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German Pages 328 Year 2014
Birgit Hopfener Installationskunst in China
Image | Band 45
Birgit Hopfener (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin und assoziiertes Mitglied der DFG-Forschergruppe »Transkulturelle Verhandlungsräume von Kunst«. Sie forscht zu ostasiatischer Gegenwartskunst, transkultureller Kunstgeschichte, bildkulturellen und bildanthropologischen Fragen.
Birgit Hopfener
Installationskunst in China Transkulturelle Reflexionsräume einer Genealogie des Performativen
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
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Inhalt
Einleitung
9
Kapitel I Installationskunst als Transformationsmedium im transkulturellen Kontext – am Beispiel von Installationskunst in China aus 15 kultur- und kunsttheoretischer Perspektive 1.
Einleitung
2.
Installationskunst – Konzeptionalisierung eines künstlerischen 18 Mediums im transkulturellen Kontext
3.
Kulturtheoretische Ausführungen – essenzialistische Bedeutungsidentifizierung versus performative Bedeutungsproduktion 24
15
4.
Ausführungen zu Homi K. Bhabhas Konzept des Dritten Raumes
5.
Zum relationalen und dezentrierten Subjektkonzept im Kontext eines performativen Kulturverständnisses 32
6.
Die Installationskunst als Transformationsmedium und Dritter Raum
29
34
Kapitel II Zur Geschichte der Installationskunst in China im 39 kultur- und kunsthistorischen Kontext 1.
Einleitung – Anfänge der Installationskunst in China – 39 Konzeptionelle versus »humanistische« Kunst
2.
Zum Begriff »moderne Kunst« in China
3.
»Chinesische Avantgarde«
4.
Zu Entwicklungen der modernen chinesischen Kunst im Zeitraum 45 von 1979 bis 1984 in ihrem soziopolitischen Bezugsfeld
5.
Zu Entwicklungen der modernen chinesischen Kunst im Zeitraum von 1979 bis 1984 in ihrem ideengeschichtlichen Bezugsfeld 52
40
42
5.1
Modernisierungsdiskurse
5.2.
Ausführungen zum »Humanismus«-Diskurs und die in diesem Kontext diskutierte 53 Aufwertung des einzelnen Menschen am Beispiel der »Entfremdungsschule«
52
5.3.
Humanismus-Diskurse und Subjektfragen in der modernen 56 chinesischen Kunst der 1980er Jahre
5.3.1. Erinnerungskunst als künstlerischer Ausdruck des Humanismus-Diskurses
58
5.3.2
Über die Künstlergruppe »Die Sterne« und deren Betonung des Subjektiven als Ausdruck eines explizit »humanistischen« Kunstverständnisses 61
6.
Die 85er Bewegung – Zu Entwicklungen der modernen chinesischen Kunst von 1985 bis 1989 in ihrem soziopolitischen, 67 infrastrukturellen und ideengeschichtlichen Bezugsfeld
6.1
Strukturen der 85er Bewegung
6.1.1
Ausführungen über die wichtige Rolle der Kunstakademien
71
6.1.2
Zeitschriften, Symposien und Diskurse
7.
Künstlerische Strömungen der 85er Bewegung
7.1
Elan-Vital-Malerei und Rationale Malerei
72
73 77
77
7.2
Konzeptuelle Kunstströmung
7.2.1
Das neue dezentrierte Subjektverständnis in der konzeptionellen Kunst
7.2.2
Ikonoklasmus als Strategie der Entideologisierung
7.2.3
Huang Yongping – der wichtigste frühe Akteur der konzeptionellen Strömung 88
8.
Chinesische Installationskunst – von ihren Anfängen Mitte der 1980er Jahre bis zu ihrer Internationalisierung und lokalen Akzeptanz im Zusammenhang der Shanghai Biennale im Jahr 2000 99
8.1
Die Anfänge der Installationskunst in China Mitte der 1980er Jahre
8.2
Frühe chinesische Installationskünstler
81
8.2.1
Die Gruppe Xiamen Dada
8.2.2
»Die Teichgesellschaft«
8.2.3
Geng Jianyi und Zhang Peili
8.2.4
Dekonstruktive Schriftkünstler
8.2.4.a Wu Shanzhuan 8.2.4.b Gu Wenda 8.2.4.c Xu Bing
83
86
99
102
102 106 111 116
121
133 143
8.2.5
Lu Shengzhong
8.3
Installationskunst im Kontext der Ausstellung »China/Avantgarde« 1989
9.
Studentenproteste und deren gewaltsame Niederschlagung auf dem Platz des Himmlischen Friedens 168
10.
Die 1990er Jahre: Ausbau der ökonomischen Reformen und deren Auswirkungen auf Produktion und Rezeption der chinesischen 170 Gegenwartskunst – Soziopolitische Kontextualisierung
153 161
11.
Installationskunst in China seit Anfang der 1990er Jahre bis zu ihrer Internationalisierung und lokalen Akzeptanz im 182 Zusammenhang der Shanghai Biennale im Jahr 2000
11.1.
Installationskunst in »Untergrundausstellungen« und in Publikationen von Anfang bis Mitte der 1990er Jahre 182
11.1.1. Installationen im Kontext der sogenannten »Apartment Art« 11.1.2. Installative Interventionen im öffentlichen Raum
189
201
12.
Entwicklungen in der chinesischen Installationskunst in 212 der zweiten Hälfte der 1990er Jahre
12.1.
Videoinstallationen
12.2.
Wichtige Installationskunstausstellungen Ende der 1990er Jahre
212
12.2.1. Installationen im Kontext der »Post-Sense-Sensibility«-Events 12.2.2. Installationen in der Ausstellung »Supermarkt. Art For Sale« 13.
221 226
233
Lokale Akzeptanz, Historisierung und Internationalisierung von Installationskunst in China im Kontext der ersten 243 internationalen Shanghai Biennale im Jahr 2000
Kapitel III Chinesische Bewegtbild-Installationen als transkulturelle Reflexionsräume traditioneller Betrachtererfahrung aus 249 historisch-(bild)anthropologischer Perspektive 1.
Einleitung
249
2.
Warum liegt der Fokus auf der Bewegtbild-Installation?
3.
Allgemeine Darlegung des vormodernen Kunstverständnisses in China
3.1
Bilder als Verkörperung von Wirklichkeit als Wirkgeschehen
3.1.1
Exkurs: Einführung in die daoistische Kosmologie
3.2
Qi als ästhetische Kategorie des Lebendigen – zur leiblichen 263 Qualität der traditionellen ästhetischen Erfahrung
4.
Chinesische Bewegtbild-Installationen als transkulturelle Reflexionsräume traditioneller Betrachtererfahrung 269
Kapitel IV Resümee der Arbeit im Kontext aktueller internationaler 301 und chinesischer Kunstdiskurse Bibliografie
309
251
261
257
253
Einleitung
»I believe art is a silent ocean«1
Die vorliegende Arbeit untersucht Beispiele von Installationskunst in China als transkulturelle Reflexionsräume2 einer Genealogie3 des Performativen und analysiert, unter welchen Bedingungen dort kulturelle Differenz verhandelt wird. Wie aus kulturhistorischer Perspektive verdeutlicht werden wird, hängt die Einführung dieses ursprünglich im Kontext der euro-amerikanischen Kunstgeschichte entstandenen künstlerischen Ausdrucksmittels in China Mitte der 1980er Jahre eng mit der Öffnung des Landes zusammen, das heißt mit dem Ende der Isolierung Chinas und der zunehmenden Integration des Landes in die globalisierte Welt bzw. dessen Partizipation an den politischen und ökonomischen Globalisierungsprozessen, die sich durch intensive transkulturelle Austausch- und Verflechtungsprozesse auszeichnen. Anstatt chinesische Kunst als passives Untersuchungsobjekt zu untersuchen, geht die Arbeit von global informierten Künstlern aus, die mit ihren zeitgenössischen Arbeiten, verstanden als transkulturelle Reflexionsräume, aktiv an transkulturellen Übersetzungs- und Aushandlungsprozessen teilhaben. Die These lautet, dass wenngleich Installationen weltweit formal ähnlich aussehen, dennoch davon ausgegangen werden kann, dass sie bestimmten transkulturellen Bedingungen bzw. Verhältnissen Rechnung tragen, die es zu analysieren gilt. 1 | Wu Shanzhuan, in: Qiu Zhijie. 2005, S. 23. Zur Bedeutung dieses Zitats siehe Seite 130 der vorliegenden Arbeit. 2 | Der Begriff des Raumes wird in der vorliegenden Arbeit nicht als geschlossener, vorab gegebener Raum einer geografischen Wirklichkeit, sondern als offener, relational verfasster, dynamischer Produktions- und Interventionsraum symbolischer Prozesse verstanden, wie er in den Kultur- und Kunstwissenschaften seit dem spatial turn und dem topographical turn konzipiert wird. Vgl. dazu Bachmann-Medick, Doris. 2007, Günzel, Stephan (Hg.). 2010. 3 | Ausgegangen wird hier nicht von einem linearen, sondern von einem Genealogiebegriff Foucault’scher Prägung, der von Brüchen und Dislozierungen ausgeht.
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I NSTALLATIONSKUNST IN C HINA
Während die Installationskunst im euro-amerikanischen Kontext als künstlerisches Medium verstanden wird, die aufgrund ihrer theatralen Qualität die Konventionen einer objektzentrierten Repräsentationsästhetik und somit das modernistische Kunstverständnis infrage stellt,4 wird die chinesische Installationskunst im Folgenden im transkulturellen Kontext einer Genealogie des Performativen verortet. Vor dem historischen Hintergrund, dass sich die moderne chinesische Kunst seit dem oktroyierten Kulturkontakt mit den europäischen Imperialmächten Ende des 19. Jahrhunderts bis heute in kulturellen Reflexions- und Übersetzungsprozessen zwischen einem repräsentationsästhetisch geprägten Kunstbegriff europäischer Herkunft und dem in China traditionell performativ angelegten Kunstverständnis generiert5 , analysiert die vorliegende Studie auf welche Weise in der Installation als Kunstpraxis performativer Bedeutungsgenerierung kulturelle Differenz im Spannungsfeld zwischen diesen beiden unterschiedlichen Kunstverständnissen artikuliert wird. Um jeglichen kulturellen Essenzialismusverdacht zu zerstreuen, wenn von chinesischer Installationskunst die Rede ist, wird diese im Folgenden in asymmetrischen, das heißt durch bestimmte Machtstrukturen geprägten transkulturellen Strukturen verortet, die historische und synchrone, das heißt, um einen Begriff von Nicolas Bourriaud zu verwenden, heterochrone6 Verflechtungen und Gewichtungen aufweisen und sich somit in ihren Bedeutungsverhältnissen und -bezügen kontinuierlich verändern.
4 | Vgl. dazu Rebentisch, Juliane. 2003, Baier, Andreas. 2008. 5 | Die Gegenüberstellung von einem performativen auf der einen und einem repräsentationsästhetischen Kunstverständnis auf der anderen Seite ist hier also aus der Perspektive der chinesischen Rezeptionshaltung zu verstehen, wie sie sich Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts in China herausbildete, und nicht als eine grundsätzlich essenzialisierende Sichtweise auf einen chinesischen versus europäischen Kunstbegriff. Im Zuge der Konfrontation mit der europäischen Moderne, für welche in China Ende des 19. Jahrhunderts stellvertretend die realistische Repräsentationsästhetik seit der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert stand, wurde die eigene Kultur, mit welcher die traditionelle Literatenmalerei in Verbindung gebracht wurde, im Modernisierungsdiskurs als rückwärtsgewandt und stagnierend abgelehnt. Während die repräsentationsästhetische realistische Darstellung als Ausdruck rationaler naturwissenschaftlicher Erkenntnis in China als fortschrittlich rezipiert wurde, galt die traditionelle Literatenmalerei, welche performativ angelegt war und formale Ähnlichkeit zugunsten einer performativen und leiblich ausgerichteten Vermittlung von Welt ablehnte, als rückwärtsgewandt. Die moderne chinesische Malerei artikuliert sich, so die These der vorliegenden Arbeit, seither im transkulturellen Spannungsfeld zwischen diesen beiden Kunstverständnissen, indem sie diese unter den spezisch chinesischen historischen Bedingungen zueinander ins Verhältnis setzt. Zur Rezeption der europäischen Realismustradition in China in der Republikzeit siehe: Wang David Der-Wei. 2001. 6 | Bourriaud, Nicolas. 2009.
E INLEITUNG
Im Unterschied zu »Chinesenessdiskursen«, in denen ein lineares Geschichtsverständnis vorausgesetzt und »chinesische Identität« durch Rückbindung an eine essenziell verstandene Ursprungstradition »freigelegt« wird, steht die Arbeit für eine kritische Auseinandersetzung mit Geschichte in der zeitgenössischen chinesischen Kunst, indem genealogisch vorgegangen wird. Das heißt, anstatt eine lineare Genese darlegen zu wollen, in einem vermeintlichen Ursprung das Erwartete finden zu wollen, also eine schon bekannte Identität bestätigt zu bekommen, versucht diese Arbeit mit Michel Foucaults Verständnis von Genealogie, »Brüche sichtbar zu machen, die uns durchziehen«.7 Mit anderen Worten, eine solchermaßen historisch dimensionierte Untersuchung möchte Strukturen und ästhetische Artikulationen, die auf den ersten Blick, mit den unmittelbar zur Verfügung stehenden euro-amerikanischen Deutungsmustern verborgen bleiben, ans Licht bringen. Genealogische Methode bedeutet die Analyse einer »Gegengeschichte«, um auf diese Weise Vergessenes ans Licht zu bringen, Möglichkeits- und Unmöglichkeitsbedingungen, das heißt Machtstrukturen offenzulegen und sich damit auseinanderzusetzen, welche Subjekt-Objekt Beziehungen, das heißt welche »Wahrheitsspiele«, welche Regeln für bestimmte Erfahrungsmodalitäten und eine bestimmte Art von Wissen im Zusammenhang mit Kunst konstitutiv waren bzw. sind. Übertragen auf die vorliegende Untersuchung heißt das, dass herausgearbeitet wird, inwiefern in chinesischer Installationskunst bestimmte Bedingungen, Art und Weisen von Subjekt-Objekt Beziehungen und damit zusammenhängende Verständnisse von Kunst reflektiert werden und welche Bedeutung dabei Performativität zukommt. Vor diesem Hintergrund wird anstatt eines statischen Identitätsbegriffs von Identifikationsprozessen ausgegangen. Durch die Betonung des Performativen ist der Aspekt der Verzeitlichung als Bedingung von Bedeutungsgenerierung der rote Faden der gesamten Arbeit. Das erste Kapitel legt aus kultur- und kunsttheoretischer Perspektive dar, warum die Installation, verstanden als Kunstpraxis performativer Bedeutungsgenerierung, aufgrund ihrer medialen Disposition besonders gut geeignet ist, kulturelle Differenz als performativen Übersetzungsprozess jenseits der statischen Identifizierung kultureller Charakteristika zu konzeptionalisieren und inwiefern sie gleichzeitig Konventionen essenzialistischer Bedeutungsgebung und Bedeutungshaftigkeit reflektiert. Im zweiten Kapitel wird dargelegt, wie sich die frühen chinesischen Installationskünstler Mitte der 1980er Jahre die performative Qualität zunächst als Bedingung der damals im Vordergrund stehenden Emanzipation, im Sinne der Entideologisierung von Kunst, zunutze machen. Beeinflusst von poststrukturalistischer Theorie werden symbolische Ordnungen nicht mehr als »naturgegeben«, sondern als konstruiert und somit als veränderlich erkannt und in Konsequenz radikal infrage gestellt. In den 1990er Jahren ist die Installationskunst nach wie vor an sozialen Zusammenhängen interessiert, aber zunehmend 7 | Foucault, Michel 1987, S. 75.
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I NSTALLATIONSKUNST IN C HINA
auch phänomenologisch ausgerichtet. Die Qualität der oftmals performativen Installationen wird nun häufig im urbanen Kontext hinsichtlich ihres Betrachter-Aktivierungspotenzials und mit einer Betonung des Prozesshaften zur Schärfung der Wahrnehmung der Welt fruchtbar gemacht. Im dritten Kapitel bietet die performative Qualität in den Beispielen chinesischer Bewegtbild-Installationen ideale Bedingungen, um die Genealogie des Performativen in ihren transkulturellen Bezügen zu verhandeln. Es wird herausgearbeitet, mittels welcher Strategien der Dislozierung bestimmte Aspekte des Performativen im oben beschriebenen transkulturellen Spannungsfeld kritisch reflektiert und somit thematisiert werden. Um den Umfang der Arbeit realistisch zu halten, beläuft sich der zeitliche Rahmen des kulturhistorischen Kapitels von Mitte der 1980er Jahre bis ins Jahr 2000, wobei die frühe Installationskunst besonders ausführlich behandelt wird. Das dritte Kapitel behandelt Installationen seit Anfang der 1990er Jahre bis heute, beschränkt sich aber auf den Installationstyp der Bewegtbild-Installation. Diese Fokussierung erscheint aufgrund der besonders hohen performativen Qualität, die dieser durch die Betonung der Dimension Zeit in der Bewegtbild-Installation zugeschrieben wird, sinnvoll, da diese sowohl die in der Arbeit zentrale These von der performativen Verhandlung von kultureller Differenz untermauert als auch ideale Voraussetzung für die Reflexion des traditionell performativ angelegten chinesischen Kunstverständnisses ist. Anstatt eines enzyklopädischen Überblicks über die Entwicklungen der Installationskunst in China von ihren Anfängen Mitte der 1980er Jahre bis heute bietet die vorliegende Arbeit also eine diskursive Konzeptionalisierung chinesischer Installationskunst, wie sie sich im transkulturellen Spannungsfeld artikuliert. Vor diesem Hintergrund gliedert sich die vorliegende Arbeit in die folgenden drei Kapitel. Im ersten Kapitel, »Installationskunst als Transformationsmedium im transkulturellen Kontext – Installationskunst in China aus kultur- und kunsttheoretischer Perspektive«, lautet die Ausgangsthese, dass das Medium der Installation aufgrund seiner buchstäblichen Rahmenlosigkeit und der daraus resultierenden spezifischen Ästhetik der Entgrenzung, das heißt wegen seiner performativen Qualität, welche eine essenzialistische Rahmung grundsätzlich unterläuft, ideal ist für die Verhandlung kultureller Differenz im transkulturellen Kontext. Vor dem Hintergrund einer kritischen Einstellung zu der bis heute, wenngleich auch als Negativfolie, dominanten eurozentristischen Repräsentationsästhetik steht in den vorliegenden Ausführungen der modernistisch geprägte objektzentrierte Kunstbegriff und die damit verknüpfte essenzialisierende Identifikation von Bedeutung im gerahmten Kunstwerk im Mittelpunkt, um auf diese Weise kulturessenzialistische Zuweisungen sowie das Denken in dichotomischen Kategorien wie »Eigen« und »Fremd« aufzulösen. Die Installationskunst wird als Ausdruck eines postmodernen Kunstverständnisses vorgestellt, deren mediale Disposition die objektzentrierte und verfügende
E INLEITUNG
Bedeutungsgebung infrage stellt, um stattdessen von performativen Transformations- und Translationsprozessen der Bedeutungsgenerierung auszugehen. Mit der Installation als theatraler, sich aus ihrer rahmenlosen Unabgeschlossenheit ergebender performativer künstlerischer Verfahrensweise verbindet sich nicht nur die radikale Infragestellung des modernistischen objektzentrierten Kunstbegriffs, sondern auch die Herausforderung eines essenzialistischen zugunsten eines performativen Kulturverständnisses. Anstelle eines Subjekt-Objekt-Dualismus wird die Installation als Dazwischen und somit als Ort der Translation verstanden, an dem sich Bedeutung – und somit auch das Betrachtersubjekt – in Übersetzungsprozessen kontinuierlich neu generiert. Um diese These kulturtheoretisch zu konzeptionalisieren, wird das Denkmodell des Dritten Raumes, das der postkoloniale Kulturtheoretiker Homi K. Bhabha entworfen hat, der von diesem auch als Dazwischen spricht, für die Installationskunst fruchtbar gemacht, indem unter besonderer Hervorhebung ihrer gemeinsamen performativen Qualität Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Konzepten statuiert werden. Sowohl für das Konzept des Dritten Raumes als auch für die Installation gilt, dass die Identifikation von Bedeutung in einer als abgeschlossen, als Gefäß verstandenen Kultur bzw. in einem als Objekt konzeptionalisierten Kunstwerk durch ein verfügendes Subjekt abgelehnt wird. Statt der Festlegung von Bedeutung wird diese in der Installation im performativen Betrachterakt temporalisiert, das heißt in der Zeit verhandelt und vermittelt. Da die performative Qualität durch die Betonung der Dimension Zeit in der Bewegtbild-Installation noch gesteigert wird, liegt der Fokus des dritten, historisch-kulturanthropologisch perspektivierten Kapitels der vorliegenden Arbeit auf eben diesem Installationskunst-Typus. Im zweiten, chronologisch angelegten, kulturhistorischen Kapitel der Arbeit, »Installationskunst in China im kultur- und kunsthistorischen Kontext«, wird anhand ausgewählter Installationskünstler, Installationen und Installationsausstellungen ausgeführt, vor welchen soziokulturellen, infrastrukturellen und ideengeschichtlichen Bedingungen sich die Installationskunst in China seit ihren Anfängen Mitte der 1980er Jahre bis zum Jahr 2000, als die Installationskunst im Zuge der ersten internationalen Biennale in Shanghai das erste Mal eine breite lokale und internationale Legitimationsgrundlage erhält, entwickelt hat. Dieser umfangreiche kulturhistorische Teil bietet notwendiges Grundlagenwissen für die anschließende Untersuchung kultureller Differenz in der chinesischen Installationskunst, wie sie in der vorliegenden Arbeit am Beispiel der chinesischen Bewegtbild-Installation aus historisch-kulturanthropologischer Perspektive geleistet wird. Im Zentrum des kulturhistorischen Kapitels steht die Einbettung der Installationskunst in die Kunstgeschichte der modernen chinesischen Kunst seit ihren Anfängen 1979, als durch die Reformen Deng Xiaopings eine Liberalisierung der chinesischen Gesellschaft eintrat und freieres künstlerisches Schaffen wieder möglich wurde. Mit einem besonderen Fokus auf die unterschiedlichen Subjektkonzepte, wie sie seit Anfang der 1980er Jahre in der modernen chinesischen Kunst verhandelt
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I NSTALLATIONSKUNST IN C HINA
werden, wird die Installationskunst der konzeptionellen Kunstströmung zugerechnet und in Abgrenzung zur sogenannten »humanistischen«8 Kunstströmung vorgestellt. Während die »humanistischen« Künstler einem idealistischen Subjektbegriff anhingen, stehen die ideologiekritischen konzeptionellen Künstler, beeinflusst von postrukturalistischen Theorien, für ein dezentriertes Subjektverständnis. In der vorliegenden Arbeit gilt die These, dass mit der Installationskunst als beliebtestem Ausdrucksmittel der frühen konzeptionellen Kunstströmung ein Paradigmenwechsel im Verständnis von Kunst im Allgemeinen und ihrer Funktion verknüpft ist. Im Unterschied zur »humanistischen« Kunst, die in Anlehnung an den offiziellen Modernisierungskurs Kunst als Mittel zur Modernisierung Chinas verstand, war Kunst für die konzeptionellen Künstler Instrument der Kulturkritik. Im dritten Kapitel, »Chinesische Bewegtbild-Installationen als Reflexionsräume traditioneller Betrachtererfahrung aus historisch-kulturanthropologischer Perspektive«, werden chinesische Bewegtbild-Installationen aus historisch-kulturanthropologischer Perspektive in den Blick genommen. Ausgehend von der Feststellung, dass in auffallend vielen chinesischen Bewegtbild-Installationen die in der traditionellen Betrachtererfahrung zentralen bzw. konstitutiven Perzeptionsaspekte der »Berührung« und der »Verlebendigung« dominant verhandelt werden, werden chinesische Bewegtbild-Installationen hier als kritische Reflexionsräume traditioneller Betrachtererfahrung untersucht. Aufgrund der Integration bewegter Bilder wird die Dimension Zeit in der Bewegtbild-Installation besonders betont. In Konsequenz weist dieser Installationstypus eine besonders hohe performative Qualität auf und ist somit ein idealer Raum, um das traditionell performativ angelegte chinesische Kunstverständnis mit Aspekten und Begriffen der europäischen Repräsentationsästhetik zu konfrontieren und gleichzeitig Bezüge zu zeitgenössischen, bislang vor allem euro-amerikanisch geprägten Theorien des Performativen herzustellen. Im dritten Kapitel werden Beispiele der chinesischen Bewegtbild-Installation seit Anfang der 1990er Jahre bis heute behandelt. Dabei bilden Fragen nach den ästhetischen und anthropologischen Bedingungen der Perzeptionsaspekte »Berührung« und »Verlebendigung« den Fokus und es wird herausgearbeitet, welche dominanten Wahrnehmungsmodi und -strukturen sowie Erfahrungsbedürfnisse aus zeitgenössischer Perspektive in der chinesischen Bewegtbild-Installation reflektiert werden.
8 | Vgl. Gao Minglu, 2005a, S. 87 und S. 92–103.
Kapitel I Installationskunst als Transformationsmedium im transkulturellen Kontext – am Beispiel von Installationskunst in China aus kulturund kunsttheoretischer Perspektive
»Über die friedliche und unfruchtbare Existenz verdinglichter Kulturen (den Multikulturalismus) hinaus müssen wir zu einer Kooperation zwischen den Kulturen kommen, die ihrer Identität gleichermaßen kritisch gegenüberstehen – das heißt, das Stadium der Übersetzung erreichen.«1
1. EINLEITUNG Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit über Installationskunst in China als Beispiel sogenannter »nicht-westlicher« Kunst ist das Anliegen, kulturelle Differenz nicht als Substanz, sondern als Artikulation von Verhandlungs- und Übersetzungsprozessen zu konzeptionalisieren, um auf diese Weise das Denken in dichotomischen Kategorien wie »West versus Ost« zu überwinden und stattdessen den miteinander verwobenen und dynamischen Differenzstrukturen der globalisierten Gegenwart gerecht zu werden. Entwickelt wird im Folgenden die These, dass das Medium der Installationskunst aufgrund seiner performativen Verfassung für eine solche Konzeptionalisierung verzeitlichter Differenzgenerierung und -erfahrung prädestiniert ist. Anstelle eines statisch festlegenden Verständnisses von kultureller Differenz, das heißt von Bedeutung, mit dem sich nicht nur ein essenzialistisches Kulturkonzept, sondern, so die These der Arbeit, auch ein objektzentrierter Kunstbegriff verknüpft – 1 | Bourriaud, Nicolas. 2009, S. 25.
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I NSTALLATIONSKUNST IN C HINA
der für die Installationskunst, wie gezeigt werden wird, nicht mehr trägt – wird im Folgenden von einem performativen Kultur- und Kunstverständnis ausgegangen. Anstatt im Kontext der Auseinandersetzung mit »nicht-westlicher« Kunst Unterschiede als vorgängig vorauszusetzen und Bedeutung bzw. kulturelle Charakteristika bzw. kulturelle Identität im Objekt zu identifizieren, wird ein Verständnis von produzierter Bedeutung als Identifikationsprozess entwickelt. Das heißt, an die Stelle der Konzeptionalisierung von kultureller Differenz als identifizierende Bedeutungsgebung, die zudem den Anspruch der Objektivität erhebt, tritt die Vorstellung eines performativen und kontextabhängigen Prozesses der Bedeutungsgenerierung. Mit der Installation als theatraler, sich aus ihrer rahmenlosen Unabgeschlossenheit ergebender performativer künstlerischer Verfahrensweise, verbindet sich nicht nur die radikale Infragestellung des modernistischen, objektzentrierten Kunstbegriffs, sondern auch die Ablehnung eines essenzialistischen zugunsten eines performativen Kulturverständnisses. Der Installation werden aufgrund ihrer performativen Qualität ideale Bedingungen attestiert, das Denken in dichotomischen Kategorien eines Entweder-Oder zugunsten eines transkulturellen, durch postkoloniale Theorie2 informierten Verhältnisses kultureller Differenz infrage zu stellen. Im Folgen2 | Postkoloniale Theorie wird hier nicht als historische – insofern spielt es keine Rolle, dass China im Unterschied zu Indien oder Afrika nicht als ganz, sondern nur als halb-kolonisiert galt –, sondern als analytische und epistemologische Kategorie verwendet, die bisher geltende, von der westlichen Welt dominierte Wissens- und Machtstrukturen in den Fokus nimmt. Exkurs zur Rezeption postkolonialer Theorien in China: Als sich nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 die politische Weltordnung veränderte, wurden im Kontext des in dieser Zeit an Einfluss gewinnenden Postkolonialismus als analytische und epistemologische Kategorie die bisher geltenden, von der westlichen Welt dominierten Wissens- und Machtstrukturen infrage gestellt. Im Unterschied zur Moderne, die national angelegt war und ihren Ursprung im Westen hatte, was zu unauflöslichen Hierarchien zwischen dem »Original«, der »echten« ursprünglichen Moderne im Westen, und der »Kopie«, der »verspäteten« oder »alternativen« Moderne in China, führte, ermöglichten postmoderne und postkoloniale Theorien aufgrund ihrer Betonung des Relationalen eine Verflachung der Hierarchien zwischen China und dem Westen. Wang Ning vertritt die These, dass die Rezeption des Postkolonialismus mit der Rezeption postmoderner Theorien einherging. Vgl. Wang Ning. 2000, S. 21. Nicht nur wirtschaftlich, auch kulturell musste sich China aus postkolonialer und postmoderner Perspektive nun nicht mehr an der westlichen Moderne und ihren Errungenschaften messen. Fredric Jameson schreibt in diesem Zusammenhang: »Unlike modernism, however, which was specifically Western and marked as import, postmodernism in its very nature can be and always is home-grown, its pluralist celebration of difference constituting an immediate authorization of local cultural production over imports, whether from the outside or from the national power centers themselves.« Aus: Jameson, Fredric. 1993, S.5. »Thus, Chinese postmodernity manifests itself in ways ever more closely related to the global postcolonial movement, which finds particular embodiment in the following two aspects. On the one hand, it is not only effective in undermining the domestic power of the master narrative or main-
I NSTALLATIONSKUNST ALS TRANSFORMATIONSMEDIUM IM TRANSKULTURELLEN K ONTEXT
den wird die Installationskunst deswegen als Transformationsmedium konzeptionalisiert, das heißt als relational offener und dynamischer Raum, in dem sich Kultur, das heißt Bedeutung in Prozessen der kulturellen Übersetzung generiert.3 Vor diesem Hintergrund wird anstelle eines verfügenden und identifizierenden Subjektverständnisses – wie dies im Verständnis eines modernistischen Kunstbegriffs, der von einer Trennung zwischen Subjekt und Objekt ausgeht, der Fall ist – von einem vermittelnden und partizipierenden Subjekt als konstitutivem Element der Installation, konzipiert als Prozess der kontinuierlichen Bedeutungsgenerierung, ausgegangen.
stream ideology, but also in deconstructing the dominance of the official discourse, which is marked with the rise of popular and even consumer culture and literature. On the other hand, the practice of or the debate on Chinese postmodernity in the Post-New Period (1990-) has indeed helped its deterritorializing or decentralizing attempt to move from periphery to center, thus creating a pluralistic center rather than a monolithic one.« Aus: Wang Ning. 2004a, S. 599. Im Kontext postmoderner und postkolonialer Theorien ist die kulturelle Vielfalt positiv konnotiert und es bestehen idealerweise keine hierarchischen Abstufungen zwischen »westlicher« und »nicht-westlicher« Kunst. In China löste die Rezeption postkolonialer Theorien und die damit verbundene »Befreiung« von den Fesseln der westlich dominierten Moderne unter einigen Vertretern der offiziellen und konservativen Kreise das Gegenteil aus, indem diese sich aus einem wieder erstarkten kulturellen und nationalen Selbstverständnis heraus vom Rest der Welt abzugrenzen suchten. Zur Rezeption des Postkolonialismus, über Argumente der Befürworter und Gegner der Anwendung der beschreibenden und analysierenden Kategorie des Postkolonialen im chinesischen Kontext siehe auch: Wang Jing. 1996, S. 209 ff. 3 | Der Begriff des Raums wird in der vorliegenden Arbeit relational im Sinne des von Irit Rogoff geprägten Konzepts der »Lage« (site) verwendet, der von Michel Foucaults strukturalistischem Raumbegriff als »Relationen der Lage« geprägt ist. Zu Foucaults Raumdefinition siehe: Wagner, Kirsten. 2010, S. 106. Zum Begriff der »Lage« (site) siehe Irit Rogoffs Ausführungen zu Spectatorship, das heißt zu Blickkonstruktionen und -positionierungen im Kontext kultureller Differenzen. Rogoff betont anknüpfend an die sogenannte postmoderne Geografie mit dem Begriff der Lage (site) die grundsätzliche Unabschließbarkeit und Kontingenz von kultureller Identität als Prozess und Relationsgeflecht. Diese Qualitäten werden auch in der vorliegenden Arbeit über chinesische Installationskunst im transkulturellen Kontext als site der Verhandlung von Differenz hervorgehoben. Anstatt Kultur territorial in Anbindung an einen geografischen Ort zu verstehen, verwendet Rogoff den Begriff der Lage, um zu implizieren, dass der Ort, an dem sich »Diskurse über Ort, Raum, Standortbestimmung und Blick wechselseitig instruieren und konstitutieren, fließend und kontingent ist. […] Diese Lage ist nicht nur die, in der man verortet ist und in Bezug auf die Welt gesehen wird, sondern auch die, von der aus man als Träger eines verorteten Blicks in die Welt hinausschaut«. Aus: Rogoff, Irit. 1996, S. 72.
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2. INSTALLATIONSKUNST – KONZEPTIONALISIERUNG EINES KÜNSTLERISCHEN MEDIUMS IM TRANSKULTURELLEN KONTEXT Grundsätzlich gilt, dass die Installationskunst4 formalästhetisch nicht als spezifische Gattung definierbar ist.5 Anstatt medien- und materialspezifisch zu sein und einer bestimmten Form zu gehorchen, ist die Bedingung ihrer Möglichkeit ihre theatrale Qualität. Die der Installationskunst inhärente Unspezifität löst bei den Menschen laut Ilya Kabakov anhaltende Nervosität aus.6 Sie schürt die Kontroverse, was unter Installationskunst zu verstehen sei und ob es sich bei ihr, ausgehend von einem modernistischen Kunstbegriff, der das »autonome« Werk in den Mittelpunkt stellt, überhaupt um Kunst handle.7 Die allgemeine Definition von Installationskunst ist, dass sie sich in Beziehung zum Betrachter und zum umgebenden Raum generiert: »The term installation art has been used […] to denote temporary, site-specific artworks designed to surround or interact with the spectator and/or extant architecture in a given exhibition space.«8 4 | Dem Begriff der Installation vorgängig war der Begriff des Environment, der von Alan Kaprow geprägt wurde. Bei Julie Reiss ist in diesem Zusammenhang zu erfahren: »The first issue of the Art Index that lists installations is volume 27, November 1978 to October 1979. Under ›Installation‹, the researcher is advised to ›see Environment (Art)‹. In the next fourteen volumes, ›installation‹ continues to be indexed with no listing other than cross-reference to Environment. Not until volume 42, November 1993 to October 1994 does ›installation‹ appear with an actual listing of articles. At that point Environment ceases to be a category. The term ›installation‹ appeared as ist own listing in general reference books sooner than it did in The Art Index. The Oxford Dictionary of Art (1988) defines installation as a ›term which came into vogue during the 1970 for an assemblage or environment constructed in the gallery specifically for a particular exhibition.‹« Diese Auszüge und weitere Beispiele der Aufnahme des Begriffs der Installation in Nachschlagewerken siehe: Julie Reiss 1999, S. xii. 5 | »Rejecting the notions of orthodox artwork, the installation denies definition. It is a hodge-podge of objects, images, and sounds, refusing to be categorized into the standard artistic genres (painting, sculpture, drawing, for instance).« Aus: Hodnett, Natasha. 2007. »Er [der Begriff der Installation; B. H.] gerinnt viel eher zur Chiffre der Auflösung eines kunsttheoretischen Diskurses der Moderne, der traditionell genau um diese Topoi zentriert war: Material, Technik, Genre.« Aus: Baier, Simon. 2008, S. 129. Ausführliche Ausführungen zur weitläufigen Genealogie der Installationskunst siehe beispielsweise Bahtsetzis, Sotirios. 2005, De Oliveira, Nicholas; Nicola Oxley und Michael Petry. 1994, Reiss, Julie. 1999, Rosenthal, Marc. 2003. 6 | Ilya Kabakov, Margarita Tupitsyn, und Victor Tupitsyn. 1999, S. 62. 7 | Vgl. Juliane Rebentisch, Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main 2003, S. 8. Unter »autonomem Kunstwerk« ist hier die betrachterunabhängige modernistische Konzeptionalisierung des Kunstwerks gemeint. 8 | Jennifer A. Gonzales. 1998, S. 503.
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Konstituierende Funktion in der Installation kommt dem Betrachtersubjekt zu, das unabdingbar am Prozess der Bedeutungsgenerierung – der in der vorliegenden Arbeit als Übersetzungsprozess verstanden wird – beteiligt ist. Julie H. Reiss schreibt in diesem Zusammenhang: »The essence of installation art is spectator participation[…] the viewer is required to complete the piece, the meaning evolves from the interaction between the two.«9 Bevor die Installationskunst als Transformationsmedium im transkulturellen Kontext entwickelt wird, sei zunächst darauf hingewiesen, dass die Installation aufgrund ihres offenen Charakters bereits in der früheren Forschung als eine die interkulturelle Kommunikation befördernde lingua franca bezeichnet worden ist.10 Thomas Mc Evilley spricht der Installationskunst im interkulturellen Kontext eine besondere Eignung zu »because it does not unambiguously proclaim any particular cultural hegemony«.11 Auch Marc Rosenthal, offensichtlich auf den ihr inhärenten Polyzentrismus Bezug nehmend, attestiert der Installationskunst hohe Bedeutung in einer zunehmend transkulturell verstandenen Welt und begreift sie zudem als ideale künstlerische Kulturtechnik im Kontext kultureller Hybridisierung:12 »Given the increasing occurrence of transcultural experiences, the art technique of installation can effectively investigate the multiple realities and points of view common to one’s experiences of life«.13 »As with music, the practice of installation throughout the world creates an artistic crossfertilization, one that minimizes the effect of the early twentieth-century European avantgarde on current developments and, instead, promotes hybridisation of every imaginable kind. The very nature of an installation gives the artist an extraordinary opportunity by which to accommodate complex views of time, space, cultural diversity, philosophy, imagination, and cultural criticism.«14
Im Zusammenhang mit dem Begriff der Hybridität, der hier mit der Betonung seiner translatorischen Qualität verwendet wird, gilt es, die Installation in der vorliegenden Arbeit als Kunstpraxis performativer Bedeutungsproduktion und in diesem Sinne als Transformationsmedium vorzustellen.15 9 | Julie H. Reis, From Margin to Center. The Spaces of Installation Art, Cambridge, Mass./ London 1999, S. xiii. 10 | Unveröffentlichter Vortrag von Lisa Dorin, zitiert nach Rosenthal, Marc. 2003, S. 71. 11 | McEvilley, Thomas. 1998, S. 75. 12 | Ausführungen zur Installationskunst verstanden als transkulturelle Kulturtechnik siehe: Hopfener, Birgit. 2010a, S. 293–310. 13 | Rosenthal, Marc. 2003, S. 71. 14 | Rosenthal, Marc. 2003, S. 86–87. 15 | Der kulturtheoretische Begriff der Hybridität, der in der postkolonialen Theorie zentral
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Abb. 1: Song Dong, Touching My Father (fumo wo fuqin), Installation, 1998
Quelle: Ausst.-Kat. Song Dong. 2008. Zendai Museum Shanghai.
Song Dongs Videoinstallation Touching my Father (fumo wo fuqin) (1998) (Abb. 1) soll in diesem Kontext als Anschauungsbeispiel dienen. Inmitten eines leer stehenden Tempels sitzt auf einem Stuhl ein älterer Mann, auf dessen Körper der Künstler Bilder seiner eigenen Hand projiziert. Wie bereits der Titel suggeriert, wird hier die Beziehung zwischen Vater und Sohn thematisiert. Doch anstatt diese Beziehung abzubilden, das heißt zu repräsentieren, und in Konsequenz Bedeutung in einer geschlossenen Form ikonografisch, stilistisch und auf einen Blick, wie es dem modernistischen objektzentrierten Kunstbegriff entsprechen würde, zu identifizieren, wird die Beziehung zwischen Vater und Sohn in dieser Videoinstallation durch die Videoprojektion performativ vermittelt und erst durch die Betrachtereinbeziehung als künstlerische Arbeit hervorgebracht.16 Die Thematisierung der Beziehung zwischen Vater und Sohn kann im vorliegenden Kontext als Ausdruck einer performativen Generierung von Bedeutung in der verwendet wird, bedeutet, dass Kultur als ein Prozess der andauernden Durchdringung verstanden wird. Hybridität ist somit zu unterscheiden von einem multikulturellen Nebeneinander und von einer über dialektische Vermittlung erreichten Synthese. Vgl. Held, Jutta und Norbert Schneider. 2007, S. 480, Young, Robert C. 1995. 16 | Eine ausführliche Besprechung dieser Installation findet sich im 3. Kapitel der vorliegenden Arbeit.
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Zeit verstanden werden. Wie die Beziehungen zwischen Menschen, so generiert sich Bedeutung in Song Dongs Installation kontextuell, das heißt ortsspezifisch und in der Zeit des Betrachtungsvorganges, in Relation zwischen dem Betrachter und dem Raum sowie vor dem jeweiligen Erfahrungshorizont des Betrachters. Anstatt Bedeutung einmalig festzulegen, ist die Bedeutungsgenerierung in Song Dongs Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes eine lebendige, weil die Bedingung ihrer Möglichkeiten die kontinuierliche Transformation ist. Angetrieben durch Momente der Entfremdung, indem der Betrachter seine eigenen Erfahrungen kontinuierlich mit der in Song Dongs Arbeit visualisierten abgleicht und somit auch selber Teil des Transformationsprozesses wird, konstitutiert sich die Arbeit, verstanden als Identifikationsprozess, durch ständiges In-Bezug-Setzen in konstruktiver Differenzerfahrung. Aufgrund ihrer performativen Qualität ist, wenn von der Installation als Transformationsmedium die Rede ist, selbstverständlich kein modernistischer Medienbegriff im Sinne eines (Bild-)Trägermediums nach Clement Greenberg gemeint.17 In der vorliegenden Arbeit wird vielmehr auf die etymologische Bedeutung des Begriffs »Medium« als ein vermittelndes »Dazwischen« abgehoben und somit die relationale Verfassung der medialen Disposition der Installationskunst als Situation betont.18 Bedeutung ergibt sich in der Installation durch ständiges In-Bezug-Setzen, weswegen die Installation als Meta-Medium verstanden werden kann, das heißt als Medium, das die ihm immanente vermittelnde performative Qualität – in ihrer Konstitution und Wirkweise – reflektiert und fruchtbar macht. Die mediale Disposition der Installation stellt auf diese Weise die objektzentrierte und verfügende Bedeutungsgebung infrage, um von Prozessen der Bedeutungsgenerierung in einer dynamischen Struktur auszugehen. Bedeutung wird nicht als vorgängig und gegeben, sondern als kontinuierlich in Prozessen der Transformation bzw. Translation zwischen Installation, Betrachtersubjekt und umgebenden Raum produziert verstanden. Als Bedingung ihrer performativen Qualität gilt die theatrale Verfassung der Installation, das heißt die Theatralisierung der Werk-Betrachter-Beziehung, als eines 17 | Greenberg, Clement [1940] 2003, S. 684. Im Unterschied zu Greenberg wird der Begriff des Mediums in der vorliegenden Arbeit also nicht mehr im Sinne eines Darstellungsmittels verwendet. Nach Rosalindt Krauss befinden wir uns seit Marcel Duchamps Erfindung des Readymade, das die konzeptionelle Voraussetzung für das künstlerische Ausdrucksmittel der Installation darstellt, im post-medialen Zeitalter: »Whether it calls itself installation art or institutional critique, the international spread of the mixed media installation has become ubiquitous. Triumphantly declaring that we now inhabit a post-medium age […]«. Aus: Krauss, Rosalindt. 1999, S. 20. 18 | Etymologisch auf das lateinische medius zurückgeführt, bezeichnet der Begriff des Mediums das in der Mitte Befindliche, das dazwischen Liegende. Vgl. Trebeß, Achim. 2006, S. 251.
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ihrer Strukturmerkmale.19 Der Begriff der Theatralität, wie ihn der modernistische Kunstkritiker Michael Fried geprägt hat, geht zurück auf dessen Kritik an der Minimal Art der 1960er Jahre und der damit verbundenen Erweiterung des Werks hin zur Situation. Mit dem minimalistischen Objekt, das sich den repräsentationalen und narrativen Ebenen verweigert, rückten die Erfahrung der Situation, also die Relationalitäten zwischen ihren Elementen, das heißt zwischen Werk und Betrachter sowie zwischen Werk und Raum, in den Vordergrund. Michael Fried schreibt hierzu in seinem berühmte Essay »Art and Objecthood«: »Die literalistische Anschauung ist theatralisch zunächst, weil sie die tatsächlichen Umstände berücksichtigt, unter denen der Betrachter literalistischen Arbeiten begegnet. […] Morris bringt das klar zum Ausdruck, während in früherer Kunst ›alles‹, was das Werk hergibt, stets in ihm lokalisiert« ist, wird in der literalistischen Kunst ein Werk in einer Situation erfahren – und zwar in einer, die geradezu definitionsgemäß den Betrachter mit umfasst …«20 Modernistische Malerei und Skulptur sind nach Clement Greenberg und Michael Fried im Gegensatz dazu zuallererst dadurch bestimmt, nicht auf ein Publikum, geschweige denn auf dessen Einbeziehung, gerichtet zu sein. Sie sind unabhängig vom Betrachter immer vollständig und deshalb als autonom zu verstehen. Die Bedeutung liegt in der Syntax des Kunstwerks selbst, wie Fried am Beispiel von Skulpturen von Anthony Caro anschaulich macht: »In diesem unauflöslich mit dem Konzept des Bedeutens verknüpften Sinne ist es zu verstehen, dass alles, was in Caros Kunst betrachtenswert ist, in ihrer Syntax liegt. […] Caros Skulpturen scheinen die Bedeutungshaftigkeit als solche zu essenzialisieren.«21 Moderne Werke sind laut Fried in jedem Moment manifest und auf Überzeugung angelegt. Ganz anders verhält es sich mit der theatralen Minimal Art. Ihre Bedeutung ergibt sich im Unter-
19 | Rebentisch, Juliane. 2003: In ihrer »Ästhetik der Installation« nennt Juliane Rebentisch die drei maßgeblichen Strukturmerkmale, die in der philosophisch-theoretischen Beschäftigung mit Installationskunst zentral sind. Es sind die Begriffe: Theatralität, Intermedialität und Ortspezifik. Mit Rebentisch soll an dieser Stelle auch betont werden, dass die Theatralität keine Besonderheit der installativen Kunst ist, dass die Installation diesen Begriff aber expliziert reflektiert. »Gegen Fried und einen Großteil seiner KritikerInnen werde ich im folgenden die These vertreten, dass Theatralität nicht eine zu kritisierende oder zu affirmierende Eigenschaft einer bestimmten ›postmodernen‹ Kunst ist, sondern ein Strukturmerkmal aller Kunst. […] Allerdings hat die Kunst der Installation auf eben die allgemeinen Probleme der philosophischen Ästhetik, die unter der Überschrift dieses Begriffs verborgen sind, neues Licht geworfen. Durch sie sind die zentralen Begriffe der modernen Ästhetik unter Druck geraten, muss das Problem der ästhetischen Autonomie, müssen die Begriffe des Werks und der ästhetischen Erfahrung neu durchdacht werden.« Aus: Rebentisch, Juliane. 2003, S. 22–23. 20 | Fried, Michael [1967] 2003, S. 1014. 21 | Ebd., S. 1019.
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schied zum modernistischen Werkverständnis nicht im Augenblick, sondern im Prozess offener Zeiterfahrung. »Die Beschäftigung mit der Zeit markiert einen grundlegenden Unterschied zwischen der literalistischen Kunst und der modernen Malerei und Skulptur. Es scheint, dass die Erfahrung der letztgenannten keine Zeitdauer hat, nicht weil man diese Kunst nicht tatsächlich in der Zeit erfährt, sondern weil das Werk in jedem Moment gänzlich manifest ist. Diese fortwährende und vollständige Gegenwärtigkeit, gewissermaßen eine unaufhörliche Selbstschöpfung, wird erfahren als eine Art Augenblicklichkeit: als reichte, wenn man nur unendlich viel scharfsichtiger wäre, ein einzelner kurzer Moment aus, um alles zu sehen, um das Werk aus seiner ganzen Tiefe und Fülle zu erfahren, um für immer von ihm überzeugt zu sein.«22 Im Unterschied dazu ist die theatrale Kunst auf Unerschöpflichkeit angelegt, sie will nicht überzeugen, sondern Interesse wecken und aufrechterhalten. Diese Unerschöpflichkeit, die in der vorliegenden Arbeit gemeint ist, wenn von der entgrenzten Qualität der Installationskunst gesprochen wird, wird im Kontext der kritischen Auseinandersetzung mit der Minimal Art bei Fried an deren »Buchstäblichkeit« festgemacht, die keine in der Objektsyntax festgelegte Bedeutung offeriert, sondern dem Betrachtersubjekt vielmehr unendliche Projektionen von Bedeutung zumutet. In der vorliegenden Arbeit wird die Theatralität der Installationskunst als Transformationsmedium im transkulturellen Kontext positiv, als Bedingung der performativen Konzeptionalisierung von Bedeutung und ergo der Konzeptionalisierung kultureller Differenz abseits dichotomischer Kategorien verstanden. Es gilt die These, dass sich die Entgrenzung der Installationskunst als Transformationsmedium im transkulturellen Kontext im Unterschied zur Minimal Art nicht aufgrund von Buchstäblichkeit, sondern als Produktionsraum unabschließbarer, das heißt unerschöpflicher kultureller Signifikations- und Symbolisierungsprozesse ergibt. Anstatt fest gefügter, das heißt gemachter Verbindungen, wie sie für den modernistischen Kunstbegriff am Beispiel der objektivistischen Skulpturen von Caro behauptet werden, sind die Beziehungen in der Installation sub-jektiviert und werden in performativen Prozessen der Verhandlung ständig neu produziert. Um die Installationskunst als ideales Medium zur Verhandlung von kultureller Differenz im transkulturellen Kontext kulturtheoretisch zu konzeptionalisieren, wird im Folgenden das Denkmodell des Dritten Raumes, das der postkoloniale Kulturtheoretiker Homi K. Bhabha entworfen hat, für die Installationskunst fruchtbar gemacht, indem unter besonderer Hervorhebung der performativen Qualität phänomenologische Gemeinsamkeiten zwischen dem Konzept des Dritten Raums und dem Medium der Installationskunst herausgearbeitet werden. Wie bereits angekündigt, wird in der vorliegenden Arbeit auf diese Weise also nicht nur der modernistische Kunstbegriff, sondern auch das essenzialistische
22 | Ebd., S. 1021.
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Kulturverständnis infrage gestellt. Der Konzeptionalisierung der Installationskunst als Dritter Raum seien zunächst kulturtheoretische Ausführungen vorangestellt.
3. KULTURTHEORETISCHE AUSFÜHRUNGEN – ESSENZIALISTISCHE BEDEUTUNGSIDENTIFIZIERUNG VERSUS PERFORMATIVE BEDEUTUNGSPRODUKTION Grundsätzlich wird in der vorliegenden Untersuchung von einem performativen Kulturkonzept kontinuierlicher Einschreibung und Artikulation, das heißt von einem hybriden Kulturverständnis anstelle essenzialistischer Modelle kultureller Diversität und eines multikulturellen Exotismus ausgegangen.23 »[…] conceptualizing an international culture, based not on the exoticism of multiculturalism, or the diversity of cultures, but on the inscription and articulation of ›culture’s hybridity‹.«24 Ausgegangen wird also anstelle einer statischen Konzeption von Kultur als epistemologischem Objekt von Kultur als unabschließbarem kulturellen Signifikationsund Symbolisierungsprozess. Nach Homi K. Bhabha müssen Kulturen als offene, in kontinuierlicher Praxis der symbolischen Bedeutungsgebung miteinander vernetzte Gebilde verstanden werden. Dieses Verständnis basiert auf der und bedingt gleichzeitig die Rede einer unbedingt als transkulturell verstandenen »Realität«. Obgleich die traditionelle Vorstellung von vermeintlich reiner und abgeschlossener Kultur, wie sie Ende des 18. Jahrhunderts insbesondere von Johann Gottfried Herder geprägt wurde, aus heutiger Sicht schon damals nicht der Wirklichkeit entsprach, sondern als ideologisches Konstrukt der damaligen Zeit verstanden werden muss, so ist es in der heutigen Welt globaler Austauschprozesse und der damit in hohem Maße einhergehenden kulturellen Durchdringung offensichtlich, dass von einer transkulturellen Kulturkonzeption25 ausgegangen werden muss26 und dass Kulturen nur als vermischt und
23 | »Hybridisierung ist nach Homi K. Bhabha ein Prozess, der dualistische wie statische Unterscheidungen wie das Eigene und das Fremde, innen/außen etc […] unterläuft und ihre Konstrukthaftigkeit bloßlegt.« Aus: Ha, Kien Nghi. 2005, S. 88. 24 | Bhabha, K. Homi. 1994, S. 38–39. 25 | Der Begriff der Transkulturation geht zurück auf Fernando Ortiz (1940). Vgl. Ansgar Nünning (Hg.). 2004, S.668 und S. 507. 26 | »Cultures de facto no longer have the insinuated form of homogeneity and separateness. They have instead assumed a new form, which is to be called transcultural insofar that it passes through classical cultural boundaries. Cultural conditions today are largely characterized by mixes and permeations. The concept of transculturality […] seeks to articulate that altered cultural condition.« Aus: Welsch, Wolfgang. 1999, S. 3.
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in sich heterogen verstanden werden können.27 Während die essenzialistische Vorstellung von innerlich homogenen und voneinander separierten Kulturen ausgeht, so entspricht es der transkulturellen Perspektive, dass Kulturen als offene und heterogene Gebilde verstanden werden. Anstatt Kultur als homogene Entität zu begreifen, deren kulturspezifische Charakteristika, deren wesensmäßig verstandene Identität sich durch Rückbindung an einen kulturellen Speicher und damit einhergehend an eine vermeintlich originäre Quelle, an eine essenziell und statisch verstandene, homogene nationale und territoriale Kultur festlegen lassen, welche in der Regel biologisch oder ethnisch begründet ist, artikuliert sich kulturelle Differenz und Kultur als Identifikationsprozess, informiert durch postkoloniale Kulturtheorie,28 als offener Prozess der unaufhörlichen Hybridisierung.29 Mit Bhabha gesprochen finden diese Prozesse der Hybridisierung nicht nur zwischen, sondern innerhalb von Kulturen statt, die, wie bereits weiter oben beschrieben, als offene Signifikationsprozesse verstanden werden. Der postkoloniale Theoretiker konzipiert kulturelle Hybridisierungsprozesse in Referenz zu Ferdinand de Saussures30 strukturalistischem Konzept der Differentialthese, wonach Signifikanten ihre Bedeutung nicht aus festen Verknüpfungen zu den jeweiligen Signifikaten, sondern in Differenz zu anderen Signifikanten erhalten. Die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat ist nur durch sprachliche 27 | Sowohl Wolfgang Welsch, der im Kontext der Diskussion und Theoriebildung von Transkulturalität eine wichtige Rolle spielt, als insbesondere auch Homi K. Bhabha betonen, dass diese innere heterogene Verfasstheit von Kultur Voraussetzung für transkulturelle Interaktionen, das heißt wechselseitige Durchdringungen ist. Denn erst aufgrund dieser Kondition, die Offenheit impliziert, werden Hybridisierungsprozesse möglich. Wolfgang Welsch. 1999, S. 194–213. Homi K. Bhabha. 1990, S. 209–210 und Homi K. Bhabha, translocation_new media/art. Don’t mess with Mister In-Between (Interview), in: http://www.translocation.at/d/ bhabha.htm (Zugriff am 9.6.2010). 28 | Im Unterschied zu Nicolas Bourriaud, der postkoloniale Theorie auf die multikulturelle Ideologie der Anerkennung des Anderen reduziert, weil sie ex negativo in der binären Logik von Kolonialherren versus Kolonialisierten verhaftet bleibt, werden Konzepte des postkolonialen Theoretikers Homi K. Bhabha in der vorliegenden Arbeit konstruktiv, als Methode der Beschreibung und Analyse von Differenzartikulationen und -erfahrungen verwendet.Vgl. Bourriaud, Nicolas. 2009, S. 13 und S. 37. 29 | Der ursprünglich negativ konnotierte Begriff der Hybridität erfuhr in der postkolonialen Theorie eine positive Umwertung. Hybridität bezeichnet seitdem die Fruchtbarkeit kultureller Vermischungen jenseits kultureller Reinheit. Zur Genealogie des Begriffs der Hybridität siehe Doris Bachmann-Medick. 2007, S. 197 und Ha, Kien Nghi. 2005: Ausgehend von einer Gegenwartsdiagnose rekonstruiert er die sich wandelnden Vorstellungen über das Hybride aus kulturhistorischer Perspektive und analysiert den Begriff im Kontext postmoderner Verwertungsprozesse in spätkapitalistischen Kulturindustrien. 30 | Ferdinand de Saussure (1857–1913) war ein Schweizer Sprachwissenschaftler und gilt gemeinhin als Begründer der modernen Linguistik.
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Konventionen festgelegt und deswegen arbiträr. Das heißt, Bedeutung darf nicht als ontologische Eigenschaft eines Zeichens gedacht werden und ist somit nie absolut. Kultur als Text verstehend,31 geht Bhabha, beeinflusst von Saussures Zeichentheorie, davon aus, dass sich kulturelle Differenz auf semiotischer Ebene im Spiel der Signifikanten und Signifikate artikuliert, deren Beziehungen auf kulturellen Konventionen beruhen und somit nicht als natürliche, sondern als arbiträre und deswegen als veränderliche zu verstehen sind.32 Um essenzialistische Sprach- und Bedeutungskonzeptionen infrage zu stellen, bezieht sich Bhabha des Weiteren auf den différance-Charakter der Sprache, wie er in Jaques Derridas poststrukturalistischer Zeichentheorie formuliert ist. Sich auf Saussures Differentialthese beziehend, befinden sich nach Derrida alle Zeichen in einem ständigen Spiel von Wiederholung und Differenz: »[…] das Spiel der Differenz ist die Bedingung der Möglichkeit des Funktionierens eines jeden Zeichens«.33 Es ist dieses Spiel der Differenz, das Derrida mit dem Konzept der différance beschreibt. Différance ist demnach nicht als feststehender Begriff zu verstehen, sondern vielmehr als ein »Bündel«34 zu beschreiben, in dem ständig neue Beziehungen hergestellt und durch Verschiebungen, das heißt differenzielle Verweise, Bedeutungsräume eröffnet werden. Im Mittelpunkt steht die Produktivität des Ineinanderwirkens von Differenz.35 Bedeutung ist also laut Derrida nie gegenwärtig, sondern ergibt sich erst durch Verzeitlichung. Seinem Konzept der Iterabilität zufolge ist alles Gegenwärtige von Vergangenem durchdrungen, sind alle Zeichen als Zitate zu verstehen, mit anderen Worten, es gibt keine ursprüngliche und auch keine endgültige Bedeutung. Bedeutung ist somit immer ambivalent und nur so kann sich Bedeutung kontinuierlich aufs Neue generieren. Die Gegenwart entzieht sich kontinuierlich und Bedeutung ergibt sich durch Verzeitlichung, indem das Spiel der Zeichen durch den performativen Akt der »Lektüre« angetrieben wird.36 Bedeutung wird auf diese Weise zugleich
31 | Beeinflusst durch Jaques Derridas »il n’y a pas de hors texte« (ungefähr: »es gibt nichts außerhalb des Texts«). Aus: Derrida, Jaques. [1967] 2003, S. 139. 32 | Bonz, Jochen; Karen Struve. 2006, S.142. 33 | Derrida, Jaques. [1967], in: Engelmann, Peter. 1988, S. 33. 34 | Ebd., S. 32. 35 | Bonz, Jochen; Karen Struve. 2006, S.142. 36 | An dieses Stelle soll betont werden, dass dadurch, dass es nach Derrida nichts außerhalb der Sprache gibt, mit seinen Ausführungen ein unbedingt anti-metaphysischer Kunstbegriff verbunden ist. Aufgrund des unendlichen Spiels der Zeichen ist die absolute Gegenwart immer schon entzogen und Sprache und Schrift legen das Verschwinden der natürlichen Präsenz frei: »Wenn aber die différance das ist (ich streiche das ›ist‹ durch), was die Gegenwärtigung des gegenwärtigen Seienden ermöglicht, so vergegenwärtigt sie sich nie als solche. Sie gibt sich nie dem Gegenwärtigen hin. Niemanden.« Aus: Derrida, Jaques. [1967] 2003, S. 80–81.
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ermöglicht und produziert, wie deren vermeintliche Vollständigkeit, das heißt statische Festlegung verhindert wird. »No culture is full unto itself, no culture is plaining plentitudinous, not only because there are other cultures which contradict its authority, but also because its own symbol-forming activity of representation, language, signification and meaning making, always underscores the claim to an originary, holistic, organic identity.«37 »The specificity of signification can not be reproduced in an imitative sense; it can only be re-presented as an iterative, re-initiation of meaning that awakens the sign (as mode of intention) to another, analogical linguistic life.«38
Im Gegensatz zu einem statischen Identitätskonzept, das essenzielle Differenzen voraussetzt, werden Differenzen im Hybridisierungskonzept unter Voraussetzung von in sich heterogenen, ergo hybriden und offenen Kulturen nicht mehr als taxonomisch, sondern als interaktiv verstanden. Das bedeutet, dass Differenzen zwar mit Blick auf die Bedingungen ihrer Ungleichheit anerkannt, aber unter der Prämisse der Verhandlung von Differenz ständig neu ausgehandelt werden.39 Statt Kultur essenzialistisch in fest gefügten Dichotomien und Antagonismen wie »West versus Ost« oder »Tradition versus Moderne« zu denken, rücken im poststrukturalistisch geprägten transkulturellen Verständnis von Kultur, wie es in der vorliegenden Arbeit vertreten wird, Gelenke und kulturelle Ambivalenzen in den Mittelpunkt. Kultur generiert sich in performativen Prozessen der Transkulturation oder, um mit Homi K. Bhabha zu sprechen: Kultur ist Übersetzung.40 Durch die Betonung
37 | Bhabha, K. Homi, in: Rutherford, Jonathan (Hg.). 1990, S.210. 38 | Bhabha, K. Homi. 2009, S. xi. 39 | Bachmann-Medick, Doris. 2007, S. 197. 40 | »At this point I’d like to introduce the notion of ›cultural translation‹ (and my use of the word is informed by the very original observations of Walter Benjamin on the task of translation and on the task of the translator) to suggest that all forms of culture are in some way related to each other, because culture is a signifying or symbolic activity. The articulation of cultures is possible not because of the familiarity or similarity contents, but because all cultures are symbol-forming and subject-constituting, interpellative practice. […] In that sense there is no ›in itself‹ and ›for itself‹ within cultures because there are always subject to intrinsic forms of translation.« Bhabha, K. Homi, translocation_new media/art. Don’t mess with Mister In-Between (Interview), in: http://www.translocation.at/d/bhabha. htm (Zugriff am 9.6.2009). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Nicolas Bourriauds Konzeptionalisierung des »Altermodernen« in Abgrenzung von post-kolonialer Theorie zu kurz greift, wenn er diese auf eine Ideologie der Anerkennung des Anderen reduziert, die in binären Strukturen verhaftet bleibt und keine konstruktiven Vorschläge der transkulturellen In-Bezug-Setzung bietet. Bourriauds Konzept des »Altermodern« als übersetzende Moderne,
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des Begriffs der Übersetzung soll im Kontext der vorliegenden Arbeit die These vertreten werden, dass es sich bei den Hybridisierungsprozessen nicht um passive Vermischungen, sondern im Gegenteil um aktive Übersetzungsprozesse handelt. Die Differenzstruktur eines Signifikantennetzes unterliegt demnach einem permanenten Wandel, wobei der performative Akt der »Lektüre« konstitutiv für die kontinuierliche Generierung von Bedeutung ist. Im Sinne der Sprechakttheorie wird die Signifikantenstruktur, das heißt Bedeutung durch Lektüre produziert; und aufgrund verschiedener Bedingungen eröffnet sich in diesem performativen Akt etwas Neues.41 der er einen neuen Universalismus, der auf Übersetzung basiert, attestiert, stellt mit Blick auf die Darlegungen in der vorliegenden Arbeit entlang Bhabhas postkolonialem Konzept der kulturellen Übersetzung keine grundlegende Neuerung dar. Zum Konzept des »Altermodernen« siehe: Bourriaud, Nicolaus. 2009 und Ausst.-Kat. Altermodern.Tate Triennal. 2009. Nicolas Bourriaud (Hg.). London. 41 | Dass im performativen Akt der Lektüre etwas Neues produziert wird, geht zurück auf Jaques Derrida [1967] 2003, S. 1139. An dieser Stelle soll zudem auf die Sprechakttheorie des Sprachphilosophen John L. Austin hingewiesen werden, die Derridas sprachphilosophische Überlegungen der différance beeinflusst hat. John L. Austin führt 1955 den Begriff »performativ« in die Sprachphilosophie ein. Unter dem Titel »How to do things with Words« formulierte er, dass sprachliche Äußerungen »nicht nur dem Zweck dienen, einen Sachverhalt zu beschreiben oder eine Tatsache zu behaupten, sondern dass mit ihnen auch Handlungen vollzogen werden, dass es also außer konstativen auch performative Äußerungen gibt. Die Eigenart dieser zweiten Art der Äußerung erläutert er unter Bezug auf die sogenannten ursprünglichen Performativa. Wenn jemand beim Wurf der Flasche gegen einen Schiffsrumpf den Satz äußert: ›Ich taufe dieses Schiff auf den Namen Queen Elizabeth‹ oder der Standesbeamte nach der Bekundung beider Partner, dass sie miteinander die Ehe eingehen wollen, den Satz spricht: ›Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau‹, so ist mit diesen Sätzen nicht ein bereits existierender Sachverhalt beschrieben – weswegen sie auch nicht als ›wahr/richtig‹ oder als ›falsch‹ klassifiziert werden können. Vielmehr wird mit diesen Äußerungen ein neuer Sachverhalt geschaffen. […] Das Aussprechen dieser Sätze hat die Welt verändert. Denn die Sätze sagen nicht nur etwas, sondern sie vollziehen genau die Handlung, von der sie sprechen. Das heißt sie sind selbstreferentiell, insofern sie das bedeuten, was sie tun, und sie sind wirklichkeitskonstituierend, indem sie die soziale Wirklichkeit herstellen, von der sie sprechen.« Zum ersten Mal wurde hier für die Sprachphilosophie formuliert, »dass Sprechen eine weltverändernde Kraft entbinden und Transformationen bewirken kann.« Aus: Fischer-Lichte 2004, S. 31–32. Wichtig im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit ist zu erwähnen, dass nach FischerLichtes »Ästhetik des Performativen« es auch Austin zuzuschreiben ist, der konstatiert, dass es gerade das Performative ist, welches eine Dynamik in Gang setzt, »die dazu führt, das dichotomische begriffliche Schema als ganzes zu destabilisieren«. Aus: ebd., S. 33. Hinzuzufügen seien in diesem Kontext Dorothea von Hantelmanns Ausführungen, die in ihrer Publikation How to Do Things With Art. Zur Bedeutsamkeit der Performativität von
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»It is the openness or ›emptiness‹ of the signifier – the untranslatable movement between the intended object and its mode of intention – that enables a speech-act to become the bearer of motivated meanings and deliberative intentions, in situ, at the moment of enunciation.«42 Mit dieser Definition von Kultur als Übersetzung verknüpft sich ein neues Verständnis von Translation als kulturelle Übersetzung. Statt die Übersetzung bzw. das Übersetzungsprodukt als zweitrangige Version eines Originals zu verstehen, anstatt also das Bild einer Brücke zwischen den Kulturen zu bemühen, wird Übersetzung, ausgehend von in sich hybrider Kultur, als kontinuierliche Verhandlung von Differenz verstanden:43 »Translation is also a way of imitating but in a mischievous, displacing sense – imitating an original in such a way that the priority of the original is not reinforced but by the very fact that it can be simulated, copied, transferred, transformed, made into a simulacrum and so on: the ›original‹ is never finished or complete in itself. The ›originary‹ is always open to translation so that it can never be said to have a totalised prior moment of being or meaning – an essence«.44
4. AUSFÜHRUNGEN ZU HOMI K. BHABHAS KONZEPT DES DRITTEN RAUMES Ort der Übersetzung, der Hybridisierung und somit der kontinuierlichen Generierung von Kultur ist laut Bhabha der Dritte Raum,45 in dem im Zuge von Hybridisierungs- bzw. Übersetzungs- und Transformationsprozessen etwas Drittes, etwas Neues artikuliert wird. Der Dritte Raum ist weder Ort der Synthese von zwei ursprünglichen Entitäten,46 noch ist er als physikalisch messbarer Raum zu verstehen.
Kunst zeigt, dass Kunst immer eine performative Dimension aufweist, welche die Teilhabe des Kunstwerks an der Konstitution von Realität bezeichnet. Sie bezeichnet das Eingebundensein der Kunst in eine Realität, die jedes Kunstwerk immer auch mit hervorbringt. Siehe von Hantelmann, Dorothea. 2007. 42 | Bhabha, K. Homi. 2009, S. xi. 43 | Vgl. Michaela Wolfs Ausführungen über die Entwicklung des kulturtheoretischen Begriffs der kulturellen Übersetzung : Michaela Wolf. 2008, S.1. 44 | Bhabha, K. Homi. 1990, in: Jonathan Rutherford (Hg.). 1990, S. 210. 45 | Bhabha, K. Homi. 1994, S. 53–56. 46 | Somit distanziert sich Bhabha von der dialektischen Logik Hegels: »Bhabha distances himself from Hegel’s classic dialectical logic, which amounts to a reconciliation of the opposition. For Hegel the Other is always the Other of the One, which designates it as the Other of itself to define itself. This is achieved as soon as it reconciles the opposition between Itself and its Other again: this movement, designating oneself as the Other of oneself and
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»But for me the importance of hybridity is not to be able to trace two original moments from which the third emerges, rather hybridity to me is the ›third space‹ which enables other positions to emerge.«47 Der Dritte Raum ist vielmehr ein konzeptioneller »Raum«, der sich in der Zeit artikuliert: »In the first place the third space is not a place because it is an instance of production in time – the moment of speech. The Third Space above all is the site of enunciation.«48 Im räumlich und zeitlich verstandenen Dazwischen – in-between ist die alternative Bezeichnung, die Bhabha für das Konzept des Dritten Raumes einführt – ereignet sich ein Bruch im Kontinuum eines kulturellen Sinnhorizonts und auf diese Weise artikuliert sich kulturelle Differenz.49 Der Dritte Raum ist also ein Produktionsraum, wo sich Transformation, Reflexion und Artikulation ereignen und auf diese Weise Bedeutung produziert wird. »The process of cultural hybridity gives rise to something different, something new and unrecognizable, a new area of negotiation of meaning and representation.«50 Dieses Hybridisierungskonzept, hier verstanden als Bruch des Kontinuums zwischen Vergangenheit und Zukunft durch Gegenwart, zeigt, dass Vergangenheit bei Bhabha kontinuierlich neu inszeniert wird, anstatt den Rückgriff auf Tradition zu homogenisierenden Zwecken von Kultur einzusetzen.51 Bhabha schreibt in diesem Zusammenhang: »Die Anerkennung, die Tradition gewährt, ist eine partielle Form der Identifikation. Indem sie die Vergangenheit neu inszeniert, führt sie andere, inkommensurable kulturelle Zeitlichkeiten in die Erfindung von Tradition ein. Dieser Prozess lässt jeglichen direkten Zugang zu einer originären Identität oder einer ›überkommenen‹ Tradition zum entfremdeten Akt werden.«52 Anstatt Identität durch den Bezug zu einem Ursprung vermeintlich kultureller Wurzeln konstruieren zu wollen bzw. zu können, generiert sich Identität in bzw. als Übersetzungsprozess in In-Bezug-Setzungen zu verschiedenen heterochronen Elementen.53 Dynamisierende Wirkung innerhalb dieser Hybridisierungs- bzw. Überreconciling this very Other, declaring it to a mere appearance and by doing so returning to oneself‹.« Aus: Ikas, Karin; Gerhard Wagner. 2009, S. 97. 47 | Bhabha, K. Homi, in: Rutherford, Jonathan (Hg.). 1990, S. 211. 48 | Young, J. C. Robert. 2009, S. 82. 49 | Vgl. Bonz, Jochen; Karen Struve. 2006, S. 145 50 | Bhabha, K. Homi, in: Rutherford, Jonathan (Hg.). 1990, S. 122. 51 | Bronfen, Elisabeth; Benjamin Marius; Therese Steffen (Hg.). 1997, S. 8 und S. 19: Das Geschichtsverständnis des postkolonialen Theoretikers Homi K. Bhabha schließt somit bei Jaques Derrida (différance) und Walter Benjamin (»disruptive Gegenwart«) an. 52 | Bhabha, K. Homi, in: Bronfen, Elisabeth. 1997, S.125. 53 | Vgl. dazu Bourriauds Ausführung zur heterochronen Ästhetik in der zeitgenössischen Kunst:
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setzungsprozesse ist das Moment der Entfremdung als Voraussetzung und Auslöser neuer Bedeutungszuschreibungen.54 »By translation I first of all mean a process by which, in order to objectify cultural meaning, there always has to be a process of alienation and of secondariness in relation to itself. In that sense there is no ›in itself‹ or ›for itself‹ within cultures because they are always subject to intrinsic forms of translation«.55 Im Hybridisierungsprozess ist also Entfremdung die Bedingung von bedeutungsartikulierender Differenz, und wie weiter oben dargestellt wurde, ereignet sich diese in Verschiebungsprozessen zwischen Signifikant und Signifikat durch den Akt der »Lektüre«.56 In diesem Kontext der Auseinandersetzung mit dem Hybridsierungsprozess als Identifikationsprozess muss auch der Einfluss der stark vom Strukturalismus geprägten Subjekttheorie des Psychoanalytikers Jaques Lacan auf Bhabhas Kulturtheorie genannt werden. »I try to talk about hybridity through psychoanalytic analogy, so that identification is a process of identifying with and through another subject, an object of otherness, at which point the agency of identification – the subject is itself always ambivalent, because of the intervention of that otherness.«57 Jeder kulturellen Äußerung, die sich in Auseinandersetzung mit dem »Anderen« (dem äußeren und dem inneren Anderen) ergibt, wohnt eine interne Differenz inne, weil das Subjekt konstitutiv in ein Subjekt des Aussagens (de l’énonciation) und ein ausgesagtes Subjekt (de l’énonce ) gespalten ist.58
»Heutige Künstler bringen weniger die Tradition zum Ausdruck, aus der sie hervorgegangen sind, als die Wegstrecke, die sie zwischen dieser und den diversen Kontexten, die sie durchqueren, zurücklegen, indem sie einen Akt der Übersetzung vollziehen.« Aus: Bourriaud, Nicolas. 2009, S. 52. 54 | Vgl. Wolf, Michaela Wolf. 2008, keine Seitenzahlen. 55 | Bhabha, K. Homi, in: Rutherford, Jonathan (Hg.) 1990, S. 210. 56 | Vgl. Bonz, Jochen; Karen Struve. 2006, S. 146. 57 | Bhabha, K. Homi, in Rutherford, Jonathan (Hg.). 1990, S. 211. 58 | Über Lacans Subjektverständnis: »Das Subjekt ist konstitutiv gespalten, weil das bewusste Ich nicht mehr Herr im eigenen Hause ist: Das Urobjekt seines Begehrens wird verdrängt, etwas entgeht immer dem Bewussten Ich, es ist nicht da, wo es zu sein glaubt. Dank der Sprachtheorien von de Saussure, Jakobson und Benveniste kann Lacan den Verlust an Unmittelbarkeit, den die Existenz der Sprache für das sprechende Subjekt bedeutet, als die Bedingung der Existenz des Unbewussten und der Verdrängung begreifen, oder anders formuliert: Das bewusste Subjekt der Aussage (Konstatierung) ist nicht mit dem unbewussten Subjekt des Aussagens (Performanz), das dem Fluss der Zeit unterliegt und vom Unbewussten dominiert wird, identisch.« Aus: Lipowatz, Thanos 2004, S. 147–148.
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»Mit anderen Worten: Das Ich, das spricht, ist – prinzipiell wie empirisch betrachtet – nie identisch mit dem Ich, von dem es spricht. (Man könnte auch sagen: Jedes Verstehen setzt an der Differenz von Information und Mitteilung an.)«59 »Die Spaltung des Subjekts in sprechendes und gesprochenes bringt eine eigene, gespaltene Zeitlichkeit hervor, in der das Gesprochene (wieviel weniger das Geschriebene) das Sprechende nie einholen kann. Jedes Subjekt ist sozusagen sich selbst immer schon voraus und erfasst sich (und erst recht andere Subjekte) immer nur retroaktiv.«60 Bhabhas Differenzierung zwischen einem »subject of proposition« (énoncé) und einem »subject of enunciation«61 ist im Zusammenhang mit der strukturalen Psychoanalyse Lacans zu sehen: »Die Unterscheidung zwischen einem Subjekt des Aussagens und einem Subjekt der Aussage […] bezeichnet eine unüberwindbare Entfremdung.« Sprache ist für den Menschen »immer das Terrain einer primären Andersheit. Der Mensch ist genötigt sich auf dem Feld des Anderen zu realisieren.«62
5. ZUM RELATIONALEN UND DEZENTRIERTEN SUBJEKTKONZEPT IM KONTEXT EINES PERFORMATIVEN KULTURVERSTÄNDNISSES Vor dem Hintergrund dieses performativen Kulturkonzepts, das die im Kulturessenzialismus vorausgesetzte Subjekt-Objekt-Ontologie und die damit verbundene Konzeption eines über das Objekt verfügenden, zentrierten Subjekts infrage stellt und reflektiert, wird in der vorliegenden Untersuchung zur Installationskunst von einem dezentrierten und relational verfassten Subjekt ausgegangen, das nicht Ursprung, sondern Teilnehmer und somit konstitutives Element im Prozess der performativen Generierung von Kultur, verstanden als Identifikationsprozess, ist.63 Anstatt das Subjekt aus streng poststrukturalistischer Sicht zu verneinen, wird es in der vorliegenden Untersuchung als oszillierend zwischen Erfahrungen der Aktivierung und Aktivität verstanden, indem es sich in Auseinandersetzung mit dem »Anderen«, zwischen l’énonciation und l’énonce kontinuierlich aufs Neue generiert. Dieses relationale und dezentrierte Subjektkonzept ist im Kontext von Bhabhas Kulturtheorie der kulturellen Differenz und dem damit verknüpften, unbedingt dezentrierten Subjektverständnis zu verstehen. Laut Bhabha ist das Subjekt nur dann in der Lage, aktiv am Translationsprozess zu partizipieren, also im Hybridisierungsprozess eine konstitutive Rolle einzunehmen, wenn von einer offenen, diskursiven, 59 | Bronfen, Elisabeth; Benjamin Marius; Therese Steffen (Hg.). 1997, S. 11. 60 | Ebd., S. 10. 61 | Bhabha, K. Homi. 1994, S. 36. 62 | Gondek, Hans-Dieter. 2001, S. 134 f. 63 | Vgl. Hall, Stuart. 1996.
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ergo hybriden Subjektstruktur anstelle eines als kohärente Entität verstandenen, geschlossenen Subjektbegriffs ausgegangen wird. Im Prozess der Verhandlung von Differenz wird das Subjekt aktiviert, indem es aufgefordert wird, die Perspektive zu wechseln, um sich ständig aufs Neue in Bezug zu einer als Prozess verstandenen Welt zu setzen.64 Anstatt also kulturelle Identität in Relation zu einem festen Referenzpunkt, so zum Beispiel in Bezug zur ethnischen Herkunft oder zu einem unveränderlichen kulturellen Speicher zu bilden, bietet der Dritte Raum als Interventionsraum dem Subjekt die Möglichkeit, sich innerhalb der Translationsprozesse durch Perspektivenwechsel, das heißt durch Platzierung und Dislozierung (displacement) in der Artikulation von (kultureller) Differenz kontinuierlich neu zu erfinden, um auf diese Weise handlungsmächtig zu werden. Poststrukturalistisch geprägt, versteht Bhabha Handlungsmacht als diskursiven Effekt, das heißt, er betrachtet diese nicht als Ursache oder sogar Quelle von Widerstand. Handlungsmacht entsteht vielmehr (erst) im Prozess der Verhandlung von Differenz und ist demnach laut Maria Do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan retroaktiv.65 Da sich das Subjekt in der Verhandlung von kultureller Differenz in Bezug zu einer Welt setzt, die sich aus der symbolischen Praxis anderer Subjekte konstituiert, ist Handlungsmacht laut Bhabha intersubjektiv, denn die eigene Sinngenerierung weist auf diese Weise stets Spuren anderer Handlungsmächte auf. Mit anderen Worten: Diese Spuren »des Anderen« sind als innere hybride Verfassung zu verstehen, 64 | Ähnliche Überlegungen stellt Bourriaud in seinen Ausführungen zum Radikanten an, in denen er die transitorische Verfassung des zeitgenössischen Subjekts beschreibt: »Der Immigrant, der Exilant, der Tourist, der in der Stadt Umherschweifende sind indessen die vorherrschenden Figuren der zeitgenössischen Kultur. Um in der Pflanzensprache zu bleiben, das Individuum zu Beginn des 21. Jahrhunderts erinnert an jene Pflanzen, die nicht aus einer einzigen Wurzel herauswachsen, sondern sich in allen Richtungen auf den Oberflächen ausbreiten, die sich ihnen bieten, indem sie sich mit zahlreichen Häkchen festhalten wie der Efeu. Dieser gehört zur botanischen Familie der Radikanten, die ihre Wurzeln im Maße ihrer Ausbreitung wachsen lassen, im Gegensatz zu den Radikalen, deren Entwicklung durch ihre Verankerung im Boden bestimmt wird. Der Stiel der Quecke ist radikant, ebenso wie die Wurzelschösslinge der Erbeerpflanze: sie treiben neben der Hauptwurzel Sekundärwurzeln. Der Radikant entwickelt sich je nach dem Boden, der ihn aufnimmt, er folgt seinen Windungen, passt sich seiner Oberfläche und seinen geologischen Komponenten an: er übersetzt sich in die Terme des Raumes, in dem er sich entwickelt. Durch seine gleichzeitig dynamische und dialogische Bedeutung bezeichnet das Adjektiv radikant dieses zwischen der Notwendigkeit eines Bezugs zu seiner Umwelt und den Kräften der Entwurzelung, zwischen der Globalisierung und der Singularität, der Identität und der Erfahrung im Umgang mit dem Anderen hin- und hergerissene zeitgenössische Subjekt. Es definiert das Subjekt als Verhandlungsgegenstand.« Aus: Bourriaud, Nicolas. 2009, S. 52. 65 | Varela, Maria Do Mar Castro; Nikita Dhawan. 2005, S. 98.
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welche, wie bereits gesagt, die Voraussetzung für den intersubjektiven Prozess der Übersetzung darstellt. Während sich die Handlungsmacht des Subjekts in der multikulturellen Vorstellung von kultureller Diversität auf statische, im dichotomischen Denken verhaftete Kategorien bezieht, ist die Handlungsmacht im Bhabha’schen Hybriditätskonzept, das sich anstatt auf fixierte Oppositionen auf Kontingenzen im Prozess der Verhandlung konzentriert, individualisierter. Dieses veränderte Verhältnis zur Differenz verortet den »Anderen« nicht mehr per se außerhalb des Selbst. Dagegen ist kulturelle Differenz nicht als äußerliche Differenz anzusehen, die sich an ethnischen, nationalen und religiösen Grenzziehungen orientiert, sondern sie lokalisiert sich vielmehr im Selbst.66 Verhandlung bzw. Aushandlung bedeutet nach Bhabha, dass das Andere nicht von außen, sondern mit den eigenen Kategorien von innen heraus, auf seiner Innenseite, im Dazwischen, begriffen wird. Im Vorgang des Aushandelns nimmt das Subjekt das Andere in sich auf und bildet sich dabei selbst als ein anderes Subjekt.67 Auf diese Weise wird das Denken in dichotomischen Kategorien im Dritten Raum reflektiert und aufgelöst.
6. DIE INSTALLATIONSKUNST ALS TRANSFORMATIONSMEDIUM UND DRITTER RAUM Sowohl für das Konzept des Dritten Raumes als auch für die Installationskunst – konzeptionalisiert als Transformationsmedium – gilt also, dass die Identifikation von Bedeutung in einer als abgeschlossenen, als Gefäß verstandenen Kultur bzw. in einem als Objekt konzeptionalisierten Kunstwerk durch ein verfügendes Subjekt abgelehnt wird. Die zentrale These der vorliegenden Arbeit lautet, dass sich mit dieser Infragestellung der Objektzentrierung eine performative Praxis der Bedeutungsgenerierung verknüpft, welche die Voraussetzung für die Konzeptionalisierung kultureller Differenz jenseits dichotomischer Kategorien, das heißt für eine ästhetische Erfahrung verstanden als Differenzerfahrung, ist. Konkret heißt das, dass sich Bedeutung durch performative Akte in der Zeit artikuliert und nicht essenzialistisch festgeschrieben wird. Voraussetzung dafür ist, dass die Welt und ergo sowohl der Dritte Raum als auch die Installation als Transformationsmedium in der vorliegenden Arbeit als unabschließbare Signifikations- und Symbolisierungsprozesse und als Artikulationsräume verstanden werden. Es liegt auf der Hand, dass eine Unterscheidung zwischen Innen und Außen somit obsolet geworden ist. Im Vordergrund steht nun die Relation, was Homi K.
66 | Vgl. Ha, Kien Nghi. 2005, S. 56. 67 | Bhabha, K. Homi. 1997, S. 149.
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Bhabha als Dazwischen bezeichnet und die Autorin der vorliegenden Arbeit zu betonen sucht, indem sie von der Installation als einem Medium spricht. Sowohl bei der Installation als auch beim Konzept des Dritten Raumes handelt es sich um Interventions- und Produktionsräume, in denen in Prozessen der InBezug-Setzung, welche hier in der oben beschriebenen Weise als Vorgänge kultureller Übersetzung verstanden werden, Bedeutung performativ produziert wird. Konstitutiv an diesen Prozessen beteiligt ist, wie weiter oben ausgeführt, das (Betrachter-) Subjekt, wobei Momente der Entfremdung, das heißt die Auseinandersetzung mit dem »Anderen« als Motor bzw. Generator fungieren. Sowohl in der Installation als auch im Dritten Raum wird also die Subjekt-Objekt-Ontologie infrage gestellt und statt von einem über das Objekt verfügenden von einem vermittelnden Subjekt ausgegangen, das in durch Entfremdung ausgelösten Prozessen der Bedeutungsgenerierung produziert wird.68 Als Anschauungsbeispiel dient an dieser Stelle die Installation Book from the Sky (tianshu) (1987–1991) (Abb. 2) von Xu Bing, die im kulturhistorischen Teil der vorliegenden Arbeit ausführlich besprochen wird. Das Himmelsbuch, das aus einem Feld aufgeschlagener Bücher sowie einer darüber gespannten baldachinartigen Papierbahn, die jeweils mit Schriftzeichen bedruckt sind, besteht, kann als Visualisierung der Welt als Verhandlungsraum unabschließbarer Signifikations- und Symbolisierungsprozesse verstanden werden. Das Betrachtersubjekt ist aufgefordert, sich in Beziehung zu setzen und der künstlerischen Arbeit durch den performativen Prozess der Lektüre Bedeutung zu verleihen. Indem Xu Bing den Betrachter mit pseudo-chinesischen Schriftzeichen konfrontiert, die nach herkömmlichen Konventionen unlesbar sind, macht der Betrachter eine Erfahrung der Entfremdung. Die Schriftzeichen werden in Xu Bings Himmelsbuch auf diese Weise zu leeren Projektionsflächen, die den Betrachter nicht nur mit der Arbitrarität von Bedeutung, sondern auch mit sich selbst konfrontieren. Bedeutung wird also in sub-jektivierten Prozessen generiert und lässt sich nicht mehr als gegeben konzeptionalisieren oder durch nachvollziehendes Lesen erschließen. Im Unterschied zur Minimal Art ist die theatrale Qualität der Installation als Transformationsmedium, wie sie in Xu Bings Arbeit anschaulich wird, nicht an die »Buchstäblichkeit« eines minimalistischen Objekts gekoppelt, sondern an die Unerschöpflichkeit der möglichen Bedeutungen 68 | Juliane Rebentisch schreibt in diesem Zusammenhang über die Installation: »Installationen sind nicht nur Gegenstand der Betrachtung, in ihnen reflektiert sich zugleich die ästhetische Praxis der Betrachtung. Vor allem durch diesen Zug, den man vielfach mit dem Begriff der Betrachtereinbeziehung charakterisiert hat, steht die Installation in einem direkten Verhältnis zu einem zentralen Problem der neuzeitlichen Philosophie: dem Problem der Subjekt-Objekt-Ontologie«. Aus: Rebentisch, Juliane. 2003, S. 16. Rebentisch stellt in ihrer ästhetischen Untersuchung der Installationskunst aus diesem Grund den Betrachter in den Vordergrund. Ebenso tut dies Claire Bishop, die aus der Perspektive verschiedener Betrachtererfahrungen bestimmte Installationstypen definiert: Vgl. Bishop, Claire. 2005.
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Abb. 2: Xu Bing, Book from the Sky (tianshu), Installation, 1987-1991, Präsentation im Elvehjem Museum of Art, University of Wisconsin, Madison, USA
Quelle: Ausst.-Kat. `85 New Wave the Birth of Chinese Contemporary Art. Opening Exhibition of the Ullens Center for Contemporary Art Beijing 798. 2008. Peking.
in einer Welt, die als unendlicher kultureller Signifikations- und Symbolisierungsprozess konzipiert ist. Im chinesischen Kontext hat das hervorbringende Betrachtersubjekt Mitte der 1980er Jahre auch eine politische Implikation, geht mit dieser doch nicht nur die Generierung des Bewusstseins für das eigene Selbst, sondern auch eine Aktivierung einher, die Welt als durch kulturelle Konventionen bzw. fest gefügte politische Ideologien infrage zu stellen. Ein maßgeblicher Unterschied zwischen dem kulturtheoretischen Konzept des Dritten Raumes und dessen Fruchtbarmachung für die Installationskunst ist die Erweiterung der Betrachtererfahrung um eine explizit leibliche Komponente. Im Unterschied also zu Homi K. Bhabha, dessen Kulturtheorie auf der Vorstellung fußt, dass es sich bei Kultur um Text handelt und ergo der performative Akt des Subjekts im Prozess der Generierung von Kultur als intellektuelle »Lektüre« zu verstehen sei, ist die Differenzerfahrung in der Installationskunst auch eine leibliche.69 Diese leibliche Qualität der Erfahrung resultiert aus der Raumbezogenheit der Installation und der daraus an den Betrachter gerichteten Aufforderung, immer wieder die Per69 | Judith Butler war die erste Kulturtheoretikerin, die in ihren Untersuchungen zu Genderkonstruktionen die leibliche Komponente in den Fokus rückte. Vgl. Butler, Judith. 1991.
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spektive zu wechseln, um auf diese Weise auch physisch konstitutiver Teil der Arbeit zu werden, also mit seinem Körper involviert zu sein. Um mit Rosalind Krauss zu sprechen, ist die Installation an sich ortsspezifisch und fordert deswegen eine kinästhetische Involvierung des Betrachters: »As said, the installation is site specific and demands a kinesthetic involvement from the audience.«70 Aufgrund der leiblichen und intellektuellen Betrachtereinbeziehung in der Installationskunst wird Differenz, das heißt Bedeutung, nicht mehr außerhalb des Subjekts, im Kunstobjekt, sondern im Dazwischen, in der Vermittlung und Verhandlung zwischen Betrachter und künstlerischer Arbeit, in der Betrachtererfahrung, die stets eine Differenzerfahrung ist, verortet. Somit steht nicht das Kunstwerk als ontologische Einheit und auch nicht die hermeneutische Entschlüsselung von immer schon eingeschriebener Bedeutung im Vordergrund, sondern Erfahrung im prozessästhetischen Sinn. Das heißt, in der Installation als relationalem Möglichkeitsraum lässt sich Bedeutung nicht mehr vom Prozess der leiblichen Erfahrung abkoppeln. Diese Erfahrung besteht aus der kontinuierlichen Aushandlung von Bezügen zu einer sich unaufhörlich verändernden, ergo differierenden Welt. Im Unterschied zum modernistischen Kunstverständnis wird Bedeutung in der Installation somit nicht verfügt und manifestiert, sondern temporalisiert, das heißt in der Zeit verhandelt und vermittelt. Ausgehend von einer Konzeptionalisierung von Bedeutung und somit auch (kultureller) Differenz als Transformations- bzw. Translationsprozess ist die Installationskunst aufgrund ihrer entgrenzten ästhetischen Disposition ein Transformation beförderndes und auslösendes Medium, also ideal für alternierende Bezüglichkeitserfahrungen der Dislozierung (displacement).
70 | Krauss, Rosalindt. 1999, S. 62.
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Kapitel II Zur Geschichte der Installationskunst in China im kultur- und kunsthistorischen Kontext
1. EINLEITUNG – ANFÄNGE DER INSTALLATIONSKUNST IN CHINA – KONZEPTIONELLE VERSUS »HUMANISTISCHE« KUNST Erste Installationen entstehen in China Mitte der 1980er Jahre im Kontext der sogenannten »85er Bewegung« (ba wu meishu yundong)1 und sind der damals aufkommenden konzeptionellen Kunst (guannian yishu)2 zuzurechnen, die sich von der sogenannten »humanistischen« Kunstströmung (rendao bzw. renwen yishu),3 welche die moderne chinesische Kunst seit ihren Anfängen Ende der 1970er Jahre
1 | Der Begriff der »85er Bewegung« wurde von Gao Minglu geprägt: »I first coined the term ›ba wu meishu yundong‹ to define the newly emerged movement in the middle of the 80s.« Aus: Gao Minglu. 2005a, S. 67. Die 85er Bewegung ist zudem unter dem Namen »Neue Welle« (xin chao) oder auch »Kunst der Neuen Tendenzen« (xinchao meishu) bekannt. Vgl. Fei Dawei. 1991a, S. 22. Laut Gao Minglu. 1999, S. 139, Fußnote Nr. 10 wurde in der Literatur in der Regel die zuletzt genannte Bezeichnung bevorzugt: »The authorities immediately objected to the political connotations of term yundong, or movement. Consequently, ›85 Art Trend‹ was frequently adopted as a less objectionable alternative in publications.« 2 | »As the name of a certain Western art movement of the 1960s and 70’s ›conceptual art‹ was given two translations in Mainland China: guannian yishu (›idea art‹) and gainian yishu (›concept art‹). Guannian has much broader connotations than gainian. The former refers to the general meaning of things in a particular context, the latter more narrowly to a specific notion or definition. Chinese conceptual art is more accurately described as guannian yishu.« Aus: Gao Minglu. 1999, S. 127. 3 | Gao Minglu, 2005a, S. 87 und S. 92–103.
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maßgeblich prägte, bewusst abgrenzte.4 Während die »humanistische«5 Kunst stark idealistisch geprägt war und an die Utopie der Modernisierung der chinesischen Gesellschaft mithilfe der Kunst glaubte, lehnten die konzeptionellen Künstler dieses »humanistische« Verständnis von Kunst ab. Während die »humanistische« Kunstströmung von einem »autonomen« Künstlersubjekt ausging, das Künstlersubjekt also als Sinnstifter und Ursprung verstand und deswegen den Künstler als unhintergehbaren Autor in den Vordergrund stellte, waren die konzeptionellen Künstler gegen die Konzentration auf ein »autonomes« künstlerisches Subjekt und setzten sich stattdessen mit dem poststrukturalistisch geprägten dezentrierten Subjektkonzept auseinander. Sie stellten jegliche Ideologie, das heißt nicht nur die offizielle sozialistische, sondern auch die des »Humanismus« infrage und verstanden Kunst in diesem Zusammenhang im Unterschied zu den »humanistischen« Künstlern nicht als Mittel der konstruktiven Erneuerung, ergo Modernisierung Chinas, sondern als Medium der (Gesellschafts- und Kultur-)Kritik.
2. ZUM BEGRIFF »MODERNE KUNST« IN CHINA Unter »moderner Kunst« ist im Folgenden die Kunst, die sich ab 1979, dem Jahr der Öffnung Chinas, als Gegenspieler zur offiziellen Kunst entwickelte, gemeint.6 4 | Diese Einteilung der 85er Bewegung in eine »konzeptionelle« und eine »humanistische« Strömung geht zurück auf Gao Minglu. Siehe: Gao Minglu. 1999, S. 132, Gao Minglu. 2003a, S. 251 und Gao Minglu. 2005a, S. 124. 5 | Der Begriff »Humanismus« ist zentral in der Diskussion um die Modernisierung Chinas in den 1980er Jahren und wird weiter unten ausführlich erläutert. Vgl. Gao Minglu 2005a, S. 88 ff. und Wang Jing 1996, S. 9–37. Laut Gao Minglu besitzt der Begriff »Humanismus« im chinesischen Kontext die Konnotation von »Individualismus«, weil er die Wichtigkeit des einzelnen Menschens, des Individuums betont: »Although in the West humanism, since the Renaissance, been differentiated from the modern idea of individualism, in China after the Cultural Revolution, the term humanism indicated the search for individual freedom in conjunction with a true mankind or fraternity. This humanism also embraced the desire for individual freedom, after several decades of selfless devotion to Mao’s revolution during which humanism was criticized being bourgeois. Such criticisms appear in Mao’s Yanan talks of 1942, and, for example in the early 1980s debates about the concept of humanism in Marx writings, in which the term humanism was used to refer to concepts of individual value, human nature and human freedom. This use of the term is not meaningful to most Western readers. When contemporary Chinese artists use ›humanism‹ in their writings, they usually mean something like individualism.« Aus: Gao Minglu. 2005a, S. 117. 6 | In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass die Anfänge der »modernen Kunst« in China nicht in den 1980er Jahren, sondern bereits wesentlich früher, in den 1920er und 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts liegen und im Kontext der damaligen sogenannten »Neuen Kulturbewegung« zu verorten sind. Nachdem die chinesische Kultur, die im Zuge des
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KULTUR - UND KUNSTHISTORISCHEN
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»Moderne Kunst« ist in China nicht als Epochenbezeichnung, in der im Westen übereingekommenen Abfolge vormoderner, moderner und postmoderner Kunst zu verstehen, sondern vielmehr gleichbedeutend mit »zeitgenössischer Kunst« oder »Gegenwartskunst« (dangdai yishu): »[…] in China, ›modernity‹ refers more to the spirit of the times, not to a concrete span of historical time. It functions not as a marker of temporal logic [modern and postmodern] in the Western sense, but refers particularly to a specific time and a concrete space, and to the value-choices of society at that time.«7 Aufgrund der Geschichte der Moderne in China, die sich dort im Zuge der Konfrontation mit der westlichen Moderne Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte, bezeichnet Gao Minglu die »chinesische Moderne« aus Gründen ihrer reagierenden und gleichzeitig sich abgrenzenden Qualität als national geprägte, in Nationalgrenzen definierte »defensive Moderne«.8 Im Unterschied zum westlichen Verständnis ist »Moderne« kein zeitlicher, sondern ein räumlicher Begriff. »Modern« war laut Gao Minglu gleichbedeutend mit dem neuen Begriff der modernen Nation und nicht, wie im Westen, mit einer neuen Epoche.9 oktroyierten Kontakts mit den westlichen Imperialmächten mit der westlichen Kultur und deren Konzeption von Moderne konfrontiert wurde, als stagnierend und minderwertig empfunden wurde, war es das erklärte Anliegen der »Neuen Kulturbewegung«, die chinesische Kultur zu erneuern. Die »moderne Kunst« der 1980er Jahre wird von vielen Intellektuellen und Wissenschaftlern in und außerhalb Chinas als Wiederanknüpfung an die Zeit der »Neuen Kulturbewegung« Anfang des 20. Jahrhunderts verstanden. Detaillierte Ausführungen zu diesem Thema siehe Sullivan, Michael. 1996, S. 32. Auch wenn die Begriffe in China häufig durcheinander geraten, so zum Beispiel bei der Betitelung der weiter unten ausführlich zu besprechenden Ausstellung China/Avantgarde 1989 in Peking als xiandai yishu zhan, so bezeichnet man die moderne Kunst Anfang des 20. Jahrhunderts als xiandai yishu und die seit den 1980er Jahren mit einer stärkeren Betonung auf dem Zeitgenössischen als dangdai yishu.: »Chinese art critics make no clear distinction between the terms ›avantgarde‹ (qianwei), ›modern‹ (xiandai) and ›contemporary‹ (dangdai). They often use them as synonyms, which is also evident in the official title of the above mentioned exhibition, Modern Chinese Art Exhibition (Zhongguo xiandai yishu zhan).« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 22. Wu Hung ist dagegen der Meinung, dass die Kunst der 1980er Jahre als modern (xiandai) und die der 1990er Jahre als zeitgenössisch (dangdai) genannt werden sollte: »[…] general shift in the Chinese art world from the 80’s to the 90’s, which I call a ›contemporary turn‹. Simply put, throughout the 80’s, Chinese avant-garde artists and art critics envisioned themselves as participants in a delayed modernization movement, which aimed to reintroduce humanism and the idea of social progress into the nation’s political consciousness. From the 90’s onward, however, many of them abandoned, or at least distanced themselves from this collective undertaling.« Aus: Wu Hung. [2004] 2008, S. 12. 7 | Aus: Gao Minglu. 2005a, S. 43. 8 | Gao Minglu. 2003a, S. 283, Fußnote Nr. 1. 9 | Gao Minglu interpretiert hier aus psychologischer Perspektive und diagnostiziert als
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3. »CHINESISCHE AVANTGARDE« In den 1980er Jahren (re-)etabliert10 sich der Begriff »Avantgarde-Kunst« (qianwei yishu) in China, der laut Gao Minglu synonym mit dem Begriff »moderne Kunst« verwendet wird, aber den zielgerichteten, politischen und subversiven Charakter der modernen chinesischen Kunst stärker betont.11 Im Unterschied zu den historischen Ergebnis der oktroyierten Moderne in China ein Gefühl des Bedauerns in der chinesischen Gesellschaft, das »ein starkes integratives wie auch räumliches Bewusstsein entstehen ließ.« Gao Minglu. 2007, S. 181. 10 | Der Begriff der Avantgarde wurde in China bereits in den 1930er Jahren im Kontext der modernen chinesischen Literatur und bildenden Kunst verwendet. Im Unterschied zu den 1980er Jahren sprach man damals aber nicht von qianwei, sondern benutzte den Begriff xianfeng, der traditionell die Bedeutung militärische Vorhut hat. Diese militärische Konnotation ist im Zusammenhang mit der Tatsache zu sehen, dass sich damals nur die marxistisch beeinflussten linken Literaten und Künstler und nicht die von westlichen Modernisten geprägten Künstler als Avantgarde bezeichneten. Der Avantgardebegriff der linken Künstler war sowjetisch geprägt und laut Gao Minglu »gleichbedeutend mit der Speerspitze des Proletariats«. Vgl. ebd. S. 187. 11 | Insbesondere seit den 1990er Jahren ziehen einige chinesische Autoren die Bezeichnung »experimentelle Kunst« (shiyan yishu) vor, um auf diese Weise die politische Konnotation, welche der Bezeichnung »Avantgarde-Kunst« innewohnt, abzumildern sowie dem Vorwurf der Imitation einer westlichen Kunstströmung zu entgehen. Gao Minglu favorisiert auch über die 1980er Jahre hinaus den Begriff »Avantgarde-Kunst« und steht der Bezeichnung »experimentelle Kunst« skeptisch gegenüber. »Experimentelle Kunst« klingt seiner Meinung nach zu passiv, vernachlässigt die enge Beziehung der modernen chinesischen Kunst zu Politik und Gesellschaft und hebt zu sehr auf kunstimmanente Entwicklungen ab, denen er im chinesischen Kontext, zumindest vor Beginn des »Museumszeitalters«, das ihm zufolge in China erst nach der dritten und erstmals internationalisierten Shanghai Biennale im Jahr 2000 einsetzt, sowie der Involvierung der chinesischen Kunst in den internationalen Kunstmarkt und der daraus entstandenen Konsequenzen für die Kunstproduktion in China, keine ausschließliche Bedeutung zumisst. Wu Hung bemerkt, dass in den 1980er Jahren viele Künstler den Begriff »Avantgarde-Kunst« verwenden, was mit Sicherheit auch im Kontext der stark politisierten und kollektiv eingefärbten »85er Bewegung« gesehen werden muss, viele Künstler der 1990er Jahre aber die Bezeichnung »experimentelle Kunst« vorziehen, um damit die Eigenständigkeit und Besonderheit der zeitgenössischen chinesischen Kunst zu betonen, die sich immer wieder den Vorwurf, westliche Konzepte zu kopieren, gefallen lassen muss. Des Weiteren weist die Kunst der 1990er Jahre sehr individualistische Züge auf, kann also nicht mehr wie in den 1980er Jahren als kollektiv gefärbte Bewegung verstanden werden. Unter experimenteller Kunst versteht Wu Hung Kunst, die kontinuierlich Grenzen auslotet, neue Denkanstöße gibt und sich nicht mehr in erster Linie an der herrschenden Ideologie abarbeitet, sondern sich über den anti-ideologischen Handlungsraum hinwegsetzt. Dennoch kann die künstlerische Entwicklung im China der vergangenen 20 Jahre nicht mit
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Avantgarden in der westlichen Kunstgeschichte war die chinesische AvantgardeKunst in China in den 1980er Jahren keine Reaktion gegen das Kunstverständnis der »klassischen Moderne« und deren Auffassung einer autonomen, vermeintlich zweckfreien Kunst, sondern eine Reaktion auf das sozialistische Verständnis von Kunst, das heißt gegen die Instrumentalisierung der Kunst zur Erziehung der Massen zum Sozialismus und gegen den sozialistischen Realismus als ideologisch verordneten Stil.12 Im Unterschied zum modernen autonomen Kunstverständnis, das sich im Westen im 19. Jahrhundert etabliert hatte, waren die Sphären Kunst und Leben weder traditionell noch seit der »Neuen Kulturbewegung« in den 1920er Jahren und dem daraus resultierenden Verständnis von Kunst als Instrument zur Erziehung der Massen im Sinne der sozialistischen Ideologie unter Mao Zedong in China jemals als getrennt aufgefasst worden.13 Während die Ablehnung der »l’art pour l’art«dem in den 1960er Jahren im Westen entstandenen Begriff der »Experimentalkunst« erfasst werden. Die Moderne weist zwar tatsächlich experimentelle Besonderheiten im Gebrauch der Sprache auf, diese sind allerdings in der neuen chinesischen Kunst nur selten in rein ästhetischer Form zu finden. Die chinesische Avantgarde entspricht mehr der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs Avantgarde, wie ihn Saint-Simon erstmals im Sinne des »Künstlers als Vorkämpfer« definierte. Diese Interpretation impliziert eine starke Gerichtetheit, Zielorientiertheit und Offensivität und kein passives Abwarten, wie es etwa charakteristisch für die sprachexperimentelle Kunst ist. In diesem Kontext wird weiter unten im Fließtext zu lesen sein, inwiefern die Installationskunst, die der konzeptionellen Kunst zugerechnet wird, nicht mehr als Avantgarde-Kunst bezeichnet werden kann, weil mit ihr die »Zielgerichtetheit« als obsolet aufgefasst und ergo aufgegeben wird. Vgl. Gao Minglu. 2005a, S. 43–48, KöppelYang, Martina. 2003a, S. 22, Wu Hung. [1999] 2008, S. 3–11. Detaillierte Ausführungen der Definition des Begriffs der Avantgarde im chinesischen im Unterschied zum westlichen, das heißt euro-amerikanischen Kontext siehe Gao Minglu. 2005a, S. 43–48 und S. 67–69 sowie Gao Minglu. 2007, S. 178–191. 12 | Gao Minglu schreibt: »[…] einige zentrale Fragestellungen und Denkansätze der europäisch/amerikanischen Moderne [lassen sich] nur sehr schwer auf China übertragen. Das maßgebende Konzept der künstlerischen Moderne des 20. Jahrhunderts, die Autonomie der Ästhetik, steht in einem antagonistischen Verhältnis zur Moderne der kapitalistischen Gesellschaft mit ihrem wissenschaftlichen Fortschritt, ihrer technologischen Revolution und ihren Marktmechanismen. Diese Trennung zwischen Ästhetik und Gesellschaft, die das Narrativ der modernen westlichen Kunstgeschichte und Kunstkritik sowie den Kern des Diskurssystems von Moderne und Postmoderne bildet, war vom 19. bis ins 21. Jahrhundert die treibende Kraft hinter der Entwicklung der modernen und postmodernen Kunst in Europa und Amerika. Aber dieser Diskurs ist nur bedingt geeignet, den Formungsprozess der modernen Geschichte bzw. der Moderne in einem Dritte Welt Land wie China zu beschreiben.« Gao Minglu. 2007, S. 180, S. 184. 13 | Grundsätzlich gilt, dass die Kunst in China im Unterschied zum Westen niemals autonom, sondern stets in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebettet war. »Das traditionelle
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Auffassung der klassischen Moderne konstituierend für die historische Avantgarde-Kunst im Westen war, arbeitete sich die Avantgarde-Kunst der 1980er Jahre in China an der sozialistischen Vereinnahmung ab.14 Dies hat mit der Entwicklung der modernen Kunst in China am Anfang des 20. Jahrhunderts zu tun. Vor dem Hintergrund des elitären traditionellen Kunstverständnisses lag der Fokus schon zu Beginn der modernen Kunst in China Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Popularisierung der Kunst, was aus heutiger Perspektive als Voraussetzung für die Funktionalisierung von Kunst im Auftrag der sozialistischen Ideologie verstanden werden kann. Im Kontext der »Neuen Kulturbewegung« brach man mit der kultivierten und elitären Literatenkultur und rief den Slogan »Kunst für das Leben der Menschen« (yishu wei rensheng) ins Leben, in dessen Tradition auch Mao Zedongs berühmte Aussage »Kunst dient den Massen« (yishu wei renmin fuwu) zu verstehen ist, mit dem sich chinesische Künstler bis heute auseinandersetzen.15 Da sich die »moderne Kunst« und ihre Diskurse in China in kritischer Auseinandersetzung mit der chinesischen Realität, das heißt vor allem in enger Auseinandersetzung mit den politischen Rahmenbedingungen und Programmen entwickelte und zudem im Kontext der tiefgreifenden strukturellen Veränderungen in Chinas Gesellschaft und Kultur gesehen werden muss, wird der Beschäftigung mit den Entwicklungen der Installationskunst in China im Folgenden die Auseinandersetzung mit der Kunst der 1980er Jahre in ihrem soziopolitischen Bezugsfeld vorangestellt.
Ideal war eine Gesellschaft, in der die Künste, die philosophische Weltsicht und die politische Ordnung ein untrennbares Ganzes bildeten. […] Schon in der Song-Zeit schrieb der Gelehrte und Maler Ouyang Xiu (1007–1072): ›Eine von der Kunst unabhängige Politik ist dazu bestimmt, seelenlos und korrupt zu werden, und umgekehrt verliert eine Kunst unabhängig von der Politik jeden Kontakt zur Realität und degeneriert zur Oberflächlichkeit.‹ […] 1942 griff Mao Zedong diese Anschauung auf: ›Was wir verlangen, ist die Einheit von Politik und Kunst, die Einheit von Inhalt und Form, die Einheit von revolutionärem politischem Inhalt und der höchsten Perfektion künstlerischer Form.‹« Aus: van Dijk, Hans. 1993, S. 18, zitiert nach Gernet, Jaques. 1989, S.34 und Selected Works of Mao Zedong. 1967, S. 90. 14 | Exkurs: Die westlichen Bedingungen der modernen Kunstentwicklung unterscheiden sich maßgeblich von den chinesischen: In der europäischen Kunstgeschichte wurde Ende des 19. Jahrhunderts mittels der Abkehr von abbildenden Darstellungsweisen und der Etablierung eigener unabhängiger Werte die moderne Kunst konstituiert. Durch die Abwendung von der mimetischen Repräsentation wurde der kritische Abstand zur Welt in der Kunst betont. 15 | Vgl. Gao Minglu. 2003a, S. 248 f.
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4. ZU ENTWICKLUNGEN DER MODERNEN CHINESISCHEN KUNST IM ZEITRAUM VON 1979 BIS 198416 IN IHREM SOZIOPOLITISCHEN BEZUGSFELD Der Beginn bzw. die Weiterführung der modernen Kunst in China wird gemeinhin auf das Jahr 1979 datiert17 und ist eng verknüpft mit Deng Xiaopings Reform- und Öffnungspolitik, der sogenannten gaige kaifang (Reform und Öffnung) und der Entwicklung des »Sozialismus chinesischer Prägung«, das heißt der umfassenden ökonomischen Reformen und sozialen Veränderungen.18 Nach dem Tod Mao Zedongs 1976 und dem kurz darauf verkündeten offiziellen Ende der nun als historische Katastrophe bewerteten Kulturrevolution (1966–1976) im Jahr 1977 läuteten die von Deng Xiaoping auf der dritten Plenarsitzung des 11. Parteitags im Dezember 1978 durchgesetzten Reformen das offizielle Projekt der Modernisierung Chinas ein, welches als dringend notwendig erachtet wurde, um das Land nach den Wirren des vergangenen Jahrzehnts aus seiner ökonomischen und politischen Stagnation zu führen. Unter dem Leitprinzip eines »modernen Bewusstsein« (xiandai yishi)19 stand die Realisierung einer modernen chinesischen Nationalkultur an erster Stelle.20 Mit 16 | Vgl. Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 22, Wu Hung. 1999a. S. 16.: Die kurze Geschichte der modernen Kunst wird in der Regel in vier Phasen eingeteilt: »1. the emergence of alternative, unofficial art in China from 1979 to the early 1980s, 2. the 85 Art New Wave and China/ Avant-garde Exhibition from the mid 1980s to 1989, 3. post-89 art and the internationalization of Chinese experimental art from the early 1990s and 4. a ›domestic turn‹ from the early and middle 1990s, a movement in which experimental art increasingly conveyed social and cultural critiques. The last two trends overlapped each other during the most part of the 1990s and represented two main directions of experimental art during this period.« Auch Gao Minglu nimmt eine Einteilung in vier Phasen vor: »1. 1979–1984 The Post-Cultural Revolution Era, 2. 1985–1989 The 85 Movement, 3. 1990–1999 The ›Multipolar Avant-Garde‹ era, 4. 2000-present ›The Art Museum Age‹«. Aus: Gao Minglu. 2005a, S. 42. 17 | Vgl. Köppel-Yang, Martina. 2003a, S.22. 18 | Detaillierte Ausführungen zur Entwicklung der Kunst unter dem Einfluss der Politik von Deng Xiaoping siehe: Andrews, Julia F. 2000. 19 | »[…] the seeds of modern consciousness were sown as early as 1978, when the Third Plenary Session of the Eleventh Party Congress launched the campaign of ›thought emancipation‹ and initiated the agenda of modernization. It (›modern consciousness‹) was in short, a term that the Party owned and propagated at the very start.« Aus: Wang Jing. 1996, S. 139. Detaillierte Ausführungen zum Begriff der xiandai yishi siehe ebd., S. 138–141. 20 | Ähnlich wie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunds in der sogenannten »4. Mai Bewegung« 1919 (wusi yundong) spielte die Kultur im Modernisierungsprojekt der 1980er Jahre eine wichtige Rolle und viele verstehen die 1980er Jahre als Fortsetzung der »Neuen Kulturbewegung« Anfang des 20. Jahrhunderts, die durch die Mao-Zeit eine Unterbrechung erfahren hatte. Liu Kang zum Beispiel schreibt in diesem Zusammenhang: »The Chinese communists under Mao gradually abandoned the humanist goals of the May Fourth movement in the
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dem Ziel, die sozialistische Ideologie zu reformieren, lautete der neue Tenor, sich vom Klassenkampf zu verabschieden, um stattdessen die Modernisierung von Wirtschaft, Demokratie, Recht und Gesetz als strukturelle Elemente einer modernen Gesellschaft in den Vordergrund zu stellen und an Stelle der maoistischen Ideologie die Wissenschaft zu stärken.21 Realität wurde nun nicht mehr abstrakt ideologisch, sondern als nur der konkreten Erfahrung zugänglich verstanden. Wichtig in diesem Zusammenhang zu erwähnen ist der von offizieller Seite propagierte Slogan »Search for Truth in Facts«, der ausdrückte, dass von nun an nicht mehr einer abstrakten Ideologie, sondern pragmatischer Professionalität und somit der empirischen Erfahrung höchste Priorität beigemessen wurde. Um die Modernisierung des Landes course of their struggle for and consolidation of power. The recent debate about China’s cultural heritage and about the problem of tradition and modernity can be seen as a strong critique of Mao’s legacy through the recovery and continuation of the incomplete enlightenment of the May Fourth movement« Aus: Liu Kang. 1993, S.23- 24. Damals wie heute stand die Frage nach einer zeitgemäßen nationalen »chinesischen Identität« im Mittelpunkt des Interesses und wurden verschiedene Varianten einer chinesischen Moderne diskutiert. Die »4. Mai Bewegung« war eine nationale kulturelle Bewegung, die sich aus Protest gegen die koloniale Unterdrückung und um die innere nationale Schwäche und Stagnation zu überwinden, formiert hatte. Mit dem Ziel, China zu modernisieren und um den Anschluss an den Westen bzw. die internationale Gemeinschaft zu finden, diskutierten Intellektuelle verschiedene theoretische Modelle. Dabei kamen vor allem folgende Themen zur Sprache: Anti-Traditionalismus, insbesondere Anti-Konfuzianismus, China versus westliche Welt, Fortschritt mithilfe der Übernahme westlicher Ideen, das heißt der notwendige totale Bruch mit der eigenen Tradition oder im Gegensatz dazu die Rückbesinnung auf eigene kulturelle Wurzeln in Kombination mit dem Import westlicher Technik. Die »4. Mai Bewegung« gilt als Scheidelinie zwischen Tradition und Moderne in China und wird von einigen Intellektuellen als Aufklärungsbewegung bezeichnet. Die literarische Reform, deren wichtiger Wortführer Hu Shi war, ist in diesem Zusammenhang von weitreichender Bedeutung. Mit dem Ziel, nicht nur gebildete Eliten, sondern das ganze Volk zu erreichen, wurde in der Literatur das bisher verwendete schwierige Schriftchinesisch (wenyanwen) durch die Verwendung der gesprochenen Umgangssprache (baihua) eingeführt. Der Name der Reformbewegung bezieht sich auf die Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking am 4. Mai 1919 gegen die chinesische Regierung, die der Entscheidung der Westmächte in Versailles zugestimmt hatte, die ehemals deutschen Kolonialgebiete nicht an China zurückzugeben, sondern sie Japan zu vermachen. Mit den Massenprotesten wurde tatsächlich erreicht, dass die chinesische Regierung die Unterschrift unter den Versailler Vertrag verweigerte. »Was als Aufschrei gegen den ausländischen Imperialismus begonnen hatte, wandte sich augenblicklich auch nach innen und löste ein Scherbengericht nicht nur über das gegenwärtige politische System Chinas, sondern über die nahezu gesamte kulturelle Tradition aus.« Aus: Weggel, Oskar. 1989, S. 35. Zur »4. Mai Bewegung« siehe: Weggel, Oskar. 1989, S. 34–39 und Gernet, Jacques. 1979, S. 543 ff., Fairbank, John. K. 1989, S. 188–208. Trotz vieler inhaltlicher Übereinstimmungen gibt es zwischen der »4. Mai Bewegung« und der Reformzeit der 1980er
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zu realisieren, stützte sich die Politik Deng Xiaopings in den Bereichen Wissenschaft und Technik auf den Import westlicher Ideen.22 In der Kultur setzte er im Unterschied zu Mao Zedong, der die Tradition als bourgois abgelehnt und bekämpft hatte, ausdrücklich auf die Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition als integrativem Moment bei der Schaffung eines neuen modernen und nationalen Selbstbewusstseins. Dengs Programmatik hatte direkte Auswirkungen auf die Kunst und Kultur: »The concept of what modern Chinese culture and art should be was defined from three angles: first, in relation to socialist art and culture, second, in relation to traditional Chinese culture, and third, in relation to Western culture, which had gained increasing influence since the opening of the country.«23 2122
Jahre auch sehr viele Unterschiede: »In the end it was the historical consciousness of Chinese modernity’s dual dependence upon the past and future that endowed the Cultural Discussion with an encyclopedic plentitude beyond the reach of any local determination provided by the early 20th century debates known as the May Fourth Movement. Thus although each of the major themes of the Cultural Discussion – the dominant voice of the instrumental rationality and scientism, the revival of Confucianism and the qimeng [Aufklärung] school, and the marginal practice of hermeneutics – might conjure up shadow images of the May Fourth debates, the discussion did not recycle old historical imagination in the simplistic sense. […] It was no longer the terms of crisis (which confined the May Fourth discourse to the perpetual present), but those of thought emancipation (a post Mao imaginery into which all three temporal orders were merged) that determined the spirit of Chinese modernity in the 1980s and distinguished the new era from the May 4th period. For the same reason whereas May Fourth intellectuals could only conceive of and emulate the single model of Eurocentric modernity, postcolonial global geopolitics has turned the notion of pluralism into reality.« Aus: Wang Jing. 1996, S. 47 f. 21 | Vgl. Weggel, Oskar. 1989, S. 311 und Shiping Hua. 1995, S. 1: »Third Plenum of the Eleventh Party Congress in December 1978 Deng said at the conference that the modernization of science and technology had to take priority over the three other modernizations of industry, agriculture and national defense. Hu Yaobang ›Smash superstition, master science‹. The superstition refers to Mao’s personality cult, while the science refers to principles guiding the newly started reform. The sudden enthusiasm about science was also reflected in a phenomenon that various intellectual-political trends emphasizing some kind of science seemed to overwhelm a counter trend, the various versions of humanism.« 22 | Vgl. Bryson, Norman. 2003, S. 239. 23 | Interessanterweise wurde dies bereits schon von Cai Yuanpei (1868–1940), dem ersten Bildungsminister der chinesischen Republik proklamiert: »Als Rektor der Pekinger Universität hielt er 1917 die wegweisende Rede ›Die Religion durch ästhetische Bildung ersetzen‹ und eröffnete 1927 unter Chiang Kaisheks Regierung die erste Nationale Akademie der bildenden Künste in Hangzhou, Südostchina. Ihr Motto: ›Die westliche Kunst einführen, die chinesische Kunst überarbeiten, chinesische und westliche Kunst einander annähern, und daraus eine zeitgemäße Kunst schaffen.« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 66.
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Neben den »Vier Modernisierungen« in den Bereichen Industrie, Landwirtschaft, Wissenschaft und Technik stand Deng für die Politik der offenen Tür, die das Land aus seiner Isolation holen und sowohl Technik als auch Kapital aus den westlichen Industrieländern bringen sollte. Positiven Einfluss auf das Kunst- und Kulturschaffen hatten insbesondere die Direktiven »Lasst hundert Blumen blühen« (baihua qifang)24 und »Sucht die Wahrheit in den Tatsachen« (shi shi qiu shi), das heißt in der realen Welt und nicht in erster Linie in den ideologischen Schriften, sowie »Befreit euer Denken« (jiefang sixiang). Diese im Rahmen der offiziellen Reformbemühungen gemachten Äußerungen nahmen viele Künstler und Intellektuelle sehr ernst, was zu einer enormen Erweiterung ihres künstlerischen und geistigen Horizonts führte, was in Konsequenz eine zunehmende Pluralisierung des Kunstschaffens in China zur Folge hatte. Darüber hinaus war die Einmischung des Staats in die Kunst unter Deng Xiaoping zurückgegangen. So spielten beispielsweise die künstlerischen Modelle – bestimmte Kunstwerke, die von der kommunistischen Regierung als politisch korrekt festgelegt worden waren –, die für Mao Zedong zu den wichtigsten ideologischen Werkzeugen gehört hatten, unter Deng keine Rolle mehr.25 Es gab keine klaren thematischen und stilistischen Vorgaben mehr. In den oberen Etagen der Regierung schien sich keiner mehr für das Tun der Künstler zu interessieren und so entwickelte sich eine große Grauzone, in der experimentelles Kunstschaffen möglich wurde. »Under Mao, artists could exhibit only what the party sought. But under Deng Xiaoping, artists who chose to experiment might show whatever the party did not specifically ban. The black cat/white cat strategy was opportunistic – try it and see what happens.«26 Nach einer langen Zeit der Repression und Intellektuellenfeindlichkeit unter Mao Zedong und insbesondere während der Kulturrevolution herrschte in den 1980er Jahren ein vergleichsweise liberales und intellektuellenfreundliches Klima. Auf dem Dritten Plenum des 11. Zentralkomitees wurde von der Partei eine liberalere Kulturpolitik beschlossen. In der parteinahen Zeitschrift des Künstlerverbands Meishu wurde eine geheime Rede Zhou Enlais veröffentlicht, in der er bereits 1961 für mehr Freiheit für die Kunst plädiert hatte.27 Im selben Jahr, 1978, rehabilitierte Deng Xiaoping zahlreiche Intellektuelle, die während der Kulturrevolution ausgeschlossen worden waren.28 Im Oktober 1979 wurde in Peking nach 19 Jahren der 24 | Die Kampagne »Lasst Hundert Blumen blühen« war eine Wiederbelebung der gleichnamigen Kampagne Mao Zedongs von 1956, die damals ein jähes Ende fand, als Mao diejenigen, die dem Aufruf gefolgt waren, Kritik geäußert und Verbesserungsvorschläge gemacht hatten, kurzerhand verurteilte. 25 | Julia F. Andrews. 2000, S. 19. 26 | Ebd., S.22. 27 | Sullivan, Michael. 1996, S. 218. 28 | »Am 18.3.1978 forderte er (Deng Xiaoping) im Rahmen der Nationalen Wissenschaftskon-
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vierte Nationale Kongress für Literatur- und Kunst-Arbeiter abgehalten. Indem an Lenin erinnert wurde, der gesagt hatte,»greater scope must undoubtedly be allowed for personal initiative, individual inclination, thought and fantasy, form and content«, wurde auch hier die neue liberale Linie der offiziellen Kulturpolitik untermauert.29 Ende der 1970er Jahre wurde die Modernisierung sowohl in der politischen Führung der Kommunistische Partei Chinas als auch in den sehr optimistischen Künstler- und Intellektuellenkreisen zur offiziellen Aufgabe erklärt. Viele Künstler, Literaten und Intellektuelle waren damals hoffnungsvoll gestimmt und drängten darauf, sich aktiv am offiziellen Großprojekt der Erneuerung und Modernisierung Chinas zu beteiligen. Dies erwies sich allerdings in der Rückschau als illusorisch. Zwar glaubten viele Künstler und Intellektuelle lange Zeit daran, mit der offiziellen Seite an einem Strang zu ziehen, in der Realität aber war das kulturelle Klima der 1980er Jahre von Konflikten zwischen den Intellektuellen und Künstlern und ihren Utopien modernen Denkens und dem offiziellen autoritären Modernisierungskurs geprägt.30 Der Staat saß, wie die andere Seite immer wieder schmerzlich erfahren musste, stets am längeren Hebel der Macht, was durch Reglementierungskampagnen mehrfach zum Ausdruck gebracht wurde.31 Im Jahr 1981 verabschiedete die Partei aus ferenz eine Rehabilitierung der Intellektuellen. Wissenschaft sei die wichtigste Produktionskraft überhaupt: Woher kämen denn sonst die Erfolge der letzten 200 Jahre!? Wissenschaftler seien überdies keine ›bürgerlichen Intellektuellen‹, sondern ›Arbeiter‹, die allerdings nicht mit den Händen, sondern mit dem Kopf zu Werke gingen.« Aus: Weggel, Oskar. 1989, S. 209. 29 | Sullivan, Michael. 1996, S. 218. 30 | Deng Xiaoping hatte sich zwar vom ideologischen Determinismus Mao Zedongs weitestgehend verabschiedet, stand aber dennoch weiterhin in der Tradition der »alternativen Modernisierung« Mao Zedongs: »For roughly half a century (1930–1970s) Mao drew a revolutionary blueprint for China’s modernity or ›alternative modernity‹ under the conditions of Western pressure and China’s own historical tradition of the old empire. Mao recognized the centrality of culture and ideology in the revolution. […] Mao’s project of ›alternative modernity‹ however should be seen as still enmeshed in a modernist epistemology, susceptible to a teleological, determinist logic of progress and development. […] Post-Mao China under Deng’s gaige kaifang witnessed the debunking of Mao’s cultural and ideological determination but not of the deterministic and instrumental reason that Mao had enacted during his reigns. Only the ›content‹ of determinism was reversed, as it were, from a cultural ideological determinism to a resolute economic determinism.« Aus: Liu Kang. 2004, S. 8. 31 | Vgl. Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 25 Norman Bryson diagnostiziert die Alternation zwischen Verbot und Erlaubnis als Ausdruck der Machtverhältnisse und zugleich als Motor der Kunstentwicklung in den 1980er Jahren in China: »Semiotic Warefare shows that this dialectical relation between permission and the withdrawal of the permission lies at the heart of art making in these extensely productive years, from the first tentative steps (Cheng Conglin’s Snow on a Certain Day in a Certain Month in 1968, or Luo Zhongli’s Father, works which are still, so to speak, testing the waters) through to the final pistol shots that echoed
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Angst, die Kontrolle und ihre Macht zu verlieren, die »Kampagne gegen den bourgoisen Liberalismus« (zichan jieji ziyouhua). Von nun stand nicht mehr die »Befreiung des Denkens« an erster Stelle, sondern die »Schaffung einer neuen sozialistischen Kultur«. Ende 1983 und 1984 folgte die Kampagne gegen »geistige Verschmutzung« (jingshen wuran), die sich gegen westliche Einflüsse und deren Auswirkungen im Denken wandte,32 1987 folgte eine weitere Kampagne gegen den »bourgoisen Liberalismus«.33 Diese Kampagnen verlangsamten die Entwicklung der modernen Kunst, konnten ihr aber nicht völligen Einhalt gebieten.34 Als die Partei aber 1984 selbst feststellen musste, dass diese Kampagnen dem Reformprozess hinderlich waren, wurden die Zügel wieder etwas lockerer gelassen, was umgehend zu einer zweiten Explosion von neuen Ideen führte und die bereits erwähnte »85 er Bewegung«, die weiter unten ausführlich thematisiert werden wird, begünstigte.
through the National Gallery in 1989, suddenly revealing the structure of permisson/withdrawal of permission as the power situation underlying all of the previous decade’s developments pistol shots which, in the moment then they demonstrated the subtending power structure, also brought power crashing down on all sides.« Aus: Bryson, Norman. 2003, S. 239. 32 | Die »geistige Verschmutzung« bezog sich insbesondere auf westliches Gedankengut, das infolge der Politik der offenen Tür nach China Einzug gehalten hatte. »Obwohl die reformerische KPCh den Vorsatz gefasst hatte, keine Kampagnen mehr durchzuführen, geriet der im November 1983 aufgenommene Kampf gegen ›geistige Verschmutzung‹ unversehens zu einer Quasi-Kampagne, die sich, wie es hieß, ›schwerpunktmäßig gegen rechtes Gedankengut‹ richtete. Den Linken, die auf Deng nicht gerade gut zu sprechen waren, kam eine solche Zielsetzung als Alibi gerade recht; konnten sie doch nun gleich auch all jene reformerischen Maßnahmen mitkritisieren, die aus ihrer Sicht ja ebenso zu weit ›rechts‹ lagen. Zusammen mit literarischen und ideologischen Neuerungen wie ›Nihilismus, Ultraindividualismus, Existenzialismus und Anarchismus‹ wurde in einem Abwasch auch gleich noch das Reformwerk Deng Xiaopings angegriffen. […] Dies war ein Affront, den sich der Hauptarchitekt der Regierungspolitik unmöglich gefallen lassen konnte. […] und gab der Verschmutzungskampagne eine Kehrtwendung. Sie sollte sich nun nicht mehr gegen Rechts, sondern wieder gegen Links richten. 1981 bereits hatte die Partei eine besorgniserregende bürgerliche Liberalisierung (zichanjieji ziyouhua) entdecken müssen, die, wie Zhao Ziyang es formulierte, das genaue Gegenteil der ›Vier Grundprinzipien‹ sei. ›Bürgerliche Liberalisierung‹ strebe nicht nur Systemveränderung an, sondern sei auch das Einfallstor für gesellschaftlichen Pessimismus, nationalen Nihilismus, extremen Egoismus, Irrationalismus, dekadente Kunstrichtungen, Sexismus, elitäres Kunstverständnis und den Wunsch nach ›vollständiger Verwestlichung‹. Hier wurde alles in einen Topf geworfen – etwa nach der Formel: ›Bürgerliche Liberalisierung = Verwestlichung = Kapitalismus = Demokratie nach westlichem Vorbild = Verstoß gegen chinesische Verfassung = Trivialliteratur = Pornographie = Sartre = Libertinismus‹ usw.« Aus: Weggel, Oskar. 1989, S. 350 f. 33 | Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 45. 34 | Vgl. ebd., S. 24.
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Auf dem dritten Plenum des Zwölften Zentralkommitees im Oktober 1984 erfuhren die ökonomischen Reformen eine solch maßgebliche Fortführung, dass im Jahr 1985 zahlreiche Artikel erschienen, die versicherten, dass man weiterhin am Sozialismus festhalten wolle. Um die zunehmende Wirtschaftskriminalität einzudämmen und weil die Regierung wieder um ihren Einfluss fürchtete, wurde die freie Meinungsäußerung 1985 erneut eingeschränkt.35 Trotz der immer wieder auftretenden Beschränkungen durch die Regierung hielten Intellektuelle und Künstler an der Fortsetzung ihrer Diskussionen fest.36
35 | Brugger, Bill; David Kelly. 1990, S. 17 f. 36 | In den Diskussionen wurden sehr unterschiedliche Ansätze verfolgt. Vgl. ebd., S. 12: "Since 1978 when the Communist Party called upon people to emancipate the mind, Chinese scholars in the field of philosophy and political economy have been able to carry on where the debates of the 1920s left off. Some of the arguments are profound and, if allowed to develop, might betoken a revitalization of Marxism similar to that which occurred in Europe in the 60s. Others however repeat scientific and reductionist orthodoxies of the Soviet mechanists. A humanistic Marxism which seeks to explore the roots of alienation, coexists uneasily with a scientific reductionism geared to the needs of the four modernizations (industry, agriculture, science and technology and national defence)« Hua Shiping stellt in seinem Buch »Scientism and Humanism« (1995) jeweils drei Vertreter der beiden Hauptrichtungen vor und sagt über die beiden Richtungen: »At the Third Plenum of the Eleventh Party Congress in December 1978 Deng said at the conference that the modernization of science and technology had to take priority over the three other modernizations of industry, agriculture and national defense. Hu Yaobang ›Smash superstition, master science‹. The superstition refers to Mao’s personality cult, while the science refers to principles guiding the newly started reform. The sudden enthusiasm about science was also reflected in a phenomenon that various intellectual-political trends emphasizing some kind of science seemed to overwhelm a counter trend, the various versions of humanism. […] Two underlying implications of scientism are objectiveness in terms of intellectual pursuit and neutrality in terms of value judgement. These two qualities are the opposites of voluntarism, which supposed to put ideology-laden ethics above everything else. Voluntarism and ethic purism ran rampant during the Cultural Revolution which was prior to the emergence of scientism in the 80s. There may be connections between the Cultural Revolution and the current surge of scientism which followed immediately.« Aus: Hua Shiping. 1995, S. 1 und S. 39.
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5. ZU ENTWICKLUNGEN DER MODERNEN CHINESISCHEN KUNST IM ZEITRAUM VON 1979 BIS 1984 IN IHREM IDEENGESCHICHTLICHEN BEZUGSFELD 5.1 Modernisierungsdiskurse Das Hauptthema der Diskussionen in der offiziellen wie auch der inoffiziellen Sphäre war die Modernisierung Chinas, wobei sich über die zu beschreitenden »richtigen« Wege heftige Auseinandersetzungen entzündeten. Die Diskussionen um die Modernisierung Chinas kreisten wie bereits in der ersten Modernisierungsphase Anfang des 20. Jahrhunderts um den Grad der Anpassung bzw. Übernahme westlicher Ideen bzw. deren Ablehnung und hatten die Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition sowie dem Sozialismus und dessen Reform zum Thema. Während der offizielle Modernisierungsdiskurs in erster Linie materialistisch geprägt war, standen in Kreisen der Avantgarde-Kunst Diskussionen über Ideale der Aufklärung und die mit ihr verbundenen Werte wie Individualität, Subjektivität, Freiheit und Demokratie im Mittelpunkt.37 Große Unstimmigkeiten herrschten über die richtige Definition des Begriffs »modernes Bewusstsein« (xiandai yishi)38 und damit zusammenhängend, 37 | »From the mid 70s to the mid 80s first under leadership of Zhou Enlai then Deng Xiaoping a blueprint of state-sponsored modernization emerged. Modernity was envisioned as modernization in material production. Official slogan emphasized the realization of the ›Four Modernizations‹: Modernization of agriculture, industry, national defense, and science and technology. Modernization was understood primarily as modernizing outdated technology, production methods and management systems and raising the material living standard of citizens. The acquisition of Western learning (in the areas of natural and applied sciences, technology and business management) was important to the extent that it might quicken the modernization process. Modernity/modernization did not include extensive political and institutional change.« Aus: Lu, H. Sheldon. 2001, S. 52. 38 | »The official guiding principle for the modern national culture was modern consciousness (xiandai yishi), a concept formulated at the Third Plenary Session of the XI Central Committee in 1978, and adapted by the art world in the early 1980s.« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 66. Wang Jing beschreibt etwas ausführlicher: »Who owns the copyright of the neologism is by no means settled. Both the Party and the elite have laid claim to it and appropriated the term for their own ideological agendas. Contrary to conventional wisdom, the term xiandai yishi incorporates more than just the consciousness of resistance to the so-called official consciousness. The linking of resistance and ›modern consciousness‹ is in fact a much later reinvention of the original term that departs quite dramatically from its earlier semantic culture. As many Marxist ideologues would remind us, the seeds of modern consciousness were sown as early as 1978, when the Third Plenary Session of the Eleventh Party Congress launched the campaign of ›thought emancipation‹ and initiated the agenda of modernization. It was, in short, a term that the Party owned and propagated at the very start.« Aus: Wang Jing 1996, S. 138,139.
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wie die richtige Haltung bzw. wie der richtige Weg zur Reformierung Chinas auszusehen habe.39 Während die offizielle Seite weiterhin ein monolithisches, sozialistisch gefärbtes Verständnis von »Wahrheit« vertrat und in diesem Zusammenhang den Begriff der »Authentizität« (zhenshi) betonte, in der Kunst »authentische« Repräsentation40 von Geschichte und Realität propagierte, so herrschte bei den »humanistischen« Künstlern, die bis Mitte der 1980er Jahre die Kunstszene ausmachten, der »humanistische Enthusiasmus« (renwen reqing).41 Sie stellten den persönlichen Blick auf die Welt in den Vordergrund, waren also im Unterschied zur offiziellen Seite pluralistisch orientiert. Hauptanliegen der Vertreter der ästhetischen Moderne in der Post-Mao-Zeit war es, das »Unreale« der sozialistischen Realität zu entlarven und aufzudecken, um auf diese Weise der Entdeckung des eigenen Selbst und des privaten Raums Ausdruck zu verleihen. Um die Anfänge dieser Problematik in den 1980er Jahren im Umkreis der »humanistischen« Künstler zu verdeutlichen, widmet sich der nun folgende Exkurs der Humanismus-Debatte und der »Schule der Entfremdung«, welche in diesem Kontext eine maßgebliche Rolle gespielt hat.
5.2. Ausführungen zum »Humanismus«-Diskurs und die in diesem Kontext diskutierte Aufwertung des einzelnen Menschen am Beispiel der »Entfremdungsschule« Vor dem Hintergrund der kritischen Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit, das heißt insbesondere mit den Erniedrigungen des einzelnen Menschen während der Kulturrevolution und mit dem von Mao Zedong vertretenen Konzept einer sich kontinuierlich im Klassenkampf befindenden Gesellschaft, in der sich der einzelne Mensch dem Kollektiv unterzuordnen hat, war ein Hauptthema in den politischen und philosophischen Diskussionen Anfang der 1980er Jahre die Modernisierung Chinas, im Sinne der Reformierung der marxistisch-maoistischen 39 | Sowohl in offiziellen als auch Intellektuellenkreisen wurden Symposien zum Thema xiandai yishi abgehalten. Vgl. Wang Jings Ausführungen: Wang Jing. 1996, S. 140 und Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 66 über Symposien und Publikationen zum Thema ›modern consciousness‹ unter Künstlern: »Symposia aimed at redefining the notion [of modern consciousness] were organized throughout 1985 and 1986, and articles in art magazines discussed the significance of the modern consciousness for the 85’Movement under headings like ›The Modern Consciousness and the Visual Arts‹ (xiandai yishu yu yishu).« 40 | Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 68: »The reflection of authenticity is to be made on a higher universal and therefore more typical plane, resulting in the stylization of the representation. Ultimately the appearance of reality is to express the intrinsic qualities of things: that is the socialist ideas.« 41 | Ebd., S. 67.
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Ideologie, und in diesem Kontext die Formulierung eines der neuen Zeit angemessenen Menschenbildes, das den Wert und die Würde des Individuums, seine Rechte und Freiheiten respektiert.42 Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit dem »Humanismus«,43 der von verschiedenen Denkrichtungen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln diskutiert wurde.44 Besonders wichtig Bedeutung im Kontext des »Humanismus-Diskurses« im China der 1980er Jahre ist die sogenannte »Schule der Entfremdung«, deren erklärtes Ziel die Etablierung eines erneuerten, nämlich humanistischen Marxismus war.45 Seine wichtigsten Vertreter Wang Ruoshui und Zhou Yang prägten den Begriff der sozialistischen Entfremdung,46 deren Überwindung ihrer Meinung nach die notwendige Bedingung darstellte, um einen humanistischen Marxismus zu erreichen.47 Sich auf die zu Karl Marx’ Frühwerk 42 | Detaillierte Ausführungen zu diesem Thema siehe: Brugger, Bill; David Kelly. 1990. 43 | Wie bereits weiter oben erwähnt, versteht Gao Minglu unter »Humanismus« in China »so etwas ähnliches« wie »Individualismus«: »When contemporary Chinese artists use ›humanism‹ in their writings, they usually mean something like individualism. […] Perhaps it is because ›individualism‹ carries somewhat negative connotations in China that the word for humanism or ›rendaozhuyi‹ was used to express this pursuit of discovering and expressing individualism (gerenzhuyi).« Aus: Gao Minglu. 2005a, S. 117, Fußnote Nr. 6 und S. 89. Der Begriff des Humanismus nimmt in der chinesischen Geschichte eine bedeutende Stellung ein. Die Genese des Begriffs reicht in die Zeit der »Vierten Mai Bewegung« zurück. In der chinesischen Geschichte gibt es drei verschiedene Bezeichungen für »Humanismus«: renwenzhuyi, rendaozhuyi und renbenzhuyi, die alle für verschiedene, zum Teil sogar gegensätzliche Diskurse stehen. Ausführliche Diskussion der verschiedenen Humanismus-Diskurse in China siehe: Wang Hui. 1995. 44 | Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen humanistischen Geisteströmungen und ihren konkreten Vertretern kann im Rahmen dieser Arbeit leider nicht geleistet werden. Detaillierte Ausführungen zum Thema siehe Hua Shiping (1995). Hua Shiping stellt in seinem Buch drei unterschiedliche Positionen dreier Intellektueller vor, die er der humanistischen Strömung zurechnet: Den Marxistischen Humanismus von Wang Ruoshui, den Konfuzianischen Humanismus von Li Zehou und den Kritischen Humanismus von Gan Yang. 45 | »Without the intervention of the alienation school in Chinese intellectual and political debates at such a historical moment, the issue of humanism would not have occupied such a prominent place on the national agenda and the liberatory vision would not have been so deeply engraved on the intellectual history of the 80s.« Aus: Wang Jing. 1996, S. 10. 46 | Über den Begriff der »sozialistischen Entfremdung« siehe auch Wang Jing. 1996, S. 9–37, Brugger, Bill; David Kelly. 1990, S. 142, S. 149 und S. 153. 47 | Wang Ruoshui und Zhou Yang wollten den Sozialismus nicht abschaffen, sondern erneuern: »[…] what Wang Ruoshui and Zhou Yang set out to achieve was much less the condemnation of dogmatic Marxism than the seizure of the historical opportunity to rejuventate an ossified ideology by reconstructing a genuine ethics of humanism within the ideological confines of Marxism« aus: Wang Jing. 1996, S.11.
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gehörenden »Ökonomisch-philosophischen Manuskripte« aus dem Jahre 1844 beziehend,48 in denen dieser das erste Mal seine Theorie der entfremdeten Arbeit ausführte, attestierten sie dem Sozialismus in der Mao-Zeit keineswegs die Überwindung der Entfremdung, sondern im Gegenteil eine sozialistische Entfremdung, die in erster Linie Mao Zedongs Voluntarismus zuzuschreiben sei.49 Die humanistischen Marxisten kritisierten Mao Zedongs Interpretation des Sozialismus zum einen, weil er die Freiheit des Menschen vernachlässigt habe, und zum anderen wegen seiner brutalen Herrschaftsweise im Namen des Volkes. Über die Erreichung eines humanistischen Marxismus sagte Wang Ruoshui: »the determined rejection of the ›total dictatorship‹ and cruel struggles of the Cultural Revolution; abandonment of personal cults which defy one man and degrade the people; upholding the equality of everyone before the truth and the law; and the sanctity of personal freedom and dignity […] It means opposing feudal ranks and concepts of privilege, opposing capitalist and money worship, and the treatment of people as commodities or mere instruments: demanding that people really be seen as people, and that individuals be judged by what they are in themselves, and not on the basis of origins, position or wealth.«50
Dieser Ausgangspunkt der Kritik an der herrschenden Ideologie und der Kulturrevolution wurde von der Partei zumindest vorerst aus Angst, ihre eigene Legitimation
48 | Hou Hanru behauptet, dass Marx von den Vertretern der »Entfremdungsschule« in der Interpretation durch die Frankfurter Schule rezipiert wurde: »It is interesting that such a radical change in the understanding of man had in fact be initiated and legitimized by a ›revision‹ of the orthodox ideology through a ›rediscovery‹ of the Frankfurter Schule reading of Marx’ Economic-Philosophical Writings of 1844, which focused on alienation of man and loss of humanist values in capitalist societies.« Aus: Hou Hanru. 1997b, S. 59. 49 | Zitiert nach nach Xue Dezhen in Brugger, Bill; David Kelly 1990, S. 146: »According to the original sense of Marxist philosophy, in transcending the system of public ownership in the process of transition from socialism to communism, one should unceasingly overcome human alienation. Humans ought to completely appropriate their essence. Hithero deficient and imcomplete humans would then gradually become ›complete humans‹. But if we look back at the ten years of chaos, the phenomenon of human alienation was not only not overcome in any way but actually become more malignant. Leaders of the people became alienated as divine, a fervid modern superstition appeared. The power of the people became alienated as a force which suppressed the people.« 50 | Brugger, Bill; David Kelly. 1990, S. 164. Zitiert nach Wang Ruishui in: Kelly, David A. (Hg.). Wang Ruoshui: Writings on Humanism, Alienation and Philosophy, a special issue of Chinese Studies in Philosophy, 16, 3, Spring 1985.
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zu verlieren, abgelehnt.51 Ihrer Meinung nach gab es Entfremdung nach wie vor nur im Kapitalismus, aber nicht im sozialistischen System.52
5.3. Humanismus-Diskurse und Subjektfragen in der modernen chinesischen Kunst der 1980er Jahre In der frühen Stunde der modernen, sich im Geiste des »modernen Bewusstseins« (xiandai yishi) entwickelnden Kunst in China Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre stand die Beschäftigung mit dem »Humanismus«, das heißt mit dem individuellen Menschen im Vordergrund. Dieser Fokus ist vor dem Hintergrund der Katastrophe der Kulturrevolution und der damit verbundenen Unterdrückung des einzelnen Menschen zu verstehen sowie im Kontext der jahrelang verordneten, im Dienste des Sozialismus funktionierenden Kunst im Stil des sozialistischen Realismus, die keinen individuellen Ausdruck vorsah, weil sie ein kollektives Subjekt, das im Auftrag des Sozialismus handelt, voraussetzte. Das Ziel des sogenannten »humanistischen Enthusiasmus« (renwen reqing), der das moderne Kunstschaffen seit Beginn Ende der 1980er Jahre bis in die späten 1980er dominierte, war die Emanzipierung des entfremdeten individuellen Menschen. In der modernen chinesischen Kunst der 1980er Jahre standen Fragen zu Subjektkonzepten und Subjektivität im Vordergrund.53 Die Betonung des subjektiven 51 | »After the Anti Pollution Campaign in 1983 when Wang was purged, Marxist humanism has gradually been losing influence. Press coverage of the issue of humanism gradually faded away in the late 80s. This is not entirely due to government censorship since after punishing and since the banishing of Marxist humanists such as Wang and Zhou, the regime finally acknowledged the constructiveness of the concept of humanism.« Aus: Hua Shiping. 1995, S. 3 52 | »Though critics of the alienation school were not unanimous in their views on the applicability of the term to phenomena in capitalism, they all agreed that the term should not be applied to socialist society. Hu Qiaomu [Vertreter der offiziellen Seite; B. H.] argued forcefully that in capitalism the labor of hired workmen may be seen as becoming an alienated force which turns around and dominates itself. To argue that the same thing might happen in socialism was to imply that socialism might be negated by dynamics internal to itself. Alienation it seemed was a meaningless concept outside capitalist relations of exploitation.« Aus; Brugger ; Kelly 1990, S. 153. Außerdem galt, und deswegen musste die Vorstellung der Entfremdung im Sozialismus von der offiziellen Seite angelehnt werden: »Underlying all the communist critiques of socialism is the ominous accusation that whereas capitalist alienation is economical, therefore partial, communist alienation is political and total.« Aus: Wang Jing. 1996, S. 13. 53 | »Following the resurgence of the humanist May Fourth (1919) tradition in literature and the arts in the wake of the Cultural Revolution and the subsequent debates in philosophical and economical circles about modernization, the concept of subjectivity has gained a
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Ausdrucks war damals konstitutiv für die Entstehung und Entwicklung der modernen Kunst in China: »In the arts […] the quest for a subjective and authentic representation of reality is marking the beginning of an alternative art.«54 Im Unterschied zu den Anhängern der »Entfremdungsschule«, die das Subjekt zwar in den Mittelpunkt stellten, aber die ihm zugeschriebenen Rollen des Unterdrückten oder des Unterdrückenden als Produkt von Sozialisierungsprozessen nicht infrage stellten, sondern akzeptierten,55 fand eine diskursive Auseinandersetzung mit dem transformatorischen und emanzipatorischen Potenzial des Subjekts erst in der modernen Kunst statt.56 Im Unterschied zu Wang Ruoshui glaubten die modernen Künstler nicht daran, dass sich die Gefühle der Entfremdung von allein auflösen würden, sobald nur die äußeren Bedingungen der Unterdrückung wegfallen und keine entfremdete Arbeit mehr verrichtet würde.57 Um die Entfremdung des einzelnen Menschen zu beenden, setzten die »humanistischen« Künstler auf die Macht und Veränderungskraft des Individuums.58 Sie lehnten die »authentische« Darstellung der sozialistischen Realität ab und favorisierten stattdessen die subjektive Repräsentation vom »wirklichen« Leben. Im Vordergrund standen persönlicher Ausdruck und individuelles Gefühl und im Zuge dessen die Ablehnung der typologisierten Realität in der Kunst im Stil des sozialistischen Realismus.
centrality in recent debates about culture in China, starting in the mid 80s«. Aus: Liu Kang. 1993, S. 23. 54 | Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 24. 55 | Vgl. Wang Jing. 1996, S. 19 56 | Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 70 f. 57 | »Theorists like Wang Ruoshui felt short of demonstrating that de-alienation is not a quasi automatic result of the end of the external conditions of oppression nor does it necessary follow the dissolution of alienated labour.« »As long as the Chinese fail to acknowledge that the pattern of thought and action inculcated through the experience of oppression take on a substantiality and a life of their own, alienation will be reproduced from within at any suggestive call for the return of the repressed.« Aus: Wang Jing. 1996, S. 20. »Wang Ruoshui and his colleagues would had to dwell less on Mao Zedong’s tyrannical rule than on the recognition that struggles for de-alienation are, ›often eroded and defeated‹ from within ›by the effects of internalized oppression‹.« Aus: ebd., S. 19. 58 | Während das Subjekt im von postmodernen Theorien dominierten Westen für tot erklärt wurde, wurde es in China, anknüpfend an die »4. Mai Bewegung« Anfang des 20. Jahrhunderts, wiederbelebt. Vgl. Liu Kang. 1993, S. 23.
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5.3.1. Erinnerungskunst als künstlerischer Ausdruck des Humanismus-Diskurses Im Kontext der »humanistischen« Kunst dominierte Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980er Jahre die sogenannte Erinnerungskunst, deren Vertreter sich unter den Prämissen von Wahrheit und Humanismus mit der jüngeren Vergangenheit auseinandersetzten, das heißt vor allem die Kulturrevolution und die maoistische Kunst kritisierten. Folgende Kunstrichtungen sind in diesem Zusammenhang zu verstehen. In der sogenannten »Narbenmalerei« (shanghen huihua), die Ende der 1970er Jahre aktuell war, setzten sich die Künstler mit ihren persönlichen, oftmals sehr grausamen Erfahrungen während der Kulturrevolution auseinander. In der Anfang der 1980er Jahre aufkommenden Malerei im »Heimatboden-Stil« (xiangtu xieyi zhuyi),59 die dem sogenannten »Neuen Realismus«60 (xin xieshi zhuyi) zugeordnet wird, wird das Leben auf dem Land, wie es viele Künstler, die während der Kulturrevolution auf das Land verschickt worden waren, erlebt hatten, in Form von Darstellungen von Bauern und ethnischen Minderheiten thematisiert.61 Diese subjektive Interpretation der realistischen Darstellungsweise stand der of fiziellen entgegen und 59 | Beide Strömungen sind direkte Reaktionen auf Deng Xiaopings Aufforderung, sich mit der eigenen Kultur zu beschäftigen und die »Wahrheit in den Fakten zu suchen«. Ausführliche Informationen zur »Heimatboden Kunst« und zur »Narbenmalerei« siehe Gao Minglu. 2005a, S. 88, Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 67, Ausst.-Kat. China Avantgarde 1993, S. 20 und S. 46. Da die meisten Vertreter der »Heimatboden- Kunst« an der Kunstakademie in Sichuan studiert haben, wird auch oft von der Sichuan Schule gesprochen. Vgl. Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 92 ff.: Luo Zhonglis Gemälde Father (Abb. 3) und Chen Danqings Darstellungen von Tibetern (Abb. 4) zählen zu den wichtigsten Kunstwerken im »Heimatboden-Stil«. 60 | »New means of overcoming the artistic principles of the socialist realism of the 1970s were found. Factors initiating and nurturing the controversy concerning the reformation of realism include the return to the loose brush of the revolutionary romanticism of the late 1950s and early 1960s, the non-glorifying and non-stylizing representation of historical figures in the paintings of Scar art, and the interest both in the meticulous representation of material qualitities and in the authentic reflection of real life, characterizing the new realism developed by the Sichuan Painting School.« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 67. 61 | Gao Minglu. 2005a, S. 89: »The unidealized and often rather melancholy view of these people was unquestionable tied to a concern for humanism and a desire to ›seek truth from facts‹, a slogan which first appeared 1978, and represented new governmental policies, which resulted from a national congress held in Beijing to what had taken place under Mao during the Cultural Revolution. […] The idea that truth is not abstract, but rather what is experienced, observed, and measured in daily life, caused Chinese who were disillusioned by the Cultural Revolution to shift their values to pragmatism and individualism. Perhaps it is because ›individualism‹ carries somewhat negative connotations in China that the word for humanism or rendaozhuyi was used to express this pursuit of discovering and expressing individualism (gerenzhuyi).«
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Abb. 3: Luo Zhongli, Father (fuqin), Ölmalerei, 1980 (links) Abb. 4: Chen Danqing, Portrait of Tibetans (xizang zuhua), Ölmalerei, 1983 (rechts) Abb. 5: Wang Keping, Silence (chenmo), Holzplastik, 1979 (unten)
Quelle: Ausst.-Kat. Writing on the Wall. Chinese New Realism and AvantGarde in the Eighties and Nineties. 2008. Groningen (Abb. 3-5).
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war lange Zeit unerwünscht,62 was vor allem damit zu erklären ist, dass es im sozialistischen Verständnis nie nur um Kunst, sondern immer um Weltanschauung ging. Schon diese vermeintlich harmlose frühe Erinnerungskunst wurde von der offiziellen Seite aufgrund ihrer »Rückwärtsgewandtheit« als »nicht-modern« (fei xiandai) abgelehnt.63 Sie galt als nicht mit der sozialistischen Fortschrittsideologie vereinbar, wurde als bourgeois identifiziert und mit der westlichen Moderne in Zusammenhang gebracht. Wenig später allerdings wurde die Malerei im xiangtu-Stil von der offiziellen Seite in ihrem Bestreben, ein neues nationales Bewusstsein aufzubauen, akzeptiert und sogar in diesem Sinne funktionalisiert, was dazu führte, dass die Heimatboden-Malerei in modernen Künstlerkreisen, auch im Zuge der wachsenden Kenntnisse westlicher Kunst und anderer Stile als des bisher dominanten realistischen Stils, als nicht mehr zeitgemäß abgelehnt wurde. Weil das ästhetische Subjekt sowohl in der »Narben-« als auch in der »Heimatboden-Malerei« weiterhin kollektiv gefärbt war, indem es stets das Schicksal einer ganzen Generation thematisierte und sich darüber hinaus noch nicht aus der Rolle des unterdrückten Individuums emanzipiert hatte, stand es dem weiter oben beschriebenen Subjektverständnis der »Entfremdungsschule« noch sehr nahe. Konsequent beschritt den Weg der Emanzipierung des Subjekts das erste Mal die Künstlergruppe »Die Sterne« (xingxing xiaodu),64 die sich in der zweiten Hälfte 62 | »Factors initiating and nurturing the controversy concerning the reformation of realism include the return to the loose brush of the revolutionary romanticism of the late 1950s and early 1960s, the non-gloryfying and non-stylizing representation of historical figures in the paintings of Scar art, and the interest both in the meticulous representation of material qualities and in the authentic reflection of real life, characterizing the new realism developed by the Sichuan Painting School. The magazine Art created a special column entitled: ›Discussions on the Problem of Realism‹. Here, the question of how the innovation of realism should work was discussed predominantly in terms of developing an adequate understanding of it, of its importance for artistic creation and its historical significance. In all discussions, the notion of the ›authentic reflection of reality‹ (zhenshi di fanying xianshi) took a key position. The socialist theory of reflection requires a mode of representing reality in accord with the socialist Weltanschauung. Thus the reflection of reality is to be made on a higher, universal (and therefore more typical) plane, resulting in the stylization of the representation. Ultimately, the appearance of reality is to express the instrinsic qualities of things: that is the socialist ideals.[…] Works of art that reflect reality without positive stylization, for example Scar Art and new realism« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003, S. 67,68. 63 | »Among these problematized categories were the root searching (which allegedly ran counter to the zeitgeist of leaping forward), absurdity, subjectivity, nihilism, loneliness, depression, decadence-categories that the Party long held suspect because of their alleged origin in the West.« Aus: Wang Jing. 1996, S. 140. 64 | Über »Die Sterne« siehe: Ausst.-Kat. 1989 The Stars: 10 Years. 1989, Fok, Siu-har Silvia. 2002, Zhu Zhu. 2007. Des Weiteren siehe auch: Wu Hung. [1999] 2008, S. 17 ff., Berghuis, Thomas. 2006, S. 40–46, Gao Minglu 2005a, S. 64, Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 127–130.
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des Jahres 1979 gründete und als eine der ersten »Avantgarde-Künstlergruppe[n]«65 in der chinesischen Geschichte der modernen Kunst gilt, weil sie sich sowohl stilistisch, thematisch als auch strukturell hinsichtlich der Funktion von Kunst und dem mit dieser in engem Zusammenhang stehenden Subjektverständnis von der offiziellen Kunst abwandte.
5.3.2 Über die Künstlergruppe »Die Sterne« und deren Betonung des Subjektiven als Ausdruck eines explizit »humanistischen« Kunstverständnisses Im Unterschied zur xiangtu und shanghen Malerei, deren Hinwendung zu einer neuen subjektiven Sicht auf die Welt sich auf die Auswahl ihrer Bildthemen beschränkte, stellten »Die Sterne« sowohl die »objektive« Sicht des sozialistischen Realismus als auch die neuere offizielle Forderung nach »Authentizität« und somit das offizielle Kunstverständnis weitaus radikaler infrage, indem sie den individuellen, persönlichen Ausdruck (ziwo biaoxian) als Kern ihrer Kunst proklamierten. Obwohl auch »Die Sterne« der Erinnerungskunst zuzuordnen sind, weil sie sich weiterhin mit ihren Erfahrungen aus der unmittelbaren Vergangenheit beschäftigten, so unterscheiden sie sich doch grundlegend von der xiangtu und der shanghen Malerei. Während die xiangtu und shanghen Kunst dem Subjekt durch die Wahl entsprechender Themen Ausdruck verliehen, so erlangte das Subjekt bei »den Sternen« eine noch stärkere Betonung, indem sie den persönlichen Ausdruck als konstituierend für ihre Kunst auswiesen. Berühmt ist in diesem Zusammenhang der Ausspruch Qu Leileis, eines Mitglieds der Sterne: »Kunst ist in ihrer Essenz Ausdruck der inneren Welt des Künstlers« bzw. »seiner Erfahrungen und Gefühle von Glück und Unglück«.66 Oder auch der Ausspruch eines der Begründer dieser Künstlergruppe Ma Dasheng, der zur Auskunft gab, dass bereits der Name »Die Sterne« auf die Betonung des persönlichen Ausdrucks hinweisen soll: »Every artist is a star. Even great artists are stars from the cosmic point of view. Ten years ago we called our group ›the Stars‹ in order to emphasize our individuality. This was directed at the drab uniformity of the Cultural Revolution.«67 Beeinflusst durch die Rezeption unterschiedlicher post-impressionistischer Richtungen wie des Expressionismus, Kubismus und Surrealismus wandten sich »Die Sterne« von der rein realistischen Darstellung ab, was in Konsequenz dazu führte, dass der Realismus in China seine dominante Position verlor und das Kunstschaffen insgesamt pluralistischer wurde, wie es hier am Beispiel der Skulptur Silence
65 | Andere Post-Kulturrevolutions-Künstlergruppen waren: »No Name Group«, »»Peer Group«, »Beijing Oil Painting Research Institute«, vgl. Gao Minglu. 2005a, S. 66. 66 | Vgl. van Dijk, Hans. 1993, S. 25. 67 | Aus: Ausst.-Kat. 1989a The Stars: 10 Years. 1989, Solomon, Andrew. 1993, S. 2.
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(chenmo) (1979) von Wang Keping anschaulich wird. (Abb. 5) »Die Sterne« überwanden mithilfe der Rezeption der genannten, aus dem Westen stammenden Stile nicht nur die bisher verordnete stilistische Einfalt, sondern waren darüber hinaus auch die ersten nach der Kulturrevolution, die über die lange Zeit verschlossenen Grenzen Chinas hinaus Anschluss an die internationale Kunstwelt fanden.68 Die Betonung des individuellen Subjekts war eng verknüpft mit ihrer Forderung nach künstlerischer und individueller Freiheit, was mit ihrer politischen Forderung nach mehr Mitbestimmung und Demokratie einherging. Mit diesem Ruf nach persönlichem Ausdruck und Freiheit stellten sie die bisher offiziell gültige Funktion von Kunst als Instrument des Sozialismus radikal infrage. »Die Sterne« waren also nicht nur die Initiatoren einer alternativen Kunstszene, vielmehr ist mit ihnen aus heutiger Sicht der Beginn der Emanzipierungs- und Säkularisierungsbestrebungen von Kunst in China verknüpft.69 Denn mit ihrer Forderung nach Freiheit verband sich die Etablierung eines eigenen künstlerischen Wertesystems und somit die Forderung, sich aus der politischen Vereinnahmung zu befreien.70 Weil sie sich nicht nur für stilistische und thematische Neuerungen interessierten, sondern das bisherige (Kunst-)System und die Funktion, die der Kunst darin zugewiesen wird, infrage stellten, werden »Die Sterne« als erste Avantgarde-Künstlergruppe in China bewertet. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass »Die Sterne« sich auf diese Weise nicht nur gegen die Autorität der sozialistischen Macht wandten, sondern zudem die schon im traditionellen, aber auch im sozialistischen China weiterhin geltende »harmonisierende« Funktion von Kunst infrage stellten: »For they were courageous not only to confront authority so publicly, but also to challenge the deeply-held Chinese view that the purpose of art and the aim of the artist must be to inspire, to give pleasure, and to promote the harmony and wellbeing of society.«71 Wenngleich die Erneuerung und Pluralisierung künstlerischer Formen sehr wichtig war, so lag es dieser Künstlergruppe fern, sich von gesellschaftlichen Belangen abzugrenzen. Im Gegenteil, in ihrem Verständnis war Kunst kritischer Spiegel der conditio humana und somit immer auch gesellschaftlich signifikant.72 Wichtig zu erwähnen ist, dass »Die Sterne« der Demokratiebewegung sehr nahestanden. Ausgelöst durch das Verbot ihrer Ausstellung organisierten sie angeführt von ihrem Mitglied Ma Dasheng am Nationalfeiertag, am 1. Oktober 1979, eine Demonstration 68 | Vgl. Sullivan, Michael. 1989a, keine Seitenzahlen. 69 | Vgl. Barme, Geremie. 1999, S. 201–205. 70 | Vgl. Lu Peng; Yi Dan. 1992, S. 69–83. 71 | Sullivan, Michael. 1989a, keine Seitenzahlen. 72 | Deutlich wird dies in einem Zitat von Wang Keping, einem Mitglied der »Sterne«: »Käthe Kollwitz is our banner, Picasso our Pioneer.« Aus: Geremie Barme. 1989, S. 76, zitiert nach Wang Keping.
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unter dem Banner »We Demand Democracy and Artistic Freedom« und zeigten an der »Mauer der Demokratie«73 am Pekinger Xidan-Markt ihre künstlerischen Arbeiten. Sie drängten also in die Öffentlichkeit und stellten ihre Kunst in den Dienst für die demokratischen Werte der freien Meinungsäußerung und künstlerischen Freiheit. Der Einfluss der »Sterne« auf die Entwicklung der modernen chinesischen Kultur nach der Kulturrevolution war also außerordentlich bedeutsam. Obgleich sie aus künstlerisch-innovativer Sicht keinen großen Einfluss auf die nachfolgenden Generationen hatten, so ist ihnen vor allem zu verdanken, dass sie erstmals das geltende Verhältnis von Form und Inhalt radikal infrage stellten.74 »Die Sterne« lehnten die sozialistische Überzeugung, dass die Form dem Inhalt zu folgen habe, vehement ab und rückten durch die Betonung des subjektiven Ausdrucks formale Aspekte in den Vordergrund. Dies hatte zur Folge, dass die offizielle Seite die künstlerische Auffassung der »Sterne« ablehnte. Der individuelle Ausdruck des Selbst war diesen zufolge weder mit den ästhetischen Gewohnheiten der Massen noch mit der Maxime vereinbar, das reale Leben »objektiv«, das heißt »authentisch« abzubilden. Die Kunst der »Sterne« wurde als anti-sozial und als Adaption der westlichen Moderne, die vom bourgeoisen Existenzialismus beeinflusst sei, bezeichnet und deswegen grundsätzlich abgelehnt.75 In der Tat waren viele Mitglieder der »Sterne« und diesen nahestehende Künstler von Jean-Paul Sartre (1905–1980) beeinflusst, dem wichtigsten französischen 73 | Zu den Auswirkungen der Reformpolitik gehörte auch, dass sich viele das Recht auf Meinungsfreiheit nahmen: »Die Mauern der Städte überzogen sich schon bald mit einer Milchstrasse von Wandzeitungen, auf denen der Parteiapparat und das politische System zumeist kritisch hinterfragt und angeklagt wurden. […] Wandzeitungen wurden mit Vorliebe an der Beijinger ›Mauer der Demokratie‹ am Xidan-Markt in der Nähe des Kaiserpalasts angeschlagen. Die Bürgerrechtler nahmen selten ein Blatt vor den Mund und verfassten flammende Anklagen gegen Parteikarrieristen, verlangten die Einhaltung der Menschenrechte, riefen nach echtem Sozialismus und forderten die Entmaoisierung.« Aus: Weggel, Oskar. 1989, S. 314. »The Xidan Democracy Wall, Beijing 1979, was the first mass democracy movement in China after the Cultural Revolution.« Aus: Gao Minglu. 2005a, S. 82, Fußnote 4. 74 | Vgl. dazu Fok, Siuhar Silvia. 2002. 75 | Vgl. van Djik, Hans. 1993, S. 25. »The reaction of the conservative forces was immediate. The same month [als Reaktion auf Qu Leilei; B. H.], Qian He published his article ›The Expression of the Self Should Not Be considered the Nature of Painting‹ (ziwo biaoxian bu ying shiwei huihua de benzhi) in Art. There Qian described the expression if self as inconsistent with the aesthetic habits of the masses and as opposed to the dynamic of the theory of reflection, since the concept refutes the objective reflection of reality. It thus contradicted the nature and the function of socialist art, which consequently would lead to the adoption of Western modernity.« Aus: KöppelYang, Martina. 2003a, S. 70.
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Abb. 6: Zhong Ming, Sartre – He is himself (sate – ta shi ta ziji), Ölmalerei, 1980
Quelle: Köppel-Yang, Martina. 2003. Semiotic Warfare. The Chinese AvantGarde, 1979- 1989. A Semiotic Analysis. Hongkong.
Vertreter des Existenzialismus, der als essenzieller Humanismus bezeichnet wird.76 Nach Jean-Paul Sartre ist »der Mensch das, wozu er sich macht, ohne eine normhaft orientierende Seinsvorgabe (wie das Gute, Gott, Natur, Vernunft) zur Verfügung zu haben, weil das mit der menschlichen Existenz unverträglich wäre.[…].«77 In seiner Schrift »Der Existentialismus ist ein Humanismus« schreibt Jean-Paul Sartre selbst: »Der Mensch wie ihn der Existentialist versteht, ist nicht definierbar, weil er zunächst nichts ist. Er wird erst dann und er wird so sein, wie er sich geschaffen haben wird. Folglich gibt es keine menschliche Natur, weil es keinen Gott gibt sie zu ersinnen. Der Mensch, er ist lediglich, allerdings nicht lediglich, wie er sich auffasst, 76 | In einem Interview gibt Li Xianting über die Bedeutung Jean-Paul Sartres für ihn selbst als Akteur in der modernen chinesischen Kunst seit den 1980er Jahren zur Auskunft: »Wichtig sind mir vor allem die durch sein Werk vermittelten Gefühle des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft sowie die von ihm beschriebene Atmosphäre der Auswegslosigkeit. Er verdeutlicht das Dilemma, in dem der Mensch steckt.« Auf die Frage, ob mit Sartre und Nietzsche in China die Freiheit des Subjekts propagiert wurde, fährt Li Xianting fort: »Ja, das könnte man so sagen. Es wäre aber falsch, zu behaupten, sie hätten den Individualismus in die Köpfe getragen. Die Gedanken beider Philosophen, deren Bücher man bereits nach der Kulturrevolution las, beeinflussten uns sehr. Sie waren so etwas wie ein Zünder oder ein Verstärker, aber bestimmt nicht die einzige Ursache für den Freiheitsdrang. Aufgrund der Unterdrückung gelangte der Einzelne zu dem Bewusstsein von Subjektivität. Man wollte außer Freiheit auch mehr Respekt für den Einzelnen.« Aus: Li Xianting. 2008, S.193. 77 | Eintrag zu »Jean-Paul Sartre« in: Brockhaus Enzyklopädie. 2006, Bd. 24, S. 41.
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sondern wie er sich will, und wie er sich nach der Existenz auffasst, nach diesem Elan zur Existenz hin; der Mensch ist nichts anderes als das wozu er sich macht. Das ist das erste Prinzip des Existentialismus. Das ist es was man Subjektivität nennt […].«78 Berühmt wurde in China eine Sartre zeigende Portraitmalerei des Künstlers Zhong Ming (geb.1949) Sartre – He is himself (Abb. 6). Nach Aussage des Künstlers war die Wichtigkeit der individuellen Wahl der Grund, Sartre als Motiv zu nehmen. Welsh schreibt in diesem Zusammenhang über Zhong Ming: »This, he argued is always present in an artist work. The problem lay in the ›tendency‹ for artists to be controlled by an external ›power‹. In his view, the attitudes of selection committees and the predetermination of creative themes were the most frightening remaining symptoms of the last ten calamitous years. The demands they made were not really confined to subject matter, content and techniques of expression, but ultimately sought to control the artist’s own thoughts. Any mention of self-expression would mean persecution. Yet, even in with such extreme restrictions, the most important thing, the artist’s self, still survived.«79
Die vom Existenzialismus vertretene Auffassung von Subjektivität stand natürlich der offiziellen chinesischen Sichtweise diametral entgegen. Dort standen nicht das individuelle Subjekt und dessen persönlicher Wille im Vordergrund, sondern das kollektive Subjekt in Beziehung zu und als Teil der sozialistischen Gesellschaft, das heißt das Subjekt war dem sozialistischen Geschichtsdeterminismus untergeordnet: »Self-Expression and Existentialism were criticized for us negating viewing the importance of the individual independently of society thus negating man’s social nature. Critics were opposed to the idea that to achieve human dignity man had to put himself about collectives, country and society. They claimed that people as a whole were the makers of history. Naturally the assumption that the Party represented this ›collective will‹ went without saying.«80 Wer dem Subjektverständnis Sartres anzuhängen schien, geriet in Verdacht, dem von der offiziellen Seite, aber auch von der »Entfremdungsschule« scharf kritisierten Voluntarismus anzuhängen, was auch der Grund war, warum sich die Mitglieder der »Entfremdungsschule« von Sartre fernhielten. »To speak of Sartre is to return to the issue of voluntarism. In their encounter with existentialism, Chinese theorists of humanism found themselves caught in a double bind: they were spellbound by the Sartre appeal to free will, but in order to
78 | Harrison, Charles; Paul Wood. 2003, Bd. 2, S. 718. 79 | Welsh, Eduardo. 1999, S. 153. 80 | Ebd., S. 154.
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introduce existentialism into the Chinese intellectual dominion, they had to simultaneously defeat it with a Marxist determinist critique. […]«81 Bei den »Sternen« wurde die Kunst zum Ort der Verhandlung von Individualität gegen die totalisierende Macht der Regierung und deren Festhalten an der eindimensionalen Gesellschaft. Die Betonung des Ausdrucks des Selbst war bei den »Sternen« also nicht nur Anspruch auf einen eigenen individuellen Stil, sondern aktive Reflexion über die eigene Existenz sowie Proklamation der Freiheit des autonomen, wenngleich gesellschaftlich verantwortlichen Selbst. In der Realität war das Subjekt auch bei den »Sternen« allerdings nach wie vor und wie bei allen anderen Vertretern der »humanistischen« Kunst nie ganz emanzipiert, sondern immer eingebettet in einen größeren kollektiven Zusammenhang einer Generation, einer Klasse oder der Nation. Wang Jing zitiert in diesem Zusammenhang Xu Jingye, der dies als Indiz dafür sieht, dass die 1980er Jahre als Vorstadium der Entwicklung der Moderne zu begreifen sind. »Xu Jingye: ›The self of the great majority of our poets is endowed with general connotations. This particular situation characterizes the preliminary stage of the development of modernism.‹«82 Die Beziehung zwischen den Vertretern der ästhetischen Moderne und dem offiziellen Modernisierungsprogramm bzw. der soziopolitischen Moderne war seit Beginn, Anfang der 1980er Jahre, von Spannungen geprägt, welche aber gleichzeitig als Motor für die Entwicklung der modernen chinesischen Kunst begriffen werden müssen. Sie resultierten aus Emanzipierungs- bzw. Säkularisierungsbestrebungen der Kunst, sich aus der Bevormundung und Instrumentalisierung durch die Politik zu befreien. Die »humanistischen« Künstler glaubten an ein starkes, autonomes künstlerisches Subjekt und waren lange Zeit davon überzeugt, von der offiziellen Seite im Modernisierungsprozess als gleichberechtigter Partner anerkannt zu werden. Sie waren der Ansicht mit der Betonung des ästhetischen Subjekts als Ursprung, Zentrum und Ziel, den Ort der Befreiung aus Unterdrückung und Ideologie gefunden zu haben. Die Subjektzentrierung der »humanistischen« Kunst hatte allerdings auch zur Folge, dass es ihr nicht gelang, sich aus der politischen Umklammerung zu befreien, um ein »autonomes« Kunstsystem auszudifferenzieren und mittels Kunst Kulturkritik zu üben. Denn aufgrund ihrer programmatischen Betonung der Subjektivität verharrten sie in der Position der Opposition und mussten erkennen, dass sie sich auf diese Weise nie ganz aus der ideologischen Umklammerung befreien, das heißt emanzipieren und gegenüber der offiziellen Seite stets verlieren würden.
81 | Wang Jing. 1996, S. 27 f. 82 | Wang Jing 1996, S. 171. Zitiert nach: Xu Jingye 1984, S. 599.
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6. DIE 85ER BEWEGUNG – ZU ENTWICKLUNGEN DER MODERNEN CHINESISCHEN KUNST VON 1985 BIS 1989 IN IHREM SOZIOPOLITISCHEN, INFRASTRUKTURELLEN UND IDEENGESCHICHTLICHEN BEZUGSFELD Im Unterschied zu den Post-Kulturrevolutionskünstlern zwischen 1979 und 1984 sahen sich die Künstler der 85er Bewegung83 endgültig nicht mehr als Opfer,84 sondern verstanden sich als kulturelle Elite,85 welche den Modernisierungsprozess nicht der offiziellen Seite überlassen wollten, der sie inzwischen aufgrund mehrerer die künstlerische Freiheit einschränkender Kampagnen wesentlich skeptischer gegenüberstanden. Trotz der bereits erfahrenen Reglementierungen durch die offizielle Seite war es Mitte der 1980er Jahre eine sehr optimistische Periode, die von pluralistischen Diskursen über Freiheit und Aufklärung geprägt war. Die Künstler der 85er Bewegung glaubten an die Macht der Kunst und an ihre Möglichkeit als Instrument 83 | Wu Hung erklärt im Zusammenhang mit der Kunst der 1980er Jahre, was eine Bewegung ist und warum sich die Künstler damals auf diese Art und Weise organisierten: »A large, political, ideological, or artistic movement or campaign is called yundong in Chinese. Although seldomly analyzed by historians and sociologists, yundong has been one of the fundamental concepts and technologies in Chinese political culture. Three major characteristics of a yundong include a definite and often practical agenda, a propaganda machine which helps define and spread this agenda, and an organization which helps define and spread this agenda, and an organization which helps cohesive ›front‹ of participants. It can be said that up to the 1980s every Chinese was routinely schooled in this political culture, while those who went to the Cultural Revolution received the most intense training in such a program. Yundong became part of people’s normal life and way of thinking. It is therefore not surprising that it would continue to control people’s thinking even after the Cultural Revolution was over. The persistence of a yundong mentality is clearly seen in the experimental art of the 1980s: while evoking the spirit of the avant-garde, the advocates of the 85 New Wave tried hard to galvanize experimental artists into a unified front and to develop this art into an organized movement. (In fact, they called their collective activities a yundong).« Aus: Wu Hung. 2002a, S. 13. 84 | So zum Beispiel im Unterschied zu den Vertretern der realistischen Richtungen »NarbenMalerei« (shanghen huihua) und »Heimatboden-Malerei« (xiangtu xieshi zhuyi), bei denen es sich um Künstler handelte, die während der Kulturrevolution aufs Land verschickt wurden oder als Rotgardisten aktiv gewesen waren. Während die Bilder im Stil der »NarbenMalerei« während der Kulturrevolution erlittene Verletzungen zum Thema haben, geben die Bilder der »Heimatboden-Malerei« Einblicke in das einfache, oftmals beschwerliche Leben auf dem Land. Beide Stile üben Kritik am heroischen Stil des sozialistischen Realismus der Mao-Zeit. Ihr gemeinsames Anliegen war es, die Realität nicht geschönt und idealistisch, sondern wahrheitsgetreu widerzuspiegeln, nicht die sozialistische Ideologie, sondern der individuelle Mensch und dessen »echte« Gefühle standen im Mittelpunkt. Vgl. Ausst. Kat. China Avantgarde. 1993, S. 20 f. und S. 46., Gao Minglu. 2005a, S. 88. 85 | Gao Minglu. 2005a, S. 92.
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der Aufklärung, die Gesellschaft zu transformieren.86 Obwohl ihre Kunst im Unterschied zur vorangegangenen Generation weniger stark von der direkten Auseinandersetzung mit der politischen Ideologie des Sozialismus dominiert war, drückte sich in ihren künstlerischen Arbeiten dennoch weiterhin ihr Wille zur Utopie einer freien und modernen chinesischen Gesellschaft aus: »[…] the new generation of avant-garde artists was broadening their consciousness of space from political ideology to the pursuit of individual freedom, and breaking free from all sorts of confinements, including political and authoritative ones.«87 Als Indikator der weiter fortgeschrittenen Emanzipierung der Kunst von der offiziellen Sphäre fällt der große Pluralismus hinsichtlich der Wahl der Stile, der künstlerischen Medien und Theorien auf. Zunehmend erweiterten Künstler ihren Horizont und ließen sich von neuen Quellen inspirieren. Sie setzen sich mit westlichen Publikationen über westliche Kunst, Kultur und Philosophie auseinander, die seit der Öffnung des Landes unaufhörlich nach China hereinströmten und beschäftigen sich auch mit den lange ideologisch verfemten Traditionen ihrer eigenen Kultur. Das »moderne Bewusstsein« ist nun im Unterschied zu den vorangegangenen Jahren nicht mehr in erster Linie von Selbstreflexion und Reformbewusstsein geprägt, was der Parteilinie im Großen und Ganzen nicht zuwider gelaufen war, sondern durch gesteigertes Selbstbewusstsein und zunehmende intellektuelle Aktivität. Insbesondere in den Jahren 1984 und 1985 herrschte ein großer Pluralismus an Ansätzen und Ideen für die Modernisierung Chinas und damit einhergehender lauter Kritik an der offiziellen Linie.88 Weil sie sich in ihrer Autorität angegriffen fühlten und aus Angst, infrage gestellt zu werden, stieß dies bei Vertretern aus offiziellen Kreisen häufig auf vehemente Ablehnung, was in den späten 1980er Jahren in Restriktionen durch die offizielle Seite gipfelte.89
86 | Martina Köppel-Yang schreibt in diesem Zusammenhang Folgendes: »Having experienced the Cultural Revolution and being trained in socialist realist art, this aspect of the transformational powers of art, as a system using aesthetic signs, constitutes a crucial experience of the contemporary Chinese artists of the 1980s. Their belief in those transformational powers of art was the driving force behind their utopian quest for a new Chinese society and culture. In this sense the artistic trends of the 1980s were an avant-garde movement leading a semiotic warfare. Their semiotic warfare is the attempt to surmount and to change the existing system of signs and thus to generate an aesthetic and ethical transformation of society.« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 183. 87 | Gao Minglu. 2005a, S. 65. 88 | Wang Jing. 1996, S. 39 f. 89 | »In the late 1970s and the early 1980s, the semantic core of ›modern consciousness‹ was composed of invigorating definitions such as ›self-reflexive consciousness and reform consciousness‹, an ideological content specified by the Party as the new historical consciousness of post revolutionary Chinese socialism. […] By the mid-1980s, the semantic boundary
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Im Jahr 1987 wurde eine weitere Kampagne gegen den »bourgeoisen Liberalismus« veranlasst und im Oktober des Jahres 1987 verkündete der damalige Premierminister Zhao Ziyang auf dem Dreizehnten Parteikongress, dass sich China noch im Anfangsstadium des Sozialismus befinde90 und enttäuschte damit nicht nur die Hoffnungen auf Reformen des Sozialismus, sondern desillusionierte mit dieser Aussage viele Intellektuelle, die dadurch zu Recht ihre Bemühungen für mehr Freiheit im Denken in Gefahr sahen.91 Als Konsequenz verabschiedeten sich zunehmend Künstler und Intellektuellen sowohl vom »Mythos des Humanismus«92 als auch von ihrer Vorstellung mit Zustimmung der offiziellen Seite ihre Utopie eines modernen Chinas verwirklichen zu können. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist der berühmte Ausspruch des Künstlers Wang Guangyi (geb. 1957) während des Huangshan Symposiums im November 1988: »Liquidate humanist enthusiasm« (qingli renwen reqing), mit welchem er die bisher dominierende humanistische Haltung in der modernen Kunst infrage stellte.93 Obwohl die Kunst auch unter Deng Xiaoping weiterhin politisch funktionalisiert war und unter seiner Führung ein wichtiges Instrument bei der Schaffung eines neuen nationalen Selbstbewusstseins darstellte, so hatten sich dennoch im Zuge der Deng’schen Reformen im zwar immer noch zentral, aber weniger rigide durch die kommunistische Partei gelenkten kulturellen System nicht nur geistige, sondern auch strukturelle Nischen aufgetan, die für die Weiterentwicklung der Kunst sehr fruchtbar waren.94 Bereits kurz nach der Öffnung des Landes, Ende der 1970er Jahre, als viele Künstler begonnen hatten, sich von der offiziellen Konzeption von Kunst als verbindendem nationalem Element der Gesellschaft zu lösen, hatte dies in Konsequenz zu einer Aufspaltung der Kunstwelt in eine offizielle und eine
of ›modern consciousness‹ was overrun by such a growing number of ambiguous categories (rebellious consciousness, consciousness of freedom, self-consciousness, sense of loss of the self, the exploration of the unconscious, the palpitation of desire, a restless and unrestrained mood, the perturbations of the soul, consciousness of subjectivity, crisis consciousness, critical and pluralistic consciousness) that both the Party and the realist writers – who formed a strange but consistent coalition in cultural politics – felled compelled to reclaim their interpretive authority by redefining, and in the process domesticating, the neologism.« Aus: ebd., S. 139 f. 90 | Ebd., S. 38. 91 | Vgl. Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 25. 92 | Vgl. Wang Jing. 1996, S. 38 f. 93 | Wang Guangyi. 1990. 94 | Zur Beziehung zwischen Politik und Kunst im heutigen China mit Rückblicken und insbesondere seit den ökonomischen Reformen seit 1979 siehe: Kraus, Richard Curt. 2004.
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inoffizielle Sphäre geführt.95 Während die Künstler des offiziellen Kunstgeschehens stilistisch weiterhin dem sozialistischen Realismus oder der sogenannten guohua, der Malerei im traditionellen chinesischen Stil, sowie den konventionellen Medien Malerei, Skulptur und Holzschnitt treu blieben, lösten sich die Künstler, die von nun an der inoffiziellen Kunst zugerechnet wurden, allmählich von diesen Stilen und Medien. Sie begannen mit westlichen Kunstformen zu experimentieren und beschäftigten sich inhaltlich verstärkt mit dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft sowie mit der Individualität des Subjekts. Während die konventionellen Künstler das traditionelle Erbe nur formal stilistisch erneuern wollten, setzten sich die Künstler der inoffiziellen Sphäre Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre kritisch und konfrontativ mit der Tradition und der jüngeren Vergangenheit, insbesondere mit der Kulturrevolution auseinander und dachten verstärkt über China im internationalen Kontext nach, indem sie Vergleiche zwischen der eigenen Tradition und der des Westens anstellten. Die Politik der offenen Tür ermöglichte bzw. führte dazu, dass mit dem von offizieller Seite erwünschten technischen Know-How auch Publikationen westlichen Gedankenguts ins Land kamen. Sie waren künstlerische und intellektuelle Inspirationsquelle und trugen somit in hohem Maße zur zunehmenden Pluralisierung der Kunst in den 1980er Jahren bei. Einer »Informationsexplosion« gleich strömten gleichzeitig zahlreiche bisher unbekannte (kunst-)theoretische Schriften der Moderne und Postmoderne,96 neues Wissen über künstlerische Praktiken wie zum Beispiel die Installationskunst ins Land, was den Künstlern innerhalb kürzester Zeit einen neuen und überaus inspirierenden Kosmos eröffnete.97
95 | Was waren die Voraussetzungen dafür, dass sich Ende der 1970er Jahre eine inoffizielle Kunstsphäre entwickeln konnte? Detaillierte Ausführungen zu diesem Thema siehe: KöppelYang, Martina. 2003, S. 40–44 und S. 45–47. »The development of the avant-garde art of the 1980s within the official art bureaucracy was not only a result of the relatively liberal atmosphere of the post-Cultural Revolution period. Actually, the structural characteristics, such as the division of the art administration into an ideology-oriented and an administrative working structure, missing or incomplete structures, and the personnel policy, as well as wooly ideological guidelines with vague directives, here played the major role. These features generated the niches and the freedom within the official system, in which the avant-garde art could subsist.« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 47. 96 | Übersetzungen westlicher Schriften waren in den 1980er Jahren insbesondere zugänglich in der Zeitschrift »World Art« (Meishu Shijie), die an der Zentralen Kunstakademie in Peking 1979 gegründet worden war, oder in dem von der China Academy of Fine Arts in Hangzhou herausgegebenen Magazin »Compilation of Translations in Art« (Meishu yicong). Vgl. ebd., S. 52 und S. 54. 97 | Nach der langen Zeit der erzwungenen Abgeschiedenheit vom internationalen Kunstgeschehen, wollten die Künstler so schnell als möglich aufholen. Außer der Berücksichtigung der vorhandenen Bedingungen in China ist für das Verständnis der zeitgenössischen chine-
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6.1 Strukturen der 85er Bewegung Nach ihren Anfängen Ende der 1970er Jahre begann sich die inoffizielle Kunst seit den 1980ern Jahren strukturell neu zu organisieren. Mitte der 1980er Jahre, im Zuge der stark regional geprägten 85er Bewegung, gründeten sich im ganzen Land Künstlergruppen, die stilistisch und thematisch Neues ausprobierten.98 Die Organisation in Gruppen bot in der unsicheren Situation, in der sich die inoffizielle Kunst damals befand, Schutz und war gleichzeitig ideal für den inspirierenden künstlerischen Austausch.99 Unterstützung und Ermunterung für ihre Aktivitäten erhielten sie bisweilen auch von liberaler eingestellten offiziellen Kunstvertretern. So sprach sich der Vorsitzende des Allchinesischen Künstlerbundes100 Jiang Feng101 bei der sischen Kunst deswegen auch wichtig, sich ins Bewusstsein zu rufen, wie außergewöhnlich schnell und in welch atemberaubender Gleichzeitigkeit die Rezeption von Informationen aus dem Westen stattfand. Entwicklungen, die im Westen über mehrere Jahre hinweg und nacheinander stattgefunden hatten, wurden in China gleichzeitig rezipiert. »The chronology and internal logic of this Western tradition became less important; its diverse content as visual and intellectual stimuli for a hungry audience counted most. Thus, styles and theories that had long become past history to a Western art critic were regarded as ›contemporary‹ by Chinese artists and used as their models. In other words, the meaning of these ›Westernized‹ Chinese works was located not in the original significance of their styles, but in the transference of these styles to a different time and place.« Aus: Wu Hung. 1999a. S. 15. 98 | »[…] more than eighty such groups emerged in 1985 and 1986 and scattered across twenty-three provinces and major cities. The members of these groups were mostly in their twenties; a considerable number of them had just graduated from or were still studying in prestigious art schools. Compared with earlier alternative artists such as the members of the Stars Art Society, experimental artists of this new generation were more knowledgeable about recent developments in Western art, and their works often showed unmistakable influence from it.« Aus: Wu Hung. 2002a, S. 13. 99 | Beispiele einzelner Gruppen und die Darstellung ihrer Aktivitäten siehe Köppel-Yang, Martina. 2003, S. 60 und Gao Minglu. 2005a, S. 66 ff. 100 | Die Struktur der offiziellen Kunstsphäre nach der Kulturrevolution unterschied sich nicht wesentlich von der in den 1950er Jahren und war bestimmt von den folgenden Parallelstrukturen: »an ideology-oriented organization, responsible to the Communist Party, and an administrative organization, responsible to the civil government. Therefore, on the one hand artistic creation was controlled by the government, and on the other hand, it was directed by the All-China Federation of Literary and Arts Circles with its branches, such as the Chinese Artists Association. The Federation of Literary and Art Circles is at first glance a loose organization of artists, however, it is actually an organ of the Propaganda department, and hence of the Commmunist Party.« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 40 f. 101 | Deng Xiaoping rehabilitierte viele während der Kulturrevolution als »Rechte« ausgeschlossene Intellektuelle. So auch Jiang Feng, der 1979 sogar zum Direktor der Zentralen Kunstakademie in Peking ernannt wurde. Jiang Fengs liberaler Einstellung verdankt die
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Eröffnungsrede der Ausstellung »Neuer Frühling« im Februar 1979 für eine größere Pluralität in den Künsten aus und ermunterte zur Bildung von Künstlergruppen.102 Die Gruppen waren in ihrer Zusammensetzung oftmals sehr heterogen und verfolgten kein gemeinsames künstlerisches, aber oftmals ein gemeinsames gesellschaftspolitisches Ziel. Viele taten sich nur temporär für spezielle Ausstellungsprojekte zusammen, um sich alsbald wieder voneinander zu verabschieden. Die 85er Bewegung war durch eine überaus rege Ausstellungsaktivität geprägt, die sich über das ganze Land erstreckte, also stark regionalen Charakter hatte und nicht in den großen Städten kulminierte. In der Tradition der ersten inoffiziellen Ausstellung in der Geschichte der modernen Kunst in China, die am 27. September 1979 von der bereits erwähnten Künstlergruppe »Die Sterne« in einem Park in unmittelbarer Nachbarschaft der Nationalgalerie in Peking unter freiem Himmel organisiert wurde und die heute als der Beginn der alternativen Ausstellungspraxis in China gilt, drängten die Künstler in den 1980er Jahren mit ihrer Kunst in die Öffentlichkeit.103 Sie organisierten Ausstellungen im Stadtraum, in Fabriken oder auf dem Land, worin sich sowohl die damals für viele Künstler im Vordergrund stehende Verknüpfung der Sphären von Leben und Kunst ausdrückte als auch ihre Forderung nach aktiver Teilnahme an politischen und gesellschaftlichen Prozessen widerspiegelte.
6.1.1 Ausführungen über die wichtige Rolle der Kunstakademien Eine sehr wichtige Rolle bei der Entstehung der Avantgarde-Kunst in China spielten die Kunstakademien, die 1977, nach einer zehn Jahre langen Schließzeit, wieder eröffnet wurden.104 Im Unterschied zu der ersten autodidaktischen Künstlergeneration nach der Kulturrevolution waren die Initiatoren der 85er Bewegung nahezu alle Absolventen der Kunstakademien der Jahre 1982 und 1983. Der liberalen Einstellung der verantwortlichen Lehrkräfte, die Curricula reformierten und ihren Studenten große künstlerische Freiräume einräumten, ist es zu verdanken, dass die inoffizielle Kunstszene sehr viel. Er ermöglichte Ausstellungen und unterstützte junge Talente außerhalb der offiziellen Strukturen. Vgl. Köppel-Yang, Martina. 2003, S. 43. 102 | Van Djik, Hans. 1993, S. 19 und Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 43: »There he [Jiang Feng] mentioned this kind of exhibition [›Neuer Frühling‹] as a significant step in the application of the Two Hundreds and the Four Modernizations. He described them as important factors for the promotion of competition, of pluralism in content and styles, for the raising of standards and the accessibility of art for the masses.« 103 | Gao Minglu. 2005a, S. 65. 104 | Den Diskurs prägten insbesondere die China Central Academy of Fine Arts in Peking, die China Academy of Art in Hangzhou sowie die Fine Arts Academy of Guangzhou und die Fine Arts Academy Sichuan.
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Akademien sowohl als Ausbildungsstätten als auch als Foren, das heißt vor allem als Ausstellungsorte der experimentellen Kunst fungierten.105 Darüber hinaus war das Niveau der ersten Künstlergeneration überdurchschnittlich hoch. Die strengen Aufnahmeprüfungen ließen nur die Besten der vielen Bewerber zum Studium zu. Darüber hinaus war der Altersdurchschnitt der ersten Künstlergeneration nach der Kulturrevolution mit Mitte zwanzig relativ hoch. Man hatte es mit reifen Persönlichkeiten zu tun, und da sie außerdem oftmals bereits in verschiedenen Kunsttechniken ausgebildet waren, konzentrierten sie sich auf das Theoriestudium sowohl westlicher Philosophen, so vor allem der Schriften von Sartre, Schopenhauer, Nietzsche und Wittgenstein, als auch traditioneller chinesischer Werke, insbesondere aus dem Chan Buddhismus und dem Daoismus.106
6.1.2 Zeitschriften, Symposien und Diskurse Die 1980er Jahre zeichnen sich insbesondere während der 85er Bewegung durch einen sehr großen inhaltlichen und stilistischen Pluralismus aus, was sich in den zahlreichen Publikationen, Symposien und Ausstellungen widerspiegelt. Als Mitte der 1980er Jahre privat finanzierte Zeitschriften erlaubt wurden,107 die unabhängig von den offiziellen Institutionen arbeiten konnten, auch aufgrund einer allgemeinen Liberalisierung im Publikationssektor, wurden mehrere Zeitschriften gegründet, die das Geschehen in der inoffiziellen Kunstszene dokumentierten, dem damaligen
105 | »The Zhejiang Academy of Fine Arts (now the China Academy of Fine Arts) implemented a new curriculum in the mid-80s, which allowed the students to create avant-garde or experimental work on their own in addition to one produced under the direction of their instructors.« Aus: ebd., S. 63. »The students of the Fine Arts Academy in Sichuan could profit from the relatively tolerant attitude of their teachers, most if them formerly branded rightists. Ye Yushan, head of the academy, actively supported their efforts. Ye reformed teaching methods and initiated so-called creation directs exercise method (chuangzao dai xizuo). From the first semester, the students not only completed drawing and painting exercises, but also immediately were asked to create works of art. […] One of the academies that started to reform its curriculum quite early was the Fine Arts Academy of Guangzhou. Under the direction of Li Zhengtian, some of the teachers replaced the standardized teaching program by a division into different studios. Thus students could follow different teachers from their first year to graduation.« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 48 f. 106 | Detaillierte Informationen über die Kunstakademien in den 1980er Jahren siehe ebd., S. 48–50. 107 | »In the mid-1980s, even the private financing of magazines and newspapers-and thus their independence from official institutions-was admitted.« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 52.
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Diskurs eine Plattform gaben und die Entwicklung der Avantgarde-Kunst förderten.108 Zu den wichtigsten zählen die 1985 ins Leben gerufene, erste privat finanzierte Zeitschrift Fine Arts in China (Zhongguo Meishu Bao),109 das 1985 erstmals erschienene Magazin Art Trends (Meishu Sichao), die beiden Magazine Jiangsu Pictorial (Jiangsu Huakan) und Painter (Huajia) sowie ferner auch die staatliche Zeitschrift Art (Meishu), in der obwohl sie eigentlich für die offizielle Linie der von der kommunistischen Partei akzeptierten Kunst stand, trotzdem einige wichtige Artikel der 1980er Avantgarde-Kunstentwicklung zu finden sind. Die Zeitschrift Art wurde von der Chinese Artists Foundation herausgegeben und fungierte als ein Barometer für die ideologische Wetterlage.110 Diese Zeitschriften druckten Manifeste ab und fungierten als virtuelle »Ausstellungsfläche« für unrealisierte Projekte.111 Neben den Zeitschriften fungierten zahlreiche Symposien Anfang der 1980er, aber insbesondere Mitte der 1980er Jahre als wichtige Plattformen kritischen Austauschs. Die drei wichtigsten Symposien waren 1985 das Erste Huangshan Symposium, das Zhuhai Symposium 1986 und das Zweite Huangshan Symposium 1988. Das Erste Huangshan Symposium war eine Reaktion auf die enttäuschende Sechste Nationale Kunstausstellung (Diliu jie quanguo meizhan) 1984,112 die alle experimentellen Neuerungen 108 | Gao Minglu. 2005a, S. 63. 109 | Laut Martina Köppel-Yang war die Zeitschrift Fine Arts in China »the most progressive art magazines of the 1980s.« aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 46. 110 | Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 52–54, van Dijk, Hans. 1993, S. 31. Pi Daojian 1993, S. 53–54, siehe in diesem Kontext auch die Dissertation von Welsh, Eduardo. 1999. 111 | Martina Köppel-Yang weist darüber hinaus auf die besondere und in der Entwicklung der modernen Kunst in China äußerst fruchtbare Beziehung zwischen dem geschriebenen Wort und der Kunst hin, die in China nicht hierarchisch, sondern dialektisch war: »Another feature of the Avant-garde of 1979–1989 is the relationship between the work of art and the text, which is dialectical rather than hierarchical. Many artists discussed their works published in the main magazines […]. Art critics replied with interpretative or critical articles, and statements of the public and readers’ letters also were included in the discussion. On the one hand, this tendency toward the explicit played the role of an alibi. It originates from Cultural Revolutionary practices: a work of art was considered finished only after a critique through the masses and a discussion by the three classes, The Party (represented by official art critiques and the official art magazines, as organs of the Party), the experts (the artists), and statements of workers, farmers and soldiers. On the one hand the discussion of works of art in art magazines offered an important forum for the exchange of ideas and concepts, and it further provided a chance to gain a position in the history of a modern Chinese art. Therefore, to publish the correspondence of artists and art critics was very common. This kind of a dynamic dialogue was, like the controversies published in the art magazines, an important factor in the development of contemporary Chinese art.« Aus: Köppel-Yang, Martina 2003a, S. 31. 112 | Hans van Dijk. 1993, S. 22. Köppel-Yang nimmt diese Ausstellung als Wendepunkt. »I take this caesure into account through a subdivison into the perios of 1979–1984 and 1985–
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und Errungenschaften der neuen Kunstgruppen ignoriert hatte (dies geschah in der Zeit der Kampagne gegen geistige Verschmutzung, in einer Zeit, in der konservative Kräfte starken Einfluss hatten), und sprach sich sowohl für »Freiheit in der Kunst« als auch für »Freiheit in der Kritik« aus. Nicht mehr »political correctness« sollte in Zukunft im Vordergrund stehen und als Grundlage von Beurteilungen gelten, sondern selbstständige und individuelle Urteile. Außerdem wollte man den engen nationalen Rahmen endlich verlassen und sich international orientieren, das heißt den Anschluss an die internationale Kunstwelt finden.113 Unter dem damals zum ersten Mal auftauchenden Begriff der »Konzeptuellen Invention« (guannian gengxin) sprach man sich für die Erneuerung bzw. Erweiterung der Antwort auf die Frage, was Kunst sein kann, aus, diskutierte über die Funktion von Kunst und erweiterte das Repertoire an künstlerischen Methoden und Techniken. Von nun an sollte nicht mehr der Inhalt an erster Stelle stehen, sondern ein technischer, formaler und stilistischer Pluralismus.114 Das Erste Zhuhai Symposium hatte ursprünglich den Namen Great Slide Show of Young Artistic Trends 85 and Scientific Symposium, weil in einer Diaprojektion 324 ausgesuchte künstlerische Arbeiten der jüngsten Kunstproduktion in China präsentiert wurden115 und somit das erste Mal zeitgenössische Ideen und Konzepte öffentlich diskutiert wurden.116 Das Zweite Huangshan Symposium diente insbesondere der Koordinierung der Organisation der »Ausstellung China/Avant-Garde« (Zhongguo xiandai yishu zhan), die 1989 in der Nationalgalerie realisiert werden konnte.117 Darüber hinaus wurden die Diskussionen über die Avantgarde-Kunst fortgesetzt und Neuorientierungen formuliert. Besonders prägend für die weitere Kunstentwicklung war das bereits erwähnte Postulat des Künstlers und gleichzeitigen Mitorganisators des Symposiums
1989, the most active and creative period of the New Wave.« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 23. Ebenso sieht es auch Gao Minglu: »Die allgemeine Unzufriedenheit ist daraufhin groß. Die Ausstellung war gleichsam damit das Symbol des Endes einer Schaffensperiode und gleichzeitig gegenläufige Kraft zu der in der Folge entstehenden ›Kunstbewegung 85‹.« Aus: Gao Minglu. 1991a, S. 158. 113 | Andrews, Julia. 1993, S. 9. 114 | Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 56: Gao Minglu called this symposium ›an important factor of the promotion of the development of a pluralist art world.‹ Zitiert nach Gao Minglu. 1991a, S. 67. 115 | Ausführliche Informationen zum Ersten Zhuhai Symposium siehe auch: Gao Minglu 2003a, S. 269 ff. 116 | Köppel-Yang, Martina. 2003a, S, 56, Andrews, Julia. 1993, S. 10. 117 | Ausführlichere Informationen über die Vorbereitungen der China/Avantgarde Ausstellung siehe Gao Minglu. 2003a, S. 269 ff. Andrews beschreibt die überwiegend wohlwollende Einstellung der offiziellen Entscheidungsträger gegenüber der Ausstellung China/Avantgarde als Bedingung dafür, dass diese realisiert werden konnte. Vgl. Andrews, Julia F. 2000. S. 25.
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Wang Guangyi – »Liquidate humanist enthusiasm« –, mit dem er die bisher geltende Prämisse in der Kunst, die Betonung des Subjektiven, radikal infrage stellte.118 Die 85er Bewegung wird aufgrund ihres Pluralismus119 in künstlerischem Ausdruck, Meinung und Theorie als Zeit des »kulturellen Fiebers« (wenhua ri) bezeichnet.120 In Auseinandersetzung mit dem offiziellen Modernisierungskurs wurden unter Künstlern und Intellektuellen kulturpolitische und ästhetische Fragen diskutiert, die im Kontext der Formulierung einer zeitgemäßen chinesischen Identität zu sehen sind und unterschiedliche Interpretationen des xiandai yishi darstellten. Die 85er Bewegung zeichnet sich auch durch ihre Vorliebe für Interdisziplinarität aus. Die bildenden Künstler blieben nicht unter sich, sondern tauschten sich mit Literaten und Intellektuellen aus. In den vielen Zeitschriften wurden künstlerische Arbeiten analysiert und theoretische Essays veröffentlicht. Ein wichtiges Charakteristikum dieser Zeit ist die wechselseitige Befruchtung von Theorie und Praxis, was sich auch dadurch auszeichnet, dass der Wert eines Kunstwerks damals als gesteigert angesehen wurde, wenn es durch einen Text kommentiert worden war. Als Auslöser für die 85er Bewegung werten viele die bereits erwähnte enttäuschende Sechste Nationale Kunstausstellung im Jahr 1984, in die viele Künstler große Hoffnungen gesetzt hatten, die aber letztendlich die neuen Positionen der modernen Künstler vollkommen ignorierte. Ende und gleichzeitiger Höhepunkt der 85er Bewegung war die Ausstellung »China/Avant-Garde«, die im Februar 1989 in der staatlichen Nationalgalerie in Peking nur wenige Monate vor der Niederschlagung der Studentenproteste Anfang Juni auf dem Platz des Himmlischen Friedens stattfand. Die 85er Bewegung erreichte mit dieser Ausstellung erstmals ein breiteres chinesisches Publikum, das dort das erste Mal mit damals neuen künstlerischen Aus-
118 | Vgl. Köppel-Yang, Martina, 2003a, S. 56 f. 119 | »During the 1980s, the pluralization of styles catalyzed a number of controversies and far-reaching discussions in the field of art theory and art criticism. In the context of increasingly innovative artistic practice, the monolithic role of socialist realist art theory became obsolete. Contrary to that dictum that in socialist countries art first is realized on paper, art theory now had to catch up with artistic practice. Pluralism did not loosen the close relationship between artistic practice and theory, which was a premise of the art of the PRC. On the contrary the relationship between art and text was intensified. The hierarchical relationship – the text’s primacy over the work of art – was however, replaced by a dialectical relationship. Artists discussed recent works and new concepts in art magazines, and the official art criticism responded extensively. Many artists considered the theoretical and critical incorporation of new concepts a driving force for the modernization of Chinese art and a platform for the positioning of China’s contemporary art.« Aus: ebd., S. 66. 120 | Vgl. Gao Minglu. 2005a, S. 67 und Wang Jing. 1996, S. 37 ff.
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drucksformen, wie der Installationskunst, Performances und Aktdarstellungen, in Berührung kam und konfrontiert wurde.121
7. KÜNSTLERISCHE STRÖMUNGEN DER 85ER BEWEGUNG 7.1 Elan-Vital-Malerei und Rationale Malerei Der »humanistischen« Kunst zuzuordnen ist Mitte der 1980er Jahre die Elan-VitalMalerei (shengming zhiliu), die auch unter dem Namen Lebenstrom-Malerei bekannt ist.122 Als ablehnende Reaktion auf den Sozialistischen Realismus und um der Entfremdung durch die soziale und politische Realität entgegenzuwirken, betonten die Vertreter der Lebensstrom-Malerei den persönlichen, expressiven Ausdruck ihrer (bisher unterdrückten) Gefühle und Instinkte und vertrauten auf ihre Intuition. Während die Vertreter der Lebenstrom-Malerei weiterhin dem humanistischen Subjektverständnis treu blieben und somit im antagonistischen Verhältnis zum Staat verharren, entwickelt sich mit der vom Surrealismus beeinflussten sogenannten Rationalen Malerei (lixing huihua) ein Bewusstsein für die Verstrickung des Einzelsubjekts und seiner Kunst in die offizielle Ideologie. Um sich aus dieser zu befreien, lehnten deren Vertreter den von der »humanistischen« Kunst favorisierten expressiven und subjektiven Ausdruck ab und bevorzugten stattdessen eine »objektive« 121 | Detaillierte Ausführungen über die Realisierung der China/Avantgarde Ausstellung in Peking 1989 siehe Gao Minglu. 2003a, S. 269 ff. 122 | Die »Lebensstrom-Malerei« ist auch unter dem Namen »Elan-Vital-Malerei« bekannt. Zu ihren Vertretern gehören zum Beispiel Mao Xuhui, Zhang Xiaogang (Abb. 7), Ye Yongqing, welche die »Gruppe zur Erforschung der Kunst Südwestchinas« bildeten, die sich geografisch und konzeptionell stark von der der »Rationalen Malerei« zugehörigen »Gruppe der Kunst des Nordens« unterschieden. »Diese Gruppe nimmt die Landschaftsstruktur und die kulturellen Besonderheiten Südwestchinas zum Ausgangspunkt und verbindet abstrakte und figurative Mittel, um das Wesen des menschlichen Lebens darzustellen.« Aus: Gao Minglu. 1991a, S. 162. Der Begriff »Elan Vital« stammt von dem französischen Philosophen Henri Bergson, der als Vertreter der »Lebensphilosophie« gilt, die sinnliche Aspekte in den Vordergrund rückte. Die Elan-Vital-Maler stellten ihre eigenen persönlichen Erfahrungen auf dem Land, mit der Natur und den dort lebenden Menschen in der Vordergrund. Ihre Bilder schauen nach innen, in die menschliche Seele und weisen stilistisch naive und surreale Elemente auf. Sie stellten Rationalität und Vernunftorientierung als Grundlage von Tradition und Moderne infrage, sahen die persönlichen und intuitiven Kräfte des Einzelnen vielmehr durch Rationalität unterdrückt und strebten nach einer ganzheitlichen ethischen Ordnung, deren Maxime intuitive und nicht rationale Kräfte sind. Die Elan-Vital-Malerei wird der sogenannten »Root Searching tendency« zugerechnet, die in der Literatur wesentlich wichtiger war als in der bildenden Kunst. In der Kunst war sie weder formal noch konzeptuell sehr einflussreich. Vgl. Gao Minglu. 2005a, S. 92, S. 99 und S. 100 und Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 24 und S. 29.
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Abb. 7: Zhang Xiaogang, Mountain Beauty (shan li), Ölmalerei, 1985 Abb. 8: Wang Guangyi, Frozen Northern Wastelands (ning gu de beifang jidi zhi yi), Ölmalerei, 1985
Quelle: Gao Minglu (Hg.). 2005a. The Wall. Reshaping Contemporary Chinese Art. New York (Abb. 7 und 8).
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Abb. 9: Geng Jianyi, The Second State (di er zhuangtai), Ölmalerei, 1987 Abb. 10: Zhang Peili, Schwimmer (youyongzhe), Ölmalerei, 1985
Quellen: Gao Minglu (Hg.). 2005a. The Wall. Reshaping Contemporary Chinese Art. New York (Abb. 9) und Ausst.-Kat. `85 New Wave the Birth of Chinese Contemporary Art. Opening Exhibition of the Ullens Center for Contemporary Art Beijing 798. 2008. Peking (Abb. 10).
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Darstellungsweise zur Überwindung bekannter Muster.123 In ihrer Malerei suchten sie dies mit reduzierten, abstrahierten, geometrischen, aber dennoch als figürlich erkennbaren Formen in kalten blauen und grauen Farbtönen zu erreichen.124 Wenngleich sich die Rationale Malerei von der »humanistischen« Kunst entfernte, indem sie den persönlichen Ausdruck ablehnte, so war sie im Unterschied zur konzeptionellen Strömung, die, wie weiter unten ausführlich behandelt werden wird, jegliche Ordnung und geschlossene Struktur ablehnte, weiterhin idealistisch geprägt, weil sie zwar die alten Ordnungen verabschiedete, sie im Folgenden aber durch eine neue, ihre eigene als ideal betrachtete Ordnung zu ersetzen suchte.125 Die Rationale Malerei besitzt einen universalistischen, fast religiösen Impetus. Das »Rationale« wurde weder als Gegensatz zur Intuition noch als Gegensatz zur kritischen Vernunft verstanden, sondern vielmehr als etwas Absolutes mit metaphysischer Qualität.126 »These artists [die rationalen Maler; B. H.] created their paintings, not for the sake of aesthetics or for individual expression, but for the sake of realizing their utopian goal, a new civilization that would be more progressive than any of the existing ones.«127
123 | »The rational should provide an intellectual framework and a method to overcome the old cultural and aesthetic formulae as well as a simple adoption of the Western modernism.« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 25. 124 | Zu den »Rationalen Malern« werden unter anderen die Künstler Wang Guangyi (Abb. 8) und Gu Wenda der sogenannten »Gruppe der Kunst des Nordens« (Beifang yishu qunti) und die Hangzhouer Künstler Geng Jianyi (Abb. 9) und Zhang Peili (Abb. 10), deren Malerei Mitte der 1980er Jahre, insbesondere im Kontext der Ausstellung »85 Neuer Raum« (85 xin kongjian) in Hangzhou unter dem Begriff des »Grauen Humors« bekannt wurde, gezählt. Vgl. Gao Minglu 2005a, S. 92–97, Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 25. Die »Gruppe der Kunst des Nordens« propagierte eine »nördliche« Kultur, die einer »rationalen Kultur« entsprach. »Diese Kultur sollte eine neue Kultur sein, welche die westliche und die traditionell chinesische überwindet. Alle Künstler dieser Gruppierung drücken diverse Ordnungsprinzipien aus, und zwar durch die Gestaltung von Einsamkeit und Kälte, eine den nördlichen Kälteregionen entsprechende eigene Landschaft sowie abstrahierte, nicht detaillierte fließende und feste Formelemente. Der Bedeutungsgehalt ist stets ein metaphysischer. Ziel des Schaffensprozesses ist die Errichtung des ewigen Prinzips, das das Empirische übersteigt.« Aus: Gao Minglu. 1991a, S. 159–160. Die Malerei der Künstler Geng und Zhang besitzt im Unterschied keine metaphysische Konnotation. Vielmehr drücken die in kalte Atmosphäre getauchten Darstellungen von Alltagsbeobachtungen die Entfremdung des Menschen aus, sind also gesellschaftskritisch zu verstehen. 125 | Gao Minglu ordnet die »Rationale Malerei« sogar weiterhin der »humanistischen« Kunst zu, weil sie – wenngleich aus unterschiedlichen Perspektiven – wie auch die »Lebensstrom Malerei« die soziale und politische Entfremdung kritisierte. Vgl. Gao Minglu. 1999, S. 132. 126 | Vgl. Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 25. 127 | Gao Minglu. 2003a, S. 250.
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Trotz der großen Unterschiede in ihren künstlerischen und konzeptionellen Ansätzen verfolgten sowohl die Vertreter der Elan-Vital-Malerei als auch der Rationalen Malerei das Ziel, mithilfe der Kunst ein modernes China mit neuen ethischen und kulturellen Werten aufzubauen. Während die anti-rationale Lebenstrom Malerei zur Erreichung dieses Ziels die Freiheit des persönlichen Ausdrucks und die Befreiung der menschlichen Intuition in den Vordergrund stellte, so verließen sich die Rationalen Maler auf die als metaphysisch verstandene Größe des Rationalen zur Herstellung ihrer Ordnungsvorstellung.128 Aufgrund ihres festen Glaubens an den Mythos der Moderne und weil sie sich mit ihren Konzepten nicht gänzlich vom offiziellen Modernisierungskurs lösten, sondern sich – wenngleich in Opposition – nach wie vor zu diesem in Beziehung setzten, indem sie alternative Modernisierungsmodelle formulierten, standen sie dem offiziellen teleologischen Modernisierungskurs nach wie vor sehr nahe.
7.2 Konzeptuelle Kunstströmung Die konzeptionelle Kunstströmung, in deren Kontext die Installationskunst zu verorten ist, leitete Mitte der 1980er Jahre einen Paradigmenwechsel ein, indem sie bisher geltende ästhetische, soziale und politische Konventionen von Kunst radikal infrage stellte.129 Anstatt wie die »humanistischen« Künstler Utopien des modernen Chinas, also neue Ideologien zu entwerfen, standen die konzeptionellen Künstler für die Dekonstruktion ideologischer Strukturen. Vorbereitet durch die anti-subjektive Haltung, der Rationalen Malerei, die 1988 in Wang Guangyis bereits erwähnter Forderung »Liquidate humanist enthusiasm« gipfelte, ist es die konzeptionelle Strömung, welche, ausgehend von ihrer anti-subjektiven,130 anti-expressiven und anti-ideologischen Haltung Mitte der 1980er Jahre den radikalen Bruch sowohl mit dem Kunstverständnis der offiziellen Seite, das heißt vor allem mit dem »Sozialistischen Realismus« und der diesem zugewiesenen politischen Funktion, als auch mit den ästhetischen und kulturellen Normen der »humanistischen« Kunst realisiert.131
128 | Vgl. Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 72. 129 | Diese radikale Loslösung von der offiziellen Linie und deren Vorstellungen von der Modernisierung Chinas war, aus heutiger Sicht gesehen, die notwendige Bedingung für ein zunehmend pluralistisches Kunstschaffen in China. 130 | Gao Minglu nennt die konzeptionelle Kunst »the anti-subjective trend«. Siehe KöppelYang, Martina. 2003a, S. 73. 131 | Gao Minglu. 1999, S. 132.
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»The conceptualism of the ›85 Movement‹ undermined both the political idealism and cultural elitism that had been dominant forces not only in Mao’s revolutionary art, but also in the work of the post-Mao avant-garde.«132 Programmatischer Kern der frühen konzeptionellen Kunst war also die Emanzipation von Kunst. Dies bedeutete allerdings nicht, dass ihre Vertreter eine l’art pour l’art Haltung annahmen und sich in die Sphäre der Kunst zurückzogen, sondern dass sie jegliche ideologische Funktionalisierung von Kunst ablehnten und somit die Entideologisierung von Kunst zu ihrem Hauptanliegen erklärten. Im Unterschied zu den »humanistischen« Künstlern, deren Anliegen es war, zwar neue, aber stets universal verstandene ethische und kulturelle Wertvorstellungen zu implementieren, suchten die konzeptionellen Künstler nach neuen Freiräumen außerhalb des Systems, durch Überwindung, das heißt oftmals konkret durch ikonoklastische Zerstörung sowohl der maoistischen als auch der post-kulturrevolutionären und humanistischen Wert- und Kunstvorstellungen, die sie als abhängig vom offiziellen stark teleologisch gerichteten Modernisierungsprojekt entlarvten. Häufig – bewusst oder unbewusst – beeinflusst durch postmoderne Theorien,133 so insbesondere durch das 132 | Aus: ebd., S. 138. 133 | Eingeführt wurden postmoderne Theorien hauptsächlich durch die Schriften von Fredric Jameson, Jürgen Habermas und Jean-François Lyotard: »In the mid 1980s, the concept of post-modernism was introduced through the writings of Jürgen Habermas’ and J. F. Lyotard’s, and, most notably, through the reception of Fredric Jameson’s theories, as taught by him at Beijing University in 1985. The reception of Dada, Neo-Dada, conceptual art, and pop art, as well as the publication of Jameson’Beijing lectures in 1986, resulted in the notion of postmodernity appearing in numerous articles published in the major art magazines. A discussion on the subject of Chinese post-modernity started immediately […]. Art events such as Xiamen Dada, and articles like Huang Yongping’s ›Xiamen Dada – A Kind of Post-Modernity?‹ introduced the notion into the field of contemporary Chinese art. However in China postmodernism did not become relevant for contemporary art until the 1990s.« Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 73. Hinsichtlich der Frage, ob das Postmoderne in den 1980er Jahren in China in weiteren oder nur in Künstler- und Intellektuellenkreisen rezipiert wurde und inwiefern sich die Kategorie des Postmodernen für die Beschreibung und Analyse des chinesischen Kontexts in den1980er Jahren fruchtbar anwenden lässt, siehe: Dirlik und Zhang. 2000, Wang Ning. 2000 und Liu Kang und Xiaobing Tang. 1993, Lu, Sheldon H. 2001, Wang Jing. 1996. Sheldon H. Lu beispielsweise versteht die chinesische Gesellschaft der 1980er Jahre als insgesamt postmodern: »According to the official line of the Communist Party, Chinese society is in the ›primitive stage of socialism‹. Yet Western scholars customarily call contemporary China a ›postsocialist‹ society. It is precisely because such terminological/conceptual anomalies, as well as lack of articulation of the cultural, that a theory of the postmodern may fill a gap and provide a description of contemporary China.« Aus: Lu, Sheldon H. 2001, S. 9. Wang Jing (1996) stellt postmoderne Tendenzen mit Blick auf die chinesische Literatur in Kreisen der kulturellen Eliten, aber nicht für die allgemeine chinesische Gesellschaft fest und ist somit der Meinung, dass in den 1980er Jahren nur beschränkt von einer postmodern
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von Jacques Derrida formulierte Konzept der Dekonstruktion, war es ihr Anliegen, die ideologisch durchsetzten Bedingungen der Kunstproduktion und Rezeption zu entblößen. Im Unterschied zu den »humanistischen« Künstlern verstanden die konzeptionellen Künstler Kunst nicht als Werkzeug im Dienste der Modernisierung Chinas, sondern als Instrument einer grundsätzlichen Kulturkritik und als Mittel der Analyse des Zustands von Kunst überhaupt, das heißt der Offenlegung der sie konstituierenden Machtstrukturen als Bedingungen sowohl der Produktion als auch der Rezeption von Kunst. Die konzeptionelle Kunst verlagerte das Interesse also von der Ebene der Bedeutungen auf die der Strukturen. Ausschlaggebend für dieses neue Verständnis von Kunst war in hohem Maße die Rezeption westlicher Theorien, insbesondere des Strukturalismus und des Poststrukturalismus. Neben den Schriften von Roland Barthes oder Jacques Foucault und Jaques Derrida wurden Ludwig Wittgensteins Sprachphilosophie sowie die Zeichentheorie des Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure rezipiert. Des Weiteren spielten auch die Auseinandersetzung mit den westlichen Kunstströmungen Dada und Neo-Dada, Marcel Duchamps Konzept des Readymades und John Cages Rezeption des Chan Buddhismus eine sehr wichtige Rolle.
7.2.1 Das neue dezentrierte Subjektverständnis in der konzeptionellen Kunst Im Zusammenhang mit den entideologisierenden Bestrebungen der konzeptionellen Künstler ist die Ablehnung des humanistischen Subjektverständnisses, das heißt eines Subjekts, das als Prophet und Sprachrohr für die Modernisierung Chinas, als Erschaffer und Ingenieur der neuen Gesellschaft konzeptionalisiert wird, zu verstehen. Beeinflusst von postmodernen Theorien, poststrukturalistischen Subjektkonzepten und – wie im Folgenden am Beispiel des wichtigen konzeptionellen Künstlers Huang Yongping dargelegt werden wird – von traditionellen chinesischen "Subjekt"Konzepten, entlarvten die konzeptionellen Künstler das humanistische Subjekt als ideologisch konstruiert und favorisierten stattdessen ein dezentriertes Subjekt.134 geprägten chinesischen Gesellschaft die Rede sein kann: »The debate about Chinese postmodernism which came to halt after the Tiananmen crackdown, resumed in 1992, as China, with the blessing of Deng himself, joined the global »free« market and made a phenomenal leap in the era of postmodernity. But in 1988 and 1989, when the debate first erupted the material condition that would give rise to rampant commoditiy fetishism was not yet ripe and the term »postmodernism« was nothing more than an empty signifier circulated within a small circle of elites«. Wang Jing. 1996, S. 234–235. 134 | Exkurs: Interessanterweise lassen sich Parallelen zwischen dem poststrukturalistisch geprägten dezentrierten Subjektverständnis und der traditionellen chinesischen Vorstellung, die von einem relationalen Verhältnis des Menschen zur Welt ausging, herstellen. Während das moderne Selbstverständnis des Künstlers im Westen bis ins 20. Jahrhundert subjekt-
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Entgegen der Überzeugung der »humanistischen« Künstler von einem autonomen und originären, das Kunstwerk erst ermöglichenden und schöpferischen Subjekt, wurde der Künstler von den Vertretern der konzeptionellen Kunstströmung als grundsätzlich »unfrei«, als Bestandteil bestimmter Machtstrukturen, als Produkt von Ideologie, das heißt als ein durch Sprache und Institutionen geformtes Konstrukt entlarvt. Konstituierend für die frühe konzeptionelle Kunst ist also die Ablehnung eines »zugrundeliegenden« Subjekts, das heißt die Abkehr von der Vorstellung eines kohärenten »autonomen« und potenten Subjekts als Ursprung von Bewusstsein. Im Verständnis der konzeptionellen Künstler wurde das Subjekt als Konstruktion sprachlicher und ideologischer Strukturen, als Funktion von Diskursen und als Wirkung von Handlungen verstanden. Aufgrund dieser strukturalistischen Definition verlagerte sich der Fokus der konzeptionellen Künstler vom Bewusstsein des Subjekts, welches die »humanistischen« Künstler in den Vordergrund gestellt hatten, auf Strukturen und Konventionen, welche das Subjekt prägen bzw. welchen das Subjekt unterworfen ist. Im Unterschied zum »humanistischen« Künstler, dessen Ordnungs- und Systementwürfe in geschlossenen Räumen und entlang fortschrittszugewandter Linearität konzipiert worden waren, forcierten die Konzeptkünstler Öffnungen und Entgrenzungen. Sie lehnten die eine große Narration ab und nahmen eine anti-teleologische und multiperspektivische Haltung ein, wobei sie durch entsprechende Betrachtererfahrungen bzw. durch die grundsätzliche Fokusverlagerung vom Subjekt des Künstlers zu dem des Betrachters – häufig unter Verwendung partizipatorischer Strategien – auch den Rezipienten in den Kunstproduktion mit einbeziehen wollten.
zentriert war, weil der Künstler der göttlichen Kreation des Schöpfergottes nacheiferte und sich die Welt zum Untertan machte, war der Künstler in China traditionell kein schöpferischer Autor, sondern vielmehr Vermittler von natürlichen (Lebens-)Prozessen. Im Unterschied zur traditionell westlichen, christlich-jüdisch geprägten Vorstellung der Erschaffung der Welt durch einen Schöpfergott, erschafft sich die Welt in der traditionell chinesischen Vorstellung von-selbst (ziran), aus dem Zusammenspiel von kosmischen Kräften. Daraus ergibt sich, dass im Unterschied zum Westen, wo die Bedingung für kreative Kreation ein hierarchisches Verhältnis zwischen Mensch und Natur voraussetzte, das sich in dem entsprechender Beziehung zwischen Künstler und Kunstwerk fortsetzte bzw. widerspiegelte, die Bedingung in China ein egalitäres Verhältnis bzw. die Einbettung des Künstlers in die Natur bzw. den Kosmos war. Nur im Kontakt mit der Natur war es in der traditionellen Vorstellung möglich, künstlerisch tätig zu sein, das heißt die transformatorischen Kräfte des Lebens visuell zu vermitteln. Wolfgang Bauer schreibt in diesem Zusammenhang: »Das Ich gewinnt seinen individuellen Wert hier nicht aus seinem Kern, sondern aus seiner Zentrierung in einem gesellschafts- oder naturbedingten Ganzen und aus seiner sich in konzentrischen Kreisen ständig erweiternden Verknüpfung mit der es umgebenden Welt.« Bauer, Wolfgang. 1990, S. 15.
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Während die »humanistische« Kunst klassisch-modernistische Züge aufweist, weil sie teleologisch ausgerichtet und geschlossen angelegt war, kann die entgrenzte Qualität der frühen konzeptionellen Kunst, wie sie sich in der rahmenlosen und kontextabhängigen Installationskunst besonders deutlich zeigt, als postmodern verfasst bezeichnet werden, was auch der Grund dafür ist, dass im Kontext der konzeptionellen Strömung der Begriff der Avantgarde-Kunst, der mit einem teleologischen Geschichtsverständnis einhergeht, hinfällig geworden ist. Wie für den euro-amerikanischen Kontext kann also im chinesischen Zusammenhang konstatiert werden, dass die Enstehung der Installationskunst mit der theoretischen Auseinandersetzung mit einem dezentrierten Subjektkonzept einhergeht.135 Allerdings und auf den ersten Blick paradox diente das dezentrierte Subjektverständnis in China im Unterschied zu westlichen Diskursen nicht als Mittel der Negation des Subjekts respektive des Autors, sondern stand für Entideologisierung und Emanzipation des Subjekts. Wenngleich das Subjektverständnis der konzeptionellen Künstler von postrukturellen Theorien beeinflusst war, so führte dies in der konzeptionellen Kunst Mitte der 1980er Jahre in China nicht zur totalen Infragestellung des Subjekts, sondern beförderte vielmehr dessen Emanzipierung im Sinne eines kritischen Subjekts.136 Das Subjekt wurde als strukturell konstituiert sowie ideologisch überdeterminiert verstanden. Da der Betrachter in den frühen konzeptionellen Arbeiten, so zum Beispiel in den Installationen von Xu Bing (geb. 1955) und Wu Shanzhuan (geb. 1960), die im Folgenden ausführlich behandelt werden, aufgefordert wurde, diese Verstrickungen zu erkennen, diente die Beschäftigung mit dem poststrukturalistisch geprägten Subjektbegriff zum einen der Bewusstseinsschärfung für die Dekonstruktion des als kohärente Entität verstandenen Subjekts, des kartesischen Erkenntnis-Ichs, und zum anderen auch der Sensibilisierung für ein komplexeres individuelles Selbst und dessen konstituierender Bedingungen. Indem sich das individuelle Subjekt nicht mehr aus der Zurückweisung von Maos Voluntarismus, in Abgrenzung von der offiziellen Seite oder vom Westen konstituierte, sondern sich durch die Infragestellung und Analyse der das Subjekt konstituierenden Strukturen generierte, sollte es sich seiner emanzipatorischen Möglichkeiten bewusst werden.137 In Konsequenz wurde mit diesem neuen Ansatz konzeptioneller chinesischer Kunst das erste Mal in der 135 | Vgl. Bishop, Claire 2005, S. 11. 136 | Interessanterweise und zu erklären aus Angst vor Machtverlust, unruhigen Tendenzen in der harmonischen sozialistischen Gesellschaft, verurteilte die offizielle Linie diese Entwicklung, die das Individuum vor allem stärkte, als nihilistische Tendenz. »For them the equitation of traditional Chinese thought with trends of Western modernity that was considered nihilist was unthinkable. Jin Ye condemned these trends as the expression of an unrestricted liberalism and subjectivism, as well as a kind of nihilism that would only trigger chaos«. Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 71 f. 137 | Vgl. Wang Jing. 1996, S. 19.
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Geschichte der modernen chinesischen Kunst, wenngleich in ihrer Negativität, nicht mehr eine kulturelle, sondern eine wirkliche individuelle Subjektivität diskutiert.138
7.2.2 Ikonoklasmus als Strategie der Entideologisierung Der Ikonoklasmus als Strategie der Entideologisierung in der frühen konzeptionellen Kunst ist als Ausdruck einer kämpferischen und subversiven Haltung im Kontext eines restriktiven politischen Klimas zu verstehen und erhielt häufig noch dadurch größere Brisanz, dass Künstler mit ihren performativen Aktionen den öffentlichen Raum besetzten. Aus der existenziellen Notwendigkeit heraus, sich in der ideologischen Enge Platz zu verschaffen, schrieb die Künstlergruppe »Xiamen Dada«,139 die Huang Yongping (geb. 1954) 1986 zusammen mit Künstlerfreunden140 in seiner Heimatstadt, im südchinesischen Xiamen, gegründet hatte, im Herbst 1986 (5. September bis 9. Oktober 1986) mit einer äußerst radikal ikonoklastischen Geste Kunstgeschichte: Um den bisher geltenden Kunstbegriff, die Funktion und Wirkkraft von 138 | Die Beschäftigung mit Aspekten der Subjektivität, der historischen, kulturellen und individuellen, ist seit Anfang des 20. Jahrhundert bestimmend in den Modernisierungsdebatten in China und prägt auch die Diskussionen über postmoderne Theorien: »The one problematic that 20th century China has been preoccupied with, albeit with inadequate theoretical awareness, is that of its own historical and cultural subjectivity. This is the subtext over Chinese modernism and the inquiry made by the young proponents of postmodernism.« Aus: Wang Jing. 1996, S. 227. 139 | Mit der Wahl des Namens »Xiamen Dada« wird eine Beziehung zur künstlerischen Haltung des Dadaismus hergestellt, der sich durch eine starke Protesthaltung gegenüber den geltenden Verhältnissen auszeichnete. In seinem berühmten Artikel »Xiamen Dada – A Kind of Postmodernism« schreibt Huang Yongping über die Charakteristika der »85er Bewegung« und Dada: »Although it [die »85er Bewegung«] did not produce any laudable or historically memorable works – only all manners of compromises, akwardness, and crudeness, full of traces of imitation – this was not important. What was important was that all this turned the art establishment upside down and contributed to the emergence of a new generation. This confusion, and the participation in creating it, was in itself a great value. This was obviously very ›Dada‹, and the time to promote the Dada spirit explicitly in China had arrived. Dada had never shown its face before, but now here it was.« Aus: Huang Yongping. [1986a], englische Übersetzung, S. 76. Des Weiteren bleibt zu erwähnen, dass durch die In-Bezug-Setzung zum Dadaismus, der sich ausdrücklich als internationale Bewegung verstand, eine bewusst, Anknüpfung an die internationale Kunstentwicklung hergestellt wurde. 140 | Die Künstlergruppe »Xiamen Dada« entstand aus der gemeinsamen Arbeit an der Ausstellung »Exhibition of Five artists«, die 1983 in Xiamen stattfand. Neben Huang Yongping gehörten unter anderem dessen Freunde Lin Jiahua, Jiao Yaoming, Yu Xiaogang zur Gruppe. Vgl. Fei Dawei. 2005, S. 8.
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Kunst im bisher geltenden strukturellen Bedeutungsrahmen infrage zu stellen und um das Publikum zum Nachdenken über geltende Konventionen anzuhalten, verbrannten141 sie die künstlerischen Arbeiten – Installationen aus Alltagsgegenständen – ihrer Ausstellung (Abb. 15–17).142 Während der Kunst in China traditionell eine kosmologisch harmonisierende Wirkung zugesprochen wurde, wurde ihr als Instrument zur ideologischen Erziehung der Massen im Sozialismus pädagogische und transformatorische Wirkung zugetraut. Für die Künstlergeneration der frühen konzeptionellen Kunst, wie zum Beispiel den Mitgliedern der Xiamen Dada Gruppe oder dem Künstler Xu Bing, dessen künstlerische Konzepte weiter unten ausführlich besprochen werden, waren die zum Teil heftigen ikonoklastischen Gesten notwendig, um sich aus der Omnipotenz und Omnipräsenz des sozialistischen Kunstverständnisses zu befreien, welches darin bestand, jedes Kunstwerk mit Bedeutung und Diskurs im Sinne der Ideologie aufzuladen und zu rezipieren, das heißt zu funktionalisieren. In der Tradition der dadaistischen und neo-dadaistischen Anti-Kunst, im Rausch der Entgrenzung und das Ziel der (künstlerischen) Emanzipation vor Augen, grenzten sich die Xiamen Dadaisten somit sowohl radikal von den Prämissen der »humanistischen« Kunst als auch von der offiziellen Definition von Kunst ab. Hou Hanru schreibt hierzu: »Huang and his friends were deeply interested in the issues of emptiness, nothingness, and chance. These elements gave them the greatest possible freedom to depart from any preconceptualized approach and work with the opportunities that arose at the last minute. In this way they were able to transgress the linearity of things, which is the very core of established modernist culture and also central to the capitalist and socialist reforms that help reshape the political, social, economic, and cultural landscape in China in the 80s. It is not surprise that the concluded: Xiamen Dada is kind of postmodern. Their main point was to turn away from the rationalist, modernist definition of art and the related institutional system as well, more profoundly the discursive system.«143
Sie lehnten den subjektiven Ausdruck ab und erweiterten ihr Materialrepertoire, indem sie das erste Mal in der chinesischen Geschichte der modernen Kunst konsequent in der Tradition der Duchamp’schen Readymades mit »found objects« arbeiteten.144 141 | »Huang Yongping pointed out that the purpose of burning was to emphasize that art exists as spiritual process, not in its material results.« Aus: ebd., S. 9. 142 | »After the exhibition closed the group decided to burn all the exhibited works on November 24th and published the ›Statement on Burning‹ with slogans such as ›Until art is destroyed, life is never peaceful‹ and ›Dada is dead, beware of the fire‹.« Aus: ebd. 143 | Hou Hanru. 2005, S. 13. 144 | »Because Xiamen Dada focused on methodological reform and had a more radical attitude compared to artist groups in Beijing and Shanghai, it did not belong to the mainstream Chinese avant-garde but was a somewhat marginal group.« Aus: Fei Dawei. 2005, S. 8.
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7.2.3 Huang Yongping – der wichtigste frühe Akteur der konzeptionellen Strömung Huang Yongping kann als der wichtigste Akteur der frühen konzeptionellen Strömung in China gelten. Er setzte sich nicht nur in seinen künstlerischen Arbeiten, sondern auch in seinen zahlreichen Essays, die er in verschiedenen, damals wichtigen Kunstzeitschriften veröffentlichte, mit poststrukturalistischer Theorie und konzeptionellen Kunstströmungen auseinander und erklärte dort sein neues Verständnis von Kunst.145 Es ist in großem Maße seiner Vermittlung zu verdanken, dass damals vergleichsweise viele Künstler Zugang zu theoretischen Schriften und konzeptionellen künstlerischen Positionen erhielten.146 Wichtige Grundlage für Huang Yongpings neues Kunstverständnis war die Auseinandersetzung mit westlicher Sprachphilosophie. In einem Essay mit dem Titel »Regarding the Idea of ›Healing‹ in Art« forderte er die Auseinandersetzung mit der (Sprach-)Philosophie ab Mitte des 20. Jahrhunderts und die Ablehnung der dieser vorausgehenden metaphysisch ausgerichteten Philosophie:
145 | »If we were lucky enough to participate in the ›art world‹, then whether or not what I do is called ›art‹ need no longer be an issue any more. For the ›art world‹ will endow what I do with the meaning of art in its own right. If there were any problems here, it would be that we often try to be too artistic, concerned that a work of art has to look artistic, that an artist has to become an artist. As a matter of fact the priority in the ›art world‹ is anything but being an artist. If you are an artist to begin with you first have to become a non-artist if you are to stand out from the crowd. Both experiment and the liberation movement in Western art in the 60s and 70s have attested to the fact that an artist having given up painting and sculpture can still achieve something. Today art no longer requires the conventional sense of canvas or paint or the form of painting and sculpture. The venue is not a concern; art can be moved out of the gallery and stand in a house, in a park, in a street …with or without an audience. Art can also draw on any imaginable material or do without material at all. But the artist must abide by a rather stringent principle: a will to claim ›art‹ […] To shed its conventions avant-garde art has to slip into other fields. The concept of avant-gardism essentially relies on nothing other than the expansion of possibilities.« Aus: Huang Yongping. [1988c], 2005, S. 56. 146 | Vgl. Huang Yongpings Essay »Xiamen Dada – A Kind of Postmodernism«, in dem er selbst über Xiamen Dada und die Neuerungen in der Kunst in China seitdem schreibt: »Although it did not produce any laudable or historically laudable works – only all manners of compromises, awkwardness and crudeness, full of traces of imitation – this was not important. What was important was that all this turned the art establishment upside down and contributed to the emergence of a new generation. This confusion and the participation in creating it, was in itself of great value. This was obviously very Dada, and the time to promote the Dada spirit in China had arrived. Dada had never shown his face before, but now here it was.« Aus: Huang Yongping. [1986a], 2005, S. 76.
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»The pursuit of profundity or deepening is also the pursuit of the so-called philosophical level. And this ›philosophy‹ is certainly not that of the second half of the 20th century; instead it falls into the whole philosophical trap before this date, because the philosophy of the second half of the 20th century exists in name only; it has been healed and has managed to clear up philosophical questions through a better understanding of the language we use. It also makes all previous philosophical traditions be placed in a situation that must be dealt with very cautiously, and is full of dangers.«147
Die »Heilung« der Philosophie und in Konsequenz auch die »Heilung« der Kunst, um mit Huangs Worten zu sprechen, besteht ihm zufolge demnach darin, ihr das Potenzial der Erklärung der letzten Gründe abzuerkennen, denn die eine einzige, endgültige Wahrheit gibt es nicht. Anstatt Philosophie und Kunst metaphysisch und ontologisch zu denken, muss das Augenmerk seiner Meinung nach auf der Sprache liegen, denn es ist die Sprache, mit welcher wir die Welt, das heißt unsere Realität konstruieren. Sich auf die berühmte Aussage von Jacques Derrida – »il n’y a pas de hors texte« – beziehend, vertritt auch Huang Yongping die Meinung, dass sich außerhalb der Sprache für uns keine Welt befinde und es deswegen die Aufgabe der Kunst bzw. des Künstlers sei, diese sprachliche Realität zu hinterfragen.148 Mit dem Ziel, etablierte Machtstrukturen infrage zu stellen und dem Denken mehr Raum zu geben, ist es das Anliegen Huang Yongpings, Definitionen von Kunst nach formalen und stilistischen Gesichtspunkten radikal infrage zu stellen und sie zudem niemals als subjektiven Ausdruck zu begreifen, da dies immer bestimmte Machtverhältnisse implizieren und (re-)produzieren würde. Huang lehnt alle feststehenden Begriffe und Definitionen von Kunst ab und stellt in Konsequenz den Ikonoklasmus als Ziel bzw. Grund von Kunstschaffen in den Vordergrund. Stark beeinflusst von Ferdinand de Saussures linguistischer Differentialthese, nach der sich Sinn in der arbiträren, auf Konventionen beruhenden Beziehung zwischen Signifikaten und Signifikanten generiert, Sinn also stets relativ und niemals für die Ewigkeit festgeschrieben ist, schreibt Huang Yongping in diesem Zusammenhang: »To destroy form, you must first break the necessary bond between the name and the thing the name refers to. The fact that a person says cup when he sees a cup proves how you stereotyped the form of a cup has become, just like Buddhists we see who always go around in big groups. If you do not immediately able to come up with the term cup when you see a cup, because the object you see does not doesn’t look like at all like a cup, then this cup has rid itself of its form. Anything capable of escaping from its form is worthy of celebration.«
147 | Huang Yongping. [1987a], 2005, S. 12. 148 | In deutscher Übersetzung bedeutet Jacques Derridas Aussage: »Es gibt nichts außerhalb des Textes«. Aus: Derrida, Jacques [1967], 2003, S. 139.
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Kunst und Philosophie beschreiben und vermitteln aus sprachphilosophischer und stark poststrukturalistisch geprägter Perspektive nach Huang Yongping also keine endgültigen Wahrheiten, sondern sind vielmehr sprachliche Konstrukte. In seinem Essay »On the Question of Language in Art« schreibt er in Bezug auf die Kunst in diesem Zusammenhang: »With people defining art there are as many definitions of art as there are theories about it. Due to the exclusive nature inherent in a definition, X itself is also unstable. Therefore acknowledging that X is art also means that other definitions such as Y is art or Z is art are valid.«149 Sich auf den Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein beziehend, plädiert er dafür, nicht nach Bedeutungen von X zu fragen, sondern vielmehr nach ihren Funktionen: »It is also thanks to Wittgenstein and his ›limits of language‹ that people started to recognize on a philosophical level, the meaninglessness of these kinds of disputes and stopped asking questions such as what is X? Wittgenstein advocated an approach that asked not for the meaning of X, but for its use.«150 Sprache ist weder objektiv noch naturgegeben, sondern immer subjektiv und aufgrund dessen stets Ausdruck bestimmter Machtstrukturen und daraus resultierender Subjektkonstruktionen. Diese infrage zu stellen ist Huang Yongpings erstes Anliegen. Seine Kunst richtet sich deswegen gegen das »humanistische« Subjektverständnis. Da Macht nicht nur durch politische und sozioökonomische Institutionen verkörpert wird, sondern allumfassend ist und mit ihren sprachlichen und institutionellen Strukturen, welchen sich keiner endgültig entziehen kann, die Welt durchmisst, ist das Subjekt immer in bestimmte Machtstrukturen verstrickt. Beeinflusst durch poststrukturalistische Theorien kann man laut Huang nicht mehr von autonomer Kreativität ausgehen. Denn diese ist immer abhängig und das Verständnis des Künstlers als »autonomer« Schöpfer muss folglich immer hinterfragt werden; diese vermeintlich autonome Kreativität muss, um Huang zu zitieren, »ausgetrocknet werden«.151 Eine »geheilte« Kunst ist also demnach eine anti-subjektive, unabhängige und auf diese Weise enthierarchisierte Kunst. Um der stets drohenden Gefahr, sich durch Ideologien vereinnahmen und manipulieren zu lassen, entgegenzuwirken bzw. um sich diese bewusst zu machen oder um selbst institutionalisierte Macht zu verkörpern, muss also die bisherige Beziehung zwischen Künstler und künstlerischer Arbeit infrage gestellt werden. Die Subversion ist in seiner Arbeit ein wichtiges Moment, sie gilt in erster Linie der Zerstörung von Statik und der Betonung von ständiger Veränderung, denn dass 149 | Huang Yongping. [1986b], 2005, S. 84. 150 | Ebd. 151 | »The concept of the creativity of the artist must time and again be dried up because it represents the last drop of romanticism. The impossible existence of creativity does not refer to the ›inevitable influence of tradition‹ as is usually thought, rather it refers to the impossible existence of autonomous creativity.« Aus: Huang Yongping. [1989], 2005, S. 87.
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sich die Welt in ständiger Veränderung befindet, ist seiner Meinung nach die einzige Wahrheit, die zählt.152 Logisches Denken und das Objektive lehnt er als Ausdruck von Rationalität ab und hält stattdessen irrationale Aktionen wie zum Beispiel ikonoklastische Verbrennungsaktionen für fruchtbar.153 Um nicht in die Subjektivitätsfalle zu geraten, also anstelle der Betonung des Autorensubjekts und dessen individuellen Gefühlen, entwickelt er anti-subjektive Methoden, in denen der Zufall eine maßgebliche Rolle spielt.154 »He understands that the only way to approach reality is actually to escape from it and engender a distant but related link with it. Chance is the central element in the making of such a contradictory relationship.«155 Mithilfe von Zufallsverfahren macht Huang Yongping deutlich, dass die Dinge von Natur aus unabhängig sind und in Konsequenz darum auch alle bestehenden Beziehungen und daraus resultierende Bezeichnungen und Definitionen veränderlich sind: »Chance means things are independent from one another.«156 Diese Unabhängigkeit versucht er zu verdeutlichen, indem er die geltenden Beziehungen zwischen Signifikaten und Signifikanten zerstört. Denn nur durch die Forcierung leerer Signifikanten kann es gelingen, abhängige Oppositionshaltungen zu vermeiden, um stattdessen bestimmte Machtstrukturen offen zu legen. Allen mithilfe von Zufallsverfahren kreierten Arbeiten – zum Einsatz kommen dabei beispielsweise Rouletteräder, Würfel oder das traditionelle chinesische Orakel Yijing157 – ist es gemeinsam, dass Entscheidungen im Kreationsprozess nicht mehr
152 | Diese Überzeugung hat ihre Paralelle in der chinesischen Tradition, denn Veränderung ist das Hauptprinzip der chinesischen Weltanschauung: »Whereas since the Renaissance and the Enlightment, the Western idea of the world and modernity has stressed rationalism, now the emphasis of irrational movement, change, chance even chaos (as a more complete world vie) can provide an effective strategy to deconstruct the redundant ideologies of Modernism and Eurocentrism.« Aus: Hou Hanru. 1997a, S. 65. 153 | Er wendet sich hier auch gegen die durch die westliche, von der Aufklärung geprägte Auffassung von Welt. Dies wird beispielsweise in der Arbeit »A Humid Critique of Pure Reason« (1989) besonders deutlich, für die er eine chinesische Übersetzung von Immanuel Kants »Kritik der Reinen Vernunft« (1781) in der Waschmaschine wäscht. Siehe: Ausst.-Kat. House of Oracles. A Huang Yong Ping Retrospective 2005, Einlegeblatt zwischen S. 14 und S. 15. 154 | »Huang Yongping believed that in order to subvert painting, one must first subvert these ›soaking‹ emotional outpourings, in effect drying up the moisture from art and banishing self-expression.« Aus: Fei Dawei. 2005, S. 7. 155 | Aus: Hou Hanru. 2005, S. 13. 156 | Huang Yongping [1987b], englische Übersetzung 2005, S. 48. 157 | »Difference I ching and large turntable: The I ching is a metaphysical system, while the Large turntable follows a random system. The I ching means order while the large turntable means disorder. Art starting from emptiness.« Aus: ebd.
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einem Künstlersubjekt übertragen werden. »[…] the completion of a painting would lack the normal cause-and effect relation dominated by the author.«158 Die Betonung des Künstlersubjekts, das Sich-Verlassen auf diesen als Sinnstifter, hält Huang Yongping für beschränkt. Eine Erweiterung wird seiner Meinung nach durch die Negation des Subjektiven, durch Selbstvergessenheit erreicht. »Free of the judgement of the eye or the brain, I believe in the limitation of the brain, however and hence I reflect on the question of losing oneself.«159 Erstrebenswert ist nicht das Reine, das Subjektive, sondern das Schmutzige, »the impure«,160 wie er schreibt, denn erst dann ist die Auflösung der Beschränkung der subjektiven Perspektive gewährleistet. Allerdings, so betont er in diesem Zusammenhang nochmals sein anti-metaphysisches Verständnis von Kunst, beschränkt sich die angestrebte Erweiterung des Subjektiven immer auf diese Welt: »This big roulette wheels provides many possibilities and the possibilities I have will be greatly different from those others have. However, they still cannot go beyond the world I live in – this is where the limits are.«161 Die vier Malereien Four non-expressive paintings (1985) (Abb. 11), aber auch die weiter unten erwähnte Arbeit Eine ›Geschichte der chinesischen Kunst‹ und ›Kurze Geschichte der modernen Kunst‹ nach zweiminütigem Waschen in einer Waschmaschine (1983) (Abb. 12–14) sind Ausführungen von Handlungsanweisungen, die Huang per Zufallsverfahren, durch das Drehen an Rouletterädern – die er zu diesem Zweck angefertigt hat – erhalten hat. Im Unterschied zum bisherigen Kunstbegriff stand bei Huang Yongping nicht mehr das Endresultat, das heißt das Kunstwerk, sondern der Prozess der künstlerischen Produktion und Rezeption im Vordergrund. Wurde der Künstler bislang, im Sinne eines modernistischen Kunstbegriffs als Urheber des Kunstwerks verstanden, so ist er bei Huang nun, beeinflusst durch postmoderne Konzepte, Mittler, der bei der Auslösung eines Erfahrungsprozesses zur Aktivierung des Betrachters als Teilnehmer des künstlerischen Prozesses eine konstitutive Funktion besitzt. Sinn und Ausdruck einer künstlerischen Arbeit werden also nicht mehr von einem Autor vorgegeben, sondern generieren sich in Prozessen des kritischen und reflektierenden Rezipierens.
158 | Ebd. 159 | Er schlägt zwei Wege vor, dies zu erreichen: »To reach this point I suggest 2 points. 1. to be created by others, e. g. others take part in the work in an unplanned and undefined manner and 2. to be created by me, restricted works that are the result of limiting the functions of the eyes and the brain. The Dust series belongs to the first category and the Large Turntable to the second.« Aus: ebd., S. 50. 160 | »When other people change my intention, they make it impure, but at the same time also expand it […] All independent cases are impure for me […]«. Aus: ebd. 161 | Ebd.
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Abb. 11: Huang Yongping, Four non-expressive paintings (fei biaoda huihua), Installation, 1985
Quelle: Ausst.-Kat. House of Oracles. A Huang Yong Ping Retrospective. Philippe Vergne; Doryun Chong (Hgs.). 2005. Minneapolis
Im Unterschied zur »humanistischen« Kunst kommt bei Huang Yongping als Vertreter der konzeptionellen Strömung nicht mehr dem Autor, sondern dem Betrachter die wichtigste Rolle zu. Mit Roland Barthes gesprochen, den Huang Yongping rezipiert hat, ist die Vorstellung des Autors als originäre Stimme überbewertet.162 Seiner Meinung nach spricht in einem Text nicht der autonome Autor, denn dieser stellt nur schon bereits Vorhandenes neu zusammen, sondern der Text selbst. In Konsequenz kommt dem Rezipienten als demjenigen, der dem Text Sinn verleiht, eine größere Bedeutung zu, denn erst durch den performativen Akt des Lesens erhält der Text Sinn und Bedeutung. Folglich hängt die Einheit eines Textes nicht von seinem Autor, sondern vom Betrachter sowie dem Kontext, in dem es rezipiert wird, ab.163 Ein solches kontextbezogenes Kunstverständnis nimmt seinen Anfang mit Marcel Duchamp (1887–1968), auf den sich Huang Yongpging explizit bezieht, und dessen Konzept des Readymade.164 Im Unterschied zur autoren- und objektzentrierten 162 | An dieser Stelle soll noch einmal betont werden, dass es sowohl Roland Barthes (Tod des Autors, 1967) als auch Michel Foucault (Was ist ein Autor?, 1969) nicht um die grundsätzliche »Negation der werkimmanenten Kategorie Autor [ging], sondern um die funktionale Relativierung derselben im Gesamtprozess ästhetischer Sinngebung.« Vgl. Wetzel, Michael. 2000, S. 481. 163 | Vergne, Philippe. 2005, S. 29. 164 | Joanno, Evelyn. 1997, S. 38.
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Abb. 12: Huang Yongping, The History of Chinese Painting and the History of Modern Western Art Washed in the Washing Machine for Two Minutes (xifang xiandai huihua shi zai xiyiji li jiaoban liang fen zhong), Installation, 1987/1993
Quelle: Ausst.-Kat. House of Oracles. A Huang Yong Ping Retrospective. Philippe Vergne; Doryun Chong (Hgs.). 2005. Minneapolis
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Abb. 13: Huang Yongping, Installation im Rahmen der Ausstellung Magicien de la Terre, im Centre Georges Pompidou, Paris 1989 Abb. 14: Huang Yongping, Installation im Rahmen der Ausstellung China Avantgarde im Haus der Kulturen der Welt, Berlin 1993
Quelle: Ausst.-Kat. China Avantgarde. 1993. Haus der Kulturen der Welt. Berlin (Abb. 13 und 14).
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Kunst verlangt das entgrenzte, das heißt kontext- und subjektabhängige Medium der Installation nach einem konstituierenden, eigenständig denkenden, das heißt sinngebenden und kritisch reflektierenden Rezipienten. Huang Yongping ist Mitte der 1980er Jahre der erste, der in China diesen neuen kontextabhängigen konzeptionellen Kunstbegriff einführt und öffentlich reflektiert.165 Seine Vorliebe für das Medium der Installation, mit dem er seit 1986 als erster Künstler166 in China konsequent arbeitet,167 entspricht Huangs anti-subjektiver,168 in funktionalen und strukturellen Relationen denkender Haltung. Zum besseren Verständnis stellt Huang Yongping in seinen Schriften über westliche Theorien Bezüge zu Aspekten der traditionellen chinesischen Kultur, insbesondere des Chan Buddhismus und des Daoismus her.169 In seinem berühmten Es165 | »Any masterpiece is called that by the spectator. I believe very strongly in the ›medium‹ aspect of the artist. The artist makes something then one day he is recognized by the intervention of the public, so later he goes on to posterity. In brief the artwork is a product of two poles, there is the pole of the one who makes the work and the one who looks at it. The destruction of the art is subject to the destruction of audience, an artist or a work of art without an audience is like a street beggar who asks to be liked.« Aus: Huang Yongping [1988b], 2005, S. 81. 166 | »The way in which Huang Yongping began to think of paintings as a three-dimensional activity foreshadows his later interest in site-specific installations.« Aus: Andrews, Julia F. 1993b, S. 25. 167 | »Only now am I really able to understand the state of mind that made Duchamp said: ›the traditional idea of the painter, with his brush, his palette, his turpentine, is an idea, which had already disappeared from my life.‹ This is a revolutionary and irreversible change for me. […] All of Huang Yongping’s works produced after 1986 took the form of installations of modified prefabricated objects and performance art. This shift away from painting and toward installation and performance art became an increasingly important trend in the Chinese avant-garde as a whole between 1985 and 1989. Huang Yongping developed the most radical methods and the most comprehensive theory for this transformation.« Aus: Fei Dawei. 2005, S. 7. 168 | »Huang Yongping’s assassination of painting wasn’t merely an exchange of raw material, however it was also a change transformation of artistic ideas. What he wanted to subvert was not painting but rather an artistic attitude. The attitude in question was the emphasis on self-expression that was prevalent in the avant-garde movement of that time.« Aus: ebd. 169 | Nicht nur Huang Yongping, sondern auch andere konzeptionelle Künstler wie vor allem Xu Bing, setzten sich Mitte der 1980er Jahre mit dem Chan-Buddhismus auseinander. Gao Minglu schreibt in diesem Zusammenhang: »A common characteristic of these artists [gemeint sind die konzeptuellen Künstler; B. H.] is that while being strongly influenced by Western conceptualism from Duchamp onwards, they also had a deep interest in and respect for traditional Chinese philosophy, particulary Zen (Chan) Buddhism. Chinese conceptual art of the 1980s also differed from other avant-garde art being produced in China at the time, which tended to be idealistic and utopian. […] But conceptual artists were sceptical about
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say »Xiamen Dada – A Kind of Postmodernism« (1986)170 setzt Huang den Chan Buddhismus in direkte Relation zu Dada und postmodernen Theorien und stellt Gemeinsamkeiten fest, indem er sowohl Dada als auch dem Chan Buddhismus und dem Daoismus attestiert, dass sie keine formalen oder sprachlichen Definitionen von Kunst bzw. Welt festlegen, indem sie jegliche Doktrin und somit statische Festlegungen grundsätzlich ablehnen.171 Darüber hinaus ist die Bedingung hierfür bei allen drei Konzepten, dass sie Leben und Kunst nicht trennen und dass Kunst somit alle möglichen Formen annehmen kann. »We could say that only postmodernism makes explaining Chan become Chan itself, while having no trace of Chan. A work by Rauschenberg can exist over a long or short period of time, be made by any material, in any place, for any purpose, and have any outcome. This corresponds closely to the ubiquity of Tao, which is found in ›any ant, in weeds … and in urine‹ (Zhuangzhi). Rauschenberg’s use of whatever elements he came across and his juxtaposing of diverse objects in his paintings are very much in tune with Taoism’s ideas of the equality, sameness, and coexistence of everything. Duchamp comes closer to Laozi’s concept of ›hiding one’s brilliance, appearing dull,‹ and to his contemplation and wisdom of life, than any modern Asian. Using an urinal (Duchamp) or packing the artist’s feces in into glittering cans (Manzoni) to question ›What is art?‹ is exactly the same as Chan masters using ›a dried feces stick‹ (Master Yunmen) or ›three pound flax‹ (Master Dongshan) as the answer to the question ›What is Buddha?‹ This way of answering should be understood in terms of ›answering without answering‹ which insists on unveiling the meaninglessness of questions and answers by using this kind of meaningless action or language. […] That letting life and chance guide you on your way. Beuys used the simplest materials to create works, aiming to recover the original state of life. He didn’t ask about meanings, as long as you are sympathetic to his suggestive works, then his free attitude about supporting all manners of art making and his conversations with animals go far beyond our traditional ideas about art and painting. They embody the
all this idealism and their scepticism is reflected in an art that is destructive and subversive. Zen philosophy became a source for postmodernism and the sixth Zen patriarch Huineng (638–713) was seen as Duchamp’s master. This strong interest in Zen among the ’80s avantgarde artists can be equated with the skeptisicm of the Cultural Revolution – a continuation of the overthrow of everything. It constituted not only a strike against orthodox art, but also a criticism of and challenge to any form of utopianism whether of the Mao period or of the contemporary avant-garde.« Aus: Gao Minglu. 2003b, S. 11. 170 | Huang Yongping. [1986a]. 2005. 171 | In der chan-buddhistischen Überzeugung muss jegliche Doktrin abgelehnt werden, weil jede festgeschriebene Erklärung relativ ist. Erst wenn die Erkenntnis eintritt, dass alles vergänglich, das heißt (semantisch) leer ist, kann die Erleuchtung erreicht, das heißt können Geist und Natur verstanden werden.
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I NSTALLATIONSKUNST IN C HINA essence of Eastern thought – that is, greatness and vastness, nonattachment and following nature’s lead.«
Chan is Dada, Dada is Chan. Postmodernism is the modern renaissance of Chan Buddhism. Both Chan and Buddhism are famous for being the most straightforward and the most profound, moreover, they are basically not about aesthetic importance, but more about the impossible reality of reality, as well as extreme doubt and disbelief.«172 In seinem Essay »Completely Empty Signifiers« benennt er darüber hinaus sowohl Dada als auch den Chan Buddhismus als Beispiele für leere Signifikanten. Voraussetzung dafür ist, dass er beide Konzepte in der diesseitigen Welt verankert und sie also als sprachliche Konstruktionen versteht.173 Bei seiner Auseinandersetzung mit Sprache und der Ablehnung der »humanistischen« Subjektzentriertheit rekurriert Huang Yongping also nicht nur auf strukturalistische und poststrukturalistische Theorien, so unter anderem auf die von Roland Barthes formulierte Vorstellung vom »Tod des Autors«, sondern auch auf traditionell chinesische Vorstellungen.174 Gao Minglu schreibt in diesem Zusammenhang sogar, dass Huang Yongpings stark vom Chan Buddhismus inspirierter kunstphilosophischer Essay »Art starting from Emptiness« die Grundlage für die konzeptionelle Kunst in China darstellt.175
172 | Ebd., S. 76 f. 173 | »Dada in Western modern art history and Chan in Buddhism in the history of ancient Chinese thought can serve as examples of completely empty signifiers. Here the phrase ›completely empty signifiers‹ does not contain any ontological or metaphysical intention. ›Empty‹ is used as the category diametrically opposed to the ›substantial‹ without implying any metaphysical statement of ›empty is substantial‹.« Aus: Huang Yongping. [1988c], 2005, S. 77. 174 | »Moreover by relinquishing the power to make artistic decisions, he has rejected the notion of inspiration inherited from 19th century romanticism and has debunked the idea of authorship. In an oblique way he shares what has been one of the obsessions of the postwar avant-garde since Barthes proclaimed the ›death of the author‹ in 1968.« Aus: Vergne, Philippe. 2005, S. 29. 175 | Gao Minglu. 1999, S. 127.
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8. CHINESISCHE INSTALLATIONSKUNST – VON IHREN ANFÄNGEN MITTE DER 1980ER JAHRE BIS ZU IHRER INTERNATIONALISIERUNG UND LOKALEN AKZEPTANZ IM ZUSAMMENHANG DER SHANGHAI BIENNALE IM JAHR 2000176 8.1 Die Anfänge der Installationskunst in China Mitte der 1980er Jahre Unter den frühen konzeptionellen Künstlern war die Installationskunst die beliebteste Ausdrucksform. Wie ausgeführt wurde, entwickelte sich die Installationskunst in China im Kontext der Diskussionen um ein dezentriertes Subjektverständnis. Aufgrund ihrer relationalen und entgrenzten Struktur wurde sie in diesem Zusammenhang als ein effektives Instrument zur Analyse und Dekonstruktion von herrschenden gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Bedingungen verstanden. Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ die Robert Rauschenberg-Ausstellung, die 1985 in der Nationalgalerie in Peking stattfand, und war somit wichtiger Auslöser für die Entstehung der Installationskunst in China.177 Im Rahmen der Präsentation des Rauschenberg Overseas Culture Interchange (ROCI) Projekts178 wurden zahlreiche Installationen gezeigt, was quasi über Nacht dazu führte, dass chinesi-
176 | Die einzige bisher existente Darlegung der Entwicklung der chinesischen Installationskunst ist die chinesische Publikation von Gu Chengfeng; Jia Fangli. 2003. 177 | »At the end of 1985, the famour Pop artist Robert Rauschenberg came to China from the USA, and held large sized exhibitions in Beijing and Lhasa. In the exhibition hall, the screen kept playing the picture that Rauschenberg won prizes and undertook artistic creations in different countries, as well as of his representative works in different times. These information in company with his gigantic collages formed tremendous shocks and impacts on the Chinese audience […]. Under the arrangement of American journalist He Mole, Zhang Wei, Zhu Jinshi, Ma Kelu, Wang Luyan, Qin Yufen, Gu Dexin and Feng Guodong held the ›Seven Person Exhibition‹ in his home in the diplomatic compound. The artists decorated it as an exhibition hall, hanging paintings on the wall and laying Gu Dexin’s sculptures on the table. At that night Rauschenberg refused the invitation of the China Artists Association to visit China Central Academy of Fine Arts; instead he came to watch the exhibition. […] Then he encouraged the artists to get rid of the burden of tradition.« Aus: Gao Minglu. 2008. S. 55. Yin Shuangxi schreibt in diesem Zusammenhang: »It is difficult to specify the exact moment that installation art appeared in China, but it was clearly an important approach in Chinese contemporary art by the mid-1980s. This was clearly tied to the American artist Robert Rauschenberg, whose solo exhibition at the China Art Gallery in Beijing, which opened on November 18th 1985, was the first major showing of modern art in China. His skillfully executed ›readymade‹ installations were to leave a deep impact upon young artists.« Aus: Yin Shuangxi. 2002, S. 67. 178 | Vgl. Andrews, Julia F. 2000, S. 10.
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sche Künstler Rauschenberg nacheiferten, indem sie auch installativ arbeiteten und »found objects« in ihre Arbeiten integrierten.179 Li Xianting schreibt in diesem Zusammenhang: »[…] Following the 1985 exhibition of Robert Rauschenberg’s works in Beijing, a fad for Pop swept the Chinese art scene. Artists were particularly interested in Rauschenberg’s use of found objects. This allowed them to escape for the first time from the easel and make an all-out assault on the accepted Chinese aesthetic. […] The introduction of Pop in China interestingly led to a Dada type artistic movement. Although Pop art was a continuation of Dada art it was also the product of a highly commercialized environment. The attitudes of the artists engaging in Pop art were necessarily vastly dif ferent from those of the post World War I Dadaists. In the mid 80s Chinese young artists thought of themselves as revolutionaries united by a desire to overthrow the aesthetic and linguistic conventions of Chinese art. They were interested in how manufactured found objects could have an impact on two-dimensional art. Dada had used objects to rebel against aesthetic norms of the past, it is not surprising then that Chinese artists accepted the Dadaist aspects of Pop art while generally ignoring its possibilities as a form of mass or popular art. […] In the context of the history of recent Chinese art, the ›misreading‹ of Pop art in 85 as a form of Dada had a revolutionary significance in China that fuelled the trend toward Political Pop in the early 90s.«180
Zentrum der frühen Installationskunst war die Zhejiang Academy of Art in Hangzhou.181 Mit Ausnahme von Xu Bing, der an der Central Academy of Art in Peking studiert hat, haben alle wichtigen frühen Installationskünstler ihr Studium in Hangzhou absolviert. Die Bedingungen für die Entstehung konzeptioneller Positionen waren dort besonders günstig. Zum einen verfügte die dortige Akademie über eine außergewöhnlich gut sortierte Bibliothek mit einer großen Anzahl an ausländischer Literatur182 und zum anderen unterrichteten dort schon sehr früh künstlerisch und/ 179 | »Within a few weeks, the artists of the ›Three Step Studio‹ in Taiyuan, Shanxi, had attempted to hold an exhibition, closed before it opened to the public, that involved found objects from their locality. Slides of the installation were publicized by some Beijing critics, which negated the suppression of the show by local officials. A somewhat differently conceived exhibition by Xiamen Dada in 1987 was similarly closed because of its used of found objects.« Aus: ebd., S. 10, siehe auch Tzou, Shwu-Huoy. 2000, S. 140. 180 | Aus: Li Xianting. 1995, S. 93 f. 181 | Eduardo Welsh widmet dem Jiangnan Gebiet und dessen Bedeutung in den 1980er Jahren ein eigenes Kapitel. Vgl. Welsh, Eduardo. 1999, S. 92. 182 | »Early in the 1980s, the director of the academy made a huge purchase of Western art books for the school library. Although access to such subversive literature was restricted graduate students and faculty, the truly dedicated undergraduate could usually find a way to see them.« Aus: Andrews, Julia. 1997, S. 10.
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oder kunsthistorisch ausgebildete Lehrer aus dem Ausland bzw. lokale Dozenten mit entsprechendem Auslandsstudium, was dazu führte, dass die Absolventen Mitte der 1980er Jahre ihren Horizont jenseits des sozialistischen Realismus erweitern konnten.183 Der Künstler Gu Wenda (geb. 1955), der in Hangzhou studierte und später dort auch als Dozent tätig war, gibt zur Auskunft, dass das Wissen über moderne und postmoderne Kunst aus dem Westen in Hangzhou vor allem selbstständig – von einer Klasse zur nächsten und in Gesprächen der Kunststudenten untereinander – weitergegeben wurde. Auch Wu Shanzhuan betont in einem Interview aus der heutigen Zeit die Bedeutung des intellektuellen Austauschs der Kommilitonen untereinander.184 Die folgende Aussage Gu Wendas über seine Zeit an der Hangzhouer Akademie als Ort der intellektuellen Fortbildung und der damit einhergehenden Wirkungen für seine künstlerische Arbeit kann auf viele andere Künstler, die sich damals der konzeptionellen Kunst zuwandten, übertragen werden: »[…] Seit meiner Aufnahme an der Zhejianger Kunstakademie hat sich mein Kunstverständnis völlig gewandelt. Ich empfand meine früheren Bilder als nichtssagend, als blinde Bilder, nicht als echte Kunst. Nach meinem Eintritt in die Akademie habe ich im Grunde nicht gemalt, nur einige Bücher über westliche Philosophie, Ästhetik und Religion gelesen; im Wesentlichen war ich mit Büchern beschäftigt und habe nichts gemalt.«185 Neben den theoretischen Voraussetzungen müssen auch die Anregungen aus der künstlerischen Praxis erwähnt werden. Für die Entwicklung der Installationskunst186 waren vor allem die Klassen von Bedeutung, die von dem bulgarischen Textilkünstler Maryn Varbanov, der in China unter dem Namen Wan Man bekannt
»In 1979, the academy, in collaboration with the Zhejiang Provincial Foreign Language Bookstore and various other local publishing units, organized an ›International Imported Art Book Exhibition.‹ The Entire exhibition was subsequently purchased for the school library.« Aus: Andrews, Julia. 2000, S. 25. 183 | »In 1985, for example, the French abstract expressionist Zhao Wuji (Zao Wouki), who was a graduate of the preliberation Hangzhou academy, presented a series of lectures at the school. The American graphic designer, painter and computer artist Roman Verostko taught in Hangzhou in the same year, introducing to his students the latest trends in American art.« Aus: ebd. Außerdem erfüllte Zheng Shengtian, der aus dem Ausland nach Hangzhou zurückgekehrt war, in der Ölmalereiklasse eine wichtige Funktion, indem er die neuen, individuellen Entwicklungen von beispielsweise Geng Jianyi oder Zhang Peili vor den konservativen Kräften an der Akademie zu verteidigen suchte. Vgl. dazu Smith, Karen. 2005, S. 86 ff. 184 | Shi Jian. 2007, S. 258. 185 | Fei Dawei. 1991, S. 112. 186 | »As one of those students, Wenda Gu became nationally and eventually internationally known on the basis of the work he created for Varbanov’s Art Tapestry Institute.« Aus: Andrews, Julia. 2000, S.25.
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ist, unterrichtet wurden.187 Die Verbreitung von Informationen über Varbanovs Textilcollagen in den diversen Kunstzeitschriften Mitte der 1980er Jahre führte dazu, dass sich viele Künstler auch über die Grenzen Hangzhous hinaus der Dreidimensionalität und dem textilen Material zuwandten.188 Darüber hinaus sprach Varbanov fließend Chinesisch und war überdies aufgrund seiner Herkunft mit der kommunistischen Ideologie vertraut, weswegen er sich besonders gut in seine chinesischen Studenten und deren Interpretation der westlichen modernen Kunst einfühlen konnte.
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Frühe chinesische Installationskünstler
8.2.1 Die Gruppe Xiamen Dada Zu den ersten installativ arbeitenden Künstlern in China gehören die Vertreter der bereits erwähnten Xiamen Dada Gruppe um den Künstler Huang Yongping. Als die Xiamen Dadaisten in ihrer ersten Ausstellung »Xiamen Dada – Contemporary Art Show« in Xiamen im September 1986 Installationen aus Alltagsgegenständen189 187 | »An award-winning textile designer and tapestry maker in both his native country and his adopted home in France, he had studied at the Central Academy of Fine Arts in Beijing in the late 1950s and married on of his classmates.« Aus: ebd. »Bulgarian artist and craftsman Maryn Varbanov (1932–1989) who taught in Beijing from 1952–1959 returned with his French wife […] to set up in Zhejiang Academy what became known as the Varbanov Institute of Art Tapestry or the Varbanow Wall Hanging Art Research Department (Wanman bigua yishu yanjiu suo). Besides others, Gu Wenda was influenced by him.« Aus: Sullivan, Michael. 1996, S. 260. 188 | Im März 1986 fand in der Nationalgalerie in Peking unter der Leitung von Varbanov die »Ausstellung von Wandteppichen und Wandschmuck« von jungen Pekinger Künstlern statt. Vgl. Gebrochene Bilder 1991, S. 167. 189 | 1983 organisierte Huang mit vier anderen Künstlern eine Ausstellung in der Kunstgalerie in Xiamen. Schon damals propagierten sie, dass die Kunst von ihrem Podest heruntergeholt werden müsse. Um eine engere Beziehung zwischen Kunst und Alltag herzustellen, verwendeten sie in ihren Arbeiten schon zu dieser Zeit Alltagsmaterialien wie Holz, Metall, Elektrokabel usw. Vgl. van Dijk, Hans. 1991, S. 72: »Huang organisierte 1983 ›Eine moderne Ausstellung von Fünf Künstlern‹ in Xiamen. Unter den Ausstellungstücken waren Skulpturen, Reliefs und Malerei in figurativem, expressivem Stil und abstrakte Werke aus verschiedenen Materialien wie Eisen, Elektrokabel, Holz und Gips. Die lokalen Behörden erlaubten nur einer Gruppe ausgewählter Personen den Zugang«. Huangs »Heuhaufen« löste eine Sensation aus. Es war eine neue Version einer Kopie eines Bildes, das ein Lehrer an der Akademie wiederum von einer Kopie von »Les Foins«, einem Werk des französischen Malers Jules Bastien-Lepage von 1878, geschaffen hatte. Dieses Bild war Teil der oben genannten Ausstellung französischer Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts gewesen. Huangs Version war eine Parodie.
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Abb. 15: Xiamen Dada, Contemporary Art Show in Xiamen September 1986, Ausstellungsansicht
Quelle: Ausst.-Kat. `85 New Wave the Birth of Chinese Contemporary Art. Opening Exhibition of the Ullens Center for Contemporary Art Beijing 798. 2008. Peking
zeigten (Abb. 15), stellte dies in China Mitte der 1980er Jahren eine radikale Neuerung dar.190 Die im Anschluss an die Ausstellung durchgeführte Verbrennungsaktion der künstlerischen Arbeiten unterstützte die bereits durch die Verwendung von »found objects« ausgedrückte anti-materialistische künstlerische Haltung (Abb. 16). Das die Aktion begleitende, von der Gruppe veröffentlichte »Statement on Burning«191 verAuf das Gesicht der Bauersfrau hatte er einen Gipskopf montiert und an ihrem Bein einen hölzernen Fuß befestigt. Als zusätzliche Provokation schrieb er in einem Manifest zur Ausstellung, dass das Studium der Ideen, die hinter einem Werk moderner Kunst ständen, weitaus wichtiger sei, als es mechanisch zu kopieren, und dass Kunstwerke für den Künstler sind, was das Opium fürs Volk ist. Vgl. van Dijk, Hans. 1993, S. 23. 190 | Vgl. Fei Dawei. 2005 und Gu Chengfeng; Jia Fangli. 2003, S. 68 ff. Yin Shuangxi erwähnt, dass Huang Yongpings Beitrag in dieser Ausstellung interessanterweise den Titel trug: »Memo to Rauschenberg in 1986«, was als explizite Anspielung auf die Robert Rauschenberg Ausstellung in Peking zu verstehen ist, und ein weiteres Mal betont er, dass diese Ausstellung sehr wichtig für die Entstehung der Installationskunst in China war. Vgl. Yin Shuangxi. 2002, S. 67. 191 | Huang Yongping. 1986. Statement on the Burning of Artworks November 1986, englische Übersetzung in: Ausst.-Kat. House of Oracles. A Huang Yong Ping Retrospective, S. 56.
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Abb. 16: Xiamen Dada, Verbrennungsszene, 1986
Quelle: Ausst.-Kat. `85 New Wave the Birth of Chinese Contemporary Art. Opening Exhibition of the Ullens Center for Contemporary Art Beijing 798. 2008. Peking
lieh dieser Einstellung mit Slogans wie »Until art is destroyed, life is never peaceful« oder »Dada is dead, beware of the fire« besonderen Nachdruck (Abb. 17). Huang Yongping betonte in diesem Zusammenhang, der Zweck der Verbrennung sei, zu betonen, dass Kunst als spiritueller Prozeß, das heißt prozessästhetisch und nicht ergebnisorientiert als materielles Objekt existiere. Andere Aktionen waren im Dezember 1986 eine Ausstellung im Fujian Museum, für die die Xiamen Dadaisten Gegenstände aus dem Außenraum in den Ausstellungsraum transferierten, um diese dann, rekurrierend auf Marcel Duchamps Konzept des Readymade, für Kunst zu erklären. Neben der Auflösung der Sphären Kunst und Leben, das heißt der Negierung einer Grenze zwischen dem Ästhetischen und Nicht-Ästhetischen, war diese Aktion in erster Linie institutionskritisch zu ver-
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Abb. 17: Slogans, die im Kontext der Verbrennungsaktion der Xiamen-Dadaisten 1986 auf dem Boden aufgebracht wurden
Huang Yongping (chinesische Monographie) herausgegeben von Wu Meichun. 2003. Fujian.
stehen. Aufgrund der Verquickung von Kunst und Politik bzw. Ideologie im sozialistischen China bedeutete die Infragestellung des Museums im chinesischen Kontext der 1980er Jahre nicht nur Kritik am Kunstsystem – ein solches hatte sich damals in China noch nicht ausdifferenziert –, sondern Kritik an der herrschenden Ideologie. Als besonders radikal ist in diesem Zusammenhang die Verbrennungsaktion einzustufen, denn dort wurde demnach nicht nur Kunst, sondern damit stellvertretend das politische System zerstört.192 Von den »humanistischen« Künstlern, die zwar die sozialistische Ideologie abschaffen, aber an deren Stelle ihre eigene Utopie eines modernen Chinas verwirklichen wollten, unterschied sich Huang Yongping als wichtiger Vertreter der konzeptionellen Kunstströmung sehr deutlich, indem er sich gegen jegliche statische Ordnung aussprach und das Prozesshafte betonte. In der Tradition des europäischen Dadaismus Anfang des 20. Jahrhunderts produzierten die Xiamen Dadaisten Anti-Kunst.193 Ihre künstlerischen Arbeiten und Aktionen sind als Befreiungsschläge aus dem ideologischen Korsett zu verstehen. Sie erwuchsen aus einer existenziellen Not heraus und verfolgten das Ziel, Kunst und Leben zu entideologisieren. Mit ihren radikalen ikonoklastischen Aktionen stellten
192 | Aus: Joanno, Evelyn. 1997, S. 37, zitiert nach: Huang Yongping im Interview mit JeanHubert Martin. 1992, S. 25. 193 | Huang Yongping zitiert in seinem Essay »Xiamen Dada – A Kind of Postmodernism« den Dadaisten Tzara: »Quoting Tzara: ›the beginning of Dada were the beginnings not of an artform but of disgust.‹ It is only after he had felt disgust that ›non art as no art‹ could start to turn into ›non-art‹ as the beginning of a new art.« Aus: Huang Yongping. [1986a] 2005, S. 77.
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Abb. 18: »Teichgesellschaft«, Taiji of Yang Family Nr. 1 (yang shi taiji xilie 1) , performative Installation, 1986
Quelle: Lu Lingtong. 2007. »Hui yi chi she. Zhang Peili fangtan (22.2.2007)«,in: Dangdai yishu yu touzi (Contemporary Art and Investment) 2007, Nr. 5 (Abb. 18).
sie geltende Konventionen infrage, um so Platz für ein neues, freieres Denken zu schaffen, daß sich seiner Konditionierung und Beschränkung durch ideologische Strukturen bewusst ist.
8.2.2 »Die Teichgesellschaft« Eine weitere prominente frühe Künstlergruppe194 ist die bereits erwähnte »Teichgesellschaft« (chi she) in Hangzhou mit den Mitgliedern Zhang Peili, Geng Jianyi, Wang Qiang, Bao Jianfei, Guan Ying und Song Ling.195 Sie gründete sich 1986 und 194 | Obwohl es nicht der Anspruch der vorliegenden Arbeit ist, möglichst alle Ausstellungen installativer Kunst oder alle aktiven Künstlergruppen, die mit installativen Strategien arbeiteten, enzyklopädisch anzuführen, sei an dieser Stelle auf Gao Minglus (1998b) Chronologie der Kunstentwicklungen in der VR China seit 1977 bis 1998 hingewiesen. Er erwähnt dort im Kontext früher Installationskunst die Gruppe »The Three Step Studio« (sanbu huashi). »The Three Step Studio’s (sanbu huashi) first exhibition in Taiyuan City, Shanxi Province, features installations construed from ordinary tools used by peasants.« In der ebenso von Gao Minglu verfassten Chronologie Gao Minglu. 1991a, S. 150–180 finden sich darüber hinaus weitere Angaben zu Ausstellungen installativer Kunst in China Mitte der 1980er Jahre. 195 | Chi she xuanyan (Manifest der Teichgruppe), S. 19. In einem Interview mit Zhang Peili erwähnt er außer den im Manifest genannten Mitgliedern zusätzlich noch einen Mann namens Cao Xuelei, einen Arbeiter, der sich in seiner Freizeit mit Kunst und Philosophie beschäftigte. Mit seinem philosophischen Wissen trug er laut Zhang Peili maßgeblich zu den
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Abb. 19: »Teichgesellschaft«, Taiji of Yang Family Nr.2 (yang shi taiji xilie 2) , 1986, performative Installation
Quelle: Lu Lingtong. 2007. »Hui yi chi she. Zhang Peili fangtan (22.2.2007)«,in: Dangdai yishu yu touzi (Contemporary Art and Investment) 2007, Nr. 5.
führte in diesem Jahr drei Aktionen durch, um sich dann wieder aufzulösen.196 Im vorliegenden Kontext ist die zweiteilige Kunstaktion Taiji of Yang Family von besonderem Interesse, die an zwei verschiedenen Terminen an zwei verschiedenen Orten zuerst in der Nähe der Kunstakademie (Abb. 18) und dann in einem öffentlichen Diskussionen und zu den konzeptionellen Ansätzen der Teichgesellschaft bei. Aus: Lu Lingtong. 2007, S.57. Vgl. auch Gu Chengfeng; Jia Fangli. 2003, S. 68. 196 | Laut Zhang Peili hatten die Mitglieder der »Teichgesellschaft« eigentlich vor eine eigene Ausstellung zu organisieren, weil sie ihre Kunst aber bereits in der»China/Avantgarde« Ausstellung 1989 in der Nationalgalerie zeigen konnten, wurden diese Pläne wieder verworfen.Nach der Ausstellung und der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmenplatz war die fruchtbare Zeit der »85er Bewegung«, zu der die Aktivitäten der »Teichgesellschaft« zu zählen sind, vorüber und somit auch die der »Teichgesellschaft«. Aus: ebd., S. 60.
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Park in Hangzhou (Abb. 19) durchgeführt wurde. Die nicht genehmigte Aktion einer sowohl performativen wie auch installativ angelegten Intervention im öffentlichen Raum wurde nachts durchgeführt und bestand aus schattenboxenden Figuren in Echtgröße aus Papier, die an Mauern, Zäunen und zwischen Bäumen angebracht waren. Während sie bei der ersten Aktion, Tai Ji Series Nr.1, im Juni Zeitungspapier verwendeten und die Bezeichnung der jeweiligen Taiji-Figur auf den »Körper« der papierenen Schattenboxer geschrieben hatten, unterließen sie dies bei der zweiten Durchführung, Tai Ji Serie Nr. 2, die im November stattfand, und verwendeten außerdem statt bedrucktem Zeitungspapier weißes Papier. Nach dem Aufkleben überließen die Künstler die Installation sich selbst bzw. der Kommunikation mit dem Publikum.197 Einige Menschen, die sich in der Nähe zum morgendlichen Tai Ji trafen, stellten Fehler bei den Darstellungen der Taiji Figuren fest, andere rissen Figuren ab. Wie die Teich-Künstler später erfuhren, war dies nicht aus Unmut über die Aktion geschehen, sondern aus dem Vorhaben heraus, die Papierfiguren zu verkaufen. Auch die Reaktionen auf die zweite Aktion, für welche die Künstler die Taiji-Boxer zwischen Bäumen installiert hatten, war für die Künstler unerwartet, glaubten doch einige der Passanten in den weißen Figuren Geister zu sehen.198 Grundsätzlich aber waren die Teich-Künstler von den verhaltenen Reaktionen der Öffentlichkeit enttäuscht. Besonders Zhang Peili (geb. 1957) suchte nach neuen Strategien: »He recognised that if contemporary artists in China were to develop a relationship with an audience, then the content of the work had to be relevant to the immediate cultural context.«199 Die »Teichgesellschaft« war ein Projekt der künstlerischen und individuellen Emanzipation und stellte das damals geltende, eng umrissene Kunstverständnis radikal infrage.200
197 | Ebd., S. 58. 198 | Ebd. 199 | Aus: Smith, Karen. 2005, S. 383. 200 | Als wichtige Vorläuferveranstaltung der »Teichgesellschaft« ist die Ausstellung 85’ Neue Räume (85 xin kongjian), die am 2. Dezember 1985 in Hangzhou eröffnet wurde, zu bewerten. Sie wurde von Zhang Peili organisiert und alle Künstler, die wenig später die »Teichgesellschaft« gründeten, waren dort mit Kunstwerken vertreten. Im Unterschied zum Fokus der »Teichgesellschaft« auf installative und performative Aktionen wurden in der Ausstellung vor allem Malerei, aber auch Konzeptkunst und Performances präsentiert. Berühmt wurde die »Grey Humor Series«, Malerei in einem neuen realistischen Stil, der keinen Pinselstrich, also keinen persönlichen Ausdruck offenbarte, sondern flächig angelegt war und aufgrund einer düsteren Farbigkeit in Grau-und Blautönen kalt und tot wirkte. Zhang Peilis Arbeit Schwimmer im Sommer (1985) (Abb. 10) ist der Grey Humor Series zuzuordnen. Unter »grauem Humor« ist zynischer Humor zu verstehen, der sich auf die Gesellschaft richtet. Zhangs Bilder sind »Allegorien auf die Stellung des Individuums in einer ihm ent-
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Ihre Mitglieder übten scharfe Kritik an jeglicher Funktionalisierung von Kunst und vertraten die Überzeugung, dass der Grund und die Basis aller Kunst immer das Leben und die individuelle Erfahrung sein müssen. Kunst war also nach ihrer Meinung kein Mittel, um bestimmten Ideen Ausdruck zu verleihen, keine »Waffe«, um gesellschaftliche Probleme zu lösen, auch kein Ausdruck bestimmter künstlerischer Stile oder Medien, sondern war in erster Linie Mittel der Erkenntnis, allein durch Kommunikation und Erfahrung. Die Betonung der individuellen Erfahrung muss vor dem Hintergrund der damals in China herrschenden Verhältnisse gesehen werden. Nach Jahren der Funkfremdeten Gesellschaft.« Aus: Köppel-Yang, Martina. 1991, S. 93. »Durch die knappe, realistische Malweise und den Ausschluss aller nebensächlichen Feinheiten und Zwischennuancen zeigen die Bilder eine Art kosmische Umgebung ohne menschliches Gefühl. Dennoch sind die dargestellten Szenen ganz klar dem uns umgebenden alltäglichen Leben entnommen. Diese Diskrepanz zwischen Sterilität und Vertrautheit erzeugt Komik und Absurdität.« Aus: Gao Minglu. 1991a, S. 165. Ähnlich wie später bei den Teich-Künstlern beschäftigten sich die Arbeiten in der »85 xin kongjian-Ausstellung« mit gesellschaftlichen Hintergründen und deren Auswirkungen auf die menschliche Psyche sowie mit der Beziehung zwischen Mensch und Existenzraum. Dies spiegelt sich im Titel und im Text auf der Einladungskarte für die Ausstellung mit dem Slogan wider: »Der Wert des Lebens besteht in der Eroberung von Räumen«. Dies bezieht sich auf die Betonung der individuellen Erfahrung bei den Emanzipierungsbestrebungen des Individuums, zwei Aspekte, welche von der »Teichgesellschaft« aufgenommen und fortgeführt wurden. Vgl. Shi Jiu. 1987. Shi Jiu ist laut Eduardo Welsh das Pseudonym von Zhang Peili, der in der Zeitschrift Meishu einen Artikel über die Reaktionen auf die »Xin kongjian-Ausstellungen« schrieb. Vgl. Welsh, Eduardo. 1999, S. 104. Geng Jianyi und die anderen Künstler in der Ausstellung verfolgten einen konzeptionellen Ansatz in der Malerei, der sich auch in ihren Arbeiten in anderen Medien fortsetzte und stets die Beteiligung des Betrachters einforderte. Karen Smith schreibt in diesem Kontext über Geng Jianyi: »In the mid-1980s, as Geng Jianyi evolved his style, all around him, throughout China, paintings were being produced in myriad forms from photo-realism to Country Life Realism, to expressive extrapolations of academic techniques. The majority were clearly textured in a more painterly fashion than anything Geng Jianyi painted. Yet, as early as 1985, he had ceased to view painting as painting, instead he saw the process as conceptual; a means of engaging the audience and possibly changing lives. He needed to reach out to them, to be society’s mirror, even if society did not wish to confront the limitations or mediocracy of its existence.« Aus: Smith, Karen. 2005, S. 89. Zhang Peili war die große Zustimmung für die »Xin Kongjian-Ausstellung« suspekt. »It occured to him that the slick stylisation in his own works had inadvertently resulted in a superficially seductive appeal. Once again Zhang took up discussions with Geng Jianyi and a conclusion emerged one that remains central to his oevre. Echoing Braque’s assertion about the role art should serve – to disturb – Zhang Peili decided provocation was all; that the complacency society exhibitied towars the visual arts had to be challenged.« Aus: Smith, Karen. 2005, S. 382. Die Gründung der Teichgruppe war die Konsequenz dieser Überlegungen.
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tionalisierung der Kunst durch die sozialistische Ideologie, die ein Kollektivsubjekt voraussetzte, das jeden Individualismus unterdrückte, war es den Teich-Künstlern ein dringendes Anliegen, bisher geltende Grenzen zu überwinden, um vor allem sich selbst in direkter Verbindung zum Leben, zur Welt und, damit im Zusammenhang stehend, bisher unbekannte Bedeutungen von Kunst kennenzulernen. Anstatt sich also auf gemeinsame stilistische, technische oder thematische Merkmale zu berufen, war die Grundlage des Zusammenschlusses der Teichgesellschaft weltanschaulicher Natur: »Wir gründeten die Teichgesellschaft, weil wir der Überzeugung waren, dass Künstler zu sein nicht in erster Linie eine Frage der künstlerischen Medien ist.«201 Ihrer Meinung nach drückt der Künstler durch Kunst sein Verhältnis zum Leben aus und die Kunst sei somit stets Ausdruck bestimmter Lebenshaltungen und Lebensanschauungen. Da sie die Meinung vertraten, dass ein Kunstwerk, eine Skulptur oder eine gerahmte Malerei sich sehr schnell von einer bestimmten politischen Ideologie oder Religion instrumentalisieren oder im ökonomischen Kontext in eine Ware verwandeln lasse, lehnten sie die Objekt- bzw. Ergebniszentriertheit des bisherigen Kunstverständnisses ab: Nur wenn kein Ergebnis exisitiert, so dachten sie, kann sich keine nur instrumentelle und nutzenorientierte Funktion herausbilden. Um einer solchen utilitaristischen Funktionalisierung von Kunst entgegenzuwirken und um eine zweckfreie Haltung künstlerisch auszudrücken, waren sie nicht ergebnis-, sondern prozessorientiert. Sie lehnten alles Statische und den Glauben an die eine verfügbare Wahrheit ab, was den damaligen Umständen und der Infragestellung der bis dato allein gültigen sozialistischen Ideologie geschuldet war. Dies entsprach dem sensiblen Bewusstsein der »Teich-Künstler«, dass durch das Medium Sprache immer nur eine, aber niemals eine allgemeingültige Wahrheit und letzte Gewissheit ausgedrückt werden kann.202 In ihrem Manifest203 steht, dass ein Ergebnis immer nur ein einmal gewolltes und zustande gebrachtes ist, aber die Saat kontinuierlich austreibe und analog dazu könne endgültige Wahrheit nicht mit Sprache ausgedrückt werden.204 Kunst, so steht es im Manifest der Künstlergruppe, ist ein Teich und unsere menschliche Existenz beruht auf Kohlenwasserstoffverbindungen.205 Das heißt, diese Künstler begriffen das Leben und die Welt als relational 201 | Lu Lingtong. 2007, S. 57. 202 | Zhang Peili erklärt heute in der Rückschau, dass er damals begriffen habe, dass der Künstler der Sprache und Haltung stets wachsam gegenüberstehen müsse, um sich nicht selbst zu begrenzen und um sich immer wieder infrage zu stellen. Mitte der 1980er Jahre war es das Wichtigste, sich aus den geltenden Sprachstrukturen zu befreien und deswegen auch nicht sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, das heißt, das Subjekt abzulehnen. Vgl. Lu Lingtong. 2007. 203 | Vgl. ebd. Nach eigener Auskunft, wurde das Manifest von ihm verfasst. 204 | »Chi she xuanyan« (Manifest der Teichgesellschaft), 1986. 205 | Ebd.
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und in ständiger Bewegung begriffen. Nichts ist tatsächlich so wie es scheint, nichts ist für die Ewigkeit geschaffen, und die individuelle Realität ist immer durch die jeweilige Perspektive, das heißt durch individuelle Erfahrungen bedingt. Ihr Kunstverständnis entspricht dieser Weltanschauung, indem sie mit dem Bild des »Teichs« das Eintauchen und Hineingehen in dieses relationale Beziehungsgeflecht zum Ausdruck bringen. In ihrem Verständnis ist Erfahrung also nie nur selbstbezogen, sondern immer Mittel der Verknüpfung und Kommunikation mit der Welt. Jedem Medium wohnt eine eigene Kraft inne. In ihren performativen und installativen Aktionen suchen sie die Interaktion mit dem Publikum. Obwohl sie damals laut Zhang Peili noch keine Ahnung von theoretischen Überlegungen hinsichtlich der Rolle des Betrachters im konstituierenden Prozess von Kunst hatten,206 das heißt von rezeptionsästhetischen Konzepten, war die Betrachtereinbeziehung in ihrem Kunstverständnis konstitutiv, weil dies ihrem Anspruch, den sie an die Kunst stellten und ihren künstlerischen Bedürfnissen entsprach. Die Kommunikation zwischen Betrachter und Kunst sollte ohne hierarchische Abstufungen gleichberechtigt stattfinden und sollte dabei keineswegs in erster Linie genussvoll oder passiv kontemplativ sein, sondern vielmehr zur bewusst-kritischen und aktiven Interaktion anregen. Kunst diente ihrer Meinung nach also niemals nur ihrem Selbstzweck. Indem in ihren Kunstaktionen die Trennung zwischen Kunst und Leben aufgehoben wurde, lehnten sie einen elitären Kunstbegriff ab und wollten stattdessen weite Teile der Bevölkerung ansprechen und zur Partizipation auffordern.
8.2.3 Geng Jianyi und Zhang Peili Die Einbeziehung und Betonung der Rolle des Betrachters spielt Mitte der 1980er Jahre auch in den individuellen Arbeiten von Geng Jianyi (geb. 1962) und Zhang Peili eine maßgebliche Rolle. Schon in ihrer Malerei beschäftigten sie sich mit der Beziehung zwischen Betrachter und Kunstwerk und der Frage, wie die Grenze dazwischen minimiert bzw. aufgehoben werden könnte. In der Malerei versuchten sie, direkte Kommunikation durch extreme Ausschnitte und Nahaufnahmen zu erreichen. »Geng Jianyi intended viewers to experience the painted action directly, for 206 | Lu Lingtong. 2007. Wichtig für die konzeptionellen Überlegungen der »Teich-Gruppe« war die Lektüre der damals bereits auf Chinesisch erhältlichen Schrift »Für ein armes Theater« des aus Polen stammenden experimentellen Theaterregisseurs Jerzy Grotowsky. »The initial idea was culled from the ›theatre of life‹ theories of Polish dramatist Jerzy Grotowsky. We were searching for ways of communicating with people, to make out art relevant to our society, with no clear direction beyond a belief that there were no limitations. We could try anything as long as it was creative in concept.« Aus: Smith, Karen. 2005, S. 382.
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them to be absorbed in the drama, as if enticed onto a stage in the middle of the play.«207 Da Geng Jianyi die Erwartungen des Publikums, das Mitte der 1980er Jahre Malerei stets als authentische Abbildung von Realität verstand, nicht zufriedenstellte, wandte er sich dem Medium der Installationskunst zu.208 Seine erste Installation ist die Arbeit Wasserwerk oder Tap Water Factory: A Mutually Voyeuristic Installation aus dem Jahr 1987 (Abb. 20). Sie besteht aus einer Gangarchitektur, die von zwei Seiten aus begehbar ist und über zwei Zentren verfügt, die miteinander verbunden sind und in denen jeweils eine Sitzbank platziert ist, auf der sich der Betrachter niederlassen kann. Die übermannshohen Wände der Architektur sind auf Augenhöhe mit Öffnungen versehen und erlauben somit Durchblicke sowohl von innen nach außen, als auch von außen nach innen. Der Zuschauer wird auf diese Weise zum Voyeur und steht gleichzeitig ständig unter potenzieller Beobachtung durch die anderen Menschen, die sich in der Installation befinden, was auf die tatsächliche Realität in China, insbesondere in Gengs Jugend während der Kulturrevolution, anspielt, als das Überwachen anderer Menschen an der Tagesordnung und gegenseitiges Vertrauen kaum vorhanden war. Während der von außen nach innen schauende Rezipient die anderen als anonyme Mitglieder eines kollektiven Raums wahrnimmt, so begreift der gleiche Rezipient, wenn er von innen nach außen schaut, aufgrund der um die Öffnungen an den Innenwänden angebrachten typisch westlichen, etwas überladen wirkenden Bilderrahmen die anderen Betrachter als individuelle Portraits. Ähnlich wie die bereits beschriebene Taiji Aktion, an der Geng im Rahmen der Teichgruppe beteiligt war, ist auch in der Installation Wasserwerk die Partizipation des Betrachters erwünscht und sogar konstituierend für die Arbeit, indem die Betrachter, gerahmt als Portraits, buchstäblich Teil der Arbeit werden. Geng ist besonders interessiert an der Frage, wie Kunst innerhalb einer Gesellschaft funktioniert, und in diesem Kontext stellt die Beschäftigung mit der Beziehung zwischen Betrachter und künstlerischer Arbeit sein Hauptthema dar. Geng Jianyi äußerte sich im Jahr 1988 diebezüglich folgendermaßen:
207 | Ebd., S. 91. 208 | »He was already in the thrall of other material approaches, fixated upon resolving the viewer-artwork puzzle. Was it possible to remove or divorce an entity of motif from the natural elements that clung to it like ivy to a wall? His experiments on canvas through the late 1980s had ultimately negated the test. Neither an object nor a subject could be cleanly detached from a physical location or context in a convincing manner. Frustration at this realisation forced a decision; if he could not take his subject/object to the viewers, then he would drag the audience in, physically, if that was what was required. To use three dimensions was a start, for by creating a physical space the viewer was able to enter the work bodily.« Smith, Karen. 2005, S.93 f.
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Abb. 20: Geng Jianyi, Tap Water Factory: A Mutually Voyeuristic Installation (zilai shui chang), Installation, 1987
Quelle: Smith, Karen. 2005. Nine Lives. The Birth of Avant-Garde Art in New China. Zürich.
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»In [Chinese] art today, one point is still neglected, namely the relation between audience and work, viewing and being viewed. This is not simply about the meaning of a work or the audience’s response to it but the relationship between the two, like that between a magnet and iron.«209 Seine Arbeit besitzt einen aufklärerischen Impetus. Angesprochen werden sollten große Bevölkerungsteile und nicht nur die in Kunst »Eingeweihten«. Wichtig ist die unmittelbare Erfahrung, die auch ohne kunsthistorische Kenntnisse möglich sein soll. Thematisiert werden die gesellschaftlichen Bedingungen und deren Auswirkungen auf die Menschen in China Mitte der 1980er Jahre zwischen post-revolutionärem Sozialismus und freier Marktwirtschaft und mit der damit verbundenen Neuordnung des öffentlichen und privaten Raums. Norman Bryson interpretiert die Arbeit folgendermaßen: »The wit of this work lies in its clarification of the new public/private distinction opened in social space by the lightening of restrictions on individual expression, though at the same time the installation clearly satirizes the new ›flexibility‹ that this situation opens up, the burden of being obliged to move from public to private and back again, which the latest stage of modernization now requires of its subjects.«210 Der Arbeit ist aufgrund ihrer Anordnung der gegenseitigen Beobachtung eine Spiegelfunktion immanent, die beim Rezipienten zwar Gefühle des Unbehagens erzeugt, aber bei ihm gleichzeitig auch das Bewusstsein für die eigene Individualität stärkt.211 Gengs Anliegen war es, mit seiner Kunst gegen die erzwungene Konformität anzugehen und bei den Rezipienten ein Bewusstsein für das plural Mögliche, für eigene Individualität, das heißt für eigene Gefühle, Wünsche und Gedanken zu erreichen. Charakteristisch für Geng Jianyi ist, und das unterscheidet ihn von den »humanistischen« Künstlern, dass er stets in beobachtender Position Abstand zur Welt hält.212 Seine Arbeiten oszillieren ständig zwischen Einbeziehung und Loslösung und generieren so beim Betrachter eine individuelle, eigensinnige und ihn aktivierende Position.
209 | Geng Jianyi, »Art and Audience«, published in Zhongguo Meishu Bao, Issue 22, 1988. Zitiert aus: Smith, Karen. 1995, S. 94. 210 | Aus: Bryson, Norman. 1998, S. 54. 211 | Ausführungen zur Arbeit Wasserwerk siehe auch: Gebrochene Bilder Junge Kunst aus China. Selbstdarstellungen. 1991, S. 175, Smith, Karen. 2005, S. 93 f. 212 | Die Distanz war schon in seiner und Zhang Peilis frühen Malerei, die bereits im Rahmen der »xin kongjian-Ausstellung« erwähnt wurde, wichtig. Durch die Distanz zwischen Kunstwerk und Betrachter, die durch die kühle Atmosphäre der reduziert realistischen Bilder vermittelt wird, betonen die Künstler, dass ein gemaltes Bild immer eine Illusion von Realität ist, den subjektiven Blick des Künstlers widerspiegelt und eine bestimmte Nachricht kommuniziert. Den Betrachtern zu zeigen, dass ein Bild niemals die »objektive« Realität widerspiegelt, war den Künstlern ein besonderes Anliegen.
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Auch bei seinem Kollegen Zhang Peili stand die Auseinandersetzung mit der Rolle des konstitutiven und partizipativen Betrachters im Vordergrund. Aus dem Jahr 1988 stammt die konzeptuelle Arbeit Ankündigung des Braunen Buches Nr.1,213 die aus der Festlegung bestimmter Regeln für die Betrachtung von Kunstwerken besteht.214 Indem er dem Betrachter auf diese Weise jegliche subjektive Herangehensweisen versagt, stellt er dessen individuelle Subjektivität infrage und kritisiert gerade dadurch derartige im China der damaligen Zeit durchaus übliche Bedingungen, die die freie Entfaltung der Individualität beschränken. Zhang Peilis wiederkehrendes Thema ist die Entfremdung und deren psychologische Implikationen, häufig unter besonderer Berücksichtung von alltäglichen Erfahrungen. Wie weiter unten ausführlich behandelt werden wird, ist Zhang der Pionier der Videokunst in China, der in den 1990er Jahren auch dazu übergeht, das Medium Video installativ zu verwenden. Wie bereits deutlich geworden ist, war das dominante Thema der frühen installativen Kunst in China die Auseinandersetzung mit geltenden (ideologischen) »Wahrheiten«, das heißt mit Bedingungen und Strukturen und deren Auswirkungen auf menschliche Verhaltensweisen und auf die menschliche Existenz im Allgemeinen. Mit dem Ziel, den Betrachter für die ihn konditionierenden Strukturen zu sensibilisieren und ihn so auf die bisherige Bevormundung des individuellen Subjekts hinzuweisen, schufen die Künstler in der Umgebung der »Teichgesellschaft« mit ihrer Kunst Situationen, in denen bekannte Realitäten durch Interventionen verfremdet wurden. Häufig unter direkter Ansprache des Körpers und seiner Sinne stellten sie die individuelle Erfahrung in den Vordergrund. Die Vertreter der »Teichgesellschaft« verfolgten in diesem Kontext darüber hinaus auch das Anliegen, das individuelle Selbst des Betrachters zu stärken, sozusagen als Voraussetzung, um ihn über den Kunstkontext hinaus zur sozialen Interaktion zu animieren. Die Xiamen Dadaisten legten mit ihren ikonoklastischen Aktionen, das heißt mit der Zerstörung der bisher geltenden Verbindungen zwischen Signifikat und Signifikant, damals die größte Radikalität an den Tag. Sowohl die Xiamen Dadaisten als auch die TeichKünstler lösten die Trennung zwischen den Sphären Kunst und Leben auf – indem sie in ihrer Kunst auf alltägliche Erfahrungen rekurrierten, zum Beispiel Alltagsgegenstände zum Einsatz brachten, in die Öffentlichkeit gingen oder alltägliche Handlungen in die Kunst einführten.
213 | Gao Minglu. 1991a, S. 175. 214 | Es handelt sich bei dieser Arbeit um einen konzeptionellen Projektentwurf, der nicht in der Praxis ausgeführt wurde. Diese sogenannte proposal art (fangan yishu) resultierte in China in den 1980er und Anfang der 1990er Jahre aus den strengen Reglementierungen, die der praktischen Realisierung von Kunst häufig auferlegt waren. Konsequenterweise wurden die nicht ausgeführten Projektpläne zur künstlerischen Arbeit erklärt.
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Wenngleich auf unterschiedliche Weise, lehnten die frühen Installationskünstler das »humanistische« Subjektverständnis und die dort anders konzipierte Betonung des subjektiven Ausdrucks ab, weil dieses »humanistische« Subjekt ideologische Strukturen nicht hinterfragt hatte und deshalb in ihnen gefangen geblieben war.
8.2.4 Dekonstruktive Schriftkünstler Eine Reihe bedeutungsvoller, früher chinesischer Installationskünstler beschäftigte sich mit der Dekonstruktion der chinesischen Schrift, dem wichtigsten Kulturträger nicht nur im traditionellen, sondern auch im modernen China, zu einer Zeit, als die Schrift unter Mao Zedong vor allem als Instrument der Propaganda eine maßgebliche Rolle spielte.215 Direkt und indirekt beeinflusst durch die Auseinandersetzung mit strukturalistischen und poststrukturalistischen Theorien, war es Mitte der 1980er Jahre das Anliegen einiger konzeptioneller Künstler, die chinesische Schrift zu dekonstruieren. Sie sprachen diesem Medium fundamentale Bedeutung bei der Konstituierung von »Wirklichkeit« zu und entlarvten es als ideologisches Konstrukt, welches das individuelle Subjekt in hohem Maße konditioniert. Im Folgenden werden stellvertretend die Künstler Wu Shanzhuan, Gu Wenda und Xu Bing vorgestellt, die allgemein als Hauptvertreter dieser künstlerischen Richtung verstanden werden.216 Während die Xiamen Dadaisten und die Künstler der »Teichgesellschaft«, indem sie in ihren performativen Installationen Situationen schufen, die den Rezipienten
215 | Vgl. Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 162 ff. Gao Minglu beispielsweise spricht in diesem Zusammenhang von »Language Art« (wenzi yishu), siehe Gao Minglu 2005a, S. 131. Andere, wie zum Beispiel Lü Peng und Yi Dan, bezeichnen diesen Trend als ›Kritik der chinesischen Schrift‹ (Lü Peng; Yi Dan 1992, S. 288–299) oder, wie Wu Hung, als ›Anti-Schrift‹ (Wu Hung. 1999a, S. 36–41). 216 | Auch Ni Haifeng wird mit seinen sprachkritischen Arbeiten von manchen zu dieser losen Gruppe von Künstlern gezählt: »Out of his involvement with the meaning of language, Ni, after graduating, joined Red 70%, Black 25%, White 5%, a group of seven Chinese artists making conceptual art, ideograms and so-called Nonsense Calligraphy. At first glance such calligraphy appears real, but it later turns out to be meaningless. He quickly introduced Arabic numbers and mock mathematical equations to his oil paintings on canvas or paper. Dissatisfied with the fact that the works were relatively 'innocent' because they remained within the safe confines of a picture frame, in the late Eighties Ni began incorporating the paintings into space-filling installations at everyday locations in Zhoushan, where he was then living. For instance, using red and black paint he painted remnants of material and jute sacks which he draped on the floor; completely covered the interiors and exteriors of buildings with mathematical puzzles and even took part of the rocky coastline of the island on which he was living in hand.« Aus: Arkesteijn, Roel. o. J. (Abb. 21)
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Abb. 21: Ni Haifeng, Installationen auf der Insel Zhoushan, 1988
Quelle: Ausst.-Kat. China Avantgarde. 1993. Haus der Kulturen der Welt. Berlin.
sehr direkt und oft körperlich ansprachen, einen Fokus auf die Unterbrechung, Infragestellung, Auseinandersetzung und Neukonstituierung des sozialen Raums und die Position des Subjekts in diesem legten und Partizipationsräume schufen, stand bei den Künstlern, die sich mit der chinesischen Schrift auseinandersetzten, mit der Ausnahme von Gu Wenda, die intellektuelle Ansprache des Betrachters über das Medium Schrift, der diskursive Raum und die so definierte Position des Subjekts im Vordergrund. Die Schrift wurde als Metapher der Macht, das heißt der Autorität des sozialistischen Staates bzw. der sozialistischen Ideologie zur Konstituierung von »Wirklichkeit« verstanden. Aufgrund der ihr zugesprochenen Generierung von
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Machtstrukturen und der daraus resultierenden strukturellen Einflussnahme auf das menschliche Individuum stand die Beschäftigung mit dieser bei vielen Künstlern Mitte der 1980er Jahre an oberster Stelle.217 Die ästhetische Verfasstheit der Installationskunst als relationales Medium kommt der relationalen Struktur von Sprache im Allgemeinen und der chinesischen Schrift – jedes Schriftzeichen hat eine relationale Struktur, durch die sich die Bedeutung des Zeichens ergibt – im Besonderen entgegen, und somit eignet sie sich wie kein anderes Medium für die Visualisierung und Vermittlung von sprachlichen (Macht-)Strukturen. Die Schriftkunst bzw. die Beschäftigung mit Schrift in der Kunst besitzt in China unter Intellektuellen und Gelehrtenkünstlern eine lange Tradition. Während allerdings traditionell die Balance zwischen Form und Inhalt nie gänzlich aufgehoben und infrage gestellt, sondern nur bis ins Extreme gesteigert worden war, so zum Beispiel in Schriftkunstwerken, die in extrem verkürzter, das heißt in fast unlesbarer bzw. nur für Eingeweihte lesbarer Schreibschrift geschrieben waren, so produzierten die dekonstruktiven Schriftkünstler einen radikalen Bruch, indem sie »Pseudo-Schriftzeichen« bzw. »Nonsense Kalligraphie« konzipierten.218 Anstatt lesbarer Schriftzeichen kreierten sie mittels Trennung von Form und Inhalt unlesbare Formen, die auf diese Weise als leere Projektionsflächen, als semantische Leerstellen fungieren. Indem sie jegliche eindeutige Signifikation, das heißt Bedeutungsgebung verneinen, verlangen ihre Arbeiten nach einem eigenständig denkenden, also kritischen Subjekt, was vor dem Hintergrund der in China lange vorherrschenden Bevormundung des Subjekts eine besondere Bedeutung erhält. Die Entleerung von semantischer Bedeutung war in den 1980er Jahren zentral in allen sich mit der chinesischen Schrift auseinandersetzenden Installationen, wobei von unterschiedlichen Künstlern unterschiedliche Ansätze verfolgt wurden, von denen im Folgenden die wichtigsten vorgestellt werden.219 In besonders drastischer und »gründlicher« Weise wird Sprache als Ausdruck und Instrument von Macht und Autorität der Wirklichkeitskonstruktion, das heißt im damaligen chinesischen Kontext vor allem als Machtinstrument der sozialistischen Ideologie, von Huang Yongping in seiner Arbeit Eine ›Geschichte der chinesischen Kunst‹ und ›Kurze Geschichte der modernen Kunst‹ nach zweiminütigem Waschen in einer Waschmaschine (1987) (Abb. 12–14) thematisiert und infrage gestellt. Um die bisher geltende Beziehung zwischen Künstler und Kunstwerk und die daraus resultierenden Machtstrukturen, die sich im sprachlichen oder künstlerischen Ausdruck zeigen, aufzubrechen, beruht die Handlungsanweisung der Aktion gemäß seinem anti-subjektiven Kunstbegriff auf dem Ergebnis eines Zufallsverfahrens. Konkret hatte Huang die Handlungsanweisung durch Drehen an einem Rouletterad, 217 | Vgl. Bryson, Norman. 1998. S.55. 218 | Wu Hung. 1999a, S. 40. 219 | »The emptying of semantic dimension of language is indeed the central gesture of many of these language works.« Aus: Bryson, Norman 1998, S. 56.
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dessen Felder er zuvor mit verschiedenen Handlungsanweisungen präpariert hatte, erhalten. Durch die zweiminütige Wäsche der genannten Buchtitel in der Waschmaschine werden diese zu unlesbarem Papierbrei transformiert, also in einer ikonoklastischen Geste zerstört, um auf diese Weise die Autorität von Geschriebenem anzuzweifeln,220 den geltenden Kunstbegriff zu erweitern und etwaige kulturelle Unterschiede zwischen der westlichen und chinesischen Kunstgeschichte infrage zu stellen.221 Sich auf Ludwig Wittgenstein beziehend schreibt Huang Yongping: »Book washing is somewhat similar to Wittgenstein’s view of language. He once said: ›Now and then, some wordings should be removed from language and be sent to be washed-and after that they can be brought back into communication.‹ What I do can be summed up as the following: ›washing‹ is both the method and the goal because I don’t believe that language can be brought back into communication after having been washed. In other words, communication is in reality a dirty form. In addition book washing is not about making culture cleaner; rather it tries to make its dirtiness more evident to the eye.«222
Gewaltvoll werden leere Signifikanten generiert, deren Rezeption einen wachen Rezipienten verlangen, der begreifen soll, dass Begriffe bestimmte ideologische Diskurse, das heißt Machtverhältnisse ausdrücken, Sprache immer konstruiert ist und immer infrage gestellt werden muss, gerade weil wir ihr nie entrinnen können. »Yet we are still abusing language, with concepts such as ›universal truth‹, ›eternity‹ …›humanity‹, ›East‹, ›West‹, ›nation‹, ›modern‹, ›postmodern‹ as well as the questions raised by the confusion of these concepts and the abuse of language. Not only that all these questions do not have the answers but also that both the questions and the answer are mean-
220 | Eine gewisse Parallele besteht hier zur Zenmalerei und dem beliebten Thema der ikonoklastischen Aktion des Zerreißens der Schriftrolle durch Huineng als Ausdruck der Ablehnung jeglicher Doktrin. 221 | »Regarding the History of Art: Only art in the history of art exists; no other art exists. Thus art is not something independent of the history of art, art exists as art only when it is described by the history of art. The history of art is not a collection of different representations (or styles) of the same world, rather, it is different representations (or styles) of entirely different worlds. A unified world does not exist. If pursuing art in the history of art, also means pursuing power, or accepting the guidance of power, then to make something become art you have to use the medium of power. A united history of art doesn’t exist. Only histories of art of different worlds exists. The above mentioned viewpoints could contribute to a rewriting of the history of art.« Aus: Huang Yongping. [1987c] 2005, S. 66–67. 222 | Aus: Hou Hanru. 2005, S. 14.
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I NSTALLATIONSKUNST IN C HINA ingless in themselves. We are obliged to see that today however language is polluted to such extend that it is impossible not to abuse it, including the language I used above.«223
Durch den Waschvorgang werden die beiden Bücher aufgrund der dem Papier eigenen physischen Eigenschaften zu einem Papierbrei verschmolzen und auf diese Weise die vorher festgelegten dichotomischen Begriffe »chinesisch« und »westlich« buchstäblich aufgelöst. Paradoxerweise ist das Resultat von Huangs Waschaktionen nicht Sauberkeit, sondern Unsauberkeit, die bei Huang positiv konnotiert ist, weil sich mit ihr eine Erweiterung des Bedeutungshorizontes verbindet. Fei Dawei schreibt in diesem Zusammenhang: »Using this instantaneous method, his work provided a Chan answer to a significant cultural question: the mutual influence between the two cultures does not follow any method, logic, concept, or ethics, but is achieved in an uninterrupted instant. It is not about replacing one tradition with another, but rather about two cultures chaotically overlapping after their original structures have been pulverized. The purpose of washing and drying is not to make this concept purer, however, but rather to make it dirtier. Only when there is no more pure culture can dirty culture become more vivacious and wide ranging.«224
Da es sich explizit um Geschichtsbücher handelt, wird die Schrift als historisches Dokument, also als Geschichtsschreibung verhandelt. Mit dem Ziel der Befreiung aus der Bevormundung durch eine frühere Geschichtspolitik, um sich also der potenziellen Manipulation und Konditionierung durch einseitig interpretierte »Texte« bewusst zu werden, darf der Rezipient nichts für gegeben hinnehmen und muss auch die historischen Überlieferungen anzweifeln, um sich potenzieller Prägungen durch diese bewusst zu werden.225 Solche Textkritik drückt sich in der sub-
223 | Huang Yongping. [1987a], 2005, S. 52. 224 | Fei Dawei. 2005, S. 8. 225 | »The only things left by history are words and writing. Because history cannot speak for itself, we are in the middle of a huge rubbish heap. Culture, philosophy, religion and the arts are part of it, and the people are manipulated. If we do not leave this rubbish heap we will be oppressed by all kinds of doctrines, values and ideas on morality.« Aus: Ausst.-Kat. China Avantgarde, S. 134. »The only thing left of history is a vast amount of words and texts, which are not the real story. We are left with a big pile of garbage, where we find culture, religion, philosophy and art at the disposal of the people. If you remain silent within this pile, it means that you don’t exist; if you don’t rise up out of the pile of garbage (our history, thoughts and culture) you’ll be crushed by all sorts of theories, values, and preaching. The only thing we can do is to make old and new myths become completely empty signifiers. Even if you constantly take the floor to speak, constantly copy and paste, constantly fill and constantly consume, however, this is still only a temporary existence.« Aus: Huang Yongping. [1988c] 2005, S. 79.
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versiven Strategie des Waschens von Büchern aus, weil sie historische Tatsache und geltende Werte radikal infrage stellt: »Huang has pursued the strategy of book washing as a means of invading institutional spaces, which are often protected against damage of elements such as humidity in order to safeguard art and therefore the value system of art itself. His introduction of such an alien element upsets the normal functioning of the institution and its ideological system and meaning production.«226
8.2.4.a Wu Shanzhuan Ein weiterer wichtiger Installationskünstler, der sich Mitte der 1980er Jahre mit der Dekonstruktion der chinesischen Schrift beschäftigt, ist Wu Shanzhuan. Er wurde 1960 geboren und gehört wie Huang Yongping zu der ersten Generation von Künstlern, die nach der Kulturrevolution wieder ein Studium an einer Kunstakademie absolvierten. Wie alle der bisher genannten frühen chinesischen Installationskünstler ist er Absolvent der Kunstakademie in Hangzhou. Unter dem Titel Red Humor Series (hong youmo xilie)227 realisiert Wu Shanzhuan mehrere Arbeiten.228 Für die Installation Red Humor: Big Character Poster 226 | Hou Hanru. 2005, S. 15. 227 | The series consists of four parts: Big Character Posters (dazibao), Red Stamps (hongyin), Fluttering Red Flags (hongqi piaopiao) and Big Business (dashengyi). Gao Minglu 2005a, S. 134. Ausführliche Ausführungen zu den einzelnen Arbeiten siehe ebenso Gao 2005a, S. 134–137. Siehe auch: Fei Dawei (Hg.). 2007a. S. 601 ff. 228 | Als Vorgeschichte der »Red Humor Series« ist die Serie kollektiver Installationen bzw. Ausstellungen namens »75% Rot, 20% Schwarz, 5% Weiß« zu verstehen, die Mitte der 1980er Jahre gemeinsam von den Hangzhouer Künstlern Wu Shanzhuan Ni Haifeng, Huang Jian, Lu Haizhou, Luo Xianyue, Song Chenghua und Zhang Haizhou konzipiert und realisiert wurden. 1986 entsteht beispielsweise in einem Buddha Tempel auf der Insel Zhoushan eine aus 75 Teilen bestehende Installation, im darauffolgenden Jahr 1987 kreieren sie im Institut für Massenkultur auf Zhoushan eine weitere Gemeinschaftsinstallation. Sie alle funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie Wu Shanzhuans Einzelinstallationen. Nur in den Farben Rot, Weiß und Schwarz gehalten, sind die Räume komplett mit Schriftzeichen ausgekleidet. Auf Postern im Propagandastil oder direkt auf Wände, Fußboden und Decke geschrieben, werden absichtlich falsch und korrekt geschriebene Schriftzeichen, Propagandaslogans aus der Kulturrevolution, Werbesprüche aus der kommerziellen Welt und belanglose Aussagen aus dem Alltag wahllos kombiniert, um auf diese Weise die Entleerung jeglichen ursprünglichen Sinnes zu erzielen. Vgl. Ausst.-Kat. China’s New Art, Post 1989, 1993, S. 64, van Dijk, Hans 1993, S. 29–30 und Wu Shanzhuan. Red Humor International (Monografie). 2005, S. 29–32 (Abbildungen). In der Zeitschrift Meishu Sichao veröffentlicht Wu Shanzhuan im Jahr 1987 den Essay »On our Painting«, in dem er das Konzept von »75% Rot, 20% Schwarz, 5% Weiß«
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Abb. 22: Wu Shanzhuan, Red Humor: Big Character Poster (hong youmo da zi bao), Installation, 1987-1991
Quelle: Köppel-Yang, Martina. 2003. Semiotic Warfare. The Chinese AvantGarde, 1979-1989. A Semiotic Analysis. Hongkong.
vorstellt. Einen Auszug des Essays in englischer Übersetzung findet sich in: Wu Shanzhuan. Red Humor International (Monografie). 2005, Einlegeheft Artists’ Writing 07. Wu Shanzhuan macht hier deutlich, dass er und seine Kollegen die chinesische Schrift als Kunst verstehen. Aber im Unterschied zum traditionellen Kalligrafen, der das Schriftzeichen statisch auffasst und lediglich seine Form neu interpretiert, stellen Wu und seine Kollegen diese Statik radikal infrage, indem sie sagen, Schrift ist Kunst, das heißt kreiert, konstruiert und somit in Konsequenz veränderbar. Um dies deutlich zu machen, schreiben sie Schriftzeichen absichtlich falsch oder entlarven Bedeutungen von Schriftzeichen und Sätzen als temporär, indem sie sie außerhalb ihres bisherigen Kontexts, das heißt ihrer bislang gültigen Bedingungen stellen. Wichtig ist Wu auch, die Unterschiede zwischen der chinesischen und westlichen Konzeptkunst, die sich mit Schrift und Sprache auseinandersetzt, deutlich zu machen: »If we are creating conceptual art, it is based on the concept that the aesthetic forms of Chinese typography in themselves exist as works of art; rather than on the concept of Chinese characters as linguistic expressions. In this way our conceptual art differs from Western conceptual ›Word Art‹, which emphasizes the concepts expressed by language«. Bezüglich des Titels »75% Rot, 20% Schwarz, 5% Weiß« stellt er den direkten Bezug zur »roten« Vergangenheit, das heißt zur sozialistischen Ideologie und insbesondere zur Zeit der Kulturrevolution her, als die Ideologie, also die Farbe »Rot« das gesamte Leben dominierte, was sich in das Gedächtnis der Chinesen eingeschrieben hat. Interessanterweise war die Gruppeninstallation »75% Rot, 20% Schwarz, 5% Weiß« eine der Arbeiten, die auf der Zhuhai Konferenz im August 1986 vorgestellt wurde.
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(hong youmo dazibao) (1986) (Abb. 22) hat Wu Shanzhuan einen Raum lückenlos mit handgeschriebenen Schriftzeichenslogans auf Papierplakaten ausgekleidet.229 Die sowohl alle Wände als auch die Decke und den Fußboden bedeckenden Schriftzeichenposter erinnern in ihrer Ästhetik aufgrund des gewählten Schrifttyps,230 der Dominanz der Farbe Rot, die im chinesischen Kontext unmittelbar mit der sozialistischen Ideologie in Verbindung gebracht wird, sowie der insgesamt reduzierten Farbigkeit auf die drei Farben Rot, Weiß und Schwarz, an die revolutionären Wandzeitungen, die sogenannten Big Character Poster (dazibao), die vor allem während der Kulturrevolution als Instrument der Propaganda zum Einsatz kamen und in der Öffentlichkeit allgegenwärtig waren.231
229 | Ich übernehme hier die Datierung und Betitelung der Arbeit Dazibao (1986) aus dem Quellenbuch über Wu Shanzhuan. Siehe: Fei Dawei (Hg.). 2007a, S. 602 ff. Insgesamt herrscht eine gewisse Verwirrung hinsichtlich der korrekten Betitelung und Datierung von Wu Shanzhuans Red Humor Series: Big Character Poster. So wird in der Monografie über Wu Shanzhuan behauptet, die Arbeit sei von 1986, im Ausstellungskatalog China’s New Art – Post 1989 (vgl. Ausst.-Kat. China’s New Art – Post 1989, 1993, S. XCV und S. 30) heißt es, sie sei im Jahr 1987 entstanden. In der genannten Monografie wird zudem behauptet, die Arbeit sei unter verschiedenen Namen bekannt, nämlich als:»Today No Water (also known as The Big Characters (Dazibao), Red Humor Series, and Red Charater – Several Natural Photographs from the Second Chapter of the Novel – Today No Water).« Aus: Wu Shanzhuan. Red Humor International (Monografie). 2005, S. 34–36. Martina Köppel-Yang betitelt die gleiche Arbeit mit »Red Humor – Red Characters« (Hongse youmo – chizi) und datiert sie auf 1986 unter der Abbildung und auf 1987 im Text. Vgl. Köppel-Yang, Martina. 2003, S. 162 ff. Gao Minglu gibt der Arbeit den Titel »Das letzte Abendmahl«. Er bezieht sich hier auf einen Schriftzug unten rechts in der Abbildung der Installation »zui hou de wan can«, den er in direkten Bezug zu Leonardo da Vincis Werk »Das letzte Abendmahl« setzt. Siehe Gao Minglu. 2005a, S. 134. 230 | Qiu Zhijie schreibt über den gewählten Schrifttyp: »Wu’s choice of boldface characters belongs to the genre of modern print type and is far removed from the calligraphy tradition. They are used as headliners and seldom for texts. If they are used in texts it denotes an emphasis. They are strongly persuasive, solemn and authoritative. Their qualities of regularity and strict respectability make the first choice for use in political announcements, slogans and the likes, where words must convey authoritative quality. In China, large, red boldface characters, in particular, denote the highest authority. Aus: Qiu Zhijie. 2005, S. 24. 231 | »Still calligraphy played an important social function from the start of Mao Zedong’s Cultural Revolution in 1966 until Deng Xiaoping’s ban of the Democracy Wall in Beijing 1979. During this period one of the most important channels for expressing political views was through the writing of public posters, and people from across the nation participated in current affairs through what was known as ›big character posters‹ and ›small character posters‹. They were mainly brush written texts, mostly anonymous and engaged with political issues of the day. Meant to communicate with urgency, they were calligraphic tracts written in the spirit of the time. It was probably the only period in the modern era when calligraphy
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Wu Shanzhuans Auseinandersetzung mit den Erfahrungen während der Kulturrevolution ist für den Rezipienten der Rauminstallation Dazibao offensichtlich. Aufgrund der immersiven Qualität der Arbeit wird diese Vergangenheit unmittelbar, nahezu körperlich, erfahrbar. Auf der psychologischen Ebene wirkt die Dominanz der Farbe Rot, die Enge des Raumes und das komplexe Durcheinander der Schriftzeichen beunruhigend und beklemmend auf den Einzelnen. Des Weiteren thematisiert Wu die während der Kulturrevolution besonders forcierte Durchästhetisierung des Lebens im Namen der sozialistischen Ideologie und deren Auswirkungen auf den Menschen. Kunst und Ästhetik waren im Sozialismus bekanntlich nur Funktion und ideologischer Auftrag, was während der Kulturrevolution auf die Spitze getrieben wurde. In seinem Essay »On Cultural Revolution« (1987) vergleicht Wu Shanzhuan die Kulturrevolution mit einer religiösen Bewegung, deren Auswirkungen in den 1980er Jahren weiterhin zu spüren seien: »To me, the residual paintings, calligraphy, artworks, dramas, etc., from the Cultural Revolution period can be seen as unique visual forms that exist ›at large‹, (already experienced).«232 Damit will er sagen, dass die aufgezählten Objekte aus der Zeit der Kulturrevolution, wenn wir heute mit zeitlichem Abstand mit ihnen konfrontiert werden, zwar ihrem ursprünglichen Kontext enthoben sind, aber Erfahrungsspuren eines kollektiven Gedächtnisses aufweisen: »Art that is produced from the soil of the old society should not be mistaken as an artefact of the old society; rather it is a physical phenomenon whose existence can be experienced and known, and which thus has objective reality […] it is the visual form [and articulation] of experience […] Formed according to its own rules, it produces an ›artistic language‹ that is dif ferentiated from the soil of whatever society it grew from […] Certainly a work of art has meaning, but this meaning exists within people (outside of the artwork itself): a particular meaning comes from a particular time. The meaning we give to artworks created by [ancient] slave societies is far removed from the context of those times […] Artistic language does not have meaning in order to have value, while meaning alone cannot produce an artistic language […] A work of art is a physical object, not a social state of mind, so a society’s ideology cannot be used as the final standard by which to judge it. Cultural Revolution art has already passed beyond the limits and the tragedy of its era. Today we can still hear it breathing, it is alive: the physical existence of visual experience.«233 truly captured the Chinese visual landscape and held the attention of the masses.« Chang, Johnson. 2000, keine Seitenzahlen. 232 | »[…] ›at large‹ definiert er als ›something that has an objective existence within itself, free of the context in which it first emerged or was created. This idea relates to the philosopher Karl Popper’s concept of World 3, frequently cited by Wu‹.« Vgl. Artists’ Writing 9 aus Beilegeheft in Monographie Wu Shanzhuan. Red Humor International. 2005 233 | Ebd.
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Indem die Schriftzeichenslogans in der Installation aus unterschiedlichen Quellen gespeist sind, stellt Wu auf diese Weise jegliche semantische Bedeutung infrage und verfolgt das Ziel der Entideologisierung. Politische Propagandaslogans aus der Kulturrevolution wie zum Beispiel »Trainiere dich für den Klassenkampf« (Zai da feng da liang zhong duanlian ziji) mischen sich mit Werbeslogans, die seit der ökonomischen Reformpolitik Deng Xiaopings zunehmend die Öffentlichkeit prägen, mit belanglosen Sätzen aus der Alltagswelt wie zum Beispiel »Alter Wang, ich bin nach Hause gegangen« (lao Wang, wo hui jia le), Zitaten aus der klassischen Dichtkunst oder buddhistischen Sutren, Witzen oder Auszügen aus der medizinischen Literatur. Um die Wirkung der Konfusion zu erhöhen, integriert Wu absichtlich inkorrekt geschriebene mit korrekt geschriebenen Schriftzeichen.234 Mit dem Anliegen, Bedeutung und (soziale) Funktion der ausgewählten Sätze im Generellen und Sprache im Allgemeinen infrage zu stellen, stiftet Wu beim Rezipienten auf diese Weise bewusst Verwirrung, indem er nicht nur bekannte Einzelphrasen ihres ursprünglichen Kontexts und somit ihres Sinnes enthebt, sondern darüber hinaus auch, indem er diese ursprünglich aus völlig unterschiedlichen Zusammenhängen stammenden Phrasen (räumlich) in Beziehung setzt, obwohl sie jeglicher inhaltlicher Kohärenz entbehren. Die Schriftzeichen wu ren shuo dao mit der Bedeutung »Keiner kann das hier interpretieren« weisen dem Rezipienten den Weg in Wu Shanzhuans konzeptionellen Ansatz.235 Im Unterschied sowohl zum Verständnis von Kunst im Dienste der sozialistischen Ideologie als auch im Unterschied zum »humanistischen« Kunstbegriff, wo dem Künstler als Autor innerhalb des idealistischen Projekts der Modernisierung Chinas die maßgebliche Rolle in der Produktion von Kunst zugestanden wird, ist Wu Shanzhuan gegen jede Art der Funktionalisierung von Kunst im Auftrag einer
234 | Laut Qiu Zhijie verwendet Wu Shanzhuan hier oftmals Schriftzeichen, die 1977 im Rahmen der zweiten Vereinfachung der Schriftzeichen konzipiert wurden: »In December 1977, during the era of Hua Guofeng, the ›The Second Simplification of Chinese Characters (Draft) Proposal‹ was issued and implemented for a short time. Not long after, orders came down that the effort should be halted and the proposal abandoned. But the damage had been done already, and the poison of those nonsensical simplified characters had already spread throughout the entire country. For Wu Shanzhuan, the sense of absurdity produced by the forced attempts to decipher those re-simplified characters was an exquisitely effective vehicle for brining home the absurdity of reality during his formative years. The miswritten character that appear in many of Wu’s works are in fact taken from that same abandoned 1977 series of simplified characters – nonsensical simplifications that completely disrupted the accustomed channels of comprehension, frustrating legibility and causing injury to reason.« 235 | Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 167.
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dominanten Stimme.236 Im Unterschied zu den »humanistischen« Künstlern lehnt er infolgedessen das autonome Künstlersubjekt als Ursprung des Kunstwerks ab: »He described the relationship of the artist and the artwork as that between soil and the plant. The earth is necessary for the growth of the plant, but the soil does not determine the species of the plant, evolution has already made that selection.«237 »Thus Wu claims that an artist should not function as the dominant factor in art production. He is no more than an object, like any art object, that is a material. Wu’s conception of material and object greatly undermines the idealism and subjectivity initiated by previous artists.«238 Dazibao entstand kollektiv unter Mithilfe zahlreicher, aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten stammender Freunde und deren Handschriften als Gemeinschaftsarbeit, was als Strategie gegen das Künstlerverständnis des autonomen Schöpfers verstanden werden kann. Gegenüber der »wahren« »Realität« einer kohärenten Stimme, das heißt einer politischen Ideologie oder eines »humanistischen« Künstlersubjekts, sind in Wus Arbeit nicht nur viele, sondern auch disparate Stimmen zusammengetragen, aus denen der Rezipient, der in Wus konzeptionellen Arbeiten eine maßgebliche, das heißt konstituierende Rolle im Generierungsprozess von Kunst innehat, eine alternative, seine persönliche »Realität« generieren muss. Wu Shanzhuans Arbeiten erfordern einen kritischen Rezipienten, denn der Schlüssel zum »Verständnis« eines Textes oder einer künstlerischen Arbeit liegt nach Wus Meinung nicht darin, dem »Realitätskonstrukt« eines (Künstler-)Subjekts zu vertrauen, sondern vielmehr darin, sich mit den jeweiligen Kontexten persönlich auseinanderzusetzen, um einen eigenen Standpunkt auszubilden. Wu Shanzhuan setzt sich also mit der sozialen Bedeutung von Sprache auseinander. Er versteht Sprache als menschliches, das heißt endliches und somit hinterfragbares Konstrukt und Träger von Kultur. »Wirklichkeit« im Sinne von symbolischer Ordnung wird durch Sprache konstruiert und dieser »Wirklichkeit« sind bestimmte Subjektkonstruktionen immanent, die Wu infrage stellt. Sprache ist in Wus Verständnis Teil einer dreigliedrigen ontologischen Struktur, die stark durch Karl Poppers Ontologie, das heißt durch dessen Lehre von
236 | Um mit Gao Minglu zu sprechen ist dies eine Reaktion auf die mittelbare und unmittelbare Vergangenheit in China: »This is a reaction to Mao times and Avant-garde romanticism. There as a result of Maoist ideology and revolutionary sentiment in which the viewer simply positions himself on a superficial accepting level without any scepticism about the given text or the propaganda artwork.« Aus: Gao Minglu. 2005a, S. 132. 237 | Ebd., S. 136. 238 | Gao Minglu. 2005a, S. 136.
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den drei Welten,239 beeinflusst ist.240 In Wus (ursprünglich unpubliziertem) Essay »A World 3 Theory Concerning the Expansion of the Territory of Painting«(1985–86) schreibt er: »All artworks produced throughout the history of art can be designated as ›World 3‹ objects […] What I mean to say is that all World 3 artworks have an objective reality that in itself can be regarded as a type of phenomenon … which can serve as an object of interest to World 2 and can be manipulated by World 2 … [This objective reality; B. H.] can be expressed clearly through the language of art, and appreciated from many dif ferent angles. Naturally, this is a whole new World 3. I think of this in this way: people regard the artistic depiction of the objective phenomena of nature as evidence of an artist’s self understanding and his ability to [use these phenomena] as a means of self-expression. In the same way I consider that World 3 artworks, having an objective, observable physical existence, can similarly be used by artists in the further creation of art.«241
Kunstwerke sind also genau wie Sprache Welt 3 zuzurechnen und können direkte Auswirkungen auf die physische Objektwelt, also auf Welt 1 haben, allerdings nur mithilfe der Zwischenschaltung von Welt 2, das heißt dem menschlichen Bewusstsein, welches die Beziehung zwischen dem Objekt (Welt 1) und der geistigen (Welt 3) herstellt. Diese Betonung der Welt 2, das heißt der Wichtigkeit des menschlichen Bewusstseins bei der Formulierung von Welt 3 führt zu einem neuen Verständnis von Welt 3. Kunst und Sprache sind in Welt 3 vorhanden, erhalten aber erst durch den Kontext, den das menschliche Bewusstsein, das heißt Welt 2 bestimmt,
239 | Poppers Lehre von den drei Welten: »Popper unterscheidet – das könnte man als Kernstück seiner Ontologie bezeichnen – die Körperwelt oder die Welt der physikalischen Zustände (Welt 1), die Welt der Bewusstseinszustände (Welt 2) und die Welt der möglichen Gegenstände des Denkens, die Welt der Theorien an sich und ihrer logischen Beziehungen[…] (Welt 3); letztere könnte man wohl, ohne Hegels Ausdrucksweise allzu sehr Gewalt anzutun, auch als Reich des objektiven Geistes bezeichnen. Die 2. Welt steht sowohl mit der Körper– wie mit der Geisteswelt in Wechselwirkung, während 1 und 3 ohne Vermittlung von Welt 2 nicht aufeinander wirken können.« Aus: Störig, Hans Joachim. 1992, S. 693. 240 | Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Wu Shanzhuans Rezeption des Philosophen Karl Popper kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Als Zukunftsprojekt wäre es aber durchaus fruchtbar zu untersuchen, wie Wu Shanzhuan Popper verstanden hat, ob zum Beispiel die chinesische Übersetzung und die anderen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen in China bestimmte Facetten im Gedankengebäude Poppers betonen oder ob sogar Missverständnisse entstanden sind. 241 | Englische Übersetzung von Wu Shanzhuans Essay in: Artists’ Writing 1 aus Beilegeheft in Wu Shanzhuan. Red Humor International. 2005
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einen Sinn. Demnach kann nicht nur Welt 1, sondern auch Welt 3 Ausgangsbasis von Kunst sein.242 Qiu Zhijie schreibt in diesem Zusammenhang über Wu Shanzhuan: »Wu’s conceptual structure is formed of three basic components: terms, things, humans. In his early essay ›A world 3 theory concerning the expansion of the territory of painting‹, an artwork is defined as something out of world 3 that can conversely act upon the objective world. If World 3 constitutes product – that is what I call ›words‹ – then ›thing‹ is world 1 and ›human‹ is world 2. […] In Wu’s discourse on world 1, his key term is ›thing’s right(s)‹. In his discourse on world 2, his key term is labourer (or labour force) and in his discourse on world 3, his key term is deficit (red) character.«243
Wie weiter unten ausführlich erklärt werden wird, ist Sprache niemals objektiv, sondern immer subjektiv, das heißt abhängig und somit im positiven Sinne als unvollkommen zu verstehen, weil dies die Voraussetzung für Veränderung impliziert. In Wechselwirkung gedacht, das heißt die gegenseitige Beeinflussung von Welt zwei, drei und eins in den Blick nehmend, ist Wus Subjektverständnis ein strukturelles, dem bestimmte Machtverhältnisse immanent sind. Die Installation Dazibao kann gewissermaßen als Modell dieses strukturellen Subjektverständnisses begriffen werden. Im Unterschied zum sozialistischen Verständnis und im Gegensatz zur Auffassung der »humanistischen« Künstler generiert sich das Subjekt bei Wu nicht mehr innerhalb eines kohärenten inhaltlichen, ideologischen Zusammenhangs, sondern in der reflektierenden Relation zu verschiedenen heterogenen Diskursen, anstatt Kohärenz wird also die Pluralität der Möglichkeiten betont.244 In China besitzt die Schrift traditionell eine stark ausgeprägte subjektkonstituierende Macht, die sich die Vertreter der sozialistischen Ideologie wohlweislich zunutze machten. Wenngleich sich Wu Shanzhuan im Allgemeinen mit Sprache und deren (Macht-)Strukturen auseinandersetzt, so gilt aufgrund seiner eigenen Erfahrung seine besondere Aufmerksamkeit der Auseinandersetzung mit Sprache als Instrument der sozialistischen Ideologie und deren Auswirkungen auf die Konstruktion des Subjekts im dogmatisch kollektiv denkenden Sinne des Sozialismus. Seine Arbeit ist also unbedingt politisch, da er das bisher gültige kollektive Subjektverständnis, das auf die eine »sozialistische Wahrheit« ausgerichtet ist, radikal infrage stellt. Die semantische Entleerung von Sprache ist bei Wu also folglich nicht nur als Kulturkritik, sondern vor allem als ideologiekritische Reflexion der Subjektkonstruktionen im damals dominanten diskursiven Regime zu verstehen, was in den 1980er Jahren im hohem Maße nach der Dekonstruktion der sozialistischen Subjektkonstruktion verlangte. Mit dem Ziel der Entideologisierung wird die Do242 | Aus: Qiu Zhijie. 2005, S. 24. 243 | Ebd. 244 | Vgl. Bryson, Norman. 1998, S.55.
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minanz einer Stimme, das heißt die vermeintliche Eindeutigkeit von Sinn infrage gestellt, Pluralität sowie die Beachtung verschiedener Kontexte forciert, um auf diese Weise kritisches Subjektbewusstsein zu generieren. Durch Dekontextualisierung wird also die vormalige Bedeutung, das heißt auch der gewohnte (traditionelle) Inhalt negiert.245 Was bleibt, ist die pragmatische Dimension der Schriftzeichen, die Erinnerung an deren ehemalige Funktion innerhalb des sozialen Diskurses. Erhalten bleiben auch die äußeren Formen der Schriftzeichen, die aufgrund von Schrifttyp und Schreibstil nach wie vor diskursiv geprägt sind.246 Das bedeutet, dass die äußere ästhetische Erscheinung der Schrift weiterhin die Konnotation von einem Kontext besitzt, den Wu auf der inhaltlichen Bedeutungsebene negiert hat. Diese Herstellung einer radikalen Differenz zur ursprünglichen Konzeption und Intention sowie zu den bislang geltenden Kontexten entspricht der künstlerischen Strategie der Appropriation. Wichtiges strategisches Moment in Wu Shanzhuans Red Humor Series ist, wie der Titel bereits ankündigt, der Humor.247 Indem er in Dazibao politische Propagandaslogans mit Werbesprüchen und Aussagen des Alltags kombiniert und auf diese Weise auf die gleiche Ebene setzt, suggeriert er deren Gleichwertigkeit und gibt sie auf diese Weise der Lächerlichkeit preis. Absurdität wird durch den Widerspruch erreicht, dass die übrig gebliebenen, noch sichtbaren Zeichen und Sätze nichts mehr mit der Realität zu tun haben. Indem Wu verschiedene, aus unterschiedlichen Kontexten stammende, dekontextualisierte Phrasen in der Installation akkumuliert, wird diese Wirkung noch 245 | Diese Strategie beruht auf Wu Shanzhuans eigener Erfahrung. Laut seiner eigenen Aussage fiel ihm einmal beim Händewaschen ein Schild in die Augen, auf dem es hieß »Heute kein Wasser«. Aufgrund seiner eigenen Erfahrung konnte er die Bedeutung des Schildes sofort entlarven, war er doch gerade dabei, sich die Hände mit Wasser zu waschen. Die Aussage hatte hier nichts mit der Realität zu tun und war deswegen sinnlos. Ähnlich verhält es sich mit sozialistischen Propagandaslogans, deren Kontext er in vielen Fällen als obsolet entlarvt. Vgl. Gao Minglu. 2005a, S. 132. 246 | Vgl. Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 168. 247 | Laut Martina Köppel-Yang ist das Absurde in der »Red Humor Series« auch als Auseinandersetzung mit der agitativen und subversiven Haltung der Roten Garden während der Kulturrevolution zu verstehen. Sie schreibt: »[…] as well as the agitative and subversive attitude with which the Red Guards set out to fight institutionalized thought, he called the humor with which he paraphrased Chinese culture and society ›Red Humor‹. This aspect is best expressed in Wu’s later Humor series, where the medium of performance becomes more important, for example in his ›this water no water‹ (jintian xiawu ting shui, 1987, 1988-today) this event involves painting mimicking official certificates. The certified content is ›This afternoon no water‹. The certificates are displayed in public spaces. Wu thus intervenes as a disruptive agent into his social environment, in the China /Avantgarde exhibition, for example, he installed his No Water certificates in the public toilets, confusing the public and rendering the National gallery’s personnel indignant.« Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 169.
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verstärkt.248 Erkenntnis generiert sich in Wu Shanzhuans Arbeit analog dem Prinzip buddhistischer Koans oder dadaistischer Sprachspiele durch die Herstellung semantischer Leere.249 Durch Humor bzw. durch das ad absurdum Führen ehemals sinnvoller Schriftzeichen durch Dekontextualisierung wird beim Betrachter eine kritische Distanz zur »Realität« erzielt. Indem die chinesischen Schriftzeichen ihres Kontexts enthoben werden, werden sie absurd, das heißt »leer«, uneindeutig, ambivalent. Wu Shanzhuans erklärtes Ziel ist die Leere. »In der Leere liegt die Kraft« formuliert er 1986 in seinem Essay »I believe art is a silent ocean«. Es ist als Anspielung auf das Standardwörterbuch der chinesischen Sprache, dem Cihai Cidian (»Meer der Wörter«), das die festgelegten Bedeutungen einzelner Schriftzeichen enthält, zu verstehen, wenn er im Gegensatz dazu, vom »stillen Ozean« spricht, der keine festgelegten, unumstößlichen Bedeutungen kennt, sondern mit unendlichen linguistischen Bedeutungen gefüllt werden kann.250 Er selbst schreibt im genannten Essay: »I believe art is a silent ocean […]. You can meet any number of people on the street, and ask each one of them, what time is it. […] Each person answers according to his own time, and I believe that all these times are correct. No one can be absolutely sure of the time on the shores of the silent ocean. And there are some who, for their own reasons, will try to prove that the sea is roaring, that the sea is silent, that it is this, that it is that […] The sea is a formless, empty vessel – it can accept absolutely anything from absolutely anyone, and it will never be full. It strength lies in its emptiness – in restraining its own power, it will never disappear. I believe that between art and artist lays a vast blind ocean […] Blind ocean. As soon as it is born it lives with it complete freedom. Its consciousness is blind; its fate is to listen and to speak. When a person guides it down a particular road, the question of whether the road is the right or the wrong one is something that person himself must face, because [in its blindness] it will accept gladly the guidance of others, unfazed by their number. I believe art history is a genderless ocean. […] A genderless ocean. There is no question of gender, no discrimination between the weak and the strong, the old and the young. It is always ›moving‹. It leaves the pursuit to others, and gifts us with a vision of the lives that other people have travelled through. It
248 | Durch die wahllose Vermischung von ursprünglich nicht infrage zu stellenden politischen Überzeugungen mit Aussagen aus anderen, zum Teil belanglosen Quellen führt Wu vormalige Bedeutungen ad absurdum und dekonstruiert sie auf diese Weise. Ähnlich wie in der Anfang der 1990er Jahre entstehenden Political Pop Art vulgarisiert er auf diese Weise ursprünglich Sakrosanktes. Gao Minglu erklärt ihn aus diesem Grund für einen Vorläufer der Political Pop Art. Siehe dazu Gao Minglu. 2005a, S. 132. 249 | Köppel-Yang, Martina. 2003a, S.167. 250 | Vgl. Qiu Zhijie. 2005, S. 23.
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accepts the dif ferent hats given to it by those it meets along the road, but at the same time, it never wears any hat, because it is genderless.«251
Bedeutungen sind seiner Meinung nach niemals objektiv und für die Ewigkeit festgelegt, sondern subjektiv, kontextabhängig, also relativ und somit temporär. Die Metapher des Ozeans passt hier besonders gut, denn es liegt in der Natur von Wasser, dass es fließend und formlos ist und demzufolge unendliche Bedeutungen aufnehmen, das heißt akzeptieren kann. Legitimation für die Betonung von Leere, das heißt in Konsequenz auch von fruchtbarer Uneindeutigkeit und Ambivalenz, bestimmt er als Charakteristikum der chinesischen Sprache. Am Beispiel des Schriftzeichens chi, das sowohl die Bedeutungen »rot« als auch »defizitär« besitzt, exemplifiziert er die der chinesischen Sprache im Allgemeinen inhärente Bedeutungsambivalenz und macht diese für seinen konzeptuellen Ansatz fruchtbar.252 In seinem Essay »Das Problem der chizi« (chizi de wenti) führt er seinen konzeptuellen Ansatz aus, der gleichermaßen eine Beschreibung der Arbeit Dazibao ist: »My Chinese character paintings all originate from the following two linguistic conditions: 1. The simultaneous display of the multiple meanings/connotations of Chinese words and phrases; 2. Permission for a written word to be separated from its everyday linguistic context
251 | Wu Shanzhuan [1986], englische Übersetzung, in: Artists’ Writing 2, Beilegeheft in Monographie Wu Shanzhuan. Red Humor International. 2005. Der original chinesische Text ist abgedruckt in: Fei Dawei (Hg.). 2007b, S. 332. 252 | Qiu Zhijie ordnet Wus Konzept in einen größeren historischen Zusammenhang ein und versteht es in einer Linie mit der traditionellen Gelehrtenschriftkultur, angepasst an die heutige Zeit: »The former characteristic of the logograph was extensively employed by classical Chinese poets in creating homonym.based rhymes in poetic couplets – a matching of both sound and sense. These constitute a marvellous kind of word game, a representational system of manifold meanings and multi-dimensional expression. The latter characteristic – that is, the structural nature of the logograph in which the brushstroke forms the individual structural unit – allows for almost demonic powers of transformation, and also gave rise to the age-old system of creating characters. From the formalism of auspicious character iconography such as ›the boundless blessings image‹ (wanfutu) and the ›longlivity image‹ (wanshoutu), to the symbolism of the propitious characters of folk culture and Daoist talismans, Chinese characters always maintain the tension between meaning and image. Stretching this a bit, Wu Shanzhuan’s deficit (red) characters can also be considered as part of this character creating tradition – but within their context, as representing a personalized ideological response to the conditions of the artist’s own times.« Aus: Qiu Zhijie. 2005, S. 24.
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I see a wall traversing space between me and and what is ›opposite‹ to me. Every inch of that wall is covered with Chinese characters: […] It’s possible for this to mean absolutely anything; as a result, no meaning is fixed (but it’s there) […] All these completely mundane Chinese words and phrases come crashing down the ›wall‹ of my brain, conjuring up all kinds of fantastical meanings arise is the utter depletion of the actual, concrete meaning of these Chinese words […] Having been separated from their utilitarian value in daily experience, these Chinese words and phrases gain a kind of pure, clean existence, and the naked significance of the character themselves gains a kind of purified eternity; because the Chinese words that have been validly (artistically) written within the artspace, such as ›this afternoon no water‹, have already been distanced from their usage in concrete (daily) life, for us they no longer generate any meaning on the concrete (daily) level of life. The term chi originates from two primary concepts: ›red and deficit‹. Thus a ›red and deficit‹ word (chizi) is a Chinese character whose literal meaning has been deficited, that is, a Chinese character that exists comfortable in itself. The red/deficit word negates the time-frame, space-frame, logic and linguistic rules governing the reading of Chinese characters.«253 Grundsätzlich identifiziert Wu Shanzhuan alle Zeichen und Wörter als defizitär: »Every word we think carries a specific meaning is in fact a deficit (red) character!«254 Denn Zeichen vermitteln niemals eine allumfassende objektive Wahrheit, sondern sind immer Ausdruck eines durch eine autoritäre Macht implementierten Wertesystems, das dem menschlichen Subjekt, ohne es vor die Wahl zu stellen, eine bestimmte Position zuweist.255 Explizit defizitär werden Schriftzeichen also durch Dekontextualisierung, indem durch die semantische Entleerung die physische Form der Schriftzeichen betont wird: »[…] He in fact reinforces this quality, creating word-images that are once impalpable to reason and yet visually graspable. This is the physical meaning of the deficit (red) character; it first and foremost implies a draining of the accustomed semantic meaning of the character, or, as Wu Shanzhuan puts it, the character becomes ›deficited‹ of meaning.«256 Die Frage »was ist Kunst?« ist zentral in Wu Shanzhuans Arbeit. Anstatt diese Frage nach formalen und stilistischen Gesichtspunkten zu beantworten, setzt er sich kritisch mit den Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Kunst auseinander, 253 | Wu Shanzhuan [1986], englische Übersetzung, in: Artists’ Writing 4, Beilegeheft in Monographie Wu Shanzhuan. Red Humor International. 2005, original chinesischer Text abgedruckt in Fei Dawei (Hg.). 2007b, S.319. 254 | Qiu Zhijie. 2005, S. 25, zitiert nach Wu Shanzhuan. 255 | Vgl. ebd. 256 | Ebd.
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was ihn sehr deutlich als der konzeptionellen Kunstströmung im China der 1980er Jahre zugehörig ausweist. Im Mittelpunkt seines Interesses steht also die Untersuchung von Strukturen, so zum Beispiel die Infragestellung der bisher geltenden Beziehungen zwischen Künstler, Kunstwerk und Betrachter und dem daraus resultierenden Verständnis von Künstler, Kunstwerk und Betrachter. Im Unterschied zur »humanistischen« Vorstellung ist der Künstler bei Wu nicht mehr ergebnisorientierter Schöpfer, nicht mehr der dominante Faktor im künstlerischen Schaffensprozess, sondern Medium, das auf der gleichen Ebene wie das Kunstwerk und der Betrachter angesiedelt ist. Weil Wu Shanzhuan Kunst strukturell, als Teil eines komplexen Beziehungsgeflechts versteht, lehnt er die Trennung der Sphären Kunst und Leben ab. Kunst ist immer in Bezug zu den realen Lebensbedingungen, die das menschliche Bewusstsein prägen, zu verstehen. Kunst benötigt den Kontext persönlicher Erfahrung, was er auf humorvolle Weise verdeutlicht, indem er mit dem Schriftzug »Heute kein Wasser« in der Installation Dazibao an ein persönliches Erlebnis erinnert, als sein Blick beim Waschen seiner Hände ausgerechnet auf ein Schild fiel, das behauptete, es gäbe heute kein Wasser. So wie ein Kunstwerk ohne Kontext seinen ursprünglichen Sinnes verliert, so kann dieses Schild aufgrund des offensichtlich vorhandenen Wassers als sinnlos entlarvt werden. Wu Shanzhuan setzt sich explizit mit den sozialen Umständen des Lebens auseinander, was in seinen späteren Arbeiten noch deutlicher wird. Anstatt Kunst losgelöst in abgehobenen geistigen Sphären zu verankern, plädiert er für eine Kunst nahe am Leben.257 An dieser Stelle sei nochmals betont, dass Wu genau die Kontextabhängigkeit, was er als das »Defizitäre« bezeichnet, und die daraus folgende Ambivalenz in seinem Konzept in den Mittelpunkt stellt.
8.2.4.b Gu Wenda Gu Wenda (geb.1955) gilt als einer der ersten chinesischen Künstler, der sogenannte Pseudo-Schriftzeichen oder Nonsense Kalligraphie konzipierte. Wie im Folgenden ausgeführt werden wird, unterscheidet sich sein konzeptioneller Ansatz dabei stark von den bereits vorgestellten Vertretern der sogenannten »dekonstruktiven Schriftkunst« Mitte der 1980er Jahre. Indem er chinesische Schriftzeichen absichtlich falsch schreibt und Elemente des westlichen Surrealismus in die traditonelle Tuschemalerei einführt, um bisher 257 | »Wu mocks modern and contemporary art today for becoming too conceptual since Duchamp. In reality this art has isolated itself from real conditions. He denies the name of art in the modern sense. Wu’s most important concern is human life and real living conditions of people.« Aus: Gao Minglu. 2005a, S.134.
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geltende Konventionen auf diese Weise radikal infrage zu stellen, erregte der in traditioneller Schriftkunst und Malerei ausgebildete Gu Wenda258 bereits Anfang der 1980er Jahre die Gemüter der Konservativen.259 Aufgrund ihrer enormen Größe – die Tuschemalerei Horror des Krieges (zhanzheng de kongju) aus dem Jahr 1983 misst beispielsweise 180 × 580 cm (Abb. 23) – besitzen bereits seine frühen Arbeiten eine raumgreifende Wirkung und können somit als Vorläufer seiner installativen Arbeiten angesehen werden. In der mithilfe von Tuschelavierungen erzeugten spirituellen und düster anmutenden Atmosphäre kombiniert Gu chinesische Schriftzeichen, die teilweise absichtlich falsch geschrieben sind, mit zusammenhanglosen Symbolen aus der chinesischen und westlichen Kultur, um sie auf diese Weise und indem er sie schwerelos, frei im Raum schwebend, darstellt, ad absurdum zu führen und seiner Skepsis gegenüber festgelegten Bedeutungen in Schrift oder Symbolen Ausdruck zu verleihen. Schon der Titel dieser frühen Malereiserie Universal Current oder kosmisches Fließen (yuzhouliu)260 weist darauf hin, dass sich Gu schon in diesen früheren Arbeiten für die Vermittlung von etwas Universalerem als Sprache, für das eigentlich nicht Sichtbare, für Energien und Strukturen jenseits der Sprache und des Rationalen interessiert. Im Unterschied zu Wu Shanzhuan untersucht er Sprache nicht nur als soziales Konstrukt, dem bestimmte Machtstrukturen inhärent sind, die es zu hinterfragen gilt, sondern sein Hauptanliegen besteht darin, Sprache als unzulänglich zu entlarven, das Unbekannte der Welt zu »verbalisieren«. Mitte der 1980er Jahre beginnt Gu Wenda unter Verwendung verschiedener Materialien raumgreifend, d.h installativ zu arbeiten. Eine wichtige frühe installative Arbeit trägt den Titel Stille ruft Inspiration hervor oder auch bekannt unter der
258 | Ausführlichere Informationen zu Gu Wendas Ausbildung und seiner früheren Schaffensphase siehe: Fei Dawei. 1991. »Herausforderung an die Moderne. Besuch bei dem Maler Gu Wenda« und Gan Xu 2003, S. 194 ff., Welsh, Eduardo. 1999, S. 93 : »Gu Wenda, Li Xiaohan and the Predicament of Guohua«. Guohua brought into focus a particular aspect of the struggle between modernity and tradition, identity and change, the individual and the collective (nation). S. 96: »Some of the boldest experiments at the time were carried out among special shanshui research class supervised by Lu Yanshao at the ZAFA (Zhejiang Art Academy). Gu Wenda’s pictures in the early 80s were on a very large scale and used ink-pouring techniques combined with Chinese and Western symbols to create striking, mysterious images. […] These members of the younger generation (no doubt) had a different attitude to tradition to that of their elders. Those who had grown up during the CR were ›discovering‹ tradition at the same time as they were discovering Western art. […] The choice of guohua was merely one of the options open to them and their priorities lay more in trying to make guohua relevant to their experience than in giving it continuity. […] 259 | Ausführliche Informationen hierzu siehe: Gan Xu 2003, S. 194 sowie von Eduardo Welsh 1999. 260 | Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 164.
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Abb. 23: Gu Wenda, Horror des Krieges (zhanzheng de kongju) (Ausschnitt), Tuschemalerei , 1983
Quelle: Fei Dawei (Hg.). 2007a. ’85 Xinchao Dangan I. Gu Wenda, Wu Shanzhuan, Xu Bing (Quellenbuch über die 85er Bewegung, Bd. I, Gu Wenda, Wu Shanzhuan, Xu Bing). Shanghai.
englischen Übersetzung des Titels Wisdom comes from Tranquilty oder ins Deutsche übersetzt Aus der Stille entspringt die spirituelle Kraft (jing ze sheng ling) (1985/86) (Abb. 24), die aus einem roten Wandteppich261 aus Hanf besteht, der sich aus mehreren Teilen zusammensetzt und von zwei monochromen Tuschemalereien im Hän-
261 | Die Arbeit mit Textilien und die Anfertigung von Wandteppichen rührt aus der Beeinflussung durch den bereits erwähnten rumänischen Textilkünstlers Maryn Varbanov her, der in den 1980er Jahren in Hangzhou lebte und mit seinen »weichen Skulpturen« (ruan diaosu) einen wichtigen Beitrag zur Einführung des Mediums Installation in China leistete. Vgl. Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 167.»In the short time before he quit China – Gu’s questioning symbolic works, by violating orthodox doctrine of artistic value, represented a direct challenge to authority, provoking Xiao Feng, director of the Zhejiang Academy to describe his works as pornographic, vulgar, obscene, and superstitious. In 1987 Gu went into volunatary exile in Canada – Gu’s work developed beyond painting on a flat surface. Working with Varbanov on several of the latter’s soft sculpture projects stimulated him to create his own large scale multi-media installations, notably ›Jingzhe shingling‹, which might be translated ›from tranquilty comes inspiration‹. The four characters (the first and third crossed out, the second and fourth circled) flank a series of superimposed hanging woven panels bearing indecipherable seals in a relief. Predictably because the artist’s name appeared several times in a large format, Xiao Feng attacked Gu for ›individualistic self expression‹. In another work with the same Chinese title, the monumental characters are simply written on the flat surface of the silk panels.« Aus: Sullivan, Michael. 1996, S. 264.
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Abb. 24: Gu Wenda, Wisdom Comes from Tranquility (jing ze sheng ling), Installation, 1985/86
Quelle: Ausst.-Kat. China Avantgarde. 1993. Haus der Kulturen der Welt. Berlin.
gerollformat eingerahmt wird. Während auf dem roten Wandteppich untereinander mehrere rote Siegel aus Holz aufgebracht sind, hat Gu auf den Hängerollen zuerst Landschaft im traditionellen Stil dargestellt, um diese dann mit monumentalen Schriftzeichen zu überschreiben. Die Schriftzeichen sind zwar noch als Titel Jing ze sheng ling erkenntlich, aber offensichtlich nicht nur absichtlich falsch geschrieben, sondern darüber hinaus in der traditionellen chinesischen Weise des rotfarbenen Durchkreuzens und Einkringelns zusätzlich noch als inkorrekt markiert.262 Diese doppelte Infragestellung der chinesischen Schriftzeichen ist Teil von Gu Wendas Strategie der Negation, die besagt, dass ein Konzept erst, indem man es widerlegt,
262 | »›Xs‹ and ›Os‹ had been used by Chinese teachers for centuries as a way of disapproving or approving of a student’s calligraphy. In addition, ›Xs‹ were also used by the officials of the dynastic Chinese government to cross off the names of the criminals who were to be beheaded.« Aus: Gan Xu. 2003, S. 194. »Gu expands the negative connotations of the ›X‹ already held by the Chinese – the ›X‹ becomes the means by which he literally crosses out all forms of repression and tyranny.« Als Beispiel nennt er die Arbeit »Totem and the Society of Taboo« (1986). »Gu paints a large, red ›X‹ over a mouth. The image can be read both literally and metaphorically. The literal meaning is ›no spitting‹. The metaphorical meaning is Gu’s way of indicating the lack of free speech in China.« Aus: ebd.
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Abb. 25: Gu Wenda, The Dangerous Chessboard Leaves the Ground (xuanfu kong zhong de xianqi), Installation, 1987
Quelle: Ausst.-Kat. China Avantgarde. 1993. Haus der Kulturen der Welt. Berlin.
deutlich wird.263 Ergebnis der Negation von Bedeutung sind semantisch entleerte Zeichen, die sowohl Voraussetzung für die kritische Auseinandersetzung mit bisher geltenden Überzeugungen als auch Ausgangsbasis für neue Bedeutungen und Zusammenhänge sind. Mittels dieser radikalen Dekontextualisierung erzielt Gu beim Betrachter Distanz, welche zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Schrift und deren Auswirkungen auf das menschliche Subjekt führen soll. Eine weitere wichtige frühere Installation von Gu Wenda ist die Arbeit The Dangerous Chessboard Leaves the Ground (1987) (Abb. 25).264 Auch hier visualisiert er seine Skepsis gegenüber der Schrift als Trägerin bzw. Ausdruck der einen ontologischen Wahrheit, entlarvt also Schrift als willkürliches Bedeutungssystem. Über dem Boden schweben elf Leinwände, auf denen in Schwarz die chinesischen Schrift-
263 | Die Identifizierung als »inkorrekt«, das heißt die Strategie der Negation, Widerlegung, Falsifikation rührt laut Martina Köppel-Yang aus der Beschäftigung mit Karl Poppers Theorie der Falsifikation. Aus: Köppel-Yang, Martina. 2003a, S. 165 f. 264 | Der Titel der Arbeit kann als Referenz auf Jaques Derridas Ausführungen zur différance verstanden werden. Er schreibt: »Eine Spur, die nicht mehr zum Horizont des Seins gehört, sondern deren Spiel den Sinn des Seins trägt und säumt: das Spiel der Spur oder der différance, die keinen Sinn hat und die nicht ist. Die nicht angehört. Keine Jetztheit, keine Tiefe für dieses bodenlose Schachbrett, auf dem das Sein ins Spiel gebracht ist.« Aus: Engelmann, Peter. 1988.
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zeichen für Revolution265 ge und ming im Stil der Propagandaplakate der Kulturrevolution (dazibao) geschrieben, modifiziert und rot durchgestrichen sind.266 Rote, in die Leinwände, durch die Schriftzeichen gebohrte Röhren, an deren Bruchstellen rote Farbe hervorquillt, suggerieren dem Betrachter das Implodieren der Zeichen, was als ikonoklastische Geste, als Zerstörung der Schrift verstanden werden muss. Der Betracher ist aufgefordert, in bereitgestellte rote Kleidung zu schlüpfen und sich zwischen den Leinwänden zu bewegen, um auf diese Weise als »Schachfigur« Teil der Installation zu werden und die von der Installation ausgehende zerstörerische Gewalt körperlich zu erfahren.267 Im Sinne von Ludwig Wittgenstein, der die These vertritt, dass die innere Struktur von Realität innerhalb von Sprache zwar evident ist, sie aber nicht vollständig mit Sprache beschrieben werden kann, versteht Gu Schrift als visuelle Manifestation der Vernunft, die nur einen Bruchteil dessen, was die Welt ausmacht, transportieren kann.268 Gus Anliegen ist es, mithilfe der Kunst die Welt jenseits des Rational-Vernünftigen, das heißt jenseits von Sprache und Wissenschaft zu erkunden. Er möchte die vertraute Welt transzendieren und dem Betrachter mit seiner Kunst eine Brücke in das Unbekannte bauen, wobei damit, beeinflusst vom Surrealismus, insbesondere von Salvator Dali, auch die Sphäre des Unbewussten gemeint ist.269 Gu ist in keinster Weise davon überzeugt, dass sich die Welt in ihrer Gesamtheit begreifen ließe. Im Gegenteil, er ist der Meinung, dass sie undurchdringbar und deswegen nur fragmentarisch erfahrbar ist. Eben diese Erfahrung zu vermitteln, das heißt, die unbekannte Welt als solche zu thematisieren, ist das Anliegen Gu Wendas. Die Dekonstruktion der Schriftzeichen, seine sogenannten Pseudo-Schriftzeichen (cebiezi) sind Repräsentationen dieser fragmentierten Welt. Laut Gan Xu kann Gu Wendas Konzept als zeitgenössische Interpretation von Zhang Yanyuans270 traditionellem, aus dem 9. Jahrhundert stammenden Konzept von tu verstanden werden. Zhang ging davon aus, dass das Zeichen für Darstellung tu drei Konzepte enthält:
265 | Wu Hung. 1999a, S. 40 f. 266 | Köppel-Yang, Martina. 1991, S. 77–81. Gu Wenda malte während der Kulturrevolution große rote Propagandaplakate. Die Farbe Rot und die Schriftzüge prägten sich seinem Gedächtnis tief ein: »Für mich ist Rot eine Farbe des Schreckens, eine Verneinung der Verneinung. Eine andere mögliche Interpretation wäre Schutz, aber auch Aggression […] Ich habe die Farbe Rot während der Kulturrevolution studiert.« Gu Wenda. 1989, S. 36 f. 267 | Vgl. Tzou, Shwu-Huoy. 2000, S. 165 und Köppel-Yang, Martina. 1991, S. 77–81. 268 | Vgl. Gan Xu. 2003, S.198. 269 | Ebd., S. 196. 270 | Bei Zhang Yanyuan handelt es sich um einen berühmten Gelehrten und Künstler aus der Tang-Zeit. Zhang schrieb mehrere Bücher über Malerei und Schriftkunst. Sein berühmtestes Schriftwerk ist das Lidai minghuaji (A record of the famous painters through the Ages).
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»The first concept is the representation of principles, and hexagrams are examples of this concept. The second concept is the representation of knowledge. This concept is best realized in the writing and studying of Chinese characters. The third concept is the representation of forms, and this is achieved through painting.«271 Nach Gan Xu können Gu Wendas Pseudo-Schriftzeichen der heutigen fragmentierten Welt entsprechend in Abgrenzung zu Zhang Yanyuans Definition von tu als Repräsentationen unbekannter Prinzipien, fragmentierten Wissens und abstrakter Formen verstanden werden. Gan Xu bezeichnet Gus Pseudo-Schriftzeichen in diesem Zusammenhang sogar als Neo-Hexagramme, die das fragmentarische »Wesen« der heutigen Welt verkörpern.272 Erst wenn der Ballast semantischer Bedeutung abgeworfen ist, was Gu durch Verfälschung, Verkürzung und Abstraktion von Schrift und Landschaftsmalerei, das heißt durch die Repräsentation der Welt als Fragment erreicht, eröffnen sich dem Betrachter neue Freiräume. Anstatt sich auf bisher vorgegebene Bedeutungen zu verlassen, fordert Gu einen selbstständigen Betrachter, der mutig eigene Bedeutungen und Interpretationen generiert. Die Dekonstruktion der Schriftzeichen erreicht Gu durch die Zerstörung ihrer semantischen Struktur, indem er die Zeichen absichtlich falsch schreibt und durch Monumentalisierung die Diskrepanz zwischen Form und Inhalt vergrößert.273 Indem er auf diese Weise die abstrakte Bildlichkeit der chinesischen Schrift hervorhebt, verleiht er der Notwendigkeit, sich von der Bedeutungsseite der Schrift abzuwenden, um sich Sphären abseits des Rationalen zuwenden zu können, noch größeren Nachdruck. Indem er die Aufmerksamkeit des Betrachters auf Form und Stil der Schriftzeichen lenkt, ist dieser von der »Last«, die Schriftzeichen stets lesen zu wollen, befreit und kann sich auf den ästhetischen Genuss konzentrieren. Diese Betonung der ästhetischen Wertschätzung ist traditionell wichtig bei der Rezeption
271 | Gan Xu. 2003, S. 198. 272 | »Although made up of fragments, Gu’s neo hexagram itself is read as a unified, single element. It becomes for Gu a means of representing the principles of the universe through combinations of abstract lines of the unreadable Chinese characters. Finally fragmented knowledge is seen in the misplaced characters, erroneous characters, negative characters, upside down characters, printed characters and scrambled characters. Each of these fragmented characters however still carries some of their original meanings, cultural messages, and historical information. It is through fragments that Gu achieves his tushi. It is the pseudo characters that allow him to convey additional message and help him to represent the unknown world, the world Gu himself acknowledges he is unable to penetrate.« Aus: ebd., S. 199. 273 | In diesem Zusammenhang soll noch einmal betont werden, dass in der traditionellen Schriftkunst die Trennung von Form und Inhalt niemals gänzlich, sondern nur bis ins Extrem gesteigert, also nie bis zur völligen Unlesbarkeit vorgenommen wurde, was einen großen Unterschied zur Definition der im Westen entstandenen abstrakten Malerei darstellt.
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von chinesischer Schriftkunst. In der traditionellen Rezeption wurde den Inhalten von Schriftstücken in der Regel wenig Beachtung geschenkt und Kategorisierungen von Kunstwerken wurden tatsächlich lange Zeit allein unter Berücksichtigung formalästhetischer Aspekte vorgenommen. Wenngleich formale Aspekte bei der Rezeption im Vordergrund standen und so manche traditionelle Kalligrafie aufgrund stark verkürzter Schreibweisen auf den ersten Blick unlesbar erscheint, so muss an dieser Stelle nochmals betont werden, dass alle traditionellen Schriftkunstwerke stets lesbar bleiben, weil die Beziehung zwischen Form und Inhalt zwar bis aufs Äußerste getrieben, aber niemals ganz aufgelöst wurde, was somit einen großen Unterschied zu Gu Wendas Pseudo-Zeichen darstellt, die nicht mehr lesbar sind. Die Dekonstruktion von Schrift bei Gu, aber auch bei seinen Kollegen der »dekonstruktiven Schriftkunst«, sollte in diesem Kontext verstanden werden. Die ideografische chinesische Schrift ist im Unterschied zur Alphabetschrift, die in erster Linie der Fixierung der gesprochenen Sprache dient, nicht nur Träger semantischer Bedeutungen, sondern besitzt eine leibliche Konnotation. Gu zerstört also ein ganzes System traditioneller ästhetischer und kultureller Vorstellungen und fordert einen neuen Betrachter, ein individuelles, kritisches Subjekt, weswegen die Gründe für die Dekonstruktion von Sprache bei Gu und im chinesischen Kontext im Allgemeinen als existenziell motiviert bezeichnet werden können. Gu lehnt sowohl die Literatenkunst, die nur eingeweihten Eliten zugänglich war und darüber hinaus hauptsächlich formal-ästhetische Aspekte betonte und wenig gesellschaftliche Verantwortung übernahm, als auch die Funktionalisierung von Kunst im Auftrag der sozialistischen Ideologie ab. Während der traditionelle Betrachter in bestimmte ästhetische Bezüge, mit denen bestimmte politische Bezüge und Haltungen verknüpft waren, eingebettet war, aber nicht dazu aufgefordert wurde, kritisch zu reagieren und zu handeln, und das sozialistische Verständnis von Kunst den individuellen, kritischen Künstler und Betrachter auf Kosten kollektiver Interessen opferte, fordert Gus Kunst einen unabhängigen, selbstständigen Betrachter, der kritisch ist und als solcher gesellschaftliche Verantwortung übernimmt. Anstelle der Betonung diskursiv vermittelter Erkenntnis und anstelle der Repräsentation von Bedeutung setzt Gu auf Intuition und Vermittlung, das heißt auf die unmittelbare (leibliche) Erfahrung, der es immanent ist, dass man diese durch eine logische Analyse nicht evidenter machen kann. Gu Wenda vertritt folglich die Meinung, dass die vorherrschende Konzentration auf rationale Erklärungen eine Beschränkung des Erkenntnishorizonts darstellt und dass dieser deswegen in die Sphäre der Intuition jenseits rationaler Begriffe erweitert werden sollte. Gan Xu schreibt in diesem Zusammenhang über Gu Wenda: »For Gu intuition can penetrate into those realms where reason cannot. Reason is limited because of the restrictive nature of the written character. Gu believes that reason reveals only a small part of the world and that preposterousness, weirdness and fantasy hide in the dim area of the world’s periphery. Our lives are confined within the demarcations of knowl-
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edge and reality, but the desire is to go beyond the known in insatiable. The human desire to transcend the known universe will always drive us to conquer and explore.«274
Im Sinne der lebensphilosophischen Tradition sollen Intuitionen zu wissenschaftlich nicht erfassbaren Erkenntnissen führen.275 In einem Interview mit Fei Dawei gibt Gu Wenda zur Auskunft: »Ich halte mich möglichst im Zustand einer unbestimmten, nicht festgelegten Suche, lasse mich von der Intuition leiten. Die auf die Gewissheit der Intuition gestützten Dinge sind authentisch. Nach dem Schaffen kommen rational erwogene Dinge, sie sind bereits Vergangenes. Ich glaube an den Agnostizismus [Gu Wenda leugnet die rationale Erkenntnis des Göttlichen oder andere metaphysischer Erklärungen; B. H.]. Es ist unmöglich die Welt endgültig zu erfassen. Alles ist relativ. Ich denke, bevor man nicht die letzte Wahrheit erreicht hat, ist alles Wissen Irrtum. Der Grad des Irrtums ist unterschiedlich, das ist alles. Die Menschheit verlässt sich auf Hypothesen, um ihre Existenz oder ihr geistiges Gleichgewicht zu wahren. So stirbt die ganze Kultur mit Hilfe eines Begriffssystems ab. Hinzu kommt, dass, je weiter die exakten Wissenschaften voranschreiten, sie desto weniger imstande sind, einige Phänomene zu erklären. Die Unschärfenmathemathik erklärt: Ungenauigkeit ist korrekter als Genauigkeit! Was meine eigenen Bilder angeht, so kann ich für sie gleichfalls keine Erklärung anbieten.«276 Gu möchte also vermitteln, dass die Welt undurchdringbar ist, dass ihr Wesen das Fragmentarische und Unscharfe ist, und fordert den Betrachter auf, seiner Intuition zu vertrauen. Gu Wenda lehnt das Bestimmen und Festlegen im Sinne eines identifizierenden Denkens ab und betont als Alternative zu solchen Rationalisierungen Prozesse des Werdens, die sich im Akt des Malens, Schreibens und Betrachtens dem Rezipienten als bewusstseinserweiternde Erkenntnisse offenbaren. Unter Bezugnahme auf den Philosophen Henri Bergson betont er die Wichtigkeit von Intuition und gleichzeitig praktisch-tätiger Welterfahrung gegen alle das Leben reduzierenden Rationalisierungen: »The essence of reasoning is to shut ourselves within the circle of the known, but motion breaks this circle. If we have never seen someone swimming we will probably think swimming is impossible […] In fact reasoning is always to nail oneself down on dependable
274 | Ebd., S. 199–200. 275 | »Die Lebensphilosophie entsteht im 19. Jhd. und wendet sich gegen den Seinsbegriff rationalistischer und mechanischer Denkmodelle, vor allem gegen den vor allem von Hegel vertretenen Anspruch eines ausschließlich vom Geist bzw. Begriff her systematisch deduzierten Weltbilds. Ihre Vertreter postulieren eine Ganzheitssicht, die das Dynamische, Einmalige und zur Entwicklung drängende Schöpferische im Leben für alle Bereiche der Wirklichkeit als bestimmend ansieht und grundsätzlich das Werden und nicht das Sein betont.« Aus: Brockhaus Enzyklopädie (21. Auflage). 2006. 276 | Fei Dawei. 1991b, S. 116–117.
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I NSTALLATIONSKUNST IN C HINA grounds. Yet, very simply, if I fearlessly throw myself in the water, beginning by just trashing around I would probably be quite successful at staying above water, gradually getting adapted to the new surroundings, I might in this way learn to swim. We can see, theoretically, to try to understand things without relying on intellect, is absurd; yet if we calmly acknowledge the danger, movement might unite the blind knot the intellect has tied and is unwilling to loosen.«277
Die raumbezogene und offene Qualität der Installation kommt Gus Betonung des Prozesshaften entgegen, was durch seine häufigen performativen Aktionen in den installativen Arbeiten zusätzlich unterstrichen wird. Seine Installationen sind monumental, sie überwältigen den Betrachter und besitzen auf diese Weise immersive Qualität. Er selbst sagt in diesem Zusammenhang: »Ich suche nach dem Imposanten, nach dem Geheimnisvollen, dem Unfassbaren, ein wenig auch nach dem Abstoßenden. Ich liebe das Lyrische nicht, es ist mir vollkommen fremd. Ich liebe das Majestätische, vielleicht weil ich Landschaftsbilder male. Ich war am Meer, im Gebirge, habe empfunden, dass der Mensch unbedeutend ist. Die Natur ist so geheimnisvoll und unergründlich.«278 Gu scheint also an die chinesische Tradition anzuknüpfen, wonach der Mensch die Natur nicht beherrscht und bestimmt, sondern als deren Teil verstanden werden soll. Während sich das Selbst im westlichen, kartesisch geprägten Verständnis als ein Ich im Gegenüber zur Welt, das heißt in einer objektivierenden Einstellung herausbildet, scheint Gu an die traditionelle chinesische Vorstellung anzuknüpfen, dass sich ein handlungsfähiges Selbst erst in performativer Einstellung, im Kontakt mit der Welt, die traditionell als Transformationsprozess verstanden wird, ausbilden kann. Denn nur wenn es die natürlichen Kräfte der kontinuierlich sich transformierenden Welt erfährt, kann dieses Selbst weltvermittelnd und transformatorisch wirken. Gu beschäftigt sich seit Anfang der 1980er Jahre mit den Unterschieden zwischen der chinesischen und westlichen Auffassung von Kunst. Während er zu Beginn die chinesische Kunst zu erneuern suchte, indem er Einflüsse aus der westlichen Kunst, so vor allem aus dem Surrealismus, in die chinesische Tradition einfließen ließ, war es wenig später sein Anliegen, der – seiner Meinung nach – teilweise unreflektierten Übernahme westlicher Kunstformen durch chinesische Künstler in den 1980er Jahren entgegenzutreten. Gerade durch die Bezugnahme auf die »eigene« Tradition will er eine eigene innovative Sprache entwickeln, die gleichzeitig möglichst universal ist, also die Menschen weltweit berührt. Diesem Credo ist er bis zum heutigen Tag treu geblieben: »I have tried to break through stereotypical non-Western art forms. The first formal strategy we can talk about is in terms of Chinese tradition. The second strategy is in relation to western 277 | Gu Wenda, zitiert nach Welsh, Eduardo. 1999, S. 119. 278 | Fei Dawei. 1991b, S. 118.
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influences. Neither of these strategies really satisfies me. So I have tried to overcome these kinds of limitations in order to be as inclusive as possible not only in terms of concept but also in terms of the human population as a whole.«279
8.2.4.c Xu Bing Neben den bereits genannten zählt Xu Bing zu den frühen chinesischen Installationskünstlern, die sich im Kontext der »dekonstruktiven Schriftkunst« mit der chinesischen Schrift auseinandersetzen. 1988 erregt der ursprünglich an der Central Academy of Fine Arts in Peking als Grafiker im Fach Holzschnitt ausgebildete280 Xu Bing mit seiner ersten großen Installation281 Analyzed Reflection of the World – The Final Volume of the Century,282 die heute unter dem Namen Himmelsbuch283 (Abb. 26–28) bekannt ist, große Aufmerksamkeit, als er diese im Oktober 1988 in der Ausstellung Paper-cut284 mit installativen Arbeiten des zeitgenössischen Scherenschnittkünstlers Künstlers Lu Shengzhong sowie wenig später im Februar 1989 im Rahmen der Ausstellung China/Avantgarde, die weiter unten ausführlich besprochen werden wird, in der Nationalgalerie in Peking der Öffentlichkeit präsentiert.285 Wichtig zu erwähnen ist, dass Xu Bing die Installation Tianshu je nach Ausstellungsort mehrfach ortsspezifisch modifiziert hat.286 In den frühen Ausführungen 279 | Aus: Gu Wenda. 2003. 28. 280 | Detaillierte Informationen zu Xu Bings Ausbildung siehe Erickson, Britta. 2001a, S. 23. 281 | Eine andere Arbeit kann als frühe installative Arbeit von Xu Bing verstanden werden: »In 1986, when Xu Bing and his students made the Big Wheel, a print of giant truck tire treads, they were driving home the point that a print can be taken from almost any solid surface. During the mid-1980s, installation art was just beginning to appear in China. The exhibition of the tire itself along with the print marked one of the first examples of installation art in Beijing.« Aus: ebd., S. 28. 282 | Der chinesische Titel kann auch mit »The Mirror of the World – An Analyzed Reflection of the End of This Century« übersetzt werden, Xu Bing nannte die Arbeit vereinfacht das »Buch, das die Welt analysiert« (fenxi shijie de shu). 283 | Wie es zu der Titeländerung kam und was der neue Titel impliziert, wird etwas weiter unten im Fließtext ausgeführt. 284 | Vgl. Gu Chengfeng; Jia Fangli. 2003, S. 72 und Lu Shengzhong. 2005, S.13. 285 | Vgl. Gao Minglu. 1991b. S. 176 f. und Lu Peng and Yi Dan. 1992, S.312–321. Dass Xu Bing bereits 1988 in der Nationalgalerie ausstellen darf, hängt mit seinen damals noch guten Beziehungen zum offiziellen Kunstsystem zusammen, was sich unter anderem auch darin äußert, dass er schon damals an der Akademie in Peking unterichtete. 286 | Vgl. dazu Stallabrass, Julian. 2004 und insbesondere auch Stanley F. Abe, der die Unterschiede der Ausführungen der Installation Tianshu insbesondere in Hinblick auf die Präsentation der Arbeit im chinesischen oder westlichen Ausstellungskontext begründet ausführt: »The installation of tianshu 1995 at the Massachusetts College of Art might be taken as a
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Abb. 26: Xu Bing, The Mirror for Analyzing the World bzw. Book from the Sky (fenxi shijie de shu bzw. tianshu), Installation, Präsentation der Installation 1988 in der Nationalgalerie Peking
Quelle: Ausst.-Kat. China Avantgarde. 1993. Haus der Kulturen der Welt. Berlin.
visual allegory fort he priviledged, aesthetized site of the viewer in the West. In a departure from other exhibitions, Xu did not place texts on the walls. He opened the claustrophobic space of the installation, which in turn released the viewer to move around the periphery of the work – there was even a view from above. The shift in positioning the audience was subtle but profound. No longer physically enclosed by the work, the viewer faced tianshu from the exterior, an observer always on the outside. This arrangement manifests in visual terms a fundamental aspect of the exhibition of tianshu in the West, where the non-Chinese reading audience is literally on the outside of the point. To be outside of comprehension however is where the privilege of the non Chinese reading audience is located – a site at which enjoyment of the aesthetic might be substituted for considerations of the political.« Aus: Abe, F. Stanley 2000, S. 240. Auch die Präsentation der Installation Tianshu, wie ich sie in der Berliner Ausstellung »Xu Bing in Berlin ›Sprachräume‹« im Museum für Asiatische Kunst (damals noch Museum für Ostasiatische Kunst) vom 27. Mai bis zum 1. August 2004 sehen konnte, entspricht der von Abe beschriebenen Ausführung der Installation im westlichen Ausstellungskontext. In Berlin bestand Xu Bings Installation aus einem auf dem Boden in Reihen ausgelegten Feld aufgeschlagener Bücher im bekannten traditionellen Stil, deren Seiten mit Xu Bings Zeichenerfindungen bedruckt waren. An Kopf- und Fußende des Buchfeldes befanden sich auf Kisten aus edlem Walnussholz, die traditionell der Aufbewahrung
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Abb. 27: Xu Bing, Book from the Sky, Detailansicht Abb. 28: Xu Bing, Book from the Sky, Betrachter der in der Ausstellung 1988 versucht die Pseudo- Schriftzeichen zu entziffern
Quelle: Ausst.-Kat. On the Edge. Contemporary Chinese Artists Encounter the West. Erickson, Britta (Hg). 2005. Stanford (Abb. 27 und 28).
von wertvollen Büchern dienten, weitere aufgeschlagene Bücher. Das gesamte Ensemble war von einem papierenen mit Schriftzeichen versehenen Baldachin überspannt, welcher aufgrund seiner länglichen Form an das traditionelle Format der Querrolle erinnert.
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waren an Wandzeitungen erinnerende, mit scheinbar »echten« Schriftzeichen im Songti-Stil287 per Holzschnittverfahren288 bedruckte Xuan-Papierbahnen, die an den Wänden angebracht waren, ein dominantes Element. Ergänzt wurde das Ensemble um aufgeschlagene, auf einem Podest ausgelegte Bücher, die formal, hinsichtlich ihrer Bindung, ihres Layouts und ihrem indigofarbenen Einband, traditionellen chinesischen Büchern glichen und deren Seiten ebenso wie die »Wandzeitungen« mit Zeichen bedruckt waren In der Ausführung von 1989 wurde die Installation darüber hinaus um einen papierenen, mit Schriftzeichen versehenen, in Wellen üppig drapierten baldachinartigen »Himmel« ergänzt, welcher aufgrund seiner länglichen Form an das traditionelle Format der Querrolle erinnert.289 Wenngleich sie auf den ersten Blick wie »echte« chinesische Schriftzeichen aussehen, so ist es Xu Bings Konzept, dass diese sich für den des Chinesisch mächtigen Betrachter bei näherem Hinsehen als unlesbar entpuppen. Während eines Zeitraums von drei Jahren hat Xu Bing, von 1987 bis 1989, in mühevoller und geduldiger Arbeit290 über tausend291 287 | Erickson 2001, S. 44 über Songti Schreibstil: »Xu Bing rendered the ›characters‹ in Song, a popular print style of the Ming dynasty (1368–1644) that he selected for ist plainness and lack of emotion.« Xu Bing gibt in einem Interview selbst zu Auskunft: »[…] I chose to pattern them (the characters) after the classic Song-style characters traditionally used in printing. This style of character was created and refined over a period of several centuries by traditional craftsmen, and it became to be adopted as the standard script for book printing because it is easy to carve and extremely legible. Consequently it also came to be viewed as the most representative style of Han script.« Aus: Rico 2004, S. 270. 288 | Vgl. Erickson, Britta. 2001a, S. 37. Gao Minglu. 2003b, S. 10. 289 | Detaillierte Ausführungen darüber, wie Tianshu 1988 bzw. 1989 in der Nationalgalerie in Peking installiert war, siehe: ebd., S. 37 f. 290 | Der Prozess der Produktion ist bei Xu Bing wichtiger Bestandteil seines künstlerischen Konzepts. Einer meditativen Übung gleich ist das Konzipieren und Schnitzen der über tausend Schriftzeichen sowohl daoistisch als auch buddhistisch konnotiert. Zum einen ist das Schaffen der fingierten Schriftzeichen ein Herstellungsprozess, bei dem man dao erlangt also eins mit der Welt werden kann. Zum anderen kann die Tätigkeit als meditative Übung zur Erreichung der Erleuchtung im Sinne der »nördlichen Schule des Chan-Buddhismus« verstanden werden, die im Unterschied zur »südlichen Schule des Chan-Buddhismus« nicht die plötzliche Erkenntnis (satori), sondern die allmähliche Erkenntnis durch kontinuerliche Übung (bildhaft verdeutlicht im wiederholenden Wischen des Spiegels) in den Vordergrund stellt. Vgl. Hou Hanru 1991b, S. 89–92. 291 | Die Angaben zur Anzahl der erfundenen Zeichen differieren stark. Erickson spricht von 1250 Zeichen 2001, Gao Minglu gibt eine wesentlich höhere Anzahl an. Er schreibt: »Beginning in 1987, Xu Bing quietly toiled at the phenomenal task of inventing over 4000 fake Chinese characters.« Gao Minglu. 2003b, S. 10. Im Katalog der Berliner Ausstellung »Xu Bing in Berlin ›Sprachräume‹« ist diesbezüglich zu lesen: »Über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren hinweg erfand der Künstler annährend 4000 Schriftzeichen.« Aus: Ausst.-Kat. Xu Bing in Berlin »Sprachräume«. 2004, S. 48.
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»neue« Schriftzeichen kreiert.292 Die Ähnlichkeit zwischen Xu Bings Zeichenneuerfindungen und den »echten« chinesischen Schriftzeichen ist sehr groß, was auf der Tatsache beruht, dass Xu sich bei seinen Zeichen weiterhin der sogenannten Radikale,293 den Komponenten, aus denen sich die chinesischen Zeichen regulär zusammensetzen, bedient, um diese dann aber neu zu kombinieren und darüber hinaus teilweise zusätzlich um erfundene Komponenten zu ergänzen. Das Ergebnis sind semantisch entleerte Zeichen, die nach konventionell linguistischem Verständnis illegibel sind.294 Xu Bing dekonstruiert die chinesische Sprache gewissermaßen mit ihren eigenen Mitteln, indem er sich folgende Eigenheiten derselben zu eigen macht: Voraussetzung für Xu Bings »neue« Zeichenkreationen ist die Tatsache, dass sich das Chinesische im Unterschied zu phonetischen Sprachsystemen durch das Potenzial der Wiedererkennung auszeichnet. Spezifische Merkmale der chinesischen Schriftsprache sind überdies die Verwebung von Form und Inhalt, die enge Verknüpfung zwischen Bild und Text sowie ihre relationale Qualität als Bedingung der Generierung von Bedeutung. Während Gu Wenda die Veränderung bzw. Auflösung der Schriftzeichenform in den Vordergrund stellt, hält Xu Bing aus formaler Perspektive zumindest scheinbar, unterstützt durch die Verwendung des maschinellen Druckverfahrens anstelle einer handschriftlichen Niederschrift, an der konventionellen Form der Schriftzeichen fest. Im Unterschied zu Gu Wenda, der die Form betont, indem er sie verän292 | Die kreative Veränderung von Schriftzeichen hat in der chinesischen Kultur Tradition. Vgl. dazu Erickson, Britta. 2001a, S. 17: »The uniqueness of Chinese characters [das heißt die enge Verbindung zwischen Form und Inhalt im Prozess der Bedeutungsgenerierung; B. H.] has encouraged a tradition of ›playing upon words‹ […] Chinese people did this type of creative linguistic manipulation – writing dog in Liu Shaoqi’s name to declare hatred of him, or emphasizing the heart shape in the character zhong to express dedication to Mao.« 293 | Radikale werden die Einzelkomponenten genannt, aus denen sich die chinesischen Schriftzeichen zusammensetzen. Bedeutung und Aussprache eines Zeichens ergibt sich aus der Zusammensetzung von mindestens zwei Radikalen, wobei jedes Radikal für sich eine eigene Aussprache und Bedeutung besitzt, also auch allein als Schriftzeichen bestehen kann. 294 | Da jedes Radikal für sich eine Bedeutung besitzt, ließen sich aus den Neuverbindungen theoretisch neue Bedeutungen bestimmen. Vgl. ebd., S. 44: »[…] a reader can infer meaning for some of the invented characters by looking at the component parts«. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Unterschiede zwischen chinesischen Muttersprachlern, die sich auf ihre Erfahrung verlassen, und beispielsweise Sinologen, die die chinesische Sprache im Sprachunterricht erlernt haben. Während viele Chinesen sich auf ihre Erfahrung verließen und 1988 beim Versuch, einzelne Zeichen des tianshu zu entziffern, fast verzweifelten, weil sie in den Zeichen keinen Sinn erkennen konnten, was im chinesischen Kontext, da die chinesische Sprache der wichtigste Träger der chinesischen Kultur überhaupt ist, ein Versagen als Chinese impliziert, so gingen Vertreter der zweiten Gruppe wesentlich entspannter ans Werk und fanden mithilfe entsprechender Lexika tatsächlich in einzelnen Fällen konkrete Bedeutungen für einzelne Zeichen. Über die Reaktionen beim Publikum siehe: ebd., S. 37 f.
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dert und in Konsequenz die ästhetische Kontemplation der Schriftzeichen als Kunst in den Vordergrund rückt, führt die formal korrekte und perfekte Ausführung der scheinbar »echten« Schriftzeichen bei Xu Bing dazu, dass diese nicht in erster Linie aufgrund ihrer handschriftlichen ästhetischen Qualität Beachtung finden, sondern aufgrund ihrer Eigenschaft als Signifikanten. Bei dem Versuch, diese zu lesen, treten sie in ihrer Funktion als Medium hinter sich selbst zurück, um in der Regel den Blick auf die Bedeutung freizulegen. Genau hier setzt Xu Bings Konzept an. Gerade weil der Betrachter der scheinbar konventionellen Form vertraut, ist er besonders überrascht, wenn er beim genaueren Hinsehen erkennen muss, dass es sich nicht um »echte«, sondern um ihres ursprünglichen linguistischen Sinnes entleerte Zeichen handelt. Diese konzeptionelle Strategie setzt sich auf der strukturellen Ebene der Installation fort. So wie die einzelnen Schriftzeichen auf den ersten Blick »echt« erscheinen, so wirken auch die einzelnen Module der Installation vertraut, weil sie formal traditonellen Konventionen folgen. Da er sie aber – nach herkömmlichen Vorstellungen – in sinnlose Zusammenhänge stellt, entleert er sie auf eben diese Weise wie die auf den ersten Blick »echt« aussehenden Schriftzeichen ihres Inhalts. Xu Bing verwendet nicht nur traditionelle Materialien, wie das Xuan Papier oder den traditionellen indigo-farbenen Einband der Bücher, sondern greift auch auf traditionelle Techniken, wie zum Beispiel auf das aus der Song-Zeit stammende Druckverfahren mit beweglichen Lettern, und auf konventionelle Formate, wie die Querrolle, traditionell gebundene Bücher mit traditionellem Layout295 und Wandzeitungen, sowie auf den konventionellen songti-Schrifttyp zurück.296 Indem Xu Bing im Unterschied zu Gu Wenda oder auch Wu Shanzhuan nicht handschriftlich arbeitet, sondern die Schrift per Druckverfahren zu Papier bringt, vermeidet er den subjektiven Ausdruck und erreicht so stattdessen eine objektive Qualität, was der »Glaubwürdigkeit« der Arbeit beim zuerst ahnungslosen Betrachter auf formaler Ebene noch mehr Nachdruck verleiht. Xu Bing dekonstruiert die chinesische Schriftsprache, indem er die Verflechtung von Form und Inhalt auflöst, um mittels der traditionellen Strategie der Bedeutungsgenerierung durch Herstellung von Beziehungen neue Bedeutungen zu produzieren. Xus Anliegen ist es, die konventionelle Bedeutungsgebung, die mit einer bestimmten Betrachterhaltung einhergeht und die vorhandene Beziehungen nicht infrage stellt, zu brechen. Nach eigenen Aussagen bezieht er sich dabei auf den Chan-Buddhismus297 und dessen Überzeugung, dass Erkenntnis nur erreicht wird, 295 | Laut Erickson hat Xu Bing das Layout des berühmten Kangxi Cidian aus der Qing-Zeit übernommen. Vgl. ebd., S. 45. 296 | Ebd., S. 44,45. 297 | Exkurs: In einem Interview gibt Xu Bing auf die Frage, ob die Arbeit tianshu von westlichen Konzepten wie den sprachphilosophischen Überlegungen von Nietzsche bis Derrida beeinflusst sei, die Antwort, dass er weniger von westlicher Philosophie als vom chan-buddhistischen Verständnis von Sprache inspiriert worden sei, wobei er feststellt, dass es er-
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wenn verstanden worden ist, dass alles leer, das heißt »bedeutungslos«, also vergänglich ist und folglich alles, was festgeschrieben ist, negiert werden muss. Indem Xu Bing durch das Gegenüberstellen von eigentlich Unvereinbarem eine paradoxe Situation herstellt, die scheinbar keinen Sinn ergibt, wendet er eine Strategie an, die der chan-buddhistischen »Methode« des koan ähnlich ist.298 So wie der buddhistische Schüler durch die Meditation über einen koan, das heißt einen Dialog, der keinen Sinn ergibt, oder über eine scheinbare Nonsense-Aussage, zur Erleuchtung gelangt, das heißt begreift, dass Wahrheit nicht in sprachlichen, logischen Antworten gefunden, sondern im »lebendigen Wort«299 gesucht werden müsse, so soll auch das tianshu auf den Betrachter wirken. Nach eigenen Aussagen spricht er dem tianshu auch humorvolle Wirkung zu. Der Betrachter soll laut auflachen, wenn er bemerkt, dass eine eindeutige Bedeutungszuordnung nicht möglich ist, wobei das Lachen psychologisch eine entlastende Wirkung hat und den Kopf befreien soll.300
staunliche Überschneidungen zwischen der Chan Lehre, welche Worte für unverlässlich (»words are unreliable«) hält, und zeitgenössischen westlichen Philosophen wie Derrida gibt. Aus: Rico, Pablo J. 2004, S. 270, zitiert nach: Glenn Harper: »Exterior Form – Interior Substance. A conversation with Xu Bing«; »Sculpture«, November, 2002. 298 | Ein koan (japanisch) (chinesisch: gongan) ist ein Kurzdialog, der in der Meditation eine Rolle spielt, wobei zwischen Frage und Antwort keine logische Verbindung besteht. In einem Interview führt Xu Bing selbst das folgende berühmte Beispiel eines koan an. Der Student fragt: »What is Buddha?« und der Zen Meister antwortet: »Three bushels of hemp«. Zur weiteren Erklärung führt Xu Bing weiter aus: »In pondering how the Buddha can possibly be ›three bushels of hemp‹ the student’s thought processes fall into a great empty space, without any kind of support or foundation. Then one day he breaks through to enlightment with the realization that the essence of Buddha exists in every aspect of life. The Zen approach to enlightment forces you to open up your mind in the midst of something that completely goes against logic and common sense – in this way one achieves wisdom.« Aus: Glenn Harper: »Exterior Form – Interior Substance. A conversation with Xu Bing«; »Sculpture«, November, 2002, zitiert nach: Rico, Pablo J. 2004, S. 271. 299 | Lebendig sind die Worte deswegen, weil sie keine festgelegte Bedeutung besitzen. »Buddhist believe that› if you look for harmony in the living word, then you will be able to reach Buddha; if you look for harmony in lifeless sentences, you will be unable to save yourself.« Aus: Xu Bing. 2001, S. 13–21. 300 | Siehe auch: Xu Bing in Rico, Pablo J. 2004, S. 271 zitiert nach Glenn Harper: »Exterior Form – Interior Substance. A conversation with Xu Bing«, »Sculpture«, Nov, 2002: Xu Bing: ›Simply speaking Book from the Sky is a joke, a humorous gesture. But the idea of a person putting four years of intensive effort into constructing and completing a joke – this act in itself constitutes the substance of the piece. Here you have years of toil and the most intensive attention to detail going into the creation of ›something that says nothing‹. So this work is also a contradiction: in deconstructing and satirizing culture, it also positions culture as something to be taken very seriously.«
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Anstatt vorgegebenen Bedeutungen zu folgen, ist tianshu ein Raum der semantischen Leere. Der Rezipient kann sich nicht auf bestimmte Bedeutungen verlassen, sondern wird allein gelassen und auf sich selbst zurückgeworfen. Der ursprüngliche Titel Analyzed Reflection of the World – The Final Volume of the Century suggeriert, dass Xu Bing dem Betrachter vermitteln möchte, dass die Welt grundsätzlich leer ist und dass es generell, aber insbesondere in der heutigen Zeit keine eindeutigen und eindimensionalen Antworten mehr geben kann. Die Arbeit ist also Spiegelung der gegenwärtigen Welt und wirkt zugleich auch als Spiegel auf den Betrachter zurück, der, auf diese Weise auf sich selbst zurückgeworfen, gezwungen wird, selbstständig zu denken, das heißt ein starkes und vor allem kritisches Ich auszubilden. Der Titel Himmelsbuch (tianshu), unter dem die Arbeit heute bekannt ist, stammt ursprünglich nicht von Xu Bing, sondern wurde vom chinesischen Publikum Ende der 1980er Jahre als Reaktion auf die Arbeit erfunden. Tianshu besitzt im Chinesischen zwei Bedeutungen. Zum einen bezeichnet es einen nur für Spezialisten verständlichen Text und zum anderen ist es der Name für ein übernatürliches Buch, das direkt vom Himmel gesandt ist und deswegen für den normalen Menschen unlesbar ist. Gao Minglu bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die Änderung des Titels durch das Publikum und Xu Bings Erfindung »falscher Schriftzeichen« eine Re-Sakralisierung ausdrücken.301 301 | Vgl. Gao Minglu. 2003b, S. 15. Erickson vertritt die Meinung, dass im Titel der Arbeit ein genereller Pessimismus zum Ausdruck kommt: »Bound up in these titles is a sense of general pessimism regarding Chinese culture coming to a cataclysmic head as the end of the century – or of the world – approached. The installation seemed to suggest that the weight of millennia of Chinese culture oppressed those living at the end of the twentieth century who were searching desperately for answers but finding few.« Aus: Erickson, Britta. 2001a, S. 38. Meiner Meinung nach trifft Ericksons Einschätzung eventuell für die Perspektive des Publikums, nicht aber für Xu Bing zu, der den Titel anstelle seines ursprünglichen annimmt. Xu Bing will dem Betrachter meines Erachtens gerade vermitteln, dass es in der heutigen Welt keine endgültigen Antworten mehr gibt. Er hält dem Betrachter, der immer noch auf endgültige Antworten hofft, den Spiegel vor und möchte diesen gleichzeitig ermutigen, selbstständig zu denken. Vgl. ebd. Siehe dazu auch Pablo J. Rico. 2004, der hinsichtlich der Titeländerung: »Although tianshu occasionally refers to the mysterious divine canon of a religious sect, in colloquial Chinese it means abstruse or intelligible writing that makes no sense to its reader. It would thus be more appropriate to call Xu’s composition of fake diameters ›Nonsense Writing‹. More than a simple change in wording this alternative translation illuminates an interpretation of the work because it is the result of a particular audience’s response: the title tianshu was not invented by the artist but was given by onlookers who were confused by the works seeming illegibility. As Xu Bing has remarked on various occasions […], his composition is a piece of ›nonsense writing‹ only to people who cannot penetrate its meaning; his own title for the work was xishi jian or Mirror that Analyzes the World as a Mirror, it reflects while reversing
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Dies ist in Anlehnung an den mythischen Ursprung der Schrift in China zu verstehen, wonach die »göttliche«, angeblich mit vier Augen ausgestattete Figur Cang Jie der Erfinder des Schriftlichen (shu) und des Zeichnens (tu) ist:302 Indem Cang Jie aus der Beobachtung von Vögel- und Insektenspuren die Schriftzeichen formte, enthüllte er die geheimen Codes der Natur, sodass als Konsequenz Getreide vom Himmel regnete303 und die Geister und Götter heulten. Es kursieren verschiedene Spekulationen über die Gründe für das Wehklagen der Geister. Einige glauben, dass sie den Verlust über die Kontrolle der kosmischen Geheimnisse beklagen, andere, dass mit der Erfindung der Schrift auch die Idee der Lüge in die Welt gebracht wird.304 Xu Bing setzt sich in tianshu kritisch mit dem Machtanspruch, der mit der Schrift verbunden ist, auseinander und weist auf die Willkür schriftlicher Fixierung hin. Xu Bing identifiziert sich bei der Interpretation der Cang Jie Legende mit dem
the world; as a piece of nonsense writing, it deconstructs and reconstructs what makes the world legible, conceivable, and therefore meaningful. This reversal does not destroy meaning, however. It only destroys the signified (i.e. content), not the signifier (i.e. form). Nonsense Writing is never ›non-sense‹«. Rico, Pablo J. 2004, S.267.Stanely F. Abe schreibt über die Bedeutung des tianshu: »Tian shu originally refers to the pattern left on the skin of a person who had been struck dead by a lightening. People looked at these patterns, which were like words written by the sky, and than couldn’t understand them.« Aus: Abe, Stanley. 2000, S. 233. Über die Übersetzungs- und Intepretationsversuche des Titels tianshu schreibt Abe und lässt zuerst Xu Bing zu Wort kommen: »My original title for the piece was Fenxie Shijie de Shu (A Book that analyzes the World) but anyone called it tianshu. Discussions in the Chinese media, however, almost always refer to the work by the third title: xishi jian sometimes followed by shijimo juan, Scholars and critics have translated the first phrase in the title in a number of ways, for example, Britta Erickson has translated it as ›An Analyzed Reflection of the World‹, Wu Hung as ›Mirror that analyzes the World‹, and Eugene Wang as ›Analytical Mirrors of the World‹. Erickson has also suggested an alternative translation: ›An analyzed warning to the world‹. The second phrase in the title is similarly ambiguous and has been translated as both ›Final Volume of the Century‹ and ›Fin de Ciecle Volumes‹. Xu chose to use the popular title, tianshu, as the basis for the English title of the work, ›A book from the sky‹. But even this name has not gone unchallenged. Wu Hung argues that in colloquial Chinese, tianshu means, ›abstruse or illegible writing that makes no sense to the reader‹, and that, considering the contents of the work, the English title would be better rendered as ›Nonsense Writing‹. Interestingly this translation would bring us close to the disdainful sense of tian shu that was invoked by some critics.« Aus: Abe. 2000, S. 233. 302 | »We don’t know who Cang Jie really was but judging from references in ancient texts, he may have been an ancient shaman or an imperial scribe.« Aus: Gao Minglu. 2003b, S. 15. 303 | Vgl. Gao Minglu. 2003b, S. 15, Erickson, Britta. 2001a, S. 39. 304 | Vgl. Rico, Pablo J. 2004, S. 272.
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Wehklagen der Geister und versucht mit tianshu den mit der chinesischen Schrift verbundenen Absolutheitsanspruch infrage zu stellen.305 Die Hintergründe der Arbeit tianshu haben zudem stark biografische Konnotationen.306 Geboren in der vor-revolutionären Zeit, aufgewachsen unter dem Regime von Mao Zedong und im jungen Erwachsenenalter mit den großen Veränderungen konfrontiert, die aus der Reform des Landes, das heißt dessen Modernisierung und der damit einhergehenden starken Orientierung am Westen resultierten, ist Xu Bing Zeuge historischer Umwälzungen und der damit einhergehenden Veränderungen hinsichtlich der Funktion bzw. der Instrumentalisierung von Schrift. Er weiß um die Gefahr, dass sie als ideologisches Machtinstrument missbraucht werden kann, und hat die der Sprache immanente Unzuverlässigkeit am eigenen Leib erfahren. Als Kind wuchs er in einem Akademikerhaushalt inmitten vieler Bücher auf und wurde in der traditionellen chinesischen Schriftsprache ausgebildet. Wenig später, in der Zeit unter Mao Zedong, war dieses Wissen der alten chinesischen Literatenkultur plötzlich nichts mehr wert und wurde als bourgois verfemt. Im Zuge der Sprachreform unter Mao Zedong und der Einführung der »vereinfachten Zeichen« (jiantizi) war Xu Bing gezwungen, die chinesische Schrift im Grunde genommen ein zweites Mal zu erlernen, wobei ihm schon damals die den Sinn verkürzende »Vereinfachungen« der Schriftzeichen negativ auffielen und ihn verwirrten. Mao Zedong hatte durchaus das Wesen des Chinesischen verstanden. Indem er sich die Bedingungen und Wesensmerkmale der chinesischen Schrift zu eigen machte, funktionalisierte er diese zu einem besonders wirksamen ideologischen Machtinstrument, das der Unterstützung seines Personenkultes diente. Maos Anliegen war es, eine grundlegend neue Kultur zu implementieren, die sich sowohl von der traditionellen als auch von der »westlichen« Kultur unterscheiden und in der die chinesische Schrift als wichtigster Kulturträger eine maßgebliche Rolle spielen sollte.307 Die Auswirkungen dieser Maßnahmen wiegen im chinesischen Kontext besonders stark, weil die chinesische Schrift im Unterschied zur phonetischen Alphabetschrift nicht nur die schriftliche Fixierung mündlicher Aussagen ist, sondern neben der Vermittlung der inhaltlichen Bedeutung körperliche Wirkungen impliziert, ihr also im Grunde ein noch umfassenderes, weil geistiges und körperliches Manipulationspotenzial immanent ist. Xu Bing selbst sagt über Mao Zedongs Schriftreform:
305 | Vgl. ebd. 306 | Vgl. ebd., S. 267, Erickson, Britta. 2001a, S. 35. 307 | Hierzu sei, Xu Bing selbst zitierend, Folgendes angemerkt: »When each member of the Chinese cultural community begins his or her education, he or she must spend years memorizing thousands of characters. This process is a sort of ceremony in homage to the culture, and it leaves all Chinese with an extreme sense of respect to the written word. […] Writing characters was a method of cultural conditioning and a rite of cultural passage. I never thought of it as art.« Aus: Xu Bing. 2001, S.14.
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»Mao’s transformation of culture was meant ›to touch people to their very souls.‹ Most deeply rooted was his transformation of language, because the Chinese language directly influences the methods of thinking and understanding of all Chinese people. To strike at the written word is to strike at the very essence of the culture. Any doctoring of the written word becomes in itself a transformation of the most inherent portion of a person’s thinking. My experience with the written word has allowed me to understand this.«308 Ein weiteres einschneidendes Erlebnis im Umgang mit Schrift für Xu Bing war die mit der Öffnung des Landes Anfang der 1980er Jahre einhergehende Flutwelle von Schriften aus dem Westen, die Konfrontation mit einer überwältigenden Anzahl westlicher Literatur aus unterschiedlichsten Epochen, Themen – und Fachbereichen und die daraus resultierende Ohnmacht, mit der Menge an heterogenen Informationen umzugehen. »I read too much [gemeint ist die Zeit nach 1979; B. H.] and participated in so many conversations on culture that my mind was in constant state of chaos. My psyche had been clogged with all sorts of random things. I felt as if I had lost something. I felt the discomfort of a person suffering from salvation who had just gorged. It was at that point that I considered creating a book of my own that might mirror my feelings (›the book from the sky‹).«309 Um mit Gao Minglu zu sprechen, ist das tianshu eine Attacke auf Utopien jeglicher Art, seien es die sozialistische oder auch die der humanistischen AvantgardeKünstler.310 Grundsätzlich ist es die Intention des Künstlers, das Bewusstsein für die Bedeutung von Sprache und Kultur, auch für deren Manipulationspotenzial, zu schärfen und durch die Konfrontation mit einer scheinbar »sinnlosen« Situation neue Denkräume zu öffnen. Das Medium der Installation scheint deswegen besonders geeignet, weil es dem Rezipienten direkte körperliche Erfahrungen ermöglicht, die über das rein Visuelle hinausgehen, was durch die Monumentalität der Arbeit, die eine immersive Qualtität befördert, weiter unterstützt wird.
8.2.5 Lu Shengzhong Eine Sonderrolle unter den frühen Installationskünstlern nimmt der weiter oben im Kontext der ersten Ausstellung von Xu Bings Himmelsbuch schon erwähnte Künstler Lu Shengzhong (geb. 1952) ein. Anstatt sich mit Aspekten der Hochkultur auseinanderzusetzen, beschäftigt er sich Mitte der 1980er Jahre mit der traditionellen chine308 | Ebd., S. 13. 309 | Ebd., S. 14. 310 | Gao Minglu. 2003b, S. 11.
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sischen Volkskunst des Scherenschnitts311 und interpretiert dieses Mittel der Kommunikation und des künstlerischen Ausdrucks zeitgenössisch.312 Er appropriiert die künstlerische Technik des Scherenschnitts, setzt sie in einen neuen zeitgenössischen Kontext, indem er beispielsweise großformatig und installativ arbeitet, und erfindet über dieses erweiterte Konzept des Readymade hinaus auch neue Formen, um auf diese Weise die bisherigen Grenzen der konventionellen Formgebung in diesem Medium auszuloten.313 Wie die bereits erwähnten Installationskünstler Xu Bing, Gu Wenda oder Wu Shanzhuan denkt Lu Shengzhong vor dem gleichen Erfahrungshintergrund des Missbrauchs von Sprache als ideologischem Instrument der Macht über Möglichkeiten der Transformation von Sprache nach. Die Hinwendung zum Scherenschnitt als Kommunikationsmittel resultiert aus einer tiefen Skepis der chinesischen Schriftsprache gegenüber. Im Scherenschnitt findet er eine Unmittelbarkeit, die der chinesischen Schrift aufgrund ihrer Instrumentalisierung abhandengekommen ist. In der Verbindung von Körper und Geist beim Scherenschnitt ist eine direkte Erfahrung möglich, tritt seiner Meinung nach das Selbst in unmittelbaren Kontakt zur Welt. Wenngleich sich auch Lu Shengzhong für die neuen, in China bisher unbekannten Kunstströmungen und theoretischen Ansätze aus dem Westen interessierte, so war es ihm wichtig, gleichzeitig aus der »eigenen« Tradition und Kultur zu schöpfen, um Alternativen zu konzipieren. Im Unterschied zu anderen Künstlern, denen er vorwarf, westliche Vorbilder lediglich zu kopieren,314 hatte er früh verstanden, dass die künstlerische Innovation Voraussetzung für die Akzeptanz der zeitgenössischen Kunst aus China im internationalen Kontext war: »Summon images of lost souls315 in the polluted air, to understand the spiritual pursuit of mankind in its infancy, and to search for a deep connection linking my
311 | Hintergrundinformation über die Geschichte und Bedeutung des Scherenschnitts siehe: Ausst.-Kat. Lü Shengzhong’s The Book of Humanity. 2004, S. 9 ff. 312 | »[…] Lü Shengzhong himself studied in the department of Folk Art at the Central Academy of Fine Arts in Beijing, graduating in 1987. Since then he has not only pursued his own work but has become an authority in the field of folk art and has published a numerous books on the subject, including Chinese Folk Woodcut Prints in 1990 and Folk Paper Cuts of China in 1992.« Aus: Ausst.-Kat. Lu Shengzhong’s The Book of Humanity. 2004, S. 9. 313 | Liu Xiaochun. 2005, S. 27. 314 | Lu Shengzhong. 2000, S. 5. 315 | Laut Li Xianting meint Lu Shengzhong, wenn er von »Seele« spricht, die chinesische Tradition. Li schreibt in diesem Zusammenhang: »They all reacted against the dominance of Western Modern art in China [Lu Shengzhong, Xu Bing, the Neo-Literati artists and Abstract Ink artists]. They borrowed from traditional Confucianism and Daoism, from ›playing ink by the literati,‹ and even from Chinese vernacular forms in order to cleanse the New Wave of the 1980s from the strong influence of modern Western philosophy and art. Lu Shengzhong and Xu Bing are the foremost representatives of the group of artists who inherited the spirit of
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native land with the rest of the world. All my effort is to nourish the empty, worn heart of modern man with the unspoiled blood of ancient culture. Thus suddenly I gain confidence, because in my mind I have paved a spiritual path for today’s art.«316 Lu Shengzhongs Interesse gilt nicht nur den Formen, sondern vor allem den konzeptionellen Eigenschaften des Scherenschnitts. Das Scherenschnittbild generiert sich stets in der dynamischen Beziehung zwischen einer negativen und einem positiven Form. Dies kann als Analogie zum Prinzip des yin und yang verstanden werden und dient Lu als quasi »ontologisches Modell«317 für die Thematisierung der Beziehungen zwischen »Körper und Seele«, »Bild und Text«, »dunkel und hell«, »Fülle und Leere««.318 Im Unterschied zu einem Gemälde oder einer Skulptur ist der Scherenschnitt nie nur eindimensional oder dreidimensional, sondern die Eigenschaft des durchbrochenen Papiers bringt es mit sich, dass im Scherenschnitt eine ständige Spannung zwischen dem Eindimensionalen und dem Dreidimensionalen besteht. Die Fragilität des Papiers ist ein weiterer Aspekt, den Lu betont und in seinen Arbeiten zur Unterstützung von verwandten Themen wie zum Beispiel dem zerbrechlichen Verhältnis von Leben und Tod einsetzt. Doch nicht nur dem Ergebnis, dem Scherenschnittbild, sondern vor allem dem Herstellungsprozess, den er als Meditation begreift, kommt bei Lu eine wichtige Bedeutung zu; und dies impliziert, dass es sich nicht um eine im herkömmlichen Sinn kreative künstlerische, um eine rational reflektierte Handlung, sondern vielmehr um eine Möglichkeit handelt, seinem Selbst in einer visuellen Form spontan Ausdruck zu verleihen.319
the New Wave but also rejected some other aspects of it. Utilizing approaches derived from Western modern art, they discovered and transformed the symbols and spirit of traditional culture. These symbols and the spirit behind them are what Lü Shengzhong called ›soul‹. To summon the soul and to be accepted by the contemporary art field is to fill the void created by the West.« Aus: Li Xianting. 2005, S. 30. 316 | Wu Hung. 2000a, S. 2. 317 | Dies ist ein Begriff, den Wu Hung verwendet, den ich allerdings problematisch finde, weil die traditionell chinesische Vorstellung, dass sich die Welt zwischen yin und yang generiert, das »Ontologische«, das von geschlossenen Wesen ausgeht, konterkariert. 318 | Wu Hung. 2000a, S. 3. 319 | Christopher W. Mao sieht hier eine Verbindung zur buddhistischen Praxis: »Although Lu Shengzhong is not a practicing Buddhist, certain aspects of his approach have much in common with Buddhist practices. Thus the repetitiveness of his work may recall the importance given to the repetition of prayers and actions in Mahayana Buddhism. In Mahayana Buddhism the reduplication of Buddha images aquired a mystical efficacy and Halls of a Thousand Buddhas reinforced the worshippers’ faith through sheer repetition.« Aus: Mao, Christophe W. 2004, S. 13.
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Die Begeisterung für den Scherenschnitt als Ausdrucksmittel hängt bei Lu Shengzhong eng mit einer intensiven Selbsterfahrung zusammen, die er im Kontakt mit der bäuerlichen Bevölkerung bei seinen Aufenthalten auf dem Land gemacht hat. »Field trip to Shaanbei. It was not beneficial in the common sense of the word. It not only changed my attitude toward life. To be more precise, I found what is called ›self‹. I knew clearly that ›I‹ am small, but I also knew clearly that ›I‹ exist.«320 Wiederholt hat Lu in diesem Zusammenhang die Aussage einer alten Bauersfrau erwähnt, die auf die Frage, an was sie denke, wenn sie Scherenschnitte herstellt, zur Auskunft gab: »nothing, there is really nothing in mind.«321 Lu Shengzhongs künstlerisches Anliegen ist nicht die objektivierende und die Welt stellvertretende Repräsentation, sondern vielmehr die Präsenz des Selbst in der Welt, was impliziert, dass sein Selbstverständnis als Künstler nicht das eines Schöpfer-Subjekts, sondern vielmehr das des Welt-Vermittlers ist.322 »The ›empty world‹ that I experience when cutting paper is beyond ethnicity, region or social structure. This world is as big as the universe, and as small as I am.« Um die Vermittlung nicht zu blockieren, lehnt Lu die Trennung zwischen den Bereichen Kunst und Leben ab und versucht darüber hinaus, die Trennung zwischen Geist und Körper zu minimieren. Seiner eigenen Aussage nach geht es ihm um Kontaktaufnahme mit der Seele, das heißt mit einer Welt jenseits des Sichtbaren: »However materialism and lack of concern for the world beyond the here and now have left modern man spiritually and mentally damaged. […] However, as I cut paper with my scissors and separate the shapes that result from my activity, I am making a statement against the separation of soul and body in contemporary thought. Summoning the detached forms of the souls so that they can be reunited with their bodies can be compared to the juxtaposition of positive and negative forms or the perfect coexistence of the curves of yin and yang. From the beginning I felt an inner obligation to understand this simple yet, complicated mission.«323 Wiederkehrendes Motiv in Lus künstlerischen Arbeiten, insbesondere in der Serie Summoning Souls,324 ist ein abstrahiertes kleines rotes Männchen (little red 320 | Lu Shengzhong. 2005, S.11. 321 | Lu Shengzhong. 1996, S. 205. 322 | Die Quelle für dieses künstlerische Selbstverständnis des Mittlers hat Ähnlichkeiten mit dem eines Schamanen und hat laut Li Xianting seine Quelle in schamanistischen Ritualen: »In the case of Lü Shengzhong, the memory of the ceremony of summoning the soul in his childhood as well as his study of the rituals of folk art during his field research inspired him to try to act as a shaman in his own artworks, in order to recreate the mystery shared by art of the remote past and shamanism.« Li Xianting. 2005, S. 31 323 | Lu Shengzhong. 1996, S. 205, zitiert nach Wu Hung. 2000a, S. 6. 324 | »Lü first made works involving Little Red Figures cut from paper in 1985. The title of his first work was At the Union of Heaven and Earth, All Life were Born. After that, he has commonly titled this Little Red Figure works Calling the Soul, which, he said, was inspired by
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Abb. 29: Lu Shengzhong, Calling Home the Soul of the Dead Hall (zhao gui tang), Installation, 1990
Quelle: Ausst.-Kat. On the Edge. Contemporary Chinese Artists Encounter the West. Erickson, Britta (Hg). 2005. Stanford.
figure), das seine Glieder so, als wolle es Himmel und Erde berühren, symmetrisch von sich streckt (Abb. 29).325 Nach Li Xianting war diese Figur ein gängiges Fruchtbarkeitssymbol in schamanistischen Ritualen.326 Nach Lus eigener Aussage handelt es sich bei dieser Kreatur nicht um seine eigene Erfindung, sondern um eine als universell zu bezeichnende Formgebung, die sich in unterschiedlichsten frühen Kulturen findet und als Selbstportrait für die Entwicklung eines frühen Selbstbewusstseins steht.327 Bei Lu repräsentiert das rote Männchen zum einen den
the poet Du Fu’s lines: ›warm water washes my feet/paper cutting calls my soul‹.« Aus: Gao Minglu. 2005b, S. 41. 325 | Lu Shengzhong. 1996, S. 205. 326 | »[…] the original form of the Little Red Figure was as a symbol commonly used in shamanism, similar to the paper-cut figures used to summon souls, the zhuaji dolls used to express the desire of having children, and the paper-cut human forms used in weddings and funerals, and for all kind of festivals.« Li Xianting. 2005, S. 32. 327 | Lu Shengzhong. 1996, S. 205. »The little red figure can be traced back to Neolithic times, to the ancient painted pottery of the Yangshao Culture and bronze works with similar small figures in silhouette. He might represent man himself, or the ancestors, or tribal chiefs or shamans, or, most probable, the totemic gods. According to Lu Shengzhong’s research similar figures exited in Egypt, the Middle East, and Europe as well. The ancient siginificance (usually used for happy occasions and blessings) of these figures is still widely recognized throughout China.« Aus: Gao Minglu. 2005b, S. 41.
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Künstler selbst,328 steht aber darüber hinaus für das Leben an sich sowie für die Menschlichkeit.329 Die frühe Installation Maze Walk (Abb. 30),330 die er 1988 in der Ausstellung Paper-cut Art Show zeigt, besteht aus einem großen Wandbild, das so lang ist, dass es sich am Boden zu einer Art »Teppich« fortsetzt und so in den Raum hineinragt. Es zeigt eine Art Labyrinth, das in seiner Form dem traditionellen zhuanjiuqu Spiel gleicht, was mit großer Sicherheit auch gewollt ist. Er selbst sagt über dieses Spiel, von dem er eine hohe Meinung hat: »The traditional zhuanjiuqu is a very philosophical game. It tells me clearly what life is about. Finishing walking jiuqu (nine turns) means ›walking ten thousand li is better than reading ten thousand volumes of books‹. A lot of college students and graduate students do not necessarily know this. People in Shanbei play this game every year. I can say they really understand life.«331 Diese Aussage scheint in chichu visualisiert zu sein, zeigt doch das Wandbild nicht nur die labyrinthischen Strukturen des zhuanjiuqu Spiels, sondern dieses weist in seinen »Gängen« Fußspuren auf, die aufgrund der ihnen teilweise aufgeklebten Augenpaare auf den Gehalt der über das Visuelle hinausgehenden Erfahrung des Spiels hinweisen könnten. Einem Altarensemble gleich, zwei Säulen des Ausstellungsraumes mit einbeziehend, befinden sich neben dem zentralen Wandbild tryptichonartig weitere, mit den Kanten des mittleren Hauptbildes abschließende, aber etwas schmalere Bilder. Es ist auf den vorliegenden Abbildungen schwierig zu erkennen, ob es sich um gemalte oder ausgeschnittene und dann aufgeklebte Motive oder um eine Kombination handelt.
328 | »I am not myself, but I am holding my Little Red Figures and standing among the infinite number of human beings who have existed from ancient times until now.« Aus: Li Xianting 2005, S. 32, zitiert nach Lu Shengzhong. Diese Aussage betont seine Zugehörigkeit zur Spezies Mensch, als kulturelles Wesen, und kontextualisiert ihn zugleich in der Geschichte, also auch der Tradition. Eine weitere Interpretation ist die folgende:»In its splendid eruption, the Red Soul implies the origin og life and take refuge in Dao. From the naive and innocent to the intertwinement of sorrow and joy in the human world, in a moment the signifying individual breaks into myriad beings.« Yin Jinan. 2005, S. 25. 329 | Vgl. hierzu auch: »He sees the figures as ›a self portrait of the human race and mirror to remind people of the importance of cultivating one’s morality and maintaining a cool head on the way to the abyss of civilization.« Aus: Gao Minglu. 2005b, S. 41 zitiert nach Lu Shengzhong, »the Story of the Little Red Figure« 2003, S. 6–7. 330 | Lu Shengzhong. 2005, S. 18. 331 | Lu Shengzhong. 2005, S. 11–12.
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Abb. 30: Lu Shengzhong, Maze Walk (xing), Installation, 1989
Quelle: Ausst.-Kat. China’s New Art, Post 1989. Chang, Johnson (Hg.). 1993 (2001 Ausgabe). Hanart TZ Gallery. Hongkong
Lus Installationen verbreiten eine sakrale Stimmung und sollen eine entsprechende Wirkung auf den Betrachter haben.332 Wu Hung beschreibt die Installation von 1988 in der Nationalgalerie folgendermaßen: 332 | Dies trifft auf seine späteren Installationen ab den 1990er Jahren in noch stärkerem Maße zu, als die ›kleinen roten Männchen‹ zunehmend ganze Räume ausfüllten. »Since the 1990s, when he first cut his own self-portrait as a Little Red Figure, Lu Shengzhong has imbued is art with a modern spirit. In the exhibition hall at the high school attached to the Central Academy of Fine Art Lü Shengzhong exhibited Calling the Soul. Thousands of red figures cut in various sizes were clustered at the center of the ceiling and streamed down from
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Abb. 31: Eingangsportal der Nationalgalerie in Peking mit No- UTurn Postern während der Ausstellung China/Avantgarde 1989
Quelle: Ausst.-Kat. China Avantgarde. 1993. Haus der Kulturen der Welt. Berlin.
»[Lu] transformed the National Art Gallery into a temple filled with totem like images, footprints suspended in mid-air and silhouette patterns accompanied by illegible writing.«333 Lus Anliegen ist es, in seinen Installationen die Trennung zwischen Leben und Kunst aufzuheben, indem er an die Funktion der Volkskunst, die immer als Teil des Lebens (und seiner Feste) verstanden wird, anknüpft und diese Inspiration an die Betrachter seiner Kunst weitergeben möchte. Im Unterschied zu seinen Zeitgenossen vertritt Lu eine humanistisch-idealistische Haltung, die das persönliche Glück eines Menschen dadurch definiert, dass er seinen Platz in der Welt gefunden hat. Die Entfremdung in der zeitgenössischen Welt empfindet er als Unglück und sucht »Erlösung«, indem er spirituelle Erfahrungen aus der Volkskunst, die in der Regel im Kontext des Ahnenkults den Volksglauben medialisiert, für die zeitgenössische Kunst fruchtbar macht. Während zum Beispiel Xu Bing, aber auch die »Teich-Gruppe« mit ihren Installationen und installativen Aktionen ein nach außen gerichtetes, aktives Betrachter-
there.« Aus: Gao Minglu 2005b, S. 41. »In some of his works the Little Red Figures expand to fill the entire site and transform it into a three-dimensional installation. This aspect is very similar to the banners used in shamaistic rituals for the purpose of creating a mysterious atmosphere, or the red and green decorations hung in the streets and alleys for festivals and special occasions.« Aus: Li Xianting 2005 S. 33. 333 | Aus: Wu Hung. 2000a, S. 2.
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subjekt fordern, so ist das Subjekt bei Lu introvertiert und auf Rückzug und Innenschau gepolt, um sich mit der eigenen Existenz auseinanderzusetzen.
8.3 Installationskunst im Kontext der Ausstellung »China/Avantgarde« 1989 Mit der Ausstellung »China/Avantgarde«,334 die am fünften Februar 1989 in der offiziellen Institution der Nationalgalerie in Peking eröffnete (Abb. 31), wurde Installationskunst in China das erste Mal über die Grenzen einer eingeweihten Gruppe von Künstlern und Intellektuellen hinaus einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.335 Konzipiert als retrospektiv angelegte Überblicksschau der 85er Bewegung,336 versammelten die hauptverantwortlichen Kuratoren Gao Minglu und Li Xianting nach eigenen Angaben künstlerische Arbeiten von allen repräsentativen Vertretern dieser Kunstbewegung.337 Indem sie die Ausstellung in die thematischen Sektionen »Ins334 | Der chinesische Ausstellungstitel lautet Zhongguo Xiandai yishu zhan, was übersetzt so viel bedeutet wie »Chinas Moderne Kunst Ausstellung«. In einem Interview gibt Fei Dawei als einer der Organisatoren der Ausstellung »China/Avantgarde« Auskunft darüber, warum der chinesische Titel vom englischen differiert: »Der chinesische Titel der Ausstellung ›Ausstellung zeitgenössischer Kunst in China‹ ist eine relativ zurückhaltende Formulierung, während der Titel ›China/Avantgarde‹ eine offene kämpferische Haltung bezeugt und unsere Entschlossenheit ausdrückt, mit der alten bewahrenden Kultur zu brechen; er propagiert unseren Wunsch, Teil der aktuellen weltweiten Kunstströmung zu werden.« Aus: Fei Dawei. 1991c, S. 53. In diesem Kontext ist auch das Logo der Ausstellung, »No U-turn«, zu verstehen, das bildhaft veranschaulicht, dass ein Umkehren nicht mehr möglich ist. Ferner: Bei Hans van Dijk ist über den Ausstellungstitel Folgendes zu lesen: »Es scheint als hätten sie den chinesischen Titel der Ausstellung mit Bedacht gewählt: Chinesische Moderne Kunst, statt Moderne chinesische Kunst; nicht nur um dem Vorwurf der Verwestlichung zuvorzukommen, sondern auch, weil einige von ihnen offensichtlich der Meinung waren, dass moderne Kunst in China auch als eine unabhängige Entwicklung neben der internationalen modernen Kunst betrachtet werden sollte.« Aus: van Dijk, Hans. 1993, S. 32. 335 | Informationen zur Vorbereitung der Ausstellung siehe Wu Hung. 1999a, S. 19. Gao Minglu. 1991b, S. 178 f., Solomon, Andrew. 1993, S. 2, Gu Chengfeng; Jia Fangli. 2003, S. 76. 336 | Die Ausstellung war sowohl Höhepunkt, als auch Abschluss der »85er Bewegung«: Wu Hung schreibt in diesem Zusammenhang: »[…] But when the show, known as China/Avantgarde, finally took place two and a half years later; there was little feeling of celebration; instead the exhibition was inspired by the sense of a final struggle. […] The feeling of tragic heroism was closely related to the political situation of the time. A heightening pro-democrary movement was preparing itself for a major confrontation with the party’s hardliners, and no on could predict the outcome of the struggle. Aus: Wu Hung 1999a, S. 19–20. 337 | Andrews, Julia. 1993a, S. 119. Gezeigt wurden insgesamt 297 Kunstwerke von 186 Künstlern.
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tallationen, Performance und Pop Art«, »Erhabene religiöse Atmosphäre«, »Absurdität und Rationalität«, »Gefühlen und Leiden Ausdruck verleihen«, »Reaktionen gegen die 85er Bewegung« (wie zum Beispiel Reinigung von Konzepten und Tuschemalereien) einteilten,338 war es ihr Anliegen, die 85er Bewegung in ihrer gesamten Breite vorzustellen.339 Nach langen Kämpfen war es gelungen, die Avantgarde-Kunst in die heiligen Hallen der Nationalgalerie zu bringen, um ihre Berechtigung auf diese Weise auch offiziell zu manifestieren.340 Wen Pulin, Künstler und wichtigster Videodokumentarist der chinesischen Performancekunst seit ihren Anfängen, äußert sich in diesem Kontext folgendermaßen: »Their [the artists; B. H.] efforts and dreams in the eighties were being realized, contemporary art had finally marched into the grand palace, and they felt boundless pride.«341 Eine Kontroverse entzündete sich zwischen den Hauptkuratoren der Ausstellung, Gao Minglu und Li Xianting, hinsichtlich der Integration von Performancekunst, die von der offiziellen Seite nicht erwünscht war. Während Gao, dessen Ausstellungskonzept die historische Dokumentation der 85er Bewegung betonte, sich offiziell durchsetzte, indem er der offiziellen Seite das Zugeständnis machte, keine Live-Performances während der laufenden Ausstellung zu genehmigen und stattdessen nur Fotodokumentationen zurückliegender Performances auszustellen, war es Li Xiantings342 Anliegen, die Aktualität und den experimentellen Charakter der
»A number of works were reproduced in Zhang Songren (Johnson Chang) ed. Zhongguo xiandai yishuzhan (China Avantgarde) Peking 1989 (foreword Gao Minglu)«. Aus: Sullivan, Michael. 1996. S. 274. 338 | »1. installations, performance and pop art 2. religious sublime atmosphere 3. absurdity and rationality (the cold trend) 4. venting of emotions, suffering etc. (the hot trend), 5. reaction against the current 85 (including works of the purification of concepts and ink-wash painting)« Aus: Welsh, Eduardo. 1999, S. 170, zitiert nach Li Xianting »Written on the Opening of the China Modern Art Exhibition« Zhongguo Meishibao 6/1989:1. 339 | In der Zeitschrift Meishu wurde im April ein Streiflicht über den chronologischen Ablauf der Ausstellung veröffentlicht. Siehe: Cao Xiaoou. 1989, S. 5 ff. 340 | Zu Fragen des Ortes und der Finanzierung siehe auch: Gao Minglu. 1991b, S. 178–179, Sullivan, Michael. 1996, S. 274. 341 | Wen Pulin. 2007, keine Seitenzahlen. 342 | »The fact that the exhibition was to become a retrospective, that the organisers had to accept restrictions ›no erotic art and no performance‹, and that to enter the national art museum the avant-garde was in danger of conforming, worried the curator Li Xianting. It would drain the exhibition of contemporary relevance and effectively make a statement that the whole movement was now a thing of the past.« Aus: Welsh, Eduardo. 1999, S. 170.
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zeitgenössischen Kunstpraxis zu betonen und aus diesem Grund auch während der Ausstellung performative Aktionen zuzulassen.343 Trotz des offiziellen Verbots fanden während der Eröffnung der Ausstellung mehrere Performances statt,344 die in die Geschichte der chinesischen Gegenwartskunst eingegangen sind.345 Unter den insgesamt nahezu 300 künstlerischen Arbeiten befanden sich auch Installationen.346 Am meisten Aufsehen erregte die performative Installation Dialog (duihua) (Abb. 32–33) von Xiao Lu (geb. 1962). Die Installation besteht aus zwei echten Telefonzellen, deren Glastüren von innen mit Fotofolien in Form eines links weiblichen und rechts männlichen, sich im Telefongespräch befindenden Menschen in Rückenansicht beklebt sind. Zwischen den beiden Zellen ist vor einer verspiegelten Wand mit rotem (Faden-)Kreuz auf einem weißen Sockel ein rotes Telefon 343 | Gao Minglu und Li Xianting standen für verschiede konzeptuelle Ausrichtungen der Ausstellung: »The organizers were by no means of one mind about the aims of the show. Li Xianting who insisted that it should be an instrument to ›pound society,‹ actually came to blows with Gao Minglu, who wanted to present the strands of Chinese modernism in a logical historical sequence.« Aus: Sullivan, Michael. 1996, S. 274. 344 | Wen Pulin kommentiert dies folgendermaßen: »In such an unprecedented revolutionary show, the absence of the revolutionary performance art which was still in embryonic stage was a shame. I understand the curators and organizers very well; they have conducted meticulous preparation for the exhibition. It was already a big success for this kind of exhibition to occur; besides, they don’t want to risk the complications. […] The performance artists were never invited to the exhibition by the committee, and they belong to supernumerary. However, it was just their ›sudden appearance‹ that made the exhibition left endless recalling and savored topics. American used ›Egg hatching‹, Gun shots, and Condoms to describe the exhibition 1989, and now we know how accurate and vivid it was, and it points out the newest features and extended meaning of the exhibition. In fact everything is complementary, if those seven performances did not show in the historical show, their effects and influences would decline relatively. However, the history brought up them, and they created the history. […] The ›Sudden Participation‹ of those seven performances made people reconsider the spirit and coordinates of contemporary art.« Huang Lianyuan. 2007, keine Seitenzahlen. 345 | Da dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde, ist die ausführliche Behandlung der Performances im Kontext der Ausstellung »China/Avantgarde« nicht möglich. Ausführliche Informationen finden sich in: Wen Pulin »The Seven Art Performances on the 89’ Contemporary Art Exhibition« 2007. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es sich um folgende Performances handelt: Wang Langs Verkleidungsaktion in eine Figur aus dem Roman von Jin Yong »Condolences« von der WR Gruppe aus Datong Shanxi, Wu Shanzhuan »Big Business«, Li Shans »Fußwaschung«, Wang Derens »Kondomperformance«, Zhang Nians »Brüten von Eiern«, Xiao Lus und Tang Songs »Pistolenschüsse«, Liu Anpings »Bombendrohung«. Siehe auch Welsh, Eduardo. 1999, Gao Minglu. 1999, Gao Minglu. 2005a, Berghuis, Thomas. 2006. 346 | Vgl. Fei Dawei. 1991c, S. 26
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Abb. 32–33: Xiao Lu, (mit Tang Song), Dialog (duihua), Installation und Pistolenschussperformance, 1989
Quelle: Ausst.-Kat. `85 New Wave the Birth of Chinese Contemporary Art. Opening Exhibition of the Ullens Center for Contemporary Art Beijing 798. 2008. Peking.
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platziert, dessen Hörer herunterbaumelt. Ihre eigentliche Brisanz und die daraus resultierende Bedeutung für die Geschichte der chinesischen (Installations-)Kunst erhielt die Arbeit durch Xiao Lus Pistolenschuss-Performance.347 Zusammen mit ihrem damaligen Freund Tang Song hielt sie sich am Eröffnungstag in der Nähe der Installation auf und holte plötzliche eine Pistole hervor, die sie unter ihrem Mantel versteckt gehalten hatte, um damit zwei Schüsse abzufeuern.348 Laut Michael Sullivan empfand Xiao Lu ihre Arbeit vor der Schussperformance als unvollständig: »One of its creators, Xiao Lu – feeling that her work was incomplete, that it lacked ›destructive energy‹ – walked in on the first day, drew a pistol and shattered the mirror with two shots, claiming that only by this act of destruction could the work be said to be ›complete‹.«349 Die Interpretationsmöglichkeiten der Arbeit sind vielfältig. So könnten die Schüsse entweder symbolisch der Menschenmenge gegolten haben, die sich im Spiegel hinter dem roten Telefon an der Wand spiegelt, oder sie führen vor, was dem Menschen widerfahren ist, so suggeriert es der herabbaumelnde Telefonhörer, dessen Telefongespräch gewaltsam unterbrochen wurde. In der Tat transportiert Xiao Lus performative Installation die aufgeladene und aggressive Stimmung der damaligen Zeit. Laut einiger Kommentatoren können Xiao Lus Schüsse sogar als Vorboten der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen verstanden werden. Oder die Performance ist als Xiao Lus symbolischer Selbstmord zu verstehen, zielten ihre Schüsse doch auch auf ihr eigenes Spiegelbild. Laut Aussagen der Künstlerin und ihres Partners Tang Song ist die performative Arbeit Dialog Ausdruck ihres Einsatzes für die Freiheit der Kunst, für eine Kunst abseits politischer Funktionalisierung. Eduardo Welsh zitiert Xiao Lu und Tang Song, die ihre Aktion mit den folgenden Worten kommentieren: »As the parties concerned in the ›shooting incident‹, we consider that it was an event of pure art. We think that art itself is something which contains an artist’s different kind of understanding society, but as artists we are not interested in politics, what we are interested in is the value of art itself and of using a certain kind if suitable means to carry out a process of creation and understanding.«350
347 | In Konsequenz führte dieser performative Schuss dazu, dass der Installationskunst in China seitdem für lange Zeit ein subversiver Ruf anhaftete. Noch im Jahr 2005 waren in der offiziellen Ausstellung der »Beijing Biennale«, die übrigens in der Nationalgalerie stattfand, keine Installationen erlaubt. Offiziell lautete die Begründung, dass das chinesische Publikum Installationskunst nicht verstehen würde, tatsächlich aber fürchtete man ihr subversives Potential. 348 | Vgl. Wen Pulin. 2007, keine Seitenzahlen. Wen verstand diese Schüsse als schlechtes Omen und sollte Recht behalten: »For me those gunshots were the signals for an earthquake.« 349 | Sullivan, Michael. 1996, S. 275. 350 | Welsh, Eduardo. 1999, S. 172.
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Infolge der »Pistolenschuss-Performance« wurde die Ausstellung vorübergehend geschlossen und Xiao Lu und Tang Song wurden für zwei Tage in Polizeigewahrsam genommen.351 Institutionskritik war das wiederkehrende Thema in der »China/Avantgarde Ausstellung«. Wenngleich viele Künstler stolz darauf waren, ihre Werke in den heiligen Hallen der offiziellen Kunstinstitution Nationalgalerie zeigen zu dürfen, fürchteten viele Künstler, gerade weil sie sich bisher in Opposition zur offiziellen Seite definiert hatten, um die Wirkkraft ihrer Kunst durch institutionelle Instrumentalisierung, das heißt Vereinnahmung durch die offizielle Sphäre gebracht zu werden. Obwohl auch Huang Yongpings Beiträge in der Ausstellung als Institutionskritik zu verstehen sind, so setzte er sich nicht nur mit seiner oppositionellen Stellung als experimenteller Künstler auseinander, sondern interessierte sich grundsätzlich für die dem (Kunst-)System immanenten Machtstrukturen. Zusammen mit seinen Xiamen Dada-Kollegen wollte er mit der Arbeit Drawing the National Gallery Away (touzou zhongguo meishuguan) (Abb. 34) auf die Machtstrukturen, die mit offiziellen Institutionen verbunden sind, aufmerksam machen. Ihr Plan sah vor, das Gebäude der Nationalgalerie buchstäblich mit einem Dreirad von seinem ursprünglichen Platz zu verschieben. Wie nicht anders zu erwarten, wurde dieses Projekt, als sie es 1988 beim Organisationskomitee der »China/Avantgarde Ausstellung« einreichten, abgelehnt.352 Grundsätzlich muss an dieser Stelle gesagt werden, dass die Auseinandersetzung mit (institutionellen) Machtstrukturen ein wiederkehrendes Thema in Huang Yongpings Arbeit ist. Er selbst äußert sich zum Thema »Macht und Kunstausstellungen« in seinem Essay »Art/Power/Discourse« folgendermaßen: »How is it possible to run away from power when mounting an exhibition of artistic form in a museum? How is it possible to enter a predesignated arena of power without taking part in the struggle? What we want is to subvert the museum. Yet is the goal of deliberately causing an exhibition to be canceled to reveal the existence of power, or is it to use it to reach another type of power – that is, by becoming the subject of ›more‹ talk, and not only the subject of talk? Power is increasingly acknowledged and af firmed as talk about it multiplies.«353
Huang Yongping scheint am Ende explizit an Xiao Lus und Tangs »PistolenschussPerformance« sowie an Liu Anpings »Bombendrohung« Kritik zu üben. Während 351 | »Xiao Lu, daughter of the extremely embarrassed director of the Zhejiang Academy was held in police custody for two days and then released, although the authorities refused to allow any more performances. The exhibition was allowed to continue but was closed down after a few days«. Aus: Sullivan, Michael. 1996, S. 275. 352 | Vgl. Gao Minglu. 1999, S. 136 und Hou Hanru. 2005. 353 | Huang Yongping. [1989], 2005, S. 86.
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Abb. 34: Huang Yongping, Drawing the National Gallery Away (touzou zhongguo meishuguan), Installationsskizze, 1989
Quelle: Ausst.-Kat. House of Oracles. A Huang Yong Ping Retrospective. Philippe Vergne; Doryun Chong (Hgs.). 2005. Minneapolis
die Ausstellung nach Lus und Tangs Performance wieder eröffnet wurde, blieb die Schau nach Lius performativ verstandener fingierter Bombendrohung endgültig geschlossen. Im Kontext der bereits zitierten Aussagen Huang Yongpings über das Verhältnis von Macht und Kunst sei an dieser Stelle folgendens Zitat hinzugefügt: »The concept of the creativity of the artist must time and again be dried up because it represents the last drop of romanticism. The impossible existence of creativity does not refer to the ›inevitable influence of tradition‹ as is usually thought, rather it refers to the impossible existence of autonomous creativity.«354 Eine zentrale Installation in der »China/Avantgarde Ausstellung« war Xu Bings Himmelsbuch.355 Gao Minglu schreibt über die besondere Wirkung des Tianshu in der Ausstellung: »Its calm, scholarly atmosphere and traditional appearance had the effect of a bucket of cold water poured on the avant-garde camp’s overblown passionate expressions of human emotion and their aggressive search for new forms. It also posed a kind of conundrum for Chinese-avantgarde artists, which were both surprised and confused by the work.«356 Mit einer Unterbrechung aus dem oben erwähnten Grund lief die Ausstellung zwei Wochen lang und wurde endgültig geschlossen, nachdem eine anonyme Bom354 | Ebd., S. 87. 355 | »Xu Bings Tianshu was displayed as a centrepiece.« Aus: Erickson, Britta. 2001a, S. 40. 356 | Gao Minglu. 2003a, S. 10.
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bendrohung ausgesprochen worden war, als deren Urheber später der Künstler Liu Anping identifiziert wurde. Nach der »China/Avantgarde Ausstellung« verfolgte die Regierung eine wesentlich restriktivere Kulturpolitik. Das Kulturministerium führte eine strenge Zensur für öffentliche Kunstausstellungen ein, die von nun an gesetzlich vorschrieb, dass alle Kunstwerke vor ihrer öffentlichen Präsentation einer staatlichen Stelle vorgelegt werden müssen. Über die beiden Kuratoren der Ausstellung »China/Avantgarde« Li Xianting und Gao Minglu wurde im Zuge dieser neuen Politik ein Ausstellungsverbot von zwei Jahren verhängt. Ebenso wurde verfügt, dass wichtige Kunstzeitschriften ihre Arbeit einstellen müssen.357
9. STUDENTENPROTESTE UND DEREN GEWALTSAME NIEDERSCHLAGUNG AUF DEM PLATZ DES HIMMLISCHEN FRIEDENS Viele der Avantgarde-Künstler schlossen sich den Studentenprotesten358 für Demokratie auf dem Platz des Himmlischen Friedens an, was unter anderem daran sichtbar war, dass das Symbol der »China/Avantgarde Ausstellung«, No-U Turn, auf dem Tiananmen Platz auftauchte.359 Nach der blutigen Niederschlagung der Proteste am 4. Juni 1989 war das (kultur-)politische Klima eisig. Im Rahmen einer erneuten »Kampagne gegen geistige Verschmutzung« griff die staatliche Zensur brutal durch. Im August 1989 waren bereits 12 Millionen Bücher, Magazine und Videobänder konfisziert worden. Im Dezember wurde die »Neue Welle«-Kunst, das heißt die Kunst, die der 85er Bewegung zugerechnet wird, vom Zentralkommittee als tot, negativ und anti-sozialistisch erklärt.360
357 | »Art publications suffer as well. In January, Fine Arts in China [Zhongguo Meishu Bao], which played an important role in the avant-garde movement, is closed by authorities. In September, the most popular art journal, Art Monthly, which had devoted considerable attention to the ’85 Movement, is restaffed with conservatives. One of its editors, Gao Minglu, is ordered to stop all editorial work and spend time at home studying Marxism.« Aus: Gao Minglu. 1991a, vgl. auch auch Erickson, Britta. 2001a, S. 40. 358 | In einem Klima der allgemeinen Unzufriedenheit unter Studenten, Intellektuellen und Künstlern, das unter anderem aus der zunehmenden Korruption resultierte, war der Auslöser für die Demonstrationen der Tod des Reformpolitikers Hu Yaobang, der 1987, als er die Studentenproteste unterstützt hatte, seiner Ämter enthoben worden war. Vgl. Welsh, Eduardo. 1999, S. 175 359 | Vgl. Ausst.-Kat. Another Long March 1997, S. 19, van Dijk, Hans. 1993, S. 33. 360 | »With the crushing of the Tiananmen demonstration, night descended. On July 10th, the propaganda department of the Central Committee launched the first of a mounting series of attacks on bourgeois liberalization. A week later book banning intensified. On July 20
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Nach den Ereignissen auf dem Tiananmen Platz standen Künstler und Intellektuelle unter Schock. Nicht nur schien jegliche Hoffnung auf Modernisierung und Demokratisierung für immer zerstört, sondern damit einhergehend auch ihr bisheriges Selbstverständnis und die Legitimation ihrer Kunst, denn ihre künstlerische Arbeit hatte in den 1980er Jahren in erster Linie der (demokratischen) Modernisierung Chinas gegolten. »The immediate post-Tiananmen years 89–92 saw the collapse of the lively and multi-voiced intellectual space of the late 80s. For those still nostalgic for the euphoric New Era, the 1990s started as depressing, bleak and disoriented.«361 Einzelne Künstler, allen voran Xu Bing, wurden von offiziellen, der Regierung nahestehenden Stimmen362 verstärkt unter Druck gesetzt.363 Viele der Avantgarde-Künstler, so zum Beispiel Xu Bing,364 Gu Wenda und Wu Shanzhuan entschieden sich, China den Rücken zu kehren, und wanderten in die Vereinigten Staaten von Amerika oder nach Europa aus, andere zogen sich von der Öffentlichkeit ins Private zurück. there were mass arrests. In December the Central Committee denounced the New Wave in Chinese art as ›dead, negative, anti-socialist.‹ A planned exhibtion by young Beijing artists was banned.« Aus: Sullivan, Michael. 1996, S. 277. Zu den Konsequenzen der Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen Platz und deren Auswirkungen auf das Ausstellungswesen in China siehe: Wu Hung. 2000b. S. 278: »By December 1989 the party had established almost complete control over art publications and exhibitions and had dismissed or muzzled progressive critics. Politics was once more in command. In June 1990 the official organ Wenyibao carried an article by Yang Chengyin denouncing the ›New Wave‹ of the 80s, which he claimed had reached a dead end. The July 1991 issue of Meishu exhorting artists to uphold socialism ran a lead article on Mao’s long forgotten Yanan talks of 1942«. 361 | Zhang Xudong. 2001, S. 14. 362 | »Danach [nach 1989; B. H.] startete die Kunstpresse einen großangelegten Angriff auf die Kunstbewegung 85, der bis 1991 andauerte. Die Zeitschrift Kunst (meishu) war voll von Artikeln, die an nationalistische Gefühle und verletzten Nationalstolz appellierten« Aus: Van Dijk, Hans. 1993, S. 33. 363 | In diesem Kontext ist der Angriff auf Xu Bing zu sehen. »Seeking a wheeping boy within the avant-garde milieu, the government settled on Xu Bing and his Book from the Sky, which artists and critics had widely and publicily ordained as the definitive work of the New Wave […]. Yang Chengyin progressed to vilifying (diffamieren) Xu Bing’s ›Book from the Sky‹ as encapsulating all the negative qualities of the movement in general.« Erickson, Britta. 2001a, S. 40–42. 364 | Reaktion von Xu Bing in Reaktion auf diese Anfeindungen: »Xu Bing completes his installation project, Ghosts Pounding the Wall (1990) (Abb. 35), a series of rubbings from the Jinshanling section of the Great Wall in Hebei Province. The work was two years in the making, and involved more than 100 assistants, 1,500 pieces of paper, and 300 bottles of ink. The combined rubbings total 1,500 meters. After this project, Xu Bing moves to the United States.« Aus: Gao Minglu. 1991a, keine Seitenzahlen.
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10. DIE 1990ER JAHRE: AUSBAU DER ÖKONOMISCHEN REFORMEN UND DEREN AUSWIRKUNGEN AUF PRODUKTION UND REZEPTION DER CHINESISCHEN GEGENWARTSKUNST – SOZIOPOLITISCHE KONTEXTUALISIERUNG Ein kluger Schachzug der Regierung, um das Volk nach den Aufregungen im Zuge der Niederschlagung der Demokratiebewegung erfolgreich zu besänftigen, war der weitere Ausbau der bereits 1979 begonnenen wirtschaftlichen Reformen. Diese führten zu neuen, vor allem ökonomische Freiheiten, die sich insbesondere aus den neuen Wohlstandsmöglichkeiten ergaben. Seit den 1990er Jahren wurde die Ökonomisierung Chinas, die bereits seit Beginn der Post-Mao-Ära, der sogenannten »Neuen Ära« (xin shiji ca. 1977–89), in Abkehr von Mao Zendongs Kulturalismus durch Deng Xiaoping implementiert worden war, weiter vorangetrieben365 und der damit programmatisch verbundene neue Pragmatismus implementiert.366 Auf dem 14. Parteitag 1992 (Fourteenth Congress of the Chinese Communist Party) wurde der Begriff der »Sozialistischen Marktwirtschaft« eingeführt und somit die enge Verflechtung von Ökonomie und politischem Programm festgelegt. Obwohl sich China auf dem Papier bis heute als sozialistischer Staat bezeichnet367 und politische Reformen eine vergleichsweise geringe Rolle spielen, so wurde damals der neue und bis heute gültige Weg eines neuen marktwirtschaftlichen Chinas beschlossen, das spätestens seit dem WTO-Beitritt 1999 auch Teil des globalen kapitalistischen Systems ist.368 Zugespitzt formuliert haben sich seit 1992 alle Lebensbereiche in China ökonomischen Prämissen unterzuordnen. Mit seiner Reise in den Süden des Landes und dem Besuch der ersten Sonderwirschaftszone Shenzhen verlieh Deng Xiaoping dieser neuen Richtung symbolisch besonderen Nachdruck.369
365 | »The renewed and intensified economic reform known as marketization (shichang hua) after 1992 […]« Aus: Zhang Xudong. 2001, S. 1. 366 | Programmatisch ist in diesem Zusammenhang der Ausspruch von Deng Xiaoping: : »It does not matter whether it is a black cat or a white cat. It is a good cat if it catches mice.« Aus: Lu, H. Sheldon. 2001, S. 9. 367 | »According to the official line of the Communist Party, Chinese society is in the primitive stage of socialism« Aus: ebd., S. 8. 368 | Detaillierte Informationen zu den wirtschaftlichen Entwicklungen in China seit Beginn der 1990er Jahre siehe: ebd. 369 | »In the light of the emergence of an economically based nationalism, one may agree that 1992, not 1989 is the true watershed year in post-Mao Chinese history. After Deng toured the southern provinces to give his reform programs a final push, the state took the lead in an all-out embrace of market and global capital. That embrace finalized and consolidated the mode of socioeconomic change since 79 and legitimized an irreversible separation between the political and social spheres.« Aus: Zhang Xudong. 2001, S. 342.
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Abb. 35: Xu Bing, Ghosts Pounding at the Wall (gui da qiang), Installation, 1990
Quelle: Ausst.-Kat. On the Edge. Contemporary Chinese Artists Encounter the West. Erickson, Britta (Hg). 2005. Stanford.
Durch die Betonung ökonomischer Aspekte vermeidet der Staat seitdem Debatten über ideologische und kulturelle Themen. Es liegt auf der Hand, dass die Dominanz des Ökonomischen weitreichende Auswirkungen auf das Kunst- und Kulturschaffen in China hat. Positiv gewertet haben die ökonomischen Reformen und die damit möglich gewordenen pluralistischen Eigentumsformen, die zwangsläufig mit einer Betonung des individuellen Wohls und einem damit verbundenen, stärker ausgeprägten Individualismus einhergehen, zu einer ökonomischen und sozialen Ausdifferenzierung der chinesischen Gesellschaft geführt.370 Allerdings führen wirtschaftliche Freiheiten nicht automatisch zu politischen Freiheiten. Im nach wie vor als sozialistisch deklarierten chinesischen Staat ist freie Meinungsäußerung, die im Kontext der Kunstproduktion besondere Relevanz besitzt, nur in sehr begrenztem Maße möglich. Viel schwerer aber wirkt die Tatsache, dass bei einigen Künstlern als Folge der erfolgreichen Ökonomisierungspolitik der chinesischen Regierung nur noch wenig oder sogar kein 370 | Vgl. Lu, H. Sheldon. 2001, S. 8.
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Bewusstsein mehr für die Relevanz kritischer künstlerischer Perspektiven besteht – die neue Freiheit des Geldes hat viele ruhiggestellt. So hat zwar hat die Kontrolle der Kunst durch den Staat mit der zunehmenden Ökonomisierung nachgelassen, aber aus der Durchökonomisierung Chinas resultieren neue Zwänge für die Produktion und Rezeption von Kunst, welche die Funktionalisierung der Kunst durch die sozialistische Ideologie in ihrer Wirkung sogar übertreffen. Sheldon Lu schreibt in diesem Zusammenhang: »Commerzialisation and commodification have loosed the control of the state, but have also put cultural workers at the mercy of yet another equally merciless factor: capital.«371 Besonders verheerend sind in diesem Zusammenhang die Auswirkungen der engen Verquickung von Politik und Ökonomie als politisches Programm in China.372 Das Einnehmen kritischer Positionen abseits von Kriterien wirtschaftlicher Verwertbarkeit ist in einem solchem Klima wesentlich schwieriger geworden. Nicht nur muss die Marktwirtschaft als neue Ideologie des chinesischen Staates verstanden werden, sondern die ökonomische Durchdringung hat durch die Integration Chinas in den globalen Kapitalismus eine neue, internationale Dimension erhalten, die als entgrenzt bezeichnet werden muss.373 Während die Künstler in den 1980er Jahren im chinesischen Staat einen eindeutigen Gegner sahen, zu dem sie sich entsprechend kritisch verhalten konnten, so gestaltet sich die Situation seit den 1990er Jahren wesentlich komplexer, was auf Seiten der Künstler zu Verwirrung und bisweilen auch zu Ohnmachtsgefühlen führt. Hinzu kommt, dass das Primat der Wirtschaft zusehends zur Entpolitisierung Chinas führt. Überwogen in den 1980er Jahren konzeptionelle und kritische Positionen intellektueller Künstler, so spielen diese in den 1990er Jahren eine untergeordnete Rolle. Als Resultat der zunehmenden Kommerzialisierung und Kapitalisierung, wurde die Populärkultur, deren Zweck in erster Linie Unterhaltung ist, aufgewertet. Der Aufstieg der Populärkultur ist laut Wang Hui im Kontext der »Postmodernisierung« Chinas als sehr kritisch zu werten. Die postmoderne Populärkultur gibt vor, die Bedürfnisse des Volkes zu befriedigen und dabei neutral und ideologiefrei zu sein. In Wirklichkeit aber verhindert sie kritische
371 | Ebd., S. 14. 372 | »China has completely conformed to the dictates of the capital and the activities of the market. If we aspire to understand Chinese intellectual and cultural life over the last decade of the twentieth century, we must understand these transformations and their corresponding social manifestations.« Aus: Wang Hui. 2001, S. 162. 373 | »China’s privatization process was gradually absorbed into the global capitalist market Different from Mao’s modernization, the most important characteristics of the socialist reform that China is now implementing are marketization in economics and the convergence of China’s economy, society, and culture with contemporary capitalist system.« Aus: ebd., S. 166.
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Positionen und Analysen der neuen Ideologie des Kommerzes.374 Darüberhinaus geschieht dies, seiner Meinung nach, durchaus im Interesse der offiziellen Seite: »In the post 89 Chinese context, the rise of consumerist culture is no longer merely an economic event, it is also a political event because the penetration of such culture into people’s daily life is carrying out the task of reproducing hegemonic ideology. In this process the in-
374 | Für die Werte der Aufklärung plädierend, nimmt Wang Hui eine sehr kritische Position gegenüber postmodernen Haltungen ein, die er den Interessen des Kapitalismus untergeordnet versteht und denen er das Interesse an kritischen Analysen abspricht: »[…] postmodernity appears as the champion of the people and popular culture and as the defender of their neutral desires and their ›unmediated state‹. It is used to attack other intellectuals and as a legitimation of market ideology and consumerism. At the same time it deconstructs all values, postmodernism jeers at the serious sociopolitical critical intent of the New Enlightment intellectuals while ignoring the formative role of capitalist activitiy in modern life and neglecting consideration of the relationship between this capitalist activity and China’s socialist reforms.« Aus: ebd., S. 181. Zhang Xudong stellt Wang Huis Einstellung folgendermaßen dar: »Chinese postmodernism fails to analyze the activity of capital and account for its relationship to the Chinese reform movement. For Wang this relationship constitutes a major aspect of contemporary Chinese social life. Wang Hui further points out that some Chinese postmodernisms tend to identify the production and reproduction of desire as demand of the people in the name of mass culture. This in his view is fiction, for it interprets the social relations determined by capital in the process of marketization as consititutiong a neutral, ideology-free new state of affairs«. Aus: Zhang Xudong. 2001, S, 339. An dieser Stelle ist vorweggreifend zu erwähnen, dass der chinesische Staat inzwischen, entstanden aus der skizzierten Entwicklung seit 1992, unter dem Stichwort »Kulturindustrie« Kunst und Kultur als einträglichen Wirtschaftsfaktor erkannt hat und dementsprechende Förderungen lanciert, was der Formulierung kritischer Positionen nicht gerade zuträglich ist. Vgl. dazu: Siemons, Mark. 2007. Um das Bild zu vervollständigen, sei die kontroverse Meinung eines anderen chinesischen Intellektuellen vorgestellt. Im Unterschied zu Wang Hui verteidigt Zhang die Bedeutung postmoderner und postkolonialer Theorien in China gegen die humanistische Einstellung: »For Zhang Yiwu the ›humanistic spirit‹ is nothing more than ›the last mythology‹ of the New Era. Adopting a postmodern sensibility for heterogeneity, Zhang repudiates the effort by advocates of the humanistic spirit to raise themselves into the realm of universal humanity, from which they can observe human suffering and explore human destiny. From a postcolonial perspective, he declares that the discursive setup of this humanistic spirit is such that its purported loss in the native Chinese context only reaffirms the supremacy of universal norms of humanity coded in Western discourse. Zhang argues that the humanist discourse reinvents a subordinate China which it resubmits as a temporally lagging ›Other‹ to the hegemonic hierarchy and teleology of the present world. […] Zhang writes that the discussion of the humanistic spirit ›never provides a solid analysis of current culture‹ Instead it turns itself into a metaphysical and theological flight from a multiple global transformation.« Aus: Zhang Xudong 2001, S. 329.
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I NSTALLATIONSKUNST IN C HINA teraction between popular and official culture is the main feature of contemporary Chinese ideological hegemony, and what is being excluded and ridiculed is the critical ideology of the elites. In the present context, the complex interprenetation of state machinery and the capitalist market means, on the one hand, that the state is completey involved in cultural production and, on the other hand, that cultural production is part both of capital and the market.«375
Während in der Kunst der 1980er Jahre, im Kontext des damaligen intellektuellen Modernisierungsdiskurses die Begriffe Moderne, Aufklärung, Humanismus und ein neues Subjektverständnis diskutiert wurden,376 spielten diese in den 1990er Jahren keine Rolle mehr, im Gegenteil, resultierend aus der Desillusionierung nach 1989 wurde der humanistischen Utopie eine Absage erteilt. Psychologisch liegt dies darin begründet, dass sich die Künstler nach der gewaltsamen Niederschlagung auf dem Tiananmenplatz 1989 eingestehen mussten, der Macht der Regierung völlig ohnmächtig gegenüberzustehen. Sie mussten sich eingestehen, dass sie mit ihrem Idealismus der 1980er Jahre, das heißt der Vorstellung, mit ihrer Kunst aktiv die Modernisierung mitzugestalten, einer Illusion aufgessenen waren. Die sogenannte »Post-New Period« (hou xin shiji) nach 1989 ist durch die Auflösung des einen hegemonialen Modernisierungsdiskurses gekennzeichnet.377 Im Zuge einer verstärkten Rezeption postmoderner Theorien378 wird die Auflösung des 375 | Aus: Wang Hui. 2001, S. 182. 376 | Vgl. Lu, Sheldon H. 2001, S. 11 377 | »In distinguishing the New Era from the post-New Era critics have characterized the former dominated by a ›grand narrative‹ of ›enlightment‹ and ›salvation‹. Obviously this grand narrative to borrow Lyotard’s term, continues the discourse of the May Fourth Movement. The postmodern turn can be characterized as the dissolution and decentering of ›hegemonic discourse‹, whether expressed in enlightenment, humanism, or subjectivity.« Aus: ebd., S. 31. 378 | Wie bereits ausgeführt spielten postmoderne Theorien bereits Mitte der 1980er Jahren in Avantgarde- Kreisen eine Rolle, aber erst seit den 1990er Jahren wurden sie in China verstärkt rezipiert: »The decisive change in the Chinese reception of postmodernity occurred at the rise of consumerism and the nation’s integration into global capitalism, a time that basically corresponded to post-Tiananmen.« Aus: Ebd., S. 43. Weitere ausführliche Darstellungen zur Rezeption postmoderner Theorien, so insbesondere des Postkolonialismus und des daraus resultierenden neuen, paradoxerweise oft national gefärbten Selbstverständnisses Chinas, siehe Wang Hui 2001, Lu, Sheldon. 2001 und Zhang Xudong 2001. Sheldon zum Beispiel schreibt: »In China evidently the postmodern occasion is also the postrevolutionary, postcolonial moment. The postmodern paradigm thus questions the teleologies of modernization, revolution, the Enlightenment and the nation state.« Aus: Lu, Sheldon, H .2001, S. 15. Wang Hui äußert sich über die Rezeption des Postkolonialismus in China folgendermaßen: »In Chinese postmodernism, postcolonial theory is often synonymous with a discourse on nationalism, which reinforces the China/West paradigm. What is particulary amusing is that
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humanistischen Subjektverständnisses, das von einem kohärenten Subjekt ausgeht, zelebriert.379 Wichtig ist in diesem Zusammenhang, zu erwähnen, dass sich in den 1990er Jahren ein neuer Künstlertypus herausbildet. Die 1980er Jahre wurden vom intellektuellen Künstlertyp dominiert, dem eine tragende gesellschaftliche Funktion zugesprochen wurde.380 Die damalige Künstlerszene war vergleichsweise homogen, denn trotz unterschiedlicher Ausrichtungen und konzeptueller Perspektiven hatten alle einen aufklärerischen Impetus. In den 1990er Jahren, im Zuge der zunehmenden Kommerzialisierung und der damit im Zusammenhang stehenden steigenden Wertschätzung der Populärkultur, sank der soziale und finanzielle Status des intellektuellen Künstlers.381 Ähnlich den chinesischen Intellektuellen, die in den 1990er Jahren den Rückzug aus der Gesellschaft an die Universitäten antraten, was mit einer Spezialisierung und Professionalisierung einherging, wird in der Kunst der 1990er Jahre nicht mehr im Auftrag einer universalen, übergeordneten Idee, sondern eher aus privater Perspektive argumentiert. In diesem Kontext zu sehen ist auch die Tatsache, dass in den 1990er Jahren im Unterschied zu den 1980er Jahren, als man in Künstlerkreisen das Ziel verfolgte, in die offiziellen öffentlichen Institutionen einzuziehen, und dieses mit der »China/ Avantgarde Ausstellung« schließlich auch erreichte, die Etablierung eigener, »unabChinese postmodernists turn the postcolonial critique of Eurocentrism on its head to argue for Chineseness and to search for the prospects of China repositioning itself at the center of the world.« Aus: Wang Hui. 2001, S. 181. Grundsätzlich gilt: »Liberals attack on the new critical discourse, which they labelled as ›postism‹ or ›postology‹ (houxue), that is, theories with the prefix post. In an often quoted article published in Dushu, Lei Yi accuses the postist critics of confusing First World problematics with Third World situations and of universalizing the theoretical discourses of pm without subjecting them to a much needed process of nativization. The general validity of Lei Yi’s point on the superficial level is obvious. However, his call ›for a study of the Chinese context‹ bears a pointed political implication that reveals what is truly at stake in this debate. By praising the courage of Foucault and Said in confronting epistemological hegemony of the West, Lei Yi is in fact deploring the Chinese postit critics’ lack of such courage in facing the hegemony and power in their own Chinese environment.« Aus: Zhang Xudong. 2001, S. 323 f. 379 | Vgl. Lu, Sheldon, H. 2001, S. 81. 380 | Anmerkung: Johnson Chang 1998, S. 67: »There is a tendency in western art to look upon artists as shamans and inspired spirit mediums (artists like Beuys and Duchamp certainly perpetuated the myth) and for their work to invite intellectual commentaries and textual exegesis. By comparison the fine art artists in China have historically looked upon themselves as intellectuals rather than visionaries; they take pride in being men of letters with cultural (if not political) responsibilities. The role of modern artists in China is laden with political overtones.« 381 | Ausführlichere Darstellungen siehe Wang Hui. 2001, S. 162, Lu, Sheldon H. 2001, S. 31 ff. und Zhang Xudong. 2001, S. 1 ff.
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hängiger« Räume im Vordergrund stand. Dies betraf nicht nur die Konzeption und die Präsentation von Kunst, sondern auch das tägliche Leben. Anfang der 1990er Jahre gewinnt das Phänomen des Künstlerdorfes an Bedeutung. Es sind Orte, an denen sich ein neuer, unabhängiger Künstlertyp mit Seinesgleichen zusammenschloss und niederließ.382 Um der Unabhängigkeit willen nahmen es damals viele Künstler in Kauf, unter recht ärmlichen Bedingungen, aber dafür außerhalb der Zwänge und Verpflichtungen innerhalb des offiziellen Systems der Wohn- und Arbeitseinheiten (danwei), in selbstständiger Existenz als unabhängige und freischaffende Künstler (duli yishujia) zu leben.383 Dies alles geschah zum einen vor dem Hintergrund, dass vom chinesischen Staat in den 1990er Jahren keinerlei Unterstützung zu erwarten war, zum anderen aber auch aus einer Haltung heraus, unabhängig sein zu wollen und gemeinsam stärker als allein zu sein. Der Zugang zu den offiziellen Kunstinstitutionen war aufgrund der offiziellen Restriktionen infolge der »China/Avantgarde Ausstellung« versperrt. Die Anmietung von Museen und Galerien wäre zwar theoretisch möglich gewesen, war aber aufgrund der mangelnden finanziellen Mittel für fast keinen der Künstler realistisch. Der Ignoranz im eigenen Lande stand in den 1990er Jahren auf der anderen Seite das wachsende internationale Interesse an der chinesischen Gegenwartskunst gegenüber, eine Situation, deren Auswirkungen auf die Entwicklung der chinesischen Kunst von großer Bedeutung waren. Zum einen engagierten sich einzelne, häufig für ausländische Vertretungen in China arbeitende Ausländer, die in persönlichem Kontakt zu Künstlen standen, für die zeitgenössische chinesische Kunst, was dazu
382 | Das Phänomen des Künstlerdorfes spielt in der chinesischen Kunstszene bis heute eine wichtige Rolle. Indem man sich zu einer Gruppe zusammenschloss, stand man der offiziellen Seite nicht allein gegenüber. Oft war und ist der Wohnort eines Mentors ausschlaggebend für die Wahl des Ortes der Ansiedlung. Im Künstlerdorf Yuanmingyuan war das der Kunstkritiker Li Xianting, der auch für das heutige Künstlerdorf in Songzhuang eine Rolle spielt. Heute ist es etwa Ai Weiwei im aufstrebenden Pekinger Kunstviertel Caochangdi. Dass man sich in einer Art Kommune zusammentat, hatte und hat nach wie vor auch ökonomische Vorteile. Kommen Sammler zu Besuch, profitieren davon gegebenenfalls mehrere Künstler. Detaillierte Informationen über Künstlerdörfer siehe Gao Minglu 2005a. S. 71 ff. So lassen sich in Peking im Jahr 1990 Künstler wie Ding Fang, Fang Lijun, Yue Minjun, Yang Shaobin, Xu Yihui, Lu Lin, Yi Lin, Liu Yan, Wang Qiuren und einige Dichter auf dem Gelände des Alten Sommerpalasts Yuanmingyuan nieder. 1992 entsteht in Dashanzi, im Nordosten von Peking, das Künstlerdorf »Beijing East Village« (Dongcun). Dort leben Künstler wie Zhang Huan, Ma Liuming oder Cang Xin. Zum Phänomen der Künstlerdörfer siehe auch: Feng Boyi. 2004, S. 61. »Since the 1990s, the rapidily growing number of artist villages and ›art warehouses‹ where professional artists gather, has formed an important base for Chinese avant-garde art production.« Aus: Gao Minglu. 2005a, S. 61–63. 383 | Vgl. Feng Boyi. 2006, S. 29, Gao Minglu. 2005a, S. 71 f.
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führte, dass einige Künstler vom Verkauf ihrer Werke leben konnten. Orte dieses informellen Kunsthandels waren Ausstellungen in Botschaften und Privatwohnungen sowie die Künstlerdörfer. Zum anderen wurde Anfang der 1990er Jahre auch der Grundstein für die Integration der chinesischen Gegenwartskunst in das internationale Ausstellungsgeschehen und den internationalen Kunstmarkt gelegt. Während die chinesische Gegenwartskunst im eigenen Land verboten war und nur von einem eingeweihten Publikum in privaten oder illegalen Untergrundausstellungen goutiert wurde, nahm die Präsenz chinesischer Kunst in Form von Ausstellungsbeteiligungen im Ausland stetig zu.384 Von besonderer Bedeutung ist diesbezüglich beispielsweise die Rolle des Hongkonger Galeristen (Hanart TZ Gallery in Hongkong) und Kurators Johnson Chang.385 Zusammen mit Li Xianting, der vor allem die Künstler im Künstlerdorf Yuanmingyuan protegierte, organisierte er die Ausstellung China’s New Art, Post1989, die im Februar 1993 zuerst in Hongkong und dann als eine der ersten Überblicksschauen chinesischer Kunst386 auch im westlichen Ausland, in Australien und in den USA, gezeigt wurde. 384 | Die offizielle Seite verurteilte in öffentlichen Foren Tendenzen der zeitgenössischen Kunst und sorgte außerdem dafür, dass möglichst wenig Infomationen über chinesische Gegenwartskunst der chinesischen Gesellschaft zugänglich waren. »The few professional art periodicals controlled by the government, such as Fine Art sponsored by the Chinese Artists Association, never reported or published on the exhibitions and activities of avant-garde art. Instead they critized and denounced it. As a result of such limitations, and against the influence of traditional aesthetics, the public had little opportunity to know and accept experimental works of art and exhibitions.« Aus: Feng Boyi. 2004, S. 60. 385 | Alias Zhang Songren (Hochchinesisch) oder Chang Tsong-Zong (Kantonesisch). 386 | »Starting in 1993 participation in major international events and venues started to be routine and the rise in status of Chinese art in subsequent years was largely a result of international show, especially the biennals of Venice 1993 and 1995 of Sao Paolo 1994 and 1995 and several exhibtions in 1997.« Aus: Chang, Johnson. 1998, S. 67. Johnson Chang listet eine Reihe von wichtigen Ausstellungen auf. Bereits 1989 stellte Jean-Hubert Martin in der Ausstellung »Les Magiciens de la terre«, die als Meilenstein in der Präsentation »nicht-westlicher« Kunst gilt, im Centre Pompidou in Paris mit Huang Yongping, Gu Dexin und Yang Jiechang drei heute international bekannte chinesische Künstler erstmals einem westlichen Publikum vor. »This was the first time that works by Chinese contemporary artists were included in an exhibition in the West. Since then, the contemporary Chinese art community has acquired, bit by bit, an understanidng by the world beyond China. In the history of Chinese art, the 1989 exhibition ›Magiciens de la Terre‹ marked an opening in both directions. On the one hand, it was significant in that it broke free the ties of Stalin’s Social Realism and placed the works of individuals into the contemporary context of international art; this served as a major push in the emergence of contemporary Chinese art. On the other hand, the Western art world had also begun to realize that it could not continue to validate itself as long as it remained a closed system.« Aus: Fei
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Aufgrund seiner Doppelprofession ist mit dem Kunsthändler Johnson Chang die Entstehung eines Marktes für chinesische Gegenwartskunst verbunden.387 Die Tatsache, dass die chinesische Kunst in den 1990er Jahren nicht mehr in erster Linie im eigenen Land, sondern im Ausland rezipiert wird, hat direkte Auswirkungen auf Inhalte und Konzepte in der chinesischen Kunstproduktion.388 Dawei. 2004, S. 11. Bereits im Jahr 1990 hatte Fei Dawei die Ausstellung »Chine: Demain pour Hier« in Pourrières in Frankreich kuratiert. Unter den teilnehmenden Installationskünstlern waren Cai Guoqiang, Chen Zhen, Gu Wenda, Huang Yongping. Vgl. Tzou, Shwu-Huoy. 2000, S. 145. Im Jahr 1993 machten gleich mehrere Ausstellungen chinesischer Gegenwartskunst von sich reden. Neben der im Fließtext erwähnten »China’s New Art, Post-1989« fand zeitgleich die wichtige frühe Überblicksausstellung »China/Avantgarde« im Haus der Kulturen in Berlin statt. Des Weiteren ausschlaggebend für die zunehmende internationale Bekanntheit chinesischer Gegenwartskunst war im Jahr 1993 die Teilnahme zehn chinesischer Gegenwartskünstler, darunter die Installationskünstler Gu Wenda, Xu Bing und Zhang Peili an der 43. Venedig Biennale mit dem Titel »Aperto«. Unter der Kuration von Achille Bonito Oliva, der in China von Francesca dal Lago beraten worden war, wurde Li Xianting mit der Kuration der die chinesischen Positionen umfassenden Ausstellung »The Eastern Road« betraut. Vgl. ebd. Im Kontext meiner Arbeit wichtig zu erwähnen ist die 1997 in der Fundament Foundation Breda in den Niederlanden organisierte Ausstellung »Another Long March: Chinese Conceptual and Installation Art in the Nineties«. In den Vereinigten Staaten gilt die 1998 von Gao Minglu kuratierte Schau »Inside Out. New Chinese Art«, die im Museum of Modern Art in San Francisco und in der Asia Society in New York zu sehen war, nach der im Fließtext erwähnten großen Ausstellung »China’s New Art, Post-1989« als wichtige frühe Ausstellung chinesischer Kunst. 387 | Auch in China hielten es einige für eine gute Idee, den politischen Restriktionen zu entgehen und der chinesischen Gegenwartskunst eine Öffentlichkeit zu geben, indem man einen Binnenmarkt für zeitgenössische Kunst kreiierte. Aufgrund mangelnden Interesses blieb die erste Auktion für Gegenwartskunst in Guangzhou aber ein einmaliges Unterfangen. »By 1992 the art market was flourishing. Art was not confined to antiques. The aim of the first Guangzhou Biennial held in October 1992, was, according to young Sichuanese entrepreneur Lu Peng, to establish China’s first contemporary art market.« Aus: Sullivan, Michael. 2006. S. 278, vgl. auch Gao Minglu. 2005b, S. 61 – 83. 388 | »The Chinese nation state was rarely a site, locus or market for experimental art in the 90s. Exhibitions were organized principally in transnational settings outside China and private nonofficial space within China. Experimental Chinese art was mainly funded by supported by galleries, museums, foundations, and grants outside the PRC, from money that came from Europe, America, Australia and HK. […] In the hands of Chinese artists, transnational visuality entails different strategies of representation and self-representation. First of all, there is the representation of the self for the gaze of the others, the familiar spectacles of the New Chinese Cinema and the Chinese avant-garde art. ›China‹ is exoticed, or politized to create visual effects for the international community. China as an object of signification is reduced to a set of internationally recognizable and consumable symbols, political icons,
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Insbesondere Vertreter der sogenannten anti-idealistischen Stilrichtungen »Zynischer Realismus« (wanshi xianshizhuyi) und »Political Pop« (zhengshi popu),389 wie zum Beispiel die Künstler Fang Lijun (Abb. 36) oder Wang Guangyi (Abb. 37), feierten schnell kommerzielle Erfolge in Hongkong, Taiwan und im westlichen Ausland. In Konsequenz produzierten diese Künstler verstärkt für diese ausländischen Märkte, was mit einer raschen Kommerzialisierung dieser Kunst einherging. Die konzeptionelle Kunst der 1990er Jahre wandte sich im Unterschied zu den 1980er Jahren, als vor allem politische und philosophische Fragen im Mittelpunkt gestanden hatten, gegen die zunehmende Kommerzialisierung. Laut Gao Minglu ist die konzeptionelle Kunst in den 1990er Jahren auch als konkrete Reaktion gegen die Kommerzialisierung und Stereotypisierung der chinesischen Kunst und als Haltung gegen die vereinfachte Einordnung der chinesischen Kunst in stilistische Kategorien wie Political Pop oder Zynischer Realismus zu verstehen.390 Die Popularität anti-kommerzieller Medien wie zum Beispiel der Installationskunst, die nach wie vor als weniger marktkompatibel gilt als Gemälde oder Skulpturen, ist ebenso in diesem Kontext zu sehen wie die Konzentration auf private, ortsspezifische und die gegenwärtigen chinesischen Realitäten betreffende Themen in der Kunst der 1990er Jahre.391 Aufgrund der angespannten kulturpolitischen Situation und des in der chinesischen Gesellschaft vorherrschenden Desinteresses an kritischen und konzeptionellen Positionen zugunsten der neuen Konsumfreiheit, waren konzeptionelle Positionen öffentlich kaum sichtbar.392 Dies bedeutet aber nicht, dass konzeptionellen Künstler nicht aktiv waren. Im Gegenteil, trotz des restriktiven Kimas nahm die Bedeutung der Installationskunst in China nach ihren Anfängen Mitte der 1980er Jahre zu Beginn der 1990er Jahre weiter zu. Mehr und mehr Künstler verabschiedeten sich von den klassischen Ausdrucksmitteln der Malerei oder Skulptur und begeisterten sich für die Medien der Installation und der Performance.393 Als Gründe
and anthropological details: Mao, the Cultural Revolution, Chin opera, traditional rituals and customs. China remains to a large extent either a cultural object (ancient Eastern tradition) or a politiced entity (revolutionary legacy)« aus: Lu, Sheldon H. 2001, S. 18. 389 | Beide Begriffe stammen von Li Xianting, der diese beiden Malrichtungen auch maßgeblich gefördert hat, was zu deren Popularität insbesondere im Ausland beitrug. Ausführungen über die Stile Zynischer Realismus und Political Pop siehe: Li Xianting. 2003. 390 | Vgl. Gao Minglu. 1999, S. 137. 391 | Wu Hung beobachtet seit Mitte der 1990er Jahre einen »domestic turn« in der chinesischen Kunst. Vgl. Wu Hung. 1999a, S. 16. 392 | Vgl. Gao Minglu. 1999, S. 137. 393 | Wichtiges Zentrum der Performancekunst in China war Anfang der 1990er Jahre das Künstlerdorf Dongcun. Im Unterschied zu den früheren Künstlergruppen »Xiamen Dada« und der »Teich-Gruppe«, die in ihren Performances ihre Proteshaltung zum Ausdruck brachten, aber sich noch nicht mit der psychischen und physischen Verfassung des einzelnen
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Abb. 36: Fang Lijun, Series 2, No. 2 (xilie 2, di 2 hao), Öl auf Leinwand, 1991-1992
Quelle: Ausst.-Kat. Writing on the Wall. Chinese New Realism and AvantGarde in the Eighties and Nineties. 2008. Groningen.
für diese Entwicklung analysiert Wu Hung zum einen den noch stärker gewordenen Einfluss von Informationen über diese Kunstformen aus dem Westen. Zum anderen ist die gewachsene Popularität, seiner Meinung nach, in enger Verknüpfung mit dem Hauptanliegen der experimentellen Kunstbewegung zu verstehen, sich vom offiziellen System zu lösen und ein unabhängiges Feld der Kunstproduktion, Präsentation und Kunstkritik abseits der offiziellen und akademischen Kunst und abseits der kommerzialisierten Kunst zu etablieren. Laut Wu Hung lehnten die konzeptionellen Künstler nicht nur bestimmte Medien und Ausdrucksformen ab, sondern schufen eigene, unabhängige Räume, um auf diese Weise langfristig ein neues System der Kunstproduktion und Kunstrezeption zu etablieren.394
Menschen auseinandersetzten, wird dies in der chinesischen Bodyart in den 1990er Jahren zentral verhandelt. Gao Minglu. 2005a, S. 162–165. 394 | Vgl. Wu Hung. 2002b, S. 15–16.
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Abb. 37: Wang Guangyi, Die große Kritik - Kodak (da piping- kodak), Öl auf Leinwand, 1990
Quelle: Ausst.-Kat. China Avantgarde. 1993. Haus der Kulturen der Welt. Berlin.
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11. INSTALLATIONSKUNST IN CHINA SEIT ANFANG DER 1990ER JAHRE BIS ZU IHRER INTERNATIONALISIERUNG UND LOKALEN AKZEPTANZ IM ZUSAMMENHANG DER SHANGHAI BIENNALE IM JAHR 2000 11.1. Installationskunst in »Untergrundausstellungen« und in Publikationen von Anfang bis Mitte der 1990er Jahre Nach 1989 war es nahezu unmöglich geworden, in öffentlichen Kunstinstitutionen Ausstellungen mit Installations- oder Performancekunst zu organisieren, denn diese Ausdrucksformen galten insbesondere nach der Pistolenschuss-Performance von Xiao Lu als subversiv.395 Infolgedessen fanden sogenannte »Untergrund«-Ausstellungen beispielsweise in leer stehenden Häusern, Lagerhallen und Fabriken, in Kellern von Wohnhäusern, in Bars, in Parks oder im öffentlichen Stadtraum, in den Ruinen der Pekinger Altstadt, in privaten Wohnungen von Künstlern und Ausländern sowie in ausländischen Vertretungen statt.396 Diese Ausstellungen werden als Untergrund-Ausstellungen bezeichnet, weil sie ohne offizielle Genehmigung an nicht-autorisierten Orten stattfanden, oft nur von kurzer Dauer waren und nur von Mitgliedern eines eingeweihten Zirkels besucht wurden.397 Häufig konnten solche Ausstellungen nicht wie geplant durchgeführt werden, weil den Organisatoren kurz vor oder nach der Eröffnung von offizieller Seite die Realisierung untersagt wurde. Zumeist wurden fadenscheinige Gründe für den Abbruch der Ausstellung angegeben, wie zum Beispiel Fehler in der Antragstellung oder Sicherheitsmängel. Aufgrund der stark eingeschränkten freien Meinungsäußerung und der damit verbundenen schwierigen Lage hinsichtlich der Realisierung von Ausstellungen, sowie als Protestreaktion gegen die zunehmenden Kommerzialisierungstendenzen durch
395 | Zhu Qi schreibt in diesem Zusammenhang, dass Installationen und ReadymadeObjekte von der offiziellen Seite nicht als Kunst anerkannt, sondern als »anti-mainstream form of culture« eingestuft wurden. Vgl. Zhu Qi. 2002, S. 20. 396 | Laut Gao Minglu nahmen die inoffiziellen Ausstellungsaktivitäten wie die »Apartment Art« Mitte der 1990er Jahre aufgrund des wachsenden Interesses des Auslands an der chinesischen Kunst und den daraus resultierenden Ausstellungseinladungen sowie der Etablierung erster kommerzieller Galerien innerhalb Chinas und den damit verbundenen Ausstellungsmöglichkeiten ab. Vgl. Gao Minglu. 2005a, S. 79. 397 | Darüber hinaus, so Feng Boyi, ist der Terminus »Untergrund-Ausstellung« ein Konstrukt der internationalen Medien, deren Vertreter die chinesische Gegenwartskunst als »Dissidentenkunst« bezeichneten. Weitere Ausführungen zu dieser Thematik siehe Feng Boyi. 2004, S. 60–61. Feng Boyi listet einige wichtige »Untergrundausstellungen« in den 1990er Jahren auf. Ebenso tun dies Song Dong und Guo Shiru in ihrer Publikation »Wildlife«, wobei deren Liste sogar bis in die 80er Jahre zurückgeht, 1986 beginnt und 1998 schließt: Song Dong; Guo Shirui. 1997, S. 112–123 und Feng Boyi 2006. S. 27, Fußnote 2, S. 42.
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die ausländische Rezeption, fanden manche Ausstellungen nur als »exhibitions on paper«, wie Feng Boyi diese Präsentations- und Distributionsform nennt, statt.398 Das heißt, statt einer tatsächlich stattfindenden Ausstellung, stellten Künstler ihre Arbeitskonzepte, sogenannte »proposal art« (fangan yishu), mittels Abbildungen und Texten in Publikationen vor.399 Wichtige Veröffentlichungen in diesem Kontext sind das im Juli 1994 von Ai Weiwei, Xu Bing und Zeng Xiaojun unter redaktioneller Mitarbeit von Feng Boyi herausgegebene »Black Cover Book« sowie die darauffolgenden, ebenso von Ai Weiwei herausgegebenen Publikationen »White Cover Book« (1995) und »Grey Cover Book« (1996).400 Ziel und Zweck dieser Publikationen waren nach Aussage des Chefredakteurs Ai Weiwei: »A collection of documentation concerning works, compiled in a scientific manner, and aimed at engendering an internal dialog on the subject of contemporary art in China. Here is an independent mechanism for publicizing works by artists who are funding their own works. For them we offer experimental Chinese art the possibility of wider exploration and a platform via which to further understand the work and exchange ideas. With the participation of these and other artists through exposure and dialog we created an environment within which contemporary Chinese art could exist, and at the same time, we could contribute to its development.«401
Viele aufgrund der offiziellen Restriktionen damals nicht realisierbare Installationen wurden in diesen Büchern vorgestellt und dokumentiert. Des Weiteren umfassen diese Publikationen Texte zu Theorie und Praxis verschiedener Künstler. So konnte sich der Leser des »Black Cover Book« über die künstlerischen Konzepte von Marcel Duchamp, Andy Warhol, Jeff Koons und des in den USA lebenden taiwanesischen Künstlers Xie Deqing informieren. Zu den wichtigen »Ausstellungen auf Papier« in den 1990er Jahren gehören neben der bereits genannten, von Ai Weiwei herausgegebenen Publikation beispielsweise auch die 1995 von Wang Luyan, Wang Jianwei, Chen Shaoping und Wang Youshen herausgegebene Publikation »Das Vorhaben chinesischer Gegenwartskünstler« (»The 1994 Artists’ Agenda«) sowie das 1997 von Song Dong in Zusammenarbeit mit Guo Shirui herausgegebene Buch »Wildlife. Starting From Jingzhe. Experimental Art Project outside the Exhibition Space and Form«,402 das 398 | Feng Boyi. 2006, S. 31. 399 | Gao Minglu. 2005a, S. 145. 400 | »[…] artists Zeng Xiaojun, Ai Weiwei, Xu Bing, and art critic Feng Boyi founded the publication of Black Book (Heipishu), a parody of Red Flag (Hongqi), the official organ of the CCP.« Aus: Gao Minglu. 1998b, keine Seitenzahlen. 401 | Feng Boyi. 2004, S. 62. 402 | »Jingzhe: China’s Twenty Four Solar Terms: From This Day Forward, All Things Revive, starteld from Hibernation« Aus: Song Dong und Guo Shirui 1997, Erläuterung zu ›Jingzhe‹ auf
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experimentelle Arbeiten von 27 Künstlern aus Beijing, Shanghai, Guangzhou und Chengdu vorstellt, darunter unter anderem die bereits erwähnten Guangzhouer Künstler Lin Yilin und Liang Juhui.403 Hou Hanru erwähnt in diesem Kontext außerdem die während des Jahres 1994 unter der Leitung von Li Xianting und Wang Youshen monatlich kuratierte Serie im Beijing Youth Journal, das künstlerische Konzepte verschiedener Künstler wie Li Yongbin, Gu Dexin, Wang Luyan, Yang Jun, Zhang Peli, Geng Jianyi, Song Haidong, Wang Jianwei, Li Qiang, Chen Shaoping, Wang Guangyi und Ni Haifeng vorstellte.404 Laut Gao Minglu besitzen die in diesen inoffiziellen Publikationen präsentierten Projekte in der Regel dokumentarischen Charakter.405 Es handelt sich um ortsspezifische Arbeiten, die für einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit geplant wurden und sich in der Regel mit Phänomenen des Alltags auseinandersetzten. Die Installation ist das dominante Medium der Künstler, deren Arbeiten im »Black Cover Book« vorgestellt werden. Viele der vorgestellten Arbeiten wurden im Ausland realisiert. Das »Black Cover Book« bietet dem Leser Dokumentationen in Form von Abbildungen, Skizzen sowie schriftlichen Ausführungen der Künstler selbst und Interviews mit einzelnen Künstlern.406 dem Deckblatt der Publikation. Gao Minglu erläutert darüber hinaus, dass es sich bei Jingzhe um den Tag des Aufwachens der Insekten handelt. Laut des chinesischen Mondkalenders findet dies am 5. März statt. Gao Minglu. 2005a, S. 75. 403 | Song Dong; Guo Shirui. 1997, vgl. Sekundärquellen: Feng Boyi 2006, S. 30–31, Gao Minglu 2005a, S. 75. 404 | Hou Hanru. 2002b, S. 32 405 | Gao Minglu. 2005a, S. 76. 406 | Dokumentiert sind in den genannten drei Publikationen Heipishu, Huipeishu, Baipishu folgende Arbeiten: Wang Gongxins dan · guang (Ei · Licht), 1994, New York, Wang Jianweis wenjian (Dokument), 1992, Peking, Zhang Peilis Arbeiten caozuo (eine Maschine usw. bedienen, an etwas arbeiten) 1993, Paris, fanpai 25 ci (25 Mal umgekehrt aufgenommen) 1993, Paris, ertong leyuan (Kindergarten) 1993, Paris fang shui sheshi (wasserfest, wasserdicht, Anlage, Einrichtung, um sich vor Wasser zu schützen) 1993, Paris, wen chuang (warmes, wärmendes, Bett) 1993, Italien (Spoleto), Geng Jianyis Performance hunyin fa (Ehevertrag, Ehegesetz) 1994, Hangzhou, Huang Yongpings paxing wu (kriechendes Material) 1989, Liang Shaojis ziran xilie NO-2 (Naturserien Nr. 2) 1990–1994, China, drei Arbeiten, die im Rahmen der 3. Aktion der Großschwanzelefanten in der Red Ant Bar in Guangzhou 1993 zu sehen waren: Lin Yilins 100 kuai he 1000 kuai (100 Yuan und 1000 Yuan), Chen Shaoxiongs 5 xiaoshi ( 5 Stunden), Xu Tan aiqing de yuyan (Liebesparabel). Auch im »White Cover Book« dominiert das Medium der Installation als künstlerisches Ausdrucksmittel. Es umfasst die Arbeiten: Xu Tans xin sixiang (Neue Ideologie) 1995, Guangzhou, Cai Jin cai mian (Gesichter zertreten) 1994, Beijing, Yin Xiuzhens shuqin (Baumzitter), 1995, Hebei (realisiert in der Natur), Zhang Peilis bei fenge de kongjian (abgeteilter Raum), 1995, Barcelona, Qiu Zhijie gonggong shenghuo (Öffentliches Leben), 1994, Peking, Ai Weiweis qinghua, 1995, Peking, Yin Xiuzhen mao xian (Stricken), 1995, Peking. Im dritten Buch der Serie im »Grey Cover
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Frühe Installationskunstausstellungen, die allerdings kurz nach den jeweilgen Eröffnungen von offizieller Seite geschlossen wurden, waren beispielweise im Dezember 1991 die Schau »Joint Installation Art Exhibition of Feng Mengbo and Zhang Bo« in der Beijing Contemporary Art Gallery, die bereits am Vormittag des Eröffnungstages geschlossen wurde, und 1994 Song Dongs Einzelausstellung »Another class, will you play with me?« in der Galerie der China Central Academy of Fine Arts in Peking, die eine halbe Stunde nach der Eröffnung wieder geschlossen wurde.407 Laut Gao Minglu war die zuerst genannte Ausstellung die erste öffentliche Installationskunstausstellung nach der Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen Platz.408 Viele der wichtigen Installationskunst-Ausstellungen wurden in den 1990er Jahren in Shanghai organisiert.409 Im November 1991 fand in einer Tiefgarage in Shanghai die von Zhang Peili zusammen mit seinem ehemaligen Akademiekollegen aus Hangzhou, Song Haidong, kuratierte Ausstellung mit dem Titel »Garage« statt. Sie zeigte eine große Breite von Arbeiten junger aufstrebender Künstler aus Shanghai und Hangzhou.410 Laut Karen Smith stellt diese Ausstellung einen wichtigen Book« finden sich Ai Weiweis Arbeiten san tiao tui (dreibeiniger Tisch an der Wand), die Fuck Off Performance, sein Text zur Arbeit Qinghua 1997, Zheng Guogus anonymes Interview, Zitate von Hu Fang, Zheng Guogus Arbeiten: My Teacher, die er als vom Leben kreiierte Bildhauerrei versteht, Lin Tianmiaos chan (Wickeln) 1997, Chen Shaoxiong Videoinstallation in der öffentlichen Toilette shi li jiao zheng qi (Korrektur des Sehvermögens), Liu Jianhuas bu ban diao (nicht vermischen), 1996, Shi Yongs shenghuo zai bie chu (das Leben findet an einem anderen Ort statt), 1997, Shanghai. 407 | Feng Boyi. 2006, S. 26. 408 | Vgl. Gao Minglu. 1998b, keine Seitenzahlen. 409 | Vgl. Zhu Qi. 2002, S. 21: »Between 1992 to 1996, several important exhibitions took place. These include the 1991 ›Garage Art‹ show curated by artists led by Song Haidong, ›October Experimental Art Show‹ and ›Two Attitudes Toward Images – Installations by Qian Weikang and Shi Yong‹ at Huashan Vocational Fine Arts School in 1993, the ›Third Documentary Exhibition of Contemporary Art‹ curated by Wang Lin and other artists which was shown at Shanghai Southern China Normal University in 1994. Finally, ›In the Name of Art‹ curated by Zhu Qi was shown at the Liu Haisu Art Gallery in 1996. In Shanghai, those artists most actively engaged in experiments with installation art included Qian Weikang, Shi Yong, Song Haidong, Hu Jianping, Ni Weihua and Wang Nanming.« Laut Gao Minglu waren wichtige Installationskunstausstellungen Anfang der 1990er Jahre die Schau »The Stage«, die im Mai 1994 in der Huashan Art School in Shanghai stattfand sowie die Ausstellung »The Third Exhibition of Chinese Contemporary Art Documents« (Disanjie zhongguo dangdai yishu wenxian zhan), die in der Bibliothek der East China Normal University in Shanghai organisiert wurde. Aus: Gao Minglu. 1998b, keine Seitenzahlen. 410 | Im Kapitel über Geng Jianyi fügt Smith im Kontext der Erwähnung dieser Ausstellung die wichtige Information hinzu, dass Zhang Peili und Song Haidong die Schau nicht für ein lokales Publikum, sondern für den japanischen Kurator Toshio Shimizu zusammengestellt
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Meilenstein im Kontext der Wiederaufnahme der konzeptionellen künstlerischen Praxis nach den Ereignissen im Jahr 1989 dar. Sie schreibt: »The impulse was important – and positive – as a catalyst for creativity at a time when many artists were ready to throw the towel.«411 Als Ausdruck des Protests über die rigiden Restriktionen hinsichtlich des öffentlichen Ausstellens von Gegenwartskunst, insbesondere von Installationskunst, ist Wang Pengs Installation The Wall (qiang) (Abb. 38) zu verstehen, die er 1993 in der »Gallery of Contemporary Art«, die der Mittelschule der Zentralen Kunstakademie in Peking angeschlossen war, realisierte. Er selbst sagt in einem Interview über diese Arbeit: »After 1989, the country seemed to have regressed to a more conservative state; public displays of installation and performance art were explicitly prohibited. […] I am neither a politician nor a writer, what I have chosen is a visual language, so bricking up the entrance of the Contemporary Art Gallery in order to counter systemic structures and to transform the conventional aesthetic appreciation of the general public, was the best choice of action.«412 Anstatt den Ausstellungsraum für die Präsentation seiner Arbeiten zu nutzen, verbarrikadierte er die Tür zur Ausstellung, um auf sich auf diese Weise mit den damals häufig vorkommenden restriktiven Zensurmaßnahmen durch den Staat auseinander zu setzen. Indem er den Eingang mit Backsteinen zumauerte, machte er den Zugang zur Galerie unmöglich, und erreichte auf diese Weise, dass im Zuge der einkalkulierten »Schließung« seiner Ausstellung durch die offizielle Seite, paradoxerweise diese gezwungen würde die Mauer einzureißen. Das heißt, die offizielle Seite wurde ironischerweise konstitutiv für die Arbeit, denn erst durch ihre »Partizipation«, die paradoxerweise noch dazu in der Öffnung anstatt der sonst üblichen Schließung bestand, erhielt die Arbeit ihre volle Bedeutung.413 Wie die soeben geschilderte Aktion von Wang Peng fanden Installationen in vereinzelten Fällen in Ausstellungsräumen statt, die den Kunsthochschulen in Pehatten, von dessen Besuch sie sich erhofften, dass er die ein oder andere künstlerische Arbeit für eine Ausstellung im Ausland auswählen würde. Hans van Dijk äußert sich negativ über die Qualität der Ausstellung »Garage« und warf den Kuratoren konzeptionelle Mängel bei der Präsentation (neo-expressionistische Großformate neben Videokunst) und der Auswahl der seiner Meinung nach qualitativ schlechten Arbeiten vor. Vgl. Smith, Valerie 2005, S. 391 und van Dijk, Hans 1993, S. 33. 411 | Smith, Karen. 2005, S. 96. 412 | Tan, Adele. 2005, keine Seitenzahlen. 413 | Wang Peng sagt in diesem Zusammenhang: »I had planned to stage the exhibition for three days but on the following day, the person in charge of the gallery became very anxious and ordered me to break the wall down, thus closing the exhibition. Hence, in helping me open up the sealed entrance, they have inadvertently assisted me in completing the entire work.« Aus: ebd.
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Abb. 38: Wang Peng, The Wall (qiang), Installation, 1993
Quelle: Ausst.-Kat. On the Edge. Contemporary Chinese Artists Encounter the West. Erickson, Britta (Hg). 2005. Stanford.
king oder Hangzhou angegeliedert waren. 1992 stellte beispielsweise auch Qiu Zhijie seine erste Installation, die unter den Titeln Homage to Vita Nuova und About a New Life (guanyu xin shenghuo) (Abb. 39) bekannt ist, im Rahmen der Graduiertenausstellung anlässlich seines Abschlusses an der Kunstakademie in Hangzhou vor. Die Installation besteht aus 16 Glaspanelen in verschiedenen Größen, die er mit Schrift und figürlichen Darstellungen versehen hat. An der Raumdecke befestigt bilden sie ein Labyrinth, in dem sich die Rezipienten umherbewegen können.414 Kommerzielle Galerien für Gegenwartskunst gab es in China in wachsender Anzahl erst seit Mitte bzw. Ende der 1990er Jahre. Anfang der 1990er existierte in Peking nur die Hanmo Galerie, die als Veranstaltungsort für zeitgenössische Kunstpraxis diente.415 Xu Bing führte im Februar 1994 dort seine aufsehenerregende performative Installation Cultured Animals durch, die auch unter dem Titel A Case Study of Transference (Abb. 40) bekannt ist.416 In einem stallähnlichen Szenario ließ er männliche Schweine, denen er Pseudo-Schrift, das heißt falsch geschriebene englische Worte auf die Haut geschrieben hatte, auf weibliche Schweine, die er mit falschen chinesischen Schriftzeichen, den schon aus seiner Installation Himmelsbuch bekannten Pseudo-Schriftzeichen, versehen hatte, treffen, die, kaum aufeinan414 | Vgl. Berghuis, Thomas. 2006, S. 143. 415 | Gao Minglu 2005a, S. 79. 416 | Ebd.
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Abb. 39: Qiu Zhijie, Homage to Vita Nuova (guanyu xin shenghuo), Installation, 1992
Quelle: Ausst.-Kat. China’s New Art, Post 1989. Chang, Johnson (Hg.). 1993 (2001 Ausgabe). Hanart TZ Gallery. Hongkong
der losgelassen, sofort damit begannen, miteinander sexuell zu verkehren. Diese Arbeit ist als Kommentar zur menschlichen Konditionierung durch Kultur sowie als humorvolle Parabel kultureller »Besamung« zu verstehen.
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Abb. 40: Xu Bing, Cultured Animals (wenhua dongwu), performative Installation, 1994
Quelle: Ausst.-Kat. On the Edge. Contemporary Chinese Artists Encounter the West. Erickson, Britta (Hg). 2005. Stanford.
11.1.1. Installationen im Kontext der sogenannten »Apartment Art« Vor allem in Peking, das sich damals allmählich zum Zentrum der Gegenwartskunst entwickelte, ist in den 1990er Jahren der Rückzug konzeptioneller Kunstproduktion und Rezeption aus der Öffentlichkeit in private Studios und Wohnungen charakteristisch. Gao Minglu bezeichnet dieses Phänomen als »Apartment Art« (gongyu yishu)417 und meint damit die konzeptionelle Kunst in den 1990er Jahren, die außerhalb der offiziellen Systeme produziert und rezipiert wurde.418 Wortwörtlich impliziert »Apartment Art«, dass Kunst in privaten Wohnungen und Studios der Künstler sowohl produziert als auch – nur von einem eingeweihten Kreis Gleichgesinnter – rezipiert wurde. Als Reaktion auf die Kultur des Massenkonsums versteht Gao die »Apartment Art« als selbstgewähltes Exil abseits der kommerziellen Verwertbarkeit von Kunst und der Instrumentalisierung durch die sozialistische Ideologie.
417 | Gao Minglu über »Apartment Art« siehe zum Beispiel: Gao Minglu. 1998b, S. 31, Gao Minglu. 1999, S. 137, Gao Minglu. 2005a, S. 71–83 und S. 145 ff., Gao Minglu. 2007. 418 | »Since the late 1990s, after the emergence of flocks of art districts and galleries, ›Apartment Art‹ has come to an end. Both the marginal critical gestures and the deliberately ›inconspicuous‹ anti-kitsch forms have seemingly become ›meaningless‹ under the engulfment of extensive auctions, markets and exhibitions.« Aus: Gao Minglu. 2007, S. 13.
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In den 1990er Jahren hatte der Sozialismus bereits seinen dominanten gesellschaftlichen Einfluss eingebüßt, was dazu führte, dass Konzepte der Welt und ihre Sinngebung zunehmend zu persönlichen Angelegenheiten wurden und nach individuellen Lösungen verlangten. Apartment-Kunst ist in diesem Kontext als Konzeptualisierung der täglichen Existenz zu verstehen, weshalb viele Arbeiten sich mit Fragen des eigenen, individuellen Lebens beschäftigen. Inmitten einer zunehmend materialistischeren Gesellschaft wurden im Kontext der Apartment Art unverkäufliche und im offiziellen Ausstellungskontext unausstellbare Arbeiten aus einfachen Materialien, die oftmals der unmittelbaren häuslichen Umgebung – was Gao Minglus Bezeichnung Apartment Art unterstreicht – enstammten, produziert. Anstatt wie noch in der 85er Bewegung mithilfe der Kunst China verändern und modernisieren zu wollen, verfolgten die Apartment Künstler mit ihrer Kunst nicht mehr das Anliegen, eine große Öffentlichkeit von ihren Ideen und politischen Anliegen überzeugen zu wollen. Ihre konzeptionellen Ansätze betonten das Private und Individuelle. Viele der Arbeiten, die der »Apartment Art« zuzurechnen sind, verneinen die materialistische Welt und betonen das Spirituelle. Im Vordergrund stehen häufig prozesshafte Vorgänge, zum Beispiel Prozesse der Veränderung durch die Natur und die damit verbundene Absage an ein Schöpfersubjekt oder arbeitsintensive Prozesse der Wiederholung, die häufig meditative und religiöse Untertöne aufweisen. Ein wichtiges Merkmal der »Apartment Art« ist die Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben. Weil der Wohnort zugleich auch Atelier war, durchdringen sich diese beiden Sphären. Das Leben findet in der Kunst statt, so wie die Kunst im Leben stattfindet. Laut Gao Minglu sind die frühesten Arbeiten im Kontext der »Apartment Art« dem Künstlerehepaar Song Dong und Yin Xiuzhen zuzurechnen. Sie gründeten damals die »Wooden Stool Group« und realisierten kollektive Arbeiten wie Decaying Bread (1996)419 (Abb. 41) oder individuelle Arbeiten wie Sweaters (1995) (Abb. 42) von Yin Xiuzhen oder Water Diary (seit 1995 bis heute) (Abb. 43) von Song Dong, die sich allesamt im häuslichen Kontext abspielten und diesen aus verschiedenen phänomenologischen Alltagsperspektiven thematisierten.420 Während Song und Yin China nie für längere Zeit verlassen haben, handelt es sich bei vielen der Apartment Art-Künstler um Rückkehrer nach langen Auslandsaufenthalten. Zwischen 1993 und 1995 kehrten viele Künstler, wie Zhu Jinshi und Qin Yufen aus Deutschland, Ai Weiwei, Xu Bing, Wang Gongxin und Lin Tianmiao aus New York, nach China zurück oder begannen zwischen ihrer ursprünglichen 419 | »[…] they observed a loaf of decaying bread. They recorded when they bought and ate bread. Song Dong took a photograph and placed it on the lid of the glass box in which he kept the bread. After a winter, worms hatched, which continued to eat the bread for two more years, when the loaf had completely disappeared into a small pile of powder.« Aus: Gao Minglu. 2005a, S. 76. 420 | Ebd., S. 76–77.
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und ihrer Wahlheimat zu pendeln. Sie brachten künstlerische Konzepte aus dem Westen mit und spielten deswegen insbesondere bei der Verbreitung der Installationskunst in China eine wichtige Rolle.421 Die erste Apartment Art-Ausstellung fand im August 1994 in Wang Gongxins Wohnung statt.422 Sie hatte den Titel »Open Sky« bzw. »Open Studio« und vereinte installative Arbeiten von Song Dong, Zhu Jinshi, Wang Peng und Wang Qingsong.423 »Song Dong used the balcony, Zhu Jinshi a door, and Wang Peng a corner in the room to make the artwork. Wang Qingsong created an installation artwork as well. Zhu Jinshi made a bunk bed with a sponge mattress underneath, with needles poking through. Song Dong painted the walls of the sunporch in black and wrote on them two lines of dates that were important in his life – from his birth in 1966 through 1994.«424 Im gleichen Jahr und ebenso in Zhu Jinshis Wohnung realisierte Wang Peng die Installation We live in Art (1994) (Abb. 44), die, wie Gao Minglu schreibt, das Charakteristische der Apartment Art, nämlich die Vereinigung von Kunst und Leben auf den Punkt bringt.425 In einen mit weißer Tischdecke festlich hergerichteten und mit acht Essschüsselchen eingedeckten Esstisch hat Wang Peng in der Mitte eine StehToilettenschüssel eingelassen, wie sie in China allerorts anzutreffen ist. Das Ensemble ist von einer niedrig hängenden Esszimmerlampe über dem Tisch beleuchtet, an der Wand steht in großen Lettern sowohl in Englisch als auch auf Chinesisch der Joseph Beuys’sche Satz geschrieben: »Wir leben in der Kunst«. Wang Pengs Arbeit kann als zynischer Kommentar zu Beuys’ erweitertem Kunstbegriff und in diesem Zusammenhang explizit zur chinesischen Situation Anfang der 1990er Jahre – nach dem Scheitern der idealistischen Künstler – verstanden werden, die durchaus im Sinne von Beuys an die aktive Rolle der Kunst beim Aufbau des modernen und demokratischen Chinas geglaubt hatten. In den 1990er Jahren waren konzeptionellen Positionen, das heißt vor allem Installationen, aufgrund der angespannten (kultur-)politischen Situation die Türen zu den offiziellen Ausstellungsstätten ver-
421 | Ebd. 422 | Andere im Kontext der »Apartment Art« in den 1990er Jahren in Privatwohnungen organisierte Ausstellungen sind laut Feng Boyi: »[…] die 1994 und 1995 von Zhu Jinshi kuratierten Ausstellungen ›10 Weeks in China‹, ›Post 11 Installation Art Exhibition‹, ›Middle Axis‹ und ›Eins, zwei, eins, zwei‹ – an letzterer nahmen nur Frauen teil, die in seiner Beijinger Wohnung im Stadtviertel Houhai bzw. in der Vorstadt von Beijing stattfanden.« Aus: Feng Boyi. 2006 S. 27, Fußnote 2 S. 42. 423 | Gao Minglu. 2005, S. 75 und S. 77 f. 424 | Ebd. 425 | »He moved the Duchamp’s toilet to the dining table, vividly revealing the essence of Apartment Art: ›Eating and Sleeping with art‹.«
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Abb. 41: Song Dong & Yin Xiuzhen, Decaying Bread (mianbao), performatives »Objekt«, 1995 Abb. 42: Yin Xiuzhen, Sweaters (mao xian), performative Installation, 1995
Quelle: Gao Minglu (Hg.). 2005a. The Wall. Reshaping Contemporary Chinese Art. New York.
schlossen.426 In Konsequenz zogen sich viele Künstler ins Private zurück. Verstand man Wang Pengs Arbeit metaphorisch, so fand also der gesamte künstlerische Stoffwechsel von der Produktion bis zur Rezeption gezwungenermaßen im heimischen »Organismus« statt. 426 | »Therefore, in the 1990s, especially within the spezial situation of Chinese political culture in the early 1990s, official cultural organizations basically adopted a policy of limiting and banning avant-garde art, prohibiting ist display in public exhibition spaces, such as the China Art Gallery. There was a clear internal rule in the China Art Gallery, which is affiliated with China’s Ministry of Culture, stipulating that installation art and performance art could not be exhibited there.« Aus: Feng Boyi. 2004, S. 59–60.
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Abb. 43: Song Dong, Water Diary (shui xie riji), Performance, 1995–heute
Quelle: Ausst.-Kat. Song Dong. 2008. Zendai Museum Shanghai.
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Abb. 44: Wang Peng, We live in Art (women shenghuo zai yishu zhong), Installation, 1994
Quelle: Ausst.-Kat. On the Edge. Contemporary Chinese Artists Encounter the West. Erickson, Britta (Hg). 2005. Stanford.
Bedenkt man, welch große Hoffnung man in die öffentliche und politische Wirkung der Kunst im China der 1980er Jahre gesetzt hatte, so lässt sich ausmalen, wie ernüchternd die Einsicht Anfang der 1990er Jahre darüber gewesen sein muss, dass die Gegenwartskunst so gut wie keine öffentliche Bedeutung mehr hatte. Die Toilettenschüssel ist natürlich darüber hinaus als Referenz an Duchamps berühmtes Readymade Fontaine (1917) zu verstehen. Während Duchamps Konzept des Readymade vor dem Hintergrund eines differenzierten Kunstsystems verstanden werden muss, kann gerade dieses in China Anfang der 1990er Jahre nicht vorausgesetzt und folglich nicht als solches thematisiert werden. Während Duchamp die Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben kunstimmanent thematisiert und den bis dato herrschenden Kunstbegriff radikal infrage stellt, indem er alltägliche Materialen und Objekte in den Kunstkontext, das heißt in den institutionellen Kontext des Museums versetzt, so ergibt sich die Bedeutung von Wang Pengs Arbeit aus der soziopolitischen Situation, mit der sich die Kunst bzw. die Künstler in China Anfang der 1990er Jahre auseinandersetzen mussten. Im Kontext der Apartment Art galt das Interesse also nicht einem bestimmten Alltagsobjekt als »reinem« Kunstobjekt, vielmehr stand die Bedeutung eines Objekts oder Materials, welche diese in einem bestimmten sozialen und künstlerischen Kontext besitzen, im Vordergrund. Die Apartment Art reflektiert nicht in erster Linie herrschende Kunstbegriffe im Kontext einer bestimmten Kunstentwicklung und einer bestimmten institutionellen Machtstruktur, sondern ist Ausdruck sehr persönlicher, ja existenzieller Reflexionen über das Leben als Künstler bzw. reflektierender und kritisch denkender Mensch in China. Nach eigener Aussage ist die Arbeit als chinesische Interpretation von Beuys und Duchamp zu verstehen. In einem Interview gibt Wang Peng diesbezüglich zur Auskunft:
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»[…] I thought it would have been quite amusing to put Duchamp and Beuys together, although this time I sinicised it. The squat toilet is typically Chinese and to place it within the frame of a Beuysian dictum, I thought that it might produce some kind of visual awkwardness. We could be squatting at the toilet on the table with a cup of tea in hand, fulfilling what Beuys said about living in art?«427 Als erste ortsspezifische Installation in China gilt Wang Gongxins Arbeit The Sky of Brooklyn (Abb. 45), die er 1995, kurz nach seiner Rückkehr aus den USA, im Kontext der Apartment Art in seiner Pekinger Wohnung realisierte. Er ließ ein brunnenähnliches Loch ausheben, auf dessen Grund er einen Bildschirm mit Aufnahmen des Brooklyner Himmels installierte. Doch handelt es sich tatsächlich um den Himmel über New York oder haben wir es mit einer Spiegelung des Pekinger Himmels zu tun? Die Beantwortung dieser Fragen überlässt er dem Betrachter und erinnert sowohl an das chinesische Sprichwort »Looking at the sky from the bottom of the well«, das den begrenzten Horizont anmahnt, als auch an das amerikanische »Digging a hole to China«, in der sich Mut zur Aktion ausdrückt, der auch von einer Tonbandstimme gefordert wird, die den Betrachter mit den Fragen »What are you looking at? What is there to look at?« zum reflektierenden Perspektivwechsel aufruft. Wiederkehrendes Thema in Wangs Werk ist die Infragestellung der sichtbaren Realität, das heißt die gebotene Skepis gegenüber Bildern, die er als Ausdruck bestimmter politisch, ideologisch oder kulturell kodierter Machtstrukturen entlarvt. Als einer der ersten in China setzt Wang in seinen häufig installativen Arbeiten Videotechnik ein. Aufgrund der dieser Technik immanenten Möglichkeit der Bildermanipulation ist dieses Medium seiner Meinung nach ideal, Grenzen der bisher bekannten Welt und der eigenen visuellen Wahrnehmung zu schärfen und aufzubrechen.428 Die Arbeiten der weiblichen Apartment Art-Vertreterin Lin Tianmiao sind in mehrfacher Hinsicht typisch für diese Art der privaten Kunst. Nicht nur stammen die verwendeten Materialien aus dem häuslichen Kontext, sondern der bereits erwähnte meditative Aspekt im Prozess der Herstellung durch Wiederholung spielt bei ihren Arbeiten eine maßgebliche Rolle. Ihre erste Installation Proliferation of Thread im Jahr 1995 (Abb. 46) besteht aus weißen gewickelten Garnknäulen, die auf dem Boden um ein Messingbett verteilt und mit diesem verbunden sind, indem die losen Fadenenden durch Nadelösen gefädelt und in die Matratze gestochen wurden. Durch das enge Nebeneinandersetzen wirkt das Nadelbett trügerisch weich und erinnert an ein flaumiges Fell. Mit einer Dokumentation des Wickelprozesses, die auf einem Bildschirm am Kopfende des Betts zu sehen ist, akzentuiert Lin die vierte Dimension der Zeit, die sich dem Betrachter auch über den Nachvollzug des Wickelvorgangs erschließt. Obwohl die Künstlerin das traditionelle chinesische Konzept der beiden komplementären Pole, des weiblichen Prinzips yin und des 427 | Tan, Adele. 2005, keine Seitenzahlangaben. 428 | Vgl. Hopfener, Birgit. 2007a, S. 411–414.
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Abb. 45: Wang Gongxin, The Sky of Brooklyn (bulukesen de tiankong), Installation, 1995
Quelle: Ausst.-Kat. On the Edge. Contemporary Chinese Artists Encounter the West. Erickson, Britta (Hg). 2005. Stanford.
männlichen Prinzips yang, in Proliferation of Thread thematisiert und ihre Materialwahl, Alltagsgegenstände aus dem häuslichen Umkreis oder weiche Textilien, sowie die repetitiven Tätigkeiten des Wickelns, Webens und Flechtens häufig als weiblich interpretiert werden, lehnt sie eine rein genderspezifische Interpretation als zu kurzgreifend ab. Im Mittelpunkt ihrer künstlerischen Interventionen stehen vielmehr die gegebenen Umstände und Strukturen, die das Individuum prägen und die menschliche Existenz überhaupt bestimmen.429 Das Umwickeln von Gegenständen ist seither Lin Tianmiaos Markenzeichen. Eine weitere berühmte Installation, die hier in diesem Zusammenhang erwähnt werden soll, ist die Arbeit Bound Unbound (1995–1997) (Abb. 47). Sie besteht aus über hundert mit weißem Garn umwickelten Haushaltsgegenständen, die Lin im Raum vor einer Leinwand auslegt, die sich aus dicht nebeneinander hängenden Fäden bildet und auf der die Projektion der Tätigkeit des Zerschneidens von Garn vorgeführt wird. Durch den Garnkokon sind die Dinge zwar formal noch in ihren ursprünglichen Formen erkennbar, gleichzeitg aber ihrem Kontext enthoben und ihres ehemaligen Nutzwerts beraubt. Sie erhalten eine neue ästhetische Dimension und Identität. Nicht mehr das Lesen eines figurativen Objekts, sondern der Produktionsprozess, die gespeicherte Erfahrung, Zeit und 429 | Vgl. Hopfener, Birgit 2007b, S.195–198, Chiu, Melissa 1998, Erickson, Britta; Pi Li. 2005, Liao Wen. 1998.
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Abb. 46: Lin Tianmiao, Profileration of Thread (chan de kuosan), Installation, 1995
Quelle: Clark, John (Hg.). 2000. Chinese Art at the End of the Millennium. Hongkong.
Energie stehen im Vordergrund. Das Wickeln ist für Lin entspannende Meditation. Da die Wickelpraxis eine kollektive Angelegenheit ist, für die Lin sich mit Familienmitgliedern und Freunden verabredet, kann diese auch als Beschäftigung mit dem eigenen Ich im Kontext sozialer Beziehungen verstanden werden.430 In Shanghai arbeiteten Anfang der 1990er Jahre die beiden Installationskünstler Qian Weikang und Shi Yong. Sie praktizierten eine noch extremere Form des Rückzugs als die bereits erwähnten Künstler, die sich ins Private zurückzogen, indem sie alle gesellschaftlichen, politischen oder kunsthistorischen Konnotationen in ihrer Kunst vermieden. Anstatt mit Materialien und Objekten des privaten Alltags zu arbeiten, kamen in ihren Arbeiten absichtlich kulturell un-konnotierte Materialien wie Fotopapier, Eisenplatten, lichtempfindliche Materialien, Licht, Sprühfarbe zum Einsatz. Laut Hou Hanru stand in ihrer Kunst das Interesse an Veränderungen von Materialen unter bestimmten Bedingungen, etwa einer bestimmten zeitlichen Dauer, Temperatur, Licht oder Raum im Mittelpunkt. Der Künstler stellte also gewissermaßen, analog einem physikalischen oder chemischen Experiment, eine Versuchsanordung her, um sich dann auf die Position des Beobachters der sich entwickelnden Transformationsprozesse zurückzuziehen. Mit dem Anliegen, sich aus dem kulturpolitischen Dilemma des vereinnahmenden Ideologiezentris430 | Vgl. Hopfener, Birgit 2007b, S. 198.
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Abb. 47: Lin Tianmiao, Bound Unbound (chan le zai jian kai), Installation, 1995-1997
Quelle: Ausst.-Kat. Beyond Boundaries. 2003. Shanghai Gallery of Art. Shanghai.
mus herauszulösen,431 klammerten sie kulturelle Konnotationen aus und verließen sich nur auf messbare Fakten. Auf der Suche nach einem Weg aus den ideologisch kontaminierten Strukturen interessierten sie sich für Alternativen und waren dabei der Überzeugung, dass nur, was gemessen werden kann, was auf verlässlichen, empirischen Daten beruht, wahr und folglich relevant ist.432 Damit einhergehend klammerten sie auch jegliche Subjektivität als unzuverlässig aus und behaupteten
431 | Vgl. Hou Hanru. 2002b, S. 31. 432 | Qian Weikang und Shi Yong waren von der »New Measurement Group« (xinkedu), die aus den Künstlern Wang Luyan, Gu Dexin und Chen Shaoping bestand, beeinflusst. Wie die »New Measurement Group« basierte ihre Kunst auf der Verbindung von Kunst und rationalwissenschaftlichen Denkmodellen und empirischen Versuchsanordnungen. Der konzeptionelle Ausgangspunkt der xinkedu waren bereits seit Mitte der 1980er Jahre Messungen, nachweisbare physikalische Relationen und die Kommunikation in mathematischen Gleichungen. Ziel der Konzentration auf diese Art der rationalen »Verständigung«, die individuelle gefühlgesteuerte Äußerungen ausklammerte, war die Herauslösung aus ideologisch kontaminiert verstandenen gesellschaftlichen und auch sprachlichen Strukturen. Wichtig im Zusammenhang mit der xinkedu ist im Unterschied zu Qian Weikang und Shi Yong, dass es sich nicht nur um eine aus Individuen bestehende Künstlergruppe, sondern um ein Künstlerkollektiv handelte: Alle Arbeiten wurden gemeinsam konzipiert und realisiert und somit das Ideal demokratischer Prinzipien wie Gleichheit und Partizipation stark gemacht. Detaillierte Informationen zur »New Measurement Group« siehe: Hou Hanru. 1991, Hou Hanru. 2002b, S. 28 ff.
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im Grunde, dass nur der Physikalismus die einzig angemessene Beschreibung der Wirklichkeit liefere, das heißt, dass nur als wirklich gilt, was messbar ist. Die Titel ihrer Arbeiten klingen wie Anordnungen für physikalische oder chemische Experimente. So beispielweise Qian Weikangs Installationen An Object Raised Five Degrees Gives a Sense of Volume to its Shadow oder Oppression: White Measure, Wind Direction: White Measure 2005b, Crossover: White Measure 15g and one Example Involving Length, Width, Height and thickness oder Imitation: White: 36k, Squaremeters: 36cm², Additional Electrical Current. 6V (1993) (Abb. 48). Qian Weikangs und Shi Yongs Arbeiten wurden laut Gao Minglu das erste Mal 1993 in der Ausstellung mit dem Titel »Two Attitudes Towards Images«433 gezeigt, die laut Hou Hanru weniger einer Kunstausstellung als einem Physik- oder Chemielabor glich. Gao Minglu beschreibt Qian Weikangs Arbeiten folgendermaßen: »In his works, quantities of a substance such as power were evenly and carefully sprayed over a specified area and the weight of the powder was equal to the value of displacement in physics according to measurement of the area where powder was sprayed.«434 Shi Yongs Arbeit Eilled Projection, Incline to a Force Point, Lifting up by 5 Degrees and Overlapping Shadows beschreibt Gao so: »In his work, photosensitive paper was precisely located and placed in the shadow of another substance in the space caused by sunlight. According to the artist, the central concern of the work is the resistance of the photosensitive paper against the light in terms of the movement of the sun.«435 Li Xianting beschreibt eine andere Arbeit von Qian Weikang folgendermaßen: »Perhaps the most extreme work of this kind was done by Qian Weikang in January 1995. The piece entitled Live Performance of the Wind, was shown in Shanghai’s ›Installation: The Positioning of Language‹ exhibition, and involved an elastic band connected between the wall and a curtain. As the wind blew the curtain, it pulled the elastic band and thereby demonstrated that even the wind can have a measurable sense of weight.«436 Hou Hanru schreibt über die Arbeiten Leaning to a Supporting Point of Force von Shi Yong (1993) (Abb. 49) und Untitled von Qian Weikang (1993), die beide in der oben genannten Ausstellung zu sehen waren, als Beispiele dieser künstlerischen Experimente: »In the 1993 exhibition ›Two Attitudes of Identity‹ (xingxiang de liang ci taidu) they turned the exhibition space into a kind of physics/chemistry laboratory. Their 433 | Hou Hanru übersetzt den Titel der Ausstellung mit »Two Attitudes of Identity«. Aus: Hou Hanru 2002b, S. 31. 434 | Aus: Gao Minglu 2005a, S. 146. 435 | Ebd. 436 | Aus: Li Xianting 2000, S. 74.
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Abb. 48: Qian Weikang, Oppression: White Measure, Wind Direction: White Measure 2005b, Crossover: White Measure 15g and one Example Involving Length, Width, Height and thickness oder Imitation: White: 36k, Squaremeters: 36cm!, Additional Electrical Current. 6V (mofang: baise shuliang: 36 ke. mianji. 39 pingfang limi. zengbu dianliu 6V. 5A.), Installation, 1993
Quelle: Gao Minglu (Hg.). 2005a. The Wall. Reshaping Contemporary Chinese Art. New York.
installations, comprising photographic paper, light-sensitive mateirals, gypsum poweder, sheet iron, video, lighting, aerosol paint, functioned as vehicles expressing the transformation of different materials in different conditions (time, temperature, light, space …). While the physical and chemical changes of the material took place, the artists became the observer of the processes.«437 Interdisziplinäre Grenzen zu anderen Gebieten wie zum Beispiel zum Feld der Naturwissenschaft aufzulösen und sich deren Strategien zu eigen zu machen, war in den 1990er Jahren ein beliebtes Mittel, durch Politik, Gesellschaft und Kultur definierte Geltungsansprüche infrage zu stellen. Indem man sich selbst bestimmte, eigentlich kunstferne Regeln aufoktroyierte, wurde das geltende Regelwerk infrage gestellt, um auf diese Weise Räume außerhalb der erlaubten »Ordnung«, das heißt 437 | Hou Hanru. 2002b, S. 31.
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Abb. 49: Shi Yong, Leaning to a Supporting Force, Installation, 1993
Quelle: Hou Hanru. 2002a. On The Mid-Ground. Hou Hanru. Selected Texts edited by Yu Hsiao-Hwei. Hongkong.
vor allem jenseits der zunehmend alle Lebensbereiche durchdringenden Kommerzialisierung und politischen Ideologisierung zu eröffnen und dadurch die Art und Weise zu verändern, wie bisher Grenzen wahrgenommen wurden.438 Auch die von Geng Jianyi initiierten Ausstellungen »November 26th, 1994 as Reason« und »45 Degree as a Reason« sind in diesem Kontext zu verstehen. Die Titel der Ausstellungen waren zugleich Handlungsanweisungen für die teilnehmenden Künstler. Während alle Arbeiten in der zuerst genannten Ausstellung eine Beziehung zum Datum des 26. Novembers, einem x-beliebigen Datum, ursprünglich ohne irgendeine besondere Bedeutung, herstellen sollten, so sollte der Titel »45 Grad als Grund« schon durch seine offensichtliche Nonsens-Bedeutung die Künstler dazu anleiten, ihre bisherigen künstlerischen Herangehensweisen zu überdenken und den Radius des Persönlichen zu überschreiten.439
11.1.2. Installative Interventionen im öffentlichen Raum Vor allem im Süden des Landes, im liberalen Guangzhou, weit weg von Hauptstadt und Regierungssitz Peking, verfolgte die Gruppe namens »Großschwanzelefanten« (daweixiang)440 seit 1991 eine andere, dem Rückzug ins Private diametral entgegengesetzte Strategie, indem sie mit ihren performativen Installationen offensiv 438 | Ausführungen zum Aspekt der »Entideologisierung« siehe Hou Hanru. 2002b, S. 24 ff. 439 | Vgl. Smith, Karen. 2005, S. 110 f., Gao Minglu. 2005a, S. 146 und 150–151. 440 | Über den Namen der Gruppe schreibt Hou Hanru: »[…] die Selbsternennung der Künst-
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in die Öffentlichkeit gingen.441 Künstlerisch unterschiedliche und sehr individuelle Positionen verfolgend, eint die vier »Großschwanzelefanten« Chen Shaoxiong, Liang Juhui, Lin Yilin und Xu Tan, dass die Kommunikation mit den gesellschaftlichen Realitäten in Form ihrer künstlerischer Interventionen im urbanen Kontext den Kern ihres künstlerischen Ansatzes darstellt. Sie organisierten Ausstellungen, Aktionen und Performances in öffentlichen Toiletten, in Tiefgaragen, verlassenen Häusern, Bars, auf der Strasse, auf Baustellen und an anderen nicht autorisierten Orten. Ihre spontanen, temporären und zumeist ortsspezifischen Interventionen erinnern an Überraschungsaktionen von Guerillakämpfern, was der seit Beginn der 1990er Jahre neuen, durch die zunehmende Ökonomisierung und Globalisierung geprägten und im Unterschied zu den 1980er Jahren wesentlich komplexeren Situation entgegenkommt. Yin Shuangxi schreibt über die »Großschwanzelefanten«: »By placing their installation art in the public space, these acts reflected their concern for engaging in a dialogue with the audience.«442 Im Unterschied zu den 1980er Jahren, als die Grenzen zwischen offzieller und inoffizieller Sphäre noch klar definiert waren und in der Avantgarde-Kunst die ideologische Kritik als Opposition zur herrschenden Staatsideologie dominierte, korrespondieren die informellen, häufig humorvollen Aktionen der »Großschwanzelefanten« mit der neuen Komplexität der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Strukturen seit den 1990er Jahren. Laut Wang Hui, der die Marktwirtschaft als neue Ideologie der Kommunistischen Partei bezeichnet, geht diese neue Komplexität, die eine verstärkte Normierung nach utilitaristischem Nutzen mit sich bringt, zulasten der kreativen Freiheit. Anstatt an einer Front, nämlich der politischen, muss der Kreative nun auch gegen die Vereinnahmung durch ökonomische Interessen kämpfen, die jetzt nicht nur im eigenen Land, sondern über die Grenzen hinweg global lauern. Dies wiegt umso schwerer, als dass die politische Sphäre von der ökonomischen und die ökonomische von der politischen durchdrungen ist: »In the present context, the complex interprenetation of state machinery and the capitalist market means, on the one hand, that the state is completey involved in cultural production and, on the other hand, that cultural production is part both of capital and the market.«443 Die Aktionen der »Großschwanzelefanten« zeichnen sich durch ihr hohes Maß an Direktheit und Flexibilität aus und verfolgen häufig Strategien der Provokation. lergruppe zum an ein unkenntliches Fabelwesen anmutenden ›Großschwanzelefanten‹ ist eine ›vernünftige‹ Selbstironisierung.« Aus: Hou Hanru. 1998, S. 47. 441 | Literatur über die »Großschwanzelefanten« siehe: Fibicher, Bernhard. 1998, Hou Hanru. 1998. 442 | Yin Shuangxi. 2002, S. 68. 443 | Aus: Wang Hui. 2001, S. 186 Aus diesem Grund hält Wang Hui den Öffentlichkeitsbegriff von Habermas, der davon ausgeht, dass der öffentliche Raum zwischen Staat und Gesellschaft vermittelt, für unbrauchbar.
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Auf diese Weise entziehen sie sich jeglicher Vereinnahmung und sind gleichzeitig ideales Mittel der Kommunikation mit den sich ständig ändernden Realitäten der sich im rapiden Wandel befindenden Stadt Guangzhou. Laut Hou Hanru gelingt es den »Großschwanzelefanten«, mit ihren Aktionen temporäre Räume für öffentliche und somit nachhaltig wirkende Debatten zu schaffen.444 Aufgrund des Sonderwirtschaftszonenstatus und der damit verbundenen Beschleunigung der Ökonomisierung und wegen der Integration in das System des globalen Kapitalismus – in erster Linie als billige Produktionsstätte – sind die strukturellen, das heißt hier vor allem gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen in der Stadt Guangzhou und im sie umgebenden Pearl River Delta besonders virulent. Die Überbetonung ökonomischer Aspekte, der daraus entstehende Geldfetischismus und die Ausprägungen der Konsumgesellschaft stehen laut Hou Hanru im Zentrum der künstlerischen Auseinandersetzung der »Großschwanzelefanten«.445 Ihre Arbeiten zeigen, dass es möglich ist im Spannungsfeld zwischen einer immer noch rigiden Staatsideologie, die das Einfügen des Einzelnen in das Kollektiv fordert, und der neuen wirtschafltichen Freiheit, die den Einzelnen auffordert, sein Vermögen zu vermehren, Freiräume zu generieren. Ihre Arbeiten sind zugleich Ausdruck und Reaktion auf die neue Heterogenität in China. Sie setzen sich mit den kulturellen, intellektuellen, gesellschaftlichen und politischen Brüchen in ihrem Land und den daraus resultierenden Zuständen der Verwirrung, Überforderung, aber auch mit den damit zusammenhängenden neuen Aktivitätspotenzialen auseinander. Die »Großschwanzelefanten« gingen in die Öffentlichkeit, weil sie ihre Mitmenschen erreichen wollten und sich dem durch die offizielle Seite der Gegenwartskunst auferlegten Bann nicht beugen wollten. Im öffentlichen Raum realisierten Mitglieder der »Großschwanzelefanten« unter anderem folgende Arbeiten: 1997 stellte Chen Shaoxiong (geb. 1962) die Videoinstallation zu Sight Adjuster 5 (Korrektur des Sehvermögens 5)446 (Abb. 50) in einer öffentlichen Toilette aus und gab auf die Frage, warum er diesen Ort gewählt hatte, zur Auskunft: »Heutzutage wo die Leute in Guangzhou nur noch ihrem Verdienst nachjagen, haben sie überhaupt keine Zeit mehr zum Lesen, geschweige denn Kunst zu betrachten. Deshalb haben wir uns gedacht, dass sie sich wahrscheinlich einzig auf der Toilette noch die Zeit gönnen, ein Buch zu lesen oder Kunst anzuschauen. Eine Installation in der Toilette ist eine wirkungsvolle Form des Kunstschaffens.«447 Bei den Sehkorrekturen (Sight Adjusters) handelt es sich um eine Serie, für die Chen von 1995–1999 eine Reihe von Apparaturen kreierte. Der Sight Adjuster 3 444 | Vgl. Hou Hanru. 1998, S. 52. 445 | Vgl. ebd. 446 | Diese Arbeit ist im Grey Cover Book dokumentiert: Zeng Xiaojun; Ai Weiwei (Hgs.). 1997, S. 63. 447 | Aus: Hou Hanru. 1998, S. 47.
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(1997) (Abb. 51–52) hat die Form einer überdimensionalen historischen Großformatkamera, die allerdings statt aus einem, aus zwei Laufböden besteht, die am vorderen verjüngten Ende je eine Linse aufweisen und am hinteren Ende in zwei Fernsehgeräte, die auf zwei Sockeln stehen, münden. Schaut der Betrachter durch diese bzw. in diese hinein, so wird er mit Videobildern konfrontiert, die aufgrund ihrer Parallelität einen Zusammenhang vorgaukeln, aber in »Wirklichkeit« keine logische Beziehung aufweisen und auf diese Weise sowohl die Wahrnehmung des Betrachters in die Irre führen als auch geltende semantische Bezüge dekonstruieren. »The images behind the tv screens and the two lenses of the binoculars are always changing, shifting between totally disconnectd and arbitrarly bridged scenes that constantly alter and restructure the meanings of the objects and scenes. The beholders are forced to look into the lenses in voyeuristic positions. What they get are not only perverse pleasures but also puzzling questions about the reliability of their perceptions of the ›real world‹.«448 Interessanterweise befasst sich Chen bereits in diesen frühen Sichtkorrekturarbeiten mit der Unmöglichkeit der perfekten Reproduktion von Realität, was, wie in Kapitel III. gezeigt werden wird, bis heute eines seiner Hauptthemen ist. »His Sight Adjusters (1995–1999), in the form of binoculars, invite the audience to experience the impossibility of perfect reproduction of reality through perceptive devices and negotiates with the contradictory restraints of the impossibility and the pleasure of desiring for perfection.«449 Laut Hou Hanru ist es Chens Anliegen, mittels der Sehkorrekturgeräte, vor allem indem er diese in einer öffentlichen Toiletten aufstellte, nicht nur den Betrachter in die unangenehme Position eines Voyeurs zu versetzen, sondern darüber hinaus die Stadt zum Thema seiner Arbeit zu machen.450 Die »Sichtkrise«, so Hou Hanru, »steht stellvertretend für die Umstrukturierung der Umwelt oder für die Umwandlung des Raums in andere ›Geometrien‹ und greift die bestehende Aufteilung des Stadtraums und die Ordnung des Lebens frontal an.«451 Lin Yilin realisierte 1995 im Guangzhouer Stadtraum die performative Installation Sicheres Überqueren der Linhe Strasse (Abb. 53). In einer mehrere Stunden andauernden Aktion und mit hohem Körpereinsatz schichtete er auf einer befahrenen Straße Ziegelsteine zu einer von der einen Straßenseite zur anderen »laufenden« Mauer, indem er die hinteren Steine immer wieder, Stück für Stück, nach vorne versetzte. Er errichtete auf diese Weise eine temporäre, das heißt dynamische Barrikade, was an sich dem Wesen einer Absperrung zuwiderläuft, an dieser Stelle aber hohe subversive Effizienz besaß und als Strategie der Flexibilität, wie sie alle »Großschwanzelefanten« verfolgten, zu verstehen ist. Die bewegliche Mauer verursachte 448 | Hou Hanru. 2009, keine Seitenzahlen. 449 | Ebd. 450 | Vgl. Hou Hanru. 1998, S. 49. 451 | Ebd., S. 48.
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Abb. 50: Chen Shaoxiong, Sight Adjuster 5 (shi li jiao zheng qi 5), Installation, 1995
Quelle: Chen Shaoxiong (Monographie). 2009. Hongkong.
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Abb. 51: Chen Shaoxiong, Sight Adjuster 3 (shi li jiao zheng qi 3), Installation, 1996
Quelle: Chen Shaoxiong (Monographie). 2009. Hongkong.
einen Stau auf der befahrenen Straße, was zu einer Verlangsamung führte und temporäre Räume der Reflexion eröffnete. Lin Yilins Ziel war es, den Rezipienten durch die Dynamisierung von etwas ursprünglich Statischem vor Augen zu führen, dass Transformationen menschengemacht sind und dass es sich demnach lohnt, die Perspektive zu ändern und aktiv Veränderungen voranzutreiben. Im Ausstellungskontext stellten die »Großschwanzelefanten« räumliche Situationen her, welche die Erfahrungen im Stadtraum verarbeiteten und kommentierten.452 Chen Shaoxiong und Liang Juhui thematisierten in ihren Installationen Sehkorrektur und Spiegelpassage die aus der neuen Situation, das heißt aus der Auflösung alter Werte und Ordnungen entstandene Konfusion. Liang Juhui baute im Ausstellungsraum eine Baubaracke nach und schaffte im Inneren durch den Einsatz von Spiegeln und der Audioeinspielung von menschlichen Stimmen eine Raumsituation, die im Betrachter das Gefühl der Orientierungslosigkeit, so als ob er sich in einem Irrgarten befände, auslöste. Laut Hou Hanru ist es das Anliegen Liangs, auf
452 | Dokumentiert ist unter anderem die dritte Ausstellung der »Großschwanzelefanten«, die in der Red Ants Bar (Hongmayi jiuba) in Guangzhou stattfand. Die Ausstellung umfasste Lin Yilins Aktion 100 kuai he 1000 kuai (100 Yuan und 1000 Yuan), Chen Shaoxiongs 5 xiaoshi (5 Stunden), Xu Tans aiqing de yuyan (Liebesparabel), Liang Juhuis kong (Leere). Im weiter oben erwähnten »Black Cover Book« findet sich eine ausführliche Dokumentation der Ausstellung.
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Abb. 52: Chen Shaoxiong, Sight Adjuster 3, Videostills, Installation, 1996
Quelle: Chen Shaoxiong (Monographie). 2009. Hongkong.
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Abb. 53: Lin Yilin, Sicheres Überqueren der Linhe Strasse (anquan duguo lin he lu), performative Installation, 1995
Quelle: Wu Hung, Feng Boyi und Wang Huangsheng (Hgs.). 2002.The First Guangzhou Triennial. Reinterpretation: A Decade of Experimental Chinese Art (1990-2000). Guangzhou.
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diese Weise die Sensibilität des Betrachters für eine kritisch hinterfragende Wahrnehmung der Welt zu erhöhen.453 Auch Chen Shaoxiongs Videoinstallation Sehkorrektur VII stellt bisher geltende (Seh-)Gewohnheiten und somit unsere Wahrnehmung von Realität infrage. Laut einer Beschreibung von Bernhard Fibicher war die Arbeit folgendermaßen installiert: »Sight Adjuster VII (Sehkorrektur) besteht aus zwei Videoprojektionen, die sich in langsamem Rhythmus im Uhrzeigersinn drehen und in den Raumecken verzerren. Die Aufnahmen selber sind mit einer um die eigene Achse kreisenden Kamera gemacht. Diese Doppelbewegung führt dazu, dass einem das Bild ständig entgleitet. Darüber hinaus alternieren die Videosequenzen ständig: Ansichten von privaten und öffentlichen Innenräumen wechseln mit Straßenszenen ab; vor diesem Hintergrund scheinen sporadisch Portraits von Einzelpersonen auf. Chen Shaoxiongs Doppelprojektionen und mit ihnen der Betrachter drehen sich im Kreis, die Welt ist aus den Angeln gehoben.«454 Den vierten im Bunde, Xu Tan, interessieren Appropriationen des Alltags. Als Readymades transferiert er Materialien, Objekte und Bilder des Alltags in den Ausstellungsraum. Bisweilen durch Übertreibung surreal erhöht, ist sein Anliegen Gesellschaftskritik. Nicht nur in Guangzhou, sondern auch an anderen Orten des Landes praktizieren Künstler in den 1990er Jahren installative Kunst im öffentlichen Raum. Am 28. Januar 1996 errichtet Wang Jin unter dem Titel Ice: Central Plains (Abb. 54) in der Stadt Zhengzhou in der Provinz Henan anlässlich der Eröffnung eines Einkaufszentrums eine Mauer aus Eisblöcken mit einem Gesamtgewicht von 600 Tonnen.455 In der 30 Meter langen, zweiundhalb Meter hohen und ein Meter breiten monumentalen Eismauer hatte der Künstler verschiedene Konsumartikel eingefroren und in Folge das Publikum aufgefordert, die Mauer einzureißen, um an die Produkte zu gelangen. Der Ansturm war gewaltig und die Rezipienten respektive die Kunden des Einkaufszentrums bedienten sich jeglicher auffindbarer Mittel, um an die Konsumartikel zu gelangen.456 »They attacked it with ardent enthusiasm and by so doing, not only did the audience unconsciously participate in the work but allowed the work to illustrate the changing moral values of people thrown into confrontation with commercialism.«457
453 | Hou Hanru. 1998, S. 49. 454 | Fibicher, Bernhard. 1998, S. 5. 455 | Wie bei Gao Minglu nachzulesen ist, war Wangs Installation im Auftrag des Einkaufszentrums kreiert worden: »Wang was commissioned by the owners of the first large shopping mall in Zhengzhou to create a monument for the opening ceremony in 1996.« Aus: Gao Minglu. 1999, S. 137. 456 | Vgl. Gao Minglu. 1999, S. 137. 457 | Yin Shuangxi. 2002, S. 69.
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Abb. 54: Wang Jin, Ice: Central Plains (zhong yuan bing) , Installation, 1996
Quelle: Wu Hung, Feng Boyi und Wang Huangsheng (Hgs.). 2002.The First Guangzhou Triennial. Reinterpretation: A Decade of Experimental Chinese Art (1990-2000). Guangzhou.
Wang Jins Installation thematisiert das Desinteresse an kritischen künstlerischen Positionen und übt außerdem Kritik an der Konsumgesellschaft, welche sich im Zuge der ökonomischen Reformen zunehmend manifestiert. Bereits 1990 setzte sich der Künstler Geng Jianyi mit dem im Zuge der Urbanisierung Chinas einhergehenden großflächigen Abriss alter Bausubstanz und der damit verbundenen Zerstörung von traditionellem Lebensraum auseinander. An seinem Wohnort Hangzhou realisierte er in einem zum Abriss freigegebenen und
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Abb. 55–56 Geng Jianyi, Building No. 5 (wu hao lou), Installation, 1995
Quelle: Gao Minglu (Hg.). 2005a. The Wall. Reshaping Contemporary Chinese Art. New York.
aus diesem Grund leer stehenden Gebäude die ortsspezifische Installation Building No. 5 (Abb. 55–56). In Erinnerung an die ehemaligen Bewohner und deren tägliche Verrichtungen legte er in dem ehemaligen Verwaltungsgebäude Spuren aus ausrangierten Schuhen. Er erzeugte auf diese Weise eine melancholische Stimmung der Vergänglichkeit und thematisierte durch die Anwesenheit des Abwesenden zugleich seine eigene, ihm als konzeptionellem Künstler mittels offizieller Restriktionen auferlegte »Unsichtbarkeit«.458 Besonders stark vom Abriss betroffen war und ist bis heute die Hauptstadt Peking, wo bereits große Teile der Altstadt verschwunden sind. Zhan Wang realisierte dort im Jahr 1994 in einem Ruinenfeld des Altstadtviertels die temporäre Installation Ruin Cleaning Project (Abb. 57), die als stille Protestaktion gegen die Auswirkungen der rapiden Urbanisierung, das heißt gegen die Zerstörung der alten 458 | Vgl. Smith, Karen. 2005, S. 95 f. und Gao Minglu 2005a, S. 78
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Hofhäuser zugunsten größerer, ökonomisch einträglicherer Gebäude zu verstehen ist.459 Durch performative Aktionen des Säuberns und Tünchens noch übrig gebliebener Gebäudereste konstruierte er einen temporären Raum, der schon kurz nach Beendigung seiner Aktion durch den endgültigen Abriss der noch übrig gebliebenen Reste nur noch als imaginärer Raum der Erinnerung existierte. So wie die Arbeit im Kontrast zur tosend lauten Abriss-Realität in Peking still und unabhängig weiter existiert, so soll dies Hou Hanru zufolge die unbedingte Unabhängigkeit von Kunst zum Ausdruck bringen: »Art should never be a forum of ideological, antagonistic debates nor a battlefield of propaganda or counter-propaganda: but rather, it should be an irreplaceable, specific and autonomous narrative and testimony to reality.«460
12. ENTWICKLUNGEN IN DER CHINESISCHEN INSTALLATIONSKUNST IN DER ZWEITEN HÄLFTE DER 1990ER JAHRE 12.1. Videoinstallationen Seit Mitte der 1990er Jahre wurde in China zunehmend im Medium der Videoinstallation gearbeitet.461 Im Jahr 1996 kuratierten Wu Meichun und Qiu Zhijie die erste Videoausstellung in China.462 Sie hatte den Titel »Image and Phenomenon« (xianxiang he yingxiang) und fand in der Galerie der National Academy of Fine Arts, die an Wus und Qius Alma Mater, die Kunsthochschule in Hangzhou, angeschlossen war, statt. Sie umfasste mehr als zehn Videoinstallationen sowie Videoarbeiten und brachte die Pioniere der chinesischen Videokunst wie Zhang Peili, Qiu Zhijie, Chen Shaoxiong, Yan Lei und Wang Gongxin zusammen.
459 | Vgl. Hou Hanru. 2002a, S. 35. 460 | Ebd. 461 | Zhu Qi schreibt in diesem Zusammenhang: »From the mid-1990s, new media was extensively included in avant-garde and experimental art. New media art, which included photography, video, internet and computer art, quickly sprang up.« Zhu Qi. 2002, S. 23. 462 | Smith, Karen. 2005, S. 397, Wu Meichun. 2001a, in: Zhu Qi. 2002, S. 23: »In this exhibition, two earlier video art publications ›Art and Historical Consciousness‹ and ›Video Art Articles/Documents‹ were published. The documents mainly included translations of articles of the concepts and aesthetics in video art in that period by western artists as Vito Acconci, Gary Hill, Norman and Bill Viola. Works in this exhibition did not employ computer painting, digital shooting and editing techniques. From their technical aspects, they belonged to video art, employing mainly analog video tape recorders and cameras. The work of Wang Gongxin, who had returned to China from abroad in 1995 did demonstrate true experimentation in technique and aesthetics, while strictly speaking, that of Zhang Peili, Qiu Zhijie, Yang Zhenzhong, Zhu Jia and Chen Shaoxiong was a more conceptual art or video installation made with a video camera.«
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Abb. 57: Zhan Wang, Ruin Cleaning Project ´94 (94 feixu qingxi jihua), performative Installation, 1994
Quelle: Gao Minglu (Hg.). 2005a. The Wall. Reshaping Contemporary Chinese Art. New York.
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Einer der wichtigsten Vertreter der frühen Videoinstallation ist Zhang Peili, der in der genannten Ausstellung mit zwei Arbeiten vertreten war, mit der Installation Kindergarten (Abb. 58–59) aus dem Jahr 1993 und der Arbeit Uncertain Pleasures (Abb. 60–61) von 1996. Kindergarten besteht aus einer absichtlich nachlässig gruppierten Ansammlung von zehn Fernsehmonitoren und an diesen angeschlossenen DVD-Geräten auf dem Fußboden. Alle Bildschirme zeigen das gleiche geloopte Videomaterial. Zu sehen ist ein mechanisches Kinderspielzeug: Kleine Pinguinfiguren aus Plastik drehen auf einer mechanischen Bahn ihre Runden. Unaufhörlich klettern sie eine Steigung hoch, um dann wieder herunterzugleiten. Aufgrund der installativen Anordnung wird die Geschlossenheit des mechanischen Spielzeugs als System betont. Durch die ratternden Sounds, die das Spielzeug erzeugt, wird Geschäftigkeit suggeriert. Laut Karen Smith ist die Arbeit als Metapher der menschlichen Existenz zu verstehen, die durch zyklisches Kreisen, leere Routinen in vorgegebenen Bahnen gekennzeichnet ist. Außerdem, so Smith, ist die Arbeit als Kritik am marxistischen System zu verstehen, in dem jeder Mensch ein Rädchen im Getriebe sein muss, damit es reibungslos funktioniert.463 Uncertain Pleasures besteht ebenso aus mehreren auf dem Fußboden gruppierten Bildschirmen, auf denen verschiedene Nahaufnahmen eines sich unaufhörlich kratzenden Menschen zu sehen sind.464 Der Eindruck, dass es sich bei dem unaufhörlichen Kratzen um Symptome einer Zwangsneurose handeln könnte, wird verstärkt, indem Zhang Aufnahmen aus verschiedenen Perspektiven auf den unterschiedlichen Bildschirmen zu einer dreidimensionalen Ansicht des Vorgangs installiert. Laut Wu Meichun betont Zhang darüber hinaus die räumliche Qualität der Arbeit, indem er die Aufnahmen des sich Kratzenden von Bildschirm zu Bildschirm springen lässt und auf diese Weise den Eindruck einer Sequenz erreicht, eine Verräumlichung des Zeitlichen, also ein Zeit-Raum-Kontinuum. Wiederkehrendes Thema in Zhangs Arbeiten ist die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen sozio-kultureller Konditionierung auf den menschlichen Körper. Der Körper ist für ihn die natürliche biologische Grundlage aller komplexen kulturellen Existenzformen; obwohl zerbrechlich, kann er gleichwohl niemals von einem politischen oder ökonomischen Körper ersetzt, das heißt vereinnahmt werden. Das Medium der Videoinstallation schätzt Zhang aufgrund seiner Direktheit. Während Video wie ein »elektronischer Spiegel« oder als Vergrößerungsglas die Qualität der Verstärkung besitzt und dadurch andere, bisher unbekannte Wahrnehmungen des
463 | Smith, Karen. 2005, S. 392. 464 | »Zhang Peili’s work displayed in the Garage Art Show in 1991 was perhaps the earliest work created with video equipment in China. The video recorded the repeated process of washing a chicken (Document on Hygiene No. 3). As with later piece Uncertain Pleasure, such works were designed to reflect abstract personal experiences within socio-political circumstance.« Aus: Zhu Qi. 2002, S. 22.
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Abb. 58 (oben) und 59 (Mitte, unten) Zhang Peili, Kindergarten (ertong yeluan), Installation, 1993
Quelle: Huang Zhuan (Hg.). 2008. Artistic Working Manual of Zhang Peili (Zhang Peili yishu gongzuo shouce). Shenzhen.
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Abb. 60: Zhang Peili, Uncertain Pleasures (bu que jie de kuai gan), Installation, 1996
Quelle: Huang Zhuan (Hg.). 2008. Artistic Working Manual of Zhang Peili (Zhang Peili yishu gongzuo shouce). Shenzhen.
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Abb. 61: Zhang Peili, Uncertain Pleasure, Installation (alternative Präsentationsform), 1996
Quelle: Huang Zhuan (Hg.). 2008. Artistic Working Manual of Zhang Peili (Zhang Peili yishu gongzuo shouce). Shenzhen.
eigentlich Bekannten ermöglicht, so hat der räumliche Bezug der installativen Anordnung direkte körperliche Auswirkungen auf den Rezipienten.465 Eine weitere Arbeit in der Ausstellung war die Gemeinschaftsinstallation Visible and Invisible Lifes (1996) (Abb. 62) von Gao Shiqiang, Gao Shiming und Lu Lei. Indem an einem Eisengestell in Form eines offenen Kubus an mehreren Stellen Monitore angebracht sind, auf denen einer ein Fenster, ein anderer eine Tür und ein weiterer den Fuß eines eintretenden Menschen zeigt, entsteht der Eindruck eines belebten Raumes. Qiu Zhijie beschreibt die Arbeit folgendermaßen: »An iron frame of an hexahedral house. Where the door was, there were two television sets, the door handle and feet on the floor. Then, where the window was, there was another television set playing the wind with rippling curtains. The door handle showed people constantly pushing the door open to enter. On the side of the feet, feet were shown to be constantly going in and out but not synchronously. Then, in one corner of the room there was another television set, a video camera scanning along the corner of the wall because this iron frame was the construct of an abstract space examining ordinary life, matched with quite sensational music.«466
465 | Vgl. Wu Meichun. 2001b, keine Seitenzahlen. 466 | Li Zhenhua. 2008. Siehe auch London, Barbara . 1997.
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Abb. 62: Gao Shiming, Gao Shiqiang, Lu Lei, Visible and Invisible Lives, Installation, 1996
Quelle: Feng Boyi und Wang Huangsheng (Hgs.). 2002. The First Guangzhou Triennial. Reinterpretation: A Decade of Experimental Chinese Art (1990–2000). Guangzhou.
Qiu Zhijie und Wu Meichung betonen im Zusammenhang der Entstehung von Videokunst in China die Rolle von Professor Ernst Mitzka von der Hamburger Kunstakademie, der 1990 Gast an der Zhejiang Academy of Fine Arts war und in diesem Kontext Beispiele westlicher Videokunst vorgestellt hatte.467 Pi Li betont, dass sich die Videokunst in China nicht wie im Westen in den 1970er Jahren als Kritik an den Massenmedien, sondern in Auseinandersetzung mit westlicher bzw. internationaler Videokunst, die vor 1990 entstanden ist, entwickelt hat.468 Zu Beginn der künstlerischen Arbeit mit dem Medium Video standen in China dessen Möglichkeiten, beispielsweise durch Wiederholungen verlangsamter oder beschleunigter Bildfolgen usw. Realität als (ideologisches) Konstrukt zu entlarven bzw. infrage zu stellen, im Vordergrund. Doch nicht nur die Möglichkeit, mittels bewegter Bilder andere Realitäten und Utopien zu ermöglichen, sondern die Betonung der Erfahrungsbedingtheit des zeitbasierten Mediums Video, welche die Ambiguität von Realität zum Ausdruck bringt, besitzt, so schreibt Pi Li, im chinesischen Kontext große Bedeutung. Im Unterschied zur realistischen Malerei entfalten sich Bewegtbild-Arbeiten über die sprachliche Beschreibung hinaus auf der Ebene der Zeiterfahrung während der Betrachtung, was in der Bewegtbild-Installation zudem um die weitere Dimension der körperlichen Interaktion ergänzt wird.469 Da sich auf diese Weise abseits 467 | Professor Ernst Mitzka war 1990 Gast an der Zhejiang Academy of Fine Arts und stellte in diesem Kontext Beispiele westlicher Videokunst vor. »This was the first time a meaningful connection has been made between video and art in China«. Wu Meichun, Qiu Zhijie. 2002, S. 51. Von Wu Meichun und Qiu Zhijie wird Ernst Mitzka mit dem falschen und unvollständigen Namen Professor Mijka eingeführt, dank Karin Oens Recherchen konnte Prof. Mijka inzwischen als Ernst Mitzka identifiziert werden. 468 | Pi Li. 2004, S. 15. 469 | Pi Li. 2009. S. 304–305.
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des Sprachlichen neue Freiräume eröffnen, kann diese positive Betonung der Erfahrungsbedingtheit im Kontext der De-Ideologisierungstendenzen innerhalb der konzeptuellen Kunst der 1990er Jahre in China verstanden werden.470 Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Äußerung von Pi Li, der die Erfahrungsbedingtheit von Videokunst (luxiang) als Bedingung einer aktiven Betrachtererfahrung im Unterschied zur Malerei (hua) bezeichnet und daraus die Popularität von Video in China ableitet. In diesen Zusammenhang einzuordnen ist auch die Äußerung des Kurators Qiu Zhijie der oben genannten Ausstellung: »the falsehood of historical determinism is to consider the human being as a simple perceptive object, while man not only perceives and senses, but also imagines and takes actions to practice«.471 Mit der frühen Videokunst verband sich ein ausgeprägt deideologisierender Anspruch gegenüber jeglicher utilitaristischer Funktionalisierung von Kunst durch Sozialismus, Kommerz, aber auch existierender Projektionen des Westens.472 Des Weiteren, so betont Martina Köppel-Yang, genießt das Medium Video deswegen hohe Beliebtheit, weil es sich aufgrund seiner Qualität der Unmittelbarkeit besonders gut zur Dokumentation und Reflexion des rapiden Wandels in China eignet. Die Konfrontation mit sich ständig verändernden Bedeutungsbezügen spiegele sich in der chinesischen Videokunst in der Auseinandersetzung mit Entfremdungs- und Wahrnehmungsphänomenen.473 In den frühen chinesischen Videoarbeiten wird die Skepsis gegenüber bisher geltenden eindimensionalen Realitäts-Vorstellungen thematisiert und stattdessen deren Ambiguität reflektiert. Vor dem Hintergrund der lange währenden Unterdrückung des individuellen Subjekts und den damit einhergehenden durch die offizielle Seite oktroyierten Vor- und Darstellungen von Wirklichkeit, experimentierten die frühen chinesischen Videokünstler mit ihren eigenen individuellen Zugängen zur Realität und entsprechenden Gegenentwürfen. Zhu Jia beispielsweise erprobt in seiner Arbeit Forever (1994) (Abb. 63) geltende Wahrnehmungsanordnungen, indem er den Betrachter mit Videobildern konfrontiert, die er mittels einer an die Speichen eines Lastendreirades montierten Videokamera während einer Fahrt durch Peking aufgenommen hat, und die als Bildstrudel auf einem Bildschirm erscheinen. Die verwirrende Wirkung der sich um sich selbst drehenden Aufnahmen auf den Betrachter wird erhöht und zudem um eine humorvolle Note ergänzt, weil Zhu Jia die Installation, die aus einem Bildschirm, der an der Wand befestigt ist, sowie aus dem präparierten Lastendreirad besteht, mit Geräuschen lauten Schnarchens unterlegt. Chen Shaoxiong thematisiert, wie schon weiter oben ausgeführt, in seinen optischen Versuchsanordnungen Sight-Adjusters (1996) Wahrnehmung als konzeptuel470 | Zu entideologisierenden Tendenzen in der chinesischen Kunst der 1990er Jahre vgl. Hou Hanru. 2002b, S. 24–39. 471 | Pi Li. 2009, S. 305, Anm. 14. 472 | Vgl. van Plas, Els. 2004, S. 11–14. 473 | Köppel-Yang, Martina. 2003b, S.1.
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Abb. 63: Zhu Jia, Forever (yongyuan), Installation, 1994
Quelle: Feng Boyi und Wang Huangsheng (Hgs.). 2002. The First Guangzhou Triennial. Reinterpretation: A Decade of Experimental Chinese Art (1990–2000). Guangzhou, S. 361
les Konstrukt, das von äußeren Umständen abhängt. Wang Gongxin eröffnet in der Arbeit The Sky of Brooklyn: Digging a Hole in Beijing (1995) (Abb. 45), die als erste ortsspezifische Videoinstallation in China gilt, eine andere räumliche Perspektive über die Grenzen Chinas hinaus, indem er auf dem Boden einer drei Meter tiefen Grube, die er in seiner Wohnung in einem traditionellen chinesischen Hofhaus ausgegraben hat, einen Bildschirm platziert, auf dem Videoaufnahmen des Brooklyner Himmels zu sehen sind, was suggerieren soll, dass der Betrachter von Wangs Wohnung aus den Himmel auf der anderen Seite der Erde sehen kann. Bei vielen frühen Videoarbeiten handelt es sich um Dokumentationen performativer Handlungen. So
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beispielsweise auch Zhang Peilis Arbeit Document on Hygiene No. 3 aus dem Jahr 1991 (Abb. 64), die gemeinhin als erstes künstlerisches Video in China gilt. Es zeigt den Künstler aus der Nahperspektive und in einer einzigen Kameraeinstellung bei der tierquälerischen und zugleich absurden Waschung eines Huhns, wobei die Absurdität der Aktion durch durch die Strategie der Wiederholung verstärkt wird. Die Arbeit hat aufgrund ihrer Unmittelbarkeit und Unerbittlichkeit eine beklemmende Wirkung auf den Betrachter, der auf diese Weise gezwungen wird, seinen Selbstund Weltbezug ideologiekritisch zu hinterfragen.
12.2. Wichtige Installationskunstausstellungen Ende der 1990er Jahre Im Januar 1998 fand in einer leer stehenden Lagerhalle in Peking, die nördlich des dritten Rings in Yaojiayuancun liegt,474 die Installationskunstausstellung »Trace of Existence: A Private Showing of China Contemporary Art ’98« (shengcun henji: 98 zhongguo dangdai yishu neibu guancha zhan) (Abb. 65–66) statt, die von Feng Boyi und Cao Qing kuratiert wurde.475 Partizipierende Künstler waren Cao Qing, Gu De474 | Cai Qing, der von einem zehnjährigen Deutschlandaufenthalt zurückgekehrt war, hat an diesem Ort laut Katalog damals das längerfristig angelegte Projekt »Art Now Studio« ins Leben gerufen, um dort in der damals immer noch schwierigen Lage der zeitgenössischen Kunstpraxis in China am Rande der Gesellschaft akademischen, künstlerischen Austausch abseits kommerzieller Interessen zu ermöglichen. Vgl. Ausst.-Kat. Trace of Existence: A Private Showing of China Contemporary Art’ 98 (shengcun henji: ’98 zhongguo dangdai yishu neibu guancha zhan). Kuratiert von Feng Boyi und Cai Qing. 1998. Peking, S. 8. Laut Feng Boyi spiegelt die Lage des Ausstellungsorts außerhalb des damaligen Stadtzentrums die Position der konzeptionellen Kunst in China. Ebd. S. 13. 475 | Im chinesischen Titel wird deutlich, dass die Ausstellung als Innenschau in die chinesische Gegenwartskunst konzipiert ist. Feng Boyi schreibt dazu im Ausstellungskatalog: […] Although Chinese artists are often placed in the international spotlight, because of the insistence of socialist ideology and attitudes towards art in the minds of Western curators and the powerst hat be, they are still not really able to communicate with a Western audience. […] Chinese artists are pressured to give greater consideration to Western perceptions, and to adhere to the model that Western people call ›Chinese Contemporary Art‹. Although due to domestic circumstances, art in China has experienced an inhibited development, it is important to recognize that this type of Western approach to showing Chinese art is just as detrimental to this development. These are the two fundamental forces that continue to shape Chinese contemporary art. When we began planning this exhibition, it was the hope that by placing it in a Chinese social environment it could be the start of something that would grow and could be nurtured independently in China.« Aus: Ausst.-Kat. Trace of Existence: A Private Showing of China Contemporary Art’ 98 . Kuratiert von Feng Boyi und Cai Qing. 1998. Peking, S. 12. Laut Yin Shuangxi thematisierte die Ausstellung Formen und Räume des Ausstellungsmachens: »The particular theme of the exhibiton was a discourse on the subject
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Abb. 64: Zhang Peili, Document on Hygiene No. 3 (wei zi san hao), Video, 1991
Quelle: Huang Zhuan (Hg.). 2008. Artistic Working Manual of Zhang Peili (Zhang Peili yishu gongzuo shouce). Shenzhen.
xin, Lin Tianmiao, Qiu Zhijie, Song Dong, Wang Gongxin, Wang Jianwei, Yin Xiuzhen, Zhan Wang, Zhang Defen und Zhang Yonghe. Der Ort der Ausstellung war Programm, verdeutlichte seine Stadtrandlage doch die periphere Position der chinesischen Gegenwartskunst in der chinesischen Gesellschaft. Konzeptionelle Gegenwartskünstler spielten in der damaligen Gesellschaft offiziell keine Rolle mehr. Im Austellungskonzept Trace of Existence wurden die eingeladenen Künstler aufgefordert, Arbeiten zu konzipieren, in denen sie sich mit dieser Situation auseinandersetzen. Vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Lebenserfahrungen entwarfen sie soziale Räume, in denen sie ihre Beziehungen zu ihrem Lebensraum, das heißt vor allem zur chinesischen Gesellschaft, thematisierten und auf diese Weise Auskunft über ihr Selbstverständnis sowie ihren Blick auf die Realität gaben. Alle Arbeiten besaßen aufgrund von Thematik und Materialwahl einen direkten Bezug zur chinesischen Realität. Indem sie sich die Sprache des Alltags aneigneten, schufen diese Positionen laut Feng Boyi unabhängige Räume der Reflexion.
of exhibition spaces and forms. In his catalog essay Feng Boyi expressed comments common to young Chinese curators, pertaining to the face of Chinese art selected by Western curators which contrived to distort the image of Chinese contemporary art abroad. He stressed the need to explore the present state of Chinese people, to identify universal human concerns via an innovative art with enduring native ›traces‹.« Aus: Yin Shuangxi. 2002, S. 69.
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Abb. 65–66: Örtlichkeiten der Ausstellung »Trace of Existence« (Innen und Außen), 1998
Quelle: Ausst.-Kat. Trace of Existence: A Private Showing of China Contemporary Art’ 98 (shengcun henji: ’98 zhongguo dangdai yishu neibu guancha zhan). Kuratiert von Feng Boyi und Cai Qing. 1998. Peking.
Viele der Arbeiten waren partizipatorisch angelegt. Somit zeigen sie also nicht nur einen anderen Blick auf die Realität, sondern ermöglichen überdies auch aktive Teilnahme. Dies wiederum, so Feng Boyi, bedeutet für kunstferne Rezipienten eine größere Identifikationsmöglichkeit, was vor dem spezifisch chinesischen Hintergrund – Kunst hatte hier immer und vor allem im Sozialismus eine gesellschaftliche Funktion – auch bedeutet, dass konzeptionelle Kunst aufgrund der Nähe zur »Realität« ihre Legitimationsgrundlage vergrößert.476 Durch diese kritische Infragestellung der Grenze zwischen Kunst und Leben erhalten die Arbeiten eine stark politische Konnotation. Unter den Arbeiten befand sich unter anderem die Installation Eingelegtes Gemüse (1998) (Abb. 67) von Song Dong. Sie bestand aus mehreren Fässern, in denen er 1250 Kilogramm des traditionellen Wintergemüses Kohl lagerte. Wie eine Videodokumentation, die ebenso Teil der Installation war, zeigte, hatte er den Kohl in Eigenproduktion geerntet und dann eingelegt. Dem Besucher der Ausstellung wurden zudem an den Wänden Informa476 | Vgl. Feng Boyi. 1998.
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tionen über die traditionelle Art und Weise, Kohl zu konservieren, sowie Zeitungsdokumente, die daran erinnerten, dass das Kaufen und Konservieren von Kohl in China ehemals von offizieller Seite als ein Politikum gefordert wurde, präsentiert. Am Tag der Eröffnung kochte Song Dong den Kohl und lud die Besucher der Ausstellung zum Essen ein. Ziel dieses Angebots direkter Partizipation war die Bildung einer temporären sozialen Gemeinschaft. Gu Dexin, dessen Arbeiten stets das Entstehungsdatum als Titel haben, realisierte die den Betrachter auf extreme Weise herausfordernde und konfrontative Installation 26.12.1997–2.1.1998 (Abb. 68). In einem kargen Raum, dessen Fenster durch weißen Stoff abgehängt waren und an dessen Wänden laut Feng Boyi flaggenähnlich rote Tücher, installiert war, stand zentral, einem Altar ähnlich, ein länglicher, mit einem rotem Tuch bedeckter Tisch, auf dem Gu Dexin 100 Kilogramm Schweinehirn ausgebreitet hatte. Noch vor Betreten der Installation, noch vor dem ersten visuellen Eindruck fühlte sich der Betrachter durch den penetranten Geruch, der von dem verwesenden Schweinehirn ausging, von der Arbeit abgestoßen. Im Kontext des Ausstellungstitels Spuren der Existenz ist das Thema dieser Arbeit zum einen die Konfrontation mit der Vergänglichkeit des Lebens, die den Betrachter mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontieren sollte. Zum anderen verfolgte Gu Dexin mit dieser extremen Strategie auch das Anliegen, die Relevanz seiner konzeptionellen Position zu betonen. John Clark interpretiert Gu Dexins Verwendung von blutigem Fleisch folgendermaßen: »The seamless complicity in the ordure of life, the slimy, bloody reality of flesh may be away via a rhetoric of horror and abuse that Gu Dexin hopes to achieve a self-transcendence. As a member of the New Measurement he had sought to transcend the artist’s ego by removing it from the art work through the generation of art works by means of mathematically random arrangments between three artists. In the later 90s he used real meat, pigs’ offal and other ›disgusting‹ but consumable entities which allowed the self to recognize ist social constraints and thus provided some freedom to transcend them. This use of flesh serves as a metaphor, one speculates, for what flows raw, foetid and barbaric beneath the carapace of civilization.«477
Yin Xiuzhen partizipierte mit der ortsspezifischen Arbeit Weg (lu) von 1998 (Abb. 69) an der Ausstellung. Unter großer körperlicher Anstrengung und mit hohem zeitlichen Aufwand entnahm sie einem Pfad auf dem Gelände einzelne Pflastersteine. In die entstandenen Löcher zementierte sie Schuhpaare in verschiedenen Größen, männliche und weibliche, jeweils in Schrittfolge angeordnet, aber mit der Öffnung nach unten, das heißt verkehrt herum. Die bewusste Entscheidung, die Schuhe auf diese Weise einzuzementieren, mag darauf verweisen, dass hier nicht allein Spuren des Abwesenden oder besser Abwesender thematisiert werden sollten, sondern viel477 | Clark, John. 2000, S. 22.
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Abb. 67: Song Dong, Eingelegtes Gemüse( suan cai), performative Installation, 1998
Quelle: Ausst.-Kat. Trace of Existence: A Private Showing of China Contemporary Art’ 98 (shengcun henji: ’98 zhongguo dangdai yishu neibu guancha zhan). Kuratiert von Feng Boyi und Cai Qing. 1998. Peking
leicht wollte Yins Arbeit auch auf die von der breiten chinesischen Öffentlichkeit ignorierte Parallelwelt der konzeptionellen Kunst hinweisen.
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Abb. 68: Gu Dexin, 26.12. 1997–2.1.1998., Installation, 1998
Quelle: Ausst.-Kat. Trace of Existence: A Private Showing of China Contemporary Art’ 98 (shengcun henji: ’98 zhongguo dangdai yishu neibu guancha zhan). Kuratiert von Feng Boyi und Cai Qing. 1998. Peking.
12.2.1. Installationen im Kontext der »Post-Sense-Sensibility«-Events Im November 1998478 fand im Keller eines Pekinger Wohngebäudes die Ausstellung »Post-Sense Sensibilty: Alien Bodies and Delusion« (Hou ganxìng: yixing yu wangxiang) statt, mit der die sogenannte Post-Sense-Sensibility-Kunstströmung ihren Anfang nahm.479 Kuratiert von Qiu Zhijie und Wu Meichun umfasste die Ausstellung hauptsächlich Installationen und installative Arbeiten, aber auch Ölmalerei und Fotografie einer jungen, in den 1970er Jahren geborenen Künstlergeneration. Darunter unter anderem die Künstler Chen Wenbo (Malerei), Feng Qianyu, Yang Yong, Wang Wei (Fotografie), Liu Wei und Yang Fudong (Videoinstallationen), Chen Lingyang, Qiu Zhijie, Sun Yuan, Wu Ershan, Xiao Yu und Zhu Yu (ortsspezifische Ins-
478 | Zhang Zhaohui behauptet hingegen, dass die Ausstellung am 9. Januar 1999 eröffnet wurde. Vgl. Zhang Zhaohui. 1999. 479 | Diese Kunstströmung dauerte bis Anfang des 21. Jahrhunderts an und löste große Kontroversen im In- und Ausland aus. Neben der ersten, im Fließtext erwähnten Schau gelten folgende Ausstellungen in China als Post-Sense-Sensibility-Ausstellungen. Qiu Zhijie und Wu Meichun organisieren 2001 in Peking eine Nachfolgeausstellung namens »Post-SenseSensibility. Spree« (hou ganxing kuanghuan). Wichtig zu erwähnen ist in diesem Kontext zudem die Ausstellung »Fuck Off« (bu hezuo fangshi), die als Satellitenschau im Kontext der Shanghai Biennale 2000 in Shanghai von Ai Weiwei und Feng Boyi kuratiert wurde.
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Abb. 69: Yin Xiuzhen, Weg (lu), Installation, 1998
Quelle: Ausst.-Kat. Trace of Existence: A Private Showing of China Contemporary Art’ 98 (shengcun henji: ’98 zhongguo dangdai yishu neibu guancha zhan). Kuratiert von Feng Boyi und Cai Qing. 1998. Peking.
tallationen).480 Ausgangspunkt der Kuratoren war die Ablehnung der damals als dominant empfundenen konzeptionellen Kunst, die als zu intellektualisiert verurteilt wurde. Qiu Zhjie gibt in diesem Zusammenhang zur Auskunft: »We were averse to how this notion was taking precedence over everything else in the popular art practice. By showing-off your intelligence and knowledge to others, such practice led conceptual art to degrade itself into a kind of ›idea art‹ to a great degree, this is merely 480 | Vgl. Berghuis, Thomas. 2006, S. 117, siehe auch Zhang Zhaohuis Artikel, in dem einige Arbeiten in der Schau detailliert beschrieben werden. Vgl. Zhang Zhaohui. 1999.
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I NSTALLATIONSKUNST IN C HINA a consequence of what the very terminology of ›conceptual art‹ implicates. This term leads our attention to the content of the concept, rather than to the on-the-spot experience of art. Therefore, not only did we oppose bad conceptual art, we fought against ›conceptual art‹ itself.«481
In einem Interview aus dem Jahr 2008 sagt er in diesem Zusammenhang Folgendes: »These things [konzeptionelle Positionen; B. H.] bored me to death then. Such works tried to prove that he was cleverer than others, than other artists, and of course they tried to prove that he was also cleverer than the audience. Basically, there were no other contents, no emotional contents, no narrative contents. In fact, works can be composite; they can narrate things, with emotions, that can move and affect people. And they can even be visually pleasurable and stimulating. Anyway, they can be composite.«482
Während konzeptionelle Kunst im Verständnis von Qiu Zhijie sinnliche Ansprache vermeidet, nur den Intellekt anspricht und lediglich rational argumentiert, was er als Begrenzung empfindet, soll Kunst seiner Meinung nach körperliche und sinnliche Erfahrung ermöglichen. Er äußert in diesem Zusammenhang: »As an artistic movement ›post-sense-sensibilty‹ first and foremost rejects conceptualism. It throws away critical cultural behaviors that take clear positions, such as environmentalism and animal rights. It detests realistic or descriptive documentary art about social and cultural facts. It especially opposes making art as hypocritical knowledge or theoretical tool. On the contrary ›post-sense-sensibilty‹ is the actual, total and non-replicable experience. Second, ›post-sense-sensibilty’s‹ emphasis on experience is dif ferent from the instinctive reaction of expressionism. Instinctive simulation, whether bloodily violent or coldly extreme, is nevertheless an ordinary experience. ›Post-sense-sensibilty‹ enters into the cleavage and expansive power of experience which redefines instinct. Lastly ›Post-sensesensibilty‹ completes the artwork upon first try as an agent of imagination. Prior experience is irrelevant. Conversely, it deals with the lack of experience in life. Precisely because no experience can satisfy such absence, post-sense-sensibilty becomes a desire and art form in real life.«483
Wie den Aussagen Qius zu entnehmen ist, hat seine vehemente Ablehnung konzeptioneller Kunst verschiedene Gründe. Zum einen resultiert sie aus der Abneigung gegenüber bestimmten Machtstrukturen, die Qiu Zhijie mit den konzeptionellen Künstlern verbunden sieht. Konkret ist darin die Ablehnung einer älteren Künst481 | Qiu Zhijie. Kein Erscheinungsdatum angegeben. »Post-Sense-Sensibility as a Method«, keine Seitenzahlen. 482 | Li Zhenhua im Interview mit Qiu Zhijie. 2008, keine Seitenzahlen. 483 | Qiu Zhijie. 1998, keine Seitenzahlen.
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lergeneration und die Rebellion gegen deren bevormundende Vormachtstellung zu verstehen. Damit einhergehend ist die Post-Sense-Sensibility-Kunst auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem bis dato vorherrschenden Selbstverständnis konzeptioneller Kunst, welche sich, wie weiter oben beschrieben, aus der Ablehnung der »humanistischen« Kunst und der dort damit einhergehenden Betonung des persönlichen und expressiven Ausdrucks generiert hatte. Wie die bisherige konzeptionelle Kunst lehnt Qiu auch die expressionistische und intentionale Vorstellung des persönlichen Ausdrucks in der Post-Sense-Sensibility-Kunst ab, setzt aber neue Schwerpunkte. Zum einen lehnt die Post-Sense-Sensibility-Kunst jegliche Hierarchien zwischen Künstlern und Rezipienten sowie auch zwischen den Künstlern ab und steht stattdessen für kollektive Aktionen, was ihrer anti-auktorialen Position zusätzlichen Ausdruck verleiht. Des Weiteren steht in der Post-Sense-Sensibility-Kunst ihre Qualität als Agens für Imagination im Vordergrund. Qiu lehnt die konzeptionelle Kunst ab, weil sie stets auf Kosten von etwas anderem funktioniert, einen intellektuellen Kontext benötigt, anstatt aus sich heraus, ohne intellektuelle Vorkenntnisse, verstanden zu werden. Qiu attestiert der konzeptionellen Kunst in diesem Zusammenhang eine ihr stets immanente hierarchische Struktur. Seiner Meinung nach funktioniert konzeptionelle Kunst nur, wenn der Künstler von einer höheren, Qiu schreibt: »cleveren« Warte aus zum Betrachter spricht. Im Unterschied dazu muss Kunst dem Betrachter laut Qiu ohne Vorerfahrung direkt zugänglich sein und ihm Imaginationsräume eröffnen: »Post-sense sensibility deals with the here and now. It is a possibility.«484 Kunst muss den Rezipienten involvieren, ihn direkt ansprechen, sonst ist sie laut Qiu auf verlorenem Posten. In einem Interview gibt er zur Auskunft, was er bereits 1998 in einem Artikel mit dem Titel »The Zone of Errors in Conceptual Art« veröffentlichte: »In this article I systematically taunt such artistic concepts as mechanical worship, worship of boredom, worship of minimalism, things like a heap of apples slowly rotting away, the eyes of a chicken slowly dying, an extremely long shot that was called video art. After that, the revolutionary masses would rather stay home watching soap operas and MTV, and it’s much better watching commercials than see a chicken slowly die fluttering. If art has gone to that extent, it’s got a huge problem.«485 Qiu Zhijie lehnt Kunst als bevormundenden gesellschaftskritischen Kommentar und als belehrend-theoretische Wissensproduktion ab. Laut Wu Meichun drückt sich in der Kunst eine kulturelle Haltung aus. Sie visualisiert Beziehungen der Künstler zur chinesischen Realität, zum kulturellen Umfeld und den daraus resultierenden seelischen Zuständen. 484 | Ebd. 485 | Li Zhenhua; Davide Quadrio. 2008, keine Seitenzahlen.
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Anstatt Außenpositionen einzunehmen, wie sie es den konzeptionellen Künstlern offensichlich vorwerfen, fordern Qiu und Wu engagierte Kunst, die als Motor der Imagination funktioniert. Post-Sense-Sensibility ist niemals abgeschlossen, vielmehr generiert und drückt sie laut Qiu die sich ständig ändernde Beziehung zwischen Selbst und Imagination aus.486 Post-Sense-Sensensibility ermöglicht laut Qiu Zhijie totale, nicht wiederholbare Erfahrungen, die den Rezipienten individuell über seinen Intellekt hinaus, in seiner leiblich-psychischen Ganzheit ansprechen. Ähnlich wie die »humanistischen« Künstler von einem Zustand der Entfremdung ausgingen, der laut der Post-Sense-Sensibility-Akteure nicht nur intellektuell, sondern auch körperlich spürbar ist, ist die Post-Sense-Sensibility-Kunst im Sinne Qius als ganzheitliche Erfahrungskunst zu verstehen. Anstelle der Dominanz des Rationalen steht die körperliche und sinnliche Erfahrung im Vordergrund: »Post-sense sensibility is against reason, because it remains at the level of confusion, lost, indulgence and sentiment and refuses to make judgements. It is the experience of things, the discovery of self within things.« […] »Post-sense sensibility breaks the limits of rationality, and carries the highly acute and rapid sensational power of knowledge elucidated by reason. This is the discovery of sensual content from the constructs of knowledge, the final breakage from self, life in the relationships between things, and existence in action. Sensations are usually influenced by race, age and health factors, and reason is usually effected by education, culture, language, status and other social factors. Post-sense sensibility is however determined by chance and imagination. It operates at the place where sensations and reason grow destitute.«487
Auch wenn sich dergleichen vermuten ließe, geht es in der Post-Sense-SensibiltyKunst nicht um das Unterbewusste, sondern vielmehr um die Möglichkeiten des Reflexiv-Bewussten, das heißt, Post-Sense-Sensibility bietet Erfahrungen als Möglichkeit, um daraus »bewusste« Erkenntnisse zu erhalten: »Post-sense sensibility is not unconsciousness. Unconsciousness is the layer beneath consciousness, but post-sense sensibility is above consciousness, it is the possibility of consciousness, the stuff that consciousness is going to form. Post-sense sensibility is sudden and complete revelation, and vigorous living. The revelation we get from breaking out of unconsciousness and desires is a major discovery of the outside world after being freed from self-entrapment.«488
Vor dem Hintergrund des restriktiven politischen Klimas in China und der Tatsache, dass individuelle Erfahrungen auf Kosten kollektiver Harmonie in der Gesellschaft 486 | Qiu Zhijie 1998, keine Seitenzahlen. 487 | Ebd. 488 | Ebd.
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nur sehr begrenzt möglich sind, kommt die Post-Sense-Sensibility-Kunst, indem sie außergewöhnliche und zügellose Erfahrungen anbietet, einem Befreiungsschlag gleich. Dadurch forciert die Post-Sense-Sensibility-Kunst die radikale Auflösung der Grenzen zwischen Kunst und Leben und ermöglicht individuelle und unbegrenzte »totale« Erfahrung. Anstatt wie die herkömmliche konzeptionelle Kunst nur eine Außenperspektive einzunehmen, steht die Post-Sense-Sensibilitiy-Kunst für die Auflösung der Grenzen zwischen Innen und Außen, um auf diese Weise Handlungsund Entfaltungsräume zu generieren. Die Mittel der Post-Sense-Sensibitily-Künstler, bisher geltende geistige und körperliche Grenzen radikal zu überschreiten, zeigt sich zum Beispiel am Einsatz menschlicher Leichen und sterbender Tieren als »künstlerischem« Material, einem Hauptmerkmal dieser Kunstrichtung.489 Ausgangspunkt für viele Arbeiten der teilnehmenden Künstler in der ersten Post-Sense-Sensibility-Ausstellung sind deshalb laut Wu Meichuns Katalogbeitrag Anomalien, krankhafte Veränderungen des Körpers und des Geistes, die sich entweder aufgrund von Krankheiten oder durch menschliches Zutun entwickelt haben. Die Betonung extensiver körperlicher Erfahrungen als Ausgangspunkt in der Post-Sense-Sensibility-Kunst hat folgende Gründe: »Transformation comes from inside, and is both an artificial alteration and natural extension. From the structure and disintegration of the body, to the control and deprivation of the body in relationships; from the feeling of otherness with regard to oneself, to the hallucination about ecstasy and depression. Extensive bodily experiences explores the territory between the body and soul through artificial or natural means. The traditional separation between body and soul is the battle between opposites: either the soul is divine and the body is polluted, or the soul is in pain and the body is in pleasure. The territory in between these two extremes as well as their unity is yet to be explored. Post-sense sensibility is a dif ficult expression does expression belong to the body, or soul?«490
Laut Wu Meichun ist es das Anliegen der Post-Sense-Sensibility-Künstler, den Betrachter durch die Thematisierung körperlicher und seelischer Anomalien mit dem extrem »Anderen« zu konfrontieren, um ihn auf diese Weise zur Auseinandersetzung mit seinem eigenen Selbst zu zwingen.491 Qiu Zhijie betont in diesem Zusammenhang, dass es in dieser Vorstellung nicht darum gehe, geltende Identitäten, die sich in Auseinandersetzung mit dem »Anderen« bilden, zu schützen, das heißt, diese in der Kunst affirmativ zu manifestieren und zu konservieren. Stattdessen ist es das Selbstverständnis der Post-Sense-Sensibility-Kunst, sich innerhalb der (Selbst-)
489 | Fei Dawei nennt diese Kunstströmung aus diesem Grund auch »Cadaver Art«. Vgl. Fei Dawei. 2001, S. 60–64. 490 | Qiu Zhijie. 1998, keine Seitenzahlen. 491 | Vgl. Berghuis, Thomas. 2006, S. 117.
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Identifikationsprozesse zu engagieren, in diese einzugreifen, das heißt Erfahrungsräume anzubieten, indem Identifikationsprozesse forciert werden. »The protection of the Other does not solve the problem of identification. In post-sense-sense-sensibility we face the natural defect and artificial avoidance of self identification. It does not use art to express such identification after the fact, but directly engage in the process of identification using art.«492 Auch in diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, dass nicht mehr von statischen Beziehungen und allgemeingültigen Identitäten ausgegangen wird, sondern im Gegenteil von kontinuierlichen Identifikationsprozessen, die aufgrund der jeweiligen persönlichen Ausprägungen sehr pluralistisch sind. Laut Thomas Berghuis’ Interpretation von Wu Meichuns Darlegungen war das Auswahlkriterium der Arbeiten deren größtmöglicher Mangel an Sensibilität.493 Verstanden als Ausdruck einer unbeständigen Welt, verfolgten die zutiefst schockierenden Arbeiten Strategien der Überforderung und Überwältigung und lösten im Betrachter Reaktionen/ Gefühle einer Post-Sensibilität aus, weil sie ihm die Einsicht vermittelten, dass eindeutige, das heißt auch allgemeingültige, objektive Empfindungen nicht (mehr) möglich sind. Dies impliziert nach Qiu, dass Gefühle stets als etwas sehr Persönliches und somit Uneindeutiges verstanden werden müssen. Vor dem Hintergrund des Kollektivismus in China ist die Post-Sense-Sensibility-Kunst somit als Ausdruck vehementer Individualisierungsprozesse zu verstehen. Laut Qiu Zhijie werden in der Post-Sense-Sensibility-Kunst bewusst Strategien der Überforderung verfolgt, um auf diese Weise Gefühle der Abwehr und Rache zu stimulieren, die wiederum zur Aktivierung des Rezipienten führen sollen. Qiu Zhijie sagt in diesem Zusammenhang: »What is post-sense-sensibility? Post-sense-sensibility is the revenge – like excitement when you feel your razor cuts a bloody line on your chest, post-sensesensibility is the suspicion you have about the purity of your own blood when you look at your eldery parents; post-sense-sensibility is the fact that everyone on the street looks exactly the same as you do.« Unter den Arbeiten in der Ausstellung »Alien Bodies and Delusion« befanden sich die Installationen Pocket Theology von Zhu Yu (1999) (Abb. 70) sowie die Arbeiten Honey und Sea Animals inside a Wall von Sun Yuan (1998) (Abb. 71), die alle drei als repräsentative Post-Sense-Sensibility-Arbeiten gelten. Pocket Theology bestand aus einem echten Arm einer menschlichen Leiche, der mit einem Haken an der Decke befestigt war.494 Die nach unten gerichtete Hand hielt das Seilende eines 492 | Qiu Zhijie. 1998, keine Seitenzahlen. 493 | Vgl. Berghuis, Thomas. 2006, S. 117. 494 | Zhu Yu besorgte diesen Arm in einem lokalen Krankenhaus, das ihm zufolge daraufhin zum Hauptlieferanten von Leichen(teilen) für die Post-Sense-Sensibility-Künstler wurde. Die Künstler konnten dieses Material mieten, um es nach Gebrauch wieder in die Anatomische Sammlung des Krankenhauses zurückzugeben. Vgl. Cheng Meiling. 2005, S. 63.
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viele Meter langen Seils, das, in Schlaufen gelegt, den gesamten Boden des Raumes bedeckte, in dem die Arbeit installiert war. Wollte er das Gliedmaß genauer betrachten, so war der Rezipient gezwungen, auf das Seil zu treten. Das Seil war die direkte Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Arm der toten Person, was zur Folge hatte, dass der Betrachter sobald er auf dieses trat, unmittelbar und unvermeidbar mit dem Tod konfrontiert war. Die Installation Honey (1999) (Abb. 72–73) bestand aus einem Messingbett, das mit einer dicken Eisschicht überzogen war, auf dem Sun Yuan ein achtmonatiges Baby, eine Totgeburt, in zusammengerollter Embryostellung neben den Kopf der Leiche eines alten Mannes platziert hatte. Die Bedeutung der Arbeit generiert sich aus den beiden oppositionellen Polen: dem Titel der Installation, der poetisch anmutet, und dem pittoresken Arrangement einer intimen und zärtlichen Beziehung zwischen einem Kind und seinem Vater einerseits und der buchstäblichen Präsenz des Todes durch die Verwendung von toten Menschen, was durch die frostige Temperatur im Raum durch das Eis in der Installation verstärkt wird, andererseits. Die Arbeit Sea Animals inside a Wall bestand aus zwei gegenüberstehenden Wänden, die in der Mitte einen schmalen Korridor bilden. Die Wände hatte Sun Yuan mit Löchern versehen und in diese lebende Meerestiere gesteckt. Der Betrachter war aufgefordert durch den Korridor zu gehen, wodurch er mit dem langsamen und grausamen Todeskampf der Tiere konfrontiert wurde, die ihrer natürlichen Lebensbedingungen beraubt worden waren. Alle drei vorgestellten Arbeiten konfrontieren den Betrachter mit Leben und Tod als den zwei existenziellen Polen des menschlichen Selbstverständnisses. Die Arbeiten sind alle in sehr provozierender Weise direkt, sodass sich der Betrachter der Auseinandersetzung nicht entziehen kann. Die autoritäre Geste, die damit verbunden ist, widerspricht in gewisser Weise dem egalitären Anspruch, wie er von Qiu Zhijie formuliert wird.
12.2.2. Installationen in der Ausstellung »Supermarkt. Art For Sale« Im April 1999 organisierten die chinesischen Künstler Xu Zhen und Yang Zhengzhong zusammen mit dem deutschen Künstler Alexander Brandt in einem Shanghaier Einkaufszentrum, dem Shanghai Square Shopping Center, die Ausstellung »Supermarkt. Art For Sale« (Chaoshi) (Abb. 74), um sich kritisch mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Rolle Kunst in einer zunehmend kommerzialisierten Welt spielt bzw. spielen kann.495
495 | Die Ausstellung, die im Zeitraum vom 10. – 25. April 1999 stattfinden sollte, wurde bereits am 13. April aufgrund von Zensurmaßnahmen der offiziellen Seite geschlossen. Vgl. Wu Hung. 2000b, S. 162.
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Abb. 70: Zhu Yu, Pocket Theology (shen zhen shen xue), Installation, 1999
Quelle: Ausst.-Kat. Fuck Off (bu hezuo fangshi). 2000. Shanghai.
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Abb. 71: Sun Yuan, Sea Animals inside the Wall (shui zu qiang), Installation, 1998
Quelle: Ausst.-Kat. Fuck Off (bu hezuo fangshi). 2000. Shanghai.
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Abb. 72–73: Sun Yuan, Honey, Installation, 1999
Quelle: Sung Yuan & Peng. Can’t Have it All (Monographie). 2009. Hongkong.
In Shanghai wurde die liberale Wirtschaftspolitik der kommunistischen Partei besonders erfolgreich durchgesetzt, was zur Folge hat, dass immer mehr Lebensbereiche von ökonomischen Interessen dominiert werden.496 496 | Die Ausstellung kann als Reaktion auf die zunehmende Durchökonomisierung Chinas seit 1997 verstanden werden, die in Shanghai im Vergleich zu Peking besonders starke Auswirkungen zeigt. »1997’s massive plan to convert most of China’s state owned enterprises into ›shareholding‹ ones was announced in the Fifteenth Communist Party Congress leaving one to wonder what would still be left of the Chinese government’s alowedly socialist or communist ideological commitment. Taken in the broad sense of the word economy, such
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Die Ausstellung »Supermarkt. Art For Sale« stellt die grundsätzliche Frage, wie sich Kunst in solch einem Klima überhaupt behaupten kann. Im Ausstellungskatalog äußern sich die teilnehmenden Ausstellungskünstler in diesem Kontext zu ihrem Verständnis von Kunst aus mehreren Frageperspektiven, so zum Beispiel: Worin besteht der Unterschied zwischen Kunst und Ware, was macht ein gutes Kunstwerk aus – wird Kunst im Kontext der Ausstellung »Supermarkt« automatisch zur Ware?, fragt etwa Shi Yong mit einem deutlich kritischen Unterton im chinesischen Katalogtext.497 Welche Bedeutung kommt in der heutigen Kunst noch künstlerischer Technik und Fertigkeit zu, worin besteht der Unterschied zwischen einem kunstinteressierten Ausstellungsbesucher und einem Supermarktkunden, welche Rolle spielt die Ansprache des Rezipienten innerhalb der künstlerischen Produktion?498 Diese Fragen verdeutlichen, dass es in der Ausstellung darum geht, ein kritisches Bewusstsein für die sich im Zuge der Ökonomisierung Chinas abzeichnende Entideologisierung und Entpolitisierung zu schaffen, mit der jede Hoffnung auf Demokratie zu schrumpfen scheint.499 Um die Reduktion aller Lebensvollzüge auf ihren marktwirtschaftlichen Nutzen zu kritisieren, nahmen die Künstler der Ausstellung ironisch auf diese Situation Bezug. Konzeptioneller Ausgangspunkt der Ausstellung war die Appropriation von Strategien der Konsumwelt in die Sphäre der Kunstvermittlung. Gerade wegen des Anliegens der direkten kritischen Auseinandersetzung mit der Konsumwelt und mit dem Ziel, auf diese provozierende Weise in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen zu werden, wählte man einen Supermarkt als Ausstellungsort. Der Supermarkt ist zwar nicht im herkömmlichen Sinne ein öffentlicher Raum des Meinungsaustauschs, aber im chinesischen, insbesondere im Shanghaier Kon-
openness toward economics may be understood, tough with much debate, of course, as a pragmatic acceptance of an order that is cabable of managing things so that they work. For China at this historical juncture, the economic order that works is one that is capable of successfully transforming the existing, stored-up power of labor into energy that mobiles and propels – into capital. Aus: Chow, Rey. 2000, S.1 f. 497 | Zheng Guogu preist im chinesischen Katalogtext den Konsum, indem er schreibt »Konsum ist ein Ideal, durch Konsum kann man seinen Zorn befriedigen, seinem Ärger freien Lauf lassen.« »Man darf sich möglichst nicht betrügen lassen, man muss möglichst nach schönen Dingen für kleine Preise streben.« Aus: Ausst.-Kat. Supermarket. Art For Sale. 1999 498 | Vgl. ebd. 499 | »It deprives the nation of its political foundation on popular participation and it deprives material well-being and personal freedom of their social meaning; it also blocks the interaction between ›high‹ and mass cultures. In this respect, what may be lost is not the elitist ›human spirit‹ but a collective passion for political and cultural democracy. Elite intellectuals may have a real sense of irony and helplessness now that both the people and the state seem to have figured out their ultimate purpose of life – to stay in power and to become rich fast and nobody bothers listen to intellectuals anymore.« Aus: Zhang Xudong. 2001, S.343.
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Abb. 74: Ausstellungslogo der Schau Art For Sale
Quelle: Wu Hung (Hg.). 2001. Chinese Art at the Crossroads. Between Past and Future. Between East and West. Hongkong.
text der 1990er Jahre war und ist der Supermarkt tatsächlich der Ort, der mittels aggressiver Marketingstrategien erfolgreich öffentliche Aufmerksamkeit errang500 Die Organisatoren und Künstler der Ausstellung verknüpften mit der Wahl dieses ungewöhnlichen Ausstellungsorts die Hoffnung, eine breitere Öffentlichkeit anzusprechen. Die künstlerischen Arbeiten wurden in der Ausstellung Supermarket zu Produkten, indem sie vom Künstler weder signiert noch nummeriert und zwischen den üblichen Waren zum Verkauf angeboten wurden. Auf ironische Art und Weise wurde der »Nutzwert« von Kunst betont und es wurde wie in der Werbung für kommerzielle Produkte zum Kauf animiert.501 Chen Shaoxiongs Aussage im Katalog der 500 | Shanghai gilt in China auch im Vergleich zum Regierungssitz Peking als wichtiger Wirtschaftsstandort, an dem ökonomische Regeln und Zusammenhänge alle andere Bereiche dominieren. 501 | Im chinesischen Katalogtext werden die Meinungen einiger teilnehmender Künstler zitiert, was für sie den Unterschied zwischen Kunst und Produkt ausmacht und wie sie es finden, Kunst als Produkte im Kontext einer Ausstellung in einem Supermarkt zu präsentieren. Chen Shaoxiong gibt zum Beispiel zur Auskunft, dass der Unterschied zwischen Kunstwerk und Produkt darin liegt, dass sich ersteres schlecht und das zweite gut verkaufen lässt. Wenn ein Produkt besonders teuer ist, ist es in der Regel ›artsy‹, wenn Kunst teuer ist, wird sie zur Ware. Wenn man vom Konzept der Ware Gebrauch macht, um Kunst zu verkaufen, und die Idee von Kunst, um Produkte teurer zu verkaufen, dann entspricht dieses Verständnis von
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Ausstellung, »When we are informed of the use and benefit of certain products, we only then discover our need for those products […] We are only willing to become consumers of a product once we know its use; no one would want to buy a product that he doesn’t know how to use«, hat einen ausgeprägten ironischen Unterton und ist in diesem Sinne zu verstehen.502 In seinem künstlerischen Beitrag schlug er überdies konkrete alternative Nutzungsmöglichkeiten für bestimmte Produkte vor – so zum Beispiel: »Drinking alcohol out of a milk bottle can effectively eliminate the pain of heart-broken man« –, um auf diese Weise durchaus mit einer gewissen Ernsthaftigkeit die Aufforderung an die Öffentlichkeit auszusprechen, sich gegen die Diktatur der Werbung mit eigenen kreativen Lösungen zu wehren. Ähnlich ironisch sind die Beiträge von Geng Jianyi und Liang Yue, welche die Trostfunktion, die in der Werbung oft suggeriert wird, ad absurdum führten. So versprach zum Beispiel Geng Jianyis Arbeit Psyche, ein Schwarzweißfilm, für 30 Yuan Erleichterung bei negativen Gefühlen wie Ärger oder Langeweile zu schaffen. Liang Yue verkaufte für 50 Yuan ein Kissen mit dem Titel Day dream: one person leaning on a pillow, das sie mit den folgenden Worten anpries: »You will have at least seven hours a day with ›him‹ [gemeint ist das Kissen]. ›He‹ is gentle and kind, gives uncomparable intimacy, and can admit adorable twitters. When you come close to ›him‹, you will glimpse at a girl’s day dream – at a girl’s diary. Who is ›he‹? Where is this mysterious person? Open the paper bag, use your hands to feel his warmth, and you will fall in love.« Song Dong bot in der Performance supermarkt – artguide/ art salesman seine »künstlerischen« Dienste an. Besonders erwähnenswert im Kontext der vorliegenden Arbeit sind die zwei Videoinstallationen von Xu Zhen und Kan Xuan. Xu Zhen (geb.1977) war mit der Videoinstallation From Inside the Body (1996) (Abb. 75) vertreten. Die Installation besteht aus insgesamt drei Bildschirmen, die wie ein Tryptichon nebeneinander angeordnet sind. Während auf den äußeren Bildschirmen je ein Mann und eine Frau zu sehen sind, die an ihrem eigenen Körper riechen, so sind auf dem mittleren Bildschirm beide gemeinsam auf einem Sofa sitzend zu sehen. Nachdem sie auf der Suche nach der Quelle eines offensichtlich penetranten Geruches am eigenen Körper gesucht haben, wenden sie sich nun dem Körper des jeweils anderen zu. Das Schnüffeln wird immer hektischer und führt schließlich dazu, dass die beiden Protagonisten sich gegenseitig ausziehen, bis sie schließlich nur noch mit der Unterwäsche bekleidet aneinander riechen.503
Kunst dem Grundprinzip der Marktwirtschaft. Es gilt, die steigende materielle und geistige Nachfrage des Volkes und des Publikums zu befriedigen. Vgl. Ausst.-Kat. Supermarket. Art For Sale. 1999. 502 | Ebd. 503 | Vgl. Ausst.-Kat. Supermarket. Art For Sale. 1999; Ausst.-Kat. The Real Thing contemporary art from China. 2007, S. 133.
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Abb. 75: Xu Zhen, From Inside the Body (lai zi shenti nei bu), Videoinstallation, 1996
Quelle: Ausst.-Kat. Fuck Off (bu hezuo fangshi). 2000. Shanghai.
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Von Kan Xuan (geb. 1972) war die installative Videoarbeit Ai! (Abb. 76) in der Ausstellung zu sehen. Auf dem Bildschirm hört und sieht man verwackelte, mit einer Handkamera aufgenommene Aufnahmen einer jungen Frau, der Künstlerin selbst, wie sie durch eine Unterführung rennt und dabei unaufhörlich ihren eigenen Namen ruft und sich selbst mit dem Ausruf »ai!« antwortet. So als würde sie sich gleichzeitig selbst suchen und verfolgen, wirkt die Arbeit in dieser psychologischen Ambivalenz zwischen Akzeptanz und Ablehnung zutiefst verstörend. Beide Arbeiten haben eine stark psychologische Konnotation. Als gemeinsames Thema kann die Entfremdung vom eigenen Körper, vom eigenen Selbst bzw. die Angst vor einem solchen Zustand ausgemacht werden. Das Bedürfnis, sich seiner selbst zu vergewissern, sich selbst zu spüren, zu riechen, zu hören steht sowohl bei Xu Zhens als auch Kan Xuans Arbeit im Vordergrund. Während das Paar in Xu Zhens Video hysterisch erscheint, kann Kan Xuan als Protagonistin in ihrer eigenen Arbeit als paranoid bezeichnet werden. Während die Motivation für die Kunstproduktion in den 1980er Jahren in erster Linie politischem Engagement und dem dazugehörigen Idealismus verpflichtet war, an der Modernisierung Chinas mitzuwirken bzw. diese kritisch zu hinterfragen, so war die Kunst der 1990er Jahre durch den Rückzug ins Private geprägt. Statt aufklärerischen Prämissen verpflichtet, mit ihrer Kunst öffentlich weite Teile der Bevölkerung ansprechen und überzeugen zu wollen, wurde Kunst seit Beginn der 1990er Jahre zu einer zunehmend persönlichen Angelegenheit.504 Laut Gao Minglu unterscheiden sich die 1980er von den 1990er Jahren dadurch, dass in der Kunst der 1980er Jahre die großen Konzepte im Vordergrund standen und in den 1990er Jahren mehr von der Dingwelt und deren Beziehung zur Umgebung ausgegangen wurde. Gleichwohl stand in der konzeptionellen Kunst, deren beliebteste Medien in den 1990er Jahren Installation und Video sind, die Hinterfragung geltender (Macht)Strukturen und deren (psychologische) Auswirkungen auf das menschliche Subjekt im Vordergrund.505 Kennzeichen der Installationskunst der 1990er Jahre waren ihre ausgeprägt entideologisierenden Tendenzen sowie die Betonung von Individualisierungsprozessen.506 Wie weiter oben bereits beschrieben wurde, hat sich die chinesische Realität seit Beginn der 1990er Jahre radikal verändert. Anstatt 504 | Vgl. Gao Minglu. 2005a, S. 145. 505 | Laut Gao Minglu waren die Medien Installation und Video die beliebtesten Ausdrucksmittel unter konzeptionellen Künstlern in den frühen 1990er Jahren, insbesondere im Zeitraum zwischen 1992 und 1995. Aus: ebd. Zhu Qi äußert sich in diesem Zusammenhang folgendermaßen: »Within thinking in art in the earlier and middle part of the 1990s, painting and sculpture had long been regarded as areas in which no visual experiment could be conducted. As mediums, they were considered ›inferior‹, while installation art and new media were regarded as ›advanced‹ media.« Aus: Zhu Qi. 2002, S. 25. 506 | Zum Thema der Entideologisierung der Kunst in den 1990er Jahren siehe: Hou Hanru. 2002b.
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Abb. 76: Kan Xuan, Ai!, installative Videoarbeit, 1999
Quelle: Wu Hung, Feng Boyi und Wang Huangsheng (Hgs.). 2002.The First Guangzhou Triennial. Reinterpretation: A Decade of Experimental Chinese Art (1990–2000). Guangzhou.
sich wie noch in den 1980er Jahren am zentralen sozialistischen Staatsapparat abzuarbeiten, sind die Künstler seit den 1990er Jahren mit globalen und gleichzeitig dezentralisierten ökonomischen Strukturen konfrontiert, die zunehmend alle Lebensbereiche durchdringen. Ein großes Thema in diesem Zusammenhang ist die Gefahr der Entintellektualisierung durch die fortschreitende Ökonomisierung Chinas. »The basic evolution of culture in the 1990s was that the investigation into intellectualism inclined towards disintegration and restructuring, while materialism and mass consumer culture gradually achieved cultural legitimacy.« Thema vieler Künstler in den 1990er Jahren war der Verlust ihrer Intellektuellenrolle der 1980er Jahre. »This group reflected the daily situation of those young intellectuals on exile on the fringe of society after 1989.«507 Im Unterschied zu den 1980er Jahren, als der teleologische Modernisierungs- und Fortschrittsgedanke und somit die Kategorie der geschichtlichen Zeit im Vordergrund stand, rückte seit den 1990er Jahren die Kategorie des Raums in den Mittelpunkt. Anstatt zeitlich fortschreitender Sukzession zeichnet sich als neue Realität eine räumliche Gleichzeitigkeit aus. Anstatt synchroner Kohärenz und Homogenität ist die chinesische Realität seit den 1990er Jahren durch
507 | Zhu Qi. 2002, S. 26.
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postmoderne Phänomene der kulturellen Vermischung und Asynchronität gekennzeichnet.508 Während in den 1980er Jahren das kollektive Ziel der Modernisierung und Demokratisierung Chinas verfolgt und in diesem Zusammenhang von einer universalen »Wahrheit« bzw. Idee ausgegangen wurde, war die Realität in den 1990er Jahren durch Fragmentierung und Entgrenzung aller Lebensbereiche gekennzeichnet. Die Installationskunst ist im Kontext dieser neuen Realität und dem damit einhergehenden neuen Raumverständnis eines produzierten anstatt eines gegebenen Raums aufgrund ihrer relationalen Qualität ein geradezu ideales Medium und fungiert als Mittel der Produktion von Räumen individueller Artikulation, Reflexion und Handlungsmacht.
13. LOKALE AKZEPTANZ, HISTORISIERUNG UND INTERNATIONALISIERUNG VON INSTALLATIONSKUNST IN CHINA IM KONTEXT DER ERSTEN INTERNATIONALEN SHANGHAI BIENNALE IM JAHR 2000 Die Shanghai Biennale, die im Jahr 2000 das dritte Mal stattfand, aber das erste Mal international ausgerichtet war, gilt in der Entwicklung der modernen chinesischen Kunst als wichtiger Meilenstein.509 Nicht nur war das Kuratorenteam, zu dem neben dem in China geborenen, aber damals in Frankreich lebenden Kurator Hou Hanru auch der japanische Kurator Toshio Shimizu zählten, international besetzt. Auch die ausgestellten künstlerischen Arbeiten gaben erstmals in großem Umfang Einblick in die internationale zeitgenössische Kunstproduktion. Noch viel wichtiger aber ist die Tatsache, dass die dritte Shanghai Biennale von offizieller Seite mitgetragen wurde, was als Ausdruck der Akzeptanz zeitgenössischen Kunstschaffens durch die Regierung gewertet werden kann. Tatsächlich wurde mit der Shanghai Biennale ein neues Kapitel in der chinesischen Kulturpolitik aufgeschlagen. Man suchte den Anschluss an die internationale Kunstszene der Biennalen und Triennalen und wollte von 508 | Sheldon Lu diagnostiziert in China im Unterschied zur westlichen Welt sogar ein noch höheres Maß an Postmodernität: »Paradoxically postmodernity in China is even more ›spatial‹ and more ›postmodern‹ than its Western model. Spatial coextension, rather than temporal succession, defines non-Western postmodernity. Hybridity, unevenness, nonsychronity, and pastiche are the main features of Chinese postmodern culture.« Aus: Lu, Sheldon H. 2001, S. 13. 509 | »Zhu Qingsheng – A Peking University professor who is also an avantgarde artist and critic – claimed that the 2000 Shanghai Biennale was the most important Chinese exhibition since the 1989 China/Avantgarde exhibition.« Aus: Yin Shuangxi. 2002, S. 94. Ausführliche Informationen über die Shanghai Biennale im Jahr 2000, siehe: Wu Hung (Hg.). 2001, Wu Hung. 2002b, S. 93–95.
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nun an die im Ausland erfolgreiche chinesische Gegenwartskunst als Mittel der offiziellen Repräsentation nutzen. Nach jahrelanger Ignoranz, ja Ablehnung der zeitgenössischen Kunst durch die offizielle Seite, steht die Shanghai Biennale am Anfang einer neuen Entwicklung. Im Kontext der vorliegenden Untersuchung bildet die erste internationale Shanghai Biennale den Abschluss der Darstellung von Entwicklungen der chinesischen Installationskunst, denn sie gilt als Wendepunkt ihrer lokalen, aber auch internationalen Etablierung. Nicht nur wurde die chinesische Installationskunst im Kontext der Biennale zum ersten Mal in größerem Umfang von einem internationalen Publikum rezipiert, sondern sie wurde im Kontext dieser Großausstellung auch das erste Mal von offizieller Seite als Kunst anerkannt.510 Mit der Eröffnung der ›Third Shanghai Biennale‹ durch das Shanghai Museum of Art, dem ersten internationalen zeitgenössischen, von einer staatlichen Institution geleiteten Kunstevent, verlor die chinesische zeitgenössische Kunst also offiziell den Status einer Randerscheinung aus dem Untergrund, wohin sie sich sich während der 1990er Jahre hatte zurückziehen müssen.511 Kulturpolitisch ist in diesem Kontext relevant, dass in der Biennaleausstellung »Shanghai Spirit: A Special Modernity« mit Huang Yongping und Cai Guoqiang zwei frühe chinesische Installationskünstler512 vertreten waren, die von der offiziellen Seite lange Zeit abgelehnt 510 | Zhu Qi. 2002, S. 21. »This was the first Shanghai Biennale in which modes other than painting made up at least half the works. Indeed, installation art – viewed by government authorities as alien and potentially disruptive – could not be shown in official venues until 1996.« Aus: Vine, Richard. 2001, S. 1. 511 | »The Third Shanghai Biennale marked the end of Chinese experimental art of the 1990s, just as the China/Avantgarde exhibition 1989 brought closure to 1980s Chinese experimental art.« Aus: Wu Hung. 2002b, S. 20. 512 | Vertreter einer jüngeren chinesischen Installationskünstlergeneration fanden sich in diversen Satellitenschauen, die traditionell parallel zur Shanghai Biennale stattfinden. Diese Ausstellungen sind nicht von offizieller Seite, sondern privatinitiativ organisiert und in der Regel von experimentellen Ausdrucksmedien wie Installation und Video dominiert. Als wichtigste Veranstaltung in diesem Kontext war im Jahr 2000 die Ausstellung »Fuck Off« zu verstehen, die in der Shanghaier Eastlink Gallery stattfand und von Ai Weiwei und Feng Boyi kuratiert wurde. Im chinesischen Titel bu hezuo fangshi, was übersetzt heißt: »Eine un-kooperative Haltung«, zeigt sich das Anliegen der Kuratoren, mit der Ausstellung ihren Protest sowohl gegenüber der bevormundenden Behandlung durch westliche Ausstellungsmacher und Kritiker als auch gegenüber den eigenen Landsleuten auszudrücken, deren Haltung sie als opportunistisch bezeichneten, weil sie mit der offiziellen Seite zusammenarbeiten, wie es im Fall der Shanghai Biennale geschehen war. Ihre Ausstellung war also als Protest gegen die Shanghai Biennale als Mittel der verharmlosenden Integration von alternativer Kunst gerichtet und stand für die Erhaltung einer alternativen Kunstszene. Die Kuratoren gaben zur Auskunft: »Fuck Off is an event initiated by a group of curators and artists who share a common identity as ›alternative‹. In today’s art, the ›alternative‹ position entails chal-
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Abb. 77: Huang Yongping, Bank of Sand, Sand of Bank, Installation, 2000
Quelle: Ausst.-Kat. House of Oracles. A Huang Yong Ping Retrospective. Philippe Vergne; Doryun Chong (Hgs.). 2005. Minneapolis.
wurden und deswegen ins Ausland gegangen waren, aber auf diese Weise in gewisser Weise offiziell rehabilitiert wurden. Während Huang Yongping die Installation Bank of Sand or Sand of Bank (2000) (Abb. 77) realisierte, eine über drei Meter hohe Sandburg, die die Architektur eines Bankgebäudes am Shanghaier Bund kopierte und die über den Zeitraum der Ausstellung hinweg langsam in sich zusammenfiel, so widmete man Cao Guoqiang sogar eine kleine Retrospektive in Form einer foto-
lenging and critizising the power discourse and popular conventions. In an uncooperative and uncompromising way, it self-consciously resists the threat of assimilation and vulgarization.« Aus: Wu Hung 2002b, S. 94 f., Originalquelle: Ausst.-Kat. Fuck Off (bu hezuo fangshi). 2000. Shanghai. Die Verweigerung der Zusammenarbeit drückte sich auch in den Arbeiten aus, die weniger im Rahmen der Ausstellung als in der begleitenden Publikation »Fuck Off« vorgestellt werden. Viele der Arbeiten sind im Kontext der bereits ausführlich erläuterten Post-Sense-Sensibility Kunst zu verorten, so beispielsweise die bereits weiter oben erwähnten Installationen Honey und Sea Animals von Sun Yuan. Siehe: Ausst.-Kat. Fuck Off (bu hezuo fangshi). 2000. Shanghai. Laut Thomas Berghuis übten die Kuratoren der Ausstellung Selbstzensur, um nicht Gefahr zu laufen, die Schau schließen zu müssen. Vgl. Berghuis, J. Thomas. 2006, S. 164.
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grafischen Dokumentation, die seine Installationen und Projekte der vergangenen 15 Jahre vorstellte.513 Im Zuge dieser Akzeptanz, vielleicht sogar Rehabilitierung der Installationskunst durch die offizielle Seite wurde dieses Ausdrucksmittel zu einem der wichtigsten überhaupt in China, was sich an der seither hohen Anzahl von Installationen ablesen lässt. Da mit der Shanghai Biennale auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte der chinesischen Gegenwartskunst einsetzte, lässt sich feststellen, dass mit dieser Veranstaltung im Jahr 2000 eine neue Zeit eingeläutet wurde.514
513 | Vine, Richard. 2001, S. 3. Exkurs: Bei Cai Guoqiang handelt es sich um den ersten chinesischen Installationskünstler, der mit seiner Kunst außerhalb von China große Aufmerksamkeit auf sich zog. Im Jahr 1999 hatte ihn der Kurator Harald Szeemann zur Teilnahme an der 48. Venedig Biennale eingeladen, um die skulpturale Installation Rent Collection Courtyard (shouzuyuan) (Abb. 78) zu realisieren. Cai Guoqiang zog mit dieser Arbeit großen Unmut unter Vertretern des offiziellen politischen Chinas auf sich, handelte es sich bei der Installation doch um eine Appropriation der sozialistischen Modellskulptur, die 1965, ein Jahr vor Beginn der Kulturrevolution geschaffen wurde und seither als exemplarisches Kunstwerk zur sozialistischen Erziehung der Massen diente. Das Shouzuyuan, das es als Modellskulptur in zahlreichen Ausführungen gibt, besteht aus lebensgroßen Skulpturen und thematisiert die Ausbeutung der Bauern durch die Klasse der Großgrundbesitzer. Cao Guoqiang lud Künstler nach Venedig ein, die damals bei der ersten Ausführung dabei gewesen waren, ihm dieses Mal in Italien bei der Ausführung der Installation zu helfen. Detaillierte Information zu diesem Thema siehe: Erickson, Britta. 2001; Zhu Qi. 2001. 514 | Im Jahr 2003 wurde die historische Reflexion der chinesischen Kunstentwicklung im Kontext der ersten Guangzhou Triennale fortgesetzt. Die Großausstellung, die von Wu Hung kuratiert wurde, bot unter dem Titel The First Guangzhou Triennial. Reinterpretation: A Decade of Experimental Chinese Art (1990–2000) einen Überblick über die Entwicklungen in der chinesischen Kunst der 1990er Jahre, wobei die Installationskunst einen großen Anteil ausmachte. Siehe: Wu Hung, Feng Boyi und Wang Huangsheng (Hg.). 2002.
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KULTUR - UND KUNSTHISTORISCHEN
Abb. 78: Cai Guoqiang, Rent Collection Courtyard (shouzuyuan), Installation, 1999
Quelle: Ausst.-Kat. On the Edge. Contemporary Chinese Artists Encounter the West. Erickson, Britta (Hg). 2005. Stanford.
K ONTEXT
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Kapitel III Chinesische Bewegtbild-Installationen als transkulturelle Reflexionsräume traditioneller Betrachtererfahrung aus historisch-(bild) anthropologischer Perspektive
»These kinds of traditional methods and media are actually great. They taught me a lot what video can do.«1
1. EINLEITUNG Ausgehend von der These, dass chinesische Bewegtbild-Installationen nicht nur auf synchroner Ebene in ihrem soziokulturellen Kontext, sondern auch historisch dimensioniert hinsichtlich ihrer Verortung in einer (trans)kulturell bedingten ästhetischen Genealogie2 des Performativen untersucht werden müssen, begreift die vorliegende Untersuchung diese als transkulturelle Reflexionsräume, in denen aus zeitgenössischem Blickwinkel Aspekte traditioneller Betrachtererfahrung verhandelt werden. Fokussiert auf Interaktionsverhältnisse zwischen Mensch und Welt, wie sie sich in der künstlerischen Praxis der Bewegtbild-Installation artikulieren, wird aus (bild)anthropologischer Perspektive3 erörtert, unter welchen transkulturellen 1 | Chen Shaoxiong. 2009. 2 | Gemeint ist hier ein Foucault’scher Genealogiebegriff, der nicht von einer linearen Entwicklung, sondern von Brüchen und Dislozierungen ausgeht. 3 | Zu diesem bildanthropologisch motivierten Ansatz vgl. Belting, Kamper 2000, Belting 2001, S. 8: »Bilder stellen nicht nur die elementaren Fragen dar, die wir als anthropologische Fragen bezeichnen. Sie sind selbst ein anthropologisches Thema, insofern sie die menschliche Bildproduktion als eine kulturelle und soziale Praxis einer überwältigenden Kontinuität
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Bedingungen und auf welche Weise die in der traditionellen Betrachtererfahrung zentralen bzw. sogar konstitutiven Perzeptionsaspekte der »Verlebendigung« und »Berührung«4 und die mit diesen verknüpften Wahrnehmungsstrukturen disloziert und auf diese Weise thematisiert und reflektiert werden.5 Zentrales Anliegen der Arbeit ist also die Auseinandersetzung mit verschiedenen Kunsttraditionen und Kunstverständnissen und somit die Frage danach, auf welche Weise die zeitgenössische chinesische Bewegtbild-Installation zwischen Diskursen einer europäisch geprägten Repräsentationsästhetik und einem in China traditionell performativen Kunstverständnis zu verorten ist. Anstelle einer essenzialisierenden Sichtweise – auch in Installationen euro-amerikanischer Installationskünstler werden diese ästhetischen Aspekte und Fragen verhandelt – ist es das Anliegen, Bedeutungs- und Gewichtungsverhältnisse in Artikulationen chinesischer Bewegtbild-Installationen und die diesen impliziten Betrachtererfahrungen in ihren transkulturellen und heterochronen Spannungsfeldern zu analysieren. Wie schon im ersten kultur- und kunsttheoretischen Kapitel der vorliegenden Arbeit mit Bezug auf Homi K. Bhabha und den durch ihn geprägten Begriff der kulturellen Hybridisierung ausgeführt wurde, wird hier nicht das Ziel einer homogenisierenden Darstellung »chinesischer Kunst« durch die Herstellung linearer Bezüge zu einer essenzialistisch verstandenen Tradition verfolgt. Vielmehr geht es darum zu zeigen, inwiefern in der chinesischen Bewegtbild-Installation durch partielle Bezugnahmen Vergangenheit reflektiert und neu inszeniert wird. Auf diese Weise wird ein statisches Identitätskonzept zugunsten eines kontinuierlichen, sich durch Dislozierung und Strategien der Entfremdung generierenden Identitätsprozesses abgelehnt. Nach Bourriauds Ästhetik der Heterochronie, die er für die globalisierte Gegenwart, die sich durch multiple Zeitlichkeiten auszeichnet, entwirft, werden in der zeitgenössischen Kunst ohne Nostalgie Verbindungen in Raum und Zeit nachgezeichnet: »Es ist nicht der modernistische Fortschrittsgedanke und auch nicht das postmoderne Zeitverständnis in Endlosschleifen, sondern Verkettungen und Anhäufungen bezeugen. Warum machen Menschen Bilder und wie gehen sie mit ihnen um? Das Bildermachen gehört wie die Bildwahrnehmung zu den symbolischen Handlungen, in denen sich eine Zeit selbst darstellt. Die anthropologisch bestimmten Inhalte prägen ebenso den Sinn der Bilder, wie die Trägermedien ihre Wahrnehmung steuern. Die großen Themen geben in den Bildern ihren Körper und Weltbezug preis. Die Trägermedien wiederum bieten dem Körper Modelle einer unerschöpflich wandelbaren Wahrnehmung an.« 4 | Der Fokus auf diese beiden Perzeptionsaspekte ergab sich, nachdem sich in den Recherchen zur chinesischen Bewegtbild-Installation eine auffällige Häufigkeit dieser Aspekte ausmachen ließ. 5 | Bildanthropologische Überlegungen zur kulturellen Bedingtheit von bestimmten Repräsentationsformen am Beispiel des Verhältnisses zwischen Bild und Wirklichkeit in der ostasiatischen Kunst siehe Mersmann, Birgit. 2002, S. 233–247.
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von Zeichen aus der Gegenwart und der Vergangenheit um auf diese Weise herauszufinden was jetzt, was neu ist.«6 Um diese Verkettungen (chains), Anhäufungen (cluster) und Verwebungen zu analysieren, rücken, wie in den Analysen chinesischer Bewegtbild-Installationen deutlich wird, Strukturen und Methoden der Komposition sowie künstlerische Strategien in den Vordergrund.
2. WARUM LIEGT DER FOKUS AUF DER BEWEGTBILD-INSTALLATION? Die Bewegtbild-Installation ist aufgrund ihrer gesteigerten performativen Qualität, die sich durch die Integration von bewegten Bildern ergibt – wodurch die zeitliche Dimension zu einem expliziten Referenzpunkt in der Betrachterreflexion wird –, als Medium der performativen Verhandlung von kultureller Differenz, wie sie im ersten Teil der Arbeit dargelegt wurde, besonders gut geeignet. Durch die Verräumlichung bewegter Bilder in der Installation wird die Syntax des Linearen herausgefordert und somit ein weiteres Reflexionsmoment eingeführt.7 Während sich die Differenzerfahrung in anderen Installationstypen in erster Linie durch (physische) Perspektivwechsel des Betrachters ergibt, so ist diese in der Bewegtbild-Installation noch komplexer, weil innerhalb und mithilfe der projizierten Bilder weitere Perspektiven erzeugt werden können, zu denen der Betrachter sich verhalten bzw. zwischen denen er vermitteln muss. Grundsätzlich gibt es verschiedene Typen der Bewegtbild-Installation. Im Vordergrund der Arbeiten, die im Folgenden vorgestellt werden, steht nicht die Übersichtlichkeit einer (narrativen) Bildabfolge mit klar ausgewiesenem Anfang und Ende, sondern vielmehr die Betonung einer entgrenzten, das heißt unendlichen Qualität. Erreicht wird dies in erster Linie durch die Strategie des Loops sowie durch die Verräumlichung der Betrachtererfahrung mittels offener und relationaler Raumkonzepte, was in Konsequenz die performative Qualität der Installation hervortreten lässt. Durch diese Disposition erfährt das Betrachtersubjekt, dass es als Bedingung seines Selbst und seiner Position eine Differenzerfahrung macht, die durch performative Verhandlung geprägt ist. Anknüpfend an die im ersten Teil der vorliegenden Arbeit konstatierten Gemeinsamkeiten zwischen dem Konzept des Dritten Raumes und der Installation als Transformationsmedium, wird Kultur und somit Bedeutung nicht als statische und objektivierbare Identität, sondern vielmehr als Prozess der Verhandlung, der durch Ambiguität geprägt und somit subjektiv gefärbt ist, verstanden. Die transformative, also die performative Qualität der Bewegtbild-Installation ist besonders hoch, »denn im Gegensatz zum Tafelbild und seiner ›würdevollen
6 | Ausst.-Kat. Altermodern.Tate Triennal. 2009, keine Seitenzahlen. 7 | Frohne, Ursula. 2008, S. 326.
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Statik‹ angeblicher Zeitlosigkeit hat die Videoinstallation eine repetitive Erscheinung«8 und entgeht so dichotomischen Festlegungen in »Eigen« und »Fremd«. Ein weiterer Grund, warum die vorliegende Untersuchung ihren Fokus auf Bewegtbild-Installationen legt und diese deswegen als ideale transkulturelle Reflexionsorte traditioneller chinesischer Betrachtererfahrung begreift, ist die Tatsache, dass sich mit ihr eine Betrachtererfahrung verknüpft, die – wie im Folgenden ausführlich dargelegt werden wird – Ähnlichkeiten mit der traditionellen chinesischen aufweist, indem sie performativ und über die audio-visuelle Ebene hinaus kinästhetisch angelegt ist: »With video installation we move among the images, sharing their space, becoming performers in the work. The art form is no longer just the images on the monitor, but it is their relation to the body of the visitor, which she terms the ›space in between‹«.9 In der Bewegtbild-Installation ist die Differenzerfahrung also kinästhetischer Natur und somit durch ein hohes Maß an Unmittelbarkeit ausgezeichnet, weil der Betrachter Differenz im selben Raum und in derselben Zeit wie die Bilder, mit denen er Raum und Zeit teilt, verhandelt und leiblich erfährt. »The visitor performs the piece«10 und das Betrachtersubjekt generiert sich durch diese Erfahrung. Wie in der folgenden Darlegung des vormodernen chinesischen Kunstverständnisses deutlich werden wird, ist die Bewegtbild-Installation auch deswegen für die vorliegende Untersuchung als Reflexionsort traditioneller chinesischer Betrachtererfahrung geeignet, weil sie wie in der traditionellen chinesischen und im Unterschied zur europäischen Tradition, die seit der Renaissance bis ins späte 19. Jahrhundert Gültigkeit besaß, keine illusionistischen Räume oder Fenster zu einer anderen Welt sind und somit nicht als Repräsentation funktionieren. Es handelt sich bei ihnen vielmehr um Reflexionsräume, die laut Morse die Eigenschaft haben, Imaginationen der Welt zu projizieren, um auf diese Weise neue Orientierungen des Körpers im Raum mittels visueller und kinästhetischer Erfahrungen zu ermöglichen.11 Nach Morse sind Video-Installationen Dispositionen unrealisierter Möglichkeiten im oben genannten Sinn: »The materialization of other possible apparatuses allows us to imagine alternatives and thus provides the Archimedan points from which to critizise what we have come to take for granted.«12
8 | Katti, Christian. 1999, S. 100. 9 | Morse, Margret. 1990, S. 153. 10 | Ebd., S. 154. 11 | Ebd., S. 155. 12 | Ebd., S. 154.
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3. ALLGEMEINE DARLEGUNG DES VORMODERNEN KUNSTVERSTÄNDNISSES IN CHINA »Verlebendigung« und »Berührung« sind die zentralen bzw. konstitutiven Perzeptionsaspekte in der traditionellen Betrachtererfahrung, die im Kontext des traditionell performativ angelegten chinesischen Kunstverständnisses zu verstehen sind, in dessen Zentrum nicht die Repräsentation, sondern die Verkörperung von Welt steht. Beide Perzeptionsaspekte sind Ausdruck von bestimmten Wahrnehmungsmodi und Erfahrungsbedürfnissen, die im Kontext spezifischer ästhetischer und kulturanthropologischer Bedingungen zu verstehen sind.13 Bevor anhand von Beispielen chinesischer Bewegtbild-Installationen dargelegt werden soll, inwiefern diese Perzeptionsaspekte in der zeitgenössischen Bewegtbild-Installation als Ausdruck der kritischen Reflexion einer kulturell bedingten Disposition ästhetischer Erfahrung verstanden werden können, sollen zunächst Kernaspekte des vormodernen chinesischen Kunstverständnisses dargelegt werden.14 Im Unterschied zum europäischen Kunstverständnis, das bis in die 1960er Jahre objektzentriert angelegt war, geht die traditionelle chinesische Ästhetik von einem performativen und ereignishaften Kunstverständnis aus, das wirkungsästhetisch und erfahrungsbedingt angelegt ist.15 Während im Zentrum des europäischen 13 | Ohne an dieser Stelle in die Tiefe gehen zu können, sei hier nur angemerkt, dass der europäische Verlebendigungsdiskurs im Unterschied zum chinesischen auf der Tradition eines illusionistischen Repräsentationskonzepts basiert, das in China keine Rolle spielte. Einführende Informationen zum europäischen Verlebendigungstopos siehe beispielsweise: Fehrenbach, Frank. 2003, S. 222–227. 14 | Wenngleich der Autorin selbstverständlich bekannt ist, dass die chinesische Ästhetik über die Jahrhunderte hinweg Modifizierungen erfahren hat, kann eine Historisierung der eingeführten Konzepte nur in begrenztem Maße erfolgen, da dies ansonsten den Umfang der vorliegenden Arbeit sprengen würde. Der Fokus liegt hier auf der Herausarbeitung von Strukturen von ästhetischen Konzepten des vormodernen Kunstverständnisses, das zwar Modifizierungen erfuhr, aber sich nicht grundlegend geändert hat, weswegen es legitim ist, auf diese Weise die Grundlage für eine komparatistische Untersuchung zu schaffen, das heißt zu zeigen, vor welchen strukturellen und ästhetischen Voraussetzungen in der chinesischen Bewegtbild-Installation die Perzeptionsaspekte der »Berührung« und der »Verlebendigung« zum Tragen kommen bzw. (kritisch) reflektiert werden. Für kulturkomparatistische strukturelle Untersuchungen, die sich von Vertretern des Positivismus häufig den Vorwurf der Verallgemeinerung gefallen lassen müssen, stehen unter anderem auch: Kubin, Wolfgang. 2008 und Ames, T. Roger. 2004. 15 | Vgl. Vinograd, Richard. 1988, S. 366, Obert, Mathias. 2006, S. 145, Obert, Mathias. 2007, S. 136 ff. Aus diesem Grund führt eine rein objektzentrierte Rezeption chinesischer Kunst zu Missverständnissen, wie Craig Clunas überzeugend darlegt: »The Western tradition of viewing and understanding, at least until recently, seeks to ground the meaning in the object viewed, to see it as a container for the meaning poured into it at the time of manufacture.
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Kunstverständnisses bis Ende des 19. Jahrhunderts das mimetische Abbilden der »Welt« bzw. Wirklichkeit steht, besitzt dieser Anspruch im traditionellen chinesischen Kunstverständnis keine maßgebliche Relevanz.16 Im Unterschied zur europäischen Tradition, die ausgehend von einer Subjekt-Objekt-Trennung das Kunstobjekt als Anschauung von Ideen versteht und die Identifizierung von Wahrheit und Bedeutung im Zentrum hat, ist die Anschauung in China traditionell als kontinuierlich welteröffnendes Ereignis konzipiert, das heißt als Ort, an dem sich das Verhältnis des Menschen zur Welt artikuliert und vermittelt. Bedeutung und das Selbst des Menschen sind also relational angelegt und generieren sich vor diesem Hintergrund performativ. Anstatt der Kunst Abbildungsfunktion nach Maßstäben der formalen Ähnlichkeit zuzusprechen, geht es im vormodernen chinesischen Kunstverständnis darum, Erfahrungs- und Wirkstrukturen, die wir im täglichen Leben nicht unmittelbar wahrnehmen, mittels Kunst als Medium der Wahrnehmungssensibilisierung offenzulegen und somit die Welt als rhythmisches Wirkgeschehen zu vermitteln.17 Während also in der europäischen Tradition lange Zeit die Frage nach dem »Was« des Dargestellten steht, geht es in China traditionell in erster Linie um das »Wie« der Darstellung. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, was weiter unten ausführlich dargelegt werden wird: Während die ästhetische Erfahrung in Europa lange Zeit vor allem auf den Sehsinn und auf kognitive, rationale Erkenntnisse ausgerichtet ist, ist diese in China traditionell leiblich und anstatt ergebnisorientiert prozessual angelegt.18 Dieser Unterschied der Zugangsweise zur Welt, wie er sich im Kunstverständnis ausdrückt, liegt darin begründet, dass in China im Unterschied zur europäischen Tradition traditionell nicht von einem gegenständlichen Wirklichkeitsbegriff, sondern von einem responsiven Weltverständnis (ying wu)19 resonanter Korrelationen ausgegangen wurde. Anstelle eines distanzierten Verhältnisses zur Welt als Objekt
If as if I have argued following Hall and Ames the Chinese epistemology grounds knowing in the knower, seeing in the person who sees, connoisseurship in the connoisseur, than attempts to deal with the essence of Ming Chinese painting, no matter how subtle, cannot but be misreadings of the manner in which they were created and brought to view. Such misreading has perhaps a long European history behind it.« Clunas, Craig. 1997, S. 171. 16 | Vgl. Bryson, Norman. 1983. 17 | Vgl. Hay, John. 1984, Hay, Jonathan. 2005, S. 118. 18 | Vgl. Obert, Mathias. 2006, S. 146 f. 19 | Obert übersetzt ying wu mit »Sich-den-Vorkommnissen-Zusagen«. Grundsätzlich soll an dieser Stelle auf die Schwierigkeit hingewiesen werden, adäquate Übersetzungen chinesischer Termini zu finden. So legt beispielsweise Obert überzeugend dar, dass viele der bisher erschienen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit vormoderner chinesischer Kunsttheorie einem idealistischen und ontologischen Denken verhaftet bleiben, welches der chinesischen Ästhetik nicht gerecht wird. Seiner Meinung nach führen Begriffe wie Wesen, Natur oder Expression, wie sie im Kontext der vormodernen chinesischen Ästhetik sowohl von westlichen als auch chinesischen Wissenschaftlern verwendet werden, in die Irre bzw.
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wird diese als erfahrungsbedingt bzw. als »Zusammenhang des Wirklichen in ihrer erfahrungsmäßigen Gegebenheit für den Menschen«20 verstanden. Statt des kartesianisch geprägten europäischen Konzepts eines Subjekt-Objekt-Dualismus21 und der damit verbundenen Vorstellung, das Kunstobjekt als Gegenstand der Wahrnehmung und Erkenntnis zu verstehen, werden »Subjekt« wie »Objekt« im vormodernen China als gleichberechtigte »Teilnehmer« am Prozess der kontinuierlichen Erzeugung von Welt als erfahrungsbedingtes Beziehungsgefüge verstanden. Das objektivierende Fixieren von Welt in der Kunst besitzt in China traditionell keine Relevanz. Anstatt Kunst auf der Grundlage des Verständnisses von Welt als ontologischem Wesen und Objekt zu verstehen und abzubilden, um auf diese Weise die Betrachtung bzw. Untersuchung aus der Distanz zu ermöglichen, ist das höchste Ziel in der traditionellen chinesischen ästhetischen Erfahrung, an der Welt als Erfahrungszusammenhang, das heißt am Leben, das traditionell als kontinuierlicher und lebendiger Transformationsprozess verstanden wurde, teilzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass in China nicht die Identifikation von Bedeutung im Kunstobjekt durch ein Subjekt, sondern der zeitlich gelebte Bezug des Menschen zu seiner Umgebung und die damit einhergehende Partizipation am Prozess der Eröffnung von Welt im Vordergrund steht. Kunst ist also nicht Gegenstand der Wahrnehmung und Erkenntnis, sondern ein Ort, an dem das Verhältnis des Menschen zur Welt und zu den anderen Menschen performativ verhandelt wird.22 Statt der dinglichen Repräsentation von Welt geht es in China traditionell um deren Verkörperung. Aus diesem Grund steht in der chinesischen Ästhetik nicht das
werden der performativen Qualität der vormodernen chinesischen Kunstverständnisses nicht gerecht. Vgl. Obert, Mathias. 2007, S. 37. 20 | Obert, Mathias. 2007, S. 206. 21 | Die Autorin ist sich selbstverständlich bewusst, dass sich die westliche Tradition nicht auf ein kartesianisch geprägtes Weltverständnis und einen damit verbundenen Kunstbegriff reduzieren lässt. Um auf Grundzüge zweier unterschiedlicher Kunsttraditionen aufmerksam zu machen, ist diese Gegenüberstellung dennoch fruchtbar. 22 | Das Bild wurde im Unterschied zur europäischen Tradition nicht als »Gegebenheitsweise einer Gegenständlichkeit verstanden«, sondern als Ort des »vollzugshaften menschlichen Seins-zur-Welt«. Vgl. Obert, Mathias. 2006, S. 145. Dass die zwischenmenschliche Kommunikation im vormodernen chinesischen Kunstverständnis eine konstitutive Rolle spielt und in dieser angelegt ist, zeigt sich in der Praxis des Hinzufügens von Siegeln und Kolophonen: »Hinzu kommt eine weitere Eigentümlichkeit der vormodernen chinesischen Kunstpraxis. Seit dem 9. Jhd. ist das Anbringen von Gedichtaufschriften, Kolophonen oder Stempeln durch den Maler oder durch den Sammler auf einem bereits ›fertig gestellten‹ Werk üblich. Das künstlerische Bild dient nicht lediglich der Erschließung eines individuellen Weltzugangs in der Betrachtung. In einer einzigartigen Weise offen gegenüber einer kreativen Fortschreibung verkörpert das Bild – als Bildträger und Bildobjekt – stets einen realen Ort für den Aufbau zwischenmenschlicher Kommunikation über die Welt.« Aus: ebd., S. 146.
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Zeigen von etwas, sondern aus wirkungsästhetischer Perspektive die gelebte Erfahrung, die Erfahrung von Wirkzusammenhängen, im Vordergrund.23 Die ästhetische Erfahrung ist relational angelegt, indem sich der Mensch stets in Beziehung zur Welt begreift. Sie ereignet sich zwischen Wahrnehmendem und Wahrgenommenem und geht somit nicht explizit vom Objekt oder Subjekt aus.24 Hier lassen sich später noch näher zu bezeichnende Parallelen zur zeitgenössischen Ästhetik des Performativen herstellen. In ähnlicher Weise konstatiert Fischer-Lichte in ihrer Ästhetik des Performativen als Bedingung der Möglichkeit des vormodernen chinesischen Kunstverständnisses die schon angesprochene Vorstellung, dass Wirklichkeit nicht als statisches und objektivierbares Gebilde, sondern als dynamisches Wechselspiel gegenseitigen Wahrnehmens und Wahrgenommen-Werdens verstanden wird, das die Feedbackschleife eines autopoietischen Systems in Gang setzt bzw. aufrechterhält.25 In der vormodernen chinesischen Ästhetik liegt der Fokus nicht auf dem statischen und leblosen Objekt, sondern auf einem lebendigen Zusammentreffen (shenhui) zwischen Wahrnehmendem und Wahrgenommenem als Antwortgeschehen.26 Somit kann nicht mehr von einer Trennung zwischen Subjekt und Objekt ausgegangen werden. Ähnliches gilt für die Ästhetik des Performativen: Mit Fischer-Lichte gesprochen ist jeder Teilnehmer in einer autopoietischen Feedbackschleife stets zugleich Subjekt und Objekt, das heißt, der Teilnehmer ist zugleich aktiv und passiv, indem er den Verlauf der Feedbackschleife zum einen mitbestimmt und zum anderen von dieser bestimmt wird. Zwischen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen besteht ein beständiger Austausch. Um dieses lebendige und responsive Zusammentreffen und somit die Feedbackschleife aufrechtzuerhalten, wird der Qualität der Affizierung durch Kunst in der vormodernen chinesischen Ästhetik hohe Bedeutung zugemessen. Wie weiter unten ausgeführt wird, ist der Kunst in China traditionell der produktions- und wirkästhetische Anspruch auferlegt, Leben im Bild wirksam werden zu lassen. Denn nur wenn der Wahrnehmende durch Kunst vom Leben affiziert ist, partizipiert er am Transformationsprozess des Lebens, was zugleich die Voraussetzung dafür ist, dass dieser weiter aufrechterhalten wird und sich immer wieder von Neuem reproduziert . 23 | Ebd., S. 158, sowie Jullien, François. 1999, S. 57. 24 | Hay, Jonathan, der die vormoderne Kunst als Konstruktionen bildlicher Kosmologien versteht, die das je geltende epistemische Bewusstsein ihrer Zeit verkörpern, stellt aus makrohistorischer Perspektive eine zunehmende Subjektivierung im chinesischen Kunstverständnis fest. Vgl. Hay, Jonathan. 2005, S. 118. 25 | Fischer-Lichte, Erika. 2004, S. 125. 26 | »[What] informs our sense of sufficiency and reality is not as a fixed principle but a dynamic interplay between the experiencing self and the perceived entity […] Its aesthetic effect on us however is not that of a silent object, but a living encounter and indeed, a ›spiritual communion‹ (shen hui).« Aus: Tu Wei-ming. 1983, S. 69.
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Die Anschauung wurde also nicht als »Sein«, sondern als »Wirksamkeit«, nicht als Objekt, sondern als Medium verstanden und Kunst war somit Vollzugs- und Ereignisort des dynamischen Lebensprozesses schlechthin. Es ist in diesem Kontext zu verstehen, dass in der vormodernen chinesischen Ästhetik nie die Einzeldinge, sondern stets die Relationen der »Vorkommnisse«27 untereinander, der Zusammenhang bzw. der Kontext von Interesse waren.28
3.1 Bilder als Verkörperung von Wirklichkeit als Wirkgeschehen Im Mittelpunkt der vormodernen chinesischen Ästhetik steht also die »Wirklichkeit als Wirkgeschehen«.29 Dieses Verständnis von Kunst hat seinen Ursprung in den Hexagrammen, wie sie im Buch der Wandlungen (yijing)30 als die 64 die Welt »beschreibenden« Bilder, die als unterschiedliche Kombination von sechs übereinanderliegenden, durchbrochenen und durchgehenden Linien konzipiert sind, in Form von zwei übereinander kombinierten Trigrammen zu finden sind. Die Hexagramme basieren auf der bereits erläuterten Konzeption, dass sich die Wandlungen, das heißt das Leben, im Wechselspiel von yin (das empfangende Prinzip) und yang (das schöpferische Prinzip) ergeben. Während das Hexagramm mit sechs durchzogenen Linien für die Polarität yang steht, handelt es sich bei dem Hexagramm mit sechs durchbrochenen Linien um yin. Bei allen weiteren Hexagrammen handelt es sich um yin-yang Konstellationen, die aufgrund ihrer spezifischen In-BezugSetzung jeweils bestimmte Wirkpotenziale und Entwicklungspotenziale aufweisen. Auf der Grundlage von Beobachtungen und Erfahrungswerten der alten Weisen behauptet das Yijing, die Gesetzlichkeit des Werdens dokumentiert zu haben und in den Hexagrammen alle Zustände der Welt abzubilden, weswegen es bis heute als Orakel befragt wird. In den frühen Kommentaren des Yijing werden die Hexa-
27 | Dieser Begriff wird hier von Obert, Mathias. 2007 übernommen. 28 | Vgl. Jullien, François. 2005, S. 31. 29 | Obert, Mathias. 2007, S. 48. 30 | Das Buch der Wandlungen (yijing) basiert auf der Auffassung der Welt als Wandlungsgeschehen, wie sie im Fließtext der vorliegenden Arbeit vorgestellt wird. Es ist ein wichtiges Buch für die chinesische Philosophie und zudem ein Wahrsagebuch. Es hat seinen Ursprung in der Zhou-Zeit (11. Jhdt. – 771 v. Chr.), worauf auch der andere Name Wandlungen der Zhou (zhou yi), unter dem es bekannt ist, hinweist. Über das Yijing siehe: Bauer, Wolfgang. 2006, S. 46 ff.
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gramme als »Abbild« der Welt und ihrer Strukturen bezeichnet.31 Das chinesische Zeichen xiang, das in diesem Zusammenhang verwendet wird,32 spielt auch in der vormodernen Ästhetik eine wichtige Rolle, insofern die Malerei als Verkörperung (ti) der Erscheinungsgestalten (xiang) verstanden wird, die welteröffnende Wirksamkeit besitzen.33 Wie deutlich gemacht worden ist, ist die Bezeichnung von xiang als »Abbild«, die in diesem Zusammenhang häufig verwendet wird, irreführend, steht doch gerade nicht die mimetische Abbildung von Welt im Vordergrund.34 Um dieses Miss31 | Bauer, Wolfgang. 2006, S. 126–127. Ausführungen über die Visualisierung von Strukturen in der chinesischen Malerei siehe: Hay, John. 1984, S. 123. 32 | Peterson erklärt die Verwendung des Zeichens xiang im Kontext des Yijings, in dem er sich mit dem Kommentar zum Yijing, dem ›Commentary on the Attached Verbalizations in the Book of Change‹ (xicijun) auseinandersetzt, folgendermaßen: »Each of the sixty-four hexagrams has a name, most of which are words or terms referring to particular objects and activities which are involved in ›figuring‹ (xiang) the situation revealed by the act of divination. Peterson, Williard J. 1982, S. 80. 33 | Detaillierte Ausführungen zur Aneignung von xiang, ursprünglich verstanden als kosmisches Symbol, in den einschlägigen ästhetischen Schriften zur Zeit der Sechs Dynastien (220–589) siehe: Cai Zong-qi. 2004. Obert nennt explizit drei Autoren, die in ihren ästhetischen Traktaten einen Bezug zum Yijing und xiang herstellen: Wang Wei (415–443), Zong Bing (375–443) und Zhang Yanyuan (9. Jahrhundert). Nach Wang Wei bringt die Malerei eine »gemeinsame Verkörperung mit den sinnhaften Erscheinungsgestalten (xiang) aus dem Buch der Wandlungen hervor.« Über Zhang Yanyuan schreibt er, dass bei ihm wie schon bei Wang Wei und Zong Bing »die Nähe der gestaltgebenden Malerei zu den zeichenhaften Verkörperungen des Wandlunggeschehens in Tri- bzw. Hexagrammen der alten Weissagepraxis den Einfallsreichtum des Nachdenkens über die Malerei beflügelt.« Aus: Obert, Mathias. 2007, S. 243 f. und S. 285. 34 | Zu dieser Problematik siehe die Ausführungen von Obert. Ebd., S. 434, Fußnote 5. Williard J. Peterson legt überzeugend dar, warum er xiang nicht als image, sondern als figure übersetzt: »The word xiang as used in the ›Commentary‹ is sometimes rendered into English as ›image‹, which connotes resemblance and implies an act of perception. Xiang often is the object of the verb ›to observe‹ (guan), which supports translating xiang as image. However, xiang are independent of any human observer, they are ›out there‹, whether or not we look. Therefore I find, that the English word ›figure‹ comes closer to covering the meanings of xiang in the ›Commentary‹. A figure is an image or likeness, but it is also a form or shape, a design or configuration or pattern, and a written symbol, ›to figure‹ is to represent as a symbol or image, but also to give or bring to shape. Taking ›xiang‹ as ›figure‹ also maintains a distinction from xing, translated conventionally as ›form‹. Xing is used of classes of physical objects as well as particular physical objects, often with an implication of that which is tangible. Xiang is used of classes of objects and particular physical objects (wuqi)as well as events (shiqing), and in the ›Commentary‹ has the added implication of ›that which portentous for human conduct‹.« Aus: Peterson, Williard J. 1982, S. 80–81.
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verständnis zu vermeiden, übersetzt Obert xiang mit »sinnhafter Erscheinungsgestalt«.35 Auf diese Weise möchte er verdeutlichen, dass xiang im Unterschied zu xing, womit Beschreibungen von individuellen Formen bzw. Gestalten gemeint sind, die Lebendigkeit der körperlichen Gestalt, also ihre Potenzialität und ihre Wandlungsqualität bezeichnet.36 Es geht nicht um die Wahrnehmung eines Gegenstandes als äußerliche Form (xing), sondern die Anschauung ist immer schon Ausdruck einer wirksamen Bedeutung, die sich zwischen Welt und Mensch als »sinnhafte Erscheinungsgestalt« (xiang), also durch In-Bezug-Setzung, in Relation artikuliert.37 Somit ist xiang ein Ort, an dem sich im Akt der Produktion und Rezeption das Leben als Wirklichkeit »wirksam« eröffnet, weswegen Obert betont, dass diese Bilder nicht als Zeichen, sondern als »performative Wirkbilder« zu verstehen sind, die der Betrachter als lebendiges »Gegenüber« leiblich erfährt.38 Nicht zuletzt dank der Reaktivierung durch den Dichter und Mönchsmaler Shi Tao im 17. Jahrhundert als Reaktion auf eine drohende Erstarrung dieses Kunstverständnisses39 wurde dieses bis ins 20. Jahrhundert von chinesischen Malern rezipiert.40 In seiner Schrift »Aufgezeichnete Worte des Mönchs Bittermelone zur Malerei« (kugua heshang hua yu lu), das auch unter dem Namen »Grundlagen der Malerei« (hua pu) bekannt ist, konzipiert er die sogenannte »Ein-Strich-Methode« (yi hua zhi hua).41 In Korrespondenz zum Konzept der Entstehung der Welt als 35 | Obert, Mathias. 2007, S. 212: Obert übernimmt hier Xu Fuguans Verständnis von xiang. 36 | Obert referiert hier auf Yan Yanzhi (384–456), auf den sich seiner Aussage nach auch die Verfasser von Kunsttheorien Wang Wei und Zhang Yanyuan beziehen. Yan Yanzhi zufolge besitzt das ›Aufzeichnen in Bilddarstellungen‹ (tu zai) einen dreifachen Sitz: »Darunter fielen nämlich einmal die Erscheinungsgestalten (xiang) der acht Trigramme, zum anderen die Schriftzeichen und schließlich die abbildhafte Darstellung von körperlichen Gestalten (tu xing) durch die Malerei.« Ebd., S. 257. 37 | »Der Maler hat nicht mit sichtbaren Gestalten das gegenständlich Sichtbare abzumalen oder wiederzugeben. Er hat die um das Sichtbare als solches herum waltende, die gleichsam zwischen einzeln begrenzten, sichtbaren Gegenständen stehende Tiefe des Wandlungsgeschehens in seiner ethischen Bedeutsamkeit ins Bild hereinzunehmen. Er hat aus der Welt heraus ein sinnträchtiges Bild zu malen, dessen letzter Gehalt schon auf der semantischen Ebene die Welt im Ganzen ist. Nicht eine oder die Welt im Bild ist freilich zu malen. Anzustreben ist vielmehr über das Semiotische hinaus im Gestalten der Formen ein ›Welt-Bild‹ in der oben näher bestimmten Wirkungsdimension.« Aus: ebd. S. 234. 38 | Vgl. Obert, Mathias. 2006, S. 148 und Obert, Mathias. 2007, S. 233, S. 428 und S. 244 39 | »Die Doktrin der ›Nachahmung der Alten‹ hatte sich selbst ad absurdum geführt. […] Die Malerei war überfeinert, sie war mit einem gewaltigen Maß an traditionellen Stilen, Kompositionsarten, Strichen und Farbgebungen belastet. Aus: Lin Yutang. 1967, S. 144 f. 40 | Juliane Noth zeigt dies am Beispiel des Künstlers Shi Lu (1919–1982), der Shi Tao explizit rezipiert hat. Siehe: Noth, Juliane. 2009. 41 | Die Übersetzung stammt von Lin Yutang. 1967, S. 147. Nürnberger übersetzt yi hua mit »All-Eine-Pinselstrich«, siehe: Nürnberger, Marc. 2009, S. 9 ff.
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einem kontinuierlichen Teilungsprozess im Buch der Wandlungen (yijing) konzipiert Shi Tao die Malerei als Methode der Wandlungen des Universums:42 »Was ist die Malerei anderes als die große Methode der Wandlungen und Entwicklungen im Universum? Geist und inneres Wesen der Berge und Wasserläufe, Entwicklung und Wachstum der Schöpfung, die Wirkkraft von yin und yang, alles wird durch Pinsel und Tusche offenbart, zur Wiedergabe des Universums und zu unserer Freude.«43 Die »Ein-Strich-Methode« ist das Pendant zum ersten Teilungsprozess, der das ursprüngliche Chaos zur Welt in Himmel und Erde ausdifferenzierte und aus dem alle weiteren Erscheinungen entstehen. Laut Nürnbergers Kommentar ist der »All-EinePinselstrich« nicht äquivalent mit dem unaussprechlichen Dao. Vielmehr vermittelt dieser den ursprünglich reinen Zustand der All-Einen-Welt mit der Zeit des Malers.44 »Die Spuren des All-Einen durchziehen die gesamte chinesische Geistesgeschichte. Das All-Eine ist der große Anfang, er ist der Beginn allen Zählens. Das AllEine ist der äußerste Pol der Dinge, es ist der Weg, der keine Gegner mehr zulässt. Das Dao gründet im All-Einen. Das All-Eine wirkt schaffend Himmel und Erde und vollendet wandelnd die Zehntausend Dinge.«45 Die »Ein-Strich-Methode« birgt wie der erste Teilungsprozess das ganze Universum und somit alle anderen Methoden in sich: »Der All-Eine Pinselstrich ist der Ursprung alles Gegebenen, die Wurzel der Zehntausend Erscheinungen.«46 Der All-Eine-Pinselstrich ist keine Richtlinie, er ist als alle Richtlinien in ihrer Abhängigkeit endgültig auflösende Richtlinie die bestmögliche Richtlinie. Als Richtlinie mahnt er unnachgiebig die Notwendigkeit des steten Wandels an.«47 Anstatt die Techniken der alten Meister auf formaler Ebene nachzuahmen, fordert Shi Tao dazu auf, sich in die inneren Gesetze des Universums – das, wie weiter oben beschrieben, als autopoietischer Wandlungsprozess (ziran) zu verstehen ist – einzustimmen, um diese zu erkennen und in der Malerei zu vermitteln. Nicht durch die Einhaltung bestimmter von Menschen gemachter Regeln, sondern indem man sich auf den Lauf der Dinge einlässt und dem Herzen folgt, wird im Bild Lebendigkeit erzielt. »Nur in der Annahme des All-Einen kann die Malerei wieder dem Herzen folgen, da sie sich nicht mehr von dem Von-selbstso-Sein des Weltgeschehens abtrennt. Denn allein in der Hinkehr zum All-Einen vermag der Mensch in der Welt einzukehren.«48
42 | Vgl. Hay, John. 1984, S. 126, Lin Yutang. 1967 43 | Shitao übersetzt von Lin Yutang. 1967, S. 149 44 | Nürnberger, Marc. 2009, S. 12. 45 | Ebd., S. 13. 46 | Ebd., S. 9. 47 | Ebd., S. 22. 48 | Ebd.
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3.1.1 Exkurs: Einführung in die daoistische Kosmologie Um diese Darlegungen besser zu verstehen, soll, bevor im Einzelnen auf die angesprochenen Aspekte der vormodernen chinesischen Ästhetik, insbesondere im Hinblick auf die Perzeptionsaspekte der »Verlebendigung« und der »Berührung« eingegangen wird, skizziert werden, inwiefern sich im vormodernen chinesischen Kunstverständnis ein Zugang zur Welt widerspiegelt, der auf der daoistischen Kosmologie basiert, die sich maßgeblich von einer kreationistischen Vorstellung der Erschaffung der Welt unterscheidet.49 Die daoistische Vorstellung der Weltentstehung kennt nicht den der jüdisch-christlichen Tradition zugehörigen personalen theistischen Schöpfergott, sondern geht von einem kontinuierlichen Prozess der Weltgenerierung aus, der sich »von-selbst« (ziran),50 ausgehend vom transzendenten und immanenten Wirk- und Schöpfungsprinzip Dao, in Teilungsprozessen generiert. Aus der Einheit Dao entstehen zuerst die zwei komplementären Aspekte yin und yang. Die »Zehntausend Dinge« (wan wu), die als Wandlungsprozess konzipierte Welt, generiert sich im Wechselspiel der gegenseitigen Durchdringung von yin und yang. Yin, das empfangende und weibliche, und yang, das aktive und männliche Prinzip, sind die zwei Polaritäten des Lebensatems Qi. Qi ist die dem Kosmos zugrunde liegende transzendentale und immanente Antriebs- und Lebenskraft, die sich als Ausdruck des Prinzips Dao aus den kontinuierlichen Teilungs- und Wandlungprozessen, die die Welt bzw. das Leben ausmachen, ergibt. Das Konzept der Teilung und Differenzierung sowie der Wandlung als »Motor« der Generierung von Welt bzw. Leben, verstanden als Transformationsprozess, ist in allen chinesischen Kosmologien und so auch in der daoistischen zentral.51 Alle Vorkommnisse stehen nach dieser Vorstellung miteinander in Verbindung, weil sie alle das Ergebnis oder besser der temporäre Zustand von kosmischen selbstreferenziellen Teilungsprozessen sind, weil sie alle denselben Ursprung in Dao haben. Im Daodejing, einem der wichtigsten Texte des Daoismus, der dem legendären Weisen Laozi zugeschrieben wird, wird beschrieben, wie vor der Entstehung der Welt, das heißt bevor sich Himmel und Erde teilten, das Ungeteilte, das Chaos (hundun) herrschte und wie die Welt aus Dao in Prozessen der Teilung entsteht: »Ein Etwas [gemeint ist Dao] gibt es, chaotisch und ganz; der Entstehung von Himmel und Erde geht es voran. Still ist es und grenzenlos, für sich allein, unwandelbar kreisend und nie sich erschöpfend. 49 | Kulturkomparatistisch angelegte Ausführungen zu chinesischen und europäischen Vorstellungen der Weltentstehung siehe: Ames, T. Roger. 2004, S. 15 ff. 50 | Ausführungen zum autopoietischen Prinzip ziran siehe: Bauer, Wolfgang 1990, S. 203 ff. 51 | Vgl. Linck, Gudula. 2001, S. 14.
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I NSTALLATIONSKUNST IN C HINA Die Welt Mutter könnte ich es nennen. Ich kenne seinen Namen nicht, wir nennen es Dao […]«52
Im chaotischen Zustand, in Dao, ist die Welt in ihrer Mannigfaltigkeit enthalten, die sich in Teilungsprozessen zwischen yin und yang kontinuierlich eröffnet und artikuliert. »Das Dao brachte das Eine hervor, das Eine die Zwei und die Zwei die Drei, und die Dreizahl brachte die Zehntausend Dinge und Wesen hervor. Die Zehntausend Wesen und Dinge: Getragen von yin, umhüllt von yang Geeint vom durchdringenden qi.«53
Während die europäische Kunstauffassung lange Zeit von einer kreationistischen Auffassung geprägt war, die von griechisch-antiken Vorstellungen Platons und Aristoteles über die jüdisch-christliche Vorstellung der Erschaffung der Welt durch einen Schöpfergott ausging und das analoge europäisch-moderne Künstlerbild des schöpferisch-genialen Autors ausgebildet hat, in dessen Zentrum die repräsentationsästhetische Vorstellung stand, dass das Kunstwerk als Anschauung der Idee, als mimetische Nachahmung und somit als Ausdruck der Verehrung der göttlichen Schöpfung und ihrer Auslegung verstanden wurde, unterscheidet sich die chinesische Vorstellung von diesem statischen Verständnis einer abgeschlossenen, von Gott erschaffenen Wirklichkeit, die es zu erforschen gilt. In China wurde im Unterschied dazu traditionell davon ausgegangen, dass es der Kunst obliegt, Wirklichkeit, die sich kontinuierlich in Teilungsprozessen des ewigen Wirk- und Schöpfungsprinzips Dao generiert, in ihrer Prozesshaftigkeit zu artikulieren und partizipierbar zu machen.54 Die Wirklichkeit, das heißt das Leben, zeichnet sich im traditionellen Verständnis somit durch eine Struktur der Selbstbezüglichkeit aus: »Indem das Leben sich vollzieht, beugt es sich zugleich über einen Zeitsprung hinweg auf eben diesen Vollzug zurück.«55 Das heißt, dass sich Qi zwischen den Polen yin und yang kontinuierlich »von-selbst« (ziran) in einer performativen Feedbackschleife generiert. Qi ist somit nicht nur gemeinsamer Nenner, der Ursprung aller Vorkommnisse in der Welt, sondern als immanenter Aspekt von Dao, dem umfassenden Lebensprinzip, das Leben selbst, das durch kontinuierliche Wandlungen, Transformationen immer in Bewegung ist und unter diesen Voraussetzungen als Medium und Ort der Selbst52 | Daodejing, Vers 25, Legge, James. o. J., S. 111. 53 | Ebd., Vers 42, Legge, James. o. J., S. 133. 54 | Hay, John. 1983, S. 99 ff. 55 | Obert, Mathias. 2007, S. 138.
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bezüglichkeit, das heißt der Reflexion verstanden werden muss.56 Qi ist somit die zeitlich entfaltete Lebendigkeit. Es geht um das Leben – verstanden als Transformationsprozess – selbst, nicht um eine Kraft, die einer anderen (metaphysischen) Sphäre zugeordnet wird und sich als solche in der Welt zeigt. Qi verstanden als Atmen ist das zentrale Phänomen des zeitlichen Lebensvollzugs: »Die Idee des Atems steht im Mittelpunkt der chinesischen Kosmologie. Dieser Auffassung zufolge ist es nach dem originären Chaos, das Himmel und Erde vorausgeht, der uranfängliche Hauch, der die ursprüngliche Einheit auflöst, die als Eins bezeichnet wird und die zwei enthält, welche für yin und yang steht, die beiden Aspekte des Lebensatems. Aus dem gemeinsamen und abwechselnden Wirken von yin und yang werden ›die zehntausend Dinge‹ geboren. Anstatt als einfache Substanz wird jedes Lebewesen vor allem als eine Verdichtung verschiedener Typen des Lebensatems aufgefasst, die die vitalen Funktionen aller Dinge regeln.«57 Indem der Mensch atmet, nimmt er an den Lebensvollzügen, das heißt an der Welt teil.
3.2 Qi als ästhetische Kategorie des Lebendigen – zur leiblichen Qualität der traditionellen ästhetischen Erfahrung Die performative Qualität des vormodernen chinesischen Kunstverständnisses muss im Kontext dieser kosmologischen Voraussetzungen, das heißt der Vorstellung von Welt als Transformationsprozess, der sich kontinuierlich »von-selbst« (ziran) in Teilungsprozessen generiert, verstanden werden. Der Lebensatem Qi ist »Ort« der selbstbezüglichen Reflexion, an dem sich das Verhältnis zur Welt artikuliert und vermittelt. Als ästhetische Kategorie des Lebendigen bzw. des Lebensvollzugs ist Qi in der vormodernen chinesischen Ästhetik eine wichtige Kategorie. Vor dem Hintergrund, dass alles Lebendige durch die Praxis des Ein- und Ausatmens verbunden ist, ist der Lebensatem Qi gemeinsamer Nenner und verbindendes Medium.58 In der traditionellen Malerei partizipiert der Rezipient durch sein Atmen, dessen Ausdruck und Medium der Pinselstrich ist, am Lebensprozess Qi, das heißt an der Welt, die er auf dieser leiblichen Erfahrungsebene des Atmens auch erschließen kann.59 Sich auf den frühen Klassiker zur Literaturtheorie aus dem frühen 6. Jahrhundert, das Wenxin diaolong (Das gebildete Innere und das Gravieren des Drachen) von Liu Xie, beziehend schreibt Obert in diesem Zusammenhang: »Im Atmen wird die Welt erschlossen; und auf dem Boden dieser leiblich konnotierten Grundbewegtheit des
56 | Obert, Mathias. 2007. S. 136, S. 139 und S. 147. 57 | Cheng, François. 2004, S. 148. 58 | »Breath is the primary medium of exchange between macrocosmos and microcosmos.« Aus: Hay, John. 1983, S. 104. 59 | Siehe Oberts Ausführungen zu Wang Chong (27–97). Obert, Mathias. 2007, S. 157 ff.
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Dichters gewinnt die äußere Welt ihren Ausdruck«.60 »Im Atmen kann sich als sinnlich Sichtbares eine responsive Wirksamkeit entfalten und selbst wiederum sinnlich Sinnhaftes wie eine dichterische Laut- und Schriftgestalt hervorrufen. Die ästhetischen Qualitäten von Sinngebilden sind ein individueller Ausdruck des allgemeinen Atmens. Aus diesem Grunde vermögen sie – dem Werk sozusagen lebendig einverleibt – zwischen dem Schaffenden und dem Rezipienten eine gelebte Verbindung herzustellen.«61 Als ästhetische Kategorie für die bildende Kunst wird die Lebensenergie Qi erstmals in den sogenannten »Sechs Regeln« (liu fa)62 eingeführt, die Xie He im Guhua Pinlun (Bewertung Alter Malerei) formuliert.63 Die erste »Regel« oder »Bedingung«, die seither als Kern der vormodernen chinesischen Ästhetik verstanden wird und maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass der ästhetischen Kategorie Qi in der chinesischen Malerei eine konstitutive Rolle zukommt, lautet: qi yun sheng dong.64 In der vorliegenden Arbeit wird diese »Regel« wirkungsästhetisch verstanden, indem sie mit der Bedeutung paraphrasiert wird, dass es sich dann um ein gelungenes, das heißt wirksames, das Leben vermittelndes und ausdrückendes (sheng dong) Kunst-
60 | Obert, Mathias. 2007, S. 164. 61 | Ebd., S. 166. 62 | Über die richtige Übersetzung von fa herrscht bis heute Uneinigkeit. In den meisten Übersetzungen wird fa als Regel (rule) oder sogar Gesetz (law) übersetzt, Soper schlägt vor, fa mit Bedingung (condition) zu übersetzen. Aus: Soper, C. Alexander. 1949, S. Um kulturelle Missverständnisse zu vermeiden, führt John Hay aus, vor welchem kulturellen Hintergrund fa zu verstehen ist. Er schreibt: »It is mistaken to understand the ›laws‹ as divinely given at source, however, because there is no divine source. They are the product of a process. […] But the macrocosmic level was not the ›individual‹ law or fa at an absolute level. There was nothing equivalent to the Platonic absolute, with its geometric nature (both formally and deductively). The model, rather, was a functional relationship to generative source. […] The Daodejing is a locus classicus of fa: ›Man fa-s earth, earth fa-s heaven, heaven fa-s tao and tao fa-s function whereby everything is so-of-itself (ziran).‹ […] Because fa is not seen as a linear sequence, but as a process characterizing the state of existence, it ist he same activity whether seen from the macrocosmic ort he microcosmic pole. Earth fa-s heaven and heaven fa-s earth are different ›roles‹ of the same process .« Aus: Hay, John. 1983, S. 81–82. 63 | Das Gu Hua Pin Lun gilt nach allgemeiner Meinung als Gründungsdokument der chinesischen Ästhetik, das diese nachhaltig beeinflusst hat. Es umfasst die sogenannten »Sechs Regeln« sowie 27 Darstellungen von Künstlern, die in den drei Jahrzehnten vor dem Entstehungsdatum des Gu Hua Pin Lun tätig waren. Vgl. ebd., S. 73 f. 64 | Mit großer Selbstverständlichkeit wird seither die grundlegende Bedeutung des Atmens Qi in künstlerischen und ästhetischen Zusammenhängen hervorgehoben. John Hay bietet eine ideengeschichtliche Kontextualisierung von Xie Hes Traktat, das er unter der Fragestellung untersucht, warum die liu fa in der chinesischen Ästhetik eine solch maßgebliche Rolle spielen. Siehe: ebd.
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werk handelt, wenn Qi widerhallt (yun).65 Mit Obert gesprochen, der die erste Regel Xie Hes mit den folgenden Worten wirkungsästhetisch übersetzt und interpretiert: »Gestimmtheit im Atmen, das bedeutet eine lebendige Selbstbewegung«.66 So spielt »Qi in dieser gelebten Bezugnahme des Menschen auf seine Welt eine Mittlerrolle, die sich in ein Moment der Wirksamkeit und in ein Moment des Selbstausdrucks aufspalten lässt.«67 Qi ist also auch als ästhetische Kategorie der Ort, an dem die Beziehung zur Welt zwischen Wahrnehmenden und Wahrgenommenen ausgedrückt bzw. vermittelt wird, sodass auf diese Weise der selbstreferenzielle Transformationsprozess (ziran), der das Leben ist, aufrecht erhalten wird.68 Es ist deutlich geworden, dass in der chinesischen Ästhetik die Anschauung nicht der Darstellung von Natur nach Gesichtspunkten der formalen Ähnlichkeit, sondern der Vermittlung der Lebensenergie Qi als Ort bzw. Möglichkeit der In-Bezug-Setzung zur und Eröffnung von Welt im Mittelpunkt dient. Als ästhetisch wertvoll galten vor diesem Hintergrund Bilder, die den Betrachter in ein existenziell wirkliches Verhältnis zur Welt setzen. Anstatt Bilder als Mittel der Kontemplation oder der Wiedervergegenwärtigung zu verstehen, wie das lange Zeit in der europäischen Ästhetik der Fall war, wird Bildern im vormodernen chinesischen Verständnis wirklichkeitsstiftende Qualität zugesprochen, indem sie als Verkörperungen von Wirklichkeit als Wandlungsprozess verstanden werden. Es geht in China traditionell also weder um Repräsentation, noch um Präsenz von etwas außerhalb Liegendem, sondern darum, die Transformationsprozesse, die das Leben ausmachen, im Bild wirksam und somit für den
65 | Die Autorin schließt sich der Meinung von John Hay an, der Xie Hes erste fa als unübersetzbar und nur für paraphrasierbar hält. Hay schlägt folgende Paraphrasierung vor: »Chi yün sheng tung [qi yun sheng dong]: Resonance initiated in the universal, macrocosmic state of energy gives birth to negentropic patterns of assonance; the coming into being of which, in a hierarchy of structural phases, is the nature of existence and life. This is reality. It is also the process by which a work of art comes into being.« Grundsätzlich sei anzumerken, dass über die richtige Übersetzung von Xie Hes erster »Regel« bis zum heutigen Tag große Uneinigkeit herrscht. Frühe Diskussionen finden sich bei Soper 1949 und Acker 1954. Eine Vorstellung von den Kontroversen über die richtige Übersetzung bzw. das richtige Verständnis der ersten »Regel« bzw. »Bedingung«, die Xie He formuliert hat, erhält man in Hay, John. 1983, S. 74 ff., Lin Yutang. 1967, S. 441–442. Die in der vorliegenden Arbeit favorisierte wirkungsästhetische Interpretation der ersten »Regel« findet sich auch bei Obert, Mathias. 2007. 66 | Mathias Obert betont die wirkungsästhetische Dimension der ersten Regel, wobei er zudem zum Ausdruck bringen möchte, dass Qi im Bild nicht nur wirksam, sondern auch anschaulich ist. Vgl. Obert, Mathias. 2007, S. 181–183. 67 | Ebd., S. 147. 68 | Hays Erklärung zu dong ist in diesem Kontext zu verstehen: »Pre-mechanistic Chinese ›movement‹ obviously involved the correlative, or responsive nature of reality.« Hay, John. 1983, S. 96.
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Wahrnehmenden erfahrbar und partizipierbar zu machen. Aus diesem Grund wird der Qualität der Korrespondenzfähigkeit, die die notwendige Bedingung von wirksamer Affizierung des Betrachters ist, im vormodernen chinesischen Kunstverständnis größte Bedeutung zugemessen. Schon Wang Chong (27–97 n. Chr.) betont im Lun heng (Waage der Lehrmeinungen), dass Bilder nicht aufgrund formaler Abbildhaftigkeit wirksam werden, sondern dass Bildern auf der rhythmischen, erfahrungsorientierten Ebene Korrespondenzfähigkeit innewohnt, die es dem Rezipienten ermöglichen, in den »Wirkzusammenhang des Atmens« einzuschwingen.69 Die Ablehnung formaler Ähnlichkeit, die das Hauptcharakteristikum der chinesischen Gelehrtenmalerei darstellt, ist in diesem Kontext zu verstehen. Für die Figurenmalerei sind die Anfänge der Ablehnung von naturalistischer Abbildhaftigkeit in der Malerei bereits im 4. Jahrhundert bei Gu Kaizhi (344–406) zu finden. In seinen »Neuen Reden über Geschichten dieser Welt« prägte er den Ausdruck chuan shen (Weitergabe des Geistigen) und beschreibt wie das Hinzufügen der Pupillen ein Bildnis verlebendigt. Die nachfolgenden Generationen berufen sich auf Gu, wenngleich sie shen durch den Lebensatem Qi ersetzen und somit die leibliche Qualität der Verlebendigung stärker betonen. Aus dem 11. Jahrhundert stammt im Kontext der Ablehnung formaler Ähnlichkeit (xingsi) die berühmte Aussage des Dichters und Gelehrtenmalers Su Shi alias Su Dongpo (1037–1101), der die Literatenmalerei mit den folgenden Worten von der professionellen Akademiemalerei abgrenzte: »If anyone discusses painting in terms of formal likeness, his understanding is nearly that of a child.«70 Im Kontext dieses anti-illusionistisch-mimetischen Diskurses sind auch Jing Haos Verfahrensweisen der Pinselkunst (bifaji) aus dem 10. Jahrhundert zu verstehen, in denen er den ästhetischen Begriff der »echten Landschaft« oder »echten Ansicht« (zhenjing) prägte.71 »Echtheit« wird hier als bewegte Wirklichkeit und nicht als naturalistische Abbildung konzipiert. Das heißt, das höchste Ziel im Bild ist nicht die Erreichung von Ähnlichkeit, nicht die Darstellung von Welt, sondern die Verkörperung der tatsächlichen »echten« Welt als einer sich »von-selbst« (ziran) kontinuierlich generierenden Wirklichkeit. Anknüpfend an die bereits weiter oben am Beispiel der ersten Regel von Xie He (qi yun sheng dong) ausgeführte wirkungsästhetische Konzeptionalisierung von Kunst ist ein gutes Bild ein Bild, in dem der Lebensatem Qi tatsächlich wirksam ist. Die Voraussetzung für eine »echte Ansicht« ist, dass Qi im Bild »von selbst« (ziran) wirken kann.72 Vom Künstler verlangt dies, dass er sich 69 | Obert, Mathias. 2007, S. 158. 70 | Bush, Susan. 1971, S. 32. (Übersetzung vom Chinesischen ins Englische) 71 | Verknüpft mit der Echtheit wird im Bifaji ein verbreitetes illusionistisch-mimetisches Verständnis von der Malerei zur Debatte gestellt. Außerdem bietet das Bifaji konkrete Anleitungen zum Malen »lebendiger Bilder«. Aus: Obert, Mathias. 2007, S. 277. 72 | Im Unterschied zur platonischen Vorstellung kommt man hier ohne »Hinterwelten« aus, weswegen die Kategorie der »Wahrheit« vermieden werden muss. Siehe hierzu Oberts Aus-
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als intentionaler Autor zurücknimmt, denn nur dann wird das »Von-Selbst« des Weltgeschehens wirksam. Mittels seiner Atmung – deren unwillkürliche Qualität Ausdruck und Voraussetzung dafür ist, dass er an dem als »von-selbst« (ziran) konzipierten Weltgeschehen partizipieren und dieses im Bild vermitteln kann – gelingt es ihm, auf leibliche Weise am zeitlichen Lebensvollzug der Welt teilzunehmen, das heißt, das »echte« Leben im Vermittlungsprozess zwischen sich und der Welt zu eröffnen, die eigene Zeitlichkeit in der »universalen« Zeit des autopoietischen Transformationsprozesses zu verhandeln, um sich so von der Wirklichkeit berühren zu lassen (gan), auf sie zu antworten (ying), sie zu empfangen und weiter zu vermitteln. Anstatt der statischen Fixierung eines Ausschnitts von Welt geht es also ausgehend von einer responsiven Wirklichkeit darum, in der Kunst ideale Bedingungen für eine gelebte Verbindung zwischen Mensch und Welt zu schaffen. »Echtheit« besteht also dann, wenn eine echte Anrührung des Atems durch das Bild stattfindet und auf diese Weise das Bild Teil des wirklichen Wirkzusammenhangs wird, das Bild also »in echt« Welt eröffnet.73 In einem guten, das heißt wirksamen Bild ist Qi von selbst (ziran) wirksam. Das heißt, das Bild »atmet« und somit wohnt ihm das Angebot zum korrespondierenden Atmen inne, was dem Betrachter das »leibliche Einschwingen« ermöglicht.74 Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass es aus produktionsästhetischer Sicht nicht um die möglichst naturalistische Darstellung sichtbarer Formen ging – der Eindruck von Vollständigkeit musste unbedingt vermieden werden –, sondern vielmehr darum, das Wandlungsgeschehen, wie es sich zwischen den Ele-
führungen über Jing Haos Konzept der »echten Ansicht« (zhenjing): Obert, Mathias. 2007, S. 278 und S. 281 f. 73 | Obert verweist hier sowohl auf Wang Wei als auch auf Bo Juyi, die beide davon ausgehen, dass das angeschaute Bild dem Rezipienten eine tatsächliche leibliche Erfahrung ermöglicht. Die ästhetische Erfahrung ist demnach eine (existenziell) gelebte Verbindung zur Welt, sie ist situative und leibliche Daseinsentfaltung. Vgl. Obert über Wang Wei und Bo Juyi, Obert Mathias. 2007, S. 253 bzw. S. 254 zu Wang Wei. Obert stellt an dieser Stelle eine Parallele zu Martin Seels »Ästhetik des Erscheinens« (2000) her, in der dieser das Verhältnis des Menschen zu seiner Lebensumgebung und nicht mehr das Abbilden der Welt in den Mittelpunkt stellt. Während Seel aber auf der ästhetischen Ebene argumentiert, hat das vormoderne chinesische Verständnis ethische Implikationen. Wie Obert darlegt, ist ästhetische Anschauung im vormodernen China nicht um ihrer selbst willen, sondern um des durch sie hindurch vollzogenen Zugangs zur Welt willen gesucht. »Wie schon bei Zong Bing so ist es auch bei Wang Wei eine ästhetische Anschauung, die – als Akt einer tatsächlichen Entfaltung begriffen – zwischen dem Menschen und der Welt vermittelt. Die Bildbetrachtung dient auch in dieser poetisch ›abgeschwächten‹, nicht ausdrücklich ›religiös‹ motivierten Form nach einer ethischen Verwirklichung; sie dient der Erfüllung des guten Menschseins in seinem orthaften Welthaben.« Aus: Obert, Mathias. 2007, S. 255. 74 | Obert, Mathias 2006, S. 146.
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menten, die den Kosmos, die Welt ausmachen, ereignet, sichtbar bzw. erfahrbar zu machen, was durch verschiedene bildnerische Mittel der Anspielung sowie bildkompositorische Konzeptionen erreicht wurde.75 Insbesondere der Mönchsmaler Shi Tao (17. Jahrhundert) betont in seinen Ausführungen »Aufgezeichnete Worte des Mönchs Bittermelone zur Malerei«, dass die Wahrnehmung über das Visuelle hinaus leiblich sein muss, um das Wandlungsgeschehen empfangen zu können. Er vergleicht das Malen mit dem Pinsel mit einem Tanz: »Sobald man der Hand vertraut und einmal zum Tanz ansetzt, lässt man Berge, Wasser, Menschen und Dinge, Tiere und Pflanzen, Teiche, Pavillons, Gebäude und Terrassen Gestalt annehmen und gebraucht ihre Stellung; man hält sie lebendig fest und bemisst ihre innere Absicht, man lässt ihre Gefühle walten, um die Szenerie nachzuahmen, man zeigt das Offensichtliche auf, um das gleichzeitig Enthaltene zu verbergen.«76 Anstatt auf Regeln zu vertrauen, muss das Handgelenk locker und leer sein, denn nur dann ist die Durchlässigkeit zwischen Maler und Welt zu erreichen. »Wenn das Handgelenk leer und himmlisch wirksam ist, dann können die Bilder Wendungen nehmen und sich verändern.«77 Im Bild visualisiert sich auf diese Weise die leibliche Bewegung des Malers im Malakt, der der Welt auf diese Weise nicht gegenübersteht, sondern im Ein- und Ausatmen an dieser unmittelbar partizipiert. Bedingung der Möglichkeit des Perzeptionsaspekts der Berührung im Sinne einer leiblichen Affizierung durch Kunst ist die dargestellte Vorstellung, dass alles durch den Lebensatem Qi miteinander verbunden ist. Somit ist die Atmung das leibliche 75 | Obert legt dar, wie Jing Hao im Maltraktat Bifaji die leibliche Vermittlung von Welt im Malakt konzipiert und eine Anleitung zum Malen und richtigen Schauen als einen Akt der Welterschließung formuliert, das heißt welche anschaulichen Gestaltmerkmale im einzelnen eine Landschaftsmalerei erfüllen muss, um tatsächlich ihre welterschließende Funktion entfalten zu können. Siehe: Obert, Mathias 2007, S. 268, S. 307. Alle Mittel haben die Funktion, den Betrachter in eine lebendige, das heißt performative Relation zum Bild zu setzen. Traditionelle Mittel, die Welt im gemalten Bild in ihrer lebendigen Prozesshaftigkeit darzustellen, an der der Betrachter partizipiert, waren beispielsweise das sogenannte »fliegende Weiß« (fei bai), ein trockener Pinselstrich, der nicht flüssig und durchgezogen, sondern voller Bruch- und Leerstellen ist und vom Rezipienten vervollständigt werden muss. Ebenso dienen bildkompositorische Mittel, wie beispielsweise die drei Perspektiven (san yuan), wie sie Guo Xi konzipiert hat und die dazu dienen, dass der Betrachter keinen festen Standpunkt einnimmt, sondern ständig in Bewegung bleibt, dazu, dass Welt im Bild nicht als statischer Ausschnitt, sondern als Prozess vermittelt wird. Auch François Julliens Ausführungen über das »Fade« (pingdan) sind in diesem Zusammenhang zu verstehen: »Da [das Fade; B. H.] uns zu den Stadien vor und nach der Aktualisierung der Form zurückkehren lässt, wenn diese sich kaum abzeichnet oder resorbiert wird, wenn die Unterschiede verschwimmen und wir uns durch ihre Trennungen nicht beraubt fühlen.« Aus: Jullien, François 2005, S. 15. Zum Mittel der Anspielung im Allgemeinen siehe: Gu Mingdong. 2003. 76 | Shitao übersetzt von Nürnberger, Marc. 2009, S. 11. 77 | Ebd., S. 33.
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Medium, durch das der Mensch an den Lebensvollzügen der Welt als an Prozessen des Ein- und Ausatmens teilnimmt. Die in der vorliegenden Untersuchung im Fokus stehenden Perzeptionsaspekte »Verlebendigung« und »Berührung« sind beide im Kontext des Verständnisses von Kunst zu verstehen, das, wie dargelegt, davon ausgeht, dass die Welt im Bild nicht als etwas Anderes bzw. Äußeres repräsentiert wird oder sich zeigt, sondern dass Kunst stattdessen selbst am selbstreferenziellen Lebensvollzug (ziran) teilhat und dies im Bild sowohl empfängt als auch »in echt« vermittelt, was sich in der Wahrnehmung insbesondere in den genannten Perzeptionsaspekten ausdrückt. Verlebendigung ist zugleich Aufnahme, Ausdruck und Vermittlung des Wandlungsgeschehens Qi. Das gegenseitige Affizieren, die leibliche Berührung, ist, wie gezeigt wurde, Bedingung der Aufrechterhaltung dieses selbstreferenziellen Lebensprozesses.
4. CHINESISCHE BEWEGTBILD-INSTALLATIONEN ALS TRANSKULTURELLE REFLEXIONSRÄUME TRADITIONELLER BETRACHTERERFAHRUNG Voraussetzung der Perzeptionsaspekte »Berührung« und »Verlebendigung« ist in China traditionell ein Verständnis von Kunst als Verkörperung von Welt im performativen Wirkbild, das die Welt als autopoietisches Wandlungsgeschehen vermittelt. Zeitbasierte Medien wie Video und andere Bewegtbild-Medien eignen sich für die Reflexion eines solchen prozessualen Weltverständnisses und des damit verknüpften Kunstverständnisses performativer Wirkbilder besonders gut. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass viele chinesische Videokünstler nicht etwa, wie häufig angenommen, nur aufgrund technischer Defizite, sondern auch bewusst aus konzeptionellen Gründen sowohl auf Schnitt als auch auf digitale Bildbearbeitung in der Postproduktion verzichten.78 Viele Videokünstler scheinen mittels dieser technischen Vorgehensweise in ihren Videoarbeiten Kunst als Ort der Verhandlung und Eröffnung von Welt, als autopoietischen Transformationsprozess, zu reflektieren. Indem das Aufnahmeband nur eingelegt und in der Postproduktion nicht durch Schnitt verändert wird, nimmt der Künstler sich als intentionaler Künstler völlig zurück und überlässt den Prozess sich selbst. Folgende Arbeiten scheinen den Aspekt der kontinuierlichen Wandlung als Bedingung der Bedeutungsgenerierung und Welteröffnung zu thematisieren und somit die zentrale Prämisse des vormodernen Kunstverständnisses, Welt als Transformationsprozess zu artikulieren und zu vermitteln, zu reflektieren. Anstatt eine äußere Realität abbilden, dokumentieren oder simulieren zu wollen, scheint bei ihnen die Auseinandersetzung mit Kunst als Ort, an dem sich im Betrachterakt Welt eröffnet, im Mittelpunkt zu stehen. 78 | Pijnappel, Johan. 2001, S. 36.
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Abb. 79: Li Yongbin, Face IV (lian), installative Videoarbeit, 1998
Quelle: Ausst.-Kat. Synthetic Realities, hg. v. Marianne Brouwer/Els van Plas/Pi Li. 2004. Hongkong.
In der Videoarbeit Face IV (1998) (Abb. 79) von Li Yongbin, die Teil seiner seit 1996 bis heute andauernden Face-Serie ist, steht der prozessuale Übergang vom Tag zur Nacht als bedeutungsgenerierendes Wandlungsgeschehen im Vordergrund. Von einem erhöhten Standpunkt aus und in einer einzigen, langen Einstellung über einen Zeitraum von 60 Minuten aufgenommen, besteht die Arbeit aus Aufnahmen einer vielbefahrenen Pekinger Stadtautobahn. Aufgrund der sich wechselnden Lichtverhältnisse im Zuge der hereinbrechenden Dämmerung verändern sich die Aufnahmen der Stadt, bis sie schließlich wegen des Dunklerwerdens immer stärker zurücktreten und stattdessen das Gesicht des Künstlers als Spiegelung im Fenster des Hochhauses, das, wie dann deutlich wird, als Aufnahmeort diente, sichtbar wird. Durch den Fokus auf den Prozess des Dunkelwerdens als bedeutungsgenerierenden Moment scheint auf die responsive Relation zwischen Stadt und Künstler, zwischen
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Mensch und Welt hingewiesen zu werden. Unterstrichen wird diese relationale Qualität zudem durch das unterlegte Geräusch, das erst am Ende, wenn sich das Gesicht des Künstlers artikuliert, als Kratzen von Li Yongbin am Fensterglas identifiziert werden kann.79 Auf ähnliche Weise funktioniert Lis sehr frühe Videoarbeit Come Round (1995). Auch hier arbeitet er mit dem natürlichen Prozess der kontinuierlichen Tag- und Nachtfolge als bedeutungsgenerierendes Moment, indem er das allmähliche Verschwinden einer Diaprojektion des Gesichts seiner verstorbenen Mutter auf einen Baum, die mit Anbruch des Tages in die Umgebung ein- bzw. in dieser aufgeht, dokumentiert.80 Dass Li Yongbin in seinen Arbeiten die Welt als kontinuierlichen Wandlungsprozess und Kunst als Ort der Vermittlung desselben reflektiert, wird durch folgendes Zitat des Künstlers unterstrichen: »Every piece of work is a continuation of the same event. My greatest realization is that this so called ›continuation of the same event‹ is a thing with a beginning but no end. With no job security and expenditure, the significance in doing work of this nature is that every time I complete a work I get a sensation of relieving myself from something. A joy that comes after the relief. It is a bit like losing weight, the purpose of which is ›to lose and not to gain‹. A process contrary to the accumulation of wealth by the capitalist. The ultimate aim is a state of nothingness. Sometimes, the function of the ›true world‹ – that world you feel in the deep recesses of your heart – is to cast doubts on your reality. But once reality is placed in doubt, the world you are in and your very existence come dangerously close to being denied. Your ›true world‹ then will also turn out to be fictitious. To escape this awkward condition, to provide a basis for the doubts and to touch the ›true world‹, this is the reason form my work.«81
Auch Wang Gongxin macht sich für seine ortsspezifische Videoinstallation in der Pekinger Altstadt, It is not about the Neighbors (2009) (Abb. 80–81), den natürlichen Prozess des Dunkelwerdens zunutze. Mit Einbruch der Dunkelheit wird die Projektion geloopter Videoaufnahmen eines kleinen, geschäftigen Nudel- und Brotladens auf eine identische Ladenarchitektur in unmittelbarer Nähe sichtbar – und auf diese Weise der eigentlich leer stehende, unbewohnte Laden zum Leben erweckt. Versteht man diese Arbeit als transkulturellen Reflexionsraum, scheint hier gleichzeitig die performative Qualität betont und der europäisch geprägte repräsentationsästhetische Diskurs infrage gestellt zu werden, in dem der Begriff der Simulation, der im Kontext von Arbeiten, die mittels Videotechnik Realität simulieren, häufig reflexartig verwendet wird, hier offensichtlich keine Relevanz besitzt, worauf auch der Titel der Installation, It is not about the Neighbors, hinzuweisen scheint. 79 | Vgl. Tang Di. 2001, S. 341. 80 | Vgl. Tang Di. 2001 und Ausst.-Katalog The Real Thing. Leider existieren keine Abbildungen von dieser Arbeit. 81 | Li Yongbin. 2001, S. 50.
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Abb. 80–81: Wang Gongxin, It is not about the neighbors (yu lingju wu guan), Installation, 2009
Quelle und Courtesy: Arrow Factory, Peking
Denn wenngleich das Konzept der Simulation die Ästhetik der Repräsentation infrage stellt, so fußt dieses dennoch ex negativo auf der europäischen, platonisch geprägten Bildtradition, die die Repräsentation von Welt und somit die dichotomische Vorstellung von echter Realität und deren Kopie in ihrem Zentrum hat.82 Indem in Wang Gongxins Installation die Projektion erst im natürlichen Prozess des Dunkelwerdens sichtbar und somit generiert wird, steht hier nicht die Thematisierung des Differenzbewusstseins zwischen on-screen und off-screen, sondern die Vermittlung von Wirklichkeit als sich kontinuierlich von selbst generierendes Wandlungsgeschehen im Vordergrund. Durch die Verlebendigung mittels geloopter Videoaufnahmen und der Tatsache, dass Wang Gongxin mit dem Sujet des Nudelladens einen engen Bezug zur vertrauten Alltagspraxis des Einkaufens herstellt, scheint er die vormoderne ästhetische 82 | Zum Begriff der Simulation siehe: Camille, Michael. 2003, S. 35.
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Prämisse zu reflektieren, im Akt der Betrachtung an der Welt, die hier nicht mehr die kosmische, sondern die Alltagswelt ist, teilzunehmen. Wie in der vormodernen Vorstellung wird hier weder Wirklichkeit im Bild gezeigt noch Welt simuliert. Die Installation ist vielmehr ein Ort, an dem sich das Verhältnis des Menschen zur Welt artikuliert. Die Installation wird so selbst zur Wirklichkeit und entfaltet ihre Wirkung, indem im Wahrnehmungsakt die Zeitlichkeit des Betrachters mit der Zeit der künstlerischen Arbeit und der »universalen« Zeit des Wandlungsgeschehens performativ verhandelt bzw. ausgehandelt wird und auf diese Weise Bild-Welt und wirkliche Welt verschmilzt. Reflektiert werden also Fragen der performativen Wirksamkeit von Kunst als Ort der Eröffnung von Wirklichkeit in Auseinandersetzung mit einem Kunstverständnis, das die Repräsentation von Welt in den Mittelpunkt stellt. Wang Gongxins Anspruch, mit seiner Kunst einen sozialen Raum zu eröffnen, in sozialen Kontakt mit dem Betrachter zu treten, den er mit vielen anderen chinesischen Gegenwartskünstlern teilt, besteht nicht nur in der naheliegenden Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Kunstverständnis und dem mit diesem einhergehenden ideologischen Erziehungsanspruch, sondern muss auch vor dem Hintergrund des dargelegten traditionellen Kunstverständnisses verstanden werden.83 Auch Zhang Peili thematisiert in Gust of Wind (2008) (Abb. 82) die Realität als Wandlungsgeschehen. Gust of Wind besteht aus den Ruinen einer Architektur, die, wie in einer geloopten Videoprojektion dahinter zu sehen ist, durch einen verheerenden Windstoß zu Fall gebracht wurde. Weil er selbst von einer Kraft, die die Welt ausmacht, ausgeht, scheint Zhang Peili hier durch die Inszenierung einer artifiziellen Umweltkatastrophe die Kraft der Lebensenergie Qi als heftigen Wind und damit verknüpft die Vorstellung von Realität als einem Wandlungsgeschehen zu reflektieren und im Zuge dessen die einer stabilen und unveränderlichen Realität kritisieren zu wollen.84 Aussagekräftig ist in diesem Zusammenhang ist folgende Äußerung von Zhang Peili:
83 | Vor diesem Hintergrund erhalten folgende Ausführungen zu Wang Gongxins sozialem Anspruch an die Kunst noch mehr Gewicht: Laut Lee Ambrozy möchte Wang mit dieser Arbeit das Verschwinden der kleinen Familiengeschäfte und Kommunen in der Pekinger Altstadt kritisch thematisieren, deren Gesicht sich im Kontext des rapiden urbanen Wandels stark verändert, indem ganze Straßenzüge abgerissen oder zur Unkenntlichkeit renoviert werden. Außerdem ist es Wang, laut Ambrozy, ein Anliegen, mit dieser ortsspezifischen Arbeit die Kunst zum normalen Volk zu bringen. Vgl. Ambrozy, Lee. 2009. 84 | In diesem Kontext ist auch sein sprachkritischer Ansatz in der Kunst zu verstehen, wie er ihn beispielsweise unter anderem in der Arbeit Water: Cihai (An Encyclopedic Dictionary of Chinese) Standard Edition (1991) artikuliert. Indem er eine offizielle TV-Moderatorin beauftragt hat, mit monotoner Stimme die Lexikoneinträge, die mit dem Zeichen für Wasser beginnen, in einem Nachrichtensetting vorzulesen, wird die semantische Bedeutungsebene ad absurdum geführt.
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Abb. 82: Zhang Peili, Gust of Wind (zhen feng), Installation, 2008
Quelle und Courtesy: Galerie Boers-Li, Peking »I am trying to question the ideology of permanence and stability. Behind the materials are time and the unknown power, which remain eternal I used wind. However what is the wind? What does it symbolize? I don’t know. There might be another power behind the wind which tries to change things through the wind. I am not sure what this is either. I don’t want to deny real life or give up real life because of the unknown power. My attitude is not religious, religion is certain and specific which my outlook is always uncertain.«85
Aufgrund der Zerstörung des Hauses scheint ein »Einschwingen« in das universale Atemgeschehen in Zhang Peilis Installation nicht mehr möglich zu sein. Das Ergebnis wirkt zunächst wie endgültig und dem Betrachter scheint nur noch eine verharrende, keine partizipierende Betrachtung mehr möglich zu sein, wären da nicht die geloopten Videoaufnahmen des Ereignisses, die das Haus immer wieder auferstehen lassen, sodass die Unwiederbringlichkeit zugunsten einer zyklischen Natur zurückgenommen wird. Zhang Peili scheint ausdrücken zu wollen, dass zwar immer wieder mit dramatischen Veränderungen gerechnet werden muss, diese Unsicherheit aber gleichzeitig auch eine große Offenheit impliziert, aufgrund derer immer wieder neue Möglichkeiten eröffnet werden.86 »[…] What I felt during the early stages of my development as artist was that there is a kind of underlying force or power. Sudden changes or disasters which have been caused either by nature or human beings, made me realize that people live in an illusion, and this feeling has become stronger. All these beautiful and supposedly
85 | Zhang Peili im Gespräch mit Gladston, Paul. 2009, S. 50–58. 86 | Vgl. ebd.
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stable states are so fragile. They are just illusions, changeable and destructive states are inevitable. They are the realities.« Durch die Verzeitlichung mittels Videoloops wird auch hier die Möglichkeit der Eröffnung von Welt mittels Kunst und somit auch eine Aktivierung des Betrachters thematisiert, was im Kontext von Zhang Peilis Gesamtwerk eine politische Konnotation hat. Zusätzlich geht es in seinen Arbeiten stets auch darum, geltende symbolische Ordnungen zu dekonstruieren, um zu zeigen, dass beispielsweise Sprache nicht naturgegeben, sondern kulturell konstruiert ist.87 Anstatt also der abstrakten Wahrnehmung auf der intellektuellen Ebene allein zu vertrauen, setzt Zhang Peili in seinen Arbeiten auf körperliche Reaktionen als vertrauenswürdige Indikatoren des Verhältnisses zwischen Mensch und Welt.88 Die Ablehnung von Bildern als statische Objekte lag traditionellerweise darin begründet, dass nicht das Werk und dessen Gehalt, sondern der pragmatische Umgang mit Bildern als Ort der Inbezugsetzung zur Welt, also als Ort der verlebendigenden Welterzeugung und -vermittlung im Vordergrund stand. Um die Welt im performativen Akt der Betrachtererfahrung eröffnen zu können, muss die künstlerische Arbeit als lebendiges Gegenüber erfahrbar sein. Verlebendigung heißt vor diesem Hintergrund, die Potenzialität der Wandlungsqualität zu visualisieren, was durch Verzeitlichung erreicht wird. Aufgrund der Häufigkeit, mit der der Perzeptionsaspekt der »Verlebendigung« in der chinesischen Bewegtbild-Installation thematisiert wird, kann geschlossen werden, dass hier der traditionelle chinesische Verlebendigungsdiskurs reflektiert wird. Um »Verlebendigung« zu erzielen, muss Vollständigkeit vermieden werden. In der traditionellen Malerei wurde dies mit Mitteln der Anspielung und Verkürzung erzielt. In der zeitgenössischen Bewegtbild-Installation wird »Verlebendigung« vor allem mit Strategien der Wiederholung mittels digitaler Bildbearbeitung, durch Loop-Strukturen und den Einsatz von flexiblen Projektionsflächen wie Flüssigkeiten oder Dampf erzielt. Auf sehr humorvolle Weise werden in Wang Gongxins skulpturaler Bewegtbild-Installation Always Welcome (2003) (Abb. 83) Aufnahmen von zwei steinernen Löwenskulpturen, die in China traditionell als Symbole der Macht rechts und links von Toren postiert werden, um dahinterliegende Gebäude zu beschützen, mittels di87 | Vgl. Fußnote Nr. 80. 88 | Vgl. Qiu Zhijie. 2007, S. 603–607: »Im Mittelpunkt seiner Arbeiten steht der einzelne Mensch, der sich mit einer Welt konfrontiert sieht, die ihn in einen Zustand der Absurdität und Apathie versetzt. Das Einzige, dem er vertrauen kann, ist er selbst und sein Körper. Diese Beschäftigung mit dem Körper brachte ihn dazu, sich dem Medium Video zuzuwenden. […] Seinen Videoinstallationen wohnt somit die Idee der Körperlichkeit inne. Seiner Meinung nach basiert das körperliche Erleben auf komplexen kulturellen Standpunkten und Vorgaben, aber der materielle Körper kann nie durch den politischem oder wirtschaftlichen ersetzt werden, da der Leib empfindlich, zerbrechlich und leicht zu verletzen ist.«
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Abb. 83: Wang Gongxin, Always Welcome (ou wei shi huanying ni), Installation, 2003
Quelle: Ausst.-Kat. Synthetic Realities, hg. v. Marianne Brouwer/Els van Plas/ Pi Li. 2004. Hongkong.
gitaler Bildbearbeitung zum Leben erweckt. Die steinernen Tiere, die durch je zwei übereinandergestellte Fernsehbildschirme »verkörpert« werden, bewegen sich nicht nur, sondern können darüber hinaus auch sprechen und stellen durch einen freundlichen Willkommensgruß eine direkte Beziehung zum Betrachter her. Die Bewegtbild-Installation Related to Environment (1997) (Abb. 84) von Zhu Jia besteht aus einer Projektion eines springenden Goldfischs in Echtgröße am Boden eines abgedunkelten Raumes. Nicht nur weil der Fisch durch technische Mittel animiert wurde, sondern auch weil er außerhalb des Wassers in seiner »natürlichen« Reaktion des Umherspringens im Kampf gegen den Erstickungstod inszeniert ist, wird er (re-)materialisiert, berührbar und somit verlebendigt.89 Die Videoinstallation Or Everything (2005) (Abb. 85) von Kan Xuan besteht aus fünf nebeneinander gehängten großen Projektionsflächen, auf denen Bilder von ani89 | Ausführungen zu dieser Arbeit siehe unter anderem Hou Hanru, der einen Einfluss phänomenologischer Philosophie ausmacht: »To confront and even win over the official ›material dialectics‹ and ist ideological truth. Learning from Husserl and his followers, people now become aware of the notion of truth is no longer reliable as a hegemonic and unique ›verity‹ promoted by the official ideology. This ideology is increasingly being challenged and deconstructed by the reconsideration of the relationship between perception/phenomenon and essence, between ›intentionality‹ and ist object, between questions of the real and the ›metaphysical‹ truth.« Aus: Hou Hanru. 2008, keine Seitenzahlen.
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Abb. 84: Zhu Jia, Related to Environment (he huanjing you guan), Installation, 1998
Quelle: Ausst.-Kat. Synthetic Realities, hg. v. Marianne Brouwer/Els van Plas/ Pi Li. 2004. Hongkong.
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Abb. 85: Kan Xuan, Or everything (yi huo yi suo you), Installation, 2005
Quelle: Wu Hung, Feng Boyi und Wang Huangsheng (Hgs.). 2002.The First Guangzhou Triennial. Reinterpretation: A Decade of Experimental Chinese Art (1990–2000). Guangzhou.
mierten Buddhaskulpturen zu sehen sind, die wie Spiegelungen auf einer Wasseroberfläche anmuten. Die Spiegelung im Wasser ist ein traditioneller Topos in der buddhistischen Malerei und steht für die Annahme, dass der Mensch die Erleuchtung nur erlangen kann, wenn er erkennt, dass die Welt vergänglich, das heißt wie die Spiegelung im Wasser nur temporär und in ständiger Transformation begriffen ist. Indem sie in ihren Arbeiten der emotionalen Ebene der Betrachtererfahrung besondere Bedeutung beimisst, scheint sie die traditionelle Betonung des emotionalen und erfahrungsbedingten Bezugs zur Realität, der sich von der dominanten europäischen Tradition des rationalen Erkennens von Welt unterscheidet, zu reflektieren. In einem Interview sagt sie in diesem Zusammenhang: »Während die westliche Ölmalerei eher von Licht und der Möglichkeit, Formen zu schaffen, besessen ist, basiert die chinesische Tuschemalerei eher auf einer Zeichentechnik, welche den Formen folgt. Diesen Formen folgend verleiht die Hand des Künstlers seinen Gefühlen Ausdruck. Es ist diese sehr nahe Art und Weise mit der ›Realität‹ umzugehen, die ich in meinen Videos zu zeigen versuche.«90 In der chinesischen Vorstellung geht dem Betrachter im Betrachterakt nicht eine fremde, im Bild dargebotene Welt, sondern die eigene in Verhandlung mit der BildWelt auf: »Filming the statues is shooting the looks of ourselves – the innermost will and the state. The statues’ facial expressions project ours«.91 Abseits der äußeren Formen und sprachlichen Artikulation möchte sie die Welt in ihrer emotionalen Relationalität vermitteln: »Da ist immer noch ›etwas anderes‹ hinter jedem menschlichen Verhalten sowie hinter jedem Objekt. Verhaltensweisen 90 | Kan Xuan. 2006, S. 162. 91 | Vgl. Kan Xuans Ausführungen im Ausst.-Kat. Chinese Contemporary Photography & Video from the Haudenschild Collection. 2005.
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Abb. 86: Kan Xuan, Objects (wuti), Video, 2003
Quelle: Ausst.-Kat. Synthetic Realities, hg. v. Marianne Brouwer/Els van Plas/ Pi Li. 2004. Hongkong.
lassen auf unsere Gefühle und uns selbst schließen. Das ist es, was ich versuche, auf möglichst direkte und realistische Weise aufzudecken.«92 Auch bei Kan Xuan geht es nicht um die Repräsentation oder Simulation von Welt im Bild und somit nicht um die Gegenüberstellung von »realer« und repräsentierter Welt. Mittels bewegter Bilder schafft sie Orte, an denen sich das Verhältnis zur Welt artikuliert und somit Wirklichkeit eröffnet wird: »Videos sind Dokumentationen. Sie sind weder so real wie das, was wir sehen, noch so fiktiv, wie wir behaupten. Seine realen als auch fiktiven Ebenen ermöglichen es dem Video, einen
92 | In diesem Zusammenhang ist beispielsweise auch die Videoarbeit Objekt (2003) (Abb. 86) zu verstehen. Hier werden unterschiedliche Gegenstände in Relation zu einer Flüssigkeit, in die sie geworfen werden, gefilmt und eine Stimme nennt sie beim Namen. Die Arbeit thematisiert die Unzulänglichkeit von Sprache bei der Visualisierung von Erfahrung in einer erfahrungsbedingten Welt. Auch hier wird Verlebendigung durch Herstellung von Bezügen erzielt.
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Abb. 87: Wang Gongxin, Baby Talk (ying yu), Installation, 1996
Quelle: Ausst.-Kat. Compound Eyes. Contemporary Video Art from China. 2001. Singapur.
weitreichenden, vielseitig verwendbaren Raum zu eröffnen und zur Verfügung zu haben.«93 In den folgenden Arbeiten wird die Verlebendigung der Bilder durch flexible Projektionsflächen erreicht. Wang Gongxins Videoinstallation Baby Talk (1996) (Abb. 87) besteht aus einer Babykrippe, deren Bettauflage durch Milch ersetzt wurde, die als flexible Projektionsfläche dient. Aus der Perspektive eines im Bett liegenden Kindes werden Bildaufnahmen von sechs Erwachsenen projiziert, die sich über die Krippe beugen und in hoher Stimmlage die Aufmerksamkeit des Kindes erheischen wollen. Auch hier scheint die Verlebendigung der projizierten Bilder, die durch die flexible, sich ständig verändernde Projektionsfläche erzielt wird, der Eröffnung von Wirklichkeit – und zwar explizit aus der Kinderperspektive – zu dienen, indem der Betrachter im Akt der Betrachtung den Platz des abwesenden Babys einnimmt. Das heißt, gerade durch die Leerstelle, die durch die Abwesenheit des Kindes entsteht, kann der Betrachter buchstäblich partizipieren: »In Baby Talk I have recorded the gestures and facial expressions of six adults engaged in conversation with the baby while Karaoke displays a combination of video shots of a soloist and that of an enlarged mouth, it does show the lyrics and image to which people refer when they sing. When people participate in the work, they become the new singing – reference image, they are turned into the new principal subjects of dialog.«94 Auch in Li Yongbins Face II (Abb. 88) dient die Verwendung von Tusche als flexibler Projektionsfläche der Verlebendigung der Projektion des Künstlergesichts, das hier ständig seine Form zu verlieren droht. Einen ähnlichen Verlebendigungs93 | Kan Xuan. 2006, S.162. 94 | Wang Gongxin. 2001.
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Abb. 88: Li Yongbin, Face II (lian II), installative Videoarbeit, 1996
Quelle: Ausst.-Kat. The Real Thing. contemporary art from china. Kuratiert von Karen Smith, Simon Groom, Xu Zhen. 2007. Liverpool.
effekt hat die Projektion eines Kindergesichts auf aufsteigenden Dampf in der Arbeit Face VI. Nach eigener Aussage versteht Li Yongbin die menschliche Existenz im daoistischen Sinne als sich ständig wandelndes Kontinuum, was sich in seiner gesamten Face-Serie darin ausdrückt, dass sich die Gesichtsprojektionen – meistens ist es sein eigenes Gesicht – stets in Bewegung befinden, also immer »lebendig« sind.95 Der dargestellte Verlebendigungsdiskurs stellt also die gelebte Verbindung zur Welt, die Betrachtererfahrung als echte Lebenserfahrung ins Zentrum. Im traditionellen chinesischen Verständnis ist ein Bild dann lebendig, wenn ihm das Angebot zum korrespondierenden leiblichen Atmen innewohnt, es also eine responsive Struktur aufweist. Im Atemprozess generiert sich die Welt kontinuierlich aufs Neue und durch sein Atmen partizipiert der Mensch an der Welt. Wie bereits erläutert, diente der Pinselstrich in der traditionellen Malerei der Vermittlung des Atmens und der leiblichen Bewegungen des Künstlers. In der zeitgenössischen Bewegtbild-Installation Forever (1994) (Abb. 63) scheint Zhu Jia dieses Konzept in die Videokunst zu übersetzen. Indem er eine Videokamera an die Speichen eines Lastendreirads montiert und mit diesem durch Peking fährt, um auf diese Weise Aufnahmen der Stadt zu machen, bestimmen seine Bewegungsimpulse den Produktions- ebenso wie den Rezeptionsakt. Im Ausstellungsraum besteht die Arbeit aus dem Dreirad und einer Leinwand, auf der die aufgenommenen Bilder als Bildstrudel zu sehen sind. Die verwirrende Wirkung der sich um sich selbst drehenden Aufnahmen auf den Betrachter wird erhöht und zudem um eine humorvolle Note ergänzt, indem Zhu Jia die Arbeit mit Geräuschen lauten Schnarchens unterlegt. Der Betrachter wird in dieser Installation direkt körperlich angesprochen, in95 | Vgl. Tang Di. 2001.
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dem er automatisch versucht, sich in die Bild-Bewegungen »einzuschwingen«. Hou Hanru schreibt in diesem Zusammenhang: »Not only a intellectual but a bodily experience: one has to jump into the flux of real life and navigate through it. The breathing sound in Forever are the most obvious reminders of the real life experiences.«96 Hier von einer immersiven Wirkung zu sprechen wäre problematisch und würde, ähnlich wie vorhin am Beispiel der Simulation dargelegt, zu vorschnell auf einen Begriff zurückgreifen, der in der Tradition der europäischen Repräsentationsästhetik zu verorten ist. Während das Konzept der Immersion von einem artifiziellen äußeren Bild ausgeht, in das sich der Betrachter mittels Imagination hineindenkt, scheint Zhu Jia hier die traditionelle Vorstellung eines leiblichen Einschwingens im Betrachterakt als einen »performativ zu durchlebenden Zugang zur Weltwirklichkeit«97 zu reflektieren und gleichzeitig zu dislozieren, indem der Betrachter durch die projizierten, sich kontinuierlich um sich drehenden, sinnlosen Bildwirbel konfrontiert wird. Auch Chen Shaoxings Bewegtbild-Installation Ink City (2005) (Abb. 89–90) kann als Reflexion des traditionellen performativen Bildverständnisses in Auseinandersetzung mit dem repräsentationsästhetischen Konzept der rationalen Abbildung von Welt verstanden werden, für dass das Medium der Fotografie, das in Chens Arbeit zum Einsatz kommt, lange Zeit symptomatisch stand.98 Indem er fotografische Schnappschüsse, die er in der südchinesischen Stadt Guangzhou von Menschen, Straßenszenen und Gebäuden gemacht hat, in das Medium der Tuschezeichnung »übersetzt«, möchte er das leibliche Wirkungsdefizit, das er den statischen Fotografien attestiert, kompensieren und reflektieren. Anstatt einer mimetischen Abbildung gilt sein Anliegen der Betonung der verzeitlichten Vermittlung des Bildes aus der leiblichen Bewegung des Pinselstrichs heraus. Durch intermediale Reflexion einer doppelten Verzeitlichung mittels Tuschemalerei und Animation derselben löst er die dichotomische Beziehung des Betrachters zur künstlerischen Arbeit zugunsten von Bildern auf, die aufgrund ihrer temporalisierten und verräumlichten Dimension, die in der Installation durch verschiedene Stadtgeräusche erzeugt wird, ein Einschwingen des Betrachters ermöglichen bzw. einfordern. Anstatt des »Was« des Dargestellten steht das »Wie« der Darstellungsweise bzw. die Vermittlungsweise im Vordergrund. Chen Shaoxiong selbst gibt zur Auskunft, dass er die Tuschemalerei aufgrund ihrer persönlichen und expressiven Qualitäten, die das menschliche Verhältnis zur Welt lebendig vermittelt, der digitalen Aufnahme vorzieht. Letztere kann die Wirklichkeit zwar »exakt« wiedergeben, lässt aber sinnliche Konnotationen vermissen. Vor diesem Hintergrund scheint Chen anstatt die möglichst exakte 96 | Aus: Hou Hanru. 2008, keine Seitenangaben. 97 | Obert, Mathias. 2006, S. 146. 98 | Die Autorin der Arbeit ist sich bewusst, dass es sich hierbei um ein veraltetes und recht naives Verständnis von Fotografie handelt.
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Abb. 89–90: Chen Shaoxiong, Ink City (mo shui chengshi), Installation, 2005
Quelle: Chen Shaoxiong (Monographie). 2009. Hongkong.
Nachahmung der Wirklichkeit simulieren zu wollen, an das traditionelle Konzept der »sinnhaften Erscheinungsgestalten« (xiang), welche sichtbar und erfahrbar Bezüge zwischen Welt und persönlich gelebter Zeit und erfahrenem Ort herstellen, anzuknüpfen. Die Anschauung ist nach diesem Verständnis also immer schon Ausdruck einer wirksamen Bedeutung, die sich zwischen Welt und Mensch als »sinnhafte Erscheinungsgestalt« (xiang), also durch Inbezugsetzung, in Relation, artikuliert.99 Somit 99 | »Der Maler hat nicht mit sichtbaren Gestalten das gegenständlich Sichtbare abzumalen oder wiederzugeben. Er hat die um das Sichtbare als solches herum waltende, die gleichsam zwischen einzelnen begrenzten, sichtbaren Gegenständen stehende Tiefe des Wandlungsgeschehens in seiner ethischen Bedeutsamkeit ins Bild hereinzunehmen. Er hat aus der Welt heraus ein sinnträchtiges Bild zu malen, dessen letzter Gehalt schon auf der semantischen Ebene die Welt im Ganzen ist. Nicht eine oder die Welt im Bild ist freilich zu malen. Anzustre-
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ist xiang ein Ort, an dem sich im Akt der Produktion und Rezeption das Leben, das heißt die Wirklichkeit wirksam eröffnet, weswegen Obert betont, dass diese Bilder nicht als Zeichen, sondern als »performative Wirkbilder« zu verstehen sind, die der Betrachter als lebendiges »Gegenüber« leiblich erfährt.100 Chen Shaoxiong selbst schreibt: »Ink City is to translate photographs into ink painting and then make it into video. After this process, people’s feelings toward city life permeates the work naturally.«101 Auch Qiu Anxiong scheint in seiner Bewegtbild-Installation Das neue Buch der Berge und Meere (xin shanhaijing) (2004–2008) (Abb. 91–94) durch intermediale Strategien, indem er Tuschemalereien animiert, die er in verschiedenen installativen Anordnungen präsentiert, das traditionelle Kunstverständis performativer Wirkbilder kritisch zu reflektieren. Wie Chen Shaoxiong betont er durch Verzeitlichung und Verräumlichung und durch die Verwendung einer großen, raumgreifenden Leinwand die leibliche Qualität des Betrachterakts, der anstelle eines distanzierten und objektivierenden Sehens ein performatives Vollziehen und Mitgehen einfordert. Den inhaltlichen Kern der Arbeit von Qiu Anxiong bildet die Übersetzung des historischen Buchs der Berge und Meere (shanhaijing), eines klassischen chinesischen Textes aus dem 3. bis 2. vorchristlichen Jahrhundert, der als einer der frühesten schriftlichen Beschreibungen der Welt überhaupt gilt, in den zeitgenössischen Kontext. Ausgehend und inspiriert vom ursprünglichen Shanhaijing, das aus der chinesischen Innenperspektive unter anderem merkwürdige Wesen und Ungeheuer, geografische Beschreibungen, Mythen, religiöse Bräuche, Naturgeschichte und medizinisches Wissen in China und über die Grenzen des Landes hinweg umfasst, hat Qiu Anxiong neue seltsame Geschöpfe kreiert, die häufig halb Mensch, halb Maschine sind. Laut Victoria Lus Ausführungen hat Qiu Anxiong »den Ehrgeiz, eine ganz eigene Kunstgattung zu schaffen, ein neues System der Weltsicht, das weder auf westlichen Anschauungen noch auf Psychologie basieren soll, sondern eine Methodik der reinen Sinneswahrnehmung anstrebt, die das beständige Lernen und Wissen transzendiert und schließlich zu den allumfassenden Bedingungen des Lebens zurückkehrt.«102 Durch seine surreal anmutenden Bildfindungen, die in eine apokalyptische Narration eingebettet sind, an deren Anfang die Entstehung und am Ende die Vernichtung der Welt stehen öffnet sich im Betrachterakt eine leiblich erfahrbare »andere« Welt. Qiu Anxiong präsentiert die Arbeit Xin Shanhaijing in verschiedenen Formen. Darunter befindet sich eine museale Präsentation, die durch diese intermediale Strategie die der traditionellen Erfahrung implizite totale Betrachterinvolvierung ben ist vielmehr über das Semiotische hinaus im Gestalten der Formen ein ›Welt-Bild‹ in der oben näher bestimmten Wirkungsdimension.« Aus: ebd., S. 234. 100 | Vgl. ebd., S. 148 und Obert, Mathias. 2007, S. 233, S. 428 und S. 244 101 | Chen Shaoxiong. o. J., keine Seitenzahlen. 102 | Lu, Victoria. 2007.
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Abb. 91–94: Qiu Anxiong, Das neue Buch der Berge und Meere (xin shan hai jing), Installation, 2004–2008
Quelle und Courtesy: Barbara Gross Galerie
produktiv disloziert. Das heißt, die Anordnung der Installation möchte auf die vereinnahmende Qualität der traditionellen Betrachererfahrung hinweisen, die sich aus ihrer leiblichen Ausrichtung und insbesondere auch aus dem ihr auferlegten ethischen Anspruch ergibt. Anstatt im Bild Bedeutung aus objektiver Distanz zu identifizieren, zielt das Bild in der traditionellen chinesischen Vorstellung auf eine existenzielle Wirkung, indem das Verhältnis des Betrachters zur Welt im Betrachterakt nicht nur intellektuell reflektiert, sondern durch leibliches »Einschwingen« neu ausgerichtet wird. Obert schreibt in diesem Zusammenhang: »So betrachtet, zielt das Bild jedoch durch die Leiblichkeit des Betrachters hindurch auf die Transformation seines gelebten Weltverhältnisses und seiner ganzen Existenz ab, die sich unmittelbar vor dem Bild und durch das Bild hindurch ergibt.«103 Dieses Bildverständnis hat laut Obert eindeutig ethische Implikationen und muss im Kontext einer Transformationsästhetik gesehen werden. Er schreibt: »Diese Performativität der Bildbetrachtung ist insofern von ›ethischer‹ Bedeutung, als sie eine bestimmte Lebensform 103 | Obert, Mathias. 2006, S. 147.
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und ein bestimmtes Sein-zur-Welt im Ganzen verwirklicht. Der Bildbetrachter wird in existenzieller Weise in die Welt eingebunden, die immer auch die Welt der Anderen ist. In diesem Sinne muss gesagt werden: Die Bildwahrnehmung wird in erster Linie nicht als ein wahrnehmungsmäßiger oder imaginativer Akt der Aufnahme von etwas, sondern als ein ethisch verfasstes Antwortgeschehen verstanden. Aus dem Bild heraus ergeht an den Betrachter eine Verpflichtung der Welt gegenüber, der er durch eine transformierte Lebenshaltung zu entsprechen hat. Hier soll für eine ›Transformationsästhetik‹ plädiert werden, deren besonderes Augenmerk dem Verhältnis zwischen einzelnen ästhetischen Erfahrungen und dem menschlichen Seinzur-Welt im Ganzen, mithin einem ästhetischen Antwortgeschehen und einer über das Didaktische hinausgehenden Wirksamkeit der Kunst zu gelten hat.«104 Vor diesem Hintergrund erhält Qiu Anxiongs Arbeit in der folgenden Ausführung eine kulturkritische Bedeutung. Einem musealen Setting gleich setzt sich die Arbeit aus mehreren Bestandteilen zusammen. Sie besteht aus gerahmten Tuschezeichnungen an den Wänden, in Vitrinen ausgelegtenTuschezeichnungen sowie animierten Tuschezeichnungen, die auf zwei großen Bildschirmen zu sehen sind.105 Die in der traditionellen ästhetischen Erfahrung vorherrschende Unmittelbarkeit, also eine totale, das heißt existenzielle Ansprache des Betrachters durch »Berührung«, die laut Obert ethische Implikationen besitzt, wird durch diese einer Ausstellungsinstallation ähnelnde Anordnung infrage gestellt. Das Betrachtersubjekt kann sich hier nicht mehr in die Bilder einschwingen, sondern steht nun Objekten gegenüber, die scheinbar der Erkenntnis bzw. der Produktion von Wissen dienen, anstatt Anlass und Horizont (inter-)personeller leiblicher Erfahrungen zu sein. Mittels eines musealen Repräsentationssettings wird die autopoietische Feedbackschleife »angehalten« und auf diese Weise, durch die Strategie der Dislozierung, der Aspekt der unmittelbaren Affizierungswirkung von Kunst thematisiert. Als weiteres Beispiel einer Bewegtbild-Installation, die sich mit dem traditionellen Kunstverständnis performativer Wirkbilder auseinandersetzt, kann die Arbeit Tracing the Wind and the Shadows (2006) (Abb. 95) von Liu Ding verstanden werden. Sie besteht aus einem großen freistehenden Projektionsschirm, auf dessen einer Seite Live-Videobilder der Umgebung projiziert werden und auf dessen anderer Seite die Spuren der Projektionen, wie sie mit den Schatten und Bewegungen der Umgebung interagieren, vom Künstler mit Farbe und Pinsel nachvollzogen werden.106 »Liu Ding applied paint to its surface, as if trying to trace the secret patterns […] Taking its title from a Chinese proverb that can be understood to mean, ›respond by 104 | Obert, Mathias. 2006, S. 146. 105 | In dieser Ausführung war die Arbeit im Kontext der 3. Guangzhou Triennale im Jahr 2008 zu sehen. 106 | Die Arbeit wurde 2005 im Rahmen des Happenings »24 Hours« der losen Künstlergruppierung Complete Art Experience das erste Mal aufgeführt. (http://www.caep.com.cn, Zugriff am 19.07.2010).
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Abb. 95: Liu Ding, Arbeit Tracing the Wind and the Shadows (bu feng zhuo ying), performative Installation, 2006
Quelle: Vom Künstler Liu Ding zur Verfügung gestellt
reading between the lines‹ ›Tracing the Wind and the Shadows‹ created a record of Liu Ding’s ultimately futile efforts to decipher the chaos around him.«107 Auch in dieser Arbeit scheint eine Auseinandersetzung mit der Bildwirkung abseits ihrer Abbildhaftigkeit im Vordergrund zu stehen. Im Unterschied zum performativen Prozess der Durchführung lässt das statische Ergebnis, eine nahezu monochrome Leinwand, in der in zahlreichen Schichten des Farbauftrags Zeit »gespeichert« ist, kein unmittelbares leibliches Einschwingen des Betrachters mehr zu, was auch hier als kritische Reflexion der Bedingungen eines Kunstverständnisses zwischen Repräsentation und Eröffnung von Welt verstanden werden kann. Im traditionellen chinesischen Verständnis ist ein Bild dann lebendig, wenn ihm das Angebot zum korrespondierenden leiblichen Atmen innewohnt, es also eine responsive Struktur aufweist. Im Atemprozess generiert sich die Welt ständig aufs Neue und durch sein Atmen partizipiert der Mensch an der Welt. Vor der Annahme, dass die Verbindung zur Welt als Prozess durch die Praxis des Ein- und Ausatmens 107 | Spalding, David. 2005.
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Abb. 96: Yang Zhenzhong, Let’s Puff (chui), Installation, 2002
Quelle: Ausst.-Kat. Chinese Contemporary Photography & Video from the Haudenschild Collection. 2005.
erlebt wird, entfaltet ein Bild Wirkung, wenn durch dieses eine echte Anrührung des Atems des Betrachters ausgelöst wird und es auf diese Weise Teil des wirklichen Wirkzusammenhangs wird, das Bild also »in echt« Welt eröffnet. Die ästhetische Qualität von Sinngebilden ist somit traditionell als ein individueller Ausdruck des allgemeinen Atmens zu verstehen. Im Atmen wird zwischen Welt und Mensch eine gelebte Verbindung hergestellt, was auch die partizipative und kommunikative Struktur des vormodernen chinesischen Kunstverständnisses ausgemacht hat. In der traditionellen Malerei war der Pinselstrich Medium des Atmens und der leiblichen Bewegungen des Künstlers. Bilder waren somit gewissermaßen Visualisierungen des atmend, ergo leiblich verhandelten Verhältnisses des Menschen zur Welt. Die Videoinstallation Let’s Puff (2002) (Abb. 96) von Yang Zhenzhong kann aufgrund ihrer Buchstäblichkeit als humorvolle und zugleich kritische Reflexion dieser Prämisse, dass ein Bild lebendig ist, wenn ihm das Angebot zum korrespondierenden Atmen innewohnt, verstanden werden. Sie besteht aus zwei gegenüberstehenden Projektionsschirmen. Auf dem einen ist die Skyline Shanghais zu sehen und auf dem anderen eine junge Frau, die immer wieder die Backen aufbläst um kräftig auszuatmen, was auf dem gegenüberliegenden Projektionsschirm den Effekt hat, dass sich die Stadtansicht von ihr weg bewegt. Anstatt sich mit ihrem Atmen in den »universellen« Atemprozess einzuschwingen, scheint hier thematisiert zu werden, dass sich das Einschwingen in ein autopoietisches Wandlungsgeschehen entweder aufgrund einer bewussten (subjektiven) intentionalen Entscheidung der Protagonistin oder aufgrund der äußeren (objektiven) Umstände einer entfremdeten Welt nicht mehr möglich ist.
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Abb. 97: Xu Zhen, Shout (han), installative
Quelle: Ausst.-Kat. Chinese Contemporary Photography & Video from the Haudenschild Collection. 2005.
Anstelle der Generierung des eigenen Ichs in zeitlicher Verhandlung mit der Welt als Transformationsprozess scheint hier ein kritischer Abstand zur Welt hergestellt zu werden, was allerdings immer nur für kurze Zeit – bis zum nächsten Einatmen – gelingt. Indem der Betrachter aufgefordert ist, zwischen den Projektionsschirmen hindurchzugehen, kann er auf diese Weise unmittelbar und indem er quasi zwischen die »kulturellen Fronten« eines dualistischen versus eines responsiven Zugangs zur Welt gerät, leiblich an der Aufführung dieses Beziehungs-Konflikts partizipieren. Auch Xu Zhens Videoinstallation Shout (1997) (Abb. 97) kann als kritische Reflexion der responsiven Struktur, wie sie im traditionellen Bildverständnis angelegt ist, verstanden werden. Auf einer großen, raumgreifenden Leinwand wird wiederholt gezeigt, wie sich Passanten im urbanen Umfeld in Reaktion auf einen lauten Schrei, der als Ausatmen verstanden werden kann, abrupt und synchron nach der Quelle des Geräuschs umdrehen, um dabei zuerst kurz den Atem anzuhalten und dann wieder Luft zu holen. Mittels Übertreibung auf die Spitze getrieben und durch eine Loopstruktur in der Videoprojektion unterstrichen, kann diese Arbeit als Auseinandersetzung mit einem Wirklichkeitsverständnis als responsivem Atemprozess verstanden werden, durch den Mensch und Welt miteinander und somit auch die Menschen untereinander verbunden sind. Obgleich diese Arbeit auf der semantischen Ebene mit Sicherheit gesellschaftskritisch zu verstehen und zudem psychologisch konnotiert ist, scheint sie darüber hinaus auf der ästhetischen Ebene auch den Aspekt der »Berührung« in der Bildwirkung zu thematisieren. Während die Arbeit zum einen die Ohnmacht des Einzelnen thematisiert, versinnbildlicht durch den unsichtbaren Protagonisten, der sich mithilfe des Schreis Gehör zu verschaffen versucht, und zum anderen die Indifferenz der Passanten als Ausdruck einer neuen sozialen Kälte im zunehmend marktwirtschaftlich orientierten China problematisiert, das nach wie vor durch politische Restriktionen geprägt ist, so scheint auf ästhetischer Ebene durch die folgende Strategie auch die Betrachterinvolvierung thematisiert zu werden: Da die Quelle des Schreis im Bild nicht sichtbar ist und die Protagonisten aus dem Bild in den Betrachterraum
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zu blicken scheinen, nimmt offenbar der Betrachter diese Leerstelle ein und wird somit im Akt der Betrachtung gleichzeitig unmittelbar leiblich angesprochen. Auch Zhang Peilis Arbeit Constant Blow Up (2000) (Abb. 98–99) kann als bildhafte und kritische Reflexion der Welt als kontinuierlicher Atemprozess verstanden werden. Die Videoinstallation besteht aus 12 Fernsehbildschirmen auf mannshohen weißen Podesten, die nebeneinander und hintereinander aufgereiht sind, auf denen close ups von Kaugummi kauenden Mündern zu sehen sind, die immer wieder ihre Backen aufblasen, um ihre Kaugummis zu großen Blasen aufzublähen. Auch hier führt die Loopstruktur der Videos sowie die direkte Ansprache des Betrachters, der sich auf Augenhöhe mit den auf den Bildschirmen gezeigten Mündern befindet, dazu, dass der Betrachter aufgefordert zu werden scheint, sich in den Atemprozess des Ein- und Ausatmens, der hier durch die Kaugummiblasen versinnbildlicht wird, »einzuschwingen«. Die kritische Qualität der Arbeit entsteht durch die Betonung der Absurdität dieser belanglosen und sich monoton wiederholenden Aktion, die vom Betrachter eine emotionale Reaktion einfordert, die als reflexives Moment verstanden werden kann. Damit das Wandlungsgeschehen im bzw. durch das Bild wirksam ist, das heißt für den Betrachter erfahrbar wird, wurde nach dem traditionellen Kunstverständnis der Qualität der Affizierung große Bedeutung zugemessen. Wie bereits betont, ging es gemäß eines responsiven Wirklichkeitsverständnisses anstatt einer statischen Fixierung von Welt darum, in der Kunst ideale Bedingungen für eine gelebte Verbindung zwischen Mensch und Welt zu schaffen. Auch in der Vergangenheit war diese Vorstellung existenziell konnotiert, denn die Affizierung, das heißt, sich von der Welt berühren zu lassen (gan) und im Gegenzug darauf zu antworten (ying), war notwendig, um den Atemprozess und somit das Wandlungsgeschehen Qi aufrechtzuhalten. In der frühen installativen Videoarbeit The Old Bench (1997) (Abb. 100–101) von Wang Gongxin scheint das Berühren buchstäblich vorgeführt zu werden. In eine alte Sitzbank aus Holz ist ein Bildschirm eingelassen, auf dem zu sehen ist, wie ein Zeigefinger über die Sitzfläche eben dieser Bank streicht. Durch die Verzeitlichung mittels einer Loop-Struktur wird die Berührung verlebendigt. Durch die Berührung mit nur einem Finger soll hier scheinbar Vorsicht in der Annäherung zum Ausdruck gebracht werden, die eventuell Gefühlen der Entfremdung gezollt sind, die zum einen biografische Gründe haben – der Künstler ist kurz vor der Entstehung der Arbeit nach einem langen USA-Aufenthalt nach China zurückgekehrt – und zum anderen Ausdruck einer Erfahrungssehnsucht nach einer responsiven, leiblichen Beziehung zur Welt sein könnten. Weil der Betrachter, zumindest theoretisch, die Bank auch anfassen und sich sogar auf sie setzen könnte, könnte man sagen, dass hier anscheinend auch das Verständnis von Kunst als Ort der Eröffnung von Wirklichkeit thematisiert wird. In diesem Zusammenhang ist die These naheliegend, dass das Konzept des Readymade, das hier aufgrund der Integration einer dem Alltag entnommenen Sitzbank angeführt werden kann, in China nicht in erster Linie bzw.
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Abb. 98–99: Zhang Peili, Constant Blow Up (bu duan zeng da), Installation, 2000
Quelle: Huang Zhuan (Hg.). 2008. Artistic Working Manual of Zhang Peili (Zhang Peili yishu gongzuo shouce). Shenzhen.
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Abb. 100–101: Wang Gongxin, Old Bench (lao deng), Installation, 1997
Quelle: Ausst.-Kat. Synthetic Realities, hg. v. Marianne Brouwer/Els van Plas/ Pi Li. 2004. Hongkong.
nicht nur im herkömmlichen Sinne als Kritik der Repräsentationsästhetik oder institutionskritisch zu verstehen ist, sondern auch die dargestellte kulturelle Genealogie des Performativen zu thematisieren scheint, indem hier die pragmatische Seite, das heißt die Gebrauchsfunktion des »Objekts« und auf diese Weise die relationale Verfassung der Welt betont zu werden scheint.108 108 | Diese These wird unterstützt durch das Rechercheergebnis, dass das Konzept des Readymade in seiner Funktion als Repräsentations- und/oder Institutionskritik in der chinesi-
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Abb. 102: Ni Haifeng, Xeno-Writings, Installation, 2003
Quelle: http://www.xs4all.nl/~haifeng/ (Zugriff am 17.8.2010)
Die Videoinstallation Xeno-Writings (2003) (Abb. 102) von Ni Haifeng besteht aus einer freistehenden Mauer aus aufgeschichteten Büchern. Die eine Seite der Mauer zeigt die Rücken der Bücher und auf die andere Seite ist ein bewegtes Videobild einer Hand projiziert, die kontinuierlich falsche mathematische Formeln schreibt und wieder löscht. Auf der semantischen Ebene beschreibt Ni Haifeng die Arbeit selbst als kritische Auseinandersetzung mit dominanten (westlichen) Wissensdiskursen sowie der Produktion von Wissen im Allgemeinen und von explizit subalternem Wissen: »It is interesting to view the production of meaning as a continuous process of negotiation between the dominant and the subaltern. […] The wall of books is used to symbolize a cultural fault-line that sets the exhibition space into two imagined places. On one side the viewer reads an enormous amount of titles by famous Western authors, ranging from philosophy, history, literature to political theories, which symbolize the consolidation of dominant discourses; whilst on the other side the viewer sees images of a meaningless writing and its erasure, which is intended to represent the subaltern production of meaning. XenoWritings are, in Sarat Maharaj’s term ›xeno-epistemics‹, a process of alternative knowledge schen Installationskunst und der chinesischen konzeptionellen Kunst vergleichsweise selten anzutreffen ist. Die These, dass das Readymade in China vor allem zum Einsatz kommt, indem seine pragmatische Gebrauchsfunktion betont wird, wird unterstützt durch die in diesem Kontext sinnige Installation von Wang Peng We live in Art (1994) (Abb. 50).
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I NSTALLATIONSKUNST IN C HINA production. The process is simultaneously that of disruption and creation. In my practice, I’ve always regarded the obfuscation of meaning as the creation of new meanings.«109
Eingebettet in sein Gesamtoeuvre ist Xeno-Writings als sprachkritische Arbeit zu verstehen.110 Seiner eigenen Aussage nach wird durch die Xeno-Writings die »westliche Festung des Wissens«, für welche die Bücher stehen und welche die Kommunikation seiner Meinung nach nicht fördern, sondern behindern, infrage gestellt.111 Auf der ästhetischen Ebene steht in der vorliegenden Arbeit das Moment der Berührung im Vordergrund. Auch hier wird durch das kontinuierliche Schreiben und Löschen des Geschriebenen auf die Vergänglichkeit von menschengemachten (Wissens-)Ordnungen aufmerksam gemacht. Der Betrachter verharrt aufgrund der Verzeitlichung der Berührung nicht in dualistischem Abstand zur Büchermauer, sondern kann sich in ein leibliches Schwingungsverhältnis zur Arbeit setzen, die auf der leiblichen Ebene eine Dekonstruktion der geltenden und gleichzeitig die Eröffnung neuer Welten ermöglicht. Indem ihr Transformationspotenzial betont wird, das zugleich als Bedingung der Aktivierung des Betrachters verstanden wird, ist die Welt als Wandlungsgeschehen hier sehr positiv konnotiert. Xeno-Writings kann im Kontext und als Weiterentwicklung der im II. Kapitel der vorliegenden Arbeit vorgestellten frühen sprachkritischen Installationen der sogenannten dekonstruktivistischen Sprachkünstler verstanden werden, zu denen neben Xu Bing, Gu Wenda, Wu Shanzhuan damals am Rande auch Ni Haifeng gehörte. Durch die Integration bewegter Bilder legt Ni hier den Fokus auf die leibliche Erfahrungsebene und somit auf eine unmittelbare Betrachteraktivierung, statt wie Mitte der 1980er Jahre Machtstrukturen vor allem kognitiv-intellektuell zu dekonstruieren.
109 | Ni Haifeng im Interview mit Pauline Yao, in: Yao, Pauline. o. J. 110 | Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang insbesondere seine frühen (Mitte bis Ende der 1980er Jahre) installativen Arbeiten: »Out of his involvement with the meaning of language, Ni, after graduating, joined Red 70%, Black 25%, White 5%, a group of seven Chinese artists making conceptual art, ideograms and so-called Nonsense Calligraphy. At first glance such calligraphy appears real, but it later turns out to be meaningless. He quickly introduced Arabic numbers and mock mathematical equations to his oil paintings on canvas or paper. Dissatisfied with the fact that the works were relatively 'innocent' because they remained within the safe confines of a picture frame, in the late Eighties Ni began incorporating the paintings into space-filling installations at everyday locations in Zhoushan, where he was then living. For instance, using red and black paint he painted remnants of material and jute sacks which he draped on the floor; completely covered the interiors and exteriors of buildings with mathematical puzzles and even took part of the rocky coastline of the island on which he was living in hand.« Aus: Arkesteijn, Roel. o. J. (Abb. 21). 111 | Vgl. ebd.
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Auch in der sehr privaten Videoinstallation Touching my Father (1998) (Abb. 1) von Song Dong wird mittels einer Videoprojektion eine tatsächliche Berührung erzielt, indem Song Dong die Projektion seiner Hand auf den leibhaftigen Körper seines geliebten Vaters, der mitten im Raum einer privaten Wohnung auf einem Stuhl sitzt, überträgt. In der Regel wird diese Arbeit als Thematisierung der Vater-SohnRelation interpretiert, und mit Sicherheit geht es auf der semantischen Ebene auch um diese soziale familiäre Beziehung.112 Darüber hinaus scheint hier durch die Verzeitlichung der Berührung auch die Affizierung als gelebte Erfahrung thematisiert zu werden. Touching my Father kann aus dieser Perspektive als lebendiges Portrait des Vaters aus der Perspektive des Sohnes verstanden werden, das eben nicht nur abbildet, sondern eine sehr intime und persönliche Erfahrung dieser Beziehung ermöglicht, die nicht statisch, sondern durch Zeit und Raum bedingt ist und an der neben den Protagonisten auch der Betrachter partizipieren kann. Eine andere Arbeit Song Dongs, die nach ähnlichem Prinzip Berührung thematisiert, ist die Videoinstallation Slapping (1997) (Abb. 103), die aus der Projektion einer überdimensionalen menschlichen Hand besteht, die kontinuierlich über den Boden des Ausstellungsraums streicht. Thematisiert wird auch hier die Affizierungsqualität eigentlich »lebloser« Gegenstände durch die Herstellung eines leiblichen und auf diese Weise bedeutungsvollen Bezugs. Grundsätzlich sei darauf hingewiesen, dass die Thematisierung von Welt als Prozessgeschehen sowie die gelebte relationale Erfahrung des Menschen als Teil desselben, das heißt die leibliche Verhandlung der eigenen Zeitlichkeit mit der universalen Zeit, in Song Dongs gesamtem Werk eine zentrale Rolle spielt.113 In Installationen, so zum Beispiel »Eating the City« (Abb. 104–105), in denen er mit verschiedenen Lebensmitteln als künstlerischem Material arbeitet, scheint er die Reflexion über den Perzeptionsaspekt der Berührung oder Affizierung als gelebte Erfahrung auf die Spitze zu treiben, indem er die Betrachter auffordert, die künstlerischen Arbeiten nicht nur zu betrachten, sondern durch Verzehr der Lebensmittel sich einzuverleiben.114 112 | Auch in anderen Arbeiten thematisiert er seine Beziehung zu seinem Vater. So unter anderem in der Videoinstallation Father and Son (1998). »Other works that deal with family relations are made by Song Dong; he uses the techniques of video projection on real persons. In the video tape Father and Son (1998) the recorded image of his father’s face, talking about his past, is projected on his own, thus physically touching the generations in the image.« Aus: Pijnappel, Johan. 2001, S. 35. 113 | Siehe hierzu die frühen Arbeiten von Song Dong im Kontext der sogenannten »Apartment Art«, die im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit vorgestellt wurden. 114 | Leng Lin schreibt in diesem Zusammenhang: »[…] the foodstuff […] enters directly into the bodies of the viewers, relating to them physically. Song Dong uses the direct participation of the viewer’s biological function.« Aus: Leng Lin. 2008. S. 17.
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Abb. 103: Song Dong, Slapping, Installation, 1997
Quelle: Ausst.-Kat. The Real Thing. contemporary art from china. Kuratiert von Karen Smith, Simon Groom, Xu Zhen. 2007. Liverpool.
Die Videoinstallationen Uncertain Pleasures (1996) (Abb. 60–61) von Zhang Peili und Aus dem Inneren des Körpers (From Inside the Body) (Abb. 75) (1999) von Xu Zhen können als radikale Dislozierungen einer Kunstauffassung verstanden werden, in deren Zentrum die leibliche Affizierung steht, wenn man extreme Ausprägungen von Berührung als (psychische und leibliche) Reaktionen auf einen bestimmten, vielleicht aus dem Takt geratenen Rhythmus des Wandlungsgeschehens thematisiert. Im Unterschied zur traditionellen Ästhetik, wo die Welt, wie sie sich im Bild visualisiert, bestimmten Konventionen unterliegt, die der Regulierung und der Harmonisierung der Welt, wie sie sich dem Menschen vermittelt, dienen und die zwar gedehnt, aber nie gänzlich dekonstruiert werden,115 entlarven Zhang Peili und 115 | Während traditionelle Literatenmaler sich verrückt stellten oder wirklich verrückt wurden, was sich wie zum Beispiel beim qingzeitlichen Maler Shi Tao in seinem äußerst expressi-
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Abb. 104–105: Song Dong, Eating the City (chi chengshi), Installation, 2006
Quelle: Ausst.-Kat. The Real Thing. contemporary art from china. Kuratiert von Karen Smith, Simon Groom, Xu Zhen. 2007. Liverpool.
Xu Zhen geltende symbolischen Ordnungen als menschengemacht und somit als veränderlich, indem sie den Blick jenseits dieser Regulierungen auf die körperlichen
ven, alle geltende Konventionen sprengenden Pinselduktus ausdrückt, wurde die Praxis der Dekonstruktion erst in der zeitgenössischen Kunst Mitte der 1980er Jahre aktuell. Zu Shi Tao vgl. beispielsweise Hay, Jonathan. 2001.
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Reaktionen, die sich in häufig konfliktträchtigen und entfremdeten Verhältnissen zwischen Mensch und Welt ergeben, richten. Uncertain Pleasures (1996) besteht aus zehn im Kreis aufgestellten Bildschirmen, auf denen Videoloops eines sich hysterisch kratzenden Menschen in Nahansicht zu sehen sind. Durch die Strategie der Wiederholung sowie mittels der Verräumlichung der Betrachtererfahrung in einer kreisförmig angelegten Installation wird eine unmittelbare affektive und leibliche Erfahrung des Betrachters erreicht. Durch das unaufhörliche Sich-Kratzen auf den umgebenden Bildschirmprojektionen scheint der Installationsraum zu flirren, was die Brisanz der Situation unterstreicht. Dass die Erfahrung von Zeitlichkeit und somit die Affizierung als gelebte Erfahrung in Zhang Peilis Arbeiten eine zentrale Rolle spielt, wird durch das folgende Zitat unterstrichen: »Time could be perceived, but could not be recorded, say nothing of being restored. All the records of time are only records of perception.«116 Die körperliche Überreaktion des sich hysterisch kratzenden Menschen kann vor diesem Hintergrund auch als Ausdruck einer gescheiterten Verhandlung der menschlichen Zeitlichkeit mit der Welt, die zunehmend durch Asynchronität/Desynchronisierung und räumliche Brüche geprägt ist, verstanden werden. Aus dem Inneren des Körpers von Xu Zhen besteht aus einem Fernsehbildschirm sowie einem davor angeordneten Sofa, das auch im präsentierten Video auftaucht. Auf eben diesem Sofa sitzt ein junges Paar, das nur in Unterwäsche bekleidet und ohne Unterlass damit beschäftigt ist, sich gegenseitig zu beschnüffeln. Auch hier führt die Loopstruktur des Videos zu einer Intensivierung der körperlichen Wirkung auf den Betrachter, die noch verstärkt wird, indem eine direkte Relation zwischen Betrachter und den Protagonisten im Video hergestellt wird, weil alle auf demselben Sofa sitzen. Vor dem Hintergrund dieser Analysen ausgewählter Bewegtbild-Installationen kann abschließend konstatiert werden, dass der Aspekt, den Betrachter mittels Kunst in ein existenziell wirkliches und leibliches Verhältnis zur Welt zu setzen, in vielen chinesischen Bewegtbild-Installationen eine besondere Relevanz besitzt. Wenngleich auf der semantischen Ebene die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des rapiden gesellschaftlichen Wandels, der Hochgeschwindigkeitsurbanisierung, der zunehmenden Ökonomisierung sowie dem Erbe der Funktionalisierung von Kunst im Auftrag der sozialistischen Ideologie in der chinesischen Gegenwartskunst eine wichtige Rolle spielt, so scheint darüber hinaus der bewusste Bezug zum Alltag, die Begeisterung für ortsspezifische Interventionen und das damit zusammenhängende Verständnis von Kunst als Ort der Kommunikation und der damit einhergehenden politischen Dimension der Betrachtermotivierung auch im Kontext der Auseinandersetzung mit einer ästhetischen Genealogie des Performativen verortet zu werden, als kritische Reflexion eines Kunstverständnisses also,
116 | Zhang Peili. 2003, S. 203.
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in dessen Zentrum die Eröffnung von Welt und somit »echte« Lebenserfahrung steht. In den vorgestellten Bewegtbild-Installation werden deren transkulturelle Bedingungen, die sich im Spannungsfeld zwischen Ästhetiken des Performativen auf der einen und der Repräsentation auf der anderen Seite bewegen, durch Strategien der Dislozierung verhandelt, wie beispielsweise durch intermediale Strategien, durch Strukturen der Wiederholung oder Mittel der Übertreibung. Wiederkehrende Themen sind dabei, wie gezeigt wurde, die positive Bewertung des Möglichkeitspotenzials einer als kontinuierlicher Wandlungsprozess verstandenen Wirklichkeit, das damit verbundene Aktivierungspotenzial einer performativen Situiertheit des Betrachters, aber auch die Dekonstruktion desselben zugunsten eines dualistischen Verhältnisses zwischen Subjekt und Objekt sowie das Anliegen, die Totalität »sinnhafter Erscheinungsgestalten« (xiang) zu objektivieren und/oder zu dekonstruieren. Deutlich geworden ist, dass bei der Anwendung von Begriffen und Konzepten wie zum Beispiel Simulation, Immersion oder Readymade, die in der diskursiven Verkehrssprache zu Aspekten zeitgenössischer Kunst weltweit verwendet werden, mehr Wert auf eventuelle transkulturelle Bedeutungsverschiebungen gelegt werden sollte. Anstatt also auf den Gebrauch dieser Begriffe und Konzepte zu verzichten, was einer erneuten kulturellen Abgrenzung gleichkäme, gilt es, sie im Kontext ihrer transkulturellen Strukturen und Artikulationen zu verstehen, um durch diese Art der Herausarbeitung von kultureller Differenz, das heißt die Analyse von spezifisch thematischen und ästhetischen Gewichtungen, einen wirklich transkulturellen Diskurs zu Phänomenen zeitgenössischer Kunst im globalen Kontext zu formulieren.
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Kapitel IV Resümee der Arbeit im Kontext aktueller internationaler und chinesischer Kunstdiskurse
Die vorliegende Untersuchung zu Beispielen chinesischer Installationskunst als transkulturelle Reflexionsräume einer Genealogie des Performativen ist wissenschaftlich im Kontext der aktuellen Diskussionen um Methoden einer transkulturellen Kunstgeschichte oder einer Kunstgeschichte im globalen Kontext zu verorten.1 Ausgehend von asymmetrischen transkulturellen Verflechtungsprozessen multipler Zeitlichkeiten und historischer Ungleichzeitigkeiten steht im Zentrum einer transkulturellen Perspektivierung kunsthistorischer Forschung die Frage nach geeigneten komparatistischen Ansätzen zur Analyse von Bedingungsverhältnissen kultureller Differenz. Objektzentrierte Analysen, deren Vergleichsparameter aus der Identifizierung angenommenen inhärenter kultureller Bedeutung resultieren, sind tendenziell essenzialistisch, insofern sie zumeist auf ikonografischer oder stilistischer Ebene referenziell Bedeutung festschreiben und deswegen ungeeignet sind, die Verschiebungsprozesse in transkulturellen Übersetzungsprozessen zu analysieren. Anstatt nur die Gegebenheiten in den Blick zu nehmen, liegt der Fokus der vorliegenden Arbeit auf der Analyse von Bedingungen und Artikulationen kultureller Differenz. Um die Essenzialisierung von Bedeutungshaftigkeit zu vermeiden, steht anstelle des »Was« das »Wie« im Vordergrund. Das heißt zum einen, die Untersuchung arbeitet exemplarisch heraus, vor welchen kulturhistorischen, kunsthistorischen und kulturanthropologischen Bedingungen die zur Diskussion stehenden Arbeiten produziert werden. Zum anderen werden aus phänomenologischer Perspektive die transkulturellen Bedingungen von Betrachtererfahrung und die Frage, wie diese in den ausgewählten Bewegtbild-Installationen reflektiert werden, thematisiert. Wie gezeigt wurde, ist das Performative, das heißt die Verzeitlichung als Bedingung von Bedeutungsgenerierung, der zentrale Ausgangspunkt dieser Argumentation. Die Installationskunst ist, wie dargelegt, aufgrund ihrer expliziten Betonung 1 | Vgl. Elkins, James (Hg.). 2007, Zijlsmans, Kitty; Wilfried van Damme (Hg.). 2008, Volkenandt, Klaus (Hg.) 2004, Belting, Hans; Andrea Buddensieg. 2009, Juneja, Monica. 2012.
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des Performativen für die performative Konzeptionalisierung kultureller Differenz prädestiniert.2 Indem Installationskunst als Kunstpraxis performativer Bedeutungsgenerierung verstanden wird, geht die Arbeit über Kontextanalysen vermeintlich statischer Bedingungen und Strukturen und somit sowohl über eine objektiv angelegte strukturalistische Herangehensweise als auch über eine multikulturalistisch verstandene postkoloniale Kategorisierung hinaus. Im Vordergrund steht die Frage, auf welche Weise in der chinesischen Installationskunst Konventionen und diskursive Rahmungen unterschiedlicher Kunstauffassungen durch Strategien der Dislozierung operational neu verhandelt und somit nicht nur reflektiert, sondern konstruktivistisch figuriert und artikuliert werden. Indem beispielsweise gezeigt wird, unter welchen transkulturellen Bedingungen und auf welche Weise in der chinesischen Installationskunst das Konzept des Readymade verhandelt wird, geht es nicht mehr darum, verspätete Anschlüsse an eine europäische Moderne herzustellen. Eine transkulturell perspektivierte Kunstgeschichte basiert stattdessen auf der Annahme eines transkulturellen Geflechts multipler Zeitlichkeiten. Mit dem Ziel der vergleichenden In-Bezug-Setzung gilt es vor diesem Hintergrund, Fragen, Funktionen und Strukturen innerhalb der künstlerischen Artikulationen in ihren transkulturellen Bedingungsverhältnissen herauszuarbeiten und zu anderen in Bezug zu setzen, um auf diese Weise die eurozentristisch geprägte Diskurshegemonie infrage zu stellen, neue Anknüpfungslinien des Vergleichs zu generieren und so einen gemeinsamen theoretischen Raum, einen transkulturellen Diskurs zur Gegenwartskunst im globalen Kontext zu befördern. Die Beschäftigung mit chinesischer Gegenwartskunst hat in jüngster Zeit eine neue Qualität erreicht. Sowohl in als auch außerhalb Chinas wird die Verortung chinesischer Gegenwartskunst im zeitgenössischen Kunstsystem verstärkt diskutiert. Während chinesische Kunst bis zu ihrem Einbruch am Kunstmarkt infolge der globalen Finanzkrise 2008 vor allem an ökonomischen Erfolgen gemessen wurde, ist momentan eine Hinwendung zu ästhetischen und konzeptionellen Fragen zu beobachten. Exemplarisch seien in diesem Zusammenhang im Folgenden drei Beispiele vorgestellt. Gao Minglu versucht die »Identität« chinesischer Gegenwartskunst ästhetisch, durch historische Kontextualisierung in der traditionell »chinesischen« Ästhetik und Weltanschauung von der westlichen Moderne und von zeitgenössischer Kunst aus Europa oder USA abgrenzend zu konstruieren. In seinem kulturessenzialistisch anmutenden und leider sehr hermetischen und konfusen Konzept der sogenannten »Yi Schule« (yi pai) versucht er darzulegen, inwiefern die chinesische Kunst im Unterschied zur westlichen nicht auf einer repräsentationalen Kunsttradition fußt. Gao schreibt:
2 | Mit Dorothea von Hantelmann gesprochen, muss Kunst grundsätzlich immer als performativ verstanden werden, weil es immer Realität ist, die das Kunstwerk hervorbringt. Vgl. von Hantelmann, Dorothea. 2007.
R ESÜMEE DER A RBEIT IM K ONTEXT AKTUELLER INTERNATIONALER UND CHINESISCHER K UNSTDISKURSE »Confucius said: ›[The music of] Shao is most virtuous and also most beautiful.‹ Thus we know that the ancient Chinese did not talk of truth but of goodness and beauty. Art did not imitate or represent truth. Western art on the other hand has, since its beginning, taken ›representation‹ as truth, and substitution as the fundamental nature of art. ›Substitution‹ means using art to present reality, concepts and logic. Accordingly, the realistic, the conceptual and the abstract have dominated the historical narrative of all twentieth-century art, not excluding that of China. Yi Pai attempts to establish a non-representational, nonsubstitutional and anti-separation mode of thinking, in a quest for freedom, synthesis and wholeness. Neither art nor human life can be substituted one for the other. Principle, concept and form cannot be separated. Word, meaning and image must live and be generated symbiotically. The approach of seeking truth outside words, outside principle, and outside images does not seek truth in facts, but rather seeks the meaning not contained in the words, and the truth not contained in the facts.«3
Wu Hung hat soeben das erste Quellenbuch zur chinesischen Gegenwartskunst herausgegeben. Es umfasst englische Übersetzungen ausgewählter, bisher nur auf Chinesisch zugänglicher Schlüsseltexte zu Aspekten chinesischer Gegenwartskunst, die um kontextualisierende Texte aus seiner Feder ergänzt sind. Wichtig zu erwähnen ist, dass diese Publikation im Kontext der vom Museum of Modern Art in New York herausgegebenen Primary Document Series herausgegeben wurde, es sich also um eine chinesisch-amerikanische Kooperation handelt, deren gemeinsames Anliegen ist, den Wissenshorizont zu chinesischer Gegenwartskunst durch Einblicke in chinesische Primärquellen zu erweitern.4 Des Weiteren zu erwähnen ist, dass das Asia Art Archive in Hongkong, das sich seit dem Jahr 2000 der Dokumentation und Erforschung von Materialien asiatischer Gegenwartskunst verschrieben hat, in diesem Jahr das Dokumentationsprojekt »Materials of the Future: Documenting Chinese Contemporary Art from the 1980s to 1990s« abgeschlossen hat. Auf der Webseite des AAA sind seit kurzem zahlreiche Dokumente und Interviews zu und von chinesischen Künstlern, Kritikern und Kuratoren für die Öffentlichkeit unentgeltlich zugänglich gemacht.5 Nicht nur in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, auch bei einigen chinesischen Künstlern und Kuratoren hat die Finanzkrise zu einer Sinnkrise und infolgedessen bisweilen auch zu fruchtbaren Selbstreflexionen geführt. Während chinesische Installationskunst zu Hochzeiten des großen Markterfolgs chinesischer Gegenwartskunst in den Jahren von 2003 bis 2008 tendenziell vorgeworfen wurde, ihre Kritikalität zugunsten aufmerksamkeitsheischender monumentaler und marktkonfomer dekorativer Arbeiten aufgegeben zu haben, so ist momentan
3 | Gao Minglu. 2010. 4 | Wu Hung. 2010. 5 | Adresse der Webseite: http://www.china1980s.org/tc/Default.aspx
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Abb. 106: Yue Minjun, Colorful, Running Dinosaurs (wu cai long teng), skulpturale Installation, 2008
Quelle: http://www.randian-online.com/en/reviews/yue-minjun /yue-min-jun-images (Zugriff am 8.12.10).
zu beobachten, dass sich chinesische Installationskünstler wieder zunehmend dem kritischen Potenzial der Installation als Transformationsmedium zuwenden. Diese Beobachtung lässt sich sehr gut durch einen Vergleich der aktuellen 8. Shanghai Biennale mit der vorangegangenen verdeutlichen. Die 7. Shanghai Biennale, die 2008 auf dem Gipfel der Kunstmarktblase unter dem Titel »Translocalmotion« (kuai cheng kuai ke) stattfand, wird negativ beurteilt, weil sie sehr unkritisch war und der Marktdominanz nichts entgegensetzte, da sie zu viele chinesische Kunstmarktstars oder zweitrangige chinesische Künstler zeigte: »The low point, according to many in the local art world, was the seventh biennale in 2008. Upon entering the second floor, viewers were greeted with a small army of stainless steel, candy-colored dinosaurs from Yue Minjun [Colorful Running Dinosaurs (2008) (Abb. 106)], his own trademark smiling visage plastered on their faces. Elsewhere, an outdoor train car installation that many viewers initially thought was the work of the multimedia artist Qiu Anxiong turned out to be a copycat piece from the Hangzhou artist Jing Shijian. One viewer of the 2008 event, the Shanghai gallery owner Liu Yingmei, summed up the opinion of many experienced attendees in a recent interview: ›I found many sculptural and installation works of the Chinese artist to be disappointing. They were big productions, for sure, but not much content.‹«6 Im Unterschied dazu setzt sich die aktuelle 8. Shanghai Biennale kritisch mit dem Kunstsystem und – so ist es dem kuratorischen Konzept zu entnehmen – mit der bevormundenden Funktionalisierung der Kunst durch das globale kapitalistische System auseinander: »The 8th Shanghai Biennale raises the following question: What is suppressing and constraining the power of the heart in the economic and political context of contemporary art? Is it because of the ›invisible hand‹ of the art world? Or is it because of ›trends‹ in the 6 | Chen Xhingyu. 2010.
R ESÜMEE DER A RBEIT IM K ONTEXT AKTUELLER INTERNATIONALER UND CHINESISCHER K UNSTDISKURSE international art market? Should we blame all the identikit mega-exhibitions worldwide? Or the omni-present mass culture? Artists are becoming more and more constrained and boring and we are dragged into a ›post-history‹ malaise. So how should we describe this state clearly? How can we get out of the dilemma of creation in the context of an art system constituted by seamless and endless international dialogue, mega exhibitions, art fairs and transnational capital? How do we identify the internal frontiers of the ›art world‹ hijacked by global capitalism while we are ourselves part of it? Is contemporary artistic practice capable of generating a new Produktionsverhältnisse – system of production – beyond the throttles of institutional critique and social participation?«7
Anstatt als exotische Ware aus China rezipiert zu werden, ist es das Anliegen des chinesischen Kuratorenteams, mit der diesjährigen Biennale eine »authentisch« chinesische Stimme im globalen Kontext zu artikulieren. Unter dem Titel »Rehearsal« (xunhui paiyan) haben es sich die Kuratoren Fan Di’an, Gao Shiming, Li Lei, Hua Yi zur Aufgabe gemacht, sich mit grundsätzlichen Fragen an die zeitgenössische Kunst auseinanderzusetzen: »We felt like this year we had to redefine what contemporary art is […] We were dissatisfied with reality«.8 Indem sie sich vehement gegen die Reduzierung von Kunst auf Ware ausspricht, fordert die Shanghai Biennale eine Auseindersetzung mit der gesellschaftlichen und sozialen Funktion von Kunst. Im Unterschied zur konventionellen Ausstellung geht es nicht um die Präsentation abgeschlossener Kunstwerke, sondern um die Eröffnung sozialer und öffentlicher Räume. »It brings down the closed theater that is the arts community and brings art back to its public roots,« said Gao Shiming. »We’re not just collecting pre-existing or commissioned works. We’re bringing artists together to work in the same site at the same time.«9 Ziel sei es, mit einer zeitgenössischer Kunst eine Öffentlichkeit zu generieren und somit Kunst im Leben stattfinden zu lassen: »Perhaps the most important mission of the show, according to the curators, is to create an audience for contemporary art Mr. Gao said. ›What’s important is how to encourage participation. Artists are often seen as outsiders, but in reality, artists are actually an integral part of society. We want to help audiences realize that.‹«10 Um Partizipation zu ermöglichen, werden die Produktionsbedingungen offengelegt, ist der Kontext der künstlerischen Arbeiten wie bei einer Theaterprobe nachvollziehbar. 7 | Aus: Kuratorisches Konzept der Shanghai Biennale: What is Rehearsal?—A Curatorial Thinking of the 8th Shanghai Biennale, in: http://en.shanghaibiennale.org:81/2010/content. php?nid=169 (Zugriff am 7.12.2010). 8 | Gao Shiming, in: Chen Xhingyu. 2010, S. 1. 9 | Lau, Joyce Hor-Chung. 2010, S. 1. 10 | Chen Xhingyu. 2010, S. 1.
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So ist beispielsweise der Shanghaier Künstler Ma Liang alias Maleonn mit seinem Atelier in der Ausstellung vertreten: »Shanghainese artist Maleonn has moved his entire studio to the Shanghai Art Museum. It’s theatrical, a treasure trove of the stagey elements that inhabit the photographer’s fantastical work: a stuffed tiger and skeleton appear alongside feathered costumes and mannequins as well as the more mundane, down-to-earth tools of the artist’s trade. It’s behindthe-scenes, the rehearsals for Maleonn’s public face: the finished product that is his work.«11
Die Arbeit ist in folgendem Kontext des kuratorischen Konzepts zu verorten: »Exhibitions are rehearsals. ›Rehearsing‹ is liberating, since everything is undecided. In the framework of the 8th Shanghai Biennale, curating is not about reaching conclusions, or investigating or representing, but about organizing rehearsals. As long as a rehearsal is going on, the theatre of exhibition will remain open to the future. Today, the productivity of the art system far outstrips individual creativity. As a result the artists cannot rid themselves of the nagging feeling that they are on the payroll of the art system and ›made to order‹ by society. Everywhere we look, artists are cosplaying their roles. ›Rehearsing‹ requires artists to strip off their costumes and walk out of the institutionalized theatre of art production, to sever their ties with the theatre of everyday life, to become the ›undefined‹, to return to our rehearsing studio and plunge into spontaneous, unfettered rehearsal.«12
Viele Arbeiten im Rahmen der aktuellen Shanghai Biennale sind gesellschaftskritisch und befassen sich mit universellen Themen wie zum Beispiel mit Aspekten der Konsumgesellschaft oder des Umweltschutzes. So zum Beispiel Liu Weis Installation »Merely a Mistake II«, die sich mit dem großflächigen Abriss von alten städtischen Strukturen und den damit einhergehenden Zwangsumsiedlungen beschäftigt: »Liu Wei’s wooden structure, ›Merely a Mistake II,‹ is made of the rubble from demolished buildings, in a country where state-ordered ›relocations‹ have caused protests and strife.«13 Qiu Zhijie ist mit einer partizipativ angelegten Installation in der Biennale vertreten (Abb. 107): »In the other room, multimedia artist Qiu Zhijie has created a work inspired by the traditional Chinese genre painting ›Colorful Lanterns at Shangyuan Festival.‹ On four walls Qiu 11 | Siehe: http://www.smartshanghai.com/blog/1742/Shanghai_Biennale.html (Zugriff am 7.11.2010) 12 | Aus: Kuratorisches Konzept der 8. Shanghai Biennale: What is Rehearsal?—A Curatorial Thinking of the 8th Shanghai Biennale, in: http://en.shanghaibiennale.org:81/2010/content. php?nid=169 (Zugriff am 7.12.2010). 13 | Vgl. Lau, Joyce Hor-Chung. 2010, S. 2.
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Abb. 107: Qiu Zhijie, Room of Inventions, Installation, 2010
Quelle: http://www.randian-online.com/en/reviews/yue-minjun /yue-min-jun-images (Zugriff am 8.12.10). has sketched a modern version of the work, peopled now by contemporary personalities. Meanwhile, in the center of the room, Qiu has created a landscape out of recycled objects through which viewers can wander. While admiring trees hung with tin cans, one can pull on strings to set cardboard birds flapping overhead as actors animate the scene. A fisherman searches for metal keys with a magnet threaded on a line; a couple operates a grindstone that crushes not grain but fine white sand, patterned like the stones in a traditional garden. It comes as no surprise that the work caused visitors to linger as they experienced the exotic feeling of living inside a painting.«
Liu Weis Kritik, aber vor allem die Betonung des Partizipativen und Relationalen und somit die Produktion eines aktiven Betrachters in vielen künstlerischen Arbeiten, so beispielsweise in Qiu Zhijies Beitrag, veranlassen zur vorsichtigen Einschätzung, dass die Installationkunst in China derzeit verstärkt als künstlerisches Medium der gesellschaftlichen und politischen Kritik zum Einsatz kommt, das die Partizipation des Einzelnen in sozialen und politischen Prozessen einfordert.
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Image Burcu Dogramaci (Hg.) Migration und künstlerische Produktion Aktuelle Perspektiven August 2013, ca. 370 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2365-9
Lilian Haberer, Annette Urban (Hg.) Bildprojektionen Filmisch-fotografische Dispositive in Kunst und Architektur April 2013, ca. 220 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1711-5
Katja Hoffmann Ausstellungen als Wissensordnungen Zur Transformation des Kunstbegriffs auf der Documenta 11 April 2013, ca. 496 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2020-7
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Image Guido Isekenmeier (Hg.) Interpiktorialität Theorie und Geschichte der Bild-Bild-Bezüge Mai 2013, ca. 290 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2189-1
Annette Jael Lehmann Environments: Künste – Medien – Umwelt Facetten der künstlerischen Auseinandersetzung mit Landschaft und Natur Mai 2013, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1633-0
Thomas Strässle, Christoph Kleinschmidt, Johanne Mohs (Hg.) Das Zusammenspiel der Materialien in den Künsten Theorien – Praktiken – Perspektiven April 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2264-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Birgit Wagner, Christina Lutter, Helmut Lethen (Hg.)
Übersetzungen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2012
2012, 128 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2178-3 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 12 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]
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