinnen, indem er Leufried seinen Hieb ausführen und dem Räuber dadurch die Hand abschlagen lässt. Das Kampfgeschehen schreitet fort: o

o

Lewfrid […] eylet demnach streng vff die andren zwen schlug gar krefftigklichen zu / der alt von wegen des schmertzens und schreckens so er hat / kond sich gar nit mer wehren / so wollten die zwen die flucht geben haben / Lewfried aber eylet jn streng nach / hew den einen hinden durch sein achseln das er jm das schulterbret gar zerspielt / Der dritt wolt jm in ein dicke dornhurst entrunnen sein / Lewfrid eylet jm hart nach / er bestecket in dem dicken dorn / do stieß Lewfrid sein o schwerdt durch jn so weit es hinein mocht / der ander lag vnd blutet gar fast das jm gar onmechtig v r ward / Lewfrid stund ab / hiew jm den grind ab. (I2 – I3 ).

143

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

Weiterhin werden die durch Illustration G22 bildlich präsenten Figuren – Leufried und die drei Räuber – bzw. einzelne Körperteile von ihnen sowie Leufrieds Schwert verbal aufgegriffen (im Blockzitat hervorgehoben), durch ein weiteres Objekt – den dicken dorn – ergänzt und in für eine kognitive Visualisierung hinreichend konkret wiedergegebene Bewegungshandlungen integriert. Der implizite Rezipient kann sein mentales Bild aufrecht erhalten und wird von der weiterhin im szenischen Erzähltempo verharrenden Spracherzählung auf diese Weise zu einer sich simultan zur Lektüre vollziehenden Fortsetzung des mentalen Bilderflusses angeregt. Der erstmals durch die Illustration hervorgerufene Präsenzeffekt kann durch eine auf kognitiver Ebene entwickelbare Bildsequenz fortgetragen werden. Auch die ebenfalls dem „Goldfaden“ entstammende Illustration G64 impliziert ein bewegtes Geschehen: Hoch zu Ross im Galopp mit einem Schwert in der Rechten verfolgt Leufried einen Hirsch. Sein Begleiter, der Löwe Lotzmann, schnappt dabei nach den oberen Hinterläufen des zum Sprung ansetzenden Tieres. Die Bildkomposition impliziert eine Bewegung der Figuren von rechts nach links in hoher Geschwindigkeit sowie das Zuschnappen des geöffneten Löwenmauls. Die geringe Distanz zwischen Beobachterpunkt und Figuren sowie der gewählte Bildausschnitt, welcher den durch den Rahmen beschnitten gezeigten Leufried vom linken Bildrand aus in Richtung Zentrum drängen lässt, fördert dabei den Eindruck des rasanten Tempos der Hetzjagd. Eine vergleichbare Bildwirkung wird im „Irr reitenden Pilger“ im Rahmen der verbalisierten Betrachtung einer ähnlichen Hetzjagd auf einem der Wandgemälde in Arnolts Lustgarten beschrieben: Am andren ort fing an der hatz / Da kam ein grosse lien har gsprungen Vor den hunden mit jren jungen / e Der volgt ein jager auff eim pfert Sehr gschwind hinach mit eim schweinschwert (F2v).

Im „Goldfaden“ verweist auf der verbalen Erzählebene bereits die Überschrift des 64. Kapitels, welches Illustration G64 umfasst, auf das bewegungsreiche Jagdgeschehen, das am Ende einen Unfall Leufrieds nach sich zieht: Wie Lewfrid jm vil kurtzweil nam mit seinem Pracken / vnd dem Lewen Lotzman / vnnd wie er einem Hirschen mit dem Lewen nacheylet / von welchem er in einem schenckel verwundet ward (Cc2v). Als Gatte der Grafentochter hat Leufried die Jagd als neuen Zeitvertreib für sich entdeckt. Unterhalb der zuoberst der zweiten Kapitelseite eingefügten Illustration erreicht die Spracherzählung das bildlich umgesetzte Jagdgeschehen: Eines tags begab sich / das Lewfrid jm wolgedacht / Angliana wird jetzund jr ziel schon erreycht haben / Darumb befliß e o o er sich taglich mit seinem Pracken vnd Lewen / das hochwild in dem Wald zu suchen / Einsmals kam sein Prack einen mechtigen haupthirschen an / dem satzt Lotzman der Lew dapfo fer zu (Cc3r). Der Fortlauf der ikonisch implizierten Bewegungsabläufe wird daraufhin verbal wiedergegeben und motiviert: e

Lewfrid sprang von seinem pferdt / zucket sein Schweinschwerdt / damit er den Lewen mocht e e entsetzen / dann er sorgt der Hirsch mocht jm schaden fugen. Der Hirsch aber so bald er das

144

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 98: Illustration G64 (KS27) glantzend schwerdt ersehen / hatt er sich eilens zu Lewfriden / vnd gentzlich von dem Lewen gewendet / Lewfriden mit den fordersten enden seines scharpffen gehürns dermassen inn seinen o o rechten schenckel gewundet / das er gantz hefftig an hat gefangen zu bluten (Cc3r–Cc3v).

Sowohl alle bildhaft präsenten Figuren – Leufried, dessen Pferd, der Löwe sowie der Hirsch – bzw. deren Körperteile als auch wiederum Leufrieds Waffe, an dieser Stelle ein Schweinschwerdt, werden verbal aufgegriffen (im Blockzitat fett gedruckt) und dem vorigen Beispiel – der Kampfszene Leufrieds und der drei Räuber – vergleichbar in Bewegungshandlungen integriert. Deren Wiedergabe erfolgt auch an dieser Stelle hinreichend konkret zur kognitiven Visualisierung. Adjektive (im Blockzitat unterstrichen) ergänzen dabei die ikonischen Darstellungen des Schweinsschwerts und des Hirschgeweihs und konkretisieren dadurch eine mögliche mental entwickelte Bildsequenz im Detail. Illustrationen, die sich hingegen auf vergleichsweise erheblich mittelbarere summarische Erzählpassagen beziehen, entfalten innerhalb der Lektüre meist eine lediglich sehr kurzzeitige Wirkung. Die Spracherzählung regt in der Regel weder zum mentalen Weiterentwickeln der ikonischen Repräsentation an, noch erhält sie den von der bildlichen Repräsentation ausgehenden Präsenzeffekt über weite Sprachtextpassagen aufrecht, da summarische Erzählberichte oftmals zur Auslösung derartiger Effekte eine zu distanzierte, reduzierte und verkürzte Darstellung des Handlungsgeschehens bieten. So fungieren Illustrationen in diesem Zusammenhang vor allem als aufmerksamkeits- und erinnerungssteigernde optische Markierungen eines verbal wenig fokussierten Ereignisses281.

281

Kapitelintern analeptisch nachgestellte Bilddarstellungen können dem Rezipienten zudem den Ausgangspunkt eines nachfolgenden Handlungsgeschehens vor Augen halten. Jedoch fällt ihre

145

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

Abb. 99: Illustration RG51

Selten werden verbal verkürzt dargestellte Figurenhandlungen, die von der Spracherzählung mit keinerlei Affekten verbunden werden, dabei jedoch ikonisch mit Emotionen aufgeladen. So zeigt beispielsweise die dem „Ritter Galmy“ entstammende Illustration RG51 den berittenen Protagonisten mit einer Lanze auf der Durchreise von Idenburg zu einem englischen Hafen. Bei genauerer Betrachtung fällt zudem auf, dass das rechte Auge des Ritters tränt. Galmys Ritt durch Schottland und England erfolgt dabei gemäß der Spracherzählung, die an dieser Stelle der Bilderzählung vorangeht, heimlich und allein. Dabei wird Galmys Durchreise selbst wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht: o

Der Ritter sich nit lang saumet / auff sein pferd saß / nit mer dann seinen buben mit jm nam / o Nyemandts von seiner reyß saget / alleyn zu seinem Vatter sagen ließ / er ein geschefft außrichten e wolt / nit lang auß sein / also den nachsten hin vnbekandt weg durch Schottenland reiten thet / wol e dreyer tag ee über Mor kam dann Lupoldt. Als er nu gantz Engellant durch ritten hat / vnd yetz o e o wider zu schiff saß / den nachsten in Britanien fur (Ff2v).

Über die Information hinaus, dass Galmy sich auf den Weg nach Britannien begibt, sind an dieser Stelle vor allem die Begleitumstände von Galmys Reise von Belang – das Verschweigen und Tarnen des wahren Anlasses der Reise und das Einholen Lupoldts. Verbal nicht thematisiert werden Galmys Emotionen während seines Ritts durch Schottland und England.

aufmerksamkeits- und erinnerungssteigernde Wirkung schwächer aus als die der in 3.1.2 behandelten kapitelinternen ikonischen Prolepsen.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Der letzte verbal dargestellte Affekt Galmys erfolgt ein Kapitel zuvor in der Situation der ersten Konfrontation mit dem Leid seiner geliebten Dame: von Lupoldt alle sach o e gründtlich erfur / so bald er nu des grossen trubsals bericht was / so seiner aller liebsten o o Frawen zu handen gangen was / vnd in was grosser sorgen sye noch stund / Vor grossem leyd o seine augen wasser liessen / von Lupolten ein kleyn weil gan mußt (Ff1v). Nachdem sich Galmy eine Weile zurückgezogen hat, zeigt sich dieser jedoch kühl, indem er Lupoldt überraschenderweise 282 die Bitte, ihm nach Vannes zu folgen, abschlägt und auch seine o Teilnahme am Gerichtskampf offen lässt: Mit dir Lupoldt inn Britanien zu reysen / ich fast übel gerüst bin / habs auch noch nit in meinem synn / doch wil ich der Frauwen nichts abgeschlagen haben / kumm ich / sie würt mich wol sehen (Ff2r). Auch auf flehentliches Bitten Lupoldts hin lässt sich Galmy nicht erweichen und zu einer festen Zusage bewegen: Der Ritter dem botten kein ander antwurt geben wolt (Ff2r). Nachdem er Galmy dazu bewegen kann, der Herzogin seinen Standpunkt brieflich mitzuteilen, macht sich der Bote schließlich traurig und enttäuscht auf den Rückweg: Lupoldt den [Brief] von o dem Ritter empfieng / sich bald wider seins wegs zu ruck keret / groß leyd an seinem hertzen hat / das er der Frawen keyn ander bottschafft bringen solt (Ff2v). Der implizite Rezipient wird durch die Reaktion Lupoldts dazu angeregt, zunächst gleichfalls von der überraschenden Zurückhaltung des Protagonisten enttäuscht zu sein und möglicherweise an Galmys Empathievermögen und der Aufrichtigkeit seiner Gefühle für die Herzogin zu zweifeln, die durch Galmys offene Antwort weiter in Ungewissheit gewogen wird. Die bildlich dargestellten Tränen des reisenden Ritter sprechen in diesem Zusammenhang jedoch eine andere Sprache und deuten an, dass Galmys empathische Reaktion auf das Leid und die Not seiner geliebten Dame sehr wohl von Dauer ist. Galmys Tränen legen nahe, dass es andere Gründe sein müssen, welche den Protagonisten zu seinem überraschenden Handeln bewegen. Diese werden von der Spracherzählung über den gesamten Roman hinweg ausgespart. Auf die dadurch erzeugte Leerstelle sowie den Kontext ihrer Notwendigkeit und mögliche im Roman enthaltene Hinweise bezüglich ihrer Ergänzung wird in 3.1.7 ausführlich Bezug genommen. Zum Abschluss der Untersuchung der narrativen Distanz hingegen soll eine Episode des „Goldfadens“ thematisiert werden, in der Illustrationen als Verstärker verbaler Mittelbarkeit fungieren. Diese umfasst das Geschehen um die Kriegshandlungen zwischen Portugal und Kastilien und deren direkte Folgen. Der Graf und seine Truppen – darunter Leufried – kämpfen auf der Seite des portugiesischen Königs, dem der Graf Lehnstreue zu erweisen hat. Leufried überwältigt den kastilischen König 283 und besiegelt damit den Triumph der Portugiesen. Das gesamte Handlungsgeschehen um Leufried,

282 283

Die Spracherzählung generiert zuvor, wie in 3.1.1 thematisiert, eine andere Erwartungshaltung. Lewfrid aber sonder alle geselschafft mit jngelegtem sper so starck auff den Künig rant / das er Roß o vnd mann zu hauffen Rennet. Do nun der Künig befand das er überwunden was / begert er der gnaden vnd gab sich Lewfriden in sicherheit vnd gefangen (Z4v).

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

147

Abb. 100: Illustration G56

den Grafen und sein Gefolge von deren Ankunft in Lißbona bis zu ihrer Rückkehr nach Merida wird von der Spracherzählung recht distanziert und knapp im summarischen Erzähltempo wiedergegeben. Redewiedergaben erfolgen dabei meist als Redebericht, bzw. an wenigen Stellen in indirekter Rede 284. Drei Illustrationen – G56, G57 und G59 –, bei denen es sich vermutlich um Fremdmaterial handelt 285, lassen sich auf die besagte Episode beziehen. Dabei zeigt Illustration G56, ein Kombinationsholzschnitt, ein unspezifisches Heer gerüsteter Reiter mit Lanzen vor einer Stadt. Die aus zwei Druckstöcken zusammengesetzte Bilddarstellung lässt sich entweder analeptisch auf die gräflichen Truppen kurz vor Erreichen Lißbonas oder proleptisch auf den reysigen zeüg (Z3r) des portugiesischen Königs auf der Durchreise zum gegnerischen Heer beziehen. Die Distanz zwischen Figuren und Beobachterpunkt ist im Vergleich zum wickramschen Holzschnittmaterial sehr groß und erlaubt keinerlei individuelle Züge der Figuren. Die ikonische Darstellung entspricht gewissermaßen der Spracherzählung, die die Gefolgschaft des Grafen mit den anderen auf der Seite Portugals stehenden Truppen vereint als des Künigs volck, zeüg oder hauffen (Z3r) auffasst. Darüber hinaus ist der Beobachterpunkt vergleichsweise deutlich nach oben verschoben, wodurch dem impliziten Rezipienten das Geschehen von oben herab vor Augen geführt wird. Der implizite Beobachter blickt nicht aus der Position eines stillen Beteiligten, sondern der eines über dem Geschehen gedachten Erzählers, wodurch die Mittelbarkeit des dargestellten Geschehens ausgestellt wird.

284 285

Vgl. Z2v–Aa3v. Zur Verwendung des Bildmaterials in „Tristan und Isolde“ (1557) vgl. S. 81, Anm. 170, 171.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 101: Illustration G59

Der linke Druckstock des Kombinationsholzschnitts wird am Ende der Episode um den erfolgreichen Kriegszug nochmals eingesetzt. So entsprechen sich die jeweils linken Hälften der Illustrationen G56 und G59. Wenn man Illustration G59 auf das Ereignis, dessen verbale Darstellung durch die Illustration unterbrochen wird, bezieht, zeigt die Bilddarstellung die Begegnung des Grafen und seines Heers mit seinen in der Grafschaft zurückgebliebenen Untertanen, die sich auf die glückliche Botschaft der gesunden Wiederkehr ihres Herren hin entschlossen haben, ihm auf seinem Rückweg entgegen zu ziehen: e

Ir hand oben gehort was grosser freuden des Graffen volck gehabt / als sie vernommen haben / das e jr Herr noch frisch vnd gesundt was / sie haben sich fast kostlich auß gebutzt vnd mit einem auffrechten Fenlin jrem Herren entgegen gezogen / es haben aber die überentzigen / so pferdt gehabt haben / ein schon geschwader von reysigen Pferden auch allsam in einer kleidung geritten (Aa3r–Aa3v).

Illustration G59 jedoch zeigt zwei sich gegenüberstehende Heere gerüsteter und mit Lanzen bewaffneter Reiter. Außerdem bilden ein unbewaffneter Herrscher mit Krone und Zepter sowie ein ebenfalls unbewaffneter Edelmann die Spitze des auf der rechten Bildhälfte dargestellten Heers. Demnach bezieht sich die Bilddarstellung vermutlich eher analeptisch auf die Verabschiedung der Heere vom portugiesischen König und seinem Gefolge, die verbal in lediglich einem Halbsatz wiedergegeben wird: vnd ist auch alles kriegsvolck wider geurlobt worden (Aa3r). Die von der verkürzten verbalen Darstellung ausgehende Mittelbarkeit wird wiederum durch die distanzierte Position eines von oben herabblickenden Beobachters verstärkt. Aufgrund seiner kriegsentscheidenden Überwältigung des kastilischen Königs wird Leufried jedoch noch vor der Verabschiedung der Heere vom portugiesischen König

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

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Abb. 102: Illustration G57

zum Ritter geschlagen. Den Ritterschlag Leufrieds verbildlicht Illustration G57. Die ikonische Darstellung zeigt den knienden Leufried in Rüstung vor dem portugiesischen König. Gemäß der Spracherzählung findet der Ritterschlag im Beisein des kastilischen Königs und seiner Räte statt, welche als Gefangene in den Palast von Lißbona gebracht werden 286. Die Illustration hingegen zeigt zwar je zwei bärtige Edelmänner zur Rechten und zur Linken des Königs sowie eine Person in Rüstung am rechten Bildrand, jedoch gibt sie keinen Hinweis auf eine etwaige Gefangenschaft. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, es handle sich bei den Edelmännern, die zum Teil Schriftrollen in den Händen halten, um die eigenen Räte des portugiesischen Königs. Dieser erhebt hinter Leufried sein Schwert zum Ritterschlag. Im Hintergrund sind darüber hinaus eine Vielzahl weiterer Personen zu erkennen. Wiederum erfolgt der Blick des impliziten Beobachters auf die vordergründige Szene von oben aus beträchtlicher Distanz. Der distanzierte Blick des impliziten Beobachters geht auch in diesem Fall mit einer knappen verbalen Darstellung der Szene einher, von deren hohem summarischen Erzähltempo ebenfalls eine große narrative Distanz ausgeht: darumb er [Leufried] dann o o billich den orden der Ritterschafft tragen solt / schlug jhn alsbald vor jnen allen zu Ritter / darab jm Lewfrid vnd sein schweher der Graff nit wenig freud nam / es gab jm auch der e e e Konig wapen vnd schilt mit schoner vnd lobwirdiger Blasimierung / Also ward Lewfrid auff o einen tag geadelt vnd zu Ritter geschlagen (Aa1r). 286

e

der Künig so bald er in seinen Palast kam / ließ er Lewfriden für sich bringen / deßgleichen den Konig e von Castilien / sampt allen seinen gefangnen Rahten (Aa1r).

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Demnach tritt die vergleichsweise hohe narrative Distanz innerhalb der im Ritterschlag Leufrieds gipfelnden Kriegsepisode kontinuierlich sowohl auf der ikonischen als auch auf der verbalen Erzählebene zutage. Die Darstellung des diegetischen Geschehens wirkt in diesem Zusammenhang in besonderem Maße mittelbar.

3.1.5 Die narrative Perspektive in Sprach- und Bilderzählung Die extradiegetischen Erzählerfiguren aller untersuchten Romane greifen nicht nur auf das äußere Geschehen, sondern auch auf die Wahrnehmungsvermögen der diegetischen Figuren zu. So werden von den extradiegetischen Erzählern sowohl figürliche Gedanken als auch – wie bereits vielfach aufgezeigt – Affekte sprachlich wiedergegeben. Die extradiegetischen Erzähler thematisieren dabei nicht allein die Gefühle und Gedanken von Hauptfiguren sondern vielfach auch solche von Nebenfiguren. So wird etwa vom groß mitleiden (Bb1r) eines anonymen landsherren mit dem dahinscheidenden Gabriotto berichtet. Ebenso gewährt der extradiegetische Erzähler im „Knabenspiegel“ Einblick in die Gedanken des geldgierigen Wirts in Antorff, wenn es dort gemäß einer Redensart e o heißt: der Wirt gedocht jm wol die Ku wer nit lang mehr zu melcken (F1v–F2r). Ausführlichere gedankliche Reflektionen werden an einigen Stellen, wie in der folgenden Erzählpassage aus dem „Goldfaden“, vom extradiegetischen Erzähler in indirekter Rede wiedergegeben: Als nun die zwey [Leufried und Angliana] so mancherley freundtlicher gesprech mitnander hatten / vnd Junckfraw Florina alle ding sah vnd hort / erschrack sie on massen gar seer / wunscht auch heimlich in jrem hertzen / das sie Lewfriden noch die Junckfraw nie erkant hette / dieweil sie e o gedacht / wie sie von dem Graffen verdocht werden mocht / Als wann sie zu solcher sachen hilff r vnd steür gethon het (M4 ).

Auch berichten die extradiegetischen Erzähler von Geschehnissen, die von keiner der diegetischen Figuren wahrgenommen werden. So beispielsweise im Fall der Wölfe, die e über Willbalds Vieh herfallen: er [Willbald] legt sich vnder ein schone dicke eychen an den schatten schlaffen / vnd entschlieff gar hart / in dem kummen auß dem waldt ein hauffen e o Wolff / rissen vnd zerten jm etlich vieh zu boden / vnnd erwürgten deren manig stuck / Wilbaldus hart entschlaffen / hort noch wußt von semlichen schaden vnd unfal gar nichts (H2v–H3r). Demnach wird im Bereich der extradiegetischen Erzähler eine Nullfokalisierung nahegelegt. Diese jedoch wird durch Erzählpassagen intradiegetischer Erzähler konterkariert, die in Dialogen, Monologen und Gedankenreden in direkter Rede sowie in Briefen und Liedern zutage treten. Der Anteil alles direkt von diegetischen Figuren Gesprochenen, Geschriebenen oder Gesungenen ist dabei in den ersten beiden Romanen Wickrams, dem „Ritter Galmy“ und „Gabriotto und Reinhart“, besonders hoch und umfasst dort, folgt man Jacobi, beinahe die Hälfte des gesamten Sprachtexts, während der Anteil im „Knabenspiegel“ und im „Goldfaden“ immerhin noch ein Drittel bzw.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

151

Abb. 103: Illustration KS20

etwas mehr als ein Drittel ausmacht 287. Da die Wahrnehmung diegetischer Figuren auch als Erzähler auf ihren eigenen Horizont beschränkt bleibt, haben deren Erzählpassagen eine feste interne Fokalisierung inne. Demnach ist die verbale Darstellungsebene der untersuchten Romane von einem ständigen Wechsel zwischen Nullfokalisierung und fester interner Fokalisierung geprägt, je nachdem ob gerade ein extradiegetischer Erzähler oder eine diegetische Figur spricht bzw. singt oder schreibt. Die ikonische Darstellungsebene zeigt sich hingegen weitgehend von der für realistische Bilddarstellungen charakteristischen externen Fokalisierung bestimmt. Diese wird jedoch partiell durch auf interne Fokalisierung zurückzuführende Details erweitert, indem mehrfach illusionistische Wahrnehmungen der diegetischen Protagonisten in bildliche Darstellungen integriert werden. So verbildlicht die dem „Knabenspiegel“ entstammende Illustration KS20 etwa neben Willbald, der mit geschlossenen Augen im Bett liegend gezeigt wird, den ihm im Traum erscheinenden Lottarius. Willbald, der sich am Tiefpunkt seines sozialen Abstiegs befindet, liegt im Bett und wird von Albträumen geplagt. Nachdem er kurzzeitig schweißgebadet erwacht, verfällt er in tiefen Schlaf, wobei ihm der zu diesem Zeitpunkt bereits gehängte Lottarius mit Attributen seiner o Hinrichtung erscheint: zulest entschliefft er [Willbald] gar hart widerumb / so kumpt im für noch ein grusammer gesicht / dann das forder gewesen was / dann er sahe den Lottarium gantz scheinbarlich für jm in dem schlaff / seine beiden hendt waren jm auff seinem e rucken gebunden / ein langen strick an seinem halß tragen / gantz ellender vnnd todtlicher

287

Im „Ritter Galmy“ 46, in „Gabriotto und Reinhart“ 47, im „Knabenspiegel“ 33 und im „Goldfaden“ 38 Prozent. Vgl. Jacobi (1970), S. 240.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 104: Illustration RG17 (GR14)

gestalt (I3r). Der verbalen Darstellung zufolge tritt Lottarius nicht als Gespenst auf, sondern als Erscheinung in dem schlaff – als Teil eines Traums. Sein Auftritt bildet demnach kein faktisches Ereignis der diegetischen Welt. Dennoch vollzieht die Bilderzählung keine Ebenentrennung zwischen innerdiegetischer Realität und illusionistischer figürlicher Wahrnehmung. Gleichsam nimmt der implizite Beobachter im „Ritter Galmy“ innerhalb der Illustration RG17 die Figur Friedrichs wahr, obwohl dessen Anwesenheit in Galmys Kammer kein Faktum der diegetischen Welt darstellt, sondern allein dem Wunsch Galmys entspricht. Dieser hat sich in seiner Kammer eingeschlossen, um den unter einem Vorwand zugestellten Brief seiner geliebten Herzogin heimlich zu lesen. Er entschließt sich dabei, ihr zurückzuschreiben. In dieser Situation wünscht er sich die Anwesenheit seines besten Freunds Friedrich: Jm [Galmy] lag auch fast an / das die Hertzogin seines schreibens beo o geren thet / offt wunscht seinen liebsten Friderichen bey jm zu sein / […] zu hand nider saß / o anfieng einen brieff zu schreiben (L2r). Nachdem Galmy den Brief zu Ende geschrieben o hat, verlässt er seine Kammer um zu erfaren / wo er den Edelman seinen gesellen [Friede rich] finden mocht / welcher noch nicht kummen was und dessen Abwesenheit ihm groß leyd (L2v) zufügt. Die Anwesenheit Friedrichs am Schreibtisch des Protagonisten bildet gemäß der verbalen Darstellung noch nicht einmal eine echte Illusion, sondern lediglich ein emotional aufgeladenes Wunschbild. Dennoch wird sie vom impliziten Beobachter der Bilderzählung erblickt, dessen Betrachtung wiederum die figürliche Wahrnehmung integriert. Indem innerfigürliche Wahrnehmungen verbildlicht werden, verlässt die Bilderzählung partiell den Bereich der vollständig extern erfolgenden Fokalisierung.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

153

Abb. 105: Illustration KS18

Geschehnisse, die von keiner diegetischen Figur, sondern allein durch extradiegetische Erzähler wahrgenommen werden, thematisieren die wickramschen Holzschnittdarstellungen bis auf eine Ausnahme nicht. Diese einzige bildliche Darstellung eines in der Spracherzählung ausschließlich vom extradiegetischen Erzähler beobachteten Geschehnisses wird entsprechend in den Bereich figürlicher Wahrnehmung verlegt, wodurch ein Widerspruch zwischen Verbal- und Bilderzählung entsteht. Willbald, der gemäß der Spracherzählung den Verlust seines Viehs durch das Wolfsrudel verschläft, wird dabei in Illustration KS18 bildlich als aktiver Beobachter des Geschehens in Szene gesetzt. Er ergreift die Flucht vor einem Wolf, der gerade eine Kuh reißt, wobei sein Blick zurück auf das Geschehen gewendet ist. Auch in diesem Zusammenhang tritt eine im Vergleich zu den Darstellungen extradiegetischer Erzähler engere Bindung der impliziten Beobachter an die Wahrnehmung diegetischer Figuren zutage. Die Bilderzählung stellt durch den scheinbar notwendigen Widerspruch ihre Abhängigkeit von der Wahrnehmung einer diegetischen Figur aus. Auch zeigen fast alle wickramschen Bilddarstellungen288 mindestens eine handelnde diegetische Hauptfigur 289. Die Handlungen mit Hauptfigurenbeteiligung werden dabei fokussiert, indem sie im Vordergrund der Bildkompositionen erscheinen. Die Gestaltung 288 289

Die Illustration RG50 (und ihre Wiederholung RG58) zeigt einen Boten auf der Durchreise. Dabei sollen Galmy, Friedrich, die Herzogin, der Herzog und der Marschall als Hauptfiguren im „Ritter Galmy“, Gabriotto, Reinhart, Philomena, Rosamunda, Gernier und der König als Hauptfiguren in „Gabriotto und Reinhart“, Willbald, Lottarius, Friedbert, Felix und Gottlieb als Hauptfiguren im „Knabenspiegel“ und Leufried, Walter, Angliana, Erich, der Graf und Lotzmann als Hauptfiguren im „Goldfaden“ angesehen werden.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

der räumlichen Umgebung wird dabei in den meisten Fällen zurückgenommen, wodurch die Fokussierung des vordergründigen figürlichen Bildgeschehens zusätzlich gefördert wird. So verzichten viele Bilddarstellungen entweder völlig auf eine Ausgestaltung der figürlichen Umgebung bis auf die Andeutung des Bodens oder beschränken sich auf wenige Details wie einzelne Möbelstücke und Fenster in Innen- oder Bäume und Grasbüschel in Außenräumen. Dabei geht die Anzahl der Bilddarstellungen, welche die Gestaltung des die Figuren umgebenden Raums auf die Darstellung des Bodens reduzieren und dadurch die vordergründig dargestellten Figuren am stärksten fokussieren, im Vergleich der beiden früheren mit den beiden späteren Romanen deutlich zurück. Während der Anteil derartiger Textillustrationen im „Ritter Galmy“ bei 40 Prozent (24 von 60 Textillustrationen290) und in „Gabriotto und Reinhart“ noch bei rund 27 Prozent (14 von 51 Textillustrationen291) liegt, sinkt er auf lediglich rund 7 Prozent (2 von 30 Textillustrationen292) im „Knabenspiegel“ und rund 9 Prozent (6 von 67 Textillustrationen293) im „Goldfaden“. Die demnach im Vergleich der beiden älteren mit den beiden jüngeren Romanen zutage tretende Abnahme der Fokussierung diegetischer Figuren gegenüber ihrer räumlichen Umgebung innerhalb der bildlichen Darstellung geht dabei einher mit der bereits thematisierten Abnahme der Sprechanteile diegetischer Figuren gegenüber denen von extradiegetischen Erzählern innerhalb der verbalen Darstellung. Auch wenn keine stringente Koppelung der in den Blick genommenen Illustrationen an Sprachtextstellen mit interner Fokalisierung festgemacht werden kann, da auf diese Weise verbildlichtes Geschehen verbal sowohl von extradiegetischen Erzählern als auch von diegetischen Figuren dargestellt werden kann, tritt ein erster, wenn auch schwacher Zusammenhang der bildlich und sprachlich vermittelten Wahrnehmung zutage. Anhand einer Ausnahme bezüglich der bildlichen Figurendarstellung im Vordergrund kann ein weiterer Zusammenhang beobachtet werden: Die Figuren der dem „Ritter Galmy“ entstammenden Illustration RG44, unter denen sich gemäß der der Illustration vorangehenden Kapitelüberschrift auch der Herzog befindet, erscheinen innerhalb der Bilddarstellung lediglich im Mittelgrund. So eröffnet diese vom bewaldeten Ufer aus den Blick auf ein Gewässer, wobei sich im Mittelgrund der Bilddarstellung ein Segelschiff befindet, von dessen Rumpf die Figuren bis auf ihre Köpfe hin verdeckt werden. Das verbildlichte Ereignis der Überfahrt des Herzogs und seiner Begleiter zurück nach Britannien findet dabei innerhalb der verbalen Darstellungen ausschließlich in der Kapitelüberschrift Wie der Hertzog mit grossen freüden wider inn Britanien schiffet (Bb2v) Erwähnung. Im Bereich der unterhalb der Illustration wieder einsetzenden

290

291

292 293

RG4, RG8, RG9, RG11, RG12, RG13, RG14, RG18, RG21, RG23, RG24, RG26, RG27, RG29, RG30, RG32, RG36, RG37, RG39, RG40, RG41, RG45, RG47, RG54. GR9, GR11, GR15, GR20, GR24, GR28, GR33, GR36, GR37, GR41, GR42, GR44, GR46, GR50. KS5, KS29. G7, G28, G54, G55, G63, G67.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

155

Abb. 106: Illustration RG44 (GR6, GR48)

Spracherzählung jedoch wird das Ereignis der Schiffsreise selbst ausgespart. Der extradiegetische Erzähler stellt zudem die Offenheit des Geschehens aus, indem er unentschieden lässt, ob der Herzog danach einen oder mehrere Tage ain seinem Heimathafen vere weilt: ALs nun der Hertzog mit grosser muh sein angefangene reyß mit grossen freüden vollent hat / vnd yetzunt sein landt wider erreycht hat / ein tag oder etlich in Franckreich o still lag / ein botten vor jm heymschicket / seine zukunfft verkünden ließ (Bb3r). Die außergewöhnlich schwache Fokussierung der diegetischen Figuren in Illustration RG44 geht demnach mit einer Leerstelle der verbalen Darstellung und einer ebenfalls ungewöhnlichen Ausstellung der Offenheit des Geschehens einher. Ein Ereignis, das der extradiegetische Erzähler demnach gar nicht erst erwähnt und dessen Folgegeschehen zudem ungewöhnlich unterbestimmt bleibt, betrachtet auch der implizite Beobachter lediglich aus der Ferne. Wiederum zeigt sich ein Zusammenhang von verbaler und bildlicher Wahrnehmung.

3.1.6 Intradiegetische Erzähler und Adressaten Wie bereits mehrfach thematisiert, verfügen die untersuchten Romane über zahlreiche unterschiedliche diegetischen Stimmen. Diese treten immer dann zutage, wenn diegetische Figuren im Rahmen einer eingeschobenen, in der Regel gleichzeitigen Narration unmittelbar zu Wort kommen und der extradiegetische Erzähler für eine Weile gänzlich hinter sie zurücktritt. Auf den erheblichen Anteil derartiger Textpassagen am sprachlichen Gesamttext insbesondere im „Ritter Galmy“ und in „Gabriotto und Reinhart“

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

habe ich bereits in 3.1.5 hingewiesen. Am häufigsten treten diegetische Figuren als intradiegetische homodiegetische Erzähler innerhalb der zahlreichen Dialogpassagen 294 auf, die in direkter Rede – manchmal sogar in autonomer direkter Rede – wiedergegeben werden. Ihre jeweiligen Dialogpartner bilden dabei die diegetischen Adressaten ihrer Rede. In 3.1.4 wurde bereits die unmittelbare Nähe zum diegetischen Geschehen erzeugende Wirkung, die von in direkter Rede wiedergegebenen Dialogpassagen ausgeht, und deren mögliche Verstärkung durch bildliche Präsenz der Dialogpartner thematisiert. Dabei sind es meist lange Dialogpassagen zwischen Hauptfiguren des Geschehens, welche in direkter Rede wiedergegeben die Reflexion der Akteure ausdrücken295 und dabei den Schwerpunkt einzelner Kapitel bilden296. Im „Ritter Galmy“ noch oftmals in statisch und langatmig wirkenden Zweierwechseln, erscheinen die Dialoge der nachfolgenden Romane vermehrt lebendiger durch kurzatmigere Wechsel höherer Zahlen297. Mehrfach sind dabei nicht allein Hauptfiguren an in direkter Rede wiedergegebenen Gesprächen beteiligt. Auch Nebenfiguren kommen auf diese Weise unmittelbar zu Wort – so etwa der Pförtner, der seine Herrin, die Herzogin, auf Wunsch Galmys bittet, mit nach unten zu kommen, um den aus Schottland zurückgekehrten Galmy zu empfangen. Wie an diesem Beispiel aufgezeigt werden kann, bringen Nebenfiguren in diesem Zusammenhang meist Hauptfiguren zum Sprechen. So zieht das in direkter Rede wiedergegebene Anliegen des Pförtners 298 eine schnippische Antwort der Herzogin nach sich, die ihre noch immer wehrende Enttäuschung gegenüber Galmy zu erkennen gibt, von dem die Herzogin fälschlicherweise annimmt, dass er sie im Stich gelassen hat. So bildet diese die nebulöse Formulierung ,doch sey eüch hyeran nichts abgeschlagen / kumm ich / jr werdent mich sehen‘ (Ff2v) aus Galmys brieflicher Antwort auf ihr Hilfeersuchen nach und bestätigt durch die Reaktion erneut, Galmy in seiner Verkleidung nicht o erkannt zu haben: Gang hin zu dem Ritter / vnnd sage jm / Er müg wol warten / jm seye nichts abgeschlagen von mir / Kum ich / Er soll mich wol sehen (Mm2r). Eine weitere, jedoch seltenere Form sind gesprochene oder gedachte Monologe diegetischer Figuren. Auch sie ermöglichen dem impliziten Rezipienten „den Eindruck von größerer Nähe zur Figur“ 299. Dabei treten in direkter Rede wiedergegebene Monologe

294

295 296

297 298

299

76 Dialoge im „Ritter Galmy“, 68 in „Gabriotto und Reinhart“, 19 im „Knabenspiegel“ und 50 im „Goldfaden“. Vgl. Jacobi (1970), S. 240. Vgl. Jacobi (1970), S. 240 sowie Haug (1991), S. 98. Im Ritter Galmy (Kapitel 1–2, 14–15 und 45–46) und im Knabenspiegel (Kapitel 22–23) können sie zudem über Kapitelgrenzen hinweg fortgeführt werden. Vgl. dazu auch Jacobi (1970), S. 241. Vgl. Jacobi (1970), S. 242. e o Aller genadigiste Hertzogin / Mich schicket zu eüwer Gnaden / Galmy der Ritter / so vor Jaren meinem Herren seligen gedienet hatt / Der haltet dunden an der Porten / vnnd begeret / das eüwer e o o Genad zu jm kummen wolle / Dann er etwas mit eüch zu reden hab (Mm2r). o Ursula Kocher: des halben er im entlich für nam / der junckfrawen zu schreiben. Zur narratologischen Funktion der Briefe in Wickrams Romanen. In: Müller/Mecklenburg (2007), S. 347–359, dort S. 351.

157

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

oftmals in Form von Klagereden auf 300. So richtet beispielsweise die Herzogin, nachdem sie Galmys Brief gelesen und als Absage aufgefasst hat, allein im Kerker verweilend ihre Klage an Gott. Sie zeigt sich dabei bereit, sich williglich inn den todt [zu] ergeben, wenn nur postum ihre Unschuld ans Licht komme: o

Als nun die Fraw gantz eynig belib / erst anfieng jr leyd Gott vnd jrem lieben Ritter zu klagen. e O Gott von hymel / du mein erloser vnd helffer / ich bitt dich / dieweil ich ye vmb mein groß e o o vnschuld sterben muß / wollest nach meinem todt meinem liebsten Herren zu erkennen geben / vnd e mein unschuld dem gantzen Britanien offnen / will ich mich willigklichen inn den todt ergeben / vnd mein leiden gedultigklichen tragen / vnd dir dann mein arme seel auffopffern (Gg3v).

Im Folgenden richtet sich die Klage der Herzogin an den abwesenden Galmy. Zum einen wird dabei das Unverständnis der Herzogin bezüglich Galmys zurückhaltender Reaktion auf ihr Hilfeersuchen ausgedrückt, zum anderen ihre damit einhergehende Enttäuschung, die am Ende in ein Durcheinander der Affekte zwischen Wut und Sehnsucht mündet: O Galmy / du mein aller liebster Ritter / Wer hat dir dein edles hertz so gantz gegen mir verkeret? e Magst du nit / die / so dich in hohen eren lieb gehabt hat / noch ein mal in jren grossen noten o heymsuchen. Ach / warumb bist du nit kummen / vnd mich doch inn meinem ellend heym o gesuchet? als ich dich in deiner schweren kranckheyt. O edler Ritter / wie übel es dich gerewen würt / wann man spricht / die Hertzogin auß Britanien vmb vnschuldt willen den todt gelitten haben. O Galmy Edler vnd theürer Ritter / wie hast du mein so gar vergessen / nun hab ich doch e o all mein trost vnd hoffnung allein zu dir gesetzet. Ach kumm doch Edler Ritter / vnd trost mich v (Gg3 ).

Das in der monologischen Klage ausgedrückte innere Befinden der Herzogin wirkt in Verbindung mit der unmittelbare Nähe zur diegetischen Figur erzeugenden Form der direkten Redewiedergabe in besonderem Maße ,authentisch‘301. Nur im Ansatz allerdings reflektiert die Herzogin rational über mögliche Gründe für Galmys Verhalten. Derartige Reflexionen über andere Figuren sind hingegen mehrfach Bestandteil von rein gedanklich geführten Selbstgesprächen, inneren Monologen der diegetischen Figuren. Dabei kommen mehrfach antithetische Mittel zum Einsatz, wodurch These und Antithese im inneren Monolog dialogisch gegenübergestellt und verhandelt werden können302. Auf diese Weise reflektiert z. B. Philomena sehr ausführlich darüber, ob Gabriotto ihre Gefühle teilt, und kann dabei am Ende alle Zweifel daran ausräumen: Philomena was gedenckest du / das du also mit einbrünstiger liebe gegen einem jüngling dich einlassest / vnnd doch nit wissen magst / ob du von jm lieb gehalten seyest oder nit / warumb sag ich / o mich nit wissen von dem jüngling lieb gehabt werden / hab ich sein nit genugsam gezeügnüs von meiner junckfrawen Rosamunda / was gewisse gezeúgnúß hab ich dann von jr empfangen / das sye o sprach / der jüngling sich von stund an in seinem angesicht entferbt het / welches angesicht / zuuor mer todt dann lebendig erschinnen / was yetzund als mit bleicher vnd roter farb sich erzeygen / wie

300 301 302

Vgl. Jacobi (1970), S. 248–250. Vgl. Kocher (2007), S. 351. Vgl. Jacobi (1970), S. 248.

158

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

soll aber semlichs verstanden werden / villeicht ist die verkerung beschehen von úbrigem zorn oder von grosser scham / oder aber würt Rosamunda mer von jm geliebt dann ich / das mag aber auch nit auß semlicher vrsach beschehen sein / dann zorn einem krancken menschen vorab / kein e e o o froliche farb in seinem angesicht geberen thut / sunder ein bleyche todtliche farb mit zusamen gebissenem mund / mit wider vnd fúr sprintzenden augen / vnd zitterem leib / so bin ich des auch o o o gewissz / das er kein semliche liebe zu Rosamunda als zu mir tragen thut / sunst er sich der halben e wort nit dorffen gebrauchen / vil mer würd er gesagt haben / junckfraw Rosamunda / sagendt Philomena / das sye jr liebe selbs behalt / vnd gebendt jr mir die ewer dafúr / deß gleich wo jn scham e o darzu geursacht / het er gantz sich solicher freündtlichen wort nit mogen gebrauchen wie mir dann Philomena bekannt vnd gesagt hat / darumb ich dann seiner liebe gantz sicher vnnd gewissz bin (E3v–E4r).

Der innere Monolog zeichnet demnach den rationalen gedanklichen Prozess einer diegetischen Figur nach, die im Abwägen von Argumenten und Gegenargumenten eine Einschätzung über eine andere diegetische Figur entwickelt. Eine kürzere Form der direkten Gedankenrede wird im Zusammenhang mit der Darstellung sich in der gesprochenen Rede verstellender Figuren verwendet. So denkt sich beispielsweise Gernier, der noch im Dienst des französischen Königs steht, diesen jedoch für immer verlassen möchte ,O Künig / an deinem hoff weder ich noch mein son nimmer e beleiben wollen / vnnd noch vil minder herkummen so uns anderst Gott von dir hilfft‘ (B3r), während er dem französischen König gegenüber angibt, bald in seinen Dienst zurückkehren zu wollen: dann mein will vnnd meynung allzeit gewesen ist / vor vnnd ehe jhr nach o mir geschickt hand / das ich nit lang von disem hoff beleiben wolt / sunder ein Reyß thun durch ettliche Künigreich mit sampt meinem Son Gabriotto / dem nach wider an euch meie o nen gnadigen Herren supplicieren / vnnd vmb gnad vnnd dienst zu bitten (B3r). Das Beispiel verdeutlicht dabei die Priorität der Gedankenrede gegenüber der gesprochenen Rede bezüglich ihrer Funktion, dem impliziten Rezipienten Einblick ins Innere einer diegetischen Figur zu gewähren. Während sich diegetische Figuren in gesprochenen Reden verstellen können, bilden ihre Gedankenreden a priori ,authentische‘ Zeugnisse ihres momentanen inneren Befindens. Ebenfalls in das Feld unmittelbar wiedergegebener Figurenreden sind die wörtlich in die Spracherzählung eingearbeiteten Briefe diegetischer Figuren einzuordnen, die als „ein schriftliches Gespräch mit einer abwesenden Person“303 aufgefasst werden können. Ihre wörtliche Wiedergabe wird durch Formeln der extradiegetischen Erzähler wie ,uff solche meynung einen brieff schreiben thet‘ (Galmy, K4r) eingeleitet und erfolgt im Moment ihrer Niederschrift durch eine diegetische Figur. Briefe bilden in dieser wörtlichen Form im „Ritter Galmy“, in „Gabriotto und Reinhart“ und im „Goldfaden“ ein vielfach zur Anwendung gebrachtes narratives Mittel 304. Die narrative Funktion der 303 304

Kocher (2007), S. 349. Während im „Ritter Galmy“ und in „Gabriotto und Reinhart“ je sieben Briefe innerhalb der Spracherzählung wörtlich wiedergegeben werden, sind es im „Goldfaden“ immerhin noch vier. Im „Knabenspiegel“ hingegen wird auf die wörtliche Wiedergabe von Briefen gänzlich verzichtet. Vgl. dazu auch Jacobi (1970), S. 246.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

159

Briefe wurde bereits von Ursula Kocher einer ausführlichen Analyse unterzogen. Kocher beschreibt dabei anhand des ersten Briefs Gabriottos an Philomena305 die Funktion, dem impliziten Rezipienten Einblick ins Innere der Figur zu gewähren306, und fasst Briefe in dieser Hinsicht abschließend als Mittel der Stiftung von Authentizität und „Alternative zu Gedankenreden“307 auf. Im Hinblick auf die authentizitätsstiftende Wirkung jedoch scheinen mir die Briefe gegenüber der Gedankenrede auf einer niedrigeren Stufe zu rangieren – etwa im Bereich der gesprochenen Reden. So zeigen sich Figuren, wie insbesondere am bereits mehrfach thematisierten Beispiel von Galmys Brief aus Schottland an die Herzogin zu beobachten ist, nicht allein als Sprecher, sondern auch als Verfasser von Briefen in der Lage, sich zu verstellen. Als zweite Funktion des Briefs bezeichnet Kocher dessen Eigenschaft, „auf der Ebene der Diegese Tatsachen“308 zu schaffen. So vermittelt die schriftlich fixierte Rede im Vergleich zur gesprochenen aufgrund ihrer Beständigkeit einen höheren Grad an Verbindlichkeit. Sie kommen daher in Wickrams Romanen stets dann zum Einsatz, „wenn die Festschreibung von Verhältnissen und Zuständen nötig wird“309. Zum anderen erlaubt der formale Aufbau von Briefen Rückschlüsse auf deren diegetische Verfasser und ihre Vertrautheit mit der ars dictandi 310. So widerlegt Kocher anhand des ersten Briefs Gabriottos, der sich „außerhalb jeder Regel der ars dictandi“311 zu bewegen scheint, Jacobis Einschätzung einer im Aufbau konstanten rhetorischen Prägung312 und fasst die diesbezüglichen Differenzen als bedeutungstragende Elemente auf: Der Brief wirkt ungestüm, spontan und ungegliedert. Er gibt Einblick in die Gedanken eines jungen Mannes, der sich nicht mit rhetorischen Feinheiten aufhält und der zumindest hinsichtlich der Fähigkeit des Briefeschreibens seiner Geliebten nicht ebenbürtig ist. Denn die Antwort Philomenas ist anders […]. Sie leitet ein, argumentiert, bringt Beispiele und endet mit einer Grußformel. Der Kontrast ist gewollt. Hier transportiert die formale Gestaltung der Briefe Inhalt 313.

Darüber hinaus werden Briefe oftmals auch auf der ikonischen Erzählebene thematisiert. Ihr auffällig häufiges bildliches Zutagetreten im „Ritter Galmy“ wurde bereits von 305 306 307 308 309 310

311 312 313

Siehe F4v. Vgl. Kocher (2007), S. 353. Kocher (2007), S. 357. Kocher (2007), S. 353. Kocher (2007), S. 357. Die den Romanen zeitgenössische Ausformung der ars dictandi überliefern zahlreiche Formelbücher und Briefsteller. Eine Übersicht über die wichtigsten Regularien sowie eine Bibliografie aller dem 16. Jahrhundert entstammenden deutschsprachigen Briefsteller und Formelbücher enthält das Standardwerk von Reinhard Nickisch. Vgl. Reinhard M. G. Nickisch: Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts. Mit einer Bibliographie zur Briefschreiblehre (1474–1800), Göttingen 1969, S. 21–44, 248–260. Kocher (2007), S. 353. Vgl. Jacobi (1970), S. 245. Kocher (2007), S. 352–354.

160

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 107: Illustration G12

Peter Schmidt festgestellt und dabei als visuelle Markierung ihrer großen strukturellen Bedeutung im Bereich der Darstellung figürlicher Gefühls- und Gedankenwelten aufgefasst 314. Im Zusammenspiel von verbaler und bildlicher Darstellung der Briefe ergeben sich darüber hinaus weitere Wirkungspotenziale. So führt die Spracherzählung dem impliziten Rezipienten mehrfach den Sprachtext von Briefen vor Augen, deren Entstehungsprozess auf der ikonischen Erzählebene gezeigt wird315. Wenn Illustration G12 im „Goldfaden“ beispielsweise Angliana am Schreibtisch mit Feder und Tinte beim Verfassen eines Briefs an Leufried darstellt, die darüber befindliche Kapitelüberschrift 316 den Akt des Briefeschreibens ankündigt und der Inhalt des Briefs im darauffolgenden Kapitel wörtlich wiedergegeben wird, dann schlüpft der implizite Rezipient beim Lesen des Briefs nicht in die Rolle des angesprochenen Adressaten, sondern wird dazu angeregt, den Brief als im Entstehungsprozess begriffen gewissermaßen durch die Augen seines Verfassers zu rezipieren. Im „Knabenspiegel“ und im „Goldfaden“ bilden insgesamt drei wörtlich wiedergegebene Lieder, die formal dem Meistersang zugeordnet werden können317, eine weitere

314 315

316

317

Vgl. Schmidt (2006), S. 155. Vgl. die Illustrationen RG16, RG17, RG19, GR14, GR34 und G12 in ihrem jeweiligen verbalen Kontext. Wie am andren tag Angliana in jrem innersten gemach dem Jüngling einen brieff schreibet / jm den e sampt vilen kostlichen kleinoten antworten thet (E2v). Zu den Liedern in Wickrams Romanen im Kontext des Colmarer Meistersangs vgl. Johannes Bolte: Vorwort. In: Georg Wickrams Werke. Hrsg. von Johannes Bolte und Willy Scheel. Bd. 2, Tübingen 1901, S. XXV–L.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

161

Abb. 108: Illustration KS21 (KS1, KS23)

Art der Figurenrede. Dabei wird das dem „Knabenspiegel“ entstammende Lied Willbalds nicht durch den extradiegetischen Erzähler eingeleitet, sondern erscheint autonom unterhalb der Zeile Wilbaldus singt sein Liedlein (K1v), welche durch die Verwendung einer im Vergleich zur Texttype größeren Auszeichnungstype als Paratext markiert wird. Darüber hinaus wird das Lied von einem Finis (K2r) beendet. Eine Seite zuvor zeigt Illustration KS21 Willbald singend und Sackpfeife spielend im Wirtshaus vor fünf Herren, die an einem gedeckten Tisch sitzen. Unter den Herren befinden sich gemäß der Spracherzählung auch Friedbert und Felix. Der im Präsens stehende, durch die Schriftgröße hervorgehobene paratextuelle Hinweis verweist zum einen auf die bildliche Präsenz des Sängers zurück und bildet zum anderen die Überleitung auf das nachfolgende Lied. Das Zusammenspiel aus der bildlichen Präsenz des Sängers und seiner Zuhörerschaft, dem paratextuellen Präsens und der Unmittelbarkeit der autonomen Rede erzeugt dabei einen in dieser Ausprägung innerhalb der untersuchten Romane einzigartigen Präsenzeffekt. Das nachfolgende Lied umfasst dabei acht Strophen mit jeweils elf Versen und markiert den Wendepunkt der Willbald-Handlung, indem es einerseits Willbalds sozialen Abstieg nachzeichnet und andererseits sowohl dessen Reue über seinen ehemaligen Lebenswandel ausdrückt als auch zu seiner Wiedererkennung durch Friedbert und Felix führt, die seine Rehabilitation einläutet. So deutet Willbald, der sich inzwischen aus Scham als Heintz ontrost (K1v) ausgibt, in seinem Lied zu Beginn der ersten, zweiten, dritten und achten Strophe seinen echten Namen durch ein Wortspiel an und gibt ihn schließlich im vorletzten Vers des Lieds preis:

162

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

WJll bald hie singen ein gedicht / […] Will bald der selb ein juncker sein / […] e

Will bald ein end das gutlein han / […] Will bald helffen der schepffer mein / so will ich sein / beim Vatter kurtzer stunden :/: e dem geb Got in sein hertz vnd gemut / e das er in gut barmhertzig werd erfunden :/: dann so wolt ich / gweiß schicken mich / semlicher gstalt / das den Wilbald / kein Lottar solt verfieren (K1v–K2r).

Auch im Bereich der Lieder wird über die Form Inhalt transportiert. So zeugt die Form vom handwerklichen Vermögen Willbalds als Dichter: Während das Lied insgesamt um eine kontinuierlich eingehaltene Form bemüht wirkt318, verweisen einige formale Mängel 319 auf die dichterischen Schwächen eines Anfängers, dessen Kunstfertigkeit einem Hinweis des extradiegetischen Erzählers zufolge auf seinem geringfügigem Schulwissen beruht320. Im Unterschied zum „Knabenspiegel“ erfolgt die Einbindung der beiden wörtlich wiedergegebenen Lieder Leufrieds im „Goldfaden“ durch den extradiegetischen Er318

319

320

Alle acht Strophen lassen sich in einen sechszeiligen Aufgesang und einen fünfzeiligen Abgesang gliedern. Der Aufgesang wiederum enthält jeweils am Ende der dritten Zeile eine Zäsur, welche den ersten und den zweiten Stollen voneinander abgrenzt. Die Strophen weisen dabei bis auf wenige Ausnahmen die Reimstruktur aabccbddeeb auf. Demnach umfasst der aus zwei variierten Terzinenstollen aufgebaute Aufgesang einen Schweifreim, während im Abgesang zwei Paarreimen nachfolgend am Strophenende der vom dritten und sechsten Vers gebildete Endreim in Form einer Anreimung aufgegriffen wird. Die Kadenzen sind mit Ausnahme der eine weibliche Kadenz aufweisenden Reime b männlich. Der Wechsel von einfachen Hebungen und Senkungen wird mehrfach der freien Füllung gemäß von Doppelsenkungen unterbrochen. Die ersten und vierten Verse jeder Strophe weisen dabei konstant jeweils vier, die dritten, sechsten und elften je drei und alle übrigen je zwei Hebungen auf. Im Inneren der einzelnen Perioden herrscht zumeist Fugung. Das Lied enthält einen unreinen Reim (I, 11), zwei inhaltlich unmotiviert wirkende Waisen (III, 9/10) sowie identischen Reime (VII, 4/5), die eher aus der Not heraus geboren erscheinen, als aus stilistischen Gründen gewollt herbeigeführt. Darüber hinaus wirkt das Zusammenspiel von Form und Inhalt in Teilen weniger fruchtbar als von Seiten der Form her dominiert. So erscheinen Adjektive wie ,klar‘ in das wasser klar / mein trincken war (VI, 9/10) mehr vom Reim gefordert als aufgrund ihrer inhaltlichen Relevanz gezielt eingesetzt zu werden. o gar kleines stücklin von dem schulsack behalten / also das er [Willbald] offt eigene liedlein vnnd r rymen dichtet (I2 ).

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

163

Abb. 109: Illustration G9

zähler: Dann also was das liedlin gemacht (D2r), Saß er [Leufried] nider vnd dicht diß folgend lied (E1r). Auch wird lediglich Leufrieds erstes Lied in einem Kapitel wiedergegeben, dessen Illustration G9 den Sänger und seine Zuhörerin Angliana dem impliziten Rezipienten vor Augen führt. An dieser Stelle jedoch wird sogar der Liedtext selbst in Form eines beschriebenen Zettels, den Leufried in seiner linken Hand hält, bildlich aufgegriffen321. Wie im Fall der bildlichen Darstellung Briefe schreibender Figuren in Verbindung mit der wörtlichen Wiedergabe von Brieftexten erscheint die Spracherzählung als Schriftstück im Bild und überblendet den impliziten Rezipienten dadurch mit einer diegetischen Figur – so haben beide, der implizite Rezipient und Leufried, den verschriftlichten Liedtext vor Augen. Ähnlich wie im „Knabenspiegel“, wo Willbald seinen aus Scham abgelegten Namen mehrfach in den Liedtext einarbeitet, fungieren auch die Lieder im „Goldfaden“ auf diegetischer Ebene als Mittel verdeckter Kommunikation. So macht Leufried in seinen Liedern Andeutungen darüber, was er Angliana gegenüber als deren Diener nicht offen äußern kann. Dabei gelingt es ihm, seine versteckten Botschaften so zu gestalten, dass sie ausschließlich von Angliana, nicht aber von deren Hofdamen verstanden werden322.

321

322

Das Halten eines Zettels in der Hand beim Gesangsvortrag entspricht dabei der meistersängerischen Praxis. Vgl. Hannes Kästner: Typen der Verständigung im Roman der frühen Neuzeit. Kommunikative Beziehungen und Informationstransport in Jörg Wickrams „Goldfaden“. In: Text im Kontext. Anleitung zur Lektüre deutscher Texte der frühen Neuzeit. Hrsg. von Alexander Schwarz und Laure Abplanalp, Bern 1997, S. 79–95, dort S. 86. ein sollichs aber keine der andren Junckfrawen verstund / allein Angliana die dann sich erst errinneren thet (D2r).

164

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram o

Leufrieds erstes Lied ist dabei als Klage an die personifizierte Armut gerichtet, wobei Leufried in der dritten Strophe als lyrisches Ich hervortretend thematisiert, wie er von Angliana bei der Neujahrsbeschenkung übergangen worden ist: o

O Armut du untreglichs Joch / wie bist so gar verachtet / wer wolt dich gern behaussen doch / So er auß grundt betrachtet / wie gantz unwerdt / du bist auff erdt / e es mocht eim vor dir grausen / e kontst schon all kunst / so ists vmb sonst / niemant wil dich behausen. / o

O armut du untreglich bürd / e wie hart hast mich beschwaret / auff erd niemant erfunden wirt / so dein zum fründ begeret / o kumbst eim zu hauß / wilt nimmer drauß / versperrest jm sein glücke / dem sonst zur zeit / o gut hab vnd beüt / e mocht werden offt vnd dicke. So giengs mir auch im newen jar / o da must ich dein entgelten / e ward hindann gestelt / vnd lar gezelt / drumb ich dich billich schelten / o muß tag vnd nacht / dann ich veracht / wardt vor allem hofgsinde / die man sunst all / begabt mit schall / darumb bin ich dir feinde (D2v).

In seinem zweiten Lied nimmt Leufried Bezug auf das im ersten Lied ausgedrückte Leid, welches er bei der Neujahrsbeschenkung erfahren hat, und beschreibt dessen Umschlag in Freude durch den goldenen Faden. In der zweiten Strophe deutet Leufried daraufhin den Verwahrungsort des Fadens in seiner Brust an, wobei er sich spielerisch zwischen metaphorischer und wörtlicher Sinnebene bewegt, um abschließend in der dritten Strophe seine dem goldenen Faden bzw. metonymisch seiner Geliebten entgegengebrachte Wertschätzung dichterisch vollends zur Entfaltung zu bringen. GRoß leyd vnd schmertz / Hat mir mein hertz / vor einem jar beladen / o Zu disem jar / hat mir fúrwar /

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

165

von rotem gold ein faden / e Als leyd zerstort / vnd gar verkert / mein trawren vnnd mein schmertzen / e Bin gantz frolich / drumb jetzund ich / will singen springen schertzen. Den faden ich / gantz fleikßglich / hab in mein hertz verschlossen / niemant jn mag / bey nacht vnd tag / mir nemen in dermassen / In starckem schrein / vnd hertzen mein / Ist diser faden behalten / der den will han / o muß von stund an / Vornen mein brust zerspalten. Den faden schon / der ehren kron / hatt mir geben mit freuden / Kein gstein noch goldt / noch reicher solt / sol mich dauon nit scheiden / vom faden reich / vnd ob schon ich / o darumb muß leiden schaden / wil ich on leyd / in ewigkeyt / liebhaben disen faden (E1r).

Erneut zeugen formale Mängel in den Reimschemata insbesondere im ersten der ansonsten um Form bemühten Lieder 323 von den handwerklichen Schwächen Leufrieds als

323

Beide Lieder weisen eine schlichte, in vier Perioden unterteilbare Strophenform auf. Während der Aufgesang in Leufrieds erstem Lied aus zweizeiligen, im Kreuzreim (abab) verbundenen Stollen aufgebaut ist, wird er in Leufrieds zweitem Lied wie bereits im Lied Willbalds durch zwei variierte Terzinenstollen gebildet, die einen Schweifreim (aabccb) ergeben. Der Abgesang umfasst in beiden Liedern Leufrieds ebenfalls einen Schweifreim, wobei nach jeweils drei Versen eine Periode durch Asynaphie abgeschlossen wird. Während der Kreuzreim aus vier- und dreihebigen Versen im Wechsel entsteht, wird innerhalb der Schweifreime konstant die Folge eines dreihebigen Verses auf zwei zweihebige eingehalten. Mit Ausnahme der weiblichen Kadenzen der Reimpaare b und d in Leufrieds erstem und b und e in seinem zweiten Lied sind alle Kadenzen männlich. Selten wird der Wechsel zwischen einfachen Hebungen und Senkungen der freien Füllung gemäß von Doppelsenkungen unterbrochen. Auch herrscht innerhalb der einzelnen Perioden zumeist Fugung.

166

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Dichter, der von der Erzählung als Autodidakten ausgewiesenen wird324 So wird im ersten Lied in der dritten Strophe die Liedform gebrochen, wenn am Ende des dritten Verses ohne erkennbare inhaltliche Motivation statt einem Endreim a mit dem ersten Vers ein Binnenreim c gebildet wird und der erste Vers dadurch zum Waisen wird. Zudem weist das erste Lied mitunter erhebliche rhythmische Unregelmäßigkeiten auf 325. Beide Lieder Leufrieds enthalten darüber hinaus unreine Reime. Indem deren Häufigkeit allerdings innerhalb des auch ansonsten stimmigeren zweiten Lieds im Vergleich zum ersten deutlich zurückgeht, wird eine positive handwerkliche Entwicklung der Dichtkunst Leufrieds aufgezeigt: erstes Lied: I, 8/9; II, 1/3; II, 2/4; II, 7/10; II, 8/9; III, 7/10; zweites Lied: I, 6/7; II, 3/6; III, 3/6.

3.1.7 Extradiegetische Erzähler und Adressaten Wenn innerhalb der verbalen Erzählebene der untersuchten frühneuzeitlichen Romane nicht, wie in 3.1.6 aufgezeigt, diegetische Handlungsträger sprechen, haben extradiegetische heterodiegetische Erzähler das Wort. Diese treten selbst in unterschiedlichen Formen von strukturierenden, weiterführenden bzw. veranschaulichenden und didaktischen Erzählerpassagen explizit zutage, oftmals in Verbindung mit gleichzeitigem expliziten Hervortreten extradiegetischer heterodiegetischer Adressaten. Am häufigsten sind dabei strukturierende Erzählerpassagen in Form von Vorverweisen. So machen die Erzähler ihr Publikum häufig am Ende von Erzählabschnitten auf den Fortgang des Geschehens im darauffolgenden Erzählabschnitt aufmerksam, wobei sie sich Formeln der Ankündie gung wie ,wie jr dann naher horen werdt‘ (Galmy, E3v, H4r) oder ,wie jr dann nachgendts e klarlich bericht werden‘ (Galmy, I3v) bedienen326. Am Ende von Kapiteln wird auf diese Weise häufig zum einen eine Zäsur erzeugt und zum anderen auf die extradiegetische Handlung hingewiesen, die einen mündlichen Vortrag des Erzählers vor mehreren Adressaten, seinem Publikum, umfasst. Dies ist auch dann der Fall, wenn Erzähler in e formelhaften Wendungen wie , fúrbaß wollend wir sagen waß […]‘ (Goldfaden, C2r) ihre Adressaten durch ein ,wir‘ in ihre Tätigkeit integrieren. Ein ,wir‘, das die Adressaten miteinschließt, wird zudem sehr häufig in den Überleitungsformeln verwendet, welche den Abbruch eines Handlungsstrangs meist am Kapitelende mit der Aufnahme eines anderen im darauffolgenden Kapitel verbinden. Dem-

324

325 326

Leufried erlernt das Dichten autodidaktisch in seiner Zeit als Küchenjunge nach den Vorlagen e vil vnd mancherley schoner Reutterliedlin (C2r), welche er von Angehörigen des Hofs erhält, die sein sängerisches Talent fördern. Insbesondere in III, 8. Vierzehn derartige Formeln bilden im „Ritter Galmy“, dreizehn in „Gabriotto und Reinhart“, zehn im „Knabenspiegel“ und sechs im „Goldfaden“ den Abschluss von Kapiteln. Vgl. Jacobi (1970), S. 227 sowie S. 378.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

167

zufolge sind, wie im nachfolgenden Beispiel aus dem „Goldfaden“ zu sehen, Überleitungsformeln zweigliedrig aufgebaut: demnach saß Lewfrid wider vff sein pferdt […] / e o den wollend wir also lassen zu uollend heim reiten vnd jetz ein wenig sagen von seinem vater o vnd mu ter / auch von seinem herren so jn erzogen hat / wie es nach Lewfrids abscheid sich o mit jn zugetragen hab (G1v). Dabei präsentiert sich der Erzähler im ersten Teil der Überleitungsformel als Lenker des Geschehens, indem er es ist, der im ,wir‘ verbunden mit seinen Adressaten die diegetische Figur nach Hause reiten lässt. Damit stellt er aus, dass die diegetische Geschichte zum einen durch ihn hervorgebracht seiner ständigen Kontrolle unterliegt und zum anderen durch seinen mündlichen Vortrag in die Vorstellung seines Publikums übergeht. Den zweiten Teil der Überleitungsformel bildet im obigen Textbeispiel die wiederum Spuren der extradiegetischen mündlichen Vortragssituation enthaltende Ankündigung des Wiederaufgreifens des Handlungsstrangs um Leufrieds Eltern und seine Paten, welche im darauffolgenden Kapitel erfolgt. In einer anderen weniger häufigen Form von Vorverweisen demonstrieren die Erzähler ihrem Publikum gegenüber ihren Überblick über das diegetische Geschehen und lenken dabei die Spannung von einem ,Ob überhaupt‘ eines potenziellen Ereignisses auf das ,Wie‘ 327, indem sie nicht auf das Geschehen im nachfolgenden Erzählabschnitt, sondern viel weiter, zumeist auf den Ausgang des zentralen Konflikts der Gesamthandlung vorausgreifen. So nimmt der Erzähler im Ritter Galmy beispielsweise bereits im 27. Kapitel unter anderem das happy end der diegetischen Handlung, welches im 61. und letzten Kapitel des Romans erfolgt, vorweg: e

Friderich aber in grossen sorgen vnd engsten was / statig forcht / die so Galmien dem Ritter o widerwertig waren / würden einen argwon darauß nemen / vnd dem Ritter darauß groß unrhu e schopffen / Aber nit geschach / biß lang harnach / als sich noch etwas anderst inriß / da roch eins e o zu dem andren / wie jr harnach horen werdt / vnd kam dahin / das Galmy mit grossem leyd vß Brio o tanien scheyden mußt / do er die Hertzogin in grossem leiden hinder jm lassen thet / das jnen zu o beyden seiten grossen schmertzen brocht / biß zu letst / sye beyde als jrs ellendts ergetzt vnd inn e grossen freüden bey einander wonten / on alle forcht / Wie jr dann klarlich hernach bericht werden v r (R3 –R4 ).

Das Gegenstück zu den Vorverweisen bilden die Rückverweise der extradiegetischen Erzähler. Diese beziehen sich in der Regel auf den ihnen direkt vorausgehenden Erzählabschnitt zurück oder verknüpfen Abbruch und Wiederaufnahme eines unterbrochenen Handlungsstrangs und weisen dabei ebenfalls Spuren einer extradiegetischen mündlichen Vortragssituation auf: Jr hand gehört / mit was reülichen gaben der Edel Ritter verert ward (Galmy, H1r). Eine Überblendung der dem Vortrag des Erzählers folgenden extradiegetischen Adressaten und einer dem lesenden impliziten Rezipienten angenäherten Adressatenrolle findet hingegen dann statt, wenn rückverweisende Formeln wie ,wie

327

Vgl. Clemens Lugowski: Die Form der Individualität im Roman. Studien zur inneren Struktur der frühen deutschen Prosaerzählung, Hildesheim/New York 21970, S. 41–49; Jaeke (1954), S. 69; Jacobi (1970), S. 234.

168

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

jr dann oben gehört‘ (Galmy, X4r) sich sowohl durch Formen von ,hören‘ oder ,vernehmen‘ auf das auditive Rezipieren als auch durch das Adverb ,oben‘ auf die Schrift im gedruckten Buch beziehen. Derartige Überblendungen nehmen in den beiden späteren Romanen, dem „Knabenspiegel“ und dem „Goldfaden“, in Relation zur Anzahl der Kapitel gesehen zu328. Eine weitere den Stoff strukturierende Form der Erzählerpassage bildet die Abkürzung. Diese wird zum einen eingesetzt, um eine Raffung der Darstellung in Form einer Erhöhung des Erzähltempos auszustellen, und zeugt zugleich von einer Übereinkunft zwischen Publikum und Erzähler, dass „Kürze ein Wert ist, an dem sich der Erzähler orientieren sollte“329. So heißt es etwa im „Knabenspiegel“: domit ich euch aber nit mit e o vnnützen geschwatz bedeüb, wie vnd mit was üppigen laben sie jr gut verschwendten, will ichs in kürtz erzalen (E2r). Während die extradiegetische Vortragssituation bei der Ausstellung derartiger Raffungen durchgehalten wird, rechtfertigt sich für Leerstellen erzeugende Auslassungen in der Regel ein Autor-Subjekt 330. In diesem Zusammenhang schlüpft der Erzähler, wie in der folgenden Passage aus dem „Ritter Galmy“, für den kurzen Moment der Auslassungsformel in die Rolle des Schreibenden: Die beyden Herren [Galmy und Friedrich] vff ein monat lang bey einander bliben / groß freüd vnd kurtzweil mit einander hatten / Daruon o nit zu schreiben ist (Ll4r). Der sich als Autor in Szene setzende Erzähler markiert an dieser Stelle die Auslassung des für die Konflikte der Handlung irrelevanten Besuchs Friedrichs bei Galmy, der nach seinem Sieg über den Marschall nach einem kurzen Aufenthalt in der Abtei nach Schottland zurückgekehrt ist. Dabei wird suggeriert, die Geschichte existiere auch außerhalb der Erzählung. Die in diesem Zusammenhang erzeugte Wirkung ist jedoch nicht zwangsläufig, wie von Harald Haferland vertreten, als der Fiktionalität der Geschichte entgegenarbeitender „Realitätseffekt“331 aufzufassen, da die alleinige Existenz einer Geschichte bzw. ihres Stoffes außerhalb der Erzählung noch nichts über ihren Status als faktisch oder fiktional aussagt. Ansonsten würde jede Ausstellung einer Leerstelle den fiktionalen Status einer Geschichte in Frage stellen. Im „Ritter Galmy“ und im „Goldfaden“ werden Auslassungsformeln mehrfach, wie im folgenden Textbeispiel, mit Aufforderungen an das Publikum verbunden, die Leerstelle nach eigenem Ermessen zu ergänzen: JN was gestalt sich Galmy der Ritter an

328

329 330

331

Drei derartige Rückverweise auf 61 Kapitel im „Ritter Galmy“ (X4r, Ll2v, Ll3v), zwei auf 68 Kapitel in „Gabriotto und Reinhart“ (S2v, Z4v), drei auf 29 Kapitel im „Knabenspiegel“ (G3v, M4v, N2v) und sechs auf 68 Kapitel im „Goldfaden“ (F4r, G2r, H3r, M1v, Q2v, Aa3r). Jacobi (1970), S. 230. Vgl. Galmy (1539), H1r, Q2r, X1r, Kk3v, Ii4r, Ll4r; Gabriotto und Reinhart (1551), C1v, K3r, M1v, Q4r; Knabenspiegel (1554), F2v, I1r, I2r, O1r; Goldfaden (1557), Cc2r. Harald Haferland: Gibt es einen Erzähler bei Wickram? Zu den Anfängen modernen Fiktionsbewusstseins. Mit einem Exkurs: Epistemische Zäsur, Paratexte und die Autor/Erzähler-Unterscheidung. In: Müller/Mecklenburg (2007), S. 361–394, dort S. 364.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens o

169 o

seinem ampt gehalten hab / nit not zu schreiben ist / Dann ichs einem yeden selb gib zu ermessen (Q2r). Indem der Erzähler punktuell seine Darstellungshoheit an jeden einzelnen Adressaten in seinem Publikum oder Leser – der Bezug bleibt an dieser Stelle offen – abgibt, gibt er die ansonsten von ihm allein kontrollierte Geschichte frei für individuelle Ausgestaltungen. Derartige Aufforderungen des Erzählers zur individuellen – und das bedeutet fiktiven – Ergänzung des Geschehens stellen zugleich den fiktionalen Status der Geschichte aus, deren vom Akt der Verschriftlichung ausgehende Fixiertheit einer partiellen Offenheit weicht. So könnte ein auf der Faktizität seiner Geschichte beharrender Erzähler niemals zu deren Veränderung – was in diesem Fall mit Verfälschung gleichzusetzen wäre – aufrufen, ohne dabei seine Glaubwürdigkeit selbst in Frage zu stellen. Keinesfalls werden demnach an derartigen Stellen, wie von Haferland vertreten, „Realitätseffekte […] noch verstärkt“, welche die „Fiktionalität zu dementieren“332 suchen. Erläuternde Erzählerpassagen greifen in der Regel entweder in indirekten Fragen mögliche Publikumsfragen auf, bilden rhetorische Fragen oder kommentieren das gerade berichtete Geschehen direkt. Diegetische Handlungen werden gegenüber dem extradiegetischen heterodiegetischen Publikum – und damit zugleich auch gegenüber dem impliziten Rezipienten – plausibilisiert oder verdeutlicht. Potenzielle Publikumsfragen werden dabei ausschließlich im „Ritter Galmy“ und in „Gabriotto und Reinhart“ thematisiert333. So greift der Erzähler in „Gabriotto und Reinhart“ etwa die Frage auf, warum Gabriotto bereits auf seiner Schiffsreise einen Abschiedsbrief an seinen Vater verfasst, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Sterben liegt, und liefert daran e anschließend die Antwort, deren Gültigkeit über einen Vorverweis belegt wird: hie mocht o einer sagen / warumb der Ritter also geschriben hett / dieweil er noch bei leben was / darzu antwort ich / der Ritter hatt am aller basten entpfunden / wie jm an seinem hertzen gewesen ist / als sich dann nachmals wol beschinnen hatt / wie jr das grúndtlich vernemmen werdt (Aa4r). Während die Plausibilität von Handlungen betreffende Fragen vom Erzähler auf einen potenziellen Zuhörer projektiert werden, ist dies im Falle rein rhetorischer Fragen nicht notwendig. Sie dienen, wie am folgenden Beispiel aus dem „Goldfaden“ zu beobe achten, vornehmlich der Verdeutlichung. Wer was frolicher dann Erich vnd sein gemahel die sich vormals einer schweren rechnung versehen hatten / die bekommen jetzund eygen o o o viech / jhn thet die freud so nach zu hertzen gohn / das sie beide hertzlich anhuben zu weinen r (G4 ). Zudem werden immer wieder Passagen direkt widergegebener Figurenreden durch in Klammern gesetzte erklärende Einschübe des Erzählers unterbrochen – so beispielsweise im „Goldfaden“, wenn der Bezug des Namens Florina auf die Angliana am engsten ver-

332 333

Haferland (2007), S. 365. Siehe Ritter Galmy (1539), L2r und Gabriotto und Reinhart (1551), Aa4r.

170

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

traute Hofdame hervorgehoben wird: als nun das halßband mit allem fleiß gearbeyt woro den / hatt sie [Angliana] eine jr liebste Junckfraw deren sie am basten getrawet / zu jr o o geruffen in jr innerist gemach vnd auff folgende weiß mit jhr angefangen zu reden / mein vertrewtiste vnd liebste Florina (also was der Junckfrawen nam) Jch bitte dich […] (H1v–H3r). Vergleiche, Hyperbeln und Unsagbarkeitsformeln bilden der Veranschaulichung dienliche Erzählerpassagen. So werden Figurenbeschreibungen wie an der folgenden, wiederum dem „Goldfaden“ entstammenden Textstelle vom Erzähler häufig mit Vergleichen o angereichert: sein har was einem gespunnen Gold zu uergleichen (F1v). Darüber hinaus werden auch Gefühle und Handlungen durch Vergleiche veranschaulicht334. So wirken die Worte Anglianas, wenn sie Leufried das zweite Mal bei der Neujahrsbeschenkung übergeht, auf diesen nit anders […] als wann man jm ein schneidendes schwerdt durch sein hertz gestochen hett (D3v), und der Löwe Lotzmann klopft seinen schwantz auff die erden e […] / gleich einem hund / so sich gegen seinem Herren demutig vnnd dienstbar beweiset (A2v). Auch Hyperbeln finden sich vor allem im „Goldfaden“. So heißt es dort beispielsweise zu Beginn über Erich: in disem seinem Hirten ampt begab sich ein seltzsam wunder / o e so dann zuuor von niemans vormals erhort was (A2v). Während die Hyperbel an dieser Stelle Spannung generiert335, stellt sie an anderer Stelle allein die herausragenden Qualitäten Leufrieds heraus: er fúrtraff alle Jüngling des landes an geradigkeyt / schöne vnd tugenden (F1v). Eine rhetorisch an die Auslassung anschließende Form der veranschaulichenden Erzählerpassage bilden Unsagbarkeitsformeln. So verwenden auch sie häufig Varianten o der Formel ,nit zu schreiben ist‘ und lassen in diesem Zusammenhang die extradiegetischen Erzähler kurzzeitig in die Rolle eines schreibenden Autor-Subjekts schlüpfen. Im „Ritter Galmy“ und in „Gabriotto und Reinhart“ werden Unsagbarkeitsformeln vornehmlich im Bereich der Gefühlsdarstellung verwendet336. Der Erzähler betont dabei die enorme Stärke eines Affekts, indem er sich nicht in der Lage sieht, diese in Worte zu fassen. So wird beispielsweise der ernorme Schmerz Rosamundas zum Zeitpunkt des Verscheidens ihres geliebten Reinharts in ihren Armen durch eine Unsagbarkeitsformel auso o gedrückt: was grossen leydts der edlen junckfrawe da zustund nit zu schreiben ist / als sie vernam das der / welchen sie ob allen menschen liebt / in jren armen todt vnd verscheyden lag (Dd2r). Auch in diesem Zusammenhang macht Haferland einen der Fiktionalität entgegenwirkenden Realitätseffekt aus:

334

335 336

Vgl. Carola Voelkel: Der Erzähler im spätmittelalterlichen Roman, Frankfurt a. M. u. a. 1978, S. 133 f. Vgl. Voelkel (1978), S. 150. Vgl. Jacobi (1970), S. 232.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

171

Auch hier wird ein Realitätseffekt erzeugt, denn idem diesen Schmerzen eine Intensität zukommt, an der ihre nachträgliche Darstellung scheitern muss, sieht es so aus, als komme ihnen eine vorgängige, eine empirische Existenz zu. Der Fiktionalität der Erzählung arbeitet ein narratives Verfahren entgegen, das diese Fiktionalität zu dementieren sucht337.

Der Argumentation Haferlands kann entgegengesetzt werden, dass allen auf der Ebene der Erzählung dargestellten Bestandteilen der Geschichte im Fall späterer Narration eine vorgängig erscheinende Existenz zukommt, da der Erzähler in diesem Fall etwas erzählt, was zum (fiktiven) Zeitpunkt seines Erzählakts bereits in der (fiktiven) Vergangenheit liegt. Dennoch können sowohl die Geschichte selbst als auch der Akt ihrer Hervorbringung frei erfunden sein und gleichsam als solche rezipiert werden. Eine vorgängig erscheinende Existenz allein bildet demnach im Bereich fiktionalen Erzählens im Fall der späteren Narration keinen Hinweis auf eine empirische Existenz eines Elements. Der große Schmerz, dessen Intensität auf der Darstellungsebene durch eine Unsagbarkeitsformel zum Ausdruck gebracht wird, ist daher gleichermaßen auf der Ebene der Geschichte anzusiedeln wie die Figur, welche ihn empfindet, und alle weiteren diegetischen Elemente. Neben dem Bereich der Gefühlsdarstellung kommen Unsagbarkeitsformeln auch bei der Beschreibung diegetischer Figuren zum Einsatz. So berichtet der Erzähler im „Knabenspiegel“ von Concordia: die euglein wie schon vnd klar die gewesen o kan ich nit volloben / sie kondt auch deren so lieblich gebrauchen / das nit zu schreiben ist (H1r). Eine abgewandelte Form der Unsagbarkeitsformel bilden die seltenen Hinweise der Erzähler, die ihren Adressaten die Nachfrage nach figürlichen Affekten untersagen338. Die Unsagbarkeit wird dabei indirekt durch unterbundene Nachfrage ausgedrückt – so im folgenden Textbeispiel, in welchem der alte Ritter Gernier erfährt, dass sowohl sein Sohn Gabriotto als auch Reinhart nach einem Schiffsunglück vermisst werden: das geschrey gar bald dem alten Ritter Gernier fúr kam / bedarff auch nyemandt fragen / ob er nit tausentfeltig leyd dauon empfangen hab (S3r). Sentenzen, Exempel, normative Vergleiche und an das Publikum gerichtete Ratschläge bilden innerhalb der untersuchten Texte Erzählerpassagen mit didaktischer Wirkung. Während sich von den Erzählern wiedergegebene Exempel und an das Publikum gerichtete Ratschläge allein auf den „Knabenspiegel“ beschränken, können in Erzählerkommentare eingegliederte Sentenzen in allen vier im Fokus der Untersuchung stehenden Romanen ausgemacht werden339. So arbeiten die Erzähler, wie im folgenden Textbeispiel aus dem „Goldfaden“, im Bereich von Ankündigungen mehrfach mit normativen Sinnsprüchen, die die nachfolgende Handlung als exemplarischen Beleg einer allgemei-

337 338 339

Haferland (2007), S. 364 f. Vgl. Gabriotto und Reinhart (1551), S3r sowie Goldfaden (1557), Aa1v, Cc2v. Eine Auflistung unter anderem aller in den Romanen Wickrams enthaltener Sprichwörter findet sich bereits bei Fauth und wird von Jacobi ergänzt. Vgl. Fauth (1916), S. 104–114 und Jacobi (1970), S. 379 f.

172

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

nen Gültigkeit für sich beanspruchenden Regel erscheinen lassen: ES ist von altem her ein sprüchwort / Ein frommer wirt ist seines gasts Herrgott / bey einem schalck findt man o rauh geliger / also geschah auch dem guten Jüngling (F4r). Daneben können Sentenzen, wie im „Knabenspiegel“ am Beispiel Concordias zu beobachten, figürliche Einschätzungen untermauern: jedoch gewann sie [Concordia] jren angenummenen son je lenger je liee o ber / dann sie meynet alles glück kame von jm / wie dann auch ist / wer armen leüten guts beweiset / den selbigen lonet Got gewißlich hie im zeitlichen vnd dort ewig (B1v). Neben Sentenzen bestätigen im „Knabenspiegel“ auch ganze Exempel figürliches Handeln. So wird Marinas handwerklich ausgerichtete Erziehung ihrer Töchter vom Erzähler durch ein Exempel von König David affirmativ kommentiert: e

o

die tochteren leret jr Muter [Marina] erstlichen spinnen / demnach nehen / wircken / sticken / vnd e o o weben / dann sie wol kondt ermessen das mußiggang nichs guts geberen thut / dann als Künig e e Dauid mußig auff seines Palastes zinnen spatzieret / vnnd ersahe Bersabeam mußig in wolustigen wasser baden / was kam anders darauß / dann sie beid im ehbruch versuncken (O2r).

Ähnlich wie Sentenzen stellen auch verallgemeinernde Vergleiche Handlungen in den Zusammenhang mit stereotypen Vorstellungen. Im „Knabenspiegel“, auf den sich diese Form des normativen Vergleichs beschränkt, finden sich neben zahlreichen weiteren verallgemeinernden Vergleichen 340 auch solche über Mütter. Diese verallgemeinern die mütterlichen Verhaltensmuster Concordias und bewerten diese normativ, indem sie in Zusammenhang mit unverbesserlichem und allgemein zu weichem, die väterliche Erziehung kontaminierendem mütterlichen Umgang mit Söhnen gestellt werden: so dann schon der Ritter [Gottlieb] die ding beredt / kond jm sein weib [Concordia] alwegen einen e affen machen / wie dann solche Muterlein gewont seind / so dann sicht man auch wol / wie beie o wylen jre sonlein gerhaten / die bei weilen jrer meister straff vnd zucht verachten / biß sie zu letz e o o o den hencker zu einem schulmeister mussen annemen / das dann jre Elteren offt zu grossem übelen o / jamer vnd klag erwachssen thut (D1v). e

o

o

so gar was er [Gottlieb] in seinem hertzen vnd gmut entricht vnd erzürnet / hub an zum teil sein o o o weib [Concordia] zu beschuldigen / jren auch so heiß jres Sons halben zu zureden / das sie es e e e o nimmer horen mocht / wie dann die muterlichen hertzen alle thun / so man jren zarten Sunlein so o r hart zuspricht (D3 ).

In der Verallgemeinerung verbindet der Erzähler Elemente der Diegese mit der extradiegetischen Welt, für welche seine normativen Stereotypisierungen gleichermaßen Gültigkeit beanspruchen. Eine derartige Verbindung von diegetischer und extradiegetischer Norm wird in einer weiteren Form des normativen Vergleichs explizit ausgestellt 341. Der extradiegetische Erzähler nimmt Elemente der Geschichte zum Anlass, um diese gegenüber der extradiegetischen Welt, die er mit seinem Publikum teilt, zu idealisieren. So ver-

340

341

Verallgemeinernde Vergleiche über Jungen (C1r), Wirte (E2r), Kaufleute (G1v), Hochzeiten (I1r, I2r), Musikanten (I2v), Narren (I4v), korrumpierten Adel (L4v) und Witwen (N2v). Vgl. Ritter Galmy (1539), D3r; Knabenspiegel (1554), B3r, F2v, G3v–G4r; Goldfaden (1557), B1v, G1r, Dd3r–Dd3v.

173

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

gleicht der Erzähler im „Ritter Galmy“ beispielsweise die idealisierte Freundschaft Galmys und Friedrichs mit den Freundschaften seiner Zeit, wobei er den Vergleich durch eine rhetorische Frage einleitet: e

e

o

Nun wolt ich gern horen ob man zu unsern zeiten auch der gesellen finden mocht / deren ich ware e e o lich nicht vil gesehen hab / ich sprich großlich zu uerwundren war / wo man solcher bruder (ich geschweig zweyer / so eynander gantz nichts verwant seind) finden solt / wiewol ich glaub trew vnd gerecht gesellen funden werden mügen / aber sunder zweyffel fast wenig / deren so sich in soliche gfor / gegen eynander (also dise zwen gethon) verpflichten würden (D3r).

Liegt der Schwerpunkt an dieser Stelle eindeutig auf der Idealisierung der Freundschaft Galmys und Friedrichs, so wird er in den meisten anderen Fällen auf die Kritik an der extradiegetischen Welt verlagert – so etwa im „Goldfaden“, wenn der Erzähler Hermann o mit den Meiern seiner Zeit vergleicht: Dergleichen Mayer man leyder zu vnser zeit nit vil e findet / deren aber sind gar vil welche drey / vier zinß sammen stohn / lassen die guter vngemißt / sugen die auß auff das bar bein / wann sie dann nit mehr tragen mügen / stellend sie o die ihren Lehenherren wider zu handen (B1v). Zudem werden auch der Norm widersprechende diegetische Elemente aufgegriffen, um auf vergleichbare Normverstöße außerhalb der Diegese zu verweisen. So kommentiert der Erzähler im „Knabenspiegel“ das Verhalten des jungen Willbalds, der nicht auf die Worte seines Lehrers hören will, indem er auf die extradiegetische Welt verweist: diese und deren glichen wort wurden offtmals mit dem jungen Wilbaldo geredt / es verfieng aber gar wenig an jm / vnd ließ jm solche o o warnung vnd leer alweg zu einem oren hinin / zu dem anderen wider herauß gon / wie dann o e zu unser zeiten die zartgezognen sunlein noch gewonet seind (B3r). Ein direkt an das Publikum gerichteter Ratschlag des Erzählers findet sich an einer einzigen Stelle im „Knabensiegel“. Der Erzähler rät allen jungen knaben in seinem Publikum zum Gehorsam gegenüber ihren Eltern, Lehrern und Vormündern, indem er ihnen die Folgen des Ungehorsams am Beispiel von Lottarius ironisch vor Augen hält: o

o

Hie merckend auff jr jungen knaben / was gutes darauß erfolget / wann jr Vatter vnd Muter nit o volgen / deßgleichen euwer Schulmeistern vnd fúrmündern / seind jn widerspennig / vnd volgen e e o o nach bosen üppigen buben / von welchen ir nichts guts lernen / sunder all boßen stück als mit o falschen würflen vnd karten umbzugon / dergleichen / liegen / schlecken / stelen / welchs die reche ten haubtstuck seind / so an galgen gehoren / wie jr dann an disem Lottario wol gesehen (G2v–G3r).

Insbesondere da junge Knaben eine paratextuell mehrfach ausgemachte Zielgruppe des „Knabenspiegels“ darstellen342, richtet sich der Rat des Erzählers gleichermaßen an den impliziten Rezipienten. Nach Betrachtung verschiedenster Möglichkeiten des expliziten Hervortretens der extradiegetischen heterodiegetischen Erzähler innerhalb der untersuchten Romane sollen auf dieser Grundlage im Folgenden die Fragen nach der Zeit, dem Ort und der Per-

342

Zur Zielgruppe des „Knabenspiegels“ siehe ausführlich S. 211, 223, 227–229.

174

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

son der extradiegetischen Narration für die einzelnen Texte abschließend diskutiert werden: Über die fundamentale Bestimmung der Zeit der Narration als spätere Narration durch die Wahl des Präteritums als Erzählzeit hinaus werden innerhalb der Eingangsformel lediglich im „Knabenspiegel“ und im „Goldfaden“ weitere Spezifizierungen getroffen. So setzt das Geschehen im „Knabenspiegel“ mit der Formel ,ES ist gewesen vor langen jaren‘ (A3r) ein. Zu Beginn des „Goldfadens“ wird das Geschehen noch etwas weiter in der Vergangenheit verortet: ES ist gewesen vor vilen vnd langen Jaren (A2r). Währenddessen sind in den Eingangsformeln der beiden früheren Romane keine weiteren Angaben über das Verhältnis des Zeitpunkts der extradiegetischen Narration und des diegetischen Geschehens enthalten. So setzt der „Ritter Galmy“ schlicht mit ,ES was ein Hertzog in Britannia‘ (A2r) ein, während das Geschehen in „Gabriotto und Reinhart“ mit einem den fiktionalen Status des Geschehens markierenden Hinweis beginnt: ZV der o zeit als Künig Ludolffus zu Franckreich mit gewalt regiert / auch in grosser Tyranny gegen allem seinem volck tobet / sich begab (A2r). Da es bis zum Zeitpunkt der Erstausgabe von „Gabriotto und Reinhart“ 1551 und auch danach keinen französischen König namens Ludolf gab, wird der implizite Rezipient bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das Geschehen in einer fiktiven Vergangenheit anzusiedeln ist. Im weiteren Verlauf der Erzählungen wird die relative zeitliche Distanz der extradiegetischen Narration zum diegetischem Geschehen im „Ritter Galmy“, im „Knabenspiegel“ und im „Goldfaden“ in den bereits angeführten Vergleichen zwischen diegetischer und extradiegetischer Norm o thematisiert. Vergleichsformeln wie ,zu unsren zeiten‘ geben zu der Vermutung Anlass, dass die zeitliche Differenz mindestens eine Generation beträgt. Der konkrete Ort der Narration, den der vortragende Erzähler mit seinem Publikum teilt, bleibt in allen vier untersuchten Texten darüber hinaus, dass es sich um einen extradiegetischen Ort handelt, unbestimmt. Jedoch beginnen die eigentlich extradiegetischen Erzähler im „Ritter Galmy“ und in „Gabriotto und Reinhart“ ihre Position außerhalb der Geschichte zu verlassen, wenn sie sich in Apostrophen direkt an diegetische Figuren wenden343. So richtet sich der Erzähler unter anderem bedauernd an Philomena, die in England verweilend nichts von der Intrige am französischen Hof weiß, durch welche ihr Geliebter, Gabriotto, zur Heirat einer französischen Edelfrau gezwungen werden soll: o O Philomena du edle jungfraw / solt dir diser anschlag zu wissen sein / fúrwar du würdest ein newes leyd überkommen haben (V2r). In der Entwicklung einer rein hypothetischen Annahme, welche nicht den diegetischen Gegebenheiten entspricht, demonstriert der Erzähler sowohl seinen Überblick über die verschiedenen Handlungsstränge als auch sein Vermögen sich empathisch in einzelne diegetische Figuren hineinzuversetzen. Während der Konjunktiv an dieser Stelle auch die Rede selbst als hypothetischen Kommunikationsakt markiert, wodurch die Grenzen zwischen extradiegetischer und diegetischer Ebene gewahrt bleiben, nähern sich an diegetische Figuren gerichtete Erzähler-

343

Vgl. Ritter Galmy (1539) G3v, H1v, O3v, Gg4r; Gabriotto und Reinhart (1551), V3r.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

175

fragen im „Ritter Galmy“ deutlicher dem Bereich einer Metalepse an. So fordert der extradiegetische Erzähler unter anderem Galmy auf, ihm Rede und Antwort bezüglich der Heimlichkeit seiner Anreise zum Gerichtskampf zu stehen: e

Nun sag mir Galmy / du Edler Ritter / Wie mochtest du an deinem hertzen haben / das du die / so e dir ob allen dingen lieb ist / in solichem grossen leiden ungetrost in harter gfengkniß verschlossen e o lassest ligen / vnnd doch wol mit glimpff zu jr kamest. Wie magst du doch die / so nichts dann o o o deiner zukunfft begeret / ein solche nit zu wissen thun / dadurch du jr alles verlangen gewendet o hettest / dann so bald sye deiner zukunfft jnnen worden wer / sye vngezweiffelt wol gewißt het / e e o warumb du in Britanien kummen warest / sye von jrem leiden zu erlosen (Gg4r).

Indem die Frage direkt an Galmy gerichtet ist, impliziert sie einen Versuch des fragenden Erzählers kurzzeitig die Ebenen zu wechseln, um sich in die Geschichte hinein zu begeben oder zumindest so zu tun, als ob. Da eine Antwort Galmys jedoch ausbleibt, indem das Kapitel im Anschluss an die oben zitierte Passage ohne eine Überleitung abbricht, bleibt es beim Versuch oder der Vortäuschung einer Grenzüberschreitung. Dabei gibt der ansonsten allwissende extradiegetische Erzähler vor, die Motivation einer diegetischen Figur für ihr Handeln innerhalb seiner eigenen Geschichte nicht zu kennen. Es scheint, als hätte sich die Figur Galmys kurzzeitig der Kontrolle ihres Erzeugers im narrativen Akt entzogen, weshalb dieser den Versuch unternimmt, sich zu ihr auf die diegetische Ebene zu begeben. Eine zweite Lesart erscheint unter Einbezug weiterer Erzählerpassagen plausibel: Der Erzähler kennt Galmys Motivation und verstellt sich, da er diese nicht preisgeben kann, um das Bild vom tadellosen Ritter aufrechtzuerhalten. So wirkt bereits die erläuternde Erzählerpassage fadenscheinig, in der er die aus dem Publikum aufgegriffene Nachfrage, ob die Herzogin ihren Gatten denn von hertzen lieb gehabt habe344, bejaht und daraufhin die im scheinbaren Widerspruch dazu stehenden Gefühle der Herzogin für Galmy beschwichtigend mit Geschwisterliebe vergleicht: e

o

Nun mocht einer fragen / ob die Hertzogin jren Herren auch von hertzen lieb gehabt hat / darzu o sprich ich ja / von gantzem hertzen / vnd mer dann zu glauben ist. Nun sprichst du / wie mag doch o o das müglich sein / dieweil sye dem Ritter also freündtlich zu spricht / vnd jm ein sollichen brieff zu o schreibt / vnnd sich zum offtern mal mit solchen freündtlichen worten gen jm beweiset / wie dann o offt gemelt ist. Darüber antwurt ich / vnnd sag also / Das die Hertzogin nit ander lieb zu dem Rito ter getragen hab / dann wie ein schwester gegen jrem natürlichen bruder / deß gleich der Ritter gegen jr (L2r).

Vom extradiegetischen Erzähler aufgegriffene Publikumsfragen implizieren dabei bereits selbst ihre Berechtigung – weshalb auch sollten sie sonst thematisiert werden. Bieten Publikumsfragen, wie bereits aufgezeigt, ansonsten dem Erzähler die Möglichkeit, sein Publikum durch eine plausible Erklärung auf seine Seite zu bringen, werden an dieser Stelle dessen Erklärungsnöte offengelegt. So führt die Herzogin zum einen später, wenn sie Galmy verspricht, ihn im Fall des Todes ihres Gattens zum Herzog zu machen, keineswegs ihre Gefühle dafür an, dass ihr der Tod des Herzogs Leid sei. So begründet sie

344

Haferland bezieht die Frage fälschlicherweise auf Galmy. Vgl. Haferland (2007), S. 390.

176

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram e

ihr Bedauern lediglich damit, dass der Herzog fürwar ein frummer vnd gutiger Fürst (T1v) sei. Zum anderen wird bereits zu Beginn des Romans im Zusammenhang mit Galmys Krankheit deutlich, dass dessen Gefühle für die Herzogin mit Geschwisterliebe nicht zu vergleichen sind. So rührt sein Leiden von flammen der lieb her, die durch keynerley weg e auß[zu]loschen (A2v) sind. Nicht allein der extradiegetische heterodiegetische Erzähler wählt dabei Flammenmetaphern zum Ausdruck der Gefühle des Ritters345, auch Galmy selbst beschreibt den Beginn seiner Zuneigung auf diese Weise: augenblicklich mich ein brinnender flamm vmb mein hertz entzünden thet (C4v). Neben der Metapher vom entflammten Herzen, die bereits im späten Minnesang von der Gottesliebe auf den profanen Bereich zweigeschlechtlicher erotischer Liebe übertragen wurde346, deuten zahlreiche weitere direkt wiedergegebene Gefühlsbekundungen der Figuren auf eine über Geschwisterliebe hinausreichende Liebesbindung hin, die mit einer mindestens mentalen erotischen Komponente verbunden ist 347. Die Liebeserklärung der Herzogin an den Ritter beim gemeinsamen Spaziergang im Garten, welche den Höhepunkt des in 3.1.4 bereits ausführlich unter dem Aspekt der narrativen Geschwindigkeit und Distanz besprochenen Dialogs bildet, kann an dieser Stelle erneut herangezogen werden: e

Mein vßerwolter Ritter vnd aller liebster freünd auff erden / Dein liebe vnd trew gegen mir nit o o nodt ist zu probieren / dann ich dich zu aller zeit / als einen waren vnnd rechten liebhaber gespürt vnd erkent hab / damit du warlichen mein hertz gefangen hast / Gott wolt / wir on alle sorg vmb e e e einander wonen mochten / damit wir vns in keynen weg verdachtlich mochten machen. Aber ich hoff die zeit noch kummen soll / in welcher ich dich nach meines hertzen willen vnd begeren e anschawen mog (I2v).

Die Rede der Herzogin bedient sich einer zweifachen Herzmetaphorik, die ebenfalls auf den Bereich des späten Minnesangs verweist, wo die ab 1150 in die weltliche Dichtung übertragene Herzmetaphorik eine Intensivierung und Vervielfältigung an Variation erfuhr 348. So beschreibt die bereits bei Neidhart von Reunental und Hugo von Montfort349 beliebte Metapher vom gefangenen Herzen den Freiheitsverlust der Liebenden unter Zunahme ihrer erotischen Liebesbindung. Die Erfahrung der Liebe als „Herrschaft einer fremden Macht über das Herz“350, das dabei als Zentrum der Emotion zu verstehen ist 351, wird durch das Bild physischer Gewalt ins Gegenständliche gerückt. Indem sich die Herzogin der Metaphorik vom gefangenen Herzen bedient, von der auch Galmy bereits Gebrauch gemacht hat 352, gibt sie demnach endgültig zu erkennen, dass 345 346

347 348 349 350 351 352

Siehe auch Ritter Galmy, N1r. Vgl. Jutta Goheen: Mittelalterliche Liebeslyrik von Neidhart von Reunental bis zu Oswald von Wolkenstein, Berlin 1984, S. 112 f. Vgl. Ritter Galmy (1539), I2v–I3r, Q2r–Q3v, S3v–S4r, V2v–V4v. Vgl. Goheen (1984), S. 96 f. Vgl. Goheen (1984), S. 110. Goheen (1984), S. 110. Vgl. Goheen (1984), S. 113. e Dann die Fraw so mein hert gefangen hat / ist mein aller Gnadigste Fraw / die Hertzogin (B2v).

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

177

auch ihre Gefühle mit Freiheitsverlust einhergehen. In dieser Hinsicht kann die Liebesbindung von da an als zwischen beiden Partnern ausgewogen angesehen werden. Die e Sorge, sich verdachtich zu machen, verbunden mit dem Wunsch, den Geliebten in ferner Zukunft ohne Not nach des hertzen willen vnd begeren anschawen zu können, verweist zudem auf traditionelle Elemente einer Ehebruchthematik 353. Auch in diesem Zusammenhang wird der Liebesbindung eine über Geschwisterliebe hinausreichende Qualität zugeschrieben, auch wenn ein im sexuellen Akt vollzogener Ehebruch selbst ausbleibt, indem die Liebenden alle körperlichen Komponenten ihrer Gefühle so gut wie möglich zu unterdrücken versuchen. Gleichsam bedienen sich auch die späteren Liebesbekundungen Galmys einer auf zweigeschlechtliche erotische Liebe verweisenden Herzmetaphorik. In leicht abgeschwächter Form wird die Metapher der Anwesenheit der Dame im Herzen verwendet, die im spätmittelalterlichen Minnesang die erotische Erfahrung mitkonzipiert, indem sie, Jutta Goheen zu Folge, „Macht und Wirkung des Eros in der Psyche des Mannes“354 o ausdrückt: Von dem tag an / als ich eüch anfieng liebe zu tragen / Bin ich keyn weg so weyt auß Britannien nye gewesen / mein hertz hye bey eüch bliben ist / vnd nye von eüch gewichen (Q2v). Auch die metaphorische Reaktion von Galmys Herzen auf die gemäß der mittelalterlichen Vorstellung355 durch die Augen dorthin transportierte Schönheit der Dame lässt keine Zweifel an der erotischen Qualität seiner Gefühle offen: ich wolt müglich wer / e jr mir in mein hertz sehen künden / darmit jr erkennen mochten / mit was grossen freüden jr e mich vmbgeben / wann ich ewer schone ansichtig würd / Dann so bald sollichs beschicht / e sich mein hertz in meinem leib auffbeümet / vnd als mein geblut sich in freüden erhebt (Q2v). So veranschaulicht das an dieser Stelle gebrauchte Bild einer heftigen physischen Bewegung des Herzens bereits im Sang Ulrichs von Lichtenstein und Oswalds von Wolkenstein die von Leidenschaft und Glücksgefühl erfüllte emotionale Erfahrung des Liebenden356. Über die Metaphorik im Bereich der Gefühlsdarstellung hinaus deuten weitere Umstände auf eine erotische Qualität der Liebe zwischen dem Protagonisten und der Herzogin hin: So entstehen Galmys Gefühle für die Herzogin im Moment des ersten Körperkontakts – er leitet die Herzogin in unwegsammem Gelände an der Hand357 – und enthalten insofern von Beginn eine starke körperliche Komponente358. Diese Körperlichkeit ihrer Liebe versuchen Galmy und die Herzogin im Laufe des Geschehens

353 354 355 356 357 358

Vgl. Haug (1991), S. 101. Goheen (1984), S. 97. Vgl. Gert Hübner: Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung, Tübingen 2008, S. 69. Vgl. Goheen (1984), S. 114. Vgl. Ritter Galmy (1539), C4v. Vgl. Jutta Eming und Elke Koch: Geschlechterkommunikation und Gefühlsausdruck in Romanen Jörg Wickrams (16. Jahrhundert). In: Kulturen der Gefühle in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Ingrid Kasten u. a., Stuttgart/Weimar 2002, S. 203–221, hier S. 212 f.

178

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

zwar stetig zu unterdrücken, doch bereits früh äußern sich die im freudianischen Sinne verdrängten Sehnsüchte nach körperlicher Nähe in Galmys Träumen. So träumt der Ritter zweimal – sowohl nach dem Krankenbesuch der Herzogin als auch nach deren brieflicher Warnung vor Wernhard und dessen Gesellen – von einem umbfahen, einer Umarmung mit der Geliebten: e

Galmy sprach sye / dein Edle wolgestalte jugendt (welche mit mannheyt vnd schone hoch begabt ist) deß vnd noch mer drost wirdig ist / mit soilchen worten / die Hertzogin den Ritter vmbfahen e thet / mit frolichem angesicht von jm scheyd / in dem sein schlaff sich endet (E1v). o

e

Galmy der Ritter in grossen freüden zu bett gieng / also freüderich ein sussser schlaff jn vmbgab / e e statigs der Hertzogin jngedenck was / jm also ein frolicher traum fürkam / in dem jn bedaucht / e die Hertzogin jm fürkam / jn nach laut deß brieffs auff ein newes warnet / Demnoch in freündtlichen mit jren armen vmbfahen thet (O2v).

Im Unterschied zur heutigen Konvention galt das umbfahen noch im 16. Jahrhundert als höchst intimer körperlicher Kontakt, der etwa das Küssen an Intimität übersteigt und allein von der sexuellen Vereinigung selbst übertroffen wird. Davon zeugt unter anderem das im späten 12. Jahrhundert verfasste und 1404 von Eberhard Cersne im Rahmen einer allegorischen Dichtung in Teilen ins Deutsche übertragene 359 mittellateinische Traktat de amore von Andreas Capellanus. Das Liebestraktat fand in Johannes Hartliebs späterer Übersetzung von 1440 in zahlreichen Handschriften360 Verbreitung und wurde 1482 erstmals bei Anton Sorg gedruckt361. Von der Verbreitung des Traktats bis in die Anfänge des 17. Jahrhunderts zeugen die beiden Dortmunder Drucke der Offizin Detmar Müllers von 1610 und 1614362. Andreas Capellanus beschreibt in de amore vier Stufen der Liebesgunst: die „Gabe von Hoffnung (spei datio)“, das „Gewähren eines Kusses (osculi exhibitio)“, die „Umarmung (amplexus fruitio)“ und die „Hingabe der ganzen Person (totius personae concessio)“ 363. Schließlich droht der Versuch der Unterdrückung der Körperlichkeit endgültig zu scheitern. Galmy schneidet sich zunächst versunken in den liebreizenden Anblick seiner Geliebten beim Vorschneiden – er ist inzwischen zum Truchsess der Herzogin befördert – in den Finger und diese sinkt, als sein Blut auf ihr Kleid spritzt, ohnmächtig zu Boden.

359

360

361

362

363

Eberhard Cersne: Der Minne Regel von Eberhardus Cersne aus Minden 1404. Mit einem Anhang von Liedern. Hrsg. von Franz Xaver Wöber, Wien 1861. 13 Handschriften sind erhalten. Vgl. Frank Fürbeth: Johannes Hartlieb. Untersuchungen zu Leben und Werk, Tübingen 1992, S. 62 sowie 277. o Andreas Capellanus, Johannes Hartlieb (Bearb.): Das buch Ouidy von der liebe zu erwerben. auch die liebe zeuerschmehen (BSB-Ink A-486), Augsburg 1482. Vgl. Andreas Karnein: De amore in volkssprachiger Literatur. Untersuchung zur Andreas-Capellanus-Rezeption in Mittelalter und Renaissance (Germanisch-romanische Monatsschrift Beiheft 4), Heidelberg 1985, Nr. 47 und 48. Andreas Capellanus: Von der Liebe. Drei Bücher. Übers. und mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Fritz Peter Knapp, Berlin 2006, S. 26 f.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

179

Bald darauf begegnen sich die Liebenden zufällig nach dem Kirchgang in Anwesenheit des Herzogs und der Hofgesellschaft und erbleichen beim gegenseitigen Anblick: die Hertzogin mit züchtigem wandel für sye alle gon ward / so bald sye aber kumpt do Galmy o der Ritter stu nd / sye sich gantz in jrem angsicht empferbet / dergleichen dem Ritter auch geschehen thet (R4v). So müssen die Liebenden einsehen, dass die körperlichen Aspekte ihrer Gefühle nicht ausreichend unterdrückt werden können, um auch in Zukunft sicher gemeinsam am britannischen Hof leben zu können, insbesondere da Galmys Neider Wernhard bereits Verdacht geschöpft hat und bei weiteren auf ein Liebesverhältnis hindeutenden Körperzeichen den Herzog informieren will. Beim Abschied vor Galmys Abreise nach Schottland kommt es zum vorläufigen Höhepunkt der intimen körperlichen Annäherung der Liebenden. Die Umarmung, von der Galmy bereits zweimal geträumt hat, wird auf der Ebene der Geschichte real, auch wenn der extradiegetische Erzähler wiederum bemüht ist, den intimen Körperkontakt herunterzuspielen. So spricht der Erzähler lediglich davon, dass Galmy die hertzogin zum Abschied züchticklich an sein arm (V3r) nimmt, während Kapitelüberschrift und Bilderzählung eine andere Sprache sprechen. So zeigt die in 3.1.3 unter dem Aspekt der narrativen Frequenz ausführlich besprochene Illustration RG33 (Abb. 82) die Liebenden in inniger Umarmung, und in der Kapitelüberschrift ist davon die Rede, dass die Herzogin ihren geliebten Ritter freüntlich vmbfacht (V2r). Die Umarmung der Herzogin kann vor dem Hintergrund der großen mit ihr einhergehenden Intimität in Bezug auf ihre Ehe als durchaus problematisch verstanden werden. In diesem Zusammenhang verwundern die grossen sorgen Friedrichs darüber, dass der Hertzog oder yemandts widerwertiges e e darzuo kummen mochte nicht – denn darauß dann in allen dreyen groß leyd zuo ston mocht (V3r). Es fügt sich zudem ins Bild, wie der extradiegetische Erzähler die narrative Geschwindigkeit zeitweise erhöht, um die Wiedergabe eines großen Teils der Figurenreden der Szene auf einen keinerlei Details preisgebenden Halbsatz zu beschränken: Als nun die Hertzogin vnd der Ritter lang in solcher gstalt mit einander vil vnd mancherley red getriben (V3r). Der extradiegetische heterodiegetische Erzähler weist den angeführten Textbelegen zu Folge eindeutig ein Defizit auf: Entweder versucht er bezüglich des Verhältnisses Galmys und der Herzogin seinem Publikum etwas vorzumachen oder er schätzt es tatsächlich völlig falsch ein, was aufgrund seiner gesteuert wirkenden Vorgehensweise jedoch weniger plausibel erscheint. Beide Annahmen erklären, warum er entweder nicht versteht oder nicht zugibt, warum Galmy heimlich nach Britannien reist, um anschließend den Gerichtskampf inkognito bestreiten zu können. Denn es ist die vom Erzähler dementierte erotische Qualität der Liebesbindung, verbunden mit den nicht mehr zu kontrollierenden Körperzeichen der Liebenden, die Galmy zwingen in Schottland zu verharren, solange die Herzogin ehelich an ihren Gatten gebunden ist. So verwundert es wenig, dass sich auch der von der Liebesbindung nichts ahnende Herzog die Verkleidung Galmys nicht erklären kann, als er kurzzeitig glaubt, den Ritter beim Gerichtskampf erkannt zu haben: Der Ritter ist warlich inn den schrancken gewesen / in eines Münches

180

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

gestalt / Dann ich weyß / mich mein gesicht nicht betrogen hat. Nun verwundret mich / was o jn doch darzu geursachet hab (Ll1r). Erst im Moment der Nachricht vom Ableben des Herzogs wird Galmys Weg in eine die Liebesbindung legitimierende Ehe mit der Herzogin frei. So kehrt Galmy, als er vom Tod des Herzogs erfährt, ohne zu zögern nach Britannien zurück. Im Zuge von Galmys Rückkehr wird der implizite Rezipient ein weiteres Mal auf die vom Erzähler nicht gekannten oder verschwiegenen Gründe für Galmys Versteckspiel hingewiesen. So kündigt Galmy in seinem letzten Brief an die Herzogin an, in dem er sich als ihr Gerichtskämpfer zu erkennen gibt, die besagten Gründe in einem späteren Gespräch aufzulösen: e Auch darmit ichs bekürtze / beicht gehoret / inn eines Münches gestalt / mit meiner eygnen e hand vor dem grausamen todt erloset. Das ich aber also verkert hab / auch gantz schnell on urlob hin weg gescheyden binn / nicht on vrsach beschehen ist / Als jr dann nachmals von mir berichtet werden sollen (Mm1v). Wiederum scheint es kein Zufall zu sein, dass die narrative Geschwindigkeit im Folgenden vergleichsweise hoch gehalten wird und das angekündigte Gespräch somit auf der Ebene der Erzählung als Leerstelle verbleibt. Vor dem Hintergrund der zahlreichen Hinweise darauf erscheint die Darstellung des Liebesverhältnisses des Protagonisten zur Herzogin durch den Erzähler zum einen aufgrund einseitiger Selektion verzerrt und zum anderen im Zusammenhang mehrerer Erzählerpassagen unglaubwürdig. Dieser Umstand wiederum macht es notwendig, eine Autor-Instanz hinter dem Erzähler anzunehmen, auf welche die Sinnhaftigkeit des textuellen Gesamtgebildes projiziert werden kann. Da die Autorschaft Wickrams, wie bereits thematisiert, zwar wahrscheinlich, aber nicht vollständig gesichert ist 364, soll an dieser Stelle von einem impliziten Autor 365 und nicht von Wickram die Rede sein. Indem die Unglaubwürdigkeit des extradiegetischen Erzählers vielfach durch direkt wiedergegebene Figurenreden zutage tritt, kann sie als Konstrukt des impliziten Autors angenommen werden. Somit enthält der „Ritter Galmy“ Elemente unzuverlässigen Erzählens366. In wesentlich geringerem Umfang finden sich derartige Elemente darüber hinaus in „Gabriotto und Reinhart“. Diese werden in 3.2.2. behandelt. Die Gestaltung der Person der Narration erfolgt innerhalb der untersuchten Texte ambivalent. So wird zwar in den allermeisten Fällen des Hervortretens eines extradiegetischen Erzählers ein mündlicher Vortrag desselben vor einem Publikum suggeriert, jedoch wandelt sich das erzählende Aussagesubjekt im Fall der zu Beginn des Kapitels in den Blick genommenen Ankündigung des Abmalens einer diegetischen Figur sowie in mehreren Kürzungen und Unsagbarkeitsformeln in einen Schreiber – ein kurzzeitiges Aufblitzen eines vermeintlichen Autor-Subjekts, dessen Gegenüber auf einmal nicht mehr die Zuhörerschaft eines Erzählers bildet, sondern ein Rollenangebot an den impli364 365

366

Vgl. S. 12, Anm. 23. Zur Konzeption des ,impliziten Autors‘ vgl. Wayne C. Booth: The Rhetoric of Fiction, Chicago/ London 21983, S. 70–76. Zur Konzeption ,unzuverlässigen Erzählens‘ vgl. Booth (1983), S. 158 f.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

181

ziten Rezipienten in Form eines Lesers. Demnach steht der Person eines mündlichen extradiegetischen Erzählers die eines schriftlichen extradiegetischen Erzählers gegenüber. Während der mündliche extradiegetische Erzähler ein Publikum vor sich hat, welchem er sich immer wieder in Anredeformen zuwendet und dessen Fragen er aufgreifen kann, gibt sich der schriftliche extradiegetische Erzähler als Autor oder Schreiber und ist sich daher der Schriftlichkeit seiner Rede bewusst. Folgerichtig kommuniziert er mit einer fingierten Leser-Figur, in deren Rolle der implizite Rezipient während seiner Lektüre schlüpfen kann. Die abrupten kurzzeitigen Auftritte des schriftlichen extradiegetischen Erzählers stehen dabei vermutlich einerseits im Zusammenhang mit einem Bestreben, sowohl die zeittypische Erzählsituation des mündlichen Vortrags zu imaginieren als auch die Texte auf die Rezeptionssituation der stillen Lektüre eines Lesers auszurichten. Andererseits zeugen die abrupten, dem modernen Leser aufstoßenden Wechsel wohl auch von einer unvollständigen Ausprägung des den Texten zeitgenössischen Fiktionsbewusstseins367, die eine derartig ambivalente Gestaltung der Person der Narration offenbar zu tolerieren vermag. Nicht jedoch teile ich, auch vor dem Hintergrund der zutage tretenden Defizite des extradiegetischen Erzählers im „Ritter Galmy“, den Standpunkt Haferlands, die Existenz extradiegetischer Erzähler für die Romane Wickrams gänzlich zu bestreiten und stattdessen das extradiegetische Aussagesubjekt durchgehend als den historischen Autor zu identifizieren. Haferland argumentiert in diesem Zusammenhang, der historische Autor Jörg Wickram habe nicht zwischen sich selbst und den extradiegetischen Erzählern seiner Romane unterscheiden können, unter anderem, da er das sich „ohne weiteres in die Romanfiktion“368 einmischende ,ich‘ nicht als mit individuellen Merkmalen versehene Figur einführe, wie es etwa Theodor Storm im Fall des intradiegetischen alten Schulmeisters aus dem „Schimmelreiter“ handhabe369. Außerdem werde „im 16. Jahrhundert überhaupt und noch lange darüber hinaus das Aussagesubjekt noch naiv im Romantext benannt und mit dem Autor gleichgesetzt“370. Indem Haferland „das Bewusstsein des Dichters von dem, was er tut, zu einem [möglichen] Kriterium der Beschreibung seines Produkts“371 erhebt, bestreitet er die Existenz extradiegetischer Erzähler in den Romanen der frühen Neuzeit im Allgemeinen. Haferlands großteils am Beginn des „Nachbarn-Romans“ entwickelte Einschätzung 372 kann für die hier untersuchten Texte unabhängig von einer methodischen Pro-

367 368 369

370 371 372

Vgl. Haferland (2007), S. 392. Haferland (2007), S. 389. Zur doppelten Rahmung im „Schimmelreiter“ vgl. Klaus Hildebrandt: Theodor Storm. Der Schimmelreiter (Oldenbourg Interpretation 42), München 21999, S. 24–28. Haferland (2007), S. 394. Ebd. o Dort sind zwei Vorreden, eine Widmung des historischen Autors Georg Wickram Stattschreiber zu o r r Burckhaim (A3 ) an Caspar Hanschelo Goldtschmidt handtwercks zu Colmar (A2 ) zum einen und

182

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

blematisierung des Zugriffs auf das Bewusstsein historischer Autoren und der Frage, inwiefern dieses für eine narratologische Analyse von Texten überhaupt Relevanz besitzt, entgegengesetzt werden, dass sich die extradiegetischen Erzähler innerhalb der Erzählungen zu keinem Zeitpunkt als Jörg Wickram bezeichnen. Ein sich als der historische Autor ausgebendes Aussagesubjekt tritt innerhalb der vier bei Frölich erschienenen o o Romane Wickrams allein in der zweiteiligen, an Antoni Kuntzen, den Schulteiß zu Rufach (A2r), gerichteten Widmung des „Knabenspiegels“ auf. Diese erscheint unter anderem aufgrund ihres Adressaten sowie der in 2.2.1 aufgezeigten Typografie ihrer Wiedergabe sehr deutlich als Paratext. Es kommuniziert der historische Autor in einer dem Brief ähnelnden Form mit einem gleichsam vermeintlich historischen Zeitgenossen – ein kommunikativer Akt, der sich dadurch maßgeblich von dem der extradiegetischen Erzähler unterscheidet. Ein Hinübertreten des Aussagesubjekts aus der Widmung in das erste Kapitel kann dabei nicht beobachtet werden. Darüber hinaus muss eine explizit in Erzählerpassagen hervortretende Erzählerfigur nicht notwendigerweise mit individuellen Eigenschaften ausgestattet sein, um eine Unterscheidung vom historischen Autor sinnvoll anmuten zu lassen. Insbesondere in einer Erzählung wie dem „Ritter Galmy“, wo unter anderem Figurenreden Defizite des extradiegetischen Erzählers suggerieren, erscheint eine Gleichsetzung der extradiegetischen Erzählerfigur mit dem vermeintlichen historischen Autor unangemessen. So hätte eine diesbezügliche Gleichsetzung die Annahme zur Folge, der historische Autor inszeniere eine Selbstdemontage.

zum anderen eine thematische Einführung an den Leser eines sich zwar als Autor – welches dann ist ein sundere ursach diss meines gedichts (A3v) –, jedoch nicht als Jörg Wickram ausgebenden Aussagesubjekts – dem schriftlichen extradiegetischen Erzähler – enthalten. Dabei wird die zweite o an den Leser gerichtete Vorred durch einen Seitenwechsel und die Überschrift Von guter Nacho baurschafft / zum Leser (A3v) klar von der Widmung abgegrenzt. Der schriftliche extradiegetische Erzähler der zweiten Vorrede spricht auch zu Beginn des ersten Kapitels, indem er sich auf die zweite Vorrede zurückbeziehend den Leser zur Illusionsbildung auffordert, bevor die Darstellung e o des Geschehens einsetzt: Dieweil ich im ingang meines buchlins verheissen hab / von guten vnnd e o bosen nachbauren etwas zu schreiben / will ich dannocht hierin gar niemants gemelt haben / aber laß dirs gleich gelten lieber leser / diese nachbaurn sein gleich in Holant oder Brabant / Schwaben / Elsas / o oder Breißgaw / dahaim gewesen / so laß dannocht diese ding geschehen sein / Darumb merck nur r v eben auff. Es hat vor jaren gewonet ein reicher tugentsamer Kauffherr (B1 –B1 ). Indem Haferland nicht zwischen den Aussagesubjekten der ersten und der zweiten Vorrede – dem historischen Autor und dem schriftlichen extradiegetischen Erzähler – unterscheidet, macht er einen Übertritt des historischen Autors ins erste Kapitel aus und erhebt ihn dadurch zum Aussagesubjekt des gesamten Texts. Vgl. Haferland (2007), S. 366–375. Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage, weshalb die Erzählung im „Nachbarn-Roman“ in zahlreichen typografisch hervorgehobenen Marginalglossen kommentiert wird, wenn es durchweg ein und dasselbe Aussagesubjekt – der historische Autor – wäre, das abgesehen von den direkt wiedergegebenen Reden diegetischer Figuren die ganze Erzählung über das Wort hat.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

183

3.1.8 Beteiligte implizite Beobachter Im Unterschied zu den zahlreichen an der diegetischen Handlung beteiligten intradiegetischen homodiegetischen Erzählern der Spracherzählung enthalten die Illustrationszyklen der untersuchten Romane lediglich wenige Bilddarstellungen, in denen diegetische Handlungsträger als implizite Beobachter, d. h. beteiligte implizite Beobachter, in Frage kommen. Mehrere derartige Bilddarstellungen liegen im „Ritter Galmy“ vor. So könnte etwa die Szenerie um den Besuch der Herzogin bei Galmy am Krankenbett aus der Perspektive einer der beiden anfänglich anwesenden, jedoch nicht bildlich realisierten Figuren wahrgenommen werden. So impliziert der verbale Hinweis, dass Galmy die beiden Hofdamen der Herzogin und seinen Kammerjungen heraus auf ihre Zimmer schickt, nachdem er die Distanziertheit der Herzogin spürt, die Anwesenheit von fünf Figuren zu Beginn der Szene373. Da die Illustration RG5 neben der Herzogin auch eine der beiden Hofdamen am Krankenbett Galmys zeigt, erfolgt die verbildlichte Beobachtung zu einem Zeitpunkt, bevor die Hofdamen und der Kammerjunge den Raum verlassen haben. Demnach kommen sowohl die zweite Hofdame als auch Galmys Kammerjunge als implizite Beobachter der Szenerie in Frage. Beide möglichen beteiligten impliziten Beobachter stehen jedoch nicht im Fokus der verbalen Darstellungen. Folgt man Erkenntnissen aus dem Bereich der Forschungen zum pragmatischen Foregrounding, so befinden sich „Situationsmodelle […] um die Hauptperson und die zentrale Handlungsfolge […] im Vordergrund der Aufmerksamkeit“374 von Rezipienten. Diesen kommt ein „aktivierte[r] Status […] im Arbeitsgedächtnis“375 zu. Elemente, die ihren Bezug zum Vordergrund verlieren, werden hingegen aus dem Aufmerksamkeitsfokus verdrängt376. Da die beiden Hofdamen und der Kammerjunge just in dem Moment ihrer Abkoppelung vom Vordergrund – in diesem Fall gebildet vom ausführlichen, größtenteils in direkter Rede wiedergegebenen Gespräch des Protagonisten mit der Herzogin in Galmys Kammer – verbal thematisiert werden, gelangen sie zu keinem Zeitpunkt in den Fokus der Aufmerksamkeit – d. h. über sie wird unter Umständen einfach hinweggelesen. Zieht man die angeführten Erkenntnisse der Textverarbeitungsforschung für die wirkungsästhetische Analyse heran, so ist das Wirkungspotenzial, die zweite Hofdame oder den Kammerjungen als implizite Beobachter der verbildlichten Szenerie aufzufassen, als sehr schwach einzuschätzen. Ähnliches kann für die bereits thematisierten Illustrationen RG13 (Abb. 95) und RG40 (Abb. 75) festgestellt werden, wo ebenfalls, der Logik der Geschichte zufolge, ver373

374

375 376

Galmy der Ritter / vor scham vnd freüden / ein eynigs wort nit reden mocht / ein semlichs die Hertzoe o gin wol verston kundt / wol marckt der Ritter ein scheühens ab jren Junckfrauwen hatt / zuhandt die r beyden junckfrawen / mit sampt deß Ritters knaben / jn ir gemach schicken thet (C2 ). Nadine van Holt und Norbert Groeben: Das Konzept des Foregrounding in der modernen Textverarbeitungspsychologie. In: Journal für Psychologie 13, 2005, S. 311–332, dort S. 324. Ebd. Vgl. van Holt (2005), S. 325.

184

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 110: Illustration RG5 (RG60)

bal nicht fokussierte Hofdamen der Herzogin als beteiligte implizite Beobachterinnen in Frage kommen. Die einzige Illustration, die mit einem etwas stärkeren diesbezüglichen Wirkungspotenzial einhergeht, entstammt dem Goldfaden und ist in folgenden narrativen Kontext eingebettet: Leufried und Walter besuchen Angliana in ihrem Gemach, wo sich ein Schachbrett auf dem Tisch befindet: Eines tags begab es sich das Leuwfrid mit seinem gesellen Waltern in der Junckfrawen gemach vnd zimmer kommen was / Angliana kurtz daruor mit jhren Junckfrawen im Schochzabel gezogen hat / das brett sampt den steinen auff dem tisch hatt stohn lassen (N2v). Als Angliana Walters Begeisterung für Schach bemerkt, o fordert sie ihn zu einer Partie auf. Walter gibt sich als unerfahrener schuler des spils (N3r) und verliert die ersten drei Partien absichtlich, um Angliana in Sicherheit zu wiegen. In der vierten Partie setzt der gantz listige[.] Jüngling (N3r) erstmals einen Gewinn aus, den er daraufhin schnell einzufahren versteht. Der Graf betritt zum Erschrecken Leufrieds und Walters den Raum: Jn disen dingen kompt der Graff in seiner tochter gemach / findet die beiden Jüngling darin / vnd Walthern des Kauffmans Son / Lewfridens geschwornen o bruder / mit Angliana seiner Tochter im Schoch ziehend. Die Jünglinge beyde erschracken auß der massen seer (N3r–N3v). Doch wider Erwarten zeigt sich der Graf erfreut und entschließt sich, in die nächste Partie an der Seite seiner Tochter einzusteigen377.

377

e

Liebe Tochter sagt der Graff / wolst dich diß spils verzigen haben / vnd ein newes anfahen / als dann o will ich dir mit meinem raht zu steur kommen / vnd in gwinn vnnd verlust mit dir ston (N3v).

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

185

Abb. 111: Illustration G31 (KS30)

Illustration G31 zeigt Walter und Angliana beim Schachspiel im Beisein des Grafen. Leufried hingegen, auf dessen Anwesenheit mehrfach verbal hingewiesen wird, ist als Figur nicht realisiert und kommt innerhalb der Bilddarstellung ausschließlich als impliziter Beobachter der Szene in Frage. Allerdings müsste Leufried die Schachpartie stehend verfolgen, da sich der Beobachterpunkt378 der Zentralprojektion oberhalb der Augenhöhe der Figuren befindet, wenn man die Tischplatte als quaderförmig und deren Ausrichtung parallel zur Blickrichtung des impliziten Beobachters annimmt. Während diegetische Handlungsträger als Erzähler einen beträchtlichen Teil des Sprachtexts für sich beanspruchen, spielen beteiligte implizite Beobachter im Bildtext demnach allenfalls eine untergeordnete Rolle. Da die an der diegetischen Handlung beteiligten intradiegetischen homodiegetischen Erzähler der verbalen Erzählebene zu keinem Zeitpunkt als implizite Beobachter der ikonischen Erzählebene in Frage kommen, kann zudem eine diesbezügliche Kopplung ausgeschlossen werden. Jedoch werden bildlich explizierte diegetische Figuren mehrfach als vom impliziten Beobachter betrachtete intradiegetische homodiegetische Beobachter von Figurenhandlungen in Szene gesetzt. Der implizite Beobachter, dessen Blickfeld dem impliziten Rezipienten vor Augen geführt wird, kann dabei im terminologischen Anschluss an die Systemtheorie als Beobachter zweiter Ordnung verstanden werden, der nicht allein die

378

Der Schnittpunkt aller parallel zur Blickrichtung des Beobachters verlaufender Geraden.

186

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

bildlich fokussierte Figurenhandlung selbst, sondern auch deren diegetische Zuschauerschaft betrachtet 379. Diese kann zum einen als undifferenzierte Menschenmenge erscheinen. So zeigen die dem Ritter Galmy entstammenden Illustrationen RG43 und RG55–RG57 etwa Figurenhandlungen auf dem Richtplatz in Gegenwart einer im Hintergrund dargestellten Zuschauerschaft, welche als nahezu homogene Masse erscheint. Dabei ist es auch möglich, dass einzelne mit individuellen Zügen ausgestattete Figuren aus einer Menschenmenge hervorstechen und dabei einer konkreten Figur der verbalen Darstellung zugeordnet werden können. Dass ist beispielsweise in den Turnierszenerien der Illustrationen RG20 und RG22 (Abb. 83) der Fall, wo die Herzogin als im Publikum befindliche Beobachterin der Kämpfe Galmys ausgemacht werden kann. Darauf wurde in 3.1.3 bereits ausführlich hingewiesen. Zum anderen erscheinen auch einzelne mit individuellen Merkmalen ausgestattete Figuren im Blickfeld des impliziten Beobachters als intradiegetische homodiegetische Beobachter erster Ordnung. So zeigt im „Goldfaden“ beispielsweise Illustration G24 im Mittelgrund drei Beobachter der Begrüßungsgebärde des Löwen Lotzmann gegenüber Leufried, die im Vordergrund erscheint – Lotzmann reicht dem Jüngling die Pfote. Dabei weist die linke der drei Figuren im Mittelgrund mit ihrer rechten Hand auf die erstaunliche Begebenheit hin. Die rechte Figur deutet durch einen Redegestus ein Gespräch der drei verbildlichten Beobachter an.

Abb. 112: Illustration G24

379

Zum Begriff des ,Beobachter zweiter Ordnung‘ innerhalb der Systemtheorie vgl. Niklas Luhmann: Einführung in die Systemtheorie. Hrsg. von Dirk Baecker, Heidelberg 2002, S. 155–166.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

187

Gemäß der Spracherzählung handelt es sich bei den bildlich gezeigten diegetischen Beobachtern um Walter, dessen Knecht und einen lantzman / welcher auß seiner statt o o bürtig / und vor langen jaren mit Waltern vnnd Lewfriden zu schulen gangen was (K2r–K2v). Da der ehemalige Schulkamerad inzwischen ein Diener des portugiesischen Königs ist, führt er die anderen durch den königlichen Palast und schließlich auch durch einen Thiergarten (K2v) innerhalb der Palastanlagen, wo die Gruppe auf einen zahmen Löwen trifft. Als Leufried erfährt, dass dieser derselbe sei, nach welchem er seinen Namen erhalten hatte, möchte er herausfinden, ob der Löwe ihn erkennt. Dabei kommt o es zu dem verbildlichten Ereignis der Begrüßungsgeste: Lotzman du mein lieber bruder / wann es múglich wer / das du mich so wol erkantest / als du meinen vatter erkant hast / Du wirdest mir deinen Tatzen geben / diß geredt / bodt er dem Lewen sein rechte hand dar / der o gieng gar fridlich zu jm vnd gab jm ein Tatzen / des verwunderten sich die andren (K3r). Der verbale Hinweis auf die Verwunderung der Beobachter rückt die Begrüßungsszene in den Fokus der Aufmerksamkeit des impliziten Rezipienten, indem er sie als außergewöhnlich markiert. Gleichsam geht von der bildlichen Darstellung der diegetischen Beobachter eine fokussierende Wirkung aus. So lenkt zum einen der Zeigegestus des linken Beobachters den Blick des impliziten Rezipienten auf Leufried und Lotzmann. Zum anderen zeigt der Redegestus des rechten Beobachters an, dass der Gegenstand der Beobachtung Gesprächsstoff liefert. Darüber hinaus transportiert der Gesichtsausdruck der beiden linken Beobachter mit den hochgezogenen Augenbrauen bildlich deren auch sprachlich wiedergegebene Verwunderung und regt auf diese Weise den impliziten Rezipienten dazu an, den Eindruck zu teilen. Die Historizität derartiger Bildwirkungen geht auch an dieser Stelle aus Leon Battista Albertis Traktat „De Pictura“ hervor: Tum placet in historia adesse quempiam qui earum quae gerantur rerum spectatores admoneat, aut manu ad visendum advocet, […] aut periculum remve aliquam illic admirandam demonstret, aut u tuna adrideas aut ut simul deplores suis te gestibus invitet. [Ferner empfiehlt es sich, dass in einem Vorgang eine Person anwesend ist, welche die Betrachter auf die Dinge hinweist, die sich da abspielen: sei es, dass sie mit der Hand zum genauen Hinschauen auffordert, […] oder dass sie an dem fraglichen Ort eine Gefahr anzeigt oder irgend etwas Wunderbares, oder dass sie einen mit ihrem eigenen Verhalten dazu einlädt, mitzulachen oder mitzuweinen380.]

Eine auf diese Weise den Gegenstand ihrer Beobachtung fokussierende Wirkung wird in Wickrams Romanen vielfach von intradiegetischen homodiegetischen Beobachtern erster Ordnung ausgelöst. So lenken diese häufig allein durch ihre Blickrichtung den Blick und damit die Aufmerksamkeit des impliziten Rezipienten einer Illustration. Besonders deutlich tritt dieser Effekt innerhalb der Illustration RG33 (Abb. 82) zutage, welche ich bereits in 3.1.3. thematisiert habe. Dort geht von der Figur Friedrichs, die vom linken Bildrand aus auf die im Zentrum der Illustration abgebildete Umarmung Galmys und der Herzogin blickt, eine den intimen Gestus fokussierende Wirkung aus.

380

Alberti (2000), S. 270–273.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

3.1.9 Unbeteiligte implizite Beobachter Im Unterschied zu den extradiegetischen heterodiegetischen Erzählern und ihren Adressaten der Spracherzählung treten die unbeteiligten Beobachter der Bilderzählung innerhalb der vier untersuchten frühneuzeitlichen Romane zu keinem Zeitpunkt explizit zutage. Sie bilden demnach reine Implikationen der in den Sprachtext montierten Bilddarstellungen. Dabei sind sie als intradiegetisch und homodiegetisch anzusehen, wenn ihre Beobachtung als visuell angenommen werden kann. Dies ist zumeist der Fall, da ihre zentralperspektivisch wiedergegebenen Beobachtungen überwiegend realistisch wirken, auch wenn zahlreiche Bilddarstellungen kleinere perspektivische Fehler enthalten. Im Unterschied zur späteren Narration der extradiegetischen Erzähler kann der Vorgang ihrer visuellen Beobachtung als gleichzeitig zum diegetischen Geschehen angesehen werden. Die Wiedergabe der visuellen Beobachtung erfolgt jedoch nicht vollständig, sondern wird durch einen rechteckigen Rahmen begrenzt. Zahlreiche angeschnittene Bildelemente – darunter auch oftmals Figuren – stellen in besonderem Maße den durch den Rahmen vollzogenen Selektionsprozess der Wahl des Bildausschnitts aus, der auf den Illustrator zurückgeht. Dem impliziten Rezipient wird dadurch suggeriert, dass das Bildgeschehen einerseits über die Grenzen des Rahmens hinausgeht – auf materieller Ebene werden Verbal- und Bildtext überblendet – und andererseits jedoch dessen Darstellung auf genau den vorliegenden Bildausschnitt reduziert wird. So beispielsweise im „Goldfaden“: Als ein Freiherr, welcher ehemals vergeblich um Angliana geworben hatte, von deren Heiratsplänen mit dem standesniedrigeren Leufried erfährt, lässt dieser kurzerhand den Grafen überfallen und gefangen nehmen, wodurch

Abb. 113: Illustration G60

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

189

sich der gerade zum Ritter geschlagene Leufried als solcher beweisen kann381. Illustration G60 zeigt, wie der gerüstete Leufried zu Pferd mit erhobenem Schwert die im Dienst des gekränkten Freiherrn stehenden Peiniger des gefesselten Grafen – dieser ist im Mittelgrund dargestellt – verfolgen. Von den ebenfalls berittenen Dienern des Freiherrn, denen Leufried hinterherjagt, werden dabei lediglich die Hinterläufe zweier Pferde und ein kleiner Teil der Rüstung des vorderen Reiters dargestellt. Der Rest liegt außerhalb der durch den Rahmen gezogenen Begrenzung der verbildlichten visuellen Beobachtung. Die Auswahl des Bildausschnitts fokussiert demnach die Bilderzählung gänzlich auf Leufried als ritterlichen Befreier seines zukünftigen Schwiegervaters und stellt in diesem Zusammenhang aus, dass das individuelle Erscheinungsbild der Diener des Grafen dafür keinerlei Rolle spielt. Die in den Bilddarstellungen enthaltenen Spuren der selektiven Maßnahme verweisen zudem, der verbalen Auslassung vergleichbar, auf die Existenz der Geschichte außerhalb der Darstellungsebene – die Annahme der Ebene der Geschichte bildet dabei die Voraussetzung für einen selektiven Akt. Dennoch kann auch an dieser Stelle von einem der Fiktionalität des Geschehens entgegenwirkenden Realitätseffekt nicht die Rede sein, da der fiktionale Status der Geschichte wiederum nicht berührt wird. So gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die wickramschen Bilddarstellungen das Geschehen im Unterschied zur verbalen Darstellung, wo diegetische Handlungen oder Geschehnisse zu keinem Zeitpunkt als faktual behauptet werden, beglaubigen. Demnach gewähren die Bilddarstellungen keinen mit einem Fotobeweis vergleichbaren „Ausblick auf die Handlung, wie sie sich (wirklich) ereignete“382, wie von Haferland in Erwägung gezogen, sondern thematisieren das diegetische Geschehen lediglich in einem anderen Medium – dem Bildmedium der Druckgrafik. Dass es auch in der Bilderzählung zu erheblichen selektiven Eingriffen der Darstellungsebene gegenüber der Geschichte kommen muss, steht dabei außer Frage und kann zudem produktiv genutzt werden. So wird der durch die Begrenzung des Rahmens vollzogene Selektionsschritt gezielt zur Fokussierung besonders relevanter Informationen – im Fall von Illustration G60: Leufried beweist sich als Ritter, indem er den Grafen befreit und dessen Peiniger verfolgt – eingesetzt und in diesem Zusammenhang zudem als selektive Maßnahme ausgestellt. Während die große Mehrzahl der wickramschen Bilddarstellungen unabhängig von der jeweiligen zugrunde liegenden Fokalisierung auf visuellen Wahrnehmungen basiert, welche, wie bereits erwähnt, weitgehend realistisch wiedergeben werden, finden sich im „Goldfaden“ einige diesbezügliche Ausnahmen. In diesen Fällen treten Resultate uneigentlichen Sehens an die Stelle eigentlichen Sehens383. Beim ersteren handelt es sich

381 382 383

Vgl. Goldfaden (1557), Aa4v–Bb2v. Haferland (2007), S. 366. Die Begriffe des eigentlichen und uneigentlichen Sehens sollen als Äquivalent im Bereich des Bildtextes zu den Begriffen des eigentlichen und uneigentlichen Sprechens im Bereich des Sprachtextes verstanden werden.

190

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 114: Illustration G32

nicht um visuelle, sondern um sinnbildliche Wahrnehmung. Dabei weist Illustration G32, welche die Enttarnung des Liebesverhältnisses von Angliana und Leufried durch eine Närrin thematisiert, im „Goldfaden“ den größten Anteil sinnbildlichen Sehens auf. Die Figur der Närrin wird dabei folgendermaßen von der Spracherzählung eingee führt: DJe Junckfrauw Angliana hatt inn jhrem zimmer ein gar kurtzweilige fatzmannin vnnd geborne Nerrin / mit deren sie jr offtmals vil freud vnd kurtzweil nam / sie verbarg auch gar nichts vor jhren / dann sie kein args noch übels gegen jhr gedacht (N4r). Da Angliana ihrer Närrin scheinbar vollstes Vertrauen entgegenbringt, stört sie sich nicht an deren Anwesenheit bei der Übergabe eines Liebeszeichens an Leufried: Dann es begab e e sich auff ein zeit / das Angliana jrem liebsten Jüngling ein seer schonen vnd kostlichen ring von ihrer hand schanckt / in beywesen jrer Nerrin / nit gedacht noch sorget / das jr heimligkeyt vnnd liebe an tag kommen / vnd offenbar werden solt (N4v). Beim Festmahl anlässlich der Hochzeit einer Hofdame Anglianas kommt es jedoch zum Eklat: o

o

Als man nun zu tisch saß / Lewfrid sampt andren deß Grauen diener zu tisch dienet / Seiner o liebsten Junckfrawen gar fleißig auff den dienst wartet / Die nerrin auch von einem tisch zum andren ging / als sie nun Lewfriden ersehen hat seiner liebsten Junckfrawen ein guldin becher fúre o setzen / fahet sie an zu lachen / vnd sagt / wann ist es die zeit / das jr zwei ein solichs frolichs wesen machen / nun hast du doch den Ring schon empfangen / Diser wort namen die Junckfrawen gemeingklich war / Angliana vnd Lewfrid gantz schamrot wurden (N4v).

Die den verbalen Darstellungen des Kapitels vorausgehende Illustration G32 jedoch zeigt Angliana und Leufried im Garten, in Anwesenheit des Bracken, der Närrin und mehrerer Hofdamen. Dabei überreicht Angliana ihrem Leufried einen überdimensional großen Ring, worauf die Närrin durch einen Zeigegestus hindeutet.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

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Weder die Konstellation der Figuren noch deren räumliche Umgebung sowie die Größe des Rings bilden im Kontext der verbalen Schilderungen das Resultat einer auf eigentliches Sehen zurückführbaren visuellen Wahrnehmung eines impliziten, das diegetische Geschehen verfolgenden Beobachters. So verweist die überdimensionale Größe des Rings nicht auf seine physische Beschaffenheit sondern gemäß der vormodernen Bedeutungsperspektive auf seinen hohen Stellenwert als verräterisches Liebeszeichen. Dieser wird zudem durch die Anwesenheit der Allegorie der Treue in Form des sich nahezu direkt unterhalb des Rings aufhaltenden Bracken gesteigert. Der als räumliche Umgebung durch einen Baum und eine Blume am linken Bildrand angedeutete Garten erscheint als locus amoenus, in welchen die übrigen abgebildeten Figuren eindringen, wobei die Närrin die Übergabe des Liebeszeichens nicht nur selbst still beobachtet, sondern zudem sowohl den impliziten Beobachter als auch die Hofdamen durch ihren Zeigegestus darauf aufmerksam macht. Der Zeigegestus gegenüber den Hofdamen versinnbildlicht dabei auf bildlicher Ebene das verbal geschilderte Ausplaudern des Liebesverhältnisses durch die Närrin beim Hochzeitsmahl. Darüber hinaus drückt das Eindringen der Närrin und der Hofdamen in den locus amoenus auf der ikonischen Erzählebene deren auf der verbalen Erzählebene dargestelltes Mitwissen um Anglianas und Leufrieds Liebesverhältnis aus. Neben zahlreichen weiteren Verbildlichungen des Bracken als Allegorie der Treue 384 können auch mehrere Darstellungen des Löwen Lotzmann innerhalb von Szenen, an denen dieser gemäß der Spracherzählung nicht beteiligt ist, als Elemente uneigentlichen Sehens aufgefasst werden – so die durch Illustration G3 bildlich vermittelte Anwesenheit Lotzmanns bei Leufrieds Taufe: Als Leufried zur Taufe das elterliche Haus verlassen soll, beginnt der dort verweilende Löwe zwar mit grausamer stimm gantz erschrockenlich o e e […] zu prüllen / gleich als wann man jn seiner eignen Jungen wolffen hett berauben wollen r (B1 ), wodurch die besondere Nahbeziehung des Löwen zu dem Jungen zum Ausdruck gebracht wird, nicht aber folgt der Löwe gemäß der verbalen Wiedergabe der Handlung Leufrieds leiblichen Eltern und zukünftigen Zieheltern in die Kirche. Dort jedoch wird der Junge nach dem friedlichen Gemüt des wundersamen Begleiters seiner Eltern auf den Namen Leufried getauft: Dieweil der Lew so fridsam vnd freundtlich jetz langzeit bei e vilgemeltem Hirten gewont / wollend sie das kind Leüfrid mit seinem Namen nennen / das dann also geschehen ist (B1r). Die bildlich vermittelte Anwesenheit des Löwen in der Kirche am Taufbecken mit gezieltem Blick auf den Täufling muss demnach nicht als von der Spracherzählung ausgelassenes Detail der Geschichte angesehen, sondern kann als Verbildlichung der Präsenz des Löwen im Taufnamen verstanden werden.

384

Der Hund als allegorisches Bildelement in den aus insgesamt drei Druckhälften gebildeten Illustrationen G10, G11 und G19 wurde bereits in 3.1.3. thematisiert. Darüber hinaus kann auch die Anwesenheit des Bracken in den Illustrationen G12, G29, G30 und G44 allegorisch aufgefasst werden.

192

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 115: Illustration G3

Des weiteren widerspricht die Anwesenheit Lotzmanns auf Leufrieds Reise von Salamanca nach Lißbona nach dem vereitelten Mordanschlag sowie seiner heimlichen Rückkehr nach Merida der verbalen Darstellung der Handlung, da Leufried und Walter den Löwen gemäß der Spracherzählung zuvor ihren Eltern in Salamanca vertrauensvoll o überlassen: Lewfrid vnd sein liebster bruder Walther am abent jr ordnung haben gemacht / o vrlaub von vatter vnd muter genommen / vnd jnen Lotzman den Lewen trewlich befelhen (S1r). Dennoch wird der Löwe zuerst durch Illustration G42 als Wegbegleiter Leufrieds und Walters nach Lißbona und später durch Illustration G45 als Begleiter Leufrieds bei den Köhlern bildlich in Szene gesetzt. Man könnte geneigt sein, dort Fehler des Illustrators zu vermuten, jedoch lässt eine Auffassung des Löwen als Ausdruck der durch ihn zeichenhaft angekündigten sowie durch seine aktiven Eingriffe als Akteur des Geschehens geförderten Heldenbiografie385 eine attraktivere textimmanente Deutung zu. So zeigt die bildliche Anwesenheit des Löwen zum Zeitpunkt der tiefsten Krise des Protagonisten – Leufried ist gerade dem Mordanschlag des Grafen durch den Jäger entkommen und traut sich lediglich in der Verkleidung als Einsiedler, heimlich den Kontakt zu Angliana wiederherzustellen – die Intaktheit von Leufrieds Prädestination als Aufsteiger an. Gleichsam kann auch die durch Illustration G44 vermittelte bildliche Anwesenheit des Bracken bei Leufrieds Begegnung mit dem Geist des Jägers aufgefasst werden. Diese ereignet sich direkt vor der Begegnung mit den Köhlern. So impliziert die bildliche

385

Vgl. Matthias Meyer: Lotse – Begleiter – Symbol? Zu Rolle und Funktion des Löwen in Georg Wickrams Der Goldtfaden. In: Die Romane von dem Ritter mit dem Löwen. Hrsg. Von Xenja von Ertzdorff, Amsterdam/Atlanta 1994, S. 545–550, 555–559. Siehe des Weiteren S. 216 f.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

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Inszenierung der Treueallegorie das Intaktsein des Treueverhältnisses zwischen den durch den Mordanschlag jäh getrennten Liebenden, während sich der Pracke als tatsächliche Figur der Geschichte zu diesem Zeitpunkt bei Angliana im Schloss befindet. Eine weitere dem Goldfaden entstammende Bilddarstellung, die bereits in 3.1.2 thematisierte Illustration G66 (Abb. 79), weist ein Element auf, das im Kontext der Spracherzählung nicht als Resultat eigentlichen Sehens aufgefasst werden kann. So reitet der von einem gewaltigen Hirsch verletzte Leufried gemäß der verbalen Darstellung des Geschehens weiter bis zu einem Brunnen, nachdem der Löwe Lotzmann den Hirsch an Ort und Stelle des Jagdunfalls erlegt hat: der ergriff den Hirschen gantz grimo mig in einer seitten vnd riß jm die gar weit auff / Daß jhm sein geweid zur Erden fallen / vnd o eilens todt was / Lewfrid aber von dem grausammen blut / so von jm lieff / gar schwach o o e ward / wider auff zu roß saß / wie er mocht zu einem kulen Brunnen reit / sich ein wenig mit o dem frischen wasser zu erquicken (Cc3v). Leufried verweilt im Folgenden am Brunnen und wird dort zuerst von Hermann und Walther und später von Angliana in äußert schwachem Zustand aufgefunden. Demnach handelt es sich bei dem Hirsch, der sich gemäß der bildlichen Darstellung der Illustration G66 zum Zeitpunkt der Ankunft Anglianas beim verletzten Leufried ebenfalls in direkter räumlicher Nähe befindet, um kein Element eigentlichen Sehens. Die Bilddarstellung bildet keine auf diegetischer Ebene realistische visuelle Wahrnehmung des impliziten Beobachters ab, sondern fokussiert den kausalen Zusammenhang der Handlung. So ist Leufrieds körperlicher Zustand die Folge der Verletzung durch den Hirsch, während der Tod des Hirschs wiederum das Resultat der Rache des ebenfalls verbildlichten Löwen darstellt. Die räumliche Nähe des toten Hirschs kann in diesem Zusammenhang als Ausdruck dieser beiden Kausalverbindungen angesehen werden. Dabei wird die erstgenannte Kausalverbindung zusätzlich von der vorangehenden Kapitelüberschrift herausgestellt: Wie Angliana von dem kauffe man vnd seinem son Walther vernam / das Lewfrid von einem Hirschen todtlich verwundt / o vnd sie von stund an in den Wald zu jhm lieff (Cc4r). Zudem entfaltet die unnatürlich kontrastreich wirkende Beleuchtung der bildlichen Szene ein weiteres mögliches Sinnpotenzial aus dem Bereich uneigentlichen Sehens. So konnotiert die auffällige Helligkeit um den Hirsch, dessen Tod – im Sinne einer „gerechten“ Bestrafung – positiv, während das Dunkel, welches die entsetzte Angliana, den verwundeten Leufried sowie den brüllenden Löwen umgibt, den Charakter der Szene als Schreckensszenario fördert.

3.1.10 Zusammenfassung Ikonische Anachronien treten als kapitelübergreifende und kapitelinterne Phänomene auf. Dabei stehen die seltenen kapitelübergreifenden ikonischen Anachronien verschiedenartig im Zusammenhang mit der textuellen Affektevokation. So können kapitelübergreifende ikonische Analepsen sowohl der Verstärkung literarisch evozierter Affekte als auch dem emotionalen Nachvollzug figürlicher Motivation dienlich sein. Kapitelüber-

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

greifende ikonische Prolepsen hingegen zeigen sich in der Lage, durch die Gegenüberstellung gegensätzlicher figürlicher Affekte eine tragische Wirkung zu evozieren. Währenddessen machen kapitelinterne ikonische Prolepsen den Großteil der Illustrationen innerhalb der vier untersuchten frühneuzeitlichen illustrierten Romane aus. Diese erhöhen zum einen die Achtsamkeit des impliziten Rezipienten nach erstmaliger Bildbetrachtung in seiner fortfahrenden Lektüre der Spracherzählung bezüglich der dargestellten Szene und generieren dabei teilweise zugleich Spannung. Zum anderen regen kapitelintern proleptisch vorangestellte Illustrationen zu einer erneuten Betrachtung an, wenn das der bildhaften Szene entsprechende verbal dargestellte Ereignis im Verlauf der Lektüre erreicht ist. Durch eine zweite Betrachtung wird die Aufmerksamkeit auf das intermedial vermittelte Handlungsmoment zusätzlich intensiviert. Auch stärkt eine zweite Bildbetrachtung die Memorierung der Bilddarstellungen sowie deren mentale Verknüpfung mit dem Romangeschehen. Dadurch erhöht sich zum einen der Stellenwert der verbildlichten Szene in späteren Reflexionen über das diegetische Geschehen, und zum anderen wird die Möglichkeit gefördert, sich über die Illustrationen das vorangegangene Geschehen etwa nach einer längeren Unterbrechung der Lektüre zurück in Erinnerung zu rufen. Äußerst selten sind hingegen kapitelinterne Analepsen. Diese lenken die Aufmerksamkeit des impliziten Rezipienten zurück auf Ereignisse, welche die Spracherzählung bereits in hoher Erzählgeschwindigkeit hinter sich gelassen hat. Wenn dabei ein dynamisches Ereignis verbildlicht wird, hält die kapitelinterne ikonische Analepse dem impliziten Rezipienten zum Teil den Ausgangspunkt der in der nachfolgenden Spracherzählung wiedergegebenen diegetischen Handlung vor Augen und betont in diesem Zusammenhang die kausale Motivation der Ereignisfolge. Weitere Erzählmomente mit Kapitelgrenzen überschreitender anachronischer Wirkung entstehen im Zusammenhang der textinternen Mehrfachverwendung von Holzschnittmaterial, welche zugleich Aspekte der narrativen Frequenz umfasst. Die Holzschnittillustration und ihre textinternen Wiederholungen lassen sich dabei mehrheitlich singulativ sowohl auf im verbalen Kontext ihrer ersten als auch ihrer zweiten – bzw. dritten usw. – Realisierung dargestellte Handlungsmomente beziehen. Gleichzeitig jedoch können sie im analeptischen Rückblick auf vorangegangene Realisierungen desselben Druckstocks repetitiv semantisiert werden. Auf diese Weise werden diegetische Ereignisse oder Ereignisfolgen, welche auf der ikonischen Erzählebene Wiederholungen darstellen, verkettet. In diesem Zusammenhang werden im „Ritter Galmy“ vielfach die Grenzen narrativer Episoden innerhalb des diegetischen Geschehens visuell markiert. Darüber hinaus entstehen mehrfach Überraschungseffekte in Form von Aha-Erlebnissen, wenn sich die verschiedenen Realisierungen eines Druckstocks singulativ auf konträr emotionalisierte Handlungsmomente der Geschichte beziehen lassen. Zumeist jedoch wird die Ähnlichkeit von Ereignissen bzw. Ereignisfolgen hervorgehoben, wodurch Konstanz und Regelhaftigkeit von Handlungsabläufen suggeriert wird. Dieser Effekt wird zusätzlich verstärkt, wenn sich einzelne Illustrationen sogar iterativ auf die Geschichte beziehen.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

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Andere Bilddarstellungen lassen sich lediglich auf ein diegetisches Ereignis beziehen, werden aber dennoch mehrfach realisiert. In diesem Zusammenhang lassen sich einige Illustrationen ausschließlich repetitiv semantisieren. Diese verweisen in der Regel analeptisch auf den Ausgangspunkt einer Entwicklung zurück oder halten der in ihrem verbalen Kontext vermittelten Handlung eine frühere oder spätere thematisch vergleichbare Szene der Geschichte gegenüber. Die auf diese Weise herbeigeführte Konfrontation thematisch ähnlicher Handlungseinheiten kann zu deren Vergleich im Detail anregen. Neben ganzen Druckstöcken werden vorwiegend in „Gabriotto und Reinhart“ und im „Goldfaden“ auch für Kombinationsholzschnitte verwendete Druckstockhälften textintern wiederverwendet. Derartige Bildwiederholungen in „Gabriotto und Reinhart“ beschränken sich auf einen Nachvollzug des dialogischen Erzählprinzips der Spracherzählung, indem sie kapitelinterne Dialogsituationen bildlich hervorheben. Mehr narratives Potenzial entfalten einzelne Wiederholungen von Druckstockhälften im „Goldfaden“. Diese lassen sich sowohl singulativ als auch repetitiv semantisieren und verweisen in diesem Zusammenhang auf komplexe symbolische und allegorische Dimensionen der verbildlichten Handlung. Die von den Illustrationen ausgehenden Wirkungspotenziale stehen darüber hinaus in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zur narrativen Distanz der bildlichen und sprachlichen Darstellung. Dabei geht ein geringer Grad an Mittelbarkeit auf der verbalen Erzählebene, der sowohl in direkt wiedergegebenen Dialogpassagen als auch in im szenischen Erzähltempo vermittelten figürlichen Bewegungshandlungen zutage tritt, vielfach mit einer geringen Distanz zwischen implizitem Beobachter und Bildgeschehen auf der ikonischen Erzählebene einher. Erzählpassagen mit geringer Mittelbarkeit auf der ikonischen sowie verbalen Erzählebene vermitteln zumeist kapitelinterne Höhepunkte des diegetischen Geschehens und werden innerhalb der Spracherzählung von Erzählabschnitten mit höherer narrativer Distanz umschlossen, wodurch das verbildlichte weniger mittelbar dargestellte Geschehen fokussiert wirkt. Dabei regt die mit dem szenischen Erzähltempo verbundene geringe narrative Distanz der sprachlichen Wiedergabe von figürlichen Bewegungshandlungen zum mentalen Fortentwickeln der kapitelintern proleptisch vorangestellten Bildrepräsentationen simultan zur Lektüre des Sprachtexts an, solange die sprachlichen Zeichen hinreichend konkret sind, um kognitiv visualisiert werden zu können. Der mit der bildlichen Repräsentation einer diegetischen Szene einhergehende Präsenzeffekt wird somit ausgedehnt. Zum Teil werden derartige auf mentaler Ebene entwickelte Bildsequenzen figürlicher Bewegungsabläufe auch bereits auf der ikonischen Erzählebene impliziert. Eine höhere mit summarischem Erzähltempo einhergehende narrative Distanz auf der verbalen Erzählebene hingegen beschränkt die Wirkung von Bilddarstellungen zumeist auf eine Steigerung der Aufmerksamkeit des impliziten Rezipienten auf das verbildlichte Ereignis. Dabei kann es zudem zu einer Ergänzung der Spracherzählung durch Bilddetails kommen, die über die sprachliche Darstellung hinausgehen – so beispielsweise in der bildlichen Mimik und Gestik der Figuren zutage tretende Affekte, welche in

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

der Spracherzählung nicht thematisiert werden. Zudem treten Illustrationen im „Goldfaden“ als Verstärker verbaler Mittelbarkeit auf, indem im Kontext hoher narrativer Distanz der Spracherzählung auch die Distanz zwischen implizitem Beobachter und den verbildlichten Figuren in besonderem Maße hoch gehalten wird. Im Bereich der narrativen Perspektive steht dem dauerhaften Wechsel zwischen Nullfokalisierung und interner Fokalisierung in der Spracherzählung eine externe, partiell intern erweiterte Fokalisierung der Bilderzählung gegenüber. Dabei scheint die Wahrnehmung der den Bilddarstellungen innewohnenden impliziten Beobachter zudem eng an die Wahrnehmung einzelner diegetischer Hauptfiguren gebunden zu sein. So erscheinen diegetische Hauptfiguren zum einen als Fokaliseure nichtfigürlichen Geschehens und dominieren zum anderen, meist in Interaktion mit weiteren Figuren gezeigt, den Fokus der bildlichen Darstellungen. Dabei wird die bildliche Fokussierung der diegetischen Figuren gegenüber ihrer räumlichen Umgebung im Vergleich der beiden früheren mit den beiden späteren Romanen herabgesetzt. Diese Entwicklung kann mit der gleichzeitigen Abnahme verbaler Textpassagen mit interner Fokalisierung in Verbindung gebracht werden. Darüber hinaus geht die Bilddarstellung mit der schwächsten Fokussierung diegetischer Figuren aller wickramschen Illustrationen insgesamt mit einer Leerstelle der verbalen Darstellung bezüglich des verbildlichten Ereignisses einher. Auf dem Gebiet der Stimme ergeben sich hingegen signifikante Differenzen zwischen verbaler und ikonischer Erzählebene. Durch direkte Redewiedergabe werden auf der verbalen Erzählebene sowohl Haupt- als auch Nebenfiguren der Geschichte zu intradiegetischen homodiegetischen Erzählern, wobei direkt wiedergegebene Reden von Nebenfiguren in der Regel Hauptfiguren zum Sprechen bringen. Die direkte Redewiedergabe erfolgt dabei großteils in Dialogen sowie vereinzelt in gesprochenen Monologen und vorgetragenen Liedern. Auch werden in Briefen schriftlich fixierte Reden diegetischer Figuren vielfach wörtlich wiedergegeben. Die einzelnen Briefe und Lieder ziehen dabei zum einen Rückschlüsse auf die rhetorischen Qualitäten ihrer fiktiven diegetischen Verfasser sowie das Maß ihrer Vertrautheit mit den jeweiligen Textsorten nach sich. Zum anderen werden Briefe und Lieder zugleich auf der ikonischen Erzählebene dargestellt. Dabei werden diegetische Figuren unter anderem beim Briefeschreiben verbildlicht, wodurch der implizite Rezipient dazu angeregt wird, die Briefe als im Entstehungsprozess begriffen gewissermaßen durch die Augen ihrer Verfasser zu rezipieren. Auch stellt die Bilderzählung im „Goldfaden“ ein in der Spracherzählung wörtlich enthaltenes Lied Leufrieds in Form eines vom Sänger in der Hand gehaltenen Notizzettels dar und überblendet dabei den impliziten Rezipienten mit dem diegetischen Sänger, indem beide den Liedtext vor Augen haben. Im „Knabenspiegel“ geht zudem von einer den Gesangsvortrag Willbalds verbildlichenden Illustration im Zusammenspiel mit der Wiedergabe seines Lieds in autonomer direkter Rede ein enormer Präsenzeffekt aus. Über die verschriftlichten und gesprochenen Reden hinaus werden auch Gedanken diegetischer Handlungsträger direkt wiedergegeben. Diese erscheinen im Unterschied

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zur Ebene der gesprochenen und schriftlich fixierten Redeformen, auf der sich die diegetischen Figuren zum Teil verstellen, als authentische Wahrnehmungszeugnisse der diegetischen Welt. Die direkte Gedankenwiedergabe erfolgt dabei mehrfach in umfangreichen inneren Monologen, die den rationalen gedanklichen Prozess diegetischer Figuren nachzeichnen, wobei mehrfach antithetische Mittel zum Einsatz gebracht werden. Eine kürzere Variante der direkten Gedankenrede wird darüber hinaus im Zusammenhang mit der Darstellung sich in der gesprochenen Rede verstellender Figuren verwendet. Dabei werden deren Täuschungsabsichten offengelegt. Wenn innerhalb der verbalen Erzählebene nicht diegetische Handlungsträger im Rahmen einer eingeschobenen, in der Regel gleichzeitigen Narration sprechen, haben extradiegetische heterodiegetische Erzähler im Zusammenhang einer späteren Narration das Wort. Diese treten selbst in unterschiedlichen Formen von Erzählerpassagen explizit zutage, vielfach in Verbindung mit gleichzeitigem expliziten Hervortreten extradiegetischer Adressaten. Am häufigsten sind strukturierende Erzählerpassagen. In Vorverweisen präsentieren sich die extradiegetischen Erzähler dabei als Lenker sowohl des diegetischen Geschehens als auch der Vorstellung der Adressaten des fingierten mündlichen Vortrags. Auch demonstrieren sie ihren Überblick über die Geschichte und lassen dabei die Spannung von einem ,Ob überhaupt‘ eines potenziellen Ereignisses auf das ,Wie‘ übergehen. In Überleitungsformeln und Rückverweisen wird währenddessen an frühere Erzählabschnitte angeknüpft. Darüber hinaus treten die extradiegetischen Erzähler im Zusammenhang von Raffungen und Auslassungen zutage. Dabei geben sie ihre Darstellungshoheit partiell an ihre Adressaten ab, indem sie zur freien Ausgestaltung der Leerstelle auffordern. Auf diese Weise wird die partielle Offenheit des diegetischen Geschehens ausgestellt. Seltener sind erläuternde, veranschaulichende und didaktische Erzählerpassagen. Dabei werden in erläuternden Erzählerpassagen in der Regel entweder in indirekten Fragen mögliche Publikumsfragen aufgegriffen, rhetorische Fragen gebildet oder das gerade berichtete Geschehen wird direkt kommentiert. In diesem Zusammenhang plausibilisieren die heterodiegetischen extradiegetischen Erzähler das von ihnen dargebotene diegetische Geschehen, das sie darüber hinaus durch Vergleiche, Hyperbeln und Unsagbarkeitsformeln veranschaulichen. Sentenzen, Exempel, normative Vergleiche und an das Publikum gerichtete Ratschläge bilden währenddessen Erzählerpassagen mit didaktischer Wirkung. Während die meisten Erzählerpassagen Spuren eines extradiegetischen mündlichen Vortrags vor einem Publikum enthalten, kann der extradiegetische Erzähler im Rahmen von Auslassungen und Unsagbarkeitsformeln kurzzeitig in die Rolle eines schreibenden Autor-Subjekts schlüpfen. Auch enthalten einige Erzählerpassagen Spuren eines lesenden Adressaten, der ein Rollenangebot für den impliziten Rezipienten bildet. Der Person eines mündlichen extradiegetischen Erzählers, dem ein Publikum zugeordnet wird, steht somit ein schriftlicher extradiegetischer Erzähler, der mit einem Leser kommuniziert,

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

gegenüber. Die abrupten kurzzeitigen Auftritte des schriftlichen extradiegetischen Erzählers gehen dabei vermutlich mitunter auf das Bestreben zurück, sowohl die zeittypische Erzählsituation des mündlichen Vortrags zu imaginieren als auch die Texte auf die Rezeptionssituation der stillen Lektüre auszurichten. Zudem verfügen die extradiegetischen Erzähler im „Ritter Galmy“ und in „Gabriotto und Reinhart“ über weitere Besonderheiten. Zum einen versuchen sie dem Anschein nach ihren extradiegetischen Ort stellenweise zu verlassen, um sich kurzzeitig in die Geschichte hinein zu begeben. Dabei wenden sie sich in Apostrophen direkt an diegetische Figuren, die insbesondere dann einer Metalepse sehr nahe kommen, wenn eine diegetische Figur dazu aufgefordert wird, dem Erzähler Rede und Antwort zu stehen. Zum anderen scheint sich der extradiegetische Erzähler im „Ritter Galmy“ gegenüber seinem Publikum zu verstellen, indem seine Darstellung des Liebesverhältnisses zwischen Galmy und der Herzogin sowohl aufgrund einseitiger Selektion verzerrt als auch im Zusammenhang beschwichtigender Erzählerpassagen unglaubwürdig erscheint. So erhöht er einerseits mehrfach die narrative Geschwindigkeit bis hin zur Erzeugung von Leerstellen im Zusammenhang besonders intimer Momente zwischen den Liebenden und versucht andererseits das außereheliche Liebesverhältnis von Galmy und der Herzogin gegenüber seinem Publikum als einer Geschwisterliebe vergleichbar herunterzuspielen. Hingegen verorten mitunter die Liebenden als intradiegetische homodiegetische Erzähler selbst ihre Gefühle unzweifelhaft im Bereich der erotischen Liebe. Auch trägt die Bilderzählung zur Offenlegung der Verzerrtheit der Darstellungsweise des extradiegetischen Erzählers bei. Dessen damit einhergehende Unzuverlässigkeit macht dabei die Annahme eines impliziten Autors notwendig, auf den die Sinnhaftigkeit des textuellen Gesamtgebildes projiziert werden kann. Im Bereich der Bilderzählung kommen im Kontrast zu den zahlreichen an der diegetischen Handlung beteiligten intradiegetischen homodiegetischen Erzählern der Spracherzählung lediglich vereinzelt diegetische Handlungsträger als implizite Beobachter in Frage. In den wenigen Fällen handelt es sich dabei zudem um Nebenfiguren der Geschichte, die weit außerhalb des Fokus’ der Spracherzählung stehen und aus diesem Grund vom impliziten Rezipienten lediglich sehr schwach wahrgenommen werden. Vom impliziten Beobachter als einem unbeteiligten intradiegetischen homodiegetischen Beobachter zweiter Ordnung werden hingegen mehrfach diegetische Handlungsträger als intradiegetische homodiegetische Beobachter erster Ordnung beobachtet. Bei den Beobachtern erster Ordnung kann es sich sowohl um undifferenziert verbildlichte Menschenmengen als auch um spezifische Haupt- oder Nebenfiguren der Geschichte handeln, die entweder aus einer Menschenmenge hervorstechen oder einzeln dargestellt werden. Dabei geht von den Beobachtern erster Ordnung zumeist eine fokussierende Wirkung aus, indem diese durch ihre Blickrichtung und zuweilen auch durch einen Zeigegestus den impliziten Rezipienten als Bildbetrachter auf das im Fokus der bildlichen Darstellung stehende Geschehen aufmerksam machen.

3.1 Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens

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Die unbeteiligten impliziten Beobachter, die im Bereich der Bilderzählung den Regelfall bilden, nehmen in den untersuchten Romanen von wenigen Ausnahmen abgesehen visuell wahr und können daher ebenfalls als intradiegetisch und homodiegetisch angesehen werden. Ihre Wahrnehmung wird trotz kleinerer Mängel in der zentralperspektivischen Darstellung weitgehend realistisch wiedergegeben. Dabei wird die Darstellung ihres Blickfelds durch die Rahmung der Illustration selektiv begrenzt. Zahlreiche angeschnittene Bildelemente, darunter vielfach auch Figuren, stellen in besonderem Maße den durch den Rahmen vollzogenen Selektionsprozess der Wahl des Bildausschnitts aus, der auf die Instanz des Illustrators zurückgeht. Dem impliziten Rezipient wird dadurch suggeriert, dass das Bildgeschehen einerseits über die Grenzen des Rahmens hinausgeht und andererseits dessen Darstellung auf genau den vorliegenden Bildausschnitt reduziert wird. Der durch die Begrenzung des Rahmens vollzogene Selektionsschritt kann dabei gezielt zur Fokussierung besonders relevanter Informationen innerhalb der Bilderzählung eingesetzt werden. Darüber hinaus verweisen die in den Bilddarstellungen enthaltenen Spuren der selektiven Maßnahme, den Auslassungsformeln auf der verbalen Erzählebene vergleichbar, auf die Existenz der Geschichte außerhalb der Darstellungsebene. Im „Goldfaden“ enthält die Bilderzählung neben Elementen, die im Rahmen der visuellen Wahrnehmung auf eigentlichem Sehen basieren, auch solche, die auf nicht visuelles uneigentliches Sehen zurückzuführen sind. Diese Bildelemente drücken zeichenhaft visuell nicht wahrnehmbare Elemente der Erzählung aus. Zumeist handelt es sich dabei um einzelne symbolisch oder allegorisch zu deutende Figuren innerhalb von ansonsten realistischen Bilddarstellungen. So steht der verbildlichte Pracke mehrfach zeichenhaft für die Treue der Liebenden und der verbildlichte Löwe für die Heldenbiografie des Protagonisten sowie seine Präsenz im Namen Leufried. Darüber hinaus können Bildelemente uneigentlichen Sehens auch kausale Zusammenhänge der diegetischen Handlung hervorheben, indem die Auslöser einer Ereigniskette bildlich auch später noch präsent gehalten werden. Auch kann die unrealistisch wirkende Beleuchtung einer Bildszene metaphorisch aufgefasst werden. Eine einzige Illustration im „Goldfaden“ kann hingegen nahezu vollständig dem Bereich uneigentlichen Sehens zugeordnet werden. Dort können weder die Konstellation der Figuren, deren räumliche Umgebung noch die Größe von Objekten gemäß den Vorgaben der Geschichte auf der visuellen Wahrnehmung eines impliziten Beobachters des diegetischen Geschehens beruhen. Stattdessen sind sie auf eine vormoderne Bedeutungsperspektive sowie verschiedene Sinnbilder zurückzuführen.

200

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

3.2 Liß mich. Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens Liß mich fordert das Buch den impliziten Rezipienten im Erstdruck des „Knabenspiegels“ zur Lektüre auf und versichert ihm im direkten Anschluss: so magstu dich bewaren / o e Vor Bulschafft / Schlam vnd bosem Spyl (A2v). Im Rahmen eines sich unter anderem durch das präsentische Tempus von der Erzählung selbst abhebenden Paratexts wird an dieser Stelle zwischen Widmungsvorrede und erstem Kapitel ganz offensichtlich eine Wirkung erzeugt, die den Text bewerben soll. Das damit verbundene Nützlichkeitsversprechen baut darüber hinaus beim impliziten Rezipienten die Vorerwartung einer didaktischen Wirkung des Romans auf und nimmt auf diese Weise Einfluss auf die Lektüre. Neben diesem bezüglich seines Aussagesubjekts außergewöhnlichen Paratext haben zahlreiche weitere Elemente der äußeren Erzählstruktur der untersuchten Romanerstausgaben an der Gestaltung der Lektüreerfahrung teil. Dabei lenken sie die Aufmerksamkeit des impliziten Rezipienten vielfach auf bestimmte narrative Elemente, bewerben wie im obigen Beispiel den Text oder erzeugen Vorerwartungen. Indem sich die in den Drucken enthaltenen Paratexte häufig sowohl auf sprachliche als auch bildliche Bestandteile der Erzählung beziehen und darüber hinaus auf den Titelblättern selbst Sprachtext und Druckgrafik in Form der Medienkombination verbinden, bilden sie dabei in mehrfacher Hinsicht einen Bestandteil intermedialen Erzählens. Im Folgenden sollen die paratextuellen äußeren Elemente intermedialen Erzählens im Hinblick auf die von ihnen ausgehenden Wirkungspotenziale in den Blick genommen werden. Dabei werden sie in die Bereiche der Kapitelüberschriften, der Titelblatt-Elemente sowie der Vor- und Nachreden unterteilt.

3.2.1 Kapitelüberschriften Die typografisch von den inneren Elementen der Erzählung abgehobenen Kapitelüberschriften der untersuchten wickramschen Romanausgaben haben in der Regel die im Bereich des frühneuzeitlichen Prosaromans weit verbreitete Gestalt deskriptiver Ergänzungssätze, eine Form die Genette bereits im 13. Jahrhundert ausmacht386. Sie werden dabei bis auf wenige Ausnahmen durch das Adverb ,wie‘ eingeleitet, welches auf das Kapitel als „Ort der ausführlichen Darstellung des hier nur Skizzierten hindeutet“387. Im „Ritter Galmy“ und in „Gabriotto und Reinhart“ erfüllt darüber hinaus vereinzelt auch das Pronomen ,was‘ die auf das Kapitel verweisende Funktion388. Während Kapitel-

386 387 388

Vgl. Genette (1987), S. 287. Wieckenberg (1969), S. 14. Vgl. Ritter Galmy (1539), N3r, P1r, Kk4r; Gabriotto und Reinhart (1551), I3r und Cc4v.

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

201

überschriften in Gestalt von deskriptiven Ergänzungssätzen in der Regel im Imperfekt oder Perfekt stehen, heben sich die anderen in den untersuchten Texten vertretenen Formen der Kapitelüberschrift durch ihr präsentisches Tempus vom epischen Präteritum ab und markieren auf diese Weise ihren Bezug zum verbalen Kapiteltext. Dabei werden sie entweder durch das aus dem Bereich der Bildbeischrift389 adaptierte Adverb ,hie‘ eingeleitet 390 oder sie beginnen ohne vorangestelltes Adverb oder Pronomen391. Allen Kapitelüberschriften ist dabei eine Gliederungs- und Ordnungsfunktion gemeinsam, welche zum einen das Wiederauffinden bereits rezipierter Textstellen erleichtert und zum anderen zum Zurückblättern und Rekapitulieren des vorangegangenen Geschehens vor Fortsetzung der Lektüre nach längerer Pause anregen kann392. Diese wird im „Ritter Galmy“ zusätzlich durch Abschnittsbezeichnung – Das Erst Capitel (A2r), Das Ander / Capittel (A4r), Das III. Capittel (B3r), etc. – gefördert. Darüber hinaus greifen alle Kapitelüberschriften, abgesehen von einer Ausnahme393, den Kapiteln inhaltlich vor. Im Unterschied zu den Vorverweisen durch die extradiegetischen Erzähler bleibt dabei das Bezugsfeld der Vorwegnahme in der Regel auf das nachfolgende Kapitel begrenzt394. Dadurch erzeugen sie gleichsam wie verbale Vorverweise und Ankündigungen sowie ikonische Prolepsen eine aufmerksamkeitslenkende Wirkung auf den impliziten Rezipienten. Der Bezug der Kapitelüberschriften auf die kapitelinternen Bilddarstellungen hingegen ist unterschiedlich. So werden die in den Kapitelüberschriften enthaltenen äußeren Handlungen vom impliziten Beobachter der Bilddarstellungen entweder vollständig, teilweise oder gar nicht wahrgenommen. Beim Vergleich des Bezugs der Kapitelüberschriften auf Textillustrationen unter Ausnahme von Bildübernahmen aus anderen Texten und Kombinationsholzschnitten ergibt sich folgende Verteilung: Während noch in rund 29 Prozent der Illustrationen im „Ritter Galmy“395 und sogar rund 44 Prozent in „Gabriotto und Reinhart“396 die äußeren Handlungen der Kapitelüberschrift vollständig verbildlicht werden, sind es im „Knabenspiegel“397 lediglich rund 13 Prozent und im

389 390 391 392 393

394

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Vgl. Wieckenberg (1969), S. 39. Vgl. Gabriotto und Reinhart (1551), C1v, H1r, Z3r; Goldfaden (1557), L4v. Vgl. Gabriotto und Reinhart (1551), O4r, V4v–X1r. Vgl. Wieckenberg (1969), S. 18. Die Kapitelüberschrift zum 40. Kapitel im „Ritter Galmy“, welche inhaltlich in das ihr vorausgehende Kapitel zurück verweist. Vgl. Z3r. Ausnahmen bilden im „Ritter Galmy“ zum einen die Kapitelüberschriften zum 21. und 48. Kapitel, die in Teilen auf das übernächste Kapitel vorausweisen, sowie die Kapitelüberschrift zum 31. Kapitel, die auf ein ansonsten nicht thematisiertes Ereignis der diegetischen Handlung verweist. Vgl. N3r, T4v, Ee2v. 17 von 57: RG5, RG11, RG16, RG18, RG23, RG28, RG30, RG33, RG37, RG38, RG40, RG41, RG42, RG43, RG44, RG47, RG48. 4 von 9: GR5, GR10, GR28, GR37. 1 von 8: KS20.

202

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

„Goldfaden“398 rund 17 Prozent. Kapitelüberschriften und Illustrationen weisen demnach in den beiden späteren Romanen eine noch größere Unabhängigkeit voneinander auf. Hingegen nimmt der prozentuale Anteil der teilweisen Verbildlichungen zu. So steigt dieser von rund 40 Prozent im „Ritter Galmy“399 und rund 44 Prozent in „Gabriotto und Reinhart“400 auf rund 63 Prozent im „Knabenspiegel“401 und rund 57 Prozent im „Goldfaden“402. Dieser Umstand erklärt sich aus der Zunahme des Summarischen im Bereich der Kapitelüberschrift. So werden die Kapitelüberschriften in den beiden späteren Romanen relativ betrachtet länger und verweisen fast immer auf mehrere Ereignisse. Die Häufigkeit der Bilddarstellungen, welche in keinem direkten inhaltlichen Bezug zur Kapitelüberschrift stehen, bleibt hingegen mit rund 31 Prozent im „Ritter Galmy“ 403, 25 Prozent im „Knabenspiegel“ 404 und rund 26 Prozent im „Goldfaden“ 405 unter Ausnahme von „Gabriotto und Reinhart“ mit rund neun Prozent 406 recht konstant. Während vollständige oder teilweise Verbildlichungen der Inhalte von Kapitelüberschriften, welche zudem ikonische Prolepsen bilden, deren aufmerksamkeitslenkende Wirkung verstärken407, können sich Kapitelüberschriften und von diesen gänzlich unabhängige proleptische Illustrationen in ihrer aufmerksamkeitsfokussierenden Wirkung gegenseitig ergänzen. So erweitert beispielsweise die proleptisch dem verbalen Kapiteltext vorangestellte Illustration GR50 aus „Gabriotto und Reinhart“ die direkt oberhalb von ihr realisierte Überschrift des 63. Kapitels – Wie der Künig von seinem hoffgesind vnderricht ward / das des Ritters knecht wider in Engelandt kummen wer / der Künig o o zuhandt gebot / das man jn fúr jn bringen solt / das zuhandt geschah / vnd wie es hernach gieng (Bb4v) – um die Information, dass der Diener in Gegenwart des Königs das Kästchen, in dem er Gabriottos Herz aufbewahrt, öffnet. Ambivalent gestaltet hingegen ist das Aussageobjekt der Kapitelüberschriften. ErnstPeter Wieckenberg geht unter Bezug auf Käte Hamburger davon aus, dass es sich dabei um den Erzähler handelt, da die Kapitelüberschrift als Teil der fingierten Wirklichkeits-

398 399

400 401 402

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404 405 406 407

6 von 35: G12, G30, G41, G44, G45, G65. 23 von 57: RG2, RG3, RG7, RG8, RG9, RG10, RG12, RG13, RG19, RG20, RG21, RG22, RG24, RG29, RG34, RG35, RG36, RG45, RG50, RG53, RG54, RG57, RG58, RG61. 4 von 9: GR9, GR47, GR49, GR51. 5 von 8: KS15, KS18, KS21, KS22, KS29. 20 von 35: G4, G6, G7, G9, G21, G22, G24, G26, G27, G29, G31, G39, G42, G46, G51, G53, G54, G60, G64, G67. 18 von 57: RG4, RG7, RG14, RG15, RG17, RG26, RG27, RG31, RG32, RG39, RG46, RG49, RG51, RG52, RG55, RG59, RG60. 2 von 8: KS23, KS28. 9 von 35: G2, G3, G16, G17, G32, G37, G38, G48, G66. 1 von 9: GR50. Die aufmerksamkeitslenkende Wirkung kapitelinterner ikonischer Prolepsen wurde bereits in 3.1.2 aufgezeigt.

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

203

Abb. 116: Illustration GR50

aussage aufzufassen sei 408. Insbesondere in den frühen Romanen Wickrams wird die Annahme Wieckenbergs und Hamburgers untermauert, indem die extradiegetischen heterodiegetischen Erzähler dort mehrfach in den Kapitelüberschriften hervortreten. Dabei sind Spuren der Erzählsituation des mündlichen Vortrags vor einem Publikum enthalten. So heißt es im „Ritter Galmy“ in der Kapitelüberschrift zum dritten Kapitel: e wie jr hernach horen werdt (B3r). Eine vergleichbare Spur des mündlichen Vortrags eines extradiegetischen Erzählers trifft man in „Gabriotto und Reinhart“ in der Überschrift e zum 43. Kapitel an: wie jr horen werdt (R2v). Neben den mündlichen extradiegetischen Erzählern, welche vor einem Publikum vortragen, treten in den Kapitelüberschriften jedoch auch die schriftlichen extradiegetischen Erzähler, die sich der Schriftlichkeit ihrer Rede bewusst sind, zutage. So endet im „Ritter Galmy“ die Kapitelüberschrift zum zwölften Kapitel mit dem Hinweis wie nachstot (H4r). Die gleiche Formel findet sich in „Gabriotto und Reinhart“ in der Überschrift zum sechsten Kapitel 409. Auch die aus dem Bereich der Bildbeischrift adaptierten Formeln verweisen auf die Schriftlichkeit der Rede: Hie werdt jr vernemmen / wie sich die liebe in Philomena gegen Gabriotto entzündt o hat (Gabriotto und Reinhart, C1v), Hie würt Reinhart von seinem gesellen zu red gestelt (Gabriotto und Reinhart, H1r), Hie würt ein jagen von dem Künig angericht (Gabriotto

408

409

Vgl. Wieckenberg (1969), S. 23 sowie Käte Hamburger: Noch einmal: Vom Erzählen. In: Euphorion 59 (1965), S. 46–71, dort S. 63–68. Vgl. C1v.

204

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

und Reinhart, Z3r), Hie reit der Graff mit seinem Hoffgesind gon Lißbona auff die Hochzeit (Goldfaden, L4v). Im ersteren Beispiel wird dabei zum einen deutlich, dass das Verb ,vernemmen‘ nicht unbedingt eine auditive Wahrnehmung ausdrücken muss und zum anderen, dass auch der schriftliche extradiegetische Erzähler sich an mehrere Rezipienten wenden kann. So kann die in „Gabriotto und Reinhart“ im Bereich der Kapitelüberschriften zugleich auftretende Formel wie jr vernemmen werdt (Bb2r) weder eindeutig dem mündlichen noch dem schriftlichen extradiegetischen Erzähler zugeordnet werden. Wiederum tritt in der Koexistenz des mündlichen und des schriftlichen extradiegetischen Erzählers scheinbar ein Bestreben zutage, sowohl die zeittypische Erzählsituation des mündlichen Vortrags zu imaginieren als auch die Texte auf die stille Rezeption auszurichten. Darüber hinaus verfügen einzelne Kapitelüberschriften über weitere Wirkungspotenziale. So können Formeln wie ,vnd wie es harnach gieng‘ (Galmy, Cc3v), die ohne inhaltlich vorauszudeuten ganz allgemein auf nachfolgende Handlungen verweisen, Spannung erzeugen. Während derartige Formeln im „Ritter Galmy“ recht häufig vorkommen 410, sind sie in den späteren Romanen nur noch vereinzelt anzutreffen 411. Im „Goldfaden“ findet sich dabei eine Variante, welche durch den Verweis auf ein Wunder in besonderem Maße Spannung erzeugt: was wunders sich mit Lotzman dem Lewen begeben hat (L4v). Außerdem ist im „Knabenspiegel“ eine Kapitelüberschrift mit ironischen Elementen enthalten. Diese ironisiert Willbald und Lottarius, indem sie die beiden jungen Männer, welche im nachfolgenden 13. Kapitel ihre Rechnungen nicht mehr begleichen können o und schließlich verarmt die Stadt verlassen müssen, als gute[.] jungen bezeichnet. Darüber hinaus wird der finanzielle Ruin der beiden durch die spöttische Umschreibung o o ,ausgebadet haben‘ ironisiert: Wie die guten jungen zu Antorff außgebadet hand / vnd jhn o gar wol genetzt vnd geschoren ward / vnd in grosser armut von Antorff gezogen seind (F1v). Die Kapitelüberschrift des den „Knabenspiegel“ abschließenden 30. Kapitels hingegen unterstützt die didaktische Wirkung der nachfolgenden Handlung, indem sie Gotto liebs letzte Worte am Sterbebett als gute leren bewertet: Wie der alt Ritter Gottlieb von o diser welt schied / vnd was er seinem Son fúr gute leren vor seinem end geben hab (O1r). Daneben werden in den Kapitelüberschriften der untersuchten Texte auch einzelne negativ besetzte Figuren mit normativen Wertungen versehen. So betiteln Kapitelübere schriften aus dem „Ritter Galmy“ Wernhard als vngutig (I3v) und neidig (K1r) und den Marschall als schandtlich (Y1v, Z4r) und falsch (Dd3r). Darüber hinaus werden in Kapitelüberschriften in „Gabriotto und Reinhart“ der Ritter Orwin als falsch[..] (I1v), im o e „Knabenspiegel“ Lottarius als verruchte[r] junge[.] (B3v) und boß vogel (G3r) und im „Goldfaden“ der Jäger als verwegene[r] Schalck (O2v) bezeichnet.

410 411

Vgl. A2r, A4r, H1v, M2r, Q1v, R4r, Cc3v, Kk4r. Vgl. Gabriotto und Reinhart (1551), Bb4v; Knabenspiegel (1554), L1v; Goldfaden (1557), A4r, L4v.

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

205

3.2.2 Titelblätter Alle Titelblätter der untersuchten Romanerstausgaben tragen erste Informationen über das nachfolgende Werk auf intermediale Weise an potenzielle Rezipienten heran und versuchen dabei, das Produkt in ein möglichst günstiges Licht zu rücken. Dabei verfolgen sie teilweise unterschiedliche Strategien. Das Titelblatt der Erstausgabe vom „Ritter Galmy“ enthält zuoberst den in der bei Wickram gängigen Form des Argumentum-Titels 412 verfassten Untertitel des Werks mit e einem anschließenden Hinweis auf die Illustrationen: EIn schone vnd liebli / che History / o von dem edlen vnd theüren Ritter Galmien / vnd von seiner züchtigen liebe / So er zu einer Herzogin getragen hat / welche er in eines Münches gestalt / von dem feür / vnd schendte o e lichen todt erloßt hat / zu letst zu eim gewaltigen Herzogen in Britanien erwolt / mit e r schonen figuren angezeygt (A1 ). Zuerst ordnet das Titelblatt das nachfolgende Werk demnach der offenen zeitgenössischen Gattungskategorie der ,Historien‘ 413 zu, welche nicht allein literarische Textsorten umfasst, sondern sich auf ein bis ins 18. Jahrhundert gültiges Verständnis der ,historia‘ als Sammelbecken für „alle Erscheinungsformen der menschlichen Erfahrung“ 414 bezieht und in diesem Zusammenhang literarische Fiktionen „an Wahrheits- und Geltungsanspruch von Historiografie und Naturkunden“ 415 teilhaben lässt. Daraufhin wird der Protagonist der Handlung genannt und dabei durch die Attribute edl[..] und theür[..] als Held markiert. Es folgt die Thematisierung des Leitthemas der Handlung, welches weite Teile des Erzählverlaufs bestimmt – seine[.] zücho tige[.] liebe / So er zu einer Herzogin getragen hat. Dabei wird der Herzog als Gatte der Herzogin gezielt ausgeblendet, um jeden Anschein von Anstößigkeit zu vermeiden. Es folgt der Hinweis auf den spektakulären Höhepunkt des Geschehens. Der Verweis darauf, dass Galmy die Herzogin in eines Münchs gestalt / von dem feür / vnd schendte lichen todt erloßt, hebt dabei das Kuriosum des Ereignisses hervor und erzeugt zusätzliche Spannung, indem die Frage implizit angestoßen wird, weshalb der Ritter die Gestalt eines Mönchs annimmt. Zuletzt macht der Untertitel den Protagonist als Aufo steiger kenntlich, der die Schranken des niederen Adels durchbricht, indem er zu eim gewaltigen Herzogen emporsteigt. Demnach steht der Protagonist Galmy gänzlich im

412

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Eine Form des Titels, die das nachfolgende Werk inhaltlich summiert. Zu unterschiedlichen Titelformen im frühneuzeitlichen Roman vgl. Ursula Rautenberg: Reclams Sachlexikon des Buches, Stuttgart 2003, S. 488–493. Diese „ist unabhängig von Vers oder Prosa, Länge des Textes, der Alternative fiktional/nicht fiktional, Realisation (Lied!), selbst vom Medium (Text/Bild).“ Jan-Dirk Müller: Volksbuch/ Prosaroman. Perspektiven der Forschung. In: IASL 1. Sonderheft (Forschungsreferate) 1985, S. 1–128, dort S. 62. Wilhelm Vosskamp: Untersuchungen zur Zeit- und Geschichtsauffassung im 17. Jahrhundert bei Gryphius und Lohenstein, Bonn 1967, S. 25. Müller (1985), S. 70.

206

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Vordergrund der Darstellungen des Untertitels. Der an den unteren Rand des Titelblatts gesetzte Titel des Romans lautet entsprechend: Ritter Galmy vß Schottenland (A1r). Auch die zwischen Untertitel und Titel gesetzte Titelillustration fokussiert den durch sein Mönchsgewand deutlich hervorstechenden Protagonisten als Retter der Herzogin vor dem Feuertod. Dabei verbildlicht die polyszenische Bilddarstellung vier Ereignisse. Links oben im fernen Hintergrund zu beobachten ist die Hinrichtung des Küchenjungen, dessen Bekräftigung seines falschen Geständnisses am Galgen die Herzogin scheinbar als Ehebrecherin überführt. Etwa im linken unteren Viertel der Darstellung wird das Gespräch Galmys in seiner Verkleidung als Mönch mit der Herzogin verbildlicht, in dem ihm die Herzogin ihre Unschuld im Rahmen der Beichte beteuert. Dabei wird die Übergabe des von Galmy erbetenen Rings der Herzogin in seine rechte Hand angedeutet. In der mittleren und rechten oberen Hälfte der Bilddarstellung wird Galmy in den Schranken des Gerichtskampfs in einer überlegenen Pose über dem Marschall gezeigt, der in dieser Situation die Falschheit seiner Anschuldigungen gegen die Herzogin gesteht. Im rechten unteren Viertel der Bilddarstellung schließlich ist zu sehen, wie Galmy den Marschall ins Feuer wirft 416. Indem das gemäß der chronologischen Handlungsabfolge der Geschichte früheste Ereignis am weitesten im Hintergrund und das späteste Ereignis im direkten Vordergrund der bildlichen Komposition gezeigt wird, drückt die Beobachterperspektive die zeitliche Relation der verbildlichten Ereignisse zueinander aus. Zeitliche Distanz wird demnach in räumliche Distanz übertragen. So kann der extradiegetische implizite Beobachter auf einer von links oben nach rechts unten verlaufenden räumlichen Achse gewissermaßen seinen Blick von einer zeitlich und räumlich in weiter Ferne liegenden diegetischen Vergangenheit bis in eine zeitlich und räumlich nahe diegetische Gegenwart schweifen lassen. In Verbindung mit der Information des Untertitels kann der in drei Szenen verbildlichte Mönch als Protagonist des Romans und die gefesselte Dame rechts unten als Herzogin erkannt werden. Auf diese Weise wird bereits an dieser Stelle ohne weitere Kenntnis des Romangeschehens deutlich, dass Galmy die Herzogin durch einen Gerichtskampf erlöst und sein Widersacher den Flammen übergeben wird. Demnach fokussiert das Titelblatt vor allem gewalttätige Szenen mit ausgeprägter äußerer Handlung und evoziert in diesem Zusammenhang traditionelle Muster eines Aventiureromans. Vor

416

Dabei verweist die Bilddarstellung auf die Darstellung der als Vorrede erfolgenden inhaltlichen Zusammenfassung der Romanhandlung. Gemäß den Darstellungen der Spracherzählung selbst jedoch wird der Marschall von Galmy aus der Schranke geschleift und daraufhin dem Henker überantwortet, der ihn schließlich dem Feuer übergibt: Der Münch darauff dem hencker gebot / das o o holtz an zu zünden / den schandtlichen Marschalck bey seinem bart nam / in zu den schrancken hinauß schleyffet. Der Marschalck mit grosser bitt / ganad an den münch begeren thet / aber gantz vmbsunst was. Der hencker den Marschalck nam / in inn seinem harnasch inn das feür werffen thett (Kk1v).

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

207

Abb. 117: Titelillustration im „Ritter Galmy“, RG1

dem Hintergrund der von dieser Tradition gelösten Schwerpunktsetzung des „Ritter Galmy“ auf die Entwicklung figürlicher Innenperspektiven jedoch erscheint der suggerierte Anschluss an die Tradition gewissermaßen als Vorgaukelung falscher Tatsachen417. Während der Fokus des Titelblatts zum „Ritter Galmy“ gänzlich auf die Figur des Protagonisten gerichtet ist, rückt das Titelblatt zu „Gabriotto und Reinhart“ das Augene merk auf den systematischen Aspekt des vermeintlichen Leitthemas: Ein Schone vnd e doch klagliche History / von dem sorglichen anfang vnd erschrocklichen vßgang / der brinnenden liebe / Namlich vier Personen betreffen / zwen Edle Jüngling von Pariß / vnd zwo e schoner junckfrawen vß Engelandt / eine des Künigs schwester / die ander eines Graffen tochter (A1r). Der Argumentum-Titel kategorisiert das nachfolgende Werk wiederum als e e History, im Unterschied zum „Ritter Galmy“ jedoch als eine Schone vnd doch klagliche – nach dem erschrocklichen ußgang bereits der zweite Hinweis auf ein tragisches Ende der Romanhandlung. Die Thematisierung der Protagonisten ohne eine namentliche Nennung als vier Personen stärkt dabei den systematischen Fokus des Titels und lässt die Figuren exemplarisch erscheinen. Ausgehend vom diesem exemplarischen Charakter soll die History nicht nur eine unterhaltsame, sondern auch eine didaktische Wirkung auf o junge ledige Rezipientinnen entfalten: Allen junckfrawen ein gute warnung fast kurtzweilig o zu lesen (A1r).

417

Vgl. Schmidt (2006), S. 154.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Über den Titel hinaus weist das Titelblatt von „Gabriotto und Reinhart“ zwei Titelillustrationen auf, welche im Unterschied zur Titelillustration im „Ritter Galmy“ monoszenisch gehalten sind. Dabei zeigt die erste Titelillustration auf der Vorderseite des Titelblatts unterhalb des Titels die Übergabe eines Rings durch eine junge Edeldame an einen jungen Edelherren. Der Kontext des Titels legt sowohl nahe, dass es sich dabei um zwei der vier besagten Personen handelt, als auch, dass der Ring als Zeichen der brinnenden liebe überreicht wird. Die Illustration kann dabei als Verbildlichung des sorglichen anfang[s] verstanden werden. Die Rückseite des Titelblatts verfügt über eine zweite Titelillustration. Diese zeigt fünf Figuren vor einer gemauerten Wand und zwei Särge, von denen der linke mit der Aufschrift PHILOMENA und der rechte mit der Aufschrift REINHART versehen ist. Die im rechten Vordergrund gezeigte bärtige männliche Figur hat ihren Blick nach oben gerichtet und deutet ihre Ergriffenheit durch das Ablegen der rechten Hand auf der Brust an. Die Figur ist dabei anhand der Krone und des Zepters als König auszumachen. Eine weibliche Figur im Trauerschleier beugt sich über den linken Sarg, während eine männliche Figur hinter ihr einen auf den Sarg gerichteten Zeigeoder Redegestus einnimmt.

Abb. 118 und 119: Titelillustrationen in „Gabriotto und Reinhart“, GR1 und GR2 (GR52)

Indem der Titel zweifach ein tragisches Ende der Geschichte andeutet und eine der englischen Damen als des Künigs schwester bezeichnet, kann auch ohne weitergehende Kenntnis der Romanhandlung vermutet werden, dass es sich bei den Toten um zwei der vier liebenden Protagonisten handelt und die Figur im rechten Vordergrund den englischen König darstellt. Dabei wird nahegelegt, die Toten mit den Namen PHILOMENA und REINHART entsprächen dem von der ersten Titelillustration gezeigten Liebespaar. Sowohl der Titel als auch die Abfolge der beiden Titelillustrationen wirken diesem trüge-

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

209

rischen Verdacht zuträglich, indem sie den erschrocklichen ußgang in Form des Todes als letzte Konsequenz der brinnenden liebe suggerieren. Der Bezug von Liebe und Tod soll dabei abschreckend wirken und der genannten Zielgruppe junger lediger Frauen eine o gute warnung sein. Doch wiederum weckt das Titelblatt Erwartungen, welche die nachfolgende Erzählung nicht erfüllt. So wird die Liebe als von den Figuren selbst nicht steuerbarer Affekt inszeniert: Bei einem vom König verordneten Tanz Philomenas mit Gabriotto werden o beide sofort – frnhd. zu stund 418 – von Gefühlen füreinander übermannt, deren Inteno sität durch einen Unsagbarkeitstopos zum Ausdruck gebracht wird: sye beyde zu stund ein brinnendes feür durch gon thet / in solcher liebe gen einander entzündt wurden / das mit keinen worten außgesprochen werden mag (C2v). Als Philomena ihrer Hofdame und engsten Freundin Rosamunda von ihren Gefühle zu dem standesungleichen Jüngling berichtet, erteilt Rosamunda ihr den Rat, sich von der lieb nit so gantz beherschen (E3r) zu lassen, obwohl Rosamunda sich bereits selbst in den ihr ebenfalls nicht standesgleichen Reinhart verliebt hat. Philomena entgegnet ihr daraufhin barsch: ich bitt dich / e e wollest dich solicher wort nit mer gegen mir gebrauchen / […] So vnmuglich ist das wasser o e o gegen berg auff zu richten / so vnmuglich ist mir meinen liebsten jüngling zu erleyden r v (E3 –E3 ). Indem Philomena ihrer Liebesbindung an Gabriotto den Status einer physikalischen Gesetzmäßigkeit beimisst, konstatiert sie deren Unkontrollierbarkeit. Gleichsam sieht sich Gabriotto nicht in der Lage der Warnung seines Freundes Reinhart nachzukommen, der ihm zahlreiche Exempel vom tragischen Ende klassischer Minnesklaven vorhält: ich sag dir aber das soliche warnung gar nichts an mir verfahen mag / dann als e wenig sich die so du mir erzalt hast jrer liebe hand mogen entziehen / als wenig mir auch e e o solchs muglich sein würt / so lang biß ich meinem begeren ein genugen thu / dann mein liebe also gefundiert ist / das sye weder den todt noch ander übel scheyden würt (F3v). Demnach erscheint die Liebesbindung zwischen Philomena und Gabriotto unausweichlich – Warnungen vor möglichen Konsequenzen laufen dabei gänzlich ins Leere, da die Liebenden keinen Einfluss auf ihre Gefühle haben und sie daher absolut setzen. Indem der gemeinsame Tanz vom König angeordnet wurde, lag nicht einmal die Situation der Entstehung der Liebe in den Händen der Liebenden. Noch deutlicher erscheint die Brechung der vom Titelblatt ausgehenden Erwartungshaltung am Ende des Romans. Zu Beginn des vorletzten Kapitels wird dabei der Druckstock der zweiten Titelillustration als Illustration GR52 erneut realisiert. Der Bezug der Bilddarstellung auf die im vorletzten Kapitel auch verbal dargestellte Beisetzung von Philomena und Reinhart, bei der Rosamunda tot über dem Sarg ihres Geliebten zusammenbricht, wird im kapitelinternen Verlauf der Spracherzählung deutlich. Indem der Erzähler zudem erneut ohne namentliche Nennung von den vier Personen spricht, nimmt nicht allein die ikonische Erzählebene, sondern auch die verbale eindeutig Bezug auf das

418

Vgl. Christina Baufeld: Kleines frühneuhochdeutsches Wörterbuch, Tübingen 1996, S. 262.

210

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Titelblatt. Umso deutlicher tritt die Brechung der dort aufgebauten Erwartungshaltung zutage. So erscheint am Ende der tragische Ausgang der Handlung nicht als letzte Konsequenz der brinnenden liebe, sondern als Folge eines Fehlverhaltens des an der Standesordnung zu lange festhaltenden Königs419. Dieser zeigt nach der Beisetzung der Liebenden grosse[.] rewen […] / das er die vier Personen nit in freüden bei einander gelassen hat / o aber sein rewen gar zu spat was / dieweil sich nun semliche sachen verloffen hatten (Dd3r). Auch gegenüber Gernier gibt sich der König tief betroffen und in seine Fehler einsichtig: Gernier dein leiden vnnd kummer mir von hertzen leyd ist / […] dann mir grossen schmertzen bringt / das ich deinen Son Gabriotto vnd mein liebste schwester nit bei einander haben mag / das aber leyder nit mehr sein mag (Dd3v). Die zu lange starr an den Standesgrenzen festhaltende Haltung des Königs wird im anschließenden letzten Kapitel des Romans mit der Haltung des Vaters von Rosamunda, eines Grafen, kontrastiert. Als dieser vom Tod seiner Tochter erfährt, gibt er in seiner Klagerede deutlich zu verstehen, gar nichts gegen die Verbindung seiner Tochter mit einem tugendhaften Ritter einzuwenden gehabt zu haben: o

O Rosamunda mein aller liebste vnnd einige tochter / warumb hast du mir nit dein anligen zu verston geben / dieweil ich doch vernimm den Ritter ein so ehrlichen mann gewesen sein / Gott wolt / e das ich dich bei leben haben mocht / vnd deinen liebsten Ritter / ich wolt euch beyder aller ewer hoffnung ergetzen / das aber leyder nit mehr geschehen mag / das ich Gott von hymmel klagen o muß (Dd3v–Dd4r).

Indem der Graf Reinharts Ehrlichkeit höher gewichtet als die Standesgrenze zwischen niederem und hohem Adel, setzt er der strikt auf den Standesgrenzen beharrenden Haltung des Königs eine andere Vorstellung von Adel entgegen. Dabei bezieht er sich auf ein antikes, von den Humanisten in der Nachfolge mittelalterlicher Rezeption erneut aufgegriffenes Adelskonzept, welches Nobilität auch als Angelegenheit positiver Persönlichkeitsmerkmale betrachtet – den Tugendadel 420. Der extradiegetische Erzähler jedoch resümiert direkt im Anschluss: also hat die einbrünstige liebe so krefftig an disen jungen menschen gewürckt / das sie dardurch jr leben geendt hand (Dd4r). Indem er gänzlich gegen die zuvor implizierte Sichtweise die finale Katastrophe der Handlung erneut auf die einbrünstige liebe zurückführt, macht sich der extradiegetische Erzähler unglaubwürdig. Wie bereits im „Ritter Galmy“ tritt an dieser Stelle eine implizite Autor-Instanz als vom extradiegetischen Erzähler differenter gestaltender Wille zutage. Diese erzeugt im Hintergrund agierend die aufgezeigte Wirkung, die

419

420

Bereits Scherer nennt Standesvorurteile als Grund für den Niedergang der Liebenden. Vgl. Wilhelm Scherer: Die Anfänge des deutschen Prosaromans und Jörg Wickram von Colmar. Eine Kritik, Straßburg u. a. 1877, S. 44. Vgl. Heiner Borggrefe: Humanistischer Tugendbegriff und aristokratisches Standesdenken. Positionen zum Adel in der Literatur des 16. Jahrhunderts. In: Der Adel in der Stadt des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Beiträge zum VII. Symposion des Weserrenaissance-Museums Schloß Brake vom 9. bis zum 11. Okt. 1995, Marburg 1996, S. 75–84.

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

211

den extradiegetischen Erzähler an dieser Stelle als unzuverlässig erscheinen lässt, indem das Festhalten des Königs an Standesgrenzen und deren Garantie wenn nötig durch Mord und nicht die einbrünstige liebe an sich als vordergründiges Verhängnis der Liebenden nahegelegt wird. Der „Knabenspiegel“ verfügt wie bereits der „Ritter Galmy“ sowohl über einen Titel als auch über einen Untertitel in Argumentum-Form. Jedoch wird der Titel – Der Jungen Knaben Spiegel (A1r) – dem Untertitel vorangestellt. Die Bezeichnung kündigt eine Lehrschrift für junge Knaben an 421. Die didaktische Intention des Werks wird im nachfolgenden Untertitel gleichsam in den Vordergrund gestellt: e

Ein schön Kurtzwyligs Buchlein / Von zweyen Jungen Knaben / Einer eines Ritters / Der ander eines bauwren Son / würt in disen beiden fürgebildt / was grossen nutz das studieren / gehorsamo o keit gegen Vatter vnd Muter / schul vnd lermeistern bringet / Hergegen auch was grosser geferligo o o keit auß dem widerspyl erwachsen / die Jugent darin zu lernen / vnd zu einer warnung für zu r spieglen (A1 ). e

Die Bezeichnung des „Knabenspiegels“ als Buchlein und nicht als History wird von Stefanie Schmitt mit dem in der Nachrede und im „Dialog vom ungeratenen Sohn“ explizierten fiktionalen Status der Geschichte in Zusammenhang gebracht 422. Jan-Dirk Müller hingegen betont die freie Austauschbarkeit der frühneuzeitlichen Bezeichnungen o ,history‘, ,buch‘ und ,lesen‘ 423. Indem weder Namen noch Herkunft der Figuren genannt werden, tritt deren exemplarischer Status im Vergleich noch deutlicher hervor als in „Gabriotto und Reinhart“. Ein Ritter- und ein Bauersohn sollen demnach unterschiedliche Verhaltenstypen repräsentieren, aus denen nutz und geferligkeit von gehorsamkeit bzw. widerspyl gegenüber den Eltern und Lehrern exemplarisch hervorgeht 424. Daraufhin wird die im Titel enthaltene Zielgruppe der jungen Knaben auf die Jugent ausgedehnt und auf Abschreckung als didaktisches Konzept verwiesen. Es folgt der Hinweis auf den historischen Autor, welcher den „Knabenspiegel“ in den Kontext des breiten und umfangreichen wickramschen Gesamtwerks stellt: Newlich in Druck verfertiget durch e Jorg Wickram (A1r). Es folgt die Titelillustration KS1 (Abb. 108), welche eine der Schlüsselszenen der „Knabenspiegel“-Handlung verbildlicht. Diese kann jedoch ohne Kenntnis der Geschichte nicht als solche erkannt werden. Ihr Bezug zum diegetischen Geschehen wird im 20. Kapitel, in dem die zweite Realisierung desselben Druckstocks als Illustration KS21 erfolgt, deutlich: Zu sehen ist der Auftritt Willbalds in einem Gasthaus als fahrender Musikant Heinz Ontrost, der zu seiner Wiedererkennung durch Friedbert und Felix führt. Im Hinblick darauf, dass die beiden ihn schließlich unter einem Vorwand zu seinem Vater locken und in einem Vorgespräch mit Gottlieb auf dessen Vergebung hinwir-

421 422 423 424

Vgl. Schmitt (2006), S.11. Vgl. Schmitt (2006), S. 12. Vgl. Müller (1985), S. 62. Vgl. Schmitt (2006), S. 11.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

ken, bildet die Wiedererkennung den Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Rehabilitation Willbalds. Ein drittes Mal wird der der Titelillustration zugrunde liegende Druckstock innerhalb von Kapitel 22 als Illustration KS23 realisiert. Dort kann die Bilddarstellung zudem singulativ auf Willbalds Auftritt bei dem von Friedbert und Felix arrangierten Essen bezogen werden, in dessen Rahmen auch die Vergebung Gottliebs stattfindet. Diese kann als entscheidender Meilenstein des sozialen Wiederaufstiegs von Willbald betrachtet werden, da Willbald über den Kontakt seines Vaters in den Dienst des preußischen Hochmeisters aufgenommen wird. Demnach rückt die Titelillustration gerade nicht den abschreckenden sozialen Niedergang des Rittersohns oder den anspornenden sozialen Aufstieg des Bauernsohns in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern markiert zentrale Stationen, die zur Rehabilitation des ersteren führen. In diesem Zusammenhang verdeutlicht sie weder nutz noch geferligkeit von gehorsamkeit bzw. widerspyl gegenüber den Eltern und Lehrern, sondern verweist auf die sich selbst nach einem Abstieg zum Bettler noch bietende Möglichkeit einer Kehrtwende durch einen Sinneswandel sowie die Schützenhilfe des Glücks 425 Inwiefern der „Knabenspiegel“ der Ankündigung, eine Lehrschrift für Kinder und Jugendliche darzustellen, entspricht, wird ausführlich in 3.2.3 diskutiert, da das bereits im Titel anklingende didaktische Konzept von Ansporn und Abschreckung in der Vorund Nachrede zum „Knabenspiegel“ ausführlich erläutert wird. Der Aufbau des Titelblatts im „Goldfaden“ ähnelt formal dem entsprechenden Aufbau im „Knabenspiegel“. Hingegen verweist der Titel nicht auf die intendierte Rezeptionsweise des Werks, sondern auf das Schlüsselmotiv der Geschichte: Der Goldfaden (A1r). So thematisiert der Titel zum einen die Episode der Gewinnung der Liebe Anglianas durch Leufrieds zweifache Umcodierungen der zeichenhaften Bedeutung des goldenen Fadens vom Spottgeschenk zur Kontaktreliquie und von der Kontaktreliquie zum Liebe übertragenden Objekt 426 und zum anderen die nachfolgende Verbindung des Paars an sich, als deren Symbol der goldene Faden, wie in 3.1.3 aufgezeigt, insbesondere im Bereich der Bilderzählung hervortritt. Ohne Kenntnis der Romanhandlung jedoch bleibt der Bezug des Titels auf das diegetische Geschehen unklar, wodurch der implizite Rezipient zur Lektüre der nachfolgenden Erzählung angeregt werden soll 427. So greift der

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426 427

o

o

Wann das glück einen stürtzen will / kan er zu hoch nit sitzen / es wirfft jn zu boden / will es dann o einen erheben / mag er so dieff im kot nit ligen / es kan jm harauß helffen / also wirt es dem guten v Wilibaldo jetzundt auch gon (I4 ). Die Fortuna-Rezeption im Knabenspiegel wird sehr ausführlich bei Cordula Politis behandelt. Vgl. Cordula Politis: The Individualization of Fortune in the Sixteenth-Century Novels of Jörg Wickram. The Beginnings of the Modern Narrative in German Literature, Lewiston/New York 2007, S. 86–97, 168–172, 192–194. Vgl. Reichlin (2007), S. 214. Gregorius kündigt im „Dialog vom ungeratenen Sohn“ seinem Gegenüber Kaspar ein baldiges Erscheinen des „Goldfadens“ an und versucht durch Offenlassen des Bezugs zwischen Titel und Erzählung Kaspars Neugierde auf deren Lektüre zu erwecken: Wann du das nun lesen / wirst du die vrsach seines namens erfaren (B3r).

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

213

dem Titel nachfolgende Untertitel in Form eines Argumentum-Titels nicht das titelgebende Objekt auf, sondern fokussiert das Leitthema des Romans – den sozialen Aufstieg des Protagonisten vom armen hirten son zum Gemahl einer Grafentochter. Auf einen Verweis auf den Höhepunkt von Leufrieds Karriere, seinem Aufstieg zum regierenden Landesfürsten, wird dabei verzichtet, vermutlich um den utopischen Charakter der Geschichte auf dem Titelblatt nicht all zu sehr zu überdehnen. Immerhin soll die genannte Zielgruppe der Jungen knaben am Beispiel des Protagonisten lernen, sich der tugendt zuzuwenden: Ein schöne liebliche vnd kurtzweilige Histori von eines armen hirten son / Lewfrid genant / welcher auß seinem fleißigen studieren / vnderdienstbarkeyt / vnd Ritterlichen thaten eines Grauen Tochter vberkam / allen Jungen knaben sich der tugendt o o zubefleissen / fast dienstlich zu lesen (A1r). Demnach wird der „Goldfaden“ wie bereits die ersten beiden Romane Wickrams als Histori kategorisiert. Im Unterschied zu „Gabriotto und Reinhart“ und zum „Knabenspiegel“ wird der Protagonist namentlich genannt. Dadurch erscheint der Status der Figur vergleichsweise weniger exemplarisch, auch wenn dennoch auf eine didaktische Wirkung des Werks verwiesen wird. Die Unterteilung in fleißige[s] studieren, vnderdienstbarkeyt und Ritterliche[.] thaten kann dabei als dreiteilige Gliederung der Aufstiegsbiografie des Protagonisten angesehen werden, wobei die einzelnen Glieder durch Krisen voneinander abgetrennt erscheinen. Daher erkennt Matthias Meyer darin eine auf der Doppelwegstruktur des arthurischen Romans aufbauende Dreiwegestruktur 428. Es folgt wie bereits im „Knabenspiegel“ der Hinweis auf den historischen Autor und in diesem Zuge die Eingliederung in dessen Gesamtwerk: e Newlich an tag geben durch Jorg Wickram von Colmar (A1r). Die unterhalb davon realisierte Titelillustration zeigt einen Kampf zwischen einem nackten bärtigen Mann mit einer Keule und einem Löwen auf einer von Schranken begrenzten Fläche. Im Hintergrund werden sechs Zuschauer hinter einer Absperrung gezeigt, von denen zwei Figuren anhand ihres charakteristischen Erscheinungsbilds als Angliana und als Graf ausgemacht werden können429. Die Bilddarstellung kann dabei ohne Kenntnis der Romanhandlung lediglich spekulativ auf die verbal vermittelten Informationen über die Geschichte bezogen werden. So könnte etwa vermutet werden, dass der Protagonist Leufried nackt und lediglich mit einer Keule bewaffnet den Kampf gegen einen Löwen bestehen muss, um am Ende die Grafentochter heiraten zu können. In diesem Zusammenhang wäre der Name Leufried entweder ironisch aufzufassen430 oder auf einen wie auch immer gearteten, aus dem Löwenkampf resultierenden Schutz zu beziehen.

428 429

430

Vgl. Meyer (1994), S. 550. Die Charakteristika der bildlichen Darstellungen Anglianas und des Grafen wurden in 2.2.2 erläutert. Vgl. Meyer (1994), S. 546.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 120: Titelillustration im „Goldfaden“, G1

Jedoch ist die Bilddarstellung auch unter Kenntnis des nachfolgenden Romans dem diegetischen Geschehen zunächst nicht zuordenbar, da dort keinerlei Ereignis der äußeren Handlung enthalten ist, das nur annähernd auf die verbildlichte Szene bezogen werden könnte 431. Dieser Umstand veranlasste die ältere Forschung zu der Deutung der Illustration als Überbleibsel einer verworfenen Handlungsvariante432. Diese wird von Meyer in Zweifel gezogen 433. Ein weiterer dem im „Goldfaden“ realisierten Illustrationszyklus aus stilistischen Gründen zuordenbarer Holzschnitt in Frölichs Ausgabe von „Tristan und Isolde“ (1557), der vermutlich Leufried oder Walter und den portugiesischen König beim Austausch eines Schriftstücks zeigt, scheint hingegen die frühere Deutung zu bekräftigen. Die bildliche Szene lässt sich zwar auf kein innerhalb der diegetischen Welt tatsächlich abgelaufenes Ereignis, jedoch auf einen Vorschlag des gräflichen Boten beziehen. So empfiehlt dieser Leufried für den Fall, dass er an der Aufrichtigkeit des Grafen zweifelt, dessen besiegelte schriftliche Zusicherung auf freies Geleit dem portugiesischen König zu übergeben, damit der Graf an sein Wort gebunden wird: dieweil du sein [des Grafen] geleit mit seinem Ingesigel vonn jhm hast / das magstu sampt seinem o fründt Waltern / zu Lißabona an des Kúnigs hoff lassen / so dann mein herr über soliches o gewalt mit dir brauchen solt / wird jhm gar schwerlich gegen dem Kúnig zu uerantwurten sein (R4v).

431 432

433

Vgl. Bolte (1901), S. I–XLIII, dort S. XXVII. Vgl. Bolte (1901), S. XXVII f.; G. J. Martin-ten Wolthuis: Der „Goldfaden“ des Jörg Wickram von Colmar. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 87 (1968), S. 46–85, dort S. 52. Vgl. Meyer (1994), S. 546.

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

215

Abb. 121: „Goldfaden“-Holzschnitt aus Frölichs 1557er Ausgabe von „Tristan und Isolde“

Vor diesem Hintergrund scheint die Existenz einer vorläufigen Variante des „Goldfaden“ greifbar, deren Ereignisse zum Teil in Form von figürlichen Gedankenspielen in die überarbeitete Fassung Eingang fanden. Dennoch ist eine derartige Annahme als höchst spekulativ zu betrachten. Und ob sich aus dem Umstand einer möglichen Abänderung der Handlung auch der vermeintliche Widerspruch zwischen der Ankündigung des „Goldfadens“ in dem vermutlich 1554 erschienenen „Dialog vom ungeratenen Sohn“ 434 als bereits im Druck befindlich435 und der vermeintlichen Erstausgabe 1557 erklären lässt, ist darüber hinaus fraglich. Es könnte sich bei der Ausgabe von 1557 ebenso um einen Nachdruck handeln. In diesem Fall müsste die tatsächliche Erstausgabe vom „Goldfaden“ gleichermaßen wie Frölichs Drucke des „Fortunatus“ und der „Melusine“ als nicht erhalten angenommen werden. Aus dem Umstand bildlicher Bestandteile einer möglichen älteren „Goldfaden“-Variante erklärt sich zudem kaum die Verwendung von überworfenem Bildmaterial als Titelholzschnitt. Es müsste davon ausgegangen werden, dass ein erster Teil des Romans vor den Änderungsplänen bereits gedruckt gewesen war, der später durch einen überarbeiteten zweiten Teil ergänzt

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435

Die Umstände, dass Wickram zum einen ab 1555 seine Werke nicht mehr bei Jakob Frölich, sondern bei Johann Knobloch veröffentlicht und zum anderen eine werbewirksame Nachschrift als zeitnahe Reaktion auf die Veröffentlichung des „Knabenspiegels“ plausibel erscheint, legen eine Datierung des noch bei Frölich gedruckten „Dialogs vom ungeratnen Sohn“ auf 1554 nahe. Bolte hingegen argumentiert in diesem Zusammenhang mit der Verortung des Dialogs in Colmar und Wickrams späterer Übersiedlung nach Burgheim. Vgl. Bolte (1901), S. XX. e Georgius. Ich sag dir das auff den heutigen tag schon eins [ein buchlin] in truck verfertiget ist […] r Ich hab jhm sein Namen vnd Tittel geben: Der Goldtfaden (B3 ).

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

wurde 436. Auch hätte allein der Titelholzschnitt ausgetauscht werden können, falls dieser tatsächlich als unpassend empfunden worden wäre. Davon unabhängig erscheinen derartige die Umstände der Produktion des Werks reflektierende Überlegungen für die von der Titelillustration ausgehenden Wirkungspotenziale wenig relevant. Eine textimmanente Deutung der Titelillustration erlaubt der Kontext der sukzessiven Brechung der vom Untertitel ausgehenden Erwartungshaltung an die nachfolgende Erzählung. So bildet der „Goldfaden“ mit ziemlicher Sicherheit kein didaktisches Lehrstück für junge Knaben. Dies wird insbesondere deutlich, wenn man dem „Goldfaden“ das im „Knabenspiegel“ paratextuell explizierte und in der Anlage der Geschichte umgesetzte Konzept eines didaktischen Jugendbuchs gegenüberstellt. Dieses baut auf der anspornenden bzw. abschreckenden Wirkung auf, welche von positiven bzw. negativen exemplarischen Lebensverläufen ausgehen soll. Wie in 3.2.3 ausführlich dargelegt wird, handelt es sich dabei um eine Form von Modell-Lernen 437. Das anspornende Ideal einer makellosen Karriere wird im „Knabenspiegel“ von der Figur Friedberts exemplarisch verkörpert. Dieser zeichnet sich in seiner Jugend durch eine frühe Orientierung an seinem Lehrer, Wissbegierde und Ernsthaftigkeit, Desinteresse an Kindereien und stetem Gehorsam gegenüber seinen Zieheltern aus. Leufried hingegen tut sich in seiner Schulzeit als Anführer einer Jugendbande hervor, lässt einen Verräter in seiner Gruppe durch andere züchtigen und läuft von Zuhause weg, als ihm in Folge der Ereignisse selbst eine Prügelstrafe durch den Lehrer droht. Dennoch wirkt seine Biografie nicht abschreckend, da ihn sein Schicksal direkt an den Grafenhof bringt, wo ihm, wenn auch mit Unterbrechungen, eine märchenhafte Karriere bevorsteht. Außerdem kann die Figur Leufrieds keinen exemplarischen Status für sich beanspruchen. Ihr Lebensweg wird von Beginn an als wundersam inszeniert und hat in mehrfacher Hinsicht einen Ausnahmestatus inne. Zunächst legt der zahme Löwe, der gemäß dem altdeutschen Physiologus als Zeichen Christi in Erscheinung tritt, indem er seinen schwantz auff die erden klopffen (A2v) lässt 438, sein Haupt in den Schoß der von Leufried schwangeren Felicitas. Der wundersame Status des Ereignisses wird dabei durch die Reaktion Hermanns, der sich daraufhin als Ziehvater des noch ungeborenen Kindes anbietet, zum Ausdruck gebracht: Eines tags begab es sich das er abermals kam vnd fand 436

437 438

Bolte stellt eine derartige Vermutung an und begründet sie damit, „dass von bl. F3b […] an innerhalb der einzelnen kapitel absätze gemacht“ würden, „während vorher die zeilen eines kapitels nicht unterbrochen“ seien. Bolte (1901), S. XXVII. Tatsächlich jedoch findet sich ein derartiger Absatz bereits in der Lage A auf A4v. Siehe S. 229. Der Physiologus bezieht den Löwen auf Christus, indem er das Verwischen der Spur im Sand beim Gang durch die Wüste durch seinen Schwanz mit der in Christus verhüllten Gottheit in Bezug setzt. Vgl. Cf. Physiologus, Millstätter Handschrift, 85r, Z. 10–22 (entspricht Str. 4, 2–6 des hergestellten Reimtextes). In: Der altdeutsche Physiologus. Hrsg. von Friedrich Maurer, Tübingen 1967; vgl. zudem Meyer (1994), S. 548.

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Felicitas bey jhrem man auff dem feld / sie saß bey dem Lewen / der hatte sein haupt in jhrer schoß / das nam der kauffman seer wunder (A3v–A4r). Als Leufried schließlich geboren wird, zeigt sich dessen Muttermal in Form einer Leuwen datzen auf der linken brust gegen dem hertzen (A4v). Dieses wird von den Anwesenden als Zeichen einer Heldengeburt gedeutet 439: so bald Hermanus sampt seiner gesellschafft sollichs ersehen / o haben sie gleichformiger red zusamen gestimpt / vnnd gesagt / gewißlich würdt ein mannlicher vnd theurer held auß disem kind werden / dann diese vnd andere zeichen so an jm o gesehen / geben des gnugsame vnd gewisse kundtschafft (A4v–B1r). Darüber hinaus verhält sich der Löwe dem Neugeborenen Leufried gegenüber wie einem eigenen Jungtier und fängt an gewaltig zu brüllen, als Leufried zur Taufe aus dem Haus gebracht werden soll: o Als man aber das kind auß dem hauß getragen / ist der Lew zugegen gewesen / hat mit o grausamer stimm gantz erschrockenlich angefangen zu prüllen / gleich als wann man jn seie e ner eignen Jungen wolffen hett berauben wollen (B1r). Nicht nur gleicht Leufried, wie e Angliana später feststellt, seinem „Löwenvater“ im gemut 440, was ihn mutig zahlreiche Gefahrmomente bewältigen lässt, auch wird Leufrieds zeichenhafte Prädestination zum Helden handlungswirksam, indem sie von anderen diegetischen Figuren als sunder genad von Gott (M3r) erkannt wird und deren Handeln beeinflusst 441. Zudem greift der Löwe im Verlauf des Geschehens auch mehrfach als Akteur in die Handlung ein, um Leufrieds Aufstiegsbiografie zu garantieren442. Leufrieds Ausnahmebiografie stellt sich demnach als in keiner Weise exemplarisch und zudem denkbar ungünstig zur Nachahmung durch jugendliche Rezipienten heraus. Auch „wäre der soziale Ordo mehr als gefährdet“, folgten alle Jungen knaben „erfolgreich seinem Vorbild“ 443 nach. Vielmehr verbürgt der Ausnahmestatus vermutlich Glaubhaftigkeit und Akzeptanz des utopischen Lebenswegs durch die zeitgenössische Rezipientenschaft 444. Die vom Untertitel ausgehende Erwartungshaltung einer exemplarischen Aufstiegsbiografie à la Friedbert kann vor diesem Hintergrund als kontrastierende Folie verstanden werden, vor der die Ausnahmefigur Leufrieds als solche noch

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Die Darstellung von Interpretationsleistungen diegetischer Figuren kann dabei als Mittel der Rezeptionslenkung betrachtet werden. Vgl. Meyer (1994), S. 558. e e Lewfrid vnd diser Lew ein gleich gemut haben / das sich dan mit jm an den dreyen mordern wol r beschinen hat (M3 ). Vgl. Jan-Dirk Müller: Transformationen allegorischer Strukturen im frühen Prosa-Roman. In: Bildhafte Rede in Mittelalter und Früher Neuzeit: Probleme ihrer Legitimation und ihrer Funktion. Hrsg. von Wolfgang Harms und Klaus Speckenbach, Tübingen 1992, S. 265–284, dort S. 271–274; Xenja von Ertzdorff: Romane und Novellen des 15. und 16. Jahrhunderts in Deutschland, Darmstadt 1989, S. 119. Nicht nur rettet der Löwe Leufried vor dem Jäger, er löst auch die Ereigniskette aus, welche zum Tod des Grafen und damit zu dessen Nachfolge durch Leufried führt. Vgl. Meyer (1994), S. 552–554, 556 f. Vgl. Schulz (2001), S. 56. Vgl. Meyer (1994), S. 559.

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deutlichere Konturen erhält. Es zeigt sich ein Spiel mit der Vorerwartung des Rezipienten, in dem auch die ungewöhnliche Titelillustration ihren Platz einnimmt. Sie lässt den impliziten Rezipienten, ausgehend von den Titelillustrationen zum „Ritter Galmy“ und „Knabenspiegel“, nahezu über den gesamten Verlauf seiner Lektüre hinweg einen Löwenkampf als Schlüsselereignis der Handlung annehmen. Dieser Umstand steigert lange Zeit die Spannung, bis diese am Ende einer vorläufigen Ernüchterung über das Ausbleiben des vermeintlichen Höhepunkts des Geschehens weichen dürfte. Schließlich jedoch wird deutlich, dass das bildlich immer wieder beim Betrachten des Titelblatts vor Augen geführte Geschehen nicht auf der diegetischen Handlungsebene anzusiedeln ist. Demnach sind der Löwe sowie der bärtige Unbekleidete mit der Keule symbolisch aufzufassen – gezeigt wird der Kampf eines Christus- und Tugendsymbols gegen einen wilden Mann, der in den Bereichen der hochmittelalterlichen Buchmalerei und Kapitelplastik vielfach als Sinnbild von Lastern fungiert 445 und ab dem 13. Jahrhundert zunehmend „die andere, dunkle, ungebärdige, aggressive, maßlose Seite der Menschen“446 verkörpert. Auf diesen Kampf deutet der Graf mit einem Zeigegestus und richtet dabei den Blick auf seine Tochter Angliana zur Rechten. Der junge Mann zu seiner Linken, der seinen Blick auf den Zeigegestus des Grafen gerichtet hat, könnte dabei als Leufried und die junge Dame zu Anglianas Rechten als deren engste Vertraute Florina ausgemacht werden. Gemäß dieser Zuordnung der Figuren deutet der Graf unter Anwesenheit der davon direkt Betroffenen447 auf das Charakteristikum seiner eigenen figürlichen Anlage – den inneren Konflikt zwischen höheren und niederen Beweggründen in der Situation des Verfahrens mit dem tugendreichen, jedoch niedergebürtigen Geliebten seiner Tochter. Der symbolisch verbildlichte innere Konflikt des Grafen, der zunächst von niederen Beweggründen dominiert in den Mordanschlag mündet und später durch die Anerkennung von Leufrieds göttlicher Prädestination und Tugend als maßgeblicher Faktor zu dessen Akzeptanz als Schwiegersohn führt, wird auch von der Spracherzählung mehrfach zum Ausdruck gebracht. So bedenkt der Graf bereits im e Moment des ersten Zorns auch Leufrieds mannliche Thaten / vnd das Ritterlich gemut […] dannocht ward er mer durch den zorn / dann durch vernunfft überwunden (O2v). Nicht allein der Zorn, auch die Sorge vor Ansehensverlust verleitet den Grafen zum Mordane schlag: Nun aber was würt man sagen wann mein Tochter eines Hirten son vermahelt / vmb

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Vgl. Leonie von Wilckens: Das Mittelalter und die ,Wilden Leute‘. In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 45 (1994), S. 65–82, hier S. 66. von Wilckens (1994), S. 78. Auch Florina ist als das Verhältnis schützende Mitwisserin direkt von der Reaktion des Grafen betroffen. Ihre Angst, aus diesem Grund vom Hof und im Zuge dessen auch von ihren Eltern verstoßen zu werden, bringt sie in einem Gespräch mit Angliana zum Audruck: gedencket allerliebste junckfraw / was grossen übels wirt mir darauß entston / Solt eüwer herr vatter der ding von mir jnnen e werden / für war ich on alle gnad von dem hof wichen mußt / Ach mir armen wie wolt ich dann die o schand gegen meinen eltern verantworten / Ich bedürfft jhn sicher nicht mer zu gesicht kummen (N1r).

219

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens o

welche so mancher Ritter vnd Graff geworben hat / fürwar ich wird in aller welt zu grossem spot vnd yedermans theding werden (O4r). Dabei fürchtet er von Beginn an Leufrieds o zeichenhafte Prädestination zum Helden: Ist auch zu sorgen / das der Jüngling zu grossem glück erboren / dieweil es sich so wunderbarlich mit seiner geburt vnd seinem gantzen leben o zugetragen hat (O4r). Andererseits teilt er die auf dem Tugendadel-Konzept basierende Ansicht von tugend als Grundlage der grosse[n] stend und gesteht dabei Leufried nicht o wenig davon zu: Jo das mir all gemeinglich von einem vatter vnd muter kommen / sind gleichwol jetztund vil grosser stend auff erden / so kommend sie doch allein von tugend deren dann Lewfrid nit wenig an jm hat (O4r). Als der Graf schließlich nach Ausbleiben der Rückkehr des Jägers die Vereitelung seines Anschlags ahnt, schwankt er im selben Moment zwischen dem Bedauern, Leufried nicht eigenhändig zur Strecke gebracht und ihn nicht als Schwiegersohn angenommen zu haben: warumb hab ich jn [Leufried] nit mit o meiner handt vmbbracht / oder hab jhm aber mein Tochter zu einem weib geben / wer weyßt e der Jüngling mocht sich so wol vnnd ritterlich gehalten haben / das ich jn gantz lieb vnd wert gehalten het (P3v). Im Folgenden erfährt der Graf vom Tod des Jägers und erhebt schwere Vorwürfe gegen Angliana und Florina. Angliana verteidigt ihre Liebe als standesgemäß, indem sie dem Tugendadel-Konzept gemäß Nobilität als Angelegenheit des Verhaltens darstellt. Darüber hinaus nimmt sie Florina in Schutz: o

ich muß gestohn / das ich mir den Jüngling von wegen seiner tugend vnd Adelichen sitten / auch e e o ritterlichen gemuts halben erwolt hab / bin aber doch in alle weg so gantz behutsam gefaren / das e mir noch euch nymer schand noch schaden darauß het erfolgen mogen […] Florina so bald aber o sie meiner liebe wargenomen / hat sie mich mit grossem ernst vnderstanden dauon abzukeren / aber alles gar nichts an mir verfahen mügen. Darumb allerliebster Herr vnd vatter solt jr niemant die schuld geben / dann mir allein (Q3v).

Schließlich entschließt sich der Graf infolge eines Gesprächs mit Florina und Cordula über den Zustand seiner inzwischen in Melancholie verfallenen Tochter schweren Herzens dazu, dem Verhältnis nicht weiter im Weg zu stehen und Leufried zurück an den Hof zu holen: e

e

wolan so trost ich mich dannocht das mein Tochter jr einen solchen Jüngling erwolt hat / der mit o tugend vnd mannheyt hoch von Gott begabt ist. Ach wer mir doch nur die sach vor langem zu wiso o sen gewesen / ich wolt wol bey dem Künig zuwegen bracht haben / das er jn zu Ritter geschlagen / o mit Wapen / schilt vnd Helm begabt het / als dann wer mirs nit so groß zu uerwiß kommen / als in o einem solchen fal / wißt ich den Jüngling zu finden / ich wolt jm eilens einen Boten schicken / vnd e wider an meinen hoff beruffen lassen (R1v).

Indem der Graf mit Blick auf Leufrieds Tugenden und dessen göttliche Prädestination zuletzt seine niederen Bewegründe überwindet, wird die Rückkehr Leufrieds an den Hof möglich, auch wenn diese durch sein Misstrauen dem Grafen gegenüber zunächst verzögert wird. Der anschließende Aufstieg Leufrieds zum Ritter und Gatten der Grafentochter erscheint im Gegenzug beinahe wie von selbst abzulaufen. In diesem Sinne verweist die Titelillustration schließlich doch auf einen Schlüsselaspekt der Geschichte. Jedoch liegt dieser nicht im Bereich der äußeren, sondern der inneren Handlung.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

3.2.3 Vor- und Nachreden Lediglich der „Ritter Galmy“ und der „Knabenspiegel“ verfügen über Vor- bzw. Nachreden. Während im „Ritter Galmy“ eine gemäß der frühneuhochdeutschen Wortbedeutung als Argument bezeichnete Inhaltsübersicht 448 dem ersten Kapitel vorangeht, wird die Erzählung im „Knabenspiegel“ von einer zweiteiligen Widmungsepistel umklammert. o Das Argument in einer gemeyn der gantzen History dises Buchs (A1v) im „Ritter Galmy“ kann dabei inhaltlich in drei Teile gegliedert werden. Dabei bildet die Inhaltsangabe, die aus drei durch einen Punkt abgeschlossenen Perioden besteht, den ersten und umfassendsten Teil. Sie erweitert die bereits im Untertitel genannten Informationen über die Geschichte und stellt sie unter Einbezug weiterer diegetischer Ereignisse in einen kausallogischen Zusammenhang. Zunächst wird nach einer Wiederholung der bereits im Untertitel enthaltenen positiven Bewertung des Protagonisten als edel und theür dessen dort noch allein als züchtig attribuierte Liebe zur Herzogin konkretisiert und mit Galmys Abreise aus Britannien in Verbindung gebracht: INhalt diser History ist / von eim edlen vnd theüren Ritter Galmy / vß Schottenland geboren / wie der in so einer inbrünstigen züchtigen lieb / gegen einer Hertzogin von Britania entzündt / deßhalb er von o o der hertzogin vß Schottenland verschickt / zu bewarung jrs guten leümbdens (A1v). Galmys Abreise aus Britannien wird hierbei durch die Gefahr für den Leumund der Herzogin, welche von Galmys Gefühlen ausgeht, motiviert. Die Erwiderung der Gefühle durch die Herzogin hingegen wird an dieser Stelle noch nicht thematisiert. In der Bezeichnung der Liebe als inbrünstig sowie der anschließend verwendeten Feuermetaphorik klingt jedoch bereits deren erotische Qualität an. Diese reibt sich mit dem Adjektiv züchtig, sofern man darin mehr als einen Verweis darauf sieht, dass es nicht zum Geschlechtsakt kommt. In der zweiten Periode wird das nachfolgende Geschehen umrissen, welches zur geplanten Hinrichtung der Herzogin führt: Wie auch die Hertzogin / in abweßen jrs herren des Hertzogen / seim Marschalck vertrawt vnd befolhen / der sye / darumb das o sye jm nit seins mu twillens bewilligen wolt / durch ein erdichte falsche anklag / als ein o Eebrecherin gegen dem Landtfürsten verklagt / vnd zum feür verurteylet (A1v). Der geplante Feuertod der Herzogin, auf den bereits im Untertitel verwiesen wird, erscheint an dieser Stelle als Folge einer Intrige des Marschalls, der den Herzog während seiner Abwesenheit vertritt. Die Intrige wiederum wird als Konsequenz der Verweigerung von o dessen mu twillen[.] durch die Herzogin dargestellt. Daraufhin skizziert die dritte Periode das nachfolgende Geschehen von der Erlösung der Herzogin bis zu Galmys Aufstieg zum Herzog:

448

Vgl. Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Hrsg. von Ulrich Goebel und Oskar Reichmann. Bd. 2, Berlin 1994, Sp. 84.

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

221

Vnd wie Galmy in eins münchs gestalt / nach dem der Hertzog selbs wider vom gelobten land e o kummen / ein kampff mit dem verraterischen Marschalck bestund / der hertzogin vnschuld an tag bracht / vnd den Marschalck ins feür / das er der falsch beklagten Hertzogin bereytet / warff vnd o verbrant / vnd nach absterben des Hertzogen / sein geliebte Hertzogin zu der Ee nam / seiner keüschen waren liebe erfrewet / vnd ein gewaltiger Hertzog in Britanien ward (A1v).

Die bereits im Untertitel thematisierte Rettung der Herzogin durch Galmy wird durch den Verweis auf dessen Kampf gegen den Verleumder und die daraus resultierenden Konsequenzen konkretisiert. Die bereits auf dem Titelblatt verbal sowie bildlich implizierte Frage, weshalb Galmy seinen Kampf in einer Verkleidung als Mönch bestreitet, stellt sich an dieser Stelle erneut. Abschließend wird sein ebenfalls bereits im Untertitel genannter Aufstieg zum Herzog mit dem Ableben des alten Herzogs und der dadurch ermöglichten Ehe Galmys mit der Herzogin in kausalen Zusammenhang gebracht. Im Selektionsschritt der Reduktion des diegetischen Geschehens auf wenige zentrale Ereignisse und deren Kausalzusammenhang erhält das Romangeschehen demnach vorab eine Akzentuierung. Durch die Unterteilung der Inhaltsangabe in drei durch Punkte abgeschlossene Perioden wird das diegetische Geschehen zugleich strukturiert. Zudem wird in der Vorwegnahme zentraler Ereignisse inklusive des glücklichen Endes der Romanhandlung die Spannung von einem ,Ob überhaupt‘ potenzieller Ereignisse auf das ,Wie‘ verlagert 449. Darüber hinaus werden die beiden zentralen Fragen nach der Qualität der Gefühle der Liebenden sowie nach dem Grund für Galmys Verkleidung, an denen sich die nachfolgende Erzählung abarbeitet, bereits vorweg angestoßen. Der Inhaltsangabe folgt eine um potenzielle Leser werbende Bemerkung mit anschließendem Verweis auf die Illustrationen: Sampt anderem anhang / seer lustig vnd on o allen anstoß menigklich zu leßen. Mit bezierung jrer figuren nach einer yekglicher handlung / o so sich neben vnd weitleüffiger zutragen (A1v). Dabei wird zum einen die vermeintlich aus der inbrünstigen lieb des Protagonisten zur Gattin seines Herren resultierende Anstößigkeit der Romanhandlung vorweg bestritten und zum anderen im Pronomen menigklich die Breite der intendierten Zielgruppe hervorgehoben. Der anschließende Hinweis macht den impliziten Rezipienten darüber hinaus darauf aufmerksam, dass die bereits auf dem Titelblatt erwähnten Illustrationen nicht allein auf Handlungen, welche in ihrer direkten Umgebung verbal dargestellt werden, sondern auch auf solche, deren verbale Darstellung weit entfernt liegt, bezogen werden können450. Die Vorrede wird durch einen zweizeiligen Sinnspruch abgeschlossen: Ich bitt nit o vrtheyl den anfang / Erwig zuuor den außgang (A1v). Die von einem nicht näher bestimmten Subjekt an den impliziten Rezipienten herangetragene Bitte kann folgendermaßen auf die zuvor skizzierte Romanhandlung bezogen werden: Es soll von einer vorschnellen

449

450

Eine vergleichbare Wirkung haben die weitreichenden Vorverweise der extradiegetischen Erzähler. Diese wurden in 3.1.7 behandelt. Der Hinweis erweist sich insbesondere für den oftmals komplexen Bezug textintern wiederholter Holzschnitte auf die Spracherzählung, der in 3.1.3 behandelt wird, als fruchtbar.

222

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Verurteilung der erotisch aufgeladenen Gefühle des Protagonisten zur Gattin seines Herren unter der Berücksichtigung von deren späterer Legitimation durch die Ehe abgesehen werden. Die zweiteilige Widmungsepistel im „Knabenspiegel“ unterteilt sich währenddessen in eine Vor- und eine Nachrede. Die typografisch als Überschrift markierte Grußformel e o des historischen Autors Jorg Wickram an seinen Zeitgenossen Antoni Kuntzen, den o Schulteiß zu Rufach (A2r), benennt Aussagesubjekt und Adressat der nachfolgenden Rede. Zu deren Beginn verweist Wickram auf die bis in die Antike zurückreichende Tradition einer Literatur mit didaktischer Wirkung auf die Jugend 451: ES habend sich günstiger weiser Herr / die alten fast in jren gedichten beflissen / das die selbigen o nit so gar on nutz vnd fruchtbarkeit der Jugend fürzuspieglen gewesen / Sunder die Jugend o sunderlich von üblem vnd laster abzogen / Darneben auch vilmalen zu der forcht vnnd scham e bewegt vnd getriben / welche stück warlich nit die geringsten Tugenden an einem jungen mogen r geacht werden (A2 ).

Demnach liegt die didaktische Wirkung der Literatur in der Erzeugung von forcht und scham. Wickram thematisiert daraufhin das Erkennen falscher Freunde und ein zum Teil angeborenes Streben nach Lob als Schutzmöglichkeiten der Jugend vor einem Sittenverfall: e

vnd ist auch nichts auff der gantzen welt so die zart jugend mehr von boßen sitten abzieht / dann e o eben das / so ein junger des anderen gefahrlichkeit erwegen vnd ermessen thut / nimpt jm dabey ab e was auß loser boßer gesellschaft entspringet / herwider ist auch den jungen angeboren von Natur (wo anderst ein recht fundament ist) das sie gern (so sie recht vnd wolgeschickt handlen) gelobt seind / sie nemen auch fleißig war / so man andre jungen jr wolthat halben lobet / befleißen sich o demnach des guten desto mehr (A2r).

Dem von Natur aus strebsamen Jugendlichen stellt Wickram im Kontrast diejenigen gegenüber, an denen weder Lob noch Kritik etwas bewirken: man find aber leyder vil / so o weder vmb beyspil / loben noch schelten / gar nichts geben / sunder auff jhrem gutdunckel o o also hinauß faren / geben weder vmb Vatter / Muter / leer vnd schulmeister gar nicht (A2r). Anschließend unterteilt Wickram die Jungend in dreyerley arten: o

o

Erstlich die so guter sitten vnd geberden seind / sich selb zu den Tugenden vnd von den lastren o abziehen / zum andren seind etlich jungen die das mittel halten / so sie jr beiwonung bey frummen e o gehorsamen kinder haben / geratend sie fast wol / wo man sie aber vnder boßen mutwilligen kine o den jr geselschafft laßt haben / werden sie beiwylen in grosse geferlickeit verfurt. Zum dritten e e e fyndt man solch boße Martialische vnd Saturnische kopff / so am andren jungen nit sehen mogen e e r v das sie jren alter gehorsammen / weisen sie auff alle buberey / schand vnd laster (A2 –A2 ).

Daraufhin bezieht sich Wickram erstmals auf sein nachfolgendes Werk und dessen intendierte didaktische Wirkung: was aber deren jedem auß seinem fleiß erfolget / wirt hie als in o einem spiegel fürgemalet. Vnd der weychen jugend nutzlich darin zu lesen / damit sich die

451

Vgl. Schmitt (2006), S. 12.

223

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens e

e

e

ehrlichen gemuter / vnd herrlichen ingenia / nit durch boße geselschafft verfuren lassen (A2v). Demnach sollen Jugendlichen an literarischen Exempelfiguren Konsequenzen unterschiedlichen Verhaltens demonstriert werden. Der Vergleich mit dem Spiegel drückt dabei die erwünschte Verbindung der intendierten Rezipientenschaft mit den literarischen exempla aus – Der weyche[.] jugendliche Leser soll anhand der literarischen bona und mala exempla potenzielle Zukunftsentwürfe von sich selbst – Spiegelbilder – entwickeln, um sich die möglichen Konsequenzen verschiedener Verhaltensweisen auszumalen. Auf diese Weise soll er resistent gegen die Verführer werden und seine wahren Fähigkeiten ausschöpfen. Demnach entwirft Wickram eine einfache frühneuzeitliche Form von Modell-Lernen452, wobei zum einen von den mala exempla forcht und scham bzw. eine abschreckende Wirkung und zum anderen von den bona exempla Ansporn und Verstärkung ausgehen soll. Anschließend eignet Wickram den „Knabenspiegel“ seinem Adressaten Antoni Kuntz zu, nennt die jungen kinder als intendierte Zielgruppe des Werks und betont nochmals dessen didaktische Intention: Dieweil jr nun weiser Herr / von Gott dem Almechtigen auch mit lieben vnd wolerzogenen kinden e begabt seind / hab ich euch diß mein schlechts buchlein (so dann auch nur für die jungen kinder e o gemacht) zuschreiben wollen / damit die jugend / als euwer liebe kind sich selb vor arger vnd e e e boßer gselschafft huten mog / den tugenden mehr dann den lastern nachgedencken (A2v).

Wickram schließt seine Rede daraufhin mit der Danksagung an Antoni Kuntz in Verbindung mit einer Bescheidenheitsformel, einem nachträglichen Neujahrsgruß sowie der Datierung auf den 26. Februar 1554 ab: o

Dann ich mich je umb vilfaltige guthat / so mir von eüwer weißheit widerfaren / nit anders kan o oder weyß zu uerdienen / dann eben mit dem / so ich mit meinem verstand (der sehr gering ist) e o mag außrichten / Gott wolt mir grossers müglich wer / wolt ich mich in allem guten vnd früntlichen willen erzeygen / wünsch euch hiemit vil glückseliger neüwer Jor. Datum Colmar den xxvj. Hornungs / Anno 1554 (A2v).

Dem impliziten Rezipienten wird demzufolge in den Ankündigungen des historischen Autors eine Rezeptionsvorgabe bereitgestellt, welche die Aufmerksamkeit von Beginn an auf den Werdegang mindestens dreier exemplarischer Figuren ausrichtet. Dass der „Knabenspiegel“ Wickrams Ankündigungen aus der Widmungsvorrede gerecht wird, wurde jedoch in der neuesten Forschung bestritten: Der ,Knabenspiegel‘ ist also weder, wie in der Widmungsvorrede behauptet, eine literarische Auseinandersetzung mit den dreyerley arten von Jungen und den Erziehungsfehlern ihrer Eltern und Erzieher, noch eine abschreckende Erziehungsschrift, der weychen jugend nutzlich

452

Das im Deutschen als Modell- oder Beobachtungslernen bezeichnete Konzept beschreibt ein Lernen aus dem miterlebten Schaden oder Nutzen beobachteter Personen. Es ist grundlegender Bestandteil der sozialen Lerntheorie des kanadischen Psychologen Albert Bandura. Vgl. Albert Bandura: Social Learning Theory, New York 1977.

224

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram o

e

e

darin zu lesen / damit sich die ehrlichen gemuter / vnd herrlichen ingenia / nit durch boße gesele e schafft verfuren lassen. Denn nach Ausweis der Handlung sind die ehrlichen gemuter vnd herrlichen ingenia eben gerade nicht gefährdet, sondern nur die mittleren Charaktere. Wie es sich mit den Bösen dieser Welt verhält, verrät er uns gleich gar nicht 453.

Dem kann entgegengesetzt werden, dass Wickram innerhalb seiner Vorrede in keiner Weise vorgibt, sich mit Erziehungsfehlern von Eltern und Erziehern auseinanderzusetzen, auch wenn ein verzärtelnder Erziehungsstil im nachfolgenden Roman vielfach unter Bezugnahme auf Willbald und seine Mutter Felicitas als Ursache für Tugendverfall und sozialen Abstieg thematisiert wird 454. Wickrams „Knabenspiegel“ bildet gerade keinen Erziehungsleitfaden – mindestens nicht vordergründig –, sondern von ihm soll selbst eine didaktische Wirkung auf den weychen jugendlichen Rezipienten seiner Zeit e ausgehen. Auch speist die Gruppe der ehrlichen gemuter vnd herrlichen ingenia sich vermutlich nicht allein aus Jugendlichen der ersten Kategorie, da gemäß Wickrams Konzeption gleichsam Jugendliche der zweiten Kategorie in einem entsprechenden Umfeld dieser Gruppe angehörig sein sollten. Darüber hinaus kann, meiner Ansicht nach, das Ende von Lottarius am Galgen und der Abstieg von Willbald zum flüchtigen Viehhirten durchaus als abschreckend empfunden werden. Ebenfalls deutet die Einschätzung Mecklenburgs, dass sich der „Knabenspiegel“ nicht mit den dreyerley arten von Jugendlichen auseinandersetze, auf ein Missverständnis der Widmungsvorrede des historischen Autors hin. Sicherlich liefert Wickram keine über die Bewertung des Galgens als verdienter lon (G2v) hinausreichende, konstruktive Antwort auf die Frage, „wie dem von Natur aus Bösen zu begegnen sei“ 455. Dies liegt jedoch auch nicht in seiner in der Widmungsvorrede ausgedrückten Intention. Stattdessen konzentriert sich der „Knabenspiegel“ exakt auf das, was Wickram verspricht, wenn er ankündigt, exemplarisch aufzuzeigen, was aber deren jedem auß seinem fleiß erfolget: Er entwirft für die dreyerley arten exemplarische Figuren und zeigt deren ebenfalls exemplarischen Werdegang auf 456. Die Zuordnung der Figuren wird dabei von vornherein durch sprechende Namen markiert: Friedbert entspricht demnach der ersten Kategorie, indem er sich bereits im zarten Alter von sieben Jahren als freüntlichest / züchtigest vnd ernsthafftigest (B2v) der Schulkinder auszeichnet. Auch durchschaut Friedbert Lottarius von Beginn an und erkennt ihn daher als schlechten Umgang für Willbald. Als Erwachsener durchläuft Friedbert daraufhin eine steile und makellose Karriere, wird Doktor und Kanzler am preußischen Hof. Über ähnliche Eigenschaften verfügt der Bauernsohn Felix, der Friedbert und Willbald zunächst unterrichtet und später mit Friedbert die Hochschule besucht. Er wird Magister und Sekretär des preußischen Hochmeisters.

453

454 455 456

Michael Mecklenburg: Mildernde Umstände? Didaxe und Figurengestaltung im „Knabenspiegel“ und im „Knabenspiegel“-Spiel. In: Müller/Mecklenburg (2007), S. 57–73, dort S. 63. Vgl. C1v; D1r–D1v; D3r–D3v; K1r; K2v; vgl. zudem Schmitt (2006), S. 14. Mecklenburg (2006), S. 62. Vgl. Schmitt (2006), S. 15.

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

225

Willbald entspricht hingegen der zweiten Kategorie und erfährt exemplarisch zuerst im Umfeld des Blenders und Betrügers Lottarius einen gesellschaftlichen Abstieg, dem später, zurück im Umfeld seines vorbildlichen Bruders, ein gesellschaftlichen Wiederaufstieg folgt. So erliegt Willbald den Schmeicheleien des Lottarius, lässt sich gegen Vater, Bruder und Lehrmeister aufhetzen, brennt mit Lottarius durch und muss schließlich verarmt vor seinen Gläubigern fliehen. Jedoch erkennt Willbald während seiner Zeit als Viehhirte Lottarius endgültig als falschen Freund und bereut sein Fehlverhalten. Nachdem er sich zurück in das Umfeld seines vorbildlichen Bruders und seines Lehrmeisters begeben und mit deren Hilfe Vergebung bei Gottlieb gefunden hat, stellt Willbald als Forstmeister mehrere Jahre lang seine Tüchtigkeit unter Beweis und folgt schließlich seinem Vater im Amt des preußischen Hofmeisters nach. Lottarius schließlich erfüllt die Merkmale der dritten Kategorie. Er stiftet Willbald zu Lügen, Ungehorsam, Betrug und Verschwendung an, macht sich schließlich aus dem Staub und endet, nachdem er zuerst einen Metzger und daraufhin einen Kaufmann bestohlen hat, am Galgen. In dieser Hinsicht wird der „Knabenspiegel“ demnach durchaus Wickrams Ankündigung, für jede der dreyerley arten exemplarisch aufzuzeigen, was aber deren jedem auß seinem fleiß erfolget, gerecht. e Der Widmungsvorrede folgt ein Vierzeiler, in dem sich das buchlein selbst an seinen potenziellen Rezipienten richtet: Jüngling wilt du gen Antorff faren / Liß mich so magstu dich bewaren / e o Vor Bulschafft / Schlam vnd bosem Spyl / Die all drey bringen schadens vil (A2v). e

Auf diese Weise umwirbt das buchlein im Anschluss an die Widmungsrede des historischen Autors selbst den potenziellen Rezipienten und bekräftigt in seinem Versprechen die vom historischen Autor intendierte didaktische Wirkung. Indem der Vierzeiler genau zwischen der Widmungsvorrede und dem ersten Kapitel steht, wird der Anschein erweckt, als fungiere das Buch als eigenständig eine Verbindung schaffende Instanz zwischen dem historischen Autor auf der einen und dem extradiegetischen heterodiegetischen Erzähler auf der anderen Seite. Da das Buch als Aussagesubjekt dabei keine positiven Anreize setzt, sondern stattdessen mit der Abwendung von Schaden zu überzeugen sucht, wird der Fokus verstärkt auf die mala exempla und deren abschreckende Wirkung gerichtet. Schließlich ergreift der historische Autor im Anschluss an das Ende der Erzählung erneut das Wort. Er wendet sich im zweiten Teil seiner Widmungsepistel unter Verwendung einer weiteren Bescheidenheitsformel erneut an Antoni Kuntz, den er als Auftraggeber seines Werks suggeriert: JEtzund hand ihr lieber Günstiger weyser Herr Antoni / das so jr langest an mich begert / Gott wolt mein verstand (welcher fürwar klein ist) het sich in o e dem vnd andren euch zu gefallen weiter erstrecken mogen (O3r). Anschließend schreibt Wickram sein Werk neben Antoni Kuntz auch wohlgesonnenen Rezipienten zu – den-

226

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram o

o

e

jenigen, welche seine wolmeynung verston vnd zu gut anemmen (O3r). Sein Buchlein vero gleicht er mit einem guten vnd wolgebanten pfadt (O3r), den es zu erkennen gilt. Daraufhin wendet er sich gegen mögliche Kritiker seines Werkes, welche dessen didaktischen Nutzen verkennen: e

o

dann gewissz bin ich / das dis mein rings Buchlein / wiewol das niemant zu nachteil schand oder e schaden reychen wirt / es doch von etlichen vngetadlet nicht mogen hingon / wenig gedencken / so o man das etwann in teütschen schulen braucht / vnd die jungen darauß lesen leren / das sie dannocht bey etlichen beyspilen ein schrecken empfachen / vnd sich dester mehr in zucht vnd forcht o jrer schulmeister geben werden (O3r).

Der impliziten Empfehlung seines Werks als Schullektüre und der Bekräftigung von dessen didaktischer Wirkung durch Abschreckung folgt eine Erläuterung des Modell-Lero nens anhand der Knabenspiegel-Handlung am Beispiel eines gutherzige[n] Knab: o

Dann so ein guthertziger Knab lesen würt / was disem Wilbaldo auß seinem vnfleyß vnd vngehore e o o sam für armut / trubsal zuhanden gangen / nimpt auch darin ab / wohin der bubist Lottarius e o o zuletst seinen gesellen Wilbaldum gefurt / ja zu letst als er nichts mehr hat / gar von jm verjagt e o vnd verstoßen / vnd aber er der Lotters bub nach vilfeltiger seiner boßen stück an lichten galgen erhenckt worden. Item er bedenckt noch ferner was grossen ehren / glücks / vnnd selden den e zweyen Bauwren Sonen (als dem Fridbert vnnd Felixen von fleißigen studieren vnd gehorsame jrer o o o Herren vnd schulmeister) widerfaren ist / so must es freilich ein verrucht hertz da sein / wann es e o nit so bald dem guten vnd mer dann dem boßen volget (O3r).

Bei der Offenlegung seiner didaktischen Intention anhand der handlungstragenden Exempelfiguren im „Knabenspiegel“ verweist Wickram demnach auch mindestens unterschwellig auf die von seinem Werk entfaltete stadtbürgerliche Utopie von einer durchlässigen Gesellschaft, indem er auf die bäuerliche Herkunft seiner Aufsteigerfiguren Friedbert und Felix verweist. Daraufhin weist er die Geschichte als eine seiner tatsächlichen Lebenswelt nachempfundene Fiktion aus: sagt schon einer / wo ich die geschicht erfaren hab / würt er mich on antwurt nit finden / dann ich würd sagen bey vnser e e jugendt / sihe ich noch taglich der glichen / so findt man auch noch vil der altern so jr kinder e e zucht vnd straff nit sehen noch horen wollen / sehen sie schon den Hencker all tag solch gale o e e gen vogel zum Thor hinauß furen (O3v). Indem das Geschehen in seiner Struktur als taglich an der dem historischen Autor zeitgenössischen Jugend nachvollziehbar dargestellt wird, soll die Geschichte einen objektiven Verbindlichkeitsanspruch gewinnen457. Wickram suggeriert darüber hinaus an dieser Stelle erstmals selbst den in seiner Erzählung exemplarisch aufgezeigten Bezug zwischen abgedrifteten Jugendlichen und einer von den Eltern ausgehenden restriktionsarmen Erziehung. Seiner anschließenden Bitte an Gott um eine bessere, in Furcht aufwachsende Jugend, die nochmals den Fokus seiner Didaktik auf das Konzept der Abschreckung legt, folgt eine Abschiedsformel: Gott geb gnad / das sich die juget besser vnd in der forcht auffwachs / Hiemit Gunstiger Herr befilch ich euch vnnd eüwer weib vnd kinden / in den schirm des Almechtigen (O3v).

457

Vgl. Schmitt (2006), S. 16.

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

227

Es wird an mehreren Stellen deutlich, dass Wickrams zweiteilige Widmungsepistel sowohl an deren offiziellen Adressaten Antoni Kuntz gerichtet ist als auch an den impliziten Rezipienten seines Werks. Sie erfüllt mehrere Funktionen auf verschiedenen Ebenen. Zum einen ist davon auszugehen, dass die Widmungsepistel, wie es zu dieser Zeit üblich war, als wichtiges Finanzierungsinstrument des historischen Autors fungierte, worauf auch der äußerst schmeichlerische Ton Wickrams gegenüber Antoni Kuntz hindeutet 458. Als Gegenleistung wird Antoni Kuntz bei der zeitgenössischen Rezipientenschaft als vorbildlicher Vater wolerzogene[r] kinde[r] und gönnerhafter Mäzen Wickrams demonstrativ zur Schau gestellt 459. Dabei zeigt der historische Autor mehrfach seine eigene Bescheidenheit auf. Über dererlei Funktionen auf einer historisch-pragmatischen Ebene hinaus jedoch enthält die zweiteilige Widmungsepistel zum anderen rezeptionslenkende Elemente. Einerseits liefert sie dem impliziten Rezipienten vorweg ein Deutungsinstrumentarium, welches dessen Aufmerksamkeit von Beginn an auf die intendierte didaktische Wirkung des Werks lenkt, wobei die Protagonisten der Handlung als Exempelfiguren der dreyerley arten von Jugendlichen kenntlich gemacht werden. Andererseits verteidigt die nachträgliche Demonstration dieser didaktischen Wirkung an o einem ebenfalls exemplarischen gutherzige[n] Knab das Werk gegen Kritik jeglicher Art, indem es die demonstrierte didaktische Wirkung als unzweifelhaften Beleg für den Wert des Werkes herausstellt. Die Widmungsepistel mit ihren aufgezeigten Funktionen ist dabei augenscheinlich nicht auf die ausgewiesene Zielgruppe des Werks, die weyche[.] Jugend, gerichtet. Weder soll Antoni Kuntz vermutlich bei Kindern und Jugendlichen als Musterbürger und Mäzen zur Schau gestellt werden, noch erscheint die dauerhafte Thematisierung der didaktischen Intention der tatsächlichen didaktischen Wirkung auf junge Rezipienten zuträglich. Auch entstammen die potenziellen Kritiker, gegen die Wickram sein Werk verteidigt, vermutlich nicht der Gruppe der jugendlichen Rezipienten460. So kamen vermutlich die Kinder und Jugendlichen selbst als potenzielle Käufer nicht in Frage, sondern ausschließlich deren Eltern, welche vom didaktischen Wert des Werks überzeugt werden sollten. Darüber hinaus erscheint insbesondere unter dem Gesichtspunkt der standesgrenzendurchbrechenden Auf- und Abstiege der Exempelfiguren auch eine Lesart des „Knabenspiegels“ als stadtbürgerliche Erwachsenenlektüre denkbar. Indem der stringente Aufstieg des gebürtigen Bauersohns Friedbert zum Kanzler in der ersten Hälfte der Romanhandlung mit dem Abstieg des gebürtigen Adelssohn Willbald

458 459 460

Vgl. Genette (2001), S. 117 f. Vgl. Genette (2001), S. 132. Darüber hinaus handelt es sich auch bei dem im „Dialog vom ungeratenen Sohn“ auftretenden „Knabenspiegel“-Rezipienten Casparus, der einen exemplarischen Kritiker des Werks darstellt, ganz offensichtlich um einen Erwachsenen. Diesen versucht sein Gegenüber Georgius, der sich als Autor des „Knabenspiegels“ ausweist, von seinem Werk zu überzeugen. Vgl. Dialog vom ungeratnen Sohn (1554).

228

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

zum Hirten kontrastiert wird, erscheint Michael Mecklenburgs Beobachtung einer in der literarischen Fiktion des „Knabenspiegels“ realisierten stadtbürgerlichen Utopie 461 zutreffend. Dabei kommentiert der extradiegetische Erzähler: wie dann auch ein alt sprichwort gebraucht würt / hundert jar machen auß einem Hirten ein Künig / o vnd wider hundert jar auß eim Künig ein Hirten / Wilibaldus der von gutem geschlecht / vnd e o Edlen stammen erboren was / muß jetzund der schwein vnd anders viehes huten / hette er nach Adel vnd tugenden gestrebt wer jm gleich wie andren gelungen / dann wiewol Fridbertus von Bewrischen geschlecht vnd eines Hirten Son was / kumpt er doch von wegen seiner gehorsamkeit / o vnd tugend zu grossen ehren vnnd wirden (G3v).

Er bekräftigt demnach den von ihm vorgetragenen kontrastreichen Werdegang der beiden ständisch ungleichen jungen Männer unter Gebrauch eines Sprichwortes und verweist dabei auf das antike, von den Humanisten in der Nachfolge mittelalterlicher Rezeption erneut aufgegriffene und auf die frühneuzeitliche Standesgesellschaft übertragene Konzept eines Tugendadels, welches Nobilität als Angelegenheit von tugendhaftem Verhalten, Bildung und Verdienst ausweist 462.

Abb. 122: Illustration KS16 (G47) o

Den Kontrast zwischen dem durch gehorsamkeit / vnd tugend zu grossen ehren vnd wirden aufgestiegenen Bauernsohn und seinem ein Dasein als Viehhirte fristenden, von Geburt adligen Ziehbruder, dem eine vergleichbare Karriere zugestanden wird, hette er nach Adel vnd tugenden gestrebt, hebt dabei zugleich die polyszenische Illustration KS16 in einer direkten Gegenüberstellung hervor. Im bildlichen Verfahren der direkten Gegen461 462

Vgl. Mecklenburg (2006), S. 63. Vgl. Borggrefe (1996).

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

229

überstellung kann zugleich eine Parallele zum ständigen kontrastierenden Wechsel zwischen den Handlungssträngen um Willbald und Lottarius sowie um Friedbert und Felix innerhalb der Spracherzählung der Kapitel acht bis neunzehn erkannt werden. Gefördert durch die klare Ausweisung des „Knabenspiegels“ als didaktische Kinderund Jugendliteratur in der Widmungsepistel wird der gesellschaftspolitische Zündstoff, welcher aus der unterschwelligen Infragestellung von Standesgrenzen hervorgegangen sein dürfte 463, gewissermaßen unter dem Deckmantel der Didaktik verborgen. Dabei durchschreiten die Figuren Standesgrenzen exemplarisch in beide Richtungen und erwecken dabei den Anschein von Selbstverständlichkeit. So stellt der „Knabenspiegel“ die Aufstiegsbiografien von Friedbert und Felix vom Bauersohn zum Hofkanzler bzw. Hofsekretär als exemplarisches Resultat von Fleiß und Tugend dar. In dieser Hinsicht ergibt sich ein beträchtlicher Unterschied zum „Goldfaden“, wo Leufrieds Aufstieg vom Hirtensohn zum Grafen, wie bereits in 3.2.2 aufgezeigt, durch göttliche Zeichen als außergewöhnliche Gnade inszeniert wird. Jedoch schließt die Lesart des „Knabenspiegels“ als stadtbürgerliche Gesellschaftsutopie eine weitere Lesart desselben als didaktischer Kinder- und Jugendroman weder aus, noch steht sie einer solchen zwingend entgegen. Die Frage, ob sich die vom historischen Autor intendierte Art von Modell-Lernen bei den historischen Rezipienten tatsächlich als effektiv erwies, ist davon ebenfalls unabhängig und erscheint heute aufgrund des Mangels an diesbezüglich auswertbaren Quellen nur schwer überprüfbar.

3.2.4 Zusammenfassung Die typografisch von den inneren Elementen der Erzählung abgehobenen Kapitelüberschriften der vier untersuchten Romanerstausgaben haben vornehmlich die zeittypische Gestalt deskriptiver Ergänzungssätze und stehen dabei in verschiedenen VergangenheitsTempora. Vereinzelt heben sich andere Formen der Kapitelüberschrift durch ihr präsentisches Tempus vom epischen Präteritum ab. Allen Kapitelüberschriften ist dabei eine Gliederungs- und Ordnungsfunktion gemeinsam, welche zum einen das Wiederauffinden bereits rezipierter Textstellen erleichtert und zum anderen zum Zurückblättern und Rekapitulieren des vorangegangenen Geschehens anregt. Indem die Kapitelüberschriften in der Regel den nachfolgenden Kapiteln inhaltlich vorgreifen, lenken sie zudem, verbalen Vorverweisen und Ankündigungen im Bereich der inneren Erzählstruktur sowie ikonischen Prolepsen vergleichbar, die Aufmerksamkeit des impliziten Rezipienten vorweg auf die von ihnen thematisierten diegetischen Ereignisse. Diese werden dabei vom impliziten Beobachter der Bilddarstellungen entweder vollständig, teilweise oder gar nicht wahrgenommen. Indem die erstere Variante zu Gunsten der mittleren in „Kna-

463

Vgl. Kartschoke (1978), S. 381.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

benspiegel“ und „Goldfaden“ abnimmt, kann eine Zunahme der Unabhängigkeit von Kapitelüberschrift und Illustration beobachtet werden. Während proleptische Illustrationen, welche die diegetischen Inhalte der Kapitelüberschrift vollständig oder teilweise verbildlichen, die Aufmerksamkeitslenkung auf die bereits paratextuell dargestellten diegetischen Ereignisse verstärken, können sich im Fall der dritten Variante Kapitelüberschrift und proleptische Illustration in ihrer fokussierenden Wirkung ergänzen. Darüber hinaus erzeugen einzelne Kapitelüberschriften gezielt Spannung, ironisieren diegetische Ereignisse oder versehen diegetische Figuren mit normativen Wertungen. Auch treten in den Kapitelüberschriften vereinzelt die mündlichen extradiegetischen Erzähler und ihre Adressaten oder die schriftlichen extradiegetischen Erzähler als Aussagesubjekt zutage, deren Koexistenz vermutlich auch im paratextuellen Bereich auf ein Bestreben, sowohl die zeittypische Erzählsituation des mündlichen Vortrags zu imaginieren als auch die Texte auf die stille Rezeption auszurichten, zurückzuführen ist. Die Titelblätter der untersuchten Romanerstausgaben enthalten unter der Ausnahme des Erstdrucks von „Gabriotto und Reinhart“, der über lediglich einen Titel in Argumentum-Form verfügt, zwei Titel – einen schlagwortartigen Titel sowie einen Untertitel in Argumentum-Form. Dabei rücken die schlagwortartigen Titel unterschiedliche Aspekte der Romane in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Während im „Ritter Galmy“ der Protagonist des diegetischen Geschehens in den Vordergrund gerückt wird, verweist der Titel im „Knabenspiegel“ auf die vermeintliche Zielgruppe des Romans und deren intendierte Rezeptionsweise und im „Goldfaden“ auf das Schlüsselmotiv der Geschichte. Die Argumentum-Titel hingegen fokussieren vermeintliche Leitthemen der Romane – Liebe in Verbindung mit sozialem Aufstieg im „Ritter Galmy“, Liebe als Ausgangspunkt eines tragischen Endes in „Gabriotto und Reinhart“, sozialer Auf- und Abstieg in Verbindung mit Lernen und Gehorsamkeit gegenüber Eltern und Lehrern im „Knabenspiegel“ und sozialer Aufstieg in Verbindung mit Fleiß und tugendhaftem Verhalten und Heirat im „Goldfaden“. Dabei werden lediglich im „Ritter Galmy“ und „Goldfaden“ die Protagonisten der diegetischen Handlung namentlich genannt. Deren nicht namentliche Umschreibung in „Gabriotto und Reinhart“ und im „Knabenspiegel“ verleiht ihnen einen exemplarischen Charakter. Zudem werden im „Ritter Galmy“ die den Höhepunkt des diegetischen Geschehens umfassenden Ereignisse angeschnitten, wodurch Spannung erzeugt wird. Darüber hinaus werden innerhalb der jeweiligen Argue mentum-Titel der „Knabenspiegel“ als Buchlein und die übrigen drei Romane als History kategorisiert. Unter Ausnahme des Titelblatts im „Ritter Galmy“ werden im Argumentum-Titel oder im Anschluss an diesen zudem vermeintlich intendierte Zielgruppen der Romane sowie ein angeblich von der Lektüre ausgehender Nutzen herausgestellt. Auch erfolgt in „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“ eine Nennung des historischen Autors, welche die Romane in den Zusammenhang des wickramschen Gesamtwerks stellt. Ebenfalls wird auf dem Titelblatt im „Goldfaden“ der Drucker und im „Knabenspiegel“ das Erscheinungsdatum der Ausgabe genannt.

3.2 Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens

231

Über ihre sprachlichen Elemente hinaus enthalten alle Titelblätter der untersuchten Romanerstausgaben mindestens eine Titelillustration. Einzig der „Ritter Galmy“ verfügt dabei über eine polyszenische Titelillustration. Diese verbildlicht vier diegetische Ereignisse, die alle im Zusammenhang mit dem bereits im Untertitel thematisierten Höhepunkt des Romangeschehens stehen. Dabei drückt die bildliche Distanz der einzelnen Szenen zum impliziten Beobachter die zeitliche Relation der diegetischen Ereignisse untereinander aus. Das Titelblatt in „Gabriotto und Reinhart“ hingegen enthält jeweils eine monoszenische Titelillustration auf der Vorder- und Rückseite. Die bildlichen Darstellungen einer Ringübergabe sowie einer Beisetzung lassen sich dabei auch ohne Kenntnis der Romanhandlung direkt auf die vom Titel aufgegriffene Thematik vom sorglichen anfang vnd erschrocklichen ußgang / der brinnenden liebe beziehen. Hingegen kann die Titelillustration im „Knabenspiegel“ ohne Kenntnis der Geschichte kaum auf Titel und Untertitel bezogen werden. Dabei verbildlicht die monoszenische Bilddarstellung auf iterative Weise zwei Schlüsselereignisse im Verlauf der gesellschaftlichen Rehabilitierung des Protagonisten Willbald. Gleichsam ist die Titelillustration im „Goldfaden“ zunächst kaum mit den in Titel und Untertitel enthaltenen Informationen in Zusammenhang zu bringen. Darüber hinaus zeigt sie kein diegetisches Ereignis der äußeren Handlung, sondern lässt sich mit Überblick über das diegetische Geschehen sinnbildlich auf ein dem Bereich der inneren Handlung zugehöriges Schlüsselmoment beziehen. Dabei erzeugen die Titelillustrationen und Argumentum-Titel teilweise trügerische Vorerwartungen an die Romane, welche im Verlauf der Lektüre sukzessiv dekonstruiert werden. Die überwundenen Vorerwartungen heben danach die an ihre Stelle tretenden Elemente kontrastiv hervor. So fokussieren Untertitel und Titelillustration im „Ritter Galmy“ vorwiegend gewalttätige Szenen mit ausgeprägter äußerer Handlung und evozieren in diesem Zusammenhang traditionelle Muster eines Aventiureromans. Der Roman jedoch verlegt den Schwerpunkt des diegetischen Geschehens in den Bereich der inneren Handlung und somit der Entwicklung figürlicher Innenperspektiven. Des Weiteren erscheint in „Gabriotto und Reinhart“ am Ende der Romanhandlung, das durch eine weitere Realisierung der zweiten Titelillustration mit dem Titelblatt verknüpft wird, gerade nicht die Liebe, sondern das starrsinnige Festhalten des Königs an der standesinternen Grenze zwischen hohem und niedrigem Adel als Ausgangspunkt des tragischen Niedergangs der vier Protagonisten. Somit erscheint zugleich die Ankündigung des Romans auf dem Titelblatt als didaktische Lektüre für junckfrawen in Form einer Liebeswarnung hinfällig. Einer solchen Lesart widerspricht ebenfalls, dass Philomena und Rosamunda der Darstellung der Geschichte gemäß für die Entstehung ihrer Gefühle nicht einmal selbst die Verantwortung tragen. Ihr Verhalten wirkt daher zu keinem Zeitpunkt abschreckend. Gleichsam bricht der „Goldfaden“ die in seinem Untertitel erzeugte Vorerwartung einer Lehrschrift für junge Knaben. So erscheint der Lebenslauf des Protagonisten weder abschreckend noch vorbildlich und nachahmbar, indem Leufried über eine individuelle göttliche Prädestination verfügt, die ihn trotz seines Unge-

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

horsams gegenüber verschiedenen Autoritäten den märchenhaften sozialen Aufstieg vom Hirtensohn zum Grafen durchlaufen lässt. Darüber hinaus erzeugt die Titelillustration im „Goldfaden“ die Vorerwartung, dass die von ihr dargestellte Szene ein diegetisches Schlüsselereignis der äußeren Handlung bildet. Auf diese Weise hält die Bilddarstellung die Spannung bis zum Abschluss der Romanlektüre aufrecht und regt daraufhin zu einer tiefer gehenden Reflexion des diegetischen Geschehens durch den impliziten Rezipienten an, um ihren tatsächlichen Bezug auf die innere Handlung zu entschlüsseln. Weitere Elemente der äußeren Erzählstruktur bilden im „Ritter Galmy“ eine Vorrede und im „Knabenspiegel“ eine Vor- und Nachrede. Bei der Vorrede im „Ritter Galmy“ handelt es sich dabei um eine Inhaltsübersicht, die das diegetische Geschehen in drei Perioden untergliedert. Dabei erweitert sie die bereits im Untertitel genannten Informationen über die Geschichte und stellt sie unter Einbezug weiterer diegetischer Ereignisse in einen kausallogischen Zusammenhang. In der Vorwegnahme von weiteren Handlungselementen wird dabei die Spannung, den Vorverweisen der inneren Erzählstruktur vergleichbar, auf das ,Wie‘ verlagert. Die Erwiderung von Galmys Gefühlen durch die Herzogin wird hingegen geschickt ausgespart, um die Geschichte nicht anstößig wirken zu lassen. In einer an die Inhaltsübersicht anschließenden Bemerkung wird darüber hinaus jegliche Anstößigkeit der Liebe des Protagonisten zur Gattin seines Dienstherren bestritten. Zudem wird zum einen die Breite der Zielgruppe des Romans hervorgehoben und zum anderen auf die Möglichkeit des Bezugs der einzelnen Bilddarstellungen sowohl auf sprachliche Elemente der näheren als auch der weiteren Umgebung hingewiesen. Ein daran anschließender Sinnspruch wirkt zusätzlich einer vorschnellen Verurteilung der Liebe Galmys zur Herzogin entgegen. Die Vor- und Nachreden im „Knabenspiegel“ hingegen erfolgen in Form einer zweiteiligen Widmungsepistel. In dieser richtet sich der historische Autor Jörg Wickram an seinen Mäzen Antoni Kuntz. In der Vorrede werden dabei dem impliziten Rezipienten die dem Roman zugrunde liegenden Theoreme an die Hand gegeben, die im Zusammenspiel mit den Titelblatt-Elementen dessen Aufmerksamkeit von Beginn an auf die didaktische Dimension des Romans lenken. Dabei werden Jugendliche in dreierlei Arten unterteilt. Die erste Art ist von Natur aus tugendreich, die dritte von Natur aus lasterhaft. Die zweite Art jedoch hält das mittel und entwickelt sich je nach Umgang hin zu den Tugenden oder Lastern. Der historische Autor verspricht, die noch formbaren Jugendlichen durch die abschreckenden und anspornenden Exempelfiguren, welche sich hinter den Protagonisten des „Knabenspiegels“ verbergen, auf die richtige Bahn bringen zu können. Dabei handelt es sich um eine frühneuzeitliche Form von Modell-Lernen an guten und schlechten Beispielen. Im direkten Anschluss an die Vorrede betont ein Vierzeiler, dessen Aussagesubjekt das Buch selbst bildet, nochmals die didaktische Wirkung und fordert dabei zur Lektüre auf. In der Nachrede zeigt Wickram die Beispielhaftigkeit seiner Protagonisten Friedbert, Felix, Willbald und Lottarius als Verkörperungen der drei Arten von Jugendlichen auf,

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

233

wobei bereits deren sprechende Namen die jeweilige Zugehörigkeit erkennen lassen. Dabei weist er jegliche Kritik an seinem Werk zurück, indem er die von den diegetischen Exempelfiguren ausgehende didaktische Wirkung anhand eines exemplarischen Knaben als potenziellen Lesers demonstriert und auf diesem Weg den Wert seines Romans aufzeigt. Darüber hinaus stellt er das diegetische Geschehen als eine seiner tatsächlichen Lebenswelt nachempfundene Fiktion aus. Die zweiteilige Widmungsepistel ist augenscheinlich nicht auf die ausgewiesene jugendliche Zielgruppe des Werks, sondern auf Erwachsene ausgerichtet. Gleichsam erscheint auch der Roman selbst insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Standesgrenzen durchbrechenden Auf- und Abstiege seiner Exempelfiguren nicht allein als didaktische Jugend-, sondern auch als stadtbürgerliche Erwachsenenlektüre denkbar. Hierbei motiviert der „Knabenspiegel“ die Standesgrenzen überschreitenden Biografien von Friedbert, Felix und Willbald im Unterschied zu Leufrieds Aufstieg im „Goldfaden“ nicht durch göttliche Prädestination, sondern stellt sie als exemplarisches Resultat von Fleiß und Tugend dar. Auf diese Weise werden die Standesgrenzen forcierter noch als in den drei übrigen untersuchten Romanen in Frage gestellt. Der von der zweiten Lesart ausgehende gesellschaftspolitische Zündstoff wird dabei unter dem Deckmantel der umfangreichen Ausweisungen des „Knabenspiegels“ gemäß der ersten Lesart als didaktisches Kinder- und Jugendbuch auf dem Titelblatt und in der Widmungsepistel verborgen.

e

3.3 Wollest bedencken die alten Historyen. Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens e

ich bitt dich / mein aller liebster Gabriotto / wollest bedencken die alten Historyen (F2v), warnt Reinhart seinen Freund, als dieser ihm von seinen Gefühlen zu der standeshöheren Königsschwester Philomena erzählt. Daraufhin führt Reinhart Thisbe vnd Pyramus, Jason, Samson, Salomon, David, Hercules, Achill[..], Paris und zuletzt Sigißmunda und Gwißgardu[s] sowie Eurialus vnd Lucrecia als Exempel des trawrigen ausgang[s] von liebhabenden menschen (F2v) an. Durch in-Beziehung-Setzen seiner gegenwärtigen Situation mit den aufgeführten Exempeln aus alten Historyen verschiedenster Provenienz soll Gabriotto die möglichen Konsequenzen seiner Liebe absehen und in Folge dessen vor seinen Gefühlen zurückschrecken. Gleichsam wird der implizite Rezipient zu einer transtextuellen, relationalen Reflexion des diegetischen Geschehens sowie zu darauf basierenden Annahmen über dessen potenziellen weiteren Verlauf angestoßen. Der expliziten Aufforderung zur transtextuellen Relationierung der Diegese auf der diegetischen Ebene entsprechen zahlreiche implizite Anregungen auf der Textoberfläche, welche sich an den impliziten Rezipienten richten. Diese werden zum einen durch Bild-

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

plagiate 464 in Form von Holzschnitten aus älteren Prosaliteraturausgaben ausgelöst, die sich im Kontext der Spracherzählung neu semantisieren lassen. Dabei schwingt die ursprüngliche Semantik der Bilddarstellung zwangsläufig folienartig mit und regt zur relationalen Verknüpfung mit der neuen Semantik an. Zum anderen fordern auch Bildplagiate den impliziten Rezipienten zum bedencken von alten Historyen auf, die sich nicht direkt auf den diegetischen Kontext in Form einer neuen Sematisierung der gezeigten Figuren und Handlungen beziehen lassen. Die ursprüngliche Semantik der bildlichen Szene wird in diesem Fall dem in ihrem neuen Kontext sprachlich vermittelten diegetischen Geschehen transtextuell gegenübergestellt, ohne dabei durch eine neue Semantisierung überblendet zu werden. Die einzelnen transtextuellen Verknüpfungen erstrecken sich dabei in beiden Varianten zumeist über die ikonische Erzählebene hinaus in den Bereich der verbalen Erzählebene. Somit treten die transtextuell entfachten Wirkungspotenziale in der Regel erst im Zusammenhang der intermedialen Erzählstruktur vollständig zutage. Transtextuelle Verknüpfungen gehen dabei mit Bildplagiaten unterschiedlicher Provenienz einher. Einerseits kommt es innerhalb der vier untersuchten Romane Wickrams selbst vielfach zu bildlichen Übernahmen. Andererseits ergeben sich dort auch transtextuelle Bezüge im Zusammenhang mit Bildplagiaten aus den Prosaromanen „Fortunatus“ und „Melusine“, dem Schwankroman „Till Eulenspiegel“ sowie der deutschsprachigen Bearbeitung der Renaissance-Novelle „Giletta“. Im Folgenden sollen die intermedial erzeugten, transtextuellen Verknüpfungen der vier Romane untereinander sowie die mit anderen Prosaerzählungen der Zeit in Verbindung mit den verschiedenartigen in diesem Zusammenhang entfachten Wirkungspotenzialen beleuchtet werden.

3.3.1 Transtextuelle Verknüpfungen zwischen „Ritter Galmy“ und „Gabriotto und Reinhart“ Die Erstausgabe von „Gabriotto und Reinhart“, Wickrams zweitem Roman, wird mehrheitlich durch Bildplagiate aus seinem Romanerstling, dem „Ritter Galmy“, illustriert 465. Dabei werden von 21 für den ersten Teil 466 vom „Ritter Galmy“ angefertigten Druck464

465

466

Genette bezeichnet „nicht deklarierte, aber immer noch wörtliche Entlehnungen“ als Plagiate. In Anlehnung daran sollen als solche nicht gekennzeichnete Übernahmen von Bilddarstellungen durch die Wiederverwendung von Druckstöcken im Folgenden als Bildplagiate bezeichnet werden. Genette (1993), S. 10. 36 von 50 Textillustrationen gehen vollständig oder teilweise (Kombinationsholzschnitte) auf für den „Ritter Galmy“ angefertigte Druckstöcke zurück. Siehe tabellarisches Illustrationsverzeichnis S. 92 f. Der erste Teil umfasst dabei alle Geschehnisse bis zu Galmys erster Rückkehr nach Schottland. Vgl. Haug (1991), S. 105.

235

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

stöcken 467 ganze 17 sowie drei weitere für den zweiten Teil angefertigte Druckstöcke auch für „Gabriotto und Reinhart“ herangezogen 468. Die auffallend häufige Übernahme von Bildmaterial aus dem ersten Teil des Vorgänger-Romans geht dabei zugleich – bei allen Differenzen im Detail 469 – mit weitreichenden thematischen Übereinstimmungen in diesem Bereich einher 470. Viele Bildplagiate lassen sich daher im Kontext ihrer Realisierungen in „Gabriotto und Reinhart“ neu semantisieren und markieren, indem sie zugleich auf ihren Prätext verweisen. So übernimmt Wickram beispielsweise die Motivfolge der Ausstattung des geliebten Ritters durch seine Dame für ein bevorstehendes Turnier am Hof, die im Rahmen des Turniers durch erfolgreiche Kämpfe erfolgende Ansehenssteigerung des Ritters beim Fürsten verbunden mit der Demütigung eines Neiders sowie den intimen Moment des Tanzes der Liebenden auf dem abendlichen Turnierball. Im Rahmen der Ausgestaltung dieser aus dem „Ritter Galmy“ adaptierten Motivfolge erfolgen zwei Bildplagiate. Zum einen handelt es sich um die in 3.1.3 bereits ausführlich unter Bezug auf die narrative Frequenz thematisierte Bilddarstellung, welche einen Turnierkampf verbildlicht, und zum anderen um eine drei Paare beim höfischen Tanz darstellende Illustration. Als Illustration RG20 (Abb. 83) führt die erstere bildliche Szene, wie bereits in 3.1.3 aufgezeigt, singulativ den Ritter Galmy im Turnierduell gegen seinen Neider Wernhard, das Galmy im zweiten Ritt klar für sich entscheidet, vor Augen. Dabei ist die mit Sternen bezierte Satteldecke als Teil der von der Herzogin gestifteten Ausstattung zu erkennen. Daneben schwingt auch ein repetitiver Rückbezug auf Galmys Turniererfolg in Frankreich mit, der durch eine frühere Realisierung desselben Druckstocks verbildlicht wird. Als Illustration GR23 hingegen bezieht sich die Bilddarstellung vordergründig auf Gabriotto im Kampf gegen Reinharts Neider Orwin. Dieses Turnierduell wird dabei als einziges verbal ausgeführt, während alle übrigen um kürtze willen vnderlassen wend (M4r): o

Gabriotto den Orwin mit semlicher macht trafft / das er jn des ersten Ritt zu boden gerannt hett / wo er nit von vngeschicht sich an einem so neben jm rannt enthalten hett / also er sich in grossen o o zorn auff seinem hengst enthielt / zu end der schrancken reyt / sein sper wider zu seinen handen nam / dem Ritter Gabriotto wider begegnet / welcher jn mit solcher geschicklichkeyt traff / das er o o o o von seinem gaul zu der erden fallen mußt / darzu Gabriotto sein sper zu stucken hoch in die lüfft v zersprenget (M3 ).

467 468

469 470

Druckstock 2–20 sowie die Druckstockhälften Ia und Ib. Alle Druckstöcke aus dem ersten Teil bis auf Druckstock 2, 5, 9 und 16, dazu die Druckstöcke 26, 29 und 33 aus dem zweiten Teil. Vgl. Jacobi (1970), S. 147–160. Bereits Bolte hebt die gemeinsame Abfolge von Handlungsmotiven hervor: „heimliche liebe eines fremden ritters zur fürstin, anfängliche demütigung des neiders, wachsender argwohn, trennung der liebenden“. Johannes Bolte: Vorwort. In: Georg Wickrams Werke. Hrsg. von Johannes Bolte und Willy Scheel. Bd. 1, Berlin 1901, S. I–XLIII, hier S. XXXII.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Wie bereits Galmy zeigt sich auch Gabriotto seinem Kontrahenten klar überlegen. So trägt er im zweiten Ritt den Sieg davon und sichert sich dadurch die Anerkennung des Fürsten, dem Gabriottos wesen […] nit übel gefalt (M3v). Die in Illustration RG20 als Herzogin auszumachende Dame im Publikum kann innerhalb von Illustration GR23 problemlos auf Philomena bezogen werden, die gleichsam den Kampf ihres geliebten Ritters verfolgt. In einer weiteren Parallele zu Galmy gewinnt Gabriotto das Turnier – ihm wird von menglich der preiß geben (M4r). Da es sich auch bei Illustration GR23 um eine romaninterne Bildwiederholung handelt 471, verfügt diese wie Illustration RG20 über eine romaninterne repetitive Komponente. So bezieht sie sich über ihren singulativen Bezug hinaus zurück auf Gabriottos und Reinharts glänzenden ersten Turnierauftritt, in dessen Folge sich Philomena und Rosamunda in die jungen Männer verliebt haben. Wie schon im Fall von Illustration RG20 werden dem impliziten Rezipienten demnach zugleich bereits weit zurückliegende diegetische Ereignisse in Erinnerung gerufen. Ein Detail der bildlichen Szene betont zudem klar über die romaninterne Sematisierung der Darstellung hinaus deren ursprüngliche Semantik. So tritt Gabriotto beim Turnier mit einem fliegend hertz mit einer guldenen Kron auff sein helmlin und einer decken / darinn allenthalben von rotem Kermessein hertzen darauff gehefft waren (M2v) auf. Die mit Sternen gezierte Satteldecke Galmys widerspricht demnach der von Philomena verfügten Ausstattung Gabriottos. Auf diese Weise weckt die Bilddarstellung zudem über die Grenzen des Romans hinweg Erinnerungen an die Turnierduelle Galmys.

Abb. 123: Illustration RG21 (GR24, KS19, G63)

471

Der zugrunde liegende Druckstock wird bereits als Illustration GR7 realisiert.

237

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

Auch die durch die Illustrationen RG21 und GR24 bildlich dargestellten Situationen beim abendlichen Tanz ähneln sich in ihrer verbalen Darstellung. Sowohl Galmy und die Herzogin als auch Gabriotto und Philomena bemühen sich, ihre innere Freude über den intimen Moment nicht nach außen zu tragen: dem Ritter Galmien ein dantz mit der Hertzogin geben ward / dadurch jr beyder hertzen grosse e freüd empfiengen / Doch keyns gleichen gegen eynander thetten / das sye in liebe entzünt waren r (N1 ). o

das jn [Gabriotto und Philomena] dann zu beyden seiten unmeßliche freüd bringen thet / deme o nach den dantz mit züchten anfiegen / alle die da zugegen stunden / sich der beyder schone o n[i]ch[.]t gnugsam verwundren mochten (N1r).

Demnach kann auch die Illustration RG21 plagiierende Illustration GR24 neu semantisiert werden. Indem die im Hintergrund gezeigte Dame ihren Blick auf das tanzende Paar im Vordergrund gerichtet hat und ihr von ihrem Tanzpartner scheinbar etwas zugeflüstert wird, kann die bildliche Darstellung sogar auf die verbal berichtete Verwune derung der Anwesenden über die schone des heimlichen Liebespaars bezogen werden. Dennoch ist Illustration GR24 für den Kenner des Vorgänger-Romans als Plagiat auszumachen und verweist in dieser Hinsicht zugleich zurück auf ihre ursprüngliche Semantik, wodurch die Entlehnung des Motivs markiert wird. Allerdings ist neben Gabriotto auch dessen bester Freund Reinhart Teil des besagten Geschehens, auch wenn über dessen Abschneiden auf dem Turnier nichts berichtet wird. Mehrfach thematisiert wird hingegen Reinharts Ausstattung, die ihm Rosamunda zur Verfügung stellt. Das mit Rosenstöcken bestickte Gewand und die seydene decken / Rossein farb vnd weiß / vnd allenthalben mit rechten nateurlichen roßen behencken (M2r) verweisen dabei verräterisch auf den Namen der Stifterin. Dieser Umstand erweckt schließlich den Argwohn des Königs: der Künig […] von stund an jn ein argwon gegen dem Ritter fiel / das jm Rosamunda die junckfraw / ein semliche libery angezeygt / oder villeicht hett machen lassen (M3v). Auch kommt es beim abendlichen Ball zu einem Tanz von Reinhart und Rosamunda, da Gabriotto auf Veranlassung des Königs nach seinem Tanz mit e Philomena die nachgonden dantz nach seinem gefallen (N1r) zuteilen darf. Indem Gabriotto seinem Freund Rosamunda zuweist, nimmt der Argwohn des Königs gegen Reinhart und Rosamunda weiter zu 472. Demnach wird neben der über die Illustration markierten Entlehnung der Motivkette zugleich eine kontrastierend wirkende Transformation derselben entwickelt 473. Dem impliziten Rezipienten wird in diesem besonderen Fall simultan der Anschluss an Erzählmotive in fester Folge aus dem „Ritter Galmy“ sowie deren Überwindung demonstriert. 472

473

o e

nun hat der Künig sunder acht genummen / wem der Ritter Rosamunda zufuren wolt / als er nun sah das er sie Reinharten bracht ward / noch mer in argwon gegen jnen beyden fallen thet (N1r). Dabei fungiert der missglückte Einsatz von in ihrer Bedeutung zu offensichtlichen Bildzeichen innerhalb der Handlungsentwicklung als Alternative zu verräterischen Gebärden der Liebenden bezüglich der Erzeugung des Verdachts durch den Fürsten.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Über die Illustrationen GR23 und GR24 hinaus markieren weitere Bildplagiate aus dem „Ritter Galmy“ die Entlehnungen von Erzählmotiven. So heben die Illustrationen GR14, GR17, GR33 und GR34 die Übernahme des Briefs als vornehmliches Kommunikationsmittel der Liebenden hervor. Daneben wird auch das heimliche Treffen der Liebenden als Ort intimer Liebesversicherungen aus dem „Ritter Galmy“ adaptiert und dabei durch ein Bildplagiat – die Illustration GR20 – markiert. Gleichsam stellt Illustration GR13 die zu Beginn des Kapitels bereits thematisierte, ebenfalls aus dem „Ritter Galmy“ übernommene Warnung des besten Freundes vor den möglichen Folgen der unstandesgemäßen Liebe heraus. Und auch die ebenfalls auf den „Ritter Galmy“ zurückgehende Illustration GR46 verbildlicht in „Gabriotto und Reinhart“ eine bereits aus dem Vorgänger-Roman bekannte Szene: die Benachrichtigung der Dame durch den Ritter vom Entschluss zur Abreise, um die aus dem Verdachtsmoment resultierende Gefahr für Leib und Leben der Liebenden abzuwenden.

Abb. 124: Illustration RG35 (RG15, RG31, GR3, GR25, GR35)

Das einleitende Bildplagiat zum ersten Kapitel hingegen erzeugt einen Kontrast. Die aus dem „Ritter Galmy“ übernommene Bilddarstellung bezieht sich in „Gabriotto und Reinhart“ als Illustration GR3 auf den ungerechtfertigten Verweis des an einem falschen Todesurteil Kritik übenden Ritters Gernier aus Frankreich durch den französischen König: sich der Künig also hart wider jn entrüstet / das er dem Ritter Gernier gebodt sein o o land mit leib vnd gut inn Monats frist zu raumen (A2v). Die beiden jungen Männer könnten dabei als Gerniers Sohn Gabriotto und dessen Freund Reinhart aufgefasst werden. Auch wenn von deren Anwesenheit bei dem gezeigten Gespräch nichts berichtet wird, so

239

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

sind sie doch beide direkt von den Folgen des Gesprächs betroffen – sie begleiten Gernier auf der nachfolgenden Suche nach einem neuen Dienstherren. Der schottische König hingegen, auf welchen sich die Bilddarstellung als Illustration RG35 in ihrer ursprünglichen Semantik bezieht, nimmt den aus Britannien zurückgekehrten Ritter Galmy im Beisein von dessen Vater und einem bildlich jedoch nicht verbal dargestellten Anwesenden freundlich am schottischen Hof auf 474. Dem Verweis Gerniers durch den französischen König, der über das falsche Todesurteil und den ungerechten Verweis Gerniers hinaus in grosser Tyranny gegen allem seinen volck tobet (A2r), wird auf diese Weise Galmys Aufnahme durch einen sich freundlich und interessiert gebenden schottischen König gegenübergestellt. Andere Bildplagiate aus dem „Ritter Galmy“ lassen sich zwar als bildliche Darstellungen des diegetischen Geschehens auf „Gabriotto und Reinhart“ beziehen, markieren jedoch weder die Entlehnung von Erzählmotiven, noch kontrastieren sie das diegetische Geschehen über ihre ursprüngliche Semantik. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei einer Bilddarstellung zukommen, die in die verbalen Darstellungen der Handlung in „Gabriotto und Reinhart“ vergleichsweise stärker eingebunden ist als in ihren ursprünglichen Kontext. Es handelt sich um die zweifache Plagiierung der Illustration RG49 (Abb. 77), die bereits in 3.1.1 als Kapitelgrenzen überschreitende ikonische Prolepse ausführlich untersucht wurde. Sie zeigt drei junge Herren beim höfischen Ballspiel zwischen Bäumen im Garten vor dem Hintergrund eines Gebäudeteils mit einem großen durch eine Säule zweigeteilten Fenster. Darin sind zwei weitere Figuren zu sehen, die das Ballspiel verfolgen. Während sich die auf Druckstock 29 basierende Bilddarstellung im „Ritter Galmy“ einzig auf den Hinweis, Galmy mit andren Herren vnd Edlen vmb kurtz weyl willen den steyn stieß (Ff1r–Ff1v), beziehen lässt, erscheint sie in „Gabriotto und Reinhart“ nicht allein als zweifaches Bildplagiat in Form der Illustrationen GR8 und GR12, sondern außergewöhnlicherweise zugleich als Prätext weitläufiger verbaler Darstellungen. So wird dort zunächst berichtet, wie Gabriotto und Reinhart unter anderem das Steine-Stoßen als Geschicklichkeitsspiel am englischen Königshof etablieren, wofür der König schließlich im Schlossgarten eigens einen Lustplatz einrichten lässt: o

GAbriotto demnach vnd die hochzeit vergangen was / sich von newem anhub / in mancherley o kurtzweil zu richten / als mit dem Ballen schlagen / springen / steynstossen / dann er in semlicher e behendigkeyt / ein sunder geubter Jüngling was / in kurtzer zeyt er vnd Reinhart das gantz hoffe gesind / auff einen andren weg richten theten / […] als nun der Kúnig solche ubung von seinem hoffgesind sehen ward / des grosse freüd empfahen thet / in kurtzer zeit einen lustigen Platz / so e e hinden an dem Palast was verordnet / welcher mit schonen grunen linden allenthalben besetzt r v (C3 –C3 ).

474

o

o

o

o

Der Künig den Ritter zu jm schuff zu sitzen / aller hand von jm zu erfaren / der Ritter mit grosser vernunfft antwurten kund / dauon der Künig ein grosse freüd empfahen thet / Von stund an an den Ritter o begert jm zu dienen (X3v).

240

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Die Lage des Lustplatzes am Palast sowie der erwähnte Baumbestand beziehen sich dabei direkt auf die aus dem „Ritter Galmy“ übernommene Bilddarstellung, welche als Illustration GR8 die Spracherzählung innerhalb der Darstellung des Geländes unterbricht. Auch für die verbal dargestellte Position des Fensters bildet die besagte Bilde darstellung den Prätext: Nun was der platz gelegen / wie jhr gehort hand / hart hinden an dem palast / Also wann junckfraw Philomena in jhrem gemach was / mocht sye allenthalben auß einem grossen fenster darauff sehen (C3v). Die beiden Figuren im Fenster können gemäß der nachfolgenden Szene auf Philomena und Rosamunda bezogen werden475, die ihren Jünglingen mit begierigem hertzen beim Spiel zusehen. Dabei ahnt die in Gabriotto verliebte Philomena, dass auch Rosamunda Gefühle für Reinhart hegt: So sye jren aller liebsten Gabriotten darauff sehen thet dem dann alles das so er anfieng / baß dann den andren anstund / nit minder Reinhart / der jm dann fast an allen dingen gleichen thet / des selben Rosamunda auch nit minder acht hett / […] die Junckfraw Philomena eines tags mit Rosamunda an jrem fenster lag mit begirigem hertzen nach Reinhart dem jüngling sehen ward / in e jr selb gedacht / O Allmechtiger Gott / wer es muglich / Reinhart von Rosamunda also lieb gehabt r wer / alls Gabriotto von mir lieb gehalten ist (C4 ).

Schließlich wird die besagte Bilddarstellung als Illustration GR12 im Rahmen weiterer Begegnungen der späteren Paare an dem verbildlichten Ort wiederholt. So tummeln sich Gabriotto und Reinhart, nachdem sich der erstere von seinem Jagdunfall erholt hat, erneut auf dem Lustplatz und werden dabei wiederum von ihren beiden Verehrerinnen beobachtet. Angespornt von der Aufmerksamkeit der beiden jungen Edelfräulein verbringen beide Freunde dort immer mehr Zeit: o

e

der jüngling von all seiner kranckheyt genaß / wieder zu seinen vermuglichen krefften kam / demnach sich nit lang saumet / sich wider mit aller kurtzweil auff dem lustplatz dummlen thet / namlich mit dem Ballen / springen / den steyn stossen / […] des selben junckfraw Rosamunda bald o o wargenummen hat / zu stund jrer junckfrawen Philomena das zu wissen thet / die dann seer grosse e freüd dauon empfieng / sich sampt Rosamunda in jr gemach fuget / in welchem sye nach allem jrem willen auff den obgemelten platz sehen mocht / des dann der jüngling sunderlichen warnam / e sich vil mer dann vor an das ort fuget / sampt Reinharten seinem liebsten vnd vertrewten gsellen r (F1 ).

Schließlich nutzen die beiden Damen einen günstigen Moment, ihren geliebten Jüngline gen blumlin und fatzanetlin zuzuwerfen: nach dem vnlang sichs an einem tag begab / das die beyden jüngling allein auff dem lustplatz jhr e kurtzweil ubten / in dem Philomena mit jrer liebsten freündin auch an jr gewonlich ort kummen waren / als sye nun nyemandts dann die zwen jüngling sehen thetten / sye mit ettlichen wol e o schmackenden blumlin auff guldin schnier gebunden / zu jhnen hinab wurffen / vnder andrem aber / e die junckfraw Philomena mit einem schonem / vnnd wol gemachten fatzanetlin den jüngling o Gabriotten auff sein achsell warff / als er vnderhalb dem fenster die hinab geworffnen blumen o auffgehaben hat / ein solchs jm ein genugsame anzeygung der junckfrawen liebe geben thet (F1r).

475

Die im rechten Fensterteil gezeigte Figur weist dabei eher Züge eines Mannes auf, kann jedoch aufgrund der sehr groben Darstellung auch als weibliche Figur semantisiert werden.

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

241

Demnach kommt der aus der Bilderzählung im „Ritter Galmy“ adaptierten Örtlichkeit als Stätte der frühen Begegnungen der Liebenden sowie der Übermittlung erster Liebeszeichen in „Gabriotto und Reinhart“ eine narrativ gewichtige Bedeutung zu. Die Entlehnung ist insofern außergewöhnlich, da sie weitgehend allein auf eine bildliche Darstellung zurückgeht. So wird weder der verbildlichte Lustgarten noch das im Hintergrund gezeigte Gebäude mit den beiden am Fenster stehenden Figuren im „Ritter Galmy“ verbal thematisiert. Es scheint – um kurzzeitig das Augenmerk von der Seite der Rezeption hin zur Produktion zu richten –, als ob die Bilddarstellung allein und unabhängig von ihrer ursprünglichen Einbindung in die Spracherzählung die Inspirationsquelle für ein mehrfach wiederholtes Erzählmotiv bildete.

Abb. 125: Illustration GR41 (RG29)

Einige wenige Bildplagiate aus dem „Ritter Galmy“ lassen sich nur eingeschränkt oder gar nicht als Verbildlichungen des diegetischen Geschehens in „Gabriotto und Reinhart“ auffassen. Der Bezug derartiger Bilddarstellungen auf ihren narrativen Kontext erfolgt auf einer systematischen Ebene. Themen oder narrative Funktionen fungieren dabei als gemeinsame Bezugspunkte zwischen der fremden Bildsemantik und dem diegetischen Geschehen. So verbildlicht die in den Verlauf der Überschrift zum 52. Kapitel montierte Illustration GR41 weder das von der Kapitelüberschrift angekündigte diegetische Geschehen noch ein in der Kapitelüberschrift nicht genanntes Ereignis der nachfolgenden Handlung, sondern stellt allein den Bezug zu einer handlungsfunktional und thematisch vergleichbaren Situation aus dem „Ritter Galmy“ her, welche dort durch Illustration RG29 verbildlicht wird. Während nämlich die Bilddarstellung die Szene der

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

zufälligen öffentlichen Begegnung Galmys und der Herzogin nach dem Kirchgang zeigt, bei der die Liebenden ungewollt erröten und sich dadurch verdächtig machen, kündigt die Kapitelüberschrift in „Gabriotto und Reinhart“ ein Aufkommen fürstlichen Argwohns aufgrund des von der Königin erkannten Rings von Philomena an Gabriottos e Finger an: Gabriotto würt von newem von dem Künig verargwonet / von wegen eins rings so jm Philomena geben hat / den die Künigin an Gabriotten finger ersehen hat / vnd das dem Kúnig offenbart (V4v–X1r). In beiden Situationen machen sich die Liebenden demnach ungewollt verdächtig. Die Verdachtsmomente lösen dabei jeweils eine Kette von Ereignissen aus, die letztendlich zur Trennung der Liebenden durch eine mindestens zeitweise Abkehr des Ritters vom Hof führen. Wie bereits im Fall von Reinharts Turnierausstattung mit den Rosenmotiven ist auch im Falle des Rings die zeichenhafte Bedeutung eines Objekts für Außenstehende zu offensichtlich, um nicht – sei es auf direktem oder indirektem Weg über die Königin – den Argwohn des Königs zu erwecken. Indem das Bildplagiat dem angekündigten Erkennen des Rings als ein Geschenk Philomenas durch die Königin das Erröten Galmys und der Herzogin gegenüber hält, verweist es nicht allein auf die handlungsfunktionale und thematische Verwandtschaft der Erzählmotive, sondern regt darüber hinaus zu einem Vergleich der beiden Auslöser von Verdachtsmomenten gegen die Liebenden an. Im Unterschied zu Galmy und der Herzogin, die ihrer Körperreaktionen bei einer zufälligen Begegnung nicht Herr werden, verhält sich Gabriotto durch das Tragen des Rings von seiner Geliebten in der Öffentlichkeit vermeidbar unvorsichtig. Im Vergleich zu dem stets besonnenen Galmy agiert der jugendliche Gabriotto wie zuvor Rosamunda und Reinhart recht unbedacht – eine charakteristische Differenz zwischen den Protagonisten der beiden Romane tritt an dieser Stelle zutage. Diese korrespondiert mit dem bereits auf dem Titelblatt als tragisch angekündigten Ausgang des diegetischen Geschehens in „Gabriotto und Reinhart“ im Unterschied zum Happy End im „Ritter Galmy“. Illustration GR15 hält der verbal vermittelten Auszeichnung Gabriottos als bester Ballspieler durch Philomena Galmys Auszeichnung als Sieger des Turniers am herzoglichen Hof gegenüber. Galmy wird dabei gemäß der als Illustration RG24 im „Ritter Galmy“ realisierten Bilddarstellung im Beisein eines Herolds und eines geharnischten Reiters von zwei Hofdamen eine edle Kette sowie Goldstücke als Preis überreicht. o Gabriotto hingegen erhält lediglich eine schon vnd wolgemacht schnur (G4v). Auch wenn Gabriottos Preis gemäß der verbalen Darstellungen im Unterschied zum goldenen Faden im „Goldfaden“ mit keiner spöttischen Intention verbunden wird, erhält die Gegenüberstellung Gabriottos als Gewinner des spontan von Philomena in die Wege geleiteten Ballspiels mit Galmy als strahlendem Turniersieger einen despektierlichen Beigeschmack. Des Weiteren wird auch der Druckstock, der den ausführlich in 3.1.3 thematisierten Illustrationen RG8, RG14, RG27 und RG39 (Abb. 84) zugrunde liegt, in „Gabriotto und Reinhart“ wiederverwendet. Auch das daraus resultierende Bildplagiat, Illustration GR44, lässt sich lediglich thematisch mit dem diegetischen Geschehen in „Gabriotto

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

243

Abb. 126: Illustration RG24 (GR15)

und Reinhart“ verknüpfen. Dort wird die Illustration innerhalb des 55. Kapitels realisiert, in dem die Spracherzählung die Warnung Gabriottos durch den Kammerjungen vor dem geplanten Mordkomplott des Königs gegen ihn476 darstellt. Demnach kann die Bilddarstellung, welche im Hintergrund die Tuschelei Wernhards mit seinen Gesellen über den im Vordergrund mit seinem Freund Friedrich gezeigten Ritter Galmy darstellt, ausschließlich über das Thema der Hinterlist auf das im 55. Kapitel verbal vermittelte diegetische Geschehen bezogen werden. Es stellt das Komplott des englischen Königs in die Nachfolge der in verschiedenen Stadien allesamt gescheiterten Intrigen Wernhards und des Marschalls477 und deutet dadurch auch bereits die nachfolgende Vereitlung des hinterhältigen Anschlags an, welche die im direkten Kontext des Bildplagiats verbal vermittelte Warnung des Kammerjungen möglich macht. Ein weiteres Bildplagiat aus dem „Ritter Galmy“ bezieht sich in „Gabriotto und Reinhart“ thematisch nicht auf das diegetische Geschehen, sondern auf die metadiegetische Handlung um Florio vnd Bianceffora (E1v). Auf der Ebene der Geschichte im Bereich der figürlichen Kommunikation entfalten dabei die direkt wiedergegebenen Figurenreden Philomenas und Rosamundas ein metadiegetisches Geschehen in transtextueller

476

477

Gabriotto soll bei einer Jagd von einem Narren durch einen vergifteten Apfel getötet werden. Vgl. Y2r–Y2v. Wie in 3.1.3 aufgezeigt, verknüpft die Bilddarstellung bereits im „Ritter Galmy“ durch mehrfache Wiederholung die Verschwörungsversuche Wernhards mit der Intrige des Marschalls.

244

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 127: Illustration RG54 (GR11)

Bezugnahme auf die 1530 in Straßburg gedruckte Novelle Boccaccios in anonymer frühneuhochdeutscher Bearbeitung 478. Dabei vergleicht Philomena die Dimension ihrer Liebe zu Gabriotto mit der von Biancefforas Liebe zu Florio: Ich glaub auch nit / das e junckfraw Bianceffora (gegen Florio des Künig Pfelice son) grosser huld vnd liebe getragen o hab / als ich dem edlen jüngling tragen thun (E1v). Rosamunda bestreitet daraufhin die Stimmigkeit des Vergleichs, da sie die Dimension der Liebe Biancefforas zu Florio, die sie durch einen Unsagbarkeitstopos ausdrückt, als einmalig erachtet. Dabei gibt Rosamunda weite Teile des Geschehensverlaufs der Novelle wieder, darunter die im „Ritter Galmy“ adaptierte Motivkette der Unterbringung der unschuldigen Dame im Kerker mit anschließender Verurteilung zum Tod durch Verbrennung in Folge einer Intrige, deren Erlösung durch den von der Dame selbst und allen anderen unerkannt bleibenden Geliebten im ritterlichen Kampf sowie dessen anschließendes Hinwegscheiden ohne Entblößung seiner wahren Identität:

478

Giovanni Boccaccio: Florio und Bianceffora (Il Filocolo, dt.), Straßburg: Johann Grüninger 1530, 4° 112 Blatt.

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

245

die liebe aber der züchtigen beden liebhabenden menschen / nammlich Bianceffora und jrs Florio / e e o nit außzusprechen ist das mogendt jr mir bekennen / was widerwertigkeyt hat doch ye genugt / jr beder lieb auß dilcken / hat nit die züchtig junckfraw von wegen jrs liebsten Florions / vil vnnd e mancherley anstoß erlitten / als jr der Künig Pfelice des jünglings vatter / einen vergifften pfawen e o (den sein Marschalck bereyt hat) befahl fúr zu tragen / solichs der schonen junckfrawen vere borgen was / der Künig der von solcher verraterey wol wußt / dergleiche thet / als ob er grosse freüd darab nem / als aber das gifft an dem Pfawen befunden ward / die vnschuldig junckfraw mit o grossem Rumor zu dem Küniglichen Palast hinauß getriben ward in einen finstern kercker vere o hutet / vnlang darnach / als ein schuldige des vergifften Pfawens / zu dem feür verurtheylt / mit e e grosser vngestume von den schergen auff die halßstatt gefurt ward / in grossen engsten nichts anders dann des grimmen todts warten was / yedoch in solchem leyd jhres liebsten Florions nye vergassz / welcher sye auch / wiewol er weder von seinem vatter / noch seiner aller liebsten junckfrawen erkannt ward / auch also vnerkannt wider hin weg reyt / von dem todt mit Ritterlichem e kampff erlosen thet / […] nun sagend mir edle junckfraw / habt jhr ye der gleichen liebe ersehen (E1v–E2v).

Dabei wird die Figurenrede innerhalb der Darstellung der Verurteilung Biancefforas zum Tod auf dem Scheiterhaufen direkt vor der Wiedergabe der Abführung Biancefforas zum Richtplatz durch Illustration GR11 – ein Plagiat der Illustration RG54 – unterbrochen. Diese verbildlicht die Hinführung der gefesselten Herzogin zum Richtplatz durch den Henker im Beisein Galmys in seiner Verkleidung als Mönch479. Die Bilddarstellung lässt sich unter der Einschränkung, dass Bianceffora gemäß der Darstellung e Rosamundas von mehreren schergen auff die halßstatt gefurt wird und dabei von keinem Mönch die Rede ist, auf das metadiegetische Geschehen beziehen. Die plagiierte Bilddarstellung überblendet dabei die Figur der Herzogin aus dem „Ritter Galmy“ mit Bianceffora aus Boccaccios Novelle und verweist dadurch auf die Übernahme der gesamten Motivkette im „Ritter Galmy“. Durch Ausstellung der Entlehnung einer ganzen Kette von Erzählmotiven aus „Florio und Bianceffora“ im Vorgänger-Roman von „Gabriotto und Reinhart“ wird die Übernahme ganzer Erzählschemata480 aus der italienischen Novellistik als ein vermeintliches Kompositionsprinzip der wickramschen Romane an sich offengelegt. Und tatsächlich kommt ein derartiges Prinzip, wie bereits von der frühen Forschung festgestellt wurde, auch in „Gabriotto und Reinhart“ zum Tragen481. Vor allem die dem „Dekameron“ entstammende Novelle IV,1 um das Liebespaar Sigmunda und Gwisgardus, das Reinhart in seiner zu Beginn des Kapitels themati-

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480

481

Gemäß der verbalen Darstellung wird die Herzogin erst am Richtplatz angelangt gefesselt, und auch Galmy in der Mönchskutte wendet sich erst direkt auf dem Richtplatz der Herzogin zu. Vgl. Hh3v–Ii1r. Der Begriff Erzählschema meint die feste Verbindung mehrerer Erzählmotive in einer festgelegten Folge. Jacobi trägt unter Einbezug weniger Ergänzungen die diesbezüglichen Ergebnisse der älteren Forschungen von Bolte, Scherer und Tiedge zusammen. Vgl. Jacobi (1970), S. 141–147; vgl. darüber hinaus Ingeborg Spriewald: Wirklichkeitsgestaltung im Neubeginn der Prosaerzählung. In: Grundpositionen der deutschen Literatur im 16. Jahrhundert. Hrsg. von ders. u. a. Berlin/Weimar 1972, S. 321, 457.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

sierten Rede als Exempel des trawrigen ausgang[s] von liebhabenden menschen (F2v) anführt, fungiert in mehrfacher Hinsicht als Prätext des Romans 482.

3.3.2 Transtextuelle Verknüpfungen zwischen „Ritter Galmy“, „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“ Im Unterschied zu „Gabriotto und Reinhart“ werden in „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“ lediglich vereinzelt Bilddarstellungen aus dem „Ritter Galmy“ plagiiert. So werden im „Knabenspiegel“ lediglich vier ganze 483 und im „Goldfaden“ lediglich drei ganze für den „Ritter Galmy“ angefertigte Druckstöcke sowie eine Druckstockhälfte 484 wiederverwendet. Die mit den Bildplagiaten aus dem wickramschen Romanerstling einhergehenden transtextuellen Wirkungspotenziale fallen im Unterschied zu „Gabriotto und Reinhart“ zumeist sehr schwach aus und markieren dabei keinerlei Entlehnungen von Erzählmotiven. So lassen sich zwar die meisten Bilddarstellungen im Kontext ihrer Plagiierung neu semantisieren, verknüpfen dabei jedoch meist Ereignisse, welche kaum zu einer Relationierung der ursprünglichen mit der neuen Semantik anregen. So wird beispielsweise die auf Druckstock 30 beruhende Bilddarstellung plagiiert, welche im „Ritter Galmy“ als Illustration RG50 und RG58 die Botengänge Lupoldts zu Galmy nach Schottland sowie den Gang eines herzoglichen Boten zum Abt darstellt. Das im Hintergrund gezeigte Schiff verweist vermutlich auf die Überfahrt Lupoldts nach Schottland. Im „Knabenspiegel“ bezieht sich die bildliche Darstellung als Illustration KS9 intratextuell auf einen lediglich in der Überschrift zum achten Kapitel erwähnten Boten485, der Willbalds Bettelbrief an seine Mutter übermittelt. Ein thematischer oder handlungsfunktionaler Bezug zwischen dem durch Lupoldt übermittelten Hilfegesuch der Herzogin sowie der versuchten Aufklärung der Identität des beim Gerichtskampf unerkannt bleibenden Protagonisten auf der einen und der Bitte des von zuhause weggelaufenen Willbald auf der anderen Seite ist dabei kaum denkbar. Die Gemeinsam-

482

483 484 485

Stephan Pastenaci betrachtet sowohl „Gabriotto und Reinhart“ und den „Goldfaden“ als Verlaufsvarianten der dem „Dekameron“ entstammenden Novelle und betont am Ende zugleich die Überwindung der festen Sinnstruktur des Prätextes in der Variation. Vgl. Stephan Pastenaci: Tragischer Liebestod versus sozialer Aufstieg in Georg Wickrams Prosaroman „Gabriotto und Reinhart“ und „Der Goldfaden“ – zwei Verlaufsvarianten einer Novelle von Boccaccio (dek. IV,1). In: Wolfenbütteler Renaisance-Mitteilungen 19 (1995), S. 49–58. Druckstöcke 6, 14, 20 und 30. Druckstöcke 7, 14 und 20 sowie Druckstockhälfte Ia. o Wie Lottarius seinem vatter nit wenig gelt heymlich entrug / vnd mit Wilibaldo auß der statt lieff / o kamen gen Preßla / von dannen schicke Wilibaldus seiner Muter einen botten / die jm ein grosse r summa Gelts schicket (D4 ).

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

247

Abb. 128: Illustration RG50 (RG58, KS9)

keit der Ereignisse beruht allein auf dem Austausch von Nachrichten über Boten. Darüber hinaus wird die bildlich vor Augen geführte Szene des Botengangs im „Knabenspiegel“ innerhalb der ihr nachfolgenden Spracherzählung nicht einmal erwähnt: da dano nen schreib Wilibaldus seiner Muter vmb gelt (D4v). In diesem Kontext regen weder intranoch transtextuelle Sinnpotenziale der Bilddarstellung zu einer ausführlichen Beachtung durch den impliziten Rezipienten an. Ähnlich verhält es sich bei der Plagiierung der dem „Ritter Galmy“ entstammenden Illustration RG34 als Illustration KS11. Als Illustration RG34 verbildlicht die auf Druckstock 20 basierende Bilddarstellung Galmy und dessen narrativ unbedeutenden kurzzeitigen Weggefährten Heynrich zu Pferd auf dem Weg zum Hafen im Rahmen von Galmys erster Abreise nach Schottland. Die am linken Bildrand gezeigten Hinterläufe lassen sich auf das Pferd von Friedrich, der Galmy ebenfalls begleitet, beziehen. Im intratextuellen Kontext des „Knabenspiegels“ zeigt die Bilddarstellung währenddessen Friedbert und Felix bei ihrer Reise zu einer nicht weiter spezifizierten höheren Schule. Die am rechten Bildrand befindlichen Hinterläufe können dabei auf die Pferde ihrer beiden Diener bezogen werden. Die Reise wird zwar in der zugeordneten Kapitelüberschrift angekündigt 486, jedoch erst im darauffolgenden Kapitel wiedergegeben: Sie [Friedbert

486

o

Wie Fridbert und Felix auff die hohe schulen gezogen / dermassen so wol studiert / Das er in kurtzer o zeit Magister ward / demnach bald Doctoriert / vnd ward obrister Kantzellarius am hoff zu Preüssen / e o v Felix aber ein weitberumpter Doctor in der medicin / kam der halb zu grossen wirdin (E2 ).

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 129: Illustration RG34 (GR21, KS11, G50) o

und Felix] warden versehen mit gelt / kleidern vnnd pferden / jn ward auch zuuerordnet eim jeden ein diener […] / in freüden ritten sie daruon / kamen in kurtzen tagen auff ein o o gute schulen (F1r). Beide Ereignisse können weder über die Überwindung größerer Strecken zu Pferd hinaus thematisch noch handlungsfunktional aufeinander bezogen werden. Wiederum regt das Bildplagiat zu keiner Erschließung transtextueller Sinnpotenziale an. Im „Goldfaden“ wird Druckstock 20 erneut verwendet. Die als Illustration G50 realisierte Bilddarstellung kann dabei nur unter Inkaufnahme von Widersprüchen auf das im Kontext des Bildplagiats verbal vermittelte diegetische Geschehen bezogen werden. So reiten im „Goldfaden“ gemäß der Spracherzählung Walter und der Schildbube sonder alle gesellschaft (X1r) auf Geheiß Anglianas in den Wald, um den sich dort versteckt haltenden Leufried aufzusuchen. Die am rechten Bildrand gezeigten Hinterläufe werden demnach von der verbalen Darstellung nicht erklärt. Thematisch verbindet der Auftrag Walters die Situation in negativer Relation mit der im „Ritter Galmy“ durch dieselbe ikonische Darstellung verbildlichten Szene. Während Galmy aufgrund der für ihn und die Herzogin zu groß gewordenen Gefahr des Offenbarwerdens ihrer Liebe den Hof verlässt, hat Walter den Auftrag, Leufried zur Rückkehr an den Grafenhof zu bewegen. Der Graf ist inzwischen bereit Leufrieds Beziehung zu Angliana zu akzeptieren und wünscht sich seiner Tochter zuliebe dessen Rückkehr. Das Bildplagiat vollzieht demnach das Überwinden der von der unstandesgemäßen Liebe ausgehenden Gefahr nach, indem der transtextuellen Rückbindung an die Flucht Galmys intratextuell indirekt über Walters Auftrag das Rückkehrgesuch des Grafen an Leufried gegenübergestellt wird.

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

249

Die auf Druckstock 14 beruhende Illustration KS19 (Abb. 123) verknüpft zwar Ereignisse aus dem „Ritter Galmy“, „Gabriotto und Reinhart“ sowie dem „Knabenspiegel“, dennoch verfügt auch sie lediglich über eingeschränkte transtextuelle Wirkungspotenziale. Dabei umfasst das Bildplagiat die bereits thematisierte Bilddarstellung dreier Paare beim abendlichen Tanz, welche in „Gabriotto und Reinhart“ noch die Entlehnung des Erzählmotivs vom abendlichen Tanz der um Contenance bemühten heimlichen Liebenden markiert 487. Im „Knabenspiegel“ hingegen kann die bildliche Szene intratextuell lediglich allgemein auf den abendlichen Tanz im Rahmen der Hochzeitsfeierlichkeiten um die Doppeltrauung von Friedbert und Felicitas sowie Felix und Concordia bezogen e werden: Nach dem nun das wasser auff die hend genummen ward / ist ein schoner tantz e gehalten worden / der hat geweret biß auff das nachtmal / demnach das auch gar mit kostlicher speiß vnnd dranck volbracht ward / vnnd wider ein neüwer dantz bey vilen wintliechten gehalten worden (I1v). Keine Figur der bildlichen Darstellung kann demnach auf eine konkrete Figur der diegetischen Handlung bezogen werden, da weder der Tanz eines der Brautpaare noch der zweier anderer spezifischer Figuren verbal fokussiert wird. Auch lässt das Erscheinungsbild der Tanzpaare im Kontext der intratextuellen Bilderzählung keine klare Zuordnung der Figuren zu. Wiederum verbildlicht die plagiierte Bilddarstellung im Rahmen ihrer neuen Semantisierung ein scheinbar unbedeutsames Detail der Geschichte – den allgemeinen abendlichen Tanz, der innerhalb der Erzählung nicht mehr als die Erwähnung eines festen Bestandteils höfischer Festlichkeiten darstellt. Insofern regt die bildliche Szene lediglich sehr eingeschränkt zu einer kontrastierenden Gegenüberstellung von heimlicher Liebe und Ehe an. Ähnlich verhält es sich im Fall einer weiteren Realisierung des Druckstocks 14 im „Goldfaden“. So wird der bildlich dargestellte Tanz im intratextuellen Kontext der Bilddarstellung als Illustration G63 (Abb. 123) lediglich von der direkt oberhalb davon gesetzten Kapitelüberschrift als Bestandteil der Feierlichkeiten aufgegriffen: Wie die hochzeit mit Angliana gehalten worden ist / was grossen freuden do fúrgangen sey / mit Thurnieren und dantzen (Cc1v). Von der der Illustration nachfolgenden Spracherzählung werden die Tänze, der wenig fokussierten Thematisierung im „Knabenspiegel“ vergleichbar, lediglich im Rahmen einer Aufzählung festlicher Aktivitäten erwähnt: Nach dem o e aber zu jeder zeit der jmbiß volbracht / wurden kostliche vnd zeirliche dentz gehalten / darzu wurden vilerley ander kurtzweilen angerichtet / Als mit Turniren / Rennen vnd stechen / Ringen / springen / vnd ander vilerley Ritterspil wurden getriben (Cc2r). Den beiden auf Druckstock 7 basierenden Bildplagiaten im „Goldfaden“ kann hingegen ein gewisses transtextuelles Wirkungspotenzial zugestanden werden. Zwar ist das bildlich gezeigte Geschehen – der Fürst zu Pferd innerhalb eines an den Bildrändern angedeuteten Reiterzugs – wenig spezifisch, doch markiert die im „Goldfaden“ als Illustration G28 sowie G55 realisierte Bilddarstellung im transtextuellen Bezug auf das

487

Vgl. S. 237.

250

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

von Illustration RG9 verbildlichte diegetische Geschehen im „Ritter Galmy“ indirekt den Wandel des Erzählmotivs von der Bewährung des Helden außerhalb des Hofes im Beisein des Fürsten. Während sich die bildliche Szene als Illustration RG9 auf die Reise des Herzogs und seiner Begleiter – darunter Galmy – zum Turnier am französischen Königshof bezieht, zeigt sie als Illustration G28 und G55 den Grafen auf seinen beiden Reisen zum portugiesischen Königshof unter anderem in Begleitung von Leufried. Während Galmy durch seinen Turniersieg in Frankreich sein Ansehen beim Herzog steigert, erfüllen die menschlichen Gebärden des Löwen gegenüber Leufried bei der ersten verbildlichten Reise des Grafen nach Lißbona den Kúnig sampt allen denen so o zugegen waren / mit grosser verwunderung (M1v). Der König, der vom Grafen darüber o hinaus erfährt, wie sichs mit Lewfriden seiner geburt halben zugetragen het (M1v), ist davon dermaßen beeindruckt, dass er Leufried in seine Dienste aufnehmen möchte. Der Graf kann daraufhin einen Übertritt Leufrieds an den königlichen Hof nur abwenden, indem er ihn in eindringlichen Bitten an den König zu seinem allerliebste[n] (M2r) und wichtigsten Diener erhebt 488. In Folge der zweiten verbildlichten Reise des Grafen nach Lißbona kann sich Leufried im Beisein des Grafen ritterlich beweisen, indem er innerhalb einer Schlacht den feindlichen kastilischen König überwältigt. Leufried wird ane schließend infolge seiner dapffere[n] vnd kune[n] thaten (Aa1r) sowie seiner wundersamen Verbindung zum Löwen Lotzmann 489 vom portugiesischen König zum Ritter geschlagen. Illustration KS5, die neben den bereits mehrfach thematisierten Illustrationen RG8, RG14, RG27, RG39 und GR44 (Abb. 84) eine weitere Realisierung von Druckstock 6 darstellt, zeigt gemäß ihrer ursprünglichen Semantik die Tuschelei Wernhards und seiner Gesellen über den zusammen mit Friedrich im Vordergrund befindlichen Galmy. Die Illustration verbildlicht im Unterschied zu den anderen Bildplagiaten aus dem „Ritter Galmy“ in „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“ keine der ihr nachfolgenden verbal vermittelten Handlungen, zumal es sich bei den Akteuren – Friedbert, Willbald und Lottarius – nicht um die verbildlichten Edelmänner, sondern um Schulkinder handelt. Darüber hinaus zeigt die Bilddarstellung gleich fünf Figuren. Dadurch wird der implizite Rezipient dazu angehalten, den Bezug des Bildplagiats auf die „Knabenspiegel“-Erzäh-

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489

Aller gnedigster herr / ewer küngliche May. sol wissen das diß mein allerliebster diener ist / so ich under allem meinem hofgesind haben mag / durch jn allein handel ich alle meine geschefft / on jn weyß o ich nichts außzurichten / alles das so jm von mir befolhen wirt / endet er ganz fleißig / darumb langt e mein underthenigst bitten an ewer Mayestat / mich wolle die selbig dises meines liebsten dieners nit berauben (M2r). o Als sie nun alsamen zuwegen stunden / fieng der Künig an vnd erzalt vor jhnen allen Lewfridens o gantzes wesen / wie er so wunderbarlich in muter leib von lotzman dem Lewen erkant worden wer / e o Auch was er biß zu der zeit fúr dapfferer vnd kuner thaten begangen / disen streit auch durch sein e o mannlich vnd fúrsichtig gemut zu end bracht / darumb er dann billich den orden der Ritterschafft tragen solt (Aa1r).

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

251

Abb. 130: Illustration RG9 (RG12, RG36, RG45, GR42, G28, G55)

lung an dieser Stelle auf einer systematischen Ebene zu suchen. Bereits die Kapitelüberschrift direkt oberhalb der Illustration lässt den gemeinsamen Bezugspunkt – das Thema ,hinterlistiges Verhalten und davon ausgehende Gefahr‘ – anklingen: Wie Wilbalo dus sich an ein verruchten jungen [Lottarius] hencket / welcher jn gentzlich gegen seinem gesellen Fridbert in feintschafft beweget (B3v). Gemäß der Ankündigung der Kapitelüberschrift vermittelt die nachfolgende Spracherzählung die rhetorischen Verführungskünste des Lottarius, der Willbald aus dem Einflussbereich seines braven Bruders lösen möchte, um ihn für sich und seinen unmoralischen Lebenswandel – liegen / triegen / schlecken / vnd stelen (B4r) – zu gewinnen. So schmeichelt er Willbald aufgrund seiner adligen Herkunft, verhöhnt zugleich Friedbert als Bawren son und stellt ihn als schlechten Umgang für einen heranwachsenden Edelmann dar. Darüber hinaus verspricht Lottarius Willbald ewige Treue und Gehorsam: mein Edler Wilbalde […] Du solt meinen worten gelauben / wirst du dich einmal disen Bawren son vnder sein joch bringen lassen / du kumst sein in ewigkeit nit mehr ab / dir ist es nit loblich / e dann du noch in zwey oder dryen jaren ein schoner junger manbarer Edelmann erscheinen wirst / o […] wie ich selb von dir verstanden / dir mag an gut / reichtum / vnd ehren nit zerinnen / hab nur o o o o o ein guten mut ich will mich alzeit bey dir lassen finden der dir leydes thut / muß mich zuuor beleyo digen / so mir dann beid zu manbaren Jaren kummen / wil ich dein diener sein / vnd was du mich o heisest / gebütest / ermanest soll zustund von mir erstattet werden (C1r).

Dass Lottarius keine aufrichtigen Absichten verfolgt, sondern hinterlistig agiert, wird endgültig in dessen schambehafteter Körperreaktion auf die Vorwürfe Willbalds, der Lottarius zu diesem Zeitpunkt durchschaut hat, und seiner Entscheidung, sich heimlich aus dem Staub zu machen, deutlich:

252

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram o

e

Wilbaldus erst jamerlich über seinen gesellen anfieng zu klagen / O du schnoder vnnd argelistiger Lottari / dein namen an dir ist warlich nit vergeben / Dann Lotterwerck wie den Lotteren gebüret / o des hastu du dich lanng geflissen / mich mit deiner Lotterey schantlich von ehren vnd gut brocht / o o darzu der guten meiner lieben freünd beraubet / we mir das ich in deine gesellschafft ye kummen o bin / Lottarius fieng jetzo an schamrot zu werden / vnnd wie er mocht / vnderstund er sich heimo lich von jm abzustelen (F4r).

Der transtextuelle Verweis auf die Verschwörungsversuche Wernhards, die Intrige des Marschalls sowie den Mordanschlag des Königs, auf welche jeweils dieselbe Bilddarstellung im „Ritter Galmy“ bzw. in „Gabriotto und Reinhart“ Bezug nimmt, hebt in der transtextuellen Gegenüberstellung die Verschiebung des Gefahrenmoments für den Protagonisten gegenüber den Vorgänger-Texten hervor – weg von höfischen Intrigen im Zusammenhang mit unstandesgemäßer Liebe hin zu der bereits in der Widmungsrede des historischen Autors angekündigten Gefährdung der jungen die das mittel halten (A2r) o durch die Verführungskünste der bößen mutwilligen kinden (A2r–A2v). Über die Bildplagiate aus dem „Ritter Galmy“ in „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“ hinaus kommt es in den beiden jüngeren Romanen auch zu bildlichen Übernahmen untereinander. So gehen vier Illustrationen im „Goldfaden“ auf erstmals im „Knabenspiegel“ realisierte ganze Druckstöcke zurück. Jedoch wurden all diese, wie in 2.2.2 aufgezeigt, vermutlich für den später gedruckten „Goldfaden“ angefertigt. Demnach handelt es sich bei den Realisierungen der gemeinsamen ganzen Druckstöcke im „Knabenspiegel“ um Bildplagiate aus einem noch nicht im Druck erschienenen Prätext. Diesem besonderen Umstand ist es geschuldet, dass zeitgenössischen Rezipienten des „Knabenspiegels“ bis zum Erscheinen des „Goldfadens“ der Zugriff auf die ursprüngliche Semantik der Bildplagiate verwehrt war. Daneben werden im „Goldfaden“ neun bereits im „Knabenspiegel“ realisierte Druckstockhälften erneut verwendet. Wie ebenfalls in 2.2.2 ausgeführt, wurden vermutlich mindestens zwei davon gleichsam für den später erschienenen „Goldfaden“ geschaffen. Dabei gehen von den Realisierungen der Druckstöcke 52 und 56 in beiden Romanen die am deutlichsten hervortretenden transtextuellen Wirkungspotenziale aus. So verknüpft Illustration KS22 als Bildplagiat der Illustration G52 verschiedene Ausgestaltungen des Erzählmotivs der Wiederaufnahme des Protagonisten in die höfische bzw. in die familiäre Gemeinschaft. Im „Goldfaden“ kann die Bilddarstellung dabei als Resultat eigentlichen Sehens auf das verbal vermittelte diegetische Geschehen bezogen werden und verbildlicht dabei das höfische Mittagsmahl, in dessen Rahmen der Graf Leufrieds Rückkehr an den Hof bekannt macht: Der Graff aber Lewfriden vnd Waltern mit jm inn e den großen saal bracht hatt / darab sich alles hoffgesind großlichen verwundern thet / dann o niemans wußt wie oder wann Lewfrid zu hoff kummen wer / […] Als man nun das wasser o genommen / vnd zu tisch gesessen / hat man das essen angetragen (X4v–Y1r). Die mittlere Figur auf der hinteren Sitzbank verkörpert innerhalb der bildlichen Szene den Grafen, rechts und links umgeben von Walther und Leufried. Den Herren gegenüber wird auf der vorderen Sitzbank in Rückenansicht die anhand ihres Baretts auszumachende Ang-

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

253

liana mit zweien ihrer Hofdamen rechts von ihr dargestellt. Am linken Bildrand ist zudem ein Diener zu sehen, der die Speisen hereinbringt. Indem der Graf Leufried zuvor als zukünftigen Schwiegersohn akzeptiert, geht mit Leufrieds Rückkehr an den Hof, deren Bekanntmachung verbildlicht wird, auch eine Vorwegnahme von dessen Aufnahme in die Grafenfamilie einher. Im „Knabenspiegel“ bezieht sich die Bilddarstellung währenddessen als Illustration KS22 lediglich unter Einschränkung auf das kapitelinterne diegetische Geschehen – das nächtliche Mahl bei Felix nach der von Willbald e o unbemerkten Ankunft in Boßna: in summa es ward ein kostlich mal zugericht / vnd als o man zu tisch saß / satz Felix den sackpfeiffer oben an / neben jhn die beyden jungen Frauwen [Felicitas und Concordia] / die dann beyd wol wußten wer er waß / aber gar nit dergleichen thetten (L1r). Weder stimmt die Anzahl der Anwesenden noch deren Anordnung im Bild mit den Angaben der Spracherzählung überein. Zum einen befinden sich gemäß der Bilddarstellung nicht zwei, sondern drei weibliche Figuren am Tisch, und zum anderen sitzen alle männlichen nicht neben den weiblichen Figuren, sondern ihnen gegenüber.

Abb. 131: Illustration KS22 (KS28, G23, G52)

Indem Willbald bei der Mahlzeit nicht bei den Bediensteten, sondern am Tisch neben Felicitas und Concordia Platz nehmen darf, wird jedoch dessen Wiederaufnahme in den familiären Verbund durch Gottliebs Verzeihung am nachfolgenden Tag vorweggenommen. Demnach bezieht sich das Bildplagiat vordergründig thematisch auf das verbal vermittelte Geschehen – der Rückkehr Willbalds nach Boßna sowie der Vorwegnahme seiner Wiederaufnahme in Gottliebs Familie wird Leufrieds Rückkehr in die höfische Gemeinschaft verbunden mit dessen vorweggenommener Eingliederung in die Grafenfamilie gegenübergestellt.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

An zwei weiteren Stellen im „Goldfaden“ und „Knabenspiegel“, an denen es um die Rückkehr oder Aufnahme einer Figur – jedoch keines Protagonisten – in einen familiären oder höfischen Verbund geht, wird Druckstock 52 realisiert. So wird die Bilddarstellung einerseits im „Knabenspiegel“ als Illustration KS28 direkt unter die Überschrift zum 27. Kapitel – Wie der Heyrot beschlossen ward / vnnd wie sich die Wittfrauw so lang mit listen erweret / jhr aber doch gar nit ernst was (N1v) – gesetzt. Die nachfolgende Spracherzählung berichtet von der Brautwerbung von Friedbert und Felix um Marina für Willbald. Dabei bittet Marina die beiden Herren zu Tisch und befiehlt jrem diener das er ein trunck bringen solt (N2r). Weder die Anzahl der verbildlichten sechs Personen am Tisch noch die von dem Diener gebrachten Speisen entsprechen der verbalen Darstellung. Wiederum lässt sich die Bilddarstellung ausschließlich thematisch auf das kapitelinterne diegetische Geschehen beziehen – Marina soll durch eine Heirat mit Willbald Teil der Familie werden. Andererseits wird Druckstock 52 als Illustration G23 im „Goldfaden“ in die verbale Darstellung des Tischgesprächs von Leufried und Walter im Beisein von Walters Knecht und einigen Kaufleuten montiert. Demnach widersprechen in diesem Fall sowohl die drei dargestellten Frauen am Tisch als auch der bärtige ältere Herr zwischen den beiden jungen Männern einer Auffassung der Bilddarstellung als Resultat eigentlichen Sehens. Der Bezug zwischen Bilddarstellung und diegetischem Geschehen findet erneut auf der thematischen Ebene statt. Leufried erkennt während des Gesprächs in seinem Gegenüber seinen Ziehbruder, möchte sich jedoch selbst nicht zu erkennen geben, bevor er o nicht erfahren hat, wo doch Erich sein vatter vnd Felicitas sein muter weren / vnd wie es jn ergieng (I4v). Als er vom Wohlergehen seiner leiblichen Eltern überzeugt ist, legt Leufried gegenüber Walter seine Identität offen und bittet diesen, ihn auf seiner Reise nach Lißbona zu begleiten und ihm anschließend an den Hof des Grafen zu folgen: o

Frew dich mein liebster bruder vnd gesell / Lewfriden welchen du suchest der bin ich selb. […] wiß o nach dem ich von deinem vatter gezogen / bin ich kommen in ein stat (Merida genant) zu einem e Graffen / bei welchem es mir gar wol ergeht / darumb ist mein bitt an dich wollest die reiß mit mir e gen Lisabona reiten / demnach wider an meines Gnadigen herren Hoff / dir soll wol gepflegen v r werden (K1 –K2 ).

Somit werden an dieser Stelle nicht allein die beiden Ziehbrüder familiär zusammengeführt, auch deutet sich bereits die spätere Aufnahme Walters am Grafenhof an. Auch der in „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“ jeweils einfach realisierte Druckstock 56 bezieht sich unter anderem aufgrund der Anordnung der Figuren als Resultat eigentlichen Sehens, wie bereits in 2.2.2 thematisiert, lediglich auf das diegetische Geschehen im „Goldfaden“. Dort verbildlicht die Realisierung des Druckstocks als Illustration G31 eine Schachpartie zwischen Walter und Angliana, die von ihrem Vater unterstützt wird. Die Illustration wurde bereits in 3.1.8 unter Bezug auf die potenziellen diegetischen Beobachter der Bilderzählung thematisiert. Der verbale Kontext der Bilddarstellung als Illustration G31 gestaltet sich dabei folgendermaßen: Walter lässt Angliana zunächst drei Partien gewinnen und studiert dabei ihre Taktik: Walther aber ein gantz listiger

255

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

Jüngling / nam fleißig war was züg vnd fortheyl die Junckfraw sich gebrauchet (N3r). Im darauffolgenden Spiel, bei dem es erstmals um einen Einsatz geht, bedient sich Walther aller seiner geschwindigkeyt vnd kunst (N3r) und setzt Angliana bald Schoch vnd mat (N3r). Auch als der Graf dazu kommt und Angliana bei den nächsten beiden Partien unterstützend zur Seite steht, ändert dies wenig an Walters Überlegenheit: Also haben sie nit lang gezogen / Walter mit seiner geschwinden fürtrechtigkeyt / hatt den Grafo fen sampt seiner Tochter schoch gebotten / der Graff sich ab den geschwinden zugen nit gnug verwunderen kundt / das ander spil angefangen mit zwifachem gelt den gewinn gebessert / Walter aber gantz vnerschrocken gewesen / sein kunst vnd ernst ye mehr gebraucht / dem Graffen alle spil o zumal abgewunnen (N3v).

Indem Walter und der gemäß der verbalen Darstellung ebenfalls anwesende Leufried sich vom Eintritt des Grafen in die Kammer auß der massen gar seer (N3v) erschrecken, der Graf jedoch über die Anwesenheit der jungen Männer im Frauengemach nicht erzürnt, sondern sich über das Schachspiel erfreut, enthält die Szene ein retardierendes Moment. Die verbale Fokussierung auf die einzelnen Partien und das Können Walters scheint dafür jedoch unnötig. Hingegen resultiert daraus ein anderes Wirkungspotenzial, indem Walters Triumphe als Sinnbild bürgerlicher Souveränität gegenüber dem Adel verstanden werden können. So führt der bürgerliche Kaufmannssohn Walter den hochadligen Grafen samt seiner Tochter mehrfach gerade in dem Spiel vor, dessen Figurenanordnung die „Aufteilung der Gesellschaft in zwei Klassen, populares und nobiles,“ 490 abbildet. Indem Walter durch seine Triumphe und den bei der dritten Partie verdoppelten Einsatz eine beträchtliche Menge an gelt gewinnt, wird darüber hinaus auf die Finanzkraft als bedeutendes Mittel frühbürgerlicher Souveränität verwiesen. Ein in seiner Stoßrichtung vergleichbares Wirkungspotenzial tritt im verbalen Kontext der Plagiierung der Bilddarstellung im „Knabenspiegel“ in gesteigerter Form hervor. Marina, die als Kaufmannswitwe ritterlichen Geblüts bereits aufgrund ihrer Biografie als Exempel gesellschaftlicher Mobilität angesehen werden kann, triumphiert in gleich drei aufeinander folgenden Schachpartien über den hochadeligen preußischen Hochmeister, obwohl dieser sich für den geschicktisten so in gantzem Preüssen was / in gemeltem Spyl (N4v) hält. Der Hochmeister erkennt anfangs die bewusst zurückhaltende Spielweise Marinas und fordert sie daher zum vollen Einsatz ihres Könnens auf. Dabei vergleicht er die Partie mit dem sportlichen Wettstreit eines Fürsten mit einem Ritter und verweist dadurch auf den Standesunterschied zwischen hohem und niederem Adel. Darüber hinaus betrachtet er die geschlechtliche Differenz zwischen sich und Marina als einen die soziale Differenz verstärkenden Faktor: o

Marina ich verstand an eüwerem ziehen / das jhr meiner stein vnnd spyls verschonet / daran thut o jr mir ein kleinen gefallen / ich gebüt euch eüwer kunst / so besser jr kennend zu brauchen / dann es staht gar übel / wan ein Ritter eines Fursten auff dem kampff / renn / oder fechtplatz verschoo net / noch minder ist zu loben / so ein fraw eines Fursten ob dem spyl verschonet (N4v).

490

LexMA VII (1995), Sp. 1428.

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3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Von den Worten des Hochmeisters angespornt entscheidet Marina im Folgenden die erste Partie bald für sich, indem sie den König des Hochmeisters mit einem Ritter 491 […] schoch und matt (N4v) setzt. In dieser Konstellation der Spielfiguren kann eine Manifestation des zuvor durch den Hochmeister im Vergleich angeführten Wettstreits zwischen Ritter und Fürst erkannt werden. Wie bereits in der Schachepisode im „Goldfaden“ wird auch hier mehrfach Bezug auf Geld bzw. Gold als Einsatz genommen: Nachdem o sich Marina bereits bei der ersten Partie insgeheim gewünscht hat, um ein gute summa gelts (N4v) zu spielen 492, setzt der Hochmeister für die zweite Partie tatsächlich ein o o Summa Gold zu gewein (N4v). Als Marina erneut gewinnt, eh der Herr sein stein halb zu v v feld brocht (N4 ), erhöht der Hochmeister den Einsatz mit einer grossen summa (N4 ) und verliert erneut. Schließlich erkennt der Fürst die Überlegenheit seiner standesniedrigeren Gegenspielerin an und überlässt ihr sogleich das ganze Schachbrett samt Figuren: fürwar Frauw / dis spils seind jhr ein rechte meisterin / darumb gebürt euch diß bret vnd o stein baß dann mir / nempt das gentzlich hin in eüwern gewalt / ich muß bekennen / wiewol o mir in langer zeit niemant obgelegen ist / so bin ich doch ein schlechter schuler gegen euch (N4v). Fasst man das Schachspiel gemäß seiner zeitgenössischen Figurenanordnung mit der zentralen Position des Königspaars umgeben von Richtern, Rittern und Landvögten geschützt durch eine Reihe von acht Venden – zwei Boten, je ein Handwerker, Stadtwächter, Schreiber, Wirt, Kaufmann und Arzt 493 – als Verkörperung der Ständegesellschaft auf, so kann die Übergabe des Spiels durch den preußischen Hochmeister an die Kaufmannswitwe Marina als symbolischer Akt betrachtet werden, der eine utopische Steigerung des historischen Einflusses frühneuzeitlicher Besitzbürger auf die politische Ordnung zum Ausdruck bringt. Demnach verknüpft Illustration KS30 als Bildplagiat der Illustration G31 die einzelnen Triumphe standesniedrigerer Schachspieler über ihre standeshöheren Gegenspieler und suggeriert dadurch eine Regelhaftigkeit der Ereignisse. Dabei verbindet die wiederholte Realisierung der Bilddarstellung zugleich zwei in ihrer transtextuellen Verbindung zusätzlich gesteigerte Versinnbildlichungen frühbürgerlicher Souveränität gegenüber dem Adelsstand. Während die auf den Druckstöcken 52 und 56 beruhenden Bildplagiate im „Knabenspiegel“ verschiedene diegetische Ereignisse auf der thematischen und im letzteren Fall auch auf einer metaphorischen Ebene transtextuell verknüpfen, regen die auf den Druckstöcken 53 und 54 basierenden Bildplagiate – die Illustrationen KS26 und KS27 – kaum zur Reflexion transtextueller Strukturen an. So lässt sich die durch Illustration KS26 plagiierte Bilddarstellung weder direkt als Darstellung eines diegetischen Ereignisses auffassen noch tritt eine Verknüpfung auf einer thematischen oder funktionalen

491

492 493

Die Spielfigur des Ritters entspricht im gegenwärtigen Schachspiel dem Springer. Vgl. LexMA, VII (1995), Sp. 1428 f. Möglicherweise ein Verweis auf das Stereotyp bürgerlicher Geldgier. Vgl. LexMA, VII (1995), Sp. 1428 f.

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

257

Abb. 132: Illustration G26 (KS26)

Ebene mit dem verbalen Kontext wirklich deutlich hervor. In ihrem ursprünglichen Kontext zeigt die Bilddarstellung dabei als Illustration G26 von oben links nach unten rechts eine Hofdame, Angliana, den Grafen sowie drei männliche Figuren in Rückenansicht und einen die Speisen hereintragenden Diener. Verbildlicht wird das Mittagsmahl nach Leufrieds Rückkehr von seiner ersten Reise nach Lißbona, bei dem dieser ausführlich von seinem Kampf mit den Räubern, dem Wiedersehen mit Walter sowie der Begegnung mit dem Löwen Lotzmann im königlichen Tiergarten berichtet. Im verbalen Kontext des Bildplagiats im „Knabenspiegel“ hingegen wird der Entschluss des Hochmeisters, Willbald zum Nachfolger Gottliebs als Hofmeister zu befördern, sowie der Auftrag an Friedbert und Felix, sich nach einer geeigneten Ehefrau für Willbald umzusehen, dargestellt. Dabei wird weder ein Tischgespräch noch eine Mahlzeit erwähnt. Den einzigen denkbaren Anknüpfungspunkt bildet das Thema der Bewährung. So wird im „Knabenspiegel“ zu Beginn des 25. Kapitels direkt unterhalb der Illustration kurzzeitig von Willbalds positiver Entwicklung als Forstmeister berichtet, um den Entschluss des Hochmeisters zu seiner Beförderung zu motivieren: Als sich Wilbaldus an seinem dienst jetz in das drit jar sampt seinem diener in aller dapfferkeit beflyssen / e vnd gar ein geschwinder jager auff aller hand wiltpret ward / hat jhn der Hochmeister fast o leib gewunnen / sein dienstgelt vnd besoldung von tag zu tag gemert (M2v). Im „Goldfaden“ hingegen wird das Thema Bewährung durch Leufrieds Bericht von seinem e Kampf mit den Räubern aufgegriffen, worin der Graf Leufrieds Lewisch gemut unter e o Beweis gestellt sieht: du hast auch dein Lewisch gemut genugsam bewisen an den dreien e morderen (L3r). Der Bezug zwischen Bildplagiat und verbalem Kontext fällt im Fall der Illustration KS27 noch schwächer aus. Das Bildplagiat der bereits in 3.1.4 ausführlich thematisier-

258

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

ten Illustration G64 (Abb. 98), welche Leufried zusammen mit Lotzmann bei der in Leufrieds Unfall endenden Hirschjagd zeigt, lässt sich ausschließlich auf einer rudimentären thematischen Ebene auf die kapitelinterne Spracherzählung beziehen. So bittet Willbald gemäß der dem Bildplagiat nachfolgenden verbalen Darstellung den Hochmeister um die Beförderung seines Dieners zu seinem Nachfolger als Forstmeister, wobei das zentrale Tätigkeitsfeld dieses Amts das bildlich gezeigte Jagen umfasst. Über die dem „Goldfaden“ entstammenden, auf ganzen Druckstöcken beruhenden Bildplagiate im „Knabenspiegel“ hinaus finden sich weitere teilweise oder vollständige Bildübernahmen innerhalb von beiden illustrierten Romanen. Diese basieren auf der Mehrfachverwendung von Druckstockhälften in verschiedener oder identischer Kombination. Die transtextuellen Bildwiederholungen aus diesem Bereich regen jedoch wenn überhaupt nur sehr schwach zur transtextuellen Reflexion an. Die nachfolgende Ausführung beschränkt sich daher auf eine exemplarische Analyse der Illustrationen KS14 und G15, denen die zweifache Realisierung der Druckstockhälften IIa und IIb in identischer Kombination zugrunde liegt. Dabei kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden, bei welcher Realisierung es sich um das Plagiat und bei welcher um den Prätext handelt, auch wenn die Gewandung der Figuren den „Goldfaden“ als wahrscheinlicheren Ursprungskontext erscheinen lässt. So bezieht sich die kombinierte Bildszene zum einen als Illustration KS14 auf die Überwältigung des Lottarius beim Bestehlen des Metzgers durch dessen Knechte und zum anderen als Illustration G15 auf den Kampf Leufrieds gegen den Forstdiener und den Wirt um den Bracken. Sie zeigt auf der rechten Bildhälfte einen jungen Mann in Reitstiefeln mit erhobenem Schwert. Die Drohgebärde richtet sich gegen eine am Boden liegende männliche Figur auf der linken Bildhälfte sowie einen zurückweichenden bärtigen Herren dahinter.

Abb. 133: Illustration G15 (KS14)

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

259

In beiden Kontexten kann die bildliche Szene lediglich unter Einschränkungen als Darstellung des diegetischen Geschehens semantisiert werden. So zeigt die Bilddarstellung unter anderem eine Figurenhandlung im Freien vor einem Baum, während beide diegetischen Kampfszenen gemäß der jeweiligen verbalen Darstellung in Innenräumen stattfinden494. Demnach stehen die bildlichen Darstellungen vordergründig in thematischem Bezug mit dem verbal vermittelten diegetischen Geschehen. Während sich das dabei verbildlichte Thema der körperlichen Gewalt im „Goldfaden“ auf den ersten erfolgreichen Schwertkampf des Protagonisten bezieht, wird es im „Knabenspiegel“ mit der Restriktion der mala exempla Lottarius verbunden. Die transtextuelle Verknüpfung beider Szenen auf bildlicher Ebene weist in diesem Zusammenhang auf eine differente Funktionalisierung von körperlicher Gewalt hin.

3.3.3 Transtextuelle Verflechtungen mit anderen Prosaerzählungen der Zeit Neben den zahlreichen Bildplagiaten aus dem „Ritter Galmy“ enthält die Erstausgabe von „Gabriotto und Reinhart“ drei weitere Bildplagiate. Diese entstammen alle dem Illustrationszyklus der nicht erhaltenen „Fortunatus“-Ausgabe Jakob Frölichs, der in einem Nachdruck der Ausgabe von 1558 durch Frölichs Nachfolger Christian Müller d. Ä. vermutlich vollständig überliefert ist. Während das Bildmaterial aus dem „Ritter Galmy“ in „Gabriotto und Reinhart“, wie aufgezeigt, zumeist narrativ produktiv verwendet wird, trifft dies für die Bildplagiate aus dem „Fortunatus“ nur partiell zu. So lassen sich die von den Illustrationen GR39 und GR40 umfassten Bildplagiate zwar unter Einschränkungen im Kontext der Spracherzählung neu semantisieren, der transtextuelle Bezug der neuen Semantik auf die ursprüngliche jedoch geht kaum über

Abb. 134: Illustration GR39

494

Abb. 135: Illustration GR40

Zum einen in der Kammer des Metzgers und zum anderen im Wirtshaus. Vgl. Knabenspiegel, F4v; Goldfaden, F4v.

260

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

die Gemeinsamkeit der basalen Themen der Briefübergabe bzw. des Antritts einer Schiffsreise hinaus. So zeigt die der Illustration GR39 zugrunde liegende Bilddarstellung gemäß ihrer neuen Semantisierung in „Gabriotto und Reinhart“ den alten Ritter Gernier, der von einem französischen Kaufmann die Briefe der verschollen geglaubten Protagonisten Gabriotto und Reinhart entgegennimmt. Während die Illustration die Szene in einem Innenraum mit Glasfenstern zeigt, findet die Briefübergabe gemäß der Spracherzählung am Hafen statt 495. Im „Fortunatus“ hingegen wird die Übergabe des Briefs des ägyptischen Sultans an Fortunatus verbildlicht 496. Während im ersten Fall das Wohlergehen der Protagonisten übermittelt wird, fordert im zweiten Fall der Sultan den von Fortunatus entwendeten Wunschhut zurück. Illustration GR40 zeigt drei Kapitel später Gabriotto und Reinhart am französischen Hafen beim Betreten des Schiffs, das sie zurück nach England bringt. Dabei stören vor allem die Bärte der beiden im Vordergrund gezeigten Figuren, welche der ansonsten zumeist bartlosen jugendlichen Darstellung der Protagonisten entgegenstehen. Gemäß der ursprünglichen Semantik der bildlichen Darstellung werden hingegen Fortunatus und Lüpold vor ihrer Überfahrt von Venedig nach Konstantinopel verbildlicht. Während Gabriotto und Reinhart zu ihren geliebten Damen Philomena und Rosamunda zurückkehren, reist Fortunatus zur Krönung des byzantinischen Kaisers 497. Die Motiva-

Abb. 136: Illustration GR22 (KS13)

495 496

497

Vgl. T4r–T4v. Vgl. Fortunatus (1558). Alle Verweise auf den Fortunatus im Folgenden beziehen sich auf diese Ausgabe. Vgl. H2v.

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

261

tion für den Antritt der Reise gestaltet sich demnach sehr unterschiedlich. Bezüglich des Verlaufs der anschließenden Schiffsreise wird in „Gabriotto und Reinhart“ ausschließo lich von gutem wind (V3v) berichtet. Im „Fortunatus“ spart die Erzählung die Schiffsreise selbst sogar gänzlich aus. Vergleichsweise größeres narratives Potenzial birgt die mit Illustration GR22 einhergehende transtextuelle Gegenüberstellung zweier Szenen. Die plagiierte Bilddarstellung, die eine Dame und einen Herrn an einem mit Speisen gedeckten Tisch im Beisein einer Tischdienerin darstellt, lässt sich in „Gabriotto und Reinhart“ auf die Figuren Philomena, Gabriotto und Laureta beziehen, die im Fokus der kontextuellen Spracherzählung stehen. So hat Philomena mit der Hilfe Lauretas ein heimliches Treffen für sich und Gabriotto sowie Rosamunda und Reinhart in die Wege geleitet. Nach intimen Umarmungen der Liebenden 498 serviert Laureta die Speisen. Während des Mahls kommt es zur heimlichen Verlobung Philomenas und Gabriottos. Die Schwester des Königs vere spricht dem Ritter trew bis in den todt und erhält von ihm einen schonen kostlichen ring o zu einem waren vnnd festen wortzeichen (L4r). Laureta warnt das Paar daraufhin vor den gefährlichen Folgen eines Offenbarwerdens ihrer Verbindung und empfiehlt daher, ihre o Liebe auf das heymlichst vnnd verborgenlichest zu halten (L4v), bis Gabriotto, der sich zum Günstling des Königs machen soll, eines Tages zum Grafen aufsteige. Im ursprünglichen Kontext der Spracherzählung des „Fortunatus“ stellt die bildliche Szene hingegen das nächtliche Mahl Andolosias und Agrippinas dar, bei dem die Königstochter durch ihre Kammerdienerin ihrem reichen Verehrer einen Schlaftrunk zukommen lässt, um daraufhin seinen Glückssäckel entwenden und gegen ein Replikat austauschen zu können 499. Zuvor hat Agrippina nach dem Wunsch ihrer Eltern den ebenfalls standesniedrigeren Andolosia durch die Heuchelei falscher lieb (Q4v) zum Ausplaudern der Quelle seines Reichtums verleitet. Der Umstand, dass es sich bei den Damen in beiden Fällen um Angehörige der englischen Königsfamilie und bei den Herren um deren standesniedrigere Verehrer handelt, regt dabei in besonderem Maße zum Vergleich beider Szenen an. Der authentischen Liebe Gabriottos und Philomenas, aufgrund der das Paar trotz der daraus resultierenden Gefahr eine Verlobung eingeht, wird demnach die vorgetäuschte Liebe Agrippinas, deren Eltern nach dem Besitz ihres Verehrers trachten, gegenübergestellt. Die Folie der falschen Liebe hebt dabei als Negativ der Authentizität der Liebe Philomenas zu Gabriotto diese besonders hervor. Während es sich im Fall von Illustration GR22 um einen ersten Ansatz der narrativ produktiven Herstellung transtextueller Bezüge der Romane Wickrams zum „Fortunatus“ über Bildplagiate handelt, tritt diese Praxis im „Knabenspiegel“ deutlich forcierter hervor. Die gesamte „Knabenspiegel“-Handlung wird dabei von Bildplagiaten aus dem „Fortunatus“ umrahmt. So bildet sowohl die erste als auch die letzte Textillustration des Romans eine bildliche Übernahme aus dem „Fortunatus“. 498 499

Zur Intimität der Umarmung vgl. S. 178. Vgl. R2r.

262

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Zu Beginn des „Knabenspiegels“ wird die Geburt der Söhne Gottliebs, Friedbert und Willbald, mit der Geburt der Söhne des Fortunatus, Andolosia und Ampedo, überblendet – die bildliche Darstellung Cassandras im Mutterbett im Beisein zweier Ammen, von denen eine Cassandras Neugeborenes 500 in einem Waschzuber reinigt, wird unterhalb e der ersten Kapitelüberschrift, Wie der Ritter Gottlieb mit seinem gebatt sampt seinem o weib Gott fleißiglichen vmb ein leiblichen Erben bitten thunt / vnd wie jn Gott einen Erben bescheret (A3r), plagiiert. Da Gottliebs Gemahlin Concordia zunächst nicht schwanger wird, adoptiert er einen neugeborenen Sohn des Bauern Rudolf und dessen Frau Patrix. Schließlich gerät Concordia doch noch in andere Umstände und bringt bald nach der Adoption Friedberts Gottliebs leiblichen Sohn Willbald zur Welt 501. Das Bildplagiat kann dabei sowohl auf die Geburt von Friedbert als auch von Willbald bezogen werden. Demnach erscheinen die Söhne Gottliebs von Beginn des Romans an vor der Folie der Söhne des Fortunatus.

Abb. 137: Illustration KS2

Abb. 138: Illustration KS31

Im Schlusskapitel des „Knabenspiegels“ werden Friedbert und Willbald durch Illustration KS31 erneut Andolosia und Ampedo gegenübergestellt, wodurch Bezug auf den Romanbeginn genommen wird. Dabei verknüpft das Bildplagiat die letzten Ratschläge des alten Ritters Gottlieb an seine Söhne mit der entsprechenden Szene aus dem „Fortunatus“. Im „Knabenspiegel“ erinnert der sterbenskranke Ritter Gottlieb seinen Sohn Willbald im Hinblick auf dessen eigene Kinder an die Fehler seiner Jugend und deren bittere Konsequenzen. Um Gottliebs Enkelkindern das Schicksal ihres Vaters zu erspae ren, soll Willbald sie mit gantzem ernst von boser gesellschaft abziehen (O1v), sie in der o forcht aufferziehen (O1v) sowie ihnen gut exempel vortragen (O1v). Daneben unterweist Gottlieb seinen Sohn, von Tyranny vnd hoffart (O1v) Abstand zu nehmen und seine o Gemahlin schon vnd ehrlich zu halten (O1v). Als Gottlieb schließlich seinen Tod nahen

500 501

Dieses lässt sich sowohl als Ampedo als auch als Andolosia semantisieren. Vgl. M1v. Vgl. B1v.

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

263

sieht, bittet er Friedbert und Felix zu sich und empfiehlt ihnen Willbald und dessen Familie. Darüber hinaus ermahnt er sie im Hinblick auf das ewige Leben, sich in jren diensten nit minder freüntlich gegen jedermann (O1v) und insbesondere die Armen zu zeigen. Im Nachfolgenden wird ausführlich von der Beherzigung der Ratschläge Gottliebs berichtet, die unter anderem den Ausgangspunkt der durchwegs positiven Entwicklung der Kinder Willbalds bilden. So werden die gemeinsamen Töchter von Willbalds o Gattin zu subtiler kunst / vnd weiblicher arbeit (O2r), darunter spinnen / […] nehen / wircken / sticken vnnd weben (O2r), erzogen. Darüber hinaus erhalten sie eine musikalische Ausbildung. Im Umgang der Buben gestattet Willbald währenddessen ausschließlich gleichformig in tugent (O2v) aufgewachsene Gleichaltrige. Später ermöglicht er seinen Söhnen je nach Eignung entweder ein Studium oder unterrichtet sie selbst in Jagd und Ritterspiel. Währenddessen leben auch Friedbert und Felix gar ehrlich vnnd wol (O2v) mit ihren Frauen und Kindern und bleiben mit Willbald und seiner Familie in engem freundschaftlichen Kontakt. Der erfolgreichen Umsetzung der väterlichen Ratschläge durch Willbald und Friedbert wird anhand eines Bildplagiats ein prominentes literarisches Gegenbeispiel gegenübergestellt. Die Bilddarstellung lässt sich dabei zwar unter Einschränkung auf den Besuch von Friedbert und Felix am Totenbett Gottliebs beziehen, jedoch verweisen Hut und Säckel am rechten Bildrand unweigerlich auf die ursprüngliche Semantik der bildlichen Szene, wonach Andolosia und Ampedo am Totenbett ihres Vaters Fortunatus gezeigt werden. Auch dieser hält gute Ratschläge für seine Söhne bereit, damit sie seio nem Beispiel nachfolgend ihr Leben lang in ehren vnd gut (P1v) verbleiben können. Nachdem er seine Söhne über die Kräfte der verbildlichten Gegenstände aufgeklärt hat, empfiehlt er ihnen die Wundergüter niemals zu trennen. Zudem sollen sie keiner Menschenseele, was insbesondere zukünftige Liebhaberinnen miteinschließt, von der Bewandtnis um den Glückssäckel erzählen, da dies zwangsläufig früher oder später zum Verlust desselben führe 502. Bekanntlich aber halten sich Andolosia und Ampedo an keinen der Ratschläge ihres Vaters: Zum einen trennen sie bald nach dessen Tod Glückssäckel und Wunschhut 503 und zum anderen verrät Andolosia zunächst, wie bereits thematisiert, seiner großen Liebe Agrippina504 und später unter Folter einem neidischen Grafen das Geheimnis des Säckels und wird dessen in Folge seiner Plauderei verlustig505. Während er ihn von Agrippina nach mehreren Rückschlägen zurückgewinnen kann, wird Andolosia in Folge des zweiten Verlusts des Säckels ermordet. Sein Bruder Ampedo verbrennt derweilen den Wunschhut aus Zorn und stirbt vor Gram506.

502 503 504 505 506

Vgl. P1v. Vgl. P2v. Vgl. R1v. Vgl. Z1r. Vgl. Y4v.

264

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Demnach wird der auf der Beherzigung des väterlichen Rats basierende positive Lebensverlauf der Nachfahren Gottliebs durch den aus der Verletzung des väterlichen Rats resultierenden Niedergang der Söhne des Fortunatus kontrastiert. Die transtextuelle Verknüpfung verweist dabei auf Wickrams Didaktik der Verquickung von Abschreckung und Ansporn in der Gegenüberstellung von mala und bona exempla. Diese erhebt der Verfasser in seiner Widmungsvor- und -nachrede zum Grundprinzip seines Romans: So werden im „Knabenspiegel“ Wickram zufolge, wie bereits in 3.2.3 ausführlich dargelegt, positive und negative Exempelfiguren vorgeführt, um dem charakterlich noch ungefestigten jugendlichen Leser die Konsequenzen verschiedener Verhaltensweisen aufzuzeigen. Anhand exemplarischer Auf- und Abstiegsbiografien soll dabei im positiven wie im negativen Sinn ersichtlich werden, was aber deren jedem auß seinem fleiß erfolget (A2v).

Abb. 139: Illustration KS7

Zudem werden im „Knabenspiegel“ Ursachen des sozialen Auf- und Abstiegs über die Grenzen des Einzeltexts hinaus durch bildliches Zuschalten vergleichbarer Exempel aus dem „Fortunatus“ bekräftigt. Die transtextuelle Bestätigung verstärkt dabei die jeweilige abschreckende oder anspornende didaktische Wirkung: Das mit Illustration KS7 einhergehende Bildplagiat kann im Kontext der Spracherzählung kapitelintern nicht neu semantisiert werden. So wird dort zunächst davon berichtet, wie Willbald seine Mutter erweicht, Felix mit Geschenken milde zu stimmen, um sich künftig weiter mit Lottarius treffen zu können, ohne dabei eine Prügelstrafe des Lehrers befürchten zu müssen. Willbald fällt daraufhin in alte Muster zurück und lässt sich von Lottarius zum liegen / triegen / schlecken vnd stelen (D2r) sowie zum Glücksspiel und Trinken anstiften.

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

265

Die Bilddarstellung hingegen zeigt Fortunatus und einen Kumpanen mit Dirnen. e Gemäß der Spracherzählung verprasst Fortunatus unter dem Einfluss boser geselschaft (C2r) – gemeint sind die beiden vergnügungssüchtigen Brüder aus Zypern sowie eine o unnütze rotte von buben (C2r) – in Lunden bei leichten Mädchen sein gesamtes Vermögen. Mittellos muss er sich in die Dienste des Kaufmanns Roberti begeben. In diesem Zusammenhang kündigt das Exempel von Fortunatus Willbalds späteren Werdegang an, der sich mit dessen Rückfall in alte Muster bereits abzuzeichnen beginnt. So begibt sich e Willbald weiterhin in die boß gesellschaft (C3v) des Lottarius, läuft schließlich von Zuhause weg und verschwendet am Ende in Antorff sein gesamtes Vermögen durch edle e Kleidung, Schlemmerei, Alkohol, schone Frawen vnd Seytenspeyl (E2r). Verarmt muss Willbald vor seinen Gläubigern fliehen und wird zum Viehhirten. Somit verdeutlicht der transtextuelle Verweis auf Fortunatus in Lunden schlechte Gesellschaft als Ausgangspunkt des finanziellen Ruins – insbesondere durch die verbildlichten Dirnen – sowie eines damit verbundenen sozialen Abstiegs. Auf den Zusammenhang von aus materiellen Gründen handelnden schönen Frauen und dem finanziellen Ruin ihrer Liebhaber verweist gewissermaßen auch das mit Illustration KS13 einhergehende Bildplagiat, welches die bereits in „Gabriotto und Reinhart“ eingesetzte Bilddarstellung von Andolosia und Agrippina beim nächtlichen Mahl im Beisein der den Schlaftrunk hereinbringenden Kammerdienerin erneut realisiert. Das Bildplagiat steht dabei im Kontext der verbalen Darstellung des Bankrotts von Willbald und Lottarius in Antorff. Diese müssen ihre letzten finanziellen Mittel mobilisieren, um ihre Schulden beim Schneider und Schuhmacher begleichen zu können. Dabei begegnet e ihnen im Haus des Schneiders eine schone Frauw, die sie mit weiteren unbeglichenen Rechnungen konfrontiert. An dieser Stelle der verbalen Darstellung wird auf die verbildlichte Szene aus dem Fortunatus angespielt, wenn es im Kontext der Illustration mit e ironischem Unterton heißt: von vngeschicht was ein schone Frauw in des Schneiders hauß / o o bey welcher die guten gsellen manchen guten schlafftrunck gethon / vnd nit bezalt hatten (F2r). Hierbei handelt es sich im Unterschied zu dem Exempel aus dem „Fortunatus“ allerdings bei der schönen Frau vermutlich um ein leichtes Mädchen und bei dem Schlaftrunk wohl eher um Alkohol als ein Schlafmittel. Während Andolosia also durch e die falsche Liebe der schonen Agrippina (R1r) getäuscht und durch Arznei betäubt wird, lassen sich Willbald und Lottarius, ganz ohne dabei hinters Licht geführt zu werden, von einer Dirne ausnehmen. Demnach sind beiden transtextuell verbundenen Situationen die materiellen Beweggründe weiblichen Handelns sowie der mitunter daraus resultierende Bankrott der Protagonisten gemeinsam. Unterschiede ergeben sich währenddessen bei den Beweggründen der männlichen Figuren und damit verbunden ihrer Fahrlässigkeit, mit der sie ins finanzielle Aus und somit in den sozialen Abstieg schlittern. e Jedoch werden schone Frawen in „Knabenspiegel“ und „Fortunatus“ nicht allein mit sozialem Abstieg in Verbindung gebracht, auch fungieren sie als Mittel sozialen Aufstiegs. So zeichnen sich auch Felicitas und Concordia, die Töchter des verstorbenen preußischen Hofkanzlers, neben charakterlichen Vorzügen durch außergewöhnliche

266

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 140: Illustration KS17

Schönheit aus 507. Die adligen jungen Frauen verschafft der preußische Hochmeister Friedbert und Felix, welche selbst von bäuerlicher Geburt sind, als Belohnung für ihre treuen Dienste zur Ehe 508 und erhöht dadurch ihren sozialen Rang. Die Szene, in der der Hochmeister Friedbert und Felix zwischen Felicitas und Concordia wählen lässt, wird durch ein weiteres Plagiat aus dem „Fortunatus“ – Illustration KS17 – verbildlicht. Dabei muss zum einen die dritte abgebildete weibliche Figur als Mutter der beiden jungen Frauen und zum anderen der gekrönte Fürst als preußischer Hochmeister semantisiert werden. Im ursprünglichen Zusammenhang des „Fortunatus“ zeigt die Bilddarstellung den Protagonisten im Beisein seines Dieners Lüpold ebenfalls bei der Wahl seiner zukünftigen Gemahlin. Er darf zwischen drein vom König von Zypern, den Fortunatus durch seine Bautätigkeit in Famagusta beeindruckt hat, vermittelten Gräfinnen entscheiden 509. Da Fortunatus von Geburt bürgerlich ist, bewirkt die Ehe mit einer Hochadligen gleichsam einen sozialen Aufstieg. Die transtextuelle Verknüpfung der „Knabenspiegel“Handlung mit dem „Fortunatus“ bekräftigt demnach die Möglichkeit der Überwindung von Standesgrenzen durch eine vom Fürsten als Gunsterweis gestattete Ehe mit einer standeshöheren Dame.

507

508 509

o

o

e

darzu waren sie so übermeßlicher schönen gestalt / das jn der augen nit gnug mochten verluhen werden (H1r). Vgl. H2r. Vgl. L1r–L1v.

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

267

Neben den fünf thematisierten Bildplagiaten aus dem „Fortunatus“ enthält der „Knabenspiegel“ ein Bildplagiat aus der „Melusine“. Es entstammt dem lediglich im Nachdruck Christian Müllers d. J.510 enthaltenen Illustrationszyklus der verloren gegangenen frölichschen Ausgabe. Die plagiierte Bilddarstellung unterbricht als Illustration KS10 die metaphernreiche, ironisch aufgeladene sprachliche Darstellung des Wegs von Willbald und Lottarius aus Boßna bis nach Antorff und stellt dieser eine Szene aus der „Melusine“ gegenüber: o

e

o

DJe guten nassen kinder meineten schon / jhn mocht an gelt vnd gut nimmer zerrinnen / dann jn e o das gut muterlein ein grosse Summa geschickt hat / sie waren lichtsinnig / namen jren [Illustraion o KS10] weg den nechsten der Laußnitz zu / kamen in ein statt heißt Glogaw / do bliben sie nit lang / o o dann das land wolt jn nit gefallen / so wolt man jn auch nit solch groß reuerentz an thun / als zu Preßla / darumb wolten meine juncker nit bleiben / gedachten jren weg den nechsten in Brabant o gen Antorff zu nemen / Do dann die rechte Bader vnd Balbierer wonen / so den teschen wol o o schrepffen vnnd zu der ader lassen künnen / so das sich manche gar verblut (E1r–E1v).

Zum einen kann die bildliche Szene als Reisedarstellung von Willbald und Lottarius aufgefasst werden. Dabei jedoch bleibt fraglich, weshalb der hintere Reiter auf den nächtlichen Sternenhimmel deutet, zumal eine derartige Situation in der Spracherzählung nicht enthalten ist. Zum anderen kann die Bilddarstellung als transtextueller Verweis verstanden werden, wenn man sie auf ihren ursprünglichen Zusammenhang in der „Melusine“ bezieht. Dieser ursprünglichen Semantik gemäß werden Graf Emmerich und Reimund beim nächtlichen Ritt durch den Wald im Rahmen eines Jagdausflugs verbildlicht.

Abb. 141: Illustration KS10

510

Melusine (1577). Alle Verweise auf die Melusine im Folgenden beziehen sich auf diese Ausgabe.

268

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

An einer Lichtung angekommen bemerkt Emmerich eine besondere Konstellation der o Gestirne, welche den Aufstieg eines Mannes durch ubel thun vnd missethat (A6r) ankündigt. Auf Nachfrage hin teilt er seinem Vetter Reimund mit, das jetzund einer auff diese e e stund seinen Herren ertodtet / der wirt ein gewaltiger Herr / vnnd mechtiger vnnd gluckhaffter denn keiner seiner freund oder beysessen jhe ward (A6v). Kurz darauf wird Graf Emmerich versehentlich von Reimund getötet, der ihn gegen ein Wildschwein verteidigen möchte, jedoch das Tier verfehlt und stattdessen den Grafen trifft 511. Gemäß der Sterndeutung steigt Reimund wenig später zu einem mächtigen Grundherren auf 512. Demnach deutet Emmerich mit seiner Rechten auf sein eigenes und Reimunds Schicksal, das sich in der Konstellation der Gestirne abzeichnet. Im Kontext des „Knabenspiegels“ kann Emmerichs Zeigegestus als an den impliziten Rezipienten gerichteter Hinweis mit Aufforderungscharakter verstanden werden. Dieser soll anhand der im direkten Umfeld des Bildplagiats sprachlich vermittelten Informationen den unweigerlichen Werdegang von Willbald und Lottarius erkennen. So bedeutet das Zusammentreffen von jugendlichem Leichtsinn und falschem Geltungsbedürfnis von Seiten der Protagonisten einerseits und den Brabantern, die sich auf das „Ausbluten“ von unbedachten Gästen spezialisiert haben, andererseits die entscheidende Weichenstellung der nachfolgende Entwicklung bis in den finanziellen Ruin.

Abb. 142: Illustration KS3

Abb. 143: Illustration KS4

Über die Bildplagiate aus dem „Fortunatus“ und der „Melusine“ hinaus verfügt der „Knabenspiegel“ über zwei aufeinander folgende bildliche Übernahmen aus dem „Eulenspiegel“. Die plagiierten Bilddarstellungen entstammen dabei der erhaltenen frölichschen „Eulenspiegel“-Ausgabe von 1551513. Das erste Bildplagiat, Illustration KS3, die eine Kindertaufe mit einem Geistlichen sowie drei männliche und zwei weibliche 511 512 513

Vgl. A7r. Vgl. B4r–B5v. Eulenspiegel (1551). Alle Verweise auf den „Eulenspiegel“ im Folgenden beziehen sich auf diese Ausgabe.

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

269

Anwesende zeigt, bezieht sich im sprachlichen Kontext auf die Taufe Friedberts. Diese steht bereits im Fokus der Kapitelüberschrift direkt oberhalb der Illustration: Wie eines e o armen Bauren weib eines schonen Sons genaß / vnd Gottlieb das kind auß der Tauff hub / auch von seines Gemahels vnd seiner gelübt (A4r). Das thematisierte gelübt bezieht sich dabei auf Gottliebs Adoptionsversprechen. Er gelobt dem Kind nicht allein geistlicher, sondern auch ein zeitlicher vatter zu sein und es dabei zu versorgen vnd erziehen als wann o das Kind sein eigen blut vnd fleisch were (B1r). Im Anschluss an die Taufe wird der Täufo ling Friedbert – ohne Zwischenfälle – wider zu hauß brocht (B1r). Anders ergeht es Till Eulenspiegel bei seiner Taufe, welche die Bilddarstellung in ihrem ursprünglichen Zusammenhang verbildlicht. Er wird auf dem Heimweg von einer Hebamme, die auf einem Steg ins Stolpern gerät, fallen gelassen. Eulenspiegel bleibt zwar unverletzt – geschahe dem kind kein leyd / allein das sichs im kath übel besudelt hatte (A2v) – muss jedoch gewaschen werden. Dabei deutet der Erzähler den dreifachen Kontakt mit Wasser als dreifache Taufe und fasst diese als Unglück verheißendes Zeichen für den Werdegang Eulenspiegels auf: Also ward Ulenspiegel eins tags drei mal getaufft / erstlich nach o gemeiner ordnung / darnach in der Pfitzen / vnd zu letst in warmem wasser / Und was dz erst zeychen / des grossen vnfals / so das kind / wie es hernach beschriben / im gantzen leben o gewarten muste (A2v). Demnach erscheint die makellos verlaufene Taufe Friedberts vor der kontrastiven Folie des Unglück verheißenden Missgeschicks der Hebamme im „Eulenspiegel“ und kann dabei im Umkehrschluss als Verweis auf den mustergültigen, hindernislosen Werdegang Friedberts angesehen werden. Im Unterschied zur Illustration KS3 lässt sich die ebenfalls eine Bilddarstellung aus dem „Eulenspiegel“ plagiierende Illustration KS4 im Kontext der „Knabenspiegel“Handlung nicht neu semantisieren. Während in der Spracherzählung an der Stelle der Eingliederung der Illustration von der Schulerziehung Friedberts und Willbalds im Alter von sieben bzw. sechs Jahren durch Felix berichtet wird, stellt die Bilddarstellung eine universitäre Szene dar: Ein Dozent spricht von einem Pult aus zu einer erwachsenen akademischen Zuhörerschaft. Im Hintergrund wird eine stehende männliche Figur im Redegestus gezeigt, die sich im ursprünglichen Zusammenhang der Bilddarstellung auf Eulenspiegel bezieht. Dieser unterbricht den Dozenten und fragt, ob es besser sei, das o ein mensch das thu / das er weyß oder das / das einer erst lern / das er nicht weyß (N6v–N7r). Als sich der mertheil der Doctores für Ersteres entscheidet, hält Eulenspiegel den Anwesenden den Narrenspiegel vor: so seit jr all große Narren / das jhr stets wolt o leren das jr nicht wisset / vnnd das jhr wisset / das thut ewer keiner (N7r). Der transtextuelle Verweis lässt sich im Knabenspiegel auf das dort propagierte Bildungskonzept des jungen Lehrers Felix beziehen, bei dem die „Nutzanwendung […] im Vordergrund“ steht, während „übermäßige intellektuelle Anstrengung […] als schädlich“ 514 gilt. So

514

Mecklenburg (2007), S. 57–58. Zum Verhältnis des im „Knabenspiegel“ propagierten Bildungskonzepts zur zeitgenössischen Pädagogik vgl. Dieter Martin: Ungezogene Kinder in der deutschen

270

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

bremst Felix gemäß der unterhalb des Bildplagiats fortgesetzten Spracherzählung etwa den mit so gar grossem fleiß auff die lernung fixierten Friedbert, indem er sich mit den e e beiden Knaben auf Ausflüge in die lustigen grunen wisen / […] die schonen gepflantzten e e e e garten sowie den grunen wald begibt, damit der jung nit blod wird (B2r). Der durchweg narrativ produktive Einsatz von Bildplagiaten im „Knabenspiegel“ findet sich im „Goldfaden“ lediglich partiell wieder. Jedoch muss dabei berücksichtigt werden, dass das im „Goldfaden“ verwendete, stilistisch zum Teil uneinheitliche Bildmaterial, welches in Frölichs Ausgabe von „Tristan und Isolde“ (1557) neben Fremdmaterial anderer Provenienz in größerem Umfang zum Einsatz kommt, nicht berücksichtigt werden kann, da es sich bei den unspezifischen bildlichen Szenen womöglich auch dort um Bildplagiate handelt 515. Insofern können lediglich ein Bildplagiat aus dem „Fortunatus“ sowie ein weiteres aus Frölichs Ausgabe der „Giletta“ 516 in Betracht gezogen werden. Das mit Illustration G62 einhergehende Bildplagiat aus dem „Fortunatus“ lässt sich im Zusammenhang des „Goldfadens“ unter Einschränkung auf einen Reiterzug um den Grafen und Leufried beziehen. Diese bringen ihre Gefangenen, den aufständischen Freiherren und dessen Burgvogt, ins gräfliche Schloss. Dort sollen die bildlich nicht dargestellten Gefangenen festgehalten werden, bis über ihre Bestrafung entschieden ist. In ihrem ursprünglichen Zusammenhang verbildlicht die Darstellung hingegen einen unspezifischen Moment der Reise des Fortunatus durch Persien und Indien. Fortunatus wird dabei von Landeskundigen, welche ihm der Admiral des Sultans verschafft hat, begleitet. Diese weisen ihm gemäß der Spracherzählung, wie durch den Zeigegestus der beiden hinteren Reiter auch bildlich angedeutet wird, den Weg 517. Da sich über das Thema der Reise hinaus kein spezifischerer Bezugspunkt zwischen den beiden durch das Bildplagiat gegenübergestellten Szenen ergibt, erschöpft sich das transtextuelle Sinnpotenzial bereits auf dieser Ebene. Anders verhält es sich hingegen bei dem Bildplagiat aus der „Giletta“, das in Form von Illustration G68 die Bilderzählung des „Goldfadens“ abschließt. Die Bilddarstellung bezieht sich im Zusammenhang des „Goldfadens“ auf die von Leufried als Graf arrangierte Heirat seines bürgerlichen Ziehbruders Walther, der ihm treue Dienste ere o wiesen hat und nun eine schone Junckfraw […] / so von gutem Adel geborn (Dd2r) aus Anglianas Gefolge zur Frau erhält. Der schönen jungen Dame, wird berichtet, ward

515 516 517

Renaissance-Literatur. In: Das Kind in der Renaissance. Hrsg. von Klaus Bergdolt, Berndt Hamm und Andreas Tönnesmann, Wiesbaden 2008, S. 27– 42. Zu Wickrams Bildungsanspruch vgl. Dieter Kartschoke: Bald bracht Phebus seinen wagen … Gattungsgeschichtliche Überlegungen zu Jörg Wickrams ,Nachbarn-Roman‘. In: Daphnis 11 (1982), S. 717–741; Jan-Dirk Müller: Wickram – ein Humanist? In: Vergessene Texte – Verstellte Blicke. Neue Perspektiven der WickramForschung. Hrsg. von Maria E. Müller und Michael Mecklenburg, Frankfurt a. M. 2007, S. 21–40. Vgl. S. 81, Anm. 170, 171. Giletta (1554). Alle Verweise auf die „Giletta“ im Folgenden beziehen sich auf diese Ausgabe. Vgl. N1v.

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

271

Abb. 144: Illustration G62

Walther fast günstig (Dd2r). Die Trauung erfolgt dabei mit willen ihrer beiden Elteren (D3r). Im ursprünglichen Kontext der „Giletta“ verbildlicht die Darstellung die Trauung der bürgerlichen Protagonistin mit dem Grafen Bertram. Diese hatten sich bereits in ihrer frühen Jugend ineinander verliebt 518. Als jedoch Bertrams Vater stirbt, wird der für die Regierungsgeschäfte noch zu junge Bertram zwischenzeitlich am Hof des französischen Königs untergebracht und vergisst Giletta bald519. Die junge Tochter eines Arztes hingegen bewahrt sich ihre Zuneigung für Bertram und ringt einige Jahre später dem erkrankten französischen König für dessen Heilung das Versprechen ab, sich einen beliebigen Herren von nichtköniglichem Blut am französischen Hof als Gatten wählen zu dürfen520. Sie wählt Bertram – er jedoch fügt sich nur äußerst ungern dem Willen des Königs, da er Giletta aufgrund ihrer bürgerlichen Herkunft verachtet und sich ein andere gemahel / dann eines Artzts Tochter verhofft (D3v) hat. Um seiner Gemahlin zu entfliehen, begibt sich Bertram daraufhin als Hauptmann in einen Krieg der Florentiner und lässt ihr schließlich verkünden, er werde erst zu ihr zurückkehren, wenn Giletta sein guldin ringlein […] von seiner handt bekommt (D4r). Die enttäuschte Giletta möchte Bertram nicht länger im Wege stehen und entschließt sich zu einer Pilgerfahrt, bei der sie zufällig auf ihren Gemahl trifft 521. Dieser ist, wie Giletta erfährt, inzwischen einer verarmten Edelfrau hold. Sie überredet die Mutter der jungen Frau dazu, ihr über ihre Tochter den

518 519 520 521

Vgl. D2r. Ebd. Vgl. D3r. Vgl. D4v.

272

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Abb. 145: Illustration G68

Ring zu verschaffen sowie nächtliche Treffen in die Wege zu leiten, bei denen sich Giletta in der Dunkelheit als Bertrams Geliebte ausgeben kann 522. Giletta erhält den Ring, wird von Bertram schwanger und bringt zwei gesunde Söhne zur Welt. Als ihr Gatte schließlich in seine Grafschaft zurückkehrt und Giletta ihn mit seinen beiden Söhnen sowie dem Ring konfrontiert, empfängt er sie gar freündtlich (E3r) und erkennt sie nun doch als seine Gemahlin an. Beide bildlich dargestellten Trauungen vollziehen sich folglich zwischen standesungleichen Partnern und werden dabei von einem Fürsten arrangiert, in dessen Gunst der standesniedrigere Partner steht. Demnach wird zum einen erneut, wie bereits im Fall der Illustration KS17, die Möglichkeit der Überschreitung von Standesgrenzen durch die Gunst eines Fürsten und eine von diesem verfügte Heirat mit einer standeshöheren Person transtextuell bekräftigt. Zum anderen jedoch erscheint der Standesunterschied bei Walther und seiner Braut vor der Folie Gilettas und Bertrams in kontrastiver Weise unproblematisch. Was sich die von Geburt bürgerliche Giletta erst noch mühsam erarbeiten muss, erhält Walther von Beginn an – die Anerkennung des Ehepartners über

522

Vgl. E1r.

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

273

die Grenzen der Geburt hinaus. Demnach wird das Moment der utopischen Überschreitung von Standesgrenzen, welches die Biografie Leufrieds auszeichnet, am Ende auf seinen Ziehbruder Walther übertragen. Indem dieser schließlich scheinbar unproblematisch zu Leufrieds Lehnsmann aufsteigt und zudem der Kaufmann Hermann wie selbstverständlich Leufrieds hoffmeister vnnd geheimeste[r] rhat (Dd3r) wird, suggeriert das Ende des Romans eine mit Leufrieds Regiment verbundene Auflösung der Standesschranken zwischen Adel und Bürgertum.

3.3.4 Zusammenfassung Die diegetische Handlung in „Gabriotto und Reinhart“ erscheint gefördert durch die Vielzahl bildlicher Übernahmen vielfach vor der Folie der diegetischen Handlung im „Ritter Galmy“. Im ersten Teil des Romans ist dabei die Anzahl der hypertextuellen Entlehnungen von einzelnen Erzählmotiven und ganzen Motivketten aus dem Vorgängerroman besonders hoch. Diese gehen häufig mit Bildplagiaten einher, welche sich als Verbildlichungen diegetischer Ereignisse auf ihren neuen Kontext in „Gabriotto und Reinhart“ beziehen lassen, diesen zugleich mit ihrer ursprünglichen Semantik im „Ritter Galmy“ überblenden und auf diese Weise den impliziten Rezipienten auf die Entlehnung der Erzählmotive hinweisen. Interessanterweise erscheint im Bereich der Entlehnungen von Erzählmotiven auch eine Bilddarstellung aus dem „Ritter Galmy“ als Prätext der Spracherzählung in „Gabriotto und Reinhart“, wodurch ein hypertextueller Medientransfer zutage tritt. In der Überblendung von Prätext und Intertext treten darüber hinaus Transformationen von Erzählmotiven zutage, wobei der Prätext in diesem Fall als kontrastive Folie fungiert, der den Blick des impliziten Rezipienten auf die Differenzen schärft. Insbesondere auf figürliche Unterschiede im Bereich der Protagonisten, welche unter anderem zur Motivation des tragischen Ausgangs der diegetischen Handlung in „Gabriotto und Reinhart“ beitragen, verweisen weitere Bildplagiate aus dem „Ritter Galmy“, die sich lediglich thematisch oder handlungsfunktional auf ihren neuen verbalen Kontext beziehen lassen. Sie halten an der Stelle ihrer Realisierung in der Spracherzählung zum einen differente Motivbesetzungen von Handlungsfunktionen – z. B. das Offenbarwerden der heimlichen Liebe durch Körperzeichen anstatt durch zeichenhafte Objekte – und zum anderen unterschiedliche Ausgestaltungen von Themen – z. B. wenn der Protagonist den Siegerpreis auf einem Ritterturnier anstatt beim höfischen Ballspiel erlangt – gegenüber. In mehrfacher Hinsicht einen Sonderfall bildet ein weiteres Bildplagiat aus dem „Ritter Galmy“, das sich in „Gabriotto und Reinhart“ auf das einer Novelle Boccaccios entstammende metadiegetische Geschehen um Florio und Bianceffora bezieht. Der verbale Kontext des Bildplagiats wird demnach bereits an sich transtextuell entlehnt. In diesem Zusammenhang erscheint die Novelle „Florio und Bianceffora“ zugleich als Prätext des

274

3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram

Handlungsabschnitts im „Ritter Galmy“, der den ursprünglichen Kontext der in „Gabriotto und Reinhart“ plagiierten Bilddarstellung bildet. Das Bildplagiat verweist somit sowohl auf ein komplexes Netzwerk transtextueller Verstrickungen zwischen drei Erzählungen als auch auf das wickramsche Kompositionsprinzip der Adaption von Erzählschemata aus der italienischen Novellistik. Dem vorwiegend narrativ produktiven Einsatz von Bildplagiaten aus dem „Ritter Galmy“ in „Gabriotto und Reinhart“ steht eine Verwendung scheinbar vornehmlich aus ökonomischen Gründen in „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“ gegenüber. Die Mehrzahl der im Vergleich zu „Gabriotto und Reinhart“ dort seltenen Bildplagiate aus dem „Ritter Galmy“ verbildlicht in ihrem neuen Kontext gemäß der verbalen Darstellung nebensächliche Details, die in der Regel lediglich über ein sehr eingeschränktes Anknüpfungspotenzial zu den ursprünglichen Zusammenhängen der plagiierten Bilddarstellungen verfügen. Somit erschöpft sich das transtextuelle Wirkungspotenzial vielfach bereits in Banalitäten wie der Feststellung, dass in zwei durch ein Bildplagiat transtextuell verbundenen Szenen jeweils ein Botengang stattfindet. Ausgenommen sind dabei zwei Bildplagiate aus dem „Ritter Galmy“ im „Goldfaden“, die in der transtextuellen Überblendung der reisenden Fürsten indirekt auf den Wandel des Erzählmotivs von der Bewährung des Helden außerhalb des Hofes verweisen, sowie ein weiteres Bildplagiat aus dem „Ritter Galmy“ im „Knabenspiegel“, das in der transtextuellen Gegenüberstellung unterschiedlicher Ausgangspunkte von Gefahr für die Protagonisten deren Verschiebung aufzeigt. Bildplagiate aus dem „Goldfaden“ im „Knabenspiegel“ verknüpfen zudem verschiedene Ausgestaltungen der Thematik der Eingliederung einer Figur in die familiäre oder höfische Gemeinschaft. Zudem werden zwei Schachpartien miteinander verknüpft, die beide als Sinnbild bürgerlicher Souveränität gegenüber dem Adelsstand gedeutet werden können. Das Wirkungspotenzial der Triumphe Walthers und Marinas über ihre standeshöheren Spielpartner wird dabei durch deren transtextuelle Verbindung gesteigert, da eine über den Einzelfall hinausweisende Regelhaftigkeit suggeriert wird. Die Wirkungspotenziale der übrigen Bildplagiate aus dem „Goldfaden“ im „Knabenspiegel“ sowie der in beiden Romanen untereinander plagiierten Bildhälften erschöpfen sich in der Regel in der Übereinstimmung grundlegender Bildthemen, wie beispielsweise dem der Jagd. Eine Ausnahme bilden zwei in fester Kombination übernommene Bildhälften, die verschiedenartige Funktionalisierungen körperlicher Gewalt in „Goldfaden“ und „Knabenspiegel“ kontrastierend gegenüberstellen. Über die korpusinternen Bildplagiate innerhalb der vier bei Frölich erschienenen Romane Wickrams hinaus zeugen zahlreiche Bildplagiate aus anderen Prosaerzählungen von einer narrativ produktiven Verwendung. Erste Ansätze zeichnen sich dabei bereits in „Gabriotto und Reinhart“ ab, wo neben narrativ weniger produktiven bildlichen Übernahmen im Rahmen eines Bildplagiats aus dem „Fortunatus“ eine kontrastive Gegenüberstellung von authentischer und falscher Liebe hergestellt wird. Im „Knabenspiegel“ erreicht die narrativ produktive Realisierung von Fremdmaterial bereits ihren Höhe-

3.3 Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens

275

punkt: Dabei fungieren Bildplagiate aus dem „Fortunatus“, welche die Söhne Gottliebs mit den Söhnen des Fortunatus überblenden, als Rahmung der diegetischen Handlung. Gemäß Wickrams didaktischem Konzept der Verquickung von Ansporn und Abschreckung werden die Früchte der Befolgung des väterlichen Rats den Folgen von dessen Missachtung transtextuell gegenübergestellt. Zudem werden abschreckende und anspornende Wirkungspotenziale des diegetischen Geschehens im „Knabenspiegel“ durch transtextuelles Zuschalten vergleichbarer Exempel in Form von weiteren Bildplagiaten aus dem „Fortunatus“ gestärkt. So bekräftigen die Bildplagiate einerseits, dass schlechte Gesellschaft und insbesondere schöne Frauen, die rein materielle Interessen verfolgen, einen Ausgangspunkt für finanziellen Ruin und sozialen Abstieg bilden. Andererseits wird die Möglichkeit der Überwindung von Standesgrenzen durch die Wahlmöglichkeit einer standeshöheren Gemahlin als Gunsterweis des Fürsten transtextuell untermauert. Über die Bildplagiate aus dem „Fortunatus“ hinaus werden auch Bilddarstellungen aus der „Melusine“, „Till Eulenspiegel“ und der „Giletta“ in „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“ narrativ produktiv plagiiert. Während der bildliche Gestus des Grafen Emmerich aus der „Melusine“ im „Knabenspiegel“ den impliziten Rezipienten transtextuell zum Abschätzen der Zukunft von Willblad und Lottarius anhält, stellt ein Bildplagiat aus dem „Eulenspiegel“ dort der makellosen Taufe Friedberts die Unglück verheißende Taufe Till Eulenspiegels, welche durch die Unachtsamkeit einer Hebamme verdorben wird, kontrastiv gegenüber. Ein weiteres Bildplagiat aus dem „Eulenspiegel“ bekräftigt im „Knabenspiegel“ den Vorzug der Nutzanwendung vor übermäßiger intellektueller Anstrengung innerhalb der durch Felix repräsentierten Pädagogik. Im „Goldfaden“ knüpft ein Bildplagiat aus der „Giletta“ an die narrativ produktive Verwendungspraxis von bildlichem Fremdmaterial im „Knabenspiegel“ an. Die Trauung des bürgerlichen Walther mit einer Edeldame wird mit der Trauung von Giletta und Bertram überblendet. Die transtextuelle Verknüpfung bekräftigt dabei zum einen erneut die Möglichkeit der Überschreitung von Standesgrenzen durch Heirat und verweist zum anderen kontrastiv auf den unproblematischen Vollzug dieses Schritts im „Goldfaden“, an dessen Ende eine mit Leufrieds Regiment verbundene Auflösung der Standesschranken zwischen Adel und Bürgertum suggeriert wird.

Schluss

Perspektiven intermedialen Erzählens bei Jörg Wickram Die in 3.1.10, 3.2.4 und 3.3.4 zusammengefassten Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeigen in den Bereichen der inneren, äußeren und transtextuellen Elemente intermedialen Erzählens eine Vielzahl an unterschiedlichen Strukturelementen auf, von denen wiederum ein außerordentlich breites Spektrum an die Rezeption mitgestaltenden Wirkungspotenzialen ausgeht. Dieses reicht von Emotionsevokation, Spannungsaufbau, Aufmerksamkeitsfokussierung, Überraschungs- und Präsenzeffekten, der Anregung zur Entwicklung mentaler Bildsequenzen, der Förderung der Memorierung bestimmter Handlungselemente und dem Aufbau teilweise trügerischer Vorerwartungen über die Erzeugung von Ironie, die Entfaltung von Sinnbildern sowie die Motivation und Koordination der diegetischen Handlung bis hin zur Ausstellung hypertextueller Entlehnungen und Transformationen von Erzählmotiven sowie der Förderung der didaktischen Wirkung durch transtextuelle, das diegetische Geschehen kommentierende Exempel. Auch wenn den verbalen Elementen insgesamt ein vergleichsweise größeres Gewicht als den bildlichen Elementen zukommen mag, erweisen sich beide im Hinblick auf die Rezeption untrennbar im intermedialen Erzähltext verflochten. Besonders bemerkenswert erscheint dabei die narrative Instrumentalisierung aller in den Romanen anzutreffenden Praktiken der zeittypischen ökonomischen Verwendung von Bildmaterial. Diese erstreckt sich, wie ausführlich dargelegt wurde, weit über die von Peter Schmidt diesbezüglich untersuchte textinterne Wiederholung von ganzen Holzschnitten hinaus in den Bereich der Kombinationsholzschnitte sowie der Holzschnittplagiate aus anderen Werken innerhalb und außerhalb des Korpus’ der illustrierten Romane Jörg Wickrams523. Über alle vier untersuchten frühneuzeitlichen Romanerstausgaben hinweg betrachtet ist dabei jedoch ein Mangel an Kontinuität bezüglich der narrativen Produktivität zu beobachten. So zeigt sich etwa der narrativ produktive Einsatz textinterner Bildwieder-

523

Vgl. Schmidt (2006), S. 158 f.

278

Schluss

holungen weitgehend auf den „Ritter Galmy“ beschränkt, der im Unterschied zu Wickrams nachfolgenden Romanen kein fremdes Bildmaterial enthält. Die durch die Verwendung von Druckstöcken aus anderen Werken entstehenden Bildplagiate wiederum werden noch in „Gabriotto und Reinhart“ erheblich weniger narrativ instrumentalisiert als wenige Jahre darauf in „Knabenspiegel“ und „Goldfaden“. Darüber hinaus scheint das narrative Potenzial textinterner Wiederholung einzelner Bildhälften erst im „Goldfaden“ effektiv ausgeschöpft zu werden. Andererseits werden Bildplagiate aus dem „Ritter Galmy“ in „Gabriotto und Reinhart“ wesentlich wirkungsvoller eingesetzt als in den beiden späteren Romanen. Außerhalb der narrativen Instrumentalisierung ökonomischer Mehrfachnutzung von Druckstöcken bleiben weitere der untersuchten Phänomene weitgehend oder sogar vollständig auf einzelne Werke beschränkt. So konzentriert sich etwa der Einsatz kapitelübergreifender Anachronien zur Emotionsevokation im Wesentlichen auf den „Ritter Galmy“. Dort allein ist zudem ein Mitwirken der Bilderzählung an der Entlarvung des extradiegetischen Erzählers als unzuverlässig zu beobachten. Weiter findet sich eine bildliche Verstärkung der narrativen Distanz der Spracherzählung ausschließlich im „Goldfaden“, auf welchen sich ebenfalls Elemente uneigentlichen Sehens innerhalb von Bilddarstellungen beschränken. Völlig unterschiedliche Wirkungskonzepte lassen sich darüber hinaus im Bereich der Titelillustrationen beobachten. Derartigen Schwankungen innerhalb der untersuchten Illustrationswirkung zufolge erweist sich das funktionale Spektrum der bildlichen Romanbestandteile bei Wickram keineswegs als fixiert. Ganz im Gegenteil eröffnet der von Manuel Braun und Jan-Dirk Müller beschriebene Funktionsverlust der Illustrationen im deutschsprachigen Roman zu Mitte des 16. Jahrhunderts524, auf den in der Einleitung ausführlich Bezug genommen wurde, innerhalb der untersuchten Texte scheinbar große Gestaltungsfreiräume, die als Erprobungsfläche für variable Konglomerate von Bildfunktionen genutzt werden525.

524

525

Vgl. Braun (2005), S. 383–397; Müller (2007), S. 86–89. Braun und Müller verweisen in diesem Zusammenhang auch auf die wickramschen Romane. Müller deutet die Wiederverwendung von Bildmaterial aus dem „Ritter Galmy“ in Wickrams späteren Romanen jedoch als Ausdruck des Funktionsverlustes der Illustration und Braun bezieht repetitive Bildwiederholungen in „Ritter Galmy“ und „Gabriotto und Reinhart“ singulativ auf die Spracherzählung, wobei er sie als funktionslose Dissonanzen auffasst. In ihrer Flexibilität korrespondieren die bildlichen Romanbestandteile bei Wickram mit den sprachlichen. So können die seit Clemens Lugowskis „Die Form der Individualität im Roman“ als ,Zersetzung‘ eines ,mythischen Analogons‘ beschriebenen Transformationsprozesse sprachlicher Erzähltypen in Wickrams Romanen als Pendant der Zersetzung und Neubegründung von Bildfunktionen angesehen werden. Zur Transformation der sprachlichen Erzähltypen bei Wickram vgl. Jan-Dirk Müller: Der Prosaroman – eine Verfallsgeschichte? Zu Clemens Lugowskis Analyse des ,Formalen Mythos‘. In: Kulturwissenschaftliche Frühneuzeitforschung. Beiträge zur Identität der Germanistik. Hrsg. von Kathrin Stegbauer, Herfried Vögel und Michael Waltenberger, Berlin 2004, S. 143–163.

Perspektiven intermedialen Erzählens bei Jörg Wickram

279

Diese verschränken vermutlich vielfach bereits aus der Tradition bekannte, möglicherweise aber auch innovative Konzepte der Bildwirkung im illustrierten Roman. Hierbei deuten etwa Wirkungspotenziale aus den Bereichen der Aufmerksamkeitsfokussierung, Memorierung oder Handlungskoordination unzweifelhaft auf traditionelle Funktionen der Illustration im gedruckten Roman hin. Ihre Vorläufer werden darüber hinaus im Bereich der Handschriftenillumination zu finden sein. Aufgrund des Mangels einer umfassenden Funktionsgeschichte der Illustration im Roman gestaltet es sich hingegen nahezu unmöglich, Innovationen als solche zu erkennen. Dabei könnte es sich beispielsweise beim Einsatz ikonischer Anachronien zur Emotionsevokation um ein innovatives Moment der illustrierten Romane Wickrams handeln. Ebenfalls könnten im Zusammenhang des narrativ instrumentalisierten Einsatzes von Bildwiederholungen, Kombinationsholzschnitten und Fremdmaterial innovative Bildfunktionen entstanden sein, auch wenn sich diese mindestens teilweise, wie am Beispiel der didaktisch wirkenden Bildplagiate im „Knabenspiegel“ zu beobachten ist, mit traditionellen Bildfunktionen verschränken – in diesem Fall mit der unter anderem aus der humanistischen Literatur des späten 15. Jahrhunderts bekannten Erziehungsfunktion des Bildes526. Definitiv besteht noch großer Forschungsbedarf, bevor das innovative Funktionspotenzial der wickramschen Romanillustrationen über Spekulation hinausgehend beurteilt werden kann. Zugleich bildet die vorliegende Arbeit einen Beitrag zu der in der neuesten Forschung angestrebten Historischen Narratologie. So erwiesen sich die im Hinblick auf den frühneuzeitlichen illustrierten Roman modifizierten Theoreme der Erzähltheorie Genettes bei der Analyse der intermedialen Erzählstruktur als tragfähig. Nicht allein erlaubten dabei die erweiterten fünf genetteschen Erzähldimensionen der ,Ordnung‘, der ,Dauer‘, der ,Frequenz‘, des ,Modus‘ und der ,Stimme‘ detaillierte Einblicke in die innere Erzählstruktur der illustrierten Romane, auch konnten einzelne Theoreme aus Genettes „Paratexten“ und „Palimpsesten“ zur Beleuchtung der äußeren und transtextuellen Elemente intermedialen Erzählens ertragreich umgesetzt werden. Demnach konnte auf der Grundlage Genettes ein adäquates Instrumentarium zur narratologischen Strukturanalyse des frühneuzeitlichen illustrierten Romans erstellt werden. Zu einer Historischen Narratologie im Sinne einer Entwicklungsgeschichte der Erzählformen, wie sie unter anderem Monika Fludernik vertritt 527, könnten darüber hinaus die im „Ritter Galmy“ aufgezeigten Elemente unzuverlässigen Erzählens einen Beitrag leisten. So finden sich unzuverlässige Erzähler zwar bereits in der antiken Litera-

526

527

Zur Erziehungsfunktion der Illustration im 15. Jahrhundert vgl. Horst Kunze: Geschichte der Buchillustration in Deutschland. Das 15. Jahrhundert, Leipzig 1975, S. 438. Zu Fluderniks Entwicklungsgeschichte der Erzählformen vgl. Fludernik (2008), S. 124–133. Allgemein zur Kontroverse um unterschiedliche Konzepte der Historischen Narratologie vgl. Harald Haferland und Matthias Meyer: Streitgespräch. In: dies. (2010), S. 429–444.

280

Schluss

tur, etwa bei Lukian und Apuleius 528, für die deutschsprachige Literatur bis 1600 jedoch ist die Erzähltechnik bislang nicht nachgewiesen. Über ihre zentralen Anliegen hinaus gewährt die vorliegende Arbeit zudem neue Einblicke in die Produktion der untersuchten illustrierten Romane. So konnte anhand einer Episode in „Gabriotto und Reinhart“ aufgezeigt werden, dass Bilddarstellungen aus dem „Ritter Galmy“ transmediale Prätexte von Abschnitten der Spracherzählung bilden können. Scheinbar ließ sich der historische Autor von der Bilderwelt des erfolgreichen Vorgängerromans529 nicht nur beim Zeichnen neuer Bildvorlagen, sondern auch beim Schreiben inspirieren. In diesem Zusammenhang kann den Illustrationszyklen ein bisher ungeahnter Stellenwert für die Sprachtextproduktion beigemessen werden. Zugleich setzt die in den untersuchten Romanerstausgaben vielfach festgestellte narrative Instrumentalisierung von ikonischen Anachronien, Bildwiederholungen und Bildplagiierungen eine detaillierte Textkenntnis nicht nur der Romane Wickrams, sondern auch der anderen Werke, aus denen Holzschnittmaterial scheinbar sehr reflektiert übernommen wurde, voraus. Traut man diese Fähigkeit weder dem Drucker Jakob Frölich noch seinen Setzern zu, so ist eine weitreichende Einflussnahme des historischen Autors auf den Prozess der Drucklegung zu vermuten. Des Weiteren erfolgt die Plagiierung von für den „Goldfaden“ angefertigtem Bildmaterial im „Knabenspiegel“ in einem deutlich höheren Ausmaß als von der bisherigen Forschung festgestellt wurde530. Dabei erstreckt sich diese recht ausgewogen über den gesamten Bildzyklus, was den Schluss nahelegt, dass das Bildprogramm des „Goldfadens“ bereits vor der Veröffentlichung des „Knabenspiegels“ 1554 fertiggestellt war. Somit handelt es sich bei der ersten erhaltenen Ausgabe des „Goldfadens“, die auf 1557 datiert wird, entweder nicht, wie von der Forschung konsensuell angenommen, um den Erstdruck des Romans, oder der Bildzyklus lag bereits mindestens drei Jahre vor seinem Erscheinen vor. Einen Hinweis auf die erstere Annahme liefert die in 3.2.2 behandelte Ankündigung des „Goldfadens“ als bereits im Druck befindlich in dem vermutlich 1554 erschienenen „Dialog vom ungeratnen Sohn“, der Nachschrift zum „Knabenspiegel“ 531. Unabhängig davon, ob der „Goldfaden“ nun im direkten Anschluss an den „Dialog vom ungeratenen Sohn“ veröffentlicht wurde oder erst 1557, lässt die vermeintliche Fertigstellung des Bildprogramms bereits vor Erscheinen des „Knabenspiegels“ ein paralleles Arbeiten Wickrams an Manuskripten und Bildvorlagen vermuten.

528 529

530

531

Vgl. Martinez/Scheffel (2007), S. 100. Der „Ritter Galmy“ wurde bis in das Erscheinungsjahr von „Gabriotto und Reinhart“ mindestens viermal aufgelegt. Vgl. Roloff (1967), S. 308–322. So sind, wie in 2.2.2 aufgezeigt, mindestens vier ganze Druckstöcke und zwei Druckstockhälften betroffen. Die Forschung ging bislang von einem einzigen Druckstock aus. Vgl. Roloff (1968), S. 185; Schmidt (1996), S. 152. Zur Ankündigung des „Goldfadens“ im „Dialog vom ungeratnen Sohn“ und zur Datierung des Letzteren vgl. S. 215, Anm. 434, 435.

Perspektiven intermedialen Erzählens bei Jörg Wickram

281

Darüber hinaus kam es anscheinend vor, dass Wickram diegetische Ereignisse seines Romans bereits verbildlicht und dem Reiser zur Übertragung auf das Holz übergeben hatte, bevor er sich zu einer Abänderung des Handlungsverlaufs entschloss. So wurde ein bisher unbemerkt gebliebener inhaltlich und stilistisch klar dem Bildzyklus des „Goldfadens“ zuzuordnender Holzschnitt, der jedoch in keiner Ausgabe des „Goldfadens“ enthalten ist, in Frölichs Ausgabe von „Tristan und Isolde“ vorgefunden. Dieser verbildlicht ein Ereignis eines alternativen Handlungsverlaufs, das in der veröffentlichten Fassung in Form eines figürlichen Gedankenspiels erhalten geblieben ist. In diesem Zusammenhang tritt Wickrams paralleles Arbeiten an Manuskripten und Bildvorlagen noch deutlicher hervor. Somit haftet der in der Kunstwissenschaft zuweilen als fade empfundene Beigeschmack produktionsästhetischer Nachträglichkeit532 den Illustrationen Wickrams nicht an. Demnach sind Wickrams Sprach- und Bildtexte nicht allein in narratologischer und rezeptionsästhetischer, sondern auch in produktionsästhetischer Hinsicht als intermediale Einheit anzusehen, wobei aus der Nichtberücksichtigung einer der medialen Komponenten unweigerlich verkürzte und verzerrte Perspektiven auf den Gegenstand resultieren. Der bislang lückenhafte Forschungsstand im Hinblick auf die Intermedialität vergeleichbarer Drucksausgaben frühneuzeitlicher illustrierter Romane, erlaubt dabei noch keine letztgültige Antwort auf die Frage, inwiefern die Einheit des gestaltenden Willens von Jörg Wickram als Autor und Illustrator zur Herausbildung eines frühneuzeitlichen „Sonderfalls“ im Hinblick auf die narrative Produktivität des Zusammenspiels von Sprach- und Bildtext geführt hat.

532

Vgl. Schmidt (2006), S. 145.

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290

Anhang

Wieckenberg, Ernst-Peter: Zur Geschichte der Kapitelüberschrift im deutschen Roman vom 15. Jahrhundert bis zum Ausgang des Barock. Göttingen 1969. Wolthuis, G. J. Martin-ten: Der „Goldfaden“ des Jörg Wickram von Colmar. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 87 (1968), S. 46–85. Ziegeler, Hans-Joachim: Der betrachtende Leser – Zum Verhältnis von Text und Illustration in Kaiser Maximilians I. „Teuerdank“. In: Literatur und bildende Kunst im Tiroler Mittelalter. Hrsg. von Egon Kühebacher, Innsbruck 1982, S. 67–110.

Abbildungsnachweise Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8

Abb. 9

Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24 Abb. 25

Eigene Grafik Bote, Hermann: Ein kurtzweilig lesen von Dil Ulenspiegel. Faksimileausgabe des Druckes von 1519. Hrsg. von Anneliese Schmitt, Leipzig 1979, D1v. Eigene Grafik Eigene Grafik Eigene Grafik Luther, Martin (Übers.): Bibel, Leipzig: Nikolaus Wolrab 1542, 2° insgesamt 844 Blatt, Fragment aus Privatbesitz, Aaa3v. Eigene Grafik Wickram, Jörg: Goldfaden, Nürnberg: Michael und Johann Friedrich Endter 1663, 8° 135 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB III, 1274), A2r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Nürnberg: Michael und Johann Friedrich Endter 1663, 8° 135 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB III, 1274), K7v. Eigene Grafik Luther, Martin (Übers.): Bibel, Frankfurt: Sigmund Feyerabend 1581, 2° insgesamt 559 Blatt, Fragment aus Privatbesitz, B6v. Eigene Grafik nach Gérard Genette: Die Erzählung. Aus dem Französischen von Andreas Knop, München 21998, S. 277. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Y4v–Z1r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), M2v–M3r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), B4v–C1r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), T4v–V1r. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), Mm4r. Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), O3v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), L1r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), N2v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Q4v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Y1r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), L3v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), N2v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Y1r.

292 Abb. 26

Anhang

Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), N3v. Abb. 27/28 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), O1v. Abb. 29/30 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), D4v. Abb. 31 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), Dd3v. Abb. 32 Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), M1v. Abb. 33 Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), G1r. Abb. 34 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), D2r. Abb. 35 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), Y1v. Abb. 36 Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), D4r. Abb. 37 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Y2r. Abb. 38 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), B2r. Abb. 39 Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), S3v. Abb. 40 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), M2v. Abb. 41 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Cc4r. Abb. 42 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), A2r. Abb. 43 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), A4r. Abb. 44 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), S3r. Abb. 45 Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), F3v. Abb. 46 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), C1r. Abb. 47 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), M2v. Abb. 48 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Q4v. Abb. 49 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), D3v. Abb. 50 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), G4v. Abb. 51 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), R4r. Abb. 52 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), V4v.

Abbildungsnachweise Abb. 53 Abb. 54 Abb. 55 Abb. 56 Abb. 57 Abb. 58 Abb. 59 Abb. 60 Abb. 61 Abb. 62 Abb. 63 Abb. 64 Abb. 65 Abb. 66 Abb. 67 Abb. 68 Abb. 69 Abb. 70 Abb. 71 Abb. 72 Abb. 73 Abb. 74 Abb. 75 Abb. 76 Abb. 77

293

Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), X2v. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), D1v. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), H4v. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), L1r. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), S3r. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), Ee1r. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), B3v. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), H4v. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), M4v. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), R4r. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), Hh3r. Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), A1r. Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), B2r. Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), D4r. Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), O3r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), I2v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), L3v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), S1r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), S4 v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Cc3r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Cc3v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Cc4r. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), Z3r. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), Cc3v. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), Ee3r.

294 Abb. 78

Anhang

Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), S3v. Abb. 79 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Cc4r. Abb. 80 Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), N3v. Abb. 81 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), A4r. Abb. 82 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), V2v. Abb. 83 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), G1r. Abb. 84 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), D3v. Abb. 85/86 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), D1v. Abb. 87 Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), H1r. Abb. 88 Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), I1v. Abb. 89 Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), N3r. Abb. 90 Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), T2r. Abb. 91 Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), X4r. Abb. 92 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), D3r. Abb. 93 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), D4v. Abb. 94 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), H2r. Abb. 95 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), H4v. Abb. 96 Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), D4r. Abb. 97 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), I2v. Abb. 98 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Cc3r. Abb. 99 Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), Ff3r. Abb. 100 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Z3r. Abb. 101 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Aa3v. Abb. 102 Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Z4v. Abb. 103 Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), I2v.

Abbildungsnachweise Abb. 104 Abb. 105 Abb. 106 Abb. 107 Abb. 108 Abb. 109 Abb. 110 Abb. 111 Abb. 112 Abb. 113 Abb. 114 Abb. 115 Abb. 116 Abb. 117 Abb. 118 Abb. 119 Abb. 120 Abb. 121 Abb. 122 Abb. 123 Abb. 124 Abb. 125 Abb. 126 Abb. 127 Abb. 128

295

Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), L1r. Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), H2v. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), Bb3r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), E2v. Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), K1r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), D2r. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), C2r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), N2v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), K2v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Bb1r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), N4r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), A4v. Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), Bb4v. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), A1r. Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), A1r. Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), A1v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), A1r. Tristan und Isolde, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 100 Blatt, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (A: 28.7 Eth. (a) ), Bb3r. Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), G3r. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), M4v. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), X2v. Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), X1r. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), P1v. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), Hh3r. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), Ff1r.

296 Abb. 129 Abb. 130 Abb. 131 Abb. 132 Abb. 133 Abb. 134 Abb. 135 Abb. 136 Abb. 137 Abb. 138 Abb. 139 Abb. 140 Abb. 141 Abb. 142 Abb. 143 Abb. 144 Abb. 145

Anhang Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), V4v. Wickram, Jörg: Ritter Galmy, Straßburg: Jakob Frölich 1539, 4° 140 Blatt, Ratsbücherei Lüneburg (DL 135), F2v. Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), K4r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), L1r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), F4v. Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), T3v. Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), V3v. Wickram, Jörg: Gabriotto und Reinhart, Straßburg: Jakob Frölich 1551, 4° 108 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 353), L3v. Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), A3r. Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), O1r. Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), F1v. Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), G4v. Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), E1v. Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. (Biblioth. Hirzel 354), A4r. Wickram, Jörg: Knabenspiegel, Straßburg: Jakob Frölich 1554, 4° 55 Blatt, Universitätsbibliothek Frankfurt a. M.. (Biblioth. Hirzel 354), B2r. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Bb4v. Wickram, Jörg: Goldfaden, Straßburg: Jakob Frölich 1557, 4° 108 Blatt, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8 FAB VI, 1460 RARA), Dd2v.