Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter: Strategien für den globalen Markterfolg [1. Aufl.] 9783658294281, 9783658294298

Dieses Buch erläutert die wichtigsten Grundlagen internationaler Vermarktung vor dem Hintergrund von Digitalisierung, Pl

299 55 2MB

German Pages XIII, 216 [221] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIII
Einleitung (Doris Gutting)....Pages 1-3
Marketing 4.0: Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und virtuelle Assistenten (Doris Gutting)....Pages 5-25
Marketingmix im digitalen Wandel (Doris Gutting)....Pages 27-50
Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0 (Doris Gutting)....Pages 51-73
Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte (Doris Gutting)....Pages 75-99
Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung (Doris Gutting)....Pages 101-122
Globale Markenführung (Doris Gutting)....Pages 123-147
Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen (Doris Gutting)....Pages 149-177
Ethnomarketing und neue Zielgruppen im Inlandsmarkt: Muslime und Chinesen (Doris Gutting)....Pages 179-203
Zum Schluss: Bedeutungszuwachs von Unternehmenskultur, kultureller Identität und Kulturkompetenz (Doris Gutting)....Pages 205-212
Back Matter ....Pages 213-216
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Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter: Strategien für den globalen Markterfolg [1. Aufl.]
 9783658294281, 9783658294298

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Doris Gutting

Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter Strategien für den globalen Markterfolg

Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter

Doris Gutting

Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter Strategien für den globalen Markterfolg

Doris Gutting Hochschule für angewandtes Management Ismaning, Deutschland

ISBN 978-3-658-29428-1    ISBN 978-3-658-29429-8  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-29429-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Für Anais, Bernd und Chris

Vorwort

Dieses Buch geht den Tendenzen nach, die das moderne Marketing am stärksten beeinflusst haben und weiter bestimmen werden: Digitalisierung, Menschenorientierung und Internationalisierung. Innerhalb dieses Spannungsfeldes wird die Bedeutung des Faktors Kultur im Marketing eingeschätzt. Die Digitalisierung hat unter anderem zur Entstehung der Plattformökonomie geführt. Diese bietet den Konsumenten einen komfortablen Zugang zu Gütern und Dienstleistungen rund um die Uhr. Die Märkte sind transparent geworden. Hersteller können Verkaufsplattformen nutzen oder direkt online vermarkten. In Omnichannel-Strategien werden Online und Offline verbunden. Die Anbieter gestalten die Kontaktpunkte zu den Kunden, bedienen dabei deren Erlebnisorientierung. Gleichzeitig wird eine Vielzahl von Daten über die Kunden gewonnen. Die Masse der in den Unternehmen anfallenden Daten ist nur noch mit fortschrittlichen Methoden zu bewältigen. Künstliche Intelligenz wird eingesetzt, um aus der Vielzahl von Daten diejenigen herauszufiltern, die tatsächlich Aufschluss über das Kundenverhalten und den Erfolg der Marketingstrategien geben. Die Leistungsfähigkeit virtueller Assistenten wird kontinuierlich verbessert. Sie verfügen über ein enormes Potenzial für den Service, insbesondere im internationalen Umfeld. Der klassische Marketingmix dient immer noch als pragmatisches Gerüst in Praxis und Lehre, hat sich jedoch stark verändert. Produkte können durch Dienstleistungen ersetzt werden. Neue Geschäftsmodelle werden entwickelt. Durch die transparenten Märkte ist ein starker Preisdruck entstanden, ebenso wie eine Vielzahl von Rabattformen. Die künstliche Intelligenz schafft neue, dynamische Methoden der Preisbildung. Virtuelle Marktplätze und Online-Vermarktung bestimmen zunehmend die Verteilung von Gütern. Die Digitalisierung hat in der Marketingkommunikation eine Vielzahl neuer Optionen geschaffen. Die werbetreibenden Unternehmen fordern die Messbarkeit der eingesetzten Mittel. Die Werbebranche ist in starkem Wandel. Eine Entwicklung ist erfolgt hin zu einem „menschenzentrierten“ Marketing. Vertrauen ist die Schlüsselgröße darin. Mittels neuer Technik wird versucht, den tatsächlichen Wünschen und Werten der Verbraucher und Stakeholder eines Unternehmens auf die Spur zu kommen und auf wandelnde Werte zu reagieren. Die Rolle der Mitarbeiter bei der Schaffung von Kundenzufriedenheit und Markenimage tritt weiter in den Vordergrund. VII

VIII

Vorwort

Verkaufsplattformen streben nach Größe. Die Internationalisierung wird trotz einiger Erscheinungen der De-Globalisierung weiter voranschreiten. Sie erfordert von den Unternehmen eine Vielzahl von Schritten und Entscheidungen, in denen der Faktor Kultur oft die entscheidende Rolle spielt. Die Kernfrage internationalen Marketings bleibt, inwieweit Marketing und seine Elemente standardisiert werden können und wo sie angepasst werden müssen. Erfolgreiche globale Marken finden die richtige Balance, indem sie einerseits weitgehend standardisieren, aber sich andererseits durch Differenzierung profilieren. Im Zentrum der Markenführung stehen Mitarbeitermotivation und Unternehmenskultur. Die kulturelle Identität globaler Marken ist ein Diskriminierungsfaktor in einer Flut von alternativen Angeboten. Bei aller Menschenzentrierung bleibt es das Ziel des Marketings, Verkaufsabschlüsse zu generieren. Der Schlüssel für den nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens hängt weniger von einzelnen Verkaufsaktionen ab, sondern von zufriedenen, wiederkehrenden Kunden. Verkaufsverhandlungen mit anderskulturellen Partnern erfordern Kulturkompetenz. Verständnis für kulturelle Prägungen, aber auch für die aktuellen Lebensbedingungen der Konsumenten sind die Voraussetzung für die Vermarktung im Ausland wie für die Erschließung neuer, kaufkräftiger Zielgruppen im Inlandsmarkt durch Ethnomarketing. Im internationalen Marketing 4.0 ist Kulturkompetenz eine notwendige Erfolgsvoraussetzung. Durch kulturelle Identität schaffen sich globale Marken Differenzierung im Wettbewerb. Kundenzufriedenheit und Reputation lassen sich nur mit engagierten Mitarbeitern erreichen, die in eine entsprechende Organisationskultur eingebunden sind. Im Zeitalter digitaler Disruption haben die erforderlichen neuen Strategien nur dann eine Chance auf Umsetzung, wenn sie von der Unternehmenskultur getragen werden. Ich wünsche Ihnen beim Lesen dieses Buches viele Erkenntnisse und hoffe, Sie für Ihre internationalen Marketingstrategien inspiriert zu haben. Danken möchte ich an dieser Stelle der Dekanin meiner Fakultät an der Hochschule für angewandtes Management Ismaning, Prof. Dr. Britta Salander, für die langjährige gute Zusammenarbeit sowie meiner Lektorin Imke Sander für die kompetente Begleitung und Unterstützung meiner „sportlichen“ Arbeitsweise. Prof. Dr. Doris Gutting, im April 2020 P.S. Ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde in diesem Buch das generische Maskulinum verwendet.

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   1 1.1 Zielsetzung����������������������������������������������������������������������������������������������������   1 1.2 Vorgehensweise��������������������������������������������������������������������������������������������   2 2 Marketing 4.0: Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und virtuelle Assistenten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   5 2.1 Plattformökonomie ��������������������������������������������������������������������������������������   7 2.2 Omnichannel ������������������������������������������������������������������������������������������������  12 2.2.1 Beispiele für Omnichannel ��������������������������������������������������������������  13 2.2.2 Ziele und Chancen von Omnichannel����������������������������������������������  14 2.3 Künstliche Intelligenz (KI) ��������������������������������������������������������������������������  16 2.3.1 Wichtigste Teilgebiete der Künstlichen Intelligenz��������������������������  16 2.3.2 Anwendungsbeispiele von KI im Marketing������������������������������������  18 2.3.3 Marketingunterstützung durch Künstliche Intelligenz����������������������  20 2.4 Virtuelle Assistenten ������������������������������������������������������������������������������������  21 2.5 Vielfältige neue Optionen im Marketing 4.0������������������������������������������������   23 3 Marketingmix im digitalen Wandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  27 3.1 Produkt����������������������������������������������������������������������������������������������������������  28 3.2 Distribution ��������������������������������������������������������������������������������������������������  31 3.2.1 Absatzkanäle, E-Commerce, virtuelle Marktplätze und Onlineshops��������������������������������������������������������������������������������������  32 3.2.2 Marketinglogistik������������������������������������������������������������������������������  33 3.2.3 Marketing und Lieferservice������������������������������������������������������������  33 3.2.4 Distribution im digitalen Wandel������������������������������������������������������  34 3.3 Preis��������������������������������������������������������������������������������������������������������������  35 3.3.1 Dynamische Preisbildung und kundenindividuelle Preise durch Künstliche Intelligenz ������������������������������������������������������������  36 3.3.2 Pricing im digitalen Wandel��������������������������������������������������������������  39

IX

X

Inhaltsverzeichnis

3.4 Kommunikation��������������������������������������������������������������������������������������������  39 3.4.1 „Above the line“ und „Below the line“ in der Digitalisierung���������  47 3.4.2 Alte und neue Werbeplanung������������������������������������������������������������  47 3.4.3 Kommunikation im Wandel der Digitalisierung ������������������������������  48 3.5 Fazit: Marketingmix im digitalen Wandel����������������������������������������������������  50 4 Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0. . . . . .  51 4.1 Die Erweiterung der 4 Ps auf 7 Ps: People, Processes, Physical Evidence����������  52 4.2 Integratives Marketing����������������������������������������������������������������������������������  53 4.3 Dienstleistungsmarketing������������������������������������������������������������������������������  54 4.3.1 Der Kunde im Zentrum: im Dienstleistungs-, aber auch im B2B-Marketing ������������������������������������������������������������������  55 4.3.2 Merkmale von Dienstleistungen ������������������������������������������������������  56 4.3.3 Schlüsselfaktoren erfolgreicher Leistungsprogramme ��������������������  58 4.3.4 Kundenzufriedenheit im Service������������������������������������������������������  60 4.4 Erlebnismarketing ����������������������������������������������������������������������������������������  62 4.5 Entwicklungsphasen des Marketings im Überblick��������������������������������������  64 4.6 Perspektiven aktueller Studien: Der Mensch im Mittelpunkt����������������������  65 4.6.1 Deloitte Marketing Report 2020: Mensch im Mittelpunkt ��������������  66 4.6.2 Human-to-Human-Marketing ����������������������������������������������������������  68 4.7 Vertrauen als Schlüsselgröße modernen Marketings������������������������������������  70 4.8 Zwischenfazit: Forderungen des menschenzentrierten Marketings 4.0��������   71 5 Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte. . . .  75 5.1 Motive und Ziele internationaler Vermarktung festlegen�����������������������������  78 5.2 Situationsanalyse (SWOT-Analyse)��������������������������������������������������������������  79 5.2.1 Unternehmens- und Ressourcenanalyse (Stärken und Schwächen) ����������������������������������������������������������������  79 5.2.2 Umweltanalyse (Chancen und Risiken)��������������������������������������������  80 5.3 Optionen des Markteintritts in neue Märkte und Überlegungen zu Kooperationspartnern������������������������������������������������������������������������������������  84 5.3.1 Kooperationen und Kooperationspartner������������������������������������������  85 5.3.2 Kriterien der Auswahl von Kooperationspartnern����������������������������  87 5.4 Strategische Planung der internationalen Vermarktung��������������������������������  88 5.4.1 Standortbestimmung: Kulturelle Orientierung und Grundtypen internationaler Vermarktungsstrategien��������������������������������������������  89 5.4.2 Grundtypen internationaler Marketingstrategien������������������������������  92 5.4.3 Festlegung internationaler Zielmärkte und Zielsegmente����������������  93 5.4.4 Internationale Positionierung von Unternehmen, Marke, Produkten������������������������������������������������������������������������������������������  94 5.4.5 Länderübergreifende Timing-Strategie ��������������������������������������������  95 5.4.6 „Fit“ zwischen Strategie und Struktur, Systemen und Kultur des Unternehmens����������������������������������������������������������������������������  95

Inhaltsverzeichnis

XI

5.5 Operative Planung der internationalen Vermarktung������������������������������������  96 5.6 Marketingplan und Marketingbudget������������������������������������������������������������  97 5.7 Implementierung der internationalen Marketingstrategien und Kontrolle ������  97 6 Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 6.1 Internationales und interkulturelles Marketing�������������������������������������������� 101 6.2 Kultur und Konsumentenverhalten �������������������������������������������������������������� 103 6.2.1 Sinnlich wahrnehmbare Kulturunterschiede im Marketing�������������� 106 6.2.2 Kulturdimensionen im Marketing���������������������������������������������������� 107 6.3 Konvergenz versus Divergenz der Nachfrage ���������������������������������������������� 111 6.4 Kulturfreiheit versus Kulturgebundenheit in Management und Marketing������������������������������������������������������������������������������������������������������ 112 6.5 Standardisierung, Anpassung und Differenzierung von Produkten�������������� 114 6.5.1 Physische Produktattribute���������������������������������������������������������������� 114 6.5.2 Serviceattribute �������������������������������������������������������������������������������� 116 6.5.3 Symbolische Produktattribute���������������������������������������������������������� 117 6.5.4 Ästhetische und funktionale Produkteigenschaften�������������������������� 118 6.5.5 Differenzierung und Standardisierung technischer Produkte ���������� 118 6.6 Internationale Preisstandardisierung und -differenzierung �������������������������� 119 6.7 Standardisierung und Differenzierung der Kommunikation������������������������ 120 6.8 Standardisierung und Differenzierung in der Distribution��������������������������� 122 7 Globale Markenführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 7.1 Herausforderungen der Markenführung und Funktionen von Marken �������� 124 7.2 Markenkommunikation und Positionierung������������������������������������������������� 126 7.3 Markenidentität und Markenwahrnehmung�������������������������������������������������� 130 7.4 Standardisierung und Differenzierung von Markenführung und Marken im internationalen Umfeld�������������������������������������������������������������� 131 7.5 Erfolgreiche globale Marken und der Faktor Kultur������������������������������������ 136 7.5.1 Best Practice Beispiel Starbucks������������������������������������������������������ 138 7.5.2 Best Practice Ikea������������������������������������������������������������������������������ 141 7.6 Markenherkunft und Einsatz kultureller Assoziationen�������������������������������� 145 7.7 Erfolgsfaktoren globaler Markenführung ���������������������������������������������������� 146 8 Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 8.1 Kaufentscheidungen und Kaufrisiken���������������������������������������������������������� 149 8.2 Käufertypologien������������������������������������������������������������������������������������������ 152 8.3 Rollen im Kaufentscheidungsprozess ���������������������������������������������������������� 153 8.4 Verkaufstechniken���������������������������������������������������������������������������������������� 153 8.5 Kunden- oder Customer-Relationship-Management (CRM)������������������������ 154 8.5.1 Bindung bestehender Kunden und Neukundengewinnung�������������� 156 8.5.2 Prinzipien modernen Kundenmanagements ������������������������������������ 157

XII

Inhaltsverzeichnis

8.6 Verkaufsverhandlungen mit Partnern aus anderen Kulturen������������������������ 158 8.6.1 Wo findet die Verkaufsverhandlung statt?���������������������������������������� 159 8.6.2 Wann und wie lange wird verhandelt?���������������������������������������������� 159 8.6.3 Wer verhandelt?�������������������������������������������������������������������������������� 160 8.6.4 Wer hat Entscheidungsgewalt? �������������������������������������������������������� 162 8.6.5 Was soll erreicht werden? ���������������������������������������������������������������� 163 8.6.6 Wie wird verhandelt?������������������������������������������������������������������������ 164 8.7 Integrative und distributive Strategien, interkulturelle Unterschiede in Preisverhandlungen�������������������������������������������������������������������������������������� 167 8.7.1 Szenario 1: Intrakulturell „faire“, erfolgreiche Preisverhandlung������������������������������������������������������������������������������ 167 8.7.2 Szenario 2: Andere Erwartungen, problematische Preisverhandlung������������������������������������������������������������������������������ 168 8.7.3 Szenario 3: Erfolgreiche Preisverhandlung in Händlerkulturen ������ 169 8.7.4 Kulturelle Neigungen zu distributiven oder integrativen Verhandlungsstrategien �������������������������������������������������������������������� 169 8.8 Verhandlungsstile und Verhandlungsverhalten �������������������������������������������� 171 8.9 Kulturell unterschiedliche Bedeutung von Verträgen ���������������������������������� 174 9 Ethnomarketing und neue Zielgruppen im Inlandsmarkt: Muslime und Chinesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 9.1 Zielgruppenmarketing���������������������������������������������������������������������������������� 180 9.2 Entwicklung und Grundlagen des Ethnomarketings������������������������������������ 181 9.3 Muslime als Zielgruppe im Inlandsmarkt ���������������������������������������������������� 183 9.3.1 Grundlagen des Islam ���������������������������������������������������������������������� 185 9.3.2 Wichtigste Gebote und Verbote der Muslime ���������������������������������� 186 9.4 Chancen und Herausforderungen des Islamic Marketing���������������������������� 188 9.4.1 Muslimische Kunden und Halal-Branchen�������������������������������������� 188 9.4.2 Islamic Banking�������������������������������������������������������������������������������� 191 9.4.3 Herausforderungen des Islamic Marketing: Zertifizierung und Politisierung�������������������������������������������������������������������������������������� 193 9.5 Chinesen als Zielgruppe im Inlandsmarkt���������������������������������������������������� 194 9.5.1 Kurzes Kulturprofil der Zielgruppe Chinesen���������������������������������� 195 9.5.2 Langfristig prägende Weltsicht: Konfuzianismus ���������������������������� 196 9.5.3 Präferenzen moderner Chinesen ������������������������������������������������������ 198 9.5.4 Chinesische Touristen in Deutschland���������������������������������������������� 199 9.6 Chancen und Risiken von „Chinese Marketing“: Größeneffekte, Soziale Medien und politisches Bewusstsein������������������������������������������������������������ 201

Inhaltsverzeichnis

XIII

10 Zum Schluss: Bedeutungszuwachs von Unternehmenskultur, kultureller Identität und Kulturkompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 10.1 Kulturelle Identität als Eigenschaft globaler Marken �������������������������������� 208 10.2 Organisationskultur oder „Culture Eats Strategy for Breakfast“���������������� 209 10.3 Kulturkompetenz���������������������������������������������������������������������������������������� 211 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

1

Einleitung

Digitalisierung und Internationalisierung sind die Bestimmungsgrößen des Marketings im neuen Jahrtausend. Big Data und Künstliche Intelligenz erlauben die Erkennung von Konsummustern ebenso wie die zeitnahe Messung des Erfolgs von Marketingmaßnahmen. Die Plattformökonomie hat Transparenz für Angebote und Preise auf den Märkten geschaffen. Digitale Marktplätze und Online-Vermarktung haben die Funktion des (analogen) Handels in Frage gestellt. Durch Omnichannel-Strategien versucht man, online und offline effektiv zu verbinden und kaufrelevante Erlebnisse zu schaffen. Dabei werden zunehmend genauere Aufschlüsse über das Kundenverhalten gewonnen. Die Internationalisierung rückt die Kernfrage internationalen Marketings weiter in den Fokus, wo Marketing standardisiert werden kann und wo sich die Anpassung lohnt. Kultur hat – nach wie vor – eine starke Erklärungskraft für das Konsumentenverhalten, eröffnet neue Chancen. Kulturkompetenz ist aber vor allem zur Vermeidung von gravierenden Marketingfehlern erforderlich, wie viele gescheiterte internationale Marketingkampagnen immer wieder zeigen. Den aktuellen Strömungen und den absehbaren Veränderungen im Marketing geht dieses Buch nach und reflektiert im Gesamtblick die Bedeutung des Faktors Kultur in einem digitalisierten, internationalen Umfeld.

1.1

Zielsetzung

Das Buch will keinen neuen Marketingansatz anbieten, sondern knapp und pragmatisch einen Überblick über heutiges Marketing im komplexen Spannungsfeld zwischen Digitalisierung und Internationalisierung vermitteln.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Gutting, Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29429-8_1

1

2

1 Einleitung

Mit anderen Autoren ist die Verfasserin sich einig, dass eine Entwicklung zum digitalen, menschenzentrierten Marketing 4.0 erfolgt ist. Eine Neubewertung des Faktors Kultur soll unter diesen Rahmenbedingungen eines globalen, vernetzten Marketingumfeldes vorgenommen werden. In einem anwendungsorientierten Fachbuch muss kein Gesamtüberblick über die Marketingansätze und den Forschungsstand geboten werden. Die Verfasserin behält sich vor, ältere und neue Konzepte und Überlegungen zu identifizieren und zu diskutieren, die maßgeblich zur Entwicklung des Marketings 4.0 beigetragen haben.

1.2

Vorgehensweise

Eingangs erfolgt eine Abschätzung darüber, welche die bedeutendsten Phänomene für das neue Marketing sind, die die Technologisierung hervorbringt und wie sich das Marketing unter dem Einfluss der Digitalisierung bereits verändert hat. Die Entwicklung des Marketings in Theorie und Praxis hin zu wachsender „Menschenzentrierung“ wird anschließend diskutiert. Ab Kap. 5 erfolgt eine Auseinandersetzung mit den wichtigsten internationalen und interkulturellen Aspekten im Marketing. Im Schlusskapital erfolgt im Gesamtblick eine Einschätzung der Bedeutung des Faktors Kultur. Zu den einzelnen Kapiteln In Kap. 2 werden die wichtigsten Phänomene diskutiert, die auf der Grundlage der Digitalisierung entstanden sind und die das Marketing künftig entscheidend prägen werden: Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und virtuelle Assistenten. Die Verfasserin erhebt keinerlei Anspruch auf technologische Expertise oder Vollständigkeit, sondern strebt einen pragmatischen, knappen Überblick an. Kap. 3 setzt am klassischen Marketingmix an. Die wichtigsten neuen, digitalen Optionen im Marketingsubmix werden ergänzt und die neuen Buzzwords wie Social-Media-, Influencer-, Messenger-, Content-, Performance-Marketing etc. erläutert. Der Wandel des Produkt-, Preis-, Place- und Promotion-Mix unter dem Einfluss der Digitalisierung wird eingeschätzt. Die Entwicklung hin zum digitalen, menschorientierten Marketing wird in Kap. 4 reflektiert. Aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet es, wie der Mensch in Marketingpraxis und -theorie immer mehr ins Zentrum gerückt ist und das Marketingverständnis sich verändert. Kap. 5 zeigt im Überblick die wichtigsten Schritte und Entscheidungen, die ein Unternehmen zur Durchdringung internationaler Märkte einleiten und treffen muss. Viele davon sind kulturabhängig und setzen Kulturkompetenz voraus. In Kap. 6 wird die in Kap. 5 aufgeworfene Kernfrage der internationalen Vermarktung nach Standardisierung, Anpassung und Differenzierung aufgegriffen. Der Zusammenhang zwischen Kultur und Konsumentenverhalten wird beleuchtet. Standardisierung und Diffe-

1.2 Vorgehensweise

3

renzierung, insbesondere von Produkteigenschaften, werden anhand von vielen praktischen Beispielen gezeigt. Kap. 7 versucht, den Erfolgsgeheimnissen globaler Marken auf die Spur zu kommen. Herausforderungen der Markenführung, Funktionen von Marken und Markenpositionierung werden als Grundlage diskutiert. Zwei Best-Practice-Beispiele erfolgreicher „Global Brands“, Starbucks und Ikea, demonstrieren, mit welchen Mitteln große Marken für ihren weltweiten Erfolg sorgen. Herausgearbeitet werden zentrale Erfolgsfaktoren globaler Marken. Kap. 8 ist dem Verkauf, der Kundenbindung und der Verkaufsverhandlung gewidmet. Ziel aller Marketingbemühungen ist es letztlich, Verkaufsabschlüsse zu erreichen. Hierzu müssen Kunden verstanden und deren Kaufrisiken gemindert werden. Die heutige Bedeutung von Kundenbindungsmanagement (CRM) wird reflektiert. Die besonderen Herausforderungen von Verkaufsverhandlungen mit anderskulturellen Partnern werden diskutiert. Ethnomarketing wurde in der Fachliteratur bislang noch relativ wenig behandelt. Dem Thema ist Kap. 9 gewidmet. Insbesondere zwei neue Zielgruppen im deutschen Inlandsmarkt werden unter die Lupe genommen: Muslime und Chinesen. Ethnomarketing ist Zielgruppenmarketing. Verständnis dieser Zielgruppen und ihrer besonderen Voraussetzungen soll geschaffen werden. „Islamic Marketing“ eröffnet neue Chancen, geht aber mit besonderen Herausforderungen einher. Ähnliches gilt für „Chinese Marketing“: Chinesen spielen in Deutschland eine zunehmend große Rolle: aktuell schon als Touristen, durch den internationalen Austausch zukünftig vielleicht auch als in Deutschland lebende Expatriates. Die Schlussbemerkungen in Kap. 10 setzen sich im Gesamtblick mit dem Faktor Kultur in einem globalisierten, vernetzen Umfeld auseinander. Die Bedeutung von kultureller Identität, Organisationskultur und Kulturverständnis wird eingeordnet.

2

Marketing 4.0: Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und virtuelle Assistenten

Dieses Buch beschäftigt sich mit dem Faktor Kultur im modernen internationalen Marketing. Deshalb muss zunächst geklärt werden, was „modernes“ Marketing bedeutet. Mit anderen Autoren ist sich die Verfasserin einig, dass das heutige Marketing vor allem von der Globalisierung und Internationalisierung der vergangenen Jahre und zudem von der Technologisierung und Digitalisierung beeinflusst wurde und wird. In diesem Kapitel soll zunächst eine Einschätzung erfolgen, wie Technologisierung und Digitalisierung sich auf das neue Marketing auswirken, knapp und pragmatisch. Ein Anspruch auf Vollständigkeit oder technologische Expertise wird nicht erhoben. Als Kurzformel reden wir von Marketing 4.0. Wenngleich es keine einheitliche Definition für Marketing 4.0 gibt, so gilt in der Fachliteratur als Konsens (vgl. Weis 2018, S. 39 f.), dass • die Digitalisierung seit den 2010er-Jahren die Entwicklungen im Marketing vorantreibt. • Marketing sich den veränderten Bedingungen durch High Tech anpasst. • Marketing online und offline durchgeführt wird, wobei jede „Customer Journey“ unterschiedliche Anteile von online und offline enthält. • Big Data, Algorithmen, KI und Roboter zunehmend das Marketing beeinflussen werden. In der Fertigung werden die Wirkungen der Digitalisierung gleichgesetzt mit dem Begriff „Industrie 4.0“. Im Marketing geht mit der Digitalisierung vor allem ein Wandel der Marktstrukturen, das Aufkommen effektiver Analysemöglichkeiten und neuer Elemente des Marketingmix einher. Holen wir zur Begriffsklärung ein wenig aus: „Industrie 4.0“ gilt als deutsches Konzept für die anstehende sog. vierte industrielle Revolution. Die erste industrielle Revolution datiert ins 19. Jahrhundert und wurde ausgelöst von der einsetzenden Massenproduktion. Die zweite industrielle Revolution erfolgte im beginnenden 20. Jahrhundert mit der

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Gutting, Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29429-8_2

5

6

2  Marketing 4.0: Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und …

­ erbreitung von Elektrizität und Automobilen. Ein dritter gravierender Einschnitt begann V in den 70er-Jahren durch die Einführung elektronischer Datenverarbeitung und die allgegenwärtige Verwendung von Computern. Von der Digitalisierung geht die vierte industrielle Revolution aus: Mittels intelligenter und vernetzter Systeme sollen künftig die selbst­ organisierte Produktion und sich selbst steuernde Maschinen ermöglicht werden. Noch findet sich Industrie 4.0 in den meisten deutschen Unternehmen auf der ersten Stufe, in der Digitaltechnologie eingesetzt wird. Mehr und mehr Unternehmen kommen auf der zweiten Stufe an: Große Datenmengen dienen der immer besseren Analyse- und Prognosefähigkeit (Big Data Analytics). Im dritten Reifegrad sollen dann Maschinen, Autos und Fabriken etc. sich selbst steuern können. Der Begriff „Marketing 4.0“ ist somit eine Analogiebildung zu „Industrie 4.0“. Für Vermarktung und Geschäftsprozesse gilt es, die Auswirkungen und weiteren Entwicklungen durch die Digitalisierung und Technologisierung abzuschätzen. Die Digitalisierung hat bereits massiv Einzug in das Marketing gehalten. In Kap. 3 werden die neuen digitalen Optionen im Marketingmix skizziert. Das Marketingmanagement hat darüber hinaus die Möglichkeiten der Analyse großer Datenmengen mittels Algorithmen zur Vorhersagbarkeit und Steuerung aufgenommen. Auch scheinen bereits sich selbst steuernde Systeme auf, die Routinearbeiten im Marketing, beispielsweise in Verkauf und Kundenbetreuung künftig zuverlässig automatisiert erledigen können. Marketing hat sich durch die Digitalisierung bereits stark verändert, findet heute mehr und mehr im Internet statt, über Websites, virtuelle Marktplätze, Social Media, Suchmaschinen etc. Der Kunde steht im Zentrum, sein Verhalten kann erfasst und analysiert, Marketingmaßnahmen können entsprechend auf ihn zugeschnitten werden. Weiterempfehlungen anderer Kunden erweisen sich als wichtiges Kriterium für Kaufentscheidungen der Konsumenten. Influencer können als Markenbotschafter auftreten, auch selbst – wie beispielsweise heute schon üblich in China – Umsätze generieren. Die Tendenzen zeigen den Aufstieg des „F-Faktors“: Eine hohe Verhaltensrelevanz für Kaufentscheidungen haben die Meinungen von Familienmitgliedern, Freunden, Facebook-­ Friends and -Followers. Diesen „Fs“ wird vertraut. Gewiss hatte man auch zuvor schon im Kundenbindungsmarketing die Bedeutung von Empfehlungen erkannt. Durch die Digitalmedien werden aber Empfehlungen leichter zugänglich und können deshalb – von Kunden wie von Anbietern – besser genutzt werden. Einige Elemente des bisherigen Marketings verlieren, andere gewinnen durch die Digitalisierung an Bedeutung. Während die klassische Werbung zurückgeht, mit der nur noch ein Teil der Konsumenten angesprochen werden kann, werden PR, Image-Management und neue Formen, wie z. B. Content Marketing für die Organisationen wichtiger. Die Verbindung von Online und Offline stellt als Omnichannel oder auch „New Retail“ neue Herausforderungen und Chancen: Kunden informieren sich gleichzeitig online und offline, hören zum Beispiel über ihre Smartphones Produktinformationen, während sie das Produkt im Laden in Augenschein nehmen. Kundenschnittstellen werden definiert und analysiert, Einkaufserlebnisse gestaltet.

2.1 Plattformökonomie

7

Die Verfasserin geht davon aus, dass zum Verständnis der o.  g. Phänomene und des Marketings 4.0 vor allem die Begriffe • • • •

Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und virtuelle Assistenten

die wichtigsten Bestimmungsgrößen sind. Diese gilt es deshalb in Kap. 2 pragmatisch mit Blick auf ihre Bedeutung für das Marketingmanagement zu erläutern. Auch im Marketing ist man heute in den meisten Unternehmen in Deutschland meist noch auf der ersten Stufe der Digitalisierung, aber einige Unternehmen sind schon weiter und wenden Big-Data-Analytics an. Allein die erste Stufe der Digitalisierung hat bereits beachtenswerte neue Phänomene und Verschiebungen hervorgebracht. In Kap. 3 wird deshalb der klassische Marketingmix mit den wichtigsten, durch Digitalisierung hervorgebrachten neuen Optionen ergänzt. Ebenso, wie in der Industrie 4.0 Big Data die Prognosefähigkeit erhöht, geschieht dies auch im Marketing 4.0. mittels zunehmend hoher Rechner- und Speicherleistung. Unternehmen verfügen als Grundlage über große Datenmengen: Kundendaten, Bild- und Bewegungsdaten, Kaufdaten, Suchdaten und viele mehr. Große Datenmengen fallen in den Unternehmen eigentlich schon lange an. Nicht neu ist auch, dass man aus den Daten Einsichten für das Marketing gewinnen will. Database-­ Marketing oder analytisches Customer-Relations-Management gibt es seit über 20 Jahren. Auch versucht man schon länger, unstrukturierte Daten, z. B. aus E-Mails, Kundenbefragungen oder Webformular-Freitexten zu analysieren. All dies ist bislang jedoch noch ein sehr aufwändiger Vorgang. Durch Social Media, Internet of Things etc. steigt die Produktion und Gewinnung von Kundendaten weiter an. Entscheidend ist, dass durch die Digitalisierung der Geschäftsprozesse und fortschrittlicher IT massenhaft Daten aus kundennahen Kontaktpunkten mit hoher Geschwindigkeit erfasst, analysiert und mittels Algorithmen genutzt werden können – erst Algorithmen machen die Vielzahl vorhandener Daten wertvoll (vgl. Gentsch 2019, S. 8). Die Digitalisierung hat bereits zum Entstehen und zur massenhaften Nutzung von Plattformen geführt.

2.1

Plattformökonomie

Eine Vielzahl von Unternehmen bietet schon heute ihre Produkte und Dienstleistungen auf digitalen Plattformen an. Anbieter können virtuelle Marktplätze wie Amazon oder Ebay nutzen, in dem sie ihre Produkte einpflegen. Sie können auch ihren eigenen Onlineshop

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2  Marketing 4.0: Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und …

aufbauen. Kunden haben per Internet an beliebigen Orten bequem und rund um die Uhr Zugriff auf eine Vielfalt von Angeboten. Die Vorteile digitaler Marktplätze für die Nutzer bestehen zunächst darin, dass Angebote verschiedener Hersteller (oder Dienstleister) an einer Stelle zu finden sind. Funktionen, Design, Preise und sonstige Eigenschaften von Produkten können verglichen werden, die sofortige Bestellung und eine schnelle Lieferung können anschließend erfolgen. Für die Anbieter von Produkten und Dienstleistungen bieten virtuelle Marktplätze wie Amazon vor allem den Vorteil, eine entwickelte Infrastruktur verwenden zu können, ohne diese selbst aufbauen oder warten zu müssen. Der finanzielle Aufwand der Vermarktung ist  – so gesehen  – relativ gering. Im Gegenzug werden Gebühren an den Betreiber der Plattform gezahlt. Nachteile für die Anbieter liegen vor allem in dem Entstehen transparenter Märkte: Ein enormer Preis- und ein Innovationsdruck werden dadurch erzeugt. Und langfristig verändern sich durch die Plattformökonomie auch die Geschäftsmodelle oder werden neu definiert. An dieser Stelle lohnt es sich, sich mit den Merkmalen von Plattformen – über die o. g. Verkaufsplattformen hinaus  – auseinanderzusetzen: Die wichtigste Eigenschaft einer Plattform ist, dass sie den Nutzen für den Einzelnen steigert, je mehr Menschen sich ihr anschließen. Das bedeutet, dass jeder einzelne Nutzer der Plattform in dieser gleichzeitig zum Mehrwertobjekt für die anderen Nutzer wird (vgl. Computerwoche online 2019a). Ein Beispiel: Bei Facebook ist jeder Nutzer gleichzeitig ein potenzieller „Friend“ für die anderen und ein Adressat für die zahlende Kundschaft bzw. für die werbungtreibenden Unternehmen. Jeder Nutzer stellt kostenlos Inhalte ein, die andere konsumieren. Facebook ist damit der Archetyp der Plattform, in der jeder Beteiligte aktiv den Mehrwert für alle erhöht. Je größer ein Netz ist, desto wertvoller ist es für den Anbieter und desto schwerer ist es für andere, in diesen Markt einzudringen. Google beispielsweise nutzt die vielen Suchanfragen, um den Suchalgorithmus ständig zu verbessern. Und da Google bereits über die meisten Daten verfügt, kann das Unternehmen die besten Suchergebnisse liefern. Andere Suchmaschinen sind dagegen im Nachteil – und weil sie für den Anwender schlechtere Ergebnisse liefern, werden sie auch von weniger Suchenden genutzt. Größe ist bei einer Plattform deshalb der wichtigste Wettbewerbsvorteil. Für Plattformanbieter gilt deshalb die Regel: Man sollte so schnell wie möglich wachsen, damit kein Wettbewerber groß werden und das Feld besetzen kann. Das Verhalten von Uber zeigt beispielsweise diese Strategie: Mit enormem Kapitaleinsatz führt Uber einen aggressiven Kampf um die Vorherrschaft im individuellen Personentransport. Uber hat erkannt: Sobald das Geschäft der flexiblen Verfügbarkeit von Transportmöglichkeiten, beispielsweise in Zukunft durch autonome Fahrzeuge, zum Normalfall geworden ist, wird der Größte gewinnen – The Winner Takes It All: Der größte Plattformbetreiber weiß mehr als alle anderen, weil er über die meisten Kundendaten verfügt und aus diesen lernen kann. Er kann in der Folge auch flexibler anbieten und wird daher schneller weiterwachsen (vgl. Computerwoche online 2019a).

2.1 Plattformökonomie

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Heute sind die größten und wertvollsten Unternehmen der Welt meist Plattformen. Die wichtigsten davon sitzen in den USA und Asien, vor allem in China. • USA: Apple, Amazon, Facebook, Microsoft, Alphabet (= Google) und viele mehr, • Asien: Tencent, Alibaba, Samsung, Tabao.com, Tmall, Ant Financial Services (u.  a. Alipay), JC.com und zunehmend mehr. Europa ist dagegen relativ unbedeutend. Kern des Plattformgeschäftes ist, dass die angebotenen Leistungen nicht vom Plattformbetreiber selbst erbracht werden. Das erlaubt dem Betreiber eine nahezu grenzenlose Skalierung, ohne große eigene Investitionen, mit Ausnahme der technischen Infrastruktur. Alibaba-Gründer Jack Ma hatte dies frühzeitig erkannt. Alibaba wurde zum Star des E-Commerce, fantastische Margen werden dem Unternehmen nachgesagt. Alibaba durchdringt in China alle Bereiche des Lebens. Kunden können dort nahezu alles kaufen, bis hin zu Fahrzeugen. Massenhaft werden Nutzerdaten gesammelt und ausgewertet, nicht zuletzt, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Alibaba ist der eigentliche Urtyp der Verkaufsplattform: Während Amazon sich schrittweise vom Händler mit eigener Lagerhaltung zur Plattform entwickelte, war Alibaba seit seiner Gründung 1999 als Plattform angelegt: Als Vermittler zwischen Anbietern und Käufern. Alibaba sah seit jeher seine Aufgabe darin, die Kontakte herzustellen und den Verkauf zu organisieren. Zur Abwicklung der Geschäfte wurden zunächst keine Logistikzentren aufgebaut. Alibaba hat den europäischen Händlern den Weg zu den chinesischen Kunden geöffnet. Internationale Konzerne verkaufen über Alibaba ihre Produkte in China. Doch Alibaba geht auch umgekehrt den Weg von Ost nach West: Die riesige chinesische Online-­Plattform wird Amazon zunehmend Konkurrenz machen. In Deutschland können Kunden über die Plattform AliExpress Produkte chinesischer Hersteller kaufen. 2010 gegründet, sollte AliExpress.com es vor allem kleineren Unternehmen in China und in anderen asiatischen Ländern ermöglichen, international Produkte Onlinekäufern auf einer Einzelhandelsplattform anzubieten. Das große Sortiment wird bereits in vielen Teilen der Welt angenommen. Entstanden ist eine internationale Plattform. Experten rechnen mit einem massiven Einstieg von Alibabas Online-Handelstochter Aliexpress in das für den europäischen Markt wichtige Geschäft mit den deutschen Privatkunden spätestens im Jahr 2021. Nach dem Geschäftsmodell des sog. Drop Shipping hat AliExpress keinen physischen Kontakt zu den Produkten, sondern vermittelt lediglich. Das Konzept kann somit mit dem von „Amazon Marketplace“ verglichen werden. Zur Alibaba Gruppe gehört auch die Online-­Plattform Taobao, die vor allem auf den chinesischen Markt ausgerichtet ist. AliExpress hat sich im Unterschied dazu von vorne herein auf internationale Käufer, vor allem in Russland, Brasilien, den USA und Spanien fokussiert. Mit AliExpress dehnt Alibaba seine internationale Reichweite aus. Da Größe als der entscheidende Faktor in der

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2  Marketing 4.0: Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und …

Plattformökonomie identifiziert wurde, scheint hier ein künftiges Muster auf: Plattformen werden versuchen, sich in allen interessanten internationalen Märkten zu engagieren. Der Umsatz einer Plattform speist sich in der Regel aus zwei Quellen: Vermittlungsgebühr und Werbung. Den langfristig höchsten Wert stellt jedoch die Schnittstelle zum Endkunden dar. In dieser Schnittstelle zum Endkunden liegt die Macht des Betreibers einer Plattform. Wenn der Kunde der Plattform vertraut, ist diese der relevante Partner des Kunden. Alle anderen Marktteilnehmer sind dann lediglich Teil einer Lieferkette und damit austauschbar. Insofern investieren Plattformen in großem Stil, um dieses Kundenvertrauen aufzubauen. Die sehr großzügigen Bedingungen, die Verkaufsplattformen wie z. B. bei Amazon derzeit ihren Kunden bieten, beispielsweise ein nahezu unbegrenztes Rückgaberecht, sind in diesem Lichte zu sehen. Inzwischen zeigen sich auch schon Verlierer der Plattformökonomie, beispielsweise die klassischen Reiseveranstalter. Die Pleite von Thomas Cook Ende 2019 ist im Zusammenhang mit dem Bedeutungszuwachs von Buchungsplattformen wie zum Beispiel Agoda oder booking.com zu verstehen, die die Reisekundschaft in direkten Kontakt mit Hotels und sonstigen Reiseangeboten bringt und damit unabhängig von einem Reiseveranstalter als „middle man“ macht. Eine ähnliche Entwicklung sieht man im Medienbereich: Globale Streaming-­ Plattformen und YouTube stellen die Existenz der herkömmlichen Fernsehsender in Frage – sie werden nicht mehr als Bindeglied zwischen Medienkunden und Programmangebot benötigt. Insofern verlieren sie auch ihre Bedeutung für das Marketing, da Medienangebote traditionell mit Werbung einhergehen bzw. wesentlich über Werbung finanziert werden. In der Zukunft werden sich ganze Branchen durch Digitalisierung, Plattformen und Künstliche Intelligenz komplett verändern. Die traditionellen Autohersteller könnten beispielsweise in die Bedeutungslosigkeit versinken, wenn der Erwerb eines Fahrzeugs für die Kunden sinnlos wird, weil sie selbstfahrende Autos komfortabel und relativ kostengünstig als Serviceleistung nutzen können. Ebenso, wie sich beispielsweise in der Musikbranche die Verfügbarkeit über Musiktitel gegen den Besitz materieller Musikmedien (wie Schallplatten oder CDs) durchgesetzt hat, könnte die laufende Verfügbarkeit über den Transportservice den Besitz der „Hard Ware“ Fahrzeug überflüssig machen. Die Autobauer würden dann zum Teil einer Lieferkette degradiert, zum Zulieferer einer Plattform, die Transportservice anbietet. Der Glanz von Marken wie Daimler, BMW oder Audi würde verblassen, hätte allenfalls noch auf Nostalgiemärkten Zugkraft. Im Zuge der sich verstärkenden Umweltschutzbewegungen und Proteste gegen Fahrzeuge, wie gegenwärtig gegen Diesel und SUVs, ist dieses Zukunftsszenario nicht unrealistisch. Die große Frage ist, wer tragfähige Geschäftsmodelle für die künftigen Plattformen findet und wer sie beherrschen wird. Die Autohersteller sind in einem Dilemma: Wenn sie aktiv am Aufbau einer Plattform arbeiten, könnten sie selbst ihre wertvollen Marken torpedieren. Überlassen sie das Feld anderen, könnte der Eigentümer der Plattform künftig die Regeln diktieren.

2.1 Plattformökonomie

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Am Beispiel des Möbelkonzerns Ikea lässt sich dieses Dilemma ebenfalls zeigen: Nach Schätzungen von Statista machte die Plattform Amazon in Deutschland 2018 mit rund 344  Millionen  Euro bereits mehr Onlineumsatz mit Möbeln als die Nummer Eins der Möbelbranche Ikea (vgl. Handelsblatt 2019a, online). Ikea steigt bislang eher zögerlich in das Digitalgeschäft ein, gerade mal gut fünf Prozent des Gesamtumsatzes in Deutschland werden damit realisiert. Ikeas Geschäftsmodell sieht den Kundenbesuch im Ikea-­ Einrichtungshaus vor. Tatsächlich wird ein beachtlicher Teil der Umsätze mit Mitnahmeartikeln und der Gastronomie erzielt. Für Ikea ist der Besuch der Kunden vor Ort somit wichtiger Teil seiner Marketingstrategie. So gesehen ist es für Ikea nicht sinnvoll, auf den Onlinehandel zu setzen (zur Marke Ikea siehe auch Kap. 7). Amazon greift Ikea gezielt an: Seit Anfang 2019 verkauft Amazon die eigenen Möbel-­ Linien Movian und Alkove, die „skandinavisch inspiriert“ sind. Praktisch heißt dies: wie aus dem Ikea-Katalog ausgeschnitten. Der Versand beim Onlinehändler ist ab 29  Euro kostenlos, das Rückgaberecht gilt einen Monat. Ein Billy-Regal kostet in Ikeas Onlineshop 39 Euro und die Lieferung noch mal das Gleiche. Die hohe Liefergebühr hat einen nachvollziehbaren Grund: Möbel sind schwer und sperrig. 20 Euro kostet es, das Regal aus dem Lager auf den Laster zu laden, 19 Euro vom Laster in die Wohnung. Aufgrund der großzügigen Lieferbedingungen von Amazon akzeptieren Kunden jedoch heute kaum noch Versandkosten (vgl. Handelsblatt 2019a, online). Die Plattform gibt die Regeln vor. Für Ikea rechnet sich eine teure Logistik im Onlinegeschäft nicht, zumal Ikea-Kunden bislang den Transport der Möbel ins Heim selbst übernehmen. Andere Onlinehändler investieren genau in diesen Bereich. Der Versandhändler Otto baut beispielsweise die für den Möbelhandel so wichtige Zwei-Mann-Logistik auf, die Auslieferung mit vier Händen. Falls Amazon in Deutschland eine eigene Zwei-Mann-Logistik aufbaut, wird Ikea weiter ins Hintertreffen geraten. Das Dilemma ist offensichtlich: Ikea müsste selbst ein Liefernetz schaffen, um mit Handelsplattformen wie Amazon konkurrieren zu können. Da Ikea seine Lieferkette, vom Holzeinkauf bis zur Möbelpräsentation, vollständig kontrolliert, könnte auch bei der Auslieferung ein gutes Kundenerlebnis geboten werden. Ikea müsste damit aber sein Geschäftsmodell ändern, was letztlich im Widerspruch zum bisherigen Konzept steht (siehe hierzu auch „Best Practice Ikea“, Kap. 7). Vor allem wären Auswirkungen auf die Kundenbindung, die bei Ikea vor allem im Einrichtungshaus geschaffen wird, zu befürchten. Während in den konventionellen Wertschöpfungsketten der analogen Welt Entwickler und Hersteller ihre Vertriebswege selbst aufbauen und ihre Vertriebspartner auswählen, können sie in der Plattformökonomie einerseits auf eine bestehende Verkaufsinfrastruktur zugreifen, müssen jedoch andererseits mit einem Wandel ihrer Rolle und ihrer Möglichkeiten rechnen. Dies hat Konsequenzen für das Selbstverständnis von Unternehmen und für ihr Marketingmanagement. Bereits zu beobachten ist beispielsweise auch ein Rückgang der weltweiten Werbebranche zugunsten von Plattformen wie Google, Facebook und Amazon. Zusätzlich haben sich Technologieunternehmen oder Berater (z. B. Accenture Interactive oder Deloitte Digital) bereits auf dieses Geschäft spezialisiert.

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2  Marketing 4.0: Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und …

Digitalisierung und Plattformökonomie sind als Schritte für einen umfassenden Wandel im Marketing zu sehen. Vermarkter fragen sich: „What’s next?“. Niemand kann die Zukunft vorhersagen, aber Robotik und Künstliche Intelligenz werden mit Sicherheit Teil des Spiels sein.

2.2

Omnichannel

Für die Kunden existiert eine Vielzahl von Kontaktpunkten zu den Anbietern, in der physischen und in der virtuellen Welt. Es ist offensichtlich, dass diese Kontaktpunkte für ein ganzheitliches, effektives Marketing nicht isoliert nebeneinanderstehen dürfen. Die Verbindung von Online und Offline wird Omnichannel genannt. Verbunden werden also die verschiedenen Schnittstellen zum (potenziellen) Kunden, vor allem • • • • • • •

physische Standorte wie Einkaufsstätten, Bestellhotlines, Online-Shops, Websites, Social Media, Smartphones, Präsenz auf virtuellen Marktplätzen bzw. Plattformen, etc.

Durch die geschickte Verbindung der Kontaktpunkte lässt sich mehr Effektivität in der Vermarktung erzielen. Gleichzeitig hinterlassen die (potenziellen) Kunden bei jeder Interaktion Spuren, die als Daten erhoben und genutzt werden können. Mit einer Omnichannel-Strategie lassen sich große Datenmengen über die Kunden generieren und analysieren, um Kundenbedürfnisse zu verstehen und darauf zu reagieren. Marketingmaßnahmen kann man auf Kundenbedürfnisse anpassen und letztlich höhere Verkaufschancen schaffen. Omnichannel gilt als „kanalübergreifendes“ neues Geschäftsmodell. Durch die Gestaltung der Schnittstellen zum Kunden und die Analyse einer Vielzahl von Daten an diesen Schnittstellen werden also marketingrelevante Informationen generiert: von Big Data zu Smart Data. Ein Blick nach China, wo moderne Digitaltechnik zur Förderung der Binnennachfrage eingesetzt und Konsum massiv digital stimuliert wird, gibt einen Eindruck einer neuen Omnichannel-Konsumwelt: Durch die Verbindung von „Internet Powered Shopping“, Social Media und E-Commerce wird dort Konsum zur liebsten Freizeitbeschäftigung der Bürger stilisiert. Chinesische Influencer realisieren eindrucksvolle Umsätze, geben nicht nur Empfehlungen, sondern verkaufen selbst, womit eine neue Form des Homeshoppings mit neuen Akteuren entstanden ist.

2.2 Omnichannel

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E-Games und Kommerz vermischen sich und verbinden Konsum mit Freizeitgestaltung. Es werden Computerspiele lanciert, mit denen man Shopping Vouchers gewinnen kann. Diese sorgen für Einkäufe, von denen die Konsumenten über Cross Selling-­ Strategien zu weiteren Käufen animiert werden. Mit weiteren Anreizen werden die Kunden von einem Kauf zum nächsten geleitet. Die digital gewonnenen Daten erlauben es, Konsumentenprofile zu erstellen und damit passgenaue Angebote zu generieren. Chinesische Kunden benötigen zum Einkauf von Produkten und Serviceleistungen weder Computer noch E-Mail, sondern erledigen kommerzielle Transaktionen über ihr Smartphone. Ein Technologiesprung zu „Mobile Only“ wurde vollzogen. Aufträge an die Unternehmen gehen meist per Handy ein. So wird beispielsweise bei der Verkaufsplattform Alibaba der Großteil des Einzelhandelsumsatzes über Mobiltelefone realisiert.

2.2.1 Beispiele für Omnichannel Jack Ma hat 2016 den Begriff „New Retail“ geprägt, als Integration von Online, Offline, Technologie, Datenanalyse und Logistik in einer Wertschöpfungskette. Im Mittelpunkt stehen der Kunde und sein Erlebnis entlang aller Touchpoints. Ein solches „New Retail“-Konzept wird schon vielerorts umgesetzt: Der Pekinger Flag­ ship-Store der europäischen Einzelhandelsgruppe Intersport beispielsweise wurde 2018 im Co-Branding mit Tmall, Alibabas Onlinemarktplatz, eröffnet (vgl. Hofmann, in: Asia Bridge, 10/2019, S. 20). Sensoren am Eingang des Ladens erkennen Geschlecht und Alter des Kunden und geben Empfehlungen aus dem Produktsortiment. Intelligente Spiegel erkennen ein anprobiertes Kleidungsstück und liefern Produktinformationen dazu. Ein KI-Assistent gibt Ratschläge zu komplementären Produkten. Ist ein Kleidungsstück nicht in der gewünschten Größe vorhanden, kann es online bestellt und binnen 24 Stunden ausgeliefert werden. In einem Augmented-Reality-Spiel können Gutscheine gewonnen werden. Ein dabei erstellter Cartoon kann in den sozialen Medien geteilt werden. Die Integration von Einzel- und Onlinehandel schafft ein Kundenerlebnis, bei dem sich Online und Offline nahtlos ergänzen. Ein weiteres Beispiel für ein neues Omnichannel-Konzept eines Unternehmens bietet das 2019 eröffnete Decathlon Lab in Singapur: Bewusst wird dieses von Decathlon als „Labor“ bezeichnet, als disruptiver und innovativer Ort, an dem man neue Optionen testen will. Die Gestaltung der Offline-Schnittstellen zum Kunden werden mit besonderen Kunden­ erlebnissen verknüpft: Man findet im „Decathlon Singapore Lab“ Fitnessangebote, die man kostenlos nutzen kann, wie z. B. Pilates Kurse, einen Basketball- und einen Fußballplatz. Ein Besuch des Decathlon Singapore Labs vermittelt zunächst den Eindruck, in einem Sportclub angekommen zu sein. In den großzügigen Verkaufsräumen gibt es Zonen, in denen neue Sportarten und die Produkte dazu ausprobiert werden können. Besucher werden animiert, neue Sportarten für sich zu entdecken – und die entsprechende Ausrüstung dazu gleich zu kaufen.

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Laufschuhe können beispielsweise auf der „Multi Terrain Ramp“ mit vier unterschiedlichen Bodenbelägen getestet werden, mit denen unterschiedliche Bodenverhältnisse simuliert wurden. Fahrräder und selbst Dartspfeile kann man ausprobieren, bevor man sie kauft. Produktinformationen werden mit smarter Technologie verfügbar gemacht: Jedes Produkt hat ein Tag, mit dem man Informationen scannen, sogar Reviews anderer Kunden auf einen Bildschirm holen kann. Decathlon sorgt so aktiv für die Verbindung von Online und Offline. Der Kunde soll sich gut informiert fühlen, ihm soll das Kaufrisiko genommen werden. Angeschlossen ist ein „Active Health Lab“, wo man kostenlose Gesundheitstests durchführen lassen kann: Blutdruck, Muskelmasse, Körperfett etc. Im Anschluss bekommt der Kunde Empfehlungen, wie er seine Fitness erhöhen kann. Für die kostenlosen Angebote bezahlt wird nicht zuletzt mit seinen persönlichen Daten: Will man an einem kostenlosen Pilateskurs teilnehmen oder den Fußballplatz nutzen, so meldet man sich mit seiner E-Mail-Adresse dafür an, auch vor Ort bzw. offline, indem man die E-Mail-Adresse hinterlegt. Das Unternehmen hat somit den Kontakt zu einem potenziellen Kunden, kennt die Sportart, für die er sich interessiert und kann passgenaue Angebote erstellen. Angebot und Abverkauf im Decathlon Singapore Lab sind gut organisiert. Onlinebestellungen können innerhalb von Singapur kurzfristig ausgeliefert oder im Lab abgeholt werden. Das Unternehmen stellt sich besonders kundenfreundlich dar: Ein Rückgaberecht für gekaufte Artikel ohne Begründung ist selbstverständlich. Das Kauferlebnis soll durchgängig positiv sein: Warteschlangen an der Kasse erübrigen sich durch Self Checkout Counters. Erreichen will das Decathlon Singapore Lab vor allem • • • •

die Optimierung von Kundenerfahrungen und Einkaufserlebnissen die Gewinnung von Kundendaten die Motivation der Kunden zur Annahme weiterer Angebote (Cross Selling) die Schaffung von Kundenvertrauen und einer hohen Kundenbindung.

Omnichannel ermöglicht die Analyse des Verbraucherverhaltens, indem Daten aus ganz unterschiedlichen Kanälen und Medien, wie Internet, Smartphone, Payback, Geodaten, WhatsApp etc. zusammengeführt werden. Die Datenanalyse sorgt für Erkenntnisse über Kundenverhalten und -bedürfnisse. So lassen sich durch passende, personalisierte Angebote zusätzliche Vermarktungschancen schaffen.

2.2.2 Ziele und Chancen von Omnichannel Mit Hilfe mathematischer Algorithmen und statistischer Methoden können also aus großen Datenmengen Erkenntnisse für Aktivitäten in Marketing und Verkauf gewonnen ­werden. Dadurch können nicht nur Verkauf und Kundenbindung optimiert, sondern auch

2.2 Omnichannel

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Ideen für neue Produkte und Services generiert werden, die aus Kundenverhalten und -erwartungen abgeleitet wurden. Alle Transaktionen mit den Kunden, angefangen bei der Produktsuche, Pre-Sales, Online- oder Offline-Kauf, ggf. Rückgabe, Post-Sales und Service können zentral gesteuert werden. Durch die Verbindung von Online and Offline lassen sich alle Touchpoints oder Schnittstellen der Nutzer beobachten und analysieren: vom First Touch bzw. der ersten Begegnung mit einem Produkt bis hin zum Kauf. „Customer Journey“ ist der Begriff, mit dem dieser Prozess bezeichnet wird. Da bei der ersten Begegnung mit einem Produkt normalerweise noch kein Kauf stattfindet, ist es höchst marketingrelevant, diese Customer Journey zu verfolgen und herauszufinden, an welcher Stelle die Entscheidung zum Kauf erfolgt, welches Medium oder welcher Kontext die Kaufentscheidung gefördert haben. Das Verhalten der Verbraucher an den Benutzerschnittstellen durch das Sammeln und Auswerten der Kundendaten wird also analysiert und getestet. Produkt- und Kommunikationsangebote werden auf dieser Basis personalisiert und optimiert. Es entsteht ein genaues Bild des Kaufverhaltens und die wichtige Frage lässt sich klären: Welcher Schritt der Customer Journey hat den größten Einfluss auf das Kaufverhalten? In der Folge kann eine Konzentration auf die relevanten Schnittstellen erfolgen. Der deutsche E-Commerce-Händler Otto berechnet aus einer Vielzahl von Daten und Zeitpunkten den optimalen Mix an Kommunikationskanälen (vgl. Gentsch 2019, S. 74). Der Wertbeitrag, die sog. Attribution jedes Touchpoints wird automatisch ermittelt. Damit lässt sich sagen, an welchen Touchpoints der Kunde zum Kauf animiert wird, welche also eine direkte Konvertierungsfunktion und welche eher eine Assistenzfunktion haben. Ebenso lassen sich die zeitlichen Ursache-Wirkungs-Ketten extrahieren. Daraus leitet Otto systematisch Marketingmaßnahmen und Mediabudgets ab. Die Vielzahl an digitalen Touchpoints und deren variable Nutzung durch den Kunden lassen sich heute nicht mehr allein durch Erfahrung und Bauchgefühl optimieren. Die empirische Objektivierung des Marketings kann zu einer Steigerung der Effektivität beitragen. Die genaue Analyse der Online- und Offline-Schnittstellen liefert dem Marketingmanagement die benötigten Informationen für die effektive Gestaltung • von Produkten, Werbekampagnen und Media Buying • der Customer Journey im Konzert aller Marketinganstrengungen • der hierzu erforderlichen Budgetentscheidungen Omnichannel in Verbindung mit der genauen Beobachtung der einzelnen Benutzerschnittstellen wird also letztlich genutzt, um das Kundenverhalten zu verstehen und vorherzusehen, wie die Customer Journey so kundenfreundlich wie möglich gestaltet werden kann, um letztlich Verkaufsabschlüsse zu erzielen.

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2.3

Künstliche Intelligenz (KI)

Künstliche Intelligenz beschäftigt sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens durch lernende Maschinen. Mittels Algorithmen, also Handlungsanweisungen innerhalb von Computerprogrammen, sollen Maschinen letztlich Probleme lösen und bearbeiten können. Da es noch keine einheitliche und allgemein verständliche Beschreibung des komplexen Begriffes der KI gibt, soll er im Folgenden zunächst – für Nichttechniker – verständlich gemacht werden. Nach einer Definition der Computerwoche beschreibt Künstliche Intelligenz die Fähigkeit von Maschinen oder Robotern • • • • •

Aufgaben zu bewältigen, die bislang der menschlichen Intelligenz vorbehalten waren, Bedeutungen und Muster zu erkennen, dabei Umgebungsparameter wahrzunehmen und zu verarbeiten, Erkenntnisse zu verallgemeinern, aus der Vergangenheit zu lernen und daraus Schlüsse auf künftige Entwicklungen zu ziehen.

(vgl. z. B. Computerwoche online 2019b, oder auch Siemens online 2019). Das Konzept der Künstlichen Intelligenz wurde bereits in den 1950er-Jahren entwickelt. Es erhielt in den letzten Jahren weltweit Auftrieb, weil im Zeitablauf größere und günstigere Speicher- und Rechenkapazitäten verfügbar wurden. Die Computer werden schneller, durch die Clouds gibt es faktisch unlimitierten Speicherplatz. Eine zentrale Voraussetzung zur Weiterentwicklung der KI ist der Zugriff auf möglichst große Datenmengen. Heute entstehen überall, insbesondere in den großen, internationalen Organisationen enorme Datenmassen, in denen wertvolle Informationen enthalten sind. Um an die in den Datenmassen verborgenen brauchbaren Informationen zu gelangen, müssen die Daten analysiert werden. Mit der herkömmlichen Programmierung, also klar vordefinierten Algorithmen, die aus eindeutigen und stabilen Handlungsvorschriften bestehen, ist das meistens nicht möglich. Jedes KI-System muss mit einer möglichst großen Zahl an „Trainingsdaten“ lernen. Umgekehrt braucht man die Künstliche Intelligenz, um riesige Datenmengen überhaupt bewältigen und daraus die relevanten Informationen gewinnen zu können. Daten sind wertlos, wenn sie nicht erschlossen werden können. Die menschliche Kapazität dafür ist begrenzt, Maschinen können hier wesentlich leistungsfähiger arbeiten.

2.3.1 Wichtigste Teilgebiete der Künstlichen Intelligenz Will man die Funktionsweise von künstlicher Intelligenz verstehen, so muss man die entscheidenden Teilgebiete erfassen:

2.3  Künstliche Intelligenz (KI)

• • • •

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Machine Learning Natural Language Processing Deep Learning Neuronale Netze

(vgl. z. B. Brückmann 2019; Siemens online 2019). Machine Learning bedeutet, dass Maschinen durch Algorithmen selbst lernen können. Systeme können aus den Daten, die sie in der Vergangenheit verarbeitet haben, Rückschlüsse ziehen und ihr Verhalten anpassen. Die Maschinen zeigen ein Verhalten, welches beim Menschen „Lernen“ genannt wird. Natural Language Processing, übersetzt mit „Verarbeitung natürlicher Sprache“, ist ein schon älteres Forschungsgebiet und wird meist unter den Oberbegriff Machine Learning subsumiert. In der Vergangenheit wurde auf Basis von Schlagworten mit regelbasierten Datenbankabfragen eine Kommunikation nachgebildet. Das war jedoch ein aufwändiges, limitiertes und starres Verfahren. Die Computerlinguistik beschäftigt sich mit dem Verstehen, Verarbeiten und Generieren von Sprachen. Das Natural Language Processing beschreibt die Fähigkeit von Computern, mit gesprochenem oder geschriebenem Text zu arbeiten: Die Bedeutung kann aus dem Text extrahiert werden (vgl. Gentsch 2019, S. 31). Es kann sogar Text erzeugt werden, der stilistisch natürlich und grammatikalisch korrekt ist. NLP-Systeme versetzen Computer in die Lage, nicht nur mit Programmiersprachen wie Java oder C zu interagieren, sondern auch mit natürlichen Sprachen wie Deutsch oder Englisch. NLP ist eine der KI-Disziplinen, die in letzter Zeit die größten Durchbrüche feiern konnten. In NLP schlummert ein enormes Potenzial für Anwendungen im Marketing. Das maschinelle Lernen beschleunigte die Entwicklung des NLP und ihrer wichtigsten Aufgaben • • • •

die optische Zeichenerkennung (z. B. das Umwandeln eines Scans in Text), die Spracherkennung selbst Übersetzungen zwischen unterschiedlichen Sprachen (z. B. Google Translate) die automatische Beantwortung „natürlichsprachlicher“ Fragen.

Deep Learning ist der wichtigste Teilbereich des maschinellen Lernens. Dabei werden in der Regel künstliche neuronale Netze genutzt. Ein „neuronales Netz“ ist eine Art Kunstgehirn. Neuronale Netze bilden die Funktionen eines Gehirns mit mathematischen Mitteln nach. Sie versetzen die Maschinen in die Lage, Strukturen und Muster zu erkennen Der große Vorteil von Deep Learning besteht darin, dass das System sich nach dem initialen Training selbst weiterentwickelt. Während der Anwendungen lernt es immer mehr dazu. Deep Learning nutzt dazu die statistische Datenanalyse. Diese ist erforderlich, wenn dem System keine klaren Regeln vorliegen bzw. bekannt sind. Mittels eines sog. Industrial Knowledge Graph (vgl. Siemens online 2019) können verzweigtes Wissen und

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2  Marketing 4.0: Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und …

Zusammenhänge erfasst und es kann ein nahezu unbegrenzt großes Gedächtnis für KI-­ Systeme aufgebaut werden. Künstliche Intelligenz ist heute schon verfügbar, allerdings in der Regel als sog. schwache KI oder Artificial Narrow Intelligence (ANI). Schwache KI konzentriert sich auf die Lösung konkreter Anwendungsprobleme, ist also auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert. Smartphones stecken heute schon voller schwacher KI, z. B. in Form von Siri oder Spam Filter. Als typische Beispiele für schwache KI gelten: • Expertensysteme bzw. das Ableiten von Handlungsempfehlungen auf der Basis einer Wissensdatenbank • Navigationssysteme • Bilderkennung • Individuelle Aussteuerung von Werbung • Automatisierte Übersetzungen • Autovervollständigung und Korrekturvorschläge bei Suchvorgängen. Eine schwache KI kann ihre Schlüsse nicht auf einen anderen Bereich übertragen, die starke KI soll das künftig können. Starke KI oder „Artificial General Intelligence“ (AGI) verfügt über ähnliche intellektuelle Fähigkeiten wie ein Mensch. Die starke KI handelt nicht mehr nur reaktiv, sondern flexibel, sozusagen aus eigenem Antrieb. Starke KI befindet sich heute noch in der Entwicklungsphase. Aus schwacher KI wird starke KI, indem man weiter imitiert, wie das menschliche Gehirn lernt. Wissenschaftler und forschende Unternehmen sind heute dabei, Deep Learning weiterzuentwickeln und so eine starke KI zu schaffen.

2.3.2 Anwendungsbeispiele von KI im Marketing Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz werden ermöglicht durch leistungsfähigere Hardware für die Rechenoperationen und große Datenmengen, die für das Training der neuronalen Netze notwendig sind. Im Marketing setzt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz voraus, • dass Unternehmen in großem Stil Daten an verschiedenen Schnittstellen erheben können und • dass es eine Vielzahl an Kunden gibt, die bereit sind, Daten zur Verfügung zu stellen. Große Unternehmen verfügen über große Datenmengen in Form von Produkt-, Entwicklungs-, Auftrags-, Vertriebsdaten und viele mehr. Diese Informationen sind jedoch oft über viele Standorte verteilt, auf verschiedenen Trägermedien erfasst, wie z. B. in Dokumenten, Datenbanken, Datenträgern etc. Mit herkömmlichen Verfahren lassen sich die

2.3  Künstliche Intelligenz (KI)

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wichtigen Informationen, die in diesen großen Datenmengen enthalten sind, nicht erschließen. Bei dieser Mammutaufgabe hilft die Künstliche Intelligenz. KI nutzt also große Datenmengen zur Mustererkennung. Durch die Analyse vergangenen Verhaltens wird eine Vorhersage künftigen Verhaltens ermöglicht. Im Marketing kann vergangenes Kaufverhalten beispielsweise zur Entwicklung von Prognosen verwendet werden. In Rahmen dieser Arbeit sollen vor allem die praktischen Folgen der Technikentwicklung für das Marketing-Management abgeschätzt werden. Bünte (2018, S. 17 ff.) hat typische Fälle beschrieben, in denen Künstliche Intelligenz im Marketing heute schon eingesetzt wird. Einige davon sollen skizziert werden, um einen praktischen Eindruck über die möglichen Anwendungsfelder zu zeigen. Ein typisches Beispiel ist ein internationales Unternehmen, das Marktforschung in 160 Ländern durchführt. Die Ergebnisse dieser Marktforschung liegen an unterschiedlichen Standorten und in unterschiedlichen Sprachen vor. Freilich hat das Unternehmen großes Interesse, die Erkenntnisse zusammenzuführen, um „Consumer Insights“ zu gewinnen. Diese Erkenntnisse zum Konsumentenverhalten sollen zudem den betreffenden Mitarbeitern an den verschiedenen Standorten verfügbar gemacht werden. Würde man konventionelle Verfahren anwenden, so wäre die Zusammenführung und Auswertung der Daten eine äußerst aufwändige, kaum leistbare Aufgabe. Mittels eines lernfähigen KI-Algorithmus können Erkenntnisse aus dieser Marktforschung extrahiert werden. Künstliche Intelligenz hilft somit beim Verstehen von Kundenverhalten, insbesondere dann, wenn eine Vielzahl von Kundendaten aus verschiedenen Quellen von verschiedenen Märkten existieren und durch verschiedene Mitarbeiter genutzt werden sollen. Künstliche Intelligenz kann so zur Optimierung von Produkten und Angeboten verwendet werden. Ein weiteres Anwendungsbeispiel findet sich beim Online-Händler Otto.de. (vgl. Bünte 2018, S. 19 f.): Der Online-Händler steht mit seinem E-Commerce-Angebot in starkem Wettbewerb. Sein Online-Shop bekommt täglich viele Kundenrezensionen. Diese Kundenempfehlungen lassen sich analysieren und nutzen, um Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Kundenbewertungen gelten als das wichtigste Entscheidungskriterium für Kunden beim Online-Einkauf. Da viele Kunden solche Bewertungen aktiv suchen, ist es für Otto sinnvoll, einen besonderen Kundenservice aufzubauen, der gleichzeitig das Vertrauensverhältnis zwischen dem Online-Händler und seinen Kunden fördert. Mittels eines „Machine Learning“-Algorithmus von Otto.de werden jeden Abend über eine Million Kundenbewertungen analysiert. Der Algorithmus identifiziert, ob die Bewertungen positiv, negativ oder neutral sind und gruppiert die Ergebnisse. Potenzielle Kunden erhalten Zugang zu den Bewertungen. Für die Suchenden ergibt sich eine Zeitersparnis, für Otto mehr Traffic auf seiner Site durch wiederkehrende Kunden sowie eine längere Verweildauer der Konsumenten auf der Site. Daraus resultieren letztlich mehr ­Bestellungen.

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2  Marketing 4.0: Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und …

2.3.3 Marketingunterstützung durch Künstliche Intelligenz Die Kundeneinschätzungen von Produkten sind ein klassisches Thema der Marktforschung. Ein wesentlicher Nachteil der bisherigen Methoden ist jedoch der damit verbundene Aufwand. Im Internet sind Tausende von Produktbewertungen vorhanden. Syste­ matisch lassen sie sich mittels Big Data erschließen. Ratings und Reviews, die über verschiedene Internet-Plattformen global verteilt sind, können mittels KI intelligent erfasst und integriert werden (vgl. Gentsch 2019, S. 74). Damit die Produktbewertungen der Kunden von den Unternehmen sinnvoll genutzt werden können, spielt Geschwindigkeit eine Rolle: Die Daten müssen schnell erfasst, analysiert und in Maßnahmen umgesetzt werden. Auf negative Bewertungen kann der Anbieter schnell reagieren. Der „Critical Incident“ einer negativen Kundenerfahrung kann in ein gutes Kundenverhältnis gewandelt werden, wenn der Fehler schnell und für den Kunden zufriedenstellend behoben wird. Positive Bewertungen lassen sich für die Marketingkommunikation über Webseiten, soziale Medien oder andere Produktwerbungen verwenden. Auch bei Bosch Siemens Haushaltsgeräte findet ein Prozess der Erfassung, Analyse und Nutzung von Kundenbewertungen statt. Das Unternehmen hat erkannt, dass automatische Rating- und Review-Analysen den Umsatz steigern können. Interne Auswertungen von Bosch Siemens zeigen auf, dass Produkte mit positiven Bewertungen einen Umsatz­ anstieg von bis zu 30 Prozent erreichen. Produkt-Rating- und Review-Analysen gelten heute als „modernes Goldschürfen“. Bislang hat die „Stiftung Warentest“ die Funktion, Verbraucher mit objektiven Informationen über Waren zu versorgen. Heute versuchen Anbieter, sie durch Rating- und Review-Analysten zu ersetzen (vgl. Gentsch 2019, S. 74). Künstliche Intelligenz kann eine ganze Reihe weiterer Marketingaktivitäten unterstützen, viel Potenzial liegt in den folgenden: • Heute schon genutzt werden Assistenzsysteme wie Schriftbots und Sprachassistenten. Solche neuen Mensch-Maschine-Benutzerschnittstellen oder Conversational Bots vermitteln den Eindruck einer Konversation zwischen Nutzer und System. Die Nutzer sollen mit der Maschine wie mit einer realen Person kommunizieren. Conversational Bots eröffnen – sobald sie reflektiert und perfektioniert sind – im Marketingbereich ein weites Anwendungsfeld. Wir betrachten sie deshalb separat im folgenden Kapitel über virtuelle Assistenten. • KI wird eingesetzt zur Optimierung von Websites. Beispielsweise können Schlüsse über die Aufmerksamkeit von Versuchspersonen auf Landing Pages durch Eye Tracking gewonnen werden (vgl. Bünte 2018, S. 21). • KI hilft dabei, über den Einsatz teurer Werbeschaltungen zu entscheiden. Bei Pre-Tests von Werbespots können mittels Künstlicher Intelligenz durch „Mikroexpressionen“ im Gesicht der Zuschauer Schlüsse auf die Akzeptanz des Spots gezogen werden. Insbesondere der „richtige“ Einsatz der Werbegelder ist das Anwendungsfeld, in dem Künstliche Intelligenz eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Oben wurde bereits darauf

2.4  Virtuelle Assistenten

21

verwiesen, dass die Customer Journey genau beobachtet wird, um die Effizienz der Werbeausgaben zu erhöhen. Künstliche Intelligenz kann die Promotionseffizienz erhöhen. Bünte (2018, S.  26) beschreibt den Fall eines deutschen Einzelhändlers, der gezwungen ist, sein Kampa­ gnenbudget zu optimieren. Der Einzelhandel in Deutschland ist stark wettbewerbsintensiv. Für die Händler herrscht ein hoher Preisdruck. Die Gewinnmargen sind dünn. Mit Massenwerbeaktionen und Couponing sollen die Kunden in die Läden gelockt werden. Leider zeigen die anschließenden Abrechnungen häufig, dass bei einem großen Teil dieser Aktionen nicht die Gewinnschwelle erreicht wurde. Künstliche Intelligenz erlaubt die Analyse einer Vielzahl von Daten: Kundendaten, Transaktionen, Reaktionen auf bisherige Rabattaktionen, Kundenkarten und externe Haushaltspaneldaten (GfK) etc. können herangezogen werden. Durch den Einsatz selbstlernender Algorithmus mit Verständnis von Produkteigenschaften, Filialsortiment, Kundenpräferenzen, Preissensitivitäten etc. können Verbraucherpräferenzen und Prognosen zur Zahlungsbereitschaft generiert werden. Als Ergebnis liefert die Künstliche Intelligenz konkrete Vorschläge für Rabatt- und Aktionscoupons über verschiedene Kanäle wie z. B. Smartphone oder E-Mail. Erreicht werden kann die Annahme von Rabattaktionen. Gleichzeitig lässt sich das pauschale Angebot zu hoher Rabatte vermeiden, die wirtschaftlich für das Unternehmen nicht sinnvoll sind. Die Software optimiert dabei selbst die laufenden Aktionen. Einkaufskundenindividuell kann so das Geschäft des Einzelhändlers verbessert werden. Künstliche Intelligenz unterstützt Werbetreibende also bei den beiden zentralen Fragen der Werbekommunikation: • Welche Medien und Werbeaktivitäten bringen den meisten wirtschaftlichen Erfolg? • Wie kann man die Werbegelder mit höchstmöglicher Effizienz und Effektivität einsetzen? Die Software lernt aus historischen Daten, um dann dynamisch (z. B. jeden Monat) die optimale Budgetallokation abzuleiten. Der Marketingmix kann ständig angepasst werden, um keine Werbegelder zu verschwenden. Künstliche Intelligenz unterstützt so die Unternehmen, ihre Marketingbudgets zu optimieren.

2.4

Virtuelle Assistenten

Um einen Überblick über virtuelle Assistenten zu bekommen, müssen zunächst wieder die wichtigsten Begriffe geklärt werden, die diesem Themenfeld zugeordnet werden: • Conversational User Interfaces (CUI) • Chatbots und Sprachassistenten • Digital Companions

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2  Marketing 4.0: Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und …

Conversational User Interfaces (CUI) sind Mensch-Maschine-Benutzerschnittstellen, die mit dem Nutzer in einen Dialog treten können. Meist nehmen sie Assistenzfunktionen wahr. Bekannt sind Sprachassistenten wie Siri, Alexa, Cortana, Jarvis oder Watson. Vor allem die Internet-Giganten Apple, Google, Microsoft, IBM und Facebook experimentieren mit der Kombination aus künstlicher Intelligenz und solchen Mensch-­Maschine-­ Schnittstellen oder Conversational (User) Interfaces (CUI). Was bedeutet zunächst der technische Begriff CUI? Bei Conversational User Interfaces handelt es sich um die Weiterentwicklungen der Graphical User Interfaces. Anstelle einer grafischen Benutzeroberfläche wird Sprache in geschriebener oder gesprochener Form genutzt, um anstelle von Maus oder Finger (Touch) mit dem Computer zu interagieren (vgl. Brückmann 2019). Conversational Interfaces nutzen also die Sprachkommunikation: Es kann sich um geschriebene oder gesprochene Sprache handeln, denn es gelten die gleichen Prinzipien. Chat Bots sind Computerprogramme, die eine menschliche Kommunikation imitieren (vgl. Bruckmann, online). Man „chattet“ mit ihnen. Da Chat Bots überwiegend für Assistenzfunktionen eingesetzt werden, nennt man sie auch Sprachassistenten. Als Schnittstelle werden Sprachassistenten gerne dann eingesetzt, wenn man sich nicht von einem Display ablenken lassen will, z. B. beim Autofahren freie Hände braucht und deshalb lieber mit Sprache kommuniziert. Aufgrund Ihrer Fähigkeit zu „chatten“ haben sie ein hohes Potenzial für Marketingaufgaben. Nützlich sind sie vor allem dann, wenn die Kommunikation authentisch, eben „menschlich“ wirkt. Praktisch geht es darum, dass ein Mensch sagt oder schreibt, was er will und die Maschine ihn versteht. So findet eine Kommunikation zwischen dem Menschen und der Maschine statt. Und die Maschine versteht nicht nur, sie kann auch weitere Schritte einleiten. Das bedeutet, die Maschine trifft Ableitungen und kann so selbstständig entscheiden, wie der Kommunikationsprozess weiter gehen kann. Sprachassistenten findet man mittlerweile in vielen Computerformen: auf dem Desktop, in Smartphones, Tablets, Wearables (tragbare Technologie z. B. in Form von Uhren) und sog. IoT-Geräten (Internet-of-Things). Beispielsweise mit Amazon Echo kann die Steuerung des Hauses über die Sprache erfolgen (vgl. Brückmann 2019). Virtuelle Assistenten werden manchmal auch „Digital Companions“ genannt (vgl. Siemens online 2019). In diesem  – positiv geprägten  – Begriff schwingt mit, dass Digital Companions KI-Systeme sind, • • • • •

mit denen Menschen komfortabel zusammenarbeiten, die Menschen Routinearbeiten abnehmen, die nützliche Vorschläge machen, die sich auch persönlich auf ihren Benutzer einstellen, die die Entscheidungsautonomie aber letztlich dem Menschen überlassen.

Der intuitivste Weg der Kommunikation für Menschen ist Sprache. Das Verstehen von natürlicher Sprache (Natural Language Processing) ist für KI-Systeme noch eine

2.5  Vielfältige neue Optionen im Marketing 4.0

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­ erausforderung, schon allein aufgrund der unterschiedlichen Akzente und Mundarten. H Der ideale Digital Companion sollte sich bei der Sprachausgabe auch in seiner Sprechweise anpassen können, damit er nicht so synthetisch klingt, wie der herkömmliche Chat Bot. Für den Einsatz virtueller Assistenten im Marketing lässt sich, sobald diese ausgereift sind, viel Potenzial vorhersagen, eben weil sie einen Kundendialog führen können und unbegrenzte Geduld mitbringen. Virtuelle Assistenten unter Einsatz von KI werden agieren wie ein sehr guter Verkäufer – und vielleicht sogar noch weit darüber hinaus. Die Fähigkeiten virtueller Assistenten in Verkaufsdialogen sind hoch einzuschätzen: Virtuelle Assistenten werden • das Suchverhalten, bisherige Präferenzen und sonstige Daten eines Verbrauchers auswerten. • die bisherige Customer Journey berücksichtigen, sich Informationen aus den Social Media sowie der sonstigen Benutzerschnittstellen holen und diese Informationen in die Kundenberatung einbeziehen. • eine geeignete Fragetechnik anwenden, die einen Verkaufsabschluss begünstigt. • eine gute Kundenbetreuung gewährleisten, da sie über ein großes „Gedächtnis“ für sämtliche bisherigen Aktionen verfügen. • Empfehlungen geben, die zum Kauf und darüber hinaus zum Cross Selling führen können. • beim Kunden den Eindruck einer kompetenten Beratung hinterlassen, die zu einer guten Kundenbeziehungen führen kann. Maschinen lernen, mit Kunden direkt zu kommunizieren. Dies kann über verschiedene Medien, mit oder ohne Bildschirm erfolgen. Websites könnten überflüssig werden, um Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen. E-Commerce könnte sich so zum „Conversational Commerce“ entwickeln.

2.5

Vielfältige neue Optionen im Marketing 4.0

Die Technologisierung schafft im Marketing ein breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten. Einige davon werden heute schon genutzt, andere liegen für viele Unternehmen noch in der Ferne. Fassen wir die bisherigen Befunde zusammen: Durch KI lassen sich aus großen Datenmengen relevante Informationen über Zielgruppen, Verbraucherverhalten und Ansatzpunkte für neue Strategien gewinnen. Daten von Kunden werden analysiert, die intern gesammelten Daten aus dem Customer-Relations-Management strukturiert. Die Effektivität der durchgeführten Marketingmaßnahmen lässt sich messen. Aus systematisch zusammengeführtem Kundenfeedback kann man Consumer Insights ableiten. Das angesammelte Wissen über die Kunden lässt personalisierte Strategien zu.

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2  Marketing 4.0: Plattformökonomie, Omnichannel, Künstliche Intelligenz und …

Daten liegen in den Unternehmen in großen Mengen vor. Das Problem ist, dass die Vielzahl der gehorteten Daten ohne Einsatz von Technologie nicht sinnvoll verarbeitet werden kann. Es fehlt an Arbeitskapazität, weil die Mitarbeiter weder die Zeit noch die Ausdauer haben, die Datenberge nutzbringend zu erschließen. Auch stoßen Vermarkter an ihre Grenzen bei dem Versuch, den Überblick über enorme Datenmengen zu bewahren und die vielzähligen Datensätze zu analysieren und zu interpretieren. Aus der Masse der Daten sind die relevanten herauszufiltern, Muster zu erkennen und nutzenbringend zu interpretieren. Dabei helfen KI und das maschinelle Lernen. Machine Learning wird eingesetzt zum Erkennen von Mustern bei der Customer Journey. Die Gestaltung einer bestmöglichen Customer Journey mit einem nahtlosen Übergang zwischen Online und Offline ist eine zentrale Marketingaufgabe. Kundenschnittstellen und Kundeneinkaufserlebnisse können optimiert werden. Algorithmen analysieren vergangenes Kundenverhalten und identifizieren „Customer’s Key Moments“. Werbebotschaften lassen sich an erkannte Präferenzen anpassen und Werbebudgets können optimiert werden. Die Interaktion mit (potenziellen) Kunden, bei der es um schnelle Reaktionszeiten und die Aufnahme eines zielführenden Dialogs geht, wird verbessert. Mithilfe von Mustererkennung in Datensets lassen sich Customer Insights gewinnen. Sie bieten Aufschluss über wiederkehrende Verhaltensweisen, anhand derer Produkte und Dienstleistungen verbessert werden können. Huppertz (online) führt hierzu das Beispiel der britischen Hotelkette Jurys Inn an. Das Unternehmen sammelte diverse Daten zum Online-Medienverhalten der Kunden. Dadurch erhielt es Informationen über die Interessen der Kunden. Bei der Auswertung entdeckte man eine Korrelation zwischen Buchungen und Sportthemen. Die Hotelkette erkannte, dass Websitebesucher nach Hotelzimmern in der Nähe von Sportveranstaltungen suchten. Sie entwarf als Reaktion eine Sport-­ Website mit Informationen rund um verschiedene Sportevents und mit der Möglichkeit, Hotelzimmer in der Nähe der Stadien und Sportstätten zu buchen. Den potenziellen Kunden wurde nützlicher Content zugänglich gemacht und dabei die direkte Buchungsoption vermarktet. Customer Insights bzw. das systematische Ableiten und Erklären, „wie der Kunde tickt“, ist die klassische Aufgabe der Marktforschung. Sie verfügte auch schon bisher über ein umfangreiches Instrumentarium: Fokusgruppen, Kundenbefragungen, Panels etc. Ein wesentlicher Nachteil dieser Primärforschung ist jedoch der damit verbundene Aufwand (vgl. Gentsch 2019, S. 46 f.). Im Internet lassen sich Tausende von Produktbewertungen automatisch analysieren: Ratings und Reviews, die über verschiedene Internetplattformen global verteilt sind, werden über Bots intelligent erfasst und integriert. Mithilfe von NLP werden automatisch die zentralen Kundenaussagen aus den Freitexten der Reviews gewonnen. Um tiefergehende Einblicke zu erhalten, müssen die gewonnenen Erkenntnisse mit anderen Daten wie Reklamationen, Umsatz oder Kundenzufriedenheit korreliert werden. KI ist somit wesentlich effizienter darin, tiefere Customer Insights zu gewinnen als die etablierte Marktforschung. Die Interpretation liegt in der Verantwortung des Marketingmanagements. Aufbauend auf der geleisteten Vorarbeit der automatisierten Datenanalyse können Umsatzpotenziale

2.5  Vielfältige neue Optionen im Marketing 4.0

25

erkannt und erschlossen werden. Basierend auf den Analyseergebnissen werden neue Strategien entwickelt, z. B. eine passende Werbebotschaft wird gewählt und auf geeigneten Plattformen verbreitet. Die Antizipation künftiger Kundenreaktionen lässt ebenso die Prognose von Trends und die Gewinnung von Ideen für innovative Produkte und Dienstleistungen zu. Routinearbeiten werden zunehmend automatisiert werden. Zum Kundensupport werden Chat Bots eingesetzt, auch als Social Bots in den Social Media. Social Bots können Kundenfragen oder Probleme klären oder als Shopping-Assistent dienen. Im Gegensatz zu natürlichem Personal sind sie rund um die Uhr bei beliebig vielen Kunden im Einsatz. Sie merken sich Vorlieben der Kunden und können anhand von sog. Look-Alike-­ Modellierungen oder Predictive Analytics das Konsumverhalten von potenziellen Neukunden voraussehen. „Conversational Chat Bots“ lernen bei jedem Kundenkontakt dazu und können somit individuell auf jeden Kunden eingehen. Im Idealfall haben die Nutzer das Gefühl, mit einem echten Menschen zu kommunizieren. Sobald sie ausgereift sind, können sie nicht nur im Service, sondern auch in der Neukundengewinnung und Kundenrückgewinnung wertvolle Dienste leisten. Verkauf und Kundenbetreuung könnten in Zukunft in weiten Teilen von virtuellen Assistenten übernommen werden, die aufgrund ihres enormen Wissens, lückenlosen „Gedächtnisses“ und unendlicher Geduld ihren menschlichen Kollegen in vieler Hinsicht überlegen sind. Callcenter können sich – deutlich verkleinert – um besondere Fälle kümmern. Die Digitalisierung hat bereits attraktive neue Optionen der Verkaufsunterstützung eröffnet. So werden beispielsweise Möbelhändler Augmented-Reality-Apps (AR) anbieten, mit denen Kunden Möbel virtuell in den Raum stellen können. Die Planung der Wohnungseinrichtung und der Möbelkauf lassen sich so auch von zu Hause aus erledigen. Ikea will beispielsweise deutschen Kunden ab 2020 eine solche neue App zur Raumplanung mit Augmented Reality zur Verfügung stellen (vgl. Handelsblatt online 2019b). Die digitalen Strategien haben letztlich das Ziel, den Verkauf bzw. den ROI zu erhöhen. Die Nutzung einer Masse von Kundendaten stellt die Unternehmen allerdings auch vor die Aufgabe, ethische Richtlinien zum Vermarktungsverhalten des Unternehmens und zum Datenschutz zu gestalten und einzuhalten. Dabei ist insbesondere auf Transparenz zu achten, so dass das „Treiben“ der virtuellen Helfer jederzeit nachvollzogen werden kann. Marketingmanager müssen dafür sorgen, dass die genutzten Algorithmen verstanden, beaufsichtigt und kontrolliert werden. Die eingesetzte KI muss mit den Grundsätzen des Unternehmens und der Marke übereinstimmen. Kunden könnten sich beispielsweise in ihrer Privatsphäre verletzt fühlen, wenn sie zu viel personalisierte Werbung erhalten. Das Image von Unternehmen und Marke könnte dadurch beschädigt werden. Dieses Kapitel endet mit einigen Zukunftsvisionen zu weiteren Stufen des Marketings 4.0. Wenn eingangs erwähnt wurde, dass viele Unternehmen momentan meistens noch auf der ersten Stufe der Digitalisierung stehen, so soll jetzt in Kap. 3 geklärt werden, wie sich das traditionelle Marketing im Zuge der Digitalisierung bereits verändert hat.

3

Marketingmix im digitalen Wandel

Das Ende des von J.E.  McCarthy 1960 entwickelten Marketingmix mit seinen 4 Ps (Product, Place, Promotion, Price) wurde schon häufig verkündet. Totgesagte leben bekanntlich länger – dies mag auch für den Marketingmix gelten. Schon seit längerer Zeit profilieren sich neue Marketingansätze damit, den Tod des Marketingmix zu prognostizieren. Er hat dennoch in Praxis und Lehre bislang überlebt. Auch wenn heute viele Aspekte hinzugekommen sind, so ist der Marketingmix einfach ein pragmatisches Modell, um im Marketingmanagement den Überblick zu behalten. Deshalb wird er auch heute noch in der Praxis wie in der Lehre genutzt und auch in diesem Buch als Ausgangspunkt genommen. Unter Marketingmix versteht man die für eine bestimmte Periode getroffene Auswahl von Marketinginstrumenten in qualitativer, quantitativer und zeitlicher Hinsicht. Wenn ein Unternehmen mit einem Angebot nationale wie internationale Märkte erobern will, so gilt grundsätzlich, dass • Produkte oder Dienstleistungen gestaltet oder definiert werden, • jeweils ein Preis gefunden werden muss, der zwischen der Wunschvorstellung des Unternehmens und der maximalen Zahlungsbereitschaft der Kunden vermittelt. Möglich ist auch, von einem für die Kunden akzeptablen Preis auszugehen und die Produkteigenschaften entsprechend auszugestalten. • Absatzmethoden bzw. Wege der Produkte zu den Kunden gefunden werden müssen, • das Angebot den (potenziellen) Käufern kommuniziert werden muss. Der gute alte „Instrumentenkasten“ bzw. das in Deutschland von E. Gutenberg vertretene absatzwirtschaftliche Instrumentarium wurde von E. Dichtl durch die Verbindung von Absatzpolitik und Entscheidungstheorie messbar gemacht. Die Festlegung eines Marketingbudgets – nach welcher Methode man dazu auch immer vorgehen mag – und dessen

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Gutting, Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29429-8_3

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3  Marketingmix im digitalen Wandel

Verteilung ist bislang meist die praktische Grundlage für die Gestaltung des Marketings geblieben. Die Marketingkonzeption enthält • die Bestimmung der Marketingziele • die Formulierung der Marketinginstrumente (vgl. zur klassischen Sichtweise z. B. Meffert 1986, S. 114 ff. oder Weis 2018, S. 319 ff.), nämlich –– der Produktgestaltung –– der Preisgestaltung –– der Absatzmethoden oder Distribution –– der Marketingkommunikation • die Optimierung des Marketingmix und des jeweiligen Marketingsubmix, einschließlich der Ausgestaltung des Kunden(beziehungs)managements. Einzuräumen ist gleich an dieser Stelle, dass sich der Marketingsubmix im Zeitalter der Digitalisierung in den Unternehmen wandelt, weil viele neue Optionen und Digitalmedien hinzukommen. Ziel von Kap. 3 ist es, einen Überblick über den Marketingmix unter Einfluss der Digitalisierung zu geben. Zu zeigen sind die wichtigsten neuen digitalen Möglichkeiten, die den Marketingsubmix erweitern. Zum Bedeutungswandel der Elemente des Marketingmix soll jeweils eine kurze Einschätzung erfolgen.

3.1

Produkt

Der Produktmix bezeichnet traditionell die Gesamtheit der angebotenen Güter und Dienstleistungen des Unternehmens. Aus Kundenperspektive legt er fest, welche Leistungen bzw. Problemlösungen in welcher Form angeboten werden. Aufbauend auf einem definierten Grundnutzen wird das Produkt durch weitere Objekteigenschaften (Design, Material etc.) gestaltet und ergänzt (z. B. durch Garantie- und Serviceleistungen). Der Produktmix nimmt insofern eine Sonderstellung unter den absatzpolitischen In­ strumenten ein, als alle übrigen Aktionsparameter letztlich produktbezogen sind. Neuere Strategien (z. B. bei Ikea) gehen von einem für die Kunden akzeptablen Preis für ein bestimmtes Produkt aus und gestalten die Produkteigenschaften entsprechend. In der Produktpolitik muss über die Entwicklung und Aufnahme neuer Produkte entschieden werden, die sog. Produktinnovation, über die Variation oder Differenzierung von Produkten und über die Produktelemination bzw. die Herausnahme von Produkten aus dem Angebot. In der klassischen Marketingsichtweise gehören dem Produktmix die folgenden produktpolitischen Instrumente an: • Produktausstattung, • Sortiment,

3.1 Produkt

29

• Verpackung, • Service und Garantieleistungen. Die Marke (bzw. Markenbildung, -führung, -positionierung) wird von einigen Autoren innerhalb der Produktpolitik, von anderen innerhalb der Kommunikationspolitik diskutiert. Kluxen (2012, S. 123) verweist darauf, dass die Markenpolitik traditionell entweder dem einen oder dem anderen Bereich zugeordnet wurde, heute dagegen als eigenständiger Bereich betrachtet wird. Sie gilt als zunehmend zentrale Aufgabe und wichtiger Faktor für den Erfolg von Unternehmen, insbesondere, wenn diese weltweit aktiv sind. Aufgrund der besonderen Bedeutung der Markierung wird die globale Markenführung in einem separaten Kap. 7 behandelt. Produktausstattung Der Kundennutzen ist Ausgangspunkt der Produktgestaltung. Die Produktausstattung ist damit verbunden. In seiner klassischen Definition hat P. W. Meyer (1973, S. 48 ff.) die Nutzendimensionen eines Produktes am Beispiel eines Kugelschreibers erklärt: • Der Grundnutzen ist der technisch-rationale Zweck eines Objektes. Ein Kugelschreiber ist in erster Linie ein Schreibgerät. • Ein persönlicher Nutzen entsteht aus der Beziehung zwischen dem Nutzer und dem Objekt. Ein Produkt hat einen persönlichen Nutzen, wenn die Vorstellungen und Erwartungen des Nutzers erfüllt werden, z. B. wenn ein leichtes, sauberes Schreiben möglich ist. • Ein Prestigenutzen resultiert aus dem Verhältnis des Nutzers zur gesellschaftlichen Umwelt: Ein edler, teurer Kugelschreiber einer Premiummarke kann dem Nutzer Prestige und Ansehen verschaffen. • Ein Objekt kann mit einem magischen Nutzen aufgeladen werden. Das Produkt kann mit ethisch-moralischen oder transzendentalen Vorstellungen, letztlich also mit Wertvorstellungen des Nutzers verbunden werden. Im Beispiel von P. W. Meyer kann ein Kugelschreiberaufdruck „Ehre, Freiheit, Vaterland“ der Studentenverbindung des Nutzers einen solchen magischen Nutzen erzeugen. Ein Produkt soll also über den Grundnutzen hinaus weitere Nutzendimensionen enthalten, die seine Attraktivität steigern. Für jedes Produkt muss eine Reihe von Eigenschaften festgelegt werden., Die wichtigsten sind Produktqualität, Materialart, Form und Design, Farbe, Funktion und Verwendungszweck. Sortimentsgestaltung In klassischer Sichtweise meint die Sortimentsgestaltung den Absatzverbund eines Anbieters und die Vielfalt des Angebots. Zum Absatzverbund gehören sog. komplementäre Güter, also Produkte mit unterschiedlichen, sich ergänzenden Verwendungszwecken. ­ Die Vielfalt des Angebots umfasst die sog. substitutiven Güter: Produkte, die den gleichen Zweck erfüllen, die dem Kunden jedoch eine Auswahl ermöglichen.

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3  Marketingmix im digitalen Wandel

Durch Produktlinien soll die akquisitorische Wirkung eingeführter und erfolgreicher Güter auf neue Produkte übertragen werden. Verpackungsgestaltung Die Verpackung übernimmt unterschiedliche Funktionen: • eine Schutzfunktion für das Produkt • kommunikative Aufgaben, z. B. Anwendungsbeschreibungen bzw. Gebrauchsanweisungen • die Erkennbarkeit über das optische Design und Werbewirkung. Die Verpackungsgestaltung hat eine besondere Bedeutung für die Wiedererkennbarkeit und den Wiederkauf des Produktes bzw. die Markierung. Service oder Kundendienst Unter Service versteht man technische oder kaufmännische Zusatzleistungen nach dem Kauf. Sie können entgeltlich oder unentgeltlich den Kunden zur Verfügung gestellt werden. Der Kundendienst übernimmt die wichtige Funktion bei der Lösung von Problemen, die durch das Produkt auf Kundenseite entstehen können. Nur wenn zufriedenstellende Servicelösungen angeboten werden, kann der Anbieter das Vertrauen der Kunden gewinnen. Ein zufriedenstellender Service ist eine Voraussetzung für die Kundenbindung, die erneute Verkäufe oder Zusatzkäufe wahrscheinlich macht. Garantieleistungen Eine Garantie ist eine Verpflichtung des Anbieters, das Risiko für etwaige Schäden der Ware zu übernehmen. Garantieleistungen sollen den Abbau von Kaufzurückhaltung unterstützen. Sie sollen gleichzeitig für die Verbesserung des Images von Produkten, Marke und Unternehmen sorgen. Zu unterscheiden ist die Garantie von der Gewährleistung: Der Verkäufer haftet dafür, dass die Ware zum Zeitpunkt des Verkaufs nicht mit Mängeln behaftet ist, die den Wert oder die Funktion mindern (vgl. auch Weis 2018, S. 429). Eine ganze Reihe von Garantieleistungen soll Kaufrisiken mindern: • Preisgarantie: Das Unternehmen ist zu einer Preisanpassung bereit, für den Fall, dass die Konkurrenz einen günstigeren Preis anbietet oder versucht von vorneherein mit dem günstigsten Preis auf dem Markt aufzutreten. Z.  B. verspricht die Optikerkette Fielmann den Kunden den bestmöglichen Preis, gegen den Nachweis eines entsprechenden Preisangebots eines Konkurrenten. • Zufriedenheitsgarantie: Sie bedeutet ein Rückgaberecht bei Unzufriedenheit mit dem Produkt. • Nachkaufgarantie: z. B. die Garantie, für ein wertvolles Porzellan über einen längeren Zeitraum Einzelteile nachkaufen zu können.

3.2 Distribution

31

• Reparaturgarantie und „Vor-Ort-Garantie“, z. B. die Garantie, dass Reparaturen vor Ort des Käufers geleistet werden können (was im Internetzeitalter jedoch keine herausragende Rolle mehr spielt).

Produktmix im digitalen Wandel Betrachtet man den Produktmix in der digitalen Ära, so lassen sich gewichtige Veränderungen registrieren: • Die Plattformökonomie bzw. die Option zur unbegrenzten Skalierung, die virtuelle Marktplätze wie z. B. Amazon bieten, ermöglichen es Plattformen, ihren Kunden ein nahezu unbegrenztes Sortiment anzubieten. • Durch die entstandenen transparenten Märkte und die Erweiterung des Anbieterspek­ trums hat die Garantieleistungspolitik einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Käufer sind immer weniger bereit, Risiken zu übernehmen. Sie versuchen, jedes Kaufrisiko auszuschließen. Anbieter müssen darauf mit einer Minimierung der Risiken reagieren. Sie nutzen ihre Garantieleistungspolitik und zusätzliche Kulanzleistungen, um Kundenvertrauen zu gewinnen. • Die durch moderne Analysemethoden geschaffenen Consumer Insights lassen sich auch als Ideengeber für neue Produkte und Dienstleistungen nutzen. • Eine kooperative Produktentwicklung mit dem Kunden kann stattfinden. Eine erste Stufe ist die Mass Customization, die vermittelt zwischen kundenindividuellen Anforderungen und Massenproduktion. Sie nutzt dazu beispielsweise das „Computer Aided Manufacturing“. Neue digitale Produktionsoptionen, wie z.  B. 3-D-Printing erweitern die Möglichkeiten der Individualisierung. • Langfristig könnte sich durchsetzen, dass nicht mehr der Besitz von Produkten, sondern die flexible Verfügbarkeit über Produkte zu einem generellen Wandel der Geschäftsmodelle führt. Hierfür wurden in Kap.  2 bereits Beispiele genannt: Will man Musik hören, muss man keine Tonträger mehr kaufen und horten. Plattformen wie Spotify stellen die Verfügbarkeit über Musik her, z. B. im Rahmen eines Abonnements. Digitale Technologien führen somit nicht nur zu Veränderungen der Produktpolitik und -gestaltung, sondern auch zu neuen Geschäftsmodellen.

3.2

Distribution

Im Distributionsmix trifft das Unternehmen Entscheidungen über die Wege, wie ein Produkt zum Käufer gelangt. Dazu gehören die Wahl der Absatzkanäle und die physische Distribution der Produkte. Es geht um die Frage: An wen (Zwischenhändler oder Endkunden) und auf welchen Wegen sollen die Produkte verkauft und an die Käufer herangetragen werden?

32

3  Marketingmix im digitalen Wandel

Als klassische distributionspolitische Instrumente gelten die Absatzkanäle und die Marketinglogistik. Unterschieden wird zwischen • dem akquisitorischen Vertrieb, in dem Entscheidungen zur Vertriebsstrategie und den Vertriebsprozessen getroffen werden und • dem logistischen Vertrieb, dem Transport und Lagerhaltung zugeordnet werden. Die Distributionspolitik entscheidet vor allem über den direkten und indirekten Vertrieb. Beim indirekten Vertrieb geht es um die Art, Zahl, räumliche Verteilung und Gewinnung der Absatzmittler.

3.2.1 A  bsatzkanäle, E-Commerce, virtuelle Marktplätze und Onlineshops Die Ketten aus Verkaufs- bzw. Vertriebsorganen eines Herstellers werden auch Absatzkanäle genannt, z. B. • Handelsmitarbeiter • selbständige Absatzmittler • Einzel-, Großhandel und freie Handelsvertreter. Sie hatten bislang eine große Bedeutung für die Verteilung der Produkte. E-Commerce und Plattformökonomie haben einen Wandel zur Direktvermarktung begünstigt. Hersteller sind kaum mehr auf die Zwischenhändler angewiesen, sie können Endkunden direkt erreichen. Unter E-Commerce versteht man allgemein den Direktabsatz über das Internet. Mitte der 1990-Jahre wurde er eingeführt und verzeichnet seither kontinuierlichen Zuwachs. Anbieter können ihren eigenen Onlineshop zum Direktvertrieb aufbauen. Sie können für ihre Angebote virtuelle Marktplätze wie z. B. Amazon oder Ebay nutzen, in die sie ihre Produkte einfach einpflegen. Als umsatzstärkste Online-Händler in Deutschland gelten derzeit Amazon, Otto und Zalando. M-Commerce Als neue Variante des E-Commerce gelten M-Commerce oder Mobile Commerce. In neuen Märkten, wie in China, gilt inzwischen bereits „Mobile only“ – nahezu alle Käufe werden über das Smartphone abgewickelt. Franchising Die Vertriebsform des Franchisings ermöglicht es, in einer globalisierten Welt Märkte zu erobern. McDonalds oder Subway sind eindrucksvolle Beispiele.

3.2 Distribution

33

Der Franchising-Geber überträgt dem Franchising-Nehmer den Vertrieb seiner Produkte oder Dienstleistungen unter Verwendung • einer gemeinsamen Marke und Corporate Identity • gemeinsamer Konzepte bzw. eines bestimmten Know-hows für den Geschäftsbetrieb. Der Franchisenehmer muss die vorgegebenen Standards des Franchise-Gebers einhalten, trägt das Geschäftsrisiko und zahlt eine meist vom Umsatz abhängige Gebühr.

3.2.2 Marketinglogistik Die Marketinglogistik beschäftigt sich mit der physischen Distribution von Gütern. Hierzu gehören Standortwahl, Lagerung und Lagerhaltung, Transportwege und -mittel. Im Gesamtblick gehören zur Logistik eines Unternehmens die • Beschaffungslogistik • Produktionslogistik bzw. die Organisation produktionsinterner Warenflüsse • Distributionslogistik, diese wiederum umfasst –– Lagerhaltung und Bestandsmanagement der Enderzeugnisse, –– Verpackung –– Transport zum Kunden. Kritisch ist vor allem der Transport zum Kunden. Die Aufgabenstellung heißt: Kommt das Produkt rechtzeitig, vollständig und unbeschädigt beim Kunden an? Von der Logistik abhängig ist die Lieferzeit. Die angebotene Lieferzeit kann für den Käufer ein wichtiges Argument für oder gegen eine Kaufentscheidung sein und ist damit ein höchst marketingrelevanter Faktor. Einer gut funktionierenden Marketinglogistik muss deshalb große Aufmerksamkeit zukommen. Das Aufkommen einer Vielzahl von Logistikdienstleistern ist ein deutliches Zeichen für die Veränderungen der Distribution im Kontext von E-Commerce. Um einen hohen Standard des Lieferservices zu gewährleisten, werden von den meisten Unternehmen die Dienste der spezialisieren Logistikdienstleister (z. B. DHL, UPS, DPD, Hermes) in Anspruch genommen.

3.2.3 Marketing und Lieferservice Geht es im Marketing allgemein um das Erkennen von Kundenbedürfnissen und Generieren von Kaufentscheidungen, so soll die Logistik für deren schnelle, zuverlässige und effiziente Befriedigung durch einen einwandfreien Lieferservice sorgen.

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3  Marketingmix im digitalen Wandel

Im Zeitalter des E-Commerce ist der Logistik eine besondere Bedeutung zugefallen: Vertriebs- und Distributionsfaktoren, vor allem der Lieferservice werden häufig als wichtigste Gründe für Kundenzufriedenheit oder eben für Kundenunzufriedenheit genannt. E-Commerce stellt besondere Anforderungen an die Distributionslogistik. Die Unternehmen sind gefordert, sich den kritischen Themen des Lieferservices anzunehmen: • eine möglichst kurze Lieferzeit • Lieferbereitschaft, z. B. Garantie der Lieferung innerhalb von 24 Stunden • Sicherung der Liefertreue bzw. Lieferzuverlässigkeit: auch zu Stoßzeiten, z. B. auch im Weihnachtsgeschäft, muss das Produkt rechtzeitig ankommen • Versandkommunikation, um die Kunden über den Status der Lieferung zu informieren • Lieferflexibilität oder „Convenience“: Die Anlieferung muss für den Kunden komfortabel gestaltet werden. Alternative Zustellangebote werden dazu angeboten, z. B. die Lieferung an eine Postfiliale oder Packstation. • Neue Konzepte sollen den Service verbessern, z. B. das sog. Click & Collect: Online wird bestellt, dem Kunden die Lieferung in eine Einkaufsstätte angeboten. Das Paket kann vom Kunden zu den Öffnungszeiten des Ladens entgegengenommen, die Lieferung dort besichtigt, im Falle von Kleidungsstücken anprobiert werden. Wenn die Ware nicht passt oder nicht gefällt, wird sie von den Mitarbeitern der Filiale zurückgeschickt. • Liefergenauigkeit: Die Waren und ihre Bestandteile müssen in der Art und Menge genau dem Auftrag des Kunden entsprechen. Es darf z. B. keine Schraube fehlen. • Lieferzustand: Die Produkte müssen einwandfrei und unbeschädigt ankommen. Für große Unternehmen kann sich eine eigene Vertriebslogistik empfehlen, um sich mit diesem wichtigen letzten Glied in der Servicekette bei den Kunden besonders zu profilieren.

3.2.4 Distribution im digitalen Wandel Die Digitalisierung hat auch im Distributionsmix gravierende Veränderungen mit sich gebracht: • Internet und E-Commerce haben die Ketten aus Verkaufsorganen weitgehend überflüssig gemacht. Hersteller vermarkten ihre Produkte zunehmend direkt. Der Zwischenhandel wird durch Onlineverkauf ersetzt. • Die Plattformen stellen gegen Gebühr eine Verkaufsinfrastruktur zur Verfügung, die nicht selbst aufgebaut und gewartet werden muss. • Digitales Marketing bedeutet für die Hersteller auch Unabhängigkeit von Vertriebspartnern. Der Aufbau eines Online-Shops und entsprechende Internetkampagnen können auch von kleineren Unternehmen geleistet werden kann. Mit Partnern gibt es Lösungen, die keine Spezialkenntnisse kleinerer Unternehmen erfordern. Dennoch ist ein grundsätzliches Verständnis der Digitalmedien erforderlich.

3.3 Preis

35

• Eine wichtige Rolle kommt der Distributionslogistik zu, da der Lieferservice eine Voraussetzung für Kundenzufriedenheit darstellt. • Im Wettbewerb hat der traditionelle Handel verloren. Häufig testen Kunden Produkte in den Läden aus und kaufen sie dann günstiger im Internet. Die Unternehmen entwickeln deshalb Omnichannel-Strategien, um Test- und Einkaufserlebnisse zu ermöglichen und diese mit den Vorteilen des kostengünstigeren Onlinehandels zu verbinden. • Traditionelle Händler müssen kritisch prüfen, wo sie noch wettbewerbs- bzw. überhaupt überlebensfähig sind. Chancen, sich zu behaupten, ergeben sich vor allem da, wo von den Kunden Beratungsleistungen erwünscht oder besondere Anpassungen notwendig sind. Beispiele sind Baumärkte (zumindest in Deutschland), Küchenstudios oder Optiker. Die entstandene Problematik im Handel zeigen die früher erfolgsverwöhnten Händler Saturn und Media-Markt, hinter denen als Mutterunternehmen der Elektronikhändler Ceconomy steht. Mit Slogans wie „Geiz ist geil“ haben sie lange die Branche dominiert. Media Markt und Saturn kämpfen jedoch seit einiger Zeit mit der Konkurrenz durch den Onlinehandel. Die durch den Onlinehandel entstandene Preistransparenz hat die einst üppigen Gewinne der Handelsketten schmelzen lassen. Ihre strategische Neuausrichtung zu Beginn der 2020er-Jahre sieht eine auf Datenanalyse und Künstliche Intelligenz gestützte Preisgestaltung sowie den Ausbau des Onlineangebots vor (vgl. t3n online 2019). Auch in diesem Fall soll also eine Omnichannelstrategie wieder für Geschäftserfolg sorgen. Plattformmärkte funktionieren anders als herkömmliche Märkte. Dies hat Vor- und Nachteile: Konventionelle Wertschöpfungsketten erfordern und erlauben es, dass Entwickler und Hersteller ihre Vertriebswege selbst wählen oder eigene aufbauen. Auf digitalen Plattformmärkten liegt es für Hersteller nahe, etablierte Verkaufsplattformen zu nutzen. Die große Gefahr besteht darin, Autonomie sowie vor allem den Kundenkontakt zu verlieren und letztlich zu einem Glied einer Lieferkette zu werden.

3.3

Preis

Der Kontrahierungsmix ist die Gesamtheit der vertraglichen Vereinbarungen über das Angebot. Er klärt die Frage: Zu welchen Bedingungen sollen die Leistungen am Markt angeboten werden? In der Kontrahierungspolitik werden Entscheidungen über die Preisgestaltung, Zahlungsbedingungen und Optionen für Preisnachlässe und Preiskorridore gefällt. Im Handel ist eine Preisbindung durch den Produzenten gesetzlich nicht erlaubt, es dürfen jedoch unverbindliche Preisempfehlungen gegeben werden. Traditionell sieht die Preispolitik als Elemente des Preissubmix • • • •

Preise, Rabatte, Kredit, Skonto

vor.

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3  Marketingmix im digitalen Wandel

Rabatte Rabatte haben eine Motivationsfunktion. Sie sind gedacht als Nachlässe für bestimmte Leistungen des Abnehmers: mit Mengenrabatt wird die Abnahme größerer Mengen, mit Treuerabatt die Loyalität der Kunden belohnt. Ein wahrer Dschungel an Rabattformen ist heute entstanden. Zeitrabatte (z. B. Einführungs-, Saison-, Auslaufrabatt) sollen die Flexibilität der Rabattgewährung im scharfen Wettbewerb weiter erhöhen. Skonto und Kredit Mit besonderen Zahlungsbedingungen will man den Kunden entgegenkommen, z. B. durch den Abzug von Skonti bei schneller Bezahlung oder durch eingeräumte Zahlungsfristen. Die Ausdehnung der Zahlungsfristen bedeutet einen Übergang zur Gewährung von Krediten. Preisbildung Grundsätzlich gibt es die Optionen der statischen und der dynamischen Preisbildung. Im Rahmen der statischen Preisbildung hat das Unternehmen die folgenden Optionen: • die kostenorientierte Preisgestaltung („Cost Plus“) • wettbewerbsorientierte Preisgestaltung • Nachfrager- bzw. kundennutzenorientierte Preisgestaltung Das Cost-Plus-Konzept sieht vor, zu den Herstellungs-, Vermarktungskosten und sonstigen Kosten einen Gewinnaufschlag zu addieren und mit diesem Preis auf den Markt zu gehen. Die Gefahr, sich damit aus dem Markt zu kalkulieren, liegt auf der Hand, insbesondere in einem internationalen Umfeld. Wettbewerbsorientierte Preisgestaltung bedeutet, sich an den Preisen der Wettbewerber zu orientieren. Kundennutzenorientiere Preisgestaltung bezieht in der Kalkulation den Kundennutzen ein. Ist dieser besonders hoch und kann das Produkt nicht einfach kopiert werden, besteht die Möglichkeit, eine hohe Marge zu kalkulieren.

3.3.1 D  ynamische Preisbildung und kundenindividuelle Preise durch Künstliche Intelligenz Insbesondere bei technologischen Innovationen bietet sich die dynamische Preisgestaltung an (vgl. Sauter 2001, S. 170 ff.). Optionen der dynamischen Preisgestaltung sind • Penetration Pricing bzw. die schnelle Durchdringung des Marktes durch einen niedrigen Preis (mit seiner Extremform „Follow the Free“) und • Skimming Pricing bzw. das Abschöpfen hoher Zahlungsbereitschaften. Mittels Künstlicher Intelligenz wird eine neue Option kundenindividueller dynamischer Preisbildung möglich.

3.3 Preis

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Penetration Pricing Die Penetrationsstrategie bedeutet, in einen Markt mit einem möglichst niedrigen Preis einzusteigen, um ihn zu „durchdringen“. Über einen günstigen Preis soll möglichst schnell eine große Anzahl an Kunden gewonnen werden. Penetration Pricing empfiehlt sich dann, wenn • eine ausreichende Marktgröße für ein großes Absatzvolumen sorgt, • Economies of Scale aufgebaut werden können, • im Markt keine funktional ähnlichen Produkte angeboten werden und eine Chance für den Aufbau von Markteintrittsbarrieren besteht oder • mit einem niedrigen Preis die Markentreue zu Produkten von Konkurrenzunternehmen gebrochen werden soll, um Marktanteilsgewinne zu erzielen. Zu beachten ist, dass keine Konflikte mit dem angestrebten Produktimage entstehen dürfen. Man muss vermeiden, dass Nachfrager von einem niedrigen Preis auf eine minderwertige Produktqualität schließen. Für eine solche mögliche Reaktion von Nachfragern steht der Begriff der „Preis-Qualitäts-Irradiation“. Eine Extremform des Penetration Pricing besteht in der Follow-the-Free-Preisstrategie: Neue Produkte werden mehr oder weniger gratis angeboten. Die folgende schnelle Marktdurchdringung sorgt für Netzeffekte. Gleichzeitig werden Wechselbarrieren aufgebaut („Lock-in-Effekt“). Erreichen will man damit den Aufbau eines Potenzials für den Verkauf von Komplementärleistungen. Es wird beispielsweise kostenlose Software zur Verfügung gestellt und anschließend Hardware und Service als Komplementärleistungen zum Verkauf angeboten. Alternativen sind der Verkauf neuer Upgrades oder leistungsfähigerer Produktversionen bzw. Premium-Versionen. Skimming Pricing Skimming Pricing ist die gegenteilige Strategie. Der Einstieg in den Markt erfolgt mit einem möglichst hohen Preis: Der Anbieter will schnell Gewinne abschöpfen bzw. die schnelle Amortisation der getätigten Investitionen erreichen. Apple und Tesla sind Beispiele für Unternehmen, die Skimming Pricing eingesetzt haben. Skimming Pricing ist möglich oder empfiehlt sich • wenn eine Substituierbarkeit durch andere Produkte nicht gegeben ist bzw. keine vergleichbaren Produkte im Markt existieren, • wenn das Nachfragepotenzial groß ist • bei kurzen Produktlebenszyklen und hoher Aktualität der Produkte, • wenn die relevanten Gruppen der ersten Nachfrager wenig preissensibel sind. Bei technischen Produkten spricht man von den sog. Innovators und Early Adopters. Ist die hohe Zahlungsbereitschaft dieser Gruppen von Nachfragern abgeschöpft, können über Preissenkungen zu einem späteren Zeitpunkt breitere Käuferschichten erschlossen werden. • wenn die Markteinführung – bei hohen Gewinnaussichten – große finanzielle Aufwendungen erfordert und die hohen Deckungsbeiträge nur durch Skimming Pricing erwirtschaftet werden können

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3  Marketingmix im digitalen Wandel

• wenn sehr gute Marktchancen bestehen, die Ressourcen des Unternehmens aber limitiert sind, v. a. bei beschränkter Produktionskapazität • wenn bei sehr guten Marktchancen effiziente Herstellungs- und Vertriebsmethoden (z. B. Schulung von Absatzmittlern, Aufbau eines Kundendienstnetzes) erst geschaffen werden müssen. Gefahren des Skimming Pricing sind, dass ein (zu) hoher Preis Nachfrager abschreckt. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die guten Gewinnaussichten Wettbewerber anlocken. Kundenindividuelle Preise durch Künstliche Intelligenz Mittels umfangreicher Datenanalyse und Künstlicher Intelligenz ist es möglich, kundenindividuelle Preise zu ermitteln und Preise flexibel über verschiedene Digitalmedien auf individuelle Nutzergruppen zuzuschneiden. Produktpreise können mithilfe von Algorithmen automatisch verändert werden, je nach Nachfrage, Zahlungsbereitschaft der Kunden, Verfügbarkeit und Preise der Konkurrenz (vgl. Gentsch 2019, S. 72). Beispiele von Firmen, die diese dynamische Preisgestaltung anwenden, sind Fluggesellschaften sowie Amazon und Uber. Fluggesellschaften setzen bereits KI-Pricing so ein, dass beispielsweise Kunden mit höherpreisigen Smartphones mehr für Flugtickets und Reisen zahlen müssen. Der Autovermieter Sixt nutzt ebenfalls schon ein neues Pricing System, welches mittels Künstlicher Intelligenz individuelle Preise innerhalb von Sekundenbruchteilen ermittelt (vgl. Welt online 2019). Der Preis, den der einzelne Kunde angeboten bekommt, hängt dabei von zahlreichen Faktoren ab. Einige Faktoren sind für alle Kunden gleich, wie z. B. die aktuelle Nachfrage oder das Wetter am Ort der Anmietung. Aber auch weitere Variablen können als Einfluss auf den Preis einbezogen werden, z. B. das Gerät, von dem aus der Kunde das Auto nachfragt. Ein Kunde, der mit der Sixt-App auf einem iPhone ein Auto anmieten will, bekommt eventuell einen anderen Preis angezeigt als ein Kunde, der die gleiche App auf einem Android-Smartphone benutzt. Auch der Standort, an dem sich der Kunde gerade befindet, kann den Preis nach oben oder unten treiben. Von einem Kunden, der aus einer Premium-Wohn- oder Geschäftsumgebung anfragt, wird beispielsweise ein höherer Preis gefordert als von einem Kunden, der sich in einem weniger guten Gebiet bewegt. So können (vermutete) Unterschiede in der individuellen Zahlungsbereitschaft in die Preisgestaltung einbezogen werden. Die Preissetzung per Künstlicher Intelligenz kann so individuelle Tarife pro Kunde schaffen und übermitteln. Sixt argumentiert, dass neue Optionen wie Carsharing sich nur auf diesem Weg profitabel betreiben lassen werden. Ob solche kundenindividuellen Preise vom Markt angenommen und Kunden damit einverstanden sein werden, muss sich noch zeigen. In jedem Fall stehen die Anbieter vor der Aufgabe, die Angemessenheit einer solchen Preisgestaltung dem Markt zu vermitteln.

3.4 Kommunikation

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3.3.2 Pricing im digitalen Wandel Digitalisierung und Vernetzung haben auch für Bewegung in der Preisgestaltung gesorgt. Einige der neuen Optionen beinhalten konkrete Gefahren für die Unternehmen: • Die Plattformökonomie hat durch transparente Angebotssituationen für einen hohen Preisdruck gesorgt. Um profitabel zu bleiben, müssen die Unternehmen komplexeren Methoden der Preisgestaltung mehr Aufmerksamkeit widmen. • Aufgrund der vielen inzwischen gängigen Rabattformen ist die Promotionseffizienz eine Herausforderung. Die Unternehmen müssen kritisch prüfen, welche Rabattformen in Aktionen eingesetzt werden können, um die Profitabilität nicht zu gefährden. • Flexible, kundenindividuelle Preise mittels künstlicher Intelligenz und entsprechende Angebote über Digitalmedien werden getestet. Algorithmen messen, was der Einzelne zu zahlen bereit ist. Ob die kundenindividuelle Preisgestaltung jedoch von den Verbrauchern langfristig akzeptiert wird und die Anbieter unbeschadet lässt, bleibt abzuwarten. • Der Einsatz von Kundenkarten generiert Kundendaten. Mit einer Kombination von Rabatten, auch im Onlineshopping, und Anreizsystemen, z. B. dem elektronischen Sammeln von Punkten oder mit verbundenen Gewinnspielen etc., entstehen neue Formen der Kundenansprache. Pricing wird so mit Marketingkommunikation verbunden. • Internet-Shopping-Clubs fordern hohe Preisnachlässe, auch auf Markenprodukte. Mit dem entstandenen hohen Preisdruck geht ein Wildwuchs an Rabatt- und Promotionsformen einher. Umfangreiche Datenanalysen müssen dafür sorgen, dass die Preis- und Rabattangebote effizient und vertretbar bleiben. Die Akzeptanz der kundenindividuellen Preissetzung über künstliche Intelligenz mit persönlicher Kundenansprache ist zu beobachten: Unter welchen Bedingungen wird kundenindividuelles Pricing von den Kunden angenommen? Eine kundenindividuelle ­Preissetzung wäre vielleicht eine Voraussetzung für neue Geschäftsmodelle, beispielsweise in der Sharing-Economy. Eine gezielte Kommunikation könnte erforderlich werden, um Imageschäden für die Anbieter vorzubeugen.

3.4

Kommunikation

Die Unternehmenskommunikation dient der Beeinflussung aller Marktteilnehmer, insbesondere der potenziellen Abnehmer. Sie hat die Aufgabe der Gestaltung • aller Informationen über die Produkte, die Marke und das Unternehmen • des Dialogs mit den (potenziellen) Kunden. Klassische Kommunikationsziele sind die Bildung von positiven Einstellungen gegenüber Marken und Unternehmen, die Reduzierung von Kaufunsicherheit und die Förderung

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3  Marketingmix im digitalen Wandel

der Kaufbereitschaft für die Produkte. Die Kommunikation ist letztlich so zu gestalten, dass die Produkte und Dienstleistungen abgesetzt werden können. Als klassische Elemente des Kommunikationssubmix gelten • • • •

der persönliche Verkauf Öffentlichkeitsarbeit oder Public Relations (PR) Werbung Verkaufsförderung.

Die Digitalisierung hat eine ganze Reihe neuer Optionen geschaffen, die mehr oder weniger gut dem klassischen Kommunikationsmix zugeordnet werden können. Der persönliche Verkauf Der persönliche Verkauf bzw. die Kommunikationsprozesse der Verkaufsorgane spielen nach wie vor eine zentrale Rolle, insbesondere im B2B. Ziel des Marketings muss es sein, zu verkaufen bzw. potenzielle Abnehmer zum Abschluss, zur Annahme eines Kauf-, Mietoder Leasingvertrags etc. zu bewegen. Wird diese Aufgabe nicht erfüllt, kann das Unternehmen nicht existieren. Die besten Produktentwicklungen und die kreativsten Werbestrategien sind zwecklos, wenn die Angebote nicht angenommen werden. Der Verkauf muss heute jedoch stets im Kontext der Ausgestaltung dauerhafter Kundenbeziehungen betrachtet werden. Im internationalen Umfeld ist für erfolgreiche Verkaufsverhandlungen im B2B eine anspruchsvolle Verhandlungsführung notwendig. Interkulturelle Besonderheiten müssen dabei berücksichtigt werden. Dem Thema Verkauf, Kundenbindung und Verkaufsverhandlung ist deshalb das separate Kap. 8 gewidmet. Der Verkauf im B2C findet heute zunehmend via Internet statt, unter Einsatz digitaler PR- und Werbeoptionen. Public Relations (PR) oder Öffentlichkeitsarbeit Die PR gestaltet die kommunikativen Beziehungen des Unternehmens zu der nach Anspruchsgruppen oder „Stakeholders“ gegliederten Öffentlichkeit. Ziel ist vor allem, das Vertrauen der Stakeholder zu gewinnen. Die Öffentlichkeitsarbeit nimmt heute zentrale Aufgaben der digitalen Kommunikation des Unternehmens wahr. Die inhaltliche Gestaltung von Website und Intranet, die Aufbereitung von Antworten für die FAQs auf der Website oder die zeitnahe Reaktion auf Kundenbewertungen gehören dazu, ebenso wie Content Marketing. Um das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht aufs Spiel zu setzen, ist es für Unternehmen wichtig, Antworten bereit zu halten. Dies gilt auch für noch nicht konkrete, sondern potenzielle Probleme. Manche PR-Abteilungen bereiten sich auf mögliche Krisenfälle vor. Sie antizipieren Krisenszenarien und schaffen sog. Dark Sites dafür, damit notfalls schnell reagiert und ein Imageschaden zumindest begrenzt werden kann.

3.4 Kommunikation

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Content Marketing Content Marketing kann als relativ neuer Teilbereich der PR verstanden werden. Content Marketing schafft und teilt Informationen um Themen, die in Zusammenhang mit dem Unternehmen oder seinen Produkten stehen. Meist geschieht dies über Onlinemedien wie z. B. Videos, Blogs, elektronische Zeitschriften oder Social-Media-Posts. Diese Inhalte sollen von den Nutzern nicht als Werbematerialien wahrgenommen werden. Sie sind informativ oder unterhaltend gestaltet. Im Content Marketing werden Themen aufgegriffen und formuliert, für die ein besonderes Interesse einer Zielgruppe des Unternehmens angenommen werden kann. Verkäufer von Babynahrung versuchen beispielsweise, durch einen Blog über kindgerechte Ernährung in bestimmten Altersstufen das Vertrauen von Eltern zu gewinnen. Die Beschäftigung der Eltern mit dem Blog erhöht die Chance, auch die Babyprodukte des Unternehmens zu verkaufen oder zumindest für ein positives Image der Marke zu sorgen. Im Technologiebereich können interessante und sachlich anspruchsvolle Artikel zu bestimmten Themen Vertrauen der Zielgruppe in die Kompetenz des Unternehmens schaffen. Aufgabe von Content Marketing bleibt stets, das Interesse am Unternehmen sowie an dessen Marken und Produkten zu stimulieren. Die Methode des Storytelling wird häufig angewandt: Geschichten werden gestaltet und kommuniziert, um Botschaften, Werte, Unternehmenskultur, Funktionsweisen oder Vorzüge eines Produktes etc. zu vermitteln. Durch eine lebhafte Erzählung, beispielsweise über einen Protagonisten, der ein Problem für andere löst, können die Vorteile eines technischen Produktes eingängiger erklärt werden als über die nüchterne Beschreibung technischer Merkmale und ihrer Funktionalität. Eine gut erzählte Geschichte kann die Aufmerksamkeit der Zielgruppe leichter gewinnen als die sachliche Darlegung von Fakten. Künstliche Intelligenz schafft für das Content Marketing neue Optionen, z. B. die Content Automatisierung bzw. die automatische Texterstellung. Diese wird auch als „Roboterjournalismus“ bezeichnet. KI-Systeme können Kundenreaktionen und -präferenzen auch aus Fließtexten erfassen. Die Systeme können selbstständig evaluieren, welcher „Tone of Voice“ und welches „Wording“ für eine spezielle Zielgruppe am besten funktioniert. Daraufhin können sie eigenständig Texte entwerfen. KI wird künftig die PR unterstützen, indem sich automatisiert Content erstellen, managen, übermitteln, analysieren und anpassen lässt. Sponsoring Als Teilbereich der Öffentlichkeitsarbeit kann Sponsoring betrachtet werden. Im Sponsoring stellt ein Werbetreibender dem oder den Gesponserten (meistens Geld-) Mittel zur Verfügung. Als Gegenleistung will der Sponsor mit Hilfe des Gesponserten Kommunikationsziele erreichen, insbesondere bei der Bildung eines positiven Images. Meist findet eine Förderung von Personen oder Organisationen aus Sport, Kultur und Umwelt im Sponsoring statt.

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3  Marketingmix im digitalen Wandel

Im Idealfall erfolgt ein Imagetransfer vom Gesponserten zum Sponsor, beispielsweise, wenn ein internationales Bankhaus eine Gruppe hervorragender Nachwuchsmusiker finanziell unterstützt. Das Bankhaus identifiziert sich so mit einer jungen, exzellenten und internationalen Gruppe und hofft auf die Übertragung dieses Images. Der Imagetransfer muss stets in Verbindung zu den Zielen der Unternehmenskommunikation stehen. Neben Kultursponsoring ist vor allem Sportsponsoring heute gängig. Sponsoring von Sportveranstaltungen und -teams kann auch die Kontakte des Unternehmens zu bestimmten Zielgruppen fördern. Aufgrund des gestiegenen Umweltbewusstseins könnte das Umweltsponsoring künftig eine Rolle spielen. Bei der Auswahl stellt sich die Frage, ob der oder die Gesponserten zum gewünschten Image des Unternehmens passen – „fit“ oder „no fit“. Insofern mag die Unterstützung eines Teams mittelmäßiger Amateurfußballer zwar in den Bereich erwünschter Sportförderung fallen, jedoch nicht den Kriterien des Sponsorings genügen. Direktmarketing Direktmarketing wurde definiert als Prozess der Anbahnung und Aufrechterhaltung einer direkten, personalisierten Interaktion mit dem Kunden (vgl. Wirtz 2005, S. 14). In seinen Ursprüngen bezog sich Direktmarketing vor allem auf Werbemails mit Antwortoptionen, um einen Kundendialog einzuleiten. Deshalb wurde Direktmarketing dem Werbesubmix zugeordnet. Mit dem Begriff sollte ursprünglich die direkte Kundenansprache des Anbieters von der Vermarktung über den Handel bzw. über die Vertriebspartner abgegrenzt werden. Die Digitalisierung hat die Optionen, Verbraucher direkt zu erreichen, stark vereinfacht und vermehrt. Im Zeitalter des E-Commerce ist das Direktmarketing über Digitalmedien oft die Regel. Die Gestaltung und ständige Optimierung von Websites und Onlineangeboten ist eine zentrale Aufgabe. Werbung in den Massenmedien Die klassische Werbung in den Massenmedien, vor allem in Print und Rundfunk, galt in der Vergangenheit als das große Thema des Kommunikationsmix. Seit langer Zeit besteht eine Partnerschaft zwischen Medien und Werbung: In Deutschland erschien 1655 die erste Werbeanzeige in der „Berliner Postzeitung“. Werbetreibende nutzen seither Massenmedien, um ihre Produkte der Öffentlichkeit vorzustellen und anzubieten. Werbebotschaften werden breit „gestreut“, in der Hoffnung, auf fruchtbaren Boden zu fallen und Kaufinteresse zu schaffen. Die werbetreibende Wirtschaft übernimmt in dieser Partnerschaft den größten Teil der Medienfinanzierung. Werbebotschaften werden in der Streuwerbung traditionell, recht kostenintensiv über Werbeträgermedien (vor allem Zeitungen, Zeitschriften, TV, Radiosender, Außenwerbung etc.) verbreitet. Wenn die Zielgruppen eines Anbieters sportbegeistert sind, geht man davon aus, sie über Sport-TV-Sender erreichen zu können. In den lokalen Radiosendern wird Werbung für Kaufangebote in den Einkaufstätten vor Ort geschaltet. Aufgaben der Werbeabteilung eines Unternehmens sind traditionell die Werbemittelgestaltung, die Aufstellung des Werbeetats, die zeitliche und sachliche Aufteilung des Etats

3.4 Kommunikation

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auf Werbemittel und Werbeträger. Werbeagenturen buchen im Auftrag der Werbetreibenden Werbeschaltungen in den Massenmedien. Eine Vielzahl von Sonderformen, wie Homeshopping bzw. Homeshopping-Kanäle sind ab den 1980er-Jahren im Zuge der durch die Digitalisierung induzierten Vermehrung der Rundfunkkanäle entstanden. Über die Massenmedien, insbesondere über das früher für die Werbung so wichtige Fernsehen, lassen sich heute jedoch nicht mehr alle Zielgruppen erreichen. Online-/Internet-Werbung Online-Werbung kann als Überbegriff für eine Vielzahl digitaler Werbeoptionen verstanden werden: alle Maßnahmen der Werbung, die über das Internet verbreitet werden, z.  B.  Suchmaschinen-, Social-Media- und Affiliate-Marketing. Ein breites Angebot der Werbeportale steht bereit. Videomarketing und Mobile Marketing über Smartphones sind weitere Erscheinungsformen. Werbung via Internet startete als Onlinewerbung mit Websites und Werbebannern auf Sites. Werbebanner werden für unterschiedliche Medien, beispielsweise für eine Verbreitung über Smartphone, gestaltet. Da viele Menschen Smartphones und Tablets verwenden, muss Onlinewerbung auf verschiedenen, z. B. mobilen Endgeräten repräsentiert werden können. Der Fachbegriff dafür ist „Responsive Design“. Die Darstellungen werden dabei automatisch an die kleineren Displays von mobilen Endgeräten angepasst. Tatsächlich wird Onlinewerbung heute meist über Smartphones rezipiert. Reagiert ein Kunde auf eine Onlineanzeige, führt ihn sein Klick zu einer Landingpage. Je besser sich Suchintention und Inhalt entsprechen, desto eher verweilt der Nutzer auf der Site. Die Chance auf eine „Conversion“, also z. B. einen Kaufabschluss erhöht sich. Die Technologisierung bringt ständig neue Formen der Onlinewerbung hervor. Programmatic Advertising ist ein Bereich des Onlinemarketings, in dem Künstliche Intelligenz genutzt wird. Auf der Basis von Datenanalysen wird auf das individuelle Nutzerverhalten zugeschnittene Werbung eingesetzt. Dies erfolgt automatisiert. Messenger Marketing Ein relativ junger Teil der Onlinewerbung ist das sog. Messenger Marketing. Z. B. über Facebook Messenger sollen Zielgruppen damit in den für persönliche Kontakte genutzten Umgebungen erreicht werden. Messenger Marketing zielt also darauf, potenzielle Kunden dort anzutreffen, wo sie sich digital ohnehin häufig aufhalten, indem sie beispielsweise mit Freunden, Familie oder Kollegen in Kontakt sind. Es setzt voraus, zu identifizieren, welche Dienste bzw. Social Media von den Zielgruppen genutzt werden. Affiliate Marketing Affiliate Marketing ist eine Sonderform der Zusammenarbeit eines Verkäufers mit einem anderen Website-Betreiber im Internet. Der Website-Betreiber stellt dem Verkäufer Werbemöglichkeiten auf seiner Website, meist in Form von Bannern oder Verlinkungen zu dessen

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3  Marketingmix im digitalen Wandel

Onlineshop zur Verfügung. Der Websitebetreiber erhält dafür eine Provision, die sich nach Kriterien wie Klicks, gewonnenen Kontakten oder eingegangenen Bestellungen etc. richtet. Virales Marketing Im Viralen Marketing werden Werbebotschaften elektronisch verbreitet, in der Hoffnung, dass sie „viral gehen“ bzw. von den Empfängern aufgrund ihrer Originalität oder Brisanz weiterverbreitet werden. Ein frühes Beispiel war eine E-Mail als Kettenbrief „Ericson verteilt Handys“, womit das Unternehmen Aufmerksamkeit erreichte und mittels der Rückmeldungen die E-Mail-Adressen potenzieller Kunden sammelte. Heute würde eine solche Mail als Spam eher Verärgerung hervorrufen. Für virales Marketing ist eine besondere Kreativität erforderlich, um die gewünschte Reaktion zu provozieren. Werbetreibende versuchen beispielsweise, in die Social Media originelle Posts zu setzen, die so witzig oder interessant sind, dass sie „freiwillig“ von den Usern verbreitet werden. Suchmaschinenmarketing/Search Engine Optimization (SEO) Das Auffinden der Angebote durch die potenziellen Kunden ist die Voraussetzung für Verkäufe im E-Commerce. Die inzwischen wahrscheinlich wichtigste elektronische Werbeform ist deshalb die Suchmaschinenoptimierung, auch Suchmaschinenmarketing oder SEO (Search Engine Optimization). SEO soll dafür sorgen, dass die Website des Unternehmens und dessen Angebote möglichst leicht von den Interessenten an einem bestimmten Produkt gefunden werden. SEO beinhaltet die Maßnahmen zur Optimierung der Sichtbarkeit einer Website, die Verbesserung der Platzierung einer Website in den Suchergebnissen von Suchmaschinen und die der Erhöhung des Website-Traffic. Für eine Zielgruppe kann Content mit Keywords „gespickt“ werden, nach denen potenzielle Kunden im Internet suchen. Die Schlagworte werden mit SEO so kombiniert, dass die Angebote des Unternehmens gefunden werden und dessen Website bei den Suchvorgängen vorrangig, vorzugsweise ganz oben, erscheint. Bei der Suchmaschinenwerbung lassen sich Onlineanzeigen auf potenzielle Kundenkreise abstimmen. Die Anzeigen werden z. B. durch Google Ads kostenpflichtig oberhalb oder unterhalb der Suchergebnisliste platziert. Der Preis wird in der Regel per „Cost-per-­ Click“ abgerechnet. Social Media Marketing Social Media sind Onlineplattformen und -applikationen, die dem Austausch von Informationen und der Unterhaltung dienen. Social-Media-Nutzer sind mit Freunden und Bekannten, aber auch mit Organisationen, Firmen, Medien etc. über Social Media in Verbindung. Sie informieren sich in den sozialen Medien über persönlich wichtige Themen. Auf diesem Weg können auch Werbende die User von Social Media erreichen. Neben sozialen Netzwerken wie Facebook stehen Blogs, Foren/Communitys, Bewertungs- und Auskunftsportale etc. zur Verfügung (vgl. z. B. Weis 2018, S. 47 ff.). Social-Media-Netzwerke wie Facebook, LinkedIn, Twitter oder Instagram haben hohe Reichweiten. Durch Social-Media-Aktivitäten möchten die Unternehmen ihre Bekannt-

3.4 Kommunikation

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heit steigern, Kundenkontakte gewinnen, Kundentransaktionen und Kundenbindung schaffen. Die Erreichbarkeit definierter Zielgruppen wird effektiver und kontrollierbarer als mit herkömmlicher Werbung. Der besondere Wert stellt dabei die Mehrwegkommunikation dar: Die Social-­Media-­ Nutzer sind nicht nur Informationsempfänger, sondern auch Sender von Informationen. Der Empfänger einer Werbung über Social Media kann das Unternehmen sofort unaufwändig kontaktieren. Für Werbetreibende bieten die Social Media viele Möglichkeiten, mit den Verbrauchern direkt zu interagieren, bis hin zum Verkaufsabschluss. Influencer Marketing Influencer Marketing wird meist als Form des Social-Media-Marketings verstanden, kann jedoch über viele unterschiedliche Kanäle erfolgen. Produkte werden empfohlen, diskutiert oder beworben von Personen oder Organisationen, die eine Art von Expertentum und sozialen Einfluss durch eine möglichst hohe Anzahl ihrerFollower besitzen. In Deutschland geht es im Influencer Marketing bislang meist noch um die Präsentation und Empfehlung von Produkten bzw. deren Verbreitung in den Onlineplattformen. Neue Apps ermöglichen den Kauf der empfohlenen Produkte auf einer Social Media Plattform. In China werden über die Influencer bereits Verkäufe in eindrucksvollem Ausmaß getätigt. Der Vorteil von Influencer Marketing ist die Erreichbarkeit einer spezifischen Zielgruppe: Die Follower einer Modebloggerin sind besonders an Modethemen und -produkten interessiert. Auch geht man davon aus, dass die Follower den Influencern ein beson­ deres Vertrauen entgegenbringen. Kreative, professionell gestaltete Darbietungen von Influencern eröffnen für die Anbieter ein neues Spielfeld und können zielgruppengenaue Aufmerksamkeit für die Produkte schaffen. Ob Influencer Marketing allerdings eine nachhaltige Form der Werbekommunikation bleibt, muss sich erst noch zeigen. Motive und Erscheinungsformen des Influencer Marketings gleichen sich heute sehr. Eine Vielzahl von Influencern buhlt um die Gefolgschaft. Follower durchschauen in wachsendem Maße die bloßen Verkaufsabsichten der ­Influencer. Auch ist das Wirken der Influencer von einem Unternehmen nur begrenzt steuer- und kontrollierbar und folglich mit Risiken behaftet. Virtuelle Influencer bzw. Avatare sind deshalb eine Option für vom Unternehmen kontrolliertes Influencer-Marketing. Product Placement Product Placement versteht man als Integration von Produkten (oder Dienstleistungen) eines Werbetreibenden in Medienprogramme (z. B. Kino-, Video-, Fernsehprogramme). Ziel ist es, die Bekanntheit des Produktes zu erhöhen, Funktionen und Leistungen darzustellen. Beispielsweise wird ein Werbeobjekt im Rahmen der Spielhandlung von Filmen, Fernsehsendungen etc. platziert, z. B. ein Kreuzfahrtschiff. Der Urlaub an Bord wird dabei von seiner schönsten Seite gezeigt und soll Kunden für diese Reiseform anlocken. Im sog. On-Set-Placement taucht ein Produkt auf, gehört aber nicht direkt zur Handlung, z. B. eine bestimmte Automarke im James-Bond-Film. Im Creative Placement erhält das Produkt sogar eine Rolle, z. B. wenn ein KUKA-Roboter im James-Bond-Film agiert.

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3  Marketingmix im digitalen Wandel

Eventmarketing Eventmarketing bezeichnet die Planung und Durchführung von Veranstaltungen für die Stakeholder eines Unternehmens. Marketingevents im B2C bedienen vor allem die Erlebnisorientierung der Kunden. Konsumentenmessen sollen vor allem für die Kundengewinnung sorgen. An ein eher professionelles Publikum richten sich Fachmessen, Presse- und andere Konferenzen, Verkaufspräsentationen oder Investorenevents. Als inszenierte Aktionen verursachen diese Formen des öffentlichen Auftritts eines werbetreibenden Unternehmens erheblichen Aufwand, weshalb ihre Effizienz vorab eingeschätzt werden muss. Sie dienen der Kundenbindung, Neukundengewinnung, der Imageverbesserung, der Pflege der Zielgruppenkontakte und Aktivierung der Kunden. Pop-up-Stores Pop-up-Stores, auch Pop-up-Retail oder Flash Retailing genannt, sind ein relativ neues Konzept, das zwischen Verkauf, Eventmarketing und Branding anzusiedeln ist. Kurzfristig werden Verkaufsflächen, meist in attraktiven Innenstadtlagen, angemietet und geöffnet, für einige Tage oder Wochen, um kurze Zeit später in die nächste Stadt weiterzuziehen. Ein schneller Warenabsatz für Saisonware kann ein Ziel sein: Potenzielle Kunden sollen durch die nur zeitlich begrenzte Verfügbarkeit zum spontanen Kauf motiviert werden. Das plötzliche Auftauchen einer Marke in einem angesagten Umfeld kann auch der Imagepflege dienen. Durch Events kann der Pop-up-Store für einige Zeit zu einem Szenetreff avancieren, für Mundpropaganda und eine Verbreitung über Social Media sorgen. Guerillamarketing Unter Guerillamarketing versteht man unkonventionelle, die Verbraucher überraschende Werbeformen, bei denen durch ungewöhnliche Wege und Ideen Aufmerksamkeit erregt wird. So hat beispielsweise eine Kaffeemarke in den USA Gullideckel mit dem Foto eines Blicks auf eine Kaffeetasse von oben beklebt, mit dem Zusatz: „Hey, City that never sleeps. Wake up“ sowie mit ihrem Markennamen. Die im Winter dampfenden Gullideckel erregten Aufmerksamkeit. Das Beispiel zeigt, worum es geht: Einen „Hingucker“ zu schaffen, der so originell ist, dass die Menschen darüber sprechen, ihn möglichst in den Social Media teilen. Der Name des Anbieters soll mit der herausragenden, originellen Idee verbunden werden. Guerilla Marketing erfordert Ideen und Kreativität. Die Aktionen können jedoch meist nur einmal durchgeführt werden, in der Wiederholung wären sie langweilig. Verkaufsförderung oder Sales Promotion Sales Promotion besteht in der Regel aus zeitlich befristeten Maßnahmen, die die Absatzförderung im Handel zum Inhalt haben. Sie richtet sich meistens an die Verkaufshelfer. Hierzu zählen Aktionen wie z. B. Händlerschulungen, Warenpräsentationen oder Werbung am Verkaufsort. Sie sollen durch ihren Aktionscharakter die Marktbeteiligten bzw. die Händler und Kunden motivieren, Verkäufe abzuschließen.

3.4 Kommunikation

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3.4.1 „Above the line“ und „Below the line“ in der Digitalisierung Unter Above-the-line-Maßnahmen wird in den Marketingbüchern die klassische, traditionelle Werbung verstanden. Diese wird von Below-the-line-Aktivitäten abgegrenzt. Den „Below-the-line-Maßnahmen“ werden die anderen Formen, wie Direktmarketing, PR, Sponsoring, Eventmarketing und Messeauftritte, Product Placement, Affiliate Marketing, Social Media Marketing, Suchmaschinenoptimierung, etc. zugeordnet. Man sieht an dieser traditionellen begrifflichen Unterteilung, dass der klassischen Werbung über die Massenmedien eine hohe Bedeutung eingeräumt wurde. Es ist im obigen Abschn. 3.4 offensichtlich geworden, dass mit zunehmender Digitalisierung die „Below-­ the-­line“-Aktivitäten enorm zugenommen haben. Die klassische Werbung in den Massenmedien ist heute unter Druck, die Digitalwerbung wächst weiter. Dies stellt auch der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) in seiner Bilanz für das Jahr 2018 fest (vgl. Horizont, online). Der Blick auf die Entwicklung der Werbewirtschaft zeigt, dass die klassischen Werbeträger Zeitungen, Anzeigenblätter, Fach- und Publikumszeitschriften, Verzeichnismedien und Fernsehen hinsichtlich der Werbeeinnahmen schwächer werden. Ein anderes Bild ergibt sich für Werbeformen wie Sponsoring, Werbeartikel und Suchwortvermarktung. Insbesondere Search (SEO) gilt als Treiber. Nimmt man die Ausgaben für digitale Werbung (Online, Mobile-­ Werbung und Search) zusammen, so liegt die Digitalwerbung heute vor der TV-Werbung. Dennoch schalten die Anbieter weiterhin noch Print- und Rundfunkwerbung. Es scheint sich wieder einmal die im Medienbereich schon lange gültige The-more-the-more-Regel zu behaupten: „Alte“ Medien werden noch eine ganze Zeit neben neuen Medien bestehen bleiben.

3.4.2 Alte und neue Werbeplanung Die Vorgehensweise der traditionellen Werbeplanung ist: • In der Werbeobjektplanung werden die Produkte oder Objekte bestimmt, die das Unternehmen bewerben möchte. • Werbesubjekte bzw. Zielgruppen werden festgelegt. • Werbemittel werden definiert. Werbemittel sind zu verstehen als „konservierte“ Werbebotschaften, z. B. in Form von Ad Spots, Anzeigen etc. • In der Mediaplanung werden Werbeträger und Medien ausgewählt. • Die Werbeagentur stellt den Kontakt zu den Werbeträgern her und sorgt für die Umsetzung. Heute ist das Spektrum der zu berücksichtigenden oder in Frage kommenden Werbeträger und -medien sehr groß. Die Digitalwerbung sorgt dafür, dass Zielgruppen weitaus genauer erreicht werden können als früher durch die Streuwerbung in den Massenmedien

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3  Marketingmix im digitalen Wandel

Zeitung und Rundfunk etc. Die Werbetreibenden fordern zunehmend Kontrolle, welche Medien die Zielgruppen erreichen, wie effizient die eingesetzten Werbemittel und -medien sind, um die Werbeausgaben effektiv zu gestalten. In einer untergehenden Werbewelt bezahlte der Werbetreibende die Werbeagentur nach dem Volumen der gebuchten Medien. Als Gebühr dafür fällt im alten Modell ein Prozentsatz der Ausgaben für die gebuchten Medien an. Letztlich funktionierte das alte Geschäftsmodell – überspitzt formuliert – als „Abgreifen“ der Werbebudgets der werbetreibenden Unternehmen. In den Unternehmen gelten die Budgets für Werbung zunehmend als Kostenfaktor, über den Rechenschaft abgelegt werden muss. Werbetreibende nehmen immer mehr die Werbeangebote von Plattformen an: weil diese nah am Kunden sind und Transparenz, auch über den Einsatz der Werbeausgaben bieten. Als Verlierer der Digitalisierung gelten heute die herkömmlichen Werbeagenturen. Im traditionellen Geschäftsmodell fungieren sie als Vermittler zwischen Werbetreibenden, Medien als Werbeträger und Endkunden. Viele Agenturen haben sich inzwischen auf Digital Marketing spezialisiert und bieten Werbetreibenden die verschiedenen neuen Optionen, wie Content Marketing, Suchmaschinenoptimierung, Social-Media-Werbung etc. an. Dies stellt auch neue Anforderungen an die Werbeagenturen, die zunehmend in der Lage sein müssen, datengetrieben zu arbeiten. „Performance Marketing“ will definieren, mit welchen Instrumenten des Onlinemarketings die Zielgruppen am besten zu erreichen sind und Werbeausgaben messbar machen. Im Rahmen des erfolgsbasierten Onlinemarketings erfolgt eine leistungsbezogene Honorierung der Medien in Abhängigkeit von den messbaren Reaktionen oder Transaktionen der Kunden, z. B. „Pay per Click“, „Pay per Lead“ oder „Pay per Sale“. Der Kunde zahlt für messbare Ergebnisse. Performance Marketing grenzt sich deutlich von der alten, vor allem durch Reichweite bestimmten Abrechnungsmethode für Werbemaßnahmen (z.  B. des sog. ­Tausender-­Kontakt-­Preises) ab. Es gibt allerdings auch andere Methoden, um die Effizienz von Werbekampagnen zu ermitteln, z. B. den ROAS oder „Return On Advertising Spend“.

3.4.3 Kommunikation im Wandel der Digitalisierung Die Digitalisierung hat im Bereich der Kommunikationspolitik insbesondere zu folgenden Veränderungen geführt: • Verkauf, Werbung und Kundenbetreuung werden zunehmend digitalisiert. Viele Hersteller verkaufen hauptsächlich über E-Commerce. E-Commerce findet sowohl im B2C wie zunehmend auch im B2B statt. • E-Commerce wird begleitet von digitalen Werbemaßnahmen wie z.  B.  Suchmaschinenwerbung. Ständig tauchen neue technische Optionen auf z. B. Suchanfragen über Sprachassistenten (Voice Search SEO). Das Marketingmanagement benötigt technische Kompetenz, um mit den digitalen Optionen umgehen zu können.

3.4 Kommunikation

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• Die Bedeutung von zielgruppengenauer Werbung, z. B. Suchmaschinen- und Social-­ Media-­Marketing wächst vor allem zu Lasten der Werbung in den Massenmedien. • Datenanalyse und künstliche Intelligenz im Marketing ermöglichen den Gewinn zunehmend exakterer Informationen, auch über die Effizienz der Werbeträger. Werbetreibende fordern und erhalten Kontrolle über die Werbeeffizienz. • Die gesamte Werbebrache hat sich stark gewandelt. Die etablierten Werbeagenturen verlieren weltweit an Bedeutung. Plattformen wie Google, Facebook, Amazon und spezialisierte Unternehmen, Berater oder Agenturen, versprechen den Werbetreibenden eine genauere Zielgruppenansprache sowie Transparenz und Messbarkeit des Werbeaufwandes. • Chatbots übernehmen manchmal schon die Kommunikation im Verkauf und Kundenservice. Sie werden auch auf der Website eingesetzt, um Fragen zu beantworten oder können in sozialen Netzwerken aktiviert werden. Noch werden sie von den Kunden wenig akzeptiert, weil sie oft technisch noch nicht ausgereift sind. • Die Empfehlungen anderer Kunden spielen als Kaufargument, gerade bei den Nutzern von Verkaufsplattformen, eine entscheidende Rolle. Den Empfehlungen der Mitmenschen wird weitaus mehr vertraut als den Aussagen der Werbetreibenden. Die Beobachtung von Reaktionen auf Kundenbewertungen ist eine wichtige Aufgabe der Unternehmenskommunikation geworden, zumal sie auch wertvolle Customer Insights bieten. Schlechte Kundenbewertungen geben Anhaltspunkte für Verbesserungen, sind jedoch ein Imageproblem. Sie mögen manchmal ungerechtfertigt, von Konkurrenten oder vergraulten ehemaligen Mitarbeitern geschrieben worden sein. Besondere Dienste und Anwälte haben sich darauf spezialisiert, ungünstige Kundenbewertungen zu löschen. Viele Onlineverkäufer haben ein System, um Rezensionen zu sammeln und zu verwerten. Unseriöse Angebote, positive Kundenbewertungen für Google oder andere Plattformen zu kaufen, gibt es zuhauf. Positive Bewertungen zu kaufen scheint verlockend. Bei gekauften Bewertungen handelt es sich jedoch rechtlich um Täuschung, die eine Abmahnung nach sich ziehen kann. Werbetreibenden ist davon dringend abzuraten. Solche Praktiken sind inzwischen bekannt. Amazon entfernt gekaufte Bewertungen. Bei der Vielzahl der digitalen Werbeoptionen ist die Integration der Kommunikation eine Herausforderung. Es besteht generell ein wachsender Abstimmungsbedarf aller Marketingmaßnahmen. Auch in der Kommunikation wird Big Data genutzt, um Muster zu erkennen und Prozesse zu automatisieren. Algorithmen können das Mediennutzungsverhalten und die Präferenzen der Kunden „erlernen“ und den Kunden individualisierte Kommunikations­ inhalte mit Produktempfehlungen anzeigen. Alibaba experimentiert heute schon mit automatischen, personalisierten Werbebannern. Für Werbetreibende sind solche Maßnahmen effizienter und billiger als Massenwerbung. Sie können auch in Echtzeit geschehen. Selbstgesteuerte Empfehlungssysteme können die Chancen für Cross Selling, dem Angebot und Verkauf von Zusatzprodukten, erhöhen (vgl. Gentsch 2019, S. 72). Vom Kommunikationsmanagement gefordert ist eine gewisse Technikkompetenz, um mit den fortgeschrittenen Analyse- und Prognosemethoden umgehen und neue Tools in

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3  Marketingmix im digitalen Wandel

ihrer Bedeutung ermessen zu können. Diese Kompetenz muss verfügbar gemacht werden, was häufig mithilfe von AdTec-Unternehmen oder über den Einsatz spezialisierter Agenturen erfolgt. Schon heute, aber spätestens sobald die Künstliche Intelligenz weiter ausgereift ist, werden eine Vielzahl der Aufgaben in Marketingkommunikation und Werbung, vor allem Text- und Grafikgestaltung, Mediaplanung und -einkauf – automatisiert von Maschinen erledigt werden können (vgl. auch Koch, online). Die Aufgaben der Kommunikationsabteilungen werden sich in Zukunft wesentlich verändern.

3.5

Fazit: Marketingmix im digitalen Wandel

Plattformökonomie und virtuelle Marktplätze eröffnen den Nachfragern rund um die Uhr ein nahezu unbegrenztes, transparentes Produktangebot. Verkauft wird zunehmend direkt oder über Verkaufsplattformen. Der herkömmliche Handel steht unter Druck. Handel bedeutet Wandel – die Händler müssen sich neu erfinden. Kundenattraktive Omnichannel-­ Strategien werden geschaffen. E-Commerce geht mit Forderungen nach einem möglichst perfekten Lieferservice einher. Der Kontrahierungsmix sieht sich vor neuen Herausforderungen. Durch kundenindividuelle Preise wird versucht, Zahlungsbereitschaften auszuloten und auszuschöpfen. Die Promotionseffizienz muss im Auge behalten werden, damit die Unternehmen wirtschaftlich arbeiten können. Im Kommunikationsmix werden die Zielgruppen immer genauer durch neue digitale Optionen erreicht. Der Kommunikationserfolg lässt sich immer exakter bestimmen. M ­ essbarkeit der Maßnahmen wird zur zentralen Forderung von Werbetreibenden. Durch die Vielzahl neuer digitaler Möglichkeiten scheint die Kommunikation innerhalb des Marketingmix stark an Gewicht gewonnen zu haben. Die Zersplitterung durch viele unterschiedliche Digitalmedien droht und führt dazu, dass sich Unternehmen stärker um die Integration der Kommunikationsmaßnahmen bemühen müssen. Beispielsweise wird die Social-Media-­Kommu­ nikation in den Organisationen oft jungen Teams überlassen, die Abstimmung mit dem Gesamtimage des Unternehmens ist dabei jedoch nicht immer gewährleistet. Die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit wird insofern künftig weiter zunehmen, um ein konsistentes und glaubwürdiges Image von Unternehmen, Marken und Produkten zu bewahren. Konsumenten, insbesondere die Nutzer von Plattformen, vertrauen den Urteilen der Mitkonsumenten. Empfehlungen sind ausschlaggebend für Kaufentscheidungen, Konsumenten lassen sich vom Faktor F (Friends, Follower, Family) leiten. Digitalmedien erleichtern den Zugang zu diesen Empfehlungen. Für Unternehmen ist es eine Aufgabe, den F-Faktor zu steuern, um Schaden vom Unternehmen abzuwenden und Empfehlungen ertragsfördernd einzusetzen.

4

Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0

Nach der Auseinandersetzung mit der Digitalisierung im Marketing in den Kap. 2 und 3 wollen wir in Kap. 4 nun der zunehmenden Menschenorientierung nachgehen. Der Mensch rückt, zunächst als Kunde und Mitarbeiter, schließlich als Stakeholder des Unternehmens und als Mitglied der Gesellschaft, immer weiter ins Zentrum von Marketingtheorie und -praxis. In einem kompakten, praxisorientieren Fachbuch soll und kann nicht der komplette Forschungsstand der Marketingwissenschaft abgebildet werden. Die Verfasserin behält sich vor, eine Auswahl älterer und neuerer Überlegungen, Ansätze und Konzepte zu treffen, die den Bedeutungszuwachs des Faktors Mensch im Marketing zeigen. Die Folgenden wurden identifiziert: • • • •

die Erweiterung der 4Ps, das Integrative Marketing, das Dienstleistungsmarketing und das Erlebnismarketing.

Ein Überblick über die Entwicklungsphasen des Marketings in der Praxis zeigt, dass unterschiedliche gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Voraussetzungen in Deutschland jeweils zu unterschiedlichen Blickwinkeln auf das Marketing und entsprechenden Marketingorientierungen geführt haben. Aktuelle Publikationen stellen den Menschen per se in den Mittelpunkt. Skizziert werden zwei, die diese Tendenz exemplarisch zeigen: • Der Deloitte Global Marketing Trends Report 2020 und • das Human-to-Human-Marketing nach Pförtsch und Sponholz (2019).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Gutting, Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29429-8_4

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52

4  Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0

Abschließend sollen in einem Zwischenfazit die Forderungen an modernes Marketing 4.0 zusammengefasst werden, die sich aus der praktischen Marketingentwicklung in Deutschland und den Marketingansätzen und -konzepten der Wissenschaftler ergeben haben.

4.1

 ie Erweiterung der 4 Ps auf 7 Ps: People, Processes, D Physical Evidence

Auf das klassische 4P-Marketing wurde in Kap. 3 eingegangen. Aufgrund seiner praktischen Anwendbarkeit wurde es auch in diesem Buch zum Ausgangspunkt genommen. Diesen instrumental-entscheidungsorientierten Marketingansatz, verbunden mit Wissenschaftlern wie McCarty, Gutenberg, Dichtl, und Meffert, erweiterte Philip Kotler aus amerikanischer Perspektive mit seinem „Generic Concept of Marketing“. Mit der Definition „Marketing is the science and art of finding, keeping and growing profitable customers“ (Kotler 1999, S. 121) setzt Kotler den Kunden ins Zentrum: Marketing hat vor allem die Aufgabe, profitable Kunden zu gewinnen, zu entwickeln und zu binden. (Auf das Thema der Kundenbindung wird in Kap. 8 weiter eingegangen werden.) Auch in Deutschland wurde der 4P-Marketing-Ansatz erweitert. Die Bedeutung weiterer „Ps“ wurde erkannt. Als die wichtigsten gelten: People, Processes und Physical Evidence. Das P für „People“ bezieht sich auf die Kunden und auf die Mitarbeiter des Unternehmens. Der Mensch tritt in der Marketingtheorie in den Vordergrund: Man hatte realisiert, dass die klassischen 4 Ps den Menschen zumindest nicht explizit berücksichtigen. Die Relevanz der „Processes“ bzw. der Prozesse im Marketing lässt sich an einem Beispiel zeigen: Wenn ein Kunde einen Flug bzw. eine Flugverbindung kauft, so geht es in erster Linie um einen sicheren und zuverlässigen Transport von einem Punkt A zu einem Punkt B. Für den Kunden ist es jedoch auch relevant, wie angenehm oder unangenehm dieser Transport, somit der Prozess des Fliegens, ausfällt. Die Fluggesellschaften machen sich beispielsweise die Relevanz des Prozesses zunutze, indem sie ihren Kunden Business- und First-Class-Flüge anbieten. Damit lassen sich deutlich höhere Preise verlangen. Ein angenehm gestalteter Prozess durch mehr Platz, den Besuch einer Lounge vor dem Flug und einem besonderen Service während des Flugs sind Argumente für den Kunden, höhere Preise zu akzeptieren. Qualitätsanbieter unter den Fluggesellschaften unterscheiden sich damit von Billig-Airlines, die sich auf den Preiswettbewerb für die Transportleistung konzentrieren. „Physical Evidence“ kann verstanden werden als „materieller“ Teil von Dienstleistungen (Dienstleistungsmarketing wird gesondert diskutiert in Abschn. 4.3). Ein Beispiel aus der Gastronomie: Die Unzufriedenheit eines Kunden mit einem einwandfreien Gericht kann durch die negative Wahrnehmung des Ambientes hervorgerufen sein. Vielleicht war es dem Gast in dem Restaurant zu kalt, zu laut oder es war optisch nicht ansprechend. In die Beurteilung einer Dienstleistung fließen physisch wahrnehmbare Faktoren ein. Die Ausstattung und Ausgestaltung des Lokals prägt den Eindruck des Kunden von der Gesamtleistung des Restaurants. Sie wirkt sich damit auch auf die wahrgenommene

4.2  Integratives Marketing

53

Qualität des Essens aus. Schon im Vorfeld eines Restaurantbesuchs nehmen potenzielle Kunden die Gestaltung eines Lokals als Anhaltspunkt, um auf die Qualität des Essens und der Serviceleistung zu schließen. Deshalb ist das Ambiente bzw. sind die tangiblen Elemente ansprechend zu gestalten. Höchst relevant ist beispielsweise die „Physical Evidence“ für die Markenführung internationaler Hotelketten: Von 5-Sterne-Hotels werden bestimmte Ausstattungsmerkmale erwartet. Auch im o. g. Beispiel eines Flugs oberhalb der Economy Class werden tangible Elemente in die Leistung integriert: Eine angenehme Ausstattung der Lounge oder das Servieren erlesener Weine während des Fluges bereichern den Flugtransport mit buchstäblich greifbaren Vorteilen. Mit der Erweiterung der 4 auf 7 Ps setzt eine zunehmende Orientierung an den Menschen, ihren Wünschen und Bedürfnissen ein.

4.2

Integratives Marketing

Das „P“, das für „People“ bzw. für Kunden und Mitarbeiter steht, ist Ausgangspunkt vieler neuerer Marketingansätze, so auch im „Integrativen Marketing“. Eine kurze Beschreibung der wichtigsten Elemente zeigt die Aktualität dieses Ansatzes. „Marketing bedeutet, unter Beteiligung aller Mitarbeiter auf effiziente Art und Weise einen überlegenen Kundennutzen zu schaffen, um überdurchschnittliche Gewinne zu erzielen“ (Meyer und Davidson 2001, S. 29). Nach dieser Definition setzt integratives Marketing an den Mitarbeitern an. Meyer und Davidson (2001) richteten sich gegen die organisatorische Aufgliederung nach Marketinginstrumenten und fordern integriertes Marketing als Führungsaufgabe. Marketing soll als Denkhaltung das ganze Unternehmen durchziehen. Eine starke Orientierung am Kundennutzen gilt Meyer und Davidson (2001) als zen­ trale Dimension des Marketings. Sie ist mit den folgenden Forderungen verbunden: • Marketing verstehen die Autoren als Querschnittsfunktion durch das Unternehmen: Alle Mitarbeiter sollten marketingorientiert denken. Dazu muss eine besondere Unternehmenskultur geschaffen werden. Mitarbeiter sollen sich als Repräsentanten des Unternehmens verstehen. Dies erfordert das Setzen von Standards, die den Mitarbeitern Aufschluss über die gestellten Anforderungen geben, sowie Monitoring und Feedbacksysteme. Weiter sind Anreizsysteme zu schaffen, um das Mitarbeiterverhalten entsprechend zu lenken. Die interne Kommunikation ist zur Unterstützung dieser Aufgabe zu nutzen. • Die Ablauforganisation muss an den Kundenbedürfnissen ausgerichtet werden. Die Schnittstellen des Unternehmens zu den Kunden sind zu identifizieren und zu gestalten. Moderne Überlegungen zur Gestaltung der Customer Journey stimmen mit diesem Gedanken überein. • Gefordert werden zielgruppenbezogene anstelle von produktbezogenen Strategien und stark kundenorientierte Leistungsangebote. Die Idee des One-to-one-Marketings bzw. die einer weitergehenden Personalisierung der Angebote scheint auf.

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4  Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0

• Die Autoren verweisen auf den Vorsprung, den der direkte Kundenkontakt im Zielgruppendenken bietet. Erkannt wurde, dass sich durch den direkten Kundenkontakt Individualisierungsvorteile schaffen lassen, heute durch neue Technologie, sowohl in der Güter- als auch in der Kommunikationsproduktion. In Kap.  2 wurde bereits auf die Gefahren verwiesen, die der Verlust des direkten Kundenkontakts durch die Nutzung von Plattformen für einen Anbieter bedeuten können. • Betont wird die Notwendigkeit einer durchgängigen Marketingkommunikation. Beim Absatz über mehrere Handelsstufen bzw. Marktketten erfolgt meist eine organisatorische Differenzierung zwischen dem auf den Handel gerichteten Marketing bzw. dem Trade Marketing und dem Consumer Marketing. Eine solche Differenzierung kann desintegrierend wirken. Die Autoren fordern die Erschaffung eines ganzheitlichen Unternehmensbildes: Integriertes Marketing soll bei allen relevanten Zielgruppen zu einem ganzheitlichen Bild des Unternehmens und seiner Leistungen führen. Heute ist dies wichtiger denn je: Durch eine Vielzahl digitaler Medien und Onlinekontakte droht eine Zersplitterung der Marketingkommunikation. Integratives Marketing verweist somit auf zentrale Aspekte des modernen Marketingmanagements: • die Gestaltung von Touchpoints zum Kunden, • die Schaffung eines ganzheitlichen Unternehmensbildes, beispielsweise durch eine konsequente Markenführung, • die Personalisierung von Angeboten, • die Gestaltung einer Unternehmenskultur, um die Mitarbeiter zur Schaffung des „überlegenen“ Kundennutzens zu motivieren. Weitere Marketingansätze, z. B. die Konsumentenforschung bzw. der verhaltenswissenschaftliche Marketingansatz, vor allem verbunden mit dem Wissenschaftler Kroeber-­ Riel (vgl. z. B. Kroeber-Riel und Weinberg 1999) stellen ebenfalls den Kunden ins Zen­ trum: Konsumentenforschung beschäftigt sich mit der Erklärung und Beeinflussung des Konsumentenverhaltens.

4.3

Dienstleistungsmarketing

Service wird für Kunden geleistet, der Mensch steht im Mittelpunkt. Zwischen dem Bedeutungszuwachs des Menschen im Marketing und der Entwicklung des Dienstleistungsmarketings scheint ein Zusammenhang zu bestehen (vgl. auch Pförtsch und Sponholz 2019). Die Notwendigkeit einer starken Ausrichtung am Kunden besteht allerdings auch im B2B-Marketing.

4.3 Dienstleistungsmarketing

55

4.3.1 D  er Kunde im Zentrum: im Dienstleistungs-, aber auch im B2B-Marketing Sektorales Marketing unterscheidet grundsätzlich folgende Arten: • • • • •

Konsumgüter- oder B2C-Marketing Produktiv- bzw. Investitionsgüter oder B2B-Marketing Dienstleistungsmarketing Handelsmarketing Non-Profit-Marketing

Im B2B- bzw. im Investitionsgütermarketing haben Ansprüche auf technologisch immer ausgereiftere und auf konkrete Bedürfnisse zugeschnittene Leistungen den Kunden in den Blickpunkt gerückt. Business-Märkte erfordern häufig die Individualisierung von Leistungen, was an den folgenden Beispielen offensichtlich wird: • • • •

Unikate im Anlagenbau, Sonderanfertigungen im Maschinenbau, kundenspezifische Produktvarianten, z. B. im Zulieferergeschäft, individuelle Dienstleistungen für industrielle Nachfrager, z.  B.  Planungs-, Engineering- und Beratungsleistungen

(vgl. z. B. Jacob, in: Marketing 2/2003, S. 83 ff.). Ausschlaggebend für gute Leistungen ist die Fähigkeit der Anbieter, die Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen der Kunden schon in den frühen Planungsphasen und den Herstellungsprozessen einzubeziehen. Gerade in deutscher Perspektive hat diese Fähigkeit heute eine essenzielle Bedeutung. Digitalisierung und Industrie 4.0 erfordern von Technologieunternehmen, ihre Fähigkeiten in den relevanten Technologiefeldern weiter ausbauen, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Die Problemlösung für den Kunden ist zentrale Erfolgsvoraussetzung. Erforderlich ist der frühzeitige Einbezug der Nutzer zur Problem­ lösung für den Kunden. Im derzeit viel diskutierten „Design Thinking“ findet sich ebenfalls dieser Gedanke. Design Thinking ist eine relativ neue Methode zur kreativen und praktischen Lösung von komplexen Problemen. Die Probleme werden aus der Endnutzerperspektive durchdacht. Aufgrund der notwendigen Kundenintegrationskompetenz im Produktiv- und Investitionsgütermarketing orientieren sich auch die Hersteller im B2B an den wichtigsten Merkmalen des Dienstleistungsmarketings.

56

4  Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0

4.3.2 Merkmale von Dienstleistungen Das Angebot einer Dienstleistung ist zunächst lediglich ein Leistungsversprechen: • Es besteht keine Visualisierbarkeit. Der Kunde hat nicht die Möglichkeit, die versprochene Leistung vor der Erteilung des Auftrags zu inspizieren, • Nur das Umfeld und die sog. Potenziale der Dienstleister sind sichtbar. • Kunden benötigen somit zur Annahme einer Dienstleistung Vertrauen in den Anbieter. Serviceleistungen haben im Vergleich zu physischen Produkten besondere Eigenschaften: • Eine Dienstleistung hat nur ein begrenztes Standardisierungspotenzial. Sie ist in doppeltem Sinne individuell, weil sie in der Regel von Menschen für Menschen erbracht wird. Beide Seiten bringen ihre individuellen Eigenschaften in die Dienstleistung ein. Ein Beispiel: Eine perfekte Friseurleistung setzt einerseits Fachkenntnisse und Können des Friseurs voraus, aber andererseits auch eine zumindest hinreichende Haarqualität des Kunden. Im Service trifft jeweils ein anderer externer Faktor bzw. Kunde auf oft sogar unterschiedliche ausführende interne Faktoren bzw. Mitarbeiter. Diese doppelte Individualität erschwert neben der Standardisierung auch die Qualitätssicherung von Dienstleistungen. • Die sog. internen Faktoren eines Dienstleisters wirken sich stark auf die Gesamtleistung und damit auf die Kundenzufriedenheit aus. Zu den internen Faktoren gehören z. B. die Ausstattung des Dienstleisters, aber vor allem die Mitarbeiter. • Dienste werden „on demand“ erstellt. Sie sind nicht lagerungsfähig. Für die Anbieter von Dienstleistungen besteht damit das Problem des Kapazitätenmanagements. Eine ärztliche Leistung kann nicht vorgefertigt werden. Schlecht geführte Arztpraxen haben immer ein volles Wartezimmer, weil ihnen das Kapazitätenmanagement nicht gelingt. • Der Prozess der Dienstleistungserstellung hat hohe Marketingrelevanz. Hierzu wurde im vorigen Kapitel als Beispiel die Leistung einer Fluggesellschaft genannt: Nicht nur der Flugtransport von A nach B ist für den Kunden relevant, sondern auch, wie angenehm der Prozess der Durchführung gestaltet wird. Unterscheiden lassen sich individuelle Dienstleistungen von sog. kollektiven Dienstleistungen, z. B. denen einer Fluggesellschaft, bei denen viele externe und interne Faktoren aufeinandertreffen. Für die Gestaltung von Dienstleistungen ist es zunächst nötig, ein sog. Dienstleistungsdesign zu entwickeln. Die Leistungserstellung wird geplant: Es werden die Voraussetzungen für die Bereitstellung der Dienststellung und für ihre Reproduzierbarkeit geschaffen. Das Dienstleistungsangebot muss kommuniziert und verkauft werden. Der Dienstleister benötigt dabei einen Vertrauensvorschuss des Kunden. In der sog. Servuction

4.3 Dienstleistungsmarketing

57

(ein Kunstwort aus „Service“ und „Produktion“) findet schließlich die Interaktion von Mitarbeitern, Kunden und Leistungsumfeld statt. Für Dienstleister bestehen die folgenden Herausforderungen: • Dienstleistungen sind intangibel, können vorab nicht beurteilt werden. Der Dienstleister muss sich des Kaufrisikos des Kunden bewusst sein. Er muss versuchen, dieses zu senken, damit sein Angebot angenommen wird. • Der Anbieter muss die Wünsche und Erwartungen seiner Kunden zunächst möglichst gut kennen bzw. sich ein klares Bild darüber verschaffen. • Mit steigendem Grad der Komplexität scheinen die Kundenerwartungen zu steigen. Kunden erwarten perfekte Lösungen, gerade wenn die zu erstellende Leistung für sie nicht überschaubar ist. Beispielsweise bei IT-Projekten führt diese Haltung der Kunden häufig zu dem sog. „overpromising“ des Anbieters. • Der Dienstleister muss einerseits das Vertrauen des Kunden gewinnen, andererseits die Erwartungen des Kunden steuern. Wird eine zu hohe Erwartung erweckt, ist es schwierig, diese einzulösen. Da die Annahme einer Dienstleistung ein Risiko für den Kunden darstellt, bilden Dienstleistungskunden Kriterien, mit denen sie versuchen, die Qualität des Dienstleisters vorab einzuschätzen (vgl. auch Bebko, in: Journal of Services Marketing 2000, S. 11): • Von der optischen Erscheinung greifbarer Merkmale schließen Kunden auf die Qualität der zu erbringenden Leistung. Insofern müssen Dienstleister Wert auf das Erscheinungsbild des Büros, der Ausstattung, des Personals und der übergebenen Informationen und Unterlagen etc. legen. • Der Kunde sucht Anhaltspunkte zur Einschätzung der Zuverlässigkeit und zur Hilfsbereitschaft des Dienstleisters. Der Kunde fragt sich, inwieweit der Dienstleister willens und in der Lage ist, das Leistungsversprechen zu erfüllen. Ein Dienstleister muss deshalb stets höflich und entgegenkommend reagieren, z. B. Fragen zeitnah und korrekt beantworten. • Der Kunde will sich ein Urteil über die Fähigkeiten und das Wissen des Dienstleisters bilden. Dienstleister sollten bisherige Errungenschaften, realisierte Projekte, Empfehlungen anderer Unternehmen, Titel und besondere Leistungen der Mitarbeiter etc. explizit ausweisen. Alles, was die Kompetenz des Unternehmens und seiner Mitarbeiter unter Beweis stellt, sollte kommuniziert werden und für den Kunden abrufbar sein. • Nicht zuletzt suchen Kunden Empathie. Deshalb müssen die Mitarbeiter dem Kunden individuell Aufmerksamkeit entgegenbringen. Die Mitarbeiter sind der Schlüssel für anerkannt gute Dienstleistungen. Die zentrale Aufgabe des Dienstleistungsmanagements ist daher, die Motivation der Mitarbeiter zu fördern und zu steuern.

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4  Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0

4.3.3 Schlüsselfaktoren erfolgreicher Leistungsprogramme Für den Dienstleister stellt sich zuerst die Frage, wie es gelingen kann, für den Kunden ein annehmbares Angebot zu erstellen. Meyer und Dullinger (in: Meyer 1998, S. 711 ff.) haben drei Schlüsselfaktoren eines erfolgreichen Leistungsprogramms identifiziert: • Kreativität und Kompetenz des Angebots • Treffen der Wertvorstellungen der Kunden • Geschlossenheit der Bestandteile des Leistungsangebots Diese Faktoren knüpfen an die Bedürfnisse der Nachfrager an. Gelingt die Erfüllung der Kundenbedürfnisse, lassen sich nachhaltige Vorteile für den Anbieter schaffen. Kreativität und Kompetenz in der Angebotserstellung Bereits in der Angebotsphase sollte ein Dienstleister seine Kompetenz unter Beweis stellen. In diesem Stadium besteht ein Dienstleistungsangebot lediglich aus einem Leistungsversprechen, noch nicht aus wahrnehmbaren Ergebnissen. Die Eigenschaften von Gütern und Dienstleistungen kann man in drei Klassen unterteilen: • Sucheigenschaften bzw. Eigenschaften, die sich vor dem Kauf durch Inspizieren und Prüfen feststellen lassen. • Erfahrungseigenschaften bzw. Eigenschaften, die erst nach dem Kauf, also im Ge- und Verbrauch überprüfbar sind. • Vertrauenseigenschaften bzw. solche, die normalerweise weder vor noch nach dem Kauf von den Kunden überprüfbar sind. Dienstleistungen enthalten generell viele Erfahrungseigenschaften, die erst nach der Leistungserstellung beurteilt werden können. Ein Dienstleistungsangebot enthält normalerweise kaum Sucheigenschaften, dagegen viele Vertrauenseigenschaften. Das wahrgenommene Kaufrisiko des Kunden vor bzw. bei Vertragsabschluss ist deshalb sehr hoch bzw. deutlich höher als bei anderen Produkten. In der Angebotserstellung weist ein Dienstleister seine Kompetenz nach, indem er Kaufrisiken mindert und damit Kundenvertrauen aufbaut. In einem Angebot für komplexe Leistungen sollte der Kunde deshalb möglichst Sucheigenschaften finden: Leistungen, die bereits vor dem Kauf beurteilbar sind. Sucheigenschaften erleichtern die Bewertung und Annahme eines Angebots. Sie können beispielsweise bestehen aus Garantien und Gewährleistungen. Ein starkes Anbieter- oder Markenimage ist ebenfalls eine überprüfbare Sucheigenschaft.

4.3 Dienstleistungsmarketing

59

Treffen der Wertvorstellungen des Kunden Wertvoll ist eine Dienstleistung für den Kunden dann, wenn sie seine Wertvorstellungen trifft (vgl. Meyer und Dullinger, in: Meyer 1998, S. 718). Zu schaffen sind hier • eine Potenzialqualität • eine Prozessqualität • letztlich ein zufriedenstellendes Leistungsergebnis. Dafür zahlt der Kunde einen Preis. Über den Preis hinaus hat er zusätzlich Kosten der Nutzungs- und der Beschaffungsmühe. Meyer und Dullinger (in: Meyer 1998, S. 718) haben eine Formel für den Wert eines Leistungsangebots entwickelt: Potenzialqualität + Prozessqualität + erhaltenes Leistungsergebnis Preis + Kosten der Beschaffungsmühe + Nutzungsmühe

Potenzialqualität bedeutet, dass das Unternehmen für den Kunden gewisse Fähigkeiten bereithält bzw. zu bestimmten Leistungen bereit ist. Der Kunde nimmt sie vielleicht nie in Anspruch. Im Bedarfsfall können sie für ihn jedoch sehr wertvoll sein. Ein einfaches Beispiel: Ein gut informierter Hotelservice ist in der Lage, dem Kunden Empfehlungen für kulturelle Ereignisse oder Verkehrsverbindungen zu geben und im Notfall einen Arzt zu rufen. Für den Hotelgast werden also Informationen bereitgestellt, um ihn im Bedarfsfall damit zu versorgen. Das Hotel weist ein Potenzial auf, um auf eventuelle Kundenbedürfnisse reagieren und diese zufriedenstellend erfüllen zu können. Prozessqualität im Service muss berücksichtigen, dass der Kunde als Co-Produzent bzw. als sog. Prosumer in die Dienstleistungsproduktion involviert ist. Anders als bei anderen Gütern nimmt der Kunde den Erstellungsprozess direkt wahr, er nimmt an ihm teil. Aus Kundensicht sind deshalb bestimmte Qualitätskriterien bei der Erstellung einer Dienstleistung zu erfüllen, z. B. Zuverlässigkeit, Entgegenkommen, Souveränität und Einfühlung. Letztlich entscheidend für den Kunden ist jedoch das erhaltene Leistungsergebnis. Es besteht aus dem sichtbaren Endergebnis und aus möglichen Folgewirkungen in der Zukunft. Käufer von Dienstleistungsangeboten erhalten in der Angebotsphase lediglich ein Leistungsversprechen. In der Prozessphase konkretisiert sich dieses Versprechen. Am Ende steht das Leistungsergebnis. Ausschlaggebend für die Zufriedenheit ist nicht nur das Endergebnis, sondern langfristig auch mögliche Folgewirkungen. Dem Wert der Leistung stehen die Kosten gegenüber. Aus Kundensicht bestehen die Kosten für die bezogene Leistung aus dem bezahlten Preis und aus nicht monetären Kosten. Zu den nicht monetären Kosten der Beschaffungs- und Nutzungsmühe zählt die

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4  Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0

Bequemlichkeit der Beschaffung. Durch Onlineservice kann heute die Beschaffungsmühe geringgehalten werden. Komponenten der Nutzungsmühe sind Gebrauchstauglichkeit, Bedienungsfreundlichkeit und einfache Handhabung. Geschlossenheit der Bestandteile des Leistungsangebots Der dritte Schlüsselfaktor eines erfolgreichen Leistungsprogramms ist schließlich die Geschlossenheit seiner Bestandteile. Entscheidend für den Kunden ist der Erhalt einer für ihn passenden Problemlösung. Dies gilt insbesondere für komplexe Probleme des Kunden. Für den Anbieter bedeutet dies, • kundenindividuell Probleme zu analysieren und • auf den Kunden zugeschnittene Lösungen zu entwickeln. Dazu sind verschiedene, für die Problemstellung passende Komponenten zu finden und zu integrieren. Diese Komponenten können aus materiellen Eigenschaften, Nutzenpotenzialen und Chancen (wie z.  B.  Rechte und Lizenzen) bestehen. Eine Nutzenbündelung kann schließlich dem Kunden als Systemleistung angeboten werden. Die Schaffung kundenspezifischer Problemlösungen schafft Vorteile auf Anbieter- und Nutzerseite. Ein Verbundangebot einer komplexen Bedarfslage muss als Komplettlösung befriedigen. Der Kunde muss sich somit nicht mit verschiedenen Anbietern von Teillösungen auseinandersetzen, sondern erhält eine Lösung aus einer Hand. Kundenbindung erreicht ein Unternehmen dann, wenn es Lösungen für die Probleme des Kunden möglichst komplett anbietet. Aus Anbietersicht sorgen gute Lösungen nicht zuletzt für die Abschottung der gebundenen Kunden vom Wettbewerb.

4.3.4 Kundenzufriedenheit im Service Peter F. Drucker (1954, S. 39) hat auf die Frage nach der Bedeutung der Kundenorientierung die Antwort gegeben: „It is the business seen from the point of view of its final result that is, from the customer’s point of view.“ Eine allgemein anerkannte Theorie zur Erklärung von Kundenzufriedenheit existiert nicht. Das „Confirmation/Disconfirmation-Paradigm“ verweist auf einen Soll-Ist-­Abgleich zwischen • den Leistungserwartungen des Kunden und • den vom Anbieter erhaltenen Leistungen. Kundenzufriedenheit bzw. die Wahrnehmung von Qualität entstehen beim Kunden durch einen positiv bewerteten Vergleich zwischen seiner Leistungserwartung und der wahrgenommenen Leistung (vgl. zu diesem Kapitel Meyer und Ertl, in: Meyer 1996, S. 209).

4.3 Dienstleistungsmarketing

61

Kundenbindung setzt Kundenzufriedenheit voraus. Der Kunde soll eine positive Bilanz aus seiner Leistungserwartung und der Leistungswahrnehmung ziehen. Wenn die erhaltene Leistung die Erwartung sogar übersteigt, wird der Kunde mit Weiterempfehlungen bzw. positiven Bewertungen reagieren. Er wird das Unternehmen oder die Marke bei künftigen Käufen wieder berücksichtigen und für Zusatzverkäufe offenstehen. Vermieden werden muss die negative „Diskonfirmation“ bzw. eine negative Bilanz dieses Soll-Ist-Vergleichs. Liegt die Leistung unter der Erwartung, so muss mit einem aktiven negativen Verhalten des Kunden gerechnet werden. Dies bedeutet nicht nur, den Kunden zu verlieren, sondern im Internetzeitalter auch, dass er mit negativen Bewertungen reagiert und so dem Produkt oder Unternehmen einen Imageschaden zufügt. Deshalb muss ein Anbieter die Kundenerwartungen zunächst kennen und letztlich steuern. Wenn man die Präferenzen der Kunden kennt, kann man auf sie reagieren und sie erfüllen. Bestimmungsgröße für die Kundenzufriedenheit ist die wahrgenommene Leistung oder besser gesagt: die subjektive Wahrnehmung der Leistung. Problematisch ist dabei, dass es sich um eine subjektive Komponente handelt. Sie hängt vor allem ab von • dem individuellen Anspruchsniveau des Kunden, • der Einschätzung des Anbieterimages und • dem Wissen um die Leistungen und Angebote alternativer Anbieter. Deshalb ist mit demselben Produkt ein Kunde sehr zufrieden, ein anderer dagegen unzufrieden – weil seine Erwartungen höher waren. Kundenanforderungen lassen sich nach dem Kano-Modell (vgl. Kano 1987) folgendermaßen klassifizieren: • Basisanforderungen sind selbstverständliche Anforderungen des Kunden. Ein bestimmtes Level muss erfüllt sein, andernfalls sind die Kunden unzufrieden. Beispiele aus der Hotellerie sind Sauberkeit, Wärme oder Lüftung. Ein bestimmter Standard ist sicherzustellen. Allerdings macht eine Übererfüllung keinen Sinn. • Leistungsanforderungen sind besondere Features über ein Standardangebot hinaus, die zur Verfügung stehen und nicht vom Kunden artikuliert werden müssen. Bei guter Ausgestaltung tragen sie wesentlich zur Kundenzufriedenheit bei. In der Hotellerie wäre ein attraktiver Wellnessbereich ein Beispiel dafür. • Darüber hinaus gibt es sog. Begeisterungsanforderungen. Diese sind spezifisch, werden von den Kunden artikuliert. Um sie zu erfüllen, muss ein Dienstleister die Extrameile für den Kunden gehen bzw. sein Personal so geschult und motiviert haben, dass es dazu bereit und in der Lage ist. Ein Beispiel aus der Hotellerie wäre die Fähigkeit, auf besondere Wünsche der Gäste einzugehen, z. B. kurzfristig ein besonderes Event für den Gast zu organisieren.

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4  Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0

Ineffektiv sind sog. Blind- oder Fehlleistungen: Leistungen, die dem Unternehmen Kosten verursachen, von den Kunden aber keineswegs honoriert werden. Ein klassisches Beispiel für solche Fehlleistungen war das Angebot eines „Greeting“- und eines „Valet-­ Parking“-Services bei der gescheiterten Markteinführung des amerikanischen Großkonzerns Walmart in Deutschland. Walmart bot diese beiden in den USA geschätzten Serviceleistungen in Deutschland an. Bei dem deutschen Publikum riefen sie allenfalls Verwunderung hervor: Die deutschen Kunden wollten weder beim Eintritt in den Supermarkt besonders begrüßt werden, noch wollten sie ihren Autoschlüssel für einen Einparkservice aus der Hand geben. Wie im o. g. Beispiel findet man Fehl- und Blindleistungen häufig bei der Internationalisierung bzw. dem Markteintritt in fremde Märkte. Sie entstehen, wenn die Kultur des jeweiligen Landes nicht verstanden und von den Bedürfnissen des Heimatmarktes ausgegangen wird. Mit diesen Themen werden wir uns in diesem Buch ab Kap. 5 beschäftigen.

4.4

Erlebnismarketing

In den heutigen Märkten lassen sich nur noch wenige Produkte über einen echten Produktvorteil im Wettbewerb verkaufen. Die meisten Produkte sind technisch ausgereift. Selbst Innovationen werden in Deutschland in der Regel erst dann angeboten, wenn sie gut funktionieren. Die Anbieter unterscheiden sich wenig, Produkte sind austauschbar. Der Einkauf dient heute vielen Konsumenten weniger der Bedarfsdeckung als der Suche nach Einkaufserlebnissen. Erlebniskäufer sind Personen, die Shopping eher als Freizeitbeschäftigung verstehen. Der erlebnisorientierte Konsument ist aus einem Wertewandel in der Gesellschaft, hin zum Hedonismus entstanden. Die Menschen streben nach einer ausgewogenen Work-­ Life-­Balance und einer mit Erlebnissen ausgefüllten Freizeit. Konsum soll mit Erlebnissen verbunden werden. Ein solcher Wandel lässt sich in vielen sich weiter entwickelnden Gesellschaften beobachten, derzeit auch in China: Nachdem ein großer Teil der Bevölkerung in die Mittelschicht aufgestiegen ist, wird der Binnenkonsum angekurbelt, mit neuester Technologie, virtuellen Spielen, Gewinnmöglichkeiten und Freizeiterlebnissen. Erlebnismarketing zielt darauf ab, die Produkte durch erlebnisvermittelnde Maßnahmen von der Konkurrenz abzuheben. Erlebnismarketing will Erlebniswerte schaffen, „sinnliche“ Konsumerlebnisse, die das Leben angenehmer oder interessanter machen sollen (vgl. z. B. Kroeber-Riel und Weinberg 1999, S. 116). Ein „Erlebnis“ ist im Sinne des Erlebnismarketings ein subjektiv wahrgenommener Beitrag zur Lebensqualität des Konsumenten, der durch Marketingmaßnahmen vermittelt wird. Konsumentenerlebnisse sollen die Sinne ansprechen und in der Gefühlswelt der Konsumenten verankert werden. Typische Erlebniswerte sind in den Bereichen von Gesundheit, Kultur, Genuss, Aktivität, Sport, Luxus oder Ästhetik angesiedelt. Um einen Produktkern wird ein Erlebniswert konstruiert.

4.4 Erlebnismarketing

63

In der Autobranche dominieren beispielsweise Werte wie Sportlichkeit, Lebensfreude und Sinnlichkeit. Premiumautomarken bewerben ihre Kunden mit optisch aufwändig gestalteten Magazinen. Durch sie sollen gleichzeitig Reiseerlebnisse vermittelt werden, z. B. durch Partnerschaften mit Premiumhotels und besonderen Angeboten in diesen für die Kunden. Ein weiteres aktuelles Beispiel: Mit dem Kauf eines 8er BMW wird der Kunde in den „BMW Excellence Club“ aufgenommen. Clubmitglieder erhalten besondere „BMW-Erlebnisse“, Einladungen zu sportlichen und kulturellen Events und besondere Serviceangebote wie z. B. eine Vorzugsbehandlung bei der Fahrzeugwartung. Auch in den Onlinehandel werden inzwischen Elemente von Erlebnismarketing aufgenommen, um sich im Wettbewerb zu differenzieren. Amazon ermöglichte im Weihnachtsgeschäft 2019 seinen Amazon-Prime-Kunden die Teilnahme an einem Weihnachtskonzert. Die Prime-Kunden konnten entweder online dabei sein, mit etwas Glück konnten sie sogar Tickets erhalten, um am Konzert live teilzunehmen. Während andere Onlinehändler mit den üblichen Rabattaktionen die Kunden ins Weihnachtsgeschäft lockten, wollte Amazon ein positives Weihnachtserlebnis vermitteln, welches die Kunden dann mit der Marke verbinden. Auch der Online-Handel experimentiert also mit der Gestaltung von Touchpoints zu den Kunden durch Erlebnisse. Für die Unternehmen und Marken ist die Schaffung von tatsächlich von den Kunden geschätzten Erlebniswerten eine Herausforderung. Erlebnisprofile sind kreativ zu gestalten. Sie sollen eine Art „Idealbild“ der Marke oder des Unternehmens bei den Konsumenten verankern. Dazu muss man die Präferenzen und die Lebensstile der Zielgruppen kennen, zu denen die Erlebnisse passen müssen. Sich im Erlebnismarketing vom Wettbewerb abzugrenzen, ist auch deshalb schwierig, weil sich Erlebniswelten leicht kopieren lassen. Die Instrumente sind vielfältig: Design, Produktnamen, Gestaltung der Einkaufstätten, Markierung, Maßnahmen der Kommunikation, insbesondere aber Serviceleistungen und Events. Viele Fehl- und Blindleistungen lassen sich dabei beobachten, beispielsweise eine Vielzahl von optisch aufwändig gestalteten Lifestyle-Broschüren, die bei den umworbenen Kunden ungelesen in den Papierkorb wandern. Service, Events und Kommunikation sind die typischen Ansatzpunkte für Erlebnismarketing. Es sollen Vorstellungsbilder geweckt, durch eine Art emotionale „Konditionierung“ die Kunden an die Marke oder das Unternehmen gebunden werden. Produkte werden so mit emotionalen Werten aufgeladen. Besonderer Service durch die Mitarbeiter soll die Kunden persönlich involvieren. In den in Kap. 2 beschriebenen modernen Omnichannel-Strategien werden viele Erlebnismotive eingesetzt. Man versucht, möglichst viele Touchpoints zum Kunden erlebnis­ orientiert zu gestalten. Über eine Kombination von Online und Offline werden besondere Erlebnisse, oft mit Kulturbezug und Service kundenfreundlich kombiniert. In Beijing eröffnete 2017 ein Kaufhaus namens „The British House“. Mehr als 100 britische Mode- und Lifestyle-Marken präsentieren auf der Verkaufsfläche ihre Produkte und verkaufen sie online über ein WeChat-Programm (vgl. Hofmann, in: Asia Bridge, 10/2019, S. 21). In den Genuss britischer Kultur kommen die Kunden im angeschlossenen „Harrods Tearoom“. The British House veranstaltet kulturelle Events mit Bezug auf

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4  Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0

­ ngland. Das Beispiel zeigt, wie eine moderne Omnichannnel-Strategie KundenerlebE nisse mittels Kultur gestaltet. In China knüpft der dänische Spielzeughersteller Lego an die Kultur des Gastlandes an. Die neuen Lego-Flagshipstores in Shanghai und Beijing enthalten überdimensionale 3-D-Modelle von lokalen Sehenswürdigkeiten (vgl. Hofmann, in: Asia Bridge, 10/2019, S. 21). Auch bei Lego China werden somit kulturell assoziierte Onsite-Kundenerlebnisse mit der Nutzung modernster Digitalmedien verbunden. Durch den Einsatz von Gesichtsscannern ist es möglich, Anleitungen für den Bau individualisierter Kundenportraits aus Legosteinen zu erstellen. Die Besucher werden animiert, auf Lego über die sozialen Medien aufmerksam zu machen und Fotos zu teilen. Die beiden Beispiele der Vermarktung europäischer Produkte in China zeigen, wie sich besondere Kundenerlebnisse mittels Kulturbezug in Omnichannelstrategien gestalten lassen.

4.5

Entwicklungsphasen des Marketings im Überblick

Zum digitalen und menschenorientierten Marketing 4.0 hat eine lange Entwicklung geführt, in der Marketingwissenschaft, wie auch in der Marketingpraxis. In der Marketingpraxis passt sich Marketing 4.0. den veränderten Bedingungen durch High Tech an, so wie auch zuvor schon Anpassungen an die jeweiligen Bedingungen der Umwelt und Gesellschaft stattgefunden haben. Bruhn (2004, S. 13 ff.) liefert einen Überblick über die Entwicklungsphasen des Marketings in Deutschland von der Nachkriegszeit bis ins neue Jahrtausend: • Produktionsorientierung: In der Nachkriegszeit der 1950er-Jahre mussten zunächst die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt werden. Die Nachfrage nach Produkten war groß. Die Hersteller konzentrierten sich auf die Sicherstellung der Produktion. Massenproduktion ermöglichte die Versorgung der Menschen mit den nötigen Produkten. Die Unternehmen bewegten sich auf Verkäufermärkten. Die Abnahme der Produkte war kein Problem, lediglich über bezahlbare Preise musste man sich Gedanken machen. • Verkaufsorientierung: In den 1960er-Jahren verlagerte sich für die Unternehmen der Engpass von der Produktion zum Vertrieb der Produkte. Man konnte nun produzieren und musste dafür sorgen, dass die Produkte abgesetzt werden. Ein „schlagkräftiger“ Vertrieb wurde aufgebaut. Auch die Bedeutung des Handels nahm zu. • Marktorientierung: In den 1970er-Jahre mussten viele Unternehmen Sättigungserscheinungen auf ihren Märkten beobachten. Der Konsument wurde zum Engpassfaktor, man musste überlegen, wie man ihn am besten erreichen konnte. In dieser Zeit erfolgte die Auseinandersetzung mit Marktsegmentierung und Zielgruppenorientierung. Die Unternehmen stellten sich auf spezifische Bedürfnisse definierter Zielgruppen ein.

4.6  Perspektiven aktueller Studien: Der Mensch im Mittelpunkt

65

• Wettbewerbsorientierung: In den 1980er-Jahre verschärfte sich der Wettbewerb. In den Unternehmen galt es, strategische Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz aufzubauen. Die Profilierung gegenüber der Konkurrenz gewann an Bedeutung. • Umfeldorientierung: In den 1990er-Jahre wurde das rechtzeitige Erkennen von Veränderungen der Umfeldfaktoren zur Schlüsselgröße für den Unternehmenserfolg. Gefragt war jetzt vor allem die Fähigkeit der Unternehmen, auf ökologische, politische, technologische und gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. • Dialog- und Netzwerkorientierung: Mit den 2000er-Jahren beginnt ein vielschichtiger, aggressiver Wettbewerb. Unternehmen beginnen, sich zu vernetzen. Beziehungen zu Kunden und übrigen Stakeholdern werden interaktiv gestaltet. Neue Technik wird genutzt, anfänglich im Database Marketing. Das Internet, soziale Netzwerke und das „Word of Mouth“ werden in die Unternehmenskommunikation einbezogen. Bruhn (2004) hat damit die Entwicklung hin zur Vernetzung, Technologienutzung sowie hin zum Menschen als Ankerpunkt bereits beschrieben. Weis (2018, S. 39 f.) gliedert, im Rückgriff auf weitere Autoren, die Marketingentwicklung in vier Schritte: • • • •

produktorientiertes Marketing (1.0) verbraucherorientiertes Marketing (2.0) menschenorientiertes Marketing (3.0) digitales menschenorientiertes Marketing (4.0)

Marketing hat auf die veränderten Bedingungen der Technologisierung und Digitalisierung reagiert, wird nun online und offline durchgeführt. Die neuen Möglichkeiten der Technik werden ausgeschöpft. Im Omnichannel-Marketing findet jeder Berührungspunkt mit dem Kunden die Aufmerksamkeit des Marketers. An allen Touchpoints werden Daten hinterlassen, die weiteren Aufschluss auf das Kundenverhalten geben. Zielgruppen lassen sich mit Digitalmedien zunehmend genauer erreichen. Die Gesamtheit der Kontaktpunkte zum Kunden, die Customer Journey, wird so „menschenfreundlich“ und erlebnisorientiert wie möglich gestaltet, um Kundenbindung, Verkaufsabschlüsse und langfristig vor allem Vertrauen zum Anbieter zu schaffen.

4.6

Perspektiven aktueller Studien: Der Mensch im Mittelpunkt

Zwei aktuelle Veröffentlichungen zeigen die neuesten Tendenzen und Ansichten zum menschenzentrierten Marketing exemplarisch: • der Deloitte Marketing Report 2020 und • das Human-to-Human-Marketing nach Pförtsch und Sponholz (2019).

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4  Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0

Die wichtigsten Inhalte dieser Studien werden im Folgenden skizziert.

4.6.1 Deloitte Marketing Report 2020: Mensch im Mittelpunkt Das Beratungsunternehmen Deloitte gibt seinem Bericht zu den aktuellen und kommenden Trends im globalen Marketing den Titel „Der Mensch im Mittelpunkt  – Das neue Marketing – authentisch, human und relevant“ (vgl. Deloitte, online). Deloitte stellt fest, dass es heute im Marketing wichtiger denn je ist, den Menschen ins Zentrum zu rücken. Der Report basiert auf Interviews mit über 80 Experten aus der ganzen Welt. In den Bericht fließen Umfragen, Erkenntnisse aus der aktuellen Wissenschaft und Forschung und Beispielfälle aus der Praxis ein. Empfohlen wird insgesamt, den Blick für den menschlichen Faktor zu schärfen. Genannt werden in dem „Deloitte Global Marketing Trends Report 2020“ die folgenden globalen Marketingtrends: Trend 1: Purpose – Sinnhaftigkeit und Authentizität Wozu existiert eine Organisation? Wofür steht sie und welche Probleme will sie lösen? Welche Beziehungen will sie zu Kunden, Mitarbeitern und Partnern aufbauen? Ein „verinnerlichter“ Daseinszweck verleiht einem Unternehmen einen menschlichen Charakter. Das kann allerdings nur dann funktionieren, wenn der Purpose nicht nur eine Formel bleibt, sondern auch authentisch gelebt wird. In der Praxis müssen Reden und Handeln miteinander im Einklang stehen. Ein „stimmiger Purpose“ soll Deloitte zufolge dem Unternehmen Differenzierung im Wettbewerb ermöglichen, Kundenloyalität und Mitarbeiterzufriedenheit und damit die Grundlage für eine langfristige, nachhaltige Markenentwicklung schaffen (vgl. Deloitte, online). Deloitte aktualisiert damit die im Marketing eigentlich bekannten Fragen nach Sinn und Daseinszweck einer Organisation, letztlich also nach Unternehmensphilosophie, Vision und Mission. Trend 2: Human Experience – die menschliche Dimension Deloitte verweist auf die Gefahr, dass Menschen sich in der digitalen Welt isoliert und emotional unerfüllt fühlen. Deloitte fordert einen „Human Touch“ für Marken. Beim Design von Services und Produkten ist der künftige Benutzer empathisch mit zu berücksichtigen. Zu dieser neuen Menschlichkeit gehört, reale Probleme zu lösen, die Personen in ihrem Leben beschäftigen. Dafür muss das Unternehmen Daten und Erkenntnisse über die Kunden gewinnen, über ihre Werte und Vorstellungen. Auch sind dabei soziale und ökologische Dimensionen zu berücksichtigen. Deloitte bezieht sich hier auf den Austausch zwischen Marke, Kunden, Mitarbeitern und Gesellschaft. Begründet wird die Nutzung von Daten, um den Wertvorstellungen der Kunden auf die Spur zu kommen.

4.6  Perspektiven aktueller Studien: Der Mensch im Mittelpunkt

67

Trend 3: Fusion – Verschmelzung der Branchen In der digitalen Welt entfallen Grenzen zwischen den Branchen. Unternehmen knüpfen neue Verbindungen zu ihren Stakeholdern. Sie erschaffen neue „Ökosysteme“, zu denen auch Wettbewerber oder Firmen aus ganz anderen Industriezweigen gehören können, aber auch gesellschaftliche Gruppen. Unternehmen können sich von ihrem Branchenursprung lösen und sich neu erfinden. Durch eine Offenheit für neue Kundenkreise und Geschäftsfelder lassen sich neue Märkte entdecken und erschließen. Deloitte erhebt Kooperation und Austausch zu neuen Leitbildern. Basis, um den Markengehalt zu rekonfigurieren, sind datengestützte Consumer Insights. Trend 4: Trust – Vertrauen ist alles Daten gelten als das neue Öl der digitalen Welt. Umso wichtiger ist es, diese unter Kontrolle zu halten. Deloitte zufolge soll eine Weiterverwertung von Daten nur in Kernbereichen der Unternehmenstätigkeit geschehen. Transparenz gegenüber den Stakeholdern, Cyber Security und Datenschutz sind jetzt elementare Aufgaben eines Unternehmens. Gleichermaßen sind unethische Anwendungen von künstlicher Intelligenz oder ein Datenverkauf zu unterlassen. Deloitte warnt vor den Gefahren der extensiven Verwendung von Kundendaten durch die neuen Technologien. Wenn Unternehmen damit nicht besonnen umgehen, so riskieren sie ein hohes Gut der Digital-Ära: das Vertrauen des Kunden. Trend 5: Participation – Teilhabe schafft Mehrwert Durch digitale Technologien werden Kunden von passiven Konsumenten zu interagierenden Partnern. Kunden nehmen aktiv an der Entwicklung und Gestaltung einer Marke teil. Deloitte verweist hier auf den Einbezug des Kunden während der Customer Journey und auf das Potenzial, dabei Ideen zur Produktgestaltung zu generieren. Trend 6: Talent – die Mitarbeiter machen den Unterschied Ein gutes Unternehmen benötigt motivierte Mitarbeiter. Insofern sind Interessen und Bedürfnisse der Mitarbeiter und ihre Weiterentwicklung ein Ansatzpunkt der Gestaltung. Deloitte schlägt den Einbezug von Daten zur Employee Experience als Ergänzung der Customer Experience vor. Nur zufriedene Mitarbeiter sind motiviert und können die Außenwirkung der Marke verstärken. Auch andere Partner des Ecosystems sind einzubeziehen, da mit dem Trend zur Branchenverschmelzung die Abgrenzung zwischen verschiedenen Stakeholdergruppen schwindet. Deloitte besinnt sich hier auf die Mitarbeiter als wertvollste Asset eines Unternehmens. Menschenorientierung heißt demzufolge Kunden-, Mitarbeiter- und Stakeholderorientierung. Trend 7: Agility – Methode und Mindset Reaktionsschnelligkeit und proaktives Engagement, die Fähigkeit, in Echtzeit mit den Kunden zu interagieren sind gefragt. Deloitte fordert eine agile Arbeitsweise, die mit ­datengetriebenen, messbaren Methoden und schnellen Feedback-Loops arbeitet, wie man

68

4  Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0

sie u. a. aus der Softwareentwicklung kennt. Dafür ist ein organisatorischer Kulturwandel nötig, zu dem crossfunktionale Teams und neue digitale Fähigkeiten gehören (vgl. Deloitte online). Deloitte weist letztlich auf die Bedeutung der Organisationskultur in einem digitalen Umfeld hin.

4.6.2 Human-to-Human-Marketing Viele der o.  g. Überlegungen finden sich ebenso im Human-to-Human-Marketing von Pförtsch und Sponholz (2019). Auch diese Autoren halten eine Neubesinnung auf den Sinn und Zweck des Marketings für erforderlich. Auf ihrer Suche nach einem neuen Marketingansatz lassen sie sich von drei Denkanstößen leiten: • dem Design Thinking als Innovationsprozess, Werkzeugkasten und Mindset, • der Service-Dominant Logic als Ideengebäude, das die zersplitterten Marketingansätze zusammenführen kann, • der Digitalisierung als Kraft, welche die Welt in allen relevanten Dimensionen wie Politik, Ökonomie, Gesellschaft, Technologie, Ökologie und Rechtssystem durchdringt und verändert. Sie wählen den Begriff Human-to-Human(H2H)-Marketing: Marketing von Menschen für Menschen gemacht. H2H soll dazu dienen, Probleme von Menschen nachhaltig zu lösen: serviceorientiert, kollaborativ und agil auf der Basis von Wissens- und Kompetenznetzwerken. Ausgangs- und Endpunkt ist der Mensch: Die – vor allem in den USA diskutierte – Service-dominante Logik stellt Dienstleistungen in den Fokus ihrer Betrachtung. Design Thinking orientiert sich am Nutzer, wird vor allem für Innovationen verwendet (wenn man diese etwas verkürzte Charakterisierung der beiden Begriffe an dieser Stelle gelten lassen will). Pförtsch und Sponholz (2019) verwenden die Begriffe „Mensch Marketing“ und „H2H Marketing“ synonym. H2H folgt dabei der üblichen Terminologie im Marketing wie B2B und B2C. Die Autoren bieten ein „sinnorientiertes“ Marketing als neues Konzept an. Sie sind der Meinung, dass die vom Marketing über Jahrzehnte propagierte Kunden- und Marktorientierung in der heutigen vernetzten Welt nicht mehr ausreicht, um sich einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Ein sinnorientiertes Marketing soll sich der Lösung tatsächlicher menschlicher Pro­ bleme widmen, auch sozialer, ökologischer und ökonomischer Art. Wachstum entsteht den Autoren zufolge weder allein durch tolle technologische Ideen noch durch große Marketingbudgets, sondern durch den Einsatz von Menschen auf den unterschiedlichen Ebenen des Unternehmens sowie beim Kunden oder Lieferanten. Pförtsch und Sponholz (2019) wenden sich in Anlehnung an Sheth und Sisodia gegen die folgenden Typen nicht-sinnvoller Marketing-Praktiken:

4.6  Perspektiven aktueller Studien: Der Mensch im Mittelpunkt

69

• unethisches Marketing • dummes Marketing • sinnloses Marketing. Unethisches Marketing versucht, Kunden irrezuführen, zu desinformieren oder sich Vorteile auf Kosten der Kunden zu verschaffen. Beispiele sind irreführende Werbung, z. B. für „gewichtsreduzierende“ Produkte. Ein nachhaltiger Gewinn für die anbietende Organisation ist damit nicht zu schaffen, weil die Produkte gar nicht halten können, was sie versprechen. Keine Aussicht auf nachhaltige Gewinnerzielung besteht umso mehr beim „dummen“ Marketing. Dummes Marketing bedeutet, dass Unternehmen versuchen, Kunden bei der Konkurrenz abzuwerben, indem sie Niedrigstpreise vorgaukeln. Aus dem Mobilfunk sind solche Praktiken bekannt. Gewinne lassen sich nur über längere Bindungszeiten oder gar nicht erreichen. Die Kunden „hoppen“ zum frühestmöglichen Zeitpunkt zum nächsten „Billiganbieter“. Ein anderes Beispiel sind hohe Rabatte oder Discountpreise, die die Kunden in die Läden locken sollen und mit denen der Anbieter die Hoffnung auf Zusatzgeschäfte verbindet. Erfahrene Kunden picken sich jedoch die Rosinen heraus, indem sie nur die letztlich subventionierten Produkte einkaufen. Der Händler macht mit solchen Lockangeboten Verluste. Sinnloses Marketing bedeutet, dass weder für den Anbieter noch für den Kunden irgendein Wert entsteht. Viele Großunternehmen geben hohe Summen für unnötige Werbemaßnahmen aus. Die Vielzahl von Prospekten und Werbebroschüren, die die Briefkästen verstopfen und ungelesen im Abfall landen, sind ein Beispiel. Sie bringen weder den Kunden Vorteile, durch z. B. brauchbare Informationen über Produkte oder Dienstleistungen, noch erhöhen sie den Umsatz der Anbieter. Für solch sinnlose Werbung wird unnötig Geld ausgegeben. Gleichzeitig werden natürliche Ressourcen unnütz verschwendet. Pförtsch und Sponholz (2019) erwarten, dass Unternehmensführungen sich der gegenwärtigen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme in der Welt stellen. Der Blickwinkel soll den Autoren zufolge erweitert werden, nicht nur Kunden und Mitarbeiter betrachtet werden, sondern auch weitere Stakeholder und die Gesellschaft insgesamt. Marketing ist den Autoren zufolge neu zu überdenken, ein sinnorientiertes Marketing zu schaffen, dass sich der Lösung menschlicher Probleme annimmt: ökonomischer, aber daneben eben auch ökologischer und gesellschaftlicher Art. Die Frage wird aufgeworfen, ob es Ziel des Marketings sein kann, Konsumwünsche in den reichen Ländern weiter zu befeuern, die den weiteren Verbrauch natürlicher Ressourcen nach sich ziehen und gleichzeitig über die digitale Vernetzung Bedürfnisse nach verschwenderischem Konsum in den Entwicklungsländern wecken. Die Autoren fordern ein neues Marketing-Mindset der Mitarbeiter eines Unternehmens, welches Problemlösungen für die Kunden ins Zentrum ihrer Arbeit stellt. Sie lehnen sich an der Methode des sog. Design Thinking an. Design Thinking orientiert sich wesentlich an den Bedürfnissen der Nutzer und sucht in Iterationen Lösungen dafür. Auch Pförtsch und Sponholz (2019) betrachten Vertrauen als die neue Zielgröße im Unternehmen. Sie fordern ein humanes und ein glaubwürdiges Marketing, das Perspekti-

70

4  Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0

ven des Kunden übernimmt. Marketingkommunikation muss die Wahrheit sagen, um Glaubwürdigkeitsverluste zu vermeiden. Die Unternehmen müssen ihren Kunden, Shareholdern und Mitarbeitern gegenüber integer sein. Als Folge muss auch die Marketingkommunikation authentisch sein. In Kap. 2 wurde auf die Chance verwiesen, virtuelle Assistenten im Service einzusetzen. Hierzu findet sich bei Pförtsch und Sponholz (2019) die interessante Überlegung, dass Kunden spüren, ob hinter einer personalisierten Kommunikation eine Person oder eine durch die Digitalisierung ermöglichte automatisierte Kommunikation steckt. Automatisierte Kommunikation, die dem Nutzer wertvolle Informationen liefert, ist zu begrüßen. Allerdings sollte der Sender solcher Informationen nicht versuchen, dem Nutzer vorzumachen, dass die Personalisierung von einem Menschen durchgeführt wurde: Dann ist die Kommunikation nicht mehr authentisch und vertrauenswürdig. H2H-Management ist gleichzeitig eine Führungsphilosophie und eine Funktion, mit dem Ziel, Vertrauen aufzubauen. Dazu werden • • • •

Customer-Experience-Management, Customer-Relationship-Management, Reputationsmanagement und Markenmanagement

zusammengeführt und in den Dienst der Planung und Steuerung des Vertrauens in das Unternehmen gestellt (vgl. Pförtsch und Sponholz 2019).

4.7

Vertrauen als Schlüsselgröße modernen Marketings

In den o. g. Ansätzen und Überlegungen fällt wiederholt die Bedeutung von Kundenvertrauen auf, die bereits für die Vermarktung von Dienstleistungen (siehe Abschn. 4.3) eine besondere Rolle spielt. Auch die neueren Überlegungen, sowohl im Deloitte-Report (online) als auch von Pförtsch und Sponholz (2019, S.  310  ff.) betrachten Vertrauen als Schlüsselgröße in den Kundenbeziehungen und damit im heutigen Marketingmanagement. Eine zentrale Aufgabe ist daher Vertrauensmanagement: Vertrauen muss aufgebaut und erhalten werden. Ein Produkt, nicht nur eine Dienstleistung, ist letztlich ein Werteversprechen. Beim Kauf muss der Kunde darauf vertrauen, dass das Versprechen eingehalten wird. Durch die Nutzung wird die Einhaltung des Versprechens bestätigt oder widerlegt. Deshalb gilt: Nur was erfüllbar ist, darf vom Unternehmen versprochen werden. Und nur wer einhält, was er verspricht, kann mit Kundenvertrauen rechnen (vgl. auch Pförtsch und Sponholz 2019, S. 311). Diese Sicht deckt sich mit den o. g. Ausführungen zur Kundenzufriedenheit und zum Dienstleistungsmanagement. Kundenvertrauen aufzubauen und zu bewahren heißt auch: Erwartungen des Kunden zu managen. Der Kunde wird ohnehin stets den Abgleich zwischen der erwarteten und der erhaltenen Leistung vornehmen. Wenn dieser Abgleich un-

4.8  Zwischenfazit: Forderungen des menschenzentrierten Marketings 4.0

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günstig für die Marke oder das Unternehmen ausfällt, sind nicht nur der Verlust des Kunden, sondern durch die Verbreitung negativer Bewertungen auch Reputationsschäden für das Unternehmen die Folge. Vertrauens- und Reputationsmanagement sind daher zwei Seiten einer Medaille. Die Marketing- und besonders die Werbekommunikation sind dahingehend zu überdenken. Laute, unrealistische Werbeversprechungen sollten der Vergangenheit angehören. Sie werden dazu führen, entweder vom Kunden nicht ernst genommen zu werden oder den Erwartungshorizont der potenziellen Kunden so zu erweitern, dass die erwartete Leistung praktisch nicht erbringbar ist. Insbesondere müssen jedoch die im Kundenkontakt stehenden Mitarbeiter geschult und betreut werden, um authentisch mit den Kunden zu kommunizieren. Vertrauen wird weniger dem abstrakten System Unternehmen entgegengebracht, sondern in der Regel seinen Mitarbeitern.

4.8

 wischenfazit: Forderungen des menschenzentrierten Z Marketings 4.0

Betrachtet man nun die in Kap. 4 skizzierte Entwicklung des Marketings, die zunehmend menschenzentrierten Marketingansätze und die neuesten Marketingtrends im Gesamtblick mit den in Kap. 2 und 3 skizzierten digitalen Optionen, so lassen sich für das Marketing 4.0 die folgenden Forderungen ableiten: Anwendung neuester Digitaltechnik zur Erkennung von Werten Die o. g. Entwicklungsphasen des Marketings haben gezeigt, dass sich die Unternehmen immer den Herausforderungen, aber auch den Chancen der jeweiligen Zeit angepasst haben. Heute passt man sich den Bedingungen und Errungenschaften der Digitalisierung an und nutzt neue Technologie und datengetriebene Verfahren. Die Berufsbilder in der Werbebranche und in den Marketingabteilungen ändern sich. Die herkömmliche Marktforschung gehört zu einem großen Teil der Vergangenheit an. Mittels Big Data Analysis ist es möglich, Vorstellungen der Kunden genauer und in Echtzeit zu erkennen. Diese Verfahren werden von den Unternehmen, welche die Messbarkeit ihrer Marketingmaßnahmen fordern, zunehmend eingesetzt. Mittels neuer Technologie lassen sich nicht nur Wünsche und Bedürfnisse, sondern auch Wertvorstellungen der Zielgruppen erkennen und es lässt sich agil darauf reagieren. Anpassung an sich wandelnde Werte in der Gesellschaft Diese „Werte“ sind keineswegs nur als Konsumwünsche zu verstehen. Auf den Wert der Erlebnisorientierung wird mit Erlebnismarketing reagiert. Falls Nachhaltigkeit und der Schutz der Umwelt tatsächlich als bestimmende Werte erkannt werden, so könnte menschenorientiertes Marketing auch zu einem bewussteren Umgang mit der Umwelt und den natürlichen Ressourcen motivieren.

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4  Die Entwicklung zum digitalen, menschenorientierten Marketing 4.0

Die Fridays-for-Future-Bewegung zeigt, dass die junge Generation recht hartnäckig ihre eigenen Wertvorstellungen vertritt. Viele davon konzentrieren sich auf den Schutz der Umwelt. Die Sharing Economy, in der es darum geht, eine rationalere Nutzung der vorhandenen Ressourcen zu erreichen, könnte in dieser Generation große Chancen haben. Textilfabriken in den Billiglohnländern vergiften die Flüsse und die Näherinnen arbeiten unter unwürdigen Bedingungen. Die dadurch geschaffene Mode zu günstigen Preisen wird dennoch verkauft. Die Modebranche beginnt jedoch, das wachsende Problembewusstsein für die negativen Begleiterscheinungen der Billigmode zu realisieren. H&M und Banana Republic testen bereits einen Mietservice für Kleidung. Tragfähige Geschäftsmodelle für solche Konzepte müssen jedoch erst noch gefunden werden. Die Plattform­ ökonomie könnte die Voraussetzungen für neue Sharing-Modelle bereitstellen, falls passende Geschäftsmodelle entwickelt werden können. Neue Relevanz von Unternehmensphilosophie und -kultur Für das Marketingmanagement stellt sich nicht zuletzt aufgrund sich wandelnder Werte verstärkt die Sinnfrage. Die neuen Studien setzen mit ihrer Forderung nach dem „Purpose“ , dem Sinn oder Daseinszweck, letztlich an dem klassischen St. Galler Modell der Unternehmensführung an: Die normative Unternehmensführung soll Sinn und Zweck einer Organisation festlegen, Normen setzen und Glaubwürdigkeit bei allen Bezugsgruppen schaffen. Letztlich findet sich der „Purpose“ eines Unternehmens in der Unternehmensphilosophie und wird in der Unternehmenskultur umgesetzt (vgl. auch Gutting 2016, S. 110 f.). Im Grunde ist dieser Trend nicht neu, sondern eine Rückbesinnung. Er erinnert an die notwendige Selbstdefinition durch Unternehmenszweck, Vision und Mission. Eine Organisation muss erklären, was sie mit welcher Berechtigung anstrebt. Neu ist lediglich, dass diese nicht mehr eher dekorative Zwecke auf der Website des Unternehmens haben sollen, sondern ernst genommen werden wollen. Unternehmen müssen in wachsendem Maße Position beziehen, nicht zuletzt zu ökologischen und sozialen Fragen, wie auch immer diese Position aussehen mag. Eine Organisation ist dann authentisch, wenn sie dafür sorgt, dass die Unternehmensphilosophie in der Unternehmenskultur umgesetzt wird. Gefordert ist eine klarere Formulierung von Zielen auf der Ebene der normativen Unternehmensführung, deren Adaption durch die leitenden Mitarbeiter und eine konsequente Umsetzung in einer passenden Unternehmenskultur. Mitarbeiter als Problemlöser Der menschliche Faktor im Marketing umfasst nicht mehr nur Mitarbeiter und Kunden, sondern auch weitere Stakeholder und Mitglieder der Gesellschaft. Die Notwendigkeit der Konzentration auf die Problemlösung für den Kunden steht  – wie oben in Abschn.  4.3 gezeigt – im B2B- und im Dienstleistungsmarketing eigentlich schon länger im Fokus. Mitarbeiter sollen sich der tatsächlichen Probleme der Kunden annehmen. Neu ist, dass darüber hinaus Probleme der Gesellschaft, auch ökologischer und sozialer Natur einbezogen werden sollen. Dies gilt vor allem dann, wenn die Kunden sich diese zu eigen machen und aktiv fordern.

4.8  Zwischenfazit: Forderungen des menschenzentrierten Marketings 4.0

73

Durch Zufriedenheit mit dem Unternehmen und seiner Werthaltungen lassen sich Kunden binden und eine Reputation in den Anspruchsgruppen schaffen. Den Mitarbeitern kommt die Aufgabe zu, diese Kundenzufriedenheit zu schaffen. Um die Mitarbeiter zu motivieren und weiterzuentwickeln, muss das Management ihre Wertvorstellungen und Bedürfnisse verstehen und einbeziehen. Management von Vertrauen Vertrauen wurde wiederholt als Bestimmungsgröße modernen Marketings identifiziert. „Vertrauensmanagement“ bedeutet eine mit den Mitarbeitern abgestimmte, aufrichtige Kommunikation, in der nur das versprochen wird, was gehalten werden kann. In diesem Sinne müssen die Mitarbeiter gesteuert werden, insbesondere diejenigen, die in direktem Kundenkontakt stehen. Oben wurde auf die veränderten Wertvorstellungen hin zu mehr Umweltschutz und Gesundheit verwiesen. Unternehmen haben darauf mit dem sog. Greenwashing reagiert. „Grüner Look“ von Verpackungen, Hinweise auf Gesundheit und natürliche Zutaten sollen diese Werte optisch signalisieren. Produkte werden als gesund, natürlich oder kalorienarm angepriesen, ihre gesunden und natürlichen Bestandteile hervorgehoben – und die anderen verschwiegen, was sich bei einer Überprüfung oft genug als Täuschungsmanöver und Betrug am Kunden erweist. Ähnlich haben Forderungen von Konsumenten nach Schutz von Menschenrechten, fairen Arbeitsbedingungen und Verbot von Kinderarbeit etc. zu dem sog. Bluewashing geführt. Der Begriff geht zurück auf das blaue Logo des Global Compacts der Vereinten Nationen (UN), einem Pakt zwischen der UN und Unternehmen. In freiwilliger Selbstverpflichtung sollen die Unternehmen Prinzipien der Menschenrechte, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung einhalten. Unternehmen werben mit fairen Arbeitskonditionen bei den Zulieferern, manchmal mit entsprechenden Fantasie-Siegeln, die einer Überprüfung oft nur wenig standhalten. Die Unternehmen sind zu mehr Ehrlichkeit aufgerufen. Vertrauen kann nicht entstehen, wenn sich Konsumenten getäuscht fühlen. Mit den heute verfügbaren Möglichkeiten zur Recherche lassen sich Bluewashing und Greenwashing leicht aufdecken. Fraglich ist, inwieweit Selbstkontrolle in einem System tatsächlich funktionieren kann. Kundenvertrauen hat im Zuge der Technologisierung eine weitere Komponente: Die neuen technischen Möglichkeiten, Kundendaten zu analysieren und zu nutzen, erfordern auch eine Kontrolle des Umgangs mit den Kundendaten. Nicht nur Datenschutz und ­Sicherheit von Kundendaten müssen gewährleistet werden, um Kundenvertrauen nicht aufs Spiel zu setzen. Auch birgt die Möglichkeit der Erkenntnis von Kundenbedürfnissen und der schnellen Reaktion darauf eine neue Gefahr: Kunden könnten sich als Stalking-Opfer der Anbieter fühlen, wenn sie zu viele allzu passgenaue Angebote erhalten. Bislang wurde in diesem Buch vor allem die Bedeutung der Digitalisierung für die weitere Entwicklung des Marketings in Deutschland abgeschätzt. Der zweite Treiber modernen Marketings ist die Internationalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Ihr sind die folgenden Kap. 5, 6, 7, 8 und 9 gewidmet.

5

Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

Die Entwicklungen im modernen Marketing wurden wesentlich von der Globalisierung und Internationalisierung geprägt. Einige Beobachter sprechen allerdings seit der Finanzmarktkrise von 2008/2009 und der anschließenden Rezession von einer allmählichen De-Globalisierung (vgl. z. B. Straubhaar, online). Viele Staaten neigen heute leider wieder zu Protektionismus und Nationalismus, was sich in der Corona-Krise ebenfalls gezeigt hat. Zudem scheint sich zwischen Globalisierung und Digitalisierung ein Wechselverhältnis abzuzeichnen: neue Technologien, wie der 3D-Druck, erlauben eine dezentrale Fertigung und Leistungserbringung am Ort des Verbrauchs. Die Wechselwirkung zwischen Internationalisierung und Digitalisierung wird spätestens dann in das Blickfeld der Unternehmen rücken, wenn Industrie 4.0 und die Künstliche Intelligenz sich selbst steuernde Maschinen und Fabriken ermöglichen, die menschliche Arbeit in großem Umfang ersetzen. Unter anderem wird dies auch die Attraktivität verringern, in Niedriglohnländern zu produzieren. Anstatt Güter um die Welt zu schicken, könnte sich mit wachsender Technologisierung ein großer Teil der Logistik einer Lieferkette erübrigen. Andererseits gibt es Anhaltspunkte, dass die durch die Digitalisierung entstandene Plattformökonomie eine weitere Internationalisierung impliziert, da Größe das entscheidende Kriterium für Plattformen ist. Die Wirtschaft wird ohnehin international vernetzt bleiben, so dass die Unternehmen sich nicht auf eine nationale Geschäftstätigkeit beschränken können. Die internationale Geschäftstätigkeit erfordert es, eine ganze Reihe von Entscheidungen zu treffen und Schritte einzuleiten, um den Prozess der internationalen Vermarktung erfolgreich zu gestalten. Kap. 5 will einen kompakten Überblick darüber vermitteln.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Gutting, Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29429-8_5

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5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

Kultur spielt bei den zentralen Entscheidungen und Schritten der internationalen Vermarktung eine wichtige Rolle: • Die Situationsanalyse vor der Entscheidung für den Einstieg in einen neuen Markt erfordert die Auseinandersetzung mit Unterschieden, insbesondere kultureller Natur. • Zur Wahl und zum effektiven Umgang mit geeigneten Kooperationspartnern und lokalen Stakeholdern ist interkulturelle Kompetenz erforderlich. • Das Unternehmen muss sich seiner eigenen kulturellen Orientierung bewusst sein, weil diese das Vorgehen bei der internationalen Vermarktung weitgehend determiniert. • Die Unternehmenskultur trägt wesentlich zum Erfolg oder Misserfolg der Imple­mentierung von Strategien bei. Im westlichen Denken besteht ein rationaler betriebswirtschaftlicher Prozess im Wesentlichen aus Zielsetzung, Analyse, Strategie, Umsetzung (bzw. Implementierung der Strategie) und Kontrolle. Betrachtet man den gesamten Prozess der internationalen Vermarktung, so lassen sich folgende notwendige Überlegungen und Schritte identifizieren: 1 . Motive und Ziele internationaler Vermarktung festlegen 2. Situationsanalyse/SWOT-Analyse für die potenziellen Märkte durchführen • Unternehmensinnenwelt/Ressourcenanalyse • Unternehmensaußenwelt –– Makroumwelt –– Mikroumwelt (Nachfrager, Kunden, Wettbewerber, weitere Stakeholders) 3. Optionen des Markteintritts in neue Märkte (Direktinvestitionen oder kooperative Strategien) prüfen und Überlegungen zu möglichen Kooperationspartnern anstellen. 4. Die internationale Vermarktung strategisch planen • Realisierung der kulturellen Grundorientierung des Unternehmens • Bestimmung der Zielmärkte- und -segmente • Internationale Positionierung von Unternehmen, Marke, Produkten • Länderübergreifende Timing-Strategie • Prüfung des „Fits“ der geplanten Strategie zu der Struktur, den Systemen und der Kultur des Unternehmens 5. Die internationale Vermarktung operativ planen • Programmerstellung und internationaler Marketingmix • Entscheidungen über Standardisierung/Differenzierung von Produkten und Elementen des Marketings (siehe hierzu gesondertes Kap. 6) 6. Den internationalen Vermarktungsplan aus strategischer und operativer Planung erstellen und das Budget festlegen 7. Implementierung und Kontrolle organisieren

5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

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Es gilt also zunächst, die Motive für die internationale Geschäftstätigkeit zu realisieren und die Ziele festzulegen: Was soll mit der Internationalisierung letztlich erreicht werden? Werden die Gründe und Motive für eine (weitere) Internationalisierung als hinreichend beurteilt und scheinen die gesetzten Ziele erreichbar, ist das strategische Vorgehen zu planen. Nach der Zielsetzung erfolgt die Situationsanalyse und die Strategieentwicklung. Die Strategie ist der Weg, über den das Ziel erreicht werden soll. So wie man stets über verschiedene Wege zum Ziel gelangen kann, jeweils in Abhängigkeit von der betreffenden Situation, sind auch mehrere Strategien möglich und zu diskutieren. Deshalb ist die Grundlage der Strategie stets eine Situationsanalyse. Die Situationsanalyse kann in Form einer SWOT-Analyse erfolgen, die Innenwelt des Unternehmens und die Außenwelt potenzieller zukünftiger Märkte berücksichtigt. Soll ein Markteintritt mittels Direktinvestitionen oder mittels kooperativer Strategien erfolgen? Mögliche Formen des Markteintritts in neue Märkte müssen in ihren Vor- und Nachteilen diskutiert werden. Das Unternehmen muss eine Position entwickeln, welche Form geeignet und realistisch erscheint. Für eine effektive strategische Planung muss das Unternehmen einige Standortbestimmungen bzw. Festlegungen treffen: • Kulturelle Grundorientierung des Unternehmens: Wie tickt das Unternehmen? Ist es bislang stark auf den Heimatmarkt fixiert? Hat bereits eine Internationalisierung stattgefunden? Ist es am Weltmarkt orientiert? • Zielmärkte und -segmente: Welche Märkte und welche Segmente sollen erreicht werden? • Internationale Positionierung: Welches Image möchte das Unternehmen von sich, seiner Marke und seinen Produkten im internationalen Wettbewerb vermitteln? • Timing-Strategie: Wie soll die zeitliche Staffelung der Markteinführung erfolgen? • „Fit“: Passt die geplante Strategie zu der bisherigen Struktur, den Systemen und der Kultur des Unternehmens? In der operativen Planung internationaler Vermarktung wird das konkrete Marketingprogramm entwickelt, somit die Ausgestaltung der Marketingelemente. Grundlegende Fragen sind, ob man Produkte und die weiteren Elemente des Marketings für die angestrebten internationalen Märkte differenzieren muss bzw. inwieweit man mit einem standardisierten Angebot auftreten kann. Aufgrund der besonderen Schwerpunktsetzung dieses Buches widmet sich das folgende Kap. 6 explizit der Standardisierung und Differenzierung.

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5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

Um die strategische und operative Planung umsetzen zu können, benötigt das Unternehmen einen Marketingplan. Parallel dazu muss ein Budget geplant werden. Abschließend erfolgen die Implementierung und Kontrolle. Die Schritte und Entscheidungen sollen nun im Folgenden näher erläutert werden.

5.1

Motive und Ziele internationaler Vermarktung festlegen

Warum beschäftigen wir uns mit internationalem Management? Was bewegt Unternehmen, sich in anderen Ländern oder weltweit zu engagieren? Wenngleich hier stets eine komplexe Interessenlage vorliegen mag, so geht es den Unternehmen meist darum, weitere Optionen zu schaffen für eine Gewinnsteigerung durch breitere Verwertung und effiziente Vermarktung bereits erfolgreicher Produkte und Konzepte. In technologienahen Industrien müssen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung amortisiert werden. Die Amortisierung lässt sich über Größenvorteile (Economies of Scale) und durch systematische Vermarktung der Produkte auf neuen Märkten leichter erreichen. Auf einer strategischen Ebene lassen sich rentabilitätsorientierte, unternehmenssicherungsorientierte und wachstumsorientierte Motive unterscheiden Am Ende steht jedoch immer das Ziel, Gewinne nachhaltig zu erhöhen. Sauter (2001, S. 122 f.) differenziert: • Gewinn- oder rentabilitätsorientierte Motive und Ziele: –– Stabilisierung des Unternehmensumsatzes durch Belieferung mehrerer Auslands-­ märkte –– Produktionsgrößenvorteilen oder Synergieeffekte –– Export durch kostengünstige Produktion im Heimatmarkt oder Export bei relativ hohem Lohnniveau im Inland, wenn für die Produkte oder Dienstleistungen eine hohe Qualitätssicherung notwendig ist, die in Billiglohnländern nicht geleistet werden kann • Unternehmenssicherungsorientierte Motive und Ziele: –– Kompensation von Verlustgefahren im Inland, die beispielsweise durch kurze Produktlebenszyklen drohen –– Ausgleich von Marktanteilsverlusten im Inland, die durch Konkurrenten entstanden sind –– Engagement im Ausland, um bei den Kunden vor Ort zu sein bzw. Reaktion auf die Internationalisierung wichtiger Kunden, wenn diese eine globale Präsenz des Unternehmens erwarten, z. B. Zulieferer in der Autoindustrie. –– „Going international“ als Reaktion auf die Internationalisierung von Wettbewerbern, wenn man diesen das Feld nicht überlassen will und um deren Wettbewerbsvorteile auszugleichen • Wachstumsorientierte Motive und Ziele:

5.2  Situationsanalyse (SWOT-Analyse)

79

–– Ausweitung des Absatz- und Umsatzvolumens durch die Eroberung weiterer Märkte –– bei technischen Produkten Verlängerung des Produktlebenszyklus –– wenn Wachstumsziele im Inland nicht mehr erreichbar sind, evtl. aufgrund sich ändernder gesetzlicher Rahmenbedingungen, z.  B. wenn politische Umweltziele im Inland die Spielräume verringern Wenn starke Motive für eine (weitere) Internationalisierung vorliegen und die Ziele erreichbar scheinen, so muss eine gründliche Situationsanalyse erfolgen. Weiter müssen die grundsätzlichen Optionen des Markteintritts in neue Märkte geprüft und entschieden werden, welche davon für das Unternehmen wünschenswert und machbar ist.

5.2

Situationsanalyse (SWOT-Analyse)

Die BWL hält einige Werkzeuge bereit, die zur Einschätzung eines Standortes geeignet sind. Neben den Überlegungen der klassischen Standorttheorie sind hier vor allem die PESTEL-Analyse (PESTEL ist ein Akronym für Political, Economical, Social, Technological, Ecological, Legal) und die SWOT-Analyse zu nennen. Es geht darum, einen Standort systematisch anhand der wichtigsten Kriterien zu beurteilen. Die SWOT-Analyse beachtet sowohl die Außenwelt des Unternehmens als auch die Innenwelt in Form von Stärken und Schwächen. Unter der Abkürzung SWOT verbirgt sich: Strengths und Weaknesses, Opportunities und Threats. Die Stärken und Schwächen beziehen sich dabei auf das Unternehmen selbst, man kann sie auch als Unternehmens- und Ressourcenanalyse bezeichnen. Die Chancen und Risiken beziehen sich auf die Umwelt des Unternehmens. Man unterscheidet Makro- und Mikro-Umwelt. Die Makro-Umwelt bzw. globalen Rahmenbedingungen sind dabei die allgemeinen Konditionen in diesem Land, mit denen jeder Marktteilnehmer konfrontiert ist. Die Rahmenbedingungen der Mikro-Umwelt dagegen sind die Konditionen, die das spezifische Unternehmen in seinem Tätigkeits- und Wettbewerbsumfeld vorfindet. Untersucht werden dabei vor allem die Branche und der Wettbewerb innerhalb der Branche.

5.2.1 U  nternehmens- und Ressourcenanalyse (Stärken und Schwächen) Um die Ressourcen für den Gang ins Ausland einzuschätzen, müssen eine Reihe von Fragen aufgeworfen und beantwortet werden. An oberster Stelle einer Ressourcenanalyse muss die finanzielle Situation eines Unternehmens eingeschätzt werden, zumal diese u. a. auf die Möglichkeiten des Markteintritts weitgehend determiniert. Direktinvestitionen sind nur einem kapitalstarken Unternehmen möglich. Vor allem müssen folgende Fragen

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5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

geprüft werden: Wie sehen die Kapitalstruktur bzw. Eigenkapitalausstattung aus? Welche Möglichkeiten zur Eigen- und Fremdfinanzierung bestehen? Wie sind die Liquidität und die Kreditwürdigkeit des Unternehmens? Der nächste Fragenkomplex muss die organisatorischen und HR-Voraussetzungen unter die Lupe nehmen und nach der Qualifikation und Motivation des Personals zum Gang ins Ausland fragen: Bestehen bereits Auslandserfahrungen der Manager? Wie ist die Bereitschaft zur Mobilität einzuschätzen? Fragen zu den physischen Ressourcen müssen beantwortet werden, v. a. nach der Produktionskapazität und den bereits vorhandenen Distributions- und Logistikstrukturen und verlässlichen Partnerschaften dazu. Für Technologieunternehmen entscheidend ist die technologische Ressourcenausstattung: Wie ist es um die technologische Innovativität des Unternehmens bei Produkten und Geschäftsprozessen bestellt? Wie stellen sich Technologieressourcen, Produktqualität und Standardisierbarkeit dar? (vgl. auch Sauter 2001).

5.2.2 Umweltanalyse (Chancen und Risiken) Um das Umfeld im Zielland zu analysieren, betrachtet man die Rahmenbedingungen der Makro- und die der Mikro-Umwelt. Zur Makroanalyse bietet sich zunächst die Einschätzung der ökonomischen Umwelt an; hierzu lasen sich eine ganze Reihe von Indikatoren zum für Marktvolumen heranziehen. Einige Beispiele sind die Bevölkerungszahl, das Pro-Kopf-Einkommen, das Wirtschaftswachstum und das Durchschnittsalter etc. Zur allgemeinen Situation und Geschäftstätigkeit im Land eignen sich verschiedene Indices, wie der Human Development Index (HDI), der Global Competitiveness Index (GCI) zur Wettbewerbsfähigkeit des betreffenden Landes oder der Doing Business Index (DBI) – und viele andere mehr. Ein wichtiges Feld sind die sozio-kulturellen Werthaltungen, Normen und die Lebensgewohnheiten im Land. Die politisch-rechtliche Situation muss geprüft werden, insbesondere das Vorhandensein von Rechtsstaatlichkeit, von Korruption und wichtigen Gesetzen, zum Beispiel das Patentrecht. Zentral ist, ob die Institutionen vor Ort gut funktionieren. Außerdem muss Fragen zum vorhandenen Technologieniveau, zur Technologieförderung und zur Qualität der Forschung nachgegangen werden. Auch physische Gegebenheiten des Landes sind zu prüfen, das Klima, Geografie, Infrastruktur, Umweltbedingungen, -risiken und -schäden. Makro-Umwelt Zum Überblick über die Rahmenbedingungen der Makro-Umwelt (vgl. auch Berndt et al. 2005, S. 14 f.), empfiehlt es sich, beispielsweise die folgenden Faktoren zu untersuchen und einschätzen: • Ökonomische Faktoren –– Bevölkerungszahl –– Marktgröße

5.2  Situationsanalyse (SWOT-Analyse)

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–– Bruttosozialprodukt –– Pro-Kopf-Einkommen –– Verschuldung der privaten Haushalte –– Durchschnittsalter –– Kaufkraft –– Zinsentwicklung –– Wechselkursentwicklung –– Lohnkosten und Lohnnebenkosten –– existierende Wirtschaftsabkommen –– Protektionismus –– Liberalisierung der Märkte –– Industriestrukturen: Staatsbetriebe, mittelständische Unternehmen –– Immobilienkosten für gewerbliche und private Immobilien –– Energie-, Kommunikations- und sonstige relevante Kosten • Steuern, Abgaben, Subventionen –– Wie hoch sind Steuern und Abgaben? –– Ist das Steuersystem durchschaubar? –– Gibt es Ermessensspielräume der Behörden? –– Gibt es Steuerbefreiungen oder -vergünstigungen? –– Gibt es Investitionsförderung und „Government Support“ für Investoren? • Politisch-rechtliche Faktoren –– Rechtsstaatlichkeit, Rechtsdurchsetzung –– Einstellungen der Menschen zum Recht: Herrscht Systemvertrauen oder wird eher Personen vertraut? –– Gastlandrecht im Vergleich zum Heimatrecht, z. B. Patentrecht und dessen Einhaltung –– Verlässlichkeit und Transparenz von Institutionen –– Vorhandensein von Korruption (Indikator: Korruptionswahrnehmungsindex) –– Sind Mindestinvestitionen erforderlich? –– Ist die Regierung vor Ort kooperativ? Bietet sie Service und Hilfestellungen? –– Vorschriften für Kooperationen und Joint Ventures etc.? Werden die ausländischen Partner stark benachteiligt? –– Politische Stabilität oder häufiger Wechsel der politischen Rahmenbedingungen? –– Wahrscheinlichkeit von Unruhen, Arbeitskämpfen, Minderheitskonflikten oder sonstigen gesellschaftlichen Konflikten –– Sind objektive und verlässliche Informationen zu bekommen? –– Freiheit der Medien (hierzu: Pressefreiheitsindex) –– Bei Produktionsbetrieben: Wie sind die Umweltstandards? • Sozio-kulturelle Faktoren, insbesondere –– Gesellschaftliche Werte und Normen –– Religionen und Weltanschauungen, Gefahr von Extremismus? –– Herrschende „Moral“ und sich daraus ergebende kulturelle Tabus

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5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

–– –– –– ––

Lebensgewohnheiten, Geschmacksfragen Sprachen Zugang zu Bildung, Bildungsversorgung Lebensqualität als Komplex aus Bildungsstandards, Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung, Umweltqualität etc. (wichtig für die Entsendung von Expatriates) –– Soziale Unterschiede (hierzu: Gini-Index) –– Bedeutung und Einfluss sozialer und kirchlicher Institutionen (z.  B.  Parteieneinfluss) –– ggf. Rolle von Hochkultur (Literatur, Kunst, Musik) • Technologische Faktoren –– Technologieniveau, Geschwindigkeit des Technologiewandels –– Wie sieht es mit Innovationsförderung aus? –– Gilt der Standort als technologieaffin oder sogar als Technologieschmiede? –– Gibt es in größerer Zahl moderne, innovative Unternehmen? –– Qualität der Forschung, Förderung von Innovation und Kreativität an den Hochschulen? • Geographische Faktoren –– Klima, Wahrscheinlichkeit von Naturkatastrophen oder Ausnahmezuständen –– Geografie und deren Herausforderungen für die Verkehrsinfrastruktur –– Verkehrsinfrastruktur: Sind Straßen, Flughafen, Häfen etc. in hinreichendem Umfang vorhanden? –– Natürliche Ressourcen, Zugang zu Rohstoffen, Rohstoffpreise –– Infrastruktur: Energieversorgung, Digitalisierung etc.

Mikro-Umwelt Um die Rahmenbedingungen der Mikro-Umwelt zu erfassen, werden die Nachfrager und Kunden, die Wettbewerber und sonstige Marktteilnehmer (wie Lieferanten, Absatzmittler und Handelspartner, Investoren sowie die verfügbaren Arbeitskräfte) unter die Lupe genommen (vgl. auch Sauter 2001). Zu unterscheiden ist nach möglichen Kunden und potenziellen neuen Nachfragern, bei den Wettbewerbern nach direkten Wettbewerbern, indirekten (z. B. Anbieter von Substitutionstechnologien) und eventuellen branchenfremden Anbietern. Der Überblick über die Mikro-Umwelt nimmt die Branche unter die Lupe: • Branchenstruktur –– Marktform –– Eintrittsbarrieren –– Kapitalintensität der Branche –– Wertschöpfung innerhalb der Branche –– Technischer Wandel innerhalb der Branche

5.2  Situationsanalyse (SWOT-Analyse)

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• Kunden, Nachfrager, Abnehmer –– Wie groß sind die Märkte? –– Können weitere Märkte vom Standort aus bedient werden? –– Kann auf Erkenntnisse zum Konsumentenverhalten der Branche zugegriffen werden? –– Zugriff auf Verbraucher- und Kundendaten, Cross-Selling-Potenziale? –– Beschaffenheit und Größe möglicher Marktsegmente –– Sind die Kunden Endverbraucher oder Händler? –– Nachfrageverhalten, Bedürfnisstruktur, Zahlungsbereitschaften –– Auf welchen Wegen lassen sich die Kunden ansprechen? • Wettbewerber –– Art, Anzahl und Größe der direkten Wettbewerber –– Wettbewerbsintensität –– Leistungsprogramm der Konkurrenten –– Marktanteile der Konkurrenten –– Indirekte Wettbewerber, z.  B.  Anbieter von Substitutionstechnologien, branchenfremde Anbieter • Lieferanten –– Art, Anzahl, Größe, Konzentration, Erreichbarkeit der Lieferanten –– Konzentration der Lieferanten –– Qualität von Vorprodukten –– Vorschriften zum Bezug lokaler Komponenten? • Absatzmittler und Handelspartner –– Sind verlässliche Geschäfts- und Vertriebspartner vor Ort? –– Nachfragemacht und Konzentration des Handels, Einkaufsvolumen der Händler –– Distributionsstrukturen –– Transportsysteme und -kosten • Investoren –– Strukturen des Bank- und Finanzwesens –– Risikokapitalgeber –– Kapitalmarkt, Zins- und Wechselkurswirkungen • HR-Faktoren, Personal –– Angebot und Zugang zu Arbeitskräften innerhalb der Branche –– Personalkosten –– Ausbildungsniveau der verfügbaren Arbeitskräfte? Können Qualitätsstandards eingehalten werden? –– „Mentalität“ bzw. kulturelle Voraussetzungen der Arbeitnehmer: Existieren große kulturelle Unterschiede, die die Zusammenarbeit erschweren? –– Volatilität der Arbeitnehmer, Muster der Fluktuation –– Arbeitsrecht: Sind Arbeitskräfte stark organisiert? Ist mit häufigen Streiks zu rechnen?

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5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

Im Anschluss setzt das Unternehmen Innen- und Außenanalyse in Relation: Können die Stärken des Unternehmens, zusammen mit den Chancen des Umfeldes genutzt werden? Können Chancen des Umfeldes Schwächen des Unternehmens ausgleichen? Wie ist das Unternehmen aufgestellt, um mit den besonderen Herausforderungen des Umfeldes umzugehen?

5.3

 ptionen des Markteintritts in neue Märkte und O Überlegungen zu Kooperationspartnern

Welche Möglichkeiten bestehen für ein Unternehmen, um in einem anderen Land unternehmerisch tätig zu werden bzw. in einen ausländischen Markt einzutreten? Grundsätzlich unterscheiden lassen sich zunächst die Direktinvestitionen im Ausland und kooperativen Strategien des Markteintritts, in dem man mit einem Partner gemeinsam den neuen Markt erschließt. Abhängig von der Bereitschaft, Kapital- und Managementleistung zu investieren, reicht das Spektrum vom einfachen Export bis hin zur Gründung wirtschaftlich eigenständiger Tochtergesellschaften. Die wichtigsten Formen der Direktinvestition im Ausland sind • Gründung eines eigenständigen Verkaufsbüros bzw. Unterhaltung einer Verkaufsniederlassung oder einer Produktionsstätte bzw. eines Montage- oder Fertigungsbetriebs als Auslandsniederlassung • Gründung einer eigenen (wirtschaftlich und rechtlich selbstständigen) Tochtergesellschaft • Fusionen und Übernahmen von Unternehmen. Die Strategie der Direktinvestition empfiehlt sich, wenn man ein dauerhaftes Engagement und dazu ein hohes Maß an Kontrolle im Zielland anstrebt. Nachteil sind die relativ hohen Kosten der Direktinvestition. Die Alternative ist die kooperative Internationalisierung. Die SWOT-Analyse kann ergeben haben, dass das Unternehmen in einer Kooperation in den neuen Markt eintreten sollte. Sie kann weitaus kostengünstiger gestaltet werden als die Direktinvestition. Unter Kooperation versteht man dabei eine mittel- bis langfristig angelegte, vertraglich geregelte Zusammenarbeit rechtlich selbstständiger Unternehmen. Grundsätzliche Nachteile sind die geringeren Kontrollmöglichkeiten. Als die wichtigsten kooperativen Strategien des Eintritts in fremde Märkte gelten (vgl. auch Blom und Meier 2004, S. 8 f.) • • • •

indirekter Export (mit Hilfe sog. „Handelsmittler“, z. B. Handelshäuser), direkter Export (unmittelbare Beziehung zu ausländischen Geschäftspartnern) Auslands-Lizenzvergabe Errichtung eines internationalen Franchising-Systems

5.3  Optionen des Markteintritts in neue Märkte und Überlegungen zu …

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• Gründung eines Joint Ventures • internationale Netzwerke und strategische Allianzen Ein Marketingbuch kann es nicht leisten, die Optionen des Markteintritts in ihren rechtlichen Implikationen zu diskutieren, muss jedoch auf die besondere Bedeutung der rechtlichen Aspekte hinweisen. So ist es in einigen Ländern sehr schwierig, Kooperationen zu kündigen. In den GCC (Gulf Cooperation Council)-Staaten ist beispielsweise schon die Kündigung eines lokalen ­Handelsvertreters rechtlich nur schwer durchführbar und kann nur durchgesetzt werden, wenn schwerwiegende Gründe vorliegen, deren Anerkennung wiederum mit hohen Hürden verbunden ist. Im Falle eines verlorenen Prozesses vor dem Arbeitsgericht ist mit hohen Schadensersatzforderungen und Ausgleichszahlungen zu rechnen. Die Auseinandersetzung mit der jeweiligen Landesgesetzgebung erfordert daher eine juristische Beratung.

5.3.1 Kooperationen und Kooperationspartner Für alle kooperativen Strategien muss ein Partner gefunden werden. Internationale Kooperationen spielen eine zunehmend bedeutsame Rolle: Unterschiedliche Kompetenzen können zusammengebracht, Kosten und Risiken auf mehrere Schultern verteilt, unterschiedliche Märkte erschlossen werden. In der Vergangenheit galten vor allem Konkurrenz und Wettbewerb als die Treiber des Fortschritts. Da für Innovationen eine Vielzahl von Kompetenzen zusammengebracht werden müssen und die Innovationskosten hoch sind, könnte im Zeitalter der Digitalisierung die Kooperation mit anderen Unternehmen diese Rolle einnehmen: Durch Kooperationen lassen sich Möglichkeiten schaffen, die das einzelne Unternehmen allein nicht leisten kann (vgl. auch Gutting 2016, S. 148 ff.). Der Begriff Kooperation impliziert die Selbstständigkeit der beteiligten Unternehmen. Bei bestimmten Kooperationsformen existiert allerdings ein hierarchisches Gefälle zwischen den Unternehmen • Bei einer Unternehmensübernahme (Akquisition) hat das übernehmende Unternehmen Weisungsmacht gegenüber dem übernommenen Unternehmen. • Bei einer Fusion (Merger) von Unternehmen verliert zumindest ein Teilnehmer seine wirtschaftliche und rechtliche Selbstständigkeit, da ein Unternehmen im anderen aufgeht. • Bei informellen Kooperationen unterstützen sich die beteiligten Unternehmen gegenseitig bei der Verfolgung gemeinsamer Ziele. • Möglich sind auch Interessengemeinschaften, z.  B.  Forschungskooperationen oder Einkaufskooperationen, bei denen die kooperierenden Unternehmen Beschaffungsaufträge bündeln. Eine internationale Form davon ist die Exportkooperation: Unternehmen

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5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

mit komplementären Produkten betreiben ein gemeinsames Exportbüro, um sich Kosten für Markterkundung, Markterschließung, Transporte und Kundendienst zu teilen. • Ein Joint Venture erfordert letztlich die Gründung eines eigenen Unternehmens, welches Aufgaben der Gesellschafterunternehmen ausführen soll und rechtlich selbstständig ist. • Arbeitsgemeinschaften aus verschiedenen Unternehmen können projektbezogen bestimmte Aufgaben erfüllen, welche ein einzelnes Unternehmen allein nicht schafft oder aber das Risiko allein nicht übernehmen will. Konsortien oder Arbeitsgemeinschaften im Bauwesen bei Großprojekten sind ein Beispiel. • Strategische Allianzen, Netzwerke und Kooperationen von (meist großen) international tätigen Unternehmen: Die Unternehmen arbeiten hierbei in Teilbereichen zusammen, um die notwendige Größen bei kapitalintensiven Produkten zu erreichen, Kapazitäten auszulasten, eigene Investitionen zu amortisieren oder zu vermeiden. –– Ein Beispiel ist die Star Alliance, als Zusammenschluss bzw. Kooperation mitei­ nander konkurrierender Fluggesellschaften. Kostenintensive Infrastruktur, wie die Lounges für Premiumkunden auf den Flughäfen weltweit, wird gemeinsam genutzt. –– Im Hochtechnologiebereich finden sich sog. Burden-Sharing-Allianzen. Sie stemmen gemeinsam kostenintensive Innovationsprojekte, bündeln Know-how und teilen Kosten und Risiken. –– In Japan gibt es die sog. „Keiretsu“: Netzwerke aus Unternehmen unterschiedlicher Branchen mit gegenseitigen Kapitalbeteiligungen. Häufig wurden sie um eine Bank oder um ein großes Handels- oder Industrieunternehmen herum angesiedelt. Stetiger Informationsaustausch und Zusammenhalt der miteinander verflochtenen Unternehmen erschwert es ausländischen Unternehmen, dagegen zu konkurrieren. (vgl. zu Abschn. 5.3.1, Schmalen und Pechtl 2014). Für ein kooperationswilliges Unternehmen gilt es einzuschätzen, unter welchen Vo­ raussetzungen Kooperationen grundsätzlich eine Aussicht auf Erfolg haben (vgl. auch Gutting 2016, S. 149 f.): Gegenseitige Ergänzung Die Ressourcen und Fähigkeiten, die die Partner einbringen, sollten möglichst komplementär zueinander sein; die Partner sollten sich in ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten ergänzen. Wenn die Partner in Konkurrenz stehen, sind Probleme vorprogrammiert. Gleichgewicht Die monetären und nichtmonetären Beiträge, die die Kooperationspartner einbringen, sollen in der gemeinsamen Beurteilung in einem Gleichgewicht stehen. Zumindest sollte in mittel- oder langfristiger Perspektive von einem Gleichgewicht ausgegangen werden können.

5.3  Optionen des Markteintritts in neue Märkte und Überlegungen zu …

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Vertrauen und interkulturelle Kompetenz Ein Vertrauensverhältnis ist die Grundlage einer guten Kooperation. Erfahrungsgemäß ist der Aufbau von Vertrauen schwierig, wenn die Partner aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. In den Kulturen herrscht ein unterschiedliches Verständnis darüber, was Vertrauen bedeutet und wie es aufgebaut werden kann. Um Vertrauen entwickeln zu können, ist es deshalb notwendig, dass die Partner über interkulturelle Kompetenz verfügen. Sie ist die Grundbedingung, um das Verhalten der Partner einschätzen zu können und somit gut zusammenarbeiten zu können. Existenz von Promotoren Führungskräfte oder Mitarbeiter, die die Kooperation fortlaufend pflegen und aktualisieren, sollten identifizierbar und sichtbar sein. Solche Promotoren können Personen mit langer Auslandserfahrung und vor allem mit gefestigten Beziehungen zu den Akteuren vor Ort sein. Sie stellen die effektive Kommunikation zwischen den Kooperationspartnern und den notwendigen Interessenausgleich sicher, um die gute Kooperation nicht zu gefährden. Sie motivieren und übernehmen Aufgaben der Mediation, wenn kritische Situationen entstehen.

5.3.2 Kriterien der Auswahl von Kooperationspartnern Für eine Zusammenarbeit scheint die Interessenlage oft vordergründig klar: Beispielsweise wird auf der einen Seite Zugang zu Technologie und Know-how gesucht, auf der anderen Seite der Zugang zu einem großen Markt. Idealerweise sollten am Anfang einer Partnerauswahl ein klar identifizierbares gemeinsames Bedürfnis und Komplementarität stehen (vgl. auch Gutting 2016, S. 152 f.). Die Unternehmen sollten ein gemeinsames Ziel vor Augen haben, welches man nur erreichen kann, wenn man sich gegenseitig ergänzt. Beispielsweise soll gemeinsam ein Markt erobert werden, wozu der eine Partner Produkt- und Produktions-Know-how und der andere Partner die notwendigen Markt- und Vertriebskenntnisse beiträgt. Bei der Partnerauswahl zu beachten sind weitere wichtige Punkte: • Es muss vorab geklärt werden, ob Prioritäten und Möglichkeiten des Managements ähnlich sind und zusammenpassen. Es sollten beide Partner bereit und wirtschaftlich in der Lage sein, über einen bestimmten Zeitraum hinweg zu investieren. Wenn einer der Partner zu einer langfristigen Investition bereit ist, der andere aber diese nicht mittragen will oder kann, sind Probleme vorprogrammiert. • Die Frage der zueinander passenden Unternehmensgrößen der kooperierenden Partner muss (subjektiv) geklärt werden. In Bezug auf die „richtige“ Größe eines Partners existieren in der betriebswirtschaftlichen Literatur unterschiedliche Ansichten. Mead (2005, S. 337) geht beispielsweise davon aus, dass die Partnerunternehmen von ähnlicher Größe sein sollten. Vorteilhaft kann aber auch sein, wenn ein großes Unternehmen

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5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

mit einem kleineren kooperiert. Damit können unterschiedliche Möglichkeiten zusammengebracht werden, z. B. die Möglichkeiten und Erfahrungen eines Großunternehmens mit der Flexibilität eines Start-ups. Vorteil einer solchen Konstellation ist auch eine klare Rollenverteilung. • Die Unternehmenskultur des potenziellen Partners ist abzuschätzen und es ist zu prüfen, ob sie zur eigenen Organisationskultur passt. In vielen Fällen wurde die Bedeutung der Unternehmenskultur unterschätzt. Joint Ventures sind gescheitert, weil die Organisationskulturen inkompatibel waren. Als Grund für das Scheitern des Joint Ventures zwischen Daimler Benz und Mitsubishi sahen viele Beobachter die nicht kompatiblen Unternehmenskulturen: Daimler Benz – als weitaus kleineres Unternehmen als Mitsubishi – tendierte zur straffen Zieleverfolgung. Mitsubishi – als Konglomerat mehrerer riesiger Firmen – musste sich weitaus vorsichtiger bewegen, immer mehrere interne Fraktionen berücksichtigen. Von Daimler wurde das japanische Unternehmen als zu schwerfällig wahrgenommen. Kooperationswillige Unternehmen sollten sich einen Partner suchen, mit dem ein sog. Strategic Fit besteht (vgl. auch Mead 2005, S. 336). Strategic Fit bedeutet zunächst, dass beide Partner die als notwendig erachteten oder gewünschten Ressourcen einbringen können. Beiden Partnern sollte klar sein, dass tatsächlich eine Zusammenarbeit notwendig ist, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Die strategischen Interessen der Kooperationspartner sollen nicht in einem Konflikt stehen. Eher problematisch gestaltet sich die Zusammenarbeit mit einem Partner aus derselben Branche, da ein Konkurrent normalerweise dieselben Interessen verfolgt und ähnliche Ressourcen einbringen kann. Eine solche Zusammenarbeit kann dann sinnvoll sein, wenn sich Chancen durch unterschiedliche Umgebungen eröffnen, z. B. ein Partner einen Markt bearbeitet, der besonders kostensensibel ist, der andere einen Markt mit besonders hohen Qualitätsanforderungen. Ein anderes Beispiel (vgl. Mead 2005, S. 337): Der Schweizer Nestlé-Konzern ging ein internationales Joint Venture mit einem chinesischen Kaffeeanbieter ein. Hierbei wurde für Nestlé Zugang zum großen chinesischen Markt geschaffen und für den chinesischen Anbieter über den Großkonzern Zugang zum internationalen Markt. Eine gute Voraussetzung für einen Strategic Fit ist es, wenn die Kerngeschäfte der Partner sich ergänzen, wenn ein Unternehmen vom Kerngeschäft des anderen profitieren kann und umgekehrt. Falls die Partner im Kerngeschäft konkurrieren, sind Probleme bereits vorab im Prüfprozess zu erwarten: Von einem Konkurrenten lässt man sich nicht gerne in die Karten schauen.

5.4

Strategische Planung der internationalen Vermarktung

Wie eingangs skizziert muss das Unternehmen zur strategischen Planung einige grundsätzliche Standortbestimmungen und Entscheidungen treffen:

5.4  Strategische Planung der internationalen Vermarktung

• • • • •

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Kulturelle Grundorientierung des Unternehmens Bestimmung der Zielmärkte und -segmente Internationale Positionierung von Unternehmen, Marke, Produkten Timing-Strategie Prüfung des Fit zwischen geplanter Strategie und Unternehmen Im Folgenden sollen diese grundsätzlichen Fragestellungen erörtert werden.

5.4.1 S  tandortbestimmung: Kulturelle Orientierung und Grundtypen internationaler Vermarktungsstrategien Das Unternehmen muss sich zunächst die grundsätzliche Haltung das Managements in Bezug auf die Organisation der Auslandsaktivitäten klar machen: Ist es stark im Heimatmarkt verhaftet und scheint die Steuerung der Auslandsaktivitäten nur vom Stammland aus machbar? Ist das Unternehmen offen für eine separate Betrachtung und Bearbeitung ausländischer Märkte und bereit, Verantwortung auszulagern? Sind bestimmte Regionen, z. B. die DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) am besten bearbeitbar? Ist das Unternehmen von vorneherein global orientiert? Zur Standortbestimmung lässt sich das bewährte EPRG-Modell von Perlmutter nutzen (vgl. Perlmutter, in: Bartlett und ­Ghosal 1995, S. 93–103). EPRG-Modell: Kulturelle Grundorientierungen von Organisationen Das EPRG-Modell unterscheidet vier Strategien oder Orientierungen (vgl. auch Blom und Meier 2004, S. 107 und Gutting 2016, S. 130 ff.): EPRG ist ein Akronym für ethnozen­ trisch, polyzentrisch, regiozentrisch und geozentrisch. Die kulturelle Orientierung der Unternehmensführung bestimmt, wie das Verhältnis zwischen dem Stammsitz eines Unternehmens und den einzelnen Ländergesellschaften oder Tochterunternehmen gestaltet wird. Die ethnozentrische Orientierung oder „Home Country Orientation“ Eine ethnozentrische Orientierung liegt vor, wenn sich das Unternehmen stark an seinem Heimatmarkt orientiert. Die internationalen Aktivitäten sollen vor allem die Inlandsposition stärken. Das Stammland wird als Hauptmarkt betrachtet. Die Stammlandnationalität soll auch im Ausland klar erkennbar bleiben. Eine typische Organisationsform dafür ist die (rechtlich nicht selbständige) Länderniederlassung. Das Topmanagement des Stammhauses geht davon aus, dass die eigenen Mitarbeiter am besten geeignet sind, die internationalen Aktivitäten voranzutreiben. Schlüsselpositionen des Managements werden mit Angehörigen des Stammlandes, die als Expatriates entsandt werden, besetzt. Die wichtigen Entscheidungen werden in der Unternehmenszen­ trale gefällt. Durch die Expatriates soll die Nähe zum Stammhaus und die Durchsetzung seiner Entscheidungen sichergestellt werden.

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5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

Die Organisationskultur des Stammsitzes wird auf die Tochtergesellschaften übertragen. Regeln, Organisation und Prozesse des Stammhauses sind der Standard, dem die Tochterfirmen folgen. Anpassung an Gegebenheiten einzelner Länder erfolgt nur da, wo sie unbedingt notwendig erscheint. Vorteile bestehen in der einheitlichen Unternehmenspolitik und den klaren Machtstrukturen. Kernkompetenzen des Unternehmens können weltweit auf die gesamte Organisation übertragen werden. Vorteile bestehen auch in den Lerneffekten und der internationalen Vernetzung der entsandten Manager. Hauptnachteile werden darin gesehen, dass Vorteile des Umfeldes nur in begrenztem Maße ausgeschöpft werden können. Man kann nur begrenzt flexibel auf die Verhältnisse der lokalen Märkte reagieren. Nachteile im Bereich der Human Resources bestehen zum einen in den hohen Entsendungskosten für Expatriate-Manager: Als Daumenregel gilt bislang, dass die Kosten für einen Expatriate-Manager drei bis viermal höher sind als für einen lokalen Manager. Zum anderen fühlen sich lokale Mitarbeiter benachteiligt im Zugang zu Führungspositionen. Eine ethnozentrische Orientierung kann auch den Pool für die Auswahl der besten Führungskräfte einengen. Eine ethnozentrische Orientierung im Ausland funktioniert am besten dann, wenn auf dem Heimatmarkt und den ausländischen Märkten ähnliche Bedürfnisse bestehen. Die polyzentrische Orientierung oder „Host Country Orientation“ Bei einer polyzentrischen Orientierung hat das Unternehmen den klaren Willen, Erfolg in den Gastländern durch Anpassung an die regionalen Gegebenheiten zu erreichen. Ein passendes Image im Gastland soll aufgebaut werden. Eine typische Organisationsform ist die Auslandsgesellschaft. Die ausländischen Tochterfirmen genießen weitgehende Eigenständigkeit. Involvierte Risiken werden akzeptiert, die nötigen Investitionen bereitgestellt. Die Auslandsaktivitäten laufen gleichberechtigt neben Aktionen im Stammland, damit man den Besonderheiten des jeweiligen Marktes bestmöglich gerecht wird. Die polyzentrische Orientierung geht von einer starken Unterschiedlichkeit des Marktes zum Heimatmarkt aus. Grundannahme ist, dass ein „zentralistisches“ Vorgehen nicht zielführend ist und die Personen vor Ort die besten Entscheidungen treffen können. Überwiegend Führungskräfte aus dem „Gastland“ steuern die Geschäfte vor Ort. Hauptvorteile bestehen darin, flexibel auf Chancen vor Ort reagieren zu können. Kostengünstiger kann dieser Ansatz ebenfalls sein, da nur wenige Expatriate-Manager entsandt werden müssen. Größter Nachteil ist das Risiko, dass sich die ausländischen Tochterfirmen stark vom Stammsitz und seinen Interessen isolieren. Zielkonflikte und Kommunikationsprobleme können zwischen Stammhaus und Auslandsniederlassung entstehen. Weiterhin reduziert diese Unternehmenspolitik die Möglichkeit, konzernweite Synergien zu nutzen. Diese Orientierung kann dann sinnvoll sein, wenn spezifisches Wissen für sehr interessante ausländische Märkte benötigt wird und die Bedürfnisse auf den Märkten sich stark unterscheiden.

5.4  Strategische Planung der internationalen Vermarktung

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Die regiozentrische Orientierung oder „Regional Orientation“ Bei der regiozentrischen Orientierung fasst das Unternehmen relativ homogene regionale Gruppen zusammen, beispielsweise aufgrund von sprachlichen, religiösen oder politischen Gemeinsamkeiten (z.  B.  Frankreich und französische Schweiz oder die deutschsprachigen Länder). Neben sprachlichen werden häufig geografische Kriterien angewandt (z. B. Europa, USA oder Asia-Pacific). Zusammenfassen lassen sich auch Gruppen von Ländern oder Regionen, bei denen eine andere Form der Homogenität besteht, z. B. ein ähnliches Kaufkraftniveau oder eine ähnliche Konsumentenstruktur. Die regiozentrische Orientierung ist der Versuch, Vorteile der polyzentrischen mit Vorteilen der geozentrischen Orientierung zu verbinden. Die regiozentrische Unternehmenspolitik zielt vor allem darauf, Strategien und Prozesse der Tochterfirmen in den definierten Regionen zu vereinheitlichen. Entscheidungskompetenzen liegen zum Teil bei den Landesgesellschaften, wichtige Entscheidungen werden zentral getroffen. Diese Ausrichtung ist zur Nutzung kultureller oder sonstiger Gemeinsamkeiten einer Region sinnvoll. Die geozentrische Orientierung oder „Geocentric Orientation“ Ziel der geozentrischen Orientierung ist die Weltmarktposition. Das Unternehmen richtet sich auf globale Märkte bzw. länderübergreifende Zielgruppen und global agierende Wettbewerber aus. Die globale Integration wird durch das gesamte Unternehmen hindurch gefördert, durch eine eigene, starke Unternehmenskultur sowie effektive informelle Netzwerke. Die unterschiedlichen Ländermärkte werden integriert auf der Grundlage einer weltweiten Unternehmensstrategie. Es erfolgt eine weltweite Arbeitsteilung. Die Landesgesellschaften sind weniger als selbstständige Einheiten zu sehen. Wichtigste Entscheidungsbefugnisse liegen in der Zentrale. Die für die jeweiligen Aufgaben besten Führungskräfte sollen, unabhängig von ihrer jeweiligen Nationalität, eingesetzt werden. Der weltweite Pool von Mitarbeitern liefert eine gewisse Flexibilität und ermöglicht einen internationalen Know-how-Transfer. Der globale Einsatz von Führungskräften kann im Vergleich zu einem polyzentrischen Vorgehen sehr teuer sein, wenn viele Mitarbeiter entsandt werden. Die Unternehmen könnten dies umgehen, indem sie lokale Verträge anbieten. EPRG-Modell und Strategie Die kulturelle Orientierung der Unternehmensführung determiniert die internationale Unternehmenspolitik. Die Objekte des strategischen Managements werden von ihr wesentlich beeinflusst, vor allem • die internationalen Marketingstrategien (Erläuterungen siehe unten) • die Strukturen, z.  B. die Unternehmensorganisation, die Art der Arbeitsteilung und Aufgabenerfüllung, • die Systeme, z. B. die Controllingsysteme und die Managementanreizsysteme.

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5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

Perlmutter hatte beobachtet, dass am Anfang der Internationalisierung Unternehmen meist ethnozentrisch ausgerichtet sind. Nachdem die Bedürfnisse und Chancen der Tochtergesellschaften in den Ländern erkannt und artikuliert worden sind, entwickelt sich Polyzentrismus. Dessen Nachteile werden jedoch nach einiger Zeit offenkundig. Reife Unternehmen entscheiden sich deshalb häufig für eine geozentrische Unternehmenspolitik.

5.4.2 Grundtypen internationaler Marketingstrategien Aufgrund der o. g. kulturellen Orientierungen lassen sich folgende Grundtypen internationaler Marketingstrategien unterscheiden (vgl. auch Gabler online): • Typ I: Internationales Marketing: Im Anfangsstadium der Internationalisierung konzentrieren sich die Marketingaktivitäten auf den Heimatmarkt. Das Unternehmen ist oft noch gar nicht in der Lage, sich auf länderspezifische Besonderheiten einzustellen. Heimische Managementtechniken werden auf die ausländische Tochtergesellschaft übertragen (ethnozentrische Orientierung). • Typ II: Multinationales Marketing: Die Tochtergesellschaften im Ausland erhalten Entscheidungsspielräume, um sich den Erfordernissen des jeweiligen Auslandsmarktes anzupassen. Sie treten als quasi autonomes Unternehmen auf (polyzentrische Orientierung). Mit der Anpassung will man höhere länderspezifische Marktanteile erzielen. • Typ III: Globales Marketing: Mit globalem Marketing soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden. Die Unternehmensaktivitäten werden in ein Gesamtsystem integriert. Ziele am Weltmarkt werden ohne besondere Berücksichtigung nationaler Bedürfnisse angestrebt. Standardisierung soll Kostenvorteile schaffen. Die Muttergesellschaft und die ausländischen Tochtergesellschaften werden nicht als autonome Unternehmenseinheiten betrachtet, sondern als integrative Teile zur weltweiten Arbeitsteilung (geozentrische Orientierung). Globale Strategien versuchen, durch ein hohes Maß an länderübergreifender Integration Globalisierungsvorteile, vor allem Kostenvorteile, zu erzielen. Multinationales und globales Marketing sind insofern Gegenpole im Spannungsverhältnis zwischen globalem Wettbewerbsdruck und nationalen Bedürfnissen. • Typ IV: Transnationales Marketing: Transnationales Marketing versucht, den Konflikt zwischen der Wahrnehmung globaler Kostenvorteile und lokaler Anpassung auszubalancieren. Länderspezifische Differenzierungsvorteile werden ausgenutzt. Durch Vernetzung sollen globale Wettbewerbsfähigkeit, multinationale Flexibilität und weltweite Lernfähigkeit sichergestellt werden. (vgl. Gabler online) Wenn in früheren Betrachtungen vor allem die Kostenvorteile globaler Strategien im Fokus standen, so rücken im Zeitalter transparenter Märkte Differenzierungsvorteile in den Vordergrund. Auf diesen Aspekt gehen wir deshalb im nächsten Kap. 6 gesondert ein.

5.4  Strategische Planung der internationalen Vermarktung

93

5.4.3 Festlegung internationaler Zielmärkte und Zielsegmente Die primäre Zielsetzung der internationalen Marktwahl ist es, anhand geeigneter Kriterien die Märkte und Marktsegmente zu bestimmen, die besonders erfolgversprechend erscheinen (vgl. Sauter 2001, S. 129 ff.). Zur Bewertung und Auswahl von Ländermärkten zieht man vor allem die Marktattraktivität und eventuelle Marktbarrieren heran. Erkenntnisse dazu wurden durch die zuvor erfolgten Länderanalysen gesammelt. Die Attraktivität eines Ländermarktes wird in erster Linie durch die ökonomischen Ertragschancen bestimmt. Neben ertragsrelevanten Merkmalen wie Marktvolumen oder Marktwachstum existieren mittelbare Erfolgsgrößen, wie z.  B.  Brückenkopf-Charakter (z. B. Frankreich für französisch sprechende afrikanische Länder, Hongkong für China) Marktbarrieren sind limitierende Faktoren, die eine Marktbearbeitung erschweren oder verhindern. Man unterscheidet natürliche oder strukturelle Marktbarrieren (Infrastruktur, ökonomisches Niveau) von strategischen Marktbarrieren, die durch andere Marktteilnehmer (Wettbewerber, Absatzmittler) verursacht werden. Die Klassifikation der Ländermärkte und Zielregionen führt zur internationalen Marktwahl. Die Welt wird aufgeteilt in die für das Unternehmen tatsächlich relevanten Regionen, nämlich • Kernmärkte mit hoher Marktattraktivität und geringen Marktbarrieren, in denen hohe Chancen bestehen und die Risiken überschaubau sind. • Gelegenheitsmärkte, in denen das Potenzial zwar nicht allzu hoch eingeschätzt wird, die jedoch gut zu bearbeiten sind. • Hoffnungsmärkte, in denen die Risiken zwar hoch eingeschätzt werden und ein hoher Ressourceneinsatz erforderlich ist, für die in Zukunft jedoch das Potenzial erwartet wird, sich zu Kernmärkten zu entwickeln. • Abstinenzmärkte, die man aufgrund großer Risiken und geringer Chancen nicht bearbeiten wird. Im nächsten Schritt erfolgt die internationale Marktsegmentierung, die Bestimmung und Auswahl der länderübergreifenden bzw.  – spezifischen Marktsegmente. Ziel jeder Marktsegmentierung ist es, einen Gesamtmarkt mittels geeigneter Kriterien in homogene Teilmärkte aufzuteilen. So kann ein Technologieunternehmen beispielsweise zu dem Ergebnis kommen, dass es sich im Zielmarkt USA/Kanada auf das Zielsegment der gewerblichen Nutzer konzentrieren will. Die Segmentierung ist die Grundlage für die anschließende Positionierung. Den letzten Schritt bildet die Bewertung der strategischen Marktbedeutung: Das Unternehmen analysiert nochmals in der Gesamtsicht, welche Zielmärkte und Zielsegmente den größten Erfolg versprechen. Meist wird eine nachfrageorientierte Perspektive eingenommen, um zu beurteilen, welche Märkte für das Unternehmen von strategischer Bedeutung sind:

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5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

• Von den Hauptabsatzmärkten erwartet werden hohen Markt- und Absatzvolumina. Sie sind die entscheidenden Märkte für die Erreichung der Umsatz- und Ertragsziele. Produktionskapazitäten sollen durch ihre Bearbeitung ausgelastet, Economies of Scale erreicht werden. Wichtigstes Kriterium für Hauptabsatzmärkte ist ihre Größe, z. B. China. • Wachstumsmärkte (Emerging Markets) sind Ländermärkte, die noch nicht über ein hohes Absatzvolumen verfügen, die aber aufgrund ihrer Größe oder Rahmenbedingungen ein großes Entwicklungspotenzial besitzen. • Neben diesen könnten weitere Märkte interessant sein, z. B. Märkte mit innovationsfördernden Nachfrageverhältnissen (vgl. Sauter 2001). Märkte mit besonders innovationsoffenen Nachfragern könnten als Frühindikatoren für weltweite (technologie- und innovationsbezogene) Marktentenwicklungen und Trends fungieren. Die Abnehmer auf diesen Märkten haben hohe Ansprüche hinsichtlich Funktionalität und Design der Produkte. Durch den Einstieg in solche Märkte versucht das Unternehmen, Bedürfnisse in anderen Ländern vorwegzunehmen. Für die Informationstechnologie war dies lange Zeit Japan. Im Mobilfunkbereich hatten die skandinavischen Länder eine solche Funktion. Nachdem im Unternehmen klare Vorstellungen über die Zielregionen und die dort angestrebten Zielsegmente bestehen, erfolgt die internationale Positionierung.

5.4.4 I nternationale Positionierung von Unternehmen, Marke, Produkten Unter Produktpositionierung versteht man den durch den Nachfrager wahrgenommenen Imageraum eines Produktes im Umfeld konkurrierender Angebote. „Positioning is not what you do to a product. Positioning is what you do to the mind of the prospects.“ (Ries und Trout 1986, S. 3). Der Anbieter versucht, das Image so zu gestalten, dass (potenzielle) Kunden das Unternehmen, die Marke und die Produkte vom Wettbewerb unterscheiden und den Konkur­ renzunternehmen und -produkten vorziehen (Das Thema Positionierung wird weiter erläutert in Kap. 7). Die internationale Vermarktung legt es nahe, eine globale Positionierung anzustreben (vgl. Sauter 2001, S.  148  ff.): Für die internationale Positionierung bietet sich ein Top-down-Verfahren an. Hierzu müssen länderübergreifend einheitliche Kundenbedürfnisse und -anforderungen erkannt werden. Das Unternehmen versucht, die zentralen, entscheidenden Produkt- und Nutzendimensionen zu erkennen, die weltweit von ähnlicher Bedeutung für die Nachfrager sind. Erforderlich ist ein kontinuierliches Monitoring hinsichtlich der relevanten Nutzendimensionen aus Kundensicht, da sich Kundenpräferenzen manchmal erst allmählich he­ rausbilden oder sich im Zeitablauf ändern können.

5.4  Strategische Planung der internationalen Vermarktung

95

Die internationale Positionierung versucht, weitgehend zu standardisieren. Länderspezifische Anpassungsmaßnahmen erfolgen allenfalls in besonders lukrativen Märkten, wenn die Angebote der Konkurrenz dies erforderlich machen.

5.4.5 Länderübergreifende Timing-Strategie Als länderübergreifende Timing-Strategie bezeichnet man die zeitliche Staffelung des Auftretens eines Unternehmens auf neuen Märkten (vgl. auch Sauter 2001, S. 118 ff.). Zu unterscheiden sind • die Sprinklerstrategie und • die Wasserfallstrategie. Bei der Sprinklerstrategie betritt das Unternehmen gleichzeitig neue Märkte oder führt gleichzeitig bzw. parallel Produkte in allen relevanten Ländermärkten ein. Voraussetzung ist eine weitgehend standardisierte Marktbearbeitung. Die Wasserfallstrategie ist der zeitlich gestaffelte, sukzessive Markteintritt in die identifizierten Ländermärkte. Das Unternehmen konzentriert sich zunächst auf einen bestimmten Ländermarkteintritt und bearbeitet die identifizierten Ländermärkte schrittweise. Durch die langsamere Erschließung können vorherige Fehler korrigiert werden. Allerdings kann zwischenzeitlich die Konkurrenz auftreten und den Zugang erschweren.

5.4.6 „ Fit“ zwischen Strategie und Struktur, Systemen und Kultur des Unternehmens Abschließend ist nochmals kritisch zu reflektieren, ob ein „Fit“ zwischen der geplanten Vermarktungsstrategie und der Struktur, den Systemen und der Organisationskultur des Unternehmens besteht (vgl. auch Sauter 2001, S. 201 f.): • Unternehmensstruktur: In der Planung werden Organisationseinheiten zur Umsetzung der Maßnahmen festgelegt. Es muss kritisch geprüft werden, ob der bisherige Organisationsaufbau des Unternehmens dazu in der Lage ist. Es muss eine Abstimmung zwischen der geplanten Strategie und dem bestehendem Organisationsaufbau erfolgen. • Unternehmenssysteme: Man muss reflektieren, ob die Informations-, Anreiz-, Steuerungssysteme etc. des Unternehmens für die geplanten Maßnahmen tauglich sind und ggf. neue Optionen erarbeiten. • Unternehmenskultur: Passt die Unternehmenskultur zur geplanten Strategie? Werden die Werte und Normen, Denk- und Verhaltensmuster im Unternehmen die Pläne eher fördern oder behindern? Es ist einer der kritischen Punkte jeder Implementierung, ob

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5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

die Organisationskultur die Strategie trägt. Eine eingefahrene Unternehmenskultur kann die Umsetzung einer neuen Strategie verhindern (siehe auch Kap. 10). Wo nötig, müssen vor der Implementierung Anpassungsleistungen eingeplant werden.

5.5

Operative Planung der internationalen Vermarktung

Der strategischen Planung folgt die operative Planung. Das Programm, mit dem man in den Zielländern antreten will, muss erstellt werden. In der operativen Planung werden die internationalen Vermarktungsziele und die damit verbundenen konkreten Marketingmaßnahmen festgelegt. In der operativen Planung wird also der internationale Marketingmix definiert. Sie umfasst vor allem die Produkt-, Preis-, Kommunikations- und Distributionspolitik (wie in Kap.  3 beschrieben) sowie alle Planungen, die sich mit dem Kundenmanagement und dessen Prozesse aus internationaler Perspektive beschäftigen. Dabei stellt sich die Grundfrage: Inwieweit können das Marketing und seine Elemente standardisiert werden, und wo muss angesichts lokaler Gegebenheiten und Bedürfnisse vor Ort differenziert oder angepasst werden? Im folgenden Kapitel 6 wird darauf näher eingegangen werden. Grundsätzlich strebt das Unternehmen die Standardisierung der internationalen Marketingmaßnahmen an. Die Standardisierung birgt gewichtige Vorteile, vor allem Kostenvorteile und die Vereinfachung der Planungsprozesse. Sie reduziert den Informations- und Kommunikationsbedarf. Es muss jedoch geprüft werden, ob von diesem Grundsatz abgewichen werden muss, um mit lokaler Anpassung länderspezifische Differenzierungsvorteile und damit hohe Marktanteile zu erzielen. Die Frage des Umgangs mit Kultur- und sonstigen Unterschieden ist eine der wichtigsten Fragen der internationalen Vermarktung. Ihr wird deshalb das anschließende Kap. 6 gewidmet. Für den Erfolg eines weltweit operierenden Unternehmens bestimmend sind also • Standardisierung, vor allem um Kosten- und Zeitvorteile zu erzielen • Flexibilität, um auf Chancen der Ländermärkte reagieren zu können • Lernfähigkeit, um Erfahrungen aus der internationalen Geschäftstätigkeit nutzen zu können. Um ein ganzheitliches Bild von Unternehmen, Marke und Produkten zu präsentieren, muss das Unternehmen die weltweite Harmonisierung ihres Marktauftritts gewährleisten. Eine Herausforderung für die Unternehmenskommunikation besteht in der Schaffung einer weltweiten Produkt-, und Markenbekanntheit und eines konsistenten, positiven Unternehmensimages. Im Kap.  7 zur globalen Markenführung wird darauf weiter eingegangen werden.

5.7  Implementierung der internationalen Marketingstrategien und Kontrolle

5.6

97

Marketingplan und Marketingbudget

Zur Umsetzung der strategischen und operativen Planung erarbeitet das Unternehmen einen Marketingplan. Hierzu muss ein finanzielles Budget bereitgestellt werden. Das Unternehmen schätzt die monetären Konsequenzen der Planung ab; die Kosten der Vermarktungsmaßnahmen sowie die erwarteten Erlöse werden geplant und im internationalen Marketingplan ausgewiesen. Der Maßnahmenplan muss zeitlich verbindlich gestaltet werden. Die wichtigsten Bestandteile eines internationalen Marketingplans sind normalerweise • Management Summary • Unternehmens- und Ressourcenanalyse (Ergebnisse der Stärken und Schwächen des Unternehmens) • Internationale Umweltanalyse (Ergebnisse der Chancen und Risiken) • Internationale Marketingziele • Internationale Marketingstrategien • Operative Marketingmaßnahmen (mit Zeit- und Aktivitätenplanung) • Budget (Bestimmung und Zuordnung der prognostizierten Erlöse und geplanten Kosten) Ist der internationale Marketingplan erstellt, erfolgt dessen Implementierung.

5.7

I mplementierung der internationalen Marketingstrategien und Kontrolle

Die Implementierung kann unterteilt werden in • Durchsetzung, • Umsetzung und • Durchführung der geplanten Maßnahmen. (vgl. auch Sauter 2001, S. 199 ff.). Die Durchsetzung der internationalen Marketing-Planung bedeutet, zunächst die Annahmebereitschaft und Akzeptanz für die Marketingziele, -strategien und -maßnahmen zu schaffen. Die Führung muss – einfach ausgedrückt – dafür sorgen, dass die Mitarbeiter Strategie und Maßnahmen kennen, verstehen, können und wollen. • Über die Strategie informieren: Die Unternehmensleitung sorgt zunächst dafür, dass alle Beteiligten die Pläne kennen. • Verständnis erzeugen: Die Beteiligten müssen verstehen, was die geplanten Maßnahmen im Einzelnen bedeuten und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.

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5  Entscheidungen und Schritte zur Durchdringung internationaler Märkte

• Kompetenzen sicherstellen: Es ist dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter die Pläne umsetzen können. Barrieren wie mangelnde Fähigkeiten und Erfahrungen müssen beseitigt werden, z. B. durch Schulungen, zusätzliches Personal oder Beratungsleistung. • Akzeptanz für die Strategie schaffen: Die tatsächliche Bereitschaft und der Wille zur gemeinsamen Umsetzung der Maßnahmen muss geschaffen werden. Hindernisse sind auszuräumen, z. B. Konflikte wie Ressortegoismen oder typische „interne Kulturkonflikte“, z. B. die unterschiedlichen Denk- und Vorgehensweisen zwischen Forschung & Entwicklung und Vertrieb. Nach der Durchsetzung erfolgt die Umsetzung. Umsetzung bedeutet die Anpassung der Unternehmenspotenziale an die geplanten Maßnahmen. Veränderungen in den Bereichen der Unternehmensstruktur (z. B. der Organisationsgestaltung), der Unternehmenssysteme (z. B. Neugestaltung von Verantwortlichkeiten) und der Unternehmenskultur können erforderlich werden. Durchsetzung und Umsetzung sind die Voraussetzungen für die Durchführung bzw. die konkrete Ausgestaltung. Die Durchführung lässt sich fördern durch: • die Unterstützung von „Implementierungsträgern“ im Unternehmen: Machtpromotoren oder Fachpromotoren, die von der Planung überzeugt sind und über entsprechende Autorität verfügen, • die Schaffung geeigneter Führungsstrukturen: Strukturelle Führung und ein Führungsstil, der die Kulturgebundenheit der Mitarbeiter berücksichtigt und passende Formen der Kooperation und Konfliktregelung findet. Organisatorisch sorgen für die Implementierung z. B. Gremien, Arbeitskreise oder Umsetzungskommissionen (vgl. auch Sauter 2001, S. 202 f.). In der Praxis erweist sich oft gerade die unternehmensinterne Implementierung, d. h. die Schaffung der internen Voraussetzungen für die Durchführung als problematisch. Einer erfolgreichen Implementierung steht oft eine Reihe von Hindernissen im Weg, die in der Planungsphase bereits zu bedenken sind. Typische Implementierungskonflikte sind • Zielkonflikte aufgrund unterschiedlicher Zielsetzungen der Beteiligten, die sich nicht gleichzeitig realisieren lassen • Erwartungsdivergenzen durch unterschiedliche Einschätzungen und Prognosen • Verteilungskonflikte, insbesondere, wenn personelle und finanzielle Ressourcen umverteilt werden müssen • Kulturkonflikte, die auf unterschiedlichen Werthaltungen beruhen. Die unterschiedlichen Wertevorstellungen in den einzelnen Ländern sind für die internationale Vermarktung eine besondere Herausforderung. Neben der Nationalkultur ist ebenso die Unternehmenskultur zu berücksichtigen.

5.7  Implementierung der internationalen Marketingstrategien und Kontrolle

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Unternehmenskultur spielt für die Implementierung eine zentrale Rolle. Sie kann nicht kurzfristig instrumentell aufgebaut werden. Gemeinsame Wertvorstellungen bei allen Mitarbeitern entwickeln sich eher langfristig. Deshalb ist die Schaffung einer gemeinsamen Vision, eines „größten gemeinsamen Nenners“, eine zentrale Aufgabe (vgl. auch Meyer und Davidson 2001, S. 167 f.). Führungskräfte müssen die Mitarbeiter „mitnehmen“, offen kommunizieren und Überzeugungsleistungen erbringen. Nur wenn die Mitarbeiter, Abteilungen und Unternehmensbereiche überzeugt sind, haben Marketingstrategien Annahme- und Durchführungschancen. International operierende Unternehmen müssen zusätzlich den Forderungen interkultureller Personalführung gerecht werden. Dies zeigt, dass internationales Marketing nicht nur Kunden- sondern in hohem Maße auch Mitarbeiterorientierung erfordert. Am Ende der systematischen strategischen Planung steht die Kontrolle: das Marketingcontrolling als Teil der Unternehmenssteuerung. Ein effizienter Controllingprozess impliziert den ständigen Abgleich zwischen Planung, Umsetzung und Ergebnis sowie ggf. der Initiierung entsprechender Anpassungsmaßnahmen. Aus der Kontrolle ergeben sich Neubewertungen (Rückkoppelungen) zur Optimierung künftiger Entwicklungen (vgl. z. B. Huber 2007, S. 22).

6

Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung

In Kap. 5 wurde ein Überblick über den gesamten Prozess der internationalen Vermarktung vermittelt und dabei auf die Bedeutung von Kultur und Unterschiedlichkeit hingewiesen. In der operativen Planung stellt sich die Kernfrage internationalen Marketings nach Standardisierung und Differenzierung nahezu aller Elemente des Marketings, insbesondere der Produkte. Diesem Thema ist Kap. 6 gewidmet. Zunächst soll hierzu das Verhältnis zwischen internationalem und interkulturellem Marketing geklärt werden und der Zusammenhang zwischen Kultur und Marketing. Anhand vieler Beispiele wird Standardisierung, Anpassung und Differenzierung gezeigt. Durch Standardisierung können insbesondere auf der Produktebene Kostenvorteile, Economies of Scale und Erfahrungswerte genutzt werden. Deshalb erfolgt in dieser Arbeit eine Konzentration auf Standardisierung und Differenzierung der Produktattribute.

6.1

Internationales und interkulturelles Marketing

Zum Begriff und Inhalt des internationalen Marketings gibt es in der Literatur eine Reihe unterschiedlicher Definitionen. Weis (2018, S. 56) sieht als Gemeinsamkeit der Ansätze, „dass es sich beim internationalen Marketing • um ein die Ländergrenzen überschreitendes Marketing • eine internationale Geschäftstätigkeit und • ein jeweils länderspezifisches Marketing handeln sollte“. Impliziert ist hier eine Anpassung an einzelne Länder bzw. ­Länderkulturen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Gutting, Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29429-8_6

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6  Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung

Die Definition im Gabler Wirtschaftslexikon lautet „Internationales Marketing umfasst die Planung, Koordination und Kontrolle aller auf die aktuellen und potenziellen in- und ausländischen Märkte ausgerichteten Unternehmensaktivitäten zum Zwecke der dauerhaften Befriedigung der Konsumentenbedürfnisse und der Erreichung weiterer Unternehmensziele“ (Gabler online). Im Zentrum dieser Definition steht die Befriedigung der Konsumentenbedürfnisse. Eine Definition von Bradley (2005, S. 3) verweist auf die Komplexität internationalen Marketings, gerade wenn die Bedürfnisse internationaler Kunden und Märkte berücksichtigt werden sollen: „International marketing is the process of • identifying needs and wants of customers in different international markets • providing products, services, technologies and ideas competitively to satisfy needs and wants of different customer groups in different markets • communicating information about the assets being transferred across political and cultural boundaries • delivering products and services internationally using one or a combination of foreign entry modes“ (Bradley 2005, S. 3).

Unterschiedliche Kundenbedürfnisse in den Märkten müssen demnach zunächst identifiziert, dann in Produkte und Dienstleistungen gewandelt werden. Die Produktvorteile müssen über politische und kulturelle Grenzen hinweg kommuniziert werden. Produkte und Dienstleistungen müssen ihren Weg zum Kunden finden, wobei sich auch die Frage des geeigneten Markteintritts stellt. Diese recht umfassende Definition setzt auch an den Kundenbedürfnissen und -wünschen an. Die klassischen 4 Ps werden als Gerüst genutzt. Auf Unterschiede in den Märkten wird verwiesen. Unterschiede in den Märkten bestehen vor allem in Bezug auf die folgenden Aspekte (vgl. auch Keller 1998, S. 553 ff.): • • • • • • • • • •

Konsumentenansprüche und -wünsche die Nutzung von Produkten Reaktionen der Konsumenten auf einzelne Marketingelemente das Wettbewerbsumfeld der einzelnen Märkte vorhandene Marketinginfrastruktur (z. B. Distributionskanäle, Handelspraktiken, verfügbare Kommunikationsmedien, Medialeistung und -kosten) die Mediennutzung der Konsumenten länderspezifische Verkehrsinfrastrukturen, die unterschiedliche Anforderungen an die Logistik stellen die Marktentwicklung und die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung Gesetze und politische Umfelder Religionen und Weltanschauungen

6.2  Kultur und Konsumentenverhalten

• • • •

103

gesellschaftliche Gewohnheiten und Lebensbedingungen Technologieentwicklung physikalische, klimatische und geografische Bedingungen Marketingmanagement, einschließlich Mitarbeiterführung in den einzelnen Ländern.

Durch diese Unterschiede stellt sich die Kernfrage: Inwieweit muss sich internationales Marketing an die Gegebenheiten vor Ort anpassen, damit die Produkte überhaupt Vermarktungschancen haben? Interkulturelles Marketing stellt diese Unterschiede ins Zentrum der Betrachtung. Emrich (2014, S. 7) sieht als Gemeinsamkeit der gängigen Definitionen zum interkulturellen Marketing das Augenmerk und die strategische Ausrichtung auf fremden Kulturen sowie die Berücksichtigung kultureller Eigenheiten und Hintergründe. Mead (2005, S. 16) definiert interkulturelles Marketing als • „development and application of knowledge about cultures in the practice of international management • when people involved have different cultural identities“.

Kulturelle Identität bedeutet hier die Zugehörigkeit zu einem „kulturellen Kollektiv“ bzw. einer bestimmten Gruppe. Die Gruppe kann eine Gesellschaft, eine Nation oder eine Subkultur sein, in der gemeinsame Werte gelten. Konstitutiv für die Bildung der kulturellen Identität sind also gemeinsame Wertevorstellungen. Die geteilten Werte wirken inte­ grativ und fungieren normativ für das Verhalten der Gruppenangehörigen. Sie geben den Mitgliedern eine Orientierung, was „normal“ ist und wie man sich folglich verhalten soll. Werte stabilisieren eine Gruppe. Sie sind die Grundlage zur Ableitung von Normen, die in Gesetze oder soziale Kontrolle überführt werden können (vgl. auch Gutting 2016, S. 29). Gemeinsame Werte sind somit ein zentraler Bestandteil von Kulturen und wichtig zur Regelung des Zusammenlebens der Mitglieder. Mit kultureller Identität muss auch im Marketing umgegangen werden. Im internationalen Marketing ist deshalb Wissen über Kulturen zu entwickeln und anzuwenden.

6.2

Kultur und Konsumentenverhalten

Auf die unzähligen Definitionen von Kultur muss an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Wir verstehen Kultur in Anlehnung an Thomas (vgl. Thomas, in: Thomas et al. 2005, S. 22) als angelerntes Orientierungssystem einer Gruppe oder Gesellschaft, aus dem spezifische Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensmuster resultieren, die sich von denen anderer Gruppen unterscheiden. Auf Unterschiede im Denken, Fühlen und Handeln verweist auch Hofstede (2006, S. 2 f.) und definiert Kultur als die „mentale Programmierung des Geistes“. Kultur leitet

104

6  Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung

sich aus dem Umfeld ab, nicht aus den Genen. Hofstede weist empirisch nach, dass trotz vielfältiger Denkweisen eine Struktur in dieser Vielfalt erkennbar ist, die als Grundlage gegenseitigen Verstehens dienen kann. Die Auseinandersetzung mit dem Faktor Kultur im Marketing begann in den USA früher als in Deutschland. Burnet und Moriarty (1998, S. 129) begreifen Kultur als Gesamtheit erlernter Werte und Gewohnheiten. Kultur beeinflusst menschliches Verhalten, somit auch das Konsumentenverhalten: „All of us are part of a cultural fabric that affects our behaviour including our behaviour as consumers. Culture is the sum of learned beliefs, values and customs that regulate the behaviour of members of a particular society“ (Burnet und Moriarty 1998, S. 129). Wenn Kultur das Konsumentenverhalten beeinflusst, ist Kulturverständnis eine notwendige Voraussetzung für erfolgreiches Marketing. Kultur ist schon deshalb im gesamten Marketingmanagement relevant, weil alle Kunden und Stakeholder eines Unternehmens von ihrer Kultur geprägt sind. Gefordert wird deshalb vom Management die interkulturelle Kompetenz. Interkulturelle Kompetenz wird verstanden als Fähigkeit, erfolgreich mit Menschen aus verschiedenen Kulturen zu interagieren. Interkulturelle Kompetenz erfordert Einsicht in die eigene Kultur und Verständnis der Kultur anderer. Kulturverständnis ist somit eine notwendige Voraussetzung, um im internationalen Unternehmen effektiv handeln zu können. Kultur erschließt sich im Vergleich. Die Marketingpraxis zeigt die Unterschiedlichkeit von Gewohnheiten, überlieferten Vorstellungen und Nutzungsgewohnheiten, die zu berücksichtigen sind und alle mehr oder weniger unter dem Begriff der Kultur­unterschiede summiert werden können. So ist beispielsweise in der Produkt- und Werbegestaltung die kulturspezifische Bedeutung von Formen, Farben und Symbolen zu bedenken. Farben werden in unterschiedlichen Kulturen mit unterschiedlichen Bedeutungen konnotiert. Weiß ist im westlichen Kulturkontext die Farbe der Reinheit, in einigen asiatischen Kulturen war weiß traditionell eine Trauerfarbe. Im chinesischen Kulturkontext gilt die Farbe Rot als besonders positiv, als Glücksfarbe, während sie in anderen Kontexten als „laut“, Aufmerksamkeit heischend und vielleicht sogar als aggressiv aufgefasst werden kann. Der „Rotlichtdistrikt“ in Stadtvierteln gibt davon Zeugnis. Ein Vermarkter muss fragen, wie Produkte genutzt werden: Ist aufgrund lokaler Gewohnheiten oder Bedingungen mit Einbußen für die Produktqualität zu rechnen? Wie werden beispielsweise Lebensmittel gelagert, zubereitet, konsumiert? Werden beispielsweise Getränke – wie dies in warmen Ländern häufig der Fall ist – mit viel Eis serviert? Wenn Getränke mit viel Eis verdünnt werden, so „verwässert“ ihr Geschmack. Eine Produktanpassung aufgrund dieser Gewohnheit wird notwendig. Traditionen und Nationalstolz sind zu berücksichtigen. Bei der Einführung von Fast Food in Frankreich musste reflektiert werden, wo und inwieweit ein solches Angebot zu sehr im Widerspruch zum nationalen Stolz auf die im 19. Jahrhundert kreierte französische „Haute Cuisine“ steht.

6.2  Kultur und Konsumentenverhalten

105

Der Frage, wer was in einem Land einkauft, ist bei der internationalen Vermarktung Aufmerksamkeit zu widmen: Wer trifft die Kaufentscheidungen in den Haushalten? ­Darauf sind die Kommunikationsstrategien auszurichten. Die Variable „Gender“ kann hier eine große Rolle spielen: Für welche Produkte treffen in der Familie Männer, für welche Frauen die Kaufentscheidung? Die Kaufkraft der verschiedenen Konsumentengruppen ist zu berücksichtigen. Über welche Kaufkraft verfügen beispielsweise Kinder in einem Land? Wie sind die Einkaufsgewohnheiten? Wird möglichst täglich frisch auf dem Markt eingekauft, wie das beispielsweise in einigen mediterranen Kulturen noch als Idealbild gilt? Oder wird einmal in der Woche im großen Stil mit geräumigen Fahrzeugen eingekauft und stehen zuhause große Kühlschränke zur Verfügung? Dieses Muster ist eher in den USA zu finden. Vor einigen Jahren floppte der Versuch der Einführung von 2-Liter-Cola-Flaschen in Spanien. Wenn häufig frisch eingekauft wird, verfügen die Haushalte über keine großen Kühlschränke. Wo werden welche Produkte eingekauft? Eher in großen Supermärkten oder wird der lokale Einzelhandel für bestimmte Produkte vorgezogen? Inwieweit spielen Loyalität zu gewohnten Einkaufsstätten und der Einfluss von Verkaufspersonal eine Rolle? Im „After Sales“ gilt es beispielsweise zu reflektieren, wie ein aussagekräftiges „Consumer Feed Back“ zu erhalten ist und wie sich typische Kundenbeschwerden darstellen. Ein sensibles Feld ist die Werbekommunikation: Welche Werbeinhalte gelten als positiv? Welche Themen sind überhaupt verwendbar? Welche Themen sind auszuschließen, wo gibt es Tabus? So wurde beispielsweise der Werbespot eines Sportschuhherstellers in China negativ aufgenommen, in welchem der Protagonist mit einem Drachen kämpfte. Der Drache gilt in China als hohes, ursprünglich kaiserliches Symbol. Die Herausforderung eines hohen Symbols ist in einem solchen Kulturkontext ungehörig. Ist Erotizismus als Gegenstand der Werbung einsetzbar? Während er in der westlichen Welt Aufmerksamkeit findet  – „Sex Sells“ –, muss er für einige Kulturräume ausgeschlossen werden. Reagieren die Verbraucher auf einige Themen kritisch und sensibel? Ein relativ neues Beispiel dafür ist der H&MWerbeflop „Coolest Monkey in the Jungle“: Ein dunkelhäutiger Junge wurde in einem Shirt mit diesem Aufdruck dargestellt. Anknüpfen wollte man an den Text eines aktuellen Hits und witzig wirken. H&M wurde daraufhin mit heftigen Rassismus-­Vorwürfen konfrontiert. Gerade im internationalen Umfeld kann vor dem Versuch, Humor einzusetzen, nur gewarnt werden: Humor ist kulturspezifisch und von daher eine Quelle für Missverständnisse. Die Beispiele zeigen, dass die Auseinandersetzung mit Wahrnehmungsmustern, Verbrauchergewohnheiten und -vorlieben, letztlich mit der besonderen Kultur der einzelnen Länder, zwingend notwendig ist. In Deutschland wird für das Verständnis von Kultur gerne das sog. Eisbergmodell aus der Kommunikationswissenschaft zitiert. Dem Eisbergmodell zufolge ist • nur ein Teil der Kultur der menschlichen Wahrnehmung zugänglich. Dieser besteht in ihrem sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck (z. B. in der Architektur, Essen und Trinken, Kleidung, Sprache, Bräuchen, etc.).

106

6  Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung

• Der unsichtbare Teil der Kultur ist vor allem in Werten und Normen und der kulturellen „Logik“ einer Gesellschaft zu finden. Kulturstandards bestimmen das Denken und Handeln der Menschen. Kultur gibt den Mitgliedern einer Gruppe Orientierung, Zugehörigkeit und Sicherheit, eben weil die Norm- und Wertvorstellungen von den Mitgliedern der Gruppe geteilt werden. Somit besteht Einigkeit darüber, was richtig oder falsch, gut oder böse, schön oder hässlich ist. Die Marketingrelevanz von Kultur soll im Folgenden vereinfacht, unter Verwendung vieler Beispiele gezeigt werden. Analog zum Eisbergmodell wird zwischen • „sinnlich wahrnehmbarer“ Kultur und • „unsichtbarer“ Kultur bzw. den Kulturdimensionen unterschieden.

6.2.1 Sinnlich wahrnehmbare Kulturunterschiede im Marketing Die sinnlich wahrnehmbaren Teile von Kultur sind für das Marketing ebenso relevant wie die unsichtbaren. Äußerlich „sichtbare“ Kultur verstehen wir dabei als physischen Ausdruck von Gebräuchen, Vorlieben, Gewohnheiten und Vorstellungen in den Ländern. Hierzu zählt alles, was über die Sinne wahrnehmbar ist. Auf die unterschiedliche Bedeutung von Zahlen, Formen, Symbolen und Farben in unterschiedlichen Gesellschaften wurde oben schon hingewiesen, da sie für die Gestaltung von Produkten und Werbestrategien zu berücksichtigen sind: Die Farbe rosa steht beispielsweise im westlichen Kulturkontext für Femininität und Romantik. Sie wird deshalb normalerweise nicht gewählt für Produkte, die sich an Männer richten. In einigen asiatischen Kulturen galt jedoch rosa traditionell als Farbe der Stärke. Auch Zahlen haben in den Kulturen unterschiedliche Bedeutung. In China gilt die 8 als Glückszahl, die Zahl 4 als Unglückszahl, weil sie ähnlich klingt wie das chinesische Wort für Tod. Man versucht, die Zahl 4 zu vermeiden. Deshalb ist beispielsweise in Wohnanlagen oder Hotels häufig kein vierter Stock ausgewiesen. Man umgeht die Nennung dieser Zahl, um Hotelgäste nicht in einem Stockwerk mit einer „Unglückszahl“ unterbringen zu müssen. Genutzt werden diese Flächen dann beispielsweise mit Läden, Restaurants, Sportanlagen oder ähnlichem, um die Zahl 4 nicht ausweisen zu müssen. Kulturelle Vorlieben und Gewohnheiten sind insbesondere im Nahrungsmittelbereich zu berücksichtigen. Geschmäcker sind kulturabhängig. Auf Präferenzen beim Produktangebot ist zu achten: Will man z. B. Pizza verkaufen, so sollte diese in Europa eher einen dünnen Teig haben. In den USA beliebt ist dagegen die „Deep Dish Pizza“ mit hohem Rand, die Platz für viel Käse und sonstige Zutaten lässt.

6.2  Kultur und Konsumentenverhalten

107

Auch auf Unterschiede in den körperlichen Eigenschaften der Verbraucher ist zu achten. Zu fragen ist, ob die physischen Eigenschaften eines Produktes für einen ausländischen Markt tauglich sind oder angepasst werden müssen. So hatte ein deutscher Elektrogerätehersteller Probleme, seine Rasierer in Asien abzusetzen, weil diese als klobig empfunden wurden, sich in den etwas zierlicheren Händen der asiatischen Männer nicht gut anfühlten. Die deutschen Autohersteller mussten sich bei der Erschließung asiatischer Märkte in vielerlei Hinsicht an Kultur und Gegebenheiten anpassen. In Hongkong ließ die Kaufkraft zwar schon vor vielen Jahren den Verkauf von Luxuslimousinen zu. Am Steuer saß jedoch häufig nicht der Käufer selbst, sondern sein Fahrer. Der deutsche Slogan von BMW „Freude am Fahren“ musste neu interpretiert werden, z. B. in Bezug auf die Gestaltung des Rücksitzes, auf dem der Besitzer des Fahrzeuges tatsächlich Platz nimmt. Ebenso unterscheiden sich die Lebensbedingungen in den Ländern und müssen von den Unternehmen verstanden werden. BMW stellte fest, dass die Kaufkraft der privaten Haushalte in Japan die Anschaffung der BMW 7er Reihe durchaus zuließ, der Verkauf aber durch die zu kleinen Garagenplätze in Japan erschwert wurde. Auch die Wahrnehmung nebensächlich erscheinender Eigenschaften eines Produktes können von Verbrauchern in unterschiedlichen Umfeldern ganz unterschiedlich interpretiert werden. Ein Hersteller von Staubsaugern erkannte, dass man in den USA die Geräte nur dann für leistungsfähig hielt, wenn sie relativ laut im Betrieb waren  – Lautstärke wurde mit Leistungsfähigkeit gleichgesetzt. Auch die Vorstellungen über Schönheit gehen auseinander. In den westlichen Industrienationen hält man beispielsweise eine gebräunte Haut für attraktiv. Sie wird verbunden mit positiven Attributen wie Sportlichkeit, Freizeit, Urlaub, Bewegung und Outdoor-­ Aktivitäten. In Asien dagegen wird traditionell eine möglichst helle Haut bevorzugt. Deshalb lassen sich dort sog. „Whitening Products“ als Hautcremes verkaufen bzw. Kosmetik mit bleichenden Zusatzstoffen. Gerade das letzte Beispiel zeigt, wie sich Vorstellungen über Werte in einer Kultur in Produkte umsetzen lassen, die anderorts unverkäuflich wären. Wertevorstellungen versucht man in den Kulturstudien zu verstehen, messbar und interkulturell vergleichbar zu machen. Im nächsten Kapitel soll deshalb ein kurzer Einblick in die Kulturforschung erfolgen, die ebenfalls Anhaltspunkte für die Chancen von Angeboten liefern kann.

6.2.2 Kulturdimensionen im Marketing Wie kann man Kultur greifbar, messbar und unterscheidbar machen? In der Disziplin der interkulturellen Kommunikation wird dieser Frage nachgegangen. Seit Ende der 1960er-­ Jahre geben die empirischen Studien von Geert Hofstede Aufschluss. Darüber forschen konnte er als Sozialwissenschaftler im internationalen Konzern IBM.  Hofstede knüpfte u. a. an das Werk des Anthropologen und Ethnologen Edward T. Hall an, einem der Begründer der Disziplin der interkulturellen Kommunikation.

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6  Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung

Die Forschung zu den Kulturunterschieden ging von der Prämisse aus, dass alle Kulturen mit ähnlichen existenziellen Grundproblemen konfrontiert sind. Aufgrund anderer Umweltbedingungen haben sie jedoch unterschiedliche Bewältigungsstrategien entwickelt, die über lange Zeiträume weiter tradiert werden. Diese Überlegung führte zur Entwicklung der Kulturdimensionen. Sie erlauben die Beschreibung und den Vergleich von verschiedenen nationalen Kulturen. Wichtige Forschungsarbeiten zu den Kulturunterschieden wurden vorgelegt von: • Edward T. Hall: Hall setzte sich mit dem unterschiedlichen Zeitbegriff der Kulturen, mit Raumorientierung, Informationsgeschwindigkeit und Kommunikationsunterschieden auseinander. • Geert Hofstede: In seinen sieben Kulturdimensionen machte Hofstede Kulturunterschiede zwischen den Nationen empirisch messbar und damit vergleichbar. • Fon Trompenaars und Charles Hampden-Turner: Trompenaars war ein Schüler von Hofstede. Trompenaars und Hampden-Turner erweiterten die Hofstedeschen Dimensionen. Sie setzten sich u. a. damit auseinander, –– inwieweit in einer Kultur es als wichtiger erachtet wird, Regeln einzuhalten oder ob die persönlichen Beziehungen den allgemeinen Regeln überstellt werden, –– in welchen Kulturen eine scharfe Trennung der Bereiche, z.  B. zwischen Berufsund Arbeitsleben, vorgenommen wird, –– worauf sich Status und Ansehen in einer Gesellschaft gründen: der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Schicht oder gesellschaftlichen Klasse oder eher den eigenen Errungenschaften und Leistungen. • GLOBE-Studie: Die groß angelegt Studie erweitert ebenfalls die Kulturdimensionen Hofstedes. Das weltweite Forschungsprogramm wurde 1991 initiiert von Robert J. House und untersucht vor allem Zusammenhänge zwischen Nationalkulturen, Organisationskulturen und Führung. • Richard D. Lewis: Das Lewis-Modell klassifiziert kulturelle Normen und teilt die Länderkulturen in drei Verhaltenstypologien ein: linear-aktiv, multi-aktiv oder reaktiv. Als grundlegend gelten die Kulturdimensionen von Hofstede. Hofstede erschloss aus den IBM-Daten zunächst vier Kulturdimensionen, zwei weitere kamen später hinzu: • Machtdistanz: Wie wird die Verteilung von Macht und Hierarchie in einer Gesellschaft (von den weniger mächtigen Mitgliedern) akzeptiert? • Kollektivismus versus Individualismus: Wird dem Interesse der Gruppe oder dem des Individuums mehr Gewicht eingeräumt? • Maskulinität versus Femininität: Sind Werte der Bestimmtheit und Anerkennung wichtiger als Werte wie Bescheidenheit und freundliches Miteinander? • Unsicherheitsvermeidung: Wie tolerant kann eine Gesellschaft mit Uneindeutigkeit umgehen?

6.2  Kultur und Konsumentenverhalten

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• Langzeitorientierung versus Kurzzeitorientierung: Wird eher Wert auf langfristigen Nutzen oder auf kurzfristigen Gewinn gelegt? • Nachgiebigkeit versus Kontrolle: Werden Wünsche und Impulse kontrolliert oder gibt man ihnen eher nach? In einem kompakten Marketingbuch kann keine Aufarbeitung aller Kulturstudien erfolgen. Wir beschränken uns im Folgenden auf einen knappen Einblick in zwei der Kulturdimensionen Hofstedes, um an Beispielen die Marketingrelevanz dieser Kulturdimensionen zu zeigen. Die Dimension der Unsicherheitsvermeidung (vgl. Hofstede 2006, S. 231) beschreibt Hofstede als Maß für die (In-)Toleranz einer Gesellschaft gegenüber Uneindeutigkeit: „Unsicherheitsvermeidung lässt sich definieren als der Grad, bis zu dem die Mitglieder einer Kultur sich durch uneindeutige oder unbekannte Situationen bedroht fühlen. Dieses Gefühl drückt sich u. a. in nervösem Stress und einem Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit aus: ein Bedürfnis nach geschriebenen und ungeschriebenen Regeln“ (Hofstede 2006, S. 233). Unsicherheitsvermeidung führt weniger zu einer Risikoreduzierung, sondern eher zu einer Reduzierung von Uneindeutigkeit. Hierzu werden Regeln, Gesetze, Vorschriften und Institutionen geschaffen. In Gesellschaften mit starker Unsicherheitsvermeidung (vgl. Hofstede 2006, S. 244 ff.) • versucht man, die Unsicherheiten auszuschließen. Es werden viele Regeln, Gesetze und Vorschriften erlassen – auch wenn sie nicht zwingend befolgt werden oder nicht funktionieren • macht man sich viele Sorgen, z. B. um Geld oder Gesundheit. • begegnet man neuen Produkten und Technologien mit Skepsis. • lässt man Aufgaben von „Fachleuten“ erledigen. Die Abneigung gegenüber Unsicherheit geht einher mit der Vorsorge für die Zukunft und dem Bedürfnis nach klaren Regeln. Dies hat Konsequenzen für die Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen. Die Verbraucher legen beispielsweise Wert darauf, dass Produkte und Dienstleistungen von der Markeinführung an problemlos funktionieren. Ein Unternehmen, das nachbessern muss, diskreditiert sich. Dies ist in Ländern mit niedriger Unsicherheitsvermeidung nicht der Fall: Beispielsweise in den asiatischen Ländern werden Produkte oder Dienstleistungen oft durch sog. „Soft Starts“ in den Markt eingeführt: Man geht davon aus, dass noch nicht alles perfekt funktioniert und bessert allmählich nach. Dies kommuniziert man offen und bietet dafür einen Einführungspreis an. In Gesellschaften mit niedriger Unsicherheitsvermeidung akzeptieren die Kunden ein solches Vorgehen. In Ländern mit hoher Unsicherheitsvermeidung wünschen sich die Konsumenten klare Regeln und insbesondere klare Preise. Das Angebot eines Telekommunikationsanbieters wird eher angenommen, wenn mit keinen Überraschungen bei den Gebühren zu rechnen ist. Flatrates bzw. feste Endpreise für den Dienst werden ausgewiesen.

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6  Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung

In Gesellschaften mit hoher Unsicherheitsvermeidung besteht eine hohe Akzeptanz für Produkte, die Kontrolle und Sicherheit versprechen. Im Tourismusbereich sind die All-­ inclusive-­Angebote ein Ausdruck dessen: Touristen möchten zwar in unbekannte Länder reisen, fürchten aber Unsicherheit und Risiken, z. B. überraschend hohe Nebenkosten. Die Sicherheit, von vorneherein eine Kontrolle über die Ausgaben zu haben, haben die All-­ inclusive-­Angebote populär gemacht. Bei hoher Unsicherheitsvermeidung besteht ein Bedürfnis nach Produkten, die die Zukunft sichern. Für die Annahme der Angebote von Bausparkassen und Versicherungen bestehen höhere Vermarktungschancen als in Ländern mit geringerer Unsicherheitsvermeidung. Bei der Erschließung der asiatischen Märkte, in denen eine geringere Unsicherheitsvermeidung besteht, hatten z. B. die Versicherungsgesellschaften zunächst Probleme, den Nutzen ihrer Produkte überhaupt verständlich zu machen. Dem Wunsch, einen Kauf „sicher“ zu machen bzw. Kaufrisiken zu minimieren, wird entsprochen mit vielerlei Arten von Garantien und Rückgaberechten. Im internationalen Marketing, in der globale Marken und Anbieter weltweit Kunden ansprechen, wird dies allerdings immer mehr zum allgemeinen Standard. Die Kulturdimensionen Kollektivismus und Individualismus definiert Hofstede als ei­ nander entgegengesetzte Pole: „Individualismus beschreibt Gesellschaften, in denen die Bindungen zwischen den Individuen locker sind; man erwartet von jedem, dass er für sich selbst und seine unmittelbare Familie sorgt. Sein Gegenstück, der Kollektivismus, beschreibt Gesellschaften, in denen der Mensch von Geburt an in starke, geschlossene Wir-Gruppen integriert ist, die ihn ein Leben lang schützen und dafür bedingungslose Loyalität verlangen“ (Hofstede 2006, S. 102). In kollektivistischen Gesellschaften wird das Interesse der Gruppe dem des Individuums übergeordnet. Die umgebende Gruppe, zunächst die Familie, dann aber auch die Schule, die Firma, die Nation, üben eine große Macht auf das Individuum aus. Die Menschen fühlen sich als Teil einer „Wir-Gruppe“. Die Gruppe bietet Schutz, man fühlt sich darin aufgehoben. Im Gegenzug schuldet man ihr hohe Loyalität. Gesellschaften, in denen das Interesse des Individuums Vorrang vor dem Gruppeninteresse hat, werden dagegen als individualistisch bezeichnet. Typisch für individualistische Kulturen ist ein Bedürfnis nach Einmaligkeit, eine hohe Selbstwertschätzung des Individuums und ein großes Bedürfnis der Konsumenten nach Wahlfreiheit. Auch die Betonung des Vertrauens in die eigenen Kräfte gehört dazu. Die Werbung der Baumärkte in Deutschland reflektiert diesen Wert. Das Bedürfnis nach Wahlfreiheit, gepaart mit dem Wunsch nach individuell passenden Angeboten, spiegelt sich in einer großen Vielfalt von Produktlinien und Produktdifferenzierungen. Markenprodukte im gehobenen Marktsegment oder im Luxusbereich sollen die Individualität einer Person zum Ausdruck bringen. Man will sich abgrenzen von anderen. Insbesondere in der Werbekommunikation wird die Individualität ausgedrückt. Die „Einma­ ligkeit“ einer Person ist ein wiederkehrendes Thema in der Werbung. Ein starkes Selbstinteresse wird demonstriert.

6.3  Konvergenz versus Divergenz der Nachfrage

111

Werbung in individualistischen Kulturen bezieht sich meist auf das Individuum. In kollektivistischen Gesellschaften wird eher auf die Bedeutung der Gruppe verwiesen. Ein Beispiel: Die Verfasserin hat Ende der 2000er-Jahre mit einer internationalen Gruppe von Studierenden die Anti-Raucherkampagnen in verschiedenen Ländern untersucht. Im individualistischen Deutschland wurde gewarnt „Rauchen schadet ihrer Gesundheit“. In der Schweiz hieß es „Wenn ich das Risiko eines frühzeitigen Todes verhindern kann, dann tue ich das auch“. Die Botschaft im kollektivistischen China dagegen lautete „Rauchen schadet ihrer Familie“. Die Werte, die in einer Gesellschaft gelebt und tradiert werden, prägen das Konsumverhalten. Die Kulturstudien geben Aufschluss über die Werteprädispositionen in einer Gesellschaft. Die Kenntnis der Wertevorstellungen eines Zielmarktes ist folglich eine Voraussetzung für erfolgreiches Marketing. Freilich müssen noch weitere Überlegungen mit einbezogen werden.

6.3

Konvergenz versus Divergenz der Nachfrage

1983 formulierte Theodore Levitt seine sog. Konvergenzhypothese. Sie besagt, dass die Bedürfnisse der Konsumenten weltweit konvergieren bzw. sich aneinander anpassen werden. Letztlich wollen alle Konsumenten Produkte kaufen, die eine gute Qualität mit einem vernünftigen Preis verbinden. Theodore Levitt führte als Belege für die Konvergenz der Nachfrage folgende Argumente auf: In allen Industrienationen • finden ähnliche soziodemografische Entwicklungen statt. In ihnen werden die Familiengrößen kleiner und das Durchschnittsalter stetig höher. • setzen sich die Menschen mit anderen Kulturen auseinander, beispielsweise durch Urlaube, Schüleraustausch, Auslandssemester etc. • findet ein zunehmender kommunikativer Austausch durch verbesserte Kommunikationstechnologien statt. • verbessern sich die Transporttechnologien. Die Mobilität nimmt zu. Vertreter der Konvergenzhypothese gehen davon aus, dass diese langfristigen Angleichungen für die weltweite Standardisierung der Produkte und Dienstleistungen sprechen. Standardisierung hat klare Vorteile, weil sich Kosten der Anpassung vermeiden lassen. Niedrigere Kosten können über niedrigere Preise an die Konsumenten weitergegeben werden. Insofern kommt die Standardisierung dem zentralen Konsumentenbedürfnis nach einem guten Preis entgegen. Andere Forscher, wie beispielsweise Philip Kotler, widersprechen der Konvergenzthese. Sie sind der Meinung, dass das Marketing jeweils länderspezifisch angepasst werden muss.

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6  Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung

Grundsätzliche Vorteile der Standardisierung sind vor allem • die Vereinfachung der Planungsprozesse, • der geringere Informations- und Kommunikations- bzw. Koordinationsbedarf zwischen der Zentrale und den Akteuren in den einzelnen Ländern, • ein einheitlicher, wiedererkennbarer Marktauftritt des Unternehmens, • die Ausnutzung und Übertragung von Lern- und Synergieeffekten, • resultierende Kosten- und Zeiteinsparungen. Vorteile der Differenzierung sind dagegen vor allem Möglichkeiten der besseren Ausschöpfung nationaler bzw. lokaler Gegebenheiten. Als grundsätzliche Optionen lassen sich zunächst unterscheiden: • Die Standardisierung als Vereinheitlichung der Gestaltungsparameter über alle Ländermärkte hinweg. • Die Adaption als Anpassung einzelner Gestaltungsparameter. • Die Differenzierung als länderspezifische Festlegung der Gestaltungsparameter. Die länderspezifischen Unterschiede und damit die Gründe für eine potenzielle Notwendigkeit zur Anpassung oder Differenzierung wurden in Abschn. 6.1 genannt. Für das vermarktende Unternehmen stellt sich die Frage: Inwieweit müssen wir unser Marketing und unsere Produkte anpassen, damit unsere Angebote angenommen werden?

6.4

 ulturfreiheit versus Kulturgebundenheit in Management K und Marketing

Als Faustregel der internationalen Vermarktung gilt aus den o. g. Gründen: So viel Standardisierung wie möglich, so viel Anpassung und Differenzierung wie nötig. Wenn die Standardisierung also klare Vorteile hat, im Marketing wie in allen Prozessen des Managements, so stellt sich die Frage, ob Kulturfreiheit grundsätzlich möglich ist. In der wissenschaftlichen Diskussion finden sich zwei konkurrierende Positionen: • die universalistische (oder culture-free) These und • die kulturistische (oder culture-bound) Position Nach Auffassung der Universalisten sind Managementprinzipien unabhängig von kulturellen Bedingungen immer und überall gültig. Die Kulturisten betonen dagegen, dass unterschiedliche kulturelle Bedingungen, Wertehaltungen und Motive auch unterschiedliche Managementstile erfordern (vgl. auch Gutting 2016, S. 15 f.). Welge und Holtbrügge (in: Bergemann und Sourisseaux 2003, S. 3) weisen darauf hin, dass die Culture-free-These insbesondere von Wissenschaftlern vertreten wird, die stark durch ihre eigene Kultur geprägt sind und über wenig internationale Erfahrung verfügen.

6.4  Kulturfreiheit versus Kulturgebundenheit in Management und Marketing

113

Die Culture-bound-These wird dagegen überwiegend von Autoren gestützt, die über ­landesspezifische Berufserfahrung verfügen und Einzelländeruntersuchungen durchgeführt haben. Emrich (2014, S. 265 f.) unterscheidet kulturfreie und kulturgebundene Produkte und weist diesen Eigenschaften zu: Kulturfreie Produkte und Dienstleistungen erfüllen dieselben Bedürfnisse und sind weltweit mit denselben Kriterien messbar. Sie sprechen länderübergreifend dieselbe Zielgruppe an, z.  B. eher junge, mit anderen Kulturen vertraute Menschen, die aus einem urbanen Umfeld stammen, gut situiert sind und einen höheren Bildungsgrad haben. Folgende Produktgruppen sind Emrich (2014, S. 265 f.) zufolge eher kulturfrei: • Hightech-Produkte, z. B. Hard- und Software • Investitionsgüter (Schwermaschinen, Werkzeugmaschinen). Käufer treffen eher objektive, rationale Entscheidungen ohne Einbezug persönlicher Präferenzen • Dienstleistungen von Luftfahrtgesellschaften • Luxus- und Prestigeprodukte der Markenanbieter Kulturgebundene Produkte klassifiziert Emrich (2014, S. 266) folgendermaßen: • Konsumgüter, die für Verbraucher im persönlichen Bedarf wichtig sind • Traditionsprodukte • Produkte als Teil der kulturellen Identität, mit Verbindung zu länderspezifischen Lebensgewohnheiten, Verhaltensnormen und Konsummustern. Der Existenz sog. Culture Bound Facts und des daraus erwachsenden Differenzierungsbedarfs in den Handlungsfeldern internationalen Marketings versucht man im interkulturellen Marketing gerecht zu werden (vgl. Huber 2007, S. 71). Erscheinungsformen des interkulturellen Marketings beziehen sich auf • kulturell homogene oder heterogene Auslandsmärkte, aber auch auf • die Binnendifferenzierung des „Domestic Marketing“ in Gesellschaften mit kulturellen Minderheiten, die aufgrund ihrer Kaufkraft für das Marketing relevant sind. Ethnomarketing richtet Marketing- und Geschäftsaktivitäten auf die besonderen Bedürfnisse einer durch Kultur definierten Zielgruppe aus. In Deutschland gelten beispielsweise die türkischstämmige und die russischstämmige Bevölkerung als wichtige Zielgruppen des Ethnomarketings. In den USA hatte man früher schon beobachtet, dass sich die Bedarfe der latein- und die der afroamerikanischen Bevölkerung unterscheiden und in Marktchancen wandeln lassen. In diesem Buch wird dem Ethnomarketing eine wachsende Bedeutung prognostiziert, als Folge der zunehmenden Diversität der Gesellschaft und der wachsenden Internationalisierung. Ethnomarketing ist in der Literatur bislang noch relativ wenig vertreten. Ihm wird deshalb Kap. 9 gewidmet.

114

6.5

6  Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung

 tandardisierung, Anpassung und Differenzierung S von Produkten

Konsumenten wollen keine Produkte kaufen. Sie suchen einen Nutzen, den sie durch ein Produkt zu erhalten hoffen. Ein Lippenstift wird nicht als die Kombination von Ölen, Wachsen und Farbstoffen gekauft, die er tatsächlich ist, sondern als Schönheitsversprechen: als Hoffnung, durch seine Verwendung attraktiver auszusehen, mit dem Wunsch, sich zu pflegen. So betrachtet besteht ein Produkt aus einer Reihe von Eigenschaften, die dem Käufer einen Nutzen liefern. Ein Produkt lässt sich definieren als eine Kombination von Produktattributen: • physischen Produktattributen wie Größe, Gewicht, Farbe, Verpackung, etc., • Serviceattributen wie Wartung, After-Sales-Service, Verfügbarkeit von Ersatzteilen, etc., • symbolischen Attributen, die ein Produkt mit Bedeutung aufladen. Bedeutung wird oft durch Farben, Formen, Bilder, Zeichen manifestiert. Dazu gehören auch Konnotationen, die mit einem bestimmten Herkunftsland verbunden sind – „Made in Germany“ wird gleichgesetzt mit guter Qualität, insbesondere bei technischen Produkten. Konsumenten aus unterschiedlichen Kulturen legen unterschiedliches Gewicht auf die einzelnen Produktattribute (vgl. auch Usunier und Lee 2009, S. 220 ff.). Im Folgenden sollen Optionen und Restriktionen der Standardisierung und Differenzierung anhand von Beispielen verdeutlicht werden.

6.5.1 Physische Produktattribute Bei der Gestaltung der physischen Produktattribute spricht vieles für die Standardisierung. Das Hauptargument für Standardisierung bei der Herstellung ist das der Kostenvorteile. Die einheitliche Produktgestaltung fördert Economies of Scale und Qualitätssicherung. Erfahrungseffekte können genutzt werden. Dieser Grundsatz gilt selbst dann, wenn technische Produkte auf Märkten mit geringer Kaufkraft vermarktet werden sollen: Anpassungen lohnen sich meist nicht für die Hersteller. Ein „Abspecken“ von Funktionen könnte zudem auch in weniger kaufkräftigen Märkten zu mangelnder Kundenakzeptanz und Imageeinbußen führen. Die weltweit ähnliche Produktnutzung erlaubt oft die Standardisierung physischer Produkteigenschaften. Fluggesellschaften beispielsweise haben weltweit ähnliche Vorschriften zur erlaubten Größe von Handgepäckkoffern. Folgerichtig werden Gepäckstücke in einer bestimmten Größe angeboten. Ein weltweiter Trend zur Standardisierung entsteht durch internationale Standards (vgl. Usunier und Lee 2009, S. 221), z. B. ISO Standard (International Organization for

6.5  Standardisierung, Anpassung und Differenzierung von Produkten

115

Standardization). Daneben existieren länderspezifische Normen und Standards, Gesetze und Vorschriften, z. B. in Deutschland die DIN- oder VDE-Normen und VDI-Richtlinien. Sicherheits- oder Hygiene-Vorschriften verpflichten zur Anpassung an nationale Standards. Klimatische Bedingungen zwingen die Anbieter dagegen zur Differenzierung, beispielsweise wenn die Haltbarkeit von Produkten sichergestellt werden muss. Schokolade, die in den Tropen verkauft wird, enthält beispielsweise Zusätze, die das Schmelzen verhindern. Neben dem Klima ist die physische Umgebung zu beachten, beispielsweise beim Angebot von Fahrzeugen: Wie und wo werden sie genutzt? Ist mit besonders strengen Wintern zu rechnen oder mit besonders hoher Luftfeuchtigkeit? Wie ist die Beschaffenheit der Straßen? Wird häufig durch kurvige Bergstraßen gefahren oder meist mit gleichem Tempo entlang gerader Straßenverläufe? Das Ausstattungsangebot muss darauf abgestimmt werden. Lokales Konsumentenverhalten, kulturtypische Geschmacksvorlieben und Konsummuster erfordern meist die Differenzierung physischer Produkteigenschaften im Nahrungsmittelbereich. Coca-Cola enthält beispielsweise länderspezifisch unterschiedliche Zuckerarten und -mengen. Auch erfordern manche Märkte Anpassungen der Portionsgrößen: Für den amerikanischen Markt bieten beispielsweise Fast-Food-Ketten größere Portionen an. In der Systemgastronomie gilt die Standardisierung eigentlich als Erfolgsformel. McDonald’s erbringt jedoch im Produktbereich bzw. im Speiseangebot eine Reihe von Anpassungsleistungen an lokale Bedürfnisse und Vorlieben: In muslimischen Ländern sind die Burger halal bzw. das Fleisch stimmt mit muslimischen Vorgaben überein. Religiöse Werthaltungen machen Anpassungen notwendig: Für gläubige Muslime ist es unverzichtbar, dass die Tiere regelkonform geschlachtet wurden. (Auf die Besonderheiten islamischen Marketings wird in Kap. 9 weiter eingegangen.) In Indien, wo es aus religiösen Gründen verpönt ist, Rindfleisch zu essen, sind die Burger aus Hühnerfleisch. In großen Märkten wird zwischen einem „Core Menu“ und einem „Local Core Menu“ unterschieden: Als „Core Menu“ weltweit erhältlich ist der Big Mac, als „Local Core Menu“ eine Speise, welche die besonderen Vorlieben eines bestimmten Landes berücksichtigt, beispielsweise in Indonesien „Paket Nasi“, ein Reisgericht. Die Vereinheitlichung der Verpackungsgestaltung ist aus Effizienzüberlegungen sinnvoll, um geringere Kosten und einen verringerten Koordinationsbedarf zu erzielen. Für Markenartikel ist sie aus weiteren Gründen erforderlich: Die weitgehende Standardisierung der Verpackungsgestaltung unterstützt die länderübergreifende Markenidentität. Ein einheitliches Corporate Design sorgt für die weltweite Wiedererkennbarkeit der Marke und des Produktes. Die Verpackung hat neben der Schutz- und Werbefunktion eine Informationsfunktion. Sie enthält Anleitungen zur Anwendung und Nutzung des Produktes. Auch existieren gesetzliche Vorschriften für Hinweise und Warnungen, um Gefährdungen bei der Produktnutzung auszuschließen. Exporte in die USA müssen explizite Hinweise enthalten, beispielsweise, dass Baumwolle entflammbar ist. Erfolgen die gesetzlich vorgeschriebenen Hinweise nicht, kann der Hersteller in einem Schadensfall zur

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6  Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung

Verantwortung gezogen werden. Bedienungsanleitungen müssen verständlich sein. Die Technologisierung wird künftig dafür sorgen, dass mit Hilfe elektronisch lesbarer Tags Informationen in beliebiger Sprache und mit differenzierten Inhalten verfügbar gemacht werden können. Die notwendige Differenzierung der Verpackungsgestaltung vereinfacht sich dadurch. Kleinere Produktportionierungen und entsprechende Anpassungen der Verpackungsgröße können erforderlich sein, wenn die Kaufkraft in einem Land gering ist. Will man in Länder vermarkten, in denen die Löhne und das verfügbare Haushaltseinkommen niedrig sind, wird man kleinere Portionierungen anbieten. Auch in Märken mit geringer Kaufkraft lässt sich beispielsweise Markenkosmetik durchaus vermarkten. In kleinerem Format kann das Produkt damit für die Verbraucherinnen erschwinglich gemacht werden.

6.5.2 Serviceattribute Die Standardisierung von Serviceattributen ist schwierig, da Service meist im direkten Kundenkontakt, von Menschen für Menschen geleistet wird. Nicht nur die Lebensumstände, auch die Erwartungen an Serviceleistungen sind in den einzelnen Kulturen sehr unterschiedlich. Zu einer Standardisierung des Serviceangebotes sind Unternehmen manchmal gezwungen, beispielsweise Fahrzeughersteller, die einen „mobilen“ Kundenkreis bedienen. Lkw-Hersteller müssen einen standardisierten Service entlang der meistgenutzten internationalen Routen anbieten – es wäre für die Kunden inakzeptabel, bei Problemen unterwegs keinen Service vorzufinden. After-Sales-Service, Reparatur und Wartung werden von Mitarbeiten durchgeführt. Zu den unterschiedlichen Mitarbeitern, die die Dienstleistungen ausführen, kommen kulturspezifisch unterschiedliche Erwartungen hinzu (zu den besonderen Herausforderungen des Dienstleistungsmanagements siehe auch Abschn. 4.3). Mehr Effektivität im Service wird der Fortschritt der Technologie bringen, sobald Installation, Demonstration, technische Assistenz etc. von virtuellen Assistenten übernommen werden oder automatisiert erfolgen. Auch für erklärungsbedürftige Produkte will niemand seitenlange Bedienungsanleitungen lesen. Sobald durch Sprachsteuerung die persönliche Anleitung erfolgen kann, lässt sich Service standardisiert und weitaus nutzerfreundlicher gestalten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Servicebereich bislang begrenzte Möglichkeiten der Standardisierung bestehen, weil Service den persönlichen Kundenkontakt erfordert. Für virtuelle Assistenten und Service-Roboter (vgl. Kap. 2) lässt sich eine wachsende Bedeutung im Service prognostizieren: Sie sind anpassungsfähiger und geduldiger als die menschlichen Mitarbeiter. Ein Augenmerk international tätiger Unternehmen muss deshalb auf der Weiterentwicklung des Service liegen und der Standardisierung durch Technologie. Gute Dienstleistungen führen zu klaren Kundenpräferenzen. Durch einen guten Service können Wettbewerbsvorteile geschaffen werden.

6.5  Standardisierung, Anpassung und Differenzierung von Produkten

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6.5.3 Symbolische Produktattribute Auf die unterschiedliche Interpretation von symbolischen Produkteigenschaften aufgrund kulturspezifischer Assoziation wurde oben schon verwiesen: Durch die Sozialisation in einer spezifischen Gesellschaft wird die Bedeutung von Farben oder Zahlen beispielsweise unterschiedlich wahrgenommen. In Deutschland herrscht ein starkes Umweltbewusstsein. Deutsche Konsumenten schätzen ökologische Produkteigenschaften. Die Sorge um die Umwelt führt zur Wertschätzung von „grünen“, gesunden und umweltfreundlichen Produkten. Im Marketing wird dies häufig auch genutzt. Authentizität soll erzeugt werden, indem die Produkte mit Qualitätssiegeln, wie „Bio“ oder „Grüner Punkt“ ausgestattet werden. Die Nachfrage nach gesunden, biologischen und umweltfreundlichen Produkten ist inzwischen ein Trend in allen entwickelten Gesellschaften. Die symbolische „grüne“ Aufladung der Produkte bzw. die umweltfreundliche Produkt- und Verpackungsgestaltung wird deshalb die Standardisierung in der internationalen Vermarktung fördern. Die Zuschreibung des Herkunftslandes, die man den symbolischen Produktattributen zurechnen kann, hat für das Marketing eine hohe Relevanz. Positive Konnotationen (Images) mit bestimmten Herkunftsländern lassen sich mit Produkten und Marken verbinden und können weltweit standardisiert genutzt werden. Frankreich wird mit Mode und einem feinen Lebensstil assoziiert. Deutschland steht für andere Produkte und Werte. Französisches Parfum lässt sich gut bewerben, ebenso deutsches Bier. „Französisches Bier“ und „deutsches Parfum“ hätten nicht den gleichen Wohlklang. Marketer können bei der internationalen Vermarktung einerseits die Vorliebe für heimische Produkte nutzen und Produkte mit Symbolen nationaler Identität aufladen. Andererseits kann auch an die Faszination der Konsumenten durch fremde, exotische Kulturen angeknüpft werden und es können Produkte mit „Exotismus“-Symbolen verbunden werden. In der Werbekommunikation findet sich deshalb häufig ein exotischer oder ethnischer Appeal. Ein Beispiel ist die Werbung für Bacardi Rum, die das Getränk mit schönen Bildern von Palmen, fernen Stränden, exotischen Menschen und aufregenden Situationen verbinden. Ein solcher Exotik-Appeal kann weltweit funktionieren. Die Verwendung symbolischer Produktattribute bei der internationalen Vermarktung eröffnet aber nicht nur Chancen, sie birgt auch Gefahren, die durch andere Wahrnehmungen bzw. negative Assoziationen drohen. Auf kulturell bedingte Wahrnehmungsunterschiede von Farben und Formen wurde schon verwiesen. Auch bei der Verwendung von Logos und Begriffen ist Vorsicht geboten. Der Fuchs steht im westlichen Kontext für Schlauheit. Das Bild eines schlauen Fuchses wurde deshalb von einer deutschen Bausparkasse als Werbemaskottchen genutzt. In China und Japan spielt der Fuchs in alten Sagen und Mythen eine zwielichtige Rolle, wird eher als negativ und böse wahrgenommen. In Deutschland sind Schweine ein glücksverheißendes Symbol; an Silvester werden Marzipanschweinchen verschenkt. Hunde sind so beliebt, dass sie sehr oft in der Werbung verwendet werden. Im islamischen Kulturkontext gelten Schweine oder Hunde dagegen als unrein und sind deshalb weniger passende

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6  Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung

­ erbemotive. Die Eule steht in Deutschland für die Weisheit. Der Ullstein Verlag hat sie W deshalb zu seinem Symbol erkoren. In Indien verheißt die Eule Unglück. Der Verlag stieß auf Probleme, als er sein Symbol in Indien verwenden wollte. Auch bei der Verwendung von Begriffen und Bezeichnungen gilt es, kultursensibel zu agieren. Coca-Cola wechselte den ursprünglichen Begriff „Diet Coke“ zu „Coca Cola Light“. Gründe waren zum einen die gesetzlichen Vorschriften einiger Länder zur Nutzung des Begriffs „Diät“. Zum anderen stellte man fest, dass Sensibilitäten verletzt wurden: Der Begriff „Diät“ wurde in der amerikanischen Gesellschaft negativ aufgenommen: Er implizierte, dass die Kunden eine Gewichtsabnahme nötig hätten.

6.5.4 Ästhetische und funktionale Produkteigenschaften Emrich (2014, S. 266 f.) weicht in ihrer Klassifizierung der Produktattribute etwas vom oben beschriebenen Schema ab. Sie unterscheidet: • • • •

Ästhetische Produkteigenschaften Physische Produkteigenschaften Funktionale Produkteigenschaften Symbolische Produkteigenschaften

Wie bereits erwähnt, gilt es bei den ästhetischen Produkteigenschaften die kulturspezifische Farbenbedeutung zu beachten, bei den Nahrungsmitteln die unterschiedlichen Geschmackspräferenzen und Essgewohnheiten. Emrich (2014, S. 266) führt als Beispiel die unterschiedliche Farbgebung der „Knorr Pilzsuppe“ an: in der Schweiz wird eine dunkelbraune, in Deutschland eine hellbraune Färbung präferiert. Optische Merkmale eines Kulturkreises erfordern ebenfalls Anpassungen: So konnte die berühmte Barbie-Puppe in Asien und im Nahen Osten erst dann verkauft werden, als sie mit asiatischen Gesichtszügen und dunklen Haaren angeboten wurde. Funktionale Produkteigenschaften werden auf den Nutzerkontext abgestimmt (vgl. Emrich 2014, S. 267), beispielsweise an die Eigenschaften der Käufer. So verkauft Ikea extra lange Betten in Holland. In Italien müssen Kleiderschränke besonders hoch sein, da höhere Schränke dem kulturellen Erbe entsprechen. Notwendige Anpassungen betreffen auch Maße und Gewichte, z. B. die Meilenangabe auf dem Tachometer eines Autos für den amerikanischen Markt oder unterschiedliche Spannungsstärken bei Maschinen.

6.5.5 Differenzierung und Standardisierung technischer Produkte Der Frage nach der Differenzierung und Standardisierung technischer Produkte geht Sauter (2001, S. 164) nach. Der Produktkern stellt den Grundnutzen des Produktes dar. Zwischen vier Grundtypen ist abwägen:

6.6  Internationale Preisstandardisierung und -differenzierung

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• Differenzierte Produkte erlauben aufgrund heterogener Nachfragebedürfnisse wenig oder keine Standardisierung. • Modular Design: Die Nachfrager in verschiedenen Ländern haben ähnliche Anforderungen an das Produkt, nur bestimmte Produktkomponenten müssen aufgrund von technischen oder rechtlichen Rahmenbedingungen länderspezifisch variiert werden. Ein weltweit verwendbares Kernprodukt wird durch den Einbau spezieller Komponenten angepasst (Baukasten-System), z. B. bei PCs und Servern. Modular Design ermöglicht auch das Angebot technologisch abgespeckter, doch weitgehend standardisierter Neuprodukte in Ländern mit niedriger Kaufkraft („Designing Backwards“). Zu prüfen ist jedoch, ob solche Produkte von den Nutzern angenommen werden oder ob eher die volle technische Funktionalität erwartet wird. • Build-in-Flexibility: Anpassungen (z. B. hinsichtlich der Sprache) erfolgen bei größtmöglicher Standardisierung. Der Anpassungsprozess kann durch den Nachfrager selbst erfolgen (z. B. durch die Auswahl der Bedienungssprache bei Software oder Smartphones). Verbraucher erwarten heute, dass die Geräte die Anpassung automatisch vornehmen. • Bei standardisierten Produkten existieren keine Differenzierungserfordernisse. Das Produkt wird weltweit identisch vermarktet, z.  B.  Mikroprozessoren oder Halbleiter (vgl. Sauter 2001, S. 164). In der Vergangenheit gab es eine Tendenz, technische Produkte und Investitionsgüter als weitgehend „culture free“ einzuordnen. Die Existenz weitgehend kulturfreier Produkte kann aber dennoch nicht mit gänzlich kulturfreiem Marketing gleichgesetzt werden.

6.6

Internationale Preisstandardisierung und -differenzierung

Die Preissetzung für internationale Märkte ist anspruchsvoll, da die Preis- und Nachfrageelastizitäten der Zielgruppen einzuschätzen sowie potenzielle Reaktionen der Wettbewerber zu antizipieren sind. Eine kostenorientierte Preisgestaltung birgt immer das Risiko, sich aus dem Markt zu kalkulieren. Neue Analyseverfahren sollten künftig leichter die Fragen beantworten: Was ist der Kunde bereit oder in der Lage zu zahlen? Welchen Nutzen bringt das Produkt oder die Dienstleistung dem Kunden? Durch künstliche Intelligenz ist sogar eine individualisierte Preisgestaltung möglich. Die internationale Preisdifferenzierung muss einer Reihe klassischer Herausforderungen umgehen, beispielsweise den unterschiedlichen Inflationsraten einzelner Länder (vgl. Simon 1992, S. 47). Aus ethnozentrischer Sicht eines Stammhauses sind Unterschiede in den Inflationsraten und damit zusammenhängende Wechselkursveränderungen theoretisch ein rechnerisches Problem. Jedoch können sich daraus – zumindest kurzfristig – starke Gewinnauswirkungen ergeben. Die in der Praxis früher übliche Fakturierung in Stammlandwährung, bei der das Wechselkursrisiko beim Kunden liegt, enthielt immer das Risiko der Ablehnung des Angebots. Die Konstanthaltung von Preisen in Ziellandwährung verlagert das Wechselkursrisiko auf das Unternehmen.

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6  Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung

Unternehmen können unterschiedliche Kaufkraft und unterschiedliche Wettbewerbssituationen auf den einzelnen Märkten aber auch nutzen, um von den Preisdifferenzen für die Produkte in den unterschiedlichen Ländern zu profitieren (vgl. Simon 1992, S. 47). Große Preisdifferenzen sind in einer globalisierten Welt jedoch aufgrund von Informationsmöglichkeiten der Kunden in transparenten Märkten, handelspolitischen Liberalisierungen und aufgrund möglicher Nutzung günstiger Transportwege nicht nachhaltig stabil. Die typischen Folgeerscheinungen von großen Preisdifferenzen sind sog. graue Importe. Kunden umgehen Preisbindungen im Inland, indem sie zu günstigeren Konditionen im Ausland kaufen und importieren. Im Grunde gibt es zwei Alternativen, um auf graue Importe zu reagieren: • Das Unternehmen gleicht die Preise international an, so dass die Preisdifferenzen unterhalb der Arbitragekosten bleiben. Dies macht graue Importe unrentabel. • Das Unternehmen toleriert ein gewisses Maß an grauen Importen. Für internationale Marken ist aus Gründen einer einheitlichen Positionierung eine länderübergreifende Angleichung der Preise sinnvoll.

6.7

Standardisierung und Differenzierung der Kommunikation

Die Gestaltung der internationalen Kommunikationspolitik gilt als eine der anspruchsvollsten Herausforderungen der Internationalisierung. Auf die Notwendigkeit zur inte­ grierten Kommunikation wird in diesem Buch an verschiedenen Stellen verwiesen. Die wichtigsten Kommunikationsziele sind • • • • •

die weltweite Produkt-, Marken- und Firmenbekanntheit zu schaffen ein durchgängig positives Unternehmensimage anzustreben Eigenschaften und Funktionen der Firmenprodukte zu kommunizieren Kaufbereitschaft für die Produkte des Unternehmens zu fördern Kaufrisiken und Kaufunsicherheiten zu reduzieren

Hierzu gestaltet und koordiniert das Unternehmen die Informations- und Kommunikationsmaßnahmen. Im Interesse einer integrierten Kommunikation und widerspruchsfreier Botschaften wird dabei die Standardisierung angestrebt. Aufgrund unterschiedlicher Sprachen, Gewohnheiten und Zugangsmöglichkeiten zu den Zielgruppen ist jedoch eine Differenzierung von Maßnahmen erforderlich. Mittels moderner Sprachassistenten sind einwandfreie Übersetzungsleistungen immer weniger ein Problem. Standardisierung in der Kommunikation bedeutet im Wesentlichen, eine globale Strategie möglichst unverändert länderübergreifend zu nutzen. Werbematerialien, vor allem Werbespots, sollten idealerweise wenig Übersetzung benötigen. Eine Werbedifferenzierung würde im Extremfall bedeuten, Nutzerbedürfnisse auf Länderbasis zu analysieren, in den einzelnen Ländern separate Strategien zu entwickeln und

6.7  Standardisierung und Differenzierung der Kommunikation

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differenzierte Werbebotschaften und -medien zu nutzen (vgl. Usunier und Lee 2009, S. 339 ff.). Im Zuge der in Kap. 2 beschriebenen technologischen Möglichkeiten ist eine stärkere Differenzierung bzw. sogar eine individuelle Anpassung der Werbemaßnahmen an einzelne Nutzer umsetzbar. Die Forderung nach widerspruchsfreien Botschaften legt dennoch die Standardisierung der Kommunikation bzw. den Einsatz globaler Kommunikationsstrategien nahe. Für globale Werbestrategien und -kampagnen spricht weiterhin eine Reihe von Gründen, wie Einsparungen bei Agenturleistungen und Werbemittelproduktion sowie der geringere Koordinationsbedarf. Dabei müssen einige Hemmnisse und Gefahren beachtet werden. Es bestehen rechtliche Beschränkungen, die die Anpassung an die Gesetze und Vorschriften einzelner Länder erfordern. Eine globale Kampagne für Zigarettenwerbung wäre unmöglich, weil Werbung für Zigaretten in vielen Ländern inzwischen verboten ist. Sprachliche Besonderheiten führen dazu, dass sich Werbeslogans nicht einfach in unterschiedliche Sprachen übertragen lassen. Gerne zitiert werden einige Beispiele, in denen die Unternehmen beim Versuch der Standardisierung allenfalls Lacherfolge erzielt haben. Eine Dachkampagne in der Milchindustrie führte in Spanien zur Verwunderung. Die wörtliche Übersetzung des Slogans „Got Milk“ wurde verstanden als Frage, ob man stillen könne. Bei der Ersteinführung von Coca-Cola in China war schon die Übersetzung des Markennamens problematisch. In manchen Dialekten klang die wörtliche Übersetzung wie „Wachs-Kaulquappe“. Die Problematik der Übertragung von Markennamen wird in Kap. 8 nochmals aufgegriffen werden. Schwierig zu durchschauen sind kulturelle Beschränkungen für Werbeinhalte. In manchen Ländern existieren kulturelle Tabus, hinter denen zwar keine expliziten Verbote stehen, die man jedoch besser beachten sollte. In China gelten als ungeeignete Themen von Werbung Sexualität, Mao, Proteste und alles, was Autoritäten (wie Polizei, Eltern, Lehrer) herausfordert oder untergräbt. Ein subtiles Verständnis, welche Werbemotive in der Kultur positiv und welche negativ wirken, ist erforderlich. In kollektivistischen Gesellschaften ist es eher verpönt, herausragen zu wollen. Allein schon die Behauptung „der/die/das Beste“ zu sein, kann Stirnrunzeln und Skepsis hervorrufen. Geschickte Marketer versuchen zu durchschauen, was in einer Kultur als positiv wahrgenommen wird. In China gilt dies beispielsweise für die Darstellung von Gruppenerlebnissen. Die für die Produktgestaltung oben schon erwähnte unterschiedliche Bedeutung von Farben, Zahlen, Symbolen etc. in einzelnen Kulturen muss natürlich auch in der Werbegestaltung beachtet werden. Die Produkteinführung, vor allem von Innovationen und hochwertigen Gütern in neue Märkte, erfordert die Differenzierung der Kommunikationspolitik. Die Marketingkommunikation muss dabei im Zeitablauf unterschiedliche Kommunikationsaufgaben erfüllen und sich an unterschiedliche Anspruchsgruppen richten. Die zeitliche Staffelung der Kommunikation sollte differenziert werden in • eine Ankündigungsphase, • den Pre-Launch,

122

6  Internationales und interkulturelles Marketing, Standardisierung und Differenzierung

• den Launch bzw. die Markteinführung und • den Post-Launch. In der Ankündigungsphase richtet sich die Unternehmenskommunikation an die breite Öffentlichkeit. Es geht zunächst darum, die Verbraucher über das Erscheinen einer neuen Option zu informieren. Eine Projektion des zukünftig erhältlichen Produkts in das Bewusstsein möglicher Abnehmer soll erfolgen, ein positives, innovatives Image aufgebaut werden. Potenzielle Kunden können in der Ankündigungsphase durch ihr Interesse und ihre aktiven Informationsbeschaffungsmaßnahmen identifiziert werden. Ihr Verhalten in den Social Media und ihre Suche nach bestimmten Themen im Internet macht dies heute möglich. Wenn neue Produkte in einen bestehenden Markt eingeführt werden, können positive Ausstrahlungseffekte auch auf das aktuelle Programm oder Produktportfolio genutzt werden. Zu bedenken ist allerdings, dass die Kommunikation in der Ankündigungskommunikation das Risiko in sich birgt, Gegenmaßnahmen der Konkurrenz zu provozieren, wie zum Beispiel Preissenkungen, Intensivierung von deren Kommunikation oder Produktanpassungen. Im Pre-Launch zielt die Unternehmenskommunikation vor allem auf Meinungsführer und Innovatoren, und versucht, ihre Aufmerksamkeit über die von ihnen präferierten Medien zu erreichen. Heute werden manchmal auch Influencer dazu eingesetzt. Während des Launches bzw. der Markteinführung sind sog. „Lead Users“ zu identifizieren und möglichst frühzeitig durch Kommunikationsaktivitäten zu erreichen. Bei technischen Produkten ist es wichtig, die sog. „Innovatoren“ und „Early Adopters“ zu gewinnen, also Kundengruppen, die Technologie früh annehmen und weniger preissensibel sind. Im Post-Launch werden alle Stakeholder des Unternehmens als Zielgruppen angesprochen. Die Integration der Kommunikationsmaßnahmen soll ein ganzheitliches Bild in der Öffentlichkeit entstehen lassen.

6.8

Standardisierung und Differenzierung in der Distribution

Auch aus internationaler Perspektive muss entschieden werden über • die Wahl und Differenzierung der Distributionskanäle und Vertriebswege • das Management des Vertriebssystems und • die physische Distribution bzw. die sog. Distributionslogistik. Distributionsentscheidungen sind im internationalen Kontext von großer strategischer Bedeutung. Oft werden längerfristige Bindungen mit Distributionspartnern eingegangen werden, deren Verlässlichkeit auf das Image des eigenen Unternehmens abstrahlt. Die Wichtigkeit der Auswahl passender Partner wurde bereits in Kap. 5 diskutiert. Im Zeitalter der Digitalisierung nutzen Unternehmen auch im internationalen Vertrieb durch E-Commerce und internationale Verkaufsplattformen vermehrt die Zeit- und Effizienzvorteile des Direktvertriebs.

7

Globale Markenführung

Markenbildung und -führung geht von der Annahme aus, dass Produkte sich besser verkaufen lassen, wenn sie mit einem positiven Image verbunden sind. Früher wurde die Markenpolitik der Produkt- oder der Kommunikationspolitik zugeordnet, heute ist sie ein eigenständiger Bereich (vgl. Kluxen 2012, S. 123). Nach der klassischen Definition dient Branding dazu, das eigene Angebot gegenüber dem Wettbewerb zu differenzieren. Dies erfolgt zunächst (vgl. Esch 2019, S. 587) durch die integrierte Gestaltung von • Markennamen, • Markenlogo und • Verpackung. Ziel ist, die Markenpositionierung (zu Positionierung siehe Abschn.  7.2) bei jedem Kontakt des Kunden mit der Marke zu vermitteln. Ein einzigartiges und kaufrelevantes Image soll in den Köpfen der potenziellen Käuferschaft entstehen. Die Marke kann für ein Unternehmen (z. B. Coca-Cola) stehen oder auch für Produktfamilien eines Unternehmens (z. B. Fanta oder Sprite, die zu Coca-Cola gehören). Man kann grob differenzieren (vgl. Kluxen 2012, S. 124) zwischen • Herstellermarken: Hersteller vermarkten eigene Produkte (z. B. VW) • Handelsmarken oder Eigenmarken: Händler verkaufen zugelieferte Produkte an Endverbraucher unter eigenem Label (z. B. „Gut und günstig“ von Edeka) • Billigmarken: Darunter versteht man Markennamen, die für besonders günstige Angebote stehen (z. B. Otelo von Vodafone) • Premiummarken, die eine besondere Qualität versprechen (z. B. Rolex) • Traditionsmarken: Sie stehen seit vielen Jahren für eine gleichbleibende Qualität. Manchmal werden Produkt und Marke vom Verbraucher synonym verwandt (z. B. ein „Tempo“ für ein Papiertaschentuch). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Gutting, Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29429-8_7

123

124

7  Globale Markenführung

Durch Markierung werden Produkte mit Namen, Zeichen und einem bestimmten Design ausgestattet. Ein markiertes Produkt soll aus der Masse vergleichbarer Angebote herausragen. Es soll identifizierbar werden. Verbraucher sollen eine Präferenz für die Marke entwickeln. Unternehmen streben einen hohen Markenwert an. Markenwert bedeutet, dass ein Unternehmen allein aufgrund des nicht-materiellen Werts der Marke einen höheren Preis für ein Produkt erzielen kann. Durch verschiedene Methoden kann dieser Markenwert berechnet werden. Dieses Kapitel will der Bedeutung und den Bedingungen für den Erfolg globaler Marken nachgehen. Hierzu müssen die Herausforderungen der Markenführung, Funktionen von Marken, Positionierung und das Verhältnis von Markenidentität und Markenwahrnehmung geklärt werden. Auch bei der Markenführung stellt sich die Kernfrage internationalen Marketings nach Standardisierung und Differenzierung. Starbucks und Ikea werden als Beispiele erfolgreicher globaler Marken präsentiert, um insgesamt den Erfolgsrezepten globaler Marken auf die Spur zu kommen.

7.1

 erausforderungen der Markenführung und Funktionen H von Marken

Die zunehmende Verschärfung des Wettbewerbs, gesättigte Märkte mit ihren qualitativ austauschbaren Angeboten und meist wenig involvierten Konsumenten erschweren es, neue Marken im Gedächtnis der Zielgruppen zu verankern und ein positives Image aufzubauen (vgl. Esch 2019, S. 587 f.). Bei der Markteinführung von Produkten ist deshalb zu entscheiden, ob das neue Produkt unter einer bestehenden Marke (durch eine sog. Markentransferstrategie) oder als neue Marke (Neumarkenstrategie) eingeführt werden soll. Im Zuge der Internationalisierung treten Fragen der einheitlichen Namensgebung, Logogestaltung und Verpackung in den Blickpunkt des Interesses. Gerade bei der globalen Markenführung scheint die Standardisierung sowohl aus Kostengesichtspunkten als auch aus Gründen der Vermittlung eines einheitlichen Images für einen internationalen Kundenkreis der sinnvolle Weg. Marken sollen den Kunden Orientierung geben, dem Information Overload der Konsumenten entgegenwirken. Sie sollen als Anker dienen in einem Umfeld, in dem das Leistungsangebot substituierbar erscheint (vgl. auch Esch 1999, S 12 ff.). Heute gilt dies im Besonderen in den transparenten Märkten der Plattformökonomie, auf denen sich eine Vielzahl von Produkten mit dem gleichen Versprechen oder ähnlicher Funktion tummeln. In einer Flut von Angeboten soll die Marke die Aufmerksamkeit der Verbraucher auf sich lenken. Vertrauen in eine Marke wird durch eine verlässliche Produktqualität und einen stimmigen Markenauftritt gewonnen. Markenvertrauen gilt als besonderer Wert. Der Gefahr einer Erosion des Markenvertrauens muss deshalb systematisch entgegengewirkt werden.

7.1  Herausforderungen der Markenführung und Funktionen von Marken

125

Die Markenführung muss heute außerdem der Erlebnisorientierung der Konsumenten entgegenkommen. Omnichannel-Strategien werden von den großen Marken deshalb als neuer Weg beschritten, besondere Kundenerlebnisse zu gestalten. Das Unternehmen muss sich der Funktionen einer Marke für den Konsumenten bewusst sein und darauf reagieren: • An erster Stelle ist der Risikoreduktion zu nennen: Konsumenten greifen nach Marken, die sie kennen und mit bestimmten Eigenschaften verbinden, um Kaufrisiken zu minimieren. • Die Marke dient gleichzeitig als Qualitätsindikator. Ein Markenprodukt muss daher die erwartete Qualität liefern. • Kunden wollen über ihre Markenloyalität Suchkosten verringern. Man greift zur bewährten Marke, um Kaufentscheidungen zu vereinfachen. • Kunden von Edelmarken suchen Prestige: Wenn beispielsweise die Aufladung der Marke mit Werten wie Individualität oder Exklusivität gelingt, kann sie den Kunden als Ausdruck der Persönlichkeit dienen. Der Kunde identifiziert sich mit dem Markenprodukt. Stets zu überprüfen ist, ob diese Funktionen aus Kundensicht erfüllt werden. Im digitalen Zeitalter gibt es viele Möglichkeiten, den Kunden Wege für ein Feedback zu öffnen, z. B. über Hotlines oder Bewertungsplattformen. Der Markenartikler kann diese für die Gewinnung von Consumer Insights und Kundenpflege nutzen. Auch aus Sicht des Unternehmens selbst hat die Marke eine Reihe von Funktionen: • • • • • • • • • •

rechtlicher Schutz vor Nachahmung Signalisierung von Qualität zur Bildung von Kundenpräferenzen Förderung/Erleichterung des Wiederkaufs durch Markentreue Erweiterung des Produktangebots durch das bestehende Markenimage bzw. Plattform für neue Produkte (Line Extensions) Kundenbindung, auch Weiterempfehlung durch zufriedene Kunden Schaffung von Direktkontakten zum Endverbraucher Erweiterung des preispolitischen Spielraums im Vergleich zu Konkurrenzprodukten Profilierung im Wettbewerb bzw. Differenzierung gegenüber der Konkurrenz durch Imagevorteile Aufbau von Marktmacht gegenüber dem Handel Wertsteigerung des Unternehmens.

Weiter hat die Marke auch für das sog. interne Marketing Bedeutung. Sie bietet den Mitarbeitern des Unternehmens • einen Orientierungsanker, in welches Umfeld die Mitarbeiterleistung einzubringen ist • Zugehörigkeitsgefühl

126

• • • •

7  Globale Markenführung

Zusammengehörigkeitsgefühl Motivation durch Identifikation Aufwertung bzw. symbolische Selbstergänzung Sicherheit durch die Leistungen der Arbeitgebermarke.

Markierte Unternehmen profilieren sich im „War For Talents“ als attraktive Arbeitgeber. Die Marke hat insofern eine Werbefunktion bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter. Die gesteuerte Entwicklung zu einer profilierten Marke mit einem definierten Leistungsangebot nennt man Markenaufbau. Eine eigene Markenidentität ist zu entwickeln, um letztlich ein bestimmtes Markenimage in der Öffentlichkeit zu erreichen (siehe hierzu Abschn. 7.3). Leistungen sind zuverlässig zu erbringen und in ein Zukunftsversprechen zu überführen, dabei Kompetenzen und Themen zu besetzen.

7.2

Markenkommunikation und Positionierung

Um Marken erfolgreich aufzubauen und zu führen, gilt es, Images in der Öffentlichkeit zu schaffen. Starke Eindrücke sollen die Erinnerung an die Marke sicherstellen und eine Präferenz für die Marke erzeugen oder verstärken. Vermieden werden müssen Widersprüche im Auftritt bzw. in der öffentlichen Darstellung. Andernfalls drohen Glaubwürdigkeitsund Vertrauensverluste bei den Stakeholdern. Die integrierte Markenkommunikation soll deshalb für einen einheitlichen, abgestimmten Auftritt in der Öffentlichkeit sorgen. Dazu müssen (wenige) zentrale Botschaften über alle Medien und Zielgruppen widerspruchsfrei und konsistent kommuniziert werden. „Integrierte Kommunikation ist ein Prozess der Analyse, Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle, der darauf ausgerichtet ist, aus den differenzierten Quellen der internen und externen Kommunikation von Unternehmen eine Einheit herzustellen, um ein für die Zielgruppe der Kommunikation konsistentes Erscheinungsbild über das Unternehmen bzw. ein Bezugsobjekt des Unternehmens zu vermitteln“ (Bruhn 2003, S. 17, ähnlich auch Esch 1998, S. 73 ff.) Die Ziele der Markenkommunikation lassen sich folgendermaßen zusammenfassen (vgl. zu diesem Kapitel Bruhn 2003): • • • • •

Aufbau von klaren Images und Gedächtnisstrukturen für Marken Erleichterung der Erinnerung Verstärkung der Präferenz für die Marke Vereinheitlichung der durch Kommunikation und Kundenkontakt erzeugten Eindrücke Vermeidung von Diskrepanzen in der öffentlichen Darstellung und damit verbundenen Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlusten bei Zielgruppen bzw. Teilöffentlichkeiten. • Umsetzung der Markenpositionierung. Mit Marken verbinden Konsumenten klare Vorstellungen und Bilder: BMW steht für die „Freude am Fahren“, die Hamburg-Mannheimer-Versicherung, die heute zum Ergo-­

7.2  Markenkommunikation und Positionierung

127

Konzern gehört, stand durch die freundliche Werbefigur ihres „Herrn Kaiser“ für eine besondere Nähe der Versicherung zum Kunden. Das diätische Produkt „Du darfst“ ist ein sog. sprechender Markenname: Die Vorstellung eines Genusses ohne Reue soll erzeugt werden. Die Position einer Marke bildet sich in den Köpfen der Konsumenten. Manchmal geschieht dies auch ohne Zutun des Unternehmens und gegen dessen Ziele. Das etwas dröge Image einiger Automarken ist ein Beispiel dafür, dass eine von außen geschaffene Positionsbildung für das Unternehmen nicht wünschenswert ist. Durch die Positionierung soll der Aufbau erwünschter Gedächtnisinhalte für Marken erzielt werden. Dies bedarf der aktiven Gestaltung des Markenartiklers. Die Markenpositionierung ist eine wichtige Grundlage der Markenführung (vgl. z. B. Esch 2000, S. 233 ff.) Der Begriff „Positionierung“ bedeutet, dass der Verbraucher ein Produkt auf ganz bestimmte Weise in seiner Vorstellungswelt einordnet. Was sind die ersten Gedanken, die ein Konsument mit einer Marke oder einem Markenprodukt verbindet? Das Produkt findet im Kopf des Verbrauchers einen bestimmten Platz. Positionierung ist somit der Eindruck, den der Verbraucher von einem Produkt oder einer Marke hat (vgl. Esch, in: Esch (Hrsg) 2000, S. 233 ff.). Bei der Positionierung geht es deshalb zunächst darum, Zugang zu den Vorstellungen und Bedürfnissen der Konsumenten zu bekommen. Maßstab hierfür ist die subjektive Wahrnehmung durch die Konsumenten. Die klassische „Technik“ der Positionierung zeigt, worauf es ankommt: Zuerst wird der relevante Markt bestimmt. Es werden die vom Kunden wahrgenommenen Alternativen zum Produkt – die im „Evoked Set“ der Kunden befindlichen Marken und Produkte – ermittelt. Das Evoked Set umfasst die Objekte einer Produktkategorie, die vom Konsumenten als Alternative in Betracht gezogen werden. Ein Sportwagenfan wird beispielsweise in sein Evoked Set nur die Produkte von Marken einbeziehen, die ein ähnliches Image (jung, modern, dynamisch, leistungsfähig) vermitteln, keine „langweilige“ Familienlimousine. Er wird sich auch an einer bestimmten, für ihn bezahlbaren Preisgruppe orientieren, die sehr teure Spitzenmodelle auslassen. Praktisch kann die Ermittlung des Evoked Set entweder wettbewerbs­ orientiert (durch Experten) oder kundenorientiert (durch Kundeneinschätzung) erfolgen. Die relevanten Dimensionen des Marktmodells werden festgelegt: Es werden Dimensi­ onen bestimmt, die mit Sicht auf den Kunden verhaltensrelevant und aus Sicht des Unter­ nehmens durch Marketingmaßnahmen beeinflussbar und diskriminierungsfähig hinsichtlich der Wettbewerber sind. Typische Dimensionen bei Fluggesellschaften sind beispielsweise „Sicherheit“ und „Service“. Die Ausprägungen lassen sich z. B. durch Marktforschung messen; die Ergebnisse lassen sich mit denen der Konkurrenzprodukte vergleichen und anschließend interpretieren. Als Gestaltungsoptionen nach der Messung ergeben sich: • die Beibehaltung der Markenposition (wenn die Ergebnisse im Vergleich für das Unternehmen zufriedenstellend sind). • die Umpositionierung bzw. die Beibehaltung einer Eigenschaft des alten Positionierungsraums plus die Aufnahme einer neuen Positionierungseigenschaft. Ein Beispiel sind die Umpositionierungen der Marke Fa des Henkel-Konzerns. Im Zeitablauf wurde

128

7  Globale Markenführung

mehrfach eine Umpositionierung vorgenommen, z. B. von „Duft und Milde“ zu „Duft und Frische“. Mit Maßnahmen der Umpositionierung kann ein Teil der alten Zielgruppe beibehalten, gleichzeitig eine neue Zielgruppe angesprochen werden. • Eine Neupositionierung wird dann vorgenommen, wenn unbefriedigende Ergebnisse im Wettbewerbsvergleich zu erkennen sind. Dann muss ein neuer Imageraum belegt werden. Die bisherigen Aufwendungen für Marketingmaßnahmen müssen in diesem Fall allerdings als „Sunk Cost“ abgeschrieben werden. Als klassisches Beispiel kann man die Zigarettenmarke West des Herstellers Reemtsma nennen. Um aus dem Schatten des Wettbewerbers Marlboro zu treten, wurde eine Neupositionierung zu den Dimensionen „Toleranz“ und „Weltoffenheit“ vorgenommen und durch Plakatwerbung visualisiert. Bei der Produktpositionierung wird oft eine Abhebungsstrategie gewählt: Das Unternehmen sucht meist die eigenständige Positionierung für das Produkt im Konkurrenzfeld mittels eines Alleinstellungsmerkmals, der Unique Selling Proposition (USP). Das USP ist ein einzigartiges oder besonderes Nutzenversprechen, mit dem sich ein Produkt von den gleichartigen Angeboten der Wettbewerber abhebt, beispielsweise das erste Produkt seiner Art. Die Überlegung ist: Wo ist das Produkt denen der Wettbewerber überlegen? Eine Imitationsstrategie bedeutet dagegen, dass das Unternehmen versucht, sich an eine bereits erfolgreiche Positionierung der Konkurrenz anzuhängen. Umgesetzt werden soll die Markenpositionierung durch integrierte Kommunikation. Das bedeutet, im öffentlichen Auftritt Konsistenz zu schaffen. Nur wenige, zentrale Botschaften sollen gewählt und über alle Medien und in alle Zielgruppen verbreitet werden. Sämtliche Kommunikationsmaßnahmen, insbesondere die direkte Kommunikation an den Touchpoints zu den Kunden, Werbung, PR, Eventmarketing, Sponsoring, etc. sind darauf abzustimmen. Durch die Vielzahl heute genutzter digitaler Optionen ist die Abstimmung und Schaffung von Konsistenz zu einer großen Herausforderung geworden. Die Gestaltungsmaßnahmen sind zum einen die formale, zum anderen die inhaltliche Integration. Ziel der formalen Integration ist es, die Marke optisch im Gedächtnis des Kunden zu verankern. Dazu werden die Gestaltungsmaßnahmen des Markendesigns verwendet, vor allem Farben und Formen: Die Nivea-Creme ist ein bewährtes Beispiel. Durch die Farben blau und weiß sowie die Verwendung des Schriftzugs wird eine formale Klammer geschaffen. Neben solchen Wort-Bild-Zeichen werden visuelle Präsenzsignale ­genutzt. Das Michelin-Männchen ist beispielsweise durch seine besondere Statur ein Gedächtnisanker für die Marke. Die formale Integration erlaubt es der Marke auch, verschiedene Produkte und Dienstleistungen unter ihrem Dach zu kommunizieren. Sie dient der „Top-of-Mind-Awareness“ der Kunden: Die Marke wird in den Köpfen aktualisiert. Insbesondere bei den sog. Low-­ Involvement Produkten soll sie dazu führen, dass die Verbraucher bei einer Kaufentscheidung spontan nach dem markierten Produkt greifen. Auch für ein gesamtes Unternehmen kann die formale Integration eine Klammer bilden, beispielsweise für unterschiedliche

7.2  Markenkommunikation und Positionierung

129

Geschäftsbereiche. Die formale Integration kann aber noch keinen Beitrag leisten, um bestimmte Positionierungsinhalte mit der Marke zu verbinden. Die inhaltliche Integration dient dagegen der Positionierung von Marken. Sprachliche Mittel bilden eine verbale Integrationsklammer, Slogans werden entwickelt und als gesprochene, geschriebene oder gesungene Programmformeln über die unterschiedlichen Medien verbreitet. Die inhaltliche Integration verwendet Bilder: In der sog. semantischen Bildintegration werden Bildmotive gewählt, die den Positionierungsinhalt optisch vermitteln. Umweltfreundlichkeit wird beispielsweise mit Bildmotiven aus der Natur symbolisiert. Will ein Haushaltsgerätehersteller vermitteln, dass seine Geschirrspülmaschine besonders leise arbeitet, kann dies in der Bildkommunikation beispielsweise mit dem Bild eines Rehs visualisiert werden. Traditionell verwendet die inhaltliche Integration Schlüsselbilder. Der Klassiker ist das Schlüsselbild des Cowboys der Zigarettenmarke Marlboro. Der Cowboy steht dabei gewiss nicht für ein Berufsbild, sondern für die Werte „Freiheit und Abenteuer“. Erfolgreich sind Schlüsselbilder dann, wenn sie einprägsam und lebendig sind, die visuellen Schlüsselmerkmale klar erkennbar sind. Sie müssen sich variieren lassen, in den verschiedenen Medien umsetzbar sein. Dies gilt besonders heute, in der Schlüsselbilder über unterschiedliche Medien wirken sollen. Weiter sollten sie leicht an Veränderungen in den Konsumentenansprüchen angepasst werden können. Die sog. Imagery-Forschung beschäftigt sich mit dem Prozess der Entstehung, Verarbeitung und Speicherung innerer Bilder. Bilder haben gegenüber der Sprache eine überlegene, aktivierende und emotionale Wirkung. Bilder werden in der Regel schneller und automatisch aufgenommen. Sie unterlaufen die kognitive Kontrolle des Betrachters, werden ganzheitlich betrachtet, statt sequenziell wie die Sprache. Zur Aufnahme eines Bildes ist viel weniger Zeit erforderlich als für die Vermittlung eines Inhalts durch Sprache. Bei der Aufnahme von Informationen scheint eine Hierarchie zu bestehen: Bilder werden zuerst aufgenommen, vor der konkreten Sprache. Am schwierigsten absorbierbar ist die abstrakte Sprache. In der Marketing- und Unternehmenskommunikation setzt sich daher auch die Methode des Storytellings durch. Geschichten werden erzählt, mit denen komplexes Wissen vereinfacht und mit narrativen Elementen aufbereitet wird. Innere Bilder sollen erzeugen werden. Damit ist leichter Aufmerksamkeit zu finden als dies mit Sach­ information möglich ist. Im Vergleich zu abstrakter Kommunikation haben Geschichten den Vorteil, leichter verstanden zu werden, besser im Gedächtnis zu bleiben, Sinn stiften zu können. Besonders lebendige Eindrücke lassen sich vermitteln durch Storytelling in Verbindung mit (Bewegt-)Bildkommunikation. Bilder werden besser erinnert als Sprache. Innere Bilder gelten als verhaltenswirksam. Die inhaltliche Integration nutzt diesen sog. „picture superiority effect“, um in den Köpfen der Konsumenten innere Bilder zu verankern. In der Werbekommunikation sind bildliche Integrationsmaßnahmen deshalb den sprachlichen Integrationsmaßnahmen überlegen. Werbeslogans werden konkret, nicht abstrakt formuliert und bildhaft umgesetzt.

130

7  Globale Markenführung

Ein Beispiel: Die Targo-Bank wirbt mit dem Slogan: „Wir geben ihnen Rückenwind“. Im Werbespot sieht man einen Fahrradfahrer, der durch Rückenwind mit Leichtigkeit durch das Bild gleitet.

7.3

Markenidentität und Markenwahrnehmung

Markenbildung bzw. Markenidentität und Markenwahrnehmung bzw. Markenimage stehen in einem Soll- Ist-Verhältnis. Zu differenzieren ist deshalb zwischen • der Markenbildung des Unternehmens oder der Markenidentität und • der Markenwahrnehmung der Verbraucher oder dem Markenimage. In der Markenbildung versucht das Unternehmen aktiv, die Markenidentität zu gestalten. Einige der gesteuerten Elemente zur Schaffung des intendierten Markenbildes kommen jedoch nicht bei den Verbrauchern an, sie „versickern“. Andere Elemente können aufkommen, sog. „emergente“ Elemente, die von Kunden oder Mitarbeitern zugefügt werden. Das in der öffentlichen Wahrnehmung verankerte Markenimage kann so vom intendierten Markenbild abweichen (vgl. z. B. Esch 1999, S. 12 ff.). Die Markenidentität kann als konstruiertes Selbstbild des Markenartiklers beschrieben werden, das Markenimage dagegen als Fremdbild der externen Zielgruppen. Die Markenidentität beinhaltet das Markenversprechen und Markenverhalten. Bei der Begegnung mit den Verbrauchern trifft die Markenidentität auf die Bedürfnisse und das Markenerlebnis der Kunden. In diesem Zusammentreffen entsteht das Markenimage: das Bild der Marke in der Öffentlichkeit. Die Wahrnehmung einer Marke ist vom Unternehmen also begrenzt steuerbar. „Gute“ Kunden und motivierte Mitarbeiter fördern das positive, erwünschte Markenimage. Insofern muss beiden Gruppen besondere Aufmerksamkeit zukommen: im internen Marketing, das sich an die Mitarbeiter richtet und durch die Pflege von Stamm- oder Vorzeigekunden. Aufgabe der Markenartikler ist es • über das Markenversprechen und das Markenverhalten den Aufbau einer positiven Markenidentität anzustreben • die Bedürfnisse der Kunden permanent im Blick zu behalten und das Markenerlebnis aktiv zu gestalten • einer Zersplitterung der Markenkommunikation entgegenzuwirken. Hierzu sind konsistente Aussagen, Bilder, Verhaltensweisen und Auftritte zu schaffen. Ein stimmiges Markenbild zu vermitteln, ist insbesondere eine anspruchsvolle Aufgabe der internationalen Markenführung mit ihren vielen unterschiedlichen Akteuren in den

7.4  Standardisierung und Differenzierung von Markenführung und Marken im …

131

einzelnen Ländermärkten. Die Märkte sind gesättigt, die Qualitätsstandards konkurrierender Angebote vergleichbar. Dennoch ist weltweit eine Präferenz für die Angebote der Marke zu schaffen.

7.4

 tandardisierung und Differenzierung von Markenführung S und Marken im internationalen Umfeld

Bei der Eroberung von Auslandsmärkten stellt sich auch für die Markenführung die in Kap. 6 diskutierte Frage der Standardisierung und Differenzierung: Kann oder muss eine Marke an die verschiedenen Ländermärkte angepasst werden? Im Fall der Markenführung besteht jedoch eine Besonderheit: Eine lokale Anpassung widerspricht dem Grundsatz der Konsistenz der Markenidentität! Essenzielle Merkmale einer Marke müssen weltweit unverändert bleiben. Lokale bzw. länderspezifische Anpassungen sind insofern nur in einem gewissen Umfang möglich und sinnvoll. Es ist deshalb besonders kritisch zu prüfen, wo Anpassung oder Differenzierung an Ländermärkte notwendig sind. Die globale Strategie strebt weitestgehende Standardisierung an. Eine multinationale Strategie ist zu länderspezifischen Anpassungen bereit. Meffert (2002, S. 626) vermittelt den Überblick über Ziele und Merkmale einer multinationalen Strategie im Unterschied zu einer globalen Strategie (Tab. 7.1). Freilich wirkt sich die kulturelle Orientierung des Managements – wie in allen Bereichen – auch auf die Markenführung aus. Zum Verständnis hierzu kann das in Kap. 5 beschriebene EPRG-Modell herangezogen werden. Unternehmen mit einer ethnozentrischen Managementorientierung erwarten, dass ihre Marke im Ausland in ähnlicher Weise wie im Inland erfolgreich sein wird. Sie tendieren zur internationalen Markenführung und konzentrieren sich bei der Internationalisierung zunächst auf die dem Heimatmarkt ähnlichen Länder. Eine Anpassung an lokale Besonderheiten wird vermieden. Die Markenführung wird weitgehend unverändert beibehalten, es erfolgen allenfalls notwendige minimale Anpassungen. Hierzu ein kurzer Exkurs: In der Tat lassen sich Ähnlichkeiten in Sprache, Religion, Muster des Familienlebens und Konsummuster nutzen. Usunier und Lee (2009, S. 203 f.) sprechen von sog. „Cultural Affinity Zones“, also Zonen mit kulturellen Ähnlichkeiten. Tab. 7.1  Quelle: eigene Übersicht, vgl. Meffert 2002, S. 626 Ziele

Multinationale Strategie • Optimale Marktausschöpfung • Beibehaltung von Flexibilität

Merkmale • Förderung eines nationalen Images • Länderspezifisches Markenkonzept • Anpassung der Markenpolitik an nationale Gegebenheiten

Globale Strategie • Synergieeffekte in Produktion und Kommunikation • Weltweite Markenbekanntheit • Förderung eines internationalen Unternehmensimages • Standardisiertes Markenkonzept • International einheitliche Gestaltung der Markenpolitik

132

7  Globale Markenführung

So gibt es beispielsweise innerhalb von Europa größere kulturelle Unterschiede zwischen skandinavischen und mediterranen Ländern, weitaus geringere Kulturunterschiede dagegen zwischen England und den Niederlanden. Langfristig wirkende Unterschiede bestehen beispielsweise zwischen der angelsächsischen und der lateinischen bzw. mediterranen Kultur. Zurückführen lassen sich diese Kulturunterschiede beispielsweise auch auf die in den Regionen dominierenden Religionen. Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken haben zu jeweils anderen Wertehaltungen geführt und wirken als Konsummuster fort. Konzepte, die in England erfolgreich sind, haben große Annahmechancen auch in Holland. Ein Land wird deshalb als „Lead Country“ gewählt. Es wird als Basis für die Verbreitung von Marketingstrategien genommen. In den Ländern der gesamten Zone werden allenfalls minimale Anpassungen vorgenommen. Große Multinational Corporations (MNCs) wie z. B. Procter & Gamble haben dieses Konzept erfolgreich genutzt. Die multinationale Markenführung ist als gegenteilige Strategie zur internationalen Markenführung zu verstehen. Die polyzentrische Orientierung betont die Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit jedes Landes und fordert daher eine differenzierte Marktbearbeitung. Allerdings bedeutet eine lokale Anpassung geringere Skaleneffekte und damit höhere Kosten, von den Risiken eines uneinheitlichen Markenauftritts einmal ganz abgesehen. Unternehmen, beispielsweise im Nahrungsmittelbereich, halten manchmal eine polyzentrische Orientierung im B2C für erforderlich – im letzten Kapitel wurde auf die besondere Kulturabhängigkeit des Nahrungsmittelsektors hingewiesen. Die globale Markenführung will Standardisierungsvorteile nutzen. Ziel ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Als Beispiel für eine weltweite Markenstandardisierung gilt beispielsweise die österreichische Marke „Red Bull“. Eine weltweite Strategie nimmt stets in Kauf, dass in einigen Regionen suboptimale Ergebnisse, somit Opportunitätskosten in Form von entgangenen Umsätzen entstehen. Als Standardbeispiel für eine globale Markenführung wird oftmals McDonalds genannt. Im letzten Kapitel wurde gezeigt, dass McDonalds einige länderspezifische Anpassungen, auch im Produktbereich, vornimmt. Die regionale Markenführung kann als Variante der globalen Markenführung betrachtet werden. Standardisierte Markenstrategien werden für eine definierte Region implementiert. Um Vorteile der globalen Markenführung mit der Notwendigkeit lokaler Anpassungen zu verbinden, wird die Mischstrategie der „transnationalen Markenführung“ verfolgt. Sie versucht, die Standardisierungsvorteile mit lokalen Chancen einer multinationalen Markenführung zu kombinieren. In der Realität steuern viele Unternehmen heute nicht mehr nur eine einzelne Marke. Das Markenportfolio von Unternehmen wie beispielsweise Henkel oder Unilever beinhaltet mehrere hundert nationale und internationale Marken. Die durch den Aufbau oder Zukauf von Marken entstandenen komplexen Markenarchitekturen stellen ganz besondere Anforderungen an das Markenmanagement (vgl. auch Esch (Hrsg) 2005). In internationaler Perspektive kann eine transnationale Strategie durch die Markenarchitekturgestaltung umgesetzt werden: Das Sortiment enthält verschiedene Marken, die

7.4  Standardisierung und Differenzierung von Markenführung und Marken im …

133

länderspezifisch zusammengesetzt werden. Mit dieser House-of-Brands-­Markenarchitektur werden parallel eine Vielzahl globaler, nationaler und lokaler Marken angeboten. In der Getränkeindustrie findet man häufig die Kombination aus verschiedenen Marken. Der Coca-Cola-Konzern führt ein transnational strukturiertes Markenportfolio. Auch das multinationale Brauereiunternehmen Anheuser-Busch InBev setzt auf ein komplexes Markenportfolio und vertreibt z.  B. eine Reihe von Biermarken, das sog. International Brands und sog. Local Champions enthält. Gerade für den Getränkebereich lassen sich gute Gründe für ein kombiniertes Angebot von globalen neben lokalen Marken innerhalb eines Markenarchitekturkonzeptes zeigen, beispielsweise die Ergänzung sog. „Global Mineral Waters“ wie Apollinaris, San Pellegrino, Perrier, Volvic oder Evian mit lokalen Marken (vgl. auch Usunier / Lee, 2009). Für ihre „Global Mineral Waters“ haben die großen MNCs, wie Nestlé oder Danone, einen Imageaufbau geleistet, ihre „Markenwasser“ besonders positioniert. Die Markenwasser besetzen jeweils bestimmte Imagenischen, z. B. Volvic steht für Gesundheit und Reinheit, ähnlich die Marke Evian als „sicheres“ Wasser. Perrier ist dagegen als Substitut für einen Aperitif positioniert, zum Genuss in einem gepflegten Restaurant, wenn auf Alkohol verzichtet, aber dafür ein wertiges Ersatzgetränk angeboten werden soll. Lokale oder nationale Wassermarken erwerben aufgrund unterschiedlicher Vorzüge die Gunst der Konsumenten. Regionale Besonderheiten, z. B. natürliche Zusätze können in der Wahrnehmung der Konsumenten eine Rolle spielen, ebenso die regionale Herkunft, gerade in einer Zeit, in der Wert auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz gelegt wird. Nicht vergessen werden darf dabei der Kostenaspekt: Bei Mineralwassern handelt es sich letztlich um „Low-cost-Produkte“, die Transportkosten müssen einkalkuliert werden. Die Mehrzahl der in einer Region angebotenen Wasser wird aus diesen Gründen aus lokalen Marken bestehen. Tab. 7.2  Quelle: Eigene Darstellung, vgl. Baumgarth 2001, S. 294 Marke Marlboro

Standardisierte Aspekte • Einheitliche Positionierung • Schlüsselbild Cowboy • Markenname • Verpackung

Pampers

• Einheitliche Positionierung • Markenname • Verpackung

Coca-­Cola

• Einheitliche Positionierung • Markenname • Logo • einheitliche Slogans (für einen bestimmen Zeitraum) • Flaschendesign

Differenzierte Aspekte • Unterschiedliche Hautfarben der „Cowboys“, je nach Land • Geschmacksanpassung • Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften für Zigarettenwerbung • Leistungsanpassung aufgrund von klimatischen Bedingungen (z. B. dünnere Windeln in tropischen Ländern) • Werbliche Darstellungen • (geringe) Leistungsanpassung, z. B. im Zuckerzusatz • Verkaufsförderung • Flaschengröße

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7  Globale Markenführung

Die großen globalen Einzelmarken kombinieren innerhalb ihrer Markenführung standardisierte mit einigen differenzierten Marketingaspekten. Baumgarth (2001, S. 294) zeigt dies an drei globalen Marken (Tab. 7.2). Im Erscheinungsbild überwiegt bei den großen globalen Marken die Standardisierung. Beispielsweise Coca-Cola positioniert sich als universelle Marke. In der Werbekommunikation finden sich weltweit beliebte Motive wie Jugend, Bewegung und Freizeitsituationen. Durch Standardisierung der meisten Marketingelemente wird ein universelles Image erreicht. Wie gezeigt, legt die globale Markenführung eine weitgehende Standardisierung nahe, wenngleich einzelne Aspekte differenziert bzw. an Länder angepasst werden müssen. Neben der Positionierung wird das Verpackungsdesign zur optischen Wiedererkennbarkeit weitgehend standardisiert gestaltet. Für globale Marken liegt die Verwendung eines weltweit einheitlichen Markennamens nahe. Tatsächlich gilt der Markenname als einer der Problemfelder der globalen Markenführung. Markennamen müssen in der jeweiligen Landessprache aussprechbar sein. Und sie dürfen keine negativen Assoziationen in einer anderen Sprache wecken. Bei der Übertragung von Markenprodukten auf ausländische Märkte gibt es leider eine ganze Reihe von Beispielen, in denen dies der Fall ist. Für das Duschgel „Gammon“ von Beiersdorf ist die in England gleichnamige Bezeichnung eines Räucherschinkens ungünstig. Auch in der Autoindustrie finden sich viele Beispiele, in denen Automarken in den Zielländern in der Vergangenheit eher Lacherfolge erzielt haben (vgl. Walsh et  al. 2013, S.  573): Mazda führte auf den südamerikanischen Markt die Automarke „Laputa“. Der Name wird dort als „Prostituierte“ übersetzt. Chevrolet gab mit seiner Automarke „Nova“ demselben Markt ein schlechtes Signal: „no va“ bedeutet „geht nicht“. Manchmal sorgten mangelnde Kenntnis von Produkten völlig anderer Produktkategorien auf den Märkten für ungünstige Assoziationen: Als Nissan die Automarke „Serena“ auf den europäischen Markt einführte, war den Japanern nicht bewusst, dass in Europa eine Damenbinde gleichen Namens verkauft wird. In Zeiten von „Google translate“ und fortgeschrittener Recherchemöglichkeiten sollten solche Marketingfehler in der Namensgebung nicht mehr passieren. Dennoch muss der Namensgebung eine besondere Bedeutung eingeräumt werden, zumal sich Markennamen nur mit großem Aufwand ändern lassen. Der Markenname einer globalen Marke muss • international nutzbar sein (in allen Ländern ausgesprochen werden können und darf mit keinen negativen Assoziationen verbunden sein) • einen hohen Wiedererkennungswert haben bzw. von den Konsumenten leicht erinnert werden können. Am Beispiel der Vermarktung nach China lassen sich einige Überlegungen dazu zeigen (vgl. Kluxen 2012, S. 128): Ausländische Markennamen können nicht mit chinesischen Schriftzeichen geschrieben werden. Markennamen werden deshalb übersetzt in ähnlich

7.4  Standardisierung und Differenzierung von Markenführung und Marken im …

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klingende Begriffe mit positiver Bedeutung, z.  B.  Siemens als Ximenzi, was „Tor zum Westen“ bedeutet oder Daimler Benz als Benchi bzw. „Schnellflitzer“. Coca-Cola nutzte zuerst den ähnlich klingenden Begriff Kouke Koula, was sich mit „durstiger Mund“ übersetzen lässt. Später ging Coca-Cola dann zu Kekou Kele über, was die noch günstigere Bedeutung „Glück im Mund“ hat. Volkswagen entschied sich dazu, den Name wörtlich zu übersetzen. „Dazhong Qiche“ das bedeutet Volksauto. Der deutsche Begriff wurde wohl als günstig für die direkte Übertragung in ein kommunistisches Land betrachtet. Auch bei weiteren Markenattributen erfordern die Fragen nach Standardisierung und Differenzierung im internationalen Umfeld tief gehende Überlegungen, so zum Beispiel zum Markenkern, dem zentrales Nutzenversprechen einer Marke. Der Markenkern gilt als die Seele einer Marke, beschreibt Werte, die stellvertretend für das Unternehmen stehen sollen, z. B. Sicherheit bei Volkswagen, technische Avantgarde bei Apple, Luxus bei Rolex. Aldi stand bislang für günstige Preise, scheint jedoch in jüngerer Zeit seinen Markenkern zu verändern: Die erkennbaren neuen Strategien, Markenprodukte anzubieten, das Angebot zu verbreitern und die Ladenausstattung hochwertiger zu gestalten, weisen zumindest darauf hin. Gerade im internationalen Umfeld kann eine Differenzierung des Markenkerns manchmal sinnvoll erscheinen. Kluxen (2012, S.  132  f.) führt einige Beispiele dafür an. Die Marke Honda wird in Japan verbunden mit Werten wie Schnelligkeit, Jugend und Energie. Für den Exportmarkt lag Differenzierung des Markenkerns nahe, nämlich Werte wie Zuverlässigkeit und Qualität zu besetzen, die im Westen als „japanische Werte“ wahrgenommen werden. Der chinesische Haushaltsgerätehersteller Haier gilt in China als Vorzeigemarke. In Europa musste Haier sich aufgrund eines besetzten White-Ware-Marktes als preiswerte Alternative zu den Hochpreisprodukten der etablierten europäischen Hersteller profilieren. H&M wurde in Europa als die Marke für preiswerten, jungen Chic positioniert. Bei der Expansion nach Asien bot es sich an, einen anderen Markenkern zu wählen. Ein Image als populäre europäische Modemarke wurde angestrebt. Für die Artikel werden höhere Preise gefordert, gleichzeitig wurde der Marketingaufwand erhöht. So findet man H&M-Läden in Asien in den Premium Shopping Malls. Auch in der Markenführung stellt sich die Frage, ob „Culture Free“, also weitgehend kulturfreie Marken denkbar sind. Insbesondere bei technischen Produkten und Innovationen wird das Standardisierungspotenzial hoch eingeschätzt. Technologieunternehmen ­haben unter ihrem Firmennamen weltweit tragfähige Markenpositionen aufgebaut (Apple, HP, IBM, Microsoft). Als weitere Beispiele, bei denen sich in der Markenführung eine Differenzierung erübrigt, werden manchmal Fluggesellschaften oder das Segment der Luxusuhren genannt. Dennoch darf nicht vergessen werden: Auch wenn es in China Marktchancen für Uhren von in Europa gut eingeführten, prestigeträchtigen Marken gibt, so ziehen die chinesischen Käufer wahrscheinlich andere Modelle vor, als dies der typische europäische Käufer tut. Eine erfolgreiche globale Markenführung kann auch bedeuten, dass man Marktchancen

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7  Globale Markenführung

ausschöpft, indem man verschiedene Designs anbietet, um landes- bzw. kulturtypischen Geschmäckern entgegen zu kommen. Fluggesellschaften sind gewiss in ihrem Kernangebot eines Flugtransports kulturfrei. Dennoch setzen die Fluggesellschaften kulturelle Besonderheiten gerade zur Profilierung im Wettbewerb ein. Ein Beispiel: In der Business Class der Turkish Airlines begrüßt ein Koch die Fluggäste und bietet besondere, kulturspezifische Speisen und Getränke an. Der Verweis auf die eigene Kultur lässt sich zur Schaffung besonderer Kundenerlebnisses nutzen, denen in der Vermarktung eine zunehmende Bedeutung zukommt. Einige Branding-Sonderformen haben sich gebildet, die hier zumindest kurz erwähnt werden sollen: • Im sog. Ingredient Branding wird auf besondere, in der Kundenwahrnehmung wertige Einsatzstoffe aufmerksam gemacht, z. B. Kleidungsstücke, die die Klimafaser „Gore“ enthalten oder „Intel Inside“. • In „Co-Branding“-Strategien treten zwei (nicht miteinander konkurrierende) Marken gemeinsam auf. • Brand Licensing ist eine Option, die in den USA erfunden wurde. Aus bereits aufgebauten Marken wird Kapital geschlagen, indem der Markenname lizenziert wird. Auch wenig bekannte Hersteller können als Lizenznehmer „Markenprodukte“ verkaufen. Lizenzgeber können Gebühren erheben und haben eine Chance, dass der eingeführte Markenname noch bekannter wird. Die Risiken eines weniger kontrollierbaren Markenverhaltens liegen auf der Hand. Die Überlegungen zu Differenzierung und Standardisierung sowie zur Markenarchitektur legen es internationalen Unternehmen nahe, Corporate-Brand-Strategien dem Aufbau von Einzelmarken vorzuziehen.

7.5

Erfolgreiche globale Marken und der Faktor Kultur

Globale Markenführung bedeutet, die Marke einzigartig und unterscheidbar von den Wettbewerbern auf vielen Ländermärkten zu machen. Konsumenten sollen bestimmte Eigenschaften und Assoziationen mit dem Markennamen verbinden. Letztlich sollen Emotionen kommuniziert und diese möglichst auf alle Zielpersonen in den einzelnen Märkten übertragen werden (vgl. auch Mutum et al. 2014, S. 38). Insgesamt lässt sich seit den 1990er-Jahren ein Trend zur Konzentration auf globale Marken zulasten von national oder lokal positionierten Marken erkennen. So hat zum Beispiel der Verbrauchsgüterkonzern Unilever Ende der neunziger Jahre eine starke Reduktion durchgeführt. Es wurden nur diejenigen Marken weiterentwickelt, denen im Rahmen einer globalen Markenführung ein hohes internationales Erfolgspotenzial eingeräumt wurde. Begründet wurde die Markenkonzentration mit den Kostenvorteilen der Economies of Scale und der Economies of Scope.

7.5  Erfolgreiche globale Marken und der Faktor Kultur

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Erfolgreiche globale Marken zeichnen sich durch eine Reihe bestimmter Eigenschaften aus. Oft sind sie aus einer starken Position im Heimatmarkt in die internationale Vermarktung gestartet. Die Erfolge im Inlandsmarkt legten es nahe, das Konzept auf andere Märkte zu übertragen. Typische Kennzeichen erfolgreicher globaler Marken sind: • • • •

einprägsame Markennamen eine einheitliche internationale Positionierung weltweit ähnliche Nachfrager-Segmente hohe, geografisch ausgeglichene Verkaufszahlen.

Globale Markennamen eröffnen vielfältige Vermarktungsoptionen. Dies zeigt sich beispielsweise an dem für Deutschland neuen, internationalen Trend der „Branded Residences“. 2021 soll in Frankfurt der zweite Porsche Design Tower, nach einem gleichnamigen Projekt in Miami, fertig gestellt werden. Wohnen in einer exklusiven Marke ist in den USA oder Asien bei Vermögenden zum Statussymbol geworden. Armani, Versace oder Gucci trägt man nicht mehr nur, man kann auch darin wohnen (vgl. Handelsblatt online). In den Immobilien soll ein weltweit vergleichbarer, hoher Wohnstandard mit den Serviceleistungen eines Hotels verbunden werden. Die Markenresidenzen bedienen die Nische luxuriöser Service Apartments für eine sehr reiche Zielgruppe. Prädestinierte Anbieter sind eigentlich die internationalen Hotelketten, die – anders als die klassischen Luxusmarken – das Know-how im Servicebereich mitbringen. In München plant der Hotelbetreiber Mandarin Oriental eine solche Residenz in der Altstadt. Markenführung bedeutet in diesem Fall, dass die Namens- und Lizenzgeber der Branded Residences hohe Qualitätskriterien vorgeben. Werden diese nicht auf dem geforderten Niveau gehalten, kann die Marke dem Projekt den Namen entziehen. Erwähnt werden sollte an dieser Stelle ebenso, dass auch im B2B durch • den wachsenden Preisdruck, • die zunehmende Komplexität der zu erbringenden Leistungen und • die Schwierigkeiten, Geschäftsbeziehungen in einer globalisierten Welt zu etablieren, die Markenbildung und -führung eine hohe Relevanz hat (an dieser Stelle aber nicht weiter behandelt werden kann). Ein erfolgreicher globaler Markenartikler geht souverän mit Kulturunterschieden um und passt – wo notwendig – das Produktangebot an. Er versucht aber insbesondere, Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen zu identifizieren und zu nutzen. Eine Definition von Mutum et al. (2014, S. 38 f.) bringt dies zum Ausdruck: „An effective global brand needs to appreciate and assimilate (such) cultural differences. Those brands which have been able to identify the common strands between cultures have been the most successful globally – examples include Starbucks, Ikea, etc. These brands are the ones who have provided high quality products, are associated with positive emotions and

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have been able to carefully manage their perceptions in each country and adjusted the product offerings where required“ (Mutum et al. 2014, S. 38, 39). Es gelingt erfolgreichen globalen Marken, die Markenwahrnehmung sorgfältig zu steuern. Im Folgenden versuchen wir, den Erfolgsrezepten der beiden o. g. Brands Starbucks und Ikea auf die Spur zu kommen.

7.5.1 Best Practice Beispiel Starbucks Starbucks liegt 2019 im Forbes-Ranking der wertvollsten globalen Marken auf Rang 35 (vgl. Forbes, online). Aus so einfachen Zutaten wie Kaffee, Milch und Zucker macht Starbucks ein Milliardengeschäft. 2018 verfügt das Unternehmen über rund 28.000 Kaffeehäuser in mehr als 50 Ländern und beschäftigt weltweit rund 350.000 Mitarbeiter. Mit einer weiteren Expansionspolitik werden interessante neue Märkte erobert: 2018 unterhält Starbucks bereits 3000 Kaffeehäuser in China (vgl. auch Arte, online). Woher kommt der Erfolg? Der Besuch eines der geräumigen Starbucks-Kaffeehäuser vermittelt einen sinnlichen ersten Eindruck: bequeme Couches und Sessel, runde Tische und warmes Licht gestalten eine angenehme Atmosphäre, von Kaffeeduft durchzogen. Ein Teil der Kundschaft sitzt an Laptops: Hier wird gearbeitet – oder zumindest so getan: Internet und WLAN funktionieren. Es herrscht nicht das biedere Ambiente wie im Café um die Ecke, in dem man auch Kaffee trinken könnte. Die Starbucks-Kaffeehäuser sind ein angenehmer Ort, an dem man sich unter Gleichgesinnten wähnt. Starbucks hat die Idee eines sogenannten „dritten Ortes“ aufgegriffen: ein Ort neben dem Zuhause und dem Arbeitsplatz, an dem man sich wohl fühlt. Der Begriff des „Third Place“ wurde 1989 vom Soziologen Ray Oldenburg geprägt. Er meint einen Ort, der nicht mit den alltäglichen Verpflichtungen assoziiert wird. Der erste Ort ist für die Menschen das Zuhause, der Arbeitsplatz ist für ihn zum zweiten Ort geworden. Menschen suchen jedoch nach einem weiteren Raum, der eine Auszeit bietet und gleichzeitig etwas Vertrautes und Sicheres ausstrahlt und ein Wohlgefühl auslöst (vgl. Stangl, online). Starbucks nutzt also ein Konzept aus der Soziologie, um sein Ambiente zu schaffen. Im Produktangebot von Starbucks fällt die große Zahl von Wahlmöglichkeiten auf. Man kann nicht einfach nur Espresso, Cappuccino oder Latte Macchiato bestellen, sondern auch fantasievolle Getränkekombinationen wie „Cold Brew American“ oder „Soja Flat White“. Neben diesen können verschiedene Zusätze wie Sahne, Karamellsirup, unterschiedliche Milchsorten, ein extra Kaffee „shot“ für den starken Kaffee etc. geordert werden: alles gegen jeweils ordentliche Aufpreise. Starbucks verdient also sein Geld mit individualisierten, an den persönlichen Geschmack angepassten Kaffeegetränken. Der klassische Kaffee wird in der Regel in den Morgenstunden getrunken. Durch Getränkekombinationen mit viel Sahne, Schokolade und sonstigen Zusätzen lässt sich der Konsum der Starbucks-Getränke umsatzfördernd bis in die Abendstunden ausdehnen.

7.5  Erfolgreiche globale Marken und der Faktor Kultur

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Die Kunden sind mit den hohen Preisen einverstanden. Sie „belohnen“ sich mit einem Besuch bei Starbucks. Sich Starbucks leisten zu können, bedeutet Prestige. Starbucks hat nie auf niedrige Preise gesetzt, sondern sich immer auf Kunden konzentriert, die sich hohe Preise leisten wollen und können. Ein solches Kundensegment zieht dann auch Kunden nach, die weniger wohlhabend sind, aber dieser „exklusiven“ Gruppe angehören möchten. Die große Wahlfreiheit im Getränkeangebot klingt nach enormer Differenzierung, ist faktisch aber standardisiert: Das Sortiment von Starbucks ist bis auf wenige Ausnahmen in jeder Filiale identisch. Und ähnlich wie bei McDonalds oder Burger King schmecken die Produkte bei Starbucks überall auf der Welt gleich. Qualitätssicherung der Produkte in dem Sinne, dass der Kunde das erhält, was er erwartet, ist ein wichtiges Merkmal globaler Marken. Kundenorientierung, Schnelligkeit, Freundlichkeit und Vielseitigkeit sind die Tugenden, auf die Starbucks seine Mitarbeiter einschwört. Die Mitarbeiter im Service werden Barista genannt. Der Begriff Barista ist eigentlich in der italienischen Tradition mit einer professionellen, aufwendigen Kaffeezubereitung verbunden. Damit die Zubereitung jedoch schnell geht und viele Kunden pro Zeiteinheit bedient werden können, geschieht diese bei Starbucks weitgehend über Vollautomaten auf Knopfdruck. Daneben haben die Baristas jedoch eine ganze Menge weiterer Pflichten. Dazu gehört vor allem, die Kaffeehäuser permanent sauber zu halten. Jede freie Minute wird dafür verwendet. Putzen ist die ständige Aufgabe, die vom Arbeitgeber gut begründet wird: Die Kunden sollen sich wohl fühlen und auch das gesamte Team soll stets einen sauberen Arbeitsplatz vorfinden. Ungelernte können nach relativ kurzer Probezeit zum Barista aufsteigen. Starbucks stellt sich als soziales Unternehmen dar. Und tatsächlich bietet das Unternehmen einige Sozialleistungen an, z. B. für alle Mitarbeiter eine Krankenversicherung. Im Stammland USA ist dies eher ungewöhnlich. In Zusammenarbeit mit einer Hochschule können die Mitarbeiter ein Online-Fernstudium absolvieren. Unternehmensintern werden die Mitarbeiter auch als Partner bezeichnet. Wenn sie einige Zeit im Unternehmen sind, erhalten sie Unternehmensaktien, werden so am Unternehmen beteiligt. Zur Routine der Mitarbeiter gehört, die Leistungen permanent zu kontrollieren. Täglich werden die Tagesumsätze erfasst und verglichen. Können die Umsätze gesteigert werden, so werden die Mitarbeiter mit Prämien oder Zulagen belohnt. Stets gemessen werden auch die Kundenzahlen. Die Arbeitszeit der Mitarbeiter wird flexibel daran angepasst, kann eben auch gekürzt werden und zu Einkommenseinbußen der Mitarbeiter führen. Wirtschaftliche Risiken werden so auf die Mitarbeiter abgewälzt. Weltweite Qualitätsstandardisierung, Prozessoptimierung und straffe Mitarbeiterführung: Starbucks erfüllt die zentralen Kriterien aller Fastfoodketten. Jedoch will das Unternehmen keineswegs als Systemgastronom wahrgenommen werden. Systemgastronomie wird mit Massenabfertigung und Anonymität assoziiert. Dem begegnet Starbucks mit Maßnahmen der Individualisierung und Personalisierung. Die Mitarbeiter tragen Namenschilder. Sie beschriften den Kaffeebecher mit dem Vornamen des Kunden, und sprechen diesen auch mit Vornamen an, wodurch der persönliche Kundendialog gefördert werden soll. Wenn das Getränk fertig ist, wird nicht etwa eine Nummer aufgerufen, sondern der

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7  Globale Markenführung

Barista meldet sich mit „Der Cappuccino für Anais ist fertig“ und überreicht ihn mit einem Lächeln. Starbucks weist seine Mitarbeiter an, für Nähe und persönliche Ansprache zu sorgen, eine vertraute Atmosphäre zu schaffen. Auch unter Zeitdruck sind freundliche Worte für die Kunden zu finden, ist die besondere „Starbucks Experience“ zu schaffen. Mitarbeitermotivation und -management und internes Marketing sind daher zentrale Aufgaben von Starbucks. Eine wohldefinierte Unternehmenskultur führt dazu, dass die Mitarbeiter den Kunden das angenehme Ambiente und die erwartete Aufmerksamkeit bieten und gleichzeitig die Generierung von möglichst viel Umsatz stets im Blickpunkt haben. Auf große Werbekampagnen verzichtet Starbucks. Da der Markenname zu einem Life­ style- und Statussymbol geworden ist, tragen die Kunden stolz die Kaffeebecher mit dem Meerjungfrau-Logo durch die Stadt und machen dabei kostenlos Werbung für die Marke. Auch das Merchandising wird geschickt für kostenlose Werbung verwendet. Der Starbucks Kaffeebecher mit dem Aufdruck der Stadt, in der er erworben wurde, ist ein beliebtes Souvenir. Die Käufer signalisieren damit ihre Zugehörigkeit zur polyglotten Gruppe, mit der sie sich identifizieren wollen. Die weltweite Starbucks-Community will mit den Eigenschaften jugendlich, mobil, weit gereist, professionell, städtisch und gut situiert umschrieben werden. Starbucks-Produkte sind seit einiger Zeit auch in Supermärkten erhältlich: Mit Kaffeebohnen, Teebeuteln, fertigen Kaffeegetränken oder Eiscreme wird ein Jahresumsatz von rund zwei Milliarden Dollar gemacht. Im Mail 2018 wurde bekannt (vgl. Wirtschafts­ woche online), dass dieses Geschäft von Starbucks an Nestlé übergeht. Die weltweiten Rechte für die Vermarktung der Produkte von Starbucks in den Supermärkten war Nestlé 7,15 Milliarden Dollar wert Marken können nur dann erfolgreich sein, wenn Sie Bedürfnisse und Wünsche einer möglichst großen Zahl an Kunden erfüllen. Für globale Marken gilt es, länderübergreifend große Zielgruppen zu identifizieren und zu bedienen. Starbucks setzt dabei an den folgenden Bedürfnissen seiner internationalen Kundschaft an: • Connectivity und Internetzugang • nach einem „dritten Ort“ jenseits von Zuhause und Arbeitsplatz, an dem man sich wohl fühlt • Individualität • Prestige bzw. soziale Anerkennung • Zugehörigkeit zu einer attraktiven Gruppe: mobiler, technikaffiner, internationaler, professioneller, wohlhabender, jugendlicher Menschen. Das Erfolgsrezept von Starbucks besteht also darin, diese Bedürfnisse eines weltweit großen Kundensegments zu erfüllen. Die Standorte werden sehr gezielt gewählt, sind gut erreichbar, meist in Innenstädten angesiedelt. Sie haben natürlich Internetzugang und für die Kunden kostenloses Wifi. Die angenehme Ausstattung der Kaffeehäuser ist ein Teil zur Umsetzung des „dritten Ortes“. Das Wohlgefühl wird auch durch die Starbucks-Mitarbeiter erzeugt, durch Perso-

7.5  Erfolgreiche globale Marken und der Faktor Kultur

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nalisierung, Freundlichkeit, persönliche Ansprache. Die Mitarbeiter gestalten diesen „dritten Ort“ für die Kunden aus. Individualität wird ausgedrückt durch eine stark individualisierbare Getränkewahl. Durch Prozessstandardisierung kann diese effizient umgesetzt werden. Die hohe Preispositionierung sorgt nicht nur für gute Unternehmensergebnisse, sondern bedient gleichzeitig Prestigeansprüche der Kunden. Starbucks muss man sich leisten können. Die Kunden fühlen sich einer sozial anerkannten, wohlsituierten Gruppe zugehörig. Die Marke Starbucks nimmt auch wichtige Funktionen für die Mitarbeiter wahr. Mit Bezeichnungen wie „Barista“ und „Partner“ sorgt sie für die Selbstaufwertung bzw. symbolische Selbstergänzung eigentlich ungelernter Hilfskräfte. Zugehörigkeits- und Zusammengehörigkeitsgefühl wird vermittelt, im Team werden die für das Kundenerlebnis notwendigen „extra Miles“ gegangen. Das Team übernimmt beispielsweise permanente Putzarbeiten. Motivation hat auch immer eine pekuniäre Komponente. Werden besondere Leistungen erbracht, werden die Mitarbeiter belohnt, z. B. in Form von Prämien oder Mitarbeiteraktien. Der Leistungsgedanke im Unternehmen wird betont, die Performance gemessen. Starbucks erzielt letztlich Kundenorientierung über Mitarbeiterorientierung, durch Motivation, Ausbildung und Lenkung der Mitarbeiter; letztlich durch ihre Einbindung in eine besondere Unternehmenskultur.

7.5.2 Best Practice Ikea Mit über 350 Einrichtungshäusern ist Ikea die weltgrößte Handelsgruppe für Möbel und Wohnaccessoires. Ikea gilt unangefochten als Nummer eins der Branche. Das US-­ Wirtschaftsmagazin Forbes wies Ikea 2019 den Platz 39 der wertvollsten Marken der Welt zu (vgl. Forbes online). Europa ist bislang der stärkste Absatzmarkt. Mit zahlenmäßig großen und wachsenden Mittelschichten in Indien und China steigt das Absatzpotenzial in Asien. Differenzierung im Wettbewerb findet vor allem durch Preis und Sortimentsbreite statt. Günstige Preise erreicht Ikea insbesondere über Skaleneffekte in der Produktion und Einsparungen im Service, vor allem durch die Selbstbedienung in der Warenabholung und durch den Möbel­ aufbau durch die Kunden (vgl. Graf und Schneider 2017). Zum Ikea-Narrativ gehört, dass die Kunden die Möbel durch den Selbstaufbau besonders wertschätzen. Auf der Produktebene scheint das Erfolgsgeheimnis im Minimalismus zu liegen: im Design sowie im Preis. Ikea-Möbel sind als praktische und günstige Gebrauchsgegenstände konzipiert. „Benutze es und wirf es weg“, lautete einst das Firmencredo. Funktionalität und Nützlichkeit sind Prinzipien der Bauhaus-Lehre, an die Ikea stilistisch anknüpft. Eine besonders hohe Produktqualität ist gewiss nicht das entscheidende Erfolgskriterium für Ikea. Hier nicht diskutiert werden müssen die Kostenvorteile entlang der Wertschöpfungskette, die Ikea realisiert, z. B. über günstige Produktion und die oben schon

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7  Globale Markenführung

genannte Mitarbeit der Kunden bei Transport und Möbelaufbau. Mit ihnen schafft sich Ikea wesentliche Wettbewerbsvorteile. In wettbewerbsfähigen Unternehmen durchziehen Marketingüberlegungen alle Geschäftsprozesse. So denkt Ikea beispielsweise bei der Produktgestaltung meist vom Preis aus: Zuerst wird ein realisierbarer Preis festgelegt und erst darauf aufbauend die Produktattribute. Bei einer Niedrigpreisstrategie liegt eine solche Vorgehensweise nahe, weil sich das Versprechen günstiger Preise damit am ehesten halten lässt. Allerdings wäre es Ikea nicht gelungen, allein über günstige Preise zur erfolgreichen Global Brand zu werden. Ikeas Erfolgsgeschichte begann 1943 in Schweden. Die schwedische Herkunft wird nie vergessen: Ingvar Kamprad vom Bauernhof Elmtaryd im Dorf Agunnaryd – die Initialen bilden einen perfekten Markennamen, der auch den Vorteil hat, weltweit aussprechbar zu sein. Die Farben der schwedischen Nationalflagge blau und gelb sind die Farben des Corporate Designs. Die Produkte haben schwedische Namen. In seiner Gastronomie hat Ikea mit „Köttbullar“, dem schwedische National-Gericht, die Welt erobert. Das Thema Schweden wird in der Werbung variiert: Mit Abba Songs und schwedischen Fähnchen werden beispielsweise neue Stores eröffnet. In den Werbespots ist ein schwedischer Akzent zu hören. Der Faktor (schwedische) Kultur spielt eine große Rolle im Marketing von Ikea: Das Schweden-Image wird gepflegt, aufgeladen mit positiven Emotionen. Schweden wird präsentiert als idealisiertes „Sehnsuchtsland“ – wenngleich die Unternehmenszentrale heute in Leiden in den Niederlanden residiert. Ikea startete mit dem Verkauf von Alltagswaren wie z. B. Kugelschreibern. 1947 stieg Kamprad in den Möbelhandel durch Versand ein. Heute rätseln manche Marktbeobachter, warum sich Ikea nicht stärker auf den Versandhandel spezialisiert hat und das Zukunftsfeld des Onlinehandels eher zögerlich betritt. Die Gründe dafür werden klar, wenn man sich in einem Ikea-Einrichtungshaus umsieht. Ikea hat bereits zu einem frühen Zeitpunkt die Erlebnisorientierung der Kunden erkannt: Die potenziellen Käufer erleben bei Ikea keine Möbelausstellung, sondern durchdacht gestaltete Wohnwelten, die die Einrichtungsfantasien der Kunden anregen sollen. Die Platzierung der Ware und die Dekoration erfahren besondere Aufmerksamkeit. Sie werden länderspezifisch differenziert: In Umfeldern, in denen kleine Wohnungen üblich sind bzw. nicht so viel Wohnraum zur Verfügung steht, werden den Kunden in den Ausstellungsräumen dafür passende Vorschläge präsentiert. Die Kinder können zur Betreuung im Kinderparadies Småland abgegeben werden und dort in bunten Bällen toben. Die „Ikea Markthalle“ ist ein Fundus für Schnäppchenjäger. Tatsächlich wird ein großer Teil des Umsatzes mit diesen Mitnahmeartikeln bzw. Spon­ tankäufen verdient. Das freundliche Restaurant lädt mit preiswerten Gerichten zur Pause ein. An den großen Standorten zeigen Tausende Besucher täglich, wie gut die Ikea-­ Gastronomie angenommen wird. Auch das kulinarische Angebot ist weltweit standardisiert. An Weihnachten findet man Sonderaktionen und passende Produkte. Bei Ikea kann man weltweit Christbäume und Weihnachtsdekoration kaufen. Kulturelle Tradition findet sich so im Angebot.

7.5  Erfolgreiche globale Marken und der Faktor Kultur

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Ikea will für die Kunden ein angenehmer Erlebnisort sein, an dem man gerne verweilt. Die Kundenakzeptanz wird stets überprüft, Verweildauer und Kundenstrom regelmäßig gemessen. Neben der Erlebnisorientierung hat Ikea auch frühzeitig die Bedeutung der Kundenorientierung verstanden: Dass vor allem den Bedürfnissen der Kunden entsprochen werden muss, um ein positives Markenimage zu schaffen. Neben den Gastronomie- und Kinderbetreuungsangeboten sorgt insbesondere ein ausgedehntes, unkompliziertes Rückgaberecht für Kundenvertrauen. Kaufrisiken werden gesenkt. Zufriedene Kunden können kostenlos dem Ikea-Family-Club beitreten, der mit besonderen Vorteilen verbunden ist. Mit der Ikea-Family-Karte kann bezahlt werden. 2019 stellten die chinesischen Einrichtungshäuser fest, dass die chinesischen Kunden Ikea teilweise ohne Kaufabsicht besuchten, um die Betten für ein Mittagsschläfchen zu nutzen. Ikea toleriert dieses sicher nicht erwünschte Verhalten. Der Imageschaden wäre andernfalls groß. Der Aufbau des Markenvertrauens ist in China eine besondere Herausforderung. In der Anfangszeit öffneten chinesische Kunden stets die Verpackungen, um sich von der Korrektheit der Inhalte zu überzeugen. Das Misstrauen der chinesischen Konsumenten ist im Vergleich zu anderen Märkten kulturbedingt hoch und muss abgebaut werden. In der Werbekommunikation unterscheidet sich Ikea deutlich von den lauten und reißerischen Spots anderer Möbelhäuser. Ikea tritt eher wie ein zurückhaltender schwedischer Freund auf, duzt das Publikum. Neue, möglichst originelle Ideen und insbesondere die Optionen digitaler Werbekommunikation werden eingesetzt: über Content Marketing werden Wohnideen geliefert. Auch User-generierter Content wird verwendet, z. B. konnten in einer Aktion Ikea-Family-Mitglieder Fotos ihres Zuhauses der Community vorstellen. Gewinnaktionen dienen dem CRM, z.  B. kann man durch das Abonnement des Newsletters eine Reise nach Schweden gewinnen. Auch in den Social Media ist Ikea aktiv. In einer Aktion „Holt das hier raus“ konnten beispielsweise User bei Facebook Schnappschüsse von ungeliebten Möbelstücken posten und dafür Einkaufsgutscheine gewinnen. Herzstück von Ikeas Werbekommunikation bleibt der Katalog, der erstmalig 1951 erschien. Die Präsentation der Möbel war für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich: Nicht einzelne Möbelstücke wurden gezeigt, sondern inszenierte Lebenswelten. Mit einer Auflage von jährlich über 200 Millionen Exemplaren ist der Ikea-Katalog das meistverbreitete „Buch“ der Welt. In einem humorvollen Social-Media-Clip fand sich so auch eine „Buchbesprechung“ des Literaturkritikers Hellmuth Karasek. Vielleicht kann man den Ikea-­ Katalog, der seit jeher Einrichtungstipps gibt, als frühe Form des Content Marketings betrachten. Durch Digitalkommunikation kommen weitere Formen von Content Marketing hinzu. Der Katalog wird kultursensibel gestaltet. Beispielsweise werden in den arabischen Katalogen keine Frauen abgebildet. In den deutschen Katalogen wird dagegen seit einiger Zeit die kulturelle Diversität der Menschen abgebildet, da Inklusion hierzulande als positiv gilt. Die Marketingkommunikation von Ikea wird also differenziert bzw. es findet eine länderspezifische Anpassung statt.

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7  Globale Markenführung

Ikea zeigt seine Anpassungsfähigkeit nicht nur in der Werbekommunikation. Bislang waren Ikea-Standorte eher „auf der grünen Wiese“ zu finden: Oft in Knotenpunkten von Autobahnen, vor den Toren der Städte, leicht erreichbar mit dem Auto, mit großen Parkplätzen. Neuerdings erfolgt eine Anpassung an Kunden, die in Städten leben, oft gar kein Auto besitzen: Ikea City Stores werden in den Innenstädten eröffnet. Mit Kunden zusammen werden in den City Stores Einrichtungen geplant. Die Möbel können dann online bestellt und geliefert werden. Das Omnichannel-Konzept scheint sich so auch bei Ikea durchzusetzen. Das City-Store-Format erfordert Konzentration auf besondere Bedürfnisse und damit Differenzierung: in Stockholm z. B. gibt es einen Showroom für Küchen, in Madrid dagegen werden Wohnzimmermöbel ausgestellt. Auch in Deutschland wird mit City Stores experimentiert, z. B. in Hamburg. Neue Trends, wie z. B. die Umweltorientierung werden bei Ikea verfolgt: Bei den „Democratic Design Days“ 2019, Ikeas alljährlicher Produkt- und Visionsschau wurden Details einer zukünftigen Musterwohnung präsentiert (vgl. Handelsblatt, online): drei Kühlfächer etwa, die den Kühlschrank ersetzen. Jedes Fach kühlt auf eine Temperatur, die auf bestimmte Lebensmittel abgestimmt ist, um sie länger haltbar zu machen. Das soll verhindern, dass Menschen weiterhin 30 Prozent ihrer Lebensmittel wegwerfen. Auch die Urbanisierung wird als Trend aufgegriffen: Für Kunden mit sehr wenig Platz lässt sich eine Schrankwand per Touchpad je nach Bedarf in ein Bett mit Kleiderschrank, einen Schreibtisch und eine Couch verwandeln. Ab 2020 will Ikea das Produkt in Shanghai und Hongkong verkaufen. Eine Projektpräsentation berichtet von den Milliarden Menschen, die in den nächsten Jahren in die Metropolen ziehen werden. Sie zeigt die Vision von ganzen Wolkenkratzern in Modulbauweise, die irgendwann vielleicht sogar Ikea bauen könnte – standardisiert, günstig, skandinavisch designt. Ikea greift also Bedürfnisse nach Nachhaltigkeit auf und passt seine Konzepte den Lebensstilen an, beispielsweise den Wohnsituationen in Metropolen, in denen Wohnraum zunehmend knapp wird. Treiber des Erfolgs als Global Brand bei Ikea sind: • • • • • • • •

die Bereitschaft, auf die Erlebnisorientierung der Kunden einzugehen eine hohe Kundenorientierung Aufbau von Kundenvertrauen durch Minderung von Kaufrisiken die Fähigkeit, Trends im Konsumentenverhalten, in den Verbraucherbedürfnissen und Lebensverhältnissen frühzeitig zu erkennen und aufzugreifen. das Angebot zur Zugehörigkeit zu einer Community eine unaufdringliche, kultursensible Werbekommunikation persönliche Ansprache der Kunden, auch durch den Einsatz neuer Werbeoptionen, wie Social Media oder Content Marketing die schwedische Identität.

Ikea erkennt und nutzt also frühzeitig neue Trends. Anpassungen an kulturelle Entwicklungen und Wandel der Lebensverhältnisse werden aufgegriffen. Kultur wird über-

7.6  Markenherkunft und Einsatz kultureller Assoziationen

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haupt sehr gezielt genutzt und spielt eine große Rolle für die Markenidentität: Das positive Schwedenimage dient als kulturelle Klammer.

7.6

Markenherkunft und Einsatz kultureller Assoziationen

Markenidentität kann gebildet werden durch den bewussten Einsatz der Herkunft des Unternehmens. Das Beispiel von Ikea zeigt, wie sich eine internationale Marke erfolgreich auf seine „Heimat“ bzw. auf seine nationale Wurzel beziehen kann. Die Marke schafft sich damit Zuordnung, Substanz und Positionierung. Ein internationaler Markenauftritt und der nationale Bezug auf ein „Herkunftsland“ sind keineswegs Widersprüche. Länderkultur kann genutzt werden für eine erfolgreiche Markenpolitik, wenn das Land mit positiven Assoziationen verbunden ist. Die Country-of-Origin-Forschung oder Brand-Origin-Forschung besagt, dass die Herkunft einer Marke entscheidend für den Käufer sein kann und die geografische Zuordnung von Produkten und Marken Auswirkungen auf Kaufentscheidungen haben können. Faktisch finden wir in der internationalen Vermarktung heute eher hybride Produkte: Produktentwicklung und -herstellung erfolgen meist in mehreren Ländern. Der Culture-­ of-­Brand-Origin-Ansatz schlägt vor, den Herkunftsort gezielt auszuwählen und zu nutzen, da das Herkunftsland von den Kunden häufig als Qualitätsindikator verwendet wird. Eine Zuordnung kann nach Nation erfolgen oder nach Region, z. B. ein Bayernimage aufgebaut werden. Für andere Produkte mag sich ein länderübergreifender Bezug, z. B. auf Europa anbieten. Ein sog. Halo-Effekt scheint zu existieren: Das Landesimage beeinflusst die Einstellung der Verbraucher zum Produkt. Deutschland steht für Qualität in der Technik, vor allem in der Automobilindustrie, Frankreich für Mode, Japan für innovative Produkte. Marken, die sich auf ein solches Herkunftsland berufen, können das Länderimage für sich nutzen. Umgekehrt besagt der sog. Summary-Effekt, dass Konsumenten Produktattribute auf das Image eines Landes übertragen. Beispielsweise die Qualität des japanischen Automobilherstellers „Toyota“ wird oft als Basis für die Bewertung nicht nur anderer Automobile aus Japan, sondern sogar allgemein für die Bewertung anderer Produkte und Marken aus Japan herangezogen. Neuerdings lassen sich Strategien beobachten, ein Herkunftsimage für die Markenidentität künstlich zu schaffen. Ein relativ neues Phänomen sind sogenannte Cultural Copycats: Die chinesische Handelskette Miniso existiert seit 2011 und verkauft vor allem Haushaltswaren, Kosmetik und Spielsachen. Miniso ist in über ungefähr 2600 Läden in rund 60 Ländern vertreten. Mit seinem großen und günstigen Sortiment und einem ausgeklügelten Geschäftsmodell ist das Unternehmen sehr erfolgreich. Da die Herkunftsbezeichnung „Made in China“ jedoch derzeit nicht über ein besonderes Prestige verfügt, tritt Miniso in Geschäftsausstattung und Aufmachung auf wie eine japanische Designermarke. Wenn man einen Miniso-Laden betritt, so wähnt man sich in einem japanischen Geschäft. Aufbau und

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7  Globale Markenführung

Design sind geschmackvoll und minimalistisch. Die Ähnlichkeit des Ladendesigns mit typischen japanischen Geschäften wie z. B. Uniqlo ist gewiss kein Zufall. Inzwischen bietet eine ganze Reihe chinesischer Unternehmen in China produzierte Waren nach diesem Muster an: In ihrer Ladenaufmachung adaptieren sie die japanische oder alternativ die koreanische Kultur. Es werden also keine „Fake Goods“, vertrieben, sondern Kritiker sprechen von „Fake Labels“. Chinesische Unternehmen, die sich an das Image der japanischen Kultur anhängen heißen beispielsweise Miniso, Mumuso, Yubiso oder Yoyoso. Ein positiv besetztes Herkunftsland wird also künstlich suggeriert, weil das eigentliche Herkunftsland nicht über die gewünschte Anerkennung verfügt. Der japanischen und der südkoreanischen Kultur wird im asiatischen Umfeld  – zumindest ist das bis Ende der 2010er-Jahren noch der Fall – die höhere Achtung entgegengebracht. Japan und Südkorea werden eher mit feinen, modernen, qualitativ hochwertigen Produkten assoziiert als China. Ein künstlich geschaffenes Herkunftsland bzw. die Zuordnung zu einer bestimmten Kultur kann also genutzt werden, um Unternehmen eine positive Markenidentität im internationalen Wettbewerb zu schaffen.

7.7

Erfolgsfaktoren globaler Markenführung

Globale Marken suchen von vorneherein eine breite Marktakzeptanz, indem sie in der Markt- und Zielgruppenwahl auf Größe setzen. Große Zielgruppen mit weltweit ähnlichen Bedürfnissen und Nachfrageverhalten werden gesucht und angesprochen. Die weltweite Markenerkennbarkeit wird erreicht durch ein hohes Maß an Standardisierung und die Vorgabe klarer Qualitätskriterien. Economies of Scale and Scope sorgen für Kosteneffizienz. Dieselben Assoziationen und Attribute sollen weltweit mit dem Markennamen verbunden werden. Aufmerksam wird beobachtet, welche Bereiche und Elemente des Marketings besonders kultursensibel sind und (nur) in diesen erfolgt eine länderspezifische Anpassung. Markenversprechen und Markenverhalten werden von erfolgreichen globalen Marken bewusst gestaltet, um eine Markenidentität aufzubauen und diese in große Zielgruppen zu projizieren. Global Brands versuchen, möglichst exakt die Bedürfnisse der Kunden aufzufangen und die Markenerlebnisse der Kunden an den Kundenkontaktpunkten zu optimieren. Sie setzen an weltweiten Trends an und richten ihr Angebot danach aus. Das bedeutet: Erfolgreiche globale Marken spüren gesellschaftliche Trends frühzeitig auf und nutzen sie als Grundlage für neue Konzepte. Einer der wichtigsten Trends ist beispielsweise die Erlebnisorientierung der Kunden. „Shopping“ dient heute weniger der Bedarfsdeckung als der Suche nach Einkaufserlebnissen. Für die globalen Marken gilt es, ein Einkaufserlebnis für die Kunden zu gestalten (siehe hierzu auch die Ausführungen zum Erlebnismarketing in Kap.  4). Eine positive kulturelle Identität der Marke kann hierbei gezielt eingesetzt werden.

7.7  Erfolgsfaktoren globaler Markenführung

147

Dem Individualismus, der weltweit auch in eher kollektivistischen Gesellschaften an Attraktivität gewinnt, begegnen globale Marken mit personalisierten Angeboten und der Schaffung eines Gefühls von Privatheit. Kaufkraft wird als Ausdruck persönlicher Freiheit dargestellt. Um den Zeitdruck in den entwickelten Gesellschaften zu mindern, bieten globale Marken „Convenience“ an. Mit dem Begriff Convenience sind Produkte und Dienste gemeint, die Zeit und Energie sparen sowie Frustrationen verhindern sollen. Ursprünglich verstand man darunter erweiterte Öffnungszeiten der Läden und der Zugang zu bequemen Zahlungsbedingungen. E-Commerce kommt heute diesem Bedürfnis nach Convenience ohnehin entgegen. Als typische Convenience-Produkte galten früher Fertigmahlzeiten. Heute gehören die schnelle Zubereitung und das Angebot fertiger Lebensmittel durchaus auch zum Angebot erfolgreicher Marken. Diese müssen jedoch in einem anderen Gewand auftreten, z. B. wertige, gesunde Zutaten enthalten, personalisiert wirken, Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit signalisieren. Grüne Produkte, umweltfreundliche Strategien sowie ethische Korrektheit sind Bestandteile erfolgreicher Marken, schon deshalb, weil sie sich andernfalls angreifbar machen. Die wahrscheinlich wichtigste Aufgabe globaler Markenunternehmen besteht also darin, solche Trends rechtzeitig zu erkennen und zu bedienen. Der Erfolg weltweit erfolgreicher Marken hängt in hohem Maße davon ab, ob die dazu erforderlichen Visionen vorhanden sind und umgesetzt werden können. Die Gestaltung einer integrierten Unternehmenskommunikation, nach außen in Richtung Kunden und nach innen gegenüber den Mitarbeitern ist ein weiterer Erfolgsfaktor. Corporate Design, eine widerspruchsfreie Kommunikation und ein konsequentes Markenverhalten sind die wichtigsten Bestandteile. Die Pflege eines positiven Markenimages wird unterstützt durch • die Mitarbeiter, die sich durch eine besondere Unternehmensphilosophie und -kultur besonders um die Kunden bemühen, • zufriedene Kunden, die zu Empfehlern und manchmal sogar zu Werbeträgern entwickelt werden. Damit das Image vom Unternehmen beeinflusst werden kann, wird die Markenwahrnehmung der Kunden gezielt gemessen und kontrolliert. Erfolgreiche Global Brands haben eine klare Preispositionierung: Diese kann Hochoder Niedrigpreise vorsehen, wichtig scheint jedoch, dass die Preisstrategie konsequent durchgehalten wird. Erfolgreiche Marken emotionalisieren und personalisieren. Kundenbindung und Markenvertrauen sind zentrale Werte. Kultur ist ein wichtiger Faktor für globale Marken: Das Markenverhalten der Mitarbeiter wird zum einen durch eine besondere Unternehmenskultur geprägt. Die Kultur eines Herkunftslandes oder kulturelle Assoziationen werden zum anderen bewusst eingesetzt, um eine positive Markenwahrnehmung zu schaffen.

8

Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

Auch wenn neuere Marketingansätze eine neue Werteorientierung des Marketings beschwören, so bleibt das letztendliche Ziel, Verkäufe zu generieren. Kap. 8 thematisiert den Verkauf und seine Einflussfaktoren, die Bedeutung der Kundenbeziehungen und die Verkaufsverhandlung im internationalen Umfeld. Modernes Marketing will Kundenvertrauen schaffen. Grundlegend muss eine Ausei­ nandersetzung mit Kaufentscheidungen, Kaufrisiken und Käuferverhalten erfolgen. Mit Verkaufstechniken wird versucht, den Verkauf anzukurbeln. Zwischen dem Ziel der Realisierung von Verkaufsabschlüssen und der Pflege guter Kundenbeziehungen besteht ein Spannungsfeld. Kunden- oder Customer-Relations-Management bedeutet heute vor allem, profitable Kunden zu binden. Die Verkaufsverhandlung, die letztlich zum Abschluss eines Vertrags führen soll, ist im internationalen Umfeld eine besondere Herausforderung. Um Verkaufsverhandlungen erfolgreich führen zu können, müssen Verhandlungsführung, Verhandlungsstile und Verhandlungsverhalten verstanden werden. Kulturbedingt bestehen unterschiedliche Sichtweisen auf Verträge, somit auch auf Kaufverträge.

8.1

Kaufentscheidungen und Kaufrisiken

Vor dem Kauf findet idealtypisch die Marketingkommunikation statt, die Distribution ist ihr zeitlich nachgeordnet. Im Zentrum des Marketings steht der Verkauf. Um zu verkaufen, lassen sich Erkenntnisse über die Einflussfaktoren auf das Kaufverhalten nutzen (vgl. z. B. Kroeber-Riel und Weinberg 1999).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Gutting, Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29429-8_8

149

150

8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

Grundsätzlich kennen wir vier Typen der Kaufentscheidung, die der Käufer zunehmend kognitiv steuert: • Habitualisierte Kaufentscheidungen: Der Käufer tätigt einen Kauf gewohnheitsmäßig, denkt nicht weiter darüber nach. Ein Beispiel wäre der Coffee to go, der gewohnheitsmäßig morgens am Bahnhofskiosk mitgenommen wird. • Impulsive Kaufentscheidungen: Auch bei ihnen wird wenig nachgedacht, sie entstehen jedoch nicht gewohnheitsmäßig, sondern impulsiv bzw. ungeplant. An einem schönen Sommertag kommt man an der Eisdiele vorbei und kauft spontan einen Eisbecher. • Limitierte Kaufentscheidungen: Bei limitierten Kaufentscheidungen setzt die kognitive Steuerung ein. Wird einer Kundin beispielsweise ein vielversprechendes Kosmetikprodukt angeboten, das jedoch recht teuer ist, wägt sie den Kauf vor der Entscheidung ab. • Extensive Kaufentscheidungen: Vor einer Kaufentscheidung für hochpreisige, persönlich wichtige Produkte oder Dienstleistungen im B2B oder B2C steht in der Regel eine extensive Auseinandersetzung des Käufers. Unterschiedliche Typen von Kaufentscheidungen erfordern unterschiedliche Marketingmaßnahmen. Bei habitualisierten und impulsiven Kaufentscheidungen geht es für einen Anbieter vor allem darum, mit einem Angebot präsent zu sein. Bei limitierten und extensiven Kaufentscheidungen müssen Argumente für den Kauf geliefert und Kaufrisiken gemindert werden. Aus der Perspektive eines Käufers (für eine leichtere Lesbarkeit wird im folgenden die männliche Form verwendet) bestehen die folgenden Kaufrisiken: • Funktionelles Risiko: Der Käufer fragt sich: Ist das Produkt funktionstüchtig? Zunächst geht es um die rein technische Funktionalität. Anschlussfragen des Käufers sind: Erfüllt das Produkt meine Anforderungen? Bringt es mir das, was ich erhoffe? • Finanzielles Risiko: Ist der Preis angemessen? Diese Frage nach der Angemessenheit des Preises im Wettbewerb ist in der Zeit transparenter Märkte recht einfach zu klären, da ein Preisvergleich leicht möglich ist. Es existiert ein weiterer Aspekt: Ist der Preis für mich tragbar? Auch wenn ein Angebot sehr gut ist, kann es die finanziellen Möglichkeiten des Käufers übersteigen. • Physisches Risiko: Physische Risiken sind z. B. Verletzungsgefahren. Sie werden heute durch Qualitätssicherung der Produkte weitgehend ausgeschlossen. Eltern überprüfen dennoch beim Kauf von Spielwaren, ob das Kind in irgendeiner Weise einem Risiko ausgesetzt sein könnte, z.  B. ob das Kind ein kleines Teil abnehmen und verschlucken könnte. • Psychologisches Risiko: Hier geht es um die Identifikation mit einem Produkt. Modische Kleidung ist ein Beispiel: Passt das Kleidungsstück tatsächlich zur Persönlichkeit? • Soziales Risiko: Ein Risiko für Käufer besteht in der Frage, ob das soziale Umfeld das Produkt akzeptiert: Findet das Produkt die Anerkennung der Bezugsgruppen des Käufers?

8.1  Kaufentscheidungen und Kaufrisiken

151

Um den Käufern Kaufrisiken zu nehmen, kann das Unternehmen risikoreduzierende Maßnahmen ergreifen. Hierzu muss es auch verstehen, wie bzw. durch welche Maßnahmen die Kunden selbst versuchen, ihre Kaufrisiken zu mindern: • Kunden suchen aktiv Informationen über Unternehmen und Produkte. Für das Unternehmen bedeutet dies, Informationen – zum Beispiel via Website – zur Verfügung zu stellen und leicht zugänglich zu machen, z. B. über Suchmaschinenmarketing. • Manche Kunden gehen davon aus, dass ein hoher Preis mit einer hohen Qualität gleichzusetzen ist (Preis-Qualitäts-Irradiation). Das Unternehmen kann eine Hochpreispositionierung wählen. Diese muss jedoch mit weiteren Marketingmaßnahmen einhergehen. Hohe Preise rechtfertigen sich beispielsweise über eine besondere, nachprüfbare Qualität des Produkts, eine fundierte Beratung und ein besonders gestaltetes Verkaufs­ ambiente. • Probekäufe sind für Kunden eine weitere Option der Risikoreduktion: Das Unternehmen kann beispielsweise ein teures Produkt in kleinerer Portionierung anbieten. • Markenloyalität hat für Stammkunden die Funktion, Risiken auszuschließen. Der Kunde geht davon aus, dass die bekannte und präferierte Marke auch beim nächsten Kauf die gewünschte Qualität liefert und somit das Markenversprechen einhält. Das Unternehmen muss Markenpflege betreiben (siehe hierzu Kap. 7). • Empfehlungen und Beurteilungen anderer Kunden sind eine weitere Strategie, um Kaufrisiken zu mindern. Auf Unternehmensseite legt dies die Organisation von Empfehlungs- und Bewertungsmanagement nahe. Zusätzlich zu diesem kundeninduzierten Verhalten kann das Unternehmen weitere Maßnahmen ergreifen, um Risiken und Unsicherheiten auf Käuferseite zu reduzieren • Die Reputation des Unternehmens bzw. die Wahrung eines positiven Images dienen dazu, den potenziellen Kunden Unsicherheiten nehmen. Zufriedene Referenzkunden können diese Reputation unterstützen. • Die Garantiepolitik ist heute eine wichtige Maßnahme, um Kundenvertrauen auf­ zubauen. • Die reflektierte Preisgestaltung ist eine Vertrauensbildungsmaßnahme, für die mehrere Strategien denkbar sind. Beispielsweise kann man günstige Preise kommunizieren, muss diese dann aber auch nachweislich im Vergleich zum Wettbewerb einhalten. Bei hochpreisigen Markenartikeln kann es eine vertrauensbildende Maßnahme sein, Preise konstant zu halten. Eine teure Designerhandtasche darf nicht einige Tage später oder in einem anderen Umfeld zum Schnäppchenpreis verkauft werden. Ein Problem besteht darin, dass die Hersteller nur unverbindliche Preisempfehlungen geben können. Eine Preisbindung der Händler ist gesetzlich nicht erlaubt. • Das Unternehmen verbreitet Informationen über seine Produkte aus „gesicherter“ unabhängiger Quelle, z. B. der Stiftung Warentest. Der Nachweis einer Vielzahl positiver Kundenbewertungen hat heute eine ähnliche Funktion

152

8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

(vgl. auch Kroeber-Riel und Weinberg 1999, S. 248 ff.). Die Auseinandersetzung mit der Perspektive des Käufers ist eine Voraussetzung, um den Kunden Risiken und Unsicherheiten zu nehmen.

8.2

Käufertypologien

Erfolgreiche Verkäufer ordnen ihre Kunden einem bestimmten Käufertypus zu. Sie schaffen sich eine Einschätzung, wie ein Kunde behandelt werden will und richten ihre Verkaufsstrategie darauf aus. In der Marketingliteratur findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Systematisierungen von Käufertypologien. Man kann beispielsweise die Emotionalität und die Bestimmtheit des Käufers in den Blickpunkt nehmen (vgl. Homburg et al. 2012, S. 270) und anhand dieser Merkmale eine Zuordnung zu einem bestimmten Käufertypus vornehmen: • Der analytische Kundentyp zeichnet sich durch eine niedrige Emotionalität und eine niedrige Bestimmtheit aus. Dem Kunden ist eine rationale, vorsichtige Abwägung wichtig. Insofern darf ein guter Verkäufer keineswegs auf eine Entscheidung drängen, sondern muss Geduld zeigen. Ein Verkäufer kommt diesem Typus am besten durch eine detail- und faktenorientierte Argumentation entgegen. Hilfreich ist beispielsweise, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis des Produktes herauszustellen. • Beim konfliktscheuen Kundentyp ist die Emotionalität hoch, seine Bestimmtheit dagegen niedrig: Dieser Typ will sich über ein freundliches persönliches Verhältnis zum Verkäufer absichern. Ein guter Verkäufer hilft ihm, Unsicherheiten und wahrgenommene Kaufrisiken zu minimieren. Dies kann beispielsweise über den Verweis auf die Garantie- und Gewährleistungspolitik geschehen. • Beim ausdrucksstarken Käufertyp verbindet sich eine hohe Emotionalität mit einer hohen Bestimmtheit. Dieser Käufertypus sucht die Sympathie zum Verkäufer, will möglichst eine Wellenlänge mit ihm haben. Er bevorzugt eher einen informellen Umgangston. Ein guter Verkäufer ist gefordert, kreativ auf diesen Typus einzugehen. Zur Verkaufsunterstützung kann es nützlich sein, auf bekannte Referenzkunden zu verweisen. • Der harte Käufertyp zeigt eine niedrige Emotionalität und eine hohe Bestimmtheit. Er legt Wert auf ausgiebige Nutzenerwägungen. Ein guter Verkäufer ist gefordert, mit harten Fakten zu argumentieren. Er wird einen formellen Umgangston anwenden und bereit sein, viele Argumente zu liefern. Ein Aufbau von Entscheidungsdruck wäre kontraproduktiv. Durch die Identifikation der Verhaltensweisen verschiedener Käufertypen schafft der Verkäufer die Voraussetzung, um auf Kunden individuell eingehen zu können. Im persönlichen Verkauf gefordert ist Geduld, Menschenkenntnis sowie die Kenntnis und Anwendung unterschiedlicher Strategien.

8.4 Verkaufstechniken

8.3

153

Rollen im Kaufentscheidungsprozess

Im B2B-Bereich bzw. bei extensiven Kaufentscheidungen ist der Verkäufer meist mit mehreren Akteuren im Austausch, die unterschiedliche Rollen im Unternehmen, auch bei der Kaufentscheidung einnehmen. Manchmal ist es schwierig, zu identifizieren, wer tatsächlich die Kaufentscheidung trifft. Generell gibt es fünf Positionen von Mitarbeitern, die von der Neuanschaffung eines Produktes oder einer Dienstleistung betroffen sind (vgl. z. B. Backhaus 1999, S. 63). • Anwender, also diejenigen Mitarbeiter, die mit dem Produkt arbeiten. Häufig haben sie keinen direkten Einfluss auf die Kaufentscheidung. • Beeinflusser sind Verwender, die Einfluss auf die Kaufentscheidung nehmen können, weil sie als langfristige Nutzer oder Experten nach ihrer Meinung bzw. Einschätzung gefragt werden. • Entscheider sind in der Machtposition, oft sind das die Unternehmensleiter. • Gatekeeper nehmen die Selektion von Informationen für die Kaufentscheidung vor. Sie holen beispielsweise die Angebote für das Produkt von verschiedenen Herstellern ein und geben häufig vorab eine Empfehlung. • Einkäufer haben in großen Unternehmen die formale Zuständigkeit für den Einkaufsprozess. Sie sind nicht zwingend die Entscheider. Für diese unterschiedlichen Rollen im Verkaufsprozess benötigt der Verkäufer unterschiedliche Verkaufsargumente. Es gilt, jeweils die spezifischen Interessen des Ansprechpartners zu verstehen und die passenden Argumente zu finden. Im Gespräch mit den Beeinflussern sind beispielsweise die Funktionalität und die problemlose Anwendung hervorzuheben. In der Argumentation gegenüber den Entscheidern kann insbesondere die Betonung des guten Preis-Leistungs-Verhältnisses zielführend sein. Die wichtigen Kunden im B2B werden meist vom Key Account Management betreut. Dessen Funktion ist es, eine dauerhafte Partnerschaft zu den Kunden aufzubauen und sich Kenntnis über ihre jeweiligen Bedürfnisse, Interessen und Rollen im Unternehmen zu verschaffen.

8.4

Verkaufstechniken

Um Abschlüsse zu erzielen, werden im Verkauf verschiedene Präsentations- und Closing-­ Techniken angewandt (vgl. z. B. Homburg und Krohmer 2003, S. 739 ff.). Im sog. „Charakter Selling“ hebt der Verkäufer die Eigenschaften des Produkts hervor. Beim Verkauf eines Autos weist er z. B. darauf hin, dass das Fahrzeug serienmäßig mit ABS, Spurwinkelassistent, Seitenairbags, Rückfahrkamera etc. ausgestattet ist. „Benefit Selling“ ist dagegen eine Präsentationstechnik, die vor allem die Vorteile für die Nutzer herausstellt. Im obigen Beispiel wird der Verkäufer argumentieren, dass das

8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

154

Tab. 8.1  Closing-Techniken. Quelle: Eigene Darstellung, vgl. Homburg und Krohmer 2003, S. 739 ff. Closing-Technik Zeitdruck-Technik Panik-Technik

Erklärung Die zeitlich begrenzte Gültigkeit des Angebots wird betont. Es wird darauf hingewiesen, dass das Angebot nur begrenzt verfügbar ist.

Zusammenfassungs-­ Zusammenfassung der wichtigsten Technik Argumente mit dem stärksten Argument am Schluss. Technik der falschen Versuch, den Verhandlungspartner zu Entscheidung einer Entscheidung zu bewegen, indem bewusst eine vermutlich nicht präferierte Alternative vorgeschlagen wird. Die Aufmerksamkeit des Kunden wird so auf die wünschenswerte Option gelegt.

Beispielhafte Formulierung „Dieses Sonderangebot gilt allerdings nur noch heute.“ „Wir haben nur noch zwei Exemplare dieses Produktes auf Lager.“ „Wenn ich Sie recht verstanden habe, kommt es für Sie darauf an, dass…“ „Sie wollen also diesen Geländewagen mit Dieselmotor?“ „Sie wollen sicher das Komplettpaket mit PC, Drucker und Monitor?“

Fahrzeug durch verschiedene Features ein hohes Maß an Sicherheit für den Kunden und seine Familie bietet. Rhetorische Fragen werden eingesetzt, um die Aufmerksamkeit des Käufers in die gewünschte Richtung zu lenken, zum Beispiel der gezielte Einsatz von Fragen wie „Haben Sie sich schon einmal überlegt, warum bei Dämmerlicht so viele Unfälle passieren?“ Sog. Closing-Techniken zielen darauf, einen noch unentschlossenen Kunden zum Verkaufsabschluss zu bewegen (Tab. 8.1). Die Verkaufsaktionen „Black Friday“ oder „Cyber Monday“ von Händlern wie Amazon oder Alibaba sind nichts anderes als die Nutzung einer Zeitdruck- oder Verknappungstechnik. Durch die zeitliche Befristung günstiger, flexibler Preise soll die Kaufbereitschaft der Kunden gesteigert werden. Bei den Closing-Techniken geht es letztlich darum, dem Kunden stichhaltige Argumente zu liefern, damit die Kaufentscheidung gefällt bzw. nicht weiter hinausgezögert wird. Allerdings ist beim Einsatz von Closing-Techniken Vorsicht geboten. Der Kunde darf sich nicht gedrängt fühlen. Closing-Techniken dürfen keinesfalls das Image des Unternehmens und das Vertrauensverhältnis zu den Kunden beeinträchtigen. Dem Verkäufer muss bewusst sein, dass Kundenvertrauen einer der höchsten Werte im Unternehmen ist. Die Anwendung von Verkaufstechniken und überhaupt die Lenkung des Kundenverhaltens sind deshalb stets in den Kontext des Erhalts guter Kundenbeziehungen zu stellen.

8.5

Kunden- oder Customer-Relationship-Management (CRM)

In Kap. 4 wurde die Entwicklung zum „menschenzentrierten“ Marketing thematisiert: Der Kunde ist, in Marketingtheorie und -praxis, immer weiter ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Dies gilt gleichermaßen im Vertrieb. Das sog. „Transaktionsmarketing“ wurde durch das „Relationship-Marketing“ abgelöst.

8.5  Kunden- oder Customer-Relationship-Management (CRM)

155

Im Zentrum des Transaktionsmarketings steht der Verkaufserfolg. Die o. g. Closing-­ Techniken werden beispielsweise eingesetzt, um die Kaufbereitschaft zu erhöhen und schnelle Abschlüsse zu erzielen. In alten Marketingbüchern findet man noch den Begriff eines „schlagkräftigen Vertriebs“. Assoziiert ist damit das Vertriebsziel, möglichst flott viele Abschlüsse zu tätigen. Sobald ein Verkauf abgeschlossen ist, wendet sich der Verkäufer dem nächsten Kunden zu. Man spricht deshalb auch von einer „Hit-and-Run-Strategy“. Hit-and-Run-Strategien gelten heute eher als veraltet. Man hat erkannt, dass der Schlüssel für den nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens nicht von einzelnen Verkaufsaktionen, sondern eher von zufriedenen, wiederkehrenden Kunden abhängig ist. Im Gegensatz zum Transaktionsmarketing bemüht sich das Customer-Relations-Management (CRM) um den Aufbau und die Pflege dauerhafter Kundenbeziehungen. CRM oder Kunden(beziehungs-)management dient der Erkennung und Befriedigung der Bedürfnisse und Erwartungen von neuen und vor allem von Stammkunden. Kundenund Verbraucherdaten werden genutzt, um Kommunikations- und Vermarktungsstrategien umzusetzen und dadurch Verkaufsabschlüsse zu generieren. Zielgruppen des Kundenmanagements sind • potenzielle Kunden, die man über Kundenneugewinnungsstrategien erreichen will, • aktuelle Kunden, die man durch Kundenbindungsstrategien halten und zu weiteren Käufen motivieren möchte, • ehemalige Kunden, die man mit Rückgewinnungsstrategien zurückzuholen will, beispielsweise im Fall der Kündigung eines Abonnements. Ein Kunde ist nicht immer leicht als „ehemalig“ zu identifizieren. Wenn der Kunde einige Zeit nicht mehr gekauft hat, kann er abgewandert sein oder es kann lediglich ein Gebrauchsrückgang der vom Unternehmen bezogenen Produkte stattgefunden haben. Ziele des Kundenmanagements bestehen darin, • die Gebrauchsrate (Usage Rate) und • den Anteil des Unternehmens an den gesamten Einkäufen des Kunden (Share of Wallet) zu erhöhen. Kundendaten lassen sich nutzen, um die Konsummuster zu erkennen und passende Angebot zu unterbreiten. Das Schaffen von Kundennähe und -zufriedenheit sind die Voraussetzungen dazu. Mittel des Kundenbeziehungsmanagements sind Loyalitätsprogramme, Kundenkarten, Payback-Systeme, Rabattaktionen und viele andere mehr. Beispielsweise Zalando Plus, Amazon Prime oder Otto Up zeigen, wie heutige Kundenbindungsprogramme funktionieren. Die Kunden zahlen meist einen geringen Jahresbeitrag und erhalten einen Mix aus monetären, service- oder sogar erlebnisorientierten Vorteilen. Die digitale Otto-Up-Card beispielsweise ermöglicht es den Mitgliedern, Angebote von Kooperationspartnern, zum Beispiel Kinos oder Erlebnisparks, in Anspruch zu nehmen. Gewinnspiele und Aktionstage mit besonderen Angeboten und Rabatten ergänzen das Instrumentarium der Kundenbindungsprogramme.

156

8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

Das Bemühen um Kundenbindung kann allerdings durch eine Vielzahl von Rabatt- und Aktionsangeboten sowie allzu kulantem Verhalten Risiken für die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens mit sich bringen. Verhindert werden muss, dass das Unternehmen durch eine Mischung an Aktionen, Vergünstigungen und Zugeständnissen Profitabilität verliert. Die Unternehmen müssen deshalb die Frage ins Zentrum rücken, mit welchen Kunden am ehesten nachhaltig Gewinne zu erwirtschaften sind.

8.5.1 Bindung bestehender Kunden und Neukundengewinnung Ziele des CRM sind die dauerhafte Kundenbindung und die Neukundengewinnung, daneben die Kundenrückgewinnung. In der Vergangenheit haben die Unternehmen sich vor allem stark auf die Neukundengewinnung konzentriert. Inzwischen sind die Vorteile der Bindung von Bestandskunden gegenüber der Neukundengewinnung in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Die Neukundengewinnung erfordert mehr Aufmerksamkeit und beinhaltet höhere Risiken für die Geschäftsentwicklung. Weis (2018, S. 213) konstatiert, dass die Konzentration auf Bestandskunden geringere Kosten für Information und Transformation, weniger Beratungsaufwand, bessere CrossSelling-Möglichkeiten, eine gezieltere Werbeansprache und weniger Beschwerden bedeutet. Zudem ist die Neukundengewinnung deutlich teurer: Im Marketingmanagement gilt inzwischen die Faustregel, dass es fünfmal teurer ist, einen Neukunden zu gewinnen als einen bestehenden Kunden zu halten. Die dauerhafte Bindung eines Kundenstamms an das Unternehmen oder die Marke, hat zusammengefasst die folgenden Vorteile: • Dauerkunden sorgen für ein gutes Unternehmensimage. • Aufgrund ihres Vertrauens in Unternehmen oder Marke gibt es bei Stammkunden geringere Kaufwiderstände zu überwinden. • Möglichkeiten des Cross- und des Up-Selling an gebundene Kunden können ausgeschöpft werden, zumal über sie Daten vorliegen. • Gerade durch die in Kap. 3 beschriebenen Möglichkeiten der Digitalkommunikation sind Stammkunden leicht zu erreichen und zu bewerben. • Die Kundendaten können genutzt werden, um neue Verkaufsstrategien oder Produkt­ ideen zu entwickeln, bis hin zu einer Integration von Kunden in Innovationsprozesse. • Der Umgang mit Bestandskunden ist oft relativ einfach und effizient. Es gibt weniger Komplikationen und Beschwerden, der Beratungsaufwand ist in der Regel geringer. • Stammkunden sind oft bereit, Empfehlungen oder positive Bewertungen für das Unternehmen oder die Marke abzugeben. • Es lässt sich identifizieren, welche dieser Kunden besonders gewinnbringend sind und auf welche es sich lohnt, Aufmerksamkeit zu richten. Dennoch ist auch die Neukundengewinnung unerlässlich: Um die neuen Kunden zu den Stammkunden der Zukunft zu entwickeln.

8.5  Kunden- oder Customer-Relationship-Management (CRM)

157

8.5.2 Prinzipien modernen Kundenmanagements Aus den o. g. Erkenntnissen lassen sich einige Prinzipien für erfolgreiches Kundenbeziehungsmarketing ableiten: Stammkundenpflege geht vor Neukundenakquisition: Die Pflege bestehender Kundenbeziehungen sollte aus o.  g. Gründen Priorität vor der Kundenneuakquisition haben. In Neukunden muss erst investiert werden, um sie zum Kauf zu motivieren. Bestandskunden sind für das Unternehmen die kalkulierbarere Größe. Fokus auf Profitabilität und Kundenwert: Das Unternehmen sollte sich nicht in einer Vielzahl von Kundenbindungsaktionen verlieren, sondern stets die Profitabilität im Auge behalten. Eine Möglichkeit ist, sich am Kundenwert zu orientieren. Aufgrund der heutigen Möglichkeiten, eine Vielzahl von Kundendaten zu erheben und zu analysieren, lassen sich die besonders „wertvollen“ Kunden identifizieren. Der Kundenwert setzt sich dabei aus verschiedenen Faktoren zusammen, wozu natürlich in erster Linie der generierte Umsatz und der Cross-Selling-Wert zählen. Wertvoll ist ein Kunde auch dann, wenn er problemlos im Umgang ist und man mit ihm effizient Geschäfte abwickeln kann. In manchen Branchen ist ein Kunde auch dann wertvoll, wenn er vorzeigbar ist bzw. wenn sich andere Kunden mit ihm identifizieren möchten. Ein weiteres Merkmal eines guten Kunden ist sein Referenzwert: Wenn er bereit ist, Empfehlungen und positive Beurteilungen abzugeben. Zufriedene Stammkunden können durch Empfehlungen einen „Multiplikatoren-Effekt“ bewirken. Weiter hat ein guter Kunde einen hohen Informationswert, wenn er bereit ist, Informationen zur Verfügung zu stellen. Auf deren Grundlage können neue Produkte und Strategien entwickelt werden. Als Basis dienen heute verschiedene Analysemethoden. Die RFM-Analyse ist beispielweise eine Technik, mit der bestehende Kunden identifiziert werden, die am wahrscheinlichsten auf ein neues Angebot reagieren. RFM steht für Recency, Frequency und M ­ onetary Value. Kunden, deren Kauf erst kürzlich stattfand, die häufig bestellen oder kaufen und mit denen sich höhere Umsätze schaffen lassen, sind besonders wertvoll. Sie zeigen sich für Werbeaktionen besonders empfänglich. Nach der RFM-Methode wird für jeden Kunden ein Scoring-Wert ermittelt. Der Scoring-Wert bestimmt über die weiteren CRM-Maß-­ nahmen. Gestaltung und Analyse der Touchpoints zu den Kunden: Die Kontaktpunkte zu den Käufern sind bewusst zu gestalten, um positive Eindrücke und Erlebniswerte für die Kunden sowie möglichst gleichzeitig Umsätze für das Unternehmen zu generieren. Die Touchpoints der Customer Journey sind zu analysieren, um Wissen über die Kunden zu schaffen und es durch Kundenintegration auszuschöpfen. Kunden werden so in den Wertschöpfungsprozess einbezogen.

158

8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

Personalisierung, Individualisierung und Differenzierung der Angebote: Die technischen Möglichkeiten der Differenzierung und der persönlichen Kundenansprache sind zu nutzen. Kunden können heute mit auf sie zugeschnittenen Marketingmaßnahmen und über passende Kommunikationskanäle betreut werden. Das Unternehmen lernt aus den Kundenbeziehungen und kann auch auf Bedürfnisänderungen reagieren. Amazon destilliert beispielsweise aus den Käufen von Kunden mit ähnlichen Merkmalen Empfehlungen heraus und macht ein personalisiertes Angebot. Durch die Digitalisierung ist es möglich, Kunden mit Werbung „zuzuschütten“. Heute gilt jedoch: weniger, aber gezielt! Das sog. Permission Marketing fragt nach der ausdrücklichen Erlaubnis zur Übermittlung von Werbematerialien und unterbreitet dem Kunden nur gewünschte Angebote. Insgesamt ist Kundenbeziehungsmanagement heute für die Unternehmen keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Die Qualitäts- und Angebotsvergleiche des Online-­ Shoppings und der Plattformökonomie erfordern die Bindung von Kunden, um profitabel zu arbeiten. Die Digitalisierung und IT-Entwicklung haben im Gegenzug eine Vielzahl neuer Optionen dazu eröffnet.

8.6

Verkaufsverhandlungen mit Partnern aus anderen Kulturen

Internationales Marketing erfordert es, Verkaufsverhandlungen mit Partnern aus anderen Kulturen zu führen. Den besonderen Herausforderungen solcher Verkaufssituationen soll im Folgenden nachgegangen werden. Wie andere Verhandlungen auch, enthält die Verkaufsverhandlung ein Paradoxon: die Gleichzeitigkeit von Konfrontation und Kooperation (vgl. zu Abschn.  8.6 auch Gutting 2016, S. 99 ff.). Die Partner kooperieren, weil sie das gemeinsame Interesse haben, ein Geschäft abzuschließen. Gleichzeitig besteht eine Konfrontation aufgrund u­ nterschiedlicher Interessen: Der Käufer will möglichst günstig kaufen, der Käufer möglichst teuer verkaufen. Wenn es diese Konfrontation nicht gäbe, wäre eine Verhandlung nicht nötig. Bei hochwertigen Gütern und im B2B steht die Verkaufsverhandlung vor dem Abschluss des Geschäfts. Verkäufer und Käufer versuchen, ihre unterschiedlichen Interessen auszugleichen und Differenzen durch Kommunikation auszuräumen. Verkaufsverhandlungen finden in einem Kontext statt. Ort und Zeitpunkt etc. sind zu wählen, die Vorgeschichte im Kontakt der Parteien ist zu berücksichtigen. Eine erfolgreiche Verkaufsverhandlung will gut vorbereitet sein. Wie in allen Verhandlungen sind hierzu die sog. „W-Fragen“ zu klären (vgl. auch Mead 2005, S. 156 ff.): • • • •

Wo wird verhandelt? Wann wird verhandelt werden? Wie lange wird verhandelt? Wer verhandelt?

8.6  Verkaufsverhandlungen mit Partnern aus anderen Kulturen

159

• Wer hat Entscheidungsgewalt? • Was soll erreicht werden? • Wie wird verhandelt? Scheitert eine Verkaufsverhandlung, so bedeutet dies vergebene Chancen und „Sunk Costs“ auf beiden Seiten. Die detaillierte Vorbereitung einer Verkaufsverhandlung, gerade mit anderskulturellen Partnern, ist deshalb gut investierte Zeit.

8.6.1 Wo findet die Verkaufsverhandlung statt? Verhandlungen im eigenen Unternehmen geben einen territorialen Vorteil. Man kann weitere Unterlagen und Informationen schnell beschaffen und eigene Experten hinzuziehen. Ein Treffen beim Verhandlungspartner liefert Informationen und Erkenntnisse über ihn. Als neutrale Territorien bieten sich Besprechungsräume, z.  B. in Hotels oder Handelskammern an. Moderne Informationstechnologie ermöglicht eine virtuelle Verhandlung. Virtuelle Verhandlungen sind jedoch nur dann ratsam, wenn sich die Parteien bereits gut kennen.

8.6.2 Wann und wie lange wird verhandelt? Oft ist der Verhandlungszeitpunkt nicht frei wählbar, sondern wird bestimmt durch praktische Faktoren, beispielsweise den Zeitpunkt, an dem ein Budget abgerufen werden muss oder die dringende Ersatzbeschaffung für eine Maschine erfolgen muss. Einschränkungen existieren aufgrund der unterschiedlichen Kulturen der Verhandlungspartner bzw. deren religiöser oder nationaler Feiertage. Für Muslime ist es ungünstig, während des Ramadans zu verhandeln. Das Fastengebot gläubiger Muslime von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang setzt sie hohen körperlichen Belastungen aus. In Verhandlungen mit Asiaten ist das (ungefähr Ende Januar oder Anfang Februar stattfindende) chinesische Neujahrsfest unpassend, da dieses den Familien gewidmet wird. Ähnlich wird im westlichen Kulturkreis ungern zwischen Weihnachten und Neujahr gearbeitet. Verkaufsverhandlungen bedürfen einer zeitlichen Planung: Wie viel Zeit wird gebraucht, um die einzelnen Punkte durchzugehen? Mit welchen Verzögerungen muss man aufgrund von Rückfragen etc. rechnen? Wie lange wird die Verhandlung insgesamt dauern? Verhandeln Partner aus unterschiedlichen Kulturen, muss ggf. ihr unterschiedliches Zeitverständnis berücksichtigt werden. Für westliche Verhandlungspartner ist das polychrone Zeitmodell anderer Kulturen problematisch, welches beispielsweise in vielen asiatischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern besteht. Während im westlichen Kontext eine Verhandlung eher als rationales Abwägen von Positionen gesehen wird, welches möglichst schnell und effektiv abgewickelt werden sollte, gilt das Verhandeln in polychronen Gesellschaften eher als beziehungsstiftender Vorgang

160

8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

(vgl. Kammhuber, in: Thomas et al. 2005, S. 293). Diesem Vorgang wird bereitwillig Zeit eingeräumt. Er gilt als gute Investition in die Beziehung zum Gegenüber und erfüllt Funktionen, die über die Produktion eines Verhandlungsergebnisses hinausgehen. Polychron geprägte Menschen empfinden die kommerziellen Interaktionen von Vertretern der Indus­ trienationen oft als entpersonalisiert. Sie streben eher den Aufbau einer Atmosphäre des Vertrauens an, welche zu langfristigen Geschäftsbeziehungen führen soll. Die Fixierung auf schnelle Abschlüsse eines deutschen Gegenübers können sie schlecht nachempfinden. Unterschiedliche Zeitkonzepte können die Verkaufsverhandlung erschweren. Ist beispielsweise der deutsche Verhandlungspartner auf eine lange Verhandlungsdauer nicht vorbereitet, so kann bei ihm das Gefühl entstehen, nicht voran zu kommen, vom Partner nicht ernst genommen zu werden. Es besteht die Gefahr, dass er mit Frustration reagiert. Nicht auszuschließen ist, dass die andere Seite den Prozess absichtlich verzögert, um Zugeständnisse zu erzwingen. Allzu leicht kippt dann das Klima der Verhandlung. Der entstandene Ärger kann das Zustandekommen eines Abschlusses verhindern. Deshalb ist auch damit zu rechnen, dass Zeitdruck bei einem schlecht vorbereiteten Verhandlungspartner bewusst aufgebaut und ausgenutzt wird, um eigene Interessen durchzusetzen. Das Bewusstsein für unterschiedliche Zeitkonzepte und für die manchmal kon­ traproduktive eigene Prägung, zügig vorankommen zu wollen, gehört deshalb zur Vorbereitung eines guten Verkäufers.

8.6.3 Wer verhandelt? Kulturspezifische Aspekte spielen in Verkaufsverhandlungen eine wichtige Rolle. Die Verhaltensweisen der Verhandelnden sind durch kulturelle Normen, Werte und Regeln geprägt. Sie können im Laufe des Verhandlungsprozesses Missverständnisse oder Konflikte erzeugen, welche zu einem suboptimalen Ergebnis oder sogar zum Scheitern der Verhandlung führen können. Von einem guten Verkäufer im internationalen Umfeld wird interkulturelle Kompetenz gefordert: Er muss • sich der Existenz von Kulturunterschieden und der kulturellen Bedingtheit seiner eigenen Wahrnehmung bewusst sein, • ein Grundverständnis für die Fremdkultur des Verhandlungspartners entwickelt haben, • Mittel und Wege für eine angemessene Kommunikation finden. Um erfolgreich internationale Verkaufsverhandlungen durchführen zu können, muss der Verkäufer in der Lage sein, • die eigenen Kulturstandards und den üblichen Kommunikationsstil zu erkennen und zu relativieren • zu reflektieren, ob er sich an Verhandlungsstile der Partner anpassen muss und inwieweit er dazu bereit und in der Lage ist.

8.6  Verkaufsverhandlungen mit Partnern aus anderen Kulturen

161

Auch für international erfahrene Verkäufer stellt dies eine große Herausforderung dar: Man mag rational verstehen, welche unterschiedlichen Wertvorstellungen die andere Partei hat. Sich jedoch angemessen zu verhalten, gerade in der kritischen Situation einer wichtigen Verkaufsverhandlung, erfordert große Disziplin. Interkulturell kompetenten Verhandlungspartnern ist auch klar, dass Voreinstellungen existieren könnten, welche von Fremdbildern oder historischen Erfahrungen beeinflusst sind. Prägend ist beispielsweise in vielen Ländern noch die Erfahrung des westlichen Kolonialismus. Die vermeintliche Überlegenheit, die Arroganz und Herablassung der früheren Kolonialherren werden noch allzu gut erinnert. Sind die Verhandlungspartner auch noch größer, lauter, vielleicht auch formal höher gebildet und werden als wohlhabend betrachtet, so werden sie allein aufgrund dieser Voraussetzungen sehr leicht als arrogant oder überheblich eingeschätzt. Dem ist durch höfliches und zuvorkommendes Verhalten entgegenzuwirken. Erfolgreiche Verhandlungsführer verfügen über Selbstkontrolle. Sie benötigen vor allem Ambiguitätstoleranz: das Aushalten und Akzeptieren von unklaren und widersprüchlichen Situationen und Reaktionen. Neben der kulturellen Prägung beeinflussen folgende Faktoren die Verkaufsverhandlung: • die Verhandlungsmacht und die Bedeutung des Abschlusses für die Partner, • die Geduld der Verhandelnden, • die Verhandlungsstrategie, die jedoch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu kulturellen Vorbedingungen steht: Bestimmte Verhandlungsstrategien sind nur in bestimmten kulturellen Kontexten sinnvoll und umsetzbar. Da bislang noch nicht alle Fakten und Einflussgrößen für erfolgreiches interkulturelles Verhandeln bekannt sind, gelten interkulturelle Verhandlungen grundsätzlich als schwierig und zeitintensiv (vgl. auch Emrich 2014, S. 426). In Verkaufsverhandlungen mit Partnern aus anderen Ländern ist ein Verkäufer häufig mit großen Verhandlungsdelegationen konfrontiert. Beispielsweise Organisationen aus China werden häufig von großen Teams vertreten, denen nicht nur technische Experten und Manager, sondern auch Repräsentanten lokaler oder nationaler Behörden angehören. Groß sind meistens auch japanische Teams: Möglichst viele Einheiten von Großunternehmen möchten vertreten sein, damit die jeweiligen Interessen berücksichtigt werden (vgl. z. B. auch Mead 2005, S. 159). Im westlichen Kontext geht man meist davon aus, dass ein Verhandlungsführer das Unternehmen voll vertritt. Amerikanische Teams legen oft Wert auf den Einbezug eines Anwalts, um juristische Unschärfen oder Probleme frühzeitig zu klären und so Missverständnisse zu vermeiden. Die Anwesenheit eines Anwalts kann in anderen Kulturen Unverständnis hervorrufen, als bedrohlich und feindselig empfunden werden. Auch kann das Alter von Verhandlungspartnern zu Irritationen führen. Im Westen werden sachlich kompetente, durchsetzungsfähige Verkäufer in Verhandlungen geschickt. Diese dürfen auch jung sein. Asiatische Teams werden in der Regel von einem älteren

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8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

Chef geführt. Nach den Gepflogenheiten dieser Gesellschaften wird dieser nur mit einem ebenbürtigen Partner verhandeln wollen. Ein allzu junges Gegenüber wird eventuell nicht als hierarchisch gleichwertig anerkannt. Ein Ausweg aus dieser Situation auf westlicher Seite kann der Einbezug eines älteren Mitarbeiters sein. Manchmal werden in Verkaufsverhandlungen auch Mediatoren bzw. Mittelmänner (oder -frauen) eingebunden, die z. B. die verhandelnden Parteien zusammenbringen. Sie können bei problematischen Verhandlungspunkten, bei denen Irritationen entstanden sind, helfen. Der Mediator kann die Bedeutung der Reaktion fremdkultureller Partner erklären, so dass man darauf angemessen reagieren kann. Sind die Verhandlungspartner von vorneherein namentlich bekannt, so bereitet man sich auf diese direkt vor. Eingeschätzt werden sollten ihre folgenden Eigenschaften: • • • •

fachliche Kompetenz hierarchische Position bzw. Entscheidungsgewalt soziale Kompetenz als Verhandlungspartner interkulturelle Kompetenz und Erfahrung im internationalen Umfeld.

Diese Einflussgrößen werden in unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedlich gewichtet. In Gesellschaften mit hoher Machtdistanz und in stark formalisierten Kulturen muss vor allem die hierarchische Position berücksichtigt werden. Die kommunikativen und sozialen Fähigkeiten von Verhandlungspartnern spielen in allen Verhandlungen eine Rolle. Im internationalen Kontext gilt dies umso mehr. In Verkaufsverhandlungen mit Gegenübern aus beziehungsorientierten Gesellschaften, beispielsweise aus asiatischen, arabischen und lateinamerikanischen Ländern, ist es sinnvoll, eine persönliche Beziehung mit dem Verhandlungspartner aufzubauen, die über seine momentane Funktion als Repräsentant der Organisation hinausgeht. Ein solcher Beziehungsaufbau benötigt Zeit und erfordert Verständnis und Geduld. Er zahlt sich aus, wenn Pro­ bleme auftreten und gelöst werden müssen.

8.6.4 Wer hat Entscheidungsgewalt? In Abschn. 8.3 wurde auf die unterschiedlichen Positionen und Rollen bei einer Kaufentscheidung hingewiesen. Die zentrale Frage ist, wer tatsächlich die Entscheidung trifft. Dies muss nicht zwingend der Partner in einer Verkaufsverhandlung sein. Man kann nicht davon ausgehen, dass der Verhandlungsführer die Entscheidung darüber fällt, ob das Angebot von der anderen Seite angenommen wird. In Gesellschaften mit hoher Machtdistanz, beispielsweise in Lateinamerika oder Asien, treffen typischerweise die Unternehmenseigner oder Topmanager die Entscheidung. In solchen Gesellschaften ist es üblich, an der Spitze der Hierarchie die Kontrolle zu behalten, Entscheidungen nicht zu delegieren. Im westlichen Kulturkontext liegt die Entscheidungsgewalt meist bei den

8.6  Verkaufsverhandlungen mit Partnern aus anderen Kulturen

163

vom Hauptsitz des Unternehmens abgeordneten Führungskräften. Insofern besteht in der Regel mehr Transparenz darüber, wer entscheiden kann. In Verhandlungen mit arabischen Partnern mag die Entscheidungsgewalt in der Eigentümerfamilie liegen und damit bei Personen, die nie an der eigentlichen Verhandlung teilgenommen haben (vgl. Mead 2005, S. 160). Ähnlich kann die Entscheidung in zentralistischen Systemen, z. B. China, oft von weit entfernt in China sitzenden Bürokraten getroffen werden. In Transformationsländern, die von zentralistischen Systemen zu freien Marktwirtschaften übergehen, z. B. Vietnam, ist manchmal unklar, wer überhaupt befugt ist, verbindlich die letzte Entscheidung zu treffen.

8.6.5 Was soll erreicht werden? Will man sich gut auf eine Verkaufsverhandlung vorbereiten, muss man zunächst ein klares Bild der eigenen Ziele und Prioritäten haben. Drei Zielebenen sollte man festlegen, abgestuft nach ihrer Wichtigkeit (vgl. auch Mead 2005, S. 160): • Was muss unbedingt durchgesetzt werden? • Was sollte darüber hinaus noch erreicht werden? • Was möchte man sonst noch gerne zugesprochen bekommen? Ideal wäre, alle Ziele dieser Hierarchie zu erreichen. In der Realität wird man jedoch Zugeständnisse bzw. Abstriche machen müssen. Im Falle einer Verkaufsverhandlung muss sich der Verkäufer beispielsweise auf der ersten Zielebene einen Mindestpreis setzen. Eine Verkaufsverhandlung ist gescheitert, wenn zwar Ziele auf der zweiten oder dritten Ziel­ ebene, jedoch keine auf der ersten Zielebene erreicht sind. Um die Verkaufsverhandlung nicht zu gefährden, sollte man versuchen, auch die Situation des Käufers einzuschätzen: • Was muss der Verhandlungspartner unbedingt durchsetzen? • Was würde er darüber hinaus noch erreichen wollen? • Was möchte er sonst noch gerne zugesprochen bekommen? Eine solche Analyse gibt eine Vorstellung, worauf man sich in der Verhandlung konzentrieren sollte. Sie hilft, über notwendig werdende Zugeständnisse zu entscheiden, zu denen man bereit wäre, um das Hauptziel zu erreichen. Im Idealfall passen die beiden obersten Zielebenen der Verhandelnden zusammen. Vorab muss ein realistisches Bild darüber bestehen, was die andere Seite überhaupt leisten oder liefern kann und wie weit man sich selbst verpflichten kann und möchte. Finanzielle Ziele müssen nicht in jedem Fall Priorität haben. Es können Situationen auftreten, in denen Entgegenkommen an einer anderen Stelle große Vorteile bringt: Wenn

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8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

der Kunde beispielsweise durch eine frühzeitige Lieferung besondere Chancen nutzen kann, die auch einen weniger günstigen Preise für ihn akzeptabel macht. In einigen Kulturen, beispielsweise im chinesischen Kulturkontext, wird jedoch in der Regel ein starker Fokus auf die Verhandlung eines möglichst günstigen Preises gelegt. Auch wenn in asiatischen Gesellschaften Beziehungsorientierung besteht und der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses angestrebt wird, so besteht bei den meisten chinesischen Verhandlungspartnern  – nicht zuletzt aufgrund ihrer konfuzianischen Prägung (vgl. Kap. 9, Konfuzianismus wird darin erläutert) - eine hohe Priorität für bestmögliche Preise. In einem solchen Fall ist es umso wichtiger, eventuelle Nebenziele auf der zweiten und dritten Zielebene zu kennen und zu nutzen.

8.6.6 Wie wird verhandelt? Die Verkaufsverhandlung wird üblicherweise eröffnet mit der Präsentation eines Angebots. Es folgen Einwände, Zugeständnisse und Gegenvorschläge. Wie jede Verhandlung setzt sich die Verkaufsverhandlung zusammen aus Verhandlungssequenzen, d. h. Vorschlägen, Zustimmung oder Ablehnung, Diskussion und Ergebnisfeststellung. In diesen kommunikativen Prozessen spielen wiederum kulturelle Aspekte der Präsentation eines Angebots, der Argumentation über die Berechtigung der eigenen Interessen, der Gesprächsführung und der non-verbalen Kommunikation eine Rolle (vgl. auch Kammhuber, in: Thomas et al. 2005, S. 293). Um erfolgreich zu verhandeln, müssen mögliche Einflussgrößen der Verhandlungskommunikation identifiziert werden, die den Erfolg begünstigen oder eben verhindern können. Eine gute Vorbereitung gibt im Vorfeld einige Klarheit, was von der Verhandlung zu erwarten ist und liefert Ansatzpunkte, diese zu gestalten. Bei internationalen Verhandlungen stellt sich zunächst die Frage nach der Verhandlungssprache. Üblicherweise wird Englisch als Lingua Franca gewählt. Dies erfordert Rücksichtnahme auf alle Verhandlungspartner, die die Sprache nicht perfekt beherrschen. Für Präsentationen, ebenso wie für alle mündlichen Gesprächsbeiträge ist deshalb die bestmögliche Verständlichkeit für alle Verhandlungsteilnehmer zu fordern. Verständlichkeit kann erzeugt werden, wenn die folgenden Regeln eingehalten werden: • • • •

Einfachheit des Ausdrucks, klare Gliederungen von Präsentationen und Vorträgen, möglichst kurze und prägnante Aussagen, Anschaulichkeit, möglichst durch Visualisierungen von Inhalten.

Kluge Verhandlungsleiter werden allzu eloquente Beherrscher der englischen Sprache daran hindern, ihre Sprachkompetenz zu zelebrieren. Wenn einige der Verhandlungspart-

8.6  Verkaufsverhandlungen mit Partnern aus anderen Kulturen

165

ner keine „Native Speakers“ sind, ist es wichtig, stets auf die Priorität der Verständlichkeit und auf die o. g. Regeln hinzuweisen. Nonverbale (körpersprachliche) und paraverbale (stimmliche) Kommunikation führen bei den Zuhörern zu Urteilen über die Persönlichkeit und Kompetenz des Sprechenden (vgl. auch Gutting 2016, S. 2010 ff.). Unterscheiden lassen sich innerhalb der non- und paraverbalen Kommunikation • körpersprachliche Signale (Gestik, Mimik, Blickkontakt), • taktile Merkmale (z. B. Distanzmanagement), • paraverbale Signale (Stimmhöhe, Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit). Wenn Zuhörer zwischen den inhaltlichen Botschaften und den non- und paraverbalen Signalen Widersprüche entdecken, so billigen sie häufig den körpersprachlichen und stimmlichen sogar die größere Glaubwürdigkeit zu. Eine positive Nachricht, mit leiser, zittriger Stimme verkündet, lässt Skepsis bei den Zuhörern aufkommen. Praktische Probleme verursacht oft das gegenteilige Beispiel: Das Lächeln der Asiaten wird manchmal abwertend als „Pokerface“ bezeichnet. Es kann Verärgerung oder sogar Zorn hervorrufen, wenn beispielsweise eine Absage von einem Lächeln begleitet wird. Nach den asiatischen Kulturnormen ist jedoch das Dauerlächeln eine Form der Höflichkeit. „Face“ muss in jedem Fall bewahrt werden, auch unter ungünstigen Umständen. Auch wird Lachen von Asiaten manchmal eingesetzt, um Unsicherheiten zu kaschieren oder Situationen, die ihnen unangenehm sind, zu überspielen. Vertreter der westlichen Kulturen finden dagegen nur den Gleichklang von Botschaft und begleitender Mimik authentisch und akzeptabel. Ein Dauerlächeln wird so leicht als „undurchschaubar“ interpretiert. Umgekehrt wird beispielsweise ein Europäer oder Araber, der seinen Emotionen freien Lauf lässt und damit sein „Gesicht verliert“, von asiatischen Gesprächspartnern als unhöflich und grob eingeschätzt. Nonverbale und paraverbale Signale können Missverständnisse hervorrufen, wenn verschiedene kulturelle Orientierungssysteme ihnen unterschiedliche Bedeutung zuweisen. Zustimmung wird in Deutschland durch Kopfnicken begleitet, Ablehnung durch Kopfschütteln. In Indien wird Zustimmung signalisiert, indem mit dem Kopf „gewackelt“ wird. Es erfolgt eine Wiegebewegung des Kopfes, die von Verhandlungspartnern aus anderen Kulturen allzu leicht als Kopfschütteln und damit als Ablehnung interpretiert wird. Selbst bei einem kulturell geschulten Verhandlungspartner, der diese indische Eigenheit kennt, kann sie Irritation hervorrufen. Im deutschen Kulturkreis hält man Blickkontakt zu den Zuhörern und lässt der Gestik freien Lauf. Ein Gegenüber, das einem „nicht in die Augen schauen kann“, wird im westlichen Kulturkreis negativ beurteilt und als unaufrichtig wahrgenommen. Eine tiefe Stimmlage wirkt günstig, in Argumentationsphasen soll laut und moduliert gesprochen werden. In manchen Kulturen (z. B. in Japan) ist die Angemessenheit eines

166

8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

Blickkontakts abhängig von der hierarchischen Beziehung des Sprechenden zu seinem Zuhörer. Ein intensiver Blickkontakt kann als anmaßend empfunden werden, lautes Sprechen als aggressiv. In Verhandlungen mit anderskulturellen Partnern muss man deshalb stets reflektieren, dass beim Partner ein anderer bzw. ein „falscher“ Eindruck entstehen kann. Bestimmte Gesten ersetzen Sprache, z. B. der empor gereckte Daumen als Zeichen für „alles bestens“. Manche davon werden kulturübergreifend verstanden und sind eine effiziente Form, Stimmungen auszudrücken bzw. zu erkennen. Allerdings kann eine Geste in einem anderen Kulturkreis auch eine völlig andere Bedeutung haben: Ein Kreis aus Daumen und Zeigefinger bedeutet in Deutschland „hervorragend“ oder „exquisit“, dieselbe Geste stellt in Italien eine schwere Beleidigung dar. Auch taktile Signale können Irritationen hervorrufen. Der feste Händedruck zur Begrüßung wirkt im westlichen Kontext zupackend und signalisiert Verlässlichkeit. In asiatischen Kulturen ist eher eine höfliche Verneigung zur Begrüßung üblich. Der nur ganz leichte Händedruck eines Asiaten wurde von westlichen Partnern schon häufig negativ aufgenommen. Auch die Distanz zum Gegenüber und das Ausmaß von sozial akzeptierter Körperberührungen sind stark kulturabhängig. Die mediterrane und die südamerikanische Kultur sind berührungsaffin, zumindest in den Beziehungen der Männer untereinander. Distanzen sind z. B. in Brasilien wesentlich geringer als in Deutschland. Wird eine solche übliche Distanz hierzulande unterschritten, fühlt man sich unwohl und versucht, die angenehme Distanz wiederherzustellen. Man rückt praktisch vom Gegenüber ab, was ebenfalls zu Fehlinterpretationen führen und Missverständnisse oder unangenehme Situationen hervorrufen kann. Eine große Lautstärke, hohe Sprechgeschwindigkeit und Stimmhöhe können als Aufgeregtheit und Aggressivität gedeutet werden, in anderen Kulturen oder Subkulturen dagegen als Zeichen für eine angeregte Unterhaltung. Insgesamt sollte man sich darüber im Klaren sein, dass ein Verhandlungspartner durch die Interpretation von nonverbalen und paraverbalen Signalen versucht, Informationen über den Sprechenden und über das Gesagte hinaus zu erhalten. In einer Verhandlung mit fremdkulturellen Partnern muss man deshalb • sensibel sein für die eigenen Signale, die man aussendet, • versuchen, bei der Interpretation der empfangenen Signale möglichst offen zu bleiben, um das Risiko zu mindern, das anderskulturelle Verhalten falsch zu interpretieren. Gerade bei einem nicht perfekten gegenseitigen Sprachverständnis richtet sich die Aufmerksamkeit der Verhandlungspartner stark darauf, wie etwas gesagt wird. Ein guter Verkäufer prüft im Vorfeld einer Verhandlung, inwieweit aufgrund seiner eigenen kulturellen Prägung Schwierigkeiten latent vorhanden sind, die das Klima und Ergebnis der Verhandlung negativ beeinflussen könnten.

8.7  Integrative und distributive Strategien, interkulturelle Unterschiede …

8.7

167

I ntegrative und distributive Strategien, interkulturelle Unterschiede in Preisverhandlungen

In den westlichen Industrieländern sind Preisauszeichnungen und relativ feste Preise üblich. Preisstrategien sehen zwar Rabatte für bestimmte Gegenleistungen vor. Für viele Güter besteht jedoch eine Erwartungshaltung, was ein Produkt ungefähr kosten darf und muss (vgl. zu diesem Kapitel auch Gutting 2016, S. 217 ff.). Digitalisierung und Platt­ formökonomie haben den Preisvergleich einfach gemacht. Ist ein ausgewiesener Preis nicht stimmig, so wird das Produkt gar nicht in die Auswahl gezogen. Im B2B, aber auch bei teuren Produkten mit hohen Gewinnspannen im B2C sind Preise verhandelbar, um die Spielräume für Käufer und Verkäufer zu erweitern. In manchen Gesellschaften ist ein Handeln oder „Feilschen“ um Preise noch eher die Regel (vgl. Usunier und Lee 2009, S. 285 ff.). Der Idee des „Feilschens“ liegt die Auffassung zugrunde, dass die vorbehaltlose Annahme eines Preises vermeidbare Kosten verursacht. Zusätzlich wird dem „Feilschen“ um einen Preis eine „menschliche“ Dimension zugebilligt. Urlauber, die auf einem arabischen Bazar um Preise für Souvenirs feilschen, haben eine Vorstellung von dieser Art der Preisverhandlung. Die Preisverhandlungen in den Industrienationen wirken vergleichsweise entpersonalisiert. Das Verhandeln eines Preises kann die Funktion haben, eine Atmosphäre des Austauschs, des gemeinsamen Interesses und letztlich der Vertrauensbildung zu schaffen. So betrachtet können Preisverhandlungen zu guten, langfristigen Kundenbeziehungen führen. Auch bei internationalen Preisverhandlungen muss die eigene kulturelle Präferenz wie die der Verhandlungspartner reflektiert werden. Die folgenden drei Szenarien veranschaulichen als Beispiele, wie kulturelle Prägungen die Verläufe von Preisverhandlungen positiv oder negativ beeinflussen können (vgl. Usunier und Lee 2009, S. 288, vgl. auch Gutting 2016, S. 271 ff.).

8.7.1 Szenario 1: Intrakulturell „faire“, erfolgreiche Preisverhandlung Entstammen Käufer und Verkäufer westlichen Industrienationen, so verhandeln sie nach gleichen Regeln. Der Verkäufer eröffnet die Preisverhandlungen normalerweise mit einem „vernünftigen“, das bedeutet: einem nachvollziehbaren Preis. Er signalisiert damit die Angemessenheit und Redlichkeit seines Angebots. Ein „faires“ Angebot ist die Voraussetzung, um mit dem Käufer ins Geschäft zu kommen. Der Käufer muss den Preis von vorneherein einigermaßen akzeptabel finden. Wäre dem nicht so bzw. würde der Verkäufer mit einem „unrealistischen“ Preis in die Preisverhandlung eintreten, würde er sich von vorneherein als unseriös disqualifizieren. Er würde riskieren, künftig nicht mehr als Handelspartner in Betracht gezogen zu werden.

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8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

Der Einstiegspreis kommt dem Endpreis meist recht nahe. Bei Verhandlungspartnern aus Europa, den USA oder Australien kann eine Übereinkunft deshalb relativ schnell erzielt werden: Für die Partner ist es ein geteilter Wert, dass ein Angebot von vornehe­ rein angemessen sein und eine Preisverhandlung nicht allzu viel Zeitaufwand erfordern sollte. Intrakulturell ist eine solche integrative Preisverhandlung zielführend und effizient.

8.7.2 S  zenario 2: Andere Erwartungen, problematische Preisverhandlung Stellen wir uns nun vor, dass derselbe Verkäufer genau denselben „vernünftigen“ Anfangspreis als ein Zeichen seines guten Willens einem potenziellen Käufer nennt, der aus einer Kultur stammt, in der Feilschen die Tradition ist, z.  B. aus Indien oder Pakistan. Wenn ein Käufer und seine Vorgesetzten davon ausgehen, dass Preise frei verhandelbar sind, ist das Ziel von Preisverhandlungen das Heraushandeln eines möglichst hohen Rabattes. Der Käufer konzentriert sich in der Folge auf das Verhandeln eines Rabattes. Darin sieht er seine eigentliche Rolle. Kann der Käufer keinen hohen Rabatt erzielen, empfindet er die Preisverhandlung als gescheitert, weil er seine Aufgabe nicht erfüllen konnte. Er kann, nicht zuletzt gegenüber seinen Vorgesetzten, keinen Verhandlungserfolg für sich verbuchen. Dies gilt auch dann, wenn der geforderte Preis angemessen ist. Wenn also der Verkäufer das ursprüngliche Angebot sehr niedrig angesetzt hat, hat er Spielraum genommen. Die tatsächliche Höhe des geforderten Preises gerät aus dem Blickpunkt, wenn ein Käufer vor allem den Verhandlungserfolg sucht. In der Folge kann kein Verkaufsabschluss erzielt werden. Eine Übertragung der im westlichen Kulturkreis üblichen Verhandlungsstrategie hat sich in unserem Beispiel als nicht zielführend erwiesen. Besser wäre es gewesen, einen höheren Preis anzusetzen und viele Zugeständnisse einzuplanen. Kulturtypische Verhaltensweisen können Irritation hervorrufen. Ein Beispiel: Das hohe Ansehen der deutschen medizinischen Versorgung in der arabischen Welt hat einigen deutschen Kliniken gut situierte arabische Patienten zugeführt. Die deutschen Anbieter ­medizinischer Leistungen freuten sich über zahlungskräftige Privatkunden aus den Golfstaaten. Allerdings wurden Ärzte wie Verwaltungschefs der Kliniken frustriert, als einige arabische Patienten Rabatte für medizinische Leistungen, für sich selbst oder ihre Familienangehörige forderten. In ihrer Kultur betrachteten sie es als „normales“ Verhalten, Rabatte zu fordern, wenn eine Klinik mehrfach besucht wurde. Für deutsche Ärzte war dies ein absolutes Tabu: Sie fühlten sich zu „Händlern im Bazar“ herabgewürdigt. Dies wollte nicht zu ihrem Selbstverständnis als Arzt passen und kam nahezu einer Beleidigung gleich. Eine Behandlung von Patienten mit Rabattforderungen ist im Rollenverständnis deutscher Ärzte – bei Unkenntnis der Fremdkultur – problematisch und stellt den Aufbau einer guten Patienten-Arzt-Beziehung und damit den Erfolg der Behandlung insgesamt in Frage (vgl. auch Gutting 2016, S. 219).

8.7  Integrative und distributive Strategien, interkulturelle Unterschiede …

169

8.7.3 Szenario 3: Erfolgreiche Preisverhandlung in Händlerkulturen Stammen Käufer und Verkäufer aus Kulturen, in denen Handeln üblich ist (oder hat der Verkäufer aus dem Szenario 2 interkulturelles Verhandeln gelernt), so kann erfolgreich verhandelt werden: Der Verkäufer nennt einen hohen Anfangspreis, der Spielraum für Verhandlungen lässt. Gleichzeitig signalisiert er damit die besondere Hochwertigkeit des Produktes. Der Käufer hat nun die Chance, sein Verhandlungsgeschick zu demonstrieren. Käufer und Verkäufer nähern sich durch gegenseitige Zugeständnisse einander an. Im Idealfall gelingt es, nicht nur eine positive Atmosphäre, sondern eine tragfähige Geschäftsbeziehung aufzubauen. Als Endpreis wird in dieser distributiven Strategie ein „vernünftiger“ Preis ausgehandelt. Beide Parteien sind zufrieden: Der Käufer konnte einen hohen Rabatt erzielen, der Verkäufer, für den letztlich nur eine Einigung auf eine bestimmte Preishöhe entscheidend ist, hat ebenso sein Ziel erreicht. Die üblichen Verhaltensweisen in der eigenen Kultur steuern Erwartungen. Bei unterschiedlichen Gewohnheiten und Erwartungen sind Probleme vorprogrammiert, wenn man diese nicht kennt. Frustrationen lassen sich durch die Vorbereitung auf kulturelle Gepflogenheiten der Verhandlungspartner vermeiden.

8.7.4 K  ulturelle Neigungen zu distributiven oder integrativen Verhandlungsstrategien Kulturbedingte Besonderheiten, Präferenzen, Erwartungen und Verhaltensweisen müssen verstanden werden, wenn man Verhandlungsziele erreichen will. Gefragt sind passende Verhandlungsstrategien (vgl. Gutting 2016, S. 216 ff.). Strategien sind Wege zu einem Ziel. Das Ziel von Verkaufsverhandlungsstrategien ist die Einigung auf einen Preis und eventuell auf weitere Konditionen. Man unterscheidet generell zwischen integrativen (auch kooperativen oder „fairen“) und distributiven (kompetitiven) Strategien der Verhandlungsführung. Bei einer distributiven Strategie legt ein Verhandlungspartner seine Priorität darauf, ein Verhandlungsergebnis zu erzielen, welches die eigenen Interessen maximiert. Diese will man möglichst vollständig durchsetzen. Mittels eines kompetitiven Verhandlungsstils soll dieses Ziel erreicht werden (vgl. auch Emrich 2014, S. 427 ff.). Zugrunde liegt die Idee eines Nullsummenspiels: Gewinne des einen Verhandlungspartners bedeuten Verluste des anderen Verhandlungspartners. Um den Verhandlungsgegenstand entsteht ein Verteilungskampf. Zu Beginn des Verhandlungsprozesses erhebt eine Seite meist eine (zu) hohe Ausgangsforderung. Über gegenseitige Zugeständnisse wird ein Kompromiss gesucht. Jeder Partner versucht, möglichst wenig von seiner Position aufzugeben. Ein Nachgeben geht nach dieser Sichtweise stets zu Lasten der eigenen Position. Deshalb führt dieser Verhandlungsstil oft zu einer „Win-Loose-Situation“. Die Verhandlung wird als Stellungskrieg geführt, das Gegenüber ist eher Verhandlungsgegner als Verhandlungspartner.

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8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

Integrative Verhandlungsstrategien werden dagegen auch als „faires“ Verhandeln bezeichnet. Angewandt wird ein kooperativer Verhandlungsstil. Man sucht den „fairen“ Kompromiss. Die faire Strategie beginnt deshalb mit einer begründeten, realistischen Ausgangsforderung. Zugeständnisse werden weniger als Gegenleistung für Konzessionen von der anderen Seite gemacht, sondern eher inhaltlich begründet. Trickreiche Manöver sind kontraproduktiv. Dennoch wird auch bei einer integrativen Verhandlungsstrategie letztlich ein Verhandlungskampf um konträre Interessen ausgefochten. Die integrative Strategie wird gewählt, weil man sich durch Kooperationsbereitschaft Vorteile, z. B. die Beschleunigung des Verhandlungsprozesses und damit weniger hohe Transaktionskosten erhofft. Emrich (2014, S. 427 f.) konstatiert, dass integrative Verhandlungsstrategien von amerikanischen Verhandlungspartnern bevorzugt werden. Freimütige, offene Verhandlungen entsprechen dem amerikanischen Selbstbild. Eine große Rolle spielt dabei sicher auch die monochrone, westliche Zeitorientierung – „Zeit ist Geld“. Langes „Feilschen“ verlängert Verhandlungsprozesse, was aus westlicher Sicht ineffizient ist. Integrative Strategien setzen Offenheit und Kooperationsbereitschaft voraus. Man darf von einem Verhandlungspartner jedoch nicht erwarten, dass er dieselben Präferenzen und das Bedürfnis nach einem effizienten Verhandlungsprozess teilt. In einigen Kulturen ist Interesse für die Probleme anderer stark davon abhängig, ob diese zur In-Group (die traditionellen In-Groups sind Familie, Gruppe, Clan, Stamm) gehören. Wenn in Kulturen zwischen In- und Out-Group streng getrennt wird, beispielsweise in Gesellschaften des Nahen Ostens, in afrikanischen und in vielen asiatischen Kulturen, steht das Wohl der jeweiligen In-Group stark im Fokus. Nach dieser Sichtweise resultiert aus der natürlichen Knappheit der Ressourcen ein starker Druck, das Nullsummenspiel stets zugunsten der eigenen Gruppe zu entscheiden. Interessen und Probleme Außenstehender haben deshalb wenig Relevanz. Mitglieder solcher Kulturen tendieren zu distributiven Verhandlungsstrategien Deshalb muss relativ schnell abgeschätzt werden, ob der Partner integrativ oder distributiv verhandeln will. Ein kompetitiv Verhandelnder wird seinen integrativ verhandelnden Partner „über den Tisch ziehen“, wenn dieser ihm Zugeständnisse ohne direkte Gegenleistungen einräumt. Kulturell bedingte Neigungen beeinflussen die Wahl der Verhandlungsstrategie. Emrich (2014, S. 431 ff.) gibt einen Überblick über die Ergebnisse verschiedener Studien: • In Brasilien und Japan werden häufig integrative Strategien verfolgt. • Die Mehrheit der Amerikaner, Deutschen und Koreaner bevorzugen eher Mischformen. Eine scharfe Trennung zwischen integrativer und distributiver Strategie wird in der Praxis ohnehin nicht vorgenommen. • Deutsche gelten eher als „Hard Seller“. • Amerikaner neigen zum offenen Austausch und zu direkten Botschaften, um möglichst ohne Umschweife zum Ziel zu kommen.

8.8  Verhandlungsstile und Verhandlungsverhalten

171

• Das durch die direkte Kommunikation entstehende Tempo, z. B. in Verhandlungen mit Westlern, bereitet Asiaten Probleme, das notwendige Vertrauen zum Verhandlungspartner aufzubauen. • Mehrheitlich erwiesen sich Russen als distributive Verhandlungspartner: Sie verhandeln hart, sobald der Partner nachgiebig wirkt. Erst wenn sie selbst auf harten Widerstand treffen, besteht eher die Bereitschaft zu Zugeständnissen. Die Beispiele zeigen, dass letztlich die für die einzelnen Nationen nachgewiesenen Kulturdimensionen auch in Verhandlungen maßgeblich sind. Die Auseinandersetzung mit Kulturunterschieden unterstützt die Wahl der bestmöglichen Strategie in internationalen Verkaufsverhandlungen.

8.8

Verhandlungsstile und Verhandlungsverhalten

In der Literatur zur Verhandlungsführung werden die möglichen Verhandlungsstile meist dichotomisch angegeben (vgl. zu diesem Kapitel Gutting, 216, S.  223  ff.). Man findet folgende komplementäre Begriffspaare der Verhandlungsführung: • • • •

kooperativ versus kompetitiv, emotional versus sachorientiert, ergebnisorientiert versus beziehungsorientiert, konstruktiv versus destruktiv.

Für die Verkaufsverhandlung spielen vor allem die ersten beiden Gegensatzpaare eine Rolle. Eine distributive Verhandlungsstrategie geht mit einem kompetitiven Verhandlungsstil einher, eine integrative Strategie mit einem kooperativen Verhandlungsstil. Im vorherigen Abschn. 8.7 wurden Beispiele gegeben. In Abschn. 8.2 haben wir auf die verschiedenen Käufertypologien hingewiesen. Es ist oft eine Persönlichkeitsvariable, ob jemand emotional oder sachorientiert verhandelt. In der Verkaufsverhandlung ist der Verkäufer gefordert, auf den Käufertypus einzugehen: Beim konfliktscheuen und beim ausdrucksstarken Käufertyp wird ein eher emotionaler Verhandlungsstil funktional sein. Eine strikte Sachorientierung kann bei diesen kalt und unpersönlich wirken. Beim analytischen und beim harten Käufertypus wird dagegen ein sachorientierter Verhandlungsstil eher zielführend sein. Bei einer ergebnisorientierten Verhandlungsführung liegt die volle Konzentration auf dem Erreichen des Verhandlungsziels. Im Beispiel von Verkaufsverhandlungen ist dies der Abschluss des Kaufvertrags. Bei einem beziehungsorientierten Verhandlungsstil wird die Chance auf langfristige Geschäftsbeziehungen zum Gegenüber mit dem unmittelbaren Ergebnis abgewogen. Die Bedürfnisse des Käufers rücken stärker in den Fokus.

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8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

Das letzte Gegensatzpaar, konstruktive versus destruktive Verhandlungsführung, ist für den Fall der Verkaufsverhandlungen nicht relevant. Destruktiv bezeichnet einen harten Verhandlungsstil, ein permanentes „nein“ sagen und blockieren des Gegenübers. Manchmal nutzen Anwälte diese Taktik, um einen als schwächer eingestuften, unvorbereiteten Gegner außer Gefecht zu setzen. Konstruktive Verhandlungsführung bedeutet lediglich, dass man willens ist, das übliche Ziel einer Verhandlung zu erreichen: Die Einigung, gegebenenfalls mit gegenseitigen Kompromissen oder Rücksichten auf die jeweiligen Inte­ ressen der Parteien. Dies gilt im Grunde für jede Verkaufsverhandlung. Einige Erscheinungen im Verhandlungsverhalten sind kulturtypisch (vgl. Beniers 2006, S. 76). Die Kulturdimensionen geben Anhaltspunkte, was zu erwarten ist: • Deutsche, Japaner, Araber bzw. Menschen aus maskulin geprägten Kulturen gehen machtbewusst vor. Sie zeigen eine starke Beharrlichkeit und Unnachgiebigkeit im Vergleich zu feminin geprägten Kulturen (z. B. aus nordeuropäischen Ländern oder aus Thailand). Verhandlungspartner aus femininen Kulturen sind tendenziell anpassungsfähiger und flexibler als ihre Verhandlungspartner aus maskulinen Kulturen. • Unternehmen aus askriptiven Kulturen (bzw. Kulturen, die ihr Selbstverständnis zu der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen beziehen, z.  B.  Asien) schicken eher ältere Kollegen in Verhandlungen als Unternehmen aus sog. „Achievement“-Kulturen (z. B. Deutschland und USA). • Verhandlungspartner aus südostasiatischen Kulturen sind meist um formale Harmonie in den zwischenmenschlichen Beziehungen bemüht. Ein harter Verhandlungsstil wäre unpassend. Dennoch ist mit Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen der Partner zu rechnen. • Verhandlungspartner aus affektiven Kulturen, z. B. aus dem arabischen Raum agieren emotionaler als Vertreter aus neutralen Kulturen. Für Deutsche ist dies gewöhnungsbedürftig. Je mehr das eigene Verhalten reflektiert wird, je mehr Kenntnis über das typische Verhalten der Verhandlungspartner zur Verfügung steht und je deutlicher man sich die ­Unterschiede bewusst macht, umso besser können diese nivelliert und adäquate Handlungsalternativen entwickelt werden. Drei grundlegende menschliche Verhaltensweisen stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen sich üblicherweise das Verhalten in Verhandlungen bewegt, was im Deutschen (nicht ganz passend) mit „kämpfen“, „nachgeben“ und „fliehen“ übersetzt wird (vgl. Beniers 2006, S. 79 ff. oder auch Gutting 2016, S. 225 f.). Verhandlungen lassen sich beeinflussen durch: • „Moving against“ oder „Pushing“ • „Moving with“ oder „Pulling“ • „Moving away“ oder „Disenganging“.

8.8  Verhandlungsstile und Verhandlungsverhalten

173

Diese drei Optionen im Verhandlungsverhalten lassen sich auch auf Verkaufsverhandlungen anwenden. Beim „Pushing“ konzentriert sich der Verkäufer darauf, den Käufer zur Annahme des Angebots zu bewegen: Mittels Fakten und logischer Ableitungen, Unterfütterung mit objektiven, unabhängigen Quellen, wie beispielsweise Statistiken, Artikel in Fachzeitschriften oder Kundenbewertungen etc. Der Verkäufer demonstriert seine Fachkompetenz. Er beruft sich auf seine Expertise und will seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. „Pushing“ wird angewandt, wenn man einen schnellen Abschluss anstrebt. Manchmal ist ein Verkäufer in der Machtposition, ein Einverständnis schnell durchzusetzen zu können, wenn der Kunde beispielsweise eine Maschine dringend benötigt. Für die Pflege dauerhafter Kundenbeziehungen stellt diese Strategie jedoch ein Risiko dar. Wenn ein Kunde einmal eine solche Vorgehensweise erlebt und diese als zu hart empfunden hat, ist die Gefahr groß, dass er beim nächsten Kauf zur Konkurrenz abwandert. Im Kontext distributiver Verhandlungsstrategien findet häufig „Pushing“ statt. Es scheint kulturspezifische Vorlieben für dieses Verhalten zu geben: „Pushing“ wird vor allem von Vertretern maskuliner Kulturen, Kulturen mit großer Machtdistanz und aus sog. „spezifischen“ Kulturen (d. h. Kulturen, die die Lebensbereiche, z. B. Arbeit und Privatleben, stark trennen) benutzt (vgl. Beniers 2006, S. 80). „Pulling“ lässt sich übersetzen mit „andere an sich heranziehen“. Der Verkäufer signalisiert seine Kooperationsbereitschaft und den Willen, gemeinsam mit dem Käufer dessen Ziele zu realisieren. Der Verkäufer demonstriert Aufgeschlossenheit und Flexibilität. Er stellt viele Fragen, hört gut zu, prüft, ob er das Gesagte richtig verstanden hat, um Missverständnisse zu vermeiden. Durch das gegenseitige Offenlegen von Gedanken, Motiven und Erwartungen wird Vertrauen geschaffen. Pulling steht oft in Verbindung zu integrativen Verhandlungsstrategien. Diese Verhaltensweise funktioniert, wenn beide Seiten sich kooperativ verhalten. Sie wird tendenziell von Unterhändlern aus femininen, manchmal auch aus kollektivistischen Kulturen, aus Kulturen mit geringer Machtdistanz und auch aus „Achievement“- Kulturen präferiert. „Disengaging“ bedeutet „sich zurückziehen“. Das Verhalten empfiehlt sich, wenn eine Situation entstanden ist, in der die Weiterverhandlung keinen Sinn macht. Vielfältige ­Ursachen können dazu führen. In einer Verkaufsverhandlung ist „Disengaging“ dann die angemessene Reaktion, wenn ein Verkäufer feststellt, dass er den Mindestpreis nicht erzielen kann und kein profitables Geschäft zu machen ist. In schwierigen Verhandlungen kann vorübergehend ein „Cooling down“ verwendet werden, wenn Verhandlungsteilnehmer persönlich nicht mehr dem entstandenen Druck und den Komplikationen gewachsen sind. Wenn Verhandlungen ins Stocken geraten, sollte man zunächst versuchen, Spannungen und Stress herauszunehmen. Man kann beispielsweise Techniken der Konfliktbewältigung anwenden. Niedrige bzw. begrenzte Stressresistenz eines Verhandlungspartners kann manchmal durch Pausen und Vertagung aufgefangen werden. Als Gegenmittel zu Spannungen eignet es sich, zu „Pulling“ überzugehen.

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8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

Schon im Vorfeld einer Verkaufsverhandlung sollte den Beteiligten die Gefahr des „Disengaging“ eines Partners vor Augen stehen: Dass man in diesem Fall unverrichteter Dinge auseinander geht und der bislang getätigte Aufwand nutzlos war. Der Aufbau einer freundlichen Atmosphäre als Grundlage einer Verhandlung ist in jedem Fall sinnvoll. Er wird auch von Verhandlungspartnern geschätzt, die distributiv verhandeln. Schließlich will man auch in Zukunft mit diesen Partnern Geschäfte machen. In schwierige internationale Verkaufsverhandlungen sollten Unternehmen nur stresserprobte Kollegen mit Erfahrung, interkultureller Kompetenz und profunden Kenntnissen der Verhandlungsführung schicken.

8.9

Kulturell unterschiedliche Bedeutung von Verträgen

Am Ende einer Verkaufsverhandlung steht in der Regel ein Vertrag. Man sollte sich jedoch der unterschiedlichen Bedeutung von Verträgen in den Kulturen bewusst sein (vgl. zu diesem Kapitel Gutting 2016, S. 213 ff.). Nach einer Verhandlung trifft man meist eine schriftliche Vereinbarung in Form eines Vertrags. Verträge dienen dazu, die Umsetzung überprüfbar zu machen und sich auf die Verbindlichkeit – im Zweifel auch mit juristischen Mitteln – berufen zu können, wenn Schwierigkeiten auftauchen sollten. Ein Vertragspartner gilt im westlichen Kulturkontext als nicht verlässlich, wenn er die Regelungen nicht einhält oder zu großzügig interpretiert. Vertrauen, die wichtigste Grundlage langfristiger Geschäftsbeziehungen, entsteht in westlichen Ländern am Ende eines Verhandlungsprozesses: wenn der Vertrag korrekt umgesetzt und die Bedingungen und Absprachen von beiden Seiten eingehalten werden. Detaillierte Verträge, die alle Eventualitäten berücksichtigen, werden in anderen Kulturen, beispielsweise in einigen asiatischen Ländern, dagegen als weniger notwendig erachtet. Vertrauen legt man in erster Linie in persönliche Kontakte. Vertrauen entsteht nicht – wie in westlicher Sicht  – als Endprodukt nach einem Verhandlungsprozess, sondern ist eher die Voraussetzung, um eine Verhandlung überhaupt aufzunehmen. Weniger werden Recht und Gesetz als Grundlage eines Vertrags gesehen, sondern eher tatsächliche Machtverhältnisse und persönliche Beziehungen. Gegenseitiges Vertrauen fungiert als Regulationsmechanismus für Verhandlungen und Verträge. Worauf sich das Vertrauen in einer Gesellschaft jedoch wesentlich begründet, ist unterschiedlich (vgl. Gutting, in: Asien Kurier, 1. Juni 2014, S. 7). In westlichen Gesellschaften besteht ein hohes Systemvertrauen: Die Individuen bauen auf ihre politischen und rechtlichen Systeme und Institutionen. In anderen Gesellschaften herrscht eher personelles Vertrauen. Man setzt Vertrauen eher in andere Menschen, zu denen man eine Beziehung aufgebaut hat: • Personelles Vertrauen gründet sich auf interpersonelle Beziehungen und Reziprozität bzw. auf die Gegenseitigkeit von Geben und Nehmen als Grundprinzip menschlichen Handelns.

8.9  Kulturell unterschiedliche Bedeutung von Verträgen

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• Systemvertrauen beruht dagegen eher auf Vertrauen in die Institutionen von Staat und Gesellschaft, wie Recht und Gesetz, das Funktionieren öffentlicher Verwaltungen und sonstiger staatlicher Institutionen. Gut funktionierende, entwickelte Gesellschaften nutzen beide Formen des Vertrauens. In der Geschichte der hoch entwickelten Länder, vor allem im Westen, hat die Bedeutung des Systemvertrauens im Zeitablauf zugenommen. Zurückzuführen ist dies auf die Wirkung der Aufklärung mit ihrer Idee geteilter Gewalten. Mit der Erfahrung, dass getrennte Machtinstanzen als gegenseitige „Checks and Balances“ fungieren und Institutionen dadurch verlässlich machen, konnte sich Systemvertrauen entwickeln. In Ländern, welche die historische und kulturelle Erfahrung der Aufklärung nicht gemacht haben, spielt personelles Vertrauen noch die größere Rolle. Da beispielsweise die asiatischen Kulturen nicht auf historisch entwickelten institutionellen Strukturen und ebenso wenig auf Rechtsstaatlichkeit fußen konnten, sondern in ihrer Geschichte häufig politischer Willkür ausgesetzt waren, stehen persönliche Netzwerke an der Stelle institutioneller Strukturen. Netzwerke stellen deshalb immer noch einen besonderen Bestandteil der asiatischen Geschäftskultur dar. In kollektivistischen Gesellschaften haben die Beziehungen zu vertrauten Menschen ohnehin eine hohe Bedeutung. Verträge werden in einem solchen Kontext eher als Indikation dafür angesehen, dass man zusammenarbeiten will (vgl. auch Engelen und Tholen 2014, S. 136 f.). Chinesen bilden „Guanxi“: Durch Gemeinsamkeiten, wie die gleiche Herkunft oder ein Studium an der gleichen Universität, wird ein Netzwerk von Vertrauten aufgebaut, das sich gegenseitig stützt. „Guanxi“ bedeutet eine Verpflichtung der Individuen, sich gegenseitig zu helfen. Hat ein Netzwerkpartner einem anderen einen Gefallen getan, so kann dieser Partner eine Gegenleistung erwarten, wenn diese benötigt wird. Sie muss nicht sofort, sondern kann auch erst viel später erfolgen. Wird eine erwartete Gegenleistung jedoch nicht erbracht, verliert der andere „Face“, was letztlich einer sozialen Ächtung gleichkommt. Eine solche Art gegenseitiger Verpflichtungen wird als verlässlicher als ein bloßer Vertrag empfunden. Auch im modernen China wird das Rechtssystem mehr als Werkzeug gesehen, mit dem Modernisierung und Fortschritt durchgesetzt werden sollen, weniger als die Grundlage menschlichen Handelns. Hat ein Unternehmen einen Rechtsstreit mit einem lokalen Partner, kann es weitaus effektiver sein, mit der lokalen Regierung Kontakte zu pflegen und zu nutzen, als vor Gericht zu ziehen. Auch die Kulturdimension der Machtdistanz spielt eine wichtige Rolle für die Bedeutung von Verträgen. In Gesellschaften mit hoher Machtdistanz lehnten es die Herrschenden ab, ihre Macht zu teilen. Macht wollten sie nicht durch Verträge eingeschränkt sehen. Verträge verhindern Flexibilität. Ein Vertrag hat in dieser Tradition bessere Annahmechancen, je weniger konkret die Vertragsbedingungen ausgestaltet sind. Verträge werden eher als leitend, denn als bindend betrachtet. Insofern werden mündliche Vereinbarungen gegenüber schriftlichen Verträgen bevorzugt. Gegenüber Recht und Gesetz und somit auch gegenüber Verträgen wird in vielen nichtwestlichen Ländern eine andere Haltung eingenommen, als dies im Westen der Fall ist.

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8  Verkauf, Kundenbeziehungen und interkulturelle Verkaufsverhandlungen

Das Prinzip der Vertragstreue im öffentlichen und privaten Recht leitet sich letztlich aus römischem Recht ab und ist im westlichen Denken tief verankert: „Pacta sunt servanda“: Verträge sind einzuhalten. Während in entwickelten westlichen Gesellschaften Verträge als situationsunabhängig gültig anerkannt werden, geht in östlicher Sichtweise der Kontext in die Betrachtung mit ein: Was zu einem bestimmten Zeitpunkt richtig war, mag unter veränderten Bedingungen nicht mehr stimmen. So könnte der Preis, der zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgehandelt wurde, unter veränderten Marktkonditionen einem asiatischen Partner als nicht mehr fair erscheinen. Die Forderung nach Nachverhandlungen mag in einer solchen Situation dem asiatischen Partner ebenso berechtigt erscheinen, wie es der westliche Partner für richtig hält, auf dem vereinbarten Preis zu bestehen. Die Präferenz für mündliche Verträge in Gesellschaften mit hoher Machtdistanz erklärt sich aus einem Bedürfnis nach Flexibilität. Das extreme Gegenteil zu einer flexiblen Sichtweise findet sich in den USA.  Dort ist eine „Get-it-in-Writing“-Mentalität stark ausgeprägt: Vereinbarungen haben nur Gültigkeit, wenn sie in Form eines Vertrages auf Papier niedergelegt und unterschrieben sind. Mit der Unterschrift wird der Vertrag als Gesetz betrachtet. Der Vertragsinhalt ist wörtlich zu befolgen. Rechtsanwälte sichern die Vereinbarungen vertraglich ab oder fechten sie vor Gericht aus (vgl. auch Emrich 2014, S. 448). Anwälte begleiten deshalb häufig Vertragsverhandlungen von Beginn an. In westlichen Kulturen wird der Verhandlungsprozess als beendet betrachtet, wenn ein Vertrag unterzeichnet ist. In anderen dagegen stellt ein Vertrag nicht das Ende der Diskussionen dar, sondern wird eher verstanden als ernsthafte Absicht und Bereitwilligkeit, sich so wie im Vertrag beschrieben zu verhalten. Hinzuzufügen ist in diesem Fall: Der Vertrag gilt im Lichte der vorhersehbaren Ereignisse und unter der Voraussetzung, dass die Umstände so bleiben, wie sie sind. In solchen Ländern, beispielsweise in Thailand, wird die Implementierung, nicht die Unterzeichnung des Vertrages, als Ende der Verhandlung betrachtet (vgl. Mead 2005, S. 163). Eine solche Sichtweise impliziert andauernde Diskussionsprozesse und eine kontinuierliche Anpassung an Veränderungen im Vertragsumfeld, die bei Vertragsabschluss noch nicht abzusehen waren. Das Gegenteil stellt die legalistische anglo-amerikanische ­Sichtweise dar, nach der ein Vertrag genauso implementiert werden muss, wie er zuvor ausgehandelt wurde, völlig unabhängig von den sich möglicherweise ändernden Rahmenbedingungen. Dieses interkulturell unterschiedliche Verständnis der Bedeutung von Verträgen ist eine große Herausforderung für das internationale Management. Begründet durch unterschiedliche historische Erfahrungen, ob man besser sein Vertrauen auf Rechtssysteme oder auf die Verlässlichkeit von Personen setzt, finden wir hier einen der zentralen Unterschiede zwischen westlichen und östlichen Gesellschaften, mit vielen praktischen Folgewirkungen. So nimmt beispielsweise ein amerikanischer Unterhändler an, seine Arbeit wäre beendet, sobald der Vertrag unterzeichnet ist. Entstammt sein Verhandlungspartner jedoch dem östlichen Kulturkreis, so müssen während der Implementierung die Geschehnisse im Blick behalten werden und notfalls muss auch die Bereitschaft bestehen, an den Verhand-

8.9  Kulturell unterschiedliche Bedeutung von Verträgen

177

lungstisch zurückzukehren. Ein amerikanischer Geschäftsmann bringt seine Erfahrung in Asien über die Ost-West-Unterschiede folgendermaßen auf den Punkt (vgl. Mead 2005, S. 163): „Wenn Chinesen einen Vertrag verhandeln, so streiten sie nie zu Beginn der Verhandlungen, wohl aber bei der Implementierung. In amerikanischen Verhandlungen wird dagegen zu Beginn heftig gestritten, aber man kann ruhig bleiben, sobald der Vertrag unterschrieben ist.“

9

Ethnomarketing und neue Zielgruppen im Inlandsmarkt: Muslime und Chinesen

Ethnomarketing ist ein Teilbereich interkulturellen Marketings, der nicht auf andere Länder, sondern auf den Inlandsmarkt ausgerichtet ist. Ethnomarketing konzentriert sich auf Zielgruppen, die sich aufgrund von historischen, kulturellen, religiösen oder sprachlichen Gegebenheiten von der Bevölkerungsmehrheit eines Landes unterscheiden (vgl. z. B. Gabler, online). Es richtet sich an anderskulturelle Minderheiten, welche innerhalb eines Inlandsmarkts Subkulturen bilden. Die Erschließung neuer Zielgruppen durch Ethnomarketing ist eine Option für Anbieter, wenn ethnische Minderheiten oder Subkulturen im Inlandsmarkt als Konsumenten sichtbar werden, die • sich in ihren Bedürfnissen und ihren Konsumpräferenzen von der Mehrheit der Konsumenten unterscheiden • ggf. andere Informationsquellen und Kommunikationskanäle nutzen als die Mehrheitsbevölkerung • über hinreichend Kaufkraft verfügen. Marktchancen für Ethnomarketing bestehen, wenn ein Anbieter die Bedürfnisse, Vorstellungen und Gewohnheiten einer solchen Zielgruppe kennt, sie berücksichtigen und ihr mit einem Angebot entsprechen kann. In den meisten Ländern, so auch in Deutschland, sind die Gesellschaften inzwischen multikulturell. Anbieter, die ihr Marketing lediglich an ein „einheimisches“ Publikum richten, verschenken Marktchancen. Ethnomarketing versucht, Unterschiede im Konsumentenverhalten und die Gründe dafür zu verstehen, um definierte Zielgruppen anzusprechen und als Abnehmer zu erschließen. Somit handelt es sich bei Ethnomarketing um typisches Zielgruppenmarketing.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Gutting, Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29429-8_9

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9  Ethnomarketing und neue Zielgruppen im Inlandsmarkt: Muslime und Chinesen

Kap. 9 diskutiert Ethnomarketing innerhalb der klassischen Marktsegmentierung, zeigt die bisherige Entwicklung auf und nimmt insbesondere zwei neue Zielgruppen ins Visier: Muslime und Chinesen. Bei beiden Gruppen gilt es, grundlegendes Verständnis für ihre Wertvorstellungen, Normen und Präferenzen zu schaffen. Besonderen Vermarktungschancen stehen Herausforderungen und Restriktionen gegenüber, die ein Unternehmen erkennen muss, wenn es diese Zielgruppe bearbeiten möchte.

9.1

Zielgruppenmarketing

In der Marktsegmentierung unterteilt ein Unternehmen der Gesamtmarkt in greifbare Zielgruppen, um diese differenziert bearbeiten und damit den Absatz erhöhen zu können. Je nach Entwicklungsstadium eines Marktes bieten sich zwei Grundmuster der Marktbearbeitung an (vgl. zu diesem Kapitel Becker 2002, S. 106 ff.): • Massenmarktstrategie • Marktsegmentierungsstrategie. Die Massenmarktstrategie strebt nach Vereinheitlichung und richtet sich auf die größtmögliche Zahl der Abnehmer. Der Markt wird bedient mit Standardprodukten, die die gängigen Ansprüche der Durchschnittskäufer befriedigen. Es stehen nicht die möglichen Unterschiede in den Bedürfnissen der Abnehmer im Vordergrund, sondern die gemeinsamen Bedürfnisse. Massenmarktstrategien genügen in entwickelten Märkten nicht mehr den Anforderungen der Verbraucher. In Märkten mit Stagnationstendenzen stellt sich die Frage: Wie können bestehende Marktpotenziale mit segment- bzw. zielgruppenorientierter Programmund Vermarktungspolitik besser ausgeschöpft werden? Marktsegmentierung bedeutet also die Aufteilung eines Gesamtmarktes in einzelne, in sich möglichst homogene Teilmärkte. „Unter dem Begriff Segmentierung versteht man die Zerlegung von Märkten, Absatzwegen und Kunden in homogene Zielgruppen mit unterschiedlichen Bedarfen und Anforderungen bis hin zum Segment-of-One. Ziel ist die Erfüllung dieser Bedarfe mit einem möglichst exakt auf die Zielgruppe zugeschnittenen Angebot“ (Meyer und Davidson 2001, S. 356). Mit den Optionen der Massenmarktstrategie und der Marktsegmentierungsstrategie wird der Grad der Differenzierung der Produkte bei der Marktbearbeitung festgelegt. Zusätzlich muss über den Marktabdeckungsgrad entschieden werden. Das Spektrum der Optionen reicht über die vollständige Marktabdeckung hin zu einer teilweisen Marktabdeckung, mit der das Unternehmen den Status eines Spezialisten anstrebt. Am Beispiel von Pflegecremes lassen sich die unterschiedlichen Strategien der Marktsegmentierung einfach aufzeigen:

9.2  Entwicklung und Grundlagen des Ethnomarketings

181

• Eine Massenmarktstrategie mit totaler Marktabdeckung vermarktet eine Creme, die für den ganzen Körper von allen Nutzern verwendet werden kann, beispielsweise die Nivea-­Creme. • Eine Massenmarktstrategie mit partialer Marktabdeckung richtet sich auch auf den gesamten Markt, aber sieht bestimmte Verwendungszwecke vor, z. B. eine Handcreme. • In einer Marktsegmentierungsstrategien mit totaler Marktabdeckung versucht ein Anbieter, den gesamten Markt zu erreichen, berücksichtigt aber die unterschiedlichen Bedürfnisse der Zielgruppen. Beispiele dafür sind die Pflegeserien der meisten Kosmetikanbieter, mit denen sie im gesamten Kosmetikmarkt präsent sind bzw. alle Nutzer erreichen wollen, aber die Produkte nach besonderen Bedürfnissen differenzieren (z. B. Cremes für fettige Haut, für trockene Haut, gegen Falten etc.). • Eine Marktsegmentierungsstrategie mit partieller Marktabdeckung richtet sich an spezifische Kundengruppen mit besonderen Ansprüchen, nicht an den Gesamtmarkt. Der Anbieter strebt einen Spezialistenstatus an. Beispiel aus der Kosmetik wäre hier eine Creme, die eine eher medizinische Wirkung betont und nur über Apotheken vertrieben wird. Eine Segmentierungsstrategie ist dann sinnvoll, wenn ein Unternehmen in der Lage ist, lohnende Marktsegmente bzw. Zielgruppen zu identifizieren und angemessen zu bearbeiten.

9.2

Entwicklung und Grundlagen des Ethnomarketings

Ursprünge des Ethnomarketings findet man in den USA ab ungefähr den 1970er-Jahren. Im „Ethnic Marketing“ rückten ethnische Minderheiten wie Hispanics, Asians oder Blacks in den Blickpunkt der Marketingaktivitäten amerikanischer Unternehmen. Die Unternehmen hatten herausgefunden, dass diese ethnischen Gruppen bestimmte Konsumpräferenzen haben, die zusätzliche Vermarktungschancen eröffnen. In Deutschland wird Ethnomarketing seit etwa den 1990er-Jahren praktiziert. Personen türkischer Herkunft und deren Nachkommen wurden als die größte ethnische Zielgruppe identifiziert. Unternehmen aus verschiedenen Branchen, z. B. Telekommunikationsgesellschaften, Banken, Versicherungen, aber auch Autohersteller richteten ihre Werbebotschaften in türkischer Sprache an dieses neu erkannte Marktsegment. Insofern betraf Ethnomarketing für die deutsch-türkische Zielgruppe in seinen Anfängen zunächst vor allem die Kommunikation. Eine große Konsumentengruppe türkischer Herkunft, die dauerhaft in Deutschland lebt, konnte erschlossen werden. Als nächste große ethnische Gruppe wurden für die Ethnomarketer die sog. Russlanddeutschen interessant, zu denen vor allem die (Spät-)Aussiedler aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zählen (vgl. auch ­Gabler, online).

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9  Ethnomarketing und neue Zielgruppen im Inlandsmarkt: Muslime und Chinesen

In gesättigten Märkten ist Zielgruppenmarketing eine Strategie, um den Absatz zu steigern. Wenn die Anzahl von Personen aus anderen Kulturen und ihre Nachfrage in einem Land zunehmen, steigt die Bedeutung des Ethnomarketings an. Die Herausforderung des Ethnomarketings bestehen darin, • hinreichend große und kaufkräftige Zielgruppen aus anderen Kulturen im Inlandsmarkt zu identifizieren • ihr Verbraucherverhalten zu analysieren • ihr Konsumverhalten aufgrund ihrer Präferenzen und Wertvorstellungen zu verstehen • adäquate Produktangebote zu schaffen • die Angebote effektiv in die Zielgruppen zu kommunizieren • komfortable Vertriebswege in diese Zielgruppen zu schaffen • die Annahme der Angebote zu erreichen. In Deutschland steigt auch die Zahl der Einwanderer aus Polen und anderen süd- und osteuropäischen Ländern kontinuierlich. Einige Unternehmen haben Flüchtlinge als neue Konsumenten in den Blickpunkt genommen. Da die größte Anzahl dieser Migranten in Deutschland bleiben wird, sehen die Unternehmen eine Chance darin, sie zu Konsumenten ihrer Produkte zu entwickeln. Ethnomarketing erfordert genaue Kenntnisse über die kulturellen Besonderheiten der Zielgruppen. Wie oben erwähnt, wurde Ethnomarketing in Deutschland anfangs hauptsächlich als Übersetzungstätigkeit praktiziert: Man wollte Produkte und Dienstleistungen in der Muttersprache der Zielgruppe verständlich machen. Die Werbeansprache ethnischer Zielgruppen erfolgt vor allem durch • Printwerbung in (fremdsprachigen) Zielgruppenmedien wie Zeitungen und Zeitschriften bzw. in einem von den Zielgruppen genutzten Werbeumfeld, • TV-Werbung in den von den Zielgruppen genutzten TV-Programmen und entsprechende Spots in Radiosendern, • Einsatz von Werbemitteln im Außenbereich (Outdoor-Werbung) in bestimmten Gebieten, • Digitalkommunikation bzw. Direktansprache auf Online-Plattformen, über Social Media und über mehrsprachige Homepages. Spezialisierte Marktforschungsinstitute und Werbeagenturen bieten Informationen über ethnisch definierte Zielgruppe an. Man hat inzwischen auch erkannt: Ebenso, wie es bei der internationalen Vermarktung nicht genügt, einfach Texte zu übersetzen und ansonsten die Werbe- und Verkaufsstrategien beizubehalten, sind reine Übersetzungstätigkeiten auch im Ethnomarketing suboptimal. Das Potenzial kann damit nicht ausgeschöpft werden. Auch könnten ethnische Zielgruppen verprellt werden, wenn zu wenig Sensibilität für ihre kulturellen Prägungen gezeigt wird. In Deutschland ist die Forschung über Ethnomarketing allerdings noch wenig empirisch fundiert.

9.3  Muslime als Zielgruppe im Inlandsmarkt

183

Festzuhalten ist: Das Einkaufs- und Konsumverhalten sowie die Kommunikationsgewohnheiten der ethnischen Zielgruppen weichen in bestimmten Bereichen von denen der deutschen Endverbraucher ab. Die Unterschiede sind zunächst zu erforschen und zu analysieren. Damit lassen sich für definierte Zielgruppen passende Angebote schaffen und kommunizieren, um letztlich in eine zusätzliche Zielgruppe zu vermarkten. Für einige Unternehmen gilt Diversity Management als Strategie, um sich auf die Bedürfnisse ethnischer Zielgruppen einzustellen. Sie beschäftigen Mitarbeiter aus den Kulturkreisen der Zielgruppen, die mit den Gewohnheiten vertraut sind und ihre Sprache sprechen, um so Zugang zu den potenziellen Kunden zu finden. Grundsätzliche Risiken für Ethnomarketing bestehen in möglichen Reaktionen der „alten“ Zielgruppen und der Gesellschaft. Der abschätzige Begriff „Ghetto-Marketing“ fällt manchmal für das gezielte Umwerben ethnischer Gruppen. Kritiker fürchten, dass eine (wirtschaftliche) Parallelgesellschaft entstehen könne – mit eigenen Geschäften und Kommunikationskanälen. Ethnomarketer sind gefordert, potenziellen negativen Reaktionen der „alten“ Kundschaft und einer öffentlichen Wahrnehmung als Förderer einer Parallelgesellschaft vorzubeugen. Kritisch zu prüfen ist in wirtschaftlicher Hinsicht, ob die sichtbaren ethnischen Minderheiten als Zielgruppe groß und kaufkräftig genug sind, um eine Ethnomarketingstrategie lohnenswert zu machen. In Deutschland sind nach Ansicht der Verfasserin zwei neue Zielgruppen sichtbar geworden, die in Bezug auf Anzahl, Wachstum und Kaufkraft interessant für eine Ethnomarketingstrategie im deutschen Inlandsmarkt sind: • Muslime, aufgrund ihrer wachsenden Anzahl in Deutschland und der Welt und eines besonderen Konsumentenverhaltens, das ihre Religion ihnen vorgibt, • Chinesen, die in Deutschland bereits als kaufkräftige Touristen erscheinen und die in Zukunft auch als Expatriates für eine besondere Nachfrage sorgen könnten. Ethnomarketing gewinnt heute nicht zuletzt aufgrund der Digitalisierung an Bedeutung: Durch die Targeting-Möglichkeiten im Online- und im Mobile-Marketing ist es inzwischen relativ einfach, diese Zielgruppen gezielt anzusprechen.

9.3

Muslime als Zielgruppe im Inlandsmarkt

Weltanschauungen oder Religionen prägen menschliches Verhalten, Handeln und Denken. Sie bilden die Grundlage von Wertvorstellungen und Normen (vgl. Gutting 2013, S. 54 ff.). Sie haben auch Einfluss auf das Konsumentenverhalten. Religiosität ist tief verwurzelt. Ihren Ausdruck finden Religionen in Ritualen. Man muss diese verstehen, wenn man sich einer religiös definierten Zielgruppe nähern will. Muslime bilden keine rein ethnische, sondern eine durch ihre Religion definierte Zielgruppe. Ethnische Gruppen grenzen sich durch bestimmte Merkmale, wie Sprache,

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9  Ethnomarketing und neue Zielgruppen im Inlandsmarkt: Muslime und Chinesen

Brauchtum, Religion, Kleidungsgewohnheiten etc. ab. Betrachtet man Muslime als Zielgruppe, so eint sie eine gemeinsame Weltanschauung und das Einhalten von Regeln, die ihnen ihre Religion vorgibt. Eine Homogenität besteht durch die religiösen Ge- und Verbote, die sie einhalten. So gesehen handelt sich es um ein Subset des Ethnomarketings. Wenngleich ein gemeinsamer Glaube und gemeinsame Regeln die Muslime weltweit vereinen, so darf man doch nicht übersehen, dass es sich bei den Muslimen insgesamt um eine heterogene Gruppe handelt. Die politischen Konflikte und Kriege in der islamischen Welt, vor allem die Differenzen zwischen Sunniten und Schiiten, zeigen dies deutlich. Muslime gehören verschiedenen Richtungen des Islam an und verschiedenen Ethnien. Es gibt auch keine gemeinsame Sprache. Die Anzahl der Muslime wächst weltweit. Die Geburtenrate muslimischer Frauen ist höher als die der Frauen in anderen Religionen. Muslime sind nicht nur eine der am schnellsten wachsenden, sondern auch eine der jüngsten Konsumentengruppen. Ein Drittel aller Muslime sind unter 15 Jahren, zwei Drittel unter 30. Über 60 Prozent leben in Asien (vgl. Ogilvy, online). In diesem Buch betrachten wir Muslime als Zielgruppe für den Inlandsmarkt. Gewonnene Erkenntnisse können jedoch auch für Vermarktungsstrategien in islamische Länder verwendet werden, was für einige Unternehmen langfristig interessant werden könnte. In den Golfstaaten finden sich islamische Gesellschaften mit sehr hoher Kaufkraft. Andere Länder, z.  B.  Indonesien, weisen eine sehr hohe Anzahl von Muslimen auf, deren Kaufkraft im Durchschnitt aber noch eher gering ist. Indonesien, das Land mit den meisten Muslimen der Welt, hat 2019 mehr als 270 Millionen Einwohner. Dort müssen seit Oktober 2019 alle Produkte eine Halal-Kennzeichnung (Erläuterungen dazu folgen) tragen. Nach Indonesien exportierende Unternehmen müssen dies beachten. Für die Vermarktung ins Ausland sind Rahmenbedingungen der einzelnen Länder zu berücksichtigen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Doch auch im Inland hat die Zielgruppe der Muslime Potenzial, wenngleich ihre tatsächliche aktuelle Anzahl schwer zu ermitteln ist. Über die Zahl der Muslime in Deutschland wird, nicht zuletzt aus politischen Gründen, gestritten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geht von 4,4 bis 4,7 Millionen Muslimen in Deutschland aus. Die Analyse bezieht sich in ihren Daten auf den 31. Dezember 2015 und ist demnach veraltet. Einige Gruppierungen gehen davon aus, dass die Zahl der Muslime in Deutschland deutlich höher ist. Ein Verzeichnis, welches alle Muslime in Deutschland registriert, gibt es nicht (vgl. auch Gontek, online). Exakte und gleichzeitig aktuelle Daten über die Anzahl der Muslime in Deutschland und weltweit sind also nicht zugänglich. Schätzungen zufolge sind bereits über 20 Prozent der Weltbevölkerung Muslime, in Deutschland ungefähr 6 Prozent. Ihre Anzahl wird nicht nur durch höhere Geburtenraten, sondern auch durch weitere Migration und Familienzusammenführungen hierzulande stark wachsen. Unbestritten ist, dass ihre Anzahl groß genug ist, um wirtschaftlich interessant zu sein. Will man eine durch eine gemeinsame Religion definierte Zielgruppe analysieren, muss man verstehen, von welchen Glaubensvorstellungen sich die Menschen leiten lassen und welche Traditionen, Rituale und Feiertage ihr gesellschaftliches Leben bestimmen.

9.3  Muslime als Zielgruppe im Inlandsmarkt

185

Ähnlich, wie die großen christlichen Feiertage mit einem besonderen Konsumverhalten verbunden sind, gilt dies auch für die besonderen Feiertage der Muslime. Viele Unternehmen können um die Feiertage, insbesondere im Weihnachtsgeschäft, weitaus mehr Umsatz als zu anderen Zeiten machen. Neben den Feiertagen müssen die praktischen Verhaltensweisen und Gewohnheiten, die sich aus den Überzeugungen und Ritualen der Gläubigen ergeben, verstanden werden. Dies gilt insbesondere für Gebote und Verbote der Religion, die sich auf den Konsum auswirken.

9.3.1 Grundlagen des Islam Islam bedeutet „Hingabe“ oder „Unterwerfung unter den Willen Gottes“. Zur Entstehung des Islam besteht die folgende Überlieferung: Der Prophet Mohammed wurde um 570 nach Christus in Mekka geboren. Im Alter von 40 Jahren erschien ihm erstmals der Erzengel Gabriel, der ihm im Verlauf seines weiteren Lebens die Verse der göttlichen Offenbarung diktierte (vgl. zu diesem Kapitel Gutting 2013, S. 66 ff., 2016, S. 96 f.). Die islamische Zeitrechnung beginnt mit dem Jahr der Auswanderung des Propheten von Mekka nach Medina im Jahr 622 nach christlicher Zeitrechnung. Unterschiedliche Sekten, Gruppierungen und Richtungen des Islam haben sich entwickelt, vor allem die Sunna und die Schia. Die größte und älteste islamische Gruppe ist die der Sunniten, die zweitgrößte die der Schiiten (vgl. Pilny 2005, S. 319). In beiden finden sich radikale Gruppierungen. Der Islam ist eine streng monotheistische Religion. Eine Personifizierung oder bildliche Darstellung Gottes ist verboten. Gott oder Allah wird nur mit seinem Namen beschrieben. Festgehalten sind die Regeln im Koran, der heiligen Schrift, und daneben in den Aussprüchen und Handlungen des Propheten Mohammed (bzw. in den „Sunna“). Der Koran gilt als Maßstab allen Handelns. Er legt den Gläubigen praktische Gebote und Verbote auf. Verboten sind der Genuss von Schweinefleisch und Alkohol, außerehelicher Geschlechtsverkehr (gestattet ist jedoch die Ehe mit mehreren Frauen), Glückspiel und das Nehmen von Schuldzinsen. Der Islam erfasst den Menschen ganzheitlich, nicht nur seine Innerlichkeit: Für alles, Kultur bis politische Theorie, gibt es Vorbild und Vorschriften, auch für den Ablauf des täglichen Lebens. Zwischen Weltlichem und Geistlichem wird nicht getrennt. Kein Staat tritt einer Kirche gegenüber. Die Gesellschaft gründet sich auf ein göttliches Gesetz. Es gibt keine Priester, sondern Islam-Gelehrte, die die Offenbarung auslegen. Lücken in der Offenbarung werden durch Übereinkunft der Rechtsgelehrten geschlossen. Als „Säulen des Islam“ gelten • Schahada: Glaubensbekenntnis zu Allah. Mohammed gilt als der Prophet. • Salat: das fünfmalige Gebet am Tag, welches in immer gleicher Form zelebriert wird.

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9  Ethnomarketing und neue Zielgruppen im Inlandsmarkt: Muslime und Chinesen

• Zakat, das Geben von Almosen oder die Almosensteuer: Nach dem Koran ist der Gläubige verpflichtet, von allen Teilen seines Vermögens einen Prozentsatz zu Gunsten der Armen und Bedürftigen abzugeben. • Saum bzw. Fasten: Im Monat Ramadan ist im gesamten täglichen Leben enthaltsam zu leben. Von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang wird im Ramadan nichts gegessen und nichts getrunken. Danach erfolgt das gemeinsame Fastenbrechen, vorzugsweise in der Moscheegemeinde. • Haddsch: eine Pilgerreise nach Mekka, sofern diese dem Gläubigen finanziell und gesundheitlich möglich ist. Sie bedeutet für Muslime ein Erlebnis weltweiter muslimischer Solidarität. Jeder Muslim muss diese fünf Grundpflichten erfüllen. Jenseits der fünf Grundgebote existiert ein ganzes Netz von Einzelvorschriften und Regelungen des Lebens. Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Muslime und der innere Glaube sind zweierlei. Über letzteren entscheidet Allah beim Jüngsten Gericht. Muslime sind stark in ihre Gemeinschaft eingebunden. Eine bewusste Abkehr vom Islam wird als willentlicher Ausschluss aus der Gesellschaft interpretiert. Insofern ist eine Konversion von Muslimen keine private Entscheidung, sondern gilt in der Gemeinschaft der Gläubigen als verwerflich.

9.3.2 Wichtigste Gebote und Verbote der Muslime Islamic Marketing setzt voraus, die Gebote und Verbote der Muslime zu verstehen, da sie sich stark auf Lebensgewohnheiten und Konsumverhalten auswirken: Freitag als wichtigster Tag Muslimen ist es geboten, fünfmal am Tag zu bestimmten Zeiten zu beten. Ähnlich wie im Christentum der Sonntag als „Tag des Herrn“ gilt, ist für Muslime Freitag der wichtigste Wochentag. Er soll vor allem dem Gebet dienen. In islamischen Ländern, beispielsweise in Malaysia, wurde schon öfter diskutiert, anstelle des Sonntags den Freitag zum arbeitsfreien Tag zu machen. Verbot von Schweinefleisch und Nebenprodukten Muslime müssen besondere Speisevorschriften einhalten. Insbesondere ist es verboten, Schweinefleisch zu essen sowie dessen Nebenprodukte und Blut, zum Beispiel Blutwurst. Nahrungsmittel, die halal bzw. Muslimen erlaubt sind, dürfen noch nicht einmal Spuren von Schweineprodukten enthalten. Für Muslime werden deshalb beispielsweise Halal-­ Gummibärchen angeboten, deren Bestandteil Gelatine nichts vom Schwein enthält. „Halal“ und „haram“ „Halal“ bedeutet erlaubt. Halal ist als ganzheitliches Lebenskonzept zu verstehen, das in viele Felder des Alltags reicht. Der Begriff ist arabisch und wird meist mit „das Zulässige,

9.3  Muslime als Zielgruppe im Inlandsmarkt

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Erlaubte, Gestattete“ übersetzt, häufig auch mit „rein“ und „sauber“. Der Begriff für alles Verbotene ist „haram“. Mit ihm können sowohl Objekte als auch Aktivitäten belegt werden. Bei Fleisch bedeutet halal auch, dass das Tier auf eine regelkonforme Art geschlachtet worden sein muss bzw. ausgeblutet hat. Welche Produkte halal sind, ist auch für Muslime nicht immer zu durchschauen. Das Halal-Gebot gilt nicht nur für Nahrungsmittel. Weitere Produktgruppen sind betroffen. Vor allem Medikamente, Körperpflegeprodukte und Kosmetik gehören dazu (siehe unten). Der Nachweis, dass Produkte tatsächlich halal sind, kann durch eine besondere Zertifizierung geführt werden. Sie soll die Einhaltung der Religionsregeln sicherstellen. Es existieren unterschiedliche Verfahren, auf die unten weiter eingegangen wird. „Unreine Tiere“: Schweine und Hunde Neben Schweinen gelten Hunde als unrein. Vor einiger Zeit machte ein Reinigungsunternehmen im muslimischen Malaysia auf sich aufmerksam, mit der Werbung, dass nur Kleidung von Muslimen angenommen wird. Begründet wurde „Muslim only“ damit, dass Andersgläubige häufig mit Hunden in Kontakt kämen und ihre Kleidung somit unrein sei. Um keinen Unfrieden in der malaysischen Gesellschaft aufkommen zu lassen, wurde diese Beschränkung des Reinigungsunternehmens später staatlich verboten. Das Beispiel zeigt die Gefahr, durch „Islamic Marketing“ andere Gruppen abzuwerten und damit einen Keil in die Gesellschaft zu treiben. Es gibt durchaus Muslime, die Hunde lieben und besitzen. Sie halten jedoch etwas stärker Distanz zu den Tieren und reinigen sich nach dem Kontakt mit ihnen. Weitere Verbote: Alkohol, Spekulation, Glückspiel Verboten ist der Genuss von Alkohol, der Handel mit alkoholischen Getränken und allem, was Alkohol enthalten kann. Ebenso verboten sind Spekulation und Glückspiel. Muslime dürfen keine Zinsen nehmen. Das Schuldzinsverbot erfordert besondere ökonomische Konzepte der Kreditvergabe, was im nächsten Kapitel gesondert erklärt wird. Ramadan, Zuckerfest und Opferfest Ramadan ist der Fastenmonat bzw. die islamische Fastenzeit. Damit wird der neunte Monat im islamischen Mondkalender bezeichnet. Er verschiebt sich jeweils zehn oder elf Tage pro Jahr nach vorne, so dass alle Jahreszeiten irgendwann im Ramadan liegen. Gläubige Muslime dürfen im Ramadan von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang keine Speisen und Getränke zu sich nehmen. Vom Fastengebot ausgenommen sind schwangere, stillende und menstruierende Frauen sowie Kranke, Kinder, Alte, Behinderte, Reisende und Soldaten. Der Fastentag beginnt mit einem rituellen frühen Gebet vor der Morgendämmerung mit anschließendem Frühstück im Kreis der Familie oder der Moschee. Tagsüber sollen sich Muslime so oft wie möglich mit Allah auseinandersetzen, z. B. stille Gebete sprechen, Besinnung und Einkehr üben. Verboten ist jede „schändliche“ Tat, wozu auch der Geschlechtsverkehr zählt. Das Fasten wird nach Sonnenuntergang mit dem Genuss von Datteln und einem Glas Wasser gebrochen. Nach einem gemeinsamen Gebet folgt dann ein Essen in der Familie oder in der Gemeinschaft der Gläubigen.

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9  Ethnomarketing und neue Zielgruppen im Inlandsmarkt: Muslime und Chinesen

Am Ende des Fastenmonats steht das Zuckerfest. Es wird so genannt, weil vor allem Kinder, aber auch andere Familienmitglieder, Freunde und Bedürftige mit Süßigkeiten oder Geld beschenkt werden. In den Moscheen und Häusern werden großzügig Speisen und Getränke angeboten. Das Fest kann bis zu drei Tage dauern. Ein wichtiger Feiertag ist das islamische Opferfest. Es dient der Erinnerung an den Propheten Abraham, der bereit war, seinen Sohn für Allah zu opfern. In der Tradition opfern Muslime ein Tier, um für die Rettung des Sohns zu danken. Das Tier, z. B. ein Schaf, muss rituell geschlachtet werden. Das Fleisch des Tiers sollte in gleichen Teilen an die Opfernden, arme Verwandte und Bedürftige verteilt werden. Das Fest kann bis zu vier Tage dauern.

9.4

Chancen und Herausforderungen des Islamic Marketing

Bei einigen Produktgruppen und Branchen ist, abgeleitet aus den islamischen Verhaltensvorschriften, besondere Sorgfalt geboten, die Regelkonformität einzuhalten. Gleichzeitig bestehen aufgrund der Nachfrage der Muslime nach „korrekten“ Produkten hier besondere Marktchancen. Von Werbung und Medien, die sich an Muslime richten, ist eine besonnene, dezente Darstellungsweise gefordert. Nacktheit und Sexualität sind inakzeptabel. Frauen dürfen nicht als Sexobjekte präsentiert werden. Einige Werbetreibende beschränken sich deshalb auf neutrale Motive, wie beispielsweise Landschaften. Andere versuchen, Frauen möglichst außen vor zu lassen. So enthielt beispielsweise der Ikea Katalog in den islamischen Ländern nur Männer als Motive, was jedoch zu Kritik in den westlichen Ländern geführt hat. In einer malaysischen Werbeanzeige für Haarshampoo wurde kein einziges Haar, die Protagonistin verschleiert gezeigt. Die Beispiele zeigen, welche Sensibilität das Thema erfordert. Viele unterschiedliche Meinungen, auch innerhalb der Gruppe der Islamgläubigen, gibt es dazu.

9.4.1 Muslimische Kunden und Halal-Branchen In einige Industrien bestehen aufgrund der Konsumpräferenzen der Muslime besondere Vermarktungschancen. Gleichzeitig müssen die Risiken verstanden werden, die durch die Vermarktung in verschiedene „kultursensible“ Zielgruppen entstehen können. Ins Gefecht geraten manchmal Unternehmen, deren Kundschaft aus einer wachsenden Anzahl aus Muslimen bestehen. Dies gilt auch – oder gerade dann – wenn sie sich nicht bewusst mit „Islamic Marketing“ auseinandersetzen. Ein Beispiel: Der Discounterkonzern Lidl warb während des Ramadans mit einer „Orientalischen Woche“. Muslimische Kunden kauften in dieser Aktion Gebäckstücke, mussten dann aber feststellen, dass diese in Schweinefleisch ausgebacken, somit nicht halal waren. Lidl sah sich einem Shitstorm in den Social Media ausgesetzt. Wenngleich der Lidl-Konzern das Produkt überhaupt nicht als halal an-

9.4  Chancen und Herausforderungen des Islamic Marketing

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gepriesen hatte, so hatte er durch das Angebot während des Ramadans doch Erwartungen seiner muslimischen Kunden geweckt und durch die Nichteinhaltung von Halal-Regeln Verärgerung hervorgerufen. Lidl entschuldigte sich bei der muslimischen Kundschaft und machte – in vorauseilendem Gehorsam – kurze Zeit später einen weiteren Fehler: In der Aktion „Griechische Woche“ bot Lidl griechische Lebensmittel an. Auf den Produkten waren Fotos von Kirchen der Insel Santorini abgebildet. Deren Kreuze waren jedoch wegretuschiert worden. Lidl wollte Vorsicht im Umgang mit Religion walten lassen. Darauf erfolgte ein erneuter Shitstorm von Kunden, die eine Verleumdung ihrer christlich geprägten Kultur sahen. Der Umgang mit Kultur hatte sich für Lidl als Minenfeld erwiesen. Die Episoden zeigen, dass Werbeversprechungen in kulturellen Kontexten leicht fehlinterpretiert werden können. Sie verweisen auf die Notwendigkeit, ein Verständnis für die weltanschaulichen Befindlichkeiten unterschiedlicher Zielgruppen zu entwickeln. Kulturkompetenz ist für das Marketing in den heutigen multikulturellen Gesellschaften Voraussetzung, um nicht die Proteste kultursensibler Kunden heraufzubeschwören. Umgekehrt bieten sich neue Vermarktungschancen, die nicht zuletzt durch den interkulturellen Austausch entstehen. Adventskalender sind inzwischen ein wichtiger Umsatzträger im Weihnachtsgeschäft. Nach dem Vorbild eines Adventskalenders hat beispielsweise eine Kleinunternehmerin einen „Iftarlender“ entwickelt und erfolgreich vermarktet. Ähnlich wie beim Adventskalander soll damit die Zeit bis zum Ende des Ramadans ins Bewusstsein der Muslime gerufen werden, indem jeden Tag ein Türchen geöffnet wird. Die Branchen, in denen besondere Vermarktungschancen, aber auch Risiken bestehen, sollen im Folgenden diskutiert werden. Als Quelle für Informationen über die Halal-­ Industrien kann z. B. der „State of the Global Islamic Economy Report“ verwendet werden. Lebensmittelbereich „Halal Food“ ist der größte Sektor der „Halal-Economy“. Muslime müssen grundsätzlich auf Alkohol und Schweinefleisch verzichten. Nichts darf konsumiert werden, was Elemente von Alkohol, Schwein oder Blut enthalten könnte. Somit sind beispielsweise auch Schmalz und Blutwurst verboten. Fleisch, das nicht von Schweinen stammt, gilt dann als rechtmäßig, wenn das Tier im Namen Allahs und nach einer bestimmten Vorgehensweise geschlachtet wurde. Diese ruft jedoch in der westlichen Welt zunehmend den Protest von Tierschützern hervor. Meerestiere sind halal. Mit chemischen Stoffen behandelte Nahrungsmittel können haram bzw. verboten sein. Gastronomie, Hotellerie und Tourismus Auch in der Gastronomie gilt es, die oben genannten Speisevorschriften der Muslime einzuhalten. Zudem ist es für viele Muslime nicht akzeptabel oder zumindest bedenklich, Speisen zu konsumieren, die aus der gleichen Küche wie „verbotene“ Nahrungsmittel stammen. Sie könnten mit unreinen Produkten in Berührung gekommen sein. Auch ist gläubigen Muslimen der Aufenthalt in Hotels und Gasthäusern unangenehm, in denen Alkohol ausgeschenkt wird.

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So ist der Halal-Tourismus entstanden: Für Muslime ist es weitaus entspannter, in einem Hotel Urlaub zu machen, welches die Regelkonformität garantiert. Auch die Nachfrage nach Unterbringungsmöglichkeiten für die meistens größeren Familien der Muslime wird berücksichtigt, manchmal sogar die Trennung von Männern und Frauen. In einigen islamischen Ländern (z. B. in Teilen Malaysias) gehen Hotels bereits so weit, für Männer und Frauen getrennte Pools einzurichten oder Strandabschnitte für Frauen abzusperren. Auch Halal-Kreuzfahrten sind ein Erfolg, da auf der gesamten Reise die Einhaltung der Halal-Regeln gut kontrolliert werden kann. Die Erfahrung muslimischer Solidarität auf ihrer gebotenen Pilgerreise nach Mekka weckt bei Muslimen offensichtlich Bedürfnisse nach weiteren Reisen in der Gemeinschaft Gleichgesinnter. Die Länder mit den meisten muslimischen Touristen sind Saudi-Arabien, Iran und Qatar. Das Potenzial von Halal-­Reisen und -Hotels wird als beachtlich eingeschätzt und könnte auch im deutschen Reisemarkt angezapft werden. Einige Online-Reiseanbieter sind inzwischen schon aktiv, dieses Marktsegment zu erschließen. Die Digitalisierung der Reisebewerbung und -organisation, die Möglichkeit, die muslimische Zielgruppe über Social Media zu erreichen sowie regelkonforme Reiseprodukte online zu verkaufen, wird dem Halal-Tourismus einen weiteren Schub bescheren. Medizin und Kosmetik In der Medizin- und in der Kosmetikbranche muss zunächst darauf geachtet werden, dass die Produkte keine nicht-konformen Substanzen enthalten, wie beispielsweise Alkohol, Gelatine oder Kollagen aus Schwein. Ein Halal-Siegel soll muslimischen Verbrauchern zudem die Sicherheit geben, dass während der Produktion und Lagerung keine „Verunreinigung“ mit Produkten stattgefunden hat, die nicht halal sind. Auch besondere Reinigungsvorschriften der Muslime haben Einfluss darauf, was halal ist. Gläubige Muslime müssen fünfmal am Tag beten. Voraussetzung für die „Gültigkeit“ des Gebets ist nach dem Koran die rituelle Waschung des Gesichts, der Hände, Arme und Füße vor dem Gebet (vgl. Gontek, online). Damit die Waschung „gültig“ ist, muss das Wasser die zu reinigenden Körperteile vollständig berühren, auch die Fingernägel. Die Benutzung von handelsüblichem, wasserundurchlässigem Nagellack aus der Drogerie oder dem Supermarkt ist für gläubige Muslima daher tabu. Der Nagellack müsste vor dem Gebet entfernt werden. Im Markt für Halal-Kosmetik scheint ein großes Potenzial zu schlummern. Eine Studie des britischen Marktforschungsunternehmens Tech Navio vom Oktober 2018 rechnet vor, dass sich das Marktvolumen mit Halal-Kosmetik von 25 Milliarden Euro – dies entspricht etwa sechs Prozent des globalen Geschäfts mit Schönheitsprodukten  – bis 2022 mit 55  Milliarden  Euro mehr als verdoppeln könnte (vgl. Gontek, online). Handelsübliche Supermärkte oder Drogerien in Deutschland führen meist noch keine halal-zertifizierten Produkte. Für die Drogerieriesen DM und Rossmann spielen sie noch keine Rolle. L’Oréal, Weltmarktführer im Kosmetikbereich, hat sich bereits Hunderte seiner Produkte als halal zertifizieren lassen, jedoch nicht für den deutschen Markt, sondern für die muslimischen Länder. In Deutschland ist Halal-Kosmetik noch ein Nischenprodukt. Der Hersteller Fair Squared, Köln, bietet seine Produkte im Netz, aber auch in Dritte-Welt-Läden, Apotheken

9.4  Chancen und Herausforderungen des Islamic Marketing

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und ausgewählten Drogerien an. Fair-Squared gibt Anfang 2019 an, dass das Unternehmen seinen Umsatz seit Gründung des Unternehmens 2015 jährlich verdoppeln konnte. Auch in diesem Marktsegment wird die Digitalisierung die Verbreitung regelkonformer Kosmetik vereinfachen: Durch Zielgruppenmarketing, Onlineshopping und den Einfluss von Influencerinnen. Mode Die Modebranche hat erkannt, dass muslimische Mode einen lukrativen Wachstumsmarkt eröffnet. Dies gilt natürlich insbesondere für die reichen Golfstaaten. Große Modedesigner wie Donna Karan und Dolce & Gabbana haben bereits Kollektionen islamischer Mode vorgelegt, beispielsweise die „Ramadan-Kollektion“ der US-Amerikanerin Donna Karan im Sommer 2014. Hijab und Abaya, die verhüllenden Kleidungsstücke der Muslima, werden jedoch in der westlichen Gesellschaft kritisch gesehen. Die Kollektion von Donna Karan musste sich bei ihrem Erscheinen erheblicher Kritik stellen. Der Vorwurf wurde laut, die Modebranche solle nicht zum Komplizen religiöser Diktaturen verkommen, die Frauen dazu zwingen, sich zu verstecken. Dennoch gibt es Frauen, die sich für Hijab, Kopftuch und verhüllende Kleidung entscheiden – und dabei gut aussehen möchten. Diese Tatsache eröffnet Marktchancen. Auch unterhalb der großen Designermarken haben schon niedrigpreisige Modekonzerne wie Marks & Spencer oder H & M Modelinien aufgenommen, die den Bedürfnissen streng gläubiger islamischer Frauen entsprechen. Zur Etablierung islamischer Mode tragen Social Media und Fashion-Blogs bei, die islamischen Frauen als Inspirationsquelle dienen. Einige der Influencerinnen haben sogar eigene Modelabels entwickelt. Die Inszenierungen in den Fashion Blogs unterscheiden sich von ihren westlichen Pendants im Wesentlichen nur durch das Kopftuch: Auch Fa­ shion Muslimas präsentieren sich beispielsweise mit schicken Designerbrillen, teuren Handtaschen und anderen angesagten Accessoires. Die Digitalisierung und ihre Möglichkeiten, über Online-Shopping und Social Media muslimische Kundinnen gezielt zu erreichen, wird für die weitere Verbreitung islamischer Mode sorgen. Finanzbereich Gerade im Finanzbereich ist gläubigen Muslimen die Einhaltung der Regeln geboten. Die Besonderheiten des islamischen Bankwesens werden deshalb im folgenden separaten Kapitel über Islamic Banking betrachtet.

9.4.2 Islamic Banking Der islamische Glaube verbietet Zinsen für das Leihen und Verleihen von Geld. Mit Geld darf nach islamischer Vorschrift kein Geld verdient werden. Einer der traditionellen Geschäftszweige muslimischer Gesellschaften war jedoch immer der Handel. Für Händler gab und gibt es immer einen Bedarf nach Krediten,

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um Geschäfte abwickeln zu können. Deshalb führte das Verbot des Zinsnehmens schon in der Vergangenheit zur Entwicklung besonderer ökonomischer Konzepte, die mit den ethischen Normen der Muslime übereinstimmen (vgl. zu diesem Kapitel Gutting 2016, S. 98). Ein Beispiel aus der Vergangenheit: Die „Chulia“ waren südindische Muslime, die zu den frühesten Immigranten Singapurs zählten. Sie spielten seinerzeit für die Entwicklung Singapurs eine wichtige Rolle als professionelle Kreditgeber, die den Handel ermöglichten. Um das Schuldzinsverbot zu umgehen, betrieben sie ihr Geschäft als Geldwechsler, nicht als Geldverleiher. Um das Führen moderner Bankgeschäfte in Übereinstimmung mit den islamischen Glaubensvorstellungen zu bringen, wurde das islamische Bankwesen oder Islamic Banking entwickelt. Es berücksichtigt neben dem Schuldzinsverbot auch andere Verbote der islamischen Ethik. Dazu gehören Spekulation, Glücksspiel sowie Investitionen in unreine Geschäfte, z. B. Prostitution und Pornografie, aber auch Herstellung, Vertrieb und Handel von bzw. mit Alkohol und Schweinefleisch. Damit dürfen im Islamic Banking keine Geschäfte gemacht werden. In orthodoxer Auslegung wird das Nehmen von Zinsen mit Wucher gleichgesetzt. Demnach ist es nicht möglich, Zinsen zu erheben oder zu zahlen. Die finanzielle Transaktion muss mit einem zu Grunde liegenden Wirtschafsgut, das identifizierbar und tangibel ist, verknüpft sein. Das islamische Geschäftsmodell funktioniert seitens der Bank folgendermaßen: • Vom Inhaber eines Giro- und Sparkontos nimmt sich die Bank das Recht, das Guthaben zu nutzen (Wadiah). • Die Bank zahlt dem Inhaber des Kontos keine Zinsen, sondern belohnt ihn mit einem Geschenk (Hibbah) als Zeichen der Anerkennung. Dies kann in Form einer Zuwendung oder einer Gewinnbeteiligung geschehen. • Es gibt keine Verpflichtung der Bank zur Zahlung des Hibbah zu einem bestimmten Zeitpunkt. Auch muss die Höhe nicht von vorneherein festgelegt sein. Faktisch wird es jedoch in regelmäßigen Abständen gezahlt. Die islamischen Bankgeschäfte funktionieren letztlich ähnlich wie andere Bankgeschäfte auch. Schulden bzw. die Aufnahme von Krediten gelten im Islam überhaupt nur dann als akzeptabel, wenn damit grundlegende, nachvollziehbare Bedürfnisse befriedigt oder Verpflichtungen beglichen werden. Der Immobilienerwerb zählt beispielsweise dazu, die Finanzierung der Ausbildung der Kinder, die Gestaltung einer Hochzeitsfeier oder die ­medizinische Versorgung eines Familienmitgliedes. Ein gläubiger Muslim stellt sich zuerst die Frage, ob die Ausgabe gerechtfertigt ist. Die islamische Bank tritt wie ein Händler auf. Sie sorgt für die Lieferung der Waren oder Dienstleistungen gegen das Versprechen des Kunden, aufgeschobene Zahlungen zu leisten. Die islamische Bank „kauft“ die gewünschte Ware oder Dienstleistung bei einem Verkäufer. Sie nimmt somit die Rolle eines Zwischenhändlers ein. Die Ware geht kurzfris-

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tig in das Eigentum, jedoch nicht in den Besitz der Bank über. Die Bank „verkauft“ dann die Ware oder Dienstleistung ihrem Bankkunden zu einem höheren Preis. Der Bankkunde zahlt den Kaufpreis quasi in Raten ab. Die Differenz zwischen Einkauf und Verkauf wird so als Gewinnmarge des Zwischenhändlers Bank interpretiert. Da der Handel im Islam erlaubt ist, sogar als traditionelles islamisches Geschäft betrachtet wird, nimmt sich die Bank lediglich das Recht eines Händlers, Ware zu kaufen, wieder zu verkaufen und dabei zu verdienen. Sie hat somit nicht einen Kredit gegen Verzinsung gewährt, sondern ein Geschäft gemacht und dabei eine Ratenzahlung akzeptiert. Damit ist dem Schuldzinsverbot des Islam Genüge getan. Die hohen ethischen Standards des Islamic Banking haben übrigens dazu geführt, dass die islamische Finanzindustrie von der globalen Bankenkrise zwischen 2007 und 2009 weitgehend verschont blieb.

9.4.3 H  erausforderungen des Islamic Marketing: Zertifizierung und Politisierung Selbst für Muslime ist die Zuordnung zuweilen schwierig, was erlaubt bzw. halal ist. Das Hinzuziehen einer Zertifizierungsstelle, die ein Halal-Siegel vergeben kann, bietet sich an. Die Halal-Zertifizierung stellt jedoch wieder eine Herausforderung in sich dar. Unterschiedliche Zertifikate stellen unterschiedliche Anforderungen. Eine zentrale Stelle für Halal-Zertifizierung gibt es in Deutschland noch nicht, ein einheitliches Halal-Siegel fehlt. Aufgrund verschiedener Ausprägungen des Islam in den Regionen und unterschiedlicher Lehrmeinungen sind mehrere Systeme entstanden. Unterschiedliche Länder haben unterschiedliche Zertifizierungsstellen. Weltweit gibt es mehrere Halal-Standards, z.  B. den malaysischen „Jakim“ oder das indonesische „MUI“ (vgl. Gontek, online). Das SMICC (Standards and Metrology Institut for Islamic Countries), das auf die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) zurückgeht, hat sich die Aufgabe gesetzt, Normen zu harmonisieren. Als Voraussetzung für ein Empfehlungssiegel gilt, dass es in mindestens einem muslimischen Staat anerkannt ist. Der Markt ist insgesamt also sehr unübersichtlich. Die Halal-Anforderungen in den unterschiedlichen Ländern sind so unterschiedlich wie die Lebenswelten in diesen. An der Ausarbeitung eines konvergenten europäischen Halal-Standards wird gearbeitet. Ein Online-Magazin namens „Halal-Welt“ berichtet über die Halal-Branchen und die Zertifizierungsbemühungen darin. Viele der in Deutschland angebotenen Produkte sind im Grunde halal-tauglich, auch ohne explizite Zertifizierung und ohne, dass dafür die Rezeptur geändert werden muss. Die zweite große Herausforderung des Islamic Marketing ist die Politisierung. Hervorgerufen durch die Verwerfungen des politischen Islam wird der Islam in Europa kritisch diskutiert. Wie an einigen Beispielen schon gezeigt wurde, muss sich „Islamic Marketing“ manchmal mit dem Vorwurf der Unterstützung einer Parallelgesellschaft, Frauenfeindlichkeit oder der Herabwürdigung von Nicht-Muslimen auseinandersetzen.

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Anbieter müssen sich der Gefahr der mangelnden Akzeptanz ihrer nicht-muslimischen Zielgruppen bewusst sein. Als Toblerone seine Schokolade halal zertifizieren ließ, wurde das Unternehmen in den Social Media stark kritisiert. Im Frühjahr 2019 hinderten wütende Franzosen den Sportartikelhersteller Decathlon, ein Stretch-Kopftuch für sportliche Muslima in sein Sortiment aufzunehmen. Katjes sorgte Anfang 2018 mit einer Werbekampagne für Aufregung im Netz. Sie zeigte ein Modell mit Kopftuch. Mit dem Slogan „Achte mal drauf“ wollte Katjes eigentlich auf seine vegetarischen Produkte aufmerksam machen, die auch für Muslime „halal“ sind. In Internet stieß das Kopftuch auf kritische Resonanz. Handel, Dienstleister und Hersteller, die das Potenzial für Islamic Marketing erkennen und nutzen möchten, müssen das durch den politischen Islam entstandene negative Image zumindest bedenken. Schließlich können sie nicht riskieren, die angestammten Zielgruppen zu verärgern.

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Chinesen als Zielgruppe im Inlandsmarkt

Chinesen sind als reise- und ausgabefreudige Touristen weltweit unterwegs. Nicht nur die Anzahl der chinesischen Reisenden ist beeindruckend, auch ihre Ausgaben pro Kopf sind enorm. Schon 2017 war China nach Angaben der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) der wichtigste Quellmarkt für touristische Ausgaben (vgl. zu diesem Kapitel auch Gutting, in: Asia Bridge 12/2018, S. 34 f.). Durch Lohn- und Gehaltszuwächse ist die Mittelschicht in China in den letzten Jahren stark gewachsen. Konsumorientiert erobern chinesische Touristen die Reiseländer. Schon aufgrund ihrer Anzahl sind sie bereits Reiseweltmeister. Dabei verfügt noch lange nicht jeder der knapp 1,4 Milliarden Chinesen über einen Reisepass. Weitere Zuwächse sind zu erwarten, die Bedeutung dieser Zielgruppe wird weiter ansteigen. Chinesen sind deshalb auch im deutschen Markt als Touristen bereits eine wichtige Zielgruppe. Darüber hinaus könnte diese Zielgruppe durch in Deutschland lebende Chinesen künftig interessant werden. Im Zuge internationalen Austauschs, z.  B. wachsender Direktinvestitionen chinesischer Investoren in Deutschland oder der Aktivitäten im Kontext der „Neuen Seidenstraße“ werden Chinesen als Expatriates nach Deutschland ent­ sandt. Chinesen sind in Deutschland bereits die größte Gruppe ausländischer Studierender. Im Wintersemester 2018/2019 gab es an Hochschulen in Deutschland 42.676 Studierende aus China (vgl. Statista, online). Viele davon werden auch längerfristig in Deutschland bleiben. Die in Deutschland lebenden Chinesen haben etwas andere Präferenzen als die chinesischen Touristen. Ihnen geht es z. B. darum, auch in Deutschland vertraute Produkte einkaufen zu können, ein Stück „Heimat jenseits der Heimat“ vorzufinden. Chinesen, ob als Touristen oder als Expatriates, sind durch ihre gemeinsame Kultur eine neue Zielgruppe des Ethnomarketings. Zur Erschließung dieser Zielgruppe wird Kulturverständnis benötigt. Neben den langfristigen Werteprädispositionen muss man die ak-

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tuellen Entwicklungen der chinesischen Gesellschaft, ihre Konsum- und Mediennutzungsgewohnheiten begreifen.

9.5.1 Kurzes Kulturprofil der Zielgruppe Chinesen In Kap. 6 wurde bereits auf die Studien verwiesen, die Aufschlüsse über die unterschiedlichen Kulturen geben, wie beispielsweise die Arbeiten von Edward T. Hall, Gerd Hofstede, Fon Trompenaars oder die GLOBE-Studie. Theoretische Modelle, z. B. das Dülfersche Kulturschichtenmodell oder die Arbeiten von E. Schein liefern weitere Erkenntnisse. Die interkulturelle Forschung hat ein Instrumentarium zum Kulturverständnis entwickelt. Unter Nutzung der o.  g. Studien lässt sich ein Kulturprofil der Zielgruppe Chinesen erstellen. Da Kultur relativ wirkt, sollen Unterschiede zwischen Chinesen und Deutschen im Folgenden knapp skizziert werden, zumal die Chinesen hier als Zielgruppe im deutschen Inlandsmarkt betrachtet werden. Chinesen kommunizieren anders als Deutsche. Ihr Kommunikationsstil ist indirekt. Argumentiert wird in „Spiralen“ d. h. man zieht Kreise um das eigentliche Argument. Man spricht nicht alles direkt an und aus. Die Vieldeutigkeit lässt Interpretationsmöglichkeiten offen, Aussagen können relativiert werden. Die GLOBE- und Hofstede-Studien bescheinigen den Chinesen eine sog. hohe Machtdistanz, im Unterschied zu Deutschen. Das bedeutet, dass Hierarchie und Status von Chinesen besonders geachtet werden. Chinesen sind gruppenorientiert. Bei den Deutschen stehen dagegen die Einzelinteressen im Vordergrund. Die Gruppenorientierung hat Auswirkungen auf das Konsum- und Mediennutzungsverhalten der Chinesen. Ihr Selbstkonzept ist eher vernetzt. Sie beziehen Selbstsicherheit und -verständnis aus den Gruppen, denen sie sich zugehörig fühlen. Deutsche sind dagegen überwiegend Individualisten bzw. Individuen mit unabhängigem Selbstkonzept. Chinesen sind leistungsorientiert und kompetitiv. In dieser Kulturdimension weichen sie von den Deutschen wenig ab. Eine besondere Leistungsorientierung der Chinesen lässt sich auf den über Jahrhunderte gelebten Konfuzianismus zurückführen. Kulturunterschiede zwischen Chinesen und Deutschen bestehen zusammengefasst • • • •

in der Art zu kommunizieren in der Einschätzung der Bedeutung der Gruppe in der Wichtigkeit der persönlichen Beziehungen im Umgang mit Status und Hierarchie.

Aus diesen Kulturunterschieden lassen sich Präferenzen ableiten, die auch für das Marketing relevant sind. Geprägt sind Chinesen durch die im Konfuzianismus entwickelten, langfristig weiterwirkenden Wertvorstellungen, die es deshalb zu erläutern gilt.

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9  Ethnomarketing und neue Zielgruppen im Inlandsmarkt: Muslime und Chinesen

9.5.2 Langfristig prägende Weltsicht: Konfuzianismus Zum Verständnis einer Zielgruppe muss man ihre Wertvorstellungen verstehen, die ihr Verhalten, Handeln und Denken mitbestimmen. Weit über die Hälfte der Chinesen ist offiziell religionslos. Atheismus ist Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei. Glaubensvorstellungen und Weltsichten sind jedoch über Jahrtausende gewachsen, prägen Menschen deshalb langfristig und nachhaltig. In China wirken Konfuzianismus, Buddhismus und Daoismus nebeneinander, werden teilweise sogar gleichzeitig praktiziert. Man spricht deshalb von der „dreigliedrigen chinesischen Religion“. Insbesondere der Konfuzianismus übt einen großen Einfluss auf die Werte und Normen der Chinesen aus (vgl. zu diesem Kapitel Gutting 2013, S. 61 ff., 2016, S. 99 f.). Konfuzianismus fusst auf der Philosophie des Meisters Kung, der im Westen latinisiert Konfuzius genannt wird. Konfuzius soll von 551 bis 479 vor Christus gelebt haben. Seine Lehre wurde über Jahrhunderte in China verbreitet. Der politische Einfluss der konfuzianischen Lehrsätze während der Han Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) führte zum Niedergang feudalistischer Prinzipien in China. Der Einfluss der Erbaristokratie wurde verringert und damit eine gewisse soziale Mobilität ermöglicht. Titel und Ränge wurden fortan aufgrund von Befähigung vergeben, nicht mehr einfach weitervererbt. Jeder (Mann) erhielt die Chance, durch Bildung aufzusteigen. Umgesetzt wurde dies durch die Einführung eines Prüfungssystems, welches allen Männern unabhängig von ihrer Herkunft offenstand. Man musste sich die Lehren des Konfuzius aneignen, um sozial aufzusteigen. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts (bzw. 1905) waren sie die Voraussetzung jeglichen schulischen, beruflichen und politischen Fortkommens in China. Über viele Jahrhunderte wurden die mit dem Konfuzianismus verbundenen Wertevorstellungen tradiert. Deshalb wirken sie bis heute weiter. Die Lehren des Konfuzius sind Lektionen in praktischer Ethik, keine religiösen Inhalte. Es geht um die Einordnung des Einzelnen in die umgebenden Gruppen: Familie, Gesellschaft und Staat, mit dem Ziel, Harmonie zu erreichen. Harmonie ist gleichzusetzen mit Frieden, Stabilität und Gleichgewicht. Die Lehre des Konfuzius entstand in einer Zeit der Kriege und Unruhen. In diesem Kontext entstand der Wille, Harmonie in der Gesellschaft herstellen und bewahren zu wollen. Der Weg dazu führt über die Bildung. Bildung erfährt deshalb die besondere Wertschätzung der Chinesen. Als Schlüsselprinzip des Konfuzianismus gilt die Stabilität der sozialen Ordnung. Harmonie in der Gesellschaft wird erreicht durch das Verständnis und die Akzeptanz der gegebenen Rollen und der vorliegenden Ordnung. Die Stabilität der Gesellschaft gründet sich auf ungleiche Beziehungen zwischen den Menschen. In der Gesellschaft bestehen fünf Hauptbeziehungen (wu lun)  – zwischen Herrscher und Untergebenen, Vater und Sohn, Ehemann und Ehefrau, älterem und jüngerem Bruder, älterem Freund und jüngerem Freund. Alle fünf Beziehungen beinhalten klare hierarchische Über- und Unterordnungen. Die Hierarchie rechtfertigt sich durch gegenseitige Verpflichtungen: Der hierarchisch hö-

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her Stehende verpflichtet sich zu Mildtätigkeit, Schutz und Fürsorge. Im Gegenzug erhält der Obere Respekt, Gehorsam und Loyalität der Untergebenen. Ein weiteres Prinzip des Konfuzianismus ist das Verständnis der Familie als Prototyp aller sozialen Organisationen. Der Mensch ist nach dieser Vorstellung nicht in erster Linie ein Individuum, sondern ein Familienmitglied. Kinder müssen deshalb Zurückhaltung lernen. Sie sollen ihre Individualität überwinden, um die Harmonie in der Familie zu bewahren. Die Harmonie wird gesichert, indem jeder sein Gesicht wahrt bzw. sich „zusammennimmt“. Ein wichtiger Begriff ist „Xiao“, meist übersetzt als „Kindesliebe“. Xiao legt den Kindern hohe Verpflichtungen auf. Es ist z. B. völlig inakzeptabel, die Eltern zu vernachlässigen, sie im Alter nicht zu versorgen, sich nicht um ihr Wohl zu kümmern. Xiao mag ein Grund für die mangelnde soziale Alterssicherung in asiatischen Ländern sein. Kinder übernehmen traditionell die Aufgabe der Zukunftssicherung der Eltern. Umgekehrt sind die Familien zu extremen Anstrengungen bereit, für eine gute Ausbildung der Kinder zu sorgen und diese zu Leistungen anzuspornen. Ein weiteres Prinzip lässt sich unter den Begriff der „Tugend“ fassen. Tugendhaftes Verhalten anderen gegenüber bedeutet, andere nicht so zu behandeln, wie man selbst nicht behandelt werden möchte. Das deutsche Sprichwort „Was Du nicht willst, was man dir tut, das füg auch keinem anderen zu“ trifft den Kern des Prinzips. Positiv formuliert finden wir dieses Prinzip in der westlichen Philosophie in Immanuel Kants kategorischem Imperativ, der wesentlich später im 18. Jahrhundert entwickelt wurde. Die konfuzianische Tugendregel impliziert reziproke Beziehungen der Menschen untereinander mit gemeinsamen Erwartungen in Bezug auf Verantwortung und Verpflichtung. In Bezug auf die Gefühle anderer soll man sensibel die harmonischen Beziehungen sichern. Auch deshalb muss indirekt kommuniziert und „Face“ bewahrt werden. Als zentrale Werte der konfuzianischen Ethik gelten • • • • • •

Fertigkeiten bzw. eine gute Erziehung und Ausbildung zu erlangen harte Arbeit Bescheidenheit Sparsamkeit Geduld Ausdauer.

Sparsamkeit als prägender Wert ist im Konfuzianismus entstanden. Stets darf nur so viel Geld ausgegeben werden, wie unbedingt notwendig ist. In Verhandlungen mit Chinesen ist der Preis deshalb meist der ausschlaggebende Faktor. Chinesen sind bereit, ausdauernd und hart zu arbeiten. Eine besondere Wertschätzung besteht gegenüber Alter und Seniorität. Bildung gilt als zentraler Wert. Kommuniziert wird möglichst indirekt, um keine Disharmonie aufkommen zu lassen und Flexibilität beizubehalten.

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9.5.3 Präferenzen moderner Chinesen Neben den langfristigen kulturellen Prägungen sind die aktuellen Lebensbedingungen, Konsum- und Mediennutzungsgewohnheiten einer Zielgruppe zu verstehen. Mit der positiven wirtschaftlichen Entwicklung Chinas in den vergangenen Jahren sind die Einkommen gestiegen. Die Nachfrage nach Konsum, Unterhaltungs- und touristischen Angeboten konnte steigen. Das weitere Wachstum der Mittelschicht und die Verbesserung der Lebensqualität sind das erklärte Ziel der chinesischen Führung, die nicht zuletzt ihre Legitimation aus dem zunehmenden Wohlstand der Bürger bezieht. Moderne Chinesen leben typischerweise in Wohnblöcken in den Städten. Neben Konsum fragen sie vor allem Wohneigentum, Autos und Gesundheitsfürsorge nach. Consumer Electronics und Luxusgüter haben große Bedeutung. Aus dem Konfuzianismus resultiert das hohe Ansehen der Bildung. Eine möglichst gute Ausbildung hat hohe Priorität. Außerschulische Bildung, wie Musikunterricht, zusätzlicher Fremdsprachen- oder IT-Unterricht etc. werden für die Kinder nachgefragt. Das Internet ist Leitmedium. Die Informationssuche erfolgt vor allem über Digitalmedien. Mit Online-Formaten lassen sich mehr Adressaten erreichen als mit anderen Medien. E-Commerce und onlinebasierte Kommunikation haben sich in den urbanen Regionen durchgesetzt. Die Affinität zu Digitalmedien und die Gruppenorientierung haben gemeinsam dazu geführt, dass Social Media im täglichen Leben der meisten Chinesen präsent sind. Die chinesische Politik hat erfolgreich verhindert, dass Amazon, Google, Facebook und Konsorten im chinesischen Markt Fuß fassen konnten. Parallel zu den amerikanischen Unternehmen wurden eigene Strukturen und Unternehmen aufgebaut, die sog. „BAT-­ Economy“: Baidu, Alibaba und Tencent. Inzwischen ist eine ganze Reihe weiterer Digitalkonzerne hinzugekommen. Aufgrund der Größenvorteile des chinesischen Marktes haben viele chinesische Konzerne die amerikanischen überholt, was Umsätze und die technischen Möglichkeiten angeht. Die chinesischen Plattformen gelten inzwischen technisch fortschrittlicher als die der westlichen Welt. Die sog. „Great Firewall“ in China lässt Google, Facebook, Twitter, Youtube etc. offiziell nicht zu. Dafür werden die chinesischen Gegenstücke genutzt, vor allem WeChat, Weibo, QQ, Youku. Die in den Social Media geäußerten Meinungen der Mitmenschen sind den chinesischen Bürgern wichtig. Kundenbewertungen bzw. das Empfehlungsmarketing spielen eine große Rolle: Kunden beeinflussen in starkem Maße die Konsumentscheidungen von anderen Kunden durch Social Media. Die Gefahr eines Shitstorms ist groß. Da Chinesen einen großen Teil ihrer Zeit online verbringen, wird im Onlinemarketing die ganze Klaviatur der in Kap. 3 beschriebenen digitalen Werbe-Optionen gespielt. Seit sich die Wachstumsraten der chinesischen Wirtschaft normalisieren und sich Exporte durch gestiegene Arbeitskosten verteuert haben, wird in China der Binnenkonsum digital stimuliert. Nutzerprofile der Kunden werden erstellt und auf deren Basis zielgenaue Angebote unterbreitet. Gutscheine sind durch Gewinn- oder sonstige virtuelle Spiele zu gewin-

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nen und sollen – online hinterlegt – weiteren Konsum anregen. Content Marketing wird eingesetzt. Sog. Artificial writers verbreiten positive Inhalte über ein Unternehmen. Umgekehrt greift die Konkurrenz mit negativen Kommentaren an. Blogs und Influencer spielen eine wichtige Rolle im modernen China. Chinesische Influencer kommen oft aus der Musik- oder TV-Industrie. Einige haben sich als reine Web-Celebrities im Netz profiliert. Top-Influencer können zu hohen Honoraren gebucht werden. Manche Influencer realisieren selbst große Umsätze im Handel. Kommuniziert wird meist über Smartphone. Alles wird über mobile Endgeräte abgewickelt: Kommunikation, Einkauf und Bezahlung. E-Payment ist weit entwickelt. Bargeld wird von den Chinesen immer weniger verwendet. Das Kreditkartensystem wurde in China übersprungen. Digitale Bezahlplattformen sind überall zu finden. Am weitesten verbreitet sind Alipay (das zu Ant Financial bzw. Alibaba gehört) und WeChatPay (Tencent). Mit einem QR-Code wird der zu bezahlende Betrag vom Mobile Phone online verschickt. Wie bei anderen Finanzdienstleistern auch, wird das Geld vom Käufer auf ein Konto geleitet und dort verwahrt. Bestätigt der Käufer den Kauf, so wird das Geld an den Verkäufer weitergeleitet. Eine sichere Transaktion kann gewährleistet werden. WeChat ist besonders beliebt, weil es neben der integrierten Zahlungsfunktion vielseitig einsetzbar ist.

9.5.4 Chinesische Touristen in Deutschland Innerhalb weniger Jahre ist das chinesische Riesenreich zur wichtigsten Urlauberquelle der Welt geworden. Chinesische Touristen geben inzwischen mehr Geld als jede andere Reisenation im Ausland aus. Sie wurden so auch in Deutschland zur umworbenen Zielgruppe. Die chinesischen Privatreisenden lassen sich grob in zwei Marktsegmente unterteilen: • Traditionell reisen Chinesen in Gruppen, wohlorganisiert als Pauschalreise eines chinesischen Reiseveranstalters. • Daneben gibt es den freien, unabhängigen Reisemarkt: dieser umfasst eher jüngere, gebildete Chinesen, die Flugtickets und Unterkünfte online kaufen, individuell und selbstorganisiert unterwegs sind. Noch dominieren Gruppenreisen, eine Reiseform, die Sicherheit und Unterstützung bietet. Für die meisten chinesischen Touristen existieren Sprachbarrieren, so dass sie sich mit einer chinesischen Reiseleitung sicherer fühlen. Da Chinesen gruppenorientiert sind, fühlen sie sich in der Gruppe wohl. Für Gruppenreisen sprechen auch der einfache ­Visaerhalt und die Kosten. In der Regel sind Gruppenreisen günstiger als individuell organisierte Reisen. In der Vergangenheit wurde der Tourismus von der kommunistischen Partei noch als unproduktiv und bourgeois stigmatisiert (vgl. zu diesem Kapitel Gutting, in: Asia Bridge 12/2018, S. 34 f.). Erst mit dem Reformer Deng Xiaoping änderte sich diese Einstellung.

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9  Ethnomarketing und neue Zielgruppen im Inlandsmarkt: Muslime und Chinesen

Sein Augenmerk lag allerdings auf dem Inbound-Tourismus: Der touristische Binnenmarkt sollte belebt und Verwandtenbesuche in China für Auslandschinesen ermöglicht werden. 1995 wurde das ADS-System zur Vereinfachung der Visumserteilung eingeführt: ADS bedeutet „Approved Destination Status“. Die CNTA (China National Tourism Administration), eine Behörde, die direkt dem Staatsrat unterstellt ist, begann, bilaterale Abkommen mit ausgewählten Ländern zu schließen. Für inzwischen 125 Länder können chinesische Bürger recht einfach ein Touristenvisum (bzw. ein ADS-Visum) für Gruppenreisen erhalten. Ab 1999 wurden die „Goldenen Wochen“ ausgerufen: arbeitsfreie Zeiten um das chinesische Neujahrsfest Ende Januar oder Anfang Februar, die Woche der Arbeit Anfang Mai und die Nationaltagswoche Anfang Oktober. Für die chinesischen Touristen sind diese bislang die Hauptreisezeiten. Zunehmend wird jedoch ganzjährig gereist. Mit wachsendem Wohlstand reisen die Chinesen nicht mehr nur zu den Verwandten, sondern erobern als Touristen die Reiseländer. Auslandsreisen gelten als Statussymbol, mit dem man zeigt, was man sich leisten kann. In der Mehrheit verbringen die Chinesen nur sieben bis zehn Tage Zeit auf einer Freizeitreise. In Gruppenreisen werden nicht selten acht Länder in zehn Tagen besucht. Ihren knapp bemessenen Urlaub möchten die Chinesen intensiv nutzen, möglichst viel sehen und erleben. Schließlich will man zuhause viel erzählen und viele Fotos zeigen können. Zu den Übernachtungen, Transporten und Mahlzeiten werden Erlebnisangebote gebucht, vor allem in den Bereichen Sport, Events und Kultur. Im Urlaub probieren chinesische Touristen gerne neue Sportarten aus. Anbieter müssen allerdings davon ausgehen, dass die Touristen keinerlei Kenntnisse, Erfahrungen und auch kein Gefahrenbewusstsein mitbringen. Besondere Sicherheitsvorkehrungen (z.  B. bei Schnuppertauchangeboten) sind deshalb zu treffen. Wichtig ist auch, dass die Erlebnisse auf Fotos festgehalten werden können. Ein Anbieter sollte immer attraktive Fotomotive bereitstellen, die sich zum Teilen in den Social Media eignen. Chinesische Touristen zeigen im Ausland ein spezifisches Einkaufsverhalten. Sie kaufen nicht nur für sich selbst ein, sondern bringen den daheim gebliebenen Familienmitgliedern wertvolle Geschenke mit. Erfahrungsgemäß kaufen sie gerne Mode, Kosmetik, Schmuck und Gesundheitsprodukte. Sie sind qualitätsbewusst, kaufen in den einzelnen Ländern diejenigen Produkte und Marken, die sie mit guter Qualität verbinden. Chinesische Touristen informieren sich nicht nur über ihre Urlaubsländer, sondern auch über die dort für sie interessanten Marken und Produkte. Per Handy werden Angebote und Preise online verglichen. Deutsche Händler stellen sich in ihrer Sortimentsgestaltung auf die präferierten Produkte und Marken ein und halten ein passendes Angebot im Shop vor. Auch sind Zusatzleistungen, z. B. der Versand der gekauften Waren nach China, einzuplanen. Über akzeptable Preise haben sich chinesische Touristen meist im Vorfeld eines Einkaufs im Internet gut informiert. Auf das besondere Preisbewusstsein der Chinesen wurde oben schon hingewiesen. Meist fordert die chinesische Kundschaft Rabatte von den Anbietern. Eine wichtige Aufgabe für die Anbieter ist deshalb eine reflektierte Preisgestaltung, die beispielsweise Rabatte für größere Einkaufsvolumina zulässt. Ein Verkäufer muss sich auf Preisverhandlungen einstellen und dazu Geduld aufbringen.

9.6  Chancen und Risiken von „Chinese Marketing“: Größeneffekte, Soziale Medien und … 201

Um den sprachlichen Austausch mit den chinesischen Touristen zu erleichtern, beschäftigen Einzelhändler chinesische Mitarbeiter. Inzwischen kann auch über „Google Translate“ die Verkaufskommunikation durchgeführt werden. Auch die Dolmetscher und Reiseleiter der Reisegruppen können den Verkauf unterstützen. Händler und Dienstleister bauen Kontakte zu chinesischen Reiseveranstaltern auf und richten Angebote gezielt auf die Gruppenreisen aus. Sprachbarrieren hindern chinesische Nutzer, anderssprachige Websites aufzurufen. Chinesische Suchmaschinen, vor allem Baidu, verstärken diesen Effekt. Einige deutsche Anbieter bauen deshalb chinesische Sites auf. Chinesen ziehen für ihre Kaufentscheidungen Empfehlungen und Bewertungen anderer chinesischer Touristen heran. Wichtig ist deshalb, jede Art von Mängeln oder Schwierigkeiten zu vermeiden. Chinesische Touristen benötigen auf ihren Reisen Wifi und Internetzugang. Hierauf haben sich Handel und Tourismus bereits eingestellt. Das wachsende Marktsegment der unabhängigen Individualreisenden wird das Bedürfnis nach kurzfristigen Buchungen von unterwegs verstärken. China ist bereits eine weitgehend bargeldlose Gesellschaft. Mobile Zahlungssysteme haben sich durchgesetzt. Chinesen möchten deshalb auch im Ausland mit Smartphone online buchen und bezahlen. Aufgrund der Bedeutungszunahme der chinesischen Touristen haben sich Alipay und WeChatPay in Deutschland schnell verbreitet. Durch die einfache Zahlungsmethode lassen sich leichter Verkäufe generieren. Für die Umsetzung in Deutschland sorgt das FinTech-Unternehmen Wirecard.

9.6

 hancen und Risiken von „Chinese Marketing“: C Größeneffekte, Soziale Medien und politisches Bewusstsein

Die Chinesen zählen zu den „Top Spendern“ unter den Touristen. Die Größe und das vorhersehbare weitere Wachstum der Zielgruppe ist ein starkes Motiv, um sich auf die chinesischen Touristen einzustellen. Nicht nur für die unmittelbar betroffene Tourismusbranche ist die Zielgruppe relevant. Chinesische Touristen fragen nicht nur die typischen Produkte des Tourismus wie Übernachtungen, Gastronomie, Transporte, Events etc. nach, sondern kaufen auch großzügig Souvenirs ein. Damit eröffnen sich Chancen für den Einzelhandel. Den Bedürfnissen der chinesischen Touristen kommen die Einzelhändler vor allem mit folgenden Maßnahmen entgegen: • Angebote von Assistenz und „Personal Shopping“, um schnell auf Wünsche und Bedürfnisse der Chinesen eingehen zu können. Die chinesischen Reisenden haben wenig Zeit vor Ort, so dass eine schnelle Reaktion auf ihre Wünsche verkaufsfördern ist. Als Service wird z. B. auch Hilfe bei Formularen zum Tax-Free-Shopping angeboten oder der Versand der gekauften Waren. • Ein Sortiment wird im Shop angeboten, das den besonderen Präferenzen der Zielgruppe entspricht.

202

9  Ethnomarketing und neue Zielgruppen im Inlandsmarkt: Muslime und Chinesen

• Chinesischsprachiges Personal hilft Sprachbarrieren zu überwinden. • Die Bezahldienste Alipay und WeChatPay erleichtern als einfache Bezahlmethoden Verkäufe. Deutsche Einzelhändler schließen sich inzwischen zu Händlerinitiativen zusammen, mit denen sie gemeinsam die Zielgruppe erschließen. Anbieter, die sich bereits auf chinesische Touristen eingestellt haben, können leichter die Zielgruppe der Chinesen, die in Deutschland leben, erschließen. Auch wenn chinesische Expatriates nicht unbedingt dieselben Bedürfnisse haben wie ihre reisenden Landsleute, so ist Erfahrung mit der ethnisch definierten Zielgruppe und ein schon auf sie ausgerichteter Service ein großer Vorteil. Chinesen lassen sich über eine Vielzahl digitaler Werbemöglichkeiten erreichen. Soziale Medien gelten als wichtiges Marketinginstrument. Auch können deutsch-chinesische Influencer einbezogen werden, z. B. Chinesinnen und Chinesen, die in Deutschland leben und bereits Reichweiten aufgebaut haben. Es gibt einige – hierzulande unbekannte – Deutsche, die in Chinas sozialen Medien populär sind. Die digitale Vernetzung der Chinesen und die „Mundpropaganda“ per Social Media bergen Chancen, aber auch Risiken für den Tourismus: Empfehlungen machen schnell die Runde. Negative Bewertungen, Reisewarnungen der Regierung oder ein Aufruf zum Boykott verbreiten sich ebenso in Windeseile. Ähnliches gilt für die mit der Zielgruppe verbundenen Größeneffekte. Als auf Bali Ende 2017 ein Vulkan ausgebrochen war, erfolgten Absagen der chinesischen Reiseveranstalter in großem Stil. Weniger aus Sicherheitsgründen, sondern aus organisatorischen Gründen scheuten die chinesischen Veranstalter das Risiko: Durch Vulkanasche war der Flughafen in Denpasar häufiger geschlossen. Strandet man mit einer großen Gruppe, ist es für die Organisation ein Problem, die Weiterreise sicherzustellen. Balinesische Anbieter, die sich auf die chinesische Zielgruppe spezialisiert hatten, gerieten in wirtschaftliche Bedrängnis. Die Größen der Touristengruppen hatten sich als Nachteil erwiesen. Nachdem Chinesen in der Corona-Krise plötzlich nicht mehr einreisen durften, hatten auf Chinesen ausgerichtete deutsche Unternehmen ein ähnliches Problem. In Thailand war im Juli 2018 ein Touristenboot bei Phuket gesunken, 47 Chinesen starben. Das Unglück wurde in den chinesischen Social Media in kurzer Zeit verbreitet. Es erfolgten massenhaft Absagen. Die thailändische Tourismusindustrie wurde empfindlich getroffen, zumal fast 60  Prozent der thailändischen Auslandstouristen inzwischen aus China kommen. Ein großes Risiko des „Chinese Marketing“ steckt in der Kombination von Gruppenorientierung und der Präferenz für Social Media. So schnell sich positive Reiseempfehlungen unter Chinesen digital verbreiten, so rasch kann auch ein Shitstorm entstehen. Ein Beispiel aus Schweden: Eine chinesische Familie war einen Tag zu früh im gebuchten Hotel in Stockholm erschienen. Die Gruppe ließ sich einfach in der Lobby nieder und weigerte sich, diese zu verlassen. Das Hotel konnte ein solches Verhalten nicht dulden und rief die Polizei, um die Familie aus dem Hotel zu entfernen. Die Chinesen protestierten massiv.

9.6  Chancen und Risiken von „Chinese Marketing“: Größeneffekte, Soziale Medien und … 203

Ein Handyvideo von der Räumungsaktion wurde in den sozialen Medien in China rasch verbreitet. Der Vorfall weitete sich nahezu zu einer Staatsaffäre aus. In den sozialen Medien wurde zur Stornierung von Reisebuchungen nach Schweden und sogar zum Boykott schwedischer Unternehmen aufgerufen. Vermutet wurde auch, dass der Shitstorm nicht zuletzt aufgrund eines Besuchs des Dalai Lama in Schweden von chinesischer Seite befeuert wurde. Schon in der Vergangenheit hat sich die besondere Sensibilität der Chinesen in Bezug auf politische Themen gezeigt. Auf von China unerwünschtes politisches Verhalten erfolgen unangenehme Reaktionen (vgl. Gutting, in: Asia Bridge 12/2018, S.  34  f.): Eine Studie des „Journal of International Economics“ von 2013 wies ungünstige wirtschaftliche Entwicklungen für Länder nach, die im Zeitraum 2002–2008 den Dalai Lama empfangen hatten. Im Anschluss fielen deren Exporte nach China signifikant. Auch in Südkorea hat man den Einfluss der Politik zu spüren bekommen: 2016 und 2017 gab es einen von der Öffentlichkeit getragenen Boykott von südkoreanischen Gütern als Protest gegen eine amerikanische Raketenstationierung in Südkorea. Südkoreanische Unternehmen in China erlitten daraufhin enorme Umsatzrückgänge in China. Viele Chinesen fühlen sich als Repräsentanten ihres Landes. Mit steigendem Wohlstand wächst auch der Nationalstolz. Die italienische Luxusmarke Dolce & Gabbana hat 2018 ein wahres Marketingdesaster in dem für Luxusmarken attraktiven chinesischen Markt erlebt: D&G bereitete eine große Fashion Show in China vor. Eine Online-­ Werbekampagne sollte für Aufmerksamkeit sorgen. In dem Werbespot versucht ein kicherndes chinesisches Modell vergeblich, italienische Gerichte wie Pizza und Pasta mit Stäbchen zu essen. Aus dem Off hört man Kommentare einer männlichen Stimme wie „… ist wohl zu groß für dich“. Der Spot wurde als sexistisch, rassistisch und beleidigend empfunden. In den Social Media erfolgte ein Aufschrei. Die Ereignisse überschlugen sich: Chinesische Onlinehändler listeten die Produkte von D&G aus. Netizens posteten Videos, in denen sie mit D&G-Kleidung die Toiletten wischten. Die Fashion Show musste abgesagt werden. Der Werbespot von D&G wollte witzig sein, hatte jedoch den Nationalstolz und die kulturelle Sensibilität der Chinesen ignoriert: Die Chinesen sind stolz auf ihre Küche. Die Stäbchen als Esswerkzeuge sehen sie als Ausdruck ihrer hochstehenden Kultur. Essstäbchen erlauben es, Essen würdevoll zu teilen, ohne ein Messer auf den Tisch bringen zu müssen. Als mögliche Waffe gelten Messer auf dem Esstisch als unzivilisiert. Sich über Essstäbchen lustig zu machen bedeutet daher, sich über die chinesische Kultur zu mokieren. Die Marke D&G wurde innerhalb kürzester Zeit stark beschädigt. Einmal mehr hatte kulturelle Inkompetenz und Ignoranz chinesischen Nationalbewusstseins zu einem Marketingdesaster geführt. Bei einem Publikum, für das Social Media eine so wichtige Rolle spielen, hat ein solch unangemessenes Verhalten gravierende Folgen, egal, ob man nach China vermarkten will oder in eine chinesische Zielgruppe im Inlandsmarkt. Die Berücksichtigung von Nationalstolz, chinesischem Selbstbewusstsein, politischer und kultureller Sensibilität sind notwendige Voraussetzungen für die Vermarktung in die chinesische Zielgruppe.

Zum Schluss: Bedeutungszuwachs von Unternehmenskultur, kultureller Identität und Kulturkompetenz

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Das Erkenntnisinteresse dieses Buches ist eine Einschätzung der Marketingentwicklung und der Bedeutung des Faktors Kultur im modernen Marketing (oder Marketing 4.0). Zunächst stellt sich hierbei die Frage: Was bedeutet „modernes“ Marketing? Mit anderen AutorInnnen ist sich die Verfasserin einig, dass modernes Marketing von drei wesentlichen Tendenzen bestimmt wird: Digitalisierung, Menschenzentrierung und Internationalisierung. Die ersten beiden Kapitel beleuchten deshalb die Konsequenzen der Digitalisierung: In Kap.  2 wurde skizziert, was die Technologisierung für das Marketingmanagement bedeutet und welche Phänomene es künftig bestimmen werden; in Kap. 3, wie die Digitalisierung das Marketing bereits verändert hat. In Kap. 4 wurde die Menschenzentrierung diskutiert und aufgezeigt, welche Überlegungen, Konzepte und Entwicklungen wesentlich zu einer immer stärkeren Ausrichtung auf Kunden und Mitarbeiter, letztlich den Menschen im Marketing, beigetragen haben. Ab Kap. 5 wurden die Internationalisierung im Marketing und zentrale Fragen interkulturellen Marketings thematisiert. Es zeigt sich im Gesamtblick, dass der Faktor Kultur einen Bedeutungszuwachs erfährt: Für das Marketingmanagement noch wichtiger werden • die kulturelle Identität von Marken und Unternehmen, • Organisationskultur und • Kulturverständnis oder Kulturkompetenz. Kulturverständnis bezieht sich nicht nur auf die interkulturelle Kompetenz, die die langfristigen Wirkungen von Kultur auf das Verhalten der Menschen zum Gegenstand hat. Ebenso müssen die aktuellen Rahmen- und Lebensbedingungen der Zielgruppen immer besser verstanden werden, eine tiefgründige Auseinandersetzung damit erfolgen: zum ­einen für die ausländischen Märkte (vgl. Kap. 5 und 6), zum anderen aber auch für das Ethnomarketing im Inlandsmarkt (vgl. Kap. 9). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Gutting, Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29429-8_10

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10  Zum Schluss: Bedeutungszuwachs von Unternehmenskultur, kultureller Identität …

Wohin wird die Reise in Marketing 4.0 gehen? Die entstandenen Plattformen streben nach Größe – „The Winner Takes It All“. Größer wird man durch Internationalisierung. Es mag sein, dass die Technologisierung auf lange Sicht durch sich selbst steuernde Maschinen und Fabriken oder den 3D-Druck vor Ort eine gewisse De-Globalisierung erfährt. Aber auch wenn dann weniger Güter auf die Reise geschickt werden müssen, so wird die Welt vernetzt bleiben und wachsende Größe von Unternehmen und Marken nur durch ihre internationale Präsenz erreichbar sein. Als entscheidendes Kriterium für Verkaufsplattformen und globale Unternehmen kristallisiert sich das Vertrauen einer möglichst großen Anzahl von Kunden heraus (vgl. Kap. 4). Dieses gilt es zu gewinnen und zu behalten. Die bewährten Strategien dazu sind Kundenzufriedenheit, Service und die Minderung von Kaufrisiken. Sie werden jedoch neu ausgestaltet werden müssen. Kundenzufriedenheit entsteht, wenn Erwartungen der Kunden mindestens eingelöst, wenn möglich übertroffen werden. Dazu muss ein Anbieter die Erwartungen und Bedürfnisse der Konsumenten zunächst kennen. Um diese tatsächlich zu verstehen, reicht die herkömmliche Marktforschung offensichtlich nicht mehr aus. Es gilt beispielsweise offiziell als Konsens, dass Konsumenten sich um Tierwohl und gesunde Lebensmittel sorgen. Die tatsächliche Abstimmung an den Kassen der Supermärkte zeigt jedoch ein anderes Bild: Nur allzu oft und gerne entscheiden sich die Käufer für Billigfleisch. Soziale Erwünschtheit steht offensichtlich bei vielen im Widerspruch zum tatsächlichen Konsumverhalten. Eine ähnliche Schizophrenie zeigte sich Ende 2019  in Deutschland: Die massiven Fridays-­for-Future-Proteste und Forderungen nach Nachhaltigkeit und Umweltschutz, nicht nur von Schülern, sondern von vielen Deutschen, waren begleitet von starken Black-Friday-Umsätzen und einem guten Weihnachtsgeschäft, insbesondere im Onlinehandel. Das Ritual des jährlichen Kaufrausches vor Weihnachten wurde auch Ende 2019 keineswegs gebrochen. Allen Umwelt- und Klimaschutzdemonstrationen zum Trotz ließen sich auch weiterhin Flugreisen und die bei Klimaschützern in die Kritik geratenen PS-starken SUVs hervorragend verkaufen. Ist die Gesellschaft tatsächlich gespalten in zwei Gruppen mit diametral entgegengesetzten Interessen? Oder stimmen die Lippenbekenntnisse nicht mit den tatsächlichen Konsumwünschen überein? Was wollen die Verbraucher eigentlich? Marketing 4.0 kann hierzu Orientierung liefern: Die erweiterten modernen Analyseverfahren, Big Data und künstliche Intelligenz (vgl. Kap. 2) werden den Unternehmen ein immer klareres Bild darüber liefern, was die Konsumenten wollen, da sie unabhängig von der Auskunftsbereitschaft und -fähigkeit der Verbraucher sind. Tatsächliches Konsumentenverhalten und Kundenwünsche kann man mit ihnen weitaus besser erfassen als mit herkömmlicher Marktforschung. Datengetriebene Verfahren lassen Unternehmen die Werte der Kunden klarer erkennen, damit darauf reagiert werden kann. Das gilt für ­Konsumwünsche und Erlebnisorientierung, aber ebenso für abstrakte Werte, beispielsweise Nachhaltigkeit, den Schutz der Umwelt oder die Einhaltung von Menschenrechten. Unternehmen müssen wirtschaftlich erfolgreich arbeiten. Sie haben nicht die Funktion einer moralischen Instanz und müssen auch keine politischen Aufgaben erfüllen. Das ent-

10  Zum Schluss: Bedeutungszuwachs von Unternehmenskultur, kultureller Identität …

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hebt sie jedoch nicht der Aufgabe, Stellung zu den öffentlichen Themen wie Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Einhaltung von Menschenrechten zu beziehen. Der Begriff des „Purpose“ im Marketing erfährt nicht zufällig gerade eine Renaissance (vgl. Kap. 4). Unternehmen müssen eine klare Position besetzen, was sie mit welcher Berechtigung tun, diese offen legen und konsequent vertreten. Geführt haben die Forderungen nach Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Einhaltung von Menschenrechten bislang häufig zum oberflächlichen „Greenwashing“ oder ähnlich auch zum „Bluewashing“ (vgl. Kap.  4). Greenwashing, also Aktivitäten, mit denen ein Unternehmen sich umweltfreundlich darstellt, kennt inzwischen viele Methoden: Firmen betonen die Werte, tun jedoch nichts dafür. Sie treffen Aussagen zur Nachhaltigkeit ihrer Produkte, ohne diese konkret zu belegen. Umweltfreundliche Eigenschaften von Produkten werden betont, umweltschädliche ausgelassen. Unternehmen stellen sich umweltfreundlich dar, indem sie lediglich die gesetzlichen Vorgaben einhalten. Alle diese Methoden werden jedoch inzwischen durchschaut und machen ein Unternehmen erst recht angreifbar, wenn es Kritiker darauf anlegen, die „Greenwashing-Praktiken“ zu enthüllen. Durch Social Media können sich die schlechten Nachrichten dann blitzartig verbreiten. Das Image einer Marke oder eines Unternehmens kann schnell beschädigt werden. Unternehmen sollten sich also – nicht nur aus ethischen Gründen – vor solchen Praktiken hüten. Unternehmen sollten ein Selbstverständnis entwickeln und explizieren, welche der Werte sie inwieweit mittragen, aber auch klare Grenzen ziehen und diese begründen können. Nicht nur mit Blick auf die Kunden und Verbraucher, sondern auch auf die Mitarbeiter, die in den Generationen Y und Z vermehrt die Sinnfrage stellen, werden sich die Unternehmen positionieren müssen. „Werbesprech“ sollte der Vergangenheit angehören. Gefordert sind Ehrlichkeit, was leistbar ist, eine glaubwürdige Unternehmenskommunikation und die Einbindung der Mitarbeiter durch eine entsprechende Unternehmenskultur. Mitarbeiter sind der Schlüssel zur Kundenzufriedenheit und zur Reputation des Unternehmens. Ihr Wirken an den Kontaktpunkten zu den Kunden ist deshalb auch in der neuen „Menschenzentrierung“ des Marketings weiter in den Blickpunkt gerückt. Online-Verkauf und virtuelle Marktplätze ermöglichen den Verbrauchern Markttransparenz und Service rund um die Uhr. Durch Omnichannel oder New Retail bzw. durch die Integration von Online, Offline, Technologie, Datenanalyse und Logistik stehen Kunden im Zentrum des Marketings. Kundenerlebnisse werden geschaffen und alle „Touchpoints“ mit den Kunden möglichst positiv ausgestaltet. Die Kundenreaktionen lassen sich messen. Mit neuen Strategien lässt sich darauf reagieren. Mit den gesammelten Daten über die Kunden muss vorsichtig umgegangen werden, um das Vertrauen der Kunden nicht zu riskieren. Produkte im E-Commerce können nicht vor dem Kauf inspiziert werden. Für den Verkauf muss Kundenvertrauen geschaffen werden. Die Senkung von Kaufrisiken dient ­diesem Ziel. Die Angebote enthalten deshalb vermehrt sog. „Sucheigenschaften“ (vgl. Kap.  4) in Form von Garantien, Gewährleistungen und Rückgaberechten. Einige der Anbieter bringen diese an den Rand der Möglichkeiten, wirtschaftlich zu arbeiten. Auch in dieser Hinsicht muss durch den Einsatz moderner Analyseverfahren (vgl. Kap.  2) Orientierung geschaffen werden.

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10  Zum Schluss: Bedeutungszuwachs von Unternehmenskultur, kultureller Identität …

Ein starkes Anbieter- oder Markenimage gilt als überprüfbare Sucheigenschaft. Voraussetzung dafür ist die aktive Schaffung einer Markenidentität. Um die Markenidentität in ein starkes Markenimage zu überführen, benötigen Unternehmen engagierte Mitarbeiter und gebundene Kunden. Erfolgreiche Marken streben Globalität und Größe an und müssen dennoch nahe am Kunden bleiben (vgl. Kap. 7). Wege dazu sind Personalisierung und kulturelle Identität.

10.1 Kulturelle Identität als Eigenschaft globaler Marken Kostenvorteile durch Standardisierung stehen in globalen Strategien im Fokus. In den transparenten Märkten rücken jedoch auch Differenzierungsvorteile weiter in den Vordergrund (vgl. Kap. 6). Erfolgreiche globale Marken benötigen eine breite Marktakzeptanz, sind auf große, länderübergreifende Zielgruppen angewiesen. Sie bieten deshalb Produkte und Dienstleistungen an, die weltweit ähnlichen Bedürfnissen und Wünschen entgegenkommen. Dennoch muss die Marke für ihre Kunden unverwechselbar sein, eine eigene Identität haben. Eine der Produktstrategien ist es, Produkte mit symbolischen Attributen und so mit „Bedeutung“ aufzuladen (vgl. Kap. 6). Bedeutung wird beispielsweise durch Farben, Formen, Bilder und Zeichen symbolisiert. Dazu gehören auch Konnotationen, die mit einem bestimmten Herkunftsland verbunden sind. „Made in Germany“ wird beispielsweise gleichgesetzt mit guter Qualität, insbesondere bei technischen Produkten. Kulturelle Zuordnung wird genutzt, um positive Konnotationen oder Images mit einem Herkunftsland zu verbinden (vgl. Kap. 7). Offensichtliches Beispiel ist das Schwedenimage der Marke Ikea. Der Faktor Herkunftskultur spielt eine große Rolle im Marketing von Ikea: Die Marke ist aufgeladen mit positiven Schweden-Emotionen. Die Nationalfarben Schwedens werden im Corporate Design genutzt. Die Produkte haben schwedische Namen. Das schwedische Nationalgericht im Ikea-Restaurant ist inzwischen weltberühmt. „Schweden“ ist in der gesamten Corporate Communication präsent. Tatsächlich ist Ikea – wohl aus steuerlichen Gründen – in den Niederlanden registriert. Die Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Produkten erfolgen heute meist in mehreren Ländern. Die meisten großen Unternehmen und Marken sind in globaler Arbeitsteilung heute faktisch hybrid. Dennoch wird ein Herkunftsort gezielt ausgewählt und genutzt, weil das Herkunftsland von den Kunden häufig als Qualitätsindikator verwendet wird. Die geografische Zuordnung von Produkten und Marken kann positive Auswirkungen auf Kaufentscheidungen haben. Viele Unternehmen bilden deshalb eine Markenidentität durch den bewussten Einsatz eines Herkunftsimages. Manchmal wird dieses „geliehen“. Eine neue Strategie ist es, ein Herkunftsimage künstlich vorzugeben, wie sich an den „Cultural Copycats“ zeigt, z. B. bei der chinesischen Handelskette Miniso (vgl. Kap. 7). Da die eigentliche Herkunft „Made in China“ derzeit über keinen besonderen Glanz verfügt, tritt Miniso wie ein japanisches Designerlabel auf. Sog. Fake Labels geben Zeugnis von der bewussten Schaffung kultu-

10.2  Organisationskultur oder „Culture Eats Strategy for Breakfast“

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reller Identität einer Marke. Eine ganze Reihe chinesischer Unternehmen adaptieren die japanische oder alternativ die koreanische Kultur, indem sie im Erscheinungsbild das Image eines positiv konnotierten Landes nutzen. Kulturelle Zuordnung ist eine vergleichsweise einfache Strategie, eine Markenidentität zu bilden und auszugestalten. Internationale Marken berufen sich bewusst auf Wurzeln in einer bestimmten Kultur. Die Marke schafft sich damit Zuordnung, Substanz und Positionierung. Ein internationaler Markenauftritt und eine – manchmal auch nur künstlich gebildete – kulturelle Identität lassen sich hervorragend kombinieren. Marketer können bei der internationalen Vermarktung Vorlieben für nationale oder regionale Identität nutzen oder auch die Faszination der Konsumenten durch fremde, exotische Kulturen. Exotismus-Symbole bzw. ein exotischer oder ethnischer Appeal mit schönen Bildern kann ebenfalls eine Marke wirkungsvoll aufladen. Kundenzufriedenheit ist eine subjektive Komponente, die abhängt von dem individuellen Anspruchsniveau des Kunden, dem Wissen um alternative Angebote (die in transparenten Märkten leicht zu identifizieren sind) und der Einschätzung des Anbieterimages. Gerade in einer globalisierten und technologisierten Welt scheint eine symbolische Aufladung die notwendige Differenzierung und Diskriminierung eines Anbieters zu ermöglichen, mit der er sich von einer Vielzahl vergleichbarer Produktangebote der Wettbewerber abheben kann. Mit Kulturelementen lassen sich Erlebnisse an den Touchpoints zu den Konsumenten gestalten, durch Events, Gastronomie und Allem, was die Sinne anregt. Kulturbezug dient der Ausgestaltung besonderer Kundenerlebnisse. Auch in ihrem Kernangebot weitgehend kulturfreie Unternehmen profilieren sich im Wettbewerb mit Verweisen auf eine besondere (oft: Herkunfts-) Kultur. An vielen Beispielen wurde in diesem Buch gezeigt, dass Kultur­ elemente gerade in einem globalisierten Umfeld geschickt genutzt werden, um Unternehmen mit einer besonderen Identität im internationalen Wettbewerb zu differenzieren.

10.2 O  rganisationskultur oder „Culture Eats Strategy for Breakfast“ Mit der Entwicklung des Dienstleistungsmarketings wurde der Mensch zunehmend in den Mittelpunkt des Marketings gerückt (vgl. Kap. 4). Auch im Vertrieb setzt sich die Einsicht durch, dass sich Verkaufsabschlüsse am besten mit profitablen Stammkunden erzielen lassen (vgl. Kap. 8). Heute gilt: Marketing wird von Menschen für Menschen gemacht, insbesondere für Kunden, aber auch für die Stakeholder des Unternehmens und weitere Mitglieder der Gesellschaft (vgl. Kap. 4). Der Erfolg von Unternehmen hängt oft weniger von hervorragenden neuen Ideen ab, sondern vom Einsatz der Mitarbeiter auf den unterschiedlichen Ebenen des Unternehmens: Von Mitarbeitern, die sich der tatsächlichen Bedürfnisse der Kunden annehmen, Probleme lösen und positive Erlebnisse an den Kontaktpunkten schaffen. In neueren Ansätzen wird darüber hinaus sogar gefordert, die Probleme der Gesellschaft, auch ökologischer oder sozialer Natur, mit zu reflektieren (vgl. Kap.  4), sich

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10  Zum Schluss: Bedeutungszuwachs von Unternehmenskultur, kultureller Identität …

z. B. umweltfreundlich zu verhalten. Durch Zufriedenheit mit dem Unternehmen und seinen Werthaltungen lassen sich Kunden binden und eine Reputation in der Öffentlichkeit schaffen. Die Aufgabe der Unternehmensführung ist es, dafür zu sorgen, dass diese Prämisse von den Mitarbeitern verinnerlicht wird. Dazu muss eine besondere Unternehmenskultur geschaffen werden. In erfolgreichen Unternehmen verstehen und präsentieren sich Mitarbeiter als Repräsentanten des Unternehmens oder der Marke. Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass in einem zunehmend kritischen Umfeld von Unternehmen der Nachweis ihres „Purpose“ gefordert wird: die Erklärung ihres Sinns und Zwecks. Das Besinnen auf ein Selbstverständnis des Unternehmens als Grundlage für eine bewusste Selbstdarstellung in der Corporate Identity ist gewiss keine neue Aufgabe. Stärker als in der Vergangenheit rücken jedoch bestimmte Funktionen der Corporate Identity in den Vordergrund, z.  B. die Mitarbeiteridentifikation mit dem Unternehmen. Das Image als „wertvoller“ Arbeitgeber gilt es zu verstärken, gerade im heutigen „War for Talents“ und dem zunehmenden Fachkräftemangel durch die in der nächsten Zeit in den Ruhestand gehenden Babyboomer. Und nur durch motivierte Mitarbeiter lässt sich das „Corporate Behaviour“ in die erwünschte Richtung steuern, so dass ein positives Image entstehen oder beibehalten werden kann. Eine definierte Unternehmensphilosophie und die auf der Ebene der normativen Unternehmensführung formulierten Ziele sind nur dann tragfähig, wenn sie in der Unternehmenskultur umgesetzt und von einem Soll- in einen Ist-Zustand übergeführt werden können. Die Gestaltung der Unternehmenskultur bedeutet auch, Standards zu setzen, die den Mitarbeitern Aufschluss über die gestellten Anforderungen geben. Monitoring des Verhaltens der Mitarbeiter, Feedbacksysteme, Mitarbeiterkommunikation und Anreizsysteme sind Voraussetzungen, um das Mitarbeiterverhalten entsprechend zu lenken. Die Mitarbeiterführung und -motivation kann heute allerdings nur dann gelingen, wenn auch die Wertvorstellungen und Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigt werden. Kultur spielt – wie in Kap. 5 gezeigt – bei den zentralen Entscheidungen und Schritten der internationalen Vermarktung eine wichtige Rolle: Vor der Entscheidung über den Einstieg in neue Märkte müssen die kulturellen Unterschiede zum Stammmarkt erkannt werden. Zur Wahl und zum effektiven Umgang mit geeigneten Kooperationspartnern und lokalen Stakeholdern ist interkulturelle Kompetenz erforderlich. Das Unternehmen muss sich bei der Internationalisierung stets der eigenen kulturellen Orientierung bewusst sein, weil diese bei der internationalen Vermarktung Restriktionen setzen kann. Vor allem aber ist die erfolgreiche Umsetzung von Strategien nur dann möglich, wenn diese mit der Unternehmenskultur konsistent sind. „Culture Eats Strategy for Breakfast“, lautet der berühmte Satz von Peter F. Drucker. Er bedeutet, dass auch die beste Strategie sinnlos ist, wenn keine Unternehmenskultur vorhanden ist, in der die Strategie aufgenommen und umgesetzt werden kann. Oder anders ausgedrückt: Die Organisationskultur darf einer Strategie nicht im Wege stehen. Unternehmenskultur ist eine notwendige Voraussetzung für die Umsetzung neuer Strategien (vgl. auch Kap. 5). Dies gilt insbesondere im Zeitalter der Digitalisierung und der digitalen Disruption. Der digitale Wandel erfordert Querdenken, manchmal die Entwick-

10.3 Kulturkompetenz

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lung und den Einsatz neuer Geschäftsmodelle, eben nicht nur inkrementelle Verbesserungen. Digitale Geschäftsmodelle und Dienstleistungen setzen eine Innovationskultur vo­ raus, in der die MitarbeiterInnen Bestehendes in Frage stellen, neue Ideen entwickeln, testen und umsetzen können. Die Gestaltung der passenden Unternehmenskultur ist folglich Voraussetzung für das Gelingen neuer Strategien in der digitalen Welt.

10.3 Kulturkompetenz Interkulturelle Kompetenz wurde insgesamt als notwendige Voraussetzung identifiziert, um im internationalen Unternehmen effektiv handeln und Produkte und Dienstleistungen in anderen Ländern vermarkten zu können (vgl. Kap. 6). Die Werte, die in einer Gesellschaft gelebt und tradiert werden, prägen das Konsumverhalten. Die Kenntnis der Wertevorstellungen in einem Land ermöglicht eine Einschätzung, inwieweit die Elemente des Marketings standardisiert werden können. Interkulturelle Kompetenz wird in allen Verhandlungen mit anderskulturellen Partnern (vgl. Kap. 8) wie auch in der gesamten internationalen Vermarktung (vgl. Kap. 5) benötigt. Erfolgreiche globale Unternehmen gehen nicht nur souverän mit Kulturunterschieden um. Sie passen – wo notwendig – ihr Produktangebot, ihre Kommunikation und ihr Verhalten an. Sie identifizieren die Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen, um sie für sich zu nutzen. Insbesondere spüren sie frühzeitig gesellschaftliche Trends auf und machen sie zur Grundlage neuer Konzepte (vgl. auch Kap. 7). Kulturell bedingte Wahrnehmungsunterschiede beinhalten besondere Gefahren. Dies gilt besonders für gesellschaftliche Restriktionen und Tabus. Selbst wenn keine expliziten Verbote verletzt werden, kann Ignoranz aufgrund von Unkenntnis in den Zeiten von Social Media in kürzester Zeit zu Shitstorms oder negativen Bewertungen führen. Ein Unternehmen oder eine Marke kann schweren Schaden nehmen. Die Befindlichkeiten und die sich ändernden Rahmen- und Lebensbedingungen, Trends und Strömungen müssen verstanden werden, gerade auch, um gravierende Marketingfehler zu verhindern (vgl. Kap. 9). Ein subtiles Verständnis, welches Markenverhalten, welche Werbemotive und Auftritte in einem Umfeld positiv und welche negativ wirken, ist Voraussetzung, um auf Auslandsmärkten nicht nur Marketingfehler zu vermeiden, sondern auch kostenintensive und gleichzeitig unnütze Fehl- und Blindleistungen (vgl. auch Kap. 4). Gesättigte Märkte haben zur Marktsegmentierung geführt. In Märkten mit Stagnationstendenzen gilt es, Ausschau nach neuen, kaufkräftigen Zielgruppen zu halten. Ein erweitertes Kulturverständnis ist deshalb auch gefordert für die Binnendifferenzierung des „Domestic Marketing“ in multikulturellen Gesellschaften. Ethnomarketing erfordert einerseits die Ausrichtung der Marketing- und Geschäftsaktivitäten auf besondere Bedürfnisse bestimmter kultureller Minderheiten. Gleichzeitig müssen jedoch eventuelle Vorbehalte der angestammten Kundengruppen und mögliche Gefahren im Umgang mit den neuen Zielgruppen im Blick behalten werden (vgl. Kap. 9).

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10  Zum Schluss: Bedeutungszuwachs von Unternehmenskultur, kultureller Identität …

Als Fazit bleibt festzuhalten: Die globalisierte, vernetzte Welt hat transparente Märkte hervorgebracht. Die Differenzierung eines Unternehmens oder einer Marke in einer Vielzahl an Angeboten erfolgt durch Identität. Durch kulturelle Zuordnung kann Markenidentität gebildet und effektiv ausgestaltet werden. Menschenzentrierung im Marketing, Digitalisierung und Innovation erfordern die bewusste Gestaltung der Unternehmenskultur. Die für die digitale Welt notwendigen Strategien lassen sich andernfalls nicht umsetzen. Kulturverständnis ist die Voraussetzung, um auf Auslandsmärkten erfolgreich zu agieren und neue Zielgruppen im Inlandsmarkt zu gewinnen sowie profitabel zu bearbeiten.

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© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Gutting, Interkulturelles Marketing im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29429-8

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