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German Pages 224 [228] Year 1995
Informations- und Entscheidungstheorie Von Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Dr. h.c. Dr. h.c.
Dieter Schneider Univ. Prof. der Betriebswirtschaftslehre
R. Oldenbourg Verlag München Wien
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schneider, Dieter: Informations- und Entscheidungstheorie / von Dieter Schneider. - München ; Wien : Oldenbourg, 1995 ISBN 3-486-23228-2
© 1995 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungeil, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: R. Oldenbourg, Graphische Betriebe GmbH, München
ISBN 3-486-23228-2
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Vorwort
Vorwort Eine einfuhrende Darstellung in den gegenwärtigen Stand der betriebswirtschaftlichen Informationstheorie (Informationsökonomie) fehlt bisher im deutschsprachigen Schrifttum. Zur Entscheidungstheorie liegen zwar zahlreiche Lehrtexte vor, aber sie beschäftigen sich überwiegend mit formalen Entscheidungsmodellen und vernachlässigen deren empirische Anwendungsvoraussetzungen. Insbesondere werden zu wenig die Schwierigkeiten erörtert, personale Wahrscheinlichkeiten zu begründen, und die engen Grenzen bestimmt, die nachprüfbaren Urteilen über „risikoärmere" oder „risikoreichere" Handlungen gezogen sind. Dieses Buch betont die Anwendungsvoraussetzungen von Entscheidungsmodellen und behandelt die betriebswirtschaftliche Informationstheorie vor allem als Lehre von den empirischen Anwendungsvoraussetzungen ftir Entscheidungsmodelle. Herausgearbeitet wird die beschränkte Aussagefähigkeit von Optimierungsüberlegungen, zurück tritt das Einüben von Rechentechniken. Symbolreiche („mathematische") Schreibweisen werden weitestgehend vermieden. Anwendungsvoraussetzungen von Modellen zu erkennen und deren Informationsanforderungen zu erfüllen, ist eine Aufgabe, die vor dem Aufstellen und dem Anwenden von Computerprogrammen gelöst sein muß. Deshalb werden Fragen der Wirtschaftsinformatik und deren Management-Informationssysteme nicht behandelt. Das Buch ist als Vorlesungsbegleittext für eine Lehrveranstaltung im Sommersemester 1995 entstanden. Es greift Kapitel aus der in Vorbereitung befindlichen „Theorie der Unternehmung" heraus, die zu diesem Termin nur unter Qualitätseinbußen hätte fertiggestellt werden können. Ein solches Buch ist nicht ohne Hilfe zu schreiben. Für zahlreiche kritische Anmerkungen und technische Hilfeleistungen, vor allem bei der Druckvorbereitung, danke ich deshalb nachdrücklich meinen Mitarbeitern, insbesondere Herrn Dipl.-Ök. Ralf Sprey und Herrn Dipl.-Ök. Harald Meinhövel.
Dieter Schneider
Inhaltsverzeichnis: Kapitell.
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Inhaltsverzeichnis
I.
Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand einer betriebswirtschaftlichen Theorie a) Sichtweisen fur eine betriebswirtschaftliche Informations- und Entscheidungstheorie
1
1
1. Entscheidungen unter unvollkommener, insbesondere asymmetrischer Information 2. Die dem Wirtschaftlichkeitsprinzip folgende Entscheidungsorientierung der Betriebswirtschaftslehre . . . . 3. Die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungsorientierung der Betriebswirtschaftslehre im Vergleich zu der dem Wirtschaftlichkeitsprinzip folgenden 4. Informations- und Entscheidungstheorie in einer Betriebswirtschaftslehre unter dem Leitbild einer Verringerung von Einkommensunsicherheiten
15
b) Entscheidungen innerhalb eines Regelsystems zur Planung . . .
19
1 5
8
1. Entscheidungstheorie und Planungsmodelle 19 2. Entscheidungen als Planungsstufe 22 3. Grade an Planbarkeit und Optimalität von Entscheidungen . . 29 c) Informationen als Bedingungen vernünftiger Planung vor Prognosen
43
1. Das Informationsproblem im ökonomischen Sinne 2. Informationen über Ziele 3. Finden von Handlungsmöglichkeiten
43 52 60
VIII
Inhaltsverzeichnis: Kapitel II. und III.
II. Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
69
a) Prognosen von Zukunftslagen und ihrer Wahrscheinlichkeiten
69
1. Grenzen vernünftiger Erwartungen 2. Meßbarkeitsstufen von Wahrscheinlichkeiten 3. Bedingungen zur Konstruktion personaler quantitativer Wahrscheinlichkeiten
69 74
b) Entscheidungsregeln und Maße fur die Risikobereitschaft . . .
97
1. Entscheidungsregeln unter Ungewißheit 2. Erscheinungsformen der Risikoneigung 3. Maße fur die Verringerung von Einkommensungewißheit
89
97 108 . . 115
c) Minderung von Einkommensungewißheit durch Investitionsmischung
121
1. Theorie der Wertpapiermischung und der Risikoprämien 2. Diversifikation bei Realinvestitionen
. . 121 135
III. Verringerung von Einkommensunsicherheiten durch Informationsauswertung und Informationsbeschaffiing
141
a) Informationsauswertung bei Interessengegensätzen und Gruppenentscheidungen
141
1. Das Gefangenendilemma als Problem der Informationsauswertung und einer „stillschweigenden" Kooperation . . . . 2. Beseitigung asymmetrischer Information durch einen herrschaftsfreien Diskurs? 3. Die „Unmöglichkeit" rationaler einmütiger Gruppenentscheidungen und Abstimmungsparadoxien . . . . b) Informationsbeschaffung und Informationsverbreitung in Märkten
141 152 155
162
1. Das ökonomische Problem des Kaufs von Informationen . . . 162 2. Werbung als Informationsverbreitung in Märkten 166
Inhaltsverzeichnis: Kapitel III. und IV.
c) Informationsänderungen durch Marktpreise 1. Verringerung von Einkommensunsicherheiten durch Hedging? 2. Preise in Zukunftsmärkten als Informationen über künftige Spotmarktpreise?
IX
180 180 189
IV. Institutionen und Informationsrisiken
199
Namensverzeichnis
205
Stichwortverzeichnis
210
Sichtweisen fur eine betriebswirtschaftliche
Informations- und Entscheidungstheorie
1
I. Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand einer betriebswirtschaftlichen Theorie a) Sichtweisen fiir eine betriebswirtschaftliche Informations- und Entscheidungstheorie 1. Entscheidungen
unter unvollkommener, Information
insbesondere
asymmetrischer
a) Die Informations- und Entscheidungstheorie wird in diesem Buch als Teilbereich der Betriebswirtschaftslehre erörtert. Sie untersucht Entscheidungen einzelner Menschen oder Gruppen von Menschen zusammen mit den für vernünftige Entscheidungen benötigten Informationen. Informationen seien vorerst in einem weiten, umgangssprachlichen Verständnis mit Wissen, Erfahrungen, Nachrichten gleichgesetzt; eine Eingrenzung auf Information im betriebswirtschaftlichen Sinne erfolgt S. 48. Entscheidungen heißen beim einzelnen Menschen Willensakte, dies zu tun und jenes zu unterlassen. Entscheidungen gehen dem Handeln voraus, also der Ausfuhrung eines Tuns oder Nichttuns. Während das Handeln eines Menschen von anderen Personen beobachtet werden kann, gehören Entscheidungen dieses Menschen zu einer geistigen, innerpersönlichen Vorstufe des Handelns, die von anderen Personen nicht zu beobachten ist. Die Entscheidungen des einzelnen sind entweder bewußte Akte des Denkens oder folgen unbewußt aus der psychischen Veranlagung. Die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie untersucht Entscheidungen als bewußte Akte des Denkens. Dabei sind zwei Erfahrungssachverhalte zu beachten: (1) Das Wissen über das, was sein wird, ist unvollständig. Vielfach wird die mangelnde Kenntnis künftiger Entwicklung als unvollkommene Information bezeichnet. Unvollkommene Information besteht bereits dann, wenn ein Entscheidender Naturereignisse nicht sicher vorhersehen kann, z.B. das Wetter ftir die Landwirtschaft, bei Freilichtveranstaltungen oder Bergwanderungen. Erst recht ist das Wissen darüber, was sein wird, unvollkommen, wenn die Handlungen eines Menschen auf die Handlungen anderer stoßen. (2) Das Wissen, Wollen und Können ist unter den Menschen ungleich verteilt. Eine Ungleichverteilung des Wissens wird vielfach als asymmetrische Information bezeichnet. Asymmetrische Information ist ein Unterfall der unvollkommenen Information. Unvollständiges Wissen über das, was sein wird, besteht hier gegenüber der „Natur" und hinsichtlich der Handlungen anderer Menschen, wobei deren Arbeitsleistungen, Preisforderungen usw. teilweise aus Fehlvorstellungen darüber folgen, was Kunden, Konkurrenten, Lieferanten
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
usw. beabsichtigen, erwarten, können. Eine Ungleichverteilung des Wissens unter den Menschen mag das Verwirklichen eigener Wünsche verhindern, erschweren oder auch fördern. Für dieses Buch gilt die Sprachregelung: Die Informationstheorie beschäftigt sich mit den Anwendungsvoraussetzungen betriebswirtschaftlicher Modelle, hier: solcher aus der Entscheidungstheorie. Vor Entscheidungen als bewußten Akten des Denkens sind unvollkommene Informationen vernünftig auszuwerten, geringe Informationen wenn möglich zu erhöhen, die Folgen von Informationsnachteilen gegenüber anderen zu erkennen und zu verringern. Da die Aussagen der Informationstheorie Voraussetzungen fiir die Anwendung von Modellergebnissen der Entscheidungstheorie sind, wurde im Buchtitel die Namensfolge „Informations- und Entscheidungstheorie" gewählt. Das Herausarbeiten der erfahrungswissenschaftlichen Anwendungsvoraussetzungen für Modelle als Gegenstand der Informationstheorie (im hier verstandenen Sinne) ist eine Aufgabe, die vor dem Aufstellen und Anwenden von Computerprogrammen gelöst sein muß. Deshalb bleiben hier Management-Informationssysteme ausgeklammert, wie sie die Wirtschaftsinformatik lehrt. b) Die Wirtschaftstheorie hat bis vor wenigen Jahrzehnten durchgängig die Erfahrungstatbestände der Unsicherheit über die Zukunft („unvollkommene Information") und der Ungleichverteilung von Wissen unter den Menschen („asymmetrische Information") ausgeklammert. Dazu dienten z.B. in der Preistheorie die Modellannahmen „vollkommene Markttransparenz" oder in der Finanzierungs- bzw. Kapitalmarkttheorie die Unterstellung „homogener Erwartungen" aller Wirtschaftenden. Eine solche Übervereinfachung mag in Anfängerveranstaltungen aus didaktischen Gründen noch heute geboten sein. Aber dabei darf ein Nachteil dieser Bequemlichkeitsannahme nicht verschwiegen werden: Wettbewerb im klassischen Sinne einer Rivalität, z.B. von Anbietern um den Auftrag eines Nachfragers, wird dadurch ebenso wegdefiniert wie Wettbewerb im evolutorischen Sinne einer „Verwertung von Wissen", das unter den Mitgliedern einer Gesellschaft unvollständig und ungleich verteilt ist 1 . Warum? (1) Besitzen konkurrierende Anbieter dasselbe Wissen über die Nachfrager und gegenseitig das gleiche Wissen über ihr Wollen und Können, so gewinnt der mit den geringeren Kosten bzw. dem längeren „finanziellen Atem": Die Konkurrenten können sich das Wettrennen um die Gunst der Nachfrager er1
Vgl. zum klassischen Verständnis von Wettbewerb z.B. G.B. Richardson: Adam Smith on Competition and Increasing Returns. In: Essays on Adam Smith, hrsg. von A.S. Skinner, Th. Wilson. Oxford 1975. S. 350-360; zum evolutorischen Verständnis z.B. F.A. Hayek: The Use of Knowledge in Society. In: The American Economic Review, Vol. 35 (1945), s. 519-530, hier S. 526.
Sichtweisen fiir eine betriebswirtschaftliche
Informations- und Entscheidungstheorie
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sparen. Bei Gleichverteilung des Wissens kann der Schwächere nicht aus eigenem Bemühen seine Lage verbessern. Unter symmetrischer Information ist das Endergebnis entweder sicher vorhersehbar oder hängt vom Zufall ab bzw. ist nicht planbar. (2) Zu einem Abschluß zwischen einem Anbieter und einem Nachfrager kommt es dann, wenn jeder bei seinem Wissen im Zeitpunkt der Tauschvereinbarung das zu Erwerbende höher schätzt als das von ihm dafür Hinzugebende. Liegt z.B. die Preisobergrenze, die ein Nachfrager äußerstenfalls zu zahlen bereit wäre, bei 100 und die Preisuntergrenze, zu der ein Anbieter äußerstenfalls verkaufen würde, bei 50, so erhöht ein freiwilliger Tausch zu einem Preis innerhalb des Einigungsbereichs 50 bis 100 den persönlich empfundenen Vorteil beider. Aber dieses Dogma marktwirtschaftlicher Theorie: „Jeder mehrt seinen Nutzen durch einen freiwilligen Tausch", gilt zwingend nur, wenn Anbieter und Nachfrager nicht das gleiche wissen und Zusatzannahmen gelten. Eine dieser Zusatzannahmen ist, daß jeder vernünftig handelt; eine andere, daß in Verhandlungen auf Täuschungsmanöver über die eigene Preisgrenze verzichtet wird: Wenn im Beispiel der Verkäufer als Erstangebot 120 fordert, kommt es vermutlich gar nicht zu Verhandlungen. Wer als „letztes Zugeständnis" 80 verlangt, obwohl er andere mit 70 bediente, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Nachfrager zu einem anderen Anbieter wandert. Kennen beide hingegen die Preisgrenzen des anderen, so mögen sie sich zwar scheinbar „fair" in der Hälfte des Einigungsbereichs treffen. Aber das ist durchaus nicht notwendigerweise so und keineswegs immer „fair". Ist der Anbieter (z.B. seiner Arbeitskraft) ein armer Schlucker, dem 10 DM Mindereinnahme viermal so viel bedeuten wie 10 DM Mehrausgaben einem Neureichen, der des Armen Dienste beanspruchen möchte, so läge ein „fairer" Preis unter Berücksichtigung des jeweiligen (einmal als vergleichbar unterstellten) Nutzens des Einkommenserwerbs bzw. der Einkommensverwendung bei 90 DM. Doch wer garantiert, daß beide sich in irgendeiner Weise „fair" verhalten, wenn sie übereinander das gleiche wissen? Besitzen sie zwar Kenntnisse über die jeweiligen Preisgrenzen, aber nicht über die psychische Veranlagung des anderen, bleibt offen, ob sie sich trotz eines Einigungsbereichs auf einen Tausch verständigen werden: Eitelkeit bis zum Masochismus, aber auch der Wunsch, den anderen zu verblüffen, können zum Ausschlagen eines Tausches fuhren, der für beide von Vorteil wäre, würden sie hauptsächlich auf ihr materielles Wohlergehen achten. (3) Die Nutzenmehrung durch einen freiwilligen Tausch bei Anbieter und Nachfrager hängt vom jeweiligen Wissen im Tauschzeitpunkt ab. Nachträglich mag ein Tausch in Enttäuschung enden. Bei Ungleichverteilung unvollständigen Wissens werden z.B. Käufer von Wertpapieren andere Erwartungen hegen als Verkäufer und deshalb Abschlüsse Zustandekommen. Dabei entste-
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchunggegenstand
hen durchweg Preise, bei denen nicht die Pläne aller Wirtschaftenden in Erfüllung gehen können. Solche Ungleichgewichtspreise verwirklichen sich insbesondere bei Termin- und Optionsgeschäften (S. 183 f.): Der Käufer eines Terminkontraktes über 1 Mio. $, fallig in 6 Monaten, oder einer diesbezüglichen Option mag auf eine Kurssteigerung des $ spekulieren. Er wird anderes erwarten als der Verkäufer, der auf nicht steigende oder nicht in gleichem Maße steigende Kurse hofft. Einer muß enttäuscht werden. (4) Andererseits werden einzelne mit dem Abschluß einer Tauschvereinbarung zögern, weil sie bei Wissensvorsprüngen der Marktgegenseite (verborgenen Informationerz2) eine für sie nachteilige Auslese (adverse selection) befurchten. So wird z.B. der starke Preisverfall eines Neuwagens in den ersten Monaten nach der Zulassung damit erklärt, daß überwiegend nur mit Qualitätsmängeln behaftete „Montagsautos" zum Wiederverkauf angeboten werden. (5) Nach Inkrafttreten von Verträgen entsteht bei jenen, die mit dem Vollzug von Handlungen beauftragt sind (den sog. Agents), regelmäßig ein Wissensvorsprung gegenüber ihren Auftraggebern (den sog. Principals). Da jene Beauftragten unmittelbar am Geschehen teilnehmen, öffnet sich ihnen ein Spielraum fur verborgene Handlungen, die sie zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen mögen, solange die Auftraggeber darüber getäuscht werden können. Aus diesem Sachverhalt entsteht die Frage: Wie kann verhindert werden, daß jene, die durch ihr Handeln Macht ausüben, ihr Handeln gegen die Interessen der sie Beauftragenden oder der ihnen Untergeordneten richten? Dies ist eine Kernfrage der Wirtschaftsordnung schlechthin. c) Offenkundig sind Entscheidungen unter unvollkommener, insbesondere asym-
metrischer Information der Regelfall, unter dem Handlungen in Betrieben und Haushalten Zustandekommen. Dennoch haben jene beiden Sichtweisen in der Betriebswirtschaftslehre, die den Namen „Entscheidungsorientierung" verwenden, den Entscheidungen vor allem bei asymmetrischer Information kaum Forschungsinteresse gewidmet. Diese beiden Sichtweisen: die dem Wirtschaftlichkeitsprinzip folgende Entscheidungsorientierung und die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungsorientierung werden vor dem hier zugrunde gelegten Verständnis von der Betriebswirtschaftslehre als einer Einzelwirtschaftstheorie der Institutionen erläutert. Letztere stellt unvollkommene, insbesondere asymmetrische Information in den Mittelpunkt ihres Forschungsinteresses. 2
Die Wortwahl verborgene Informationen und verborgene Handlungen folgt Kenneth J. Arrow: The Economics of Agency. In: Principals and Agents: The Structure of Business, hrsg. von J.W. Pratt, R.J. Zeckhauser. Boston 1985, S. 37-51, hier S. 38. Das folgende Beispiel geht zurück auf George A. Akerlof: The Market for „Lemons": Quality Uncertainty and the Market Mechanism. In: The Quarterly Journal of Economics, Vol. 84 (1970), S. 488-500.
Sichtweisen für eine betriebswirtschaftliche Informations- und Entscheidungstheorie
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2. Die dem Wirtschafilichkeitsprinzip folgende Entscheidungsorientierung der Betriebswirtschaftslehre a) Die dem Wirtschaftlichkeitsprinzip folgende Entscheidungsorientierung in der Betriebswirtschaftslehre betrachtet menschliches Handeln unter dem Blickwinkel, wie dieses Handeln „ökonomisch" gestaltet werden soll. Von der Wortentstehung her bezeichnet ökonomisches Handeln ursprünglich das vernünftige Gestalten aller mit dem Haus (griechisch: oikos) eines freien Bürgers zusammenhängenden Angelegenheiten: sowohl die Menschenfiihrung als auch die Erhaltung und Mehrung des Vermögens. Dieses Leitbild eines vernünftigen Gestaltens verbindet ursprünglich ethische Normen, (einfache) verhaltenswissenschaftliche Einsichten mit (ersten) entscheidungslogischen Überlegungen zum Einkommens- oder Vermögenserwerb in einer Organisation Betrieb bzw. Haushalt. Dieses ganzheitliche Leitbild eines vernünftigen Gestaltens könnte als „ökonomisches Prinzip" schlechthin bezeichnet werden, wären nicht natur-philosophische Denkmuster aus der Mechanik ab dem 18. Jahrhundert in die Wirtschaftswissenschaft übernommen worden3. Als deren Folge bürgerte sich nach und nach ein von jedem empirischen Sinn entleertes entscheidungslogisches Begriffsverständnis fur „ökonomisches Prinzip" ein. Das ökonomische Prinzip lautet seither in einer gängigen Formulierung: Erreiche mit gegebenen Mitteln ein Ziel in bestmöglicher Weise! Statt von einem ökonomischen Prinzip oder auch Wirtschaftlichkeitsprinzip wäre hierbei besser von einem auf Entscheidungslogik verkürzten Rationalprinzip zu sprechen. Entscheidungslogik heißt die Lehre, welchen logischen Anforderungen eine rationale, d.h. vorgegebenen Zielen bestmöglich entsprechende Handlung genügen sollte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird z.B. von einzelnen Wissenschaftlern verkündet: „Das ökonomische Princip ist ... das Vernunftprincip jeder menschlichen Handlung, jeder zweckbewussten Thätigkeit!'"*. Um dieses Rationalprinzip anzuwenden, werden Entscheidungsmodelle konstruiert als vereinfachte gedankliche Abbilder von Wahlproblemen, dies zu tun und jenes zu unterlassen. In einer Betriebswirtschaftslehre, die sich als entscheidungsorientiert im Sinne des Wirtschaftlichkeitsprinzips versteht, bildet die Entscheidungslogik die 3
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„Die größtmögliche Steigerung von Genüssen durch die größtmögliche Minderung von Ausgaben erlangen, das ist das ökonomische Verhalten in seiner Vollkommenheit" schreibt z.B. Francois Quesnay: ökonomische Schriften in zwei Bänden, hrsg. von M . Kuczynski. Band II, 1. Halbband, Berlin 1976, S. 246 (im Original hervorgehoben); zu diesem Abschnitt vgl. auch Dieter Schneider: Betriebswirtschaftslehre, Band 1: Grundlagen. München-Wien 1993, S. 206 f., 125-132. H. Dietzel: Der Ausgangspunkt der Socialwirthschaftslehre und ihr Grundbegriff. In: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, Bd. 39 (1883), S. 1-80, hier S. 29.
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
Klammer für alle Einzelprobleme, die untersucht werden sollen. Alles und jedes wird als rational zu treffende Entscheidung betrachtet: von der Entscheidung zum Vorausbedenken des Handelns (Planungsentscheidung) bis zur nachträglichen Prüfung, ob Entscheidungen und ihre Ausführung gut oder schlecht waren (Kontrollentscheidung). Dem Wirtschaftlichkeitsprinzip im Sinne entscheidungslogischer Rationalität folgte die Betriebswirtschaftslehre überwiegend bis in die siebziger und achtziger Jahre, manche Autoren vertreten diese Sichtweise noch heute. b) Mit dieser Sichtweise werden eine Fülle von Fragen ausgeklammert: (1) Ist das vorgegebene Ziel „vernünftig" in dem Sinne, daß es gegenüber anderen Menschen und dem eigenen Leben verantwortet werden kann? Entscheidungslogisch rational können auch Drogenbosse oder Berufskiller handeln. Die Frage nach der Vernünftigkeit im Sinne von verantwortbaren Zielen (die substantielle oder Wert-Rationalitäi) darf dann nicht ausgeklammert werden, wenn die Betriebswirtschaftslehre zu gesellschaftlichen Fragen Stellung beziehen will: für oder gegen Steuergesetze, Arbeits- oder Kapitalmarktrecht, Richtlinien der EU oder deren Agrar- und sonstige Subventionspolitik. (2) Sind die zum Erreichen eines Ziels einzusetzenden Mittel in Art und Höhe zu verantworten? Lautet das Ziel: einem Mitbewerber einen Auftrag wegzuschnappen, sind dann z.B. Gelder für Bestechungen bereitzustellen? Falls ja (wie in manchen Ländern praktisch erzwungen): In welcher Höhe? Dabei darf das Risiko, nach Aufdecken dieser Straftat ein Vielfaches zusätzlich zahlen zu müssen, nicht ausgeklammert werden. Hier wird wiederum nach einer inhaltlichen (substantiellen) Rationalität in bezug auf die einzusetzenden Mittel gefragt. (3) Sind die Handlungsmöglichkeiten vollständig erkannt, in ihren Folgen hinreichend durchdacht und im einzelnen zu verantworten? Um Verluste zu mindern, bietet sich z.B. leichthin an, Überholungsarbeiten an einem Flugzeug zu unterlassen, selbst auf die Gefahr hin, daß es abstürzt, Menschen sterben. Kommt es dazu, werden die Verluste nicht verringert, sondern das Ansehen der Unternehmungsleitung ist vernichtet. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip im Sinne entscheidungslogischer Rationalität sagt nichts darüber, wie Handlungsmöglichkeiten erdacht, welche ernsthaft erwogen, in ihren Folgen durch Einholen und Auswerten von Wissen untersucht und im Hinblick auf ethische Normen verantwortet werden können. (4) Sind vor der Wahl zwischen dieser oder jener Handlung Prognosen über die künftigen Zustände der Welt sorgfältig erarbeitet, Gegenmaßnahmen von Mitbewerbern, ausgebooteten Lieferanten, verärgerten Kunden und andere Fremdereignisse berücksichtigt worden? Das Vernachlässigen der Handlungsmöglichkeiten anderer mag eine zielentsprechend erscheinende eigene Hand-
Sichtweisen fiir eine betriebswirtschaftliche
Informations- und Entscheidungstheorie
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lung in ihr Gegenteil verkehren. Solche Probleme werden hier unter Informationstheorie erörtert. Sie bleiben in der dem Wirtschaftlichkeitsprinzip folgenden Entscheidungsorientierung der Betriebswirtschaftslehre (bis auf die Anwendung von Entscheidungslogik zur Informationsbeschaffung, S. 162-166) ausgeklammert. c) Für die Lehre vom zielbewußten Handeln haben einige Philosophen den Namen Praxeologie vorgeschlagen^. Der Stalinist und Nutzentheoretiker Slutsky baute ebenso darauf wie der Erzmarktwirtschaftler von Mises*. Praxeologie fuhrt in der Betriebswirtschaftslehre zu einer dem Wirtschaftlichkeitsprinzip folgenden Entscheidungsorientierung. Eine solche Lehre erscheint erzwungen, wenn Handlungsempfehlungen für einzelne Entscheidende (Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Käufer und Verkäufer) gesucht werden; denn der Ratsuchende will wissen, wie er sich seinen Zielen entsprechend, also entscheidungslogisch rational, verhalten soll. W e r Wirtschaftstheorie als anwendungsbezogene Entscheidungslogik versteht, wird Sprüche akzeptieren, wie „Wirtschaften ist Wählen" 7 . Um zielentsprechende Entscheidungen zu finden, ist „Wählen" bzw. „in Alternativen denken" unerläßlich. Nur wählt und denkt in Alternativen auch ein Chirurg vor einer schwierigen Operation, dachte ein Brahms bei der Instrumentation der Haydn-Variationen. Deshalb klärt Entscheidungslogik nur einen Teilaspekt für betriebswirtschaftliche Entscheidungen: Sie sagt zu den Problemen der Information nichts, also dem Sammeln und Auswerten empirischen Wissens über Ziele, Mittel, Handlungsmöglichkeiten und für Prognosen. Stattdessen beschränkt sich Entscheidungslogik auf den Gesichtspunkt der Optimumbestimmung, d.h. auf Regeln zur Auswahl der den Zielen am besten entsprechenden Handlungsalternative. Dieser Teilaspekt steht allerdings in der Entscheidungstheorie üblicherweise im Mittelpunkt der Lehre und Forschung. 5
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Vgl. A. Espinas: Les origines de la technologie. In: Revue Philosophique de la France et de l'fitranger, Bd. 30, 15. Jg. (1890), S. 1 1 3 - 1 3 5 , 2 9 5 - 3 1 4 , hier S. 115. Der polnische Logiker Kotarbinski greift dies vier Jahrzehnte später auf. Eine Abgrenzung seiner Praxeologie zu den Management- und Verhaltenswissenschaften versucht er später in Tadeusz Kotarbinski: Praxiological Sentences and How They Are Proved. In: Logic, Methodology and Philosophy of Science, hrsg. von E. Nagel, P. Suppes, A. Tverski. Stanford 1962, S. 211-223, hier S. 2 1 3 f., 219. Vgl. Eugen Slutsky: Ein Beitrag zur formal-praxeologischen Grundlegung der Oekonomik. In: Zapysky socijal' no ekonomicnogo viddilu. Bulletins de la classe des sciences sociales-economiques. Academie oucrainienne des sciences. Vol. 4 (1926), S. 238-249; Ludwig von Mises: Human Action. London u.a. 1949, S. 18; sinngleich schon ders.: Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus. 2. Aufl., Jena 1932, S. 90 f., bzw. ders.: Grundprobleme der Nationalökonomie. Jena 1933, S. 12 f. E. Schmalenbach:
Selbstkostenrechnung und Preispolitik. 6. Aufl., Leipzig 1934, S. 6.
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
Jedoch bleibt selbst fur die Suche nach Handlungsempfehlungen die Eingrenzung auf entscheidungslogische Rationalität fragwürdig; denn die Folgen menschlichen Handelns sind nicht eindeutig vorhersehbar. Ein jeder weiß, daß er oft erst im nachhinein klüger ist. Nur fur sehr vereinfachte Erscheinungsformen einer mangelnden Kenntnis der künftigen Entwicklung läßt sich bisher überhaupt definieren, welchen Anforderungen eine rationale Entscheidung genügen muß. Für die Wirklichkeit von Personal- und Investitionsentscheidungen ist „rational" nicht allgemein zu kennzeichnen. Die Grenzen entscheidungslogisch rationaler Wahlhandlungen herauszuarbeiten, ist eine der wichtigsten Aufgaben betriebswirtschaftlicher Entscheidungstheorie, viel bedeutsamer und „praxisnäher" als die Einübung von Rechentechniken zur Optimumbestimmung.
3. Die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungsorientierung der Betriebswirtschaftslehre im Vergleich zu der dem Wirtschaftlichkeitsprinzip folgenden Eine verhaltenswissenschaftliche Entscheidungsorientierung stellt Entscheidungslogik und ihre Optimierungsüberlegungen zurück. Sie fragt nicht: W i e sollten Menschen vernünftig handeln?, sondern: W i e kommen tatsächlich Wahlhandlungen einzelner Menschen oder Gruppen von Menschen zustande? Verhaltenswissenschaftliche Hypothesen, übernommen aus der Psychologie, Sozialpsychologie und Soziologie, bilden hier die Grundlage fur die Erklärung, wie jene Entscheidungen entstehen, die von der Betriebswirtschaftslehre untersucht werden sollen. Darüber hinaus sucht die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungsorientierung Menschenbilder und menschliche Verhaltensmuster für die Ableitung von Handlungsempfehlungen zu nutzen bis hin zu Bemühungen um ein kulturspezifisches Verstehen, z.B. warum bzw. inwieweit die Unternehmensfuhrung in japanischen Unternehmungen andere Wege beschreitet als in US-amerikanischen oder deutschen. a) Das Zustandekommen von Entscheidungen mit verhaltenswissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, wird zum einen bei der Mitarbeiterführung als Teilproblem der Organisation benutzt; zum anderen vor allem, um die Entscheidungen von Verbrauchern zu ergründen. Aus dieser Erkenntnis werden in der Absatzpolitik Beeinflussungsmöglichkeiten hergeleitet für die Käufe von Konsumenten. Ein einfaches verhaltenswissenschaftliches Entscheidungsmodell liefert das sog. SOR-Paradigma. (1) Das SOR-Paradigma wird hauptsächlich in der verhaltenswissenschaftlichen Konsumentenforschung benutzt. Dort werden schwergewichtig psychische Bestimmungsgründe für die Kaufentscheidung des einzelnen untersucht,
Sichtweisen fur eine betriebswirtschaftliche Informations- und Entscheidungstheorie
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soziologische Bestimmungsgründe weniger ausfuhrlich behandelt 8 . Ein Stimulus (z.B. eine Werbeanzeige) beeinflußt den menschlichen Organismus als „intervenierende Variable" (z.B. die innere Erregung, die dann eine Einstellung eines Käufers zu dem angepriesenen Waschmittel bewirkt) und fuhrt zu einer Reaktion (z.B. Kauf). Die verhaltenswissenschaftliche Konsumentenforschung beschäftigt sich dabei schwergewichtig mit den Abhängigkeiten zwischen dem von außen kommenden Anreiz (Stimulus) und dem menschlichen Organismus, also dem S O Bereich. Hierbei sind sowohl Wissensaufnahme und Wissensverarbeitung zu erkunden („kognitive Informationsverarbeitung") als auch eine „emotive Informationsaktivierung", die sich zunächst in der inneren Erregung (Aktivierung) durch den Anreiz und der wissensmäßigen Deutung der Erregung (Emotion) äußert. Hinzu treten zielgerichtete Handlungsanweisungen, woraus eine Motivation folgt. Zuzüglich einer wissensmäßigen Beurteilung des Produktes, das die Aufmerksamkeit des Verbrauchers erlangt hat, ergibt sich die „Einstellung" des Konsumenten zu diesem möglichen Kaufgegenstand. (2) Die Redeweise von einem SOR-Paradigma ist an gedanklicher Banalität kaum zu überbieten: Der Apfel, der angeblich Isaac Newton auf den K o p f fiel und ihn zu seiner Theorie der Schwerkraft inspirierte, wirkt ebenso als Stimulus wie der Tritt des Knaben gegen den Fußball, der durchs geschlossene Fenster der Mutter auf dem Kopf landet und bei der Mutter innere Erregung, Emotion und schließlich mehrere Reaktionen auslöst, von Ohrfeigen für den Sprößling bis hin zu einer Nachfrage beim Glasermeister. Welche Handlungen werden nicht durch Umweltbedingungen = Stimuli ausgelöst? Hunger wird auch einen notorischen Faulpelz zum Arbeiten, Stehlen oder Betteln veranlassen. (3) Ausschlaggebend bleibt die Frage, ob und inwieweit Wahlprobleme, die zum Untersuchungsgegenstand der Betriebswirtschaftslehre gezählt werden, das Auf- und Einarbeiten von Theorien aus den Verhaltenswissenschaften bedingen. Gehört z.B. das auf eine Werbeanzeige angewandte SOR-Paradigma zu einer Werbepsychologie oder zur Betriebswirtschaftslehre? Wer Betriebswirtschaftslehre als Lehre von der Anwendung des Wirtschaftlichkeitsprinzips oder (wie unter 4 . ) als auf den Einkommensaspekt bezogene Wissenschaft versteht, wird Werbepsychologie fur die Praxis der Werbung unerläßlich, aber zur Erklärung betriebswirtschaftlicher Sachverhalte fur wenig hilfreich halten. So nützen z.B. S O R und andere „Paradigmen" aus der Verhaltenswissenschaft kaum etwas zur Erklärung, wie unvollkommene, insbesondere asymmetrische Information das Bilden von Organisationen (wie Märkten, Unternehmungen) und deren Ordnungen (Marktverfassungen, Unternehmungsverfassungen) bedingen. 8
Vgl. den Kurzüberblick bei Peter Weinberg: Konsumentenforschung. In: MarketingZFP, Jg. 13 (1991), S. 186-190, hier S. 186, mit weiteren Quellen.
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
Selbst Werbewirkung läßt sich auch anders erklären (S. 176 f.). Des Paradigmas Fruchtbarkeit erweist sich vor allem darin, die Psyche der Käufer oder Mitarbeiter den Wünschen eines Umschmeichelnden gefügig zu machen. b) Die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungsorientierung wird mit unterschiedlichen Blickrichtungen vorgetragen. Sie kann, wie beim SOR-Paradigma, jenseits der Entscheidungslogik angesiedelt sein. Sie kann aber auch eine vermittelnde Stellung zwischen entscheidungslogischer und verhaltenswissenschaftlicher Analyse beziehen. Als vermittelnde Position zwischen der dem Wirtschaftlichkeitsprinzip folgenden und einer verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungsorientierung ist die Theorie der Anspruchsanpassung bzw. der beschränkten Rationalität einzuordnen: Hierin werden die Maximierungsannahme und die viel zu anspruchsvollen Informationsanforderungen der auf dem Wirtschaftlichkeitsprinzip beruhenden Entscheidungsorientierung kritisiert und abgewandelt. An die Stelle einer Zielvorschrift „Nutzenmaximierung" und ihrer Unterformen (Gewinnmaximierung, Kostenminimierung usw.) tritt dann die Behauptung: Der einzelne und erst recht Entscheidungsgruppen handeln unter beschränkter Rationalität aufgrund von Unsicherheit über die Zukunft und der Vielschichtigkeit (Komplexität) realer Wahlprobleme. (1) Beschränkte Rationalität wird dabei als zwar beabsichtigtes vernünftiges Handeln verstanden, das aber nur begrenzt vernünftig möglich ist9. Infolgedessen sei ein Entscheidender kein „maximizing", sondern ein „satisficing animal". Seine Auswahl der Handlungsmöglichkeiten hänge von einer Fülle von Handlungsmotiven ab, und bei jeder Entscheidung seien die Unbequemlichkeiten der Informationsbeschaffung und der Informationsauswertung zu beachten. Deshalb trete an die Stelle einer Nutzenmaximierung eine Anpassung des Anspruchs auf Rationalität an vorgegebene bzw. bequem erreichbare Informationen. Erst nach Erreichen oder Verfehlen eines vorab gesetzten, für befriedigend gehaltenen Anspruchs werde geprüft, ob fortan zusätzliche Anstrengungen zum Verwirklichen von mehr Rationalität wünschenswert erscheinen. (2) Diese Kennzeichnung „beschränkter Rationalität" bleibt unklar: Wer in seinem Entscheidungsmodell rational zu handeln beabsichtigt, handelt aus seiner Sicht immer vernünftig; unter dem Blick eines geschulten außenstehenden Beobachters jedoch durchweg beschränkt rational, weil er u. U. Mittel fehleinschätzen, nicht alle Handlungsmöglichkeiten und denkbaren künftigen Zustände der Welt beachten wird. Nur ein im Planungszeitpunkt Außenstehen9
Vgl. Herbert A. Simon: Administrative Behavior. 2. Aufl., New York-London 1965, S. XXIV; ders.: Theories of Decision-Making in Economics and Behavioral Science. In: The American Economic Review, Vol. 49 (1959), S. 253-283, hier S. 277; Richard M. Cyert, James G. March: A. Behavioral Theory of the Firm. Englewood Cliffs 1963.
Sichtweisen für eine betriebswirtschafiliche Informations- und Entscheidungstheorie
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der mit besserem Wissen vermag zu erkennen, was der Entscheidende übersieht. „Beschränkte Rationalität" bezeichnet also den Sachverhalt, daß ein außerhalb der beobachteten Welt Stehender in einem Zeitpunkt mehr Handlungsmöglichkeiten sieht, deren denkbare künftige Folgen vollständiger, deren Glaubwürdigkeit präziser zu beurteilen vermag als der Entscheidende selbst. Der Begriff beschränkte Rationalität bietet also nur einen anderen Namen ftir unvollkommene Information eines Entscheidenden 10 . (3) Daumenregeln, auf die in der Praxis insbesondere bei routinemäßigen Entscheidungen häufig zurückgegriffen wird, lassen sich mit Behauptungen zu einer Anspruchsanpassung oft plausibel machen. Jedoch wird kaum eine Erklärung für die Begründung der Daumenregeln selbst und für die Grenzen ihrer Anwendbarkeit geboten. Nicht untersucht wird insbesondere, wann es die Umstände gebieten, Daumenregeln an andere wirtschaftliche Sachverhalte, wie veränderte Preise, anderes Preisniveau, Zins- und Steuersätze, anzupassen 1 1 . Die Theorie der Anspruchsanpassung rivalisiert als Forschungsprogramm mit der dem Wirtschaftlichkeitsprinzip folgenden Entscheidungsorientierung 12 . c) Beim Vergleich zwischen der dem Wirtschaftlichkeitsprinzip folgenden und einer verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungsorientierung liegt folgende Einordnung in Schubladen nahe: Eine präskriptive Entscheidungstheorie will vernünftige Handlungsempfehlungen ableiten; für sie sei anwendungsbezogene Entscheidungslogik zu lehren. Eine deskriptive Entscheidungstheorie möchte das tatsächliche Handeln erklären; fur sie sei auf verhaltenswissenschaftliche Einsichten zurückzugreifen. Doch ein solches Schubladendenken übervereinfacht. Zumindest für eine präskriptive Entscheidungstheorie ist auch auf Einsichten aus der deskriptiven, verhaltenswissenschaftlichen, zurückzugreifen13. 10 Vgl. dazu auch Ekkehart Schlicht: Rationality, Bounded or not, and Institutional Analysis. In: Journal of Institutional and Theoretical Economics, Vol. 146 (1990), S. 703719, hier S. 710 f. 11 Vgl. William J. Baumol, Maco Stewart: On the Behavioral Theory of the Firm. In: The Corporate Economy, hrsg. von R. Marris, A. Wood. London u.a. 1971, S. 118-143, hierS. 119. 12 Vgl. Spiro J. Latsis: Situational Determinism in Economics. In: The British Journal for the Philosophy of Science, Vol. 23 (1972), S. 207-245, hier S. 233 f.; demgegenüber versucht Edmund Heinen: Zum Wissenschaftsprogramm der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre. In: ZfB, Jg. 39 (1969), S. 207-220, hier S. 208-210, den grundlegenden Unterschied zu überdecken, um sein Verständnis einer auf Simon u.a. aufbauenden Entscheidungsorientierung als herrschend erscheinen zu lassen. 13 Vgl. Franz Eisenftihr, Martin Weber: Rationales Entscheiden. 2. Aufl., Berlin u.a. 1994, S. 2 f., und Kapitel 15.
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
(1) Genau besehen, lassen sich beide Sichtweisen, sowohl die auf dem Wirtschaftlichkeitsprinzip beruhende als auch die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungsorientierung, jeweils auf die beiden Wissenschaftsziele anwenden: auf die Suche nach Erklärungen fur beobachtetes Verhalten (erklärende Theorie, auch deskriptive oder positive Theorie genannt) und die Suche nach wissenschaftlich gestützten Handlungsempfehlungen (gestaltende Theorie, auch präskriptive oder „normative" Theorie geheißen). Für das dritte Wissenschaftsziel: theoretische Begriffe, die in Modellen verwendet werden, durch Messungen in strukturgleiche zahlenmäßige Abbilder zu übersetzen (metrisierende Theorie), ist zumindest auch entscheidungslogische Rationalität erforderlich. In metrisierenden Theorien sind Übersetzungsaufgaben zu lösen; denn die strukturgleichen Abbilder theoretischer Begriffe dürfen nur Begriffe für beobachtbare Sachverhalte verwenden, soll eine empirische Prüfung von Modellergebnissen möglich werden. Davon handelt Kapitel II a). (2) Die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungsorientierung will nicht nur die Handlungen von Menschen erklären, sondern sie benutzt die dabei gewonnenen Hypothesen in der Vorschau (Prognose), wie andere Menschen reagieren, die vom eigenen Handeln betroffen werden. Eine solche Prognose, z.B. der Anpassungsentscheidungen von Konsumenten an eigene Werbehandlungen, dient dazu, die eigenen Werbemaßnahmen zielentsprechend (also auch unter Berücksichtigung von Entscheidungslogik) zu gestalten. (3) Menschen handeln keineswegs immer entscheidungslogisch vernünftig. Trotz strenger Rationalitätsannahmen und Wissensanforderungen wird Entscheidungslogik dennoch nicht hinfällig für die Erklärung, wie Entscheidungen tatsächlich Zustandekommen. Soll eine auf den ersten Blick merkwürdige, überraschende Handlung eines einzelnen erklärt werden, möge eine spontane Antwort lauten: Der Entscheidende handelte dumm, oder er irrte sich. Aber mit dem Hinweis auf die Dummheit oder einen vermeintlichen Irrtum des anderen lernt man nichts, sondern verzichtet auf ein wichtiges Erkenntnismittel. Das Erkenntnismittel besteht darin zu fragen: Gesetzt den Fall, der Entscheidende handelte doch vernünftig, weshalb kam er zu diesem überraschenden Ergebnis? Wie sah sein Entscheidungsmodell aus? Mit einer solchen Frage wird geprüft, ob es nicht Erklärungen gibt, die ein auf den ersten Blick seltsames Verhalten bei bestimmten Annahmen über Ziele, Mittel, Handlungsmöglichkeiten, Erwartungen über die Zukunft als vernünftig (zielentsprechend) erscheinen lassen. Bei der Suche nach einem solchen Entscheidungsmodell ist zu trennen zwischen dem Wissen des Entscheidenden selbst darüber, was seine Wahl beeinflußt, und dem Wissen über die objektive Situation, unter der die Entscheidung getroffen wird, so wie sie ein gut geschulter Außenstehender beurteilen
Sichtweisen fiir eine betriebswirtschaftliche Informations- und Entscheidungstheorie
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würde. Für Segler im antiken Griechenland war ein Opfer an Poseidon ein rationales Mittel ihrer Navigation; für den heutigen Beurteiler ist dies „objektiv" nicht zu rechtfertigen, sondern unvernünftig. Wenn die Rationalität einer Entscheidung an dem subjektiven Wissensstand des Entscheidenden angebunden wird, läßt sich nur selten von einer unvernünftigen Entscheidung sprechen, weil regelmäßig nicht nachzuprüfen ist, was der Entscheidende im Entscheidungszeitpunkt wußte, wie er dachte. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, in erklärenden Theorien bei der Annahme „Gesetzt den Fall, es wurde vernünftig gehandelt," von dem Wissensstand eines außenstehenden, gut geschulten Beobachters auszugehen, der „objektive Situationselemente" kennt. Bei dieser Vorgehensweise heißt eine Entscheidung nur dann vernünftig, wenn sie „objektiv situationsgerecht" ist1'*. Dieses Vorgehen wird als Situationslogik bzw. als Anwendung eines situationslogischen Rationalprinzips bezeichnet. Situationslogik dient als Brücke zwischen Entscheidung und Handlung und ist keine Aussage über die Wirklichkeit. Sie kann deshalb auch nicht für das Versagen einer Theorie vor der Wirklichkeit verantwortlich gemacht werden1^. Situationslogik stellt vielmehr eine durch eine bestimmte Art des Forschens bedingte (= methodologische) Vorentscheidung dar. Mit ihr sollen, zumindest für einen ersten Schritt der Forschung, psychische Einflüsse (einschließlich des begrenzten Wissensstandes des Entscheidenden) aus einer Erklärung menschlichen Handelns ausgeschaltet werden. Beim situationslogischen Rationalprinzip handelt es sich somit um eine Vereinfachung, die vieles vernachlässigt, was praktisch für die Unternehmenspolitik wichtig wird, z.B. den Einfluß von verführerischen Werbefotos auf die Bedürfnisse bzw. „Präferenzen" eines Nachfragers oder das Gewicht, das Verhandlungstaktiken (Schmeicheleien, Beschwören vermeintlicher Gefahren bis hin zu Drohungen) auf einen Vertragsabschluß nehmen können. Aber ohne 14
Karl R. Popper: Die Logik der Sozialwissenschaften. In: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, hrsg. von T.W. Adorno u.a. 9. Aufl., Darmstadt-Neuwied 1981, S. 103-123, hier S. 120 (im Original teilweise hervorgehoben). Zum Poseidon-Beispiel vgl. Vilfredo Pareto: Traitd de sociologie gin^rale. Lausanne-Paris 1917 (Nachdruck Genf 1968), § 150. 15 Vgl. K. R. Popper:The Open Society and its Enemies. Vol. II, 1. Aufl., London 1945, 5. Aufl., Princeton 1966, S. 97. Später weicht er die objektiven Situationselemente auf zu: Situation umfasse alle relevanten Ziele und das verfügbare Wissen, besonders das über die Mittel, um die Ziele zu verwirklichen (KarlPopper: La rationality et le Statut du principe de rationality. In: Les fondements philosophiques des systfemes dconomiques, hrsg. von E.M. Ciaassen. Paris 1967, S. 142-150, hier S. 144). Vgl. zur Kritik Spiro J. Latsis: The Role and Status of the Rationality Principle in the Social Sciences. In: Epistemology, Methodology, and the Social Sciences, hrsg. von R.S. Cohen, M.W. Wartofsky. Dordrecht u.a. 1983, S. 123-151, bes. S. 131-142.
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Informationen und Entscheidungen als
Untersuchungsgegenstand
heroische Vereinfachungen kann man keine Forschungen darüber beginnen, wie beobachtbare Handlungen durch einzelne Umweltgegebenheiten bedingt werden. Man darf nur nicht Erklärungen, gewonnen unter der methodologischen Vorentscheidung des situationslogischen Rationalprinzips, auf Handlungsempfehlungen fur die Praxis übertragen, ohne die Einschränkungen zu beachten, unter der die Erklärung gewonnen wurde. Ein Einwand gegen das situationslogische Rationalprinzip, der dessen Anwendungsbereich erheblich einschränkt, lautet: Gerade die wichtigsten Einrichtungen, mit denen Menschen ihre Ziele angesichts unvollkommener, insbesondere asymmetrischer Information verwirklichen wollen, sind nicht situationslogisch über ein Entscheidungsmodell erklärbar. Dies gilt insbesondere für die Institutionen Markt- und Geldwesen16. Der Begriff Institution wird hier als Gattungsname für Ordnungen (Regelsysteme) und Organisationen (Handlungssysteme) verstanden. Der Unterschied zwischen Regelsystemen und Handlungssystemen ist folgender: Regelsysteme erläutern, was zu tun sei; sie existieren jenseits handelnder Personen, die solche Regeln befolgen können oder auch gegen sie verstoßen. Zu den Regelsystemen zählen zum einen Ordnungen fur die Gedanken und Äußerungen des einzelnen: Sprache, Logik, Mathematik und für die Entscheidungstheorie besonders bedeutsam: Entscheidungslogik. Zum anderen gehören zu den Ordnungen Regeln fiir das Leben von Menschen miteinander, insbesondere also alles, was zur Wirtschaftsordnung und ihrer Umsetzung in Gesetze, Rechtsprechung usw. zählt. Handlungssysteme setzen handelnde Personen als Mitglieder voraus, z.B. die Mitarbeiter in einer Unternehmung oder Behörde. Jede solche Organisation läßt sich als eine durch Regelsysteme geordnete Abfolge von Handlungen begreifen. Als Handlungssystem (Organisation) zählt auch eine Börse oder ein Wochenmarkt. Manche dieser Institutionen sind zwar aufgrund eines rational geplanten menschlichen Entwurfs entstanden. Jedoch in anderen Fällen haben unbeabsichtigte Folgen verwirklichter menschlicher Handlungen ein Lernen aus Erfahrungen bewirkt und Regelsysteme sowie Handlungssysteme entstehen lassen. Dabei bleibt offen, ob die einzelnen menschlichen Handlungen überlegt (vernünftig) oder impulsiv bzw. improvisierend erfolgten. Erklärungen mit Hilfe von Situationslogik sind zwar fur viele Institutionen nur von begrenztem Erkenntniswert. Dies darf aber nicht dazu verfuhren, auf diesen Weg zur Einsicht in die Wahlhandlungen anderer zu verzichten.
16 Vgl. näher Schneider:
Grundlagen (S. 5 3 ), S. 94-108.
Sichtweisen fur eine betriebswirtschaftliche Informations- und Entscheidungstheorie
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4. Informations- und Entscheidungstheorie in einer Betriebswirtschaftslehre unter dem Leitbild einer Verringerung von Einkommensunsicherheiten a) Institutionen bezwecken bessere Vorhersehbarkeit der Folgen eines Handelns, also Verbesserung unvollkommener Information, Verringerung von Unsicherheiten. Die Einzelwissenschaft Betriebswirtschaftslehre kann sich als eine der Wissenschaften vom menschlichen Verhalten in Gesellschaften (als eine der Sozialwissenschaften) nicht mit dem gesellschaftlichen Handeln in jeder Hinsicht (psychischer, physischer, ethischer, religiöser, rechtlicher usw.) beschäftigen, sondern beschränkt sich zweckmäßigerweise auf einen Aspekt, der bei menschlichem Handeln auftreten kann (nicht muß). Für die Einzelwissenschaft der Betriebswirtschaftslehre sei hier die Eigenschaft von Institutionen, menschliches Handeln besser voraussehbar zu machen, auf einen Aspekt menschlichen Handelns eingeschränkt: den Einkommensaspekt. Der Begriff „Einkommensaspekt" dient als Kürzel für den Tatbestand, daß einzelne Menschen ihr T u n und Unterlassen neben anderem darauf ausrichten, Einkommen zu erzielen, zu verwenden und die dabei auftretenden Unsicherheiten über die Zukunft in den Griff zu bekommen: durch Sammeln von Wissen und Lernen aus Erfahrungen, durch Vorausbedenken ihrer Handlungen, durch Vorsorgemaßnahmen und vor allem durch das Einbinden menschlichen Zusammenlebens in Institutionen. b) Den Untersuchungsbereich der Betriebswirtschaftslehre durch den Blickwinkel des Einkommensaspekts einzugrenzen und daraufhin die Betriebswirtschaftslehre als Einzelwirtschaftstheorie der Institutionen zu bezeichnen, erklärt sich so: Eine erste Gruppe betriebswirtschaftlicher Forscher beschränkt ihren Untersuchungsbereich auf den Erwerb von Einkommen; dabei untersuchen sie vor allem die Einkommens- bzw. Gewinnerzielung in Betrieben bzw. Unternehmungen (im umgangssprachlichen Sinne der Gewerbebetriebe, freien Berufe, Land- und Forstwirtschaft). Meistens wird hier von einem „erwerbswirtschaftlichen Prinzip" gesprochen. Andere Forscher erweitern den Untersuchungsbereich auf Erwerb und Verwendung von Einkommen. Das Erfahrungsobjekt ihres Forschens erstreckt sich dann auf Betriebe und Haushalte im umgangssprachlichen Sinne. Bei beiden Kennzeichnungen des Untersuchungsbereichs der Betriebswirtschaftslehre werden die Erfahrungstatbestände der Unsicherheit und des ungleich verteilten Wissens unter den Menschen nicht ausdrücklich genannt. Da aber unvollkommene Information und ihr Unterfall der asymmetrisch verteilten Information sowohl das praktische Handeln ausschlaggebend bestimmen als auch inzwischen in den Mittelpunkt der heutigen Forschung gerückt sind, empfiehlt es sich, den Untersuchungsbereich der Betriebswirtschaftslehre als
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
Erwerb und Verwendung von Einkommen unter Unsicherheit und ungleich verteiltem Wissen zu kennzeichnen. Das Handeln einzelner Menschen in Märkten, Unternehmungen und weiteren Organisationen (wie Parlamenten, Verbänden) sowie die Regeln fur das Handeln des einzelnen und das möglichst konfliktarme Zusammenleben mit anderen bilden den Ausgangstatbestand der Forschung, das „Erfahrungsobjekt". Das „Erkenntnisobjekt" bestimmt sich so: Gefragt wird nach Begründungen (Erklärungen) dafür, ob und wann dieses
Handeln zu voraussichtlich geringeren Abweichungen zwischen beabsichtigter Zielerreichung durch Erwerb und Verwendung von Einkommen und später tatsächlich erreichter fährt. Die Betriebswirtschaftslehre im hier verstandenen Sinne erforscht also Institutionen in Form von Ordnungen (Regelsystemen) und Institutionen in Form von Organisationen (Handlungssystemen) daraufhin, ob bzw. wie sie in der Lage sind, (1) Menschen jenes Einkommen erreichen zu lassen, das sie erwerben wollen, (2) das zu verwirklichen, was sie mit der Verwendung des Einkommens bezwecken, und (3) inwieweit Institutionen dazu beitragen, die Abweichung zwischen der in einem Planungszeitpunkt beabsichtigten Zielverwirklichung durch Erwerb und Verwendung von Einkommen und der später tatsächlich erreichten zu verringern. Als sprachliches Kürzel für diese Aufgaben wird der Name Verringerung von Einkommensunsicherheiten gewählt. Verringerung von Einkommensunsicherheiten ist als Problemlösungsidee zu verstehen: als Leitbild des Forschens fur die Bildung betriebswirtschaftlicher Theorien. Eine so verstandene Betriebswirtschaftslehre lehrt zunächst, wie Einkommensunsicherheiten und ihre Minderungen durch Regelsysteme und Handlungssysteme erklärt werden können. Dabei ist die Aufgabe zu lösen, wie Einkommensunsicherheiten gemessen werden können (zu diesem Teilproblem metrisierender Theorie vgl. S. 115-121). Nachdem Erklärungen und Messungen gefunden sind, lassen sich wissenschaftlich gestützte Handlungsempfehlungen als Ergebnisse gestaltender (präskriptiver) Theorie erarbeiten. c) Die Sichtweise, Regelsysteme und Handlungssysteme daraufhin zu untersuchen, ob bzw. wie Einkommensunsicherheiten verringert werden, verschließt nicht die Augen vor dem Tatbestand, daß vorrangig die Handlungen vieler Menschen durch andere Zwecke bestimmt werden: im Industriebetrieb eine technische Idee zu verwirklichen, im Modesalon Schick der Schickeria zu bieten, im Krankenhaus Gebrechen zu heilen. Aber eine einzelne Wissenschaft, wie die Betriebswirtschaftslehre, wäre überfordert, wollte sie zugleich technische Neuerungen, medizinische Probleme und alles andere erforschen und leh-
Sichtweisen fur eine betriebswirtschaftliche Informations- und Entscheidungstheorie
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ren, was Menschen bewegt und was sie in von ihnen betriebenen Einrichtungen tun wollen und können. Deshalb beschränkt sich die Betriebswirtschaftslehre im hier verstandenen Sinne auf eine beobachtbare Folge menschlichen Handelns und einen Zweck neben anderen, den Menschen erreichen wollen: Erwerb und Verwendung von Einkommen unter Unsicherheit und Ungleichverteilung des Wissens. Mißverstanden würde die Kennzeichnung des Untersuchungsbereichs der Betriebswirtschaftslehre durch das Forschungsleitbild „Verringerung von Einkommensunsicherheiten", wenn darin nur eine anwendungsbezogene entscheidungslogische Wahlhandlung gesehen wird, etwa in folgendem Sinne: Einzelne Handlungsmöglichkeiten bieten mehr Einkommen bei mehr Unsicherheit darüber, ob dieser Fall eintritt (z.B. Aktienspekulationen), andere weniger Einkommen bei weniger Unsicherheit (z.B. Kauf von Bundesanleihen). Eine erste entscheidungslogische Sicht könnte hier „Verringerung von Einkommensunsicherheiten" in folgender Weise fehlauslegen: Wähle Handlungsmöglichkeiten mit möglichst wenig Unsicherheit beim Einkommenserwerb! Eine solche Deutung wäre absurd: Betriebswirtschaftslehre ist keine anwendungsbezogene Entscheidungslogik fiir Angsthasen. Eine zweite entscheidungslogische Sicht könnte lauten: Wähle solche Handlungen, bei denen eine Austauschbeziehung (Nutzenfunktion) aus Einkommen und Unsicherheit maximiert wird. Eine solche Deutung ist deshalb zur Kennzeichnung des Untersuchungsbereichs der Betriebswirtschaftslehre unbrauchbar, weil es nur unter sehr engen entscheidungslogischen Voraussetzungen Sinn gibt, Einkommen und Unsicherheit (bzw. vereinfacht: Rendite gegen Risiko) als gegenseitig austauschbare Zielgrößen in einer Nutzenfunktion anzusehen, wie Kapitel II b) und c) lehren werden. Betriebswirtschaftslehre unter dem Forschungsleitbild „Verringerung von Einkommensunsicherheiten" ist mehr als anwendungsbezogene Entscheidungslogik. Sie beschäftigt sich auch mit Handlungen in Organisationen oder durch einzelne Menschen, fiir die keine entscheidungslogisch rationale Auswahl unter Unsicherheit benannt werden kann, weil der Informationsstand hierfür zu gering ist. Wenn ein Unternehmer, um eine Spekulation zu verwirklichen, einen Mitarbeiter dadurch gewinnt, daß er diesem im voraus einen festen Lohn für seine Mitarbeit in der gemeinsamen Spekulation „Unternehmung" zahlt, so läßt sich die so entstehende Unternehmung als Institution zur Verringerung von Einkommensunsicherheiten erklären: Dem Mitarbeiter ist fur eine bestimmte Zeit die Einkommensunsicherheit abgenommen, der Unternehmer setzt sich zunächst durch die Zahlung eines festen Gehalts gegenüber dem Unterlassen dieser Spekulation im voraus zusätzlichen Ursachen fiir Unsicherheit aus (das Geld ist weg, die zu erbringende Arbeitsleistung und ihre Verwertung sind un-
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
gewiß). Aber daraus folgt keineswegs, daß die Einkommensunsicherheit des Unternehmers höher geworden ist; denn er mag Gründe dafür nennen können, daß er durch die spekulative Unternehmung mögliche Abweichungen zwischen beabsichtigtem und später erreichtem Einkommenserwerb fiir geringer erachtet als bei Verzicht auf diese Spekulation (Beispiel S. 67 f.). d) Unter dem Leitbild einer Verringerung von Einkommensunsicherheiten kommen einer Informations- und Entscheidungstheorie vor allem als Aufgaben zu: (1) Wissen zur Information über Ziele und Handlungsmöglichkeiten ist darzustellen (S. 52-68). Größerer Ausführlichkeit bedürfen die Regeln zur vernünftigen Vorausschau (Prognose) und Auswahl von Handlungen (Entscheidung). Dazu sind Einsichten zur Anwendung von Entscheidungslogik zu benutzen (S. 69-140). Deren Modelle sind danach auszuwählen, ob die darin vorausgesetzten Informationen vorhanden sind. (2) Vorhandenes Wissen ist auszuwerten, um aus Erfahrungen zu lernen, ehe durch Planung zweckbewußtes Handeln festgelegt wird (dazu z.B. S. 144 f.). (3) In das Bündel zweckbewußten Handelns sind Vorsorgemaßnahmen aufzunehmen, durch die einzelnen unerwünschten Folgen aus nachträglichen Überraschungen begegnet werden kann: Planung von Anpassungsfähigkeit (S. 39). (4) Regeln (Ordnungen) für das Handeln von Menschen untereinander sind anderen Personen vorzuschlagen und in einer Gemeinschaft durchzusetzen, um das Feld unerwünschter künftiger Zustände der Welt zu verkleinern. Daneben ist zu prüfen, inwieweit Handlungen und Folgehandlungen von Menschen in Organisationen einzubinden sind. Das Errichten von Ordnungen und Organisationen wird unter dem Begriff Institutionenbildung zusammengefaßt. Darauf wird S. 65-68, S. 141-162 und ab S. 199 eingegangen. (5) Ziele und Handlungsmöglichkeiten sind auf das beim eigenen Können „Machbare" zu beschränken. Als Unterfall hierzu kann die Spezialisierung auf wenige Tätigkeiten bezeichnet werden (S. 137). Hierbei herrschen zwar einzelne Unsicherheitsursachen vor, die aber durch Wissensvorsprünge auf diesem Gebiet gegenüber Mitbewerbern in ihren Folgen eingegrenzt werden können1 ^. 17
Die Spezialisierung wird neben der Verbesserung des Wissensstandes unter den Möglichkeiten zum Umgang mit echter (nicht versicherbarer) Unsicherheit hervorgehoben von Frank H. Knight: Risk, Uncertainty and Profit. New York-London 1921, 2. Aufl., Chicago 1971, S. 233-263. Seine weiteren Vorschläge: Investitionsmischung und Risikoteilung verringern nur unter engen Voraussetzungen den Spielraum, innerhalb dessen eine beabsichtigte Zielerreichung von der später verwirklichten abweichen kann, vgl. S. 121-140.
Entscheidungen innerhalb eines Regelsystems zur Planung
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b) Entscheidungen innerhalb eines Regelsystems zur Planung 1. Entscheidungstheorie und Planungsmodelle a) Entscheidungen als bewußte Akte des Denkens sind ein Schritt innerhalb der Planung. Planung heißt Vorausbedenken des Handelns. Nach welchen Schritten endet das Vorausbedenken? Gelegentlich gilt im Schrifttum Planung bereits mit der Vorbereitung einer Entscheidung als beendet, also ohne eine Auswahl unter den möglichen Handlungen zu treffen. Mehrfach wird Planung so verstanden, daß sie mit dem Denkakt der Entscheidung abgeschlossen wird. Eine auf Handlungsempfehlungen gerichtete „gestaltende" Theorie kann Planung mit dem Ergebnis einer Entscheidung als beendet ansehen. Eine Theorie, die beobachtbare Handlungen und die ihnen vorangehenden Überlegungen erklären will, wäre nicht gut beraten, die Planungsstufen mit der Entscheidung zu beenden; denn zwischen der Entscheidung, etwas zu tun oder es zu lassen, und der beobachtbaren Handlung klafft eine Lücke. Der Planende kann bei der Umsetzung der Entscheidung in Handlungen erkennen, daß sie nicht durchführbar ist, oder er mag einen Fehler begehen, z.B.: Er will eine Apfelsine essen, schält sie, schweift mit seinen Gedanken ab, wirft die Apfelsine in den Müll und beißt in die Schale 18 . Die Lücke zwischen Entscheidung und Handlung eines Menschen hat ein Forscher zu schließen, der beurteilen will, ob eine Handlung vernünftig war oder nicht. Die Einzelheiten des Wissens und des Entscheidungsprozesses eines Menschen kennt er durchweg nicht. Da nur Handlungen zu beobachten sind, viele Einflußgrößen eines Entscheidungsprozesses von Menschen bei Befragungen verborgen werden, empfiehlt es sich, für Erklärungen menschlichen Handelns den Begriff der Planung nicht mit der Entscheidung zu beenden, sondern unter Einschluß der Handlung, d.h. des zu beobachtenden Verhaltens, zu definieren. Deshalb wird im folgenden Planung als rweckbewußtes Handeln verstanden 19 . b) Was kennzeichnet eine Theorie, die menschliches Verhalten (Handeln) erklären will? Eine erklärende Theorie läßt sich als Verknüpfung folgender vier Merkmale erläutern 20 : 18 Eine solche „Willensschwäche" wird neben unbedachtem und nachlässigem Denken unter eine „correspondence irrationality" im Unterschied zur „reflection irrationality" im Planungsprozeß selbst gezählt, vgl. Amartya Sen: Rationality and Uncertainty. In: Theory and Decision, Vol. 18 (1985), S. 109-127, hier S. I l l f. 19 Vgl. Lionel Robbins: Economic Planning and International Order. London 1937, S. 4. 20 Vgl. Schneider: Grundlagen (S. 5 3 ), S. 158-165.
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
(1) Die Problemstellung besteht aus Fragen, die sich beim Nachdenken über Erfahrungen (hier: beobachtete Handlungen) stellen. Hinzutreten muß eine Lösungsidee, wie die Fragen beantwortet werden sollen. (2) Der Strukturkern formt die Problemstellung zu einem vereinfachten Abbild aus, das zu einer gedanklichen Problemlösung fuhren soll. In der Wirtschaftswissenschaft wird ein solches Abbild als Modell bezeichnet. Modelle sind Problemlösungsversuche, ausdrückbar in Worten, Symbolen und ihren Verknüpfungen. Ein Modell besteht aus Begriffserläuterungen und logischen Folgerungen, die zu einem Modellergebnis als Teilantwort auf die Frage in der Problemstellung führen. (3) Musterbeispiele beschreiben einzelne Erfahrungssachverhalte, die eine wissenschaftliche Gemeinschaft als geeignete Übersetzung eines Modellergebnisses in Begriffe für beobachtbare Sachverhalte anerkennt. (4) Hypothesen heißen hier modellgestützte Verallgemeinerungen der Musterbeispiele, so daß eine allgemeine empirische Gesetzmäßigkeit behauptet wird, d.h. die Existenz weiterer, noch nicht aufgefundener Musterbeispiele. Eine für betriebswirtschaftliche Probleme nützliche Theorie menschlichen Verhaltens enthält im Strukturkern und damit in Modellergebnissen „theoretische" Begriffe: umgangssprachliche Bezeichnungen werden in einem modelleigenen Sinn verwendet, neue Namen oder Symbole für (erdachte) Sachverhalte werden eingeführt. Wenn aus einem Modellergebnis ein Schluß auf das in der Erfahrungswelt zu lösende Problem gezogen werden soll, dann ist die „Modellsprache" zu übersetzen in eine Sprache, in der wissenschaftliche Beobachtungen und praktische Sachverhalte mitgeteilt werden. Dieses Übersetzungsproblem betrifft die Anwendungsvoraussetzungen für Modelle. In diesem Buch gilt, bezogen auf Modelle aus der Entscheidungstheorie: Die Informationstheorie handelt von den Übersetzungsproblemen und damit von den Anwendungsvoraussetzungen fur Modelle aus der Entscheidungstheorie. c) Planungsmodelle heißen vereinfachte gedankliche Abbilder, um entweder eine vernünftig begründete Vorschau (Prognose) oder darüber hinaus eine vernünftige Auswahl von Handlungen (Entscheidung) zu finden. Planungsmodelle
lassen sich also in Prognosemodelle
und Entscheidungsmodelle
unterteilen. Pla-
nungsrechnungen sind Anwendungen von Planungsmodellen, deren Bestimmungsgrößen sich quantifizieren lassen. Sie erscheinen entweder als Prognoseoder Entscheidungsrechnungen. Das Ergebnis eines Prognosemodells ist eine vernünftig begründete Vorschau über die Zielerreichung bei ausgewählten Annahmen über Handlungen heute und Erwartungen über Umweltgegebenheiten in Zukunft. Das Ergebnis eines Entscheidungsmodells ist eine vernünftig begründete Wahl aus bzw. zwischen den erwogenen Handlungen auf der Grundlage erarbeiteter Prognosen.
Entscheidungen innerhalb eines Regelsystems zur Planung
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Nachdem gemeinhin nicht die verständliche Wiedergabe in Worten, sondern die abkürzende Symbolschreibweise ein Wissenschaftlichkeit erheischendes Einbildungserlebnis schafft, werden Entscheidungsmodelle meist in „mathematischer" Form vorgestellt. Übersehen wird dabei häufig, daß erst die Übersetzung von der Modellsprache in eine Sprache, in der Informationen (Wissen über empirische Sachverhalte und wissenschaftliche Beobachtungen) mitgeteilt werden, einen Schluß darüber zulassen, wie ein Wahlproblem in der Realität zu lösen ist. d) Entscheidungen darüber, was zu tun oder zu lassen sei, treffen Menschen für sich selbst, in Gruppen miteinander fur die Gruppe oder für andere, die dann fremdbestimmt werden. (1) Einzelentscheidungen beziehen sich auf das Handeln des Entscheidenden für sich selbst. Mit den Entscheidungen des einzelnen Menschen als bewußte Denkakte befaßt sich dieses Buches überwiegend. (2) Entscheidungen in einer Gruppe von Menschen fallen dann, wenn diese Menschen gemeinsam handeln wollen oder aufgrund von Rechtsetzungen, ethischen Normen, gemeinsam zu handeln verpflichtet sind. Gruppenentscheidungen bauen auf Entscheidungen einzelner auf, oft auch nur auf den Überlegungen einzelner, bevor sie zu einer Entscheidung gelangt sind. Den Gruppenentscheidungen gehen im Regelfall Vorgespräche, Beratungen voraus, durch die der Informationsstand der Beteiligten verändert wird. Deshalb werden Gruppenentscheidungen als ein Abschnitt im dritten Kapitel untersucht. Gruppenentscheidungen fallen durch Beschlüsse eines Entscheidungsgremiums. Bei solchen Gruppenentscheidungen werden einzelne Mitglieder des Entscheidungsgremiums (a) ihren Willen durchsetzen: Ihre Einzelentscheidung wird zur Gruppenentscheidung, oder (b) ihren persönlichen Willen entweder in einer Beratung erst bilden oder ihren Willen abwandeln, um durch Veränderung ihrer Vorschläge, Nachgeben in einzelnen Punkten, eine Mehrheit fur eine Entscheidung zu sichern, die ihren persönlichen Wünschen (hätten sie allein entscheiden können) mehr entspricht als ein Ausscheiden aus der Entscheidungsgruppe, oder (c) ihre persönlichen Entscheidungen nicht verwirklichen können, z.B. weil sie bei einer Abstimmung unterliegen. Dann werden sie entweder aus der Entscheidungsgruppe (z.B. einem Kegelklub) abwandern oder in Opposition verbleiben, weil ein Ausscheiden ihnen noch mehr Nachteile zu bringen droht. (3) Entscheidungen eines einzelnen oder einer Entscheidungsgruppe für andere Menschen legen fest, was die Nicht-Mitentscheidenden und die Entscheidenden zu tun oder zu unterlassen haben. Soweit bei einer Gruppenentscheidung die Mehrheit das Handeln der Minderheit erzwingt (Diktatur der
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Informationen
und Entscheidungen als
Untersuchungsgegenstand
Mehrheit21), liegt eine Fremdbestimmung ihres Handelns vor. Fremdbestimmung des Handelns ist erst recht gegeben, wenn jene Personen, die nicht mitentscheiden, zu einem Tun oder Unterlassen verpflichtet werden: durch Anordnungen religiöser oder weltlicher Herrscher, aber auch durch gesetzlich oder vertraglich Beauftragte, wie die Eltern fur ihre unmündigen Kinder, die Leitung einer Kapitalgesellschaft für die Geldgeber oder Arbeitnehmer. Solche fremdbestimmenden Entscheidungen sind Voraussetzung für eine Unterordnung unter eine Obrigkeit: Kennzeichen einer Hierarchie, in der einzelne Personen auf Anweisung anderer zu handeln haben. Fremdbestimmende Entscheidungen sind nicht mit Anweisungen Vorgesetzter an Untergebene gleichzusetzen. Wenn Bundestag und Bundesrat ein Steueränderungsgesetz beschließen, treffen sie eine fremdbestimmende Entscheidung. Folgen Steuerpflichtige dieser Entscheidung, dann unterwerfen sie sich ohne ausdrückliche Anweisung Vorgesetzter den auf sie zukommenden Zahlungsverpflichtungen und den zusätzlichen Arbeitsbelastungen beim Erstellen der Steuererklärungen. Erst von der Finanzverwaltung entdeckte Versuche, die Steuerpflicht zu umgehen, veranlassen hier Anweisungen und setzen Hierarchie in Form der Staatsgewalt in Gang, dann regelmäßig verbunden mit Strafandrohungen. Fremdbestimmende Entscheidungen (jenseits einer Diktatur der Mehrheit unter Gleichberechtigten) bleiben hier ausgeklammert. Die Entscheidungen Vorgesetzter für Nicht-Mitentscheidende betreffen Art und Umfang von Anordnungsrechten gegenüber Menschen. Dieses Problem der Entscheidungsfindung und ihrer Durchsetzung in einer Hierarchie wird nach einer gängigen Aufgabenteilung innerhalb der Betriebswirtschaftslehre in der Organisationstheorie behandelt. Hierbei ist Organisation nicht wie S. 14 als Handlungssystem zu verstehen, sondern wird auf die Verwirklichung einer vorgegebenen Ordnung durch Anordnungsrechte bezogen, also auf Probleme einer Koordination (Planabstimmung und Planerarbeitung) in einer Hierarchie. 2. Entscheidungen
als
Planungsstufe
Eine gedankliche Ordnung zur Erklärung zweckbewußten Handelns in einem Planungsmodell verlangt das Durchschreiten folgender sieben Planungsstufen: a) Die Zielbildung umfaßt das Bemühen, von Wünschen (Bedürfnissen, Neigungen) auf das zu schließen, was man bei einem einzelnen Wahlproblem erreichen will, z.B. ein verhältnismäßig sicheres Mindesteinkommen. Zu den 21
Vgl. John Stuart Mill: On Liberty. London 1859. Neudruck New York 1956; deutsche Übersetzung: Über die Freiheit. Zürich 1945, S. 124 f.
Entscheidungen innerhalb eines Regelsystems zur Planung
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Zielen gehört auch die psychische Einstellung gegenüber ungewissen Folgen (Unsicherheiten) beim T u n oder Unterlassen: die Risikoneigung. W e r nicht weiß, was er will, also keine oder nur unklare Vorstellungen über seine Ziele hat, kann schon aus logischen Gründen (aufgrund der gewählten Sprachregelung: vernünftig = zielentsprechend) nicht vernünftig entscheiden. b) Die Mittel sind zu bestimmen, die vorhanden sind oder beschafft werden können und ftir das beabsichtigte Handeln eingesetzt werden sollen. Die M i t tel sind Dienste (eigene oder fremde Arbeitsleistungen), Sachen oder Verfügungsrechte (von anderen akzeptierte Ansprüche auf künftige Dienste, Sachen oder weitere Verfügungsrechte, wie Geld oder Kreditzusagen). Dienste, Sachen u n d Verfügungsrechte sind durchgängig miteinander verknüpft. W i e sie durch eigene Arbeiten zu gestalten und wann sie einzusetzen sind, das bestimmen neben den Zielen die vom Planenden erkannten Handlungsmöglichkeiten. c) Handlungsmöglichkeiten bezeichnen das denkbare T u n oder Unterlassen. Sie sind aus dem Handeln anderer zu lernen oder „findig" selbst zu erschließen, um als Innovationen andere Menschen, insbesondere Mitbewerber, zu überraschen. W e r zwar seine Ziele kennt, aber nicht weiß, was er zu deren Verwirklichung tun kann, hat keine Wahl. Wer nicht wählen kann, braucht nicht zu entscheiden. Entscheiden setzt voraus, daß mindestens zwei Handlungsmöglichkeiten gegeben sind, z.B. etwas zu tun oder dies zu unterlassen. d) Zukunftslagen sind zu erarbeiten, um die Folgen dieser oder jener Handlung zu erkennen. Zukunftslagen heißen jene künftigen Zustände der Welt, für die bedacht wird, welchen Beitrag eine jede Handlungsmöglichkeit zum Erreichen eines jeden einzelnen Zieles bringen wird und welche Mittel hierbei beansprucht werden. (1) Von einer einzigen Zukunftslage sprechen wir dann, wenn ein Entscheidender — für jede Handlungsmöglichkeit — in jedem künftigen Handlungszeitpunkt bis zum Ende seines derzeitigen Planungszeitraums — nur einen einzigen künftigen Zustand der Welt (als Bündel angenommener Umweltgegebenheiten) betrachtet, und — er hierfür den Beitrag ermittelt, den jede Handlungsmöglichkeit zum Erreichen seiner Ziele leistet und von seinen Mitteln erfordert. (2) Die einzelnen Zukunftslagen schließen sich gegenseitig aus, weil jeder einzelnen nur ein künftiger Zustand der W e l t zugrunde liegt, allerdings betrachtet bis zum Ende des Planungszeitraums. Jeder der alternativen Zukunfts-
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
lagen ist ein Urteil über die Glaubwürdigkeit fiir ihr Eintreffen als künftiger Istzustand beizulegen. (3) Ziele, Mittel, Handlungsmöglichkeiten und Zukunftslagen können, ausgehend von einem Planungszeitpunkt, nur für einen begrenzten Kalenderzeitraum, den Planungszeitraum, vorausbedacht werden: bis zu einem zeitnahen oder zeitfernen Planungshorizont. Der Planungshorizont des einzelnen Menschen (sein „Gesichtsfeld" 22 ) müßte eigentlich bis zu seinem Lebensende reichen. In Unternehmungen, die nicht für einen begrenzten Zeitraum geplant sind (z.B. im Regelfall Kapitalgesellschaften), könnte der Planungshorizont bis zum Tag des Jüngsten Gerichts reichen. Das Lebensende des einzelnen ist normalerweise nicht bekannt, der Zeitpunkt des Jüngsten Gerichts erst recht nicht. Praktisch muß deshalb ein kürzerer Planungszeitraum gewählt werden. Uber die Länge des Planungszeitraums läßt sich nur sagen, daß er zumindest durch drei Einflußgrößen bestimmt wird: (a) Aus dem Zeitraum, fiir den der Planende Ziele erreichen will, folgt eine Obergrenze des Planungszeitraums: Der Planungszeitraum für die nächste Urlaubsreise ist regelmäßig kürzer als der für die Arbeitszeit bis zum Ruhestand oder vorzeitigem Lebensende, und er ist gemeinhin eindeutig bestimmbar. (b) Einzelne Handlungsmöglichkeiten legen eine Untergrenze des Planungszeitraums fest: Die Aufnahme eines Kredits mit zwei Jahren Laufzeit erlaubt, für sich allein betrachtet, einen kürzeren Planungszeitraum als die eines Schuldscheindarlehens mit zehnjähriger Laufzeit. (c) Praktisch bestimmt sich die Länge des Planungszeitraums nach den Möglichkeiten, Wissen über Ziele, Mittel, Handlungsmöglichkeiten und Zukunftslagen zu erlangen. Da diese Informationsmöglichkeiten sehr begrenzt sind, bleibt die Entscheidung über den Planungszeitraum weitgehend subjektiv. Dem persönlichen Ermessen ist insbesondere anheimgestellt, wie weit jemand zielentsprechend unter Auswertung vorhandenen oder beschaffbaren Wissens handeln möchte. (4) Während eines Planungszeitraums wird neues Wissen zugehen. Dies gibt Anlaß, eine Vorausschau zu ändern, noch nicht in Handlungen umgesetzte Entscheidungen fallen zu lassen, abzuwandeln oder im ursprünglichen Planungszeitpunkt Verworfenes erneut zu erwägen. Oft wird hier von überlappender oder rollender Planung gesprochen23. (5) Um nicht fortwährend mit Planungstätigkeiten wieder von vorn zu beginnen, empfiehlt es sich, jeden Planungszeitraum in Mindestplanperioden zu 22 ]. Tinbergen: Ein Problem der Dynamik. In: Zeitschrift für Nationalökonomie, Bd. 3 (1932), S. 169-184, hierS. 171. 23 Erstmals erörtert wohl bei Philipp Ritter von Escherich: Lehrbuch des allgemeinen und des Staats-Rechnungswesens. Bd.l, 1. Abtheilung: Lehre, Wien 1851, S. 81-83.
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unterteilen. Die Mindestplanperiode ist dadurch gekennzeichnet, daß sie zeitlich nicht mehr unterteilt wird. Die Mindestplanperiode sei Abrechnungsperiode genannt. In der Investitions- und Finanzplanung beginnt und endet jede Abrechnungsperiode mit jeweils einem Zahlungszeitpunkt. Dabei wird regelmäßig die Wirklichkeit vereinfacht, z.B. werden (außerhalb der Kassendisposition) alle Zahlungen eines Monats, Quartals, Jahres, in einem Zeitpunkt gedanklich zusammengefaßt. Die Abrechnungsperiode ist zugleich der kürzestmögli-
che Zeitraum, jur den im nachhinein Einkommen berechnet wird. (6) Bei einperiodiger Planung fallen Planungszeitraum und Abrechnungsperiode zusammen. Davon gehen einperiodige Planungsmodelle aus: statische Prognose· oder Entscheidungsmodelle. Eine mehrperiodige Planung umfaßt mindestens zwei Abrechnungsperioden oder endlich viele. So wird eine Finanzplanung mehrperiodig, wenn sie drei oder mehr Zahlungszeitpunkte umfaßt. Wenn dabei die drei oder mehr Zahlungen voneinander abhängen, spricht man von einem dynamischen Prognose- oder Entscheidungsmodell. Ein Planungshorizont im Unendlichen ist ökonomischer Unsinn. Er läßt sich nur aus Gründen mathematischer Bequemlichkeit rechtfertigen bei Modellen mit Zahlenfolgen, die einem Grenzwert zustreben. So berechnet man z.B. im einfachsten Modell den Gesamtwert einer Unternehmung W als Gegenwartswert einer unendlichen Rente aus jährlich gleich hoch angenommenen Einnahmenüberschüssen Ζ (z.B. jährlich 1 Mio. DM zum Ende jeder Abrechnungsperiode) mittels Division durch einen Zinssatz für die jährliche Geldüberlassung i (z.B. 5%) als W = Ζ : i, also im Beispiel 1 Mio. D M : 0,05 = 200 Mio. DM. e) Die fünfte Planungsstufe besteht im Erarbeiten von Handlungsalternativen aus den Handlungsmöglichkeiten und dem gesamten, für die Wahl unter den Alternativen einzusetzenden Mittelbestand. Von Alternativen zu sprechen, setzt ein entweder/oder, ein gegenseitiges Sich-Ausschließen der Handlungsmöglichkeiten, voraus. Damit die Notwendigkeit einer Wahl zwischen Handlungsmöglichkeiten eintritt, muß der Fall ausgeklammert werden, daß die Handlungsmöglichkeiten nebeneinander verwirklicht werden können. Ein Zwang, sich zu entscheiden, besteht bei jeder einzelnen Handlungsmöglichkeit darin, sie auszuführen oder sie zu unterlassen. Bei mehreren Handlungsmöglichkeiten sind einzelne Handlungsmöglichkeiten zu sich gegenseitig ausschließenden Handlungsprogrammen zusammenzufassen: zu Handlungsalternativen. Handlungsalternativen sind so aufzubauen, daß in jedem Handlungsprogramm jeweils der gleiche Mittelvorrat eingeplant wird. Dies ist notwendig, damit die Zielerreichung bei den Alternativen (z.B. Gewinnhöhe, Ausmaß an Unsicherheit) verglichen werden kann. Das Einplanen des gesamten Mittelvorrats heißt jedoch nicht, daß z.B. alles verfügbare Geld im Planungszeitraum
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
ausgegeben wird; denn Kassenhaltung oder Liquiditätsvorsorge durch Einholen von Kreditzusagen zählen auch zum „Mitteleinsatz" während des Planungszeitraums. Lassen sich die Beiträge zu den Zielen bei den einzelnen Handlungsmöglichkeiten in quantitativen Begriffen (z.B. in Geldbeträgen) abbilden, dann kann das Aufstellen alternativer Handlungsprogramme über Prognoserechnungen durchgeführt werden. Prognoserechnungen kombinieren einzelne Handlungsmöglichkeiten und Mitteleinsätze zunächst fur jeweils eine Zukunftslage. Die so entstehenden Handlungsprogramme für jeweils eine Zukunftslage sind dann für alle alternativen Zukunftslagen zusammenzufassen. Dabei ist zu versuchen, Handlungsalternativen fiir jeden Handlungszeitpunkt während des Planungszeitraums bei jeder Zukunftslage vorauszuplanen, und hierbei das Ausmaß zu bestimmen, in dem Ziele erreicht werden können. Dieses Bemühen um eine sog. „flexible Planung" wird allerdings durch unvollkommene Informationen eng begrenzt (S. 39). f) Eine Entscheidungsregel ist aufzustellen und zu befolgen, um durch Vergleich der Handlungsalternativen zu einer Entscheidung zu kommen, dies zu tun und jenes zu unterlassen. Eine Entscheidungsregel definiert, was bei vorgegebenen Zielen, Handlungsmöglichkeiten, Mitteln, Zukunftslagen nach Erarbeiten von Handlungsalternativen als vernünftige Auswahl gilt. (1) Die Entscheidungsregel bei nur einem Ziel und der Betrachtung nur einer Zukunftslage ist elementar: Es wird die Handlungsalternative gewählt, die dem Ziel am besten entspricht. Bei quantitativen Zielbeiträgen ist dies jene, die in einer Entscheidungsrechnung das Maximum (z.B. des Gewinns) oder bei anderer Zielformulierung das Minimum (z.B. der Kosten) bezeichnet. Das zu wählende Handlungsprogramm ist durch das Ergebnis einer solchen Entscheidungsrechnung allerdings nur dann festgelegt, wenn alle Einflüsse, welche die Zielerreichung mitbestimmen, beim Mitteleinsatz, den Handlungsmöglichkeiten und den Zukunftslagen in quantitativen Zielbeiträgen gemessen werden können. Ist das nicht möglich, dann bieten Entscheidungsrechnungen über alternative Handlungsprogramme noch keine optimale Entscheidung an, sondern nur eine begrenzte Entscheidungshilfe. Die Entscheidungshilfe besteht darin, daß für jene Teilmenge der Einflußgrößen, die sich quantifizieren lassen, ein quantitatives Ergebnis durch die Planungsrechnung benannt wird. Dadurch erleichtert sich die Wahl, weil nurmehr im Vergleich des Ergebnisses der Entscheidungsrechnung mit den nicht zu quantifizierenden Einflüssen die Auswahl der Handlung getroffen werden muß. (2) Entscheidungsregeln, die über das Ergebnis einer Planungsrechnung hinausgehen, bedarf es in zwei Fällen:
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(a) Es besteht mehr als eine Zielgröße, z.B. Gewinn und Marktanteil. Wenn die Einflußgrößen für das Erreichen beider Ziele bei allen Handlungsalternativen quantifiziert werden können (wie bei Gewinn und Marktanteil), so ist die Wahl dann einfach, wenn ein und dieselbe Alternative bei beiden Zielen (oder allgemeiner: bei allen Zielen und allen Zukunftslagen) an erster Stelle steht. Man spricht von einer dominanten Handlungsalternative (zu diesem Dominanzprinzip vgl. S. 97-99). In allen anderen Fällen hat die Entscheidungsregel festzulegen, wie zu wählen ist, wenn eine Alternative bei einem Ziel, eine andere Alternative bei einem zweiten Ziel besser ist (vgl. S. 97). (b) Unabhängig von der Anzahl der Zielgrößen lassen sich nicht alle Einflußgrößen quantifizieren. Dies trifft für praktisch alle Entscheidungen zu, weil sie unter Unsicherheit fallen. Der Begriff der Unsicherheit benennt eine Einsicht in die Begrenztheit von Planungen: Zwar wird sich in irgendeinem künftigen, in Planungen beachteten Zeitpunkt nur eine einzige Zukunftslage verwirklichen, aber beim Wissensstand in einem Planungszeitpunkt stellt dieser künftige Istzustand entweder nur eine von mehreren denkbaren Zukunftslagen dar oder wird gar in der Planung übersehen bzw. konnte nicht gewußt werden. Den Begriff Unsicherheit beziehen wir nur auf mangelnde Kenntnis darüber, welche der Zukunftslagen eintreten wird. Da der Inhalt der Zukunftslagen von den vorhandenen Mitteln abhängt, ist mangelndes oder fehlerhaftes Wissen über die eigenen Mittel unter dem Begriff Unsicherheit eingeschlossen. Außerhalb des hier verwandten Begriffs von Unsicherheit steht der Fall, daß jemand nicht weiß, was er will, und eigene Handlungsmöglichkeiten übersieht: also Wissenslücken über das eigene Wollen und Können. Der Begriff Risiko wird in der Umgangssprache oft mit Unsicherheit gleichgesetzt. Dem wird hier nicht gefolgt. Risiko wird auch nicht im engen Sinne einer Verlustgefahr oder für „versicherbare" Erscheinungsformen von Unsicherheit verwendet. Vielmehr wird Risiko (einem Sprachgebrauch in der Entscheidungstheorie folgend) als Kürzel für ein Maß idealisierter Unsicherheit verwendet: die Streuung um einen Erwartungswert einer Zielgröße, meist: der Rendite (näher S. 122 f.). Sonst wird Risiko nur in Verbindungen (wie Risikoabneigung, risikoärmer) und in dem umgangssprachlichen Sinne benutzt, daß nicht alles beherrscht wird, was das Erreichen eigener Absichten sicherstellt. (3) Nicht zu quantifizierende Einflußgrößen bei den Zielen, Mitteln, Handlungsmöglichkeiten und Zukunftslagen sind die Regel bei allen wichtigen Wahlproblemen. So spielen beim Einstellen oder Entlassen von Mitarbeitern menschliche Rücksichten, gefühlsmäßige Zu- oder Abneigungen eine Rolle. Bei Geldanlagen zwingt eine Vorsorge gegenüber nicht in der Planung berücksichtigten Entwicklungen (denkbaren nachträglichen Überraschungen) zum Halten eines Kassenbestandes bzw. Liquiditätspolsters, also von Bankgut-
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
haben oder anderen rasch in Geld umwandelbaren Vermögensanlagen. Ein vorhandenes Liquiditätspolster läßt sich quantitativ messen. Jedoch bildet das Ziel einer Liquiditätsvorsorge eine nicht zu quantifizierende Einflußgröße. Ursache dafür ist, daß die Höhe des Liquiditätspolsters gegen nachträgliche Überraschungen schützen soll. Diese sind wegen des begrenzten Wissens im Planungszeitpunkt nicht planbar oder werden wegen geringer Glaubwürdigkeit bzw. eines als zu hoch empfundenen Planungsaufwands nicht im einzelnen durchgeplant. Die Notwendigkeit, ein Liquiditätspolster zu halten, relativiert Aussagen über optimale Investitions- und Finanzierungsprogramme, wie sie Entscheidungsrechnungen ausweisen. Der Finanzierungsspielraum, über den disponiert wird, kann nicht zielentsprechend („optimal") vorgegeben werden, wenn fur künftige Überraschungen vorgesorgt werden soll, die im Planungszeitpunkt nicht planbar sind oder nicht geplant werden. (4) Da selten alle Einflußgrößen quantifiziert werden können, wäre es verfehlt, Entscheidungen, die vom Ergebnis einer Entscheidungsrechnung abweichen, als unvernünftig zu bezeichnen. Durch nicht quantifizierbare Sachverhalte mitbestimmte Entscheidungen sind weder immer unvernünftig (irrational) noch immer durch Rangordnungsaussagen oder Argumente vernünftig zu begründen. Entscheidungen, die weder eindeutig als vernünftig noch unvernünftig einzustufen sind, heißen a-rational. g) Der Entscheidung schließt sich als siebente Planungsstufe ein den Zielen entsprechendes, also zweckbewußtes Handeln an, wenn Erklärungen für beobachtbares Handeln gesucht werden. Für beobachtetes Handeln wird dann unterstellt, es sei zweckbewußt erfolgt, um situationslogisch zu untersuchen, welcher Inhalt einem Entscheidungsmodell zugrunde gelegen haben könnte, das dem Handeln vorausging (S. 12 f.). h) Die sieben Planungsstufen ordnen gedanklich das Vorgehen, um vernünftig zu handeln. Sie kennzeichnen Planung des einzelnen als Regelsystem. Die Planungsstufen dürfen jedoch nicht als zwingende zeitliche Abfolge von Planungstätigkeiten mißverstanden werden. Oft wird es z.B. beim Erarbeiten von Handlungsalternativen nötig, über ergänzende Handlungsmöglichkeiten nachzudenken. Das kann erforderlich machen, zusätzliche Zukunftslagen zu beachten oder Ziele und Mittel abzuwandeln. Nachdenken in jeder Planungsstufe wird regelmäßig zur Folge haben, daß frühere Entscheidungen zu korrigieren sind, soweit sie noch nicht durchgeführt sind. Zu ändern sind aber auch die Ergebnisse in den Planungsstufen, die ein einzelner bei einem anstehenden Wahlproblem durchschritten hat. Bei Neuzugang an Wissen kann darüber hinaus die Aufgabe entstehen, das bislang gewählte Entscheidungsmodell in
Entscheidungen innerhalb eines Regelsystems zur Planung
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Frage zu stellen und somit den Grad der Planbarkeit eines Wahlproblems zu überdenken. Die Entscheidungstheorie im Sinne dieses Buches untersucht nicht alle Planungsstufen: Die Bestimmung der Mittel, die vorhanden sind, würde z.B. eine Darstellung der Rechnungslegung (des Jahresabschlusses, der steuerlichen Gewinn- und Vermögensermittlung) verlangen. Die Verbindung von Mitteleinsatz und Handlungsmöglichkeiten beim Erarbeiten von Handlungsalternativen erfordert eine Erörterung der Techniken zur Investitions- und Finanzplanung, Produktions- und Absatzplanung und des internen Rechnungswesens. Entscheidungstheorie beschränkt sich hier auf die Bestimmung von Zukunftslagen und der Glaubwürdigkeit ihres Eintretens sowie auf das Herausarbeiten von Entscheidungsregeln und der Wege, damit Einkommensunsicherheit zu verringern.
3. Grade an Planbarkeit und Optimalität von
Entscheidungen
a) U m Prognosemodelle und Entscheidungsmodelle anzuwenden, ist ein M i n destwissen erforderlich. Dieses Mindestwissen erstreckt sich auf ein „theoretisches" Merkmal und auf „empirische" Sachverhalte. Methodologisch genauer ausgedrückt, gehören die empirischen Sachverhalte einer „Objektsprache" darüber an, was von der zu erklärenden oder zu gestaltenden Wirklichkeit wiedergegeben wird. Das „theoretische" Merkmal ist Bestandteil einer „Metasprache", die neben der Objektsprache Aussagen enthält über die Art und Weise, wie über objektsprachliche Sachverhalte geredet wird. (1) Das theoretische Merkmal betrifft die sprachlich exakte Problembeschreibung. Eine inexakte Problembeschreibung wäre gegeben, wenn Begriffe und ihre Verknüpfungen nicht eindeutig sind. Zum einen weisen dabei manche Begriffe ausdrückliche Freiheitsgrade auf, z.B. wäre eine Zielgröße „handelsrechtlicher Gewinn" durch eine Reihe von Ansatz- und Bewertungswahlrechten gekennzeichnet. Zum anderen kann ein Begriff sachliche Unklarheiten enthalten, wie z.B. ein unerläuterter Name „Information" (dazu S. 43 ff.). Bei inexakter Problembeschreibung liegt keine mangelnde Kenntnis über Erfahrungssachverhalte vor, sondern es äußert sich mangelndes Können darüber, wie über empirische Sachverhalte geredet, wie sie begrifflich eingeordnet, aufeinander bezogen oder gemessen werden sollen. Inexakte Problembeschreibungen zu beseitigen, ist eine erste Aufgabe einer jeden Theorienbildung. Diese Aufgabe verlangt Begriffsklärungen, damit beim Leser nicht falsche Vorstellungen darüber geweckt werden, was eine Theorie behandeln kann und will. (2) Die vier empirischen Sachverhalte beziehen sich auf das Mindestwissen, das die Planungsstufen vor dem zweckbewußten Handeln erfordern: Kennt-
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
nisse über Ziele, Mittel, Handlungsmöglichkeiten, Zukunftslagen, erarbeiteten Handlungsalternativen und über eine Entscheidungsregel. Planbarkeit in den Augen eines Entscheidenden ist gegeben, wenn er glaubt, das Mindestwissen für die Anwendung eines Planungsmodells sei vorhanden. Das subjektive Bewußtsein eines Entscheidenden, das eigene Handeln vorausbedenken und zweckbewußt handeln zu können, ist dabei zu trennen von dem Wissen über die objektive Situation, unter der eine Entscheidung getroffen wird, so wie ein geschulter Außenstehender, der den Wissensstand des Planenden über Ziele, Mittel, Handlungsmöglichkeiten und Zukunftslagen kennt, daraufhin Entscheidungslogik anwenden würde. Der geschulte Außenstehende wird entscheidungslogische Fehler des Handelnden vermeiden. Planbarkeit wird im weiteren in diesem „situationslogischen " Sinne verstanden: aus der Sicht eines geschulten außenstehenden Beobachters (S. 12 f.). U m Grade für die Planbarkeit zweckbewußten Handelns offenzulegen, spalten wir den Begriff Unsicherheit danach auf, ob der künftige Istzustand in der geplanten Menge an Zukunftslagen als Element enthalten ist (Planung unter angenommener Planungssicherheit oder unter Ungewißheit) oder ob der künftige Istzustand möglicherweise nicht als Zukunftslage eingeplant wurde (Planung unter der Gefahr nachträglicher Überraschungen: unter Beachtung von Informationsrisiken). Zwar wird in einem künftigen Zeitpunkt bei der verwirklichten Handlungsalternative nur eine einzige Zukunftslage eintreten, aber beim Wissensstand in einem Planungszeitpunkt kann dieser künftige Istzustand in der Planung berücksichtigt oder übersehen worden sein. Aus didaktischen Gründen sei mit dem Grenzfall einer angenommenen Planungssicherheit begonnen; alle drei Grade der Planbarkeit werden am Beispiel einer Geldanlage (Investition) erläutert. b) Bei vorläufig angenommener Planungssicherheit wird (jeweils) nur eine einzige Zukunftslage betrachtet. So mag ein Entscheidender für jede Handlungsmöglichkeit nur eine einzige künftige Entwicklung beachten, ein „Entscheidungsmodell unter Sicherheit" anwenden und das Ergebnis seines Entscheidungsmodells als zweckbewußtes Handeln verstehen. Der geschulte Außenstehende wird hingegen eine solche Planbarkeit unter Sicherheit als verfehlt ansehen, solange nicht weitere denkbare bzw. glaubwürdige Entwicklungen in ihren Folgen untersucht sind. Planung unter angenommener Planungssicherheit wird situationslogisch nur als erster Schritt verstanden: Einer von vielen denkbaren künftigen Zuständen der Welt wird in seinen Folgen fiir die Zielerreichung bei den einzelnen Handlungsalternativen untersucht. Dabei werden andere denkbare künftige Zustände der Welt zunächst zurückgestellt und erst in weiteren Schritten in ihren Folgen erkundet. Der Leser beachte, daß „angenommene Planungssi-
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Entscheidungen innerhalb eines Regelsystems zur Planung
cherheit" nur eine didaktische Hilfe ist und deshalb als sinnvoller (nicht in logische Widersprüche führender) Begriff nur sprachlich, aber nicht in der Sache im Gegensatz zu dem Erfahrungstatbestand der Unsicherheit steht. (1) Ein einfaches Beispiel24 einer Geldanlage erläutert eine Planung unter vorläufig angenommener Sicherheit des Wissens: Der Planungszeitraum erstrekke sich über drei Zahlungszeitpunkte, z.B. Iq: 2. Januar des ersten Jahres, tj: 2. Januar des zweiten Jahres, t2: 2. Januar des dritten Jahres. Geplant werde zu Neujahr des ersten Jahres. Am ersten Werktag nach der Planung, also in ty, erfolge entweder der Kauf von Aktien oder von zweijährigen, sog. „unverzinslichen" Anleihen, z.B. Schatzanweisungen des Staates. Planen wir den Erwerb dieser Zerobonds zuerst. Bei deren Kauf soll in tg eine Ausgabe von 85 DM entstehen, im Rückzahlungszeitpunkt t 2 eine Einnahme von 100 DM. Wenn als Ziel ein möglichst hohes Endvermögen in t 2 gewählt wird, besteht die erste Niederschrift für die Alternative „Kauf von Zerobonds" als Teil eines Planungsmodells in folgenden Zahlungen: £
2
«0 Schatzanweisungen
-85
0
+ 100
Dieser Zahlungsstrom, abgebildet durch die Zahlungen in jedem Zahlungszeitpunkt, gibt bei der Zielsetzung Vermögensstreben eine einzige Zukunftslage wieder. Könnte für alle Handlungsalternativen ein entsprechender vollständiger Finanzplan erstellt werden, ließe sich das zweckbewußte Handeln unmittelbar ablesen: Da der anfängliche Geldeinsatz fiir alle Handlungsprogramme gleich ist und dem verfugbaren Finanzierungsbetrag entspricht, in allen Zahlungszeitpunkten vor dem Planungshorizont der Zahlungssaldo (als Folge zusätzlicher Geldanlagen oder Geldaufnahmen) null gleicht, ist der optimale Finanzplan durch den höchsten Geldbetrag zum Planungshorizont gekennzeichnet. Leider wirft die Suche nach einem optimalen Finanzplan im praktischen Fall kaum lösbare Schwierigkeiten a u f 2 5 , und zwar aus vier Gründen: (a) Es wären sämtliche Investitions- und Finanzierungsmöglichkeiten vom Planungszeitpunkt heute bis zum Ende des Handlungszeitraumes des Unternehmers zu erfassen und zielentsprechend zu kombinieren. Das bedeutet: Bei personenbezogenen Unternehmen wäre z.B. über zwanzig und dreißig Jahre detailliert zu planen, bei Unternehmungen als Kapitalgesellschaften in der Regel sogar auf „unbegrenzte" Zeit. 24 Aus Bequemlichkeit wird das Beispiel abgewandelt übernommen aus Dieter Schneider: Investition, Finanzierung und Besteuerung. 7. Aufl., Wiesbaden 1992, S. 36 f. 25 Vgl. näher Dieter Schneider: Betriebswirtschaftslehre, Band 2: Rechnungswesen. München-Wien 1994, S. 332-338.
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(b) Gegenwärtige und künftige Entscheidungen bedingen sich teilweise gegenseitig. Welche Preispolitik in drei Jahren verfolgt werden kann, hängt auch von den Anlagen ab, auf denen in drei Jahren produziert wird und über deren Investition heute entschieden werden soll. Andererseits nehmen die in drei Jahren erzielbaren Einnahmen Einfluß auf die Auswahl der Investitionsobjekte heute. Diese gegenseitige Abhängigkeit ( I n t e r d e p e n d e n t ) wirft zahlreiche ungelöste Fragen auf. Ein vollständiger Finanzplan müßte alle Unternehmungsentscheidungen über Investition, Finanzierung, Beschaffung, Produktion, Absatz usw. gemeinsam in Zahlungen abzubilden erlauben, und zwar für den Zeitraum bis zum Lebensende der Unternehmung. Die Suche nach dem optimalen Finanzplan ist schon bei angenommener Planungssicherheit ein Kombinationsproblem, das einen kaum zu bewältigenden Arbeitsaufwand erzeugt. (c) Die Unsicherheit der Zukunft macht eine ins einzelne gehende, alles umfassende „simultane" Planung unmöglich: Sie schränkt zugleich den Planungszeitraum auf eine Zeitspanne ein, die im Regelfall erheblich kürzer ist als der gewünschte Handlungszeitraum eines Unternehmers. (d) Jede Änderung im empirischen Wissen („Datenänderung") erfordert eine finanzwirtschaftliche Umdisposition. Ein fünfjähriger Finanzplan wäre damit tagtäglich neu aufzustellen, um die richtige Entscheidung zu finden. Wegen des zu erwartenden täglichen Neuzugangs an Wissen drohen aber alle Festlegungen über einen Tag hinweg falsch zu werden. Aus den vier Gründen folgt: Es ist unmöglich, eine „tatsächlich optimale" Entscheidung zu t r e f f e n . Das Optimum optimorum ist für den allgemeinen Fall der Bedingungen (a) bis (d) nicht zu bestimmen. Formal ist die Lösung klar. Es sind die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Maximum der Zielfunktion zu nennen. Aber damit ist ökonomisch das Problem nicht gelöst; denn die Informationen sind nicht verfugbar, um alle Einflußgrößen aus (a) bis (d) in eine Zielfunktion unter Nebenbedingungen aufzunehmen. Die Aufgabe betriebswirtschaftlicher Theorie ist es deshalb, nach sinnvollen Vereinfachungen zu suchen. Das Dilemma besteht darin, daß mit jeder Vereinfachung die Gefahr einer Fehlentscheidung wächst. (2) Die Schwierigkeiten, einen vollständigen Finanzplan aufzustellen, finden sich in Lehrbüchern selten erörtert. Entscheidungsmodelle unter angenommener Planungssicherheit werden bei finanziellen Zielen (wie hohes Endvermögen am Ende oder hohes Einkommen während des Planungszeitraums) mit Hilfe vereinfachender Annahmen in folgender Weise aufgebaut. Zu maximieren ist eine Zielgröße, die meist den Namen „Nutzen" erhält. Die Höhe des Nutzens wird bestimmt durch die Nutzenbeiträge einzelner Handlungsmöglichkeiten, wobei Nutzenmehrungen (z.B. Einnahmen, Erlöse) und Nutzenminderungen (z.B. Ausgaben, Kosten) bei jeder Handlungsmöglichkeit zu bestimmen und dann zu saldieren sind. Die Maximierung der Ziel-
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Entscheidungen innerhalb eines Regelsystems zur Planung
funktion (Nutzenfunktion) hat unter Nebenbedingungen zu erfolgen, die aus Beschränkungen in den einsetzbaren Mitteln, aber auch aus Handlungsbeschränkungen durch die Umwelt bestehen, wie z.B. die zu alternativen Preisen höchstens absetzbare Produktmenge in einer Abrechnungsperiode. Zwei einfache Beispiele sollen diese Beschreibung eines Entscheidungsmodells verständlich machen: (a) Ein Unternehmer sehe seinen Nutzen im Gewinn einer einzigen Handlungsperiode verwirklicht. Er handelt dabei zielentsprechend, ist vollständig über Ziele, Handlungsmöglichkeiten und Umweltbedingungen informiert, klammert aus seinen Planungsüberlegungen Unsicherheit aus. G bezeichne den Gewinn als Differenz von Erlös (Umsatz) Ε und Kosten K. Als Erlös gilt für das einzige betrachtete Produkt Preis ρ mal Menge x, also Ε = ρ · χ. Dabei sei der Preis als alleinige Funktion der Absatzmenge χ angesehen und mit ρ = p(x) abgekürzt. Betrachtet werden für eine einzige Planperiode (z.B. ein Jahr) und unter sonst gleichen Umständen (ceteris paribus) alternative Absatzmengen, wie sie sich in Abhängigkeit vom verlangten Preis verwirklichen. Folglich ist auch der Erlös eine Funktion der Absatzmenge, und deshalb schreiben wir E(x) = p(x) · χ . Κ seien die allein von der Produktions- = Absatzmenge abhängigen Kosten: Κ = K(x). Erlöse und Kosten werden als mindestens zweimal differenzierbare Funktionen der Absatzmenge betrachtet. Unter diesen Annahmen entsteht die einfachste Form eines Gewinnmaximierungsmodells: G = Ε (χ) - Κ (x) —» m a x ! .
(1)
Aus dieser Zielvorschrift folgt als Bedingung fur das Gewinnmaximum: d ^E(x)
d = ^ K ( x ) und
d
2
2
d Ε (x) < ^ j K ( x )
.
(2)
In Worten läßt sich dieser Formalismus vereinfacht so aussprechen: Der Gewinn ist bei jenem Absatzpreis maximal, bei dem der mit alternativ wachsender Absatzmenge stetig fallende zusätzliche Umsatz je Absatzeinheit (Grenzerlös) den nicht fallenden (also gleichbleibenden oder steigenden) zusätzlichen Kosten je Absatz- = Produktionseinheit (Grenzkosten) entspricht. Diese Produktions- und Absatzmenge liegt unter jener, fiir die der Umsatz maximal wäre; denn für das Umsatzmaximum gilt dE(x)/dx = 0, das nur bei Grenzkosten von null mit dem Gewinnmaximum zusammenfällt. Der methodische Grundsatz, der zu diesem Modellergebnis fuhrt, heißt Marginalprinzip oder Denken in Änderungen. Daß die Modellableitungen dabei von beliebig kleinen Änderungen (von zweimal differenzierbaren Funktionen) ausgehen, ist nur eine mathematische Bequemlichkeit. Aus den „unend-
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
lieh kleinen Änderungen" leitet sich kein ernst zu nehmender Einwand gegen das Denken in Änderungen her. (b) Im zweiten Beispiel sehe der Unternehmer seinen Nutzen in mehrperiodigen Einnahmenüberschüssen erzielt, die er dann durch den Kapitalwert mißt. Der Kapitalwert errechnet sich durch Abzinsung künftiger Zahlungen. Als Kalkulationszinsfuß diene eine Alternativrendite, die sich bei anderweitiger Anlage des Investitionsbetrages bietet, und die nicht ausdrücklich in das Modell aufgenommen wird. Da alle in die Zielfunktion eingehenden Geldgrößen als Kapitalwerte gedeutet werden, vereinfacht sich das mehrperiodige Wahlproblem auf ein einperiodiges. Zu entscheiden sei über das Produktionsverfahren (Anlagenausstattung usw.), das Produktionsprogramm (die Art der zu erstellenden und abzusetzenden Produkte) und die Produktionshöhe (die „Beschäftigung", verkörpert durch die Ausbringungsmengen). Die Abhängigkeiten zwischen Produktionsverfahren und den dabei eingesetzten Produktionsfaktoren, dem Produktionsprogramm und der Produktionshöhe wird durch eine Gleichung wiedergegeben, die Produktionsfunktion heißt. Um eine Tasse Tee (x) zu erzeugen, braucht man bei NichtVerschwendung z.B. eine Tasse heißen Wassers (ri) und einen Teebeutel (r2), also min (r 1; r 2 ) = x. Zur Ermittlung der produktionswirtschaftlichen Optima ist die Zielfunktion der Unternehmung zu maximieren unter zwei Nebenbedingungen. In der Zielfunktion bezeichnet G jetzt den Kapitalwert („goodwill"); qj sind die Preise der Produkte Xj (j = 1, 2,..., m). Die qj sind als Barwerte der Preise zum Periodenanfang zu verstehen; a| sind die Barwerte der Preise der Produktionsfaktoren r; (i = 1, 2,..., n). Die erste Nebenbedingung nennt die Produktionsfunktion. Sie erfaßt (in Form einer nicht-linearen Gleichung) die Beziehung zwischen allen Produkten und allen zu deren Erzeugung erforderlichen Faktoreinsatzmengen. Schreibt man diese Produktionsfunktion in impliziter Form, also nach null aufgelöst, entsteht φ (η, Χ:). Die zweite Nebenbedingung fordert, daß die Summe der Ausgaben für die Beschaffung der Produktionsfaktoren kleiner bleibt als der verfügbare Finanzbetrag F, allenfalls diesem gleicht. Das Entscheidungsmodell lautet: Maximiere G ^ V i - I V i j · unter den Nebenbedingungen φ(Γ;, Xj ) = 0
(3)
(3a) (3b)
i
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Durch die Produktionsfunktion und die finanzwirtschaftliche Ungleichung entsteht ein Modell, zu dessen Optimumbestimmung Techniken der nichtlinearen Programmierung benötigt werden. Das Modell läßt sich jedoch unter einer zusätzlichen Voraussetzung in ein Modell umwandeln, in dem die Nebenbedingungen in Form von Gleichungen erscheinen. Wenn sicher ist, daß das Kapital die Produktion begrenzt, wird das Ungleichheitszeichen überflüssig, und das Modell läßt sich nach der Methode der Lagrangeschen Multiplikatoren maximieren. c) Ungewißheit als geschlossene Menge von mehreren, aber endlich vielen Zukunftslagen: Die Planung geht davon aus, daß einer der durchdachten künftigen Zustände der Welt eintreten wird, man weiß im Planungszeitpunkt nur nicht, welcher; z.B. beim Münzwurf wird entweder „Zahl" oder „Wappen" oben liegen. Der Begriff Ungewißheit geht von einer praktisch als vollständig angenommenen Auflistung denkbarer künftiger Zustände der Welt aus. Das spätere Ist wird sich mit einer der geplanten Zukunftslagen decken. So verstandene Ungewißheit umfaßt eine Fülle von Erscheinungsformen, die entscheidungslogisch nach den Meßbarkeitsstufen fiir Urteile über das Fürwahr-Halten von Prognosen weiter zu unterteilen sind. Solche Urteile über das Für-wahr-Halten von Prognosen werden im folgenden Wahrscheinlichkeitsurteile genannt. Dabei läßt sich nur für einzelne Erscheinungsformen eine optimale Entscheidung unter Ungewißheit bestimmen, wie in Kapitel II erläutert wird. Gegenüber dem erdachten Fall angenommener Planungssicherheit wird unter Ungewißheit die Planbarkeit verringert. Das bestmögliche Ergebnis kann im nachhinein nur gelegentlich erreicht werden, wenn im Planungszeitpunkt die Handlungen im Hinblick auf eine Reihe denkbarer Zukunftslagen ausgewählt werden, statt auf den (im voraus unbekannten) künftigen Istzustand allein. Zudem werden die Planungstätigkeiten umfangreicher und damit arbeitsaufwendiger, weil mehrere Zukunftslagen („mehrwertige Erwartungen") die Arbeiten zur Prognose und Entscheidung vervielfachen. Ausschlaggebend ist für den hier benutzten Begriff der Ungewißheit, daß die Liste der alternativen Zukunftslagen als vollständig gilt: Alle überhaupt denkbaren, aber nicht im Entscheidungsmodell berücksichtigten künftigen Zustände der Welt werden mit geringerer Glaubwürdigkeit eingeschätzt als die geplanten Zukunftslagen (S. 82). Für den Spezialfall quantitativer Wahrscheinlichkeiten läßt sich diese Bedingung zu dem Wortspiel verschärfen: Es besteht vollständige Gewißheit über die Ungewißheit (S. 89-97). (1) Für eine Planung unter Ungewißheit sei das Beispiel des Wertpapierkaufs in der Weise erweitert, daß statt jeweils einer Zahlung in jedem Zahlungszeit-
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
punkt zwei alternative Zahlungen als Folge alternativer künftiger Zustände der Welt beachtet werden. Als Handlungsalternative zum Kauf der unverzinslichen Schatzanweisung wurde beispielhaft der von Aktien genannt. Die Aktien kosten in TQ ebenfalls 85 D M und fuhren (zur Verkürzung des Beispiels grob vereinfacht) in t 2 entweder mit einer Wahrscheinlichkeit ρ von 60% zu 200 an Einnahmen oder mit der Restwahrscheinlichkeit (1-p) von 40% zu Einnahmen von null. Hierfür lautet die erste Niederschrift als Teil eines Planungsmodells: to Aktien
-85
t2 —
p=0,6 (l-p)=0,4
+200 0
Der Geldanleger, der entweder unverzinsliche Schatzanweisungen oder Aktien kaufen will, steht vor der Entscheidung zwischen einer im umgangssprachlichen Sinne „risikolosen" Investition (Schatzanweisung), bei der nur eine Zukunftsentwicklung als denkbar angenommen wird, und einer „risikobehafteten" Investition, bei der alternative Zukunftslagen erwartet werden. Der Leser beachte, daß die Einstufung, eine Handlungsmöglichkeit sei „risikolos", nur unter vereinfachenden Modellannahmen zulässig ist. Im Beispiel sind etwa Kaufkraftänderungen und Kursänderungen der Schatzanweisungen während des Planungszeitraums vernachlässigt. Weitere Einschränkungen bei der Redeweise „risikolos" erläutert das folgende. (2) Bisher sind keinerlei Annahmen über die Existenz eines Kapitalmarkts getroffen, in dem zwischen dem Planungszeitpunkt IQ und dem Planungshorizont t 2 beide Kapitalanlagen gehandelt werden. Um das Beispiel kurz zu halten, möge lediglich nach einem Jahr, im Zeitpunkt tj, einmalig ein JBöisenhandel stattfinden. Damit entstehen fur die bislang als sicher geltenden Schatzanweisungen zwei Handlungsalternativen in tj: (a) der bisher betrachtete Fall des Verkaufs bzw. Einlösens in t 2 , und (b) ein Verkauf bereits in tj mit Anschlußkauf der Aktien. Entsprechend können (c) die risikobehafteten Aktien bis t 2 gehalten oder (d) in tj gegen Erwerb der Zerobonds verkauft werden. Folgende Annahmen seien gewählt: Bargeldhaltung von t^ bis tj sei ausgeschlossen, beliebige Teilbarkeit beim Kauf von Zerobonds oder Aktien wird unterstellt. Im Zeitpunkt tj seien die unverzinslichen Schatzanweisungen mit einem Kurs von 77 gehandelt, während der Aktienkurs auf nur 80 zurückgehen möge. Von Kauf- und Verkaufspesen wird abgesehen. Bei diesen Marktpreisen kann der Kapitalanleger, wenn er nach höchstem Vermögen in t 2 strebt und sich in tg für Aktien entschieden hatte, diese mit ei-
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nem Verlust von 5 verkaufen, den Erlös von 8 0 in Schatzanweisungen investieren und damit in t-> eine sichere Endeinnahme von 80 · - ^ = rund 104 erzie77 len. Ebenso ist auch der Fall denkbar, daß die Schatzanweisung in t j zu 7 7 verkauft wird und hierfür Aktien erworben werden, die dann in t-> bestenfalls 77
·
·
.
— • 200 = rund 193 erbringen. Damit nimmt das Entscheidungsmodell folgenden Inhalt an: Kaufzeitpunkt tg Kapitalanlage (a)Schatzanweisung
Börsentag tj
Verkaufszeitpunkt t2
Zahlungen -85
+ 100
-
(b)Schatzanweisungs-
+ 77
p=0,6
+ 193
verkauf mit An-
-77
(l-p)=0,4
0
p=0,6
+200
(l-p)=0,4
0
schlußkauf Aktie (c)Aktie
-85
(d)Aktienverkauf mit
—
+ 80
Anschlußkauf Schatzanweisung
-80
+104
W e n n die Zielsetzung lautet, in t2 ein sicheres Endvermögen zu erreichen, ergibt sich folgendes Resultat: Obwohl der Investor im Fall (d) zunächst risikobehaftet in Aktien investiert und sogar Verluste realisiert, erreicht er ein höheres Endvermögen als derjenige, der bereits in tg die angeblich zu diesem Zeitpunkt risikolose Schatzanweisung erwirbt und im Fall (a) bis t 2 behält. Die Entscheidung, bereits im Zeitpunkt ty die scheinbar sichere Schatzanweisung zu kaufen, erweist sich nachträglich als Fehlentscheidung. Hinzu tritt, daß im Planungszeitpunkt tQ kaum jemals die Marktpreise in t j mit Sicherheit vorhergesehen werden können und aufgrund eines Neuzugangs von Wissen in t j sich die Erwartungen über den Istzustand in t 2 verändern. Deshalb wäre es ein irreführender Sprachgebrauch, die Schatzanweisung bereits im Zeitpunkt t 0 als risikolose Investition zu betrachten. Verfugungsrechte sind praktisch nie risikolos. Dies gilt insbesondere fur Kapitalmarkttitel, bei denen zu irgendeinem Zeitpunkt unterschiedliche Preise erwartet werden; selbst dann nicht, wenn am Ende ihrer Laufzeit ein sicherer Rückzahlungsbetrag steht. (3) Anschaulich läßt sich jede Handlungsalternative durch einen (flach gelegten) Entscheidungsbaum abbilden. Den Stamm verkörpert der erste Zahlungszeitpunkt t 0 , eine Gabelung in Äste findet in den Zahlungszeitpunkten vor dem Planungshorizont statt.
38
Alternative
Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
tg
tj
t2
Abbildung 1
Die Planung unter Ungewißheit erfolgt hier über mehrere Handlungszeitpunkte hinweg. Dabei werden für jeden Handlungszeitpunkt die aufgrund des Wissensstandes in t 0 hier in t j zur Wahl stehenden Alternativen bedingt festgelegt. Die Bedingung lautet dabei: Wenn irgendeine Zukunftslage in t j eintritt, wird eine Anschlußhandlung (Anpassungshandlung) gewählt, vorausgesetzt in t j ist kein neues Wissen über das im ursprünglichen Entscheidungsbaum geplante zugegangen. Bei einem Planungszeitraum über t 2 hinaus wäre für t 2 usw. der Entscheidungsbaum weiter zu verästeln. In der Planung anhand von Entscheidungsbäumen 26 darf man keine neuzeitliche Errungenschaft sehen: Um eine logische Entscheidung bei alternativen Zukunftslagen zu erläutern, wählt der stoische Philosoph Chrysippos im dritten Jahrhundert vor Christus das Beispiel eines Hundes, der beim Jagen einer Beute an eine Stelle kommt, wo der Weg sich dreiteilt. Er versucht, die Fährte auf zwei Wegen zu erschnüffeln, und folgt dann ohne Zögern dem dritten; denn wenn von einer vorgegebenen Anzahl von Möglichkeiten alle bis auf eine ausgeschlossen werden, muß die verbleibende die richtige sein2'7. 26 Sie wird meist zurückgeführt auf Howard Raiffa: Decision Analysis: Introductory Lectures on Choices under Uncertainty. Reading u.a. 1968, S. 10.
Entscheidungen innerhalb eines Regelsystems zur Planung
39
(4) Entscheidungsbäume sind ein beliebtes Darstellungsmittel zur Erläuterung einer Planung von Anpassungsfähigkeit Bei dieser Planung von Anpassungsfähigkeit bzw. Flexibilität geht es um die Festlegung des Entscheidungsspielraums, welchen die gegenwärtigen Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft belassen, z.B.: Wenn die Konjunktur gut ist, wird in tj eine Maschine gekauft; dies unterbleibt, wenn die Konjunktur schlecht ist; damit bleiben finanzielle Mittel oder Verschuldungsmöglichkeiten vorerst erhalten. „Flexible" Planung heißt das Treffen bedingter, vom Eintritt einzelner Zukunftslagen abhängender Anschluß-Entscheidungen. Flexible Planung ist einer sog. starren Planung (die Zukunftslagen-abhängige Entscheidungen in künftigen Zeitpunkten ausschließt) logischerweise überlegen, solange man die Planungskosten (insbesondere die Kosten der Informationssammlung und -auswertung) nicht ausdrücklich beachtet; denn bei bedingten Entscheidungen gehen alle im Planungszeitpunkt vorhandenen Informationen in die geplante Handlungsfolge ein, während starre Planung auf die Berücksichtigung alternativer späterer Anschlußhandlungen verzichtet. Planung von Anpassungsfähigkeit wird erst dann zum Problem, wenn die Planungskosten ausdrücklich berücksichtigt werden. Dann sind die Mehrkosten für eine Planerweiterung durch das Einbeziehen bedingter Entscheidungen abzuwägen mit den denkbaren Vorteilen aus einer Entscheidung heute, die trotz gegenwärtig unvollkommenem Wissensstand auf einer detaillierten Planung aufbaut. Allerdings gilt hierbei: Der heutige Wissensstand wird im Regelfall nicht derjenige sein, bei dem in Zukunft die heute als bedingte Entscheidungen eingeplanten Handlungen zu verwirklichen sind oder nicht. Weil man heute nicht weiß, von welchem Wissensstand man morgen, übermorgen, ausgehen muß, deshalb handelt es sich bei der Planung von Anpassungsfähigkeit um ein Unterfangen, für das die Suche nach einer optimalen Entscheidung bei dem im Planungszeitpunkt vorhandenen Wissen von praktisch sehr bescheidenem Nutzen bleibt. Planung von Anpassungsfähigkeit wird gerade deshalb zum Problem, weil nicht Geplantes eintreten kann. Welche Schwierigkeiten einer vernünftigen Begründung von Vorsorgemaßnahmen entgegenstehen, zeigen Erläuterungen zur Messung eines Insolvenzrisikos und zur Vorsorgemaßnahme eines Verlustpuffers Eigen- bzw. Risikokapitalausstattung 28 . (5) Planung unter Ungewißheit kennzeichnet ein erstes Modell, um mangelnde Kenntnis künftiger Entwicklung entscheidungslogisch zu durchdenken. Gegen Modelle unter Ungewißheit sticht der Einwand, daß Menschen schon aus logischen Gründen nicht wissen können, welches Wissen ihnen künftig 27 Nach F. N. David: Games, Gods and Gambling. London 1962, S. 23. 28 Vgl. Schneider: Rechnungswesen (S. 31 25 ), S. 274-296.
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
zugehen wird: Wüßten Sie, daß Sie morgen einen tödlichen Unfall erleiden, wenn Sie sich in ein Auto setzen, werden Sie sich in kein Auto setzen, und Ihre sichere Prognose wird falsch; sie endet im Widerspruch. Entsprechend fehlerhaft wird eine Prognose unter Ungewißheit: Wüßten Sie, daß Sie beim morgigen Autofahren entweder schwer verletzt oder unverletzt einen Totalschaden erleiden werden, bleiben Sie dem Auto fern. Damit endet die „mehrwertige" Prognose im Widerspruch zu dem, was eintreten wird. Aus der Einsicht, daß man nicht wissen kann, welches Wissen künftig zugehen wird, folgt: Die Annahme ist nicht haltbar, menschliche Handlungen ließen sich vollständig bzw. „gut" über Theorien erklären, die von einer abgeschlossenen Menge künftiger Zustände der Welt ausgehen. Erst recht lassen Entscheidungsmodelle unter Ungewißheit, von denen das Kapitel II handelt, keine Handlungsempfehlungen zu, die unbesehen verwirklicht werden könnten. Planungsmodelle für Entscheidungen unter Ungewißheit sind deshalb nur begrenzt als Entscheidungshilfe geeignet; vor allem dienen sie als gedankliches Schulungsmittel, um Denkfehler zu vermeiden. d) Durch Lernen aus Erfahrungen weiß der Planende, daß neben den in der Prognose berücksichtigten Zukunftslagen sich weitere, ungeplante, nicht ausschließen lassen. Kinder planen z.B. beim Münzwurf auf der Straße, daß entweder Zahl oder Wappen oben liegt; sie mögen den Fall übersehen, daß die eigene Münze auch in einen Abwassergully rollen kann. Situationslogisch lag in diesem Fall nicht eine Entscheidung zwischen entweder Zahl oder Wappen vor, sondern bei den Kindern ein Nicht-auflisten-können dessen, was alles eintreten mag 29 . In den Augen des geschulten Außenstehenden hätte „situationslogisch" die Planung hier unter Beachtung der Gefahr von ungeplanten Uberraschungen erfolgen müssen. Die Gefahr, daß nachträglich Ereignisse eintreten, die nicht in der Planung beachtet worden sind, wird mit dem Begriff Informationsrisiken gekennzeichnet: Der Informationsstand, von dem die Planung ausging, erweist sich als unvollkommen, risikobehaftet. (1) Für eine Planung unter Beachtung von Informationsrisiken sei das Beispiel des Wertpapierkaufs in der Weise umgedeutet, daß die Annahmen über die Börsenkurse in tj im ursprünglichen Planungsmodell nicht enthalten gewesen sind. Vom Planungszeitpunkt t 0 aus gesehen tritt eine nachträgliche bzw. Expost-Überraschung auf. Die Umdeutung des Beispieles wurde gewählt, um eine für das Handeln unter Unsicherheit grundlegende Unterscheidung verständlich zu machen: die zwischen einer Planung bei vorhergesehener Ungewißheit, ausgedrückt in einer vollständig aufgelisteten („geschlossenen") Menge von Zukunftslagen, und ei29 Vgl. G.L.S. Shackle: Epistemics and Economics. Cambridge 1972, S. 365-367.
Entscheidungen innerhalb eines Regelsystems zur Planung
ner Planung mit Wissen um mögliche nachträgliche formationsrisiken.
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Überraschungen, also bei In-
(2) Der Begriff der Ex-post-Überraschung wird häufig nur für den Fall einer Planung unter angenommener Sicherheit verwendet: Es tritt ein anderes Ergebnis als das geplante ein. In diesem Buch wird der Begriff Ex-post-Überra-
schung auch für den Fall einer Planung unter Ungewißheit benutzt Bei dieser Sprachregelung liegt keine Ex-post-Überraschung vor, wenn eine Zukunftslage eintritt, die vielleicht nur mit einer Glaubwürdigkeit von 1 % beurteilt wurde. Nachträglich überrascht wird man nur durch in der Planung nicht Beachtetes. Es bringt keine Einsichten, den Begriff der Überraschung auf „Fehleinschätzungen" von Glaubwürdigkeiten zu erweitern; denn ein Ereignis erlangt im Zeitpunkt seines Eintretens die Wahrscheinlichkeit 100%. Somit gäbe es nur Ex-post-Überraschungen, wenn z.B. vor einem Münzwurf sowohl „Zahl" als auch „Wappen" mit 50% für wahrscheinlich gehalten wurde, später eines von beiden mit 100% eintritt. W a n n von einer Ex-post-Überraschung gesprochen werden darf, hängt von der Sorgfalt persönlicher Planung ab. Nur für den Dummkopf tritt eine Expost-Überraschung ein, wenn er beim Münzwurf auf Zahl gesetzt hat und Wappen fällt nach oben; denn beide Zukunftslagen müßten in einer vernünftigen Planung enthalten sein. Jedoch rechnen auch erfahrene Profis im Aktiengeschäft ohne Anlaß regelmäßig nicht mit dem Tod der begabtesten Manager oder einem fiir die Aktienunternehmung verheerenden Explosionsunglück, obwohl solche Ereignisse ihre Planungen über den Haufen werfen werden. (3) Informationsrisiken treten in der Planung dann auf, wenn der Entscheidende im Planungszeitpunkt nicht sicher ist, ob in den Zukunftslagen, die er in sein Entscheidungsmodell einbezogen hat, der künftig tatsächlich eintretende Zustand der Welt enthalten ist. Eine solche im Planungszeitpunkt o f f e n e Menge an Zukunftslagen deckt eine Lücke in der Abbildung der denkbaren künftigen Wirklichkeit in einem Planungsmodell auf: Der tatsächliche künftige Zustand der Welt ist nicht notwendigerweise in der Menge der geplanten Zukunftslagen enthalten. Ob ein künftiger Zustand der Welt im Planungsmodell fehlte, weiß man jedoch erst im nachhinein, nachdem eine Ex-post-Überraschung
eingetreten oder ausgeblieben ist. Der Begriff der Informationsrisiken drückt damit Zweifel an der Verläßlichkeit (Vertrauenswürdigkeit) der aus einem Entscheidungsmodellfolgenden Handlungsempfehlungen aus. e) Genauer kennzeichnen Informationsrisiken die Vermutung, daß die Anwendung des gewählten Entscheidungsmodells sich als unzureichend erweisen kann, falls nach dem Handlungszeitpunkt Wissen zugeht, welches dem Wissen widerspricht, das der Anwendung des Entscheidungsmodells zugrunde gelegt
wurde. Ist mit Informationsrisiken
zu rechnen, sinkt die Planbarkeit
gegenüber
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
der Planung unter Ungewißheit auf eine noch niedrigere Stufe, weil das der Planung zugrunde gelegte Entscheidungsmodell und damit der gesamte Planungsprozeß sich im nachhinein als unzulänglich herausstellen kann. Gründe ftir Informationsrisiken sind: (1) Der Planende hatte unvollständiges Wissen über Vergangenes und ging damit bei seiner Planung von unzutreffendem Wissen darüber aus, was bis zum Planungszeitpunkt bereits geschehen ist. (2) Seine Prognosen aus zutreffendem Wissen über Vergangenes waren unzulänglich, weil er im Planungszeitpunkt (a) Theorien (wissenschaftliche Einsichten über empirische Gesetzmäßigkeiten, aber auch solche der Logik und Mathematik) nicht kannte oder beachtete und damit z.B. Denkfehler beging beim Schließen von Tatsachen auf denkbare künftige Ereignisse und ihre Glaubwürdigkeit, (b) bei seinem beschränkten Tatsachen- und Theorienwissen zwar logisch fehlerfrei Erwartungen über Fremdereignisse (Naturereignisse, Handlungen anderer Menschen) bildete. Diese von ihm betrachteten künftigen Zustände der Welt blieben aber unvollständig, weil er z.B. die Neigungen (psychischen Veranlagungen) anderer Personen, deren Mittel und Handlungsmöglichkeiten fehlbeurteilte. (c) Der Planende schätzte seine persönliche Eignung für Entscheidungen falsch ein. Er irrte sich über seine Ziele oder Mittel, Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten zum vernünftigen Beurteilen von Anzahl, Inhalt und Glaubwürdigkeit der Zukunftslagen. (d) Aus Bequemlichkeit oder Arbeitsüberlastung verringerte er Planungszeit und Planungsaufwand soweit, daß erkennbare Ursachen für Einkommensunsicherheiten übersehen wurden. (3) Prognosen werden darüber hinaus dann falsch, wenn zwischen Planungszeitpunkt und Beendigung einer Handlung (z.B. einer Investition) neue Tatsachen, Theorien, Fremdereignisse und psychische Veranlagungen eintreten, die der Planende bei seinen Fähigkeiten zur Vorausschau nicht erkennen konnte. Vernünftige Leute werden im Regelfall ihrer Entscheidungen mit Informationsrisiken rechnen. Ein Informationsrisiko hat zur Folge, daß Planende einer „optimalen Entscheidung" nicht ohne zusätzliche Überlegungen zu Vorsorgemaßnahmen gegen Ex-post-Uberraschungen usw. vertrauen dürfen. Dieses Mißtrauen in ein geplantes Optimum ist vor allem dann geboten, wenn dieses Optimum mit Hilfe der herkömmlichen Wahrscheinlichkeitsrechnung berechnet wurde. Diese setzt nämlich voraus, daß sämtliche Zukunftslagen aufgelistet werden können. Die Gesamtheit aller aufgelisteten Zukunftslagen gilt als sicheres Ereignis und erhält die Wahrscheinlichkeit 1. Im Fall von Informationsrisiken sind nicht alle Zukunftslagen im voraus bekannt. Deshalb können
Informationen als Bedingungen vernünftiger Planung vor Prognosen
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für die geplanten Zukunftslagen keine vernünftig zu begründenden quantitativen Glaubwürdigkeiten angegeben werden, deren Summe 1 beträgt. Schon deshalb muß bei Informationsrisiken vernünftige Planung auf den Anspruch verzichten, ein Optimum zu finden. c) Informationen als Bedingungen vernünftiger Planung vor Prognosen 1. Das Informationsproblem
im ökonomischen
Sinne
a) Information heißt im umgangssprachlichen Sinne entweder jegliches Wissen oder jede Wissensänderung: eine Nachricht von anderen, aber auch selbsterarbeitete Erkenntnisse, angefangen mit der Lösung einfacher Rechenaufgaben. Ein so weites Begriffsverständnis ist betriebswirtschaftlich unbrauchbar. (1) In einer ersten Sprachregelung sei Information als Wissensbestand über die ErfahrungsweltbTw. aus der Erfahrungswelt (z.B. über Märkte) eingegrenzt. Eine diesbezügliche Wissensänderung sei als Zugang an Information durch Informationsbeschaffungoder durch Informationsauswertungbezelchnet. Mit der Eingrenzung von Information auf einen Wissensbestand über die Erfahrungswelt gelten selbst erarbeitete logische oder mathematische Ableitungen nicht als Information. Das Aufdecken logischer Implikationen, wie = 13, schafft kein neues Erfahrungswissen, sondern lehrt eine Tautologie. Zwar überblicken Menschen regelmäßig nicht sämtliche logischen Implikationen aus der Verknüpfung mehrerer Aussagen, dennoch ist es zweckmäßig (und in der Wissenschaftstheorie gängig), Tautologien und logische Implikationen nicht zu den Informationen zu zählen. (2) Hierbei ist jedoch eine Einschränkung zu machen: Jemand, der logische und mathematische Kenntnisse nicht besitzt, mag fur ihren Erwerb zu zahlen bereit sein. Mitunter wird ein Gutachter mit der Erarbeitung logischer Implikationen beauftragt. So errechnet z.B. ein Versicherungsmathematiker fiir eine Unternehmung die Höhe der Zufuhrungen zu den Pensionsrückstellungen für neu zu erteilende Zusagen über eine unmittelbare betriebliche Altersversorgung an Angestellte. Einen Teil des Erfahrungswissens liefert die Unternehmung: Eintrittsalter der Berechtigten, die voraussichtliche Lebenserwartung betreffende Sachverhalte (z.B. Geschlecht, Gesundheitszustand, Raucher/ Nichtraucher usw.). Einen anderen Teil des Erfahrungswissens bringt der Versicherungsmathematiker normalerweise ein (wie Kenntnis der Sterblichkeitstabellen). Auf das Erfahrungswissen wendet der Versicherungsmathematiker dann seine formalwissenschaftlichen Kenntnisse an. Solche von anderen erworbenen Anwendungen formalwissenschaftlicher Theorien werden hier wie eine in Märkten gekaufte Information über Erfahrungswissen behandelt.
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Informationen
und Entscheidungen
als
Untersuchungsgegenstand
(3) Rückgriffe auf den Informationsbegriff der Nachrichtentechnik, der Erkenntnisphilosophie oder anderer Wissenschaften30 bleiben unfruchtbar; denn in der Wirtschaftstheorie geht es bei Information um Wissen aus der Erfahrungswelt (einschließlich einer Einschätzung der Zukunft), das in einem Entscheidungs-, Meß- oder sonstigen Modell abzubilden ist, damit Modelle zur Lösung wirtschaftlicher Einzelprobleme anwendbar werden. Wegen der Abbildungsaufgabe ist die Begriffseingrenzung von Information wichtig und nicht nur eine sprachliche Konvention. Ob in einem Modellzusammenhang von „x", „Information", „Wissen" geredet wird, ist zunächst nur eine Frage der Verständlichkeit und der Darstellungskürze. Die Antwort darauf mag man als „Konvention" (fehl-)bezeichnen. Bei der Abbildung von Beobachtetem, Erwartetem in Modelle wird die Begriffsabgrenzung jedoch ausschlaggebend flir die Eignung von Ergebnissen eines Entscheidungsmodells als Handlungsempfehlung, oder von Messungen für die Festlegung von Ansprüchen bzw. Verpflichtungen. Schließlich ändern sich die Folgen, wenn z.B. Kosten entweder als Ausgaben, umgeformt nach einem vorausgesetzten Gewinnbegriff (etwa dem des Vermögensvergleichs nach § 5 EStG) verstanden werden oder als Opportunitätskosten (als Nutzen, den die beste verworfene Alternative geboten hätte); denn im zweiten Fall zählt der (steuerrechtliche) Gewinn aus dieser zweitbesten Alternative zu den Opportunitätskosten. b) Die ökonomische Theorie der Information wird auch Informationsökonomie oder Informationsökonomik genannt. Für sie ist zunächst Information als ökonomisches Gut von anderen Gütern: Produktionsfaktoren, Produkten, Verfügungsrechten, abzugrenzen; denn es gibt wenig Sinn, einer Informationsökonomie sämtliche Einsichten für die Anwendung von Entscheidungsmodellen zuzuordnen, z.B. aus der Lektüre eines mathematisch-modelltheoretischen Aufsatzes, über die Qualität von Kalbfleisch, die erst der Verzehr bringt, oder alles, was unter Forschung, Entwicklung bis hin zur Produktgestaltung zusammengefaßt wird. (1) Wer Information als ökonomisches Gut neben anderen betrachtet, könnte folgenden Weg einschlagen: Für Spekulationen bzw. Investitionen nützliches Wissen, das nur einzelne besitzen (private Information), ist ein marktfähiges („privates") Gut. Die Marktfähigkeit trennt es von öffentlich zugänglichem (von Zeitungen usw. verbreitetem) Wissen, öffentlich zugängliches Wissen verliert seine Nützlichkeit für Spekulationen, sobald es alle handelnden Personen in gleicher Weise fiir ihre Entscheidungen auswerten. Öffentlich zugängliche Informationen sind öffentlichen Gütern vergleichbar. 30 Vgl. den Überblick bei Ewald Wessling: Individuum und Information. Tübingen 1991, S. 11-25.
Informationen
als Bedingungen vernünftiger Planung vor Prognosen
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Private Güter und damit private („vertrauliche") Informationen unterscheiden sich von öffentlichen Gütern (im Sinne der Finanzwissenschaft) dadurch, daß andere Personen von ihrer Verwendung ausgeschlossen werden: Wer nicht zahlt, erhält keine private Information und kann sie nicht benutzen. Neben diesem Nicht-Ausschlußprinzip sind öffentliche Güter durch ein zweites Merkmal gekennzeichnet: eine „Nicht-Rivalität im Konsum", d.h. der Gebrauch durch den einen läßt auch den Gebrauch durch andere zu. Das ist bei privaten Informationen unmittelbar der Fall. Die Einschränkung „unmittelbar" ist notwendig, weil das gleichzeitige Benutzen einer Börsen-Insiderinformation durch viele dieser weitgehend die einkommenserhöhende Wirkung nimmt, genauso wie bei einem öffentlichen Gut „Nebenstraße, um einem Verkehrsstau auf der Autobahn zu entgehen" in der Ferienzeit damit zu rechnen ist, daß auch die Nebenstraße verstopft sein wird. Insofern könnte das Gut „private Information" zwischen privaten und öffentlichen Gütern eingeordnet werden, weil nur ein Begriffsmerkmal öffentlicher Güter (das Nicht-Ausschlußprinzip) erfüllt ist, nicht aber das zweite (die Nicht-Rivalität im Konsum) 31 . Allerdings sind die Begriffsmerkmale fur öffentliche Güter nicht hinreichend präzise. So besteht eine teilweise Nicht-Rivalität im Konsum auch bei privaten Gütern, z.B. wenn statt 30 Zuhörern 600 einen Konzertsaal füllen. Diese erste Überlegung zur Einordnung der Information im ökonomischen Sinne als Gutsart zwischen privaten und öffentlichen Gütern klärt bestenfalls einen Aspekt. (2) Für eine Wirtschaftstheorie der Informationen (Informationsökonomie) empfiehlt sich eher, auf die elementare Unterscheidung zwischen Diensten, Sachen und Verfugungsrechten zurückzugreifen. Menschen wünschen Dienste anderer Menschen, die ihrem Leib, ihrer Seele oder Erkenntnis nützen. Die Dienste eines Meisterkochs fur den Leib, eines Künstlers für die Seele stehen jenseits von „Information". Dienste anderer, die sich auf die Erkenntnis beziehen, schaffen Zuwächse an Wissen oder Können. Information wird im folgenden auf eine Teilmenge des Wissens beschränkt. Wissen ist von Können zu unterscheiden. Zuwächse an Können handeln von einem „Gewußt, wie Wissen in Handlungen umgesetzt wird": Die Noten der Hammerklaviersonate Beethovens unterrichten über ein bestimmtes Wissen; wie daraus eine richtige Ton- oder Akkordfolge zur rechten Zeit in einer treffenden Lautstärke entsteht, bleibt wenigen Könnern vorbehalten. Wissen bedarf es (a) für Entscheidungen, um Handlungen auszuwählen, daneben (b) für das Bemessen von Ansprüchen und Verpflichtungen, 31
Zu diesem Mischgutcharakter vgl. Michael Hopf. Informationen für Märkte und Märkte für Informationen. Frankfurt 1983, S. 82-89.
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
(c) die Rechenschaft eines Beauftragten und natürlich auch (d) zur Vorbereitung von Handlungen, die außerhalb eines wirtschaftlich zu Analysierenden bleiben.
Wissen wird hier auf die gedankliche Vorbereitung von Handlungen eingegrenzt, während der Vollzug von Handlungen zusätzlich Können und die Verfügbarkeit der benötigten Mittel voraussetzt das Verwirklichen einer Investition, das Einfordern eines Anspruchs, die Bezahlung einer Verpflichtung, das Rechenschaftgeben durch Liefern nachprüfbaren Wissens in Form von Steuererklärungen, Jahresabschlüssen usw. c) Informationen sind als eine Teilmenge eines Wissensbestandes anzusehen: als Teilmenge der von anderen Menschen empfangenen oder selbst erarbeiteten Dienste für die eigene Erkenntnis jenseits des Könnens. Die Gesamtmenge an Wissen kann sich beziehen auf Vergangenheitsereignisse, Neigungen im Sinne psychischer Veranlagung, Theorien und Erwartungen über Fremdereignisse. Wissen erlangt man zusätzlich bei Erwerb und Benutzung eines jeden Gutes und daneben durch eine (gesonderte) Informationsbeschaffung, z.B. durch den Erwerb von Verfügungsrechten in Märkten über „Know how". (1) Eine erste Einschränkung des Begriffs Information als Teilmenge des Wissens besteht darin, daß der Zugang von Informationen physisch getrennt erfolgt vom Erwerb von Produkten (anderen Diensten, gekoppelt mit Sachen, Verfügungsrechten). Mit dieser Eingrenzung wird aus Information z.B. das Verfalldatum auf der Milchflasche oder die Gebrauchsanweisung, die dem Videorecorder beiliegt, herausgenommen. Zur Information zählt hingegen Werbung im Sinne von Nachrichten über ein Produkt, die nicht am Produkt selbst angebracht sind, sondern gesondert (z.B. über Anzeigen, Werbespots im Fernsehen) verbreitet werden, dazu S. 166-179. (2) Zu Informationen zählen als Tatsachen betrachtete Vergangenheitsereignisse, die in Entscheidungsmodelle, in Meßmodelle zur Festlegung von Ansprüchen, Verpflichtungen oder in Überlegungen zur Rechenschaft oder Kontrolle eingehen. So bauen z.B. auf den verfügbaren Mitteln, aber auch auf dem Wissen über Handlungen von Mitbewerbern in der Vergangenheit Schlüsse über ein zielentsprechendes Handeln auf. Obwohl Vergangenheitsereignisse, die als Tatsachen behauptet werden, auch leichtfertig oder in Täuschungsabsicht ausgestreut worden sein können und vielfach mit Meßfehlern behaftet sind, seien sie kurz als „Tatsachen" bezeichnet. Für den Begriff der Information, wie er hier benutzt wird, kommt es darauf an, daß der Entscheidende Wissen über Vergangenheitsereignisse als Tatsache betrachtet. Das schließt nicht aus, daß er später erkennt, sich geirrt zu haben oder getäuscht worden zu sein. Besteht von vornherein ein solcher Verdacht, ist an die Stelle einer „Tatsache" ein Bündel an Alternativen durchzupla-
Informationen als Bedingungen vernünftiger Planung vor Prognosen
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nen: Der als Tatsache behauptete Sachverhalt trifft zu, trifft nicht oder nur mit dieser oder jener Abwandlung zu. (3) In den Begriff der ökonomischen Information ist für Entscheidungsmodelle das Wissen über Neigungen im Sinne psychischer Veranlagung eines Planenden einzuschließen (erst recht das Wissen um die Neigungen anderer Menschen: Kunden, Konkurrenten, Mitarbeiter usw.). Zu den Neigungen gehören persönliche Wünsche, das Über- oder Unterschätzen eigener Fähigkeiten, aber auch persönliche Einschätzungen von vermeintlichen Tatsachen und Erwartungen über Fremdereignisse. Insbesondere zählt die Findigkeit, neue Handlungsmöglichkeiten zu erkennen, zur psychischen Veranlagung, wie sie ein erfolgreicher Unternehmer benötigt. Die Kenntnis, diese oder jene Handlung anderer läßt sich auch vom Planenden verwirklichen (mit der Folge, die Handlungen anderer nachzuahmen), gehört zum Wissen über Tatsachen. (4) Vom Begriff der Information fernzuhalten sind Theorien, mit deren Hilfe aus Tatsachen und Neigungen auf künftige Ereignisse (Prognosen) und darüber hinaus auf Entscheidungen geschlossen wird . Aus Informationen über Tatsachen und Neigungen mittels Theorien vernünftig zu planen, ist Ausdruck von Können. (a) Für formalwissenschaftliche Theorien, also solche der Logik, Entscheidungslogik, Mathematik leuchtet der Ausschluß aus dem Begriff Information unmittelbar ein; denn die Art, wie wir denken, ist kein Gegenstand der Wirtschaftstheorie. Hinzu tritt, daß logische Implikationen aus dem Begriff Information als Teilmenge des Erfahrungswissens ausgeklammert wurden (S. 43). (b) Erfahrungswissenschaftliche Theorien seien wegen zweier Gründe vom Informationsbegriff ausgeschlossen. Zum einen, um nicht in schwierige methodologische Grundsatzfragen abzugleiten, wann eine erfahrungswissenschaftliche Theorie „gültig" ist und zu neuen Einsichten über die Wirklichkeit führt; zum anderen, um dem gängigen Begriff der Information durch das Rechnungswesen einen eindeutigen Sinn zu geben. Ein Jahresabschluß liefert z.B. im Idealfall bedingte (eingeschränkte) Tatsachen über die Höhe daraus folgender gewinnabhängiger Ausgaben (Einkommensbemessungsfunktion) und über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zum Bilanzstichtag (Informationsfunktion), ermittelt aufgrund des Wissens am Tag der Bilanzaufstellung. Diese bedingten Tatsachen werden als Anfangsbedingung („Wenn-Komponente") in Hypothesen eingesetzt, z.B. über Abhängigkeiten von Verschuldungsgrad und Kapitalstrukturrisiko. Sie lassen „DannFolgerungen" und damit Prognosen zu, z.B. „Wenn mehr als das Nominalkapital einer GmbH als Vermögen vorhanden ist, kann der Mehrbetrag ohne zusätzliche Gefährdung der Gläubigeransprüche ausgeschüttet werden". 32 Abweichend von Schneider: Investition, Finanzierung und Besteuerung (S. 312^), S. 468.
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
Wer das Wissen um erfahrungswissenschaftliche Theorien und deren Hypothesen in „Information" einschlösse, wäre gehalten, fiir die Information durch das Rechnungswesen einen engeren InformationsbegrifF zu wählen, weil die Information durch das Rechnungswesen nur die Anfangsbedingungen (zahlenmäßig wiedergegebene, zusammengefaßte Beobachtungen) liefern kann, nicht jedoch die theoriegestützten Folgerungen hieraus mitliefert. Diese „Erwartungen" können und werden zwischen unterschiedlich ausgebildeten Jahresabschlußlesern verschieden sein. Mehrere Inhalte unter einen Begriff der ökonomischen Information nebeneinander zu verwenden, fördert weder Verständlichkeit noch Klarheit im Denken. (5) Erwartungen über Fremdereignisse betreffen künftiges Naturgeschehen oder Handlungen anderer Menschen. Erwartungen über Fremdereignisse können entweder, von anderen erarbeitet, in Märkten erworben oder aus dem Wissen über Tatsachen und Neigungen mit Hilfe von Theorien selbst erschlossen werden. Unstreitig zählen in Märkten erworbene Prognosen oder andere Entscheidungshilfen (wie erworbene Software) zur Information im ökonomischen Sinne. Bei den selbst erarbeiteten Erwartungen über Fremdereignisse und anderen Schritten zur Entscheidungsvorbereitung erscheint es hingegen zweckmäßig, Informationen auf Vergangenheitswissen einzugrenzen, das wie eine Tatsache betrachtet wird und in einem Prognose- oder Entscheidungsmodell Erwartungen zu begründen erlaubt. Welche Grenzen für vernünftige Erwartungen sich dabei ergeben, wird in Kapitel II a) erörtert. d) Informationen im ökonomischen Sinne werden hier begrenzt auf Wissen über als Tatsachen betrachtete Vergangenheitsereignisse, Ziele sowie Handlungsmöglichkeiten und auf in Märkten erworbene Prognosen und andere gekaufte Wissenshilfen für eine vernünftige Vorbereitung von Handlungen. Damit wird der Begriff Information auf die empirischen Anwendungsvoraussetzungen eines Entscheidungsmodells, Meß- oder Erklärungsmodells eingegrenzt. In diesem Buch interessieren nur die Anwendungsvoraussetzungen für Entscheidungsmodelle. Deshalb beschäftigt sich die Informationstheorie im Sinne dieses Buches nur mit einem Teilbereich der Information im ökonomischen Sinne. Dabei erörtert dieser Abschnitt Informationen über Ziele und Handlungsmöglichkeiten, weil dieses Wissen vor Prognosen vorhanden sein muß. Teil II befaßt sich mit Informationen als Anwendungsbeschränkungen für Prognoseund Entscheidungsmodelle und Teil III mit Einzelfragen der Informationsauswertung und -beschaffiing. (1) Die hier gewählte Sprachregelung klammert „situationslogisch" den psychischen Tatbestand aus, daß manche Leute vieles nicht wahrhaben wollen, was ihre Illusionen oder Vorurteile zerstören könnte. Unbestreitbar handeln nicht wenige Menschen nach bloßem Wunschdenken. Dies ändert nur nichts
Informationen als Bedingungen vernünftiger Planung vor Prognosen
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daran, daß es auch eine Aufgabe der Wirtschaftstheorie ist, Traumtänzereien oder noch schlimmer: Vorgaukeleien, daß Wunschdenken erreichbar sei, gegenüber unkritischen oder in der Sache weniger beschlagenen Lesern bloßzustellen. Dies geschieht dadurch, daß solchen Selbst- oder Fremdtäuschungen logische Schlüsse aus empirisch nachprüfbaren Sachverhalten entgegengestellt und durch Anwendung von Entscheidungsmodellen die engen Voraussetzungen fur das Erreichen beabsichtigter Ziele und die Fülle an nicht beabsichtigten Nebenwirkungen herausgearbeitet werden. (2) In der Betriebswirtschaftslehre wird Information häufig als „zweckorientiertes Wissen" definiert, das zu „einer möglichst vollkommenen Disposition eingesetzt wird" 33 . „Information als zweckorientiertes Wissen" will jenes Wissen benennen, das ein Handelnder zum Erreichen einer optimalen Entscheidung benötigt. Diese Kennzeichnung ist aus mehreren Gründen unbrauchbar: (a) Zweckorientiertes Wissen bedarf es auch für andere Aufgaben als die der Disposition (=Entscheidung), z.B. fiir Kontrollen, Koordination von Handlungen in Verhandlungen, und vor allem in den Fällen, in denen wegen Wissenslücken von einer „möglichst vollkommenen Disposition" sinnvollerweise nicht geredet werden kann. Information als zweckorientiertes Wissen zu verstehen, schließt zudem tautologisches Wissen nicht aus: Zur „möglichst vollkommenen Disposition" bedarf es natürlich der Kenntnis über die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für ein Maximum der Zielfunktion. (b) Darüber hinaus droht eine Gleichsetzung von Information mit zweckbzw. entscheidungsorientiertem Wissen in einem logischen Widerspruch zu enden: Zweckorientiert für den Nichtselbstmörder ist zweifelsohne das Wissen: Falls er sich morgen ins Auto setzt, erleidet er einen tödlichen Unfall (S. 40). (c) Ferner hilft die Kennzeichnung als „zweckorientiertes Wissen" nicht dabei, zweckorientiertes von nicht-zweckorientiertem zu trennen: Sie bleibt inhaltlich unbestimmt3^. (3) Unter Informationsökonomie wird üblicherweise eine Menge von Modellen zusammengefaßt, die von der Annahme „homogener Erwartungen" abrücken und Einzelfragen asymmetrisch verteilter und damit zugleich verborgener Informationen und verborgener Handlungen untersuchen . Dieses Sam33
Man folgt dabei Waldemar Wittmann: Unternehmung und unvollkommene Information. Köln-Opladen 1959, S. 14. 34 Vgl. näher Schneider: Rechnungswesen (S. 31 2 5 ), S. 238-240. 35 Vgl. Wolfgang Ballwieser. Ergebnisse der Informationsökonomie zur Informationsfunktion der Rechnungslegung. In: Information und Produktion, hrsg. von S. Stöppler. Stuttgart 1985, S. 21-40, hier S. 22 f.; £. Bössmann: Informationsökonomik. In: Wirtschaftslexikon, hrsg. von A. Woll. 7. Aufl., München-Wien 1993, S. 334-336, hier S. 334; Jack Hirshleifer, John G. Riley: The analytics of uncertainty and information. Cambridge 1992, S. 295-329.
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
melsurium aus Modellen ist allerdings mit Informationsökonomie dann fehlbezeichnet, falls die Behauptung Hayeks36 stimmt, daß der empirische Gehalt der Wirtschaftstheorie in Aussagen über den Erwerb von Wissen bestehe. Dann würde Informationsökonomie mit einer Erfahrungswissenschaft Wirtschaftstheorie gleichbedeutend. (4) Andererseits wird Informationsökonomie in nicht sinnvoller Weise eingeengt, wenn Information als Nachricht verstanden wird, „durch die beim Wirtschaftssubjekt bestehende Wahrscheinlichkeitsurteile bezüglich entscheidungsrelevanter Daten od. Ereignisse ... verändert werden" 3 ^. Entscheidungsrelevante Daten in einem Planungsmodell sind Ziele, Mittel, Handlungsmöglichkeiten und die erwarteten künftigen Zustände der Welt. Wahrscheinlichkeitsurteile über die eigenen Ziele und Handlungsmöglichkeiten geben in einem Entscheidungsmodell keinen Sinn. Information durch Änderung von Wahrscheinlichkeitsurteilen zu kennzeichnen, schließt somit Informationsbeschaffung über Handlungsmöglichkeiten aus: Erfindungen und Entwicklungen, die zu Produktinnovationen, Prozeßinnovationen, organisatorischen Neuerungen und Marktstrukturinnovationen führen; desgleichen die unter der Überschrift Informationsökonomie oft mitbehandelten Vor- und Nachteile von Patentrechten 38 . Wahrscheinlichkeitsurteile können nur erarbeitete Zukunftslagen betreffen und daneben die vorhandenen Mittel, falls wegen Erfassungs- und Bewertungsschwierigkeiten eine eindeutige Quantifizierung der Mittel ausgeschlossen ist 39 . (5) Information wird mehrfach als Mittel zur Ungewißheitsverringerung betrachtet^ 0 . Selbst wenn im Begriff Information das Wissen über Ziele und Handlungsmöglichkeiten ausgeschlossen wird, bleibt eine solche Behauptung aus entscheidungslogischen und empirischen Gründen falsch. Entscheidungslogisch kann einer Nachricht erst nach ihrer Beschaffung und ihrer Auswertung in einem Entscheidungsmodell angesehen werden, ob sie die Unsicherheit verringert, falls die Redeweise von Unsicherheitsverringerung in einem Entscheidungsmodell überhaupt Sinn ergibt (dazu S. 119). Aus empirischen 36 Vgl. F.A. von Hayek: Economics and Knowledge. In: Economica, New Series, Vol. 4 (1937), S. 33-54, hierS. 33. 37 Bössmann: Informationsökonomik (S. 49 3 ^), S. 334. 38 Vgl. z.B. Jack Hirshleifer: The Private and Social Value of Information and the Reward to Inventive Activity. In: The American Economic Review, Vol. 61 (1971), S. 561-574, hier S. 570-572; ders.: Where Are We in the Theory of Information? In: The American Economic Review, Papers and Proceedings, Vol. 63 (1973), S. 31-39, hier S. 33 f. 39 Vgl. Oskar Morgenstern: Über die Genauigkeit wirtschaftlicher Beobachtungen. 2. Aufl., Wien-Würzburg 1965, bis S. 98. 40 Vgl. z.B. Jack Hirshleifer, John G. Riley: Analytics of Uncertainty and Information - An Expository Survey. In: Journal of Economic Literature, Vol. 17 (1979), S. 1375-1421, hierS. 1393; Bössmann: Informationsökonomik (S. 49 3 ' 5 ), S. 334.
Informationen als Bedingungen vernünftiger Planung vor Prognosen
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Gründen darf eine zusätzliche Information nicht mit Unsicherheitsverringerung gleichgesetzt werden, weil Wissensänderungen auch die Unsicherheit erhöhen können. Oder ist für den Handwerker, der hohe Forderungen an einen Baulöwen hat, die Nachricht von dessen Flucht ins Ausland unter Mitnahme einiger 100 Mio. D M keine Information, welche die Unsicherheit erhöht, ob seine Unternehmung überlebt? e) Die Begriffswahl für Information setzt ein Vorwissen über Entscheidungsusw. Modelle voraus. Da das Problem der Abbildungstreue eines realen Problems in einem Modell eine der schwierigsten methodologischen Fragen einer erfahrungswissenschaftlichen Theorie ist, deshalb wurde hier zum einen Wissen und seine Teilmenge Information von Können (als einem Gewußt, wie Wissen in Handlungen umzusetzen sei,) abgetrennt. Zum anderen ist zu beachten: (1) Die Frage, welches Entscheidungsmodell gewählt wird, kann in einem ersten Anlauf so beantwortet werden: Man geht vom einfachsten Fall aus, Planung unter angenommener Planungssicherheit. Das dafür benötigte Tatsachenwissen ist aber nicht zu finden, wenn nach dem vorgegebenen Informationsstand mehrere Zukunftslagen glaubwürdig erscheinen. Das zunächst gewählte einfachste Entscheidungsmodell wertet also nicht das vorhandene Wissen aus. Es ist deshalb durch ein anderes Entscheidungsmodell zu ersetzen. Wie Informationen auszuwerten sind, dafür gibt es keine entscheidungslogische Optimierungsregeln bis auf eine: Es ist vernünftig, alles vorhandene Wissen auszuwerten, sofern die Kosten dabei vernachlässigt werden könnet (dies schließt die Beschaffung kostenlos erlangbarer Informationen ein). Bei der Auswertung von Informationen handelt es sich vielmehr um eine Frage der Abbildungstreue der zu gestaltenden Wirklichkeit, z.B. in einem Entscheidungsmodell. Der einzelne kann bei der Frage, ob er weiter nach Tatsachen forschen und Entscheidungshilfen in Märkten erwerben soll, Vermutungen über deren Eignung aufstellen. Aber im Gegensatz zu bezahlten Expertengutachten, denen nicht selten vorgegeben wird, was herauskommen soll, sind hier Wirtschaftlichkeitsrechnungen nicht durchführbar, weil die Liste der denkbaren „Zukunftslagen" (hier: der Wissensstand, der eine Entscheidung zu begründen erlaubt) nicht vervollständigt werden kann, solange der Inhalt der Information (des erlangbaren Tatsachenwissens) nicht bekannt ist. (2) Für die Wahl „einfachere" oder „komplexere" Entscheidungsmodelle erfand man zunächst einen sehr wissenschaftlich klingenden Namen: den des „optimalen Komplexionsgrades". Dabei ist es dann auch geblieben; denn bei 41 Vgl. /./. Good: On the Principle of Total Evidence. In: The British Journal for the Philosophy of Science, Vol. 17 (1966/67), S. 319-321.
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Informationen und Entscheidungen als Untersuchungsgegenstand
unvollständigem und ungleich verteiltem Wissen unter den Menschen läßt sich ein „Komplexionsgrad" weder quantitativ noch in Rangordnungen interpersonell nachprüfbar messen. Für die Wahl zwischen mehr oder weniger komplexen Entscheidungsmodellen kann kein „Optimum" gefunden werden, wenn der Inhalt der Informationen vor ihrem Erwerb nicht bekannt ist, den die Anwendung eines komplexeren oder einfacheren Entscheidungsmodells voraussetzt. Bei dem Gerede von einem „optimalen Komplexionsgrad" wurde schlichtweg der Tatbestand übersehen, daß man nicht wissen kann, welches Wissen einem bei der Suche nach bisher Unbekanntem zugehen wird. Informationsrisiken sind ein Teilaspekt dieses Sachverhalts. 2. Informationen über Ziele a) Die Frage, welche Ziele ein Handelnder verfolgt, ist kaum ein Informationsproblem fiir ihn selbst; denn wer nicht nachdenkt, was er eigentlich will, kann definitionsgemäß nicht vernünftig = zielentsprechend handeln. Selbstverschuldet muß er später mit als unbefriedigend empfundenen Ergebnissen seines Handelns leben. Die Frage nach den Zielen eines Handelnden wird zum Problem einer Informationstheorie dann, wenn das künftige T u n oder Unterlassen anderer Menschen abgeschätzt werden soll, weil dies die Ergebnisse eigenen Handelns beeinflußt. Vor allem aber wird die Frage nach den tatsächlichen Zielen bedeutsam, wenn in einer erklärenden Theorie untersucht werden soll, wie Kenntnisse über Handlungsmöglichkeiten Zustandekommen: durch Nachahmung der Handlungen anderer oder durch findige, andere überraschende Spekulationen und „Innovationen". b) Lehrtexte setzen häufig voraus, Konsumenten strebten nach Maximierung ihres Nutzens, Unternehmer nach Maximierung ihres Gewinns. Solche Annahmen über Ziele werden leider mitunter so formuliert, als ob mit Nutzenmaximierung des Verbrauchers und Gewinnmaximierung des Unternehmers eine Aussage über die Wirklichkeit erfolge. Nur in einführenden Modellen zur Wirtschaftstheorie rechtfertigen sich Zielvorgaben wie „Nutzenmaximierung", „Gewinnmaximierung", und zwar aus der Absicht einer didaktischen Vereinfachung. Solche Zielannahmen dienen dazu, um in Entscheidungslogik zu schulen, und manchmal auch, um Symbolhaschereien mit etwas Mathematik betreiben zu können. Sie sind Sprachregelungen für Noch-nichts-Könner, mit denen ihnen ein erstes (Ein-)Bildungserlebnis verschafft werden soll, zu einer auserlesenen wissenschaftlichen Gemeinschaft zu gehören. Worauf gründet sich dieses bösartig klingende Urteil? (1) Gewinn ist in Entscheidungsmodellen lediglich der Name fiir den Einnahmenüberschuß bei einperiodiger Planung unter der Modellannahme Si-
Informationen als Bedingungen vernünftiger Planung vor Prognosen
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cherheit. Die Modellzielgröße Gewinn darf insbesondere nicht mit einem der Gewinnbegriffe aus der Rechnungslegung gleichgesetzt werden, weil dort Rechtsvorschriften dazu zwingen, daß der Gewinn eines Jahres vom Zahlungssaldo der Handlungen (korrigiert um Privatentnahmen, Einlagen und Kreditaufnahmen oder Tilgungen) abweicht. Bei mehrperiodiger Planung (wie z.B. S. 37 f.) müßten jenseits des dort gewählten Ziels „höchstes Endvermögen" (Vermögensstreben) schon unter angenommener Sicherheit mindestens zwei weitere finanzielle Einzelziele für den Gattungsbegriff „Einkommenserwerb" unterschieden werden: möglichst hohe Konsumentnahmen in jedem Zahlungszeitpunkt (Entnahmestreben) bzw. Mischungen aus Konsumentnahmen und Vermögenswachstum in jedem Zahlungszeitpunkt (Wohlstandsstreben) 42 . Solche finanziellen Zielgrößen werden Entscheidungsmodellen vor allem aus Bequemlichkeit vorgegeben, weil die Zielbeiträge einzelner Handlungsmöglichkeiten hier in Zahlungen quantifiziert sind. Bei anderen Motiven, wie Freude am Arbeiten, Macht oder Ansehen in einer Gesellschaft, entsteht zusätzlich das Problem, Maßgrößen (Indikatoren) für die nicht-finanziellen Ziele zu finden, soll die Aufgabe gelöst werden, vernünftiges Handeln unter unvollkommener, insbesondere asymmetrischer Information zu erklären. (2) Der Regelfall der Planung erfolgt unter Unsicherheit. Hier gibt es gar keinen Sinn, „ Gewinnmaximierung" als Planungsziel zu setzen, denn es ist offen, welche der geplanten Zukunftslagen den Ausschlag gibt, ob die eine oder irgendeine andere Alternative als gewinnmaximierend anzusehen ist. Stattdessen muß Planung unter Ungewißheit eine Entscheidungsregel benutzen, in der zum finanziellen Einzelziel eine „Nutzengröße" für die psychische Risikoneigung hinzutritt (vgl. ab S. 99). Bei der Gefahr von Ex-post-Überraschungen bleibt das Gewinnmaximum erst recht unbestimmt. (3) Die Zielgrößen, die Planungen bzw. Entscheidungsmodellen vorgegeben werden, tragen verschiedene Namen. Statt von Nutzen wird auch von Präferenz, Bewertung oder auch von Verhaltensannahmen geredet, wenn die Zwecke (Ziele) gemeint sind, die einem Entscheidungsmodell vorgegeben, aber in ihrem Inhalt offengelassen werden. Es fördert die gedankliche Klarheit, zwischen diesen Begriffen zu differenzieren: (a) Präferenz benennt eine Annahme über die empirische Erwünschtheit eines Sachverhalts zur persönlichen Bedürfnisbefriedigung. Die Erwünschtheit kann sich beziehen auf das Eintreten eines Sachverhalts (z.B. den Besitz eines Autos) oder auf das Nichteintreten (z.B. eines Diebstahls). (b) Bewertung wird hier auf die in Geld gemessene Beurteilung eines Sachverhalts im Rechnungswesen beschränkt.
42 Vgl. dazu näher Schneider: Rechnungswesen (S. 312"5), S. 332-344.
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Informationen
und Entscheidungen als
Untersuchungsgegenstand
(c) Verhalten wird in diesem Buch mit beobachtbaren Handlungen gleichgesetzt: vom Nase rümpfen bis zum Geldausgeben; über die Ziele, weshalb jemand sich so oder anders „verhält", ist damit nichts gesagt. (d) Nutzen ist ein Modellbegriff, der Name für eine zunächst unerläuterte Zielgröße, die einem Entscheidungsmodell vorgegeben wird. Mit einem psychischen Tatbestand der Bedürfnisbefriedigung im Sinne von „jetzt bin ich satt" oder „glücklich" hat der wirtschaftstheoretische Begriff des Nutzens nichts zu tun. „Nutzen" als eine Symbolbezeichnung in Entscheidungsmodellen ist eine Zielvorgabe, kein B e g r i f f f ü r eine nach Vollzug von Handlungen verwirklichte Bedürfnisbefriedigung. Diese Eingrenzung des vagen Begriffs Nutzen ist notwendig, weil eine Untugend in zahlreichen wirtschafistheoretischen Modellen darin besteht, das Ergebnis eines Nutzenmaximierungskalküls mit einer rationalen Handlung und deren Ex-post-Ergebnis gleichzusetzen. Damit werden eine Reihe logisch erforderlicher Verknüpfungen unter den Teppich gekehrt, nämlich solche zwischen - Wünschen (Motiven, etwas zu tun), - Einschätzungen von Handlungsmöglichkeiten hinsichtlich ihrer Eignung zum Erfüllen von Wünschen, - Glaubwürdigkeitsaussagen über den Erfolg von Bemühungen (Mitteleinsätzen), um Handlungsmöglichkeiten in einzelnen künftigen Zuständen der Welt zu verwirklichen, und - Aussagen über das Erreichen von Wünschen durch eine Handlung. Bei der Aufstellung der Zielfunktion und damit vor der Ableitung eines Modellergebnisses ist also eine Reihe von Schritten erforderlich, um das Gewünschte mit dem erreichbaren „Nutzen" logisch zu verbinden^. (4) Wegen des formalen Charakters von „Nutzen" ist es falsch, Nutzenmaximierung mit eigensüchtigem Verhalten gleichzusetzen; denn nichts hindert daran, neben oder statt Maßgrößen für den Eigennutz (wie Einkommenserwerb oder Höhe der eigenen Konsumausgaben) Maßgrößen fiir das Wohlergehen anderer in die eigene Nutzenfunktion aufzunehmen (wie Ausgaben für Spenden an mildtätige Einrichtungen oder andere Indikatoren für Altruismus). Ja sogar Sozialneid und Schadenfreude können zu Maßgrößen in der eigenen Nutzenfunktion werden (jede Handlung, die mißliebige Personen schädigt, erhält einen nutzenerhöhenden Zielbeitrag). Altruismus läßt sich vergröbernd so verstehen, daß jemand „willens ist, seinen eigenen Konsum einzuschränken, um den Konsum anderer zu erhöhen"^. Gleichwohl kann (muß aber nicht) sein Konsum den „eines gleich fä43 Vgl. näher Ken Dennis: Economic Theory and the Problem of Translation. In: Journal of Economic Issues, Vol. 16 (1982), Teil I, S. 691-712, Teil II, S. 1039-1062, hier S. 1050 f.
Informationen als Bedingungen vernünftiger Planung vor Prognosen
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higen Egoisten übersteigen, weil die Nutznießer seines Altruismus davon abgehalten werden, ihm zu schaden". Ein solches ökonomisches Modell des Altruismus erklärt dieses Ziel durch die Vorteile physischer und sozialer Wechselwirkungen und nicht, wie in der Soziobiologie, durch genetische Selektion* 5 . c) Nutzenmaximierungs&zfc'Ze setzen das Messen der persönlichen Einschätzungen mit Namen „Nutzen" in quantitativen Begriffen voraus. Was der Student über das Erfordernis der Nutzenmessung in volkswirtschaftlichen Lehrtexten liest, geht über vordergründige Aussagen, die teilweise schon aus logischen Gründen falsch sind, regelmäßig nicht hinaus, z.B.: (1) Der quantitative Begriff Grenznutzen sei inzwischen durch den Begriff Grenzrate der Substitution ersetzt, der nur Rangordnungen über die Nutzenschätzungen (x steht an erster, y an zweiter Stelle usw.) verlange^. Diese Aussage ist jedoch einzuschränken: Der Begriff Grenzrate der Substitution erfordert nur dann weniger Meßvoraussetzungen, wenn man z.B. unterstellt, es sei vernünftig, Kaffee dem Tee, Tee dem Sprudel und Sprudel dem Kaffee vorzuziehen, also nicht-transitive Rangordnungen zuläßt^. Nun Iäßt sich zwar eine Theorie des Konsumentenhaushalts aufbauen ohne die Annahme der Transitivität, vorausgesetzt, daß die Konsumenten irgendetwas maximieren* 8 . Aber damit ist das Problem nur verschoben auf die Ebene, ob Konsumenten maximieren können und wollen angesichts der Unsicherheit, ihres untereinander ungleich verteilten Wissens und ihrer Fähigkeiten, die Folgen aus ihrem Tatsachenwissen für das Erreichen des von ihnen Gewünschten zu erkennen. (2) Die Theorie der „offenbarten Präferenzen" schließe von beobachteten Wahlhandlungen mit Hilfe von Situationslogik auf die der Handlung angeb44
Gary S. Becker: Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens. Tübingen 1982, S. 320, das folgende S. 329, 332.
45
Vgl. dazu auch Theodore C. Bergstrom, Oded Stark: How Altruism Can Prevail in an Evolutionary Environment. In: The American Economic Review, Papers and Proceedings, Vol. 83 (1993), S. 149-155. Vgl. z.B. Jochen Schumann: Grundzüge der mikroökonomischen Theorie. 6. Aufl., Berlin u.a. 1992, S. 50.
46 47
Vgl. Herman Wold: Κ synthesis of pure demand analysis. Part I. In: Skandinavisk Aktuarietidskrift, Bd. 26 (1943), S. 85-118, bes. S. 109-117;/ II
(2) Sind quantitative Wahrscheinlichkeiten gegeben, so treten neben die Nutzendominanz mehrere Fälle stochastischer Dominanz, d.h. der Überlegenheit einer Alternative aufgrund der Wahrscheinlichkeitsverteilung ihrer Zielbeiträge. Stochastische Dominanz kann vom ersten, zweiten und von noch mehr Graden auftreten. (a) Mit stochastischer Dominanz vom ersten Grade ist die Überlegenheit einer Alternative gemeint, ein höheres Mindesteinkommen bei den kumulierten Wahrscheinlichkeiten zu erreichen, z.B. in folgendem Fall: Einkommen
10
50
100
Handlungsmöglichkeit I
Wahrscheinlichkeit
0,2
0,5
0,3
Handlungsmöglichkeit II
Wahrscheinlichkeit
0,4
0,3
0,3
Um hier zu erkennen, daß I > II, empfiehlt sich eine Umformung: Mit welcher Wahrscheinlichkeit m wird ein bestimmtes Mindesteinkommen erreicht? m Einkommen
I
II
mindestens
10
1,0
1,0
mindestens
50
0,8
0,6
0,3
0,3
genau 1 0 0
Das Einkommen von mindestens 10 ist bei beiden sicher, das Einkommen 100 für beide Alternativen gleich wahrscheinlich; das Einkommen von mindestens 50 ist ftir I wahrscheinlicher. Deshalb wird I vorgezogen. (b) Stochastische Dominanz vom zweiten Grade benutzt die Änderungen des Erwartungswertes hinsichtlich des Mindesteinkommens. Sie bietet eine Entscheidungsregel für risikoneutrale und dem Risiko abgeneigte Entscheidende. Ein Planender entscheidet risikoneutral, wenn er nach dem Erwartungswert der Zielbeiträge entscheidet, d.h. nach der Summe der mit ihren Wahrscheinlichkeiten gewichteten Zielbeiträge. Ein risikoabgeneigter Planer gewichtet hingegen bei gleicher Wahrscheinlichkeit niedrige Gewinnchancen stärker als höhere. Betrachten wir folgendes Entscheidungsfeld:
99
Entscheidungsregeln und Maße für die Risikobereitschaft
Einkommen
10
50
100
Handlungsmöglichkeit I
Wahrscheinlichkeit
0,2
0,5
0,3
Handlungsmöglichkeit II
Wahrscheinlichkeit
0,5
0,5
Hier steht dem Mindesteinkommen ein Mehreinkommen von 50 - 10 = 40 mit 30% bei I gegenüber (Erwartungswertsteigerung 0, 3 · 40 = 12), während das Mehreinkommen 100 - 50 = 50 bei II gegenüber I nur mit 2 0 % zu gewichten ist (Erwartungswertsteigerung 0, 2 · 50 = 10). Für jeden risikoneutralen Planer und fur jeden dem Risiko Abgeneigten ist insgesamt I > II. (3) Die Fälle stochastischer Dominanz lassen sich grafisch als „Risikoprofile" darstellen. Der Anwendungsbereich solcher Risikoprofil-Berechnungen ist überaus bescheiden^: (a) Es müssen quantitative Wahrscheinlichkeiten gegeben sein. (b) Die Wahrscheinlichkeiten müssen bei allen Handlungsmöglichkeiten so gelagert sein, daß im Hinblick auf das Mindesteinkommen bei gegebener Wahrscheinlichkeit bzw. auf die Mindestwahrscheinlichkeit bei gegebenem Einkommen stets eine Wahlmöglichkeit günstiger erscheint. Selbst wenn die erste Bedingung erfüllt sein sollte, so wird nur ganz selten die zweite Bedingung zugleich erfüllt sein. b) Eine zweite Entscheidungsregel bei nominalen Wahrscheinlichkeiten nennt das Minimaxprinzip: Entscheide für jene Handlungsweise, die den höchsten Zielbeitrag bei der schlechtesten Zukunftslage anzeigt. An „lexikographisch" erster Stelle steht hier eine äußerst pessimistische Risikoneigung: Den Ausschlag gibt bei jeder Alternative die schlechteste Zukunftslage. Unter den schlechtesten Zukunftslagen fällt die Wahl auf die Alternative mit dem dabei höchsten Zielbeitrag. Man betrachte folgendes Beispiel mit den Zukunftslagen Α und Β und den Handlungsmöglichkeiten I und II: A
Β
Handlungsmöglichkeit I
10
100
Handlungsmöglichkeit II
10
11
35 Vgl. Haim Levy, Yoram Kroll: Stochastic Dominance with Riskless Assets. In: Journal of Financial and Quantitative Analysis, Vol. 11 (1976), S. 743-777; R.G. Vickson, M. Altmann: On the Relative Effectiveness of Stochastic Dominance Rules: Extension to Decreasingly Risk-Averse Utility Functions. In: Journal of Financial and Quantitative Analysis, Vol. 12 (1977), S. 73-84. Grundlegend ist noch immerFishburn: Decision and Value Theory (S. 7 6 u ) , Kap. 6 und 7.
100
Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
Nach dem Minimaxprinzip ist strenggenommen I gleichwertig II, was dem Dominanzprinzip widerspricht. Das Minimaxprinzip ist die bevorzugte Entscheidungsregel in der Spieltheorie, wenn ein „allwissender" Gegenspieler unterstellt wird . Gegen diese Regel spricht, daß rationales Handeln die Berücksichtigung aller geplanten Zukunftslagen voraussetzt. Das Minimaxprinzip beachtet jedoch praktisch fur jede Handlungsalternative nur eine einzige Zukunftslage: die schlechteste. Dadurch wird stillschweigend ausgeschlossen, daß irgendeine andere, bessere Zukunftslage eintreten kann. Doch dann gibt eine Entscheidungsmatrix, wie die obige, kein strukturgleiches Abbild der realisierbaren Zukunftslagen wieder. Sie ist deshalb als Entscheidungsmodell fur das zu lösende Problem falsch gewählt37. c) Die Entscheidungsregel nach dem Bernoulliprinzip lautet: Maximiere den Erwartungswert des Risikonutzens einer Sachzielgröße! Üblich ist der Bezug des Risikonutzens auf das Endvermögen am Planungshorizont in den jeweiligen Zukunftslagen. Statt der finanziellen Zielgröße Vermögen können auch andere gewählt werden, z.B. Einkommen (dazu näher S. 107 f.). (1) Der Grundgedanke dieser Risikonutzentheorie lautet: Sind quantitative Wahrscheinlichkeiten für Geldbeträge oder andere Zielgrößen gegeben, so wird nicht das mit den Wahrscheinlichkeiten gewichtete arithmetische Mittel (der Erwartungswert) der Zielbeiträge der Entscheidung unter Ungewißheit zugrundegelegt, sondern der Erwartungswert einer persönlichen Einschätzung von Chancen für das Erwerben von ewiger Seligkeit, Geldbeträgen oder anderen Sachzielen. So fuhrt z.B. Pascal, der das Dominanzprinzip ftir einen vermeintlichen Beweis der Existenz Gottes benutzte38, seinen Gottesbeweis so weiter: Selbst wenn sündiges Leben angenehmer sei als ein gottesfurchtiges, sei an Gott zu glauben; denn ewige Seligkeit sei unendlich mal höher einzuschätzen und hätte selbst bei kleinster Wahrscheinlichkeit noch einen unendlichen Wert gegenüber dem endlichen Nutzen, der bei sündigem Leben zu erreichen wäre. Da rationale Wettquotienten über die Existenz Gottes nicht gebildet werden können (S. 90-94), und Pascals Gleichsetzung von sündigem Leben mit ewiger Verdammnis den christlichen Gedanken einer Vergebung der Sünden unter36
Vgl. Abraham Wald: Statistical Decision Functions. N e w York 1950, S. 18.
37
Zu anderen Entscheidungsregeln vgl. z.B. Luce, Raiffa: Games and Decisions (S. 85 2 3 ), S. 278-286; Wilhelm Krelle unter Mitarbeit von Dieter Coenen: Präferenz- und Entscheidungstheorie. Tübingen 1968, S. 185-193. Vgl. Pascal: Infini rien. In: Oeuvres competes, hrsg. von L. Lafuma. Paris 1963, S. 5 5 0 f.; vgl. dazu Ian Hacking: The Emergence of Probability. Cambridge u.a. 1975, S. 63-72.
38
Entscheidungsregeln und Maße für die Risikobereitschaft
101
schlägt, taugt auch die Weiterfiihrung seines Gottesbeweises nichts - außer als didaktisches Beispiel für eine Risikonutzenüberlegung. Ausgangspunkt für mathematische Risikonutzenüberlegungen bildet die Theorie der Glücksspiele 39 . Vor Cramer und Bernoulli war man der Auffassung, daß der Erwartungswert eines Spiels die Höhe des Einsatzes bestimme. Aber der Erwartungswert als Entscheidungskriterium impliziert, daß sichere 20.000 D M gleichgeschätzt werden z.B. 0 mit 98%, 1 Mio. D M mit 2% Wahrscheinlichkeit. Darüber hinaus kann der Erwartungswert als Entscheidungsregel zu unsinnigen Folgen fuhren, wie sich beim sogenannten „Petersburger Spiel" zeigt. Der Leser prüfe selbst: Wieviel Einsatz würde er äußerstenfalls wagen, um an folgendem Spiel beteiligt zu werden? Es wird eine Münze geworfen. Fällt Zahl, erhält der Leser 2 DM, und das Spiel ist beendet. Fällt Wappen, erfolgt ein zweiter Wurf. Fällt beim zweiten Wurf Zahl, erhält der Leser 4 DM, und das Spiel ist aus. Fällt beim zweiten Wurf Wappen, erfolgt ein dritter Wurf. Fällt beim dritten Wurf Zahl, erhält der Leser 8 DM usw. Das Spiel ist also beendet, wenn beim n-ten Wurf erstmals Zahl fällt. Dem Leser werden 2 n D M ausgezahlt. Die Wahrscheinlichkeit, daß beim ersten Wurf Zahl fällt, beträgt (bei einer idealen Münze) 0,5; die Wahrscheinlichkeit, daß beim zweiten Wurf Zahl fällt, beträgt 0,5 ' 0,5 = 0,25 usw. Die mathematische Erwartung (der Erwartungswert) errechnet sich für das Spiel als 0,5 - 2 + 0, 2 5 - 4 + 0,125 · 8 + ... = 1 + 1 + 1 + ... = °°
(5)
Jedoch wird kaum jemand auch nur 10 DM ftir das Spiel einsetzen. Tritt an die Stelle des Erwartungswerts der Spielauszahlung der Erwartungswert des Nutzens dieser Vermögenserhöhung, dann entsteht in Bernoullis Beispiel ein endlicher Wert des Spiels (was aber bei abnehmendem Grenznutzen keineswegs immer stimmt, da ein abnehmender Grenznutzen nicht bei endlichen Vermögenshöhen unter null sinken mu ß 40 ). Für Bernoulli verläuft der Nutzen, die „moralische Erwartung", nach einer logarithmischen Funktion, also im einfachsten Fall: Ν (V) = In V, wobei V die Vermögenszunahme (Spielauszahlung) bezeichnet und N(V) ihren Risikonut39
Erstmals bei dem Genfer Mathematiker Gabriel Cramer\ 1704-1752, der 1728 eine Wurzelfunktion für den Risikonutzen wählt. Unabhängig davon stößt 1732 Daniel Bernoulli auf denselben Gedanken und baut ihn in einer 1738 veröffentlichten Untersuchung (Specimen Theoriae novae de Mensura Sortis) aus, hier zitiert nach der deutschen Übersetzung durch Alfred Pringsheim; vgl. Daniel Bernoulli: Die Grundlage der modernen Wertlehre: Versuch einer neuen Theorie der Wertbestimmung von Glücksfällen. Leipzig 1896, S. 23-60. 40 Vgl. Karl Menger: Das Unsicherheitsmoment in der Wertlehre: Betrachtungen im Anschluß an das sogenannte Petersburger Spiel. In: Zeitschrift fur Nationalökonomie, Bd. 5 (1934), S. 459-485, hier S. 464 f.
102
Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
zen, die „moralische Erwartung". Der Erwartungswert μ des Risikonutzens gleicht der Summe der mit ihren Wahrscheinlichkeiten gewichteten Risikonutzen einer jeden möglichen Spielauszahlung: μ [ Ν ( V ) ] = 0, 5 · ln2 + 0, 25 · ln4 + 0, 125 · ln8 + ... = 1η2 £ η (0, 5) n . π=ι
(6)
Dieser Ausdruck unter dem letzten Summenzeichen lautet ausgeschrieben 1 · 0, 5 + 2 · 0, 25 + 3 · 0, 125 + ... = 2 , folglich μ [Ν (V) ] = 2 ln2 .
(6a)
Der Erwartungswert des Risikonutzens beträgt bei der gewählten Risikonutzenfunktion demnach fiir das Petersburger Spiel etwa 1,39. Dieser Nutzenindex ist nicht mit dem vernünftigerweise zu wagenden Spieleinsatz identisch; denn der Spieler erhält mindestens 2 D M (oder 4 oder noch mehr). Vielmehr ist aus der Funktion für die moralische Erwartung nur ein Sicherheitsäquivalent abzulesen. Aus In V = 2 ln2 folgt V = 2 2 = 4. Dieses Sicherheitsäquivalent von 4 DM ist im Regelfall der Risikoabneigung höher als der maximale Spieleinsatz; denn es ist ein Unterschied, ob jemand ein Lotterielos zu seinem Sicherheitsäquivalent verkauft oder zu diesem Preis kauft. Erhöhen wir die Einsätze im Petersburger Spiel so, daß das Sicherheitsäquivalent 40.000 D M und damit z.B. die Hälfte des Vermögens des Spielers beträgt, so ist einsichtig; Die Umwandlung von Vermögenschancen in ein sicheres Mehrvermögen, so daß 80.000 D M sicheres Vermögen bleiben, wird von vielen anders beurteilt werden als das Wagen von 40.000 DM in einem solchen Spiel mit ungewissem Ausgang. Nur bei gleichbleibender absoluter Risikoabneigung (dazu S. 112) und bei Risikoneutralität sind Sicherheitsäquivalent und maximaler Spieleinsatz identisch'*1. Für bescheidene Beträge kann der Unterschied zwischen Verkauf eines Lotterieloses zum Sicherheitsäquivalent und dem Kauf (Spieleinsatz) vernachlässigt werden. Hierfür erscheint Bernoullis Nutzenfunktion mindestens als „Musterbeispiel" für einen vernünftigen Glücksspieleinsatz brauchbar zu sein, und wir finden sie ähnlich im WeberFechnerschen „Grundgesetz der Psychophysik" wieder 42 . 41
42
Vgl. Hans Schneeweiß: Entscheidungskriterien bei Risiko. Berlin u.a. 1967, S. 46, 85. Die Abweichung zwischen Sicherheitsäquivalent und maximalem Spieleinsatz erklärt teilweise das Auseinanderfallen von Kauf- und Verkaufspreisen und damit den sog. Besitztumseffekt; dieser ist, entgegen Eise.nführ, Weber: Rationales Entscheiden (S. I I 1 3 ) , S. 328, zumindest teilweise durch die Risikonutzentheorie abbildbar. Dessen gängige Formulierung „gleiche relative Reizänderungen rufen gleiche absolute Empfindungsänderungen hervor" zeigt Ähnlichkeit mit Bernoullis Formel, was Fechner erkennt, der darauf verweist, daß das Vermögen ein Mittel zur Erzeugung „werthvoller Empfindungen" sei, vergleichbar einem Reiz (Gustav Theodor Fechner: Elemente der Psychophysik. Erster Theil, Leipzig 1860, S. 236-238).
Entscheidungsregeln und Maße für die Risikobereitschaft
103
(2) Die Entscheidungsregel des Bernoulliprinzips gilt fiir den Fall, daß (a) das Ausmaß persönlichen Für-wahr-Haltens von Zukunftslagen in quantitativen Wahrscheinlichkeiten festgelegt werden kann, und (b) die Bedingung der jederzeitigen Austauschbarkeit von Sachzielen und Risikoneigung erfüllt ist (das Stetigkeitsprinzip in Form eines Sicherheitsäquivalents für die Einkommenschancen gilt). (3) Damit Risikonutzenzahlen existieren, bedarf es derselben entscheidungslogischen Axiome, welche die Existenz von quantitativen personalen Wahrscheinlichkeiten gewährleisten. Personale Wahrscheinlichkeiten und der Erwartungswert des Risikonutzens sind insoweit „simultan' ' bestimmt 43 . Dieser Sachverhalt ist bei der Beurteilung des bekanntesten Beispiels gegen das Unabhängigkeitsprinzip und damit auch gegen die „Vernünftigkeit" der Entscheidungsregel „Maximiere den Erwartungswert des Risikonutzens" 44 zu beachten: Entscheiden Sie bitte zwischen Aj und Bj! A j : Sie erhalten eine Mio. D M mit Sicherheit. Bj: Sie erhalten fünf Mio. D M mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,1 oder eine Mio. D M mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,89 oder nichts mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,01. Vermutlich wird ein erheblicher Teil der Leser A j wählen. Nunmehr entscheiden Sie sich bitte zwischen A 2 und B 2 ! A 2 : Sie erhalten eine Mio. D M mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,11 oder nichts mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,89. B 2 : Sie erhalten fünf Mio. D M mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,10 oder nichts mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,90. Hier werden viele Leser B 2 wählen; denn bei fast gleicher Wahrscheinlichkeit besteht hier die Chance, fiinf Mio. D M zu gewinnen. Eine Entscheidungsfolge A j > Bj, B 2 > A 2 widerspricht jedoch dem Bernoulliprinzip. Wer nach der Theorie des Risikonutzens handelt und beim ersten Spiel A j gewählt hat, muß beim zweiten Spiel A 2 wählen, sonst wirft er seine ursprüngliche Präferenzordnung um (verstößt gegen das Rangordnungsprinzip). Der Nachweis ist leicht zu fuhren: Die Risikonutzenschätzung, eine Mio. D M zu gewinnen, bezeichnen wir mit N ( l ) , den Nutzen der Möglichkeit, fünf Mio. D M zu gewinnen, mit N(5). Die einzelnen Risikonutzenvorstellungen sind mit ihren Wahrschein43
So axiomatisiert Savage: The Foundations (S. 77 1 2 ), S. 6-104, personale Wahrscheinlichkeiten und Risikonutzen in einem Zuge, vgl. ferner die Rekonstruktion bei Stegmüller: Band IV/1 (S. 77 1 2 ), S. 306-323, oder Krantz, Luce, Supp es, Tversky: Foundations of Measurement (S. 75'), Chapter 8. 44 Vgl. Μ. Allais: Le Comportement de l'Homme Rationnel devant le Risque: Critique des Postulats et Axiomes de l'Ecole Americaine. In: Econometrica, Vol. 21 (1953), S. 503546, bes. S. 527.
104
Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
lichkeiten zu gewichten und dann zu addieren. 1· N(l) ist der „Erwartungswert" des Risikonutzens von Spiel Aj als offenkundiges Sicherheitsäquivalent. Bei der Wahl A j > Bj muß das Sicherheitsäquivalent für Aj, d.h. N(l), über dem flir Bj, definiert durch den Erwartungswert des Risikonutzens von Bj, liegen: N(l) > 0,1 N(5) + 0,89 N(l) + 0,01 N(0). Bei der Wahl B 2 > A 2 übersteigt hingegen der Erwartungswert des Risikonutzens von B 2 den von A 2 : 0,1 N(5) + 0,9 N(0) > 0,11 N(l) + 0,89 N(0). Wenn wir die rechte und linke Seite beider Spiele addieren, was nach dem Unabhängigkeitsprinzip zulässig ist, so entsteht 0,1 N(5) + N(l) + 0,9 N(0) > 0,1 N(5) + N(l) + 0,9 N(0). Das ist jedoch ein Widerspruch, denn beide Seiten sind identisch. Dieser Widerspruch kann zwei Ursachen haben: Entweder entschied die Versuchsperson unvernünftig, dann mag die Theorie des Risikonutzens rationales Verhalten kennzeichnen. Oder die Versuchsperson handelte rational, dann bildet die Theorie des Risikonutzens nicht rationales Verhalten ab. Allais meint, daß die Versuchsperson unvernünftig handle, könne nicht behauptet werden. Er glaubt damit nachzuweisen, daß das Bernoulliprinzip nicht rationales Verhalten beschreibe. Nur das Rangordnungs- und das Dominanzprinzip seien als Voraussetzungen rationalen Verhaltens unter Ungewißheit anzusehen, nicht jedoch das Stetigkeits- und das Unabhängigkeitsprinzip. Seine Kritiker schließen hingegen: Rationales Verhalten sei keineswegs selbstverständlich, und bei komplizierten Wahlproblemen müsse man eben mit zunächst fehlerhaftem Verhalten rechnen. Werden die Versuchspersonen auf den Widerspruch in ihren Entscheidungen aufmerksam gemacht, würden sie ihre erste Entscheidung umstoßen. Wer darüber nachdenkt, worin der Unterschied zwischen beiden Spielen liegt, mag sich das Beispiel von Allais als Ziehen von durchnumerierten Losen aus einer Trommel vorstellen^: Losnummern:
1-11
12-100
Gewinne bei A]
1 Mio. DM
1 Mio. D M
Gewinne bei
1 Mio. DM
0
Losnummern:
1
2-11
12-100
Gewinne bei B t
0
5 Mio. D M
1 Mio. D M
Gewinne bei B 2
0
5 Mio. D M
0
Entscheidungsregeln und Maße flir die Risikobereitschaft
105
Wer seine Vernunft gebrauche, müsse folgern: Ziehe ich ein Los der N u m mern 12-100, dann ist es gleichgültig, ob ich Aj oder B j bzw. A 2 oder B 2 wähle. Die Zahlung ist hier für beide Alternativen gleich: im ersten Spiel 1 Mio., im zweiten Spiel nichts. Die Spiele unterscheiden sich nur für den Fall, daß ein Los mit den Nummern 1-11 gezogen wird. Für diesen Fall besteht zwischen beiden Spielen das gleiche Wahlproblem: Bei Aj und A 2 werde 1 Mio. gewonnen, bei B j und B 2 bestehen zehn Zukunftslagen, um 5 Mio. D M zu gewinnen, und eine, nichts zu erhalten. Das Wahlproblem: 1 Mio. D M gegen eine 10:1 Chance, 5 Mio. D M oder nichts zu erzielen, ist bei beiden Spielen dasselbe, und deshalb müsse die Entscheidung in beiden Spielen gleich lauten. Dagegen wurde eingewandt: Eine sichere Alternative (Aj) sei anders einzuschätzen als eine unsichere (A 2 ), und deshalb könne das Unabhängigkeitsprinzip nicht allgemein gelten 46 . Sobald personale Wahrscheinlichkeiten vorliegen, ist dieser Einwand allerdings unzulässig; denn deren Konstruktion setzt bereits das Unabhängigkeitsprinzip voraus. Man kann nicht für eine Entscheidungsregel unter Ungewißheit ein Axiom ablehnen, das man zuvor bei der Wahrscheinlichkeitsbildung benutzt hat. Sind hingegen die Entscheidenden vor objektive Wahrscheinlichkeiten, abgeleitet aus empirischen Häufigkeiten, gestellt, dann sind sie keineswegs logisch gezwungen, ihre subjektiven Wahrscheinlichkeiten gleich den Häufigkeitsziffern zu setzen. Es ist keine logische Frage, ob man den Grad seines persönlichen Für-wahr-Haltens auf einer Verhältnisskala mißt. Wer kann denn die Garantie geben, daß in einem praktischen Spiel behauptete „objektive" Wahrscheinlichkeiten tatsächlich unverfälscht zur Geltung kommen? Deshalb ist es zulässig, die Häufigkeits-Information nur in eine Messung von subjektiven Wahrscheinlichkeitsintervallen bzw. Rangordnungen von Glaubwürdigkeiten umzusetzen. Für diese schwächeren Formen der Glaubwürdigkeitsmessung ist aber das Bernoulliprinzip nicht mehr als vernünftig definiert^; denn es setzt eine Messung der Glaubwürdigkeiten auf einer Verhältnisskala voraus. Vielmehr läßt sich dann, wenn bestenfalls Wahrscheinlichkeitsintervalle existieren, auch zusätzliche Risikoscheu als vernünftig begründen 4 8 .
(4) Ein Erwartungswert des Risikonutzens als geplantes Sicherheitsäquivalent sagt nichts über eine tatsächliche erreichbare Bedürfnisbefriedigung, also irgendeinen Geld- oder Güternutzen,
aus. Zwei Gründe geben den Ausschlag: Z u m ei-
45 Vgl. Savage: The Foundations (S. 77 1 2 ), S. 103. 46 Vgl. Allais: Le Comportement (S. 103 44 ), S. 525-530; ähnlich Krelle und Coenen: Präferenz· und Entscheidungstheorie (S. 100 37 ), S. 139-147. 47 Dagegen ist es möglich, durch Abschwächung des Unabhängigkeitsaxioms den Einwand abzufangen, vgl. z.B. Schmeidler: Subjective Probability (S. 85 ), S. 576, 585 f. 48 Vgl. Isaac Levi: On Indeterminate Probabilities. In: The Journal of Philosophy, Vol. 71 (1974), S. 391-418, hier S. 409-412.
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Vernünftige
Entscheidungen
bei vorgegebenen
Informationen
nen bezieht sich ein Geld- oder Güternutzen auf die persönliche Einschätzung von Zielbeiträgen einer als sicher angenommenen Zukunftslage; der Risikonutzen mißt hingegen die Einschätzung des Zielbeitrags in einer Zukunftslage innerhalb einer endlichen Menge an Zielbeiträgen alternativer Zukunftslagen, also unter Ungewißheit. Zum anderen ist seit Jahrzehnten bekannt, daß die Regel „Maximiere den Erwartungswert des Risikonutzens" fragwürdig wird, wenn neben die Nutzenschätzung des Geldes eine nicht-lineare Nutzenschätzung für die Wahrscheinlichkeit tritt"'. Das ist z.B. der Fall, wenn die Einschätzung der Glaubwürdigkeit einzelner Zukunftslagen auch durch Befürchtungen oder Hoffnungen des Entscheidenden über deren Eintritt bestimmt wird. In diesem Fall genügen die Axiome, die ausreichen, um entweder eine Meßbarkeit der subjektiven Wahrscheinlichkeiten oder des Geldnutzens auf einer Intervallskala zu sichern, nicht mehr dafür, daß die gemeinsame Nutzenfunktion eindeutig bis auf eine lineare Transformation ist. Stattdessen ist sie lediglich eindeutig bis auf das Verhältnis zweier linearer Transformationen zueinander50. Angesichts dieser Beweislage wiederholt die zwischen 1975 und 1993 schwelende Diskussion über Höhenpräferenzen (Geldnutzen) und Risikopräferenzen in betriebswirtschaftlichen Schriften51 in der Sache nur längst Bekanntes. d) Wer die Theorie des Risikonutzens anwendet, hat genau darauf zu achten, für welches Sachziel der Risikonutzen definiert wird. Im Schrifttum ist es üblich geworden, den Risikonutzen auf das Gesamtvermögen einer Person zu einem Zeitpunkt zu beziehen52; denn nur eine Gesamtbetrachtung des vorhandenen Vermögens und des Gesamtprogramms an Handlungsmöglichkeiten erlaubt es, Ursachen fur Einkommensunsicherheiten als wirtschaftliche Bestimmungsgründe für den Verlauf des Risikonutzens zu messen: (1) Optimale Entscheidungen sind - auch unter angenommener Planungssicherheit - nur dann zu finden, wenn das Vermögen einer Person oder einer 49
Vgl. Menger: Das Unsicherheitsmoment (S. ΙΟΙ 40 ), S. 478, sowie dessen Diskussionsbeitrag in: Zeitschrift für Nationalökonomie, Bd. 32 (1972), S. 128 f. Darauf beruht auch die „Prospekttheorie" mit nicht addierbaren Wahrscheinlichkeitsgewichten, vgl. Daniel Kahneman, Arnos Tversky: Prospect Theory: An Analysis of Decision Under Risk. In: Econometrica, Vol. 4 7 (1979), S. 263-291, z.B. S. 280-284. 50 Vgl. Ethan D. Bolker: A Simultaneous Axiomatization of Utility and Subjective Probability. In: Philosophy of Science, Vol. 34 (1967), S. 333-340; ein entsprechender Beweis geht auf den Mathematiker Kurt Gödel zurück; vgl. Stegmüller: Band IV/1 (S. 77 1 2 ), S. 356. 51 Vgl. zu einem Überblick Harald Dyckhojf: Ordinale versus kardinale Messung beim Bernoulli-Prinzip. In: OR Spektrum, Jg. 15 (1993), S. 139-146. 52 Man folgt hier Kenneth J. Arrow: Aspects of The Theory of Risk-Bearing. Helsinki 1965, S. 33, das folgende Zitat S. 30; vgl. auch ders.: Essays in the Theory of Risk-Bearing. Amsterdam u.a. 1974, S. 92-94.
Entscheidungsregeln
und Maße für die Risikobereitschafi
107
Unternehmung als Einheit betrachtet wird. Über die Vorteilhaftigkeit einer einzelnen Handlungsmöglichkeit kann nur entschieden werden nach dem Zielbeitrag (z.B. dem Einkommens- bzw. Vermögenszuwachs), der daraus für die Unternehmung insgesamt entsteht. Daran kann sich nichts ändern, wenn die Ungewißheit ausdrücklich berücksichtigt wird. (2) Die Risikobereitschaft des Entscheidenden wird durch eine Mischung der verschiedenen risikobehafteten Handlungsmöglichkeiten mitbestimmt, die zum bestehenden Vermögen hinzutreten. Risikobereitschaft bezieht sich auf die W a h l zwischen mehr oder weniger unsicherheitsbehafteten Handlungsmöglichkeiten. Risikobereitschaft ist eine beobachtbare Folge der psychischen Risikoneigung, also nicht mit dieser identisch. (3) Eine Aufgabe der ökonomischen Theorie ist es, die Preisbildung bei risikotragenden Anlagen (z.B. Aktien) zu erklären bzw. Gesichtspunkte für die Höhe einer Angebots-Preisuntergrenze (Nachfrage-Preisobergrenze) zu erarbeiten. Eine Theorie der Preisbestimmung für risikotragende Anlagen setzt voraus, daß Käufer und Verkäufer vor alternative Gesamtvermögenshöhen gestellt werden. e) Dem Bezug des Risikonutzens auf das Vermögen stehen jedoch drei Gesichtspunkte entgegen: (1) Die Vorstellung vom Risikonutzen in Abhängigkeit vom Gesamtvermögen entzieht sich der empirischen Überprüfung. U m die Probleme der Vermögensbewertung zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb des Planungszeitraums in den Griff zu bekommen, unterstellt z.B. Arrow (Fn. 52), daß entweder das Gesamtvermögen aus einem einzigen Gegenstand besteht oder daß die S u m m e aller Marktpreise fur die einzelnen Güter das Gesamtvermögen ausmache. „There is no loss in generality under perfect competition so long as prices remain constant". Dummerweise besteht in der Realität weder ein Konkurrenzgleichgewicht, noch bleiben die Preise konstant. Vielmehr besteht der einzige theoretisch akzeptable Weg, um das Gesamtvermögen zu einem Zeitpunkt zu bestimmen, darin, das Gesamtvermögen als Barwert künftiger Einnahmen bzw. als Barwert der Konsumentnahmen-Ströme zu definieren. Indes fuhrt unter Ungewißheit diese Bewertungsvorstellung zu unlösbaren Schwierigkeiten: (a) Der Diskontierungsfaktor ist unbekannt, weil es in der Realität keine Konkurrenzgleichgewichte unter Ungewißheit gibt^ 3 . (b) Jeder Nutzenindex in der Risikonutzenfunktion m u ß einem einzigen Betrag des Endvermögens zugeordnet werden. Doch wie soll das Endvermögen eindeutig gemessen werden, wenn das Endvermögen als Gegenwartswert 53 Vgl. näher Schneider: Grundlagen (S. 5 3 ), S. 275-282.
108
Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
künftiger Wahrscheinlichkeitsverteilungen von Zahlungen verstanden wird, die mit einem Zinssatz diskontiert werden müssen, der nicht beobachtbar ist, weil er zu jedem Zeitpunkt dem Konkurrenzgleichgewichtspreis auf einem Kapitalmarkt zu entsprechen hätte? (2) Bei mehrperiodigen Entscheidungsproblemen, in denen die künftigen Konsumentnahmen ungewiß sind, existiert nicht immer eine Risikonutzenfunktion, bezogen auf das Endvermögen^. Investitions- und Finanzierungsentscheidungen sind aber durchgängig mehrperiodig. (3) Um Einzelfolgerungen zu ziehen (z.B. hinsichtlich des Einflusses der Gewinnbesteuerung auf die Risikobereitschaft zu Investitionen), empfiehlt es sich schon aus didaktischen Gründen, den Risikonutzen nicht auf das Gesamtvermögen, sondern auf den Gewinn bzw. das zu versteuernde Einkommen zu beziehen. Allerdings ist dazu die Unterstellung nötig, daß Verluste in keiner Zukunftslage entstehen, weil die folgenden Maße für Risikoabneigung nicht auf negative Risikonutzengrößen übertragbar sind. 2. Erscheinungsformen
der
Risikoneigung
a) Ein Sicherheitsäquivalent wird gemessen anhand einer Risikonutzenfunktion (S. 102). Es erlaubt, den umgangssprachlichen Begriffen Risikoneutralität, Risikoabneigung (Risikoscheu) und Risikofreude als drei Erscheinungsformen von Risikoneigung einen präzisen, weil modellgestützten Sinn zu geben. Für die Trennung von Risikoneutralität, Risikoabneigung und Risikofreude bietet sich das Verhältnis von Sicherheitsäquivalent und Erwartungswert der Zielgröße (nicht ihres Risikonutzens) an^. Dabei ist zu beachten, daß sich die Formen der Risikoneigung als Ausdrücke unterschiedlicher psychischer Veranlagung auf die gesamte vorliegende Wahrscheinlichkeitsverteilung beziehen (und nicht nur auf einzelne Intervalle der Wahrscheinlichkeitsverteilung). (1) Risikoneutralität ist gegeben, wenn Sicherheitsäquivalent und Erwartungswert der Zielgröße übereinstimmen. Wer 20.000 DM sicheres Einkommen gleichschätzt dem Spiel, mit Wahrscheinlichkeiten von 8/g 10.000 DM oder I/9 100.000 DM zu verdienen (Erwartungswert 20.000), der handelt risikoneutral. (2) Risikozuneigung (Risikofreude) tritt auf, wenn das Sicherheitsäquivalent über dem Erwartungswert liegt: z.B. wenn ein Unternehmer die Chance, mit 10% Wahrscheinlichkeit 100.000 DM verdienen oder mit 90% Wahrscheinlichkeit 10.000 DM (Erwartungswert 19.000), gleichschätzt dem sicheren Einkommen von 20.000 DM. Jeder, der sich an Lotto, Toto und anderen 54 Vgl. Jan Mossin: Theory of Financial Markets. Englewood Cliffs 1973, S. 29-32. 55 Vgl. z.B. Schneeweiß: Entscheidungskriterien bei Risiko (S. 102 4 1 ), S. 45.
Entscheidungsregeln und Maße für die Risikobereitschaft
109
Glücksspielen beteiligt, handelt dem Risiko zugeneigt; denn bei allen diesen Glücksspielen wird nur ein Teil der S u m m e aller Einsätze ausgeschüttet. Der Erwartungswert liegt deshalb unter dem Sicherheitsäquivalent. Solange nur ein bescheidener Bruchteil des Vermögens verspielt wird, können wir Sicherheitsäquivalent und Einsatz vergröbernd gleichsetzen (S. 102). (3) Risikoabneigung (Risikoscheu) liegt vor, wenn das Sicherheitsäquivalent kleiner ist als der Erwartungswert: z.B. wenn ein Unternehmer sichere 2 0 . 0 0 0 D M gleichschätzt der Chance, mit je 5 0 % Wahrscheinlichkeit 10.000 D M oder 100.000 D M zu erhalten (Erwartungswert 55.000 D M ) . Es ist zu beachten, daß die Begriffe Risikofreude und Risikoscheu, so wie sie hier definiert wurden, jeweils einen sehr breiten Verhaltensbereich einschließen. b) Wird Risikoabneigung innerhalb der Risikonutzentheorie definiert, so lassen sich das Sicherheitsäquivalent und die Risikobereitschaft (vereinfacht a u f die Wahl zwischen einer als risikolos geltenden Investition und einer risikobehafteten mit zwei Zukunftslagen) anhand einer Zeichnung verständlich mac h e n 5 6 . Aus Gründen der bequemen Rechnung seien bei der risikobehafteten Investition die gute und die schlechte Zukunftslage gleich wahrscheinlich.
Abbildung 2
56 Abgewandelt nach J.E. Stiglitz: The Effects of Income, Wealth, and Capital Gains Taxation on Risk-Taking. In: The Quarterly Journal of Economics, Vol. 83 (1969), S. 263283, hier S. 266-268; zum folgenden vgl. auch M.J. Brennan, Α. Kraus: The Geometry of Separation and Myopia. In: Journal of Financial and Quantitative Analysis, Vol. 11 (1976), S. 171-193, hier S. 176-179,181-184.
110
Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
Auf der Ordinate der Abbildung 2 ist das Endvermögen in der schlechten Zukunftslage V s abgetragen, auf der Abszisse das Endvermögen in der guten Zukunftslage Vg. Sichere Geldanlagen sind ftir wachsende Finanzierungsspielräume auf der 45°-Linie durch den Ursprung mit A, S, B, S' wiedergegeben, denn eine sichere Investition (wie z.B. S) fuhrt in der guten und schlechten Zukunftslage zu einem gleichen Endvermögen. Werden alternative Finanzbeträge allein in der risikobehafteten Anlage investiert, entstehe die Linie vom Ursprung durch U und U'. Sie zeigt die Höhe des Endvermögens in der schlechten Zukunftslage als Ordinatenwert, in der guten als Abszissenwert an. (1) Risikoneutralität bedeutet, daß das Sicherheitsäquivalent S dem Erwartungswert aus (im Beispiel 50%) des Endvermögens in einer schlechten Zukunftslage (z.B. V s =0) und einer guten (z.B. V g =N) gleicht. Auf der gestrichelten Linie SN lägen alle Investitionsmischungen mit gleichem Erwartungswert wie S. Dies besagt zugleich: SN gibt die „Risikoindifferenzkurve" eines risikoneutralen Geldanlegers wieder. Der risikoneutrale Investor würde allerdings bei gleichem Geldeinsatz die risikobehaftete Investition U wegen ihres höheren Erwartungswerts der sicheren Anlage S vorziehen. (2) Risikoabneigung läßt sich innerhalb der Theorie des Risikonutzens durch einen abnehmenden Grenznutzen von Endvermögenschancen kennzeichnen. Mathematisch heißt das: Wenn N(V) die Risikonutzenfunktion in Abhängigkeit von Endvermögenschancen bezeichnet, so liegt Risikoabneigung vor, wenn die erste Ableitung der Risikonutzenfunktion in bezug auf die Vermögenschancen positiv, die zweite Ableitung negativ ist:
«
ü
=
K ( V ) > , „ i , i ™ =
N
"
m
< . .
(7)
Graphisch fuhrt eine solche Risikonutzenfunktion zu Indifferenzkurven, wie sie in der Abbildung 2 z.B. für U eingezeichnet sind. Die risikobehaftete Investition U verkörpert ein Sicherheitsäquivalent A. Für den hier beispielhaft angenommenen risikoabgeneigten Geldanleger ist die risikolose Investition S der risikobehafteten U überlegen. Doch ein Optimum stellt S nur dann dar, wenn beide Investitionen S und U unteilbar, Mischungen zwischen ihnen ausgeschlossen sind. (3) Sämtliche Investitionsmischungen zwischen risikoloser Anlage S und risikobehafteter U sind in ihrem Endvermögen auf der Verbindungsgeraden SU zu finden: Sie zeigen gegenüber der alleinigen risikolosen Geldanlage weniger Endvermögen in der schlechten Zukunftslage und mehr in der guten bzw. gegenüber der alleinigen Investition in der risikobehafteten Anlage mehr Endver-
Entscheidungsregeln und Maße für die Risikobereitschaft
111
mögen in der schlechten Zukunftslage und weniger in der guten. Bei der Investitionsmischung Ρ wird der Investor von seinem Anfangsvermögen das Verhältnis der Strecken P U : SU risikolos investieren und das Verhältnis der Strecken SP : SU in der risikobehafteten Anlage. Das Sicherheitsäquivalent der Investitionsmischung Ρ wird durch den Berührpunkt Β der Indifferenzkurve, auf der Ρ liegt, mit der 45°-Linie angezeigt. Da das Sicherheitsäquivalent Β der Investitionsmischung Ρ über dem von U (d.h. über A) und über S liegt, nennt Ρ das Optimum fiir dieses Modell. (4) Die Verbindung der Optima Ρ und P' sei Risikopfad genannt, wenn der Finanzierungsspielraum und damit das erwartete Endvermögen erhöht oder verringert wird. Ein solcher Risikopfad zeigt das Verhältnis zwischen den Anteilen an, die risikolos und risikobehaftet investiert werden. Wird auf den Achsen der Abbildung 2 nicht das Endvermögen abgetragen, sondern der Vermögenszuwachs (Gewinn), dann zeigt das Modell einen Fall, wenn bei sonst entscheidungsneutralem Steuerrechr 7 der Gewinnsteuersatz gesenkt wird (bei Bewegung von Ρ in Richtung P') oder wenn der Steuersatz erhöht wird (Bewegung von Ρ in Richtung Koordinatenursprung). In der Abbildung ändert sich das Aufteilungsverhältnis zwischen risikoloser und risikobehafteter Investition bei Änderung des Steuersatzes nicht. Abgebildet wird also eine Form von Risikoabneigung, in dem eine Änderung eines konstanten Gewinnsteuersatzes keinen Einfluß auf die Risikobereitschaft hat. (5) In der Abbildung 2 sind nur Kombinationen zwischen Endvermögenshöhen in beiden Zukunftslagen möglich, die zwischen der 45°-Linie und dem Fahrstrahl OUU' liegen. Die gestrichelte Fortsetzung der Linie SU in Richtung auf die Abszisse zeigt eine Erhöhung des Vermögens in der guten Zukunftslage auf Kosten des Vermögens in der schlechten Zukunftslage an: Der Entscheidende, der auf dem gestrichelten Teil sein Optimum findet, wird ein Mehrfaches der risikobehafteten Anlage kaufen und sich zu diesem Zweck verschulden. Im äußersten Fall (Schnittpunkt der gestrichelten Linie mit der Abszisse) würde die Kreditzurückzahlung am Planüngshorizont das Endvermögen in der schlechten Zukunftslage V s auf null drücken. Investitionsprogramme auf der gestrichelten Linie sind also möglich, sobald zu ein und demselben sicheren Zinssatz nach Belieben Geld aufgenommen und angelegt werden kann. Die strich-punktierte Fortsetzung der Strecke SU in Richtung auf die Ordinate zeigt eine Erhöhung des Vermögens in der schlechten Zukunftslage auf Kosten des Vermögens in der guten an. In der Kapitalmarktgleichgewichtstheorie wird hier von „Leerverkäufen" risikobehafteter Investitionen (Wertpapiere) geredet (S. 124). 57
Zu den dafiir notwendigen Voraussetzungen vgl. Schneider: Rechnungswesen (S. 31 2 5 ), S. 87-106.
112
Vernünfiige Entscheidungen bei vorgegebenen
Informationen
c) Die Graphik läßt sich ausbauen, um die Erscheinungsformen der Risikoabneigung zu verdeutlichen. Zunächst seien zwei Grundformen: absolute Risikoabneigung und relative Risikoabneigung-' 8 algebraisch definiert. Die Risikonutzenfunktion in Abhängigkeit vom Vermögen wird mit N(V) bezeichnet, Ν' ( V ) bedeutet die erste Ableitung der Risikonutzenfunktion in bezug auf das Vermögen und Ν" ( V ) die zweite Ableitung. Die absolute Risikoabneigung R_j ist dann definiert als R - Ώ Χ 1 . a " ~nTVT '
w
(8)
die relative Risikoabneigung R,. wird wiedergegeben durch Ν" ( V ) R
'
=
- n 7 V T
v
·
(8a)
Da die relative Risikoabneigung der mit dem erwarteten Vermögen gewichteten absoluten Risikoabneigung gleicht, gilt: (1) Gleichbleibende relative Risikoabneigung bei wachsendem erwarteten Vermögen ist nur mit sinkender absoluter Risikoabneigung vereinbar. (2) Sinkende relative Risikoabneigung setzt erst recht sinkende absolute Risikoabneigung voraus. (3) Steigende relative Risikoabneigung ist jedoch sowohl mit gleichbleiben-' der, sinkender und steigender absoluter Risikoabneigung verträglich. d) Als Musterbeispiel für absolute Risikoabneigung lassen sich Aussagen ansehen über den absoluten Betrag, der bei variablem erwarteten Endvermögen in risikobehaftete Anlagen investiert wird. Wenn angenommen wird, das erwartete Endvermögen sei proportional zum Finanzierungsspielraum (Anfangsausstattung in Geld, zuzüglich Verschuldungsmöglichkeiten), so zeigen die drei Formen absoluter Risikoabneigung an, wie sich bei variablem Finanzierungsspielraum der absolute Betrag ändert, der in risikobehaftete Investitionen fließt. (1) Gleichbleibende absolute Risikoabneigung besagt: Der Entscheidende investiert unabhängig von der Höhe seines Finanzierungsspielraums stets den gleichen absoluten Betrag in risikobehafteten Investitionen. Dies ist allein der Fall für Ν (V) = -e"3™ für χ > 0 und deren lineare Transformationen.
58
Vgl. John W. Pratt: Risk Aversion in the Small and in the Large. In: Econometrica, Vol. 3 2 (1964), S. 122-136; Arrow: Aspects (S. 106 5 2 ), S. 33; ders.: Essays (S. 106 5 2 ), S. 94;
zum Einfluß auf den Finanzierungsspielraum vgl. Peter A. Diamond, Joseph E. Stiglitz: Increases in Risk and in Risk Aversion. In: Journal of Economic Theory, Vol. 8 (1974), S. 337-360, hier S. 355 f.
Entscheidungsregeln und Maße für die Risikobereitschaft
113
(2) Sinkende absolute Risikoabneigung heißt: Der Entscheidende erhöht mit wachsendem Finanzierungsspielraum den Betrag, den er risikobehaftet investiert. (3) Steigende absolute Risikoabneigung besagt: Der Entscheidende vermindert mit wachsendem Finanzierungsspielraum den Betrag, den er risikobehaftet investiert. e) Die relative Risikoabneigung erlaubt eine Aussage über den Anteil, der in risikobehaftete Anlagen investiert wird. W e n n das erwartete Endvermögen proportional zum Finanzierungsspielraum verläuft, so zeigen die drei Formen der relativen Risikoabneigung an, wie sich bei variablem Finanzierungsspielraum der Anteil ändert, der risikobehaftet investiert wird: (1) Gleichbleibende relative Risikoabneigung heißt: Der Entscheidende investiert mit wachsendem Finanzierungsspielraum stets den gleichen Prozentsatz in risikobehafteten Anlagen. Neben der Bernoulli-Funktion Ν = In V trifft dies zu fiir Ν = V , wenn 0 < χ < 1, und fur Ν (V) = fur y > 0 und deren lineare Transformationen. Für die Fälle gleichbleibender relativer Risikoabneigung ist der Risikopfad in der Abbildung 2 eine Gerade, die im Ursprung beginnt und wie PP' natürlich unterhalb der 45°-Linie verläuft. (2) Sinkende relative Risikoabneigung besagt: Der Entscheidende investiert mit wachsendem Finanzierungsspielraum einen steigenden Prozentsatz in risikobehafteten Anlagen. Ein Beispiel ist N(V) = ln(V-c) mit c als positiver Konstante. Der Risikopfad bei sinkender relativer Risikoabneigung begänne in der Abbildung bei einem positiven Ordinatenwert (positivem Endvermögen in der schlechten Zukunftslage) und kann (muß aber nicht) eine Gerade sein. (3) Steigende relative Risikoabneigung heißt: Der Entscheidende investiert mit wachsendem Finanzierungsspielraum einen geringeren Prozentsatz in risikobehafteten Anlagen. Dabei kann der absolute Betrag unverändert bleiben (absolut gleichbleibende Risikoabneigung) oder steigen, z.B. bei N(V) = ln(V+c) mit c als positiver Konstante, oder fallen, z.B. fur N(V) = aV - V 2 mit a > 0 und deren jeweilige lineare Transformationen. Die letzte Risikonutzenfunktion fuhrt bei beliebiger Wahrscheinlichkeitsverteilung zu denselben Entscheidungen wie die Entscheidungsregel nach Erwartungswert und Streuung (Standardabweichung), die in Modellen zur Wertpapiermischung vorzugsweise benutzt wird (S. 121 ff.). Der Risikopfad bei steigender relativer Risikoabneigung begänne bei einem positiven Abszissenwert (positivem Endvermögen in der guten Zukunftslage) und verliefe bei gleichbleibender absoluter Risikoabneigung parallel zur 45°Linie. Bei sinkender absoluter Risikoabneigung wäre der Risikopfad flacher als die Parallele zur 45°-Linie, und er kann (muß aber nicht) eine Gerade sein. Bei
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Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
steigender absoluter Risikoabneigung verliefe der Risikopfad steiler als die Parallele zur 45°-Linie, und er kann (muß aber nicht) eine Gerade sein. f) Diese Übersetzung der Modellbegriffe steigender, sinkender usw. Risikoabneigung in Musterbeispiele über Beträge und Anteile, die risikobehaftet investiert werden, trifft nur für die Wahl zwischen einer risikolosen und einer risikobehafteten Anlage zu, wobei deren Risiko sich nicht mit dem investierten Betrag ändern darf. Die Übersetzung gilt nicht notwendigerweise, wenn mehr als eine risikobehaftete Anlage nachgefragt wird. D i e Abhängigkeit zwischen den Formen der Risikoabneigung und dem Umfang risikobehafteter Investitionen existiert zudem nur dann, wenn die Formen der Risikoabneigung in bezug auf das Endvermögen gemessen werden. Die Abhängigkeit besteht nicht mehr in derselben Form, wenn die Formen der Risikoabneigung auf das Einkommen bezogen werden, jedoch der gesamte Finanzierungsspielraum variiert. Für alle linearen Risikopfade bei gleichbleibender, sinkender oder steigender Risikoabneigung gilt, daß die Zusammensetzung des Investitionsprogramms aus einzelnen risikobehafteten Investitionen mit steigendem Finanzierungsspielraum unverändert bleibt. Unabhängigkeit der Zusammensetzung des optimalen risikobehafteten Investitionsprogramms vom Anfangsvermögen heißt: Gleichgültig, wieviel der Entscheidende von seinem anfänglichen Finanzierungsspielraum fxir Konsumzwecke entnimmt, das optimale Mischungsverhältnis seiner risikobehafteten Investition bleibt unverändert (Tobin-Separation) 5 9 . g) I m allgemeinen wird Risikoabneigung als vernünftige Verhaltensweise empfunden werden. Für sehr hohe Einkommenschancen folgt Risikoabneigung schon aus dem Stetigkeitsprinzip, falls (um unsinnige Implikationen zu vermeiden) die Risikonutzenfunktion ein Maximum im Endlichen haben soll; denn dann muß die Kurve nach und nach abflachen, wenn sie stetig verläuft. Wie sieht es bei geringen Einkommenshöhen aus? In der Literatur finden sich hierzu zahlreiche Vermutungen, z.B.: Es bestehe zunächst ein Bereich der Risikoabneigung, dann folge eine Zone der Risikofreude, und schließlich sei der Entscheidende bei hohem Einkommen dem Risiko wiederum abgeneigt^ 0 . 59 60
Vgl. J. Tobin: Liquidity Preference as Behavior towards Risk. In: T h e Review of Economic Studies, Vol. 25 (1957/58), S. 65-86. Vgl. dazu Milton Friedman, L.J. Savage: T h e Utility Analysis of Choices Involving Risk. In: T h e Journal of Political Economy, Vol. 56 (1948), S. 279-304, hier S. 295; zur Kritik vgl. / . Hirshleifer: Investment Decision under Uncertainty: Applications of the State-Preference Approach. In: The Quarterly Journal o f Economics, Vol. 80 (1966), S. 252-277, hier S. 258-264.
Entscheidungsregeln und Maße für die Risikobereitschafi
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Aussagen über die empirische Vorherrschaft von Risikoabneigung bleiben schon deshalb Vermutung, weil die Risikonutzentheorie (auf der die Definition von Risikoabneigung beruht) inzwischen selbst für Wahlprobleme zwischen Lotterien als empirisch widerlegt, zumindest aber als zweifelhaft gilt 6 1 . 3. Maße für die Verringerung von Einkommensungewißheit a) Aus den Erscheinungsformen der Risikoabneigung sind im Vorabschnitt erste Schlüsse über die an verwirklichten Handlungsmöglichkeiten beobachtbare Risikobereitschaft (S. 107) gezogen worden. Um zu beurteilen, wie Umweltbedingungen jenseits der persönlichen Risikoneigung die Bereitschaft eines Unternehmers beeinflussen, in Handlungsprogrammen Einkommensunsicherheiten zu übernehmen, stellt sich die Frage: Welche Merkmale kennzeichnen Handlungsalternativen mit verringerten Einkommensunsicherheiten? Die einführenden Überlegungen (S. 17 f., 41-43) haben einige der Schwierigkeiten offengelegt, die einer Antwort darauf entgegenstehen. In der Umgangssprache werden Handlungsalternativen als „risikoarm" oder „risikoreich" bzw. als „risikoreicher", „risikoärmer" gegenüber anderen bezeichnet. Im folgenden wird die umgangssprachlich vage Redeweise von „risikoärmer" übersetzt in: in bezug auf den Einkommenserwerb mit weniger Unsicherheit behaftet. Bei ausdrücklich in der Planung berücksichtigten Informationsrisiken kann der Ausdruck „mehr oder weniger unsicher" entscheidungslogisch nicht als Rangordnung rekonstruiert werden; denn, wenn die Gesamtheit aller nicht in das Entscheidungsmodell aufgenommenen Zukunftslagen (1) glaubwürdiger ist als die am wenigsten glaubwürdige Zukunftslage, deren Folgen in der Planung bedacht werden (Verstoß gegen das 2. Axiom nominaler Wahrscheinlichkeiten, S. 82) oder gar (2) mindestens so glaubwürdig ist, wie die Gesamtheit aller Zukunftslagen im Entscheidungsmodell (Verstoß gegen das 4. Axiom, S. 82), läßt sich keine durchgehende Rangordnung über mehr oder weniger Ungewißheit unter den Handlungsalternativen innerhalb des Entscheidungsmodells bil61
Vgl. Paul J.H. Schoemaker: The Expected Utility Model: Its Variants, Purposes, Evidence and Limitations. In: Journal of Economic Literature, Vol. 20 (1982), S. 529-563, hier S. 541-556; Bernd Schauenberg: Jenseits von Logik und Empirie — Anmerkungen zur Pragmatik betriebswirtschaftlicher Entscheidungstheorie. In: Information und Produktion, hrsg. von S. Stöppler. Stuttgart 1985, S. 277-292, hier S. 283-292; Arnos Tversky, Daniel Kahneman: Rational Choice and the Framing of Decisions. In: The Journal of Business, Vol. 59 (1986), S. S251-S278, bes. S. S252. Gegen die Theorie des Risikonutzens als erklärende Theorie argumentiert scharf Jean Hampton: The Failure of Expected-Utility Theory as a Theory of Reason. In: Economics and Philosophy, Vol. 10 (1994), S. 195-242.
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Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
den. Bei Informationsrisiken kann über Verringerung von Einkommensunsicherheiten durch einzelne Handlungsalternativen nur noch mittels klassifikatorischer Begriffe geredet werden: durch Auflisten von Unsicherheitsursachen und (wenn möglich) deren Gewichtung; z.B. ist eine hochverzinsliche DM-Finanzanlage während ihrer Laufzeit dem Risiko einer vorzeitigen Tilgung durch den Schuldner ausgesetzt, jedoch keinem Wechselkursrisiko usw. Eine Aussage, eine Alternative sei weniger unsicher („risikoärmer") als eine andere, stützt sich hier lediglich auf eine niedrigere Anzahl und Gewichtung von denkbaren Unsicherheitsursachen. Die Verläßlichkeit einer solchen Aussage hängt ausschlaggebend vom Informationsstand des Planenden ab, welche Unsicherheitsursachen er erkennt oder übersieht. Bloße Aufzählungen von Unsicherheitsursachen sind fiir eine Entscheidungsfindung wenig hilfreich. Sie würden in ihrer Aussagefähigkeit verbessert, wenn es gelänge, den einzelnen Argumentationen zu Unsicherheitsursachen „offenkundige Gewichte" beizulegen. Solche offenkundigen Gewichte wurden als Menge aller relevanten Informationen an Zahl und Inhalt verstanden, die in einem Zeitpunkt über die einzelnen Handlungsalternativen bestehen 6 2 . Doch die Beurteilung von Argumenten über Unsicherheitsursachen als offenkundig bedeutsam bleibt subjektiv, und ftir ihre Abbildung in Entscheidungsmodelle fehlen bislang Regeln zur Nachprüfbarkeit. Unter solchen Umständen bleibt die Verringerung von Einkommensunsicherheiten ein entscheidungslogisch uninterpretierter Begriff. Dies ist meistens der Fall, und deshalb wurde das Forschungsleitbild „Verringerung von Einkommensunsicherheiten" jenseits der Axiome der Entscheidungslogik expliziert. b) Erst bei einem gedanklichen Ausschluß der Möglichkeit von Ex-post-Überraschungen, also bei modellmäßigen „Entscheidungen unter Ungewißheit", besteht eine Hoffnung, Maße für eine geringere Einkommensungewißheit einer Handlungsalternative gegenüber anderen zu finden, die wenigstens in sich konsistente Urteile zu „mehr oder weniger ungewiß" sichern. Erlauben Modelle zu rationalen Entscheidungen unter Ungewißheit eine Antwort darauf, wann eine Handlungsalternative risikoärmer als eine andere ist? Um die Frage zu beantworten, führen wir den Begriff des Risikogrades ein. Risikograd bzw. Risikoklasse heißt eine entscheidungslogisch begründete Rangstufe in einer Skala „mehr oder weniger ungewiß", die einer Handlungsalternative beigelegt wird. Welche Merkmale lassen Urteile über einen Risikograd, also umgangssprachlich über „risikoreicher oder risikoärmer", zu? 62
Vgl. Keynes: A Treatise on Probability (S. 83 2 0 ), S. 71-78; dazu Michael Ε. Brady:].U. Keynes' Theory of Evidential Weight: Its relation to information processing theory and application in the General Theory. In: Synthese, Vol. 71 (1987), S. 37-59.
Entscheidungsregeln und Maße für die Risikobereitschaft
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(1) Von Unsicherheitsverringerung zu reden, gibt nur Sinn in Verbindung mit wohldefinierten Zielgrößen: Die Unsicherheit, ob eine festverzinsliche Anlage in £ gegenüber einer in D M im Devisenkurs fällt, ist unbeachtlich, solange es für zielentsprechend gehalten wird, in £ zu rechnen. Sie wird bedeutsam, wenn als Maßgut D M gewählt wird. Dem denkbaren Kursverfall kann zwar durch ein Devisentermingeschäft begegnet werden; dennoch zeigt sich, daß „zur Frage, ob eine Wahlmöglichkeit... als sicher oder unsicher zu bezeichnen ist, überhaupt erst Stellung genommen werden kann, wenn" neben anderem „das Maßgut vorbestimmt wird, mit dessen Hilfe das Entscheidungsfeld" mit seinen Zielbeiträgen in einzelnen Zukunftslagen der Handlungsalternativen abgebildet wird 6 3 . Das Maßgut ist dabei nicht auf finanzielle Ziele, gemessen in dieser oder jener Währung, beschränkt, sondern betrifft ebenso alternative Konsumgüterbündel im Zeitablauf oder den Geltungsdrang zur Einflußnahme auf Unternehmungstätigkeiten. Aus Gründen der Kürze klammert das folgende Maßgutprobleme aus und beschränkt sich auf eine Verringerung von Einkommensunsicherheiten in D M . (2) U m in die Probleme einer Kennzeichnung von „mehr oder weniger ungewiß" einzuführen, dienen folgende Beispiele: (a) Besteht die Wahl zwischen einer fur sicher gehaltenen Alternative A (Einkommen 5) und einer Alternative Β mit den Einkommenschancen 1 oder 9, die nicht in ihrem Glaubwürdigkeitsrang geordnet werden können, so ist eindeutig Α risikoärmer. Daraus ließe sich probeweise schließen: Merkmal für eine verringerte Ungewißheit sei die Wahl einer Alternative mit möglichst wenig denkbaren Zukunftslagen. (b) Das Merkmal: Je weniger Zukunftslagen eine Handlungsalternative aufweist, um so weniger Ungewißheit verkörpert sie, trifft jedoch nicht immer zu. Alternative C führe wie Β zu entweder 1 oder 9, weise aber darüber hinaus eine Zukunftslage mit 10 auf, ohne daß Unterschiede in der Glaubwürdigkeit angegeben werden können. Trotz mehr Zukunftslagen ist C der Alternative Β überlegen, weil auch 10 erreicht werden kann. Es gibt keinen Sinn, eine dominante Alternative, wie C gegenüber B, als risikoreicher einzustufen. Daraus ließe sich probeweise folgern: Dominiert keine Alternative die anderen, so weist jene Handlungsmöglichkeit weniger Ungewißheit auf, bei der die Spannweite der Zielbeiträge zwischen der besten und der schlechtesten Zukunftslage kleiner ist. (c) Das Merkmal „geringere Spannweite zwischen den Zielbeiträgen einzelner Alternativen" ist allerdings genausowenig allgemeingültig. Alternative D 63
Wolfgang Stützet: Die Relativität der Risikobeurteilung von Vermögensbeständen. In: Entscheidung bei unsicheren Erwartungen, hrsg. von H. Hax. Köln-Opladen 1970, S. 9-26, hier S. 14.
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Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
stehe mit 6 oder 0 gegen Β mit 1 oder 9. Dabei ist Dominanz von Β ausgeschlossen, weil bei Β das Ergebnis 1 unter anderen Umweltbedingungen eintritt als bei D das Ergebnis 0. D mit der Gefahr, gar nichts zu verdienen, kann trotz geringerer Spannweite der Zielbeiträge nicht gegenüber Β als risikoärmer eingestuft werden. Probeweise wäre nun zu schließen: Eine Alternative ist dann weniger risikoärmer als eine andere, wenn bei gleichem Mindesteinkommen die Spannweite der Zielbeiträge größer ist, weil dann bessere Einkommenschancen bestehen. (d) Gegen diese Kennzeichnung von „risikoärmer" spricht zum einen, daß sie dann versagt, sobald Handlungsalternativen nicht zum gleichen Mindesteinkommen fuhren. Zum anderen fallen sämtliche Zukunftslagen zwischen den Extremen unter den Tisch. Gegenbeispiele liegen auf der Hand, sobald quantitative Wahrscheinlichkeiten angenommen werden, z.B: E: mit 99% Wahrscheinlichkeit ein Einkommen von 1, mit 1% ein Einkommen von 100; F: mit 1% ein Einkommen von 1 und mit 99% ein Einkommen von 99. Der Unterschied zwischen Ε und F reduziert sich auf 98% für ein Einkommen 1 und 1% für ein Einkommen 100 gegenüber 99% für ein Einkommen von 99. Es ist sehr unplausibel, F als risikoreicher anzusehen, weil hier mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein geringfügig niedrigeres Höchsteinkommen erreicht wird. Hier hängt es von der Risikonutzenfunktion des Entscheidenden ab, welche Alternative er vorzieht. (3) Die Beispiele erleichtern das Verständnis für folgende Überlegungen: (a) Ein Urteil über „risikoärmer/risikoreicher" muß die Gesamtheit der Zukunftslagen (bzw. den gesamten geplanten Entscheidungsbaum) jeder Alternative erfassen, und dazu bedarf es einer Entscheidungsregel unter Ungewißheit. Akzeptiert der Handelnde eine Entscheidungsregel unter Ungewißheit als vernünftig und erscheint ihm danach eine Alternative (z.B. vertikale Integration durch Aufkauf von Weiterverarbeitern) vorziehenswert, dann verwirft er alle anderen Alternativen (wie Verbreiterung des Absatzprogramms). Dabei wird unerheblich, ob sie als „weniger lukrativ" oder als „risikoreicher" eingestuft werden. Sobald eine Entscheidungsregel angewandt wird, ist damit für die Entscheidungsfindung selbst die Frage irrelevant geworden, welche Alternative weniger Unsicherheit verkörpert. Die Frage, welche Alternative mit mehr oder weniger Ungewißheit verbunden ist, ist deshalb ftir die Entstehung irrelevant, weil jede Entscheidungsregel unter Ungewißheit einen Entscheidungsbaum mit seinen Verästelungen auf ein gedachtes Sicherheitsäquivalent zurückfuhrt. Das ist offenkundig bei der Entscheidung nach dem Erwartungswert des Risikonutzens und deren Vereinfachungen, wie dem Erwartungswert der Gewinne allein oder nach Erwar-
Entscheidungsregeln und Maße fur die Risikobereitschaft
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tungswert und Streuung der Renditen. Die Reduktion einer Entscheidung unter Ungewißheit auf gedachte Sicherheitsäquivalente ist stillschweigend auch bei lexikographischen Entscheidungsregeln unterstellt, wie dem Minimaxprinzip, weil hier der minimale Zielbeitrag je Handlungsalternative als allein erreichbar gilt. (b) Ein allgemeines Urteil, welche Handlungsalternativen mehr oder weniger unsicher sind, ist nur fiir solche Alternativen möglich, die eine akzeptierte Entscheidungsregel in gleichem Ausmaß erfüllen^. Wenn im Beispiel: Α (sicher 5) gegen Β (1 oder 9, jeweils gleichwahrscheinlich) nach dem Erwartungswert entschieden wird, sind Α und Β nach der Entscheidungsregel gleichwertig, obwohl Β risikoreicher ist. Wenn jedoch mehrere Alternativen gleich gut erscheinen, hat die Kennzeichnung der einen als „risikoreicher" noch immer keinen entscheidungsbestimmenden Gehalt. (c) Die Frage nach „mehr oder weniger ungewiß" gewinnt erst dann Gewicht, wenn der Entscheidende mehrere Handlungsalternativen als gleichwertig ansieht, aber an der Abbildung des realen Wahlproblems durch sein Entscheidungsmodell zweifelt. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn er zwar glaubt, fiir die einzelnen Zukunftslagen quantitative Wahrscheinlichkeiten nennen zu können, sie aber nur in Intervallen zu schätzen vermag. Für diesen Fall läßt sich zeigen, daß zusätzliche Risikoscheu bei äquivalent erscheinenden Alternativen vernünftig ist (vgl. S. 105^8). (d) Führt man diesen Gedanken weiter, scheint ein Urteil über „mehr oder weniger ungewiß" erst dann entscheidungsrelevant zu werden, wenn nicht gewußt wird, welche Entscheidungsregel auf ein Wahlproblem anzuwenden ist. Jedoch läßt sich dann auch keine vernünftige Begründung fiir ein Urteil „mehr oder weniger ungewiß" herleiten. Insoweit endet die umgangssprachliche Redeweise, eine Handlungsalternative sei risikoärmer bzw. weniger unsicher als eine andere, in entscheidungslogischem Nonsens. (4) Entscheidungslogischen Sinn erhält die Redeweise von „mehr oder weniger ungewiß" erst dann, wenn ein Planender bereit ist, reale Wahlprobleme unter Unsicherheit in einem zusätzlich verengten Entscheidungsmodell abzubilden, für das ein quantitatives Maß für die Unsicherheit getrennt von quantitativen Sachzielen besteht. Dieser Fall wird in c) untersucht. c) Eine Austauschbeziehung von Alternativen mit „mehr Einkommenschancen bei höherer Ungewißheit" gegen „geringere Einkommenschancen bei geringerer Ungewißheit" wird in Modellen unterstellt, die mit Risikoindifferenzkurven arbeiten. Eine RisikoindifFerenzkurve zeigt alle Kombinationen von Einkommenserwartungen (oder Erwartungswerten des Vermögens bzw. der Ren64 Vgl. Diamond, Stiglitz: Increases in Risk (S. 112 58 ), S. 345 f.
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Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
dite) und einem Maß für das „Risiko", die einem Unternehmer gleichwertig erscheinen. Für den Vergleich einer sicheren mit einer risikobehafteten Investition, bei der nur zwei Zukunftslagen zu beachten sind, sind Risikoindifferenzkurven anschaulich (S. 109 f.). Bei beliebig großen Wahrscheinlichkeiten fiir mehrere risikobehaftete Investitionen ist die Vorstellung einer Substitution von Einkommen gegen Risiko reichlich schief, einfach deshalb, weil Risiko kein Gut ist. Es werden vielmehr Wahrscheinlichkeitsverteilungen mit unterschiedlichen Einkommenschancen gegeneinander ausgetauscht. Nur für eine sehr vereinfachte Betrachtung von Wahlproblemen gibt eine solche Substitution Sinn. Wenn IndifFerenzkurven zwischen Einkommen und Risiko aufgestellt werden sollen, dann muß die Ungewißheit bei einer Handlungsalternative, d.h. deren gesamte Wahrscheinlichkeitsverteilung, auf ein einziges Risikomaß zusammengepreßt werden. Ein übliches Maß fiir das Risiko ist die „Streuung", genauer: die Standardabweichung vom Erwartungswert einer Zielgröße wie Einkommen, Vermögen, Rendite. Für denjenigen, der die statistischen Details vergessen hat: Die Abstände der Einzelwerte einer Wahrscheinlichkeitsverteilung vom Erwartungswert werden ins Quadrat erhoben und anschließend mit den Wahrscheinlichkeiten der Einzelwerte gewichtet. Die Summe aller dieser gewichteten, quadrierten Abstände heißt Varianz. Die Wurzel aus der Varianz ist die Standardabweichung. Beispiel: 20% fiir 100, 80% für 10, ergibt einen Erwartungswert μ = 28. Die Standardabweichung σ dieser Verteilung errechnet sich als σ = λ/ο,2( 100-28) 2 + 0,8 ( 1 0 - 2 8 ) 2 = 36.
(9)
Wer Statistik sorgfältig studiert hat, wird sich an dieser Stelle mit Grausen abwenden: Eine Verteilung aus zwei Werten, 100 bzw. 10, wird hier ausgedrückt durch einen Mittelwert von 28 und eine Streuung von 36. Das erscheint mehr als dubios. Diese Gleichsetzung ist unter bestimmten Annahmen über die Risikoneigung jedoch tatsächlich zulässig. Sie widerspricht den Axiomen der Theorie des Risikonutzens dann nicht, wenn^ (1) die Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Handlungsmöglichkeit eine bestimmte Form aufweist, z.B. bei der Entscheidungsregel nach Erwartungswert und Streuung ( μσ-Regel) eine Normalverteilung ist, oder (2) die Risikonutzenfunktion eine bestimmte algebraische Gestalt hat, z.B. bei der μσ-Regel eine quadratische Funktion ist; dann darf die Wahrscheinlichkeit beliebig sein.
65 Vgl. Schneeweiß:
Entscheidungskriterien bei Risiko (S. 102 41 ), S. 46-61.
Minderung von Einkommensungewißheit durch Investitionsmischung
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Risikoindifferenzkurven bezeichnen die Abhängigkeit zwischen dem Erwartungswert des Einkommens (oder der Rendite usw.) und dem Risiko für einen gegebenen Index des Risikonutzens. Die Abhängigkeit des Risikonutzens vom Erwartungswert des Einkommens und vom Risiko nennen wir Risikopräferenzfunktion. Wenn Ν den Risikonutzen bezeichnet, μ den Erwartungswert des Einkommens oder der Rendite usw. und σ die Standardabweichung („Streuung"), läßt sich die Risikopräferenzfunktion schreiben als Ν = Ν (μ, σ). In welchem Verhältnis stehen Risikopräferenzfunktion und Risikonutzenfunktion? In der Risikonutzenfunktion hängt der Risikonutzen von den Zielbeiträgen in allen Zukunftslagen und deren jeweiliger quantitativer Wahrscheinlichkeit ab. Die Risikonutzenfunktion wird auf die ursprüngliche, volle Wahrscheinlichkeitsverteilung angewendet. In der Risikopräferenzfunktion hängt der Risikonutzen nicht mehr von den Zielbeiträgen und quantitativen Wahrscheinlichkeiten der alternativen Zukunftslagen ab, sondern von Ersatzgrößen: etwa dem Erwartungswert des Einkommens und einem Risikomaß, z.B. der Streuung. Statt einer Risikonutzenfunktion eine Risikopräferenzfunktion zu wählen, das ist ein qualitativer Unterschied ähnlich dem vom Trinken euterfrischer Kuhmilch im Vergleich zu Trockenmilch mit Leitungswasser. Die Qualitätsminderung folgt aus den zusätzlichen Anwendungsvoraussetzungen, welche die Erwartungswert-Streuungsregel gegenüber einer Risikonutzenfunktion unterstellt, und die in c) verdeutlicht werden. c) Minderung von Einkommensungewißheit durch Investitionsmischung 1. Theorie der Wertpapiermischung und der Risikoprämien a) Neben Glücksspielen erörtert Daniel Bernoulli zwei wirtschaftliche Anwendungen seiner Lehre: „die Gepflogenheiten der Kaufleute bei der Versicherung der Waren auf See" und die Regel, „solche Güter, die einer Gefahr ausgesetzt sind, in mehrere Teile zu zerlegen, als sie alle auf einmal zu riskieren"^ . Das letztere bildet heute die Grundlage der Theorie der Investitionsmischung und zugleich der Kapitalmarkttheorie. Hierbei wird von Risikostreuung gesprochen (aber diese Mischung risikobehafteter Handlungsmöglichkeiten darf nicht mit dem Risikomaß der Streuung = Standardabweichung verwechselt werden). Gebräuchlich sind auch die Ausdrücke Risikokonsolidierung bzw. (teilweiser) Risikoausgleich oder Diversifikation (Diversifikation wird allerdings auch im Sinne einer Veränderung bisheriger Unternehmungstätigkeiten allgemein benutzt, vgl. S. 135).
66
Bernoulli: Die Grundlage der modernen Wertlehre (S. 101 39 ), S. 42-45.
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Vernünftige
Entscheidungen
bei vorgegebenen
Informationen
Im Hinblick auf die Investitionsmischung wählt Bernoulli ein einfaches Beispiel: Wenn von 10 Schiffen erfahrungsgemäß eines untergehe, so steige der Risikonutzen des Endvermögens, wenn in fremden Ländern liegende Ware auf immer mehr Schiffe verteilt werde. Eine modellmäßige Lösung für die Frage der Investitionsmischung gelingt erst mit Hilfe der Annahme, daß das Risiko einer jeden Investition in der Standardabweichung einer vorausgesetzten quantitativen Wahrscheinlichkeitsverteilung zu messen sei. Diese Erwartungswert-Streuungsregel steht im Mittelpunkt insbesondere der Theorie der Wertpapiermischung67. Strukturkern dieser Theorie ist ein Modell zur Ungewißheitsminderung durch Investitionsmischung in einem erdachten Kapitalmarkt im Konkurrenzgleichgewicht. Vorausgesetzt wird dabei: (1) Jede Investition einer Volkswirtschaft wird durch Wertpapiere in einem Kapitalmarkt im Konkurrenzgleichgewicht gehandelt. Für jedes Grundstück, Gebäude, fur jede Anlageneinheit aus Maschinen, Vorräten usw., erst recht fur Arztpraxen, Einzelkaufmannsläden, Kapitalgesellschaften sind Anteilsrechte ausgegeben und uneingeschränkt handelbar. Sobald man diese hanebüchen weite „Verbriefung" von Investitionen in Wertpapiere reduziert auf Aktien und Anleihen, stimmen die Übersetzungen der Modellergebnisse nicht mehr, z.B. daß es einen einheitlichen Marktpreis für die Risikoübernahme gebe, wie er im Modell abgeleitet wird. (2) Die Wertpapiere gelten als beliebig teilbar bzw. der zu investierende Betrag sei hinreichend groß, so daß Mindestkaufbeträge die Suche nach einem Optimum nicht erschweren. (3) Jedes Wertpapier wird durch den Erwartungswert der Rendite μ (rx) gekennzeichnet, z.B. der Abszissenwert von W in Abbildung 3. (4) Jedes Wertpapier sei durch ein Risikomaß beschrieben: die Standardabweichung der Renditen σ χ , z.B. der Ordinatenwert von W in Abbildung 3. (5) Wird das Risiko durch die Standardabweichung gemessen, so ist bei jeder Investitionsmischung zu ermitteln, wie sich das so verstandene „Risiko" eines Wertpapierportefeuilles gegenüber den Risiken der einzelnen Aktien W, Ζ und G in Abbildung 3 mindert. 67
Vgl. Harry Markowitz: Portfolio Selection. In: The Journal of Finance, Vol. 7 (1952), S. 77-91; ders.: Portfolio Selection. New York-London 1959; James Tobin: The Theory of Portfolio Selection. In: The Theory of Interest Rates, hrsg. von F.H. Hahn, F.P.R. Brechling. London u.a. 1965, S. 3-51. Zu den Voraussetzungen vgl. näher Michael C. Jensen: The Foundations and Current State of Capital Market Theory. In: Studies in the Theory of Capital Markets, hrsg. von M.C. Jensen. New York u.a. 1972, S. 3-43, hier S. 5; Robert C. Merton: An Analytic Derivation of the Efficient Portfolio Frontier. In: Journal of Financial and Quantitative Analysis, Vol. 7 (1972), S. 1 8 5 1 - 1 8 7 2 , hier S. 1868; vgl. auch Schneider: Investition, Finanzierung und Besteuerung (S. 31 2 4 ), S. 506515.
Minderung von Einkommensungewißheit durch Investitionsmischung
123
G
-f
W σ
/ /
Μ" \ \ \ \
I \ I
ο
Abbildung 3
(a) Im modellmäßig ungünstigsten Fall läuft das Risiko eines Wertpapiers G mit dem Risiko eines anderen Ζ strikt gleich (Korrelationskoeffizient +1). D a n n entspricht das Risiko der Investitionsmischung dem mit den Anteilen gewichteten arithmetischen Mittel der Standardabweichungen beider Wertpapiere. W e r d e n in beliebigen Anteilen die Wertpapiere G und Ζ gemischt, so entsteht aus den Mischungen eine Gerade aus jeweiligem Erwartungswert der Rendite und jeweiligem Risiko, in Abbildung 3 gestrichelt angedeutet. Ausgeschlossen wird stillschweigend eine „Risikoansteckung", z.B. in der Weise, daß der Konkurs der Unternehmung G auch den von Ζ auslöst. (b) Läuft das Risiko eines Wertpapiers dem Risiko eines anderen strikt entgegen (Korrelationskoeffizient -1), dann läßt sich durch eine Mischung dieser beiden Wertpapiere eine risikolose Position erreichen: in Abbildung 3 beispielhaft JlCrj^j) als Schnittpunkt der gestrichelten Linien von W und G . (c) Liegen die Korrelationskoeffizienten unter +1 und über -1 (in Abbildung 3 fur W und Ζ angenommen), so entstehen für Mischungen Portefeuilles (wie z.B. M ) , die gegenüber einer Geldanlage nur in W mindestens einen höheren Erwartungswert der Gewinne, gegenüber einer Investition nur in Ζ mindestens ein niedrigeres Risiko und teilweise beides bieten. Das Modell der Wertpapiermischung unterstellt, nur der Fall (c) sei praktisch bedeutsam. Im folgenden wird zunächst die Modellösung mit ihren U n terstellungen erörtert. Die fur die Übersetzung der Modellergebnisse in H y p o thesen ausschlaggebende Frage lautet: W e l c h e empirischen Sachverhalte bestimmen, ob Einkommensunsicherheiten in einer Standardabweichung gemes-
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Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
sen und wann insbesondere positive oder negative Korrelationskoeffizienten ermittelt werden können? Diese Frage wird ab S. 129 behandelt. b) Gesucht wird im Modell der Wertpapiermischung zweierlei: Zum einen die optimale Wertpapiermischung für einen einzelnen Geldanleger, zum anderen (daraus abgeleitet) für alle Wertpapierkäufer oder -Verkäufer die Kurse im Konkurrenzgleichgewicht, zu denen die einzelnen Wertpapiere ihre Eigentümer wechseln. (1) Für den einzelnen Investor bestimmt sich die optimale Wertpapiermischung modellgemäß nach dem Berührungspunkt zwischen seiner Risikoindifferenzkurve und einer Kurve seiner „guten ( = risikoeffizienten) Handlungsmöglichkeiten". Ein solches Ergebnis wurde S. 109 für die Wahl zwischen einer risikolosen und einer risikobehafteten Investition bei nur zwei (gleichwahrscheinlichen) Zukunftslagen erläutert. Hier sind die Voraussetzungen anders: (a) Statt ausdrücklich alternative Zukunftslagen zu betrachten und dafür Risikoindifferenzkurven (als Kurven gleichen Risikonutzens für alternative Endvermögenschancen) abzubilden, wird hier von quantitativen Wahrscheinlichkeitsverteilungen aus einer zunächst unspezifizierten Anzahl von Zukunftslagen ausgegangen. Dadurch erhalten die Risikoindifferenzkurven einen anderen Inhalt: Sie geben den gleichen Risikonutzen für solche Fälle wieder, daß ein höherer Erwartungswert der Rendite mit einer höheren Streuung der Renditen zusammentrifft (und ein niedrigerer Erwartungswert mit einer geringeren Streuung). In Abbildung 4 gibt Α die Risikoindifferenzkurve fiir einen stärker dem Risiko abgeneigten Investor wieder als die Risikoindifferenzkurve B. (b) Gute Handlungsmöglichkeiten entstehen als Verbindungslinie jener Wertpapiermischungen, bei denen fiir jeden Erwartungswert der Rendite das dazugehörige Risiko minimal ist, und für jedes Risiko jenes Wertpapierportefeuille, für das der Erwartungswert der Rendite maximal ist. Um eine Kurve risikoeffizienter Wertpapiermischungen zu finden, sind regelmäßig Aufgaben aus der quadratischen Programmierung auszurechnen. Allgemein läßt sich die Kurve der risikoeffizienten Investitionsmischungen erst dann bestimmen, wenn zusätzlich zu den bisherigen Annahmen „Leerverkäufe" zugelassen werden. Damit ist gemeint, daß die Anteile eines Wertpapiers in einem Portefeuille negativ werden können. Diese Leerverkäufe sind zunächst nur ein mathematischer Trick; ökonomisch kann man sich dahinter eine risikobehaftete Finanzierungsmöglichkeit vorstellen, z.B. eine stille Beteiligung, die ein Investor anderen einräumt. Unter diesen Voraussetzungen ergibt sich die Kurve der guten Handlungsmöglichkeiten als Hyperbel, wenn das Risiko als Standardabweichung gemessen wird (und als Parabel, wenn das Risiko als Varianz erscheint) 68 .
Minderung von Einkommcnsungewißheit
durch Investitionsmischung
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(c) Auf der Abszisse von Abbildung 4 wird der Erwartungswert der Rendite μ(Γχ) von Investitionsprogrammen gleichen Geldeinsatzes abgetragen; auf der Ordinate ihr Risiko, gemessen in der Streuung σ χ . Τ sei jene Mischung aus risikobehafteten Investitionen, die ein minimales Risiko (gemessen in der Streuung) verkörpert, G jene, die den maximalen Erwartungswert der Renditen verspricht. Die Kurve T-P^-M-Pg-G sei die Verbindungslinie aller Investitionsmischungen (Wertpapierportefeuilles), die bei gegebenem Risiko den höchsten Erwartungswert der Rendite anzeigen. Der risikoscheuere Investor Α wird die Wertpapiermischung P^ wählen, der weniger risikoscheue Β die Wertpapiermischung PB mit höherem Risiko und höherem Erwartungswert der Rendite.
(2) Um fur alle in ein Modell zur Wertpapiermischung aufgenommenen Wertpapiere jene Preise herzuleiten, die sich im Konkurrenzgleichgewicht unter den sehr vereinfachten Annahmen über die Ungewißheit ergeben müßten, dient das Modell der Wertpapierlinie (Capital Asset Pricing Model = CAPM). Da die Annahme gerade eines Kapitalmarkts im Konkurrenzgleichgewicht in Widersprüche fuhrt 69 , vermag das CAPM die Börsenkursbildung nicht zu erklären. Dennoch soll das CAPM kurz dargestellt werden, um die stillschweigenden Unterstellungen bei praktischen Planungen mit Hilfe von Risikozuschlägen oder Risikoabschlägen (als Risikoprämien) aufzudecken; denn wenn solche überhaupt begründet werden, so folgen sie bislang aus der Anwendung der Entscheidungsregel nach Erwartungswert und Streuung. 68 Vgl. Merten: An Analytic Derivation (S. 12267), S. 1854, 1865. 69 Vgl. Schneider: Grundlagen (S. 5 3 ), S. 270 f.
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Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
Ausschlaggebend fur die Herleitung von Wertpapiergleichgewichtskursen sind dabei zwei Unterstellungen: (a) Alle Kapitalmarktteilnehmer beurteilen sämtliche risikobehafteten Wertpapiere in gleicher Weise: Ihre „homogenen Erwartungen"fiihren dazu, daßjeder einzelne die Kurve T-P^-M-Pß-G mit seiner Risikoindifferenzkurve vergleicht. (b) Es besteht eine risikolose Finanzanlage, wiedergegeben durch den Punkt S (sichere Rendite i). Damit Anleihen eines als „sicher" geltenden Schuldners als risikolos eingestuft werden dürfen, muß freilich von der Gefahr einer Zinssatzund Kaufkraftänderung abgesehen werden. Die Gerade SM zeigt alle Mischungen zwischen Teilen der risikolosen Finanzanlage S (Zinssatz i, Streuung null) und den Restteilen des vorgegebenen Geldeinsatzes im risikobehafteten Wertpapierportefeuille Μ an. Nur eine Tangente von S an die Kurve der guten Handlungsmöglichkeiten aus risikobehafteten Wertpapieren gibt eine optimale Mischung wieder; denn eine Mischung auf einer Geraden von S z.B. durch P A wird von der Indifferenzkurve Α geschnitten, zeigt also kein Optimum an. Denken wir uns für einen Augenblick die risikolose Finanzanlage weg. Ohne risikolose Geldanlagemöglichkeit würde ein risikoscheuer Investor z.B. das Portefeuille P^, ein weniger risikoscheuer Pg wählen. Mit risikoloser Geldanlage· und -aufnahmemöglichkeit verwirklichen beide das höhere Wohlstandsniveau auf den Indifferenzkurven A' und B'. Die hierfür optimalen Investitionsmischungen M a und Mg liegen auf einer neuen „Kurve guter Handlungsmöglichkeiten": der Kapitalmarktlinie. Dabei kommt unabhängig von ihrer Risikoneigung ein einziges „risikoeffizientes Marktportefeuille" im Punkt Μ zustande. Im Marktportefeuille sind sämtliche risikobehafteten Wertpapierarten, gewichtet mit ihrem jeweiligen Kurswert (Preis mal Menge der Stücke), enthalten. (3) Die Kapitalmarktlinie sagt noch nichts über den Marktpreis (Börsenkurs) eines einzelnen Wertpapiers innerhalb des Marktportefeuilles M. Um den Konkurrenzgleichgewichtspreis eines einzelnen Wertpapiers herzuleiten, dient folgende Überlegung: Ein Teil des Risikos eines Wertpapiers χ (das sog. unsystematische Risiko) lasse sich durch eine effiziente Mischung mit anderen Wertpapieren vermeiden. Das verbleibende Restrisiko wird als systematisches Risiko β bezeichnet. Das β des Marktportefeuilles Μ wird gleich 1 gesetzt. Die Trennung eines unsystematischen von einem systematischen Risiko ist zunächst nicht mehr als ein aus den Wolken zuckender Geistesblitz. Ob er auf Erden irgendwelche Sachverhalte beleuchtet, und welche, bleibt unerläutert, vgl. S. 132 f. Der darauf folgende Donner ist folglich zunächst nur mathematisch-statistisches Getöse: Die Differenz zwischen dem Erwartungswert der Rendite des Marktportefeuilles μ(ΓΜ) und dem risikolosen Zinssatz i wird als Marktpreis fur die Risiko-
Minderung von Einkommensungewißheit durch Investitionsmischung
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übernähme bezeichnet. Mit diesem Zuschlag zum risikolosen Marktzinssatz i entsteht ein Kalkulationszinsfuß, der für alle Marktteilnehmer dem Erwartungswert der Rendite des Marktportefeuilles μ(Γ^) gleicht. Zur Umrechnung des Erwartungswerts der Rendite des Marktportefeuilles auf den des Wertpapiers χ bedarf es zusätzlich der Gewichtung des Marktpreises fur die Risikoübernahme mit dem wertpapierindividuellen, systematischen Risiko ß. Das β eines Wertpapieres ist definiert als das Verhältnis des statistischen Maßes der Kovarianz dieses Wertpapiers zum Marktportefeuille, bezogen auf die Varianz des Marktportefeuilles . Nach mathematischer Optimumbestimmung folgt eine Wertpapierlinie, wie sie Gleichung 10 definiert. Diese besagt: Der Erwartungswert der Rendite eines Wertpapieres x, also |l(rx), setzt sich im Konkurrenzgleichgewicht des Kapitalmarkts zusammen aus dem risikolosen Marktzinssatz i und einer Risikoprämie. Die Risikoprämie des Wertpapiers χ gleicht dem Marktpreis flir die Risikoübernahme, d.h. ^ ( r ^ H ] . multipliziert mit ßx, dem systematischen Risiko des Wertpapiers x: μ ( Γ χ ) = i+ [ μ ( τ Μ ) - i ] ß x -
(10)
Wenn ein solcher Marktpreis für die Risikoübernahme besteht und zusätzlich das Risiko einer jeden Investition in einer Unternehmung bzw. das Risiko eines jeden Wertpapiers auf dem Kapitalmarkt in dem Risikomaß β ausgedrückt werden kann, dann gilt: Das optimale Mischungsverhältnis aus risikobehafteten Investitionen in einer Unternehmung ist unabhängig von den Finanzierungsentscheidungen in der Unternehmung und damit unabhängig von der persönlichen Konsumneigung und Risikoneigung der Entscheidenden (TobinSeparation, S. 114 59 ). c) Die in der Praxis benutzten Verfahren für finanzielle Vorteilsvergleiche gehen zunächst bei Investitionsrechnungen davon aus, man könne einen Erwartungswert fiir künftige Zahlungssalden (oder noch stärker fehlerbehaftet: fur künftige Gewinne) mit einer „hinreichenden" Planungssicherheit aus Vergangenheitsergebnissen und Erwartungen über Fremdereignisse schätzen. An70
Zwischen der Kovarianz zweier Investitionen χ und y, O x y , und dem Korrelationskoeffizienten zwischen ihnen, k_„, besteht die Beziehung: k X
Y
=
σ
— , ο χ • οy
vgl. näher William F. Sharpe: Capital Asset Prices: A Theory of Market Equilibrium under Conditions of Risk. In: The Journal of Finance, Vol. 19 (1964), S. 425-442, hier S. 430; Eugene F. Fama: Risk, Return and Equilibrium: Some Clarifying Comments. In: The Journal of Finance, Vol. 23 (1968), S. 29-40, hier S. 31-37; zu einer ausführlichen Ableitung vgl. z.B. Schneider: Investition, Finanzierung und Besteuerung (S. 31 2 4 ), S. 506-515.
128
Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen
Informationen
schließend werden Risikoabschläge bei den geschätzten Zahlungen oder Risikozuschläge für den Kalkulationszinsfiiß angewendet. Risikoabschläge bei den
Zahlungssalden stellen eine sehr grobe Übersetzung des Konzepts des Sicherheitsäquivalents dar. Die Unzuverlässigkeit einer solchen Übersetzung folgt daraus, daß Sicherheitsäquivalente nur unter den strengen Axiomen der Risikonutzentheorie entscheidungslogisch sauber definiert sind. Werden die Prämissen der Risikonutzentheorie nicht akzeptiert und die Erscheinungsformen der Risikonutzenfunktion nicht expliziert, bleiben die Risikoabschläge willkürbehaftet. Stillschweigend werden noch engere Modellannahmen unterstellt, wenn mit „erwarteten" Zahlungen oder Renditen gerechnet und ein Kalkulationszinsfuß um eine Risikoprämie erhöht wird. Widerspruchsfreiheit verlangt hier Modellannahmen, die zu Recht das helle Entsetzen derjenigen hervorrufen, die solche Regeln bzw. Techniken anzuwenden gewohnt sind: (1) Bereits bei einperiodiger Planung anhand des Erwartungswerts der Renditen im CAPM setzt sich die Risikoprämie als Zuschlag zu dem als risikolos angesehenen Kapitalmarktzins aus zwei Teilrisikozuschlägen zusammen: (a) dem Marktpreis für die Risikoübernahme; (b) einem Wertpapier- bzw. Unternehmungs-individuellen Risikozuschlag oder -abschlag. Dieser errechnet sich als Produkt aus dem Marktpreis für die Risikoübernahme auf dem Kapitalmarkt, multipliziert mit der Abweichung des Wertpapier-individuellen systematischen Risikos ß x gegenüber dem systematischen Risiko des Marktportefeuilles ß[^=l· Ein Wertpapier-individueller Risikoabschlag ergibt sich dann, wenn ( ß x - l ) negativ wird. (2) Bei mehrperiodiger Planung treten weitere Risikozuschlags- oder Risikoabschlagskomponenten hinzu, z.B. weil sich dann auch der einperiodig risikolose Zinssatz ändern kann. Investitionen in handelbaren Verfiigungsrechten oder Sachen über mehrere geplante Markttage hinweg sind praktisch nie risikolos, weil sich die Marktpreise an den einzelnen Markttagen ändern können, wie schon das Beispiel Schatzanweisung/Aktie S. 37 lehrte. (3) Ausschlaggebend für die Quantifizierbarkeit von Risikozuschlägen oder Risikoabschlägen ist, daß ein regelmäßiger Handel von Verfiigungsrechten stattfindet. Der Grund liegt darin, daß nur ein beobachtbarer Marktpreis, zu dem z.B. eine Aktie heute verkauft werden kann, ein potentiell realisierbares Sicherheitsäquivalent verkörpert: Zu diesem Preis könnte aus dem Risiko, das die Investition verkörpert, ausgestiegen werden, selbst wenn der Verkauf in Wirklichkeit unterbleibt. Fehlt der regelmäßige Handel, wie bei GmbH- oder Kommanditanteilen, so besteht schon deshalb keine Basis für eine willkürfreie, inter-
personellnachprüfbare Quantifizierung von Risikozu- oder -abschlagen und damit von „Ertragswerten " in der Unternehmensbewertung.
Minderung von Einkommensungewißheit
durch Investitionsmischung
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d) Die Einwände gegen die Theorie der Wertpapiermischung und die daraus hergeleitete Begründung von Risikoprämien beginnen mit Bedenken gegen die Entscheidungsregel nach Erwartungswert und Streuung; denn die Aussage: Alle Handlungsmöglichkeiten mit demselben Erwartungswert und derselben Streuung sind gleichwertig, gilt nur dann, wenn (S. 120) entweder (1) die Risikonutzenfunktion quadratisch ist (dann dürfen die Wahrscheinlichkeitsverteilungen beliebige Formen annehmen). Diese Annahme impliziert eine psychische Risikoneigung mit der Folge, daß mit steigendem Erwartungswert des Endvermögens (als Bezugsgröße des Risikonutzens) sowohl relativ als auch absolut weniger in risikoreiche Anlagen investiert wird (S. 113); oder: (2) Die Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Gewinnerwartungen sämtlicher Handlungsmöglichkeiten sind Normalverteilungen (dann darf die Risikonutzenfunktion beliebige Formen annehmen). (a) Die Annahme einer Normalverteilung besitzt für alle wichtigen wirtschaftlichen Entscheidungen keinen entscheidungsbestimmenden Gehalt; denn die Festlegung der Zukunftslagen und ihrer Glaubwürdigkeiten beruht auf zahlreichen „Entweder-Oder"-Argumenten: Senkt die Konkurrenz ihre Preise, oder senkt sie sie nicht? Erfolgt ein Importstopp, oder erfolgt er nicht? usw. Aus der Abschätzung und Zusammenfassung der Glaubwürdigkeiten für einzelne .Alternativentwicklungen" folgt regelmäßig keine Normalverteilung. Für Nebenprobleme (Qualitätskontrollen, stichprobenhafte Inventuraufnahmen) mag die Annahme einer Normalverteilung haltbar sein. Für alle „strategi-
schen" Unternehmungsentscheidungen (z.B. Investition und Finanzierung, Forschung und Entwicklung, Preispolitik) ist die Annahme einer Normalverteilung nicht berechtigt. Selbst wenn eine einzelne Entscheidung sich später wiederholt (z.B. Ersatz einer Anlage), dann fällt die neue Entscheidung regelmäßig unter veränderten Umweltbedingungen.
(b) Für die Investitionsplanung
von Finanzanlagen an der Börse ist die Annah-
me einer Normalverteilung schon im Ansatz verfehlt, denn sie unterstellt: Die Endvermögenshöhen reichen von - °° bis + Alle negativen Endvermögenshöhen sind aber ökonomisch sinnlos; denn mehr als das eingesetzte Kapital kann der Geldgeber nicht verlieren. Logarithmische Normalverteilungen vermeiden diese sinnlose Folge: Sie beginnen bei Null. Aber diese erlauben nicht, ein Marktgleichgewicht fur endlich lange Abrechnungsperioden abzuleiten^1. (c) Es bestehen unendlich viele Zukunftslagen; die praktische Planung muß sich aber auf das Durchrechnen einiger weniger repräsentativer Zukunftslagen beschränken.
71
Vgl. Robert C. Merton: An Intertemporal Capital Asset Pricing Model. In: Econometrica, Vol. 41 (1973), S. 867-887.
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Vernünftige
Entscheidungen
bei vorgegebenen
Informationen
e) Zahlreiche angelsächsische empirische Tests bemühten sich mit Hilfe aufwendiger statistischer Techniken um den Nachweis, daß Querschnittsuntersuchungen der Aktienkurse (insbesondere für die New Yorker Börse) das CAPM bestätigen oder widerlegen. Allerdings wurden dabei die Schwierigkeiten unterschätzt, die Modellbegriffe in Begriffe für beobachtbare Sachverhalte zu übersetzen. Die Information, die solche statistischen Tests bieten wollen, liefern sie nicht. Solch empirisch-statistischen Tests mißtraut jeder, der Unsicherheit als Erfahrungstatbestand ernst nimmt, von den Konjunkturpolitikern der zwanziger Jahre, wie Adolf Löwe oder Friedrich A. Hayek, über den altersweise gewordenen Neoklassiker John Richard Hicks bis zu gegenwärtigen „Postkeynesianern" oder „Modern Austrian Economists"72. Die wichtigsten Einwände lauten: (1) Der Entscheidende kennt für jede seiner Handlungsalternativen eine quantitative Wahrscheinlichkeitsverteilung. Solche fallen nur in Lehrbüchern, nicht in der praktischen Planung vom Himmel. Kontinuierliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen können nur mathematische Glättungen von Vergangenheitsdaten sein. Dabei wird unterstellt, aus Kursbewegungen von Aktien, Dividendenzahlungen, Bezugsrechtserlösen usw. in der Vergangenheit ließen sich Erwartungswerte der Rendite und Streuungen als Risikomaß berechnen. Dazu müßte man die an jedem Börsentag bestehenden Wahrscheinlichkeitsverteilungen über die Renditen der einzelnen Wertpapiere und ihre Börsenkurse beobachten. Indes sind zwar bei jedem Wertpapier Renditen und deren Häufigkeitsverteilungen mit ihrer Streuung für mehr oder weniger lange Vergangenheitszeiträume errechenbar, aber diese verkörpern noch keine Wahrscheinlichkeitsverteilungen für Prognosezwecke. Dazu sind drei praktisch kaum je erfüllbare Voraussetzungen nötig: (a) Der Glaube an ein „Naturgesetz", daß beobachtete Streuungen tatsächlicher Börsenrenditen in der Vergangenheit für Entscheidungen verwendbare, erwartete Streuungen künftiger Renditen erzeugen, ebenso wie Naturgesetze für das jährliche Kreisen der Erde um die Sonne sorgen. Hinter allen statistischen Tests von Kapitalmarktmodellen (und hinter zahllosen anderen statistischen Tests) steckt der Glaube, ohne Kenntnis von Gesetzmäßigkeiten aus der Vergangenheit auf die Zukunft schließen zu dürfen. Dieser Glaube ist ein Aberglaube; denn hier wird unterstellt, aus Nichtwissen ließe sich Wissen er72
Vgl. Adolf Löwe: Wie ist Konjunkturtheorie überhaupt möglich? In: Weltwirtschaftliches Archiv, Band 24 (1926 II), S. 165-197, hier S. 166 f.; Friedrich A. Hayek: Geldtheorie und Konjunkturtheorie. Wien 1929, S. 1-11; John R. Hicks: Causality in Economics. Oxford 1979, S. 29; Paul Davidson: Is Probability Theory Relevant for Uncertainty? A Post Keynesian Perspective. In: Journal of Economic Perspectives, Vol. 5 (1991), S. 129-143, bes. S. 132 ff.; G e o f f r e y M. Hodgson: Economics and Institutions. Cambridge 1988, S. 230-239.
Minderung von Einkommensungewißheit durch Investitionsmischung
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zeugen, das auch noch den mathematisch strengen Anforderungen der Zufallsabhängigkeit genügt. Eine Abhängigkeit vom „Zufall" ist aber nur dann gegeben, wenn erwiesenermaßen keine Ursachen für eine Erscheinung in der Wirklichkeit vorhanden sind: Nur das Werfen einer „fairen" (also von allen Ursachen, die „Zahl" oder „Wappen" begünstigen könnten, befreiten) Münze sichert einen Zufallspfad der Wurfergebnisse! Deshalb darf von „Zufall" nicht gesprochen werden, wenn verschiedene Ursachen aufgezählt, aber nicht in ihrem Zusammenwirken durchschaut werden. Die Börsenkurse werden aber sicher durch Konjunkturen, politische Krisen, die Notenbankpolitik, Streiks usw. beeinflußt und sind damit ganz gewiß nicht zufallsabhängig. (b) Die einzelnen beobachteten Börsenrenditen in der Vergangenheit müssen voneinander unabhängig zustande gekommen sein (stochastische Unabhängigkeit). Die gesuchte Wahrscheinlichkeitsverteilung fur ein Wertpapier bezieht sich auf ein einperiodiges Modell (zwei Zahlungszeitpunkte). Das Beobachtungsmaterial über Börsenrenditen der Vergangenheit erstreckt sich über Kalenderjahre: Für jeden einzelnen, kleineren oder größeren Zeitabschnitt gibt es nur eine einzige beobachtete Börsenrendite. Damit das zukunftsbezogene einperiodige Modell durch Vergangenheitsdaten aus vielen Perioden getestet werden kann, muß vorausgesetzt werden, daß die Rendite einer Aktie im Jahre 2 nicht durch die Rendite im Jahre 1 beeinflußt ist und umgekehrt. Die Voraussetzung stochastischer Unabhängigkeit hat weitreichende Folgen. So unterstellt sie z.B. die Bedeutungslosigkeit einer Politik der stillen Reserven bzw. von Bilanzierungswahlrechten allgemein für die Börsenrendite. Denn die Rendite des Jahres 2 ist nur dann unabhängig von der im Jahre 1, wenn das Verstecken von Gewinnen ohne Bedeutung ist für den Gewinnausweis (bzw. die Dividendenhöhe) im Jahre 2 oder einem späteren Jahr, obwohl aus buchhalterisch zwingenden Gründen Unterbewertungen von Aktiven heute zu ceteris paribus höherem Gewinnausweis irgendwann später fuhren müssen. (c) Die behauptete Wahrscheinlichkeitsverteilung darf sich im Zeitablauf nicht ändern (Stationarität der Wahrscheinlichkeitsverteilung). Eine Häufigkeitsverteilung von Renditen in der Vergangenheit, die mit Hilfe der Annahme stochastischer Unabhängigkeit zustandegekommen ist, darf noch nicht als Wahrscheinlichkeitsverteilung für einen künftigen Planungszeitraum verstanden werden. Denn die Rendite eines Wertpapiers von 5% im Jahre 1 könnte die Zufallsausprägung einer ersten, bis ins Jahr 1 geltenden Wahrscheinlichkeitsverteilung sein; die Rendite desselben Wertpapiers von 7% im Jahre 2 hingegen eine Zufallsausprägung einer neuen, für die Jahre ab 2 geltenden Wahrscheinlichkeitsverteilung. Damit eine Häufigkeitsverteilung der Vergangenheit als eine Wahrscheinlichkeitsverteilung für einen Planungszeitraum gedeutet werden darf, muß vielmehr zusätzlich angenommen werden, daß für
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Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
den gesamten Vergangenheits- und Planungszeitraum ein und dieselbe Wahrscheinlichkeitsverteilung gilt. Unter den Voraussetzungen (b) stochastischer Unabhängigkeit und (c) Stationarität kann eine große Stichprobe aus Vergangenheitsdaten als Realisierung von Zufallsausprägungen ein und derselben Wahrscheinlichkeitsverteilung gedeutet werden7^. Aber ob überhaupt eine Wahrscheinlichkeitsverteilung existiert, ist gerade nicht erwiesen. Erst die Glaubensannahme (a) erlaubt es, eine Häufigkeitsverteilung aus der Vergangenheit als gute Annäherung an eine Wahrscheinlichkeitsverteilung anzusehen. Die Glaubensannahme (a) enthält eine Behauptung über ein vermeintliches „Naturgesetz": daß die für einen Vergangenheitszeitraum behauptete Wahrscheinlichkeitsverteilung eine „objektive", auch fur die Zukunft geltende, sei. (2) Schon für die Investitionsmischung in Finanzmärkten entpuppt sich die Hoffnung auf wegzudiversifizierende unsystematische Risiken als Traumtänzerei. In Träumen tänzelt, wer an unsystematische Risiken glaubt, aber (a) nicht die einzelnen, von ihm erkannten Unsicherheitsursachen in jeder Zukunftslage fiir jede Handlungsalternative in jeweils einem Zielbeitrag messen kann; (b) wer nicht quantifizieren kann, wie in einer Mischung aus verschiedenen Investitionen einzelne Unsicherheitsursachen sich in ihren Folgen verstärken oder abschwächen. Dazu sind in einer Investitionsmischung die einzelnen Zukunftslagen zunächst nach den Umweltbedingungen zu ordnen, die bei den Einzelinvestitionen dazu zwingen, mehrere künftige Zustände der Welt durchzuplanen: also z.B. Preisentwicklung im Inland und Ausland mit dieser oder jener Lohnkostenentwicklung bei diesen oder jenen Steuer- oder Zinssätzen usw., und zwar für jede Zukunftslage einer jeden erwägenswerten Investitionsmischung. Für jede Mischungszukunftslage ist neben dem finanziellen Zielbeitrag ihre Glaubwürdigkeit zu schätzen. Werden z.B. bei fünf Investitionsvorhaben nach der Investitionsausgabe für den ersten künftigen Zahlungszeitpunkt fünf Zukunftslagen unterschieden und hierbei nur je fünf Unsicherheitsursachen, so folgen schon fiir eine Investitionsmischung aus den fünf Vorhaben im ersten künftigen Zahlungszeitpunkt = 125 alternative Zukunftslagen. Da für jeden späteren Zahlungszeitpunkt mit einer weiteren Verästelung gerechnet werden muß, ist man für die Gesamtheit zu planender Investitionsmischungen vermutlich im dritten Jahr in den Millionen7"*. Daran ist erkennbar, welche prak-
73 Vgl. Günter Franke: Kapitalmarkt - Theorie und Empirie. Gesamtkurs der Fernuniversität Hagen 1980, S. 141. 74 Vgl. z.B. Schneider: Investition, Finanzierung und Besteuerung (S. 31 2 4 ), S. 485-488.
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durch Investitionsmischung
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tisch unerfüllbare Informationsauswertunghmter den Begriffen Varianz, Kovarianz, Korrelationskoeffizient verborgen wird. (c) Dabei ist noch nicht geklärt: Wie soll der Preisbildungsprozeß in Märkten in der Lage sein, die Gesamtheit persönlicher Zukunftsschätzungen auf die verbleibenden, systematischen Risiken zu verdichten? Hier dürften sich schon logisch unvereinbare Annahmen hinter dem Beta-Kokolores verbergen. So ist eine der Voraussetzungen der Kapitalmarktgleichgewichtstheorie, daß alle in einer Volkswirtschaft vorhandenen Investitionen im Marktportefeuille enthalten sind und zu Konkurrenzgleichgewichtspreisen gehandelt werden (S. 122), also auch „unverkäufliche" Seegrundstücke am Starnberger See oder die Anteile einer GmbH in Stiftungsbesitz. (3) Solche Konkurrenzgleichgewichtspreise setzen bei allen Marktteilnehmern rationale Erwartungen in dem Sinne voraus, daß jedermann die gleiche Wahrscheinlichkeitsverteilung über die Konkurrenzgleichgewichtspreise in jedem künftigen Kauf- oder Verkaufszeitpunkt bildet. Behauptet wird: Rationale Erwartungen seien im wesentlichen dasselbe wie die Vorhersage aus der hier in Frage kommenden ökonomischen Theorie 7 '. Insoweit liegt eine andere Ausdrucksweise für das S. 69 f. erwähnte wissenschaftstheoretische Formalschema vor, wobei ökonometriker für die Kenntnis der Anfangsbedingungen zu sorgen hätten. Indes: Da als hier in Frage kommende Theorie die des Konkurrenzgleichgewichts gilt, wird unterstellt, die subjektiven Erwartungen eines jeden einzelnen entsprächen denen einer vorausgesetzten „objektiven" Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Konkurrenzgleichgewichtspreise in diesem oder jenem künftigen Handlungszeitraum. Eine solche Folgerung ist methodologisch und empirisch unhaltbar. Methodologisch ist einzuwenden, daß die Annahme rationaler Erwartungen über Konkurrenzgleichgewichtspreise stillschweigend den Preisen jede Signalfunktion nimmt7*' und damit der Annahme einer Wissensaufdeckung durch Wettbewerb (S. 2) widerspricht. Empirisch unhaltbar ist die Annahme, daß verwirklichte Marktpreise Konkurrenzgleichgewichtspreise sind, die sich aus rationalen Erwartungen herleiten; denn: Preise entstehen aus den Kauf- und Verkaufentscheidungen einzelner, und diese gründen sich auf Erwartungen darüber, 75 Vgl. John F. Muth: Rational Expectations and the Theory of Price Movements. In: Econometrica, Vol. 29 (1961), S. 315-335, hier S. 316 f.; SanfordJ. Grossman: An Introduction to the Theory of Rational Expectations Under Asymmetric Information. In: Review of Economic Studies, Vol. 48 (1981), S. 541-559, sowie zur YsixÜaAnat R. Admati: lnformation in Financial Markets: The Rational Expectations Approach. In: Financial Markets and Incomplete Information, hrsg. von S. Bhattacharya, G.M. Constantinides. Totowa 1989, S. 139-152. 76 Vgl. Kenneth J. Arrow: The Future and the Present in Economic Life. In: Economic Inquiry, Vol. 16 (1978), S. 157-169.
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Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
welche Erwartungen andere Marktteilnehmer über die künftigen Preise und deren Bestimmungsgründe hegen. Gekauft oder verkauft wird bei einem bestehenden Marktpreis dann, wenn dieser subjektiv als Fehleinschätzung der künftigen Preisentwicklung, als falsches Preissignal, beurteilt wird. Selbst wenn die einzelnen für sich jeweils eine quantitative Wahrscheinlichkeitsverteilung über die Preise in einzelnen künftigen Kauf- oder Verkaufzeitpunkten nennen könnten, so bleibt offen, auf welche der erwarteten Preise innerhalb einer Wahrscheinlichkeitsverteilung sie ihre Kauf- oder Verkaufentscheidungen stützen: „risikoneutral" auf den Erwartungswert oder „risikoabgeneigt" auf einen darunter liegenden künftigen Verkaufspreis oder darüber liegenden Kaufpreis. Selbst dann werden einzelne in künftigen Zeitpunkten ihre verwirklichten Pläne besser oder schlechter erfüllt sehen und daraufhin ihre Einschätzungen ändern, wenn sie rational handeln und alle ihnen verfügbaren Informationen auswerten. Dann können aber keine rationalen Erwartungen in Form einer von allen gleich eingeschätzten Wahrscheinlichkeitsverteilung über solche Konkurrenzgleichgewichtspreise existieren. Würde eine solche quasi objektive Wahrscheinlichkeitsverteilung bestehen, so müßte sie zudem im Zeitablauf stationär bleiben, damit statistische Marktergebnisse aus Diversifikationen in der Vergangenheit Schlüsse auf Unsicherheitsverringerungen in der Zukunft zulassen . Ein Verteidiger der Annahme „rationale Erwartungen" über Konkurrenzgleichgewichtspreise hat eingewandt: Der Hinweis auf ein Lernen aus Erfahrungen sei ein bloßes Ablenkungsmanöver; man brauche Lernen und Informationen nur mit dem Namen „Zufallsvariable" zu belegen, und nichts stehe dann mehr der Anwendbarkeit entgegen 78 . Wer hier Ablenkungsmanöver vor ungelösten und unlösbaren Schwierigkeiten betreibt, ist offenkundig; denn mit der Umbenennung von Lernen aus Erfahrungen und Informationen (und allen weiteren Einzelproblemen der Erwartungsbildung) als „Zufallsvariable" fühlt sich ein unvoreingenommener Leser nur gelackmeiert. (4) Empirische Tests bauen auf verwirklichten Preisen und deren Streuung in der Vergangenheit auf und leiten aus oft fehlerbehafteten Meßergebnissen 77 Vgl. z.B. Rutherford: Rational Expectations (S. 73 6 ), S. 136; James R Wible: Implicit contracts, rational expectations, and theories of knowledge. In: Research in the History of Economic Thought and Methodology, Vol. 7 (1990), S. 141-170, S. 157; siehe auch Margaret Bray, DavidM. Kreps: Rational Learning and Rational Expectations. In: Arrow and the Ascent of Modern Economic Theory, hrsg. von G.R. Feiwel. Houndmills u.a. 1987, S. 597-625, hier S. 598 f. 78 Vgl. die Conversation mit Robert E. Lucas, jr. in: The New Classical Macroeconomics, hrsg. von A. Klamer. Brighton 1984, S. 29-57, S. 39; zur Kritik vgl. z.B. Wible: Implicit contracts (Fn. 77), besonders S. 148-170.
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der Vergangenheit Schlüsse über „Gesetzmäßigkeiten" bzw. „Tendenzen" in der Zukunft ab. Solche Schlüsse beruhen auf einer Glaubensvorentscheidung empirisch-statistisch Forschender, daß objektive und im Zeitablauf stationäre Wahrscheinlichkeitsverteilungen existieren. Eine solche Glaubensvorentscheidung stellt das Rechnen über das Nachdenken zu den Anwendungsvoraussetzungen entscheidungslogischer und statistischer Techniken. Für dieses Vorgehen mag der Gewinn an Reputation in einer wissenschaftlichen Gemeinschaft Gleichgesinnter sprechen. Glaubensvorentscheidungen sind jedoch kein Beleg dafür, daß so Errechnetes eine empirische Stütze für irgendeine Behauptung liefere. Investitionsentscheidungen sind bewußt geplant, und solche Handlungen nehmen nicht die Eigenschaft von Zufallsvariablen an. Deshalb besteht noch keine erklärende Theorie der Börsenkursbildung mit empirisch teilweise bestätigten Hypothesen, und damit auch keine schlüssige Theorie der Bewertung von Anteilen an Unternehmungen, und erst recht keine für deren „Gesamtbewertung". Die Unsicherheitsursachen hierbei und deren mögliche Abhängigkeiten sind zu zahlreich, um sie durch eine endliche Zahl von Experimenten oder Beobachtungen abzudecken. Deshalb bleibt eine Quantifizierung inexakt. Dies kann schon im Briefwechsel zwischen Leibniz und Jacob Bernoulli 1703 nachgelesen werden 79 , also zehn Jahre bevor des letzteren zentraler Grenzwertsatz der Wahrscheinlichkeitsrechnung posthum veröffentlicht wurde. 2. Diversifikation
bei
Realinvestitionen
a) Mit Diversifikation werden üblicherweise Investitionen in neuen oder auch in anderer Gewichtung in bisherigen Tätigkeitsbereichen einer Unternehmung bezeichnet 80 . Eine Industrieunternehmung, die wachsen will oder schrumpfen muß, wird erwägen: horizontale Diversifikation hinsichtlich Absatzprogramm und Absatzmenge, vertikale Diversifikation durch Ausweitung der Produktionstiefe in Richtung auf Lieferanten oder Kunden, zeitliche Diversifikation durch Änderung der Dauer einzelvertraglicher Bindungen oder Unterneh79 Vgl. Brief von Leibniz an Jacob Bernoulli vom 3. Dezember 1703. In: G.W. Leibniz: Ma-
80
thematische Schriften, hrsg. von C.I. Gerhardt. Band III/1 (1855), Nachdruck Hildesheim 1962, S. 79-86, hier S. 83 f. Im Schrifttum gängig ist die Unterteilung der Diversifikation in horizontal, vertikal, lateral; außen vor bleibt meistens das zeitliche Ausmaß vertraglicher Bindungen sowie die Vielfalt an Kooperationsformen; vgl. RolfBühner: Portfolio-Risikoanalyse der Unternehmensdiversifikation von Industrieaktiengesellschaften. In: ZfB, Jg. 53 (1983), S. 1023-
1041, hier S. 1023 f.; Alfred Kieser, Herbert Kubicek: Organisation. 3. Aufl., Berlin-New York 1992, S. 230. Auf die Kooperationen verweist jedoch Franz Xaver Bea: Diversifikation durch Kooperation. In: Der Betrieb, Jg. 41 (1988), S. 2521-2526.
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Verniinfiige Entscheidungen bei vorgegebenen
Informationen
mungskooperationen einzugehen, einschließlich eines Beteiligungserwerbs, um eine Unternehmung „ l a t e r a l " zu diversifizieren, also als Gemischtwarenladen in Konzerngröße zu fuhren. Diversifikation betrifft damit Art und Umfang der Unternehmungsgröße: der Dimensionen ihres Handelns. Schon fur die Investitionsmischung in Finanzmärkten entpuppt sich die Hoffnung auf wegzudiversifizierende, sog. unsystematische Risiken als Traumtänzerei (S. 132 f.). In Finanzmärkten bestimmt Rechenhaftes weitaus stärker das Austauschverhältnis als in den Märkten für Dienste und Sachen, die zusätzlich durch Präferenzen verzerrt und beeinflußbar sind. Deshalb stellen sich bei Realinvestitionen zur horizontalen, vertikalen, zeitlichen und lateralen Diversifikation zusätzliche Schwierigkeiten dem Bemühen entgegen, Einkommensunsicherheiten zu verringern. b) Überlegungen zu einer Verringerung von Einkommensunsicherheiten müs-
sen sich bei „Strategien " zur Diversifikation durchweg auf das Aufzählen einzelner Unsicherheitsursachen beschränken, z.B.: Eigenfertigung schließt gegenüber Fremdbezug Lieferschwierigkeiten eines bestimmten Lieferanten aus, oder: Der Verzicht auf Fertigung und Vertrieb eines neuen Produkts vermeidet alle daraus folgenden, aber nicht ganz überblickbaren Umweltbelastungen, usw. M i t einzelnen Unsicherheitsursachen bei der Wahl zwischen den Dimensionen einer Unternehmungsgröße beschäftigt sich das folgende. (1) In modellmäßiger Vereinfachung sei zunächst nur von einem einzigen Absatzobjekt ausgegangen. Hier bildet die Absatzmenge die einzige Dimension der Unternehmungsgröße. Wem es gelingt, bei einem gesetzten Preis die gesamte Nachfrage nach einem Gut durch seine Absatzmenge zu erfüllen, der hat als Monopolist eine Unsicherheitsursache ausgeschaltet: die Konkurrenz. Aber daß sich dadurch seine Einkommensunsicherheiten insgesamt verringert haben, ist nicht in jedem Fall gewährleistet. Der Monopolist sieht sich Nachfrageschwankungen allein ausgesetzt, er kann ihnen nicht durch zeitweilige Wettbewerbsvorsprünge gegenüber Konkurrenten begegnen. Zeitweilige Monopolgewinne schläfern die Aufmerksamkeit ein, potentieller Konkurrenz oder dem Profilierungsdrang regulierungssüchtiger Politiker rechtzeitig zu begegnen. (2) Betritt eine Unternehmung mehrere Absatzmärkte, wird das Absatzprogramm zur zweiten Dimension der Unternehmungsgröße. Diversifikation in nachfrage-, produktions- oder beschaffungsverbundene Güter bezweckt zunächst, durch den Verbund Einsparungen oder auch Mehrumsätze zu erreichen, um durch solche „Synergien" Gewinne zu steigern, ohne Unsicherheiten zu erhöhen. Diversifikation in nachfrage-, produktions- oder beschaffungsverbundene Güter verringert daneben die Unsicherheitsursache, daß das Management durch das Einarbeiten in fremde Marktgegebenheiten und Produktionsorganisationen überlastet wird 8 1 .
Minderung von Einkommensungewißheit
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Folgt man den Modellen zur Risikominderung durch Investitionsmischung, müßte bei horizontaler Diversifikation wegen der Verbundwirkungen das Risiko, gemessen in der Streuung der Renditen, höher sein als bei lateraler Diversifikation 82 . Nimmt man die Meßtechniken fur Diversifikation und die für Testverfahren zu deren Marktergebnissen vorerst unkritisch hin, so bestätigt die Mehrheit der Untersuchungen dies jedoch nicht. Behauptet wird, laterale Diversifikation biete zumindest für die Anteilseigner keinen Vorteil; jedenfalls keinen, den die Anteilseigner nicht auch durch eine Wertpapiermischung erreichen könnten, wären die konzernverbundenen Unternehmungen selbständig geblieben. Zur Begründung wird auf Unsicherheitsursachen verwiesen, die jenseits des Finanzbereichs zu beachten sind, also bei Beschaffung, Produktion, Absatz. Diese stiegen bei lateraler Diversifikation wegen eines verhältnismäßig niedrigen Marktanteils in einzelnen Märkten8^. (3) Die dritte Dimension wird gekennzeichnet durch den Ausbau von Produktionsprozessen, mit denen sich in der Marktstufenfolge zwischen Urproduktion und Endverbraucher ein Treppenabschnitt überspringen läßt, entweder in Richtung auf Beschaffungsmärkte oder in Richtung auf Absatzmärkte. Im Schrifttum wird betont, eine vertikale Integration in Richtung Beschaffungsmärkte verringere Unsicherheitsursachen hinsichtlich der Qualität und Pünktlichkeit der Teilezulieferung8^. Gegen eine vertikale Diversifikation durch Marktstufen-Überspringen spricht jedoch die Gefahr, daß bisherige Kunden der zu integrierenden Beschaffungsunternehmung abwandern oder daß durch Eigenfertigung ausgebootete Lieferanten bei Schwierigkeiten in der Eigenfertigung dazu neigen, die Unternehmung im Regen stehen zu lassen85. Hinzu tritt in Absatzmärkten eine sinkende Anpassungsfähigkeit gegenüber Bedarfswandlungen und Nachfrageschwankungen.
81 Vgl. Siegfried Jacobs: Strategische Erfolgsfaktoren der Diversifikation. Wiesbaden 1992, S. 16. 82 Vgl. Bühner: Portfolio-Risikoanalyse (S. 135 80 ), S. 1030; Hans-Joachim Spindler: Risikound Renditeeffekte der Diversifikation in Konjunkturkrisen. In: ZfB, Jg. 58 (1988), S. 858-875. Gegenteiliger Auffassung sind Raphael Amit, Joshua Livnat: Diversification Strategies, Business Cycles and Economic Performance. In: Strategie Management Journal, Vol. 9 (1988), S. 99-110, hier S. 105. 83 Vgl. Cynthia A. Montgomery, Harbir Singh: Diversification Strategy and Systematic Risk. In: Strategic Management Journal, Vol. 5 (1984), S. 181-191, hier S. 188. 84 Vgl. Pradip N. Khandwalla: The Design of Organizations. New York u.a. 1977, S. 207; Rolf Bühner: S trategie und Organisation. 2. Aufl., Wiesbaden 1993, S. 276 f. 85 Vgl. Ian C. MacMillan, Donald C. Hambrick, Johannes M. Pennings: Uncertainty Reduction and the Threat of Supplier Retaliation: Two Views of the Backward Integration Decision. In: Organization Studies, Vol. 7 (1986), S. 263-278, hier S. 266.
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Andererseits ist behauptet worden, daß zunehmende Unsicherheit hinsichtlich der Absatzgegebenheiten und der Leistung einzelner Absatzwege zur Wahl von Direktvertrieb führe 8 *'. Im Saldo sprechen empirisch-statistische Tests zur Unsicherheitsverringerung durch Diversifikation überwiegend für eine verstärkte vertikale Integration. Dieses Ergebnis weckt Vorbehalte, denn die ex post benutzten Testverfahren können eine ex ante sinkende Anpassungsfähigkeit gegenüber denkbaren Ex-post-Uberraschungen nicht erfassen. (4) Die drei Dimensionen Absatzmenge, Absatzprogramm und Produktionstiefe kennzeichnen zunächst nur ein einperiodiges Zustandsbild von der Unternehmungsgröße. Diese statische Dimensionierung ist zu dynamisieren um das A u s m a ß an zeitlichen Bindungen, das aus vergangenen und gegenwärtigen Entscheidungen folgt. Das Ausmaß zeitlicher Bindungen aus Verträgen und Investitionen ist einer der Gründe, weshalb auch frühere, inzwischen unvorteilhafte Ausgaben, also sunk costs entscheidungsrelevant werden können 8 7 . Ein Problem bei zeitlicher Diversifikation ist das Entstehen „transaktionsspezifischer" Ausgaben zur Erlangung eines Auftrags. Solche Vorleistungen erleichtern potentiellen Marktpartnern, die Preise zu drücken 8 8 . Die Unsicherheiten aus zeitlichen Bindungen scheinen in Teilen der Praxis mitunter dann unterschätzt zu werden, wenn in Zukunftsmärkten gehandelt wird, also in Termin-, Terminkontrakt- und Optionsgeschäften. Gegengeschäfte in Form eines Hedging beseitigen durchweg nur eine von mehreren Unsicherheitsursachen (vgl. S. 186-188). (5) Die ersten vier Dimensionen unterstellen stillschweigend eine strikte Trennbarkeit der Handlungsabläufe in einer Unternehmung gegenüber denen in anderen Unternehmungen. Jedoch verhindern die vielfältigen Formen der K o o p e r a t i o n zwischen Unternehmungen eine genaue Abgrenzung einer Unternehmung von einer anderen. Wo sind z.B. die Grenzen für die Größe einer Unternehmung zu ziehen, wenn sie über Jahre hinweg mit einem Großkunden ein neues Investitionsgut entwickelt und anschließend erstellt, bei dem der
86 Vgl. George John, Barton A. Weitz: Forward Integration into Distribution: An Empirical Test of Transaction Cost Analysis. In: Journal of Law, Economics, and Organization, Vol. 4 (1988), S. 337-355, hier S. 341 f., 348. 87 Vgl. Jan Pieter Krahnen: Sunk costs und Unternehmensfinanzierung Wiesbaden 1991, S. 206; Schneider: Rechnungswesen (S. 31 2 5 ), S. 350 f. 88 Vgl. Oliver E. Williamson: Markets and Hierarchies: Analysis and Antitrust Implications. New York-London 1975, Nachdruck 1983, S. 26-30; Benjamin Klein, Robert G. Crawford, Armen A. Alchian: Vertical Integration, Appropriable Rents, and the Competitive Contracting Process. In: Journal of Law and Economics, Vol. 21 (1978), S. 297326, hier S. 298.
Minderung von Einkommensungewißheit durch Investitionsmischung
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Kunde neben dem Einbringen einzelner sachlicher Produktionsfaktoren auch zeitweilig Mitarbeiter abstellt89? Die Grenzen einer Unternehmung gegenüber einer zweiten werden in anderer Weise unscharf bei Arbeitsgemeinschaften mit sonstigen Mitbewerbern in strategischen Allianzen90, aber auch bei Konzernbildungen durch Erwerb von Minderheitsbeteiligungen. Unternehmungskooperationen bezwecken neben anderem das Ausschalten der Unsicherheitsursache „Konkurrenzdruck" durch Marktabspaltung (so bei der Zusammenarbeit Kunde/Lieferant) oder durch Bündelung von Marktmacht (wie bei der Zusammenarbeit sonstiger Konkurrenten), aber auch durch Risikoteilung bei Milliarden teuren Entwicklungsvorhaben, wie z.B. Flugzeugtriebwerke. Allerdings schafft jede Partnerschaft zusätzliche Unsicherheiten. Sie entstehen aus der Beauftragung anderer oder aus Gruppenentscheidungen mit dem Zwang zur Einigung und den Problemen der Risikoteilung untereinander. Lockere Kooperationsformen ohne Beteiligungserwerb mindern zwar das Risiko wettbewerbsrechtlicher Einwände und bei einem drohenden Fehlschlag hohe Verluste aus einer Desinvestition. Andererseits ist der Gefahr zu begegnen, daß bei günstiger Entwicklung einzelne Partner unter Mitnahme von Know-how die Kooperation aufkündigen. Wie beim Erwägen von Kooperationen über eine Auflistung von Unsicherheitsursachen hinaus theoretisch eine Unsicherheitsverringerung in den Griff zu bekommen wäre, erscheint derzeit offen. c) Praktisch können Informationsrisiken nicht ausgeschlossen werden. Hinzu tritt die Fülle an Einwänden, die dagegen sprechen, daß bei betriebswirtschaftlich gewichtigen (Investitions-, Personal- usw.) Entscheidungen die Axiome zur Quantifizierung von Glaubwürdigkeiten fur Zukunftslagen einzuhalten sind, sowie die zusätzlichen Vorbehalte fiir die Anwendbarkeit der einzelnen Entscheidungsregeln. Dies alles zwingt zu dem Schluß: Die Probleme der Informationstheorie, insbesondere das Erkennen von Unsicherheitsursachen und ihrer Abhängigkeiten untereinander, sind praktisch gewichtiger als die Ergebnisse der Entscheidungstheorie. Für die überwältigende Mehrzahl unternehmerischer Wahlhandlungen nützt die Entscheidungstheorie nur didaktisch zur Denkschulung über Wahlprobleme. Wer anderes behauptet, täuscht Lernende und Praxis. Dabei rechtfertigt sich das Benutzen von Entscheidungsregeln bei quantitativen Wahrscheinlichkeiten dadurch: Ihre Anwendung legt offen, daß zahlreiche, insbesondere politisch gängige Hypothesen und 89 Vgl. Werner H. Engelhardt, Michael Kleinaltenkamp, Martin Reckenfelderhäumer: Leistungsbündel als Absatzobjekte. In: ZfbF, Jg. 45 (1993), S. 395-426. 90 Vgl. Reinhard H. Schmidt, Stefan Fellermann: On Explaining Strategie Alliances. In: Journal of Institutional and Theoretical Economics, Vol. 149 (1993), S. 748-755.
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Vernünftige Entscheidungen bei vorgegebenen Informationen
Handlungsempfehlungen bereits bei einer ersten Modellierung unter Ungewißheit zweifelhaft werden. Sie sind schon deshalb einzuschränken oder zurückzuweisen. Ein Beispiel hierfür wurde S. 111 genannt: Entgegen politisch gängigen Parolen, daß eine Senkung der Gewinnsteuersätze nötig sei, um die Risikobereitschaft zu Investitionen zu erhöhen, zeigt schon eine erste Modellbildung unter Ungewißheit: Bei gleichbleibender absoluter und gleichbleibender relativer Risikoabneigung ist das nicht der Fall. Eine anschließende Überlegung ergibt: Eine Senkung der Gewinnsteuersätze verringert die Risikobereitschaft bei steigender relativer Risikoabneigung. In dieser ersten Modellbildung ist vernachlässigt, daß fiir keinen einzigen der geplanten künftigen Zustände der Welt die Gewinnsteuerbemessungsgrundlagen entscheidungsneutral geregelt sind. Vielmehr zeigen Beispielsrechnungen: Werden Gewinnvergünstigungen in den Steuerbemessungsgrundlagen mit Steuersatzsenkungen gekoppelt, dann sinkt meistens die Risikobereitschaft des Investors, weil durch diese Kopplung risikoärmere Investitionen relativ stärker begünstigt werden als risikoreichere91. Eine Behauptung, die schon bei einer ersten, einfachen Modellierung unter Ungewißheit (also bei quantitativen Wahrscheinlichkeiten) nicht mehr uneingeschränkt gilt, wird bei realitätsnäheren, schwächeren Meßbarkeitsstufen von Wahrscheinlichkeiten keinesfalls eher gültig. Entscheidungsmodelle unter Ungewißheit nützen deshalb kaum zur Optimierung bei praktischen Entscheidungen. Stattdessen dienen sie in der Hauptsache als Reinigungsmittel gegen unsaubere (unzulässige) Verallgemeinerungen. Unter Unsicherheit ist das Nicht-Hereinfallen auf unbegründete, scheinplausible Handlungsempfehlungen eine der wichtigsten Strategien zur Verringerung von Einkommensunsicherheiten.
91 Vgl. Schneider: Investition, Finanzierung und Besteuerung (S. 31 24 ), S. 684.
Informationsauswertung
III. Verringerung
bei Interessengegensätzen und Gruppenentscheidungen
von Einkommensunsicherheiten
auswertung und
durch
141
Informations-
Informationsbeschaffung
a) Informationsauswertung bei Interessengegensätzen und Gruppenentscheidungen 1. Das Gefangenendilemma als Problem der Informationsauswertung und einer „stillschweigenden "Kooperation a) Vielfach läßt sich ein als unzureichend empfundener Informationsstand nicht durch Beschaffung von Informationen verbessern. Umso wichtiger wird dann die Frage: Wie sind die vorhandenen, geringen Informationen zutreffend auszuwerten? Diese Frage sei anhand der Behauptung geprüft, daß rational Entscheidende in ein entscheidungslogisches Dilemma, das Gefangenendllemma, geraten können. Das Gefangenendilemma1 dient als Musterbeispiel für den Fall, daß es zu schwerwiegenden Abweichungen zwischen beabsichtigter Zielerreichung und tatsächlich erreichter (S. 16) kommen kann, falls rational Entscheidenden Informationsbeschaffung oder Kommunikation untereinander (gegenseitige Unterrichtung, Planabstimmung, Verhandlung) versagt bleibt oder wenn Institutionen fehlen, die dazu zwingen, Vereinbartes auch einzuhalten. (1) Erläutert wird das Gefangenendilemma meist an folgendem, rechtlich übervereinfachten Fall: Α und Β sitzen in verschiedenen Gefängnissen in Untersuchungshaft. Sie werden eines gemeinsamen schweren Verbrechens beschuldigt. Doch dem Staatsanwalt fehlen die Beweise. Er ist auf das Geständnis zumindest eines der Verdächtigen angewiesen. Ohne Geständnis kann er lediglich jeden der Verdächtigen kleinerer Delikte überfuhren. In diesem Fall müßten Α und Β z.B. mit einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr rechnen. Der Staatsanwalt, der das schwere Verbrechen aufklären möchte, bietet nun Α und Β getrennt an, Kronzeuge zu werden. Falls Α gesteht und Β nicht gesteht, geht Α als Kronzeuge straffrei 1
Das Gefangenendilemma wird auf Merrill Flood, Melvin Dresher{ 1950) zurückgeführt und wurde von dem Mathematiker A. W. Tucker formalisiert (vgl. Robert Axelrod: Die Evolution der Kooperation. München 1987, S. 22, 27, der es in Computerspielen testete); es findet sich erstmals beschrieben bei Luce, Raijfa: Games and Decisions (S. 85 2 ^), S. 94-97, und seither in zahlreichen entscheidungstheoretischen Veröffentlichungen. Die psychologischen Unterstellungen erörterten Anatol Rapoport, Albert M. Chammah: Prisoner's Dilemma. Ann Arbor 1965; spieltheoretisch ausgebaut wird es bei Michael Taylor: Anarchy and Cooperation. London u.a. 1976, Kapitel 3-5, dazu Hartmut Kliemt, Bernd Schauenberg: Zu M. Taylors Analysen des Gefangenendilemmas. In: Analyse & Kritik, Jg. 4 (1982), S. 71-96; übertragen auf soziale Dilemmas z.B. bei Joachim Weimann: Umweltökonomik. 2. Aufl., Berlin u.a. 1991, S. 47-52.
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Einkommensunsicherheiten,
Informationsauswertung
und -beschaffung
aus, wobei Β mit 10 Jahren Haft rechnen muß (und umgekehrt A, falls Β gesteht). Sind jedoch beide geständig, entfällt die Kronzeugen-Straffreiheit. Dann wird Α und Β nur das Geständnis als strafmildernd angerechnet und sie müssen mit 9 Jahren Gefängnis rechnen. Das Schrifttum beschreibt die mißliche Entscheidungslage des Verdächtigen A so: Wenn Α nicht gesteht, wird er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, falls Β gleichfalls nicht gesteht. Wenn Α hierbei gesteht, geht er als Kronzeuge straffrei aus. Falls Β von dem Angebot, Kronzeuge zu werden, Gebrauch macht, und gesteht Α nicht, wandert A 10 Jahre hinter Gitter. Gesteht Α in diesem Fall, muß er nur 9 Jahre Gefängnis absitzen. Daraus wird gefolgert: Gleichgültig, was Β tut, in jedem Fall ist für Α „gestehen" besser; denn dann bleibt jeweils 1 Jahr weniger Gefängnisaufenthalt. Bei so beschriebenen Zukunftslagen ist „gestehen" eine Handlungsalternative, die der anderen in jedem künftigen Zustand der Welt überlegen ist; als Entscheidungsregel dient hier das Dominanzprinzip (S. 97). Wenn die Zeilen die Handlungsmöglichkeiten des A, die Spalten die künftigen Zustände der Welt, hier gleich dem Verhalten des B, und die Zahlen die Jahre an Gefängnis ftir Α wiedergeben, entsteht folgendes Entscheidungsfeld: Β nicht gestehen
gestehen
nicht gestehen
1
10
gestehen
0
9
Für Β liegt das gleiche Entscheidungsfeld vor, da im Beispiel Α und Β vor demselben Problem mit denselben Folgen stehen. Wenn jedoch Α und Β jeweils nach dem Dominanzprinzip entscheiden und „gestehen", wandern sie beide 9 Jahre ins Gefängnis. Eine Wahl nach der für den einzelnen vernünftigen Entscheidungsregel des Dominanzprinzips führt zum schlechtest möglichen Ergebnis für beide zusammen (insgesamt 18 Jahre Gefängnis gegenüber 10 Jahren, falls nur einer gesteht, oder zwei Jahren, falls beide nicht gestehen). Dieser Sachverhalt kennzeichnet das „Gefangenendilemma". (2) Dabei ist genau auf die Begriffe zu achten: Das Gefangenendilemma wird falsch gesehen, wenn es als Dilemma eines Entscheidenden verstanden wird, der zwischen zwei unangenehmen Alternativen zu wählen hat. O b ein Untersuchungshäftling vor einer mißlichen Wahl steht oder ein Unternehmer, der (nicht von einem Staatsanwalt, aber) von einer ausländischen Regierung zu weiteren Krediten an sein dortiges Tochterunternehmen verlockt werden soll, jedoch damit rechnen muß, sobald er und andere Unternehmer weiter investieren, steige die dortige Auslandsverschuldung so, daß die heute noch lockende
Informationsauswertung
bei Interessengegensätzen und Gruppenentscheidungen
143
Regierung morgen erklären wird, ihre Auslandsschulden seien als erloschen anzusehen: Beide Male handelt es sich um Entscheidungen unter Ungewißheit, bei denen unangenehme Folgen nicht ausgeschlossen werden können. Derartige Entscheidungen unter Ungewißheit bezeichnet man in der Umgangssprache als „Dilemma". Es handelt sich aber nicht um ein Dilemma in der Sprache der Entscheidungstheorie. Der Begriff des „Gefangenendilemmas" ist auf ein entscheidungs/ogwcA« Dilemma zu beschränken: daß eine elementare Regel für vernünftiges Handeln des einzelnen unter Ungewißheit (das Dominanzprinzip) dann zu versagen droht, wenn sowohl Α und Β danach handeln. (3) Wer in obigem Beispiel von einem entscheidungslogischen Dilemma spricht, hat Informationsauswertung (hier das Bilden von Zukunftslagen, um ein Entscheidungsmodell aufzustellen) mit vernünftiger Entscheidung bei gegebenem Informationsstand (nach vernünftiger Informationsauswertung) verwechselt. Die Trennung zwischen Informationsauswertung (Abbildung realer Probleme in Entscheidungsmodellen) und vernünftiger Entscheidung (Anwendung von Entscheidungslogik bei gegebenem Wissensstand) ist deshalb hervorzuheben, weil das Schrifttum anhand solcher Beispiele wie dem Gefangenendilemma die Gültigkeit von entscheidungslogischen Aussagen anzweifelt, z.B. die Allgemeingültigkeit des Dominanzprinzips. Doch entscheidungslogische Sätze gelten wie alle Sätze der Logik immer und überall. Nur sind nicht immer ihre Anwendungsvoraussetzungen für einen praktisch zu lösenden Fall erfüllt. Die Frage, ob und wann die Anwendungsvoraussetzungen gegeben sind, ist ein Problem der zutreffenden Abbildung (Übersetzung) eines realen Problems in ein Entscheidungsmodell, also eine Frage der Informationsauswertung, nicht der rationalen Wahl unter Alternativen: der Entscheidungslogik. Das Dominanzprinzip erscheint so selbstverständlich, daß leicht die beiden Voraussetzungen fur seine Anwendung übersehen werden: (a) Das Entscheidungsfeld bildet zutreffend die künftigen Zustände der Welt ab. (b) Die künftigen Zustände der Welt (hier gekennzeichnet durch die Spalten = Handlungsmöglichkeiten des anderen) müssen von den Handlungsmöglichkeiten des Entscheidenden (Zeilen) unabhängig sein. Die zweite Voraussetzung besagt, daß als künftige Zustände der Welt nicht die Handlungsmöglichkeiten eines anderen Menschen im Entscheidungsmodell angesetzt werden dürfen, ohne zu prüfen, ob dessen Handlungen dadurch beeinflußt werden, was der Entscheidende tun könnte; denn dann sind die Zukunftslagen nicht zutreffend beschrieben. b) Im Musterbeispiel fiir ein Gefangenendilemma werden als Prämissen vorgegeben: Eine Zusammenarbeit unter den Gefangenen ist unmöglich, beide han-
144
Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -beschaßung
dein rational, besitzen oder benötigen keine Kenntnis über die Risikoneigung des anderen, und zugleich bezweifeln sie nicht, sie könnten mit einer Zukunftslage „Straffreiheit" rechnen. Dies ist ein Widerspruch; denn mit dem vorausgesetzten geringen Informationsstand ist unvereinbar, daß Α und Β das Angebot des Staatsanwalts auf Straffreiheit als einen vernünfiigerweise in einem Entscheidungsmodell zu berücksichtigenden künftigen Zustand der Welt ansehen. Jeder der Gefangenen muß vermuten, daß der Staatsanwalt dem anderen das gleiche Angebot gemacht hat; denn der Staatsanwalt wird versuchen, beide Verdächtige zum Geständnis zu bewegen. Sobald jedoch Α vermutet, daß der Staatsanwalt Β in die gleiche Versuchung wie ihn fuhrt, entsteht für Α die Aufgabe, diesen Sachverhalt auszuwerten. Α wird vorausbedenken, ob er straffrei bleiben kann, wenn Β rational handelt. Da Α voraussetzungsgemäß nichts über die Neigungen und das Können des Β weiß, wie dieser sein geringes Wissen auswertet, hat er vier Fälle zu unterscheiden: (1) Β denkt zwar entscheidungslogisch rational, ist aber in der Auswertung seines geringen Wissens naiv und durchschaut die Heimtücke des Staatsanwalts nicht oder übersieht, daß Α dasselbe Angebot gemacht wurde; dann lautet die vernünftige Entscheidung des B: zu gestehen, um Kronzeuge zu werden. Daraufhin entfällt fur Α die Straffreiheit, gleichgültig, was er tut. Oder: (2) Β durchschaut die Heimtücke des Staatsanwalts und hält Α für naiv, daß dieser die Heimtücke nicht durchschaue und gestehe. Dann lautet die vernünftige Entscheidung des B, auch zu gestehen. Daraufhin geht Α nicht mehr straffrei aus. Oder: (3) Β durchschaut die Heimtücke des Staatsanwalts, hält A fur ebenso schlau und für gerissen. Dann rechnet Β damit: Α erwarte, daß Β nicht gestehe, und aufgrund dieser Erwartung werde Α gestehen, um als Kronzeuge straffrei zu bleiben. Bei dem Verdacht einer solchen Heimtücke von Α bleibt Β nichts anderes übrig, als selbst zu gestehen, um wenigstens nicht 10 Jahre hinter Gittern zu landen. Und Α hat zu folgern, er könne nicht mehr straffrei ausgehen. (4) Β durchschaut die Heimtücke des Staatsanwalts und hält Α für ebenso schlau, aber nicht fur heimtückisch; dann wird Β nicht gestehen, weil er erwartet, Α gestehe auch nicht. Verhält sich Α dieser Erwartung des Β gemäß, entfällt die Straffreiheit fur Α. Beide kommen mit der Mindeststrafe 1 Jahr Gefängnis davon. Im Vorstehenden hat Α überlegt, wie Β rational entscheidet, wenn über B's Fähigkeiten, geringes Wissen auszuwerten, unterschiedliches angenommen wird. Entsprechend wird Β seine Zukunftslagen bestimmen. Für beide ist „Straffreiheit" keine vernünftigerweise zu erwartende Zukunftslage. Hierbei haben beide eine Annahme zur Informationsauswertung benutzt: Ist Koope-
ration ausgeschlossen und fehlt das Wissen über das Können der Gegenseite, dann ist die Gegenseite als mindestens so fähig bei der Abbildung von Informationen in
Informationsauswertung bei Interessengegensätzen und Gruppenentscheidungen
Zukunftslagen
ihres Entscheidungsmodells
145
anzusehen, wie man selbst zu sein
glaubt. Gegenseite ist zum einen der Staatsanwalt und nach dessen Kronzeugen-Angebot der andere Gefangene. Α und Β werden das Kronzeugen-Angebot als Manöver des Staatsanwalts durchschauen, sie hereinzulegen. Damit schrumpft beider „Entscheidungsfeld" zusammen auf: nicht gestehen: 1 Jahr oder 10 Jahre Gefängnis, oder gestehen: 9 Jahre Gefängnis. Diese Abbildung ihres Wahlproblems in einem Entscheidungsmodell fuhrt nicht mehr in ein entscheidungslogisches Dilemma, sondern in eine alltägliche (wenngleich fur Α und Β unerquickliche) Entscheidung unter Ungewißheit: Bei einer Handlung ist das Ergebnis aller Voraussicht nach sicher und unangenehm, bei der einzigen Alternative besteht eine Chance zu einem günstigeren Ergebnis und die Gefahr eines noch schlechteren. Ein außenstehender Betrachter könnte hierbei allerdings folgenden Handlungsablauf beobachten: Einer handelt risikoscheu und gesteht. Der andere entscheidet risikofreudiger und gesteht nicht. Für den Risikofreudigeren tritt ein, was er als eine denkbare Zukunftslage vorher bereits erkannt hat: 10 Jahre Gefängnis. Der Risikoscheuere erlebt hingegen eine angenehme Überraschung: Entgegen den Annahmen in seinem Entscheidungsmodell geht er straffrei aus. Daran ist nichts Ungewöhnliches; im nachhinein ist man gemeinhin klüger. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Risikoscheuere diese günstige Entwicklung vernünftigerweise vorhersehen konnte, auf die zu spekulieren (hier: zu gestehen) sich lohne. Die Antwort lautet: Das ist nicht der Fall, wenn jeder den anderen für vernünftig und so schlau wie sich selbst hält und nichts über dessen Risikoneigung weiß. Im Beispiel des Gefangenendilemmas besteht keineswegs ein Widerspruch zwischen individueller Rationalität (Anwendung des Dominanzprinzips) und einer angeblichen „kollektiven" Rationalität, die durch beiderseitiges NichtGestehen zur Mindeststrafe fuhrt. Wenn zusätzliche Informationen nicht zu beschaffen und Pläne nicht aufeinander abzustimmen sind, existiert keine „kollektive" Rationalität. Vielmehr müssen die Betroffenen individuell vernünftig
handeln und dabei die Unternehmerfunktion der Übernahme von
Unsicherheiten
ausüben (S. 65 f.), die hier nur mittelbar auf Einkommenserwerb bezogen wird; denn die Alternative „nicht gestehen" bietet mehr Jahre zum Einkommenserwerb. Entgegen dem Schrifttum müssen Α und Β sich individuell rational verhalten, jedoch bereit sein, als „Unternehmer" anderen Unsicherheiten abzunehmen, dann sorgt auch hier eine „unsichtbare Hand" dafür, daß kollektiv das Beste (hier ein flir beide minimaler Gefängnisaufenthalt) herauskommt. c) Die vorstehende Kritik trifft unmittelbar nur das Musterbeispiel, von dem das Gefangenendilemma seinen Namen hat. Das dahinter stehende Problem:
Rationales Handeln nach den eigensüchtigen Zielen einzelner, dessen Ergebnis von
146
Einkommensunsicherheiten,
Informationsauswertung
und
-beschaffiing
gleichzeitigen Handlungen ebenso Handelnder abhängt, kann zu einem schlechten Ergebnisfiir allefiihren, ist durch die Kritik nicht vom Tisch. Allerdings ist dieser Tatbestand trivial 2 . Ohne diesen Tatbestand hätte sich die Menschheit die meisten Erörterungen zur Ethik und zu den Problemen zwischen den Handlungen des einzelnen und dem Wohlergehen einer menschlichen Gesellschaft sparen können. Von diesem Tatbestand ging z.B. die schottische Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts (der Ursprung der klassischen Nationalökonomie) ebenso aus wie die formalisierten Beweisführungen fiir ein generelles wirtschaftliches Gleichgewicht in diesem Jahrhundert. Beider Problem war, zu zeigen: Selbst dann, wenn alle Menschen in einer Gesellschaft ausschließlich egoistisch, aber entscheidungslogisch rational handeln, kann unter bestimmten Voraussetzungen Anarchie oder Verschwendung knapper Naturvorräte vermieden werden, ein fiir alle besser Dastehen beim Einkommenserwerb (nicht bei der Verteilung der Einkommen untereinander) Zustandekommen. Was lehrt in diesem Zusammenhang das Gefangenendilemma? (1) Das Beispiel zum Gefangenendilemma bietet gar nichts zur Beantwortung der Frage: Wann werden nur an sich denkende, rationale Menschen sich so entscheiden, daß sich im nachhinein alle besser stehen?, denn im Beispiel zum Gefangenendilemma haben sowohl Α als auch Β ihr Wahlproblem falsch abgebildet. (2) Das Beispiel des Gefangenendilemmas lehrt lediglich, daß rationales Handeln^ zunächst eine sorgfältige Auswertung der vorhandenen, sehr begrenzten Informationen voraussetzt, wenn der Erfolg eigenen Handelns von den gleichzeitigen Handlungen anderer mitabhängt. (3) Abweichend vom Beispiel sei nun vorausgesetzt, das Entscheidungsfeld S. 142 gebe die möglichen Zukunftslagen an, und zwar nach vernünftiger Informationsauswertung, ja sogar nach Kooperation mit Vertragsabschluß untereinander. Selbst dann wird nur ein Beispiel für folgenden uninteressanten Fall geboten: Zwei in gleicher Weise informierte Egoisten, die nur eine einzige Handlung ausführen und sich als Schufte verhalten (z.B. Vereinbarungen brechen, wenn sie sich daraus einen Vorteil versprechen), werden dadurch nicht die beste Lösung für beide verwirklichen. Wie uninteressant dieses Modeller2
„The first pages of our elementary textbooks teach ...: what is best for each separately need not (on that account) be best or even good for alL Old hat to us was game theorists' prisoners dilemma , Paul A. SamueLson: Altruism as a Problem Involving Group versus Individual Selection in Economics and Biology. In: The American Economic Review, Papers and Proceedings, Vol. 83 (1993), S. 143-148, hier S. 143.
3
Die Behauptung von Axelrod: Evolution (S. 141'), S. 16, weder Rationalität noch bewußte Entscheidungen seien beim Gefangenendilemma vorauszusetzen, ist falsch. Bei seinen Beispielen staatlicher Zollpolitik oder der Bakterien verwendet er Rationalität auf der Metaebene, d.h. Situationslogik.
Informationsauswertung bei Interessengegensätzen und Gruppenentscheidungen
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gebnis ist, erkennt man daran: Wenn jeder Gefangene den Nutzen des anderen maximieren wollte oder wenigstens die Folgen prüft, falls dies sein Ziel wäre, kämen beide zum Ergebnis „nicht gestehen'"*. Und warum sollten rationale Menschen nicht so weit denken? Sie werden diese Folgerung insbesondere dann erwägen, wenn sie nach dem Gefängnisaufenthalt in einer Gesellschaft weiter leben, die ihr Verhalten vor der Verurteilung fiir eine künftige Zusammenarbeit mit ihnen berücksichtigt. (4) Das Gefangenendilemma dient vielfach als einführendes Beispiel, um die mathematische Theorie der Spiele auf gesellschaftliche Probleme allgemein, ökonomische im besonderen, anzuwenden. Darstellungen der Spieltheorie unterscheiden herkömmlicherweise5 (a) kooperative Spiele, in denen Vereinbarungen unter den Handelnden möglich sind, deren Einhaltung erzwungen wird; (b) nicht-kooperative Spiele, in denen entweder von vornherein eine Kooperation ausgeschlossen wird (wie im Musterbeispiel zum Gefangenendilemma) oder in denen das Einhalten von Vereinbarungen nicht zu erzwingen ist. Die Unterscheidung in kooperative und nicht-kooperative Spiele ist wenig nützlich. Zum einen lassen sich kooperative Spiele als Unterfall nicht-kooperativer mathematisch analysieren. Zum anderen ist das Unterscheidungsmerkmal der Kooperation nicht ausschlaggebend. Vielmehr kommt es darauf an, ob das Einhalten von Vereinbarungen erzwungen werden kann. Das Erzwingen setzt entweder eine Obrigkeit voraus, die durch ihre Macht den Handelnden so hohe Sanktionen (Gefängnisstrafen, Bußgelder usw.) auferlegen kann, daß höhere Zieleinbußen entstehen als die Gewinne aus Vertragsbrüchen ausmachen würden, oder das Einhalten von Vereinbarungen folgt aus ethischen bzw. religiösen Normen oder der Selbstachtung. Diesen zweiten Fall, daß Menschen auf ein Sittengesetz in sich oder auch auf ihr Ansehen im Rest der Welt achten, der nicht zu den im Modell Handelnden zählt, schließt die Spieltheorie aus. Ihr Menschenbild ist das vom entscheidungslogisch-rationalen Schuften. Hinzu treten erhebliche Mängel in der Übersetzung mathematischer Formalismen in denkbare empirische Anwendungsfälle (Musterbeispiele und Hypothesen, S. 20): So unterstellt das Musterbeispiel zum Gefangenendilemma eine einmalige Entscheidungssituation, bei der die beiden Gefangenen keinerlei Kommunikationsmöglichkeit haben. Deshalb ist es schief, wenn im Schrifttum die Wahlmöglichkeiten der beiden Gefangenen als Kooperation oder NichtKooperation (Defektion) benannt werden. Eine Kooperation liegt erst dann vor, 4 5
Vgl. Sen: Choice (S. 56 5 0 ), S. 66. Vgl. John Nash: Non-Cooperative Games. In: Annals of Mathematics, Vol. 54 (1951), S. 286-295; John C. Harsanyi, Reinhard Selten: Κ General Theory of Equilibrium Selection in Games. Cambridge-London 1988, S. 1-12, die den Gesichtspunkt der Erzwingbarkeit von Vereinbarungen betonen.
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Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -Beschaffung
wenn mehrere Personen ihre Pläne aufeinander abstimmen, koordinieren, oder zumindest aus Erfahrungen lernen können. Dies wird aber gerade im Musterbeispiel zum Gefangenendilemma unterbunden. (5) Keineswegs liegt ein grundlegendes Musterbeispiel vor, um die Spieltheorie auf gesellschaftliche Probleme anzuwenden, wie Aufbau von Vertrauen bei der Gegenseite oder gar fur die Lösung „sozialer Dilemmas"; denn soziale Dilemmas entstehen nicht dadurch, daß das Einhalten von Vereinbarungen nicht erzwungen werden kann oder jegliche Kommunikation unterbunden ist. Viel eher entstehen „soziale Dilemmas", weil das Einhalten früherer Vereinbarungen erzwungen wird, obwohl inzwischen Ex-post-Überraschungen eingetreten sind, welche die früheren Verträge beim inzwischen eingetretenen, aber nicht vorausgesehenen Informationsstand zumindest fur eine Vertragspartei als höchst nachteilig ausweisen. Bisher bietet zudem die Spieltheorie zum Problem der unvollkommenen Information über die Handlungsalternativen der Gegenseite oder über deren Zielbeiträge in den Zukunftslagen nur ein am ProblemVorbeigerede 6 . d) Aus der Banalität, daß Eigennutz mitunter zum Gegenteil von Gemeinnutz fuhrt, finden Modelle der mathematischen Spieltheorie erst dann heraus, wenn sie zeigen können, wie die einzelnen ihr auf Eigennutz abgestelltes Handeln abwandeln müssen, damit an die Stelle der beabsichtigten Schädigung des anderen (Defektion) eine stillschweigende Kooperation tritt, bei der beide Seiten „zufriedenstellend leben" - oder die nur Dritte schädigt (im Gefangenendilemma den Staatsanwalt als Sachwalter der gerechte Bestrafung fordernden Öffentlichkeit). Erst eine Erweiterung der einmaligen Entscheidungssituation des Gefangenendilemmas auf wiederholte Handlungen mit denselben Gegenspielern erlaubt, Handlungsfolgen (Strategien) zu erarbeiten, unter denen geprüft werden kann, ob eine stillschweigende Kooperation zustandekommt, weil glaubhafte Drohungen jenseits eines gegenseitigen Wissensaustausches zu beiderseitig begrenzt vorteilhaftem Verhalten Anlaß geben. Werden wiederholte („iterative") Spiele gewählt, lassen sich Hypothesen für eine „stillschweigende" Kooperation durch Lernen aus Erfahrungen herleiten. In die gleiche Richtung zielt die Überlegung: Falls ich heute rücksichtslos die Gegenseite schädige, muß ich in einer nächsten Handelns- bzw. Spielrunde mit deren Vergeltung rechnen. Ob durch wiederholte Spiele der Aufbau von 6
Harsanyi, Selten: General Theory (S. 147 5 ), S. 10 f., benutzen „a probabilistic model to represent the incomplete information". Die Frage, woher bei unvollkommener Information ein Wahrscheinlichkeitsmodell kommen soll, das diese unvollkommene Information repräsentiere, beachten sie nicht.
Informationsauswertung
bei Interessengegensätzen und Gruppenentscheidungen
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Vertrauen der Gegenseite, also eine „Reputation", erklärt werden könnte, sei nun betrachtet. (1) Für wiederholte Spiele ist das Musterbeispiel zum Gefangenendilemma ungeeignet. Vergessen wir deshalb den Staatsanwalt und setzen die beiden Gesetzesbrecher in Freiheit, in der sie Strafbares begehen, aber natürlich nicht entdeckt werden wollen. Α sei jetzt ein bei der Beförderung übergangener Angestellter, der Kopien der technischen Zeichnungen fur eine Neuentwicklung einem Konkurrenten Β anbiete. Β möchte die Information erwerben. Beide wollen vermeiden, miteinander gesehen zu werden oder miteinander in Briefwechsel zu treten. Also werden sie in Übernahme altbekannter Muster aus Gangsterfilmen telefonisch vereinbaren, Α deponiere die Entwicklungspläne in einem Schließfach des Nord-Bahnhofs, Β das Geld in einem Schließfach des Süd-Bahnhofs, und 12.00 Uhr mittags rempeln sich beide zufällig am Rathaus kurz an, wobei unauffällig die jeweiligen Schließfachschlüssel den Besitzer wechseln. Bei einem einmaligen Geschäft dieser Art haben Α und Β mit der Gefahr zu rechnen, daß der andere betrügt: Α hinterlegt die Entwicklungspläne und findet im Schließfach des Β kein Geld oder Β deponiert das Geld und findet im Schließfach des Α nichts. Wird die Industriespionage jedoch in Wiederholungsabsicht eingeleitet, dann sinkt die Gefahr des gegenseitigen Betruges; denn wer einmal betrogen wurde, wird kaum ein zweites Mal auf dasselbe Austricksen hereinfallen; von eigenen Racheakten ganz abgesehen. (2) Experimente zum Testen der Spieltheorie haben fur wiederholte Spiele verschiedene Strategien der einzelnen Spieler ausprobiert 7 . Eine bevorzugte Strategie heißt tit for tat (wie Du mir, so ich Dir): Α hält die Vereinbarung ein („kooperiert") im ersten Geheimnisverrat und wählt bei jedem weiteren das Verhalten, das Β im vorangegangenen Geschäft einschlug: Betrog Β im ersten Geheimnisverrat, wird Α beim zweiten betrügen usw. Hier wird also mit einer Zeitverzögerung alttestamentarisch gehandelt: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Eine andere Strategie (grim) besteht darin: Α hält die Vereinbarung solange ein, bis Β das erste Mal betrügt, und dann betrügt Α bis in alle Ewigkeit. Dieses rachsüchtige Verhalten ist weder unvernünftig noch unethisch: Ist diese Strategie dem Β bekannt, mag er sich zur Einhaltung der Vereinbarung bequemen. Weiterfuhrungen zeigen, daß bei vielen Handelnden, die sich gegenseitig nicht kennen, der Betrug des einen in einer Periode t zu ansteckenden Betrügereien anderer in den späteren Perioden fuhren mag mit dem Ergebnis, daß wegen dieser Gefahr eine Kooperation im Zeitablauf Zustandekommen kann 8 . 7 8
Vgl. im einzelnen Rapoport, Chammah: Prisoner's Dilemma (S.141 1 ) sowie Axelrod: Evolution (S. 141 1 ), kürzer bei Hirshleifer, Riley:The analytics (S. 4 9 3 5 ) , S. 4 3 2 . Vgl. Glenn Ellison: Cooperation in the Prisoner's Dilemma with Anonymous Random Matching. In: Review of Economic Studies, Vol. 61 (1994), S. 567-588, bes. S. 568 f.
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Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -beschaffung
(3) Weiter gesponnen, fuhren Modelle mit wiederholten Spielen unter rationalen Schuften zu dem Ergebnis: Sobald das Ende der gegenseitigen „Geschäftsbeziehung" beiden bekannt ist, werden beide in der letzten Runde betrügen^. Wissen das beide, so entsteht daraus für Spieltheoretiker ein Paradox, weil nach deren Rationalitätsverständnis beide vernünftigerweise schließen: Die vorletzte Runde sei die letzte. Deshalb werden sie schon in der vorletzten Runde betrügen, usw. Folge ist, daß die unehrliche Transaktion überhaupt nicht stattfindet. Das wird jeder begrüßen, dem am Einhalten von Regeln gerechten Verhaltens etwas liegt. Aber dieses Beispiel wird auch auf Fälle verborgener Information im Geschäftsleben ausgedehnt: Ein Unternehmer, der über mehrere Perioden hinweg gegenüber Konkurrenten Verläßlichkeit in der Verteidigung seiner Marktstellung aufbauen will, muß Markteindringlinge abwehren, die nur in einer Periode tätig werden (weil sie z.B. Überschußmengen bei einer Zwangsversteigerung einmalig billig ersteigert haben). Dieser Unternehmer steht vor der Frage, ob er in einer ersten Periode durch eine radikale Preisunterbietung den Markteintritt abwehren und mit Verlust abschließen soll oder nicht. Bei Wahl der Preisunterbietung kann er eine Reputation als rücksichtsloser Verteidiger des eigenen Marktanteils gegenüber Markteindringlingen auch in künftigen Perioden erwerben. Wissen Unternehmer und potentielle Markteindringlinge, daß z.B. die zehnte Periode die letzte der Geschäftstätigkeit sein wird, entfällt hierin für den Unternehmer der Gesichtspunkt, seine Reputation zu wahren. Dann, so behaupten Spieltheoretiker, würde vom Unternehmer so entschieden, als ob es sich um ein einmaliges Spiel (Geschäft) handelte. Ist dieses Ergebnis für die letzte Periode bekannt, so entfällt auch in der vorletzten Periode der Gesichtspunkt, die Reputation zu erhalten usw. Rückwärtsschreitend folgt, daß auf die Strategie, eine Reputation aufzubauen, von vornherein verzichtet wird 10 . An diesem sog. „Kettenladen-Paradox" ist allerdings nur eines paradox: Das Übersehen der Folge, daß dann u.U. überhaupt kein Umsatz erzielt wird, weil Markteindringlinge nicht abgeschreckt werden. Im Beispiel wird der Unternehmer zumindest in den ersten Perioden auf seine Reputation achten, weil der Zusammenbruch seines Marktanteils ihm gar nichts nützt. Die methodische Schwäche der im Kettenladenparadox (und zuvor, Fn. 9) benutzten „Rückwärts-Induktion" besteht in den Informationsanforderungen, die sie voraussetzt: 9 So erstmals Luce, Raiffa: Games and Decisions (S. S. 98 f. 10 Vgl. Reinhard Selten: The Chain Store Paradox. In: Theory and Decision, Vol. 9 (1978), S. 127-159; zum Aufbau einer Reputation vgl. ferner Drew Fudenberg, David K. Levine: Reputation and Equilibrium Selection in Games with a Patient Player. In: Econometrica, Vol. 57 (1989), S. 759-778.
Informationsauswertung bei Interessengegensätzen und Gruppenentscheidungen
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(a) Bis zum Ende des Planungszeitraums ist sowohl dem Unternehmer als auch den möglichen Markteindringlingen bekannt, welche Handlungsstrategien mit ihren Ergebnissen beiden zur Verfugung stehen. Insoweit unterstellt eine Rückwärts-Induktion Planungssicherheit. (b) Bereits wenn Planungssicherheit nur dadurch eingeschränkt wird, daß nicht gewiß ist, wie die Gegenseite handelt (aber weiterhin die Handlungsstrategien und ihre Ergebnisse bekannt sind), wird der Unternehmer danach entscheiden, was er glaubt, wie die Markteindringlinge handeln werden (und was diese von ihm vermuten). Der Unternehmer kann z.B. in einzelnen früheren Perioden die Drohung der Preisunterbietung ausführen, allein um Markteindringlinge zu verunsichern. Mehrfach ist gezeigt worden, daß es dann selbst bei begrenztem Planungszeitraum gelegentlich bzw. zeitweise rational sein kann, hier auf die Reputation zu achten1 (c) Natürlich sind in der Realität weder sämtliche Handlungsstrategien noch ihre Ergebnisse bis zum Planungshorizont bekannt; denn Informationsrisiken sind nicht auszuschließen, weil kein Mensch wissen kann, welches Wissen ihm künftig zugehen wird. Selbst für ein durch Regeln festgelegtes Spiel, bei dem die zulässigen Zugfolgen von vornherein bekannt sind und insoweit kein „objektiv" neues Wissen zugehen kann, wie im Schachspiel, ist Rückwärts-Induktion praktisch nicht anwendbar (bis auf ein Endstadium, wie „Matt in drei Zügen"). Das einzige, was aus solchen gewaltsamen Versuchen zur Anwendung der mathematischen Theorie der Spiele gelernt werden kann, ist keineswegs neu: Selbst wer von Hause aus egozentrisch handelt, wird unter Unsicherheit an sein Ansehen denken, und zwar nicht nur gegenüber den derzeitigen Mitspielern, sondern vor allem gegenüber dem Rest der Welt (insbesondere potentiellen künftigen Vertragspartnern). Er wird sich im Regelfall hüten, künftige Einkommenschancen durch kurzsichtige Handlungen zu verderben (wie durch den Bruch von Vereinbarungen). Nicht nur ist die „Concurrenz ... die sociale Selbstregulirung des Egoismus", wie der Göttinger Jurist von Ihering vor rund hundert Jahren formulierte 12 , sondern in ähnlicher Weise die Absicht, wäh-
11 Vgl. Kaushik Basu: Information and Strategy in Iterated Prisoner's Dilemma. In: Theory and Decision, Vol. 8 (1977), S. 293-298; Philip Pettit, Robert Sugden: The Backward Induction Paradox. In: The Journal of Philosophy, Vol. 86 (1989), S. 169-182; Frederick Schick: Cooperation and Contracts. In: Economics and Philosophy, Vol. 8 (1992), S. 209-229, hier S. 216-218; vgl. auch Reinhard Selten, Rolf Stoecker: End Behavior in Sequences of Finite Prisoner's Dilemma Supergames. In: Journal of Economic Behavior and Organization, Vol. 7 (1986), S. 47-70. 12 Rudolph von Ihering: Der Zweck im Recht. Bd. 1, 3. Aufl., Leipzig 1893, S. 135 (im Original hervorgehoben).
152
Einkommensunsicherheiten,
Informationsauswertung
und
-beschaffitng
rend eines Handlungszeitraums Einkommenschancen offenzuhalten, d.h. Einkommensunsicherheiten zu verringern. 2. Beseitigung asymmetrischer Information durch einen herrschafisfreien Diskurs? Von offenen Interessengegensätzen gehen wir nun zum Gegenteil über: dem Bemühen um einvernehmliche Entscheidungen in einer Gruppe von Personen. Koordination durch einmütige Gruppenentscheidungen umfaßt die freiwillige Abstimmung von Einzelwirtschaftsplänen unter mehreren Personen oder das Erarbeiten eines gemeinsamen Wirtschaftsplans durch freiwillige Übereinkunft unter Gleichberechtigten in einer Organisation, ohne dabei Austauschverhältnisse zu bestimmen. Bei dieser Koordinationsform wird also nicht wie im Markt durch Preisnachlässe oder zusätzliche Nebenleistungen dafür „gezahlt", daß man sich einigt. Wohlgemerkt: Für die Zustimmung zu einer Entscheidung wird nichts gewährt; gleichwohl kann die Entscheidung lauten: Α erhält für sein Grundstück χ DM, Β jenes Gehalt usw. Eine freiwillige Abstimmung durch einen herrschafisfreien Diskurs besteht in einem gemeinschaftlichen Beratungs- und Entscheidungsprozeß, bis man sich einstimmig geeinigt hat, was zu tun sei. Der Beratungsprozeß verändert den Wissensstand eines jeden und verlangt eine Verständigung über Ziele, Mittel, Handlungsmöglichkeiten und daraus folgende Zukunftslagen oder zumindest eine Einigung über die zu verwirklichenden Handlungen selbst. Dies soll über eine offene, machtfreie Diskussion durch Einsicht aller Beteiligten erreicht werden. Staatsbürger, Parlamentsmitglieder, Regierungen oder Unternehmungsleitungen zusammen mit Anteilseignern, Belegschaft, Kunden, Lieferanten und von Umweltschäden aus der Unternehmenstätigkeit Betroffenen sollen nur mit Argumenten zu einem Handeln gebracht werden, daß einstimmig von allen Betroffenen gut geheißen wird. Dieser Vorschlag erhebt den Anspruch ethischer (substantieller) Rationalität und zugleich auf empirischen (nicht-metaphysischen) Gehalt 13 .
13
Vgl. Jürgen Habermas:
Diskursethik — Notizen zu einem Begründungsprogramm. In:
ders.: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt/M. 1983, S. 5 3 - 1 2 5 ; Karl-Otto
Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2: Das Apriori der Kommunikati-
onsgemeinschaft. Frankfurt 1973; zur Kritik dieser kommunikativen Ethik
Hermann
Lübbe in der Diskussion zu: Der Ansatz von Lübbe. In: Materialien zur Normendiskussion. Bd. 2: Normenbegründung — Normendurchsetzung, hrsg. von W . Oelmüller. Paderborn 1978, S. 1 8 4 - 2 1 6 , hier S. 2 0 4 ; Bruno Molitor:
Wirtschaftsethik. München
1989, S. 17, weist daraufhin, daß der herrschaftsfreie Diskurs aber als Referenzmodell dienen könne, um die Arteigenheit tatsächlicher Entscheidungsprozesse zu analysieren.
Informationsauswertung bei Interessengegensätzen und Gruppenentscheidungen
153
a) Gegen diesen Vorschlag ist einzuwenden: Der Anspruch auf ethische Rationalität ist nur bedingt haltbar. Natürlich werden Konflikte dann vermieden, wenn die Mitglieder einer Gemeinschaft ihre sich ursprünglich widersprechenden Ziele und ihre im Regelfall unterschiedlichen Informationen über Mittel, Handlungsmöglichkeiten, Zukunftslagen aufgrund von Argumenten so korrigieren, daß ein einmütiges Handeln beschlossen wird. Aber diese Einmütigkeit wird zunächst nur für den Entscheidungszeitpunkt erreicht. (1) Erste Schwierigkeiten werden häufig schon beim Vollzug der beschlossenen Handlung auftreten, z.B. wenn einer weniger sorgfältig arbeitet als die anderen erwarten. W i e steht es hier um die behauptete ethische Rationalität, wenn gutes Zureden allein nicht hilft? Werden Tadel oder Entzug vereinbarter Entgelte, wenn nicht gar noch stärkere Sanktionen erwogen, so kann hierfür kaum jemals eine freiwillige Zustimmung des so zu Bestrafenden erreicht werden. (2) Der Anspruch auf ethische Rationalität wird darüber hinaus in Frage gestellt, wenn entgegen einer früheren einmütig beschlossenen Handlung (z.B. eine Familie erhält das linke Haus, die andere das rechte) im nachhinein Überraschungen auftreten, die einzelne wider Erwarten erheblich besser oder schlechter stellen (z.B. das von der einen Familie erhaltene Haus vernichtet ein Orkan, das andere Haus bleibt durch schonungslosen Arbeitseinsatz der Eigentümer verschont). Ist es hier ethisch rational, nachträglich eine Gleichverteilung des Vermögens herzustellen, wie sie vor dem Orkan bestand? W i e soll vom schlechter zu Stellenden machtfrei dessen Zustimmung erlangt werden? (3) Um einen herrschaftsfreien Diskurs durchzuführen, müßte das gesamte, unter den Mitgliedern vorhandene, aber ungleich verteilte Wissen offengelegt werden. Dann würde diese Ehrlichkeit in der Wissensübertragung die Nachteile für die weniger Informierten zumindest abbauen. Zu fragen ist jedoch: W i e kann Einstimmigkeit durch herrschaftsfreien Diskurs erreicht werden, wenn mehrere Personen oder Organisationen, etwa Nationen, z.B. ihren Glauben für allein selig machend halten und bereit sind, einen heiligen Krieg zu führen? Oder wenn viele Bürger nicht einsehen, daß sie Steuern zahlen müssen für überaus anfechtbare Entscheidungen oder Verzögerungen von Entscheidungen durch Berufspolitiker? Oder wenn durch Zurückhalten von Wissensvorsprüngen bei Verhandlungen spätere Ergebnisse zum eigenen Vorteil und zum Nachteil anderer möglich bleiben? (4) Freiwillige Abstimmung von persönlichen Zielen und Inhalten weiterer Planungsstufen bei verschiedenen Personen durch eine herrschaftsfreie Diskussion zu erreichen, fuhrt nur dann über Wunschdenken hinaus, wenn zugleich gezeigt wird: W i e kann eine Veränderung der Ziele, Mittel, Handlungsmöglichkeiten, die einzelne ein- oder durchsetzen wollen, verwirklicht werden allein durch Argumente, also ohne
154
Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -beschaffung
(a) Gegenleistungen bei Zurückstellen eigener Wünsche (z.B. Ausgleichszahlungen, Verteilung von Orden oder Ehrentiteln oder anderen Lobpreisungen als ethisch hervorragende Persönlichkeit) und ohne (b) physischen, psychischen Druck, das Ausnutzen von Wissens- und anderen Machtvorsprüngen (auch als selbsternannter oder von einzelnen anerkannter „ethischer Meinungsfuhrer")? Diese ausschlaggebende Frage wird von den Vertretern der Diskursethik bisher nicht beantwortet. b) Ein Urteil über den empirischen (nicht-metaphysischen) Gehalt der Koordinationsform „machtfreier Diskurs" erfordert eine Untersuchung der Bedingungen, wann es zumindest plausibel erscheint, zu einer Einigung ohne Zwang bei ursprünglich unterschiedlichen Auffassungen zu gelangen. Da Wissensvorsprünge in Macht umgesetzt werden können, entsteht für machtfreie Argumentationsprozesse das Problem: Welche Vorbedingungen müssen für eine freiwillige Änderung von Zielen bzw. Meinungen erfüllt sein, damit die Beurteilung der Mitteleinsätze, Handlungsmöglichkeiten und Zukunftslagen zu einer einmütigen Entscheidung fuhrt? (1) Offensichtlich darf fast nichts ,Menschliches' bei den Teilnehmern eines Argumentationsprozesses vorhanden sein (z.B. Eitelkeiten, der Wunsch, anderen einen Gefallen zu tun, Uneinsichtigkeit, Unterschiede in der Auffassungsgabe bis hin zur Verwendung unterschiedlicher Sprachspiele). (2) Selbst solche .entmenschten' Menschen werden schwerlich einen Grund zur Änderung ihrer Einschätzungen sehen, wenn das fachliche Wissen nicht ausreicht, um die Wirkungen einzelner Handlungsalternativen vollständig aufzulisten und in ihrem Glaubwürdigkeitsgrad zu gewichten. Unbeabsichtigte Nebenwirkungen von Handlungsalternativen können in diesem Fall kaum noch erkannt oder gar von allen gleich bewertet werden. Eine Veränderung von Einschätzungen über Ziele, Mittel, Handlungsmöglichkeiten und der Glaubwürdigkeit einzelner Zukunftslagen durch Argumentationsprozesse scheitert unter Unsicherheit und Ungleichverteilung des Wissens häufig schon daran, daß die Kraft eines Argumentes nicht verläßlich zu beurteilen ist. (3) Zeitbeschränkungen fur die Diskussion bis zur Entscheidung müssen vorab von allen Beteiligten gebilligt worden sein. Wer beauftragt ist, aufgrund von Arbeitsverträgen zu handeln (wie z.B. ein Kapitän im Orkan, eine Unternehmungsleitung in einer Absatzkrise), kann sich keiner zeitlich unbegrenzten Diskussion stellen, ohne seine Pflichten zu vernachlässigen; ganz abgesehen davon, daß jene Dialogbeteiligten, die beruflich nicht zu handeln verpflichtet sind, den Zeitzwang der Verantwortlichen zur Durchsetzung ihrer persönlichen Interessen ausnutzen können, was dem Sinn eines herrschaftsfreien Diskurses ins Gesicht schlägt.
Informationsauswertung
3. Die „ Unmöglichkeit"
bei Interessengegensätzen
und Gruppenentscheidungen
rationaler einmütiger Gruppenentscheidungen Ahstimmungsparadoxien
155
und
a) Es ist entscheidungslogisch unmöglich, daß ein Gremium aus „Betroffenen" immer ein gemeinsames Zielsystem oder gar eine von allen einstimmig gebilligte Handlung findet. Eine gemeinsame Zielvorstellung (eine Sozialwahlfunktion) läßt sich dann unmöglich immer finden, wenn zwei oder mehr Personen über drei oder mehr Alternativen entscheiden und vier durchaus plausible Vorbedingungen erfüllt sein sollen1^: (1) Es bestehe bei jedem Entscheidenden eine durchgehende Rangordnung über sämtliche Alternativen, z.B. eine erste Person zieht Handlung Α der Alternative Β und diese C vor: Α > Β > C; eine zweite Person Β > C > A, usw. Hierbei wird, abweichend von S. 145, auch von „kollektiver Rationalität" gesprochen. (2) Wenn jeder einzelne eine Handlung einer zweiten vorziehe, dann müsse es auch die Gemeinschaft insgesamt tun („schwache Pareto-Optimalität"); z.B. da in obigem Fall (1) beide einzeln Β > C halten, muß es auch die Gemeinschaft beider tun. Diese Bedingung ist nicht ganz so trivial, wie sie sich anhört. Mehrmals habe ich in Verhandlungen gehört bzw. selbst nicht nur ironisch argumentiert: Nachdem Herr/Frau X sich meiner Einschätzung angeschlossen hat, muß ich mich wohl geirrt haben! (3) Es gebe niemanden in der Gemeinschaft, dessen Rangordnung der Alternativen fiir die Gemeinschaft im Ganzen verbindlich sei („Nicht-DiktatorEigenschaft"). (4) Die Rangordnung der Alternativen hänge nur von der vorgegebenen Menge an Handlungsmöglichkeiten ab, so daß sich die Rangordnung zwischen zwei Handlungsmöglichkeiten nicht umkehre, wenn einzelne Alternativen entfallen oder neue hinzutreten („Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen", vgl. S. 85). Diese Bedingung erlangt vor allem deshalb Gewicht, weil bei gemeinsamer Beratung im Regelfall von einzelnen zunächst nicht erwogene Handlungsmöglichkeiten und als deren Folge andere Mitteleinsätze den Informationsstand über das Wahlproblem verändern. Eine erste Folgerung aus diesen entscheidungslogischen Einsichten für die Wirtschaftspolitik des Staates, die Verteilung von Anordnungsbefugnissen oder auch die Gewinnbeteiligung in einzelnen Betrieben liegt auf der Hand: Das Sozialgeschwätz von einer allgemeinen Interessenharmonie, einer „Koaliti14 Vgl. Kenneth J. Arrow: Social Choice and Individual Values. 1951, hier nach der 2. Aufl., New Häven-London 1963, S. 24-31, 96-100. Die Voraussetzungen dieses „Unmöglichkeitstheorems" sind in späteren Untersuchungen teils abgeschwächt, teils verschärft worden, vgl. z.B. Amartya Sen: Social Choice Theory. In: Handbook of Mathematical Economics, Vol. 3, hrsg. von K.J. Arrow, M.D. Intriligator. Amsterdam u.a. 1986, S. 10731 1 8 1 ; Bernd Schauenberg: Zur Logik kollektiver Entscheidungen. Wiesbaden 1978.
156
Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -beschaffung
on" von Arbeitnehmern, Geldgebern und Unternehmungsfuhrung, sowie das Wunschdenken über Gemeinwirtschaftlichkeit sind schon aus logischen Gründen unmöglich immer zu verwirklichen. Handlungsfähigkeit einer Organisation ist ohne Verletzung der Interessen (Rangordnungen wünschenswerter Handlungen) einzelner Beteiligten nicht zu bewahren. Ein Minimum an Zwang ist in jedem Handlungssystem mit mehreren Personen unverzichtbar1"5. b) Koordination durch Gruppenentscheidungen mit Unterdrückung von Minderheiten folgt aus Mehrheitsentscheidungen. Demokratie im Sinne von Mehrheitsentscheidung aller (und erst recht gewählter Repräsentanten) ermöglicht eine Diktatur der Mehrheit (S. 22 21 ) und insbesondere der Mehrheit der Erwählten (Beauftragten) gegenüber den Auftraggebern. Eine Diktatur der Mehrheit ließe sich zwar durch das Erfordernis der Einstimmigkeit vermeiden. Doch diese Regel macht Entscheidungsgremien praktisch handlungsunfähig. Wird von dem Wunsch nach Einstimmigkeit abgerückt, so treten neben die Unterdrückung der Interessen derjenigen, die in der Minderheit bleiben, zusätzliche Nachteile aus asymmetrischer Information. Gewählte „Agents" verfugen über Wissensvorsprünge, die ihnen Vorteile aus verborgenen Informationen und verborgenen Handlungen zu Lasten der sie bestellenden Mehrheit und erst recht der gegen ihre Wahl sprechenden Minderheit ermöglichen. Damit nicht die Entscheidungsmacht einzelner oder einer Mehrheit in einem Entscheidungsgremium zum systematischen Nachteil anderer wird, bedarf es dreier Arten von Regelungen: (1) zwingender Rechtsetzungen zum Schutz von Minderheiten vor der Unterjochung durch eine Mehrheit: Der Katalog der Grundrechte im Grundgesetz ist eine Erscheinungsform, eine im Gesellschaftsrecht sind die Abfindungsregeln von Minderheitsaktionären vor einer Verschmelzung zweier Aktiengesellschaften (§§ 304, 305 AktG). (2) Rechenschaft durch Ehrlichkeit in der Wissensübertragung über das tatsächlich von Beauftragten Erreichte. Rechenschaft ist fur die Mitglieder einer Mehrheit ebenso bedeutsam wie für die Minderheit (Opposition). Erst recht ist Rechenschaft durch Beauftragte unverzichtbar im Falle fremdbestimmender Entscheidungen (S. 22). Warum es so wichtig ist, wenigstens im nachhinein zu erkennen, ob die an der Macht Befindlichen ihren Wissensvorsprung zu ihrem Vorteil und zum Nachteil anderer Mitglieder des Entscheidungsgremiums genutzt haben, begründet der Sachverhalt: Es muß mit einem Vertuschen oder Beschönigen von 15 Vgl. G.C. Archibald: The Qualitative Content of Maximizing Models (1965). Zitiert nach dem Wiederabdruck in: Theory of Demand. Real and Monetary, hrsg. von M. Morishima u.a. Oxford 1973, S. 70-84, hier S. 79.
Informationsauswertung bei Interessengegensätzen und Gruppenentscheidungen
157
früher fehlgeschlagenen Handlungen gerechnet werden. Selbst bei erfolgreichen Handlungen wird verschleiert werden, daß die zum Handeln Beauftragten sich die größten Stücke aus dem Kuchen zuteilten. (3) Regeln zur kollektiven Entscheidung. Diese Regeln sollen Manipulationen beim Informationsaustausch in Beratungen und von Abstimmungsergebnissen durch Verfahrenstricks über die Reihenfolge auf der Tagesordnung, die Art der Alternativenwahl und die Reihenfolge der Abstimmung über Alternativen verhindern. Die Gefahr der Täuschung über Tatsachen und eigene Absichten besteht bei offener Beratung und anschließenden nicht geheimen Wahlen vor allem deshalb, weil es keine kollektive Entscheidungsregel fiir die Auswahl unter einer Reihe von Alternativen gibt, die zugleich manipulationsfrei und nicht diktatorisch ist, genauer: Wenn aus einer Menge von Handlungsmöglichkeiten, über die eine Gruppe Entscheidender zu befinden hat, jeweils eine gewählt wird, und wenn mindestens jeweils drei Zukunftslagen bestehen bei den Bündeln an Handlungsmöglichkeiten, unter denen nacheinander entschieden wird, dann wird in einigen Wahlsituationen mindestens eine Person dadurch Vorteile erlangen, daß sie nicht immer nach ihren tatsächlichen Präferenzen abstimmt 16 . Jede Täuschung, z.B. durch Verschleierung von eigenen Wertungen, ist eine Form der machtmäßigen Interessendurchsetzung. Ihr kann nur im nachhinein auf die Schliche gekommen werden: durch Rechenschaft über das, was übereinstimmend beschlossen, aber entgegen den ursprünglich verkündeten Zielen umgesetzt bzw. erreicht wurde. c) Selbst wenn Manipulationsfreiheit fiir Gruppenentscheidungen einmal erreicht wird, ist nicht sichergestellt, daß über eine Mehrheitsentscheidung jene Alternative gewählt wird, die dem Willen der Mehrheit tatsächlich entspricht. Die folgenden „Paradoxien" einer Mehrheitswahl17 benutzen nur die erste der vier Bedingungen Arrows (S. 1551"*); sie dürfen deshalb nicht mit dessen Unmöglichkeitstheorem auf eine Stufe gestellt werden. Angenommen, 60 Wähler (Entscheidende) haben zwischen den Kandidaten (Handlungsalternativen) A, B, C zu entscheiden, und ihre persönlichen Rangordnungen lauten: 16 Vgl. Allan Gibbard: Manipulation of Voting Schemes: A General Result. In: Econometrics Vol. 41 (1973), S. 587-601, hier S. 595; Mark Allen Satterthwaite: Strategy-Proofness and Arrow's Conditions: Existence and Correspondence Theorems for Voting Procedures and Social Welfare Functions. In: Journal of Economic Theory, Vol. 10 (1975), S. 187-217, hierS. 201 f. 17 Vgl. zu den folgenden Beispielen Μ. Le Marquis de Condorcet: Essai sur l'application de l'analyse ä la probability des decisions rendues ä la plurality des voix. Paris 1785, S. LVILXX.
158
Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -Beschaffung
einheitliche Abstimmung
paarweise Abstimmung
A> C > Β
23 Entscheidende
Β>C >A
19 Entscheidende
C.A
C.B.A
16 Entscheidende
C.A
C.B
C»A»B
2 Entscheidende
C.A
C.B
37
41
Stimmenzahl
60
C.B B.A B.A
35
Bei der einfachen Mehrheitsentscheidung in einer einheitlichen Abstimmung wird Α gewählt. Bei paarweiser Abstimmung ist jedoch C, also die Alternative, welche die geringste Zahl an Erststimmen auf sich vereinigt, jene, welche die Mehrheit der Wähler lieber wünscht als jede andere; denn 19 + 16 + 2 = 37 Entscheidende ziehen C dem Α vor; 23 + 16 + 2 = 41 C dem B, während Β gegenüber Α nur mit 35 : 25 gewählt wird und Α gegenüber Β und C stets mehr Stimmen gegen sich als fiir sich hat. Condorcet zeigt an einem anderen Beispiel, daß Rangordnungen über drei Handlungsmöglichkeiten widersprüchlich (intransitiv) werden können: einheitliche Abstimmung
paarweise Abstimmung
A.B.C
23 Entscheidende
Β >C
B.C. A
17 Entscheidende
Β >C
B.A.C
2 Entscheidende
Β >C
C.A.B
10 Entscheidende
C.A
C.B.A
8 Entscheidende
C.A
Stimmenzahl
60
42
Α .Β C.A
35
Α .Β
33
Hier wird Β gegenüber C mit 42 : 18 vorgezogen, C gegenüber Α mit 35 : 25 und Α gegenüber Β mit 33 : 27. Condorcet zieht aus seinem Beispiel nur den wenig tiefgehenden Schluß, daß bei Entscheidungen über komplizierte Fragen diese rigoros in einfache Aussagen aufgegliedert werden müssen 18 . Das ist aber
18 Vgl. Condorcet: Essai (S. 157 17 ), S. LXIX; der Verfasser von .Alice im Wunderland" (Pseudonym Lewis Carroll) wandelte dieses Beispiel zu einem Wahlparadoxon ab, vgl. Charles Lutwidge Dodgson: A Method of Taking Votes on More than Two Issues. Oxford 1876, nachgedruckt in Duncan Black: The Theory of Committees and Elections. Cambridge 1968, S. 224-234; vgl. auch Amartya Κ. Sen: Collective Choice and Social Welfare. San Francisco u.a. 1970, S. 38.
Informationsauswertung bei Interessengegensätzen und Gruppenentscheidungen
159
praktisch unmöglich fur Entscheidungen unter Informationsrisiken, da die denkbaren Folgen nicht vollständig aufgelistet werden können. Das Schrifttum hat notwendige und hinreichende Bedingungen dafür herausgearbeitet, daß Mehrheitsentscheidungen als rationale Wahl gelten können. Diese sind so eng, daß soziale Konflikte kaum jemals befriedigend über Mehrheitsentscheidungen gelöst werden können 19 . d) Die folgenden Regeln zur Abstimmung bei Gruppenentscheidungen setzen voraus, daß der Prozeß des Informationsaustausches, also die Beratung einschließlich der Konkretisierung von Handlungsalternativen, abgeschlossen ist. Praktisch wird nicht selten vor einer endgültigen Abstimmung eine Probeabstimmung vorgenommen, um zu erkennen, ob eine Alternative mehrheitsfähig ist. Je nach deren Ausgang wird ein erneuter Prozeß der Informationsbeschaffung, -auswertung und -Verbreitung in Gang gesetzt. Alle Regeln zur Abstimmung bei Gruppenentscheidungen können zu Ergebnissen führen, welche die Mehrheit der Mitentscheidenden nicht will, oder zu Verzerrungen der Wahlergebnisse durch ein taktisches Abstimmungsverhalten, in dem einzelne nicht nach ihren tatsächlichen Präferenzen abstimmen. Die Fülle an Regeln zu kollektiven Entscheidungen lassen sich nach drei Formen ordnen: (1) Bei paarweisen Vergleichen unter zahlreichen Alternativen droht das Endergebnis vor allem durch die Reihenfolge beeinflußt zu werden, wie sie der Wahlleiter festlegt 20 . Unter zahlreichen Alternativen ist ein paarweiser Vergleich zudem schwer durchführbar. Erfolgt er dennoch, werden einzelne Mitentscheidende leicht den Überblick verlieren und hinsichtlich ihrer Präferenzen fehlerhaft abstimmen, oder die Lust schwindet, weiter mitzumachen. Eine Beschränkung unter den paarweisen Vergleichen kann zwar in der Weise erfolgen, daß eine einmal unterlegene Alternative aus dem weiteren Vergleich ausscheidet: Beim Ergebnis Α besser B, C besser D, wird in einer späteren Runde nurmehr unter Α und C gewählt. Β kann jedoch höher als C und alle anderen noch zur Wahl stehenden Alternativen eingeschätzt werden. Nur wenn die Folgen aller Alternativen vor Beginn der Abstimmung von allen Mitentscheidenden in gleicher Weise erkannt worden sind (was eine Ungleichverteilung des Wissens ausschließt), kommt zwingend mit der Wahl von Α ein Ergebnis zustande, das die Mehrheit der Beteiligten wünscht. (2) Bei einstufigen Entscheidungsregeln erfolgt nur eine Abstimmung über alle Alternativen gleichzeitig. 19 Vgl. Sen: Choice (S. 56 5 0 ), S. 135-190, 288-290. 20 Vgl. z.B. Volker Abel, Werner Böge: The Chairman's Power in Majority Voting. In: Operations Research Verfahren, Bd. 30 (1979), S. 1-4.
160
Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -beschaffung
(a) Bei der Einstimmenregel erhält jeder Mitentscheidende nur eine Stimme. Die Beispiele Condorcets lehren, daß dabei durchaus eine Alternative den Vorzug erhält, welche die Mehrheit kaum will; denn bei der Einstimmenregel gehen alle Präferenzaussagen über eine zweit-, dritt- usw. beste Alternative unter. (b) Bei der Zustimmungsregel (approval voting) erhält jeder Mitentscheidende so viele Stimmen, wie es Alternativen gibt. Doch kann jeder einer Alternative nur eine Stimme geben. Damit soll sichergestellt werden, daß jeder Mitentscheidende offenbart, welchen der Alternativen er zustimmen könnte und welchen nicht. Unter den Tisch fällt die persönliche Rangordnung zwischen den Alternativen. Ein Abstimmungsverhalten gegen die eigene tatsächliche Rangordnung wird hierbei nicht ausgeschlossen, z.B. wenn nur eine bevorzugte Alternative eine Stimme erhält, die restlichen, mit denen der Entscheidende auch leben könnte, keine 21 , etwa um durch Widerstand eine Entscheidung zu verzögern oder eine erneute Beratung zu erreichen. (c) Bei der Borda-Reget!2 hat jeder Mitentscheidende jede Alternative mit mehreren Punkten zu quantifizieren; bei m Alternativen erhält z.B. die von ihm bevorzugte Alternative m-1 Punkte, die zweitplazierte m-2 usw. Eine solche Punktbewertung unterstellt gleiche Nutzenabstände in der Einschätzung der Alternativen. Je nach der Information darüber, wie andere vermutlich abstimmen werden, läßt sich durch ein Abstimmungsverhalten entgegen den eigenen Präferenzen das Ergebnis beeinflussen. (3) Mehrstufige Entscheidungsregeln verlangen mehrere Abstimmungen, falls in der ersten Runde keine Alternative die geforderte Mehrheit aller Stimmen auf sich vereinigt. Gefordert werden kann die absolute Mehrheit der Anwesenden oder die qualifizierte Mehrheit (die Mehrheit aller Stimmberechtigten, einschließlich der nicht Anwesenden), eine Dreiviertel-Mehrheit usw. Unter den vielen Varianten seien zwei herausgehoben: (a) Im zweiten Wahlgang erfolgt eine Stichwahl zwischen den beiden bestplazierten Alternativen oder bei Stimmengleichheit unter mehreren bestplazierten zwischen diesen. Da bei der endgültigen Entscheidung alle nachplazierten Alternativen von vornherein beiseite gelassen werden, sind die oben erwähnten Paradoxien nicht ausgeschlossen. (b) Im zweiten Wahlgang entfällt jene Alternative, welche die geringste Anzahl der Erststimmen auf sich vereinigt hat. Unter den verbleibenden Alternativen erfolgt eine zweite Abstimmung. Wird wiederum nicht die geforderte 21 Vgl. Steven J. Brams, Jack H. Nagel: Approval voting in practice. In: Public Choice, Vol. 71 (1991), S. 1-17. 22 Vgl. Jean-Charles de Borda: Memoire sur les elections au scrutin. In: Mimoires de l'Acaddmie Royale des Sciences (Paris), 1781, S. 657-665, englisch bei Alfred de Grazia: Mathematical Derivation of an Election System. In: Isis, Vol. 44 (1953), S. 42-51, hier S. 43-46.
Informationsauswertung bei Interessengegensätzen und Gruppenentscheidungen
161
Mehrheit erreicht, entfällt die diesmal schlechtest piazierte Alternative usw. Letztlich erfolgt eine Stichwahl unter den zwei noch verbliebenen Alternativen. Diese Hare-Regel läßt sich als einstufige Entscheidungsregel durchführen. Dann haben die Mitentscheidenden auf einem Wahlschein ihre vollständige Rangordnung unter den Alternativen anzugeben. Der Wahlleiter berechnet das Abstimmungsergebnis aus der ihm vorliegenden Rangordnung. Ein zweiter, dritter Wahlgang wird somit entbehrlich. Diese Durchführung hat den Vorteil, daß taktische Manöver ausbleiben, um durch eine Stimmabgabe entgegen den eigenen Präferenzen das frühe Ausscheiden mißliebiger Alternativen herbeizufuhren, die möglicherweise in den Schlußrunden zahlreiche Stimmen auf sich vereinigen könnten. Werden hingegen mehrere Wahlgänge hintereinander durchgeführt, so erfährt jeder Mitentscheidende die Zwischenergebnisse. Diese zusätzliche Information kann er nutzen, um durch eine Abstimmung in der nächsten Runde entgegen seinen ursprünglichen Präferenzen die Reihenfolge des Ausscheidens von Alternativen zu beeinflussen. Je nach seinem Informationsstand darüber, ob und wann andere Mitentscheidende zu den Alternativen umschwenken, die noch gut im Rennen liegen, mag das Endergebnis manipuliert werden können oder auch eine irrationale Entscheidung zustande kommen 23 . e) Das Problem der Verteilung von Macht oder Einkommen oder anderen Zielgrößen in Gruppen gemeinsam Handelnder (Betriebe, Staaten, Vereine) ist ein Entscheidungsproblem, für das es keine natürliche, harmonische Gleichgewichtslösung gibt. Vielmehr sind hierfür Institutionen zu erfinden und „generelle Regelungen" für kollektives Handeln zu schaffen24. Offen ist dabei, wie eine „Verfassung" mit Regeln zur Kommunikation und kollektiven Entscheidung (z.B. der Abstimmung und gelegentlich auch der diktatorischen Verletzung einzelner Interessen) aussehen muß, damit eine einzelne Organisation oder darüber hinaus die Gesellschaftsordnung nicht gesprengt werde. Demokratie (insbesondere mit Mehrheitsentscheidungen unter gewählten Funktionären) ist wie der Wettbewerb auf Märkten nicht von allein lebensfähig, sondern nur durch ausdrückliche „Regeln gerechten Verhaltens", die für bestimmte Fälle Lösungen entgegen einzelnen Interessen oder sogar den Interessen der Mehrheit erzwingen. Leider ist für fast alle Entscheidungen, die einzelne belasten, umstritten, was hier Regeln gerechten Verhaltens gebieten. Musterbeispiele liefert die Besteuerung zuhauf, z.B. in der Familienbesteuerung 23
24
Vgl. Bernd Schauenberg: Die Hare-Regel und das IOC. Irrationales Abstimmungsverhalten bei der Wahl von Atlanta zum Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 1996? In: ZfbF, Jg. 44 (1992), S. 426-444. Dies spricht bereits deutlich John R. Commons: Institutional Economics. New York 1934, S. 6, aus.
162
Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -beschaffung
(Kindergeld gegen Kinderfreibeträge, Einschränkung des Ehegattensplitting) oder das Subventionsunwesen. Das ist ein bitterer Würgekloß fur romantische Volksbeglücker und eine Versuchung, diktatorische Allüren im Gewände der Demokratisierung zu verwirklichen. Um so dringender bleiben die Forschungsaufgaben zu lösen: Wann sind Schutzrechte für Minderheiten gegen Mehrheitsentscheidungen nötig? In welchen Fällen muß welche Machtausübung gesichert werden? Bei allen Wunschvorstellungen zu einer „Demokratisierung" darf nicht übersehen werden, daß im Regelfall dadurch eine Funktionärsherrschaft durch eine andere ersetzt wird. b) Informationsbeschaffung und Informationsverbreitung in Märkten 1. Das ökonomische Problem des Kaufi von Informationen a) Als Tatsachen betrachtetes Wissen ist entweder mit Kosten zu beschaffen oder es wird ohne unmittelbare zusätzliche Ausgaben zur Kenntnis genommen, wie das Ärgernis der Werbeeinblendungen mitten in Fernsehkrimis. Die Einschränkung auf „unmittelbar" kostenlos wird dabei gewählt, um hier nicht Fragen behandeln zu müssen, ob z.B. die Ausgaben für Werbung die Preise erhöhen (dazu S. 173-176) oder jene für Publizität der Rechnungslegung Gewinnausschüttungen an Anteilseigner mindern. Für den Empfanger einer unmittelbar kostenlos zu erlangenden Information entsteht ein ökonomisches Problem erst bei der Auswertung dieses Wissens. Sind Fälle denkbar, in denen der Entscheidende keinen Nachteil erleidet, wenn er einen (kostenlosen) Informationszugang ignoriert? Als Beispiel ist genannt worden2·5: Ein Kleinunternehmer prozessiert mit einem Konzern um ein Patentrecht. Bevor das Gericht urteilt, wird ein Vergleichsvorschlag unterbreitet in der Form, daß der Kleinunternehmer seine Unternehmung an den Konzern verkauft. In diesem Fall erhält der Kleinunternehmer einen sicheren Verkaufserlös. Wartet er hingegen das Urteil als zusätzliche „Information" ab, dann kann er verlieren und mag wegen der Prozeßkosten gezwungen sein, Konkurs anzumelden. Gewinnt er den Prozeß, wächst der Gesamtwert seiner Unternehmung erheblich über den Verkaufserlös im Vergleichsfall. Bei bestimmten Annahmen über Verkaufserlös bzw. Gesamtwert der Unternehmung und über die Glaubwürdigkeit, den Prozeß zu verlie25
Beispiele dieser Art zu einem negativen Informationswert konstruierte Jacques-Η. Dreze: Le paradoxe de l'information. In: ficonomie appliquie, Vol. 13 (1960), S. 71-80, bes. S. 78 f.; zur Kritik vgl. Manfred zur Nieden: Zur Anwendbarkeit von Informationswertrechnungen. In: ZfB, Jg. 42 (1972), S. 493-512, hier S. 498, Fn. 13; Jürgen Rehberg: Wert und Kosten von Informationen. Frankfurt-Zürich 1973, S. 144-150.
Informationsbeschaffung und Informationsverbreitung in Märkten
163
ren, kann die Annahme des Vergleichsvorschlags vorteilhaft und damit das Abwarten auf den Zugang der „Information" durch das Gericht unvorteilhaft sein: Der „Informationswert" des Gerichtsurteils wäre negativ. Doch Beispiele dieser Art verfehlen das Problem. Das Gerichtsurteil ist ein künftiges Ereignis, keine Information im Sinne eines anderwärts bereits vorhandenen Wissens vor dem Entscheidungszeitpunkt über den Vergleichsvorschlag. Der Sachverhalt, sich für oder gegen eine „sichere" Alternative zu entscheiden, bevor ein künftiges Ereignis (wie das Gerichtsurteil) mit entweder schlechterem oder besserem Ergebnis eintritt, hat nichts mit der Frage zu tun, ob vor einer Entscheidung vorhandenes Wissen ignoriert oder erworben werden soll. b) Ein erster Anwärter für ein allgemeines Theorem einer Informationsökonomie ist die als „ökonomisches Grundprinzip für die Informationsbeschaffung" bezeichnete „Regel, daß im Gleichgewicht die Kosten einer zusätzlichen Information ihrem Wert entsprechen müssen" 2 6 . Hierbei wird einfach das elementare Denken in Änderungen (S. 33), wie es die Regel „Grenzerlös größer/gleich Grenzkosten" ausdrückt, auf die Informationsbeschaffung übertragen. Wie bestimmt sich der „Grenzerlös einer Information"= Informationswert?
Marschak folgend 2 7 wird der Informationswert durch die Abweichung in der Zielerreichung gemessen, wenn in einem Entscheidungsmodell (1) ein angenommenes Datenbündel gegen ein zweites aufgrund zusätzlich erworbener Informationen ausgetauscht und (2) die beim ersten Informationsstand beste Handlungsalternative χ beim zweiten Informationsstand durch eine andere y verdrängt wird. Dabei ist (3) die Abweichung an Zielerreichung nach dem zweiten Informationsstand zu ermitteln. In einem übervereinfachten Beispiel sieht das so aus: Beim ersten Bündel an Annahmen über die Umwelt weise die beste Handlungsmöglichkeit χ 100 D M Gewinn aus, bei einem veränderten Informationsstand jedoch nurmehr 70 D M , die dann beste, früher unterlegene Alternative y jedoch 80 D M . Hier sinkt durch die Informationsbeschaffung die Zielerreichung insgesamt. Deshalb droht die Aussage in die Irre zu fuhren, Informationswert sei der „erwartete Zuwachs des Zielbeitrages aufgrund der zusätzlichen Information" 2 ". Selbst wenn der erwartete Zielbeitrag sinkt, kann sich ein positiver Informationswert 26 Bössmann: Informationsökonomik (S. 49 3 ' 5 ), S. 334. 27 Vgl. Jacob Marschak: Towards an Economic Theory of Organization and Information. In: Decision Processes, hrsg. von R.M. Thrall u.a. New York-London 1954, S. 187-220, hier S. 201 f. 28 Wolfgang Mag: Grundzüge der Entscheidungstheorie. München 1990, S. 154 (im Original hervorgehoben).
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Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -beschaffung
errechnen. Im Beispiel wäre ohne Erwerb des zusätzlichen Wissens die Alternative χ gewählt worden und nur 70 statt bei Wahl von γ 80 D M Gewinn zu erzielen gewesen. Der Informationswert beträgt hier 10 D M , d.h. es lohnt sich, bis zu 10 D M auszugeben, um das Wissen zu beschaffen, ob das zweite Bündel an Umweltbedingungen eintritt. c) Jedoch ist aus zwei Gründen diese Optimumregel auf die Beschaffung von Informationen im Sinne von Tatsachenwissen oder den Kauf von Entscheidungshilfen nicht anwendbar. (1) Die Optimierungsregel „Informationswert größer/gleich Informationskosten" verschweigt, wie mit der Unsicherheit umgegangen werden soll, deretwegen Informationen erworben werden. Die Regel versagt dann, wenn der Informationswert über Risikonutzenüberlegungen errechnet werden soll und ein Entscheidender mit nicht absolut gleichbleibender Risikoabneigung wissen will, ob eine Information zu beschaffen sei oder nicht. Bei absolut gleichbleibender Risikoabneigung ist der Betrag, der für eine risikobehaftete Investition gewagt wird, unabhängig von der Höhe des erwarteten Vermögenszuwachses (S. 112). Deshalb bleibt es gleichgültig, ob die Informationskosten außerhalb von Risikonutzenüberlegungen zur Höhe des Informationswertes bleiben oder die H ö h e des Risikonutzens einer Information mitbestimmen. Warum scheitert die Regel „Informationswert größer/gleich Informationskosten" bei allen anderen Erscheinungsformen von Risikoabneigung? Für jede Handlungsalternative wäre der Wert einer Information als Erwartungswert des Risikonutzens aus den alternativen Zielbeiträgen jeder Handlungsalternative zu bestimmen, in denen jeweils die Informationskosten den Zielbeitrag gekürzt haben. Dabei wird ein absolut vorgegebener Betrag an Informationskosten in jeder Zukunftslage bei jeder Handlungsalternative unterschiedlich gewichtet, je nachdem, wie hoch die Zielbeiträge sind. Läßt sich der Informationswert als Änderung des Risikonutzens von Vermögens- oder Einkommenschancen erst nach Abzug der Informationskosten von den Zielbeiträgen berechnen, so ist der Informationswert nicht mehr unabhängig von den Informationskosten. Die Optimierungsregel „Informationswert größer/gleich Informationskosten" ist dann schon logisch nicht haltbar^. Doch dieser erste Einwand gleicht nur der Infektion durch einen Wespenstich. Sobald die Regel „Informationswert größer/gleich Informationskosten" preisgegeben wird, läßt sich zumindest unter zusätzlichen Annahmen mittels Risikonutzenüberlegungen das Ausmaß der Informationsbeschaffung bestimmen 5 0 . 29 Vgl. Dieter Schneider: Investition und Finanzierung. 4. Aufl., Opladen 1975, S. 156. 30 Vgl. z.B. Michael Bitz, Frank Wenzel: Zur Preisbildung bei Informationen. In: ZfbF, Jg. 26 (1974), S. 451-472, hier S. 464-471; Helmut Laux: Entscheidungstheorie. Band II: Erweiterung und Vertiefung, 3. Aufl., Berlin u.a. 1993, S. 85-118.
Informationsbeschaffung und Informationsverbreitung in Märkten
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(2) Demgegenüber erscheint der zweite Einwand als tödlicher Schlangenbiß: Ein positiver Informationswert setzt voraus, daß durch das Benutzen der Information eine Entscheidung fiir eine Handlungsalternative χ sich in eine for y ändert. Ob eine Information einen Informationswert hat, weiß der Entscheidende folglich erst dann, wenn er die Information beschafft und die daraus folgenden Änderungen bei den Zielbeiträgen seiner Handlungsalternativen berechnet hat. Wertete der Entscheidende die Informationen jedoch bereits fur seine Entscheidungsfindung aus, dann braucht er sie nicht mehr zu beschaffen. Dieses nach Arrow fundamentale Paradox für die Nachfrage nach Informationen^1 schließt Berechnungen des Informationswerts für den Kauf von Informationen im Sinne neuen Tatsachenwissens oder veränderter Erwartungen über Fremdereignisse aus. Es reduziert die Anwendbarkeit von Informationswertberechnungen auf Verfugungsrechte, wie Patente oder Lizenzen, deren Zielbeiträge man zwar abschätzen kann, aber die man vor dem Erwerb des Verfiigungsrechts nicht benutzen darf. d) Zur Informationsökonomie wird die Bestimmung des Ausmaßes an eigenem Arbeitseinsatz gezählt, um Unsicherheit über Preise oder Qualitäten bei gewünschten Gütern oder Arbeitsplätzen zu verringern. Diese Suchtheorie wählt als Strukturkern die statistische Stichprobentheorie: Dem Suchenden sei die Wahrscheinlichkeitsverteilung z.B. der Preise ebenso bekannt wie die Anzahl und Lage der für die Beschaffung in Frage kommenden Händler. Nur wer welche Preise verlangt, ist unbekannt, und dies zu erfahren, sei mit Suchkosten verbunden 32 . Bei Stichprobenerhebungen werden Ergebnisse einzelner Stichproben veranlassen, Vermutungen über den Ausgang weiterer Stichproben anzustellen, um so das Gesamtfeld des für Planungen benötigten Vergangenheitswissens genauer zu umreißen. Daraufhin kann es erforderlich werden, eine bisher zugrundegelegte Wahrscheinlichkeitsverteilung zu verändern. Eine Regel, um eine gegebene Wahrscheinlichkeitsverteilung an neues Tatsachenwissen anzupassen, über das selbst nur eine Wahrscheinlichkeitsverteilung besteht, nennt das Äg/«-Theorem 33 . Mit dieser Regel werden bedingte 31 Vgl. Arrow: Essays (S. 106 5 2 ), S. 152. 32 Beginnend mit George]. Stigler: The economics of information. In: Journal of Political Economy, Vol. 69 (1961), S. 213-225; ders.: Information in the labor market. In: Journal of Political Economy, Vol. 70 (1962), Supplement, S. 94-105. 33 Vgl. Mr. Bayes, Richard Price: An Essay towards solving a Problem in the Doctrine of Chances. In: Philosophical Transactions, Vol. 53 (1763), S. 370-418 (Manuskript von Bayes S. 376-399); deutsch: Thomas Bayes: Versuch zur Lösung eines Problems der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Leipzig 1908, S. 4-23, hier S. 9. Das Bayes-Theorem darf nicht mit dem gelegentlich Bayes-Prinzip genannten Berechnen des Erwartungswerts verwechselt werden.
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Einkommensunsicherheiten,
Informationsauswertung
und
-heschaffung
quantitative Wahrscheinlichkeiten berechnet fiir den Fall, daß diese oder jene neue Nachricht als Stichprobenergebnis eintritt. Wegen des überaus engen Anwendungsbereichs quantitativer Wahrscheinlichkeiten spielt das Bayes-Theorem (über das statistische Lehrbücher unterrichten) fur die Lösung betriebswirtschaftlicher Entscheidungsprobleme kaum eine Rolle, entgegen den Vorstellungen einzelner Lehrbuchautoren. Das Bemühen, über eine Suchtheorie der Stichprobentheorie ein neues Anwendungsgebiet zu erschließen, überzeugt nicht: (1) Das praktische Problem besteht in der Regel darin, daß fiir ein qualitativ nicht eindeutig zu beurteilendes Produkt nach Erkunden eines ersten, zweiten usw. Preises gerade nicht gewußt wird, ob irgendwo ein günstigeres Preis-/Leistungsverhältnis existiert. Das Wissen um eine Wahrscheinlichkeitsverteilung der Preise ist also nicht vorhanden. Außen vor bleibt die Frage, ob bei einem nicht vollständig Auflisten-Können der in Betracht zu ziehenden „Ereignisse" (hier Preise und Qualitäten) überhaupt eine Wahrscheinlichkeitsverteilung vorliegen kann. Sie existiert dann nicht, sobald die Axiomatisierungen für quantitative personale Wahrscheinlichkeiten ernst genommen werden. (2) Falls ein gnädiger Gott einen Nachfrager mit der Kenntnis einer Wahrscheinlichkeitsverteilung erleuchtet, so weiß der Nachfrager auch, welcher Preis der günstigste ist. Bei diesem Wissen ist fiir eine endliche, im Regelfall überschaubar geringe Zahl von Händlern auszurechnen, ob sich nach Kenntnis eines ersten, zweiten Preises weiteres Suchen lohnt. Das Suchproblem reduziert sich auf eine verhältnismäßig einfache Entscheidung unter Ungewißheit. Schrifttumsüblich wird die Zahl der Suchschritte entweder durch die Regel Grenznutzen des letzten Suchschrittes größer/gleich dessen Grenzkosten festgelegt; hierzu sind die Einwände gegen die Optimierungsregel S. 164 f. zu wiederholen. Oder es wird empfohlen (bei sog. sequentiellen Suchprozessen), die Suche fortzusetzen, bis ein gewünschter als angemessen betrachteter Preis (Reservationspreis) gefunden ist. Dessen Höhe bleibt jedoch ökonomisch ungeklärt 34 . 2. Werbung ab Informationsverbreitung
in Märkten
a) Wird Wettbewerb als Entdeckungsverfahren zum Abbau asymmetrischer Information in einer Gesellschaft verstanden (S. 2, 50), dann beschränkt sich, wörtlich genommen, Wettbewerb auf Informationsänderungen. Das Bemühen, in Verhandlungen durch mehr Leistungshingabe zu einer Tauschverein34
Vgl. zur Anwendbarkeit der Suchtheorie auf Probleme der Arbeitsplatzsuche näher Harald Gerfin: Informationsprobleme des Arbeitsmarktes. In: Kyklos, Vol. 35 (1982), S. 398-429, hier S. 400-404.
Informationsbeschaffung und Informationsverbreitung in Märkten
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barung zu kommen, bleibt dann außerhalb des Begriffs Wettbewerb. Zugleich erscheint stillschweigend jede Erscheinungsform von Werbung, da sie Teil der Bemühungen um eine Verbreitung von Informationen in Märkten ist, als Ausprägung des Wettbewerbs gerechtfertigt. So sind in der Marktprozeßlehre der Modern Austrian Economics am Beispiel der Werbung drei methodische Ansätze zur Verringerung von Unsicherheiten erläutert worden^. Die Entscheidungen, die dem Markthandeln zugrundeliegen, können hinsichtlich des Wissens über die Zukunft unterstellen: (1) Ungewißheit (im Sinne dieses Buches), (2) Unsicherheit im hier verwandten Sinne (Ungewißheit zuzüglich Informationsrisiken), (3) Unvollständigkeit des Wissens, die über Unsicherheit hinsichtlich der Zukunftslagen hinausgeht 36 , also sich auf Neigungen, Theorien, Mittel und Handlungsmöglichkeiten erstreckt (S. 46 f.). Im einzelnen: (1) Unter Ungewißheit erfolgt ein Lernen aus Erfahrungen durch eine Revision der Glaubwürdigkeiten unter den nicht vermehrten Zukunftslagen. Diese Sicht liegt dem Bayes-Theorem zugrunde (S. 165 33 ). Im Hinblick auf einen Marktprozeß „Werbung" wird in Modellen unter Ungewißheit behauptet: Hier überträgt Werbung entweder Wissen über Produkteigenschaften (informative Werbung) und verringert so Ungewißheit bei Nachfragern, oder sie täuscht hohe Qualitäten vor (manipulierende Werbung). Aber Werbung verändert in diesen Modellen nicht den Geschmack, die „Präferenzen", der Nachfrager oder auch der Anbieter bei einer von Nachfragern ausgehenden Werbung, z.B. nach Diplomkaufleuten. Die ordnungspolitische Beurteilung von Werbung reduziert sich auf deren Wirksamkeit und auf das Verhindern unlauteren Wettbewerbs durch Täuschung. (2) Unter Unsicherheit dient Werbung neben der Wissensübertragung wie in (1) auch dazu, daß die Verbraucher neue Gelegenheiten zur Deckung ihrer bisherigen Bedürfnisse finden. Dieser Sachverhalt vermag aufdringliche Werbung zu erklären, die auffallen will. Bei dieser Sicht ist gegen Werbung außerhalb bewußt täuschender Reklame ebenfalls ordnungspolitisch nichts einzuwenden. (3) Um Unvollständigkeit des Wissens über Unsicherheit hinaus, also auch hinsichtlich eigener Neigungen usw. abzubauen, kommt der Werbung eine Aufgabe zu, die über die Wissensverbreitung und die Entdeckung neuer Befriedigungsmöglichkeiten bestehender Bedürfnisse hinausreicht: Zusätzliche 35 Vgl. Stephen C. Littlechild: Three types of market process. In: Economic as a process, hrsg. von R.N. Langlois. Cambridge 1986, S. 27-39, hier S. 28-31. 36 Von dieser Unvollständigkeit des Wissens gehen z.B. aus G.L.S. Shackle: Imagination and the Nature of Choice. Edinburgh 1979; und Ludwig Μ. Lachmann: Marktprozeß und Erwartungen. München-Wien 1984, S. 316 f.
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Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -heschaffung
Bedürfnisse sind zu wecken, Geschmack an bzw. „Präferenzen" für bisher nicht erworbene Güterarten zu erzeugen. Bei dieser Sichtweise stellt sich die Frage, welche Art von Bedürfnissen durch Werbung geweckt werden und ob diese neuartigen Bedürfnisse aus irgendeinem ethischen Werturteil heraus zu begrüßen oder zu tadeln sind. Die Zuordnung von drei Erscheinungsformen über unvollständiges Wissen zu den Aufgaben, die ein Marktprozeß Werbung erfüllen mag, bezweckt, nicht nur (1) informative Werbung über Eigenschaften bekannter Produkte zu rechtfertigen, sondern (2) auch marktschreierische Werbung, die eine Befriedigung bekannter Bedürfnisse durch neue Produkte verspricht, und darüber hinaus (3) eine Werbung, die erst Bedürfnisse wecken will und dazu Nachfragern Neigungen offenlegt oder einredet, deren sie sich nicht bewußt waren. Gesagt wird nichts über die empirische Wirkung einzelner Instrumente oder Maßnahmen bei werbenden Tätigkeiten. Die Zuordnung von Erscheinungsformen unvollständigen Wissens zu Zwecken der Werbung bleibt eine modellmäßig unentfaltete Lösungsidee und damit im Vagen stecken. b) Werbung wird häufig bezeichnet als „eine absichtliche und zwangfreie Form der Beeinflussung, welche die Menschen zur Erfüllung der Werbeziele veranlassen soll"^7. Statt von Werbezielen müßte zunächst von Unternehmungszielen gesprochen werden, weil „Werbeziele" erst Inhalt gewinnen, nachdem Werbung definiert worden ist. Nach dieser Korrektur bleibt der Begriff Werbung immer noch in einer Hinsicht zu eng, in einer anderen zu weit. (1) Zu eng ist die Beschränkung auf „zwangfreie Form der Beeinflussung", weil damit eine auf physische oder psychische Notlagen spekulierende Werbung (z.B. die vermeintlicher Wunderheiler) ebenso ausgeschlossen ist wie der Sachverhalt, daß der in Fernsehkrimis Unterhaltung Suchende sich von Werbeeinblendungen berieseln lassen muß, um die spannende Fortsetzung nicht zu versäumen. Das „zwangfrei" schaltet klammheimlich aus Werbung jene Formen aus, die z.B. bei Schwerkranken unerfüllbare Hoffnungen wecken oder deren sich Konsumenten schwer erwehren können und gegen die deshalb ethische Bedenken bestehen mögen. (2) Hoffnungslos zu weit ist die Definition, weil sie keine Form absichtsvoller und zwangfreier Beeinflussung ausschließt. Das Absatzziel eines Obsthändlers vor Schluß des Wochenmarkts sei, seine Restbestände noch zu verkaufen. Deshalb ruft er lauthals: „Von nun an 5 Apfelsinen fur 1 Mark!". Diese Verkündung einer preispolitischen Maßnahme fällt ebenso unter Werbung im zi37
Karl Christian Behrens: Begrifflich-systematische Grundlagen der Werbung - Erscheinungsformen der Werbung. In: Handbuch der Werbung, hrsg. von K. Chr. Behrens. 2. Aufl., Wiesbaden 1975, S. 3-10, hier S. 4.
Informationsbeschaßung
und Informationsverbreitung
in Märkten
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tierten Sinne wie die Ausarbeitung von Konstruktionsplänen eines Investitionsgüterherstellers oder dessen Bau einer Versuchsanlage, weil damit absichtsvoll und zwangfrei Kunden zum Auftragerteilen beeinflußt werden sollen. Um ein Überschneiden mit anderen absatz- oder beschaffungspolitischen Maßnahmen zu vermeiden, durch deren Benutzen oder Gestalten Umsätze herbeigeführt werden sollen, ist der Begriff Werbung enger zu fassen; insbesondere sind preis- und produktpolitische Maßnahmen auszugrenzen. (3) Um Werbung gegenüber der zitierten oder ähnlichen Begriffsfassungen in einer fiir die Theorie der Unternehmung brauchbaren Weise festzulegen, empfiehlt es sich, Werbung auf eine Teilmenge innerhalb der Maßnahmen zur Wissensverbreitung zu beschränken. Wissen sammelt der einzelne fiir sich selbst. Wissen verbreitet er, um die Entscheidungen anderer zu beeinflussen. Für die Wissenssammlung in Märkten hat sich der Name Marktforschung eingebürgert38. Marktforschung bezweckt Wissensmehrung beim Marktforschenden bzw. seinem Auftraggeber. Eine solche Wissenserarbeitung („screening") gehört nicht zur Werbung. Diese beschränkt sich auf einen Unterfall der Wissensverbreitung. (4) Wissensverbreitung durch einzelne Anbieter oder Nachfrager zielt darauf ab, nach eigenen Zielvorstellungen Entscheidungen der Marktgegenseite zu beeinflussen, aber auch, um Mitbewerber oder Marktaufsichtsbehörden zu Handlungen oder deren Unterlassung zu bewegen. Handlungen zur Wissensverbreitung werden auch als Kommunikation bezeichnet (S. 141). Kommunikation findet zwischen Anbietern und Nachfragern statt, zwischen diesen und Marktaufsichtsbehörden, unter Anbietern allein oder Nachfragern allein. Kommunikation unter den Wettbewerbern ist z.B. ein Zweck von Verbandstätigkeiten, teilweise auch der von Tagungen und Fachmessen. Kommunikation von Anbietern mit Nachfragern wird üblicherweise dreigeteilt in Öffentlichkeitsarbeit, Verkaufsförderung und Werbung. Das folgende beschränkt sich auf die Wissensverbreitung durch Anbieter. Kommunikation durch Nachfrager wäre in entsprechender Weise einzugrenzen (dabei tritt z.B. eine Beschaffungs- oder Einkaufsförderung an die Stelle einer Verkaufsförderung). (a) Öffentlichkeitsarbeit (public relations) betrifft die Wissensverbreitung über die Unternehmung insgesamt. Zur Öffentlichkeitsarbeit zählt dabei nur die Wissensverbreitung über eine gesetzlich erzwungene Publizität hinaus. (b) Verkaufsförderung (sales promotion) handelt von der Präsentation eines Produkts oder der Produkte gegenüber möglichen Kunden: von der Aufmerksamkeit weckenden Verpackung über Schaufensterauslagen und die Warenanordnung im Supermarkt (z.B. das Besuchen der mit Lockangeboten aus38 Vgl. zur Technik Peter Hammann, Bernd Erichson: Marktforschung. 3. Aufl., StuttgartJena-New York 1994.
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Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -beschaffitng
gestatteten Fleischtheke verlangt das Durchlaufen der Textil-, Elektro- usw. Abteilungen) bis hin zum Verteilen kostenloser Warenproben. Zur Verkaufsförderung werden auch Schulungskurse durch Hersteller für die Mitarbeiter von Händlern zu deren Kundendienst gezählt. (c) Werbung sei auf Nachrichten über ein Produkt (oder eine Produktgruppe) beschränkt, die nicht am Produkt selbst angebracht sind. Deshalb zählt hier Werbung als Teilbereich der Information. Musterbeispiele sind Anpreisungen von Autos, Waschmitteln, Bausparverträgen im Fernsehen oder in Zeitungsannoncen. Werbung unterscheidet sich von der Öffentlichkeitsarbeit durch den Bezug zu einzelnen Produkten oder Produktgruppen. Die Abgrenzung der Werbung zur Öffentlichkeitsarbeit ist nicht immer leicht: So kann das Zurverfiigungstellen von Geld, Diensten, Sachen fur sportliche, künstlerische, gesellschaftliche Zwecke ( s p o n s o r i n g als Teil der Öffentlichkeitsarbeit angesehen werden, aber zugleich als Erinnerungswerbung fur die mit der Firma verbundenen Produkte dienen. Werbung läßt sich von der Verkaufsförderung dadurch abgrenzen, daß Verkaufsförderung physisch am Produkt oder an seinem Standort erfolgt, während Werbung Nachrichten durch den Einsatz von besonderen „Werbemitteln" bietet, wobei diese Nachrichten nicht am Produkt selbst haften (oder das Produkt an ihnen, wie beim Standort im Supermarkt). Markennamen mit Werbesprüchen auf der Verpackung eines Waschmittels werden folglich hier der Verkaufsförderung zugerechnet. Eine solche Eingrenzung der Werbung auf Wissensverbreitung durch den Anbieter über seine Produkte, aber getrennt von diesen, rechtfertigt sich freilich nur durch die Absicht, Werbung von der Verkaufsförderung abzuheben. Über Formen und Techniken der Werbung und die Erklärungsansätze hierzu aus Psychologie, Sozialpsychologie und Soziologie unterrichten Lehrbücher des Marketing; das SOR-Paradigma ist ein Beispielsfall (S. 8 f.). Aussagen, die zu einer ökonomischen Theorie der Werbung zu zählen wären, finden sich bis auf Modellbildungen zur optimalen Werbebudgetierung kaum. Die Ausführungen zur Bestimmung des Werbebudgets und des optimalen Einsatzes der Werbemittel im Marketing-Schrifttum beschränken sich dabei meist auf Optimierungstechniken, welche die Unsicherheit vernachlässigen. c) Unter dem Leitbild einer Verringerung von Einkommensunsicherheiten ist in einer gestaltenden Theorie Werbung ein Investitionsproblem unter Unsicherheit,: Beim werbenden Anbieter stehen sichere Ausgaben unsicheren Einnahmen aus erhofften Mehrverkäufen seiner Produkte gegenüber; beim werbenden Nachfrager sichere Ausgaben unsicheren Minderausgaben in den Beschaffungsmärkten. Deshalb wäre eine Optimierung des Werbebudgets im Hinblick auf dessen Umfang und dessen zielentsprechende Aufteilung auf einzelne
Informationsbeschaffung und Informationsverbreitung in Märkten
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Werbemitteleinsätze als Investitionsmischung zu modellieren, analog zur Theorie der Wertpapiermischung. Die verhaltenswissenschaftlichen Erläuterungen zur Werbung liefern dabei das „technische" Hintergrundwissen für die Aufstellung eines Entscheidungsfeldes in Zahlungen. Neben den verhaltenswissenschaftlichen Bestimmungsgründen fur einen Werbeerfolg werden die unsicheren Einnahmen durch ökonomische Abhängigkeiten zwischen Art und Ausmaß der Werbung und der Gestaltung der anderen absatzpolitischen Maßnahmen in ihrer gemeinsamen Wirkung auf die Ausgaben der Nachfrager bestimmt. d) Hinsichtlich der Wissensänderungen bei den Empfängern von Werbung werden üblicherweise zwei Arten Werbung unterschieden: über die Anbieter und die Qualitäten ihrer Produkte unterrichtende, also informative Werbung und nichtinformative Werbung, die Aufmerksamkeit wecken will oder Wunschdenken, ja Täuschungen, verbreitet und die möglichen Käufer über Appelle an ihre intimen Wunschvorstellungen zu verfuhren sucht. (1) Informative Werbung fördert den Wettbewerb, weil sie dem Nachfrager mehr Marktübersicht schafft, seine Wissensmängel abbaut. Durch informative Werbung erfahren die möglichen Kunden Tatsachen, die ihnen ein besseres Abbild ihrer Wahlprobleme erlauben. Wissen über Qualitätseigenschaften erlangt man bei Suchgütern, Erfahrungsgütern 39 und Vertrauensgütern 40 auf unterschiedliche Weise. (a) Die Qualitätseigenschaften von Suchgütern lassen sich vor einem Kauf beurteilen. Bei Nachfragern besteht häufig Unsicherheit über die Qualität der angebotenen Gegenstände. Diese Unsicherheit wird z.B. durch Markenartikel abgebaut, die ausgesprochen oder unausgesprochen eine Mindestqualität versprechen. Informative Werbung findet sich insbesondere fiiir Markenartikel. Hinzu tritt, daß eine über die Qualität unterrichtende Werbung durch Anbieter als „signaling" schon wegen des gleichzeitigen Ansprechens vieler (also infolge einer „Größendegression") kostengünstiger ist als eine Marktforschung durch Nachfrager als „screening'"*1. Die Wirkung informativer Werbung wird durch die Häufigkeit des Bedarfs beeinflußt. Bei Gewohnheitskäufen fiir den täglichen Bedarf erreicht informative Werbung für neue Produkte im allgemeinen wenig, weil sie zum Experimentieren zwingt. Dies wird bei vielen Käufen fur den täglichen Bedarf ver39 40 41
Vgl. Phillip Nelson: Advertising as Information. In: Journal of Political Economy, Vol. 82 (1974), S. 729-754, hier S. 730. Vgl. Michael R Darby, Edi Kami: Free Competition and the Optimal Amount of Fraud. In: Journal of Law and Economics, Vol. 16 (1973), S. 67-88, hier S. 68 f. Vgl. Lester G. Telser: Advertising and Competition. In: Journal of Political Economy, Vol. 72 (1964), S. 537-562, hier S. 539.
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Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung
und-beschaffitng
mieden, weil allein in der Nahrungsmittelabteilung eines Supermarktes um die 3.000 Artikel, zusammen mit den anderen Abteilungen oft etwa 8.000 Artikel gefuhrt werden. Demgegenüber werden Impulskäufe eher durch Absatzförderung (beeindruckende Aufmachung) als durch örtlich und zeitlich vorgelagerte Werbung ausgelöst. (b) Die Qualitätseigenschaften von Erfahrungsgütern sind erst nach einem Probekauf, durch den Verbrauch oder Gebrauch, zu erfahren. Werbung kann hier keine Information über die Qualität bringen, jedoch zu Probekäufen verleiten^2. Wenn die versprochenen Eigenschaften sich nicht bewahrheiten, droht ein Verlust an Ansehen (Reputation) des Anbieters. (c) Vertrauensgüter sind auch nach einem erstmaligen Gebrauch oder Verbrauch nicht in ihren Qualitätseigenschaften zu beurteilen, z.B. werden die Folgen einer ärztlichen Behandlung oder der Ratschläge eines Vermögensberaters erst nach einem längeren Zeitraum bekannt. Bei Vertrauensgütern werden häufig andere Personen als Meinungsfiihrer gewählt, etwa nach einer Theaterpremiere das eigene Urteil an das von Kritikern angepaßt. Für die meisten Studenten dürften auch wissenschaftliche Veröffentlichungen mehr Vertrauensais Erfahrungsgüter bleiben. Wissen über die Qualität von Vertrauensgütern gewinnt man durch die Verbreitung von Erfahrungen anderer, z.B. durch Expertenurteile in Warentests. Bei Vertrauensgütern schafft Werbung kein Wissen über die Qualitätseigenschaften, es sei denn, die Werbemaßnahme besteht in der Verbreitung von Expertenurteilen. (2) Bei Suchgütern und Erfahrungsgütern dient vom Nachfrager wahrgenommene Werbung als ein Mittel seiner Informationsbeschaffung. Bei Vertrauensgütern bedarf der Nachfrager Informationen von anderen, die ihm Werbung im Regelfall nicht bieten kann. Über dies hinaus wird die Lehre von Such-, Erfahrungs- und Vertrauensgütern hier nicht unter Information und damit als Gegenstand einer Informationsökonomie abgehandelt; denn die Frage: Wer, wie, wann Wissen über Qualitätseigenschaften erwirbt oder verbreitet, ist besser in der Beschaffungs- und Absatztheorie aufgehoben als in der Informations- und Entscheidungstheorie. (3) Von nichtinformativer Werbung wird behauptet: Da sie nicht über Qualitätseigenschaften von Produkten zur Befriedigung von gegebenen, bekannten Bedürfnissen unterrichte, verbreite sie lediglich Wunschdenken oder wirke gar als Stimulus für Wünsche, die gerne vor der Mitwelt verborgen werden. Solche Werbung fördere keine „Verwertung von Wissen". Wettbewerb in diesem Sinne oder im klassischen Verständnis einer Rivalität unter Anbietern um die Nachfrage werde beeinträchtigt. 42 Vgl. Richard Schmalensee: Α Model of Advertising and Product Quality. In: Journal of Political Economy, Vol. 86 (1978), S. 485-503, hier S. 487.
Informationsbeschaßung und Informationsverbreitung in Märkten
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Diese Folgerung ist fraglich. Im Bündel an Leistungen, die Nachfrager begehren, können Dienste erheischt werden, die ihre Aufmerksamkeit fesseln oder Unterhaltungswert besitzen. Werbemaßnahmen, die diese Wünsche erfüllen, unterrichten zwar nicht über die Produktqualität (sind in diesem Sinne nicht informativ). Aber daraus folgt keineswegs, daß dadurch die Rivalität unter den Anbietern beeinträchtigt würde. Werbung mit Unterhaltungswert*3 ist auch eine Form von mehr Leistungshingabe durch einen Anbieter. Ob Wettbewerb verstärkt wird oder nicht, hängt vielmehr davon ab, ob und wie Konkurrenten zugleich werben. (4) Um informative Werbung von nicht-informativer abzugrenzen, müßte eine Theorie über die Abbildungstreue von Entscheidungsmodellen bestehen, weil mehr Tatsachenwissen die Abbildungstreue verbessert. Da über die Abbildungstreue von Entscheidungsmodellen nur wenig Verläßliches bekannt ist (S. 51), bleibt als Indiz für informative Werbung der empirisch zu testende Sachverhalt übrig, ob diese oder jene Art der Werbung die Empfindlichkeit gegenüber Preisen steigert oder nicht. Eine Steigerung der Preisempfindlichkeit kann als ökonomische Folge informativer Werbung angesehen werden. e) Von Laien, aber auch einzelnen Wirtschaftstheoretikern wird behauptet, Werbung erhöhe die Preise. Eine solche Aussage ist schon deshalb unbewiesen, weil sie üblicherweise aus drei Modellen hergeleitet wird, die Unsicherheit und Ungleichverteilung des Wissens ausklammern: (1) Werbung erhöhe die Preise, weil sie zusätzliche Ausgaben verursache. Wer Unsicherheit und Ungleichverteilung des Wissens nicht beachtet, wird in den Ausgaben für Werbung eine Steigerung fixer Kosten und teilweise auch von Grenzkosten sehen. Letztere erhöhen in allen Modellvorstellungen zu Marktformen den Preis. Bei gleicher Verteilung des Wissens unter Anbietern und Nachfragern wird durch Werbung keine zusätzliche Nachfrage geweckt. Werbung erscheint somit als soziale Verschwendung^4. Diese Hypothese bestreitet der Werbung einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen. Fehlt der gesamtwirtschaftliche Nutzen, so versandet auch der einzelwirtschaftliche dann, wenn die Werbewirkung, die ein Unternehmer erzielt, durch Werbemaßnahmen eines anderen aufgehoben wird: Werbung wird zum Nullsummenspiel, wenn sie nicht gar vollständig verpufft, d.h. die Ausgaben für Werbung verschwendet sind. 43 Vgl. z.B. Klaus P. Kaas: Nutzen und Kosten der Werbung. In: ZfbF, Jg. 42 (1990), S. 492-504, hier S. 498 f. 44 Vgl. Alfred Marshall: Industry and Trade. 4. Aufl., London 1923, S. 406 (1. Aufl. 1919, S. 306 f.), ähnlich noch Burkhardt Rüper: Zur Manipulation von Bedürfnissen. In: Der Markenartikel, Jg. 39 (1977), S. 328-335, hier S. 332.
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Einkommensunsicherheiten,
Informationsauswertung
und
-beschaffung
Der Fehler dieser Überlegung liegt im zugrundegelegten Modell: Der Rückgriff auf Modellvorstellungen zu Marktformen übersieht, daß unter der darin üblicherweise ausgeschlossenen asymmetrischen Information durch zusätzliche Ausgaben sich in der Realität vielfach höhere Umsätze erzielen lassen. In diesen Fällen stellt es einen Fehlschluß dar, daß zusätzliche Ausgaben, z.B. für Werbung, zu höheren Preisen führen müssen. Abwegigerweise wird unterstellt, daß Anbieter und Nachfrager über gleiche Informationen verfügen. Woher sollen denn die Nachfrager wissen, wer, was, wann anbietet? Ein bestimmtes Maß an Wissensverbreitung ist erforderlich, damit überhaupt ein Anbieter Nachfrager kennen lernt und ein Nachfrager Anbieter dessen, was er wünscht^. Warum soll Wissen nicht durch Werbung verbreitet werden? (2) Werbung erhöht die Preise, fördert dabei aber monopolistische Konkurrenz. Anbieter werden versuchen, durch Vertriebskosten, insbesondere solche der Werbung, Wettbewerbsvorteile fur sich durch Beeinflussen der Nachfrager bei physisch gleichartigen Gütern zu erreichen („monopolistische Konkurrenz"). Werbung bezwecke, Käuferpräferenzen zwischen gleich geeigneten Gütern zu verändern. Dies habe zur Folge, daß die Nachfrager nicht den Markt von sich aus vollständig erforschen. Stattdessen seien sie bereit, mehr für die durch Werbung empfohlenen Produkte zu zahlen als fur physisch gleichartige Produkte ohne Werbung. Vertriebskosten, insbesondere solche der Werbung, bestimmen für die einzelnen Unternehmungen die Lage ihrer Preisabsatz- bzw. Erlösfunktionen und damit Absatzmenge und Absatzpreis. In welchem Maße Werbung die Preisabsatzfunktionen verschiebe, hänge sowohl von informativer (den Wettbewerb fördernder) als auch von manipulierender (den Wettbewerb eher behindernder) Werbung ab46. Gegen diese These ist einzuwenden: (a) Sobald Vertriebskosten Preisabsatzfunktionen (sollten solche existieren) verschieben, ist zu prüfen: Ändert sich der Höchstpreis, die Sättigungsmenge und (oder nur) der Verlauf zwischen Höchstpreis und Sättigungsmenge? Je nach dem ist nur noch im Einzelfall zu entscheiden: Liegt der Cournotsche Preis, wie er aus der Gleichheit einer durch Werbung beeinflußten Grenzerlöskurve mit der Grenzkostenkurve der Produktion und aus der Werbung folgt, über dem Preis, der unter sonst gleichen Umständen ohne Werbung zustande gekommen wäre? Gelingt durch Werbung eine höhere Absatzmenge, kann unter den sonstigen Annahmen der Preistheorie der gewinnmaximale Preis auch unter den bei Nichtwerbung sinken. Die Behauptung, „Werbung erhöht die Preise", ist schon im preistheoretischen Modell keineswegs allgemeingültig. 45 Vgl. Stigler: The economics of information (S. 165 32 ), S. 220. 46 Vgl. Edward Hastings Chamberlin: The Theory of Monopolistic Competition. 8. Aufl., Cambridge-London 1962, hierS. 119 f., 123.
Informationsbeschaffung
und Informationsverbreitung
in Märkten
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(b) Hinzu tritt, daß die Trennung zwischen Produktionskosten und Vertriebskosten für theoretische Erklärungen (im Unterschied zur Kostenerfassung bei der Abteilungskontrolle) unfruchtbar bleibt. Letztlich sind alle Kosten Vertriebskosten in dem Sinne, daß sie aufgewendet werden, damit ein Umsatz zustande komme''7. Die Trennung von Produktionskosten und Vertriebskosten ist nur dann eindeutig, wenn die Produkte unverändert bleiben, nicht durch Produktgestaltung und Produktdifferenzierung an die Kundenwünsche angepaßt werden*8. Dies widerspricht den sonstigen Annahmen „monopolistischer", d.h. Qualitätsunterschiede in den Augen der Nachfrager erzeugender Konkurrenz. (3) Werbung mindere die Preisempfindlichkeit und damit den Wettbewerb. Modellmäßig gestützt wird diese Behauptung durch eine formale Ableitung aus Erlösfunktionen. Wenn der Preis eines Produktes als vorgegeben gilt und die Erhöhung der Nachfragemenge als Folge von Werbung konstant ist, sinkt der Grenzerlös als Folge der Werbung, sofern die Elastizität der Nachfrage in bezug auf den Preis steigt. Analog zur Preisabsatzelastizität kann für die Werbeausgaben eine Werbeelastizität definiert werden als relative Änderung der nachgefragten Menge in bezug auf die relative Änderung der Werbeausgaben fur dieses Gut. Mit diesen Begriffen und der Gewinndefinition aus Erlösfunktion minus Kostenfunktion, jeweils einschließlich Werbung, läßt sich herleiten, daß das optimale Verhältnis von Werbung zu Umsatz dann erreicht ist, wenn es dem Verhältnis der Werbeelastizität zur Preisabsatzelastizität entspricht^9. Verschiedene wettbewerbstheoretische (industrieökonomische) Studien vertrauen diesem Dorjman/ Steiner-Theorem50. Dies erscheint leichtfertig, weil sich Elastizitäten praktisch kaum verläßlich messen lassen. Davon abgesehen wird im Modell unterstellt, daß der Zuwachs der durch Werbung induzierten Nachfrage sich nicht ändert, wenn die Nachfrageelastizität in bezug auf den Preis steige. Da Werbung die Preisabsatzfunk4 7 Vgl. Murray N. Rothbard: Man, Economy, and State. Vol. II, Princeton u.a. 1962, S. 646; IsraelM. Kirzner: Wettbewerb und Unternehmertum. Tübingen 1978, S. 1 4 1 - 1 6 9 . 4 8 Nach Einwänden von Nicholas Kaldor: The Economic Aspects of Advertising. In: The Review of Economic Studies, Vol. 18 (1950/51), S. 1-27, hier S. 21-23, und Mises: Human Action (S. 7^), S. 319, hat dies Chamberlin später selbst erkannt, vgl. Edward Η. Chamberlin: The Product as an Economic Variable. In: The Quarterly Journal of Economics, Vol. 67 (1953), S. 1-29, hier S. 2 f. 49 Vgl. Robert Dorfman, Peter O. Steiner: Optimal Advertising and Optimal Quality. In: The American Economic Review, Vol. 44 (1954), S. 826-836. 50 Vgl. MarkA. Hurwitz, Richard E. Caves: Persuasion or Information? Promotion and the Shares of Brand Name and Generic Pharmaceuticals. In: Journal of Law and Economics, Vol. 31 (1988), S. 299-320; Jean Tirole: The Theory of Industrial Organization. Cambridge 1988, S. 102-104.
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Einkommensunsicherheiten,
Informationsauswertung
und
-beschaffiing
tion verschiebt, kann von einer Unabhängigkeit zwischen dem Zuwachs der durch Werbung induzierten Nachfrage und der Preiselastizität nicht ausgegangen werden. In unzulässiger Verallgemeinerung des Modells wird dann behauptet, Werbung würde in einer überschüssigen Menge produziert, und Unternehmungen, die weniger unter Konkurrenzdruck stünden, hätten mehr Anreize zur Werbung' 1 . Da der Formalismus, mit dem Werbeausgaben in die Gewinnfunktion eingehen, derselbe ist, mit dem auch mehr Ausgaben für Produktqualität oder den Ausbau der Vertriebswege modelliert werden können, ergeben sich bei dieser Modellüberlegung unplausible Folgerungen, wie die, daß bei einer Quasi-Monopolstellung ein Anbieter mehr Anlaß hätte, die Produktqualität zu steigern, als durch Wettbewerber bedrängte Anbieter' 2 . Darüber hinaus ist zu beachten: Selbst wenn durch Werbung «'»«Anbieters die Preisempfindlichkeit der Nachfrager sinkt, muß dies nicht bedeuten, daß bei verstärkter Werbung durch die Mitbewerber auch die Preisempfindlichkeit der Nachfrager abnähme. Die vorliegenden empirischen Untersuchungen zeigen zwar kein einheitliches Bild, weil sie teilweise andere Detailfragen behandeln. Jedoch lassen ältere und jüngere Untersuchungen den Schluß zu, daß mit verstärkter Werbung eher die Preisempfindlichkeit wächst^. Ein Grund hierfür mag sein, daß Werbung unter rivalisierenden Produkten, soweit sie Aufmerksamkeit geweckt hat, zum Vergleich der Produkteigenschaften und der jeweiligen Preise anregt. Darüber hinaus behaupten einzelne empirische Untersuchungen, daß Werbeausgaben nicht als Markteintrittsschranke wirken, weil die solche Behauptungen stützenden empirischen Studien methodisch nicht das beweisen, was sie beweisen möchten' . (4) Ein neuer Beurteilungsmaßstab fur nichtinformative Werbung läßt sich durch Anwenden von Situationslogik (S. 13) gewinnen: Nichtinformative Werbung sei nicht als Änderung von Präferenzen zu untersuchen, sondern ist als Beiga51
Vgl. Avinash Dixit, Victor Norman: Advertising and welfare. In: Bell Journal of Economics, Vol. 9 (1978), S. 1-17; Richard Ε. Kihlstrom, Michael Η. Λοττώ«: Advertising as a Signal. In: Journal of Political Economy, Vol. 92 (1984), S. 427-450; Yehuda Kotowitz, Frank Mathewson: Advertising, consumer information, and product quality. In: Bell Journal of Economics, Vol. 10 (1979), S. 566-588. 52 Vgl. näher Gary S. Becker, Kevin M. Murphy: Κ Simple Theory of Advertising as a Good or Bad. In: The Quarterly Journal of Economics, Vol. 108 (1993), S. 941-964, hier S. 952 f. 53 Vgl. Telser: Advertising and Competition (S. 171 4 1 ), S. 558; Vinay Kanetkar, Charles B. Weinberg, Doyle L. Weiss: Price Sensitivity and Television Advertising Exposures: Some Empirical Findings. In: Marketing Science, Vol. 11 (1992), S. 359-371, hier S. 369. 54 Vgl. Thomas T. Nagle: Do Advertising-Profitability Studies Really Show That Advertising Creates A Barrier To Entry? In: Journal of Law and Economics, Vol. 24 (1981), S. 333-349, hier S. 349.
Informationsbeschaffitng und Informationsverbreitung in Märkten
177
be zum Hauptprodukt entweder als Nutzenbringer oder als Schadstoffzu betrachten^ . Werbung wird üblicherweise als Mittel zur Änderung von Präferenzen verstanden, also der Eigenschaft, persönlichen Bedürfnissen zu genügen (S. 53). Daraus werden Schlüsse über die Kaufentscheidungen hergeleitet. Die Sichtweise, Werbung sei zur psychischen Einstellung der Käufer in Beziehung zu setzen, ist fur verhaltenswissenschaftliche Konsumentenforschung zweifelsohne angebracht. Aber ist diese Sichtweise auch für eine ökonomische Theorie der Werbung geboten? Ein Nachteil der Sichtweise „Werbung bewirke Präferenzänderung" besteht darin, daß dann die Theorie eines rationalen Konsumentenverhaltens zu verwerfen ist. Dies wird vielen nicht als Nachteil, sondern als Vorzug, als „Annäherung an die Wirklichkeit", erscheinen. Aber Hypothesen sind Verallgemeinerungen modellgestützter Musterbeispiele. Ehe methodologische Vorentscheidungen, wie die eines rationalen Konsumenten, verworfen werden, verlangt Situationslogik zu prüfen, ob nicht Werbung in eine Theorie des rationalen Käuferverhaltens einzubauen wäre und dort zu neuen Einsichten führt. Schließlich blenden nicht alle Konsumenten ihre Vernunft bei Käufen aus. Eine Alternative zur Sichtweise „Werbung als Präferenzänderung" besteht darin, Werbung als Nebenleistung zu betrachten, welche die physischen und sonstigen Eigenschaften der „Hauptleistung" ergänzt, also dazu komplementär ist. Die Waschmittelwerbung wird hierbei nicht in ihrer Folge fur die Einstellung (S. 9 f.) eines Konsumenten betrachtet, sondern als Dienst, der neben der Reinigungskraft geboten wird und das Waschmittel zu einem Leistungsbündel in den Augen des Verbrauchers macht. Ob dieser Dienst „Werbung" einen Zusatznutzen schafft oder als lästiger Abfall im Leistungsbündel „Waschmittel" wirkt, bleibt zu prüfen. Ein erster Vorzug dieser Sichtweise besteht darin, daß nichtinformative Werbung, z.B. durch einen Werbespot im Fernsehen, in erwünschte Nebenleistungen (Unterhaltungswert) und unerwünschte Abfälle in einem Leistungsbündel (lästige Unterbrechung des Fernsehspiels) unterteilt werden kann. (a) Nichtinformative Werbung in Form erwünschter Nebenleistungen liegt vor, wenn Werbung, da sie getrennt vom Produkt als Marktgegenstand auftritt, allein gesehen einen positiven Preis erzielen würde. Nichtinformative Werbung in Form von Schadstoffen ist gegeben, wenn die isoliert betrachtete Werbung nicht verkauft, eventuell erst mit Zuzahlung vom Markt geräumt werden könnte. Welche Werbung vom Nachfrager als Nebenleistung, welche als Schadstoff betrachtet werden kann, hängt u.a. davon ab, ob der Nachfrager auf die Kenntnisnahme der Werbung verzichten kann (z.B. bei Zeitungsan-
55 Vgl. zum folgenden Becker, Murphy: Theory of Advertising (S. 176 52 ), S. 942.
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Einkommensunsicherheiten,
Informationsauswertung
und
-beschaffung
noncen), oder ob er vom Anbieter gezwungen wird, diese Nachricht zu „konsumieren" (wie bei der Fernsehwerbung mitten in einem Krimi). (b) Wird Werbung verstanden als Veränderung von Präferenzen, liegen die Einwände der Manipulation auf der Hand und die Folgerung, es werde zuviel fur Werbung ausgegeben. Wird Werbung als komplementäres Teilgut innerhalb eines Marktgegenstandes betrachtet, entfallen solche Vorverurteilungen wegen psychischer Beeinflussung. Dafür werden über den Schadstoffcharakter der Werbung leichter die negativen Folgen der Werbung (also die Nutzenminderung beim Konsumenten) erklärbar. (c) Eine weitere Folgerung aus der Sicht „Werbung als Nebenleistung in den Augen der Nachfrager" besteht in einer zusätzlichen ökonomischen Erklärung kognitiver Dissonanzen (S. 59 f.). Wenn Werbung als komplementäres Teilgut zum Hauptprodukt betrachtet wird, heißt das auch, daß mehr Nachfrage nach dem Hauptprodukt den Bedarf nach mehr Nebenleistungen in Form von Werbung steigert. Der Erfahrungssachverhalt, daß z.B. Autokäufer nach dem Kauf die Annoncen fur das erworbene Auto verstärkt studieren, wird üblicherweise als Abwehr vor nachträglichen Enttäuschungen gedeutet, also als Schutzmaßnahme vor kognitiven Dissonanzen. Stattdessen lautet eine einfache ökonomische Erklärung, daß bei im Bündel erkauften Leistungen die Nachfrage nach einer Sache (Auto) die Nachfrage nach einem anderen Dienst (Werbung fur dieses Auto) steigern kann. f) Nach dem Vorstehenden ist die Allgemeingültigkeit der Behauptung zu bezweifeln: Nichtinformative Werbung manipuliere die Bedürfnisse der Käufer und wecke Wünsche, die „erst durch Werbung und geschickte Verkäufer ... hochgepäppelt" werden^. Schon die Wortwahl „manipulierende" Werbung statt „nichtinformativer" Werbung manipuliert, indem sie Verwerflichkeit suggeriert. Werbung wird dabei als Beeinträchtigung einer sogenannten Konsumentensouveränität verstanden. (1) Konsumentensouveränität heißt, daß der einzelne Verbraucher seine Entscheidungen unabhängig von der Wahl anderer trifft und die Gesamtheit der Verbraucher den Anbietern die Produktwahl und Produktgestaltung diktiere^ 7 . Wäre eine so verstandene Konsumentensouveränität als Ideal fur eine Verbraucherschutzpolitik bei asymmetrischer Information erwünscht? Die Frage ist zu verneinen: Sie schließt z.B. Produktinnovationen und Marktstrukturinnovationen durch Anbieter aus. Nur im Einzelfall kann beur56 John Kenneth Galbraith: Gesellschaft im Überfluß. München-Zürich 1959, S. 8. 57
Zur Entwicklung des Begriffs Konsumentensouveränität vgl. Peter Meyer-Dohm: Sozialökonomische Aspekte der Konsumfreiheit. Freiburg 1965, bes. S. Manfred Lange, Bartho Treis: Konsumentensouveränität und Konsumfreiheit. In: Der Markenartikel, Jg. 34 (1972), S. 333-339.
Informationsbeschaffung und Informationsverbreitung in Märkten
179
teilt werden, ob neu entwickelte Produkte die Bedürfnisse des Konsumenten besser als die bisherigen erfüllen oder nur alten Wein in neue Schläuche gießen. Die Forderung nach Konsumentensouveränität wird meist mit der Bedingung verknüpft, daß der einzelne Verbraucher seine Kaufentscheidung unabhängig von der Wahl anderer zu treffen habe. Diese Forderung übersieht, daß der Mensch ein soziales Wesen ist, das seine Verbrauchswünsche an den Wertvorstellungen seiner Umwelt anpaßt (S. 58 f.) oder diesen auch zuwiderhandeln möchte. (2) Marktschreierische Werbung, soweit Konsumenten diesem Lärm entgehen können, ist eine harmlose Form der Umweltverschmutzung. Problematisch wird sie erst, wenn sie so eng an andere erwünschte Nachrichten gebunden wird, daß von einer „zwangfreien" Beeinflussung nicht mehr geredet werden kann, wie bei der „Schadstoff-Werbung (S. 177). (3) Konsumfreiheit einzuschränken ist in Einzelfällen geboten (z.B. Heranwachsenden den Zugang zu Drogen zu verbieten). Darüber hinaus eine Einflußnahme der Anbieter auf die Souveränität des einzelnen, was er konsumiert, zu verbieten, läuft auf eine freiheitswidrige Bevormundung hinaus. Insbesondere bleibt fragwürdig, nichtinformative Werbung als soziale Verschwendung zu bezeichnen; denn das Wecken der Aufmerksamkeit bei Konsumenten mag nötig sein, damit Verbraucher überhaupt Informationen über Produkteigenschaften zur Kenntnis nehmen. Es ist auch Aufgabe eines Unternehmers, zu erreichen, daß die von ihm verbreiteten Tatsachen von den Nachfragern zur Kenntnis genommen werden^ 8 . Solange das Wissen unter den Menschen ungleich verteilt ist, bedeutet das Wecken von Bedürfnissen noch keine soziale Verschwendung. Wer will ernsthaft behaupten, daß das eigene Badezimmer im Vergleich zu Waschtrog und Plumpsklo im Garten (letzteres als „Standard" noch vor einem halben Jahrhundert) oder der Elektroherd gegenüber dem Kohleofen usw. soziale Verschwendung seien? (4) Eine soziale Verschwendung kann erst dann behauptet werden, wenn „falsche" oder „überflüssige" Bedürfnisse geweckt werden. Damit ist die Frage zu beantworten: Wer darf sich anmaßen zu entscheiden, welche Bedürfnisse berechtigt, welche „falsch" sind? Meistens sind es die Kritiker der Werbung, die sich persönlich nicht, aber alle anderen für verfuhrbar halten^.
58 59
Vgl. Kirzner: Wettbewerb (S. 175 4 7 ), S. 131. Vgl. Friedrich W. Mähling: Werbung, Wettbewerb und Verbraucherpolitik. München 1983, S. 306 f.
180
Einkommensunsicherheiten,
Informationsauswertung
und
-beschaffung
c) Informationsänderungen durch Marktpreise
1. Verringerung von Einkommensunsicherheiten durch Hedging? a) Marktpreisen (verwirklichten Austauschverhältnissen) wird eine Signalbzw. Informationsfunktion zugeschrieben. Durch sie erfährt der einzelne, wie andere die getauschten Dienste, Sachen, Verfiigungsrechte eingeschätzt haben. Unter den sehr engen Modellannahmen eines Konkurrenzgleichgewichts spiegeln Preise das genannte Wissen und die Erwartungen über die Zukunft durch die Gesamtheit aller Marktteilnehmer wider 6 0 . Eine von vielen Voraussetzungen hierfür ist, daß die qualitativen Eigenschaften eines Marktgegenstandes durch Normen, Standards usw. vereinheitlicht werden, so daß ein Nachfrager sich Arbeiten zur Beurteilung der Qualität vor dem Kauf ersparen kann. W i r d ein Marktgegenstand durch ein Regelsystem vereinheitlicht, so verringern sich die Einkommensunsicherheiten fur Anbieter und Nachfrager bei ihrer Marktzufuhr. Der Nachfrager kann sich mit hoher Glaubwürdigkeit Erwartungen über die Mindestqualität einzelner Eigenschaften seines Beschaffungsobjektes bilden. Entsprechend sinken die Einkommensunsicherheiten beim Anbieter, wenn eine Vereinheitlichung hinsichtlich seines Beschaffungsobjekts „Umsatzeinnahmen" stattgefunden hat, z.B. eine Anzahlung und der Restbetrag unterliegt der Wechselstrenge. Die Vereinheitlichung des Absatzobjekts nimmt dem Anbieter freilich Chancen, sich im Wettbewerb gegenüber anderen durch besondere Qualität oder auch nur durch Versprechungen über solche hervorzuheben. Der Anbieter verliert durch die Vereinheitlichung des Absatzobjekts Handlungsspielräume in seiner Absatzpolitik hinsichtlich der Produkt- und Kommunikationspolitik, regelmäßig auch bei der Wahl der Vertriebswege (Distributionspolitik), so daß er auf den Handlungsstrang eines Preiswettbewerbs (auf Entgeltpolitik) abgedrängt wird. Entsprechend können die Chancen eines Nachfragers sinken, seine Mitnachfrager auszustechen, wenn er sich nicht durch Einsatz seiner persönlichen Überredungskunst, Vorauszahlungs- oder sonstigen Nebenleistungsfähigkeiten „Präferenzen" bei einem Anbieter schafft. Die Absatzobjekte bestehen im folgenden in untereinander vertretbaren Sachen oder in rechtlich exakt umschriebenen Verfügungsrechten. Gefragt wird nach den Änderungen im Informationsgehalt (der Signalfunktion von Preisen), wenn neben Preise fur sofortige Lieferung gegenwärtige Preise für eine künftige Lieferung treten oder auch nur Preise fiir das Recht, zum heute vereinbarten Preis später zu kaufen, zu verkaufen oder darauf zu verzichten (Optionen). 60 Vgl. zu dieser „Informationseffizienz" z.B. Schneider: 256.
Rechnungswesen (S. 31 2 5 ),S. 246-
Informationsänderungen durch Marktpreise
181
b) Spotmärkte sind durch Zug-um-Zug-Geschäfte fur vereinheitlichte Absatzobjekte gekennzeichnet, die bereits produziert sind, also sofort geliefert werden können Verborgene Qualitätsmängel im jeweiligen Absatzobjekt seien sofort zu erkennen, und weitere verborgene Informationen bleiben ebenfalls ausgeschlossen. In der Wirklichkeit nähern sich zahlreiche internationale Rohstoffmärkte solchen Modellvorstellungen über einen Spotmarkt (z.B. der Rotterdamer Rohöl-Spotmarkt). Aufgrund der Voraussetzungen fur den Spotmarkt entfallen Marktforschung und Werbung, so daß die Marktprozesse sich auf Tauschverhandlungen und die Tauschhandlung selbst beschränken. Den Ausdruck Spotmarkt verwenden wir hier in einem weiten Sinne, der den Kassamarkt für Wertpapiere und andere Verßigungsrechte einschließt. Wird der Begriff Spotmarkt auf Verfügungsrechte erweitert, so liegt dabei (im Unterschied zu Zug-um-Zug-Geschäften bei Sachen) der Vollzug des Tausches in der Zukunft. Damit besteht Unsicherheit über den Wert eines Verfügungsrechts Aktie, Anleihe usw.; denn im Zeitpunkt der Tauschvereinbarung wird der Käufer im Regelfall andere Erwartungen hegen als der Verkäufer z.B. über die künftigen Geldzuflüsse aus einer Aktie, d.h. über Dividenden, Bezugsrechtserlöse, vor allem aber: über den künftigen Verkaufspreis zu einem im allgemeinen am Erwerbstag nicht bekannten Verkaufstag. Um die Tauschverhandlungen in einem Spotmarkt zu vereinfachen, haben sich einzelne Tauschkoordinationsformen herausgebildet. Modellmäßig seien drei Regelsysteme für die Ermittlung des Tauschverhältnisses unterschieden. Daran läßt sich erörtern, welche Ursachen für Einkommensunsicherheiten in Spotmärkten beseitigt werden können, und welche nicht. (1) Am Ende eines Markttages (z.B. am Schluß der Börsenzeit) wird einmalig durch einen Makler aufgrund der ihm zugefuhrten Angebotsmengen mit und ohne Preislimite und der Nachfragemengen mit und ohne Preislimite ein Tauschverhältnis festgelegt, das den Umsatzerlös (oder die Umsatzmenge) maximal werden läßt. Der Makler dient als Sammelstelle ftir Angebot und Nachfrage. Er erhält von beiden Marktparteien eine Provision, z.B. einen konstanten Promillesatz am Umsatz, evtl. auch einen Mindestbetrag und einen gestaffelten Promillesatz nach der Umsatzhöhe. Bei „bestens"-Verkäufen wird das Angebot immer abgesetzt, die Nachfrage immer befriedigt, falls nicht der „Markt zusammenbricht" (also die Notierung gestrichen wird). „Bestens"-Aufträge vermeiden, daß die Absatz- oder Beschaf61
Vgl. J.R. Hicks: Value and Capital. 2. Aufl., Oxford 1946, S. 135-138, der bei der Suche nach Gründen für ein Marktungleichgewicht zwischen spot economies und future economies trennt. Hier wird demgegenüber davon ausgegangen, daß es Marktgleichgewichte zumindest für Zukunftsmärkte nicht geben kann, weil die Folgen menschlichen Handelns unsicher und das Wissen unter den Marktteilnehmern ungleich verteilt und an jedem Markttag anders ist.
182
Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -beschajfung
fungsabsicht vergeblich war. Aber „bestens"-Käufe und „bestens"-Verkäufe erreichen die Sicherheit, daß die Absatz- oder Beschaffungsabsicht gelingt, nur um den „Preis" einer vollen Unsicherheit über den Preis. (2) Während eines Markttages bzw. der Börsenzeit erfolgt eine öffentliche Bekanntgabe eines Kaufpreises (Geldkurses) gleichzeitig mit einem Verkaufspreis (Briefkurs) durch einen Makler (market maker), der innerhalb der Börsenzeit diese Kurse bei fortlaufender Notierung der Abschlüsse auch ändern kann. Hier bestehe die Vergütung des Maklers in der Spanne zwischen Briefund Geldkurs, wobei ihm auch eigene Spekulationen ermöglicht werden. Diese in vielen Börsen verwirklichte Tauschkoordinationsform wird hier nicht näher untersucht, weil dazu eine Theorie über die Bestimmungsgründe für Spekulationen benötigt wird. Das Wissen darüber ist heute noch unvollkommen und wird ab S. 188 vorgestellt. (3) An dieser Stelle sei nur ein Modell des Spotmarktes erörtert, in dem ausschließlich im Preis limitierte Kauf- oder Verkaufsaufträge vorliegen und bis zum Beginn des Markttages bzw. der Börsenstunden jeder Marktteilnehmer Informationen verwerten kann, ohne daß Handlungsbeschränkungen durch vertragliche Bindungen zu Käufen oder Verkäufen bestehen; denn Lieferverträge auf Abruf oder früher getroffene Vereinbarungen, die an diesem Tag zu erfüllen sind (frühere Termingeschäfte), bestehen im Modell dieses Spotmarkts nicht. Ein solcher Modell-Spotmarkt bewahrt Anbieter und Nachfrager vor unangenehmen Überraschungen über die Preishöhe: Sie kaufen oder verkaufen zu ihrem Preislimit oder günstiger. Jedoch ruft die Preisgrenze eine andere Unsicherheitsursache hervor: Wer limitierte Aufträge abgibt, läuft Gefahr, wie ein in einer ehrlichen, verdeckten Ausschreibung beteiligter Handwerker leer auszugehen bzw. auf seinen Beständen sitzen zu bleiben. Wer Rohstoffe oder Zahlungsmittel nach einigen vergeblichen Angeboten oder Nachfragen unbedingt benötigt, muß „um jeden Preis" kaufen oder verkaufen. Die Wirtschaftsgeschichte zeigt starke Preisschwankungen auf allen Spotmärkten. Solche Preisschwankungen schlagen auf die Planung der künftigen Marktzufuhrhandlungen durch Produktion, Lagerung usw. durch. c) Zukunftsmärkte ergänzen Spotmärkte dahin, daß an einem Markttag Verfiigungsrechte gehandelt werden, um Termin-, Terminkontrakt- und Optionsgeschäfte über Spotmarktgegenstände, sowie deren Mischungen, durchzuführen. Zukunftsmärkte lassen sich nur durch Aufzählung ihrer Vertragsformen umschreiben, nicht durch die allgemeine Definition als Märkte, deren Absatzobjekte durch Anbieter Ansprüche auf künftige Lieferung oder Leistung an diesem oder jenem Ort sind. Ein solches Verständnis von Zukunftsmarkt wäre unzweckmäßig, weil dann jeder Finanzmarkt ein Zukunftsmarkt wäre. Damit wäre der Begriff Zukunfts-
Informationsänderungen durch Marktpreise
183
markt ungeeignet, die Unterschiede zwischen Kassageschäften und Terminbzw. Optionsgeschäften in Wertpapieren zum Ausdruck zu bringen. Zugleich müßte jeder Arbeitsvertrag in einem „Zukunftsmarkt" abgeschlossen sein, ebenso der Vertrag mit einem Architekten zum Bau eines Hauses. Zukunftsmärkte lassen sich auch nicht dadurch kennzeichnen, daß sie Gegengeschäfte zur Unsicherheitsminderung bei Spotmarkt-Geschäften (im allgemeinen Hedging genannt) und Spekulationen durch besondere Regelsysteme für eine Marktorganisation erleichtern 62 ; denn das weitere wird zeigen, daß Hedging im Sinne von Gegengeschäften, um Einkommensunsicherheiten zu verringern, und Spekulation im Sinne einer Investition in der Hoffnung auf Preisänderungen praktisch nicht getrennt werden können. Deshalb wird im folgenden der Begriff Zukunftsmarkt eingegrenzt auf drei Koordinationsformen von Wirtschaftsplänen: (1) Termingeschäfte liegen vor, wenn an einem Markttag über Spotmarktgegenstände ein Preis vereinbart wird, zu dem an einem künftigen Markttag der Spotmarktgegenstand gekauft oder geliefert werden muß. Der bei Termingeschäften gehandelte Spotmarktgegenstand kann ein Verfügungsrecht sein (z.B. Kauf oder Verkauf fremder Währungsbeträge zum Zeitpunkt in drei Monaten). Er kann auch eine Sache sein (z.B. Terminkauf von Kupfer, Kaffee usw.). (2) Ein Terminkontraktgeschäft liegt vor, wenn ein Terminkaufvertrag oder Terminverkaufsvertrag veräußert werden kann, ohne den Marktpartner zu fragen. Für einen Terminkontrakthandel ist es nötig, daß nicht nur die dem Vertrag zugrunde liegenden Sachen standardisiert sind, sondern auch die einzelnen Verträge als untereinander vertretbar gelten. Damit sind Unsicherheitsursachen, die in der Person des Marktpartners (z.B. seiner Zahlungsfähigkeit und -Willigkeit) begründet sind, durch Regeln ftir den Terminkontrakthandel auszuschließen. Marktverfassungen in Terminkontraktmärkten begegnen dieser Unsicherheitsursache dadurch, daß die Marktteilnehmer Zulassungsvoraussetzungen erfüllen müssen (insbesondere als zahlungsfähig gelten) und darüber hinaus vielfach Sicherheiten zu stellen haben, „Einschüsse" zu leisten sind. So ist z.B. neben einer Ersteinlage von 10% des Terminkontraktbetrages, bzw. bei solchen über festverzinsliche Wertpapiere von 3 % , ein bestimmter Prozentsatz des Betrages der „offenen" (nicht durch Gegengeschäfte abgesicherten) Posten aus Terminkontrakten zinslos bei der Abrechnungsstelle einer Terminbörse zu hin-
62
S o Holbrook Working: Futures trading and hedging. In: T h e American E c o n o m i c Review, Vol. 4 3 (1953), S . 3 1 4 - 3 4 3 , hier S. 315. In späteren Arbeiten weist er nach, daß H e d g i n g u n d Spekulation sich nicht trennen lassen, vgl. z.B. Holbrook Working: N e w concepts concerning futures markets and prices. In: T h e American E c o n o m i c Review, Vol. 52 ( 1 9 6 2 ) , S. 4 3 1 - 4 5 9 , hier S. 4 4 2 .
184
Einkommensunsicherheiten,
Informationsauswertung
und -beschaffung
terlegen. Bei einer Verzögerung in der Vertragserfüllung droht sofortiger Ausschluß aus dem Markt. Die Unterschiede zwischen Termingeschäft: und Terminkontraktgeschäft werden am Beispiel des Währungshandels deutlich: Am Devisenterminmarkt kann die Höhe des Betrages und die Fälligkeit unter Marktpartnern ausgehandelt werden (unter Banken, zwischen Banken und einzelnen Nicht-Bankenkunden usw.). Im Devisenkontrakthandel wird die Erfüllung der Verträge durch die Abrechnungsstelle der Terminkontraktbörse garantiert, so daß sich jene, die an Börsenteilnehmer Verkaufsaufträge über Terminkontrakte geben, und jene, die Kaufaufträge über Terminkontrakte ausgeführt haben wollen, nicht kennen. Während auf dem Terminmarkt mehr als 90% der Verpflichtungen durch tatsächliche Lieferung erfüllt und nur der Rest durch Gegengeschäfte vor dem Fälligkeitszeitpunkt glattgestellt wird, sind es bei Devisenkontraktgeschäften weniger als 1%, die tatsächlich erfüllt werden, im Warenterminkontrakthandel rund 2% 63 . Das bedeutet, daß rund das 50-fache des „echten Warenumsatzes" eines Termingeschäfts beim Warenterminkontrakthandel durch Aufrechnung von Verträgen, ohne Realtausch, durchgeführt wird. Ein solches Schneeballsystem aus Termingeschäften und Gegengeschäften erklärt, warum bei einer Fehleinschätzung der künftigen Preisentwicklung sich in wenigen Wochen Milliardenverluste ansammeln können; insbesondere dann, wenn andere Marktteilnehmer die Schieflage erkennen und dagegen spekulieren, z.B. durch Anmietung von Tankeranlegestellen, um eine Realeindeckung zur Erfüllung von Erdölliefer-Kontrakten zu verhindern, und somit die spekulierende Unternehmung in noch mehr verlustbringende Gegenkontrakte treiben. (3) Im Optionshandel werden Ansprüche auf künftige Lieferung und Leistung erworben bzw. veräußert, wobei einer Marktpartei die Wahl bleibt, entweder den Vertrag zu erfüllen oder ihn verfallen zu lassen. Für dieses Wahlrecht ist dem Geschäftspartner ein Optionspreis zu zahlen. In dem Verzicht auf die Ausübung des Rechts, zu dem vorab vereinbarten Preis (Basispreis) zu kaufen oder zu verkaufen (so daß das „Recht" nicht zur Verpflichtung wird), liegt der Pfiff von Optionsgeschäften gegenüber Termingeschäften. Optionen gibt es in verschiedenen Erscheinungsformen, und sie erstrecken sich nicht nur auf Verfugungsrechte, wie Wertpapiere oder Währungsbeträge. Das Vorkaufsrecht an einem Grundstück ist z.B. ebenfalls eine Option. 63
Vgl. Manfred E. Streit, Ehrentraud Graw: Terminkontrakthandel. In: Marktökonomie, hrsg. von P. Oberender. München 1989, S. 531-570, hier S. 544. Für Terminkontrakte über verschiedene Nahrungsmittel nennen weniger als 1% B.A. Goss, B.S. Yamey: Introduction: The Economics of Futures Trading. In: T h e Economics o f Futures Trading, hrsg. von B.A. Goss, B.S. Yamey. 2. Aufl., London 1978, S. 1-59, hier S. 8.
185
Informationsänderungen durch Marktpreise
d) Im Hinblick auf eine Verringerung von Einkommensunsicherheiten durch Handeln in Zukunftsmärkten ist zwischen der isolierten Beurteilung von Spotund Zukunftsmarkthandlungen und Mischungen aus Spot- und verschiedenen Zukunftsmarktgeschäften zu unterscheiden: (1) U m zu beurteilen, wie sich Einkommensunsicherheiten bei Handlungen in Zukunftsmärkten gegenüber Handlungen allein in Spotmärkten verschieben, sind die Zeitpunkte auseinanderzuhalten, zu denen Entscheidungen getroffen werden bzw. zu treffen wären. Dazu sei ein Beispiel gebildet, in dem heute ein Termingeschäft
abgeschlossen wird, das einen Spotmarktabschluß in
drei Monaten ersetzt. (a) Das Termingeschäft beseitigt die Unsicherheit über den künftigen Spotmarktpreis, weil dieser durch den heutigen Terminpreis ersetzt wird (soweit der Vertrag eingehalten wird). (b) Eine zusätzliche Unsicherheitsursache entsteht dadurch, daß die Erwartungen des Nachfragers heute „in drei Monaten wird diese Menge benötigt" bzw. des Anbieters: „... ist diese Menge zusätzlich abzusetzen" sich nach drei Monaten als falsch herausgestellt haben können. Durch die vertraglichen Bindungen an ein Termingeschäft wird insoweit Anpassungsfähigkeit an künftig zugehendes Wissen „verkauft". Das erst künftig zugehende Wissen führt zu einem heute noch nicht planbaren Überschußangebot (wenn auf Termin zuviel gekauft, zuwenig verkauft wurde) bzw. zu einer nicht planbaren Überschußnachfrage (wenn auf Termin zuwenig gekauft, zuviel verkauft wurde). Jenseits von „bestens"-Käufen und -Verkäufen verlagern Spotmärkte cherheiten Nachfragerj
über die Höhe des Mindestpreises
darauf, ob er überhaupt zum Zuge kommt, während
die Unsicherheit herbeifuhren
des Absatzes oder der Beschaffung
vermeiden,
über den Preis, der im künftigen Lieferzeitpunkt
(2) Bei gemeinsamen
Unsi-
beim Anbieter (des Höchstpreises
Spot- und Optionsgeschäften
beim
Zukunftsmärkte aber
Unsicherheit
zu erzielen
wäre.
erwirbt z.B. ein Investor ei-
ne Aktie am Kassamarkt sowie zugleich eine Verkaufsoption und verkauft eine Kaufoption. Wenn der Preis einer Kaufoption gleich dem einer Verkaufsoption ist, dann erreicht der Investor ein risikoloses Portefeuille bis auf den Verlust der Transaktionskosten, d.h. bis auf die Differenz zwischen zu zahlendem Bruttoverkaufsoptionspreis und dem eingehenden Nettoerlös aus dem Verkauf der Kaufoption. Der Beweis ist einfach: (a) Falls bis zum Fälligkeitstag der Kassakurs gestiegen ist, wird am Fälligkeitstag der Investor die erworbene Verkaufsoption nicht ausnutzen. Andererseits wird er die Verpflichtung aus der veräußerten Kaufoption erfüllen müssen. Dafür gibt er das in tQ kassa erworbene Wertpapier hin. Damit ist in t j sein Wertpapierbestand null, und die Ausgabe für die erworbene Kaufoption wird durch die Einnahme aus der veräußerten Verkaufsoption ausgeglichen.
186
Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -beschaffung
Der Investor hält damit in tj kein risikobehaftetes Wertpapier mehr, und er hat nichts verloren. (b) Falls bis zum Fälligkeitstag der Kassakurs gefallen ist, wird der Investor am Fälligkeitstag die erworbene Verkaufsoption ausnutzen: Er verkauft das erworbene Wertpapier zum vereinbarten Preis. Andererseits wird er die Verpflichtung aus der verkauften Kaufoption nicht zu erfüllen brauchen, weil der Erwerber der Kaufoption billiger auf dem Kassamarkt kaufen kann. Auch in dieser Zukunftslage ist sein Bestand an risikobehafteten Wertpapieren in tj null, und die Ausgabe für den Erwerb der Verkaufsoption wird durch die Einnahme aus der Veräußerung der Kaufoption gerade ausgeglichen, solange der Preis der Verkaufsoption dem Preis der Kaufoption entspricht. Sobald allerdings irgendwelche Börsenspesen, Porto- und Versicherungsgebühren auftreten, Kredit-Sollzinsen und Geldanlage-Habenzinsen auseinanderfallen, läßt sich das risikolose Portefeuille nicht mehr aufrechterhalten. An seine Stelle tritt ein Verlust, dessen Höhe von der Häufigkeit und Größe der Portefeuilleumschichtungen im Zeitablauf abhängt, also durch die Kursbewegungen mitbestimmt wird.
(3) Gemeinsame Spot- und Termin- bzw. Term in kontraktgeschäfte dienen zum einen zur Vermeidung „offener Posten"; zum anderen verkörpern sie bewußt unsicherheitsbeladene Spekulationen, soweit „offene Posten" bleiben. Ein offener Posten liegt z.B. vor, wenn eine als sicher geltende Währungsforderung über 1 Mio. Dollar, fällig in einem Jahr, besteht und die Unternehmungsleitung das Wechselkursrisiko vermeiden will. Der „offene Posten" verschwände durch Verkauf der Forderung aus der Bilanz. Das Wechselkursrisiko kann aber auch dadurch beseitigt werden, daß fur den Fälligkeitstag der Forderung ein Devisentermin-Verkaufskontrakt in gleicher Höhe abgeschlossen wird. Dann bestehen zwar in der.Bilanz eine Forderung von 1 Mio. Dollar und eine Verpflichtung über 1 Mio. Dollar zum gleichen Fälligkeitstag, aber das Wechselkursrisiko ist beseitigt: umgewandelt in einen DM-Betrag, der dem Devisenterminkurs für den Fälligkeitstag mal 1 Mio. Dollar entspricht. Die Beseitigung der Unsicherheitsursache „Wechselkursrisiko" erfolgt dabei, ohne selbst Erwartungen über die Dollarkurse am Fälligkeitstag anzustellen und daraus eine zielentsprechende Entscheidung herzuleiten. Dieses passive Verhalten vereinfacht die Entscheidungsprobleme („reduziert Komplexität"), aber u.U. zu Lasten der Verwirklichung von Spekulationsgewinnen. e) Hedging wird in der Praxis meist als Gegengeschäft zur Vermeidung einer Unsicherheitsursache (z.B. Wechselkursänderung) bezeichnet. Genauer bezeichnet Hedging das Benutzen von Terminkontrakten oder Optionen als zeitweise Substitute für Verträge, die sonst in Spot- oder Terminmärkten abgeschlossen werden. Bei Hedging werden mindestens zwei Märkte betreten: Das
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gemeinsame Spotmarkt- und Optionsgeschäft S. 185 f. läßt sich als ein Beispiel für Hedging deuten. Allerdings lohnt sich praktisch das dort erläuterte Vorgehen nicht, um eine risikolose Position zu erreichen: Es fiihrtzu sicherem Verlust. Das Ausschalten einer Unsicherheitsursache durch Hedging bedeutet noch keine Verringerung von Einkommensunsicherheiten. Dies sei an einem Beispiel erläutert, indem eine Unternehmung heute einen Vertrag über Auftragsfertigung abschließt, wobei sie Rohstoffe verarbeitet, die sie (wegen derzeit laufender anderer Aufträge) erst in drei Monaten benötigt. Die Rohstoffe kann sie entweder am Tag der Auftragserlangung in einem Kassageschäft erwerben oder über ein Warentermingeschäft mit Lieferung in drei Monaten, oder sie wartet mit dem Kauf der Rohstoffe bis zum Bedarfszeitpunkt in drei Monaten. Welcher Kassapreis im Bedarfszeitpunkt nach drei Monaten besteht, ist nicht bekannt. Zur Vereinfachung des Beispiels sei hier und im weiteren von einem Kauf bis zum Bedarfszeitpunkt (also während der Lieferzeit eines heute abzuschließenden Termin- oder Terminkontraktgeschäftes) abgesehen. Ausgeklammert bleibt somit die Unsicherheit der Preisbewegungen bis zum Bedarfizeitpunkt Kassakauf heute und Terminkauf heute beseitigen die Unsicherheit über die Höhe der Rohstoffausgaben. Sie lösen nicht das Wahlproblem, ob ein Kassakauf erst am Bedarfstag vorteilhafter wäre. Um die aus einem Aufschieben des Rohstoffkaufs bis zum Bedarfszeitpunkt folgende Unsicherheit über die Rohstoffausgaben einzugrenzen, ist der Abschluß eines Gegengeschäfts zu prüfen. Dieses bestehe darin, daß im Zeitpunkt der Auftragserlangung neben dem Kassakauf zum Preis a ein Terminverkaufskontrakt, fällig am Bedarfszeitpunkt, abgeschlossen wird. Im Beispiel bringe der Terminverkaufskontrakt in t 0 eine Einnahme b und lädt die Verpflichtung auf, in drei Monaten zu liefern. Der Einfachheit halber wird nur eine Mengeneinheit betrachtet bzw. angenommen, daß die gehandelten Mengen in Spot- und Zukunftsmarkt gleich groß sind. Zu prüfen ist: Kann durch ein solches Gegengeschäft die Unsicherheit über den Kassapreis im Bedarfszeitpunkt verringert werden? Ob aus der Verknüpfung von Kassakauf heute und dem Gegengeschäft in Form eines Terminverkaufskontrakts Gewinn oder Verlust erwächst, folgt zum einen von der Differenz der beiden Preise: b - a; zum anderen hängt dies ab von zwei unbekannten künftigen Preisen: dem Kassapreis χ am Bedarfstag und den Ausgaben zur Erfüllung des Terminverkaufskontraktes y. Beide werden nahe beieinander liegen, weil ein Terminkontrakt nicht nur durch Aufrechnung, sondern auch durch reale Lieferung erfüllt werden kann (wenngleich dies die Ausnahme ist, S. 184 63 ). Preisabweichungen folgen aber daraus, daß Ort, Zeit und Qualität bei Lieferung einen kleinen Spielraum einräumen. Bei Aufrechnung kann der Preis für einen Terminkontrakt im Bedarfszeitpunkt „Kauf mit späterem Verkauf sich vom Kassapreis desselben Tages unterscheiden.
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und-Beschaffung
Ob dieses Hedging zu Gewinn oder Verlust fuhrt, hängt im Entscheidungszeitpunkt neben Zins-, Lager- und anderen Kosten des Markthandelns ab von zwei Preisdifferenzen: (1) einer bekannten: den Einnahmen aus dem Terminverkaufskontrakt abzüglich dem Kassapreis heute: b - a, und (2) einer unbekannten: den ersparten Ausgaben fiir die Beschaffung am Bedarfstag abzüglich der Ausgaben zur Erfüllung des Terminverkaufskontrakts: x
- y·
Hedging ist also auch eine „Spekulation", die zu Verlusten und Gewinnen fuhrt, je nachdem, wie sich die künftigen Kassa- und Terminkontraktpreise entwickeln. Deshalb ist Hedging nur dann im Planungszeitpunkt vorteilhaft, wenn es zu Zukunftslagen fuhrt, die es im Hinblick auf eine bevorzugte Entscheidungsregel unter Ungewißheit dem Kassa- oder Terminkauf überlegen erscheinen läßt. Es ist keineswegs erwiesen, daß ein Hedging zu einer Risikominderung führt. Eine behauptete Risikominderung wird durchweg mit der fragwürdigen Messung der Unsicherheit über die Varianz bzw. Streuung belegt, ohne deren enge Anwendungsvoraussetzungen zu beachten. Hedging stellt eine unsicherheitsbeladene Investition dar, die wie jede andere bei der Zusammenstellung eines zielentsprechenden Investitionsprogramms abzuwägen ist*^. Hedging ist insbesondere dann unterlegen, sobald sich der „Terminmarkt" in der Prognose irrt über die Richtung der Preisänderung gegenüber dem Spotmarkt. Da eine Entscheidung für oder gegen Hedging sinnvollerweise Erwartungen über künftige Spot- und Terminmarktpreise am Fälligkeitstag zu berücksichtigen hat, verwundert nicht, daß auf Terminmärkten im Regelfall nur teilweise Gegengeschäfte zur Unsicherheitsverringerung erfolgen. Vielmehr werden sowohl offene Posten begrenzt als auch offene Posten neu eröffnet oder erweitert. Hinzu treten Marktprozesse, bei denen offene Posten für unterschiedliche Fälligkeitszeitpunkte gehalten oder eingegangen werden zu gleichen oder unterschiedlichen Beträgen (mitunter straddle oder spreading genannt, die Begriffe werden aber unterschiedlich benutzt). Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, im Zeitablauf nach verändertem Wissensstand durch Termingeschäfte oder Optionen mit kürzerer Laufzeit als die ursprünglich eingegangenen offenen Posten diese „glattzustellen". 64 Vgl. Charles T. Howard, Louis J. D'Antonio:A Risk-Return Measure of Hedging Effectiveness. In: Journal of Financial and Quantitative Analysis, Vol. 19 (1984),S. 101-112; zu den einzelnen Hypothesen über Hedging und ihren Testversuchenj4yra/ww Kamara: Issues in Futures Markets: A Survey. In: The Journal of Futures Markets, Vol. 2 (1982), S. 261-294; zur Diskussion optimaler Hedge-Relationen im Sinne der Risikonutzentheorie vgl. z.B. Asim Ghosh: Hedging with Stock Index Futures: Estimation and Forecasting with Error Correction Model. In: The Journal of Futures Markets, Vol. 13 (1993), S. 743-752.
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Die Vielfalt an Kombinationsformen (z.B. in Form von Finanzinnovationen bzw. „financial futures") verschiebt bei gegebenen Erwartungen über die künftigen Preise die Zahlungsströme der Investitionen in den einzelnen denkbaren Zukunftslagen. W i e sich dabei die Einkommensunsicherheiten für Anbieter und Nachfrager einer solchen „Finanzinnovation" verlagern, ist nur bei Kenntnis der jeweiligen Erwartungen über die künftigen Kurse zu erkennen: durch Niederschrift der Zukunftslagen-abhängigen Zahlungsströme während des gesamten Planungszeitraums u n d deren Auswertungen mittels einer vorausgesetzten Entscheidungsregel unter Ungewißheit. Da zusätzlich noch eine Gewichtung von Informationsrisiken neben der Zinsberücksichtigung erfolgen müßte, wundert nicht, daß diese mühselige Aufgabe praktisch regelmäßig unterbleibt.
2. Preise in Zukunftsmärkten als Informationen über künftige Spotmarktpreise? a) Inwieweit bieten die Termin- und Optionspreise an einem Markttag Informationen über die Höhe der künftigen Spotmarktpreise am Fälligkeitstag der Termin-, Terminkontrakt- oder Optionsgeschäfte? (1) U m die Frage zu beantworten, ist zunächst zu prüfen: Können Spotmarktpreis heute und Terminpreis heute übereinstimmen? Betrachtet sei als Marktgegenstand ein Verfügungsrecht, dessen heutiger Spotmarktpreis sich ausschließlich durch den Barwert eines einzigen künftigen Marktpreises bestimmt. Musterbeispiele sind ein Zero-Bond oder eine Grundstücksspekulation mit fest vorgegebenem Verkauf am Fälligkeitstag eines Termingeschäfts. Alle zwischenzeitlichen Zahlungssalden seien der Einfachheit halber gleich Null gesetzt. Hier ist der Spotmarktpreis heute zu deuten als ein Sicherheitsäquivalent der Barwerte des künftigen Spotmarktpreises in den einzelnen alternativen Zukunftslagen, wie sie für den Fälligkeitstag des Termingeschäfts erwartet werden. In diesem Fall ist der Terminpreis heute auch als Sicherheitsäquivalent der Barwerte der denkbaren künftigen Spotmarktpreise zu verstehen. Beide müssen übereinstimmen, wenn alle Marktteilnehmer über die gleichen Erwartungen verfugen, den gleichen Zinssatz für die Abzinsung benutzen und dieselbe Risikonutzenfunktion anwenden. Erwarten einzelne Unterschiedliches, z.B. über die Höhe der Zinssätze fiir die jeweilige Restlaufzeit, werden Spotmarktu n d Terminpreis heute differieren, weil der Kauf des Zerobonds oder des Grundstücks auf Termin während der Laufzeit andere Handlungsmöglichkeiten eröffnet als der sofortige Erwerb. Jenseits dieses übervereinfachten Beispiels gilt: Spotmarktpreis heute und Terminpreis heute können allenfalls zufällig gleich sein. (2) Sowohl fiir den gegenwärtigen Spotmarktpreis als auch fiir den gegenwärtigen Terminpreis ist offen, ob sie eine verläßliche Information für die H ö h e eines künftigen Spotmarktpreises darstellen. W e n n ein Marktpreis heute einen
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Indikator fur einen künftigen Spotmarktpreis bietet, dann ist es zunächst der Terminpreis (oder auch ein Optionspreis), weil für dessen Höhe die Mehrzahl der Preiseinflußgrößen bis zum Fälligkeitstag eines Termingeschäfts vernachlässigt werden kann. Doch auch der Terminpreis heute liefert nur unter engen Modellannahmen, wie rationalen Erwartungen (S. 133 f.), eine verläßliche Information über einen künftigen Spotmarktpreis; nicht aber fur die Realität, wie das weitere zeigen wird. Damit zeigt auch eine positive oder negative Differenz zwischen Spotmarktpreis heute und Terminpreis heute nur Vermutungen über die Richtung von Preisänderungen an. b) Im Schrifttum über Zukunftsmärkte werden häufig den Marktteilnehmern, die Unsicherheit über künftige Preise abgenommen haben wollen (Hedgern), „Spekulanten" gegenübergestellt, welche die Unsicherheit übernehmen. Solche Spekulanten erbringen eine Art „Versicherungsleistung", obwohl keine Versicherung im technischen Sinne vorliegt. Diese würde einen Ausgleich möglicher Verluste und Gewinne durch eine große Zahl gleichartiger, sich wiederholender Geschäftsvorfälle und eine Höchstschadensbegrenzung im Einzelfall verlangen. Vielmehr übernehmen in Zukunftsmärkten die sog. „Spekulanten" versicherbare und nicht-versicherbare Risiken: Sie üben die Unternehmerfunktion des Suchens nach Arbitrage- bzw. Spekulationsgewinnen durch Ausnutzen zeitlicher Preisunterschiede aus (S. 67). Die Trennung zwischen Hedgern und Spekulanten bleibt praktisch fragwürdig, weil Hedging nur einzelne Unsicherheitsursachen zu beseitigen erlaubt und bei einer vernünftigen Planung von „spekulativen" Preiserwartungen nicht abzusondern ist (S. 187 f.). Um die Behauptung zu erörtern, ob Preise in Zukunftsmärkten Informationen über künftige Sportmarktpreise liefern, sei dennoch die Sprachregelung Hedger/Spekulanten übernommen. (1) Eine erste Modellüberlegung dazu lautet: Risikoscheue Hedger zahlen weniger risikoscheuen Spekulanten eine Risikoprämie fur die Abnahme der Unsicherheitsursache „Preisänderung im Spotmarkt am Erfüllungstag eines Termingeschäfts gegenüber dem Terminpreis heute". Die Differenz zwischen Spotmarktpreis heute und Terminpreis heute wird die Risikoprämie übersteigen, sofern Zins- und Lagerkosten zu berücksichtigen sind. Vernachlässigt werden im folgenden die Kosten der Informationsbeschaffung und -auswertung, die Hedger und Spekulant aufbringen müssen, um sich verläßliche Erwartungen über den künftigen Spotmarktpreis zu bilden. Die Modellüberlegung geht davon aus, Hedger und Spekulant würden eine personale Wahrscheinlichkeitsverteilung des künftigen Spotmarktpreises am Fälligkeitstag eines Termingeschäfts besitzen. (2) Der Hedger wird prüfen, ob ihm die von einem Spekulanten verlangte Risikoprämie fur die Abnahme einer Unsicherheitsursache „Preisänderung
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zwischen Terminpreis heute und künftigem Spotmarktpreis" vorteilhaft erscheint. Läßt sich die Risikonutzentheorie anwenden, so erscheint dem Hedger die Risikoprämie angemessen, wenn der Terminpreis heute seinem Sicherheitsäquivalent der Gegenwartswerte aus der Wahrscheinlichkeitsverteilung des künftigen Spotmarktpreises gleicht. Die Risikoprämie ist vorteilhaft, wenn der Terminpreis für den Nachfrager unter seinem Sicherheitsäquivalent liegt, für den Anbieter darüber. Beim Spekulanten gilt hingegen: Für ihn m u ß die gezahlte Risikoprämie größer, allenfalls gleich, sein der Differenz zwischen Terminpreis heute und seinem maximalen Spieleinsatz heute (S. 102); denn der Spekulant kauft gewissermaßen eine Art Lotterielos. (3) Im einfachsten Modell wird davon ausgegangen, daß der heutige Spotmarktpreis dem voraussichtlichen Spotmarktpreis am Bedarfstag (Erfüllungstag eines Termingeschäfts) gleicht. In diesem Fall wird für den Hedger wegen der Risikoprämie der Spotmarktpreis heute über dem heutigen Terminpreis liegen (backwardation oder deport; übersteigt demgegenüber der Terminpreis den Spotmarktpreis, wird die Differenz contango oder report genannt). Je kürzer die Laufzeit eines Termingeschäfts wird, umso geringer fallen die Zins- und Lagerkosten ins Gewicht. Zugleich wird angenommen, daß mit der Restlaufzeit die Risikoprämie sinkt. Unter diesen Annahmen wird sich im Zeitablauf der Terminpreis dem Spotmarktpreis annähern, und am Fälligkeitstag des Termingeschäfts m u ß voraussetzungsgemäß die Preisdifferenz verschwunden sein. Dieser Fall ist als „normal backwardation" bezeichnet worden 6 " 5 . Diese Preisentwicklung wird nicht mehr zutreffen, wenn erwartet wird, daß der künftige Spotmarktpreis vom gegenwärtigen abweicht. Sie gilt erst recht nicht, wenn im Zeitablauf neue Informationen eintreffen, die zu anderen Erwartungen über die Höhe des künftigen Spotmarktpreises führen. (4) W o r a u f ist eine Risikoprämie als Erklärungsbestandteil für eine Differenz zwischen Spotmarktpreis heute und Terminpreis heute zurückzufuhren? Folgende Einflußgrößen sind zu beachten: (a) Das Sicherheitsäquivalent des Hedgers gleicht dem maximalen Spieleinsatz des Spekulanten im Regelfall schon bei identischen Risikonutzenfunktionen beider nicht (S. 102). (b) Die in einer Risikonutzenfunktion abgebildete persönliche Risikoneigung der einzelnen Marktteilnehmer ist verschieden. Ist die Risikonutzentheorie nicht anwendbar, läßt sich von einer Quantifizierung der Risikoprämie schon aus entscheidungslogischen Gründen nicht sprechen (S. 128). Eine gezahlte Differenz zwischen Termin- u n d Spotmarktpreis kann nicht mehr in eine 65 Vgl. John Maynard Keynes: A Treatise on Money. Vol. 2: The Applied Theory of Money. London 1930, S. 142-144.
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Risikoprämie im Sinne von Wagniskosten und erhofften Spekulationsgewinn aufgeteilt werden. (c) Die Erwartungen über künftige Spotmarktpreise und über die Höhe der Abzinsungssätze im Zeitablauf differieren zwischen Hedgern und Spekulanten. Sobald „homogene" Erwartungen „heterogen" werden, besteht kein Marktpreis für die Risikoübernahme. Erneut vermischen sich gezahlte Differenz zwischen Termin- und Spotmarktpreis und erhoffter Spekulationsgewinn unauflöslich. Darüber hinaus sind Unterschiede von Belang (d) im Planungszeitraum und hinsichtlich der erwogenen Verkaufszeitpunkte während der Laufzeit des Termingeschäfts, ferner (e) im Bedarf (Verbrauch) von Sachen und den Erwartungen hierüber im Zeitablauf sowie (f) abweichende Einschätzungen von weiteren Einnahmen und Ausgaben bis zum Verkaufszeitpunkt. Diese Überlegungen machen verständlich, warum in empirischen Märkten (vor allem in Warenterminmärkten) die Suche nach einer Risikoprämie teilweise als gescheitert gilt, jedenfalls aber zu keinen eindeutigen Ergebnissen geführt hat . c) Der Spekulation im Sinne der Übernahme einer Unsicherheitsursache von Hedging-Suchenden wird folgende Aufgabe zugeordnet: Spekulanten sollen überraschende Mehr- oder Mindernachfragen oder unverhoffte Mehr- oder Minderangebote befriedigen und durch ihr Auftreten als zusätzliche Anbieter oder Nachfrager Preisausschläge als Folge von Überraschungen („shocks") dämpfen. Solche Spekulanten erhöhen die sog. Liquidität des Marktes. In diesem Zusammenhang heißt „Liquidität" nicht Zahlungsfähigkeit einer Person oder Unternehmung, sondern mit Liquidität des Marktes ist gemeint, daß ohne kräftige Preisänderungen ein zusätzliches Angebot abgesetzt, eine zusätzliche Nachfrage befriedigt wird. „Liquidität des Marktes" erhöht z.B. ein Makler, der Eigengeschäfte tätigt (market-maker, S. 182). Diesen Spekulanten wird eine die Preisbewegungen im Zeitablauf dämpfende Aufgabe zugewiesen: Spekulation wirkt preisstabilisierend67. Eine preisstabilisierende Spekulation erhöht fur NichtSpekulanten den Informationsgehalt gegenwärtiger Preise in Spot- und Zukunftsmärkten zur Vorhersage 66
Vgl. Roger W. Gray: The Search for a Risk Premium. In: The Journal of Political Economy, Vol. 69 (1961), S. 250-260, sowie die weiteren Quellen bei Kamara: Issues (S. 188 6 4 ), S. 270-284, S. 288; Risikop rämien nachgewiesen zu haben behaupten Jisoo Yoo, G.S. Maddala: Risk Premia and Price Volatility in Futures Markets. In: The Journal of Futures Markets, Vol. 11 (1991), S. 165-177, bes. S. 173.
67
Betont z.B. von John Stuart Mill: Principles of Political Economy. 7. Aufl., London 1871, Nachdruck New York 1965, 4. Buch, Kap. 2, § 4-5, S. 704-709.
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künftiger. Eine preisdestabilisierende Spekulation vergrößert Häufigkeit und Ausschläge von Preisänderungen. Sie verringert den Informationsgehalt gegenwärtiger Marktpreise. Mit diesen Aussagen zur preisstabilisierenden und preisdestabilisierenden Spekulation wird jedoch kaum mehr als eine Definition gegeben. Ausschlaggebend ist vielmehr die Antwort auf die folgende Frage: Schwächt Spekulation Preisschwankungen im Zeitablauf ab oder vergrößert sie Häufigkeit und Ausschläge von Preisänderungen? Im zweiten Fall vermindert Spekulation die sog. Liquidität des Marktes. (1) Gesetzt den Fall, es bestehe ein zunächst markträumender Gleichgewichtspreis und als empirische Gesetzmäßigkeit in einem Ungleichgewicht eine Tendenz zum Gleichgewicht im Zeitablauf. Zusätzliche Nachfrage trete überraschend auf. Spekulanten decken eine zusätzliche Nachfrage zu einem wenig erhöhten Preis, wenn sie selbst Lager gehalten haben; allerdings nur dann, wenn sie nicht erwarten, später zu für sie noch günstigeren Preisen zu verkaufen. Nur bei bestimmten Preiserwartungen der Investoren werden die Preisausschläge als Folge zusätzlicher Nachfrage geringer sein als dann, wenn niemand eine solche Arbitrage- oder Spekulationsfunktion im Hinblick auf die Zeit oder auch den Marktort übernimmt. (2) Von einem markträumenden Marktgleichgewichtspreis auszugehen, ist eine modellmäßige Setzung, die das Problem der Preisbildung in den einzelnen Tauschkoordinationsformen ausklammert. Empirische Untersuchungen darüber, ob Spekulationen Preisschwankungen im Zeitablauf dämpfen oder steigern, müßten einen beliebigen (Ungleichgewichts-)Preis zugrunde legen. Hierfür fehlen jedoch Antworten auf die Frage: Bedarf es der Spekulation, damit Tauschvereinbarungen stattfinden, die den Umsatz in diesem Markt maximieren und bei dem zustande kommenden Einheitspreis Angebot und Nachfrage aus dem Markt räumen? Eine bejahende Antwort wäre zudem an die Existenz einer empirischen Gesetzmäßigkeit „Tendenz zum Gleichgewicht" gebunden, die unter Unsicherheit kaum vorstellbar ist (S. 64 73 ). Selbst wenn die Anbieter und Nachfrager ihre Preisgrenzen offenbaren würden, bliebe eine Markträumung aus, wenn zu jedem Preis mehr angeboten als nachgefragt wird. Noch weniger kann eine Markträumung erwartet werden, wenn einzelne Marktteilnehmer Preis- und Mengenofferten abgeben, hinter denen sie ihre Mindest- oder Höchstpreisvorstellungen verbergen, um günstig einzukaufen („Konsumentenrenten" zu erlangen) oder vorteilhaft zu verkaufen („Produzentenrenten" zu verdienen). Demzufolge erscheint die Antwort offen, ob Handel in Spot- und Zukunftsmärkten die Preisentwicklung im Zeitablauf verstetigt oder nicht: also Informationen zu einer besseren Vorausschau bietet. (3) Die unbewiesene Aussage vorausgesetzt, Spekulanten erhöhten die Liquidität des Marktes und förderten so die Räumung des Marktes von Angebot und
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Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -heschajfung
Nachfrage an einem Markttag, ist behauptet worden: Nur gewinnbringende Spekulationen verstetigen die Preisentwicklung; eine Spekulation, welche die Preisschwankungen erhöhe, sei nicht profitabel 68 . Trifft diese Hypothese zu? Offenkundige Gegenbeispiele sind z.B. durch Täuschungsmanöver erzeugte Preisschwankungen. In Erwartung eines Herdentriebs unter anderen Marktteilnehmern werden jene Spekulanten gewinnen, die Preise destabilisieren, da sie nüchtern die „Mobpsychologie" der Nachlaufenden ausnutzen. Aber bei allen empirischen Prüfungen von Hypothesen widerlegen „augenscheinliche" Gegenbeispiele eine Hypothese dann nicht, wenn auf die Prämissen für das Modellergebnis geachtet wird, aus denen sich eine Hypothese herleitet. Um die Hypothese „Nur gewinnbringende Spekulationen verstetigen die Preise" vorläufig zu bestätigen oder zu widerlegen, sind zunächst die Modellvoraussetzungen aufzulisten, unter denen die Hypothese als Modellergebnis logisch zwingend ist. Da im Modell rationales Handeln aller unterstellt wird, ist eine Mobpsychologie der Nachlaufenden (Bandwagoneffekt) ausgeschlossen. Ohne hier in die Einzelheiten zu gehen, läßt sich sagen: Wenn in einem Spotmarkt Angebot und Nachfrage von Nicht-Spekulanten im Zeitablauf als von außen vorgegeben gilt, werden dann Spekulanten nichts verdienen können, wenn sie und die Nicht-Spekulanten (a) alle kostenlos verfügbaren Informationen ausnutzen, (b) nicht über nur ihnen zugängliche private Informationen (Insiderwissen) verfugen, (c) rational nach Gewinn streben und (d) kein Marktteilnehmer über Marktmacht durch Behinderung des Marktzutritts oder Marktaustritts anderer verfugt oder die Tauschkoordinationsform nach seinen Interessen bestimmt. Spekulanten können (jenseits von Zufallstreffern) nur dann gewinnen, wenn die ohne ihre Mitwirkung zustandekommenden Marktpreise Fehleinschätzungen der künftigen Preisentwicklung durch andere Marktteilnehmer widerspiegeln. Dabei werden nur jene Spekulanten diese Fehleinschätzungen erkennen und zu wiederholten Malen ausnutzen können, die sich Informationen beschaffen und Können bei der Informationsauswertung erwerben. Dazu veranlaßt berufsmäßige Spekulanten insbesondere die Gefahr, durch Eigengeschäfte Vermögen zu verlieren69. Als Marktinsider werden Makler und andere Börsenhändler berufsmäßig zumindest alle öffentlich zugänglichen Informationen auswerten, was Nicht-Marktinsidern regelmäßig schon unmög68
Vgl. Milton Friedman: In Defense of Destabilizing Speculation. In: The Optimum Quantity of Money and Other Essays. London 1969, S. 285-291, hier S. 287; zu einer Literaturübersicht hierüber vgl. Goss, Yamey: Introduction (S. 184 63 ), S. 34-38. 69 Vgl. Alfred Marshall: Principles of Economics. 8. Aufl., London 1920 (Nachdruck 1961), S. 278.
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durch
Marktpreise
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lieh ist 7 0 . Gerade solche Spekulanten betreiben Wettbewerb als „Verwertung von Wissen". Dieser Sachverhalt stützt jedoch nicht die Behauptung, nur gewinnbringende Spekulationen verstetigen die Preisentwicklung, denn mehr Informationsbeschaffung und mehr Können bei der Informationsauswertung fuhren zu Spekulkationsgewinnen sowohl bei schwächeren als auch stärkeren künftigen Preisausschlägen. d) Zukunftsmärkte existieren, weil asymmetrische Information besteht und die Spekulationshoffnungen oder -enttäuschungen einiger die Grundlage dafür bilden, daß andere Gewinnmöglichkeiten gerade hieraus erkennen. Eine Untersuchung der Käufe und Verkäufe von rund 9.000 Spekulanten in GetreideTermingeschäften zwischen 1924 bis 1932 ergab, daß über 7 0 % Verluste erzielten und die Gesamtverluste das 6-fache der Gesamtgewinne überstiegen. Viele verzichteten auf weitere Termingeschäfte, bevor sie hohe Verluste oder hohe Gewinne machten. Ahnlich, aber nicht so gravierend, waren die Ergebnisse bei über 2.500 untersuchten Kunden einer Broker-Firma 7 1 . In beiden Fällen dürfte die Mehrzahl der „Spekulanten" aus Nicht-Marktinsidern bestanden haben. Zudem glaubt man empirische Belege dafür gefunden zu haben, daß in Termingeschäften für landwirtschaftliche Erzeugnisse unerwartete Nachrichten in ihren Preiswirkungen überschätzt, in Finanzmärkten hingegen eher im Durchschnitt unterschätzt werden 7 2 . Scheinbar im Widerspruch dazu behaupten statistische Untersuchungen, gerade in Zukunftsmärkten folge die Preisentwicklung einem Zufallspfad, so daß aus Vergangenheitspreisen keine verläßliche Prognose der künftigen Preisentwicklung abzuleiten sei. Diese Behauptung einer näherungsweisen „Informationseffizienz" der Preise in Zukunftsmärkten (S. 180) stützt sich in den Testmodellen auf das C A P M und andere Gleichgewichtsmodelle, die „homogene Erwartungen" voraussetzen. Baut ein statistisches Untersuchungsergebnis auf einem Testmodell mit der Unterstellung symmetrischer Information auf, so läßt es keinen Schluß darüber zu, wie bei asymmetrischer Information frühere und künftige Preise voneinander abhängen. Mit einem Zufallspfad und einer daraus behaupteten „Informationseffizienz" ist vereinbar, daß die besser informierten Marktinsider als Spekulanten die Wissensnachteile der NichtMarktinsider zu ihren Gunsten verwertet haben, also Gewinne aus Wissens70 Vgl. näher Schneider: Rechnungswesen (S. 31 2 ^), S. 269-271. 71 Vgl. Kamara: Issues (S. 188 6 4 ), S. 273.
72 Vgl. Christopher Κ. Ma, William H. Dare, Daria R. Donaldson: Testing Rationality in Futures Markets. In: The Journal of Futures Markets, Vol. 10 (1990), S. 137-152, hier S. 149.
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Informationsauswertung und -beschaffung
vorsprüngen erzielten. Die daraufhin beobachteten, ex post anscheinend einem Zufallspfad folgenden Preisschwankungen sind dann z.B. einfach als Folge der Unsicherheit in Form von Ex-post-Überraschungen zu erklären. Sie sind nicht auf das Handeln der Spekulanten zurückzufuhren. Deshalb hängt letztlich die Hypothese von der preisstabilisierenden Wirkung der Spekulation in der Luft, weil der Gegenbeweis durch Vergleich auf demselben Markt zur gleichen Zeit ohne Eingriffe von Spekulanten nicht geführt werden k a n n ^ . e) Ist das Handeln in Zukunftsmärkten besonders „spekulativ" im umgangssprachlichen (ethisch wertenden) Sinne, leistet es also Preistreibereien und Leichtfertigkeit Vorschub? Hinter dieser Frage verbirgt sich häufig eine moralische Wertung: Preisausschläge seien schlecht, Preisstetigkeit sei wünschenswert. D e m Anschein nach sichern unveränderte Preise ein gleiches Einkommen (falls sich die Kosten nicht ändern), zumindest aber scheinen sie künftiges Einkommen leichter berechenbar zu machen. (1) Doch dieses Werturteil ist zu bezweifeln: Preisstetigkeit ist in Form nicht veränderter oder wegen gesetzlicher Vorschriften nicht veränderbarer Preise dann von Nachteil, wenn Überschußmengen nicht abgesetzt oder Nachfragemengen nicht befriedigt werden können, also bei „Rationierung" der Verkaufsmengen durch vorgegebene, nicht veränderbare Preise. Anstatt Angebot oder Nachfrage über den Preis zu lenken, greifen dann Marktteilnehmer auf Korruption, Schwarzmarktgeschäfte usw. zurück. Deshalb muß hinsichtlich der Beurteilung von Preisausschlägen sorgfältiger formuliert werden: Nur jene Preisschwankungen sind von Nachteil, die Einkommensunsicherheiten erhöhen und falsche Preissignale fur die künftige Marktzufuhr setzen. Nur jene-verstetigten Preise sind von Vorteil, zu denen im Zeitablauf der Markt von Angebot und Nachfrage geräumt wird. Nicht Preisstabilität, sondern NichtVerschwendung knapper Mittel (Paretoeffizienz) ist ökonomisch von Belang 7 4 . Noch wichtiger erscheint, daß Märkte als Handlungssysteme das ungleich verteilte und beschränkte Wissen in einer Gesellschaft aufdecken, das niemand in seiner Gesamtheit kennt, also zum Abbau asymmetrisch verteilter Information beitragen. (2) Offenkundig falsch ist der Hinweis auf Preistreiberei, weil es neben der Spekulation auf eine Preissteigerung (ä la Hausse) auch Spekulationen auf einen Preisverfall gibt (ä la Baisse). Richtig ist lediglich, daß Händler mit Informationsvorsprüngen über eine künftige Verknappung eines Gutes diese durch 73 Vgl. Goss, Yamey: Introduction (S. 184 63 ), S. 35 f. 74 Vgl. Jean Tirole: Theories of Speculation. In: Financial Markets and Incomplete Information, hrsg. von S. Bhattacharya, G.M. Constantinides. Totowa 1989, S. 351-361, hier S. 353.
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Aufkäufe verstärken werden. Jene Spekulanten, die Marktmacht besitzen, können Angebot oder Nachfrage zurückhalten und insoweit Preisschwankungen verstärken und später ausnutzen. Solche Manöver sind aber in Spotmärkten allein eher durchzufuhren als in Spotmärkten mit ergänzenden Zukunftsmärkten, weil durch Zukunftsmärkte das Handelsvolumen steigt und weil jene, die berufsmäßig in Zukunftsmärkten tätig sind, im Regelfall sorgfältig alles vorhandene Wissen sammeln oder auswerten. Sie können Marktmacht durch Wissensvorsprünge einzelner damit eher begrenzen als Monopolisten oder Oligopolisten in einem Spotmarkt, denen auf der Marktgegenseite überwiegend Nicht-Spezialisten ausgeliefert sind. Der Sachverhalt, daß nicht alle Marktteilnehmer alle öffentlich zugänglichen Informationen kennen und in der Lage sind, diese zutreffend auszuwerten, gilt für einen wohlorganisierten Spotmarkt (z.B. eine amtliche Wertpapierbörse) ebenso wie für einen ausgefeilten organisierten Zukunftsmarkt (etwa die Optionsbörse in Chicago oder die verschiedenen Warenterminbörsen in der Welt). Dies gilt erst recht für kaum organisierte Märkte, in denen auch betrügerische „Vermögensverwalter" mit ihren Überredungskünsten Kasse machen. (3) Wirtschaftsgeschichtliche Beispiele gibt es zur Genüge, daß die menschliche Neigung zum Glücksspiel sich in Investitionen getummelt hat, deren Erfolgsaussichten und Verlustgefahren nicht durchdacht waren. Bekannte Beispiele sind die Tulpenzwiebel-Spekulation in Holland 1634-1638 oder John Laws Mississippi-Gesellschaft, deren Ende 1720 einen französischen Staatsbankrott einleitete. Das einige Jahrzehnte zuvor entwickelte Börsentermingeschäft schuf damals eine „Verwirrung der Verwirrungen"^, und fur viele nicht berufsmäßige Geldanleger gilt dies noch heute bei verschiedenen Finanzinnovationen. Vor Fehleinschätzungen der Zukunft ist niemand gefeit, und vor dem Hereinfallen auf Täuschungs- oder Betrugsmanöver anderer keineswegs alle berufsmäßigen „Marktinsider". So wird erzählt, daß zur Zeit der Schlacht bei Waterloo 1815, von deren Ausgang der Kurs britischer Staatsanleihen ausschlaggebend abhing, der Londoner Bankier Nathan Rothschild einen Brieftaubendienst einrichtete, um als erster über den Ausgang der Schlacht gegen Napoleon unterrichtet zu sein, dann angeblich an der Börse behauptete, alles sei verloren, um die Kurse zu drücken und selbst ein großes Geschäft zu machen. Weder der Brieftaubeneinsatz noch das Kursdrücken treffen zu 7 6 . Doch selbst dann, wenn die Fehlinformation der Börsenteilnehmer stattgefunden hätte, so wäre zu fragen: Mußten nicht Marktinsider mit einem solchen Verhalten rech75
Don Joseph de la Vega schrieb mit Confusion de Confusiones..., Amsterdam 1688, das älteste Buch über die Börse; hier zitiert nach Don Joseph de la Vega: Die Verwirrung der Verwirrungen. Übersetzt und eingeleitet von Otto Pringsheim. Breslau 1919. 76 Vgl. Virginia Cowles: Die Rothschilds. Würzburg 1974, S. 47 f.
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Einkommensunsicherheiten, Informationsauswertung und -beschaffiing
nen, also ihnen zugehende Nachrichten danach auswerten, daß sie die informationsverbreitende Gegenseite als fiir mindestens so schlau wie sich selbst halten (S. 144 f.)? Wirtschaftsgeschichtliche Einzelbeispiele, teilweise noch verfälscht, bieten jedenfalls kein stichhaltiges Argument gegen das Errichten von Zukunftsmärkten neben Spotmärkten. (4) Unbestreitbar ist, daß das Aufspringen auf einen fahrenden Zug steigender oder fallender Kurse (Bandwagoneffekt) zusätzliche Unsicherheitsursachen mit sich bringt. So ist im Kauf- oder Verkaufzeitpunkt unsicher, wie lange der Zug noch in die gleiche Richtung fährt. Sollen Gewinne erzielt, Verluste verringert werden, bedarf es (a) einer vernünftigen Auswertung der vorhandenen Informationen im Planungszeitpunkt. Dies gilt besonders dann, bevor auf Kredit gekauft wird. Hier ist zu beachten, daß bei Kursverfall die Kreditdeckung dahinschwindet und zu Notverkäufen zwingt. Es ist auf Liquiditätsvorsorge zu achten. (b) Daneben ist zu überlegen, wie andere Marktteilnehmer glauben werden, daß sich bis zum Planungshorizont künftige Preise entwickeln. (c) Zugleich bleibt bei allen in Märkten verbreiteten Informationen zu untersuchen, ob nicht bewußte Täuschungsmanöver versucht werden. f) Die Behauptung, daß die Preise in Zukunftsmärkten die hauptsächliche Quelle für die Entdeckung künftiger Spotmarktpreise seien, stützt sich darauf, daß alle anderen bekannten Indikatoren (wie Preistrends aus der Vergangenheit) theoretisch nur mit Annahmen zu begründen sind, die noch mehr Bauchschmerzen verursachen. Gegen den Informationsgehalt von Preisen in Zukunftsmärkten für künftige Spotmarktpreise äußern sich in letzter Zeit auch bei empirischen Untersuchungen Gegenstimmen 7 7 . Die Schwierigkeiten, hier Verläßliches zu erarbeiten, liegen darin: Nicht durch die Beobachtung und statistische Auswertung von Marktergebnissen in Spot- und Zukunftsmärkten allein kann beurteilt werden, inwieweit Preise fiir Verfügungsrechte in Zukunftsmärkten Änderungen künftiger Spotmarktpreise anzeigen. Vielmehr läßt sich ein Schluß von Vergangenem auf die Zukunft nur ziehen, wenn dazu Hypothesen zur Preisbildung als gültig vorgegeben werden. Eine Preistheorie fehlt bisher mit Preisbildungsmodellen, welche die einzelnen Tauschkoordinationsformen und damit Preisbildungsprozesse jenseits übervereinfachender Gleichgewichtsannahmen erklären. Erst recht mangelt es an der Übersetzung von Modellergebnissen in Musterbeispiele und diese modellgestützt verallgemeinernde Hypothesen.
77 Vgl. James T. Witherspoon: How Price Discovery by Futures Impacts the Cash Market. In: The Journal of Futures Markets, Vol. 13 (1993), S. 469-496, bes. 470, 488.
Institutionen und Informationsrisiken
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IV. Institutionen und Informationsrisiken a) Die Betriebswirtschaftslehre als Einzelwirtschaftstheorie der Institutionen baut auf einer methodologischen Vorentscheidung auf, die in mehreren Sozialwissenschaften benutzt wird: Institutionen in Form von Regelsystemen (Ordnungen) und Institutionen in Form von Handlungssystemen (Organisationen) erleichtern eine Vorhersehbarkeit künftiger Entwicklungen. Institutionen können so zu voraussichtlich geringeren Abweichungen zwischen beabsichtigter Zielerreichung und tatsächlicher Zielerreichung beitragen (S. 14-16). Dies heißt allerdings nicht, daß alle in der Realität zu findenden Institutionen dieser Aufgabe genügen. Diese Sicht zur Erklärung von Institutionen findet sich in der Anthropologie, Soziologie, Sozialpsychologie und Wirtschaftstheorie 1 . Wegen dieses interdisziplinären Kerns, auf den hin Institutionen untersucht werden, ist es falsch, aus der Beschränkung auf den Einkommensaspekt, ausgeformt durch das Forschungsleitbild der Verringerung von Einkommensunsicherheiten im hier benutzten Verständnis von Betriebswirtschaftslehre, eine „ökonomistische" Sichtweise oder einen Anwendungsfall von „ökonomischem Imperialismus" zu sehen; denn ein solcher versucht, alle menschlichen Handlungen aus Kosten-/Nutzenüberlegungen, also durch das Wirtschaftlichkeitsprinzip (durch entscheidungslogische Rationalität) zu erklären. Demgegenüber bemühte sich dieses Buch, die Grenzen entscheidungslogischer Rationalität zu zeigen. Es versuchte, die einengenden Annahmen zu nennen, die bestimmten, in der Wirtschaftstheorie gängigen Urteilen zukommen, z.B. über die Infor1
Vgl. in der Anthropologie z.B. Arnold Gehlen: Urmensch und Spätkultur. 2. Aufl., Frankfurt-Bonn 1964, S. 42; in der Soziologie z.B. Niklas Luhmann: Normen in soziologischer Perspektive. In: Soziale Welt, Bd. 20 (1969), S. 28-48, hier S. 37-41; in der Sozialpsychologie z.B. Ursula Brandt, Bernd Köhler: Norm und Konformität. In: Sozialpsychologie, hrsg. von C.F. Graumann. 2. Halbband: Forschungsbereiche, Göttingen 1972, S. 1710-1789, hier S. 1737; in der Wirtschaftstheorie z.B. Ronald A. Heiner: The Origin of Predictable Behavior. In: The American Economic Review, Vol. 73 (1983), S. 560-595, bes. S. 570-572. Gegen die These, Regelsysteme bzw. Normen entlasten gegenüber der Unsicherheit, wendet sich Karl-Dieter Opp: Die Entstehung sozialer Normen. Tübingen 1983, S. 129132. Dabei geht er von einer sinnentstellend weiten Definition aus („Wenn Unsicherheit bezüglich des Verhaltens anderer besteht, dann bilden sich Normen, die die Unsicherheit vermindern", S. 129), denn ein Problem ist gerade, ob und wann Normen oder andere Regelsysteme Unsicherheit vermindern. Ebensowenig folgt kein ernst zu nehmender Einwand gegen die These daraus, daß bei Glücksspielen der Reiz in der Ungewißheit liegt. Ungewißheit läßt sich auch nicht simpel in „kostspielige Ereignisse" übersetzen, „je sicherer diese Ereignisse erwartet werden". Vielmehr werden durch solche Formulierungen (daß Ungewißheit immer in Kosten übersetzbar sei) die Einsichten der Entscheidungstheorie mit den Füßen getreten.
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mationsfunktion von Tauschverhältnissen (die Signalfunktion von Preisen). Die Beschränkung auf den Aspekt des Einkommenserwerbs und der Einkommensverwendung unter unvollkommener, insbesondere asymmetrischer Information bezweckt vielmehr, aus beobachtbaren Handlungen zu ergründen, inwieweit diese durch einen solchen „wirtschaftlichen" Gesichtspunkt erklärbar sind. b) Informations- und Entscheidungstheorie wurde hier verstanden als in Entscheidungsmodellen und deren Anwendungsvoraussetzungen ausgeformte Problemlösungsideen für die gedankliche Ordnung zweckbewußten Handelns unter den Erfahrungstatbeständen der Unsicherheit und einer Ungleichverteilung des Wissens. Der Fall angenommener Planungssicherheit ist dabei als lediglich didaktische Verstehenshilfe zu betrachten. Dieses Buch konzentrierte sich deshalb auf Entscheidungsmodelle unter Ungewißheit und deren Informationsanforderungen. Planung unter Ungewißheit geht davon aus, daß der künftige Istzustand in der Menge der geplanten alternativen Zukunftslagen enthalten ist. Werden dabei Institutionen als Handlungsalternativen betrachtet, so stellen sich Fragen wie: Soll diese oder jene gesetzliche oder vertragliche Regelung gewählt, diese oder jene Organisation verwirklicht werden? Ob unter unvollkommener, insbesondere asymmetrischer Information bei der Wahl zwischen solchen Regelungen eine geringere Abweichung des beabsichtigten Einkommenserwerbs von der tatsächlichen Einkommens- oder Gewinnverwirklichung erreicht wird, läßt sich zunächst durch Überlegungen zur Messung von Einkommensungewißheit zu bestimmen versuchen. Diese Messung verlangt eine entscheidungslogische Präzisierung der umgangssprachlichen Begriffe von risikoärmeren oder risikoreicheren Handlungsalternativen. Welche Fülle an einengenden entscheidungslogischen Annahmen nötig ist, um Einstufungen über „mehr oder weniger ungewiß" (also über Risikograde) zu kennzeichnen, ist ab S. 115 dargestellt worden. Daraus folgen zugleich Grenzen fur die Aussagefähigkeit praktisch gängiger Berechnungen von kritischen Werten bzw. von Änderungen der Entscheidungsparameter durch Sensitivitätsanalysen. Bei Sensitivitätsanalysen werden in eine Entscheidungsrechnung unterschiedliche Annahmen über die Bestimmungsgründe der Zielbeiträge eingesetzt: in Investitionsrechnungen z.B. verschiedene Kalkulationszinsfuße oder unterschiedliche Annahmen über die Bestimmungsgrößen für die Einnahmen oder Ausgaben im Zeitablauf. Als kritische Werte gelten dann z.B. ein Kapitalwert von null oder jene Nutzungsdauer, bei der die aufgezinsten Einnahmen die aufgezinsten Ausgaben erstmals erreichen (Amortisationsdauer), aber auch im statischen Modell jene Ausbringungsmenge, bei der die fixen und variablen Kosten erstmals durch die Erlöse gedeckt sind (break-even-point).
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Solche Berechnungen bieten einen Einblick in die Problemstruktur, falls diese zuvor nicht durchschaut wurde, z.B. wie stark Zins- oder Steuersatzänderungen auf das Ergebnis wirken und damit: ob man bei der Prognose der betreffenden Einflußgrößen mehr oder weniger Sorgfalt zur Informationsbeschaffung und -auswertung aufzuwenden hat. Einen Rückschluß auf die Entscheidung selbst erlauben Sensitivitätsanalysen nicht: Wenn zahlreiche Ausprägungen einzelner Unsicherheitsursachen (z.B. die Höhe von Fremdkapitalzinsen) beachtenswert erscheinen, sind sie fur alle Handlungsalternativen in das Entscheidungsmodell aufzunehmen. Sie bestimmen dann das Optimum mit. Sensitivitätsanalysen berücksichtigen demgegenüber nur unzulänglich die Ungewißheit. Ihnen fehlt, wie bei der Einstufung einzelner Handlungsalternativen in Risikograde, der entscheidungsbestimmende Gehalt. Im Grunde verkörpern Sensitivitätsanalysen eine Mißachtung entscheidungslogischer Rationalität, weil sie von einer nicht den Informations- bzw. Erwartungsstand voll wiedergebenden Abbildung eines Entscheidungsproblems ausgehen. c) Die Frage: Inwieweit tragen Institutionen zu einer voraussichtlich geringeren Abweichung zwischen beabsichtigter Zielerreichung, wie sie ein Entscheidungsmodell festlegt, und der im nachhinein tatsächlich erreichten bei? zielt jedoch schwergewichtig nicht auf Entscheidungen unter Ungewißheit, bei denen von Ex-post-Überraschungen abstrahiert wird. Vielmehr betrifft die Frage nach einer besseren Voraussehbarkeit künftiger Entwicklungen mit Hilfe von Institutionen vor allem Entscheidungen unter Unsicherheit, die Informationsrisiken einschließen. Soweit die Entscheidungstheorie Planungstechniken (wie flexible Planung, S. 39) oder Entscheidungsregeln empfiehlt, versagt sie vor dem Problem der Informationsrisiken. Dieses Scheitern gilt in gleichem Maße fur Regeln zur Optimumbestimmung wie für solche, die sich mit einem angemessenen Ergebnis (beschränkter Rationalität) zufrieden geben; denn Ex-post-Überraschungen können eine angemessene Wahl genauso falsch erscheinen lassen wie eine beim früheren Wissensstand optimale. Entsprechendes gilt für Behauptungen, diese oder jene Lösung sei „robust" in bezug auf Datenänderungen. Selbst wenn die Robustheit zunächst in der idealen Weise zu bestehen scheint, daß eine Handlungsalternative andere dominiert, kann ein Informationszugang Dominanz und damit „Robustheit" vernichten. Informationsrisiken lassen sich nicht durch Planungstechniken und Entscheidungsregeln verringern (also auf der objektsprachlichen Ebene der Handlungsempfehlungen für die Praxis), wohl aber auf der allgemeineren metasprachlichen Ebene (S. 29) durch ein Studium der Informations- und Ent-
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scheidungstheorie insgesamt, weil die Kenntnis der Anwendungsvoraussetzungen von Entscheidungsmodellen den Blick fur eine unzureichende Informationsauswertung und Informationsbeschafiung schärft und zu einem kritischen Abwägen der Modellergebnisse zwingt. Dieser Einblick in die Problemstruktur schafft eine der wenigen, aber wichtigen Einsichten, durch die sich der Spielraum nachträglicher unangenehmer Überraschungen einengen läßt. Regelsysteme zur gedanklichen Ordnung des einzelnen lehren vor allem die Grenzen in der Handhabung von Entscheidungslogik zur besseren Vorhersehbarkeit künftiger Entwicklungen. d) Informationsrisiken folgen zu einen beachtlichen Teil aus unzutreffenden Erwartungen über Fremdereignisse, insbesondere daraus, daß andere Menschen einfallsreicher handeln als der Entscheidende selbst erkennt oder Findigkeit anderen zutraut. Deshalb wurde als Grundsatz für die Informationsauswertung postuliert: Mitbewerber, Verhandlungspartner oder andere das Ergebnis eigenen Handelns Beeinflussende sind als mindestens so schlau anzusehen, wie man selbst zu sein glaubt; es sei denn, stichhaltige Erfahrungen sprechen dagegen. Damit sich andere keine Wettbewerbsvorteile verschaffen können, werden üblicherweise Regelsysteme für das Leben der Menschen miteinander gefordert. Insbesondere werden vielfach Einzelvorschriften zu einer Wirtschaftsordnung durchgesetzt, die den Kreis der Erwartungen über Fremdereignisse eingrenzen. Seit den Anfangen menschlichen Zusammenlebens zielen Normen durch Religionsstifter und ihre späteren Ausdeuter, durch weltliche Herrscher oder mächtige Verbandsinteressen schwergewichtig darauf ab, das freie Markthandeln und damit den Wettbewerb als Rivalität unter Anbietern und Nachfragern zu beschränken und die Findigkeit in der Verwertung von Wissen zu beschneiden: Von der philosophischen Verachtung des Erwerbsstrebens über kirchliche Zinsverbote oder Zunftzwang bis hin zu vorgeschobenen Argumenten zum Verbraucherschutz, z.B. um das Kredit- und Versicherungsgewerbe weiterhin dem sonst geltenden Kartell- oder Bilanzrecht nicht zu unterwerfen oder zu den Pressionen von Wirtschaftsverbänden einschließlich Gewerkschaften, wenn tatsächlich einmal mit einem Subventionsabbau fur einzelne Wirtschaftszweige oder Regionen ernst gemacht werden soll. Eigene Informationsrisiken durch Behinderung des Markthandelns anderer zu mindern, ist natürlich eine einzelwirtschaftlich vorteilhafte Strategie zur Verringerung eigener Einkommensunsicherheiten, gerade weil sie diese auf andere verlagert und ihnen die Möglichkeit nimmt, ihren Einfallsreichtum in Taten umzusetzen. Ihre gesamtwirtschaftliche und damit auch ethische Fragwürdigkeit folgt aber daraus, daß die teilweise Begrenzung eigener Informationsrisiken durch Nachteile fur andere erfolgt.
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W a s hier gegen die Begrenzung von Informationsrisiken durch Regelsysteme zur Wirtschaftsordnung gesagt wird, gilt entsprechend fiir Zwänge oder Erschwernisse, bestimmten Organisationen beitreten oder nicht daraus austreten zu dürfen. e) W a r u m kann Informationsrisiken nur sehr begrenzt mit Informations- und Entscheidungstheorie begegnet werden? Eine Ursache ist, daß bei
allem
menschlichen Drang nach Erkenntnis die Einsicht, die Unwissenheit bleibt hier grenzenlos, überaus frustrierend wirkt: fiir den praktisch Handelnden wie fiir den Forscher. Daraus läßt sich verstehen, daß zur Erklärung von Institutionen allgemein, den Märkten im besonderen (also der Arbeitsteilung mit freiwilligem Tausch) als den wichtigsten Institutionen, um unvollkommener, insbesondere asymmetrischer Information zu begegnen, jahrhundertelang wenig geeignete Leitbilder zur Forschung gewählt wurden. (1) Deterministische Denkmuster aus der Naturwissenschaft, wie das D e n ken in Gleichgewichten, wurden ab dem 18. Jahrhundert übernommen, u m das Handeln von Menschen unter dem Einkommensaspekt zu erklären. Dieses Leitbild wird zugleich bei der Vorstellung angewandt, daß Arbitragegewinne aus dem Markthandeln weggeschwemmt werden oder werden sollen, u m eine Nichtverschwendung der vorhandenen Mittel (Allokationseffizienz) zu erreichen. Aber die Nützlichkeit dieses Denkens, wie Allokationsverbesserungen erreicht werden können, wird schon unklar, wenn die Menge an Gütern, die verteilt werden soll, nicht als geschlossene Menge vorgegeben ist. Jede Abwandlung eines Marktgegenstandes durch Produktgestaltung, W e r b u n g und weitere Neukombinationen von Sachen mit Diensten und Verfugungsrechten öffnet Unsicherheit darüber, ob Mittel verschwendet werden oder nicht. Unter einem deterministischen Leitbild entwickelte komplexere Modelle für eine in Wirklichkeit indeterminierte W e l t schaffen keine verfeinerte Einsicht, sondern lediglich verfeinerte Konfusion 2 . Informationsrisiken stören oder zerstören Hoffnungen auf Gewinne aus Innovationen und einen einmal begonnenen W e g , durch nachahmenden Wettbewerb Arbitragegewinne wegzuschwemmen. (2) I m Markthandeln einen Entdeckungsprozeß zu sehen, der über verwirklichte Austauschverhältnisse zu einer gesellschaftlichen Verwertung von W i s sen fuhrt, kann asymmetrische Information abbauen, soweit den verwirklichten Austauschverhältnissen eine Informationsfunktion zukommt. D o c h die Grenzen dieser Signalfunktion sind überaus eng gezogen, wie ab S. 1 8 0 erläutert wurde. Selbst wenn der Abbau asymmetrischer Information gelingt, werden nur bei einzelnen Informationsnachteile verringert. 2
Vgl. Jack Wiseman: Cost, Choice and Political Economy. Aldershot 1989, S. 227.
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(3) Zu beachten bleibt der Tatbestand, daß die Zukunft nicht gegeben ist, sondern erst durch die noch nicht gewählten Handlungen in diese oder jene Richtung gelenkt wird. Bei der Auseinandersetzung mit diesem Tatbestand ist die heute in den Naturwissenschaften gängige Einsicht zu berücksichtigen, daß scheinbar kleine Änderungen das ganze indeterminierte System menschlicher Handlungen in andere Richtungen drängen können. Wenn die künftigen Zustände der Welt von den Wahlhandlungen einzelner abhängen, dann lösen unterschiedliche Entscheidungen unterschiedliche Entwicklungen aus^. Deshalb kann es keine vorhersehbare Entwicklung geben, unabhängig von den noch zu treffenden Wahlhandlungen. Scharf formuliert: Die Zukunft ist nicht einfach unbekannt, sondern sie existiert im Zeitpunkt vor einer Entscheidung, dies zu tun und jenes zu unterlassen, noch gar nicht*. So gesehen sind Märkte weder ein Allokationsmechanismus noch ein Entdeckungsprozeß, sondern ein schöpferischer Prozeß^, der die Einfallsgabe der Menschen zum Einkommenserwerb, zur Einkommensverwendung und für andere Ziele auszuloten erlaubt. Diese Blickänderung vom Allokationsmechanismus und dem Entdeckungsprozeß, wie asymmetrische Information abgebaut werden kann, auf Neues schaffende Handlungsfolgen gilt nicht nur fur Märkte als Institutionen, sondern auch für in Märkten und durch sie bestehende Institutionen (sowohl Organisationen wie Unternehmungen als auch einzelne Ordnungen, wie Markt- und Unternehmungsverfassungen). Informations- und Entscheidungstheorie ist ein Kanal in diesem schöpferischen Prozeß, der ein Fehlleiten des Stroms an Einfallen durch Denkfehler zu vermeiden hilft.
3 4 5
Vgl. Ilya Prigogine: Science, Civilization and Democracy. In: Futures, Vol. 18 (1986), S. 493-507, hier S. 496 f. Vgl. Shackle: Epistemics and Economics (S. 40 2 9 ), S. 3; Wiseman: Cost (S. 203 2 ), S. 230. Vgl. James M. Buchanan, Viktor J. Vanberg: The Market as a Creative Process. In: Economics and Philosophy, Vol. 7 (1991), S. 167-186, hier S. 184.
Namensverzeichnis
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Namensverzeichnis Abel, Volker 159 Adams, Ernest W. 88 Admati, Anat R. 133 Akerlof, George A. 4 Alchian, Armen A. 138 Allais, Maurice 85, 103, 104, 105 Altmann, M. 99 Amit, Raphael 137 Apel, Karl-Otto 152 Archibald, G.C. 156 Arrow, Kenneth J. 4, 106, 107, 112, 133, 155, 157, 165 Axelrod, Robert 141, 146, 149 Baillie, Patricia 91 Ballwieser, Wolfgang 49 Basu, Kaushik 151 Baumol, William J. 11 Bayes, Thomas 165 Bea, Franz Xaver 135 Becker, GaryS. 55, 176, 177 Behrens, Karl Christian 168 Bergstrom, Theodore C. 55 Bernoulli, Daniel 101, 102, 121, 122 Bernoulli, Jacob 135 Bicchieri, Cristina 72 Bitz, Michael 164 Black, Duncan 158 Böge, Werner 159 Böhm-Bawerk, Eugen von 59, 77 Bössmann, Eva 49, 50, 163 Bolker, Ethan D. 106 Borda, Jean-Charles de 160 Brady, Michael Ε. 116 Brams, Steven J. 160 Brandt, Ursula 199 Bray, Margaret 134
Brennan, M.J. 109 Bühner, Rolf 135, 137 Buchanan, James M. 204 Campbell, Norman Robert 77 Carlin, Edward A. 62, 63 Caves, Richard E. 175 Chamberlin, Edward Hastings 174, 175 Chammah, Albert Μ. 141, 149 Chrysippos 38 Coenen, Dieter 100, 105 Commons, John R. 161 Condorcet 157, 158, 160 Cowles, Virginia 197 Cramer, Gabriel 101 Crawford, Robert G. 138 Cuhel, Franz 77 Cyert, Richard M. 10 D'Antonio, Louis J. 188 D'Alembert 83 Darby, Michael R. 171 Dare, William H. 195 David, F.N. 39 Davidson, Paul 130 Dekel,'Eddie 85 Dennis, Ken 54 Diamond, Peter A. 112, 119 Dietzel, H. 5 Dixit, Avinash 176 Dodgson, Charles Lutwidge 158 Donaldson, Daria R. 195 Dorfman, Robert 175 Dresher, Melvin 141 Drfeze, Jacques-H. 162 Dyckhoff, Harald 106
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Namensverzeichnis
Eisenfuhr, Franz 11, 76, 102 Ellis, Brian 92, 9 3 Ellison, Glenn 149 Ellsberg, Daniel 85 Eischen, Rainer 58 Elster, Jon 57
Hammann, Peter 169 Hampton, Jean 115 Hare 160 Harsanyi, John C. 147, 148 Hayek, Friedrich August von 2, 50, 130
Engelhardt, Werner H . 139 Erichson, Bernd 169 Escherich, Philipp Ritter von 24 Espinas, Alfred 7
Heinen, Edmund 11 Heiner, Ronald A. 199 Hempel, Carl G . 6 9 Hicks, John Richard 130, 181 Hirshleifer, Jack 49, 50, 76, 114, 149
Fagot, Robert F. 88 Fama, Eugene F. 127 Fechner, Gustav Theodor 102 Fellermann, Stefan 139 Fine, Terrence L. 75, 76, 82, 83, 88 Finetti, Bruno de 77, 89, 9 2 Fishburn, Peter C . 76, 79, 86, 99 Flood, Merrill 141 Franke, Günter 132 Friedman, Milton 114, 194 Frisch, Ragnar 56 Fudenberg, Drew 150 Galbraith, John Kenneth 178 Galiani, Ferdinando 59 Gehlen, Arnold 199 Gerfin, Harald 166 Ghosh, Asim 188 Gibbard, Allan 157 Gillies, D.A. 8 9 Gödel, Kurt 106 Good, I.J. 51 Goss, B.A. 184, 194, 196 Graw, Ehrentraud 184 Gray, Roger W . 192 Grazia, Alfred de 160 Grossman, SanfordJ. 133 Habermas, Jürgen 152 Hacking, Ian 100 Hambrick, Donald C. 137
Hodgson, Geoffrey Μ . 130 Hopf, Michael 4 5 Houthakker, H.S. 55 Howard, Charles T . 188 Hurwitz, MarkA. 175 Ihering, Rudolph von 151 Jacobs, Siegfried 137 Jensen, Michael C. 122 John, George 138 Kaas, Klaus P. 173 Kahneman, Daniel 106, 115 Kaldor, Nicholas 175 Kamara, Avraham 188, 192, 195 Kanetkar, Vinay 176 Karni, Edi 171 Keynes, John Maynard 83, 116, 191 Khandwalla, Pradip N. 137 Kieser, Alfred 135 Kihlstrom, Richard E. 176 Kirzner, Israel M . 64, 175, 179 Klein, Benjamin 138 Kleinaltenkamp, Michael 139 Kliemt, Hartmut 141 Knight, Frank H. 18 Köhler, Bernd 199 Kolmogoroff, A. 75, 82, 86 Koopmans, Tjalling C . 56
Namensverzeichnis
Kotarbinski, Tadeusz 7 Kotowitz, Yehuda 176 Kraft, Charles H. 88 Krahnen, Jan Pieter 138 Krantz, David H. 7 5 , 7 8 , 8 3 , 8 6 , 88, 89, 90, 103 Kraus, A. 109 Krelle, Wilhelm 100, 105 Kreps, David M. 134 Kroll, Yoram 99 Kubicek, Herbert 135 Lachmann, Ludwig M. 167 Lange, Manfred 178 Latsis, Spiro J. 11, 13 Laux, Helmut 164 Law, John 197 Leder, Matthias 61 Leibniz, Gottfried Wilhelm 135 Levi, Isaac 105 Levine, David K. 150 Levy, Haim 99 Littlechild, Stephen C. 167 Livnat, Joshua 137 Löwe, Adolf 130 Lübbe, Hermann 152 Lucas, Robert E. 134 Luce, R. Duncan 75, 78, 83, 85, 86, 88, 89, 90, 100, 103, 141, 150 Luhmann, Niklas 199 Ma, Christopher K. 195 MacMillan, Ian C. 137 Maddala, G.S. 192 Mähling, Friedrich W . 179 Mag, Wolfgang 163 March, James G. 10 Markowitz, Harry 122 Marschak, Jacob 163 Marshall, Alfred 173, 194 Mas-Colell, Andreu 56 Maslow, Abraham H. 59
Mathewson, Frank 176 Menger, Karl 101, 106 Merton, RobertC. 122, 125, 129 Meyer-Dohm, Peter 178 Milgrom, Paul 72 Mill, John Stuart 22, 192 Mirowski, Philip 55, 56 Mises, Ludwig von 7, 175 Molitor, Bruno 152 Montgomery, Cynthia Α. 137 Morgenstern, Oskar 50 Mossin, Jan 108 Murphy, Kevin M. 176, 177 Muth, John F. 133 Nagel, Jack H. 160 Nagle, Thomas T . 176 Nash, John 147 Nelson, Phillip 171 Nerlove, Marc 72 Nieden, Manfred zur 162 Norman, Victor 176 Opp, Karl-Dieter 199 Oppenheim, Paul 69 Pareto, Vilfredo 13, 60 Pascal, Blaise 100 Pennings, Johannes M. 137 Pettit, Philip 151 Popper, Karl R. 13, 77 Pratt, John W . 88, 112 Price, Richard 165 Prigogine, Ilya 203 Pütz, Theodor 62 Quesnay, Francois 5 RaifFa, Howard 38, 85, 100, 141, 150 Ramsey, Frank Plumpton 77 Rapoport, Anatol 141, 149
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Namensverzeichnis
Ray, Paramesh 85 Reckenfelderbäumer, Martin 139 Rehberg, Jürgen 162 Renyi, Alfred 75 Richardson, G. B. 2 Richter, Marcel K. 5 6 Riley, John G. 4 9 , 50, 76, 149 Riordan, Michael H. 176 Robbins, Lionel 19 Roberts, John 7 2 Robinson, Richard E. 88 Röper, Burkhardt 173 Rosenstein-Rodan, P.N. 59 Rothbard, Murray N. 175 Rothschild, Nathan 197 Rutherford, Malcolm 73, 134 Samuelson, Larry 85 Samuelson, Paul A. 55, 56, 146 Satterthwaite, Mark Allen 157 Savage, Leonard J . 77, 83, 103, 105, 114 Schauenberg, Bernd 115, 141, 155,
Shackle, G.L.S. 4 0 , 167, 2 0 4 Sharpe, William F. 127 Shionoya, Yuichi 65 Simon, Herbert A. 10, 11 Singh, Harbir 137 Slutsky, Eugen 7 Solomonoff, R.J. 75 Sonnenschein, Hugo F. 55 Spindler, Hans-Joachim 137 Stark, Oded 55 Stegmüller, Wolfgang 69, 76, 77, 92, 103, 106 Steiner, Peter O . 175 Stevens, S.S. 77 Stewart, Maco 11 Stigler, George J . 165, 174 Stiglitz, Joseph E. 109, 112, 119 Stoecker, Rolf 151 Streit, Manfred E. 184 Stützel, Wolfgang 117 Sugden, Robert 151 Suppes, Patrick 75, 78, 83, 85, 86, 88, 89, 90, 103
161 Schick, Frederick 151 Schlicht, Ekkehart 11 Schmalenbach, Eugen 7 Schmalensee, Richard 172 Schmeidler, David 85, 105 Schmidt, Reinhard H. 139 Schmölders, G. 71 Schneeweiß, Hans 102, 108, 120 Schoemaker, P a u l J . H . 115 Schröder, R. 71 Schumann, Jochen 55, 56 Schumpeter, Joseph A. 60, 61, 62, 63, 64, 65 Seidenberg, A. 8 8 Seidenfus, H.St. 71 Selten, Reinhard 147, 148, 150, 151 Sen, Amartya 19, 5 6 , 1 4 7 , 1 5 5 , 1 5 8 , 159
Taylor, Michael 141 Telser, Lester G . 171, 176 Tinbergen, Jan 2 4 Tirole, Jean 175, 196 Tobin, James 114, 122 Todhunter, I. 83 Treis, Bartho 178 Tucker, A.W. 141 Tversky, Arnos 75, 78, 83, 86, 88, 89, 90, 103, 106, 115 Vanberg, Viktor J . 2 0 4 Vega, Don Joseph de la 197 Vickson, R.G. 9 9 Ville, Jean 55 Wagner, Adolph 60 Wald, Abraham 100 Walley, Peter 8 2
Namensverzeichnis
Weber, Martin 1 1 , 7 6 , 102 Weber, Max 6 2 Weimann, Joachim 141 Weinberg, Charles B. 176 Weinberg, Peter 9 Weise, Peter 59 Weiss, Doyle L. 176 Weitz, Barton A. 138 Wenzel, Frank 164 Wessling, Ewald 44 Wible, James R. 134 Williamson, Oliver E. 138 Winkler, Robert L. 89, 91 Wiseman, Jack 203, 204 Witherspoon, James T . 198 Wittmann, Waldemar 49 Wold, Herman 55 Wong, Stanley 56 Working, Holbrook 183 Yamey, B.S. 184, 194, 196 Yoo, Jisoo 192
209
210
Suchwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis Abstimmungsparadoxien 155 ff. adverse selection 4 Agent 4, 60 Allianz, strategische 139 Allokationseffizienz 203 Altruismus 54 ff. Anpassungsfähigkeit, Planung von 18, 39, 137 f., 185 Anpassungshandlung 38 Anspruchsanpassung, Theorie der 10 Arbitrage 67 Ausgaben, transaktionsspezifische 138
Dutch-book 90 Einkommen
- Erwerb von 3, 5, 15 ff., 53 f., 59, 66,204 - Verwendung von 15 ff. Einkommensaspekt 9, 15, 65, 199 Einkommensunsicherheit 29 - Ursachen 42, 93 ff., 106 - Verringerung von 15 ff, 57 f., 64 ff, 115 ff., 152, 186 f., 202 Einstellung des Konsumenten 9, 177 Einstimmenregel 160 backwardation 191 Einzelentscheidung 21 Bandwagon-Effekt 194 ff. Einzelwirtschaftstheorie der InstituBayes-Theorem 165 ff. tionen 4, 15, 199 Bernoulli-Prinzip 97, 100 ff. Entscheidung Bewertung, Begriff 53 - Begriff 1, 18 Borda-Regel 160 - fremdbestimmende 22 - kollektive 139, 161 Capital Asset Pricing Model (CAPM) - unter Ungewißheit 35, 96 ff. 125 ff,195 Entscheidungsbaum 37 ff, 118 contango 191 Entscheidungsfeld 98, 117, 142, 146, 171 Datenänderung 32 Entscheidungsgremium 21, 68, 156 Defektion 147 f. Entscheidungshilfe 26, 48, 51, 75 f. Denken in Änderungen s. Marginal- Entscheidungslogik 5, 7, 14, 17 f., prinzip 47, 52, 73 ff, 115 ff,143 Dienste 23, 45 f., 68, 177, 203 Entscheidungsmodell 5, 10, 12, 14, Diktatur der Mehrheit 2 f., 156 20 f., 29, 34, 3 7 , 4 1 , 4 4 ff, 68, 73, Dilemma, soziales 148, 159 80 ff,94, 115 ff Diskurs, herrschaftsfreier 152 ff. Entscheidungsorientierung 4 Dissonanz, kognitive 60, 178 - verhaltenswissenschaftliche 4, 8 ff. Diversifikation 121, 135 ff. - dem Wirtschaftlichkeitsprinzip folDominanz, stochastische 98 f. gend 4 ff. Dominanzprinzip 27, 97, 100, 104, Entscheidungsparadoxien 158 142 ff. Entscheidungsrechnung 26, 28 Dorfman/Steiner-Theorem 175 Entscheidungsregel 26, 29
Stichwortverzeichnis
- kollektive 157, 159 - lexikographische 119 Entscheidungstheorie 1 f.,18 ff., 139, 204 Erfahrungsgüter 171 f. Erwartungen 3, 181 - adaptive 72 - homogene 2, 49, 126, 192 - mehrwertige 35, 70 - rationale 74, 133 f. - über Fremdereignisse 42, 47 f., 69, 71 ff. - vernünftige 72 ff. Erwartungswert 72,100 ff, 118,120, 125 ff. Erwartungswert-Streuungsregel 113, 120, 122, 124, 129 Expertengutachten 51, 172 Ex-post-Überraschung 27 ff, 40 ff, 81 f., 87,94 f., 116,138,148,153, 192, 196, 201 Finanzinnovation 189, 197 Finanzplan 31 f. Gefangenendilemma 141 ff. Gesamtwert der Unternehmung 25, 135,162 Gewinnmaximierung 10, 33, 52 f. Glaubwürdigkeit 24, 29, 74 ff. Grenznutzen 55, 59, 101 Grenzrate der Substitution 55 Gruppenentscheidung 21, 159 - einmütige 152, 155 ff.
211
Handlungsprogramm 25 f., 78 f. Handlungssystem 8 f., 14, 16 f., 22, 62, 68, 199 Hare-Regel 160 Hedging 138, 180 ff. Hierarchie 22, 68 Höhenpräferenz 106 homo oeconomicus 58 f. Hypothese 20, 48, 69 ff, 147 Indifferenzkurve 110 f., 124 f. Information - asymmetrische 1 f., 4, 14, 49, 67, 156,166, 178, 195 ff, 200, 203 - Auswertung von 10,43, 51, 133 f., 141 ff, 198, 202 - Begriff 1,43 ff. - Beschaffung von 7, 10,43, 50, 162 ff, 172 - durch das Rechnungswesen 47 f. - öffentlich zugängliche 44, 194, 197 f. - private 44 f. - symmetrische 3 - unvollkommene 1 f., 11, 15, 200 - verborgene 4, 49, 150, 153, 156, 181
Informationsaktivierung, emotive 9 Informationseffizienz 180, 196 Informationskosten 163 f. Informationsökonomie 44, 49 f., 165,172 Informationsoptimum 73 Informationsrisiko 30.40 ff, 81, 139, 151, 159, 167, 189, 198 ff. Handlung, verborgene 4, 156 Informationstheorie 2 ff, 18, 20, 44, Handlungsalternative 7, 25 f., 31, 139, 204 36 f., 115 ff, 154, 156 Informationsverarbeitung, kognitive Handlungsempfehlung 8, 16, 41, 44, 9 58, 201 Informationswert 162 ff. Handlungsmöglichkeit 6, 10, 17 f., Innovation 23, 52, 60 ff. 23 ff, 48 ff, 58, 60 ff. - rechtlich-organisatorische 50, 61 ff.
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Stichwortverzeichnis
Institution 14 ff., 65, 199 ff. Institutionenbildung 18 Interdependenz 32 Intervallskala 80 f. Kalkulationszinsfuß 34, 127 f. Kapitalmarkt 36, 56 — konkurrenzgleichgewichtiger 56, 122 ff. Kapitalmarktlinie 126 Kapitalwert 34 Kettenladen-Paradoxon 150 Know how 46 Kommunikation 141, 161, 169 Komplexionsgrad 51 f. Konkurrenz, monopolistische 174 f. Konkurrenzgleichgewicht 60 ff., 122 ff., 180 Konkurrenzgleichgewichtspreis 91 f., 126, 133 f. Können, Begriff 45 ff. Konsumentenforschung 8 f. Konsumentensouveränität 178 f. Kooperation 138 ff. - stillschweigende 148 Koordination 22, 49, 156 Korrelationskoeffizient 123 ff, 133 Kostenminimierung 10 Kovarianz 127, 133
Marktpreis fur die Risikoübernahme 126 ff,192 Marktstrukturinnovation 50, 61, 66 f., 178 Markttransparenz, vollkommene 2 Maßgut 117 Mengenkörper 86 Meßbarkeitsstufen 74 ff, 140 Messung - Definition 7 8 - quantitative 79 - von Einkommensungewißheit 200 Minimax-Prinzip 97 ff, 119 Mittel 6, 23 f., 27 f., 46, 50 Modell 2 0 Modern Austrian Economics 130. 167 Motivation 9 Motivationstheorie 58 Musterbeispiel 20, 147
Neigung s. Veranlagung, psychische Nicht-Diktator-Eigenschaft 155 Nominalskala 78, 82 Normalverteilung 120, 129 Normen, ethische 5, 6, 147, 152 f. Nutzen 3, 32, 54 Nutzendominanz 97 f. Nutzenfunktion 17, 33, 78 ff, 101 f. Lernen aus Erfahrungen 14, 73, 148, - lexikographische 97 167 Nutzenmaximierung 10, 52 Nutzenmessung 55 f., 77 ff. Liquidität des Marktes 192 Liquiditätsvorsorge 26 ff, 198 Öffentlichkeitsarbeit 169 f. Opportunitätskosten 44 Macht 4, 156 ff. Management-Informationssysteme 2 Optimumbestimmung 7 f., 32 ff., 43, Manager 62, 68 51 f., 127 Marginalprinzip 33 f. Optionen 4, 180 ff, 188 market maker 182 Ordinalskala 78 f., 82 ff. Marktforschung 169, 181 Ordnung s. Regelsystem Organisation 8, 9, 17, 22, 62, 6 8 Marktinsider 194 ff. .Marktportefeuille 126 ff.
Stichwortverzeichnis Paradoxon fur die Nachfrage nach Informationen 165 Paretoeffizienz 196 Pareto-Optimalität, schwache 155 Patentrecht 50 Petersburger Spiel 101 f. Planbarkeit, Grad der 29 ff. Planung - Begriff 19 - einperiodige 25 - flexible 26, 39 - mehrperiodige 25, 53 - rollende 24 - unter Ungewißheit 35 ff. - unter Unsicherheit 40 ff. Planungshorizont 24 f., 37, 100 Planungskosten 39 Planungsmodell 20, 95 Planungsrechnung 20 Planungssicherheit 30 ff., 51, 200 Planungsstufen 19, 22 ff., 29 Planungszeitraum 23 ff., 31, 57 Posten, offene 183 ff. Präferenzen 13, 53, 176 ff., 180 - offenbarte 55 f. Praxeologie 7 Preisgrenze 3, 67 Preissignal 196 Principal-Agent-Beziehung 4, 64 ff. Prinzip, ökonomisches s. Wirtschaftlichkeitsprinzip Prinzip vom unzureichenden Grunde 83 Problemstellung 20 Produktgestaltung 175 Produktinnovation 50, 61 ff., 178 Produktionsfunktion 34 Produktionsprogramm 34, 136 Produktionsverfahren 34 Prognose 12, 40 ff., 48, 69 ff., 81 ff. - relativierte mehrwertige 70, 96 Prognosemodell 20, 29, 94
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Prognoserechnung 26 Prospekttheorie 106 Prozeßinnovation 50, 61 ff. Rangordnungsprinzip 83 f., 103, 155 Rationalität - beschränkte 10 f., 201 - entscheidungslogische 6, 12,68, 199 - ethische 152 f. - kollektive 145, 155 - substantielle 6, 68 Rechenschaft 156 f. Rechnungslegung 29, 53 Regelsystem 9, 14, 16 ff., 28, 62, 199 f., 202 Reputation 149 ff. Risiko 26 f., 36 f., 115 ff., 188, 200 - systematisches 126, 128, 133 - unsystematisches 126, 132 Risikoabneigung 98, 105 ff, 134, 145 - absolute 112, 114 - gleichbleibende absolute 102, 140, 164 - relative 112 f., 140 Risikoabschlag 128 Risikobereitschaft 107 ff., 115, 140 Risikofreude 108 f., 114, 145 Risikograd 116 Risikoindifferenzkurve 119, 124, 126 Risikoklasse 116 Risikoneigung 23, 56 f., 67, 97 ff, 107 ff, 126 f., 192 Risikoneutralität 98, 102, 108, 110, 134 Risikonutzen 56, 102 ff, 121, 124, 129, 164, 191 Risikonutzentheorie 100 ff, 109, 115, 120, 128, 190 f. Risikopfad 111, 113 f. Risikopräferenzfunktion 121
214
Stichwortverzeichnis
Risikoprämie 121, 125 ff., 190 ff. Risikoprofil 95, 99 Risikoteilung 18, 66, 139 Risikozuschlag 128 Rückwärts-Induktion 150 f.
Theorie - erklärende 12, 19, 52 - gestaltende (präskriptive) 12, 16, 56, 92 - metrisierende 12 - verhaltenswissenschaftliche 58 Schumpeter-These, wettbewerbspoli- tit for tat 149 Transformation, lineare 80 f., 106, tische 61 112 f. screening 169, 171 Sensitivitätsanalyse 200 f. Transitivitätsbedingung 84, 158 Separationstheorem 92 Sicherheitsäquivalent 88 f., 102 ff., Überraschungen, nachträgliche s. Expost-Überraschungen 1 2 8 , 1 8 9 , 191 Signalfunktion von Preisen 180, 200, Unabhängigkeit - stochastische 131 f. 203 - von irrelevanten Alternativen 85, signaling 171 155 Simulation 96 Situationslogik 13, 28 ff, 40, 48, 55, Unabhängigkeitsprinzip 84 f., 103 f. Ungewißheit 30, 35 146, 176 Ungewißheitsverringerung 50 Skala, hyperordinale 79 f. Ungleichgewichtspreis 4 SOR-Paradigma 8 ff., 170 Unsicherheit 16 f., 27, 30 ff, 53, 64 Sozialwahlfunktion 155 Unsicherheitsursachen 18, 69, 88, Spekulation 17, 44, 52, 67, 74, 182 106, 116, 136 f., 139 f., 181, 183, f., 186, 188, 192, 196 185 f., 192, 198 Spekulationsfunktion 193 Unternehmer, dynamischer 60 ff. Spekulationsgewinn 63, 190 Unternehmerfunktionen 65 ff Spezialisierung 18, 66 Unternehmungskooperation 139 Spieleinsatz, maximaler 102, 191 Spieltheorie 147 ff. Spotmarkt 150, 181, 185, 188 ff. Varianz 120, 124, 127 Standardabweichung 95, 120 ff. Veranlagung, psychische 1,3, 42, 47 Stetigkeitsprinzip 89 f., 104 Verfiigungsrechte 46, 128, 181, 183, Stichprobentheorie 165 f. 198 Strategie 148 f. Verhältnisskala 81 Verhalten, Begriff 54 Streuung s. Standardabweichung Verkaufsförderung 169 Strukturkern 20, 77 Vertrauensgüter 171 f. Suchgüter 171 Verwertung von Wissen 2, 50, 166 f., Suchtheorie 165 sunk costs 138 195, 202 Vorschau s. Prognose Täuschungsmanöver 3, 197 f. Vorsorgemaßnahme 39 Termingeschäft 4, 182 ff.
Stichwortverzeichnis
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Wahlhandlungen 203 Zukunftslage 6, 23 ff, 35, 41 f., 51, 69, 82, 87, 118, 132,142,145, Wahrscheinlichkeit 200 - Begriff 74 Zukunftsmärkte 182 ff, 190,194,197 - nominale 82 Zustimmungsregel (approval voting) - objektive 76, 105 160 - ordinale 82 - personale 74 ff., 89 f., 103, 166 - quantitative 86 - subjektive 74 Wahrscheinlichkeitsrechnung 42, 56 f., 74 f., 77, 86, 88, 92, 95, 135 Wahrscheinlichkeitstheorie 76 Wahrscheinlichkeitsurteil 35, 50 Wahrscheinlichkeitsverteilung 120, 131 f., 134, 190 Werbebudgetierung 170 Werbeelastizität 175 Werbemaßnahmen 12 Werbepsychologie 9 Werbung 46, 166 ff, 170, 181 - informative 167, 171, 173 f. - manipulierende 167, 174, 178 - nichtinformative 171 ff, 176 ff. Wertpapierlinie 127 Wertpapiermischung, Theorie der 121 ff,129, 137 Wertpapierportefeuille 122, 125, 185 f. Wettbewerb 2, 58, 171 ff, 180, 202 Wette, kohärente 90, 94 ff. Wettquotienten 89 ff. Wirtschaftlichkeitsprinzip 5 f., 199 Wirtschaftsordnung 4, 14 Wissen, Begriff 45 ff. Ziel 6,18, 24 ff, 52, 57 f., 63 Zielbildung 22 Zielforschung, empirische 57 Zielfunktion 32 Zielvorschrift, mehrfache 97 Zufall 131