196 23 36MB
German Pages 234 [236] Year 1995
Linguistische Arbeiten
333
Herausgegeben von Hans AJtmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Tibor Kiss
Infinite Komplementation Neue Studien zum deutschen Verbum infinitum
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1995
Cum relego, scripsisse pudet, quia plurima cerno. Me quoque, quifeci, judice, digna lini. Ovid, De Ponto 1,5,15.
Die Deutsche Bibliothek - CJP-Einheitsaufnahme Kiss, Tiber: Infinitive Komplementation : neue Studien zum deutschen Verbum infinitum / Tibor Kiss. - Tübingen : Niemeyer, 1995 (Linguistische Arbeiten; 333) NE:GT ISBN 3-484-30333-6
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1995 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nadele, Nehren
Inhaltsverzeichnis 1. 1.0 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.2.1 1.1.2.2 1.1.3 1.1.3.1 1.1.3.2 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.4.1 1.2.4.2 l .2.5 2. 2.0 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.4.1 2.2.4.2 2.2.5 2.2.6
Zuleitung Infinite Komplementation - Morphologie, thematische und syntaktische Relationen Einleitung Nicht-finite Komplementation Formen der Rektion bei Infinitivkonstruktionen Subjektfähigkeit Syntaktische Kriterien für die Unterscheidung von Kontroll- und Anhebungsverben Anhebung und Objekte Satzwertigkeit Syntaktische Satzwertigkeit.... Semantische Satzwertigkeit Bechs Theorie der Kohärenz Zur Lokalität der Kontrolle bei Bech Das Verbalfeld Das Kohärenzfeld Kriterien für Kohärenz Eigenschaften bei kohärenter Konstruktion Zur Typologie der Kohärenz Konsequenzen der Bech'schen Theorie der Kohärenz Merkmale und Repräsentationen: Eine knappe Einfuhrung inHPSG Einleitung Eine informelle Einführung in die formalen Grundlagen des Merkmalsunifikationsformalismus Subsumtion, Unifikation und Disjunktion Sorten und Merkmale Strukturen und dynamische Werte Repräsentationen, Regeln und Prinzipien in HPSG Zur Struktur des Lexeme Regelschemata und Prinzipien Quantifikation Satzstrukturen des Deutschen Phrasenbewegung Verbstellung Präliminarien einer Theorie der Wortstellung Zusammenfassung
ix l l 3 3 4 6 11 14 15 18 20 21 23 25 26 27 31 37
39 39 .....39 39 42 45 46 47 50 59 66 67 70 73 76
VI
3. 3.0 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.2.3 3.2.3 3.2.4 3.2.4.1 3.2.4.2 3.3 3.3.1 3.3.1.1 3.3.1.2 3.3.1.3 3.3.1.4 3.3.2 3.3.2.1 3.3.2.2 3.3.2.3 3.3.3 3.4 3.5
Die Syntax optional kohärent konstruierender Verben Einleitung Zur Orientierung infiniter Verben Das SUBJ-Attribut Subjektfähigkeit und Orientierung Zur Repräsentation optional kohärenter Konstruktionen Funktionalkomposition und Argumentanziehung Zur Repräsentation inkohärenter Konstruktionen Eine Analyse der Extraposition Kohärenz und Inkohärenz - ein Vergleich Die .dritte' Konstruktion Argumentanziehung in anderen unifikationsbasierten Ansätzen Bemerkungen zur Trennung der Valenz in SUBJ- und SUBCAT-Attribute Das Subjekt bei der Argumentanziehung Das Subjekt infiniter Adjunkte Zur Syntax der Impersonaleinbettungen „ Passivierung und Kasuszuweisung Passivierung in der Lexical Mapping Theory Passivierung in HPSG Zum derivationellen Status der Passivierung Bemerkungen zum Fernpassiv Impersonaleinbettungen Bemerkungen zur Syntax und Semantik von Impersonaleinbettungen Impersonaleinbettungen, Subkategorisierung und Orientierung Paraphrasebeziehungen bei Anhebungsverben Zusammenfassung - Subjektfähigkeit fbrmalisiert Zur Interaktion von Orientierung und Anziehung Ergebnisse dieses Kapitels
77 77 78 78 81 88 88 101 104 106 109 111 115 116 119 122 123 125 127 134 136 140 140 146 150 153 153 156
4. 4.0 4.1 4.1.1 4.1.1.1 4.1.1.2 4.1.1.3
Obligatorische Kohärenz Einleitung Orientierungseigenschaften der Modalverben Zur Subjektfahigkeit der Modalverben Die Subjektfähigkeit der Modalverben . Die formale Repräsentation der Orientierung bei den Modalverben Anmerkungen zu den nicht subjektfähigen Realisationen von wollen und möchten Der Einfluß der Modalität auf die Subjektfähigkeit Die semantische Kontribution der Hilfsverben Zusammenfassung Zur Syntax obligatorisch kohärenter Konstruktionen
159 159 160 160 162 164
4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2
167 168 170 172 173
Vll
4.2.1 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.2.3 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.4
Lexemsubkategorisierung Problematische Aspekte der Analyse Zur Struktur des Verbkomplexes VP-Topikalisierung VP-Komplementation und obligatorische Kohärenz Skopuseigenschaften der Modalverben Die semantische Auswertung der Modalverben Operatorkombinationen Modifikation Ergebnisse dieses Kapitels
175 180 180 186 191 193 198 203 206 211
5.
Bemerkungen zur Syntax objektorientierter Verben
213
6.
Literaturhinweise
219
Zuleitung Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist ein Teilbereich der Infinitivkonstruktionen des Deutschen. Untersucht werden soll, warum die Verbindung eines Verbs mit einem infiniten Komplement zu syntaktischen - und manchmal auch semantischen - Strukturen fuhrt, die einer Kopf-Komplement-Beziehung zuwiderlaufen. Infinite Komplementationsstrukturen scheinen nicht in Analogie zur Verbindung eines Verbs mit seinem nominalen Objekt beschrieben werden zu können. Bech (1983) - dessen umfangreiche Untersuchung als früher Meilenstein der syntaktischen Beschreibung dieses Phänomenbereichs gewertet werden muß - erfaßte die Besonderheiten der infiniten Komplementation durch den Begriff der Kohärenz. Dieser Idee Bechs folgend wollen wir Kohärenz als Subkategorisierungsforderung beschreiben. Infinite Komplementation ist somit ein Modus der Selektionsbeziehung zwischen zwei syntaktischen Elementen; die Besonderheiten kohärenter Konstruktionen müssen so nicht durch völlig unabhängige Mechanismen beschrieben werden. Ein weiterer wesentlicher Faktor, der sich aus dieser Betrachtungsweise ergibt, betrifft die Beziehung zwischen den einzelnen Modi der Kohärenz. Bech hat in seiner Untersuchung drei wesentliche Modi unterschieden: Es finden sich Verben, die kohärent «W inkohärent konstruieren, Verben die nur kohärent und Verben, die nur inkohärent konstruieren. Erstere bezeichnet man als optional kohärent konstruierende Verben, letztere als obligatorisch kohärent bzw. inkohärent konstruierende Verben. Eine Analyse der Kohärenz sollte nicht nur die Frage beantworten, wodurch Kohärenz induziert wird, sie sollte darüber hinaus ableiten können, in welcher Beziehung diese Modi der Kohärenz zueinander stehen. Dieser Aspekt wird in den jüngeren Untersuchungen zu dieser Fragestellung zumeist ignoriert. Infinite Komplementationsstrukturen sind jedoch nicht nur aufgrund ihrer topologischen Eigenschaften ein interessantes Untersuchungsgebiet. Die Beziehung zwischen dem Subjekt eines Verbs und dem verstandenen Subjekt seines infiniten Komplements wurde im Rahmen der linguistischen Theoriebildung aus verschiedenen Perspektiven heraus erleuchtet. Der bekannteste Reflex dieser Untersuchung ist die Trennung zwischen Kontrolle und Anhebung. Bech ignoriert eine solche Unterscheidung und spricht statt dessen von der Orientierung eines Verbs. Interessanterweise kann man beobachten, daß die meisten Betrachtungen der infiniten Komplementation den Schwerpunkt entweder auf die Erfassung der Kohärenz oder die Analyse der Orientierungseigenschaften legen, jedoch kaum Untersuchungen vorliegen, in denen versucht wird, die besonderen Eigenschaften der infiniten Komplementation aus dem Zusammenspiel dieser Faktoren abzuleiten. Dies kann man bereits daran erkennen, daß die meisten generativ-transformationellen Ansätze eine Unterscheidung zwischen Kontrolle und Anhebung voraussetzen, jedoch nicht definieren, aus welchen Eigenschaften diese Unterscheidung abgeleitet werden kann. Auf der anderen Seite findet man Untersuchungen, die sehr genau charakterisieren, worin sich Kontrolle und Anhebungsverben unterscheiden, jedoch die besonderen topologischen Eigenschaften unberücksichtigt lassen. Für die vorliegende Arbeit ergibt sich somit die folgende Aufgabenstellung: Wir wollen eine Theorie der infiniten Komplementation entwickeln, die Orientierung und Kohärenz gleichermaßen berücksichtigt. Kohärenz wird hier weit verstanden, es sollen also nicht nur optional kohä-
rente Konstruktionen, sondern auch obligatorisch kohärente und inkohärente Konstruktionen untersucht und in die vorliegende Analyse eingebettet werden. Die in den folgenden Kapiteln vorgestelle Analyse bedient sich der HPSG (Head-Driven Phrase Structure Grammar). Wir haben diese Theorie aus drei Gründen ausgewählt: Zunächst handelt es sich um eine integrative Theorie, in der syntaktische und semantische Repräsentationen und Beschränkungen den gleichen Stellenwert besitzen. Die Besonderheiten der infiniten Komplementation verlangen nach einer Theorie, die nicht gezwungen ist, alle Eigenschaften durch syntaktische Beschränkungen auszudrücken, denn wir finden viele Beschränkungen, die zwar strukturell induziert sind, sich aber dennoch einer Beschreibung in syntaktischen Termini widersetzen. Ein weiterer wesentlicher Faktor, der für die Verwendung der HPSG spricht, ist der Primat der syntaktischen Subkategorisierung für die Analyse grammatischer Beziehungen. Dies heißt keineswegs, daß in dieser Theorie jede Beziehung durch Subkategorisierung erfaßt wird zutreffend ist diese Annahme etwa für die Kategorialgrammatik zutreffen, nicht jedoch für die HPSG. Es ist jedoch so, daß die Subkategorisierung hier durch feinere Repräsentationen sichtbar gemacht wird, die eine konzise Analyse von Kohärenz und Orientierung als Subkategorisierungsphänomene ermöglichen. Die vorliegende Arbeit ist in fünf Kapitel eingeteilt. Das erste Kapitel ist einer deskriptiven Analyse der besonderen Eigenschaften infiniter Syntagmen gewidmet. Wir konzentrieren uns hierbei auf die Eigenschaften infiniter Komplementationsstrukturen. Im Vordergrund der Untersuchung steht hier die Ausarbeitung der Begriffe der Subjektfähigkeit (Kontrolle und Anhebung) und der Kohärenz. Das zweite Kapitel ist eine Einführung in Formalismus und Theorie der HPSG. Neben einer reinen Vorstellung der Theorie werden wir verschiedene Analysen vorlegen, die als Präliminarien für die Untersuchungen der folgenden Kapitel benötigt werden. Dies schließt insbesondere die Behandlung der deutschen Satzstruktur, der Repräsentation quantifizierender Ausdrücke und die Integration einer Wortstellungskomponente ein. Diese ersten beiden Kapitel stellen somit inhaltlich wie formal die Grundlagen zur Verfügung. In den folgenden Kapiteln werden wir den im 2. Kapitel vorgestellten Beschreibungsapparat verwenden, um die im 1. Kapitel vorgestellten Phänomene einer Analyse zu unterziehen. Das dritte Kapitel befaßt sich mit der Syntax optional kohärent konstruierender Verben. Wir werden zunächst vorstellen, wie Orientierung und Kohärenz im vorliegenden Modell repräsentiert werden und welche Konsequenzen sich aus diesen Annahmen ergeben. Daran anschließend werden wir die Syntax unpersönlicher Einbettungen betrachten. Nach der Vorstellung einer Theorie der Passivierung werden wir zeigen, daß die Zulässigkeit unpersönlicher Einbettungen nicht durch Kohärenz determiniert wird, sondern von der Orientierung des Regenten abhängt. Dieses Kapitel wird durch eine Betrachtung der Interaktion von Kohärenz und Orientierung abgeschlossen. Das vierte Kapitel befaßt sich mit obligatorisch kohärent konstruierenden Verben. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Modalverben. Wir werden zunächst zeigen, daß die Modalverben, was ihre Orientierung angeht, in zwei weitere Klassen aufgeteilt werden müssen. Ob ein Modalverb ein Anhebungs- oder ein Kontrollverb ist, hängt allerdings nicht davon ab, ob das Modalverb
XI
subjektiv oder objektiv interpretiert wird. Die besonderen Eigenschaften obligatorischer Kohärenz werden wir aus dem in Kap. 3 vorgestellten Mechanismus der Argumentanziehung ableiten. Optional und obligatorisch kohärent konstruierende Verben besitzen einheitliche Subkategorisierungsrahmen, obligatorische Kohärenz wird durch eine Einschränkung der Subkategorisierungsforderungen erfaßt. Somit kann eine Beziehung zwischen optionaler und obligatorischer Kohärenz etabliert werden, die den deskriptiven Beobachtungen Bechs zur Beziehung dieser Modi Rechnung trägt. Das abschließende fiinfte Kapitel befaßt sich mit einigen Implikationen der vorliegenden Theorie für die Syntax obligatorisch inkohärent konstruierender Verben. Wir werden verdeutlichen, welche Probleme für eine Analyse entstehen, die versucht, obligatorisch inkohärente Objektkontrollverben und obligatorisch kohärente Objektanhebungsverben zugleich zu erfassen. Die vorliegende Arbeit ist das (vorläufige) Endergebnis einer mehrjährigen Beschäftigung mit der Syntax infiniter Konstruktionen. Besonderer Dank gebührt Joachim Jacobs und Daniele Clement. Danken möchte ich auch Antonio Aguirre, Erhard Hinrichs und Ewald Lang, die ebenfalls meinem Prüfungskomitee angehörten, sowie Ulrich Ferro Gerhard Klein, Martin Hoelter, Stefan Geißler, Tilman Höhle, Andreas Kathol, Ingo Raasch, Bart Geurts, Claudia Mrotzek, Erhard Hinrichs, Jürgen Lenerz, Katarina Hanmann, Detmar Meurers, Peter Bosch, John Nerbonne, Claus-Rainer Rollinger, Carl Pollard, Kim Schulte, Birgit Wesche, Anette Frank und Annette Opalka. Die Arbeit ist denjenigen gewidmet, die am meisten unter ihr gelitten haben.
l.
Infinite Komplementation - Morphologie, thematische und syntaktische Relationen
1.0
Einleitung
Die Entwicklung einer Grammatik der deutschen Infinitivkonstruktionen setzt eine Klassifikation des Phänomenbereichs zwingend voraus. Wir wollen diese Untersuchung daher mit einer deskriptiv angelegten Analyse eines Teilbereichs der deutschen Infinitivkonstruktionen beginnen, aus der wir die wesentlichen empirischen Fragestellungen dieser Arbeit ableiten können. Es sollte hierbei als unkontrovers gelten, daß auch eine deskriptive Charakterisierung dieses Teilbereichs der deutschen Syntax nicht ohne bestimmte - wenn auch höchstens prätheoretisch fixierte - Leitlinien auskommen kann. Dieser Annahme folgend, werden wir im ersten Abschnitt dieses Kapitels drei verschiedene Herangehensweisen an die Syntax der Infinitive diskutieren und ihre Signifikanz im Lichte unserer Fragestellungen bewerten. Diese drei Möglichkeiten einer Klassifikation werden im folgenden als morphologische, thematische und syntaktische Aspekte bezeichnet werden. Morphologisch unterscheiden sich die Köpfe infiniter Komplemente durch ihre Status voneinander. Der Status variiert mit der Wahl des Regenten, so daß die Statusrektion ein erster relevanter Aspekt der infiniten Komplementation ist. Als wesentliches thematisches Kriterium fassen wir die Subjektfahigkeit der jeweiligen Regenten aufi Die Gruppe derjenigen Verben, die ein Infmitivkomplement besitzen können, kann unterschieden werden nach denjenigen Verben, die ein thematisches Subjekt besitzen und denjenigen, die keine thematische Beziehung zu ihrem Subjekt etablieren. Vom Blickwinkel der Syntax her steht die Frage nach der Struktur infiniter Komplemente im Vordergrund. Die Ansicht, daß infinite Komplemente in Analogie zu finiten Sätzen analysiert werden sollten, wird häufig vertreten. Man spricht dann auch von der Satzwertigkeit infiniter Komplemente. Obwohl dieser Begriff in der gegenwärtigen Diskussion oft zur Explikation bestimmter Phänomene verwendet wird, bleibt nahezu immer unklar, was genau unter der Satzwertigkeit eines infiniten Komplements zu verstehen ist.1 Wir werden daher in diesem Kapitel verschiedenen möglichen Interpretationen dieses Begriffs nachgehen und überprüfen, ob eine dieser Interpretation für eine Theorie der infiniten Komplementation sinnvoll ist. Hierbei wird sich zeigen, daß Satzwertigkeit zugunsten der von G. Bech (1983) eingeführten Kohärenz eliminiert werden sollte. Vor einer formalen Analyse der infiniten Komplementation wird daher zunächst der Begriff der Kohärenz diskutiert und erläutert. Die Relevanz der Bech'sehen Monographie für die heutige Forschung und insbesondere auch die Relevanz des Kohärenzbegriffs ist bereits an anderer Stelle in ausreichendem Maße gewürdigt worden (vgl. v. Stechow 1984, v. Stechow/Sternefeld 1988). Dennoch soll an dieser Stelle kurz erläutert werden, warum dieses Werk als Bindeglied zwischen einer eher deskriptiv orientierten und einer theoretisch orientierten Betrachtung der Probleme gewählt worden ist und somit selbst noch einmal thematisiert werden muß. l
Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, daß dieser Fachbegriff bislang keine eindeutige Übersetzung ins Englische erfahren hat.
Ein Argument hierfür ist, daß die Bech'sche Terminologie - und somit auch seine Lösungsansätze - in der aktuellen Forschung oftmals Anlaß zu kontroversen Interpretationen gegeben hat. Der hierbei wohl zumeist diskutierte Gegenstand ist der Begriff der Kohärenz. Spricht man in der gegenwärtigen Literatur von kohärenten Konstruktionen, sind zumindest zwei Interpretationen denkbar: Zum einen diejenige, die die jeweiligen Autoren als ihre Interpretation ansetzen und zum anderen die Charakterisierung Bechs. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Identifikation von Inkohärenz und Satzwertigkeit in v. Stechow/Sternefeld (1988) oder Haider (1991a). Ein weiterer Aspekt betrifft die Möglichkeit der Verwendung von Bechs Terminologie in denjenigen Fällen, in denen ein ,theoriegefärbter' Begriff zu unerwünschten Interpretationen führen würde, bzw. gar kein Oberbegriff für bestimmte Phänomene vorliegt. Ein Beispiel für letzteres ist der Begriff der Orientierung: Wenn wir uns nicht festlegen wollen, ob es sich bei einem Verb um ein Anhebungs- oder um ein Kontroll verb handelt, können wir - auf Bech rekurrierend - einfach von der Orientierung des Verbs sprechen. Schlußendlich stellt sich die Frage, ob überhaupt noch eine von Bech unabhängige Klassifikation der Infinitivkomplementation notwendig ist. Diese Frage muß positiv beantwortet werden, da sich von den im ersten Abschnitt dieses Kapitels eingeführten drei Kriterien für nicht-finite Komplementation (Statusrektion, Subjektfähigkeit, Satzwenigkeit) nur das erste bei Bech wiederfindet. Insbesondere die so relevante Eigenschaft der Subjektfähigkeit und die damit korrelierenden syntaktischen Eigenschaften wurden von Bech übersehen. Das dritte Kriterium schließlich wird - wie bereits angesprochen - oftmals mit der Bech'schen (In-)Kohärenz gleichgesetzt. Da in der vorliegenden Arbeit jedoch die Hypothese vertreten wird, daß der Begriff der Satzwertigkeit keinen Platz in einem formalen Grammatikgebäude einnehmen kann, muß auch gezeigt werden, wie sich dieser vom Begriff der (In-)Kohärenz unterscheidet. Abschließend können wir also bemerken, daß sich die im ersten Abschnitt vorzustellende deskriptive Charakterisierung der Daten mit den darauf diskutierten Bech'schen Annahmen trefflich zusammenfügen. Es ergibt sich daher die folgende Aufteilung des vorliegenden Kapitels: Der erste Abschnitt befaßt sich mit den o.g. Aspekten der Charakterisierung von Infinitivkonstruktionen, der zweite Abschnitt diskutiert die für unsere Belange wesendichen Teile der Theorie G. Bechs, insbesondere die Bech'sche Theorie von Verbal- und Kohärenzfeld. Bevor wir nun zu den einzelnen Abschnitten übergehen können, erscheinen drei Einschränkungen sinnvoll. Die erste Einschränkung betrifft die Auswahl und Präsentation alternativer Lösungsansätze: Im dritten Abschnitt dieses Kapitels können die aktuellen Lösungsvorschläge nur im Ansatz diskutiert werden. Detailvergleiche werden in späteren Kapiteln folgen, unwillkommene Wiederholungen können so vermieden werden. Argumente für die Auswahl der vorgestellten Ansätze finden sich im dritten Abschnitt. Wir können selbstverständlich nicht beanspruchen, alle aktuellen Lösungsvorschläge zu den Infinitivkonstruktionen berücksichtigt zu haben. Zur zweiten Einschränkung: Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, welche Phänomene in der vorliegenden Arbeit nicht diskutiert werden können. Als erstes sind hier Infinitivsyntagmen zu nennen, die nicht als Komplement im engeren Sinne erscheinen (la, b), sowie Infinitivsyntagmen, die nicht als Verbkomplement erscheinen (Ic, d).
(1)
a. b. c. d.
Er schaute in den Himmel, anstatt auf die Straße zu schauen. Er rannte über die Straße, um seiner ehemaligen Freundin ausweichen zu können. Der Versuch, seiner Freundin auszuweichen, war ihm gründlich mißlungen. Es war nicht leicht für ihn, diese Niederlage einzugestehen.
Für diesen Ausschluß liegen unterschiedliche Gründe vor: Im Falle einer Diskussion der infiniten Final- und Adversativergänzungen wären wir gezwungen, auch die Frage zu diskutieren, ob es sich bei um, ohne und anstatt um Elemente handelt, die im weitesten Sinne als subordinative Konjunktionen zu bezeichnen wären oder ob es sich hierbei um Adpositionen handelt.2 Auf jeden Fall würde dies eine eingehende Untersuchung der satzeinleitenden Konjunktionen des Deutschen voraussetzen - eine Aufgabe, die sowohl den inhaltlichen, als auch den formalen Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde. Hinzu kommt, daß sich - wenn es sich nicht um präpositional regierte Infinitive handelt - kein Rektionsverhältnis zwischen dem Matrixverb und dem Adversativ- bzw. Finalkomplement konstatieren ließe. Es sollte darüber hinaus nicht vergessen werden, daß sowohl bei präpositionalen Ergänzungen, als auch bei der Komplementation im nicht-verbalen Bereich die zentrale Eigenschaft der Kohärenz nicht zu beobachten ist. Dies ist, ebenso wie die Tatsache, daß die anderen Eigenschaften der nicht-finiten Komplementation - hier ist insbesondere das Kontrollverhalten zu nennen - auf nominale Kontexte übertragen werden können, ein Grund für den Ausschluß der zweiten Gruppe. Die letzte Einschränkung betrifft Verben, deren Orientierung (vgl. Abs. 1.2) nicht durch den Koeffizienten N':N" beschrieben werden kann, also Objektkontrollverben und AcI-Verben. Obwohl wir Eigenschaften dieser Verben in den folgenden Abschnitten diskutieren werden, verzichten wir auf eine präzise Analyse. Ansätze zu einer solchen Analyse werden in Kap. 5 vorgestellt. Dort wird auch diskutiert, warum diese Verben vorläufig ausgeklammert werden müssen.
1.1
Nicht-finite Komplementation
1.1.1
Formen der Rektion bei Infinitivkonstruktionen
Stehen zwei Verben in einem Rektionsverhältnis zueinander, ist die Wahl der morphologischen Form des regierten Verbs nicht frei, sondern variiert nach der lexikalischen Füllung des jeweils regierenden Verbs. Das Komplement flektiert, da es ja nicht finit ist, zwar nicht nach Numerus und Person, es variiert aber im sog. Status. (2)
a. b. c. d. e.
Er versuchte zu kommen. Er möchte gern kommen. Er wird wahrscheinlich morgen kommen. Er scheint zu kommen. Er ist tatsächlich noch gekommen.
Daß es sich bei der Statuswahl tatsächlich um ein Rektionsphänomen handelt, zeigen die unzulässigen Beispiele in (2f, g). Wobei bereits hiermit eine Unterscheidung zwischen subordinativer Konjunktion und Adposition eingeführt wird, die möglicherweise nicht aufrechterhalten werden kann. Vgl. hierzu Emonds (1985).
(2)
f. *Er versucht kommen, g. *Er möchte zu kommen.
Wir können also von Statusrektion sprechen und dieses Phänomen in Analogie zur Kasusrektion bei nominalen Komplementen setzen. Entsprechend dem Kasusparadigma im nominalen Bereich können wir bei nicht-finiter Komplementation verschiedene regierte Status herausstellen: Der /. Status, d.h. der nackte Infinitiv, der 2. Status, d.h. der Infinitiv mit zu, wobei zu auch inkorporiert werden kann, sowie der 3. Status, der dem Partizip II in seiner morphologischen Realisation entspricht.3 (3)
a. 1. Status: nackter Infinitiv - lieben b. 2. Status: Infinitiv mit zu-zu lieben c. 3. Status: Partizip II: geliebt
Für unsere Untersuchungen werden uns nur die in (3) aufgeführten Status der l. Stufe - die sog. supinischen Status - interessieren, da nur diese (von Verben) regiert werden. Bech stellt diesen die sog. partizipialen Status gegenüber, die in attributiven Kontexten auftreten und folglich auch ein anderes Flexionsparadigma zeigen - das der Adjektive. Die Status wurden bislang von der Seite der morphologischen Realisation am Komplement betrachtet; die abstrakte Statuswahl durch den Regenten hingegen wurde nur implizit angeführt. Dies kann explizit gemacht werden, indem man festlegt, daß ein Verb ein bestimmtes Statusmerkmal regiert, dem am Komplement ein morphologisch realisierter Status entspricht. Also regieren versuchen und scheinen den 2. Status; möchten und werden den 1. Status und sein den 3. Status. Statusrektion wird also als Eigenschaft von Verben aufgefaßt, die infinite Komplemente selegieren. Die unterschiedlichen Rektionsforderungen verschiedener Verben sind in Tabelle l zusammengefaßt. (4)
Tabelle 1: Rektionsmerkmale von Verben mit Infinitivkomplementen versuchen möchten werden scheinen sein
1.1.2
Status 2 l l 2 5
S ubjektfähigkeit
Die Subjektfähigkeit - bzw. eben auch -Unfähigkeit - der statusregierenden Verben ist sicherlich der bekannteste Klassifikationsaspekt der Infinitivkonstruktionen. Innerhalb der Transformationsgrammatik wurden zur Erfassung dieser Eigenschaft die Begriffe Kontrolle und Anhebung eingeführt. Die Verben werden entsprechend ihrer Subjektfähigkeit in Kontroll- und Anhebungsverben unterteilt. Vgl. Bech (1983: § 1).
Wie oben bereits erläuten, wäre es an dieser Stelle verfrüht, den theoretischen und terminologischen Apparat der Transformationsgrammatik zu übernehmen. Statt dessen wollen wir versuchen, eine theorieneutrale Charakterisierung des hier beschriebenen Phänomens zu rinden. Durch die Unterscheidung zwischen Kontrolle und Anhebung wird primär die Frage angesprochen, ob ein bestimmtes Verb mit seinem Subjekt in einer thematischen Beziehung steht oder nicht. Insofern ist es also berechtigt, hier von einer thematischen Hinsicht zu sprechen. Betrachten wir erst einmal ein Beispiel: (5)
a. Er versprach zu kommen, b. Er schien zu kommen.
Oberflächlich betrachtet unterscheidet sich (5a) in nichts von (5b): In beiden Sätzen liegt ein Subjekt und ein verbales Komplement vor, die Komplemente sind jeweils im 2. Status realisiert. Betrachtet man aber die hier vorliegenden thematischen Beziehungen, kann man einen wesentlichen Unterschied zwischen (5a) und (5b) feststellen: In beiden Strukturen besteht eine thematische Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Infinitivkomplement, aber nur in (5a) besteht eine thematische Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Matrixverb. Nochmals generative Terminologie aufgreifend, können wir auch sagen, daß versprechen seinem Subjekt eine -Rolle zuweist, während dies bei scheinen nicht der Fall ist. Ein formaler Apparat wird zur Charakterisierung dieses Unterschieds nicht benötigt. Es reicht gänzlich aus, zu überprüfen, ob zwischen dem jeweiligen Matrixverb und seinem syntaktischen Subjekt eine semantische Beziehung etabliert werden kann. Interpretiert man beispielsweise (5a), so kann man feststellen, daß hier eine solche Beziehung zwischen dem Verb und seinem Subjekt vorliegt - es gibt jemanden, der ein Versprechen macht. Für (5b) wäre eine analoge Feststellung hingegen wenig sinnvoll.4 Subjektfähigkeit kann dann wie folgt definiert werden: (6)
Subjektfähigkeit: Ein Verb gilt genau dann als subjektfähig, wenn es in einer thematischen Beziehung zu seinem Subjekt steht.5
Den hier beschriebenen Unterschied zwischen subjektfähigen und nicht-subjektfähigen Verben findet man - wie die folgenden Beispiele zeigen - auch bei den Verben, die den 1. Status regieren.
Hierbei wäre es gänzlich falsch, eine Paraphrase von (5b) anzuführen, in der ein quantifiziertes Subjekt weiten Skopus über das Anhebungsverb erhält, also etwa (i). Der Skopus eines Subjekts ist völlig unabhängig von seiner thematischen Beziehung zu einem Prädikat. Strukturen wie (i) wären tatsächlich ein Gegenbeispiel für die o.g. Behauptung, wenn sie nicht analog zu (ii), sondern zu (iii) interpretiert werden müßten. Es ist jedoch leicht einzusehen, daß (iii) keine zulässige Interpretation von (i) ist. (i) Jemand scheint zu kommen, (ii) Es gibt jemanden, der zu kommen scheint, (iii) *Es gibt jemanden, der scheint, daß er kommt. Hierbei lassen wir allerdings offen, was wir unter einem Subjekt verstehen. Als Charakterisierung reicht hier die Bestimmung von Reis (1979) aus, dergemäß das Subjekt im Deutschen eine nominativ-markierte NP ist, die mit dem finiten Verbum kongruiert. Diese (sicherlich nicht ganz ausreichende) Bestimmung werden wir im dritten Kapitel modifizieren. Dort werden wir annehmen, daß das Subjekt eines Verbums dasjenige Element ist, das im SUBJ-Attribut dieses Verbums repräsentiert wird.
(7)
a. Ulrich will morgen kommen, b. Ulrich muß morgen kommen.
Bei den hier vorliegenden Modalverben versagen die oben vorgeschlagenen intuitiven Tests jedoch. So könnte (7b) etwa mit Ulrich ist gezwungen, morgen zu kommen paraphrasiert werden, wobei dann sicherlich auch eine thematische Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Prädikat etabliert werden kann. Der oben vorgestellte Paraphrasetest kann somit nicht zur Determination der Subjektfähigkeit eines Verbs verwendet werden. Aber nicht nur in Hinsicht auf Beispiele wie (7) besteht die Notwendigkeit, andere, deutlichere Tests zur Unterscheidung von subjektfähigen und nicht subjektfähigen Verben vorzulegen. Da wir in den folgenden Abschnitten mit diesen Begriffen operieren wollen, werden wir - hierbei wiederum klarere Unterscheidungskriterien antizipierend - Kontrolle und Anhebung i\iS dem Begriff der Subjektfähigkeit aufbauend definieren. (8)
Kontrolle: Kontrolle liegt dann in einer Konstruktion vor, wenn ein infinites Syntagma von einem Verb regiert wird, das ein thematisches Subjekt besitzt und das Subjekt des regierenden Verbs obligatorisch koreferent ist mit dem verstandenen Subjekt des infiniten Syntagmas.
Bereits hier sei terminologische Umsicht angemahnt, da der Begriff der Kontrolle in seiner Verwendung mehrdeutig ist: Zum einen wird dieser Begriff zur Charakterisierung einer thematischen Beziehung zwischen einem Matrixverb und seinem Subjekt verwendet, falls dieses Verb ein nicht-finites Komplement besitzt. Zum anderen spricht man von Kontrolle, wenn bestimmt werden soll, welche möglichen Koreferenzen zwischen dem Subjekt des infiniten Komplements und den sonstigen Komplementen des Matrixverbs bestehen können. Im ersten Fall unterscheidet man Kontroll- von Anhebungsverben; im zweiten Fall würde man etwa Subjekt- von Objektkontrollverben abgrenzen. (8) ist selbstverständlich nur im ersten Sinne zu verstehen. (9)
Anhebung: Anhebung liegt dann vor, wenn ein infinites Syntagma durch ein Verb regiert wird, das ein nicht-thematisches Subjekt besitzt. Das Subjekt eines Anhebungsverbs wird durch die Beschränkungen restringiert, die eine finite Form des eingebetteten Verbs an sein Subjekt stellen würde.
Diese Definition der Anhebung wirft allerdings mehr Fragen auf, als sie bislang zu beantworten vermag. Diesen Fragestellungen werden wir im folgenden Abschnitt nachgehen.
1.1.2.1 Syntaktische Kriterien für die Unterscheidung von Kontroll- und Anhebungsverben Sicherlich muß die Klassifikation nach Subjektfähigkeit als im eigentlichen Sinne semantische Unterscheidung betrachtet werden. Mit dieser Unterscheidung korrelieren jedoch einige syntaktische Eigenschaften. So haben wir die Kontrollbeziehung durch obligatorische Konferenz erfaßt, im Falle der Anhebung aber syntaktische Beschränkungen der Beziehung des Matrix- und Komplementsubjekts postuliert.
Ein Beispiel für eine solche syntaktische Beschränkung ist etwa die Subjektwahl nach Referenz: Im Falle einer Anhebung wird das Subjekt des Anhebungsverbs genau dann als Expletivum realisiert, wenn dies durch das Komplement gefordert wird. So verlangt regnen in seiner fmiten Form ein expletives - also nicht-referentielles - Subjekt. Bettet man regnen unter scheinen ein, kann man feststellen, daß das Subjekt von scheinen ebenfalls ein Expletivum ist. Bettet man hingegen kommen, das ein referentielles Subjekt verlangt, unter scheinen ein, kann das Subjekt von scheinen kein Expletivum sein. (10) (11)
a. b. a. b.
Es regnet. Es/*Ulrich scheint zu regnen. Ulrich kommt. Ulrich/*Es scheint zu kommen.6
Die o.g. Definition der Kontrolle sagt zugleich auch voraus, daß man ein Verb, dessen Subjekt nicht-referentiell ist, nicht unter ein Kontrollverb einbetten kann, da obligatorische Koreferenz niemals zwischen einem referentiellen Ausdruck und einem Expletivum herrschen kann (12). (12)
*Es versucht zu regnen.
Das letzte Beispiel bestätigt dies und erlaubt die Formulierung einer ersten sicheren Diagnostik für die Unterscheidung zwischen Anhebungs- und Kontrollverben: Kontrollverben können keine nicht-referentiellen - d.h. expletiven - Subjekte besitzen, Anhebungsverben sehr wohl.7 (13)
Unterscheidungskriterium I für Anhebung und Kontrolle: Anhebungsverben erlauben expletive Subjekte und betten Prädikate ein, die expletive Subjekte verlangen. Kontrollverben erlauben dies nicht.
Dieses erste Unterscheidungskriterium für Anhebungs- und Kontrollverben ist - wie sich im folgenden noch zeigen wird - zugleich auch das stärkste Kriterium, und zwar in dem Sinne, daß jedes Anhebungsverb die Einbettung eines Prädikats erlaubt, das ein expletives Subjekt besitzt und daß kein Kontrollverb die Einbettung eines expletiven Prädikats zuläßt. Betrachten wir hierzu zunächst die Anhebungsverben scheinen, pflegen, drohen und versprechen* Hierzu ist es natürlich notwendig, Prädikate einzubetten, die obligatorisch ein expletives Subjekt besitzen, wie etwa die ,Wetterverben' regnen, schneien, donnern oder die Zusammenfiigung ein schöner Tag zu werden. (14)
a. b. c. d.
Es scheint/droht zu regnen. Es verspricht ein schöner Tag zu werden. Es drohte ein regnerischer Tag zu werden. Es pflegte immer um 12 Uhr zu donnern.
Das Pronomen muß hier selbstverständlich als Expletivum interpretiert werden; bei einer deiktischen oder anaphorischcn Interpretation des Pronomens wäre das Beispiel grammatisch. Die in diesem Kapitel vorgestellten Unterschcidungskriterien I und II werden in ähnlicher Form in Dowty (1985) sowie Jacobson (1990) eingeführt. Die Aufführung des Verbs versprechen mag an dieser Stelle zunächst verwirren, gilt versprechen doch als eines der prototypischcn Kontrollvcrben. Hierbei sollte jedoch nicht vergessen werden, daß nicht das kommitativc versprechen hier Gegenstand der Untersuchung ist, sondern das homophone epistcmische versprechen im Sinne von « ist sehr wahrscheinlich, daß.
Die Aussagekraft des ersten Kriteriums können wir anhand der o.g. Modalverben diskutieren. Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen wollen und möchten? auf der einen und müssen, dürfen, sollen und können auf der anderen Seite; die letzteren sind als Anhebungsverben zu klassifizieren. Die Verben der ersten Gruppe hingegen verbieten expletive Subjekte und sind folglich gemäß (13) als Kontrollverben zu beschreiben. (15)
a. *Es will regnen.10 b. *Es möchte nicht regnen. c. Es müßte/dürfte/könnte/sollte regnen.
(16)
a. *Es versuchte morgen zu regnen. b. *Es überzeugte Ulrich, morgen zu regnen. c. *Es möchte gerne regnen.
Das zweite Unterscheidungskriterium kann direkt vom ersten Unterscheidungskriterium abgeleitet werden und betrifft Prädikate, die keinerlei Subjekt fordern. Das Nichtvorhandensein eines syntaktischen Subjekts kann im finiten Fall entweder seine Ursache in einer Verbdiathese haben, die das Subjekt syntaktisch eliminiert, oder lexikalisch bedingt sein. Als Beispiele für den ersten Fall sind die unpersönlichen Passivierungen zu nennen (17); Beispiele für den zweiten Fall finden sich bei unpersönlichen Verben der Empfindung wie etwa frieren oder grauen (18). (17)
a. b. c. d.
Der Mann half dem Jungen. Dem Jungen wurde geholfen. Der Mann schlug den Jungen. Der Junge wurde geschlagen.
(18)
a. Mich friert. b. Mir graut vor dir.
Inwieweit können nun die Beispiele in (17) und (18) eine Diagnostik für Kontrolle und Anhebung sein? Bei Kontrolle wird ein referentielles - wenn auch syntaktisch nicht realisiertes - Subjekt des Komplementverbs gefordert; bei Anhebung hingegen müssen nur die syntaktischen Subjektforderungen des Komplementverbs erfüllt werden. Wie (17) und (18) zeigen, kann eine dieser Forderungen auch sein, daß kein Subjekt zu realisieren ist bzw. realisiert werden kann. Die Daten in (17) und (18) erlauben nun in Verbindung mit den o.g. Definitionen die Vorhersage, daß eine unpersönliche Passivkonstruktion (17b) sowie ein nicht alternierendes psychologisches Prädikat11 9 '" 11
Ich folge hier öhlschläger (1989) und setze einen abstrakten Infinitiv für dieses Verb an. Daß bestimmte Modal- und Halbmodalverben keine infiniten Formen zu besitzen scheinen, wird in Kap. 4 thematisiert. Das Verb wollen kann in bestimmten Konstruktionen - so etwa in (15a) - anstelle des futurischen werden verwendet werden und verhält sich dann auch wie dieses. In diesem Sinne interpretiert ist (15a) selbstverständlich grammatisch. Eine detailliertere Diskussion dieser Fragestellung findet sich in Kap. 4. Unter einem alternierenden psychologischen Prädikat wollen wir hierbei ein psychologisches Prädikat verstehen, dessen einziges Argument sowohl als Subjekt, als auch als Objekt realisiert werden kann. Dieses Kriterium erfüllt etwa frieren, wie die Beispiele in (18) zeigen. Grauen ist hingegen ein nicht alternierendes psychologisches Prädikat, da sein Argument nicht als Subjekt realisiert werden darf. Die Beispiele in (i) und (ii) verdeutlichen dies, (i) Ich friere, (ii) *Ich graue vor dir.
(18c) unter ein Anhebungsverb, nicht jedoch unter ein Kontrollverb eingebettet werden können. Wie (19) zeigt, ist dies tatsächlich der Fall. (19)
a. b. c. d. e. f.
Dem Jungen scheint geholfen zu werden. Dem Mädchen scheint vor dir zu grauen. *Der Mann versucht geholfen zu werden. *Das Mädchen versucht nicht vor dir zu grauen. Diesen Jungen scheint zu frieren. Dieser Junge/*Diesen Jungen versucht zu frieren.
Das zweite Unterscheidungskriterium kann entsprechend formuliert werden: (20)
Unterscheidungskriterium II für Anhebung und Kontrolle: Anhebungsverben erlauben die Einbettung von Prädikaten, die durch Diathesen oder aufgrund lexikalischer Idiosynkrasien kein Subjekt besitzen. Bei Kontrollverben ist dies nicht möglich.
Im Gegensatz zum ersten Unterscheidungskriterium (13) gilt das zweite Unterscheidungskriterium nicht für alle Anhebungsverben. So verbieten etwa versprechen und drohen unpersönliche Passiveinbettungen (21) - drohen erlaubt allerdings die Einbettung unpersönlicher psychologischer Prädikate (22). (21) (22)
a. b. a. b.
*weil geschlafen zu werden versprach *weil geschlafen zu werden drohte weil ihm schlecht zu werden drohte weil ihm davor zu grauen drohte
Ein drittes Unterscheidungskriterium folgt aus der thematischen Beziehung des betreffenden Verbs zu seinem Subjekt. Weil zwischen den Anhebungsverben und ihren Subjekten keine thematische Beziehung besteht, kann abgeleitet werden, daß die Bedeutung eines Satzes, dessen Matrixverb ein Anhebungsverb ist, nicht variiert, wenn ein eingebettetes Prädikat passivicrt wird. Hier sind schließlich nur die thematischen Relationen relevant, die durch das eingebettete Verb determiniert werden. (23)
a. Ulrich hat Horst geschlagen. b. Horst ist von Ulrich geschlagen worden.
Wenn wir also (23a) unter ein Anhebungsverb einbetten, sollte nach Passivierung (23b) keine Bedeutungsveränderung eintreten. Überprüft man dies anhand des Verbums scheinen, kann festgestellt werden, daß diese Vorhersage erfüllt wird: (24)
a. Ulrich schien Horst geschlagen zu haben. b. Horst schien von Ulrich geschlagen worden zu sein.
Ein anderes Bild ergibt sich bei den Kontrollverben, da ja hier nicht nur die thematischen Beziehungen des eingebetteten Prädikats, sondern darüber hinaus auch die thematische Beziehung des
10
Matrixverbs zu seinem Subjekt relevant ist. Die Einbettung und Passivierung von (23) unter ein Kontrollverb wie versuchen fuhrt keineswegs zu einer Paraphrasenbeziehung, wie (25) zeigt: (25)
a. Ulrich versucht Martin zu schlagen. b. Martin versucht von Ulrich geschlagen zu werden.
Das dritte Kriterium kann wie folgt formuliert werden: (26)
Unterscheidungskriterium III für Anhebung und Kontrolle: Bei Anhebungsverben verändert sich die Bedeutung eines Satzes nicht, wenn das Komplement passiviert wird - Aktiv- und Passivkonstruktionen sind Paraphrasen voneinander; bei Kontrollverben hingegen zieht eine Passivierung jeweils eine Bedeutungsveränderung nach sich - eine Paraphrasenbeziehung liegt folglich nicht vor.
Die in diesem Abschnitt formulierten Unterscheidungskriterien ermöglichen eine Charakterisierung von Infinitiveinbettungen gemäß der Subjektfähigkeit des regierenden Verbs. Wir können die Verben also in der Folge nach Statusrektion und Subjektfähigkeit klassifizieren. Eine Eingliederung dieses Merkmals in die Matrix (4) ist unproblematisch, wenn man bedenkt, daß dieses Merkmal im Gegensatz zum ersten Merkmal - der Statusrektion - ein binäres Merkmal ist: Ein Verb ist entweder subjektfähig oder nicht. Nehmen wir also die drei hier vorgestellten Untersuchungskriterien, um zu testen, ob die Verben in (4) subjektfähig sind oder nicht. Bei versuchen konnte bereits festgestellt werden, daß es subjektfähig sein muß; es ist bedeutungsverändernd bei Passivierung (25), es erlaubt keine unpersönlichen Einbettungen (19) und selbstverständlich auch keine expletiven Subjekte (16). Bei scheinen hingegen sind alle vier Bedingungen fiir Anhebungsverben erfüllt - es ist folglich nicht subjektfähig. Möchten verhält sich wie wollen, es ist also ebenfalls subjektfähig, während werden und sein nicht-subjektfähig sind, wie die folgenden Beispiele zeigen: (27)
a. b. c. d.
weil getanzt worden ist Ihm ist kalt. weil getanzt werden wird Ihm wird davor grauen.
Diese Feststellungen erlauben die Zusammenstellung der folgenden Matrix: (28)
Tabelle 2: Subjektfähigkeit von Verben mit Infinitivkomplementen Status versuchen möchten werden scheinen sein
Subjekt
2 l 1 2 3
Eine Betrachtung der bislang vorgestellten Merkmale zur Charakterisierung der Infinitivkomplementation - Statusrektion und Subjektfähigkeit - läßt natürlich die Frage aufkeimen, ob nicht eines der beiden Merkmale aus dem anderen vorhersagbar und somit ableitbar ist. Die Tabelle in (28) zeigt jedoch, daß eine solche Beziehung zumindest in Hinsicht auf die bislang vorgestellten
Merkmale nicht ableitbar ist. So regieren versuchen und möchten verschiedene Status, sie sind jedoch beide subjektfähig, während versuchen und scheinen zwar den gleichen Status regieren, aber in bezug auf die Subjektfähigkeit voneinander abweichen.
1.1.2.2 Anhebung und Objekte Wir haben bislang nur Subjektkontroll- und Subjektanhebungsverben diskutiert und wollen in diesem Abschnitt die Anwendbarkeit der Kriterien auf Objektanhebungsverben überprüfen. Zunächst kann festgehalten werden, daß Objektanhebungsverben in bezug auf Expletiva das von den Subjektanhebungsverben bekannte Verhalten zeigen, d.h. die Einbettung expletiver Prädikate ist generell zulässig. (29)
a. Ulrich sah es tagen. b. Ulrich hörte es donnern. c. Ulrich fühlte die Blase auf seiner Haut platzen.
Zwar sind sich nahezu alle Theorien darin einig, daß die Akkusativ-markierten Objekte in (29) nicht in einer thematischen Beziehung zum Matrixverb stehen. Fraglich ist jedoch, ob diese Konstituenten (es, die Blase) als Objekte des Matrixverbs analysiert werden können oder in Anlehnung zur lateinischen Konstruktion des Acl nicht vielmehr als - im Akkusativ markierte - Subjekte der Komplementverben zu bezeichnen wären. Diese Annahme wird in den neueren Ansätzen der Transformationsgrammatik sogar aus einem Prinzip abgeleitet, demgemäß Bewegung nur in Subjektpositionen möglich ist, weil Objekte immer streng regiert werden und somit dieser Position immer eine -RoIle zugewiesen wird. Die Bewegung des bereits -markierten eingebetteten Subjekts in die Objektposition des Matrixverbs würde dann zu einer unzulässigen doppelten -Markierung dieses Elements führen. Folglich ist die in der Standard-Theorie (Chomsky 1965) noch verwendete Transformation des Raising-to-Object unzulässig. Da das Akkusativ-markierte Subjekt kein Objekt des Kasusregenten sein kann, muß es mit dem Verb zusammen eine Konstituente bilden. Eisenberg (1989) argumentiert hingegen für die Annahme, daß AcI-Verben wie die o.a. syntaktisch als dreistellig zu klassifizieren wären, d.h. tatsächlich ein nicht-thematisches Objekt vorliegt. Seine Argumente hierfür stützen sich vor allem auf Konstituententests. Gemäß der o.g. Hypothese sollte es etwa möglich sein, das Subjekt zusammen mit dem Komplementverb zu topikalisieren. Dies resultiert jedoch, wie die folgenden Beispiele zeigen, in einer ungrammatischen Struktur. Das Akkusativ-markierte Subjekt kann aber ebenso wie die Restverbalphrase topikalisiert werden. (30)
a. Zigaretten rauchen sieht Helga ihn. b. Ihn sieht Helga Zigaretten rauchen. c. *Ihn Zigaretten rauchen sieht Helga.
Zweifel an dieser Hypothese sind aber nicht nur aufgrund von Daten wie (30) angemessen. Postal/Pull um (1988) haben gezeigt, daß es strikt subkategorisierte Positionen in der Grammatik geben muß, die keine -Rolle tragen, in die aber eine Konstituente bewegt werden kann.
12
Wir wollen an dieser Stelle keineswegs eine der beiden Positionen übernehmen, sondern nur zeigen, daß ein strenges Beharren auf der Annahme, es gäbe keine Objektanhebung weder empirisch noch theoretisch begründet werden kann.12 Die Objektanhebungsverben verhalten sich allerdings nicht so homogen wie die Subjektanhebungsverben: Es werden beispielsweise nicht alle syntaktischen Beschränkungen des eingebetteten Verbs so ,klaglosl übernommen wie bei Subjektanhebung. So verbieten etwa die meisten Verba sentiendi eine eingebettete Passivierung (31 a); während nun die Einbettung unpersönlicher psychologischer Prädikate zumindest nicht gänzlich ungrammatisch ist - und gemeinhin besser bewertet wird als Passivierung (31b), wird unpersönliche Passivierung noch schlechter bewertet als persönliche Passivierung (31c):13 (31)
a. ?Ulrich sah ihn geschlagen werden. b. .'Ulrich sah ihm schlecht werden. c. ??Ulrich sah ihm geholfen werden.
Daß sich AcI-Verben von Objektkontrollverben ebenso trennen lassen, wie Subjektanhebungsverben von Subjektkontrollverben, zeigen die Alternationen in (32), die von denjenigen Sprechern, die Passivierung von Acl-Komplementen akzeptieren, als Paraphrasen verstanden werden. (32)
a. Ulrich sah Horst Jutta schlagen b. Ulrich sah Jutta von Horst geschlagen werden
Ähnlich uneinheitlich ist die Situation beim Verb lassen. Das Verb lassen besitzt eine permissive und eine kausative Lesart. Expletiveinbettungen sind sowohl bei kausativer Interpretation (33a), als auch bei permissiver Interpretation (33b) zulässig. Die Möglichkeit einer eingebetteten Passivierung hingegen ist ausgeschlossen (33c). Folglich können wir nicht feststellen, ob sich hier Paraphrasen ergeben. Ebenso wie bei den Verba sentiendi besteht auch bei lassen - in der permissiven Lesart - die marginale Möglichkeit, ein unpersönliches psychologisches Prädikat einzubetten (33d), unpersönliche Passivierung ist dahingegen unzulässig (33e). (33)
!2
"
a. b. c. d. e.
Er ließ es donnern. Er ließ es in dieses Zimmer hineinregnen. *Er ließ ihn geschlagen werden. ?Er ließ ihm schlecht werden.l4 *Er ließ ihm geholfen werden
Hier erhebt sich selbstverständlich die Frage, welche Kriterien für Objekthaftigkeit angegeben werden können und wie diese Kriterien mit den Analysen interagieren. Wir werden diese Fragestellung hier nicht ausarbeiten können. Einige Vorschläge finden sich in (Zwicky 1991). Insgesamt muß festgehalten werden, daß die Daten in (31) nicht immer einheitlich bewertet werden und darüber hinaus kaum wirklich klare Bewertungskontraste zu beobachten sind. Die angegebenen Bewertungen entsprechen den - nicht immer zweifelsfreien - Intuitionen des Autors; andere Bewertungen sind daher vorstellbar. Ich halte es allerdings für gänzlich ausgeschlossen, daß die Beispiele in (31) durchweg als voll grammatisch bewertet werden. J. Jacobs hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß Beispiele dieses Typs wesentlich schlechter werden, wenn man anstelle von Pronomina definite oder indefinite NPen als Objekte verwendet. Das folgende - ungrammatische - Beispiel belegt diese Annahme: (i) *Der Arzt ließ den Leuten schlecht werden.
13
Ein möglicher Unterschied zwischen den Verba sentiendi und lassen ergibt sich unter Berücksichtigung der Passivierung: Während die ersteren kaum passiviert werden können, scheint beim letzteren die Möglichkeit der Passivierung, falls bestimmte - statische - Intransitiva eingebettet werden.15 (34)
a. *Er wurde singen gehört. . b. Er wurde in der Ecke stehengelassen. c. *Er wurde das Geld holen gelassen.
Das Datum (34b) kann jedoch kaum als zwingendes Argument für die Annahme gewertet werden, daß lassen passivierbar ist. So ist Passivierbarkeit nur dann möglich, wenn eine ganz bestimmte Klasse von Verben eingebettet wird. Eine alternative Hypothese wäre etwa, daß hier ein Funktionsverbgefüge vorliegt - jemanden in der Ecke stehenlassen. Dies kann dann, ebenso wie andere Funktionsverbgefüge, passiviert werden. Zusätzliche Argumente für diese Annahme finden sich, wenn man versucht, syntaktisch ganz ähnliche Einbettungen unter lassen einzusetzen und dann lassen zu passivieren. Wie (35) zeigt, führt dies zu strikter Ungrammatikalität. (35)
a. Man ließ ihn in die Heimat gehen. b. *Er wurde in die Heimat gehen gelassen.
Ich ziehe hieraus den Schluß, daß lassen - ebenso wie die Verba sentiendi - nicht passiviert werden kann. An dieser Stelle bietet sich ein Vergleich der Objektanhebungsverben mit den Objektkontrollverben an. Wenn wir die oben aufgestellten Unterscheidungskriterien hier anwenden, ergeben sich folgende Vorhersagen: a) das nominale Objekt eines Objektkontrollverbs kann kein Expletivum sein, b) ObjekrJcontrollverben verbieten die Einbettung unpersönlicher Konstruktionen und c) eingebettete Passivierungen führen bei Objektkontrolle zu Bedeutungsveränderungen. Durch das Objektkontrollverb überzeugen werden - wie (36) zeigt - alle Bedingungen erfüllt: (36)
a. b. c. d.
*Ulrich überzeugte es zu regnen. *Ulrich überzeugte ihn zu grauen/geschlafen zu werden. Ulrich überzeugte Martin, einen anderen Arzt zu untersuchen. Ulrich überzeugte Martin, von einem anderen Arzt untersucht zu werden.
Objektkontrollverben erfüllen also die o.g. Bedingungen zur Unterscheidung von Kontroll- und Anhebungsverben gänzlich. Die Objektanhebungsverben zeigen hingegen sowohl im Gegensatz zu den Subjektanhebungsverben, als auch im Gegensatz zu Objektkontrollverben ein relativ inhomogenes Verhalten: So kann generell ein expletives Objekt realisiert werden, es besteht jedoch nicht oder nur marginal die Möglichkeit der eingebetteten Passivierung. Unpersönliche Einbettungen als Resultat einer Passivierung hingegen sind gänzlich ausgeschlossen. Der Paraphrasetest kann also nur eingeschränkt angewendet werden. Möglich scheint hingegen die Bildung nicht diathetisch entstandener unpersönlicher Einbettungen zu sein. Dies kann in der folgenden Tabelle zusammengefaßt werden.
15
Vgl. Bech (1983: § 165). Man muß jedoch festhalten, daß auch hier keineswegs einheitliche Urteile zugrundegelegt werden können. So beurteilen verschiedene Sprecher (31 a) als grammatisch bzw. kaum abweichend.
14
(37)
Tabelle 3: Vergleich von Objektkontrolle, Objektanhebung und Subjektanhebung Obj-K.
Verb. sent.
lassen
Subj-A.
Expletiv-Obj. eingeb. Pass. Paraphrase unp. Einb.
+ -
+ * +
+ * +
+ + + +
Passivierung
+
-
-
-
Sicherlich stellt sich nun die Frage, ob die Tabelle der Eigenschaften von Infinitiv-einbettenden Verben (28) um die Verba sendend! und lassen erweitert werden kann. Ich meine hierzu, daß sich die Objektanhebungsverben zwar einerseits in verschiedener Hinsicht nicht eindeutig verhalten, sie aber dennoch alle die geringste Bedingung für die Ermittlung eines Anhebungsverbs - d.h. das Vorhandensein eines Expletivums in einer sonst obligatorischen Argumentstelle - erfüllen. Dementsprechend können wir die Tabelle 2 um die Verba sentiendi (sehen), lassen und überzeugen erweitern, wenn wir das zweite Kriterium von Subjektfdhigkeit auf Kontrolle verallgemeinern, wobei Kontrolle hierbei als Oberbegriff zu Subjekt- bzw. Objektfähigkeit stehen soll. (38)
Tabelle 4: Subjekt- und Objektfähigkeit von Verben mit Infinitivkomplementen
versuchen möchten werden scheinen
Status 2 l / 2
sein sehen lassen überzeugen
3 / l 2
Kontrolle + +
+
Betrachten wir nun die erweiterten Gruppen erneut, können wir feststellen, daß die bereits am Ende des letztes Abschnitts angesprochene Nichteindeutigkeit der Beziehung zwischen Status und (verallgemeinerter) Subjektfähigkeit erhalten bleibt. In der Tabelle 4 finden wir drei verschiedene Verbtypen, die den 2. Status regieren: Subjekt- sowie Objektkontrollverben, sowie Subjektanhebungsverben. Auch der 1. Status ist nicht an Subjektfähigkeit bzw. -Unfähigkeit gebunden, da er von subjektfähigen Verben wie möchten ebenso wie von nicht-subjektfähigen Verben wie werden regiert wird.
1.1.3
Satzwertigkeit
Das Kriterium der Satzwertigkeit ist wesendich schwieriger zu diskutieren als die bislang aufgeführten Kriterien, da es immer eine bestimmte theoretische Position voraussetzt. Dennoch können wir aber zwei Charakterisierungen dieses Begriffs ausarbeiten, die voneinander zu trennen sind. Mit dieser Unterscheidung werden wir beginnen.
15
Eine intuitive Charakterisierung der Satzwertigkeit könnte etwa gegeben werden, wenn man postuliert, daß Satzwertigkeit dann vorliegt, wenn sich ein Syntagma entweder distributionell wie ein finiter Satz verhält, oder aber wenn die Interpretation des in Frage stehenden Syntagmas der Interpretation eines finiten Satzes entspricht, d.h. bei einer geeigneten Übersetzung in eine Logiksprache der betreffende Ausdruck in einen Typ übersetzt wird, der dem logischen Typ des finiten Satzes entspricht. Bezogen auf die hier zu diskutierenden Infinitivkonstruktionen können wir also festhalten, daß diese dann als satzwertig gelten, wenn sie entweder eine zu finiten Sätzen identische Distribution besitzen, oder aber, wenn sie in satzäquivalente Ausdrücke, d.h. Propositionen, übersetzt werden können. Im ersteren Sinne zählt ein Infinitiv dann als nicht-satzwertig, wenn seine Distribution von der Distribution finiter Sätze abweicht; im zweiteren Falle dann, wenn diese Konstruktion etwa in einen eigenschaftswertigen Ausdruck übersetzt werden kann. Eine ideale Entsprechung läge dann vor, wenn jede Infinitivkonstruktion X, die sich als distributionell satzwertig erweist, auch semantisch als Proposition zu klassifizieren wäre, und umgekehrt jeder in eine Proposition übersetzte Ausdruck distributionell als satzwertig bestimmt werden könnte. Damit der Begriff der semantischen Satzwertigkeit innerhalb der syntaktischen Argumentation nutzbringend eingesetzt werden kann, wäre es zumindest notwendig zu zeigen, daß die zweite Bedingung erfüllt ist, d.h. eine Entsprechung zwischen logischem und syntaktischem Typ besteht. Im folgenden werde ich kurz zeigen, daß nicht nur letzteres nicht der Fall ist, sondern darüber hinaus auch die einzelnen Kriterien, wenn man sie unabhängig vom jeweils anderen Kriterium betrachtet, keine befriedigenden Ergebnisse liefern und insofern der Begriff der Satzwertigkeit als Unterscheidungsmerkmal für Infinitivkonstruktionen nicht angemessen ist.
1.1.3.1 Syntaktische Satzwertigkeit Eine intuitive Definition des Begriffs der Satzwertigkeit ist jederzeit möglich. Wie oben bereits angesprochen, kann man etwa postulieren, daß ein Syntagma genau dann satzwertig ist, wenn es sich wie ein Satz verhält. So kann man etwa die Infinitivkomplemente in (39) mit den finiten Komplementen in (40) vergleichen und hierbei etwa feststellen, daß bestimmte distributioneile Entsprechungen vorliegen: Der Infinitiv kann ebenso wie der finite Satz im Nachfeld stehen (a); ein in einem finiten Satz eingebetteter Negationsträger kann keinen Skopus außerhalb dieses Satzes besitzen, auch dies gilt für extraponierte Infinitive (b). Schließlich verbieten finite Sätze ebenso wie extraponierte Infinitive die Möglichkeit, Argumente des eingebetteten Verbs vor Argumente des Matrixverbs zu stellen (c). (39)
(40)
a. b. c. a. b. c.
Er hat versprochen, ihm dieses Jahr ein teures Geschenk zu machen. Er hat versprochen, ihn nicht zu schlagen. *Er hat es Peter überredet, zu reparieren. Er hat versprochen, daß er ihm nächstes Jahr ein teures Geschenk machen wird. Er hat versprochen, daß er ihn nicht schlagen wird. *Er hat es Peter überredet, daß er repariert.
Daß dieser distributionellen Entsprechung sehr enge Grenzen gesetzt sind, kann bereits daran erkannt werden, daß die o.g. Gemeinsamkeiten immer nur dann gelten, wenn der Infinitiv extra-
16
ponicrt wurde.16 Bei Infinitiven im Mittelfeld besteht sowohl die Möglichkeit eines weiten Skopus der Negation (41 a), als auch die Möglichkeit, Argumente des eingebetteten Verbs vor die Modifikatoren des Matrixverbs zu stellen (41b). (41)
a. weil er ihn nicht zu schlagen versuchte b. weil ihm der Mann nicht zu helfen versuchte
Die sich hier für eine Theorie der Satzwertigkeit erhebende Frage ist, ob man nur den extraponierten Infinitiven den Status der Satzwertigkeit zuordnen will, oder der entsprechenden Kette in (41 a) - bei enger Interpretation der Negation - auch. Ein weiteres Problem ergibt sich aufgrund der stärkeren Beschränkungen für die Einbettung von Sätzen. Während, wie (4l) zeigt, Infinitivkomplemente sehr wohl im Mittelfeld lokalisiert werden können, besteht diese Möglichkeit für finite Sätze nur in sehr geringem Umfang. Die meisten Sprecher bewerten (42) als extrem marginal (??) bis deudich abweichend (*).17 (42)
??/*Ulrich hat daß er ihn nicht schlagen will versprochen.
Wenn man mit distributionellen Entsprechungen operieren will, muß man auch beantworten können, wie weit die distributionelle Ähnlichkeit zwischen finiten Sätzen und Infinitiven gehen muß, damit noch von .Satzwertigkeit' der letzteren gesprochen werden kann. Da diese Frage nicht befriedigend beantwortet werden kann, müssen distributionelle Entsprechungen verworfen werden. Die Rektions- und Bindungstheorie bietet einen weitaus stärkeren Begriff der Satzwertigkeit an: Basierend auf der Rektionstheorie sowie der Annahme, daß PRO unregiert, die Spur des Subjekts in Anhebungskontexten aber streng regiert sein muß, postuliert Chomsky (1986b), daß das Komplement eines Kontrollverbs kategorial als CP bestimmt werden muß, da nur der Kopf einer CP eine Barriere errichten kann, die eine mögliche Rektion des Komplementsubjekts durch das Matrixverb verhindert. Aus dieser Überlegung ergibt sich die folgende Phrasenstruktur für Kontrollstrukturen, in der Satzwertigkeit mit kategorialer Bestimmung als CP gleichgesetzt wird.
(43)
[vpV[ C pC°[ipPROVP]]]
Anhebungsverbkomplemente, deren Subjekt streng regiert sein muß, besitzen die in (44) dargestellte Struktur: Hier interveniert keine Barriere zwischen dem Verb und dem Komplementsubjekt, da eine IP in Chomskys System rektionsdurchlässig ist. Das Komplement kann also hier nicht satzwertig sein.
Ein weiterer Kontrast zwischen den sog. satzwertigen Infinitiven und den finiten Sätzen betrifft die Möglichkeit der Extraktion aus einem solchen Satz. Diese ist bei einem Infinitiv auch dann gegeben, wenn dieser extraponiert wurde (i), während eine Extraktion - bis auf die Klasse der Brückenverben - aus einem finiten Satz immer zu ungrammatischen Resultaten führt (ii). (i) Den Wagen hatte er versucht, ihm zu schenken, (ii) *Den Wagen hatte er versucht, daß er ihm schenkt. Die Unzulässigkeit von (42) wird oft auf strukturell induzierte Verarbeitungsprobleme zurückgeführt. Eine solche Erklärung kann jedoch weder Aufschluß darüber geben, warum der ebenfalls zentral eingebettete Infinitiv in (i) ebensowenig Verarbeitungsprobleme erzeugt wie eingebettete Relativsätze (ii). (i) weil Claudia ihm bei seinen Bewerbungsunterlagen zu helfen versprochen hat (ii) daß Ulrich dem Jungen, den er so gut leiden kann, ein Fahrrad schenkt
17
(44)
[ypVQptiVP]]
Aus dieser Unterscheidung folgen nun bestimmte empirische Fakten. So kann etwa festgestellt werden, daß das Komplement eines Kontrollverbs, nicht jedoch das Komplement eines Anhebungsverbs rechtsextraponiert werden darf (45). Diesem Faktum könnte Rechnung getragen werden, indem man etwa postuliert, daß CPen, nicht jedoch IPen rechtsextraponiert werden dürfen.18 (45)
a. daß Ulrich versprochen hat, zu kommen b. *daß Ulrich scheint, zu kommen
Diese Daten scheinen darauf hinzuweisen, daß das Merkmal .Satzwertigkeit' neben den bislang eingeführten Merkmalen als Klassifikationsmerkmal dienen könnte. Gegen die Einfuhrung dieses Merkmals sprechen dennoch mehrere Gründe. So ist zum einen - wie wir in den folgenden Abschnitten noch sehen werden - völlig unklar, wie dieser Begriff der Satzwertigkeit auf die Verbkomplex-Strukturen im Deutschen angewandt werden soll. Satzwenigkeit scheint hier ein relationaler Begriff zu sein, wie das folgende Beispiel belegt: In (46a) ist das Komplement von versuchen nach der o.g. Argumentation satzwertig, da rechtsverschiebbar. Problematisch sind hingegen die Beispiele in (46b) und (46c). Während in (46b) die Satzwertigkeit des Komplements prinzipiell postuliert werden kann, da man auch hier ein PRO-Subjekt annehmen möchte, ist diese Hypothese nicht mit (46c) verträglich, da man gemeinhin annimmt, daß eine CP eine absolute Grenze für die Verschiebung von Argumenten errichtet. (46)
a. weil Ulrich versucht hat, das Feuer mit öl zu löschen b. weil Ulrich das Feuer mit öl zu löschen versucht hat c. weil es Ulrich mit öl zu löschen versucht hat
Gegen (46) kann man allerdings einwenden, daß die o.g. Bedingung für Satzwertigkeit auf bestimmten Ebenen aufgehoben werden kann. Diese Argumentation findet sich etwa in v. Stechow/Sternefeld (1988) und wird uns im dritten Abschnitt dieses Kapitels beschäftigen. Gegen die Hypothese der Satzwertigkeit als relevantes Merkmal bei der Klassifikation von Infinitivkonstruktionen finden sich allerdings Beispiele, die sich einer solchen Erklärung widersetzen.
'8
Dies ist natürlich nur eine deskriptive Generalisierung. Rizzi (1990:38f.) versucht, diese Generalisierung auf eine ECP-Verletzung zurückzuführen. Rizzis Argumentation kann wie folgt paraphrasiert werden: Das Subjekt eines Anhebungskomplements (i) muß streng regiert werden, damit Anhebung möglich ist. Strenge Rektion heißt bei Rizzi im Gegensatz zu Chomsky (1986b), daß in einer Bewegungsstruktur sowohl Kopf-, als auch Antezedens-Rektion vorliegen müssen, (i) weil Ulrich; [tj zu kommen] scheint (ii) 'weil Ulrichj tj scheint [tj zu kommen]] Wird nun das Komplement rechtsextraponiert (ii), befindet sich die Subjektspur nicht mehr in einer Konfiguration, in der sie durch das Matrixverb regiert werden könnte. Im Falle eines Kontrollkomplements besteht keine Notwendigkeit für strenge Rektion, da PRO ja unregiert sein muß. Folglich besteht hier die Möglichkeit der freien Bewegbarkeit. Hier sollte festgehalten werden, daß dieser Ansatz das Extrapositionsverhalten von Phasenverben (siehe unten) nicht vorhersagen kann, bzw. hier sogar vorhersagt, daß die Komplemente von Phasenverben niemals extraponieren dürften. Dies widerspricht der Datenlage völlig, da Phasenverben nahezu immer inkohärent konstruieren.
18
Im Deutschen findet sich die kleine Klasse der Phasenverben, die gemäß unserer Klassifikation als Anhebungsverben zu beschreiben sind, aber dennoch Extraposition zulassen:19 (47)
a. Es hat zu tagen begonnen, b. Es hat begonnen zu tagen.
(48)
a. Es hat zu regnen angefangen, b. Es hat angefangen zu regnen.
Will man Satzwertigkeit kategorial bestimmen, führen (47) und (48) in ein Dilemma. Nimmt man an, daß die Komplemente dieser Anhebungsverben als CPen zu bestimmen sind, kann man bei der Bewegung des Subjekts nicht mehr auf strenge Rektion rekurrieren, da hier eine CP interveniert und eine mögliche Zwischenlandung des Subjekts im Specifier der CP zu einer Verletzung der Bindungstheorie rühren würde. Geht man hingegen davon aus, daß die Komplemente dieser Verben wie bei anderen Anhebungsverben auch als IPen zu klassifizieren sind, kann man nicht mehr vorhersagen, welche Komplementkategorien extraponieren können. Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: Eine Definition der Satzwertigkeit, die auf eine Äquivalenz infiniter Komplemente mit finiten Sätzen rekurriert, ist für eine formale Grammatik kaum nutzbar, da einer solchen Äquivalenz in beiden Richtungen enge Grenzen gesteckt sind. So verlangen finite Sätze Rechtsextraposition, ,satzwertige' Infinitivkomplemente jedoch nicht unbedingt. Darüber hinaus ist unklar, wie die distributionelle Bestimmung der Satzwertigkeit mit dem in (4l) exemplifizierten variablen Verhalten im Mittelfeld umgehen kann. Auch eine kategoriale Äquivalenz stößt auf Probleme. Selbst wenn man hier das zweite o.g. Problem unter Rekurs auf verschiedene Ebenen relativiert, können aus der kategorialen Unterscheidung zwischen satzwertigen (CP) und nicht-satzwertigen (IP, VP) Komplementen keine echten Generalisierungen abgeleitet werden. Satzwertigkeit muß also als intuitiver Begriff charakterisiert werden, dessen Verwendung in der formalen Grammatik nur als Präliminarie akzeptiert werden kann und dessen Verwendung ansonsten eine gewisse Hilflosigkeit innewohnt. Der Begriff der Satzwertigkeit könnte natürlich immer noch als nützlich verstanden werden, wenn gezeigt werden könnte, daß hierdurch zumindest eine syntaktisch-semantische Regelmäßigkeit ausgedrückt werden kann, also etwa folgen würde, daß syntaktische Satzwertigkeit mit einer bestimmten semantischen Struktur korrespondiert.
1.1.3.2 Semantische Satzwertigkeit Tatsächlich liegt der semantische Begriff der Satzwertigkeit dem intuitiven Gehalt dieses Begriffs wesentlich näher als die o.g. distributionellen oder kategorialen Bestimmungen. Eine vorläufige Definition dieses Begriffs kann in (49) gegeben werden:
Weitere Argumente für die Annahme, daß es sich hier um Anhebungsverben handelt, ergeben sich aufgrund der Einbettung unpersönlicher Konstruktionen, wie (i) und (ii) zeigen, (i) weil ihm schlecht zu werden begann (ii) Es fing an, ihm schlecht zu werden, (iii) Es hörte auf, ihm schlecht zu gehen.
19
(49)
Semantische Satzwertigkeit: Ein bestimmter Ausdruck X gilt dann als satzwertig, wenn X in eine semantische Repräsentation X' übersetzt werden kann, der der Typ .Proposition' zugewiesen wird.20
Die Definition in (49) ist unproblematisch, allerdings in ihrer Formulierung auch trivial. Soll der Begriff der semantischen Satzwertigkeit Bedeutung erhalten, müßte zumindest gezeigt werden können, daß die Definition in (49) die Formulierung einer Implikation erlaubt, aus der eine eindeutige Syntax-Sematik-Beziehung abgeleitet werden könnte. Eine solche Implikation könnte etwa aussehen wie in (50). (50)
Satzwertigkeit: Syntaktische Komplemente der Kategorie CP werden in Propositionen übersetzt. Komplemente des Typs IP (und VP) werden in Eigenschaften übersetzt.
Entsprechend muß ein syntaktisches CP-Komplement von wünschen - wie hier in (51) - semantisch einer Proposition entsprechen. (51)
Ulrich wünscht zu kommen.
(50) ist allerdings, wie sich leicht zeigen läßt, in zweifacher Hinsicht inadäquat. Zunächst kann man feststellen, daß sehr wohl IP-Komplemente vorliegen, die nach (49) satzwertig sein müssen. Dies ist gerade wieder bei den Phasenverben der Fall. In (52) muß ein IP-Komplement vorliegen, dennoch wird man wohl kaum annehmen können, daß dieses Komplement - zu regnen - eine Eigenschaft denotiert. (52)
Es hat angefangen [jp zu regnen]
Daß aber auch syntaktisch als satzwertig zu bezeichnende Komplemente nicht notwendig in Propositionen übersetzt werden dürfen, und somit auch der zweite Teil der Implikation hinterfragt werden muß, zeigt Chierchia (1984), dessen Argument kurz wiederholt werden soll.21 Wenn der in (50) charakterisierte Begriff der Satzwertigkeit überhaupt von Nutzen sein sollte, sollten intuitiv gültige Schlußfolgerungen unter Rekurs auf (50) korrekt formalisiert werden können. Als Beispiel für eine gültige Schlußfolgerung und ihre Formalisierung kann hier (53) aufgeführt werden. Hier wird über den Individuenbereich quantifiziert und mittels universeller Instantiierung und Modus Ponens22 die c)-Klausel abgeleitet. (53)
2
2
'
22
a. Nando mag jeden, den Nunzio mag. b. Nunzio mag Mimi. c. Nando mag Mimi.
Es ist prinzipiell nicht relevant, welchen Typ man Sätzen zuweist, solange neben diesem Typ noch ein weiterer Typ vorliegt, in den die nicht-satzwertigen Ausdrücke übersetzt werden können. Chierchias Analyse setzt einige wesendiche Prämissen voraus, die man nicht teilen muß. Eine kritische Diskussion findet sich etwa in (Ladusaw 1987). Chierchias Schlußfolgerungen müssen daher nicht zwingend übernommen werden, sie zeigen aber auf, daß einem intuiüv plausiblen Begriff nicht notwendig ein formal gültiger Begriff entsprechen muß. Die Inferenzregel des Modus Ponens ist wie folgt definiert: Gegeben seien als Prämissen die Implikation A -» B sowie A. Dann folgt auch B.
20
(54)
a. Vx[mag(nunzio, ) -» mag(nando, )] b. mag(nunzio, mimi) c. mag(nando, mimi)
Setzt man nun an die Stelle der Objekt-NPen in (53) propositionale Komplemente, sollten die eben vorgestellten Mechanismen es ermöglichen, die intuitiv gültigen Schlüsse zu formalisieren. Übersetzt man also das Komplement von versuchen in eine Proposition, ergibt sich für (55) allerdings die unzulässige Formal is ierung (56) - erst eine Übersetzung in eigenschaftswertige Ausdrücke fuhrt hier zu einer korrekten Formalisierung (57). (55)
a. Nando versucht alles, was Ezio versucht. b. Ezio versucht, frühmorgens zu joggen. c. Nando versucht, frühmorgens zu joggen.
(56)
a. Vp[versucht(ezio, p) -» versucht(nando, p)] b. versucht(ezio, joggen(ezio)) c. #versucht(nando, joggen(ezio))
(57)
a. VP[versucht(ezio, P) -» versucht(nando, P)] b. versucht(ezio, joggen) c. versucht(nando, joggen)
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß der Begriff der Satzwertigkeit weder wohlfundiert ist, wenn man ihn als puren syntaktischen Terminus verwendet, noch eine sinnvolle Unterscheidung einfuhrt, wenn er semantisch interpretiert wird. Der Begriff der Satzwertigkeit wird also in der Folge keine Rolle mehr spielen. Dennoch sollten aber die verschiedenen Intuitionen, die in den Begriff der Satzwertigkeit eingeflossen sind, bei einer Charakterisierung nicht unberücksichtigt bleiben. Dies wird besonders deutlich werden, wenn wir in den folgenden Abschnitten den Bech'schen Begriff der (In-)Kohärenz zu analysieren versuchen. Dieser Begriff wird ja oftmals ohne weitere Reflexion mit dem Begriff der Satzwertigkeit identifiziert.
l .2
Bechs Theorie der Kohärenz
Bechs Theorie der infiniten Syntagmen baut auf drei Phänomenen auf, von denen zwei, die Statusrektion und die Orientierung, im letzten Abschnitt diskutiert, oder doch zumindest angesprochen worden sind. Zu verdeutlichen ist hierbei insbesondere der Begriff der Orientierung. Bech differenziert nicht zwischen Kontrolle und Anhebung und ersetzt diese Unterscheidung durch den Begriff der Orientierung. Die mit dieser (syntaktischen) Unterscheidung korrespondierenden Eigenschaften, insbesondere die Subjektfähigkeit (1.1.2.1) entgingen augenscheinlich seiner Aufmerksamkeit. Die Verben scheinen und versprechen erfahren somit eine (zu) einheitliche Analyse: Beide regieren den 2. Status und sind, in Bechs Terminologie, subjektorientiert. Sie unterscheiden sich allerdings in Hinsicht auf das oben bereits angesprochene dritte Kriterium vonein-
21
ander: Während versfrechen und sein Komplement sowohl kohärent als auch inkohärent konstruieren können, besteht für scheinen nur die Möglichkeit der kohärenten Konstruktion. Der im letzten Absatz bereits angesprochene Begriff der Kohärenz ist der zentrale Untersuchungsgegenstand dieses Abschnitts. Zum einen soll verdeutlicht werden, was unter diesem Begriff zu verstehen ist - einer voreiligen Identifikation von Inkohärenz und Satzwertigkeit sind wir ja im Abschnitt 1.1.3.2 entgegengetreten. Zum anderen soll ausgearbeitet werden, wie der Begriff der Kohärenz in die bislang vorgestellte Klassifikation der infiniten Komplementation integriert werden kann. Vor einer Detailbetrachtung des Kohärenzbegriffs ist es allerdings sinnvoll, einige Aspekte der Bech'schen Orientierungstheorie zu verdeutlichen, da sowohl die formalen als auch die inhaltlichen Aspekte dieser Theorie mit der Kohärenztheorie interagieren. Die Orientierung eines Verbs wird in Bechs Theorie durch den sog. Koeffizienten repräsentiert. Dieser gibt an, welche grammatische Funktion des regierenden Verbs (V) mit welcher grammatischen Funktion des regierten Verbs (V") koreferent ist. In bezug aufscheinen, versprechen und überreden ergeben sich die in (58) dargestellten Repräsentationen der Orientierung.23 (58)
a. scheinen: (N':N") b. versprechen: (N':N") c. überreden: (A':N")
Die Koeffizienten sind so zu lesen, daß das Subjekt von scheinen identisch zum (logischen) Subjekt des verbalen Komplements von scheinen ist. Entsprechendes gilt für versprechen, während hingegen im Beispiel (58c) das Akkusativ-Objekt von überreden mit dem logischen Subjekt des verbalen Komplements von überreden koreferiert.24 Die Orientierungsverhältnisse in (58) könnten allesamt in entsprechende Kontrollverhältnisse etwa der Rektions- und Bindungstheorie übersetzt werden, weil hier jeweils das Subjekt (N") des regierten Verbs mit dem Subjekt bzw. Objekt des regierenden Verbs koreferent ist. Dies ist jedoch keine prinzipielle Einschränkung. So beschreibt Bech das passivische werden als Verb, dessen Subjekt auf das (nicht realisierte) Objekt des regierten Verbs bezogen ist:25 (59)
werden: (N':A")
Die Bech'sche Theorie der Kontrolle steht - wie bereits angesprochen - nicht im Mittelpunkt unserer Untersuchung. Wir wollen an dieser Stelle nur kurz auf einen bemerkenswerten Aspekt der Orientierungstheorie eingehen und die induzierte Lokalität der Orientierung diskutieren.
1.2.1
Zur Lokalität der Kontrolle bei Bech
Die Bech'sche Theorie der Orientierung erfüllt ein striktes Lokalitätsprinzip. Aus ihr folgt nämlich, daß es einen Koeffizienten der Form N':N'" nicht geben kann. Dies ergibt sich zunächst Die von Bech zur Beschreibung der grammatischen Funktionen gewählten Abkürzungen sind eigentlich selbsterklärend und bedürfen daher kaum einer Präzisierung: Sei V* ein beliebiges Verb mit dem - in Abs. 1.2.1 präzisierten - Index , ', dann sind Nx, Dx und Ax das Subjekt, Dativ- bzw. Akkusativobjekt von V*. Tatsächlich weist die Bech'sche Theorie der Orientierung eine frappierende Ähnlichkeit zur Kontrolltheorie der LFG in Bresnan (1982b) auf. Hierzu sollten insbesondere Bechs Orientierungsregeln in (1983, § 84) mit der Lexical Rule of Functional Control verglichen werden. Impersonalkonstruktionen hat Bech ignoriert.
22
einmal aus der Annahme, daß Orientierung implizit an Statusrektion geknüpft ist und Statusrektion wiederum strikt lokal ist. Es ist ausgeschlossen, daß ein Verb A den Status eines Verbs C regiert, wenn zwischen A und C ein weiteres Verb B interveniert. Daß dies empirisch adäquat ist, zeigen die Beispiele in (60). In (60b) und (60c) wird jeweils ein Status über einen anderen Regenten hinweg zugewiesen - die Beispiele sind folglich ungrammatisch. Wir können daher davon ausgehen, daß die Bech'schen Rektionsverhältnisse im üblichen Sinne strikt lokal zu interpretieren sind. (60)
a. weil er zu gewinnen versuchen gewollt hat b. *weil er gewinnen versuchen gewollt hat c. *weil er zu gewinnen versucht wollen hat
Weitere Argumente für die Lokalität der Orientierung ergibt sich aus der Bestimmung der Verbalfelder durch Division und Multiplikation. Um zu determinieren, welchen Koeffizienten ein bestimmtes Verb besitzt, kann man dieses Verb mit einem anderen Komplex multiplizieren, indem man den Komplex unter das betreffende Verb einbettet. Der Koeffizient des Verbs tritt dann dadurch zutage, daß eine grammatische Funktion des neugewonnenen Komplexes koreferent mit dem Subjekt des alten Komplexes ist. Diese Koreferenz entspricht dann der Orientierung. (61)
a. Er kommt * wollen = Er will kommen (N':N") b. Er kommt * bitten = Er bittet ihn, zu kommen (A':N")
Die in (6l) durchgeführte Multiplikationsoperation setzt jedoch wiederum eine strikte Lokalität der Orientierung voraus. Diese bei Bech nur implizite Lokalität hat allerdings weitreichende empirische Folgen; durch sie wird nämlich vorhergesagt, daß eine Kontrollgleichung der Form N' = N'" nur dann zulässig ist, wenn sowohl die Gleichung 7V' = A""als auch die Gleichung X" = 7V"'gegeben ist. Bechs Theorie schließt so nicht nur Fälle von Super-Raising (Chomsky 1986b) aus (62a), sondern erfaßt auch den Gehalt von Manzinis Generalisierung (Manzini 1983), dergemäß ein möglicher Kontrolleur immer dem nächsthöheren Prädikat angehören muß; ein Prädikat wie FOOBAR in (62b), dessen Subjekt nicht vom nächsten, sondern erst vom übernächsten Subjekt kontrolliert wird, ist daher ausgeschlossen.26 (62)
a. *Peter appears that it is likely to win. b. Mary suspected that John would FOOBAR Bill to behave herself.
Diese Lokalität der Orientierung ist - neben ihrer theoretischen Eleganz - in Bezug auf einen weiteren Aspekt von zentraler Bedeutung: Bech gliedert Orientierung nicht zwischen Kontrolle und Anhebung auf. Dies mußte bislang als reiner Nachteil aufgefaßt werden, da syntaktische Differenzen von Kontrolle und Anhebung so nicht erfaßt werden können. Nun zeigt sich jedoch, daß eine einheitliche Behandlung von Kontrolle und Anhebung auch Voneile besitzt, denn im Bech'schen Modell sind Kontrolle und Anhebung strikt lokale Prozesse und jede Theorie, die 26
Es ist notwendig, dieses Phänomen anhand des Englischen darzustellen, da es im Deutschen keine Anhebungsverben gibt, die ein Anhebungsverb einbetten, das ein infinites Komplement besitzt. Eine kritische Bewertung von Manzinis Generalisierung findet sich in Sag/Pollard (1991). Aus diesem Aufsatz stammt auch das Beispiel (62b).
23
Kontrolle und Anhebung zu behandeln versucht, sollte diese Prozesse in Bezug auf ihre Lokalität einheitlich behandeln. Daß dies nicht selbstverständlich ist, zeigt die Behandlung dieser Phänomene in der Rektions- und Bindungstheorie, die hier keine einheitlichen Prinzipien vorzustellen vermag. Wir werden dieser artifiziellen Trennung nicht folgen und in Kapitel 3 einheitliche Mechanismen zur Behandlung von Kontrolle und Anhebung vorstellen, aus denen die o.g. Fakten direkt folgen.
1.2.2
Das Verbalfeld
Der letzte Abschnitt hat ein weiteres Mal verdeudicht, daß Bech in seinen Studien mehrfach Ergebnisse vorweggenommen hat, die innerhalb der generativen Theoriebildung erst Jahrzehnte später formuliert werden konnten. Es sollte dennoch nicht vergessen werden, daß Bech zum Zeitpunkt der Abfassung der Studien nicht auf die hierarchische Ordnung syntaktischer Einheiten mittels rekursiver Einbettung zurückgreifen konnte. An die Stelle des Konstituentenbegriffs tritt bei Bech der Begriff des Felds, wobei Felder bereits als hierarchische Objekte verstanden werden sollten. Ein Indiz für die Annahme, daß der Bech'sehe Feldbegriff kein Terminus der Wortstellungslehre sein kann,27 ist, daß Bech diskontinuierliche Felder zuläßt, wie etwa im folgenden Beispiel: (63)
Er soll den Vater gebeten haben, den Jungen laufen zu lassen.
In (63) bildet den Jungen zu lassen ein Verbalfeld. Dieses wird aber durch ein anderes Verbalfeld laufen - unterbrochen.28 Das bereits im letzten Satz implizit eingeführte Verbalfeld ist die kleinste Einheit der Bech'schen Theorie. Zum Verbalfeld zählen zunächst einmal das Verb, sowie alle von diesem Verb abhängigen nominalen Ergänzungen. Dies bedeutet insbesondere, daß ein Verb, das vom einem anderen Verb statusregiert wird, nicht zum Verbalfeld des Regenten zählt, sondern ein eigenes Verbfeld bildet. Eine präzisere Definition dieses Begriffs gibt Bech in (1983, § 36), die hier eingeführte bzw. im weiteren benötigte Notation ist in NK1 bis NK4 definiert:29
^
2
°
In der neueren Rezeption findet sich manchmal die Annahme, daß eine Rückbesinnung auf eine pure Wortsteilungsbehandlung der Infinitivkonstruktionen möglicherweise zu einer plausibleren Analyse führen würde. Diese Ansicht vertritt etwa M. Reape (vgl. Reape 1992). Dem kann ich nicht zustimmen. Zum einen war Bech, wie bereits erwähnt, gezwungen, mit einem rein topologisch ausgerichteten Instrumentarium zu arbeiten, verwendete aber dieses Instrumentarium keineswegs streng im Sinne einer Wortstellungslehre; zum anderen wird sich zeigen, daß der Begriff der Kohärenz in wesentlichen Belangen auf Subkategorisierung reduziert werden kann - mithin ein Phänomen, das nur marginal in bezug zur Wortstellungslehre steht. Als weiteres Argument gegen die Hypothese, die Bech'sche Theorie sei eine Theorie der Wortstellung, kann hier angeführt werden, daß Bech explizit Merkmalsperkolation etwa im Sinne der X'-Syntax zwischen dem Kopf einer Phrase (bei Bech: dem Verb innerhalb eines Verbalfelds) und dem Verbalfeld zuläßt. Vgl. hierzu Bech (l983, S 130). Bei allen folgenden Zitaten aus Bech (1983) habe ich die Bech'sche Orthograhie stillschweigend der heute (noch) gülügen Groß- und Kleinschreibung angepaßt. Die notationellen Konventionen wurden Bech (1983, §§ 17, 26) entnommen.
24
(64)
Verbalfeld: a. Zu jedem fin i ten oder supinischen Verbum [...] gehört ein [...] Verbalfeld, das u.a. auch das betreffende Verbum umfaßt. b. Jeder Satz enthält ebenso viele Verbalfelder, wie er finite oder supinische Verben umfaßt. c. Zum Verbalfeld Fn gehören außer dem Verbum Vn alle Bestandteile des Satzes, die von Vn abhängen, außer Vn+1 und diejenigen Glieder, die von V n+1 abhängen.30 d. Die Verbalfelder Fn und F n+1 sind durch Statusrektion zwischen Vn und Vn+1 miteinander verbunden.
(NK1) (NK2)
(NK3)
(NK4)
Ein K bezeichnet im folgenden jeweils ein Verb. Verbalfelder werden durch ein F bezeichnet. Obere Rangindizes (V1, V2, ..., V") und Primes (V1, V", ...) V1 ist das maximal übergeordnete Verbum einer Kette, d.h. das Verbum, das nicht in einem von einem anderen Verbum regierten Status steht; V2 ist das Verbum dessen Status von V1 regiert wird, usw. Allgemein gilt: Vn regiert den Status von V1""1. Das Regens kann auch durch V, das Regimen durch V" markiert werden. Untere Rangindices (V0, Vi, ..., Vn) Falls V1 das Verbum finitum eines Hauptsatzes [...] ist, ist VQ = V1, Vi = V2, usw. Falls V1 nicht das Verbum finitum eines Hauptsatzes ist, ist Vi = V1, V2 = V2, usw. In diesem Fall gibt es kein VQ. Allgemein gilt, daß Vn = Vn+1, wenn VQ vorhanden ist und Vn = Vn ansonsten. Statusmarkierung und Finitheit V(0) bezeichnet ein Verbum finitum, V(n) ein Verbum im n'ten Status.
Angewandt auf (63) ergeben die in (64) angegebenen Bedingungen, daß in (63) fünf Verbalfelder (F1 bis p5) vorliegen, da gemäß (64a) jedem Verb ein Verbalfeld zugeordnet werden muß und gemäß (64b) und (64c) kein Verb in mehr als einem Verbalfeld lokalisiert ist. Die Bedingungen in (64c) und (64d) geben darüber hinaus aufgrund der Zuordnung von V und F Aufschluß über die einzelnen Verbalfelder in (63): F1 umfaßt demgemäß das Verbum finitum, sowie das Subjekt des Satzes; F2 enthält nur haben; dieses Verb ist damit zugleich V2 und regiert gebeten, das zusammen mit seinen Argumenten das dritte Verbalfeld bildet. F4 umfaßt den Jungen zu lassen, dieses ist, wie bereits angesprochen, diskontinuierlich und umschließt das fünfte Verbalfeld, das nur aus dem Verb laufen besteht.
Die Bedingung (64c) erlaubt nach meinem Dafürhalten zwei Interpretationen, wenn sie in Verbindung mit der Bech'schen Theorie der Orientierung betrachtet wird: Wenn die Koeffizienten der Statusregenten als Gleichungen zu lesen sind, bestünde die Möglichkeit, die betreffenden Koeffizientenglieder mehr als einem Verbalfeid zuzuordnen, da in (64c) nicht explizit von den realisierten Argumenten des Verbs, sondern nur von den abhängigen Elementen die Rede ist. Somit könnte also in (63) N', d.h. das Satzsubjekt, auch Bestandteil von F2 sein, da V* den Koeffizienten (N':N") trägt. Wir wollen in der Folge aber davon ausgehen, daß nur die realisierten Elemente Bestandteile eines Verbalfeldes sein können. Falls ein Verb V den Koeffizienten (X':Y") trägt, dann gehört X' nur zu F' und nicht zu F".
25
l .2.3
Das Kohärenzfeld
Wenn wir in der Folge von kohärenten Konstruktionen sprechen, so ist dies so zu verstehen, daß zwei verbale Syntagmen - d.h. ein Statusregent V und ein Regimen V" - in einem Kohärenzfeld lokalisiert sind. Eine inkohärente Verbindung zwischen V und V" liegt dann vor, wenn V in einem anderen Kohärenzfeld als V" lokalisiert ist. In diesem Sinne ist Kohärenz abstrakt als Mitgliedschaft in einer bestimmten lokalen Domäne, dem Kohärenzfeld, definierbar. Das Kohärenzfeld besitzt im Gegensatz zum Verbalfeld eine reiche interne Struktur, die Bech wie folgt charakterisiert: „Ah fundamentale topologische Einheit betrachten wir hier das Kohärenzfeld (K). Jedes Kohärenzfeld zerfällt in zwei Teile: ein Schlußfeld (S) und ein Restfeld (R), die in der Reihenfolge R S stehen. Man kann also sagen, daß Kn = Rn + Sn ist. Für jedes Kohärenzfeld gilt im allgemeinen, daß S alle Verben - außer VQ - enthält, die zum betreffenden K gehören und entweder finit oder supinisch sind, während R die übrigen Bestandteile des Kohärenzfeldes umfaßt. Wo ein VQ vorhanden ist, gehört dieses Verbum also nicht zu S, sondern zu R." (Bech 1983, § 55) Wenn wir voraussetzen, daß in (65) nur ein Kohärenzfeld vorliegt, können die geklammerten Verben als das Schlußfeld dieses Kohärenzfeldes bestimmt werden. Wie im o.g. Zitat angegeben, zählt das Verbum finitum nicht zum Schluß- sondern zum Restfeld. Man könnte nun annehmen, daß dies - wie in (65) - daran liegt, daß das Schlußfeld eine „diskontinuierliche Konstituente" bilden müßte, wenn das finite Verb in Zweitstellung ebenfalls zum Schlußfeld gezählt werden würde. (65)
Er soll nicht mehr (zu rauchen versprochen haben)
Tatsächlich läßt Bech im Gegensatz zu den diskontinuierlichen Verbalfeldern keine diskontinuierlichen Kohärenzfelder zu.31 Hieraus darf jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß auch keine diskontinuierlichen Bestandteile der Kohärenzfelder zugelassen wären. Wie wir weiter unten sehen werden hat die Ausgliederung des Verbum finitums in (65) andere Gründe. Aus dem o.g. Zitat ergibt sich zwar die interne Struktur der Kohärenzfelder; unklar bleibt jedoch, unter welchen Bedingungen die einzelnen Verbalfelder Kohärenzfelder bilden. In der o.g. Charakterisierung ist von der Kombination einzelner Verbalfelder zu einem Kohärenzfeld nicht die Rede. Tatsächlich taucht der Begriff des Verbalfelds in dieser Spezifikation überhaupt nicht auf. Die bereits im letzten Abschnitt implizit vorausgesetzte Annahme, daß Kohärenzfelder in durch Statusrektion miteinander verbundene Verbalfelder zerfallen, kann wie folgt präzisiert werdend
31 32
Vgl. Bech (l983, §57). Diese Annahme folgt aus der Tatsache, daß das Schlußfeld eines Kohärenzfeldes nur finite oder supinische Verben enthält. Dies bedeutet, daß das Schlußfeld - bis auf das Verbum finitum - nur Verben enthält, deren Status regiert sind - Partizipia sind in seiner Charakterisierung (Bech 1983, § 55) - explizit ausgeschlossen. Der zentrale Unterschied zwischen den supinischen und den partizipialen Infinitiven ist aber gerade, daß der Status der letzteren nicht regiert wird.
26
„Eine Kette von hypotaktisch, d.h. durch Statusrektion verbundenen Verbalfeldern besteht aus einem oder mehreren Kohärenzfeldern; und jedes Kohärenzfeld umfaßt mindestens ein Verbalfeld." (Bech 1983, § 56) Hieraus folgt zunächst, daß jedes Verbalfeld Fm mit jedem beliebigen anderen Verbalfeld Fn eine kohärente Konstruktion eingehen kann, wenn entweder Vm den Status von Vn regiert, oder umgekehrt. Aus diesen Bemerkungen ergibt sich jedoch nicht, unter welchen Bedingungen Verbalfelder in einem Kohärenzfeld zu lokalisieren sind. Vorläufig muß Kohärenz also als triviale Bedingung behandelt werden - Kohärenzfelder sind demgemäß größere Gruppierungen von Verbalfeldern. Unter Berücksichtigung dieses Faktums kann nun auch der Begriff der kohärenten bzw. inkohärenten Verbindung präzisiert werden: „Von zwei Verbalfeldern, die zur selben hypotaktischen Kette gehören, wollen wir sagen, daß sie kohärent sind, wenn sie zum selben Kohärenzfeld gehören, und inkohärent, wenn sie zu zwei verschiedenen Kohärenzfeldern gehören." (Bech 1983, §58) Ohne eine exakte Bestimmung der einzelnen Kohärenzkriterien vorgenommen zu haben, kann bereits jetzt festgestellt werden, daß das Beispiel (63) in zwei Kohärenzfelder (K1 und K2) zerfällt. Wir folgen hier der Konvention Bechs und trennen Kohärenzfelder in einem Satz durch Längsstriche (|) voneinander ab. Für (63) ergibt sich dann die Darstellung in (66): (66)
Er soll den Vater (gebeten haben) | den Jungen (laufen zu lassen)
(66) macht insbesondere deutlich, daß Kohärenzfelder nicht durch einen Mangel an Statusrektion konstituiert werden, d.h. man kann nicht postulieren, daß der Status des übergeordneten Verbums eines Kohärenzfeldes nicht regiert wird.33 So regiert in (66) das maximal untergeordnete Verbum des ersten Kohärenzfeldes (bitten) den Status des maximal übergeordneten Verbums (lassen) des zweiten Kohärenzfeldes, wie das folgende unzulässige Beispiel zeigt: (67)
*Er soll den Vater gebeten haben, den Jungen laufen lassen
Da nun also Statusrektion nicht als charakteristische Voraussetzung für die Kohärenz von F' und F" gewertet werden kann, erhebt sich die Frage, welche Kriterien für Kohärenz angegeben werden können.
1.2.4
Kriterien für Kohärenz
Kohärenz wird - wie bereits mehrfach erwähnt - bei Bech nicht durch eine Definition erläutert, sondern als das Zusammenwirken verschiedener exemplarischer Eigenschaften eingeführt. Eine formale Charakterisierung des Kohärenzbegriffs anhand der Inklusion bzw. Exklusion von Verbalfeldern in einem Kohärenzfeld kann dennoch vorgelegt werden. Demgemäß liegt Kohärenz genau dann vor, wenn sich zwei Verbalfelder F' und F" in demselben Kohärenzfeld K befinden. Ist dies der Fall, so kann man bestimmte Phänomene feststellen, die nicht vorliegen, Tatsächlich ist dies - d.h. Unterbrechnung der Statusrektion - die Bedingung für den Abschluß einer hypotaktischen Kette (H) im zweiten Teil von Bech (1983).
27
wenn sich F' und F" nicht in demselben Kohärenzfeld befinden. Diese Phänomene werden wir im folgenden vorstellen.
1.2.4.1 Eigenschaften bei kohärenter Konstruktion In monoverbalen Konstruktionen besteht im Deutschen die Möglichkeit, die Argumente des Verbs in mehr als einer Reihenfolge zu serialisieren. Dies kann anhand von (68) verdeutlicht werden, in denen ein pronominalisiertes Dativ- oder Akkusativobjekt vor das Subjekt gestellt werden kann.34 (68)
a. b. c. d.
weil der Mann dem Kind die Schokolade gab weil ihm der Mann die Schokolade gab weil sie der Mann dem Kind gab weil sie ihm der Mann gab
Entsprechendes kann auch beobachtet werden, wenn zwei kohärente Felder F' und F" vorliegen - Argumente von V" können vor N' gestellt werden. (69)
a. Zwar vermochten [A" mich] [N' seine Ergebnisse] nicht zu befriedigen, b. Zuletzt mußte [D" ihr] [N' die alte Frau] die Hände führen.
In (69a) wird A" vor N' lokalisiert; in (69b) ist D" N' vorgeordnet. Mit dem gleichen Ergebnis können auch die Beispiele in (68) in eine kohärente Konstruktion eingebettet werden, dessen V die Orientierung N':N" besitzt. (70)
a. b. c. d.
weil der Mann dem Kind die Schokolade geben wollte weil ihm der Mann die Schokolade geben wollte weil es der Mann dem Kind geben wollte weil es ihm der Mann geben wollte
Als erstes Kohärenzkriterium kann also festgehalten werden: (71)
1. Kohärenzkriterium: Befinden sich Verbalfelder F' und F" in einem Kohärenzfeld K, so können Elemente von F" vor Elementen von F' erscheinen.35
Das zweite Kohärenzkriterium betrifft bestimmte Eigenschaften des Negationsträgers nicht. Zum einen kann hier beobachtet werden, daß ein Negationsträger, der F" zugeordnet zu sein scheint, da er sich topologisch zwischen V" und D" oder A" befindet, auch auf V bezogen werden kann, wenn F' und F" kohärent konstruiert sind (72). Darüber hinaus kann ein Negationsträger, der V modifiziert, mit Elementen von F" eine kohäsive Verbindung eingehen, d.h. der Negationsträger kann mit einem Element von F" zu einem Wort verschmelzen (73).
34
35
Ob die in (68) exemplifizierte Abfolge durch Bewegung, Basisgenerierung oder Linearitätsbeschränkungen abgeleitet wird, kann hier nicht diskutiert werden. Einen Überbück über den deutschen Phänomenbestand gibt Lenerz (1977), der Versuch einer Formalisierung der Lenerz'schen Theorie innerhalb der GPSG findet sich in Uszkoreit (1987a, b). Vgl. Bech(1983, §§57,75).
28
(72) (73)
daß ich ihm nicht helfen konnte a. Daran konnte der Stimmklang auch nichts ändern, b. An eine solche konnte somit nie appeliert werden.
Daß der zwischen D" und V" lokalisierte Negationsträger in (72) auf V bezogen werden kann, ist sofort ersichtlich und muß daher nicht erläutert werden. Die kohäsive Verbindung in (73) wird deutlich, wenn man Paraphrasen der Beispiele bildet - in (73a) kann dann nichts in nicht und etwas aufgespalten werden, in (73b) nie in nicht und jemals. (74)
a. Es war nicht möglich, daß der Stimmklang etwas daran änderte, b. Es war nicht möglich, jemals an eine solche zu appelieren.
Dieses zweite Kriterium kann wie folgt formuliert werden: (75)
2. Unterscheidungskriterium: In kohärenten Konstruktionen kann ein zu V" gehöriger Negationsträger auf V bezogen werden.36
Um das dritte Unterscheidungskriterium zu explizieren, ist es notwendig, daß Kohärenzfeld nochmals hierarchisch aufzugliedern. Bech unterteilt das Schlußfeld in ein Ober- und ein Unterfeld, wobei ein Schlußfeld immer ein Unterfeld enthält, ein Oberfeld hingegen optional ist. Das Oberfeld kann vom Unterfeld durch die Reihenfolge der einzelnen Verben unterschieden werden: Die Reihenfolge der Verben im Unterfeld entspricht ihrem unteren Rangindex in dem Sinne, daß V n+ i hier vor Vn lokalisiert ist. In (76) liegt im Schlußfeld nur ein Unterfeld vor: (76)
?Man kann ihn hier (Iiegen3 bleiben2 lassen i)
Im Oberfeld können nun nur finite sowie im 1. Status markierte Verben auftreten, wobei deren Reihenfolge dem Unterfeld gegenüber entgegengesetzt ist. Hier muß allerdings festgehalten werden, daß Oberfeldumstellungen zumeist als marginal grammatisch bewertet werden, wenn das Verb im Oberfeld im 1. Status realisiert wird. Dies wird anhand der Daten in (77) deutlich. Anders ist die Situation, wenn sich im Oberfeld ein finites Verb befindet. Diese Umstellungen werden als völlig zulässig bewertet (vgl. auch 1.2.4.3).37 (77) (78)
a. Man kann ihn hier (lassen i liege^ bleibe^) b. ohne ihn (haben \ sehen3 zu könne^) a. Daß ein minder schwerer Fall hätte angenommen werden können, ist nicht in die Nähe der Überlegungen des Gerichts gekommen, b. Er könne nicht begreifen, wie er sie habe schreiben können.
Charakteristisch ist im Falle der Oberfeldumstellung auch der sog. Ersatzinfinitiv. In (77b) wird der 2. Status an der ,falschen' Stelle realisiert, die eigentlich korrekte Statusmarkierung ergäbe (79a) dessen Umordnung (79b) als gänzlich ungrammatisch bewertet wird:
36 37
Vgl. Bech (1983, §§ 80, 164). Vgl. auch Haider (1991a:124fh3).
29
(79)
a. ohne ihn (sehen3 gckonnt2 zu haben i) b. *ohne ihn (zu haben i sehen3 gekonnt2)
Das dritte Kriterium kann wie folgt formuliert werden: (80)
3. Unterscheidungskriterium: Ein Oberfeld kann nur in kohärenten Konstruktionen auftreten.38
Ein weiteres Kohärenzkriterium betrifft die möglichen Antezedenten von Reflexivpronomina. Bech stellt fest, daß ein in F" lokalisiertes Reflexivpronomen in bestimmten kohärenten Konstruktionen (insbesondere bei Einbettung unter lassen) auf N' bezogen werden kann. Die Koreferenz ist in den folgenden Beispielen durch Kursivierung dargestellt. (81)
a. Still ließ er die Ströme durch sich hingehen. b. die Luft, die die Welt umschließt und aus sich hervorgehen läßt c. Der Soldat sah einen einfachen Soldaten vor sich stehen.
Relevant ist hierbei vor allem, daß die jeweiligen Matrixverben nicht den Koeffizienten (N':N") tragen. Eine direkte Beziehung zwischen dem Reflexivpronomen und dem Subjekt wird hier vielmehr durch A' blockiert, denn es gilt, daß A' = N", A" = N' und N' * N". Hieraus kann man ableiten, daß der Antezedens eines Reflexivpronomens keineswegs das nächste Subjekt sein muß - sonst wäre in (81) jeweils A' das Bezugsnomen, da die hier aufgerührten Verben den Koeffizienten (A':N") tragen - sondern jedes N innerhalb des Kohärenzfeldes. Dies kann in der folgenden Generalisierung ausgedrückt werden: (82)
4. Unterscheidungskriterium: Das Bezugsnomen einer Anapher kann jedes N in einem Kohärenzfeld K sein.39
Das fünfte Kriterium für Kohärenz berücksichtigt die intonatorische Struktur eines Satzes. Zwei Verbalfelder F* und F" bilden eine intonatorische Einheit, wenn sie im gleichen Kohärenzfeld lokalisiert sind; gehören sie hingegen zu zwei verschiedenen Kohärenzfeldern, finden wir zwischen F' und F" die Grenze einer Intonationsphrase, die in (83) durch einen Trennstrich repräsentiert wird. (83)
a. Sie wagt | nicht zu stören, b. Sie wagt nicht | zu stören.
In (83a) liegt eine kohärente Konstruktion vor; das Beispiel ist darüber hinaus gemäß (75) mehrdeutig, da der Negationsträger auf V und V" bezogen werden kann. In (83b) ist dies nicht möglich. Dies erlaubt die Formulierung des folgenden Kriteriums. (84)
5. Unterscheidungskriterium: Kohärent konstruierte Verbalfelder bilden eine intonatorische Einheit.40
Neben den aufgeführten Kriterien für kohärente Konstruktionen können Kriterien für das Vorhandensein inkohärenter Konstruktionen aufgeführt werden, die nicht durch einfache Negation 38 39 40
Vgl. Bech (1983, §63). Vgl. Bech (1983, §§150, 151). Vgl. Bech (1983, §§73, 77).
30
der ersten fünf Kriterien entstehen. Hierbei handelt es sich um Rechtsextraposition sowie Satzumstellung bei Relativsätzen (Pied-Piping). Da uns die Beziehung zwischen Kohärenz und Rechtsextraposition in den verschiedensten Hinsichten immer wieder begegnen wird, ist es an dieser Stelle angemessen, auf Bechs ursprüngliche Formulierung zurückzugreifen: „Wo zwei Kohärenzfelder, Kn und K n + i, dadurch miteinander verbunden sind, daß das maximal untergeordnete Verbum von Kn den Status des maximal übergeordneten Verbums von Kn.,.i regiert, steht K„ gewöhnlich vor K n+ i; R n +i steht zwischen Sn und S n+ i. Bei einer solchen Konstruktion steht V also vor V", wenn F' und F" inkohärent sind; und das Restfeld des Kohärenzfeldes, zu dem F" gehört, steht zwischen V und V"." (Bech 1983, § 66) Verdeutlichen wir dies anhand zweier Beispiele. (85)
a. weil er den Jungen (überzeugte), das Boot nochmals (zu starten) b. weil er oftmals dem Jungen (zu helfen versuchte)
In (85a) können wir überzeugen als V identifizieren; starten ist V". KI entspricht also weiter den Jungen überzeugte. Das Restfeld von K2 - das Boot nochmals - befindet sich zwischen Si und 82(85a) ist folglich inkohärent konstruiert. In (85b) ist versuchen V und helfen V". Hier ist aber nur ein Kohärenzfeld vorhanden, da die beiden Verben ein einheitliches Schlußfeld bilden und die von V" abhängigen Restfeldelemente - dem Jungen- hier nicht intervenieren. Die Konstruktion ist folglich kohärent. Das sechste Kriterium kann demgemäß lauten: (86)
6. Unterscheidungskriterium: Zwei Verbalfelder F' und F" befinden sich in zwei Kohärenzfeldern, wenn die von F" abhängigen Elemente zwischen V und V" intervenieren.41
Wenn in der Folge der Terminus,Rechtsextraposition' als Bezeichnung für das sechste Kriterium verwendet wird, darf hieraus nicht abgeleitet werden, daß eine Analyse des hier beschriebenen Phänomens in der Form einer Bewegungstransformation befürwortet wird. Darüber hinaus kann aus dem 6. Unterscheidungskriterium ein weiterer Indikator für kohärente Konstruktionen abgeleitet werden, auf den wir im Abschnitt 1.2.4.2 zurückkommen werden: In einer kohärenten Konstruktion dürfen die von V" abhängigen Elemente nicht zwischen V und V" intervenieren.42 Das letzte Kriterium betrifft Relativsatzumstellung. Ebenso wie Extraposition ist diese nur dann zulässig, wenn F" und F' inkohärent konstruieren. Bech beschreibt die Relativsatzumstellung durch Voranstellung des Kohärenzfeldes, in dem das Relativpronomen lokalisiert ist, vor das Subjekt von V. In (87) ist das vorangestellte Kohärenzfeld durch Kursivierung hervorgehoben. (87)
Dies ist ein Umstand, den zu berücksichtigen er immer vergißt.
(88)
7. Unterscheidungskriterium: Sind F' und F" inkohärent konstruiert und F" enthält ein Relativum, dann kann F" vor F' lokalisiert werden.
41 4
^
Vgl. Bech (l983, §§69, 75, 76). Da dies nicht nur für Argumente, sondern auch für Modifikatoren gilt, wollen wir den Begriff der Abhängigkeit in diesem Zusammenhang weit fassen.
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Betrachtet man abschließend die einzelnen Kohärenzkriterien im Zusammenhang, so kann festgestellt werden, daß das Ergebnis der kohärenten Verbindung von F' und F" jeweils eine Einheit ist, die einer monoverbalen Struktur ähnlich ist. Diese Äquivalenz wird noch verstärkt, wenn man ein weiteres Kriterium für Kohärenz berücksichtigt, das Bech seltsamerweise übersehen hat die Verbkomplexvoranstellung.43 Im Falle kohärenter Konstruktion kann ein aus V und V" bestehender Komplex vor VQ bewegt werden, wie das folgende Beispiel zeigt. (89)
Geschlagen werden will doch heute kein Schüler mehr.
Dies können wir im achten Kriterium festhalten: (90)
8. Unterscheidungskriterium: Im Falle kohärenter Verbindung von F' und F" können V und V" zusammen vor VQ gestellt werden.
Im Falle einer inkohärenten Verbindung ist eine solche Vereinheitlichung nicht gegeben; hier liegen immer wenigstens zwei (bis auf Statusrektion) unabhängige Einheiten vor. Dies geht insbesondere aus dem 7. Unterscheidungskriterium hervor, in dem von der Verschiebung eines Feldes in bezug auf ein anderes Kohärenzfeld die Rede ist. Der Begriff der Kohärenz hätte also von Bech in der Form einer näher zu spezifizierenden Komplexbildung durch Statusrektion verbundener Verben definiert werden können. Auf eine solche über die Beschreibung hinausgehende - Charakterisierung hat Bech allerdings verzichtet. In seinem Sinne ist eine Konstruktion dann als kohärent zu bewerten, wenn die o.g. Eigenschaften auf sie zutreffen.
1.2.4.2 Zur Typologie der Kohärenz Will man über eine Betrachtung der Daten hinaus versuchen, Generalisierungen über Kohärenz zu formulieren, stellt sich zunächst die Frage, ob die bislang aufgeführten Kriterien für Kohärenz in Korrelation zu anderen Eigenschaften der regierenden Verben gesetzt werden können. Hier bieten sich die folgenden Alternativen an: a) b)
c)
Kohärenz korreliert mit der Rektion eines Status. Dies würde bedeuten, daß alle Eigenschaften einer kohärenten Konstruktion erfüllt werden, wenn dieser Status regiert wird. Kohärenz ist auf eine bestimmte Verbklasse eingeschränkt, korreliert aber nicht mit Statusrektion oder einer anderen Eigenschaft dieser Verben. In diesem Fall wäre Kohärenz eine einheitliche Eigenschaft dieser Verbklasse. Kohärenz ist gänzlich unabhängig von der jeweiligen Lexemwahl, d.h. alle Verben, die einen Infinitiv regieren, erlauben kohärente Konstruktion.
Im folgenden wird sich zeigen, daß den ersten beiden Alternativen eine größere Plausibilität als der letzten Alternative eingeräumt werden muß. Dies zeigt sich zum einen darin, daß Bech eine Ein von Haider (l99la) in diesem Zusammenhang als von Bech stammend zitiertes Beispiel (Haider 1991a:128, Bsp. 15a) konnte ich in Bech (1983) in der von Haider angegebenen Form nicht wiederfinden. Es spricht also nichts gegen die Annahme, daß Bech Verbkomplexvoranstellungen nicht vertraut waren bzw. er diese Konstruktion nicht für relevant hielt. Siehe dazu auch die Diskussion zur Topikalisierung in Kap. 4.
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negative Beziehung zwischen Statusrektion und Kohärenz zu etablieren vermag. Eine Unterstützung der zweiten Hypothese findet sich in dem Faktum, daß diejenigen Verben, die durch diese Beziehung nicht erfaßt werden, wenig gemeinsam haben, außer daß sie kohärente Konstruktionen erlauben. Beginnen wir mit der Beziehung von Statusrektion und Kohärenz. Bech beobachtet hierzu, daß eine Kohärenzalternation nur dann vorliegt, wenn V den 2. Status regiert. Regiert V hingegen den 1. oder 3. Status, so konstruieren F' und F" immer kohärent. Dies hält er in der folgenden Kohärenzregel fest: (91)
Kohärenzregel: Zwei Verbalfelder F' und F", die [...] dadurch verbunden sind, daß V den Status von V" regiert, sind kohärent, wenn V" im l. oder 3. Status steht, können aber je nach den Umständen kohärent oder inkohärent sein, wenn V" im 2. Status steht. (Bech 1983, § 65)
Die Kohärenzregel (91) zeigt zunächst einmal, daß die dritte der eingangs dieses Abschnitts gestellten Fragen einer Klassifikation kohärenter Konstruktionen bereits eindeutig beantwortet werden kann. Kohärenz ist keineswegs unabhängig von der Lexemwahl, da nicht alle Verben, die eine Infinitivkonstruktion zulassen, auch eine inkohärente Verbindung mit diesem Infinitiv erlauben. In der Folge werden wir sehen, daß entsprechendes auch für kohärente Konstruktionen gilt, d.h. wir finden Verben, die keine kohärenten Konstruktionen zulassen. Greifen wir aber den Ergebnissen nicht vor und verdeutlichen die Kohärenzregel anhand mehrerer Verben, die den l. bzw. 2. Status regieren, wollen und lassen, sowie versuchen und überreden. Die Anzahl der zu vergleichenden Verben ist hier nicht willkürlich gewählt, da - wie oben bereits angesprochen wurde - das vierte Kriterium nur überprüft werden kann, wenn die Orientierung von V nicht (N':N") ist. Führen wir zur einfacheren Orientierung die einzelnen Kriterien sowie die Vorhersagen, die sich aufgrund von (91) ergeben, in einer Übersichtstabelle auf. (92)
Tabelle 5: Statusrektion und Kohärenz Verb wollen lassen versuchen überreden
(71) + + * *
(75) + + *
(80) + +
(82) + *
(84) + + * *
(86) --
(88) -
(90) + +
*
*
*
Ein ,+' bedeutet hier jeweils, daß das Kriterium erfüllt werden kann, ein ,-' entsprechend, daß das Kriterium nicht erfüllt werden kann. Bei einem Stern ,*' wird durch die Kohärenzregel nichts vorhergesagt. Da wollen und versuchen den Koeffizienten (N':N") tragen, ist (82) für sie nicht aussagekräftig- folglich wird dieses Kriterium hier nicht berücksichtigt.44
Die Berücksichtigung des Kriteriums (84) würde voraussetzen, daß eine Theorie vorliegt, die Intonadonsphrasen und syntaktische Konstituenten aufeinander bezieht. Diese Fragestellung wird in der jüngeren Forschung kontrovers behandelt, wie etwa die Diskussionen in Selkirk (1984), Pullum/Zwicky (1989) oder Steedman (1991) zeigen. Da also eine isomorphe Abbildung zwischen Syntax und Phonologic keineswegs vorausgesetzt werden darf, werden wir das Kriterium (84) in der Folge gänzlich ignorieren. Ebenfalls nur eingeschränkt relevant ist (80), da ein Oberfeld nur auftreten kann, wenn das Regimen im 1. oder 3· Status markiert ist.
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(93)
a. b. c. d. e.
Darum will es der Junge dem Mann nicht schenken weil der Junge es nicht verschenken will *Darum hat der Junge gewollt es verschenken. *Das ist das Boot, das verschenken der Junge will. Verschenken wollen wird der Junge das Boot doch wohl nicht.
(94)
a. b. c. d. e.
Darum versucht es der Junge zu verschenken. weil der Junge es dem Mann nicht zu schenken versucht Darum hat der Junge versucht, es zu verschenken. Das ist das Boot, das zu verschenken der Junge lange Zeit versucht hat. Zu verschenken versuchen wird der Junge das Boot doch wohl nicht.
(95)
a. b. c. d. e. f.
Darum ließ es der Junge verrotten. weil der Junge es nicht verrotten ließ * Darum hat der Junge gelassen es verrotten *Das ist das Boot, das verrotten der Junge nicht ließ. Verrotten lassen wird der Junge das Boot nicht. Der Junge ließ das Mädchen das Boot für sich reparieren.
(96)
a. b. c. d. e.
*Darum überredete es der Junge das Mädchen zukaufen. ??weil der Junge das Mädchen es nicht zu kaufen überredete Darum hat der Junge das Mädchen überredet, es nicht zu kaufen. *Zu kaufen überreden wird der Junge das Mädchen das Boot nächste Woche. Der Junge überredete das Mädchen, das Boot für sich zu reparieren.
In den jeweiligen a.-Beispielen finden wir die Voranstellung eines unbetonten Pronomens. Den Vorhersagen von (92) entsprechen hierbei die ersten drei Verben - wollen, versuchen und lassen erlauben jeweils die Voranstellung eines Pronomens. Für überreden macht die Kohärenzregel keine Vorhersage, da es ebenso wie versuchen den 2. Status regiert. Die Unzulässigkeit von (96a) weist daraufhin, daß nicht alle Verben, die den 2. Status regieren, Kohärenzvariationen zulassen. Dies wird auch durch (96b), (96d) und (96e) bestätigt: Bereits die Intrapositionsstruktur (96b), die sowohl als kohärente, als auch als inkohärente Struktur analysiert werden könnte, ist kaum akzeptabel; die Struktur (96d), in der Kohärenz vorliegt, ist unzulässig. Interessant ist auch, daß eine .lange' Bindung von Reflexivpronomen in (96e) unzulässig ist. Eine zulässige Interpretation von (96e) bezieht das eingebettete Reflexivpronomen immer auf A' (= N"), wie durch (97) verdeutlicht werden kann. (97)
"Ulrich überredete mich, sich ein Spielzeugauto zu kaufen.
Als erstes Zwischenergebnis kann also festgehalten werden, daß die in der Kohärenzregel festgehaltene Zweiteilung durch eine Dreiteilung ersetzt werden muß: Wir finden zum einen Verben, die immer kohärent konstruieren - wie etwa wollen, zum zweiten Verben, die kohärent konstruieren können - wie etwa versprechen, drittens aber auch Verben, die nicht kohärent konstruieren können, wie überreden. Diese Unterscheidung findet sich bereits bei Bech.
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Er stellt fest, daß bestimmte Kohärenzkriterien bei Verben, die die Orientierung (A':N") und (D':N") besitzen, nie zu beobachten sind.45 Er verabsäumt es allerdings, diese Verallgemeinerung in einem der Kohärenzregel entsprechenden Prinzip zu erfassen. Dies gilt auch für Verben mit der Orientierung (N':N"), wenn diese optional ein Dativobjekt regieren (98). (98)
a. Der Tierschutzbund hatte dem Besitzer gedroht, es in einen Käfig sperren zu lassen, b. *Der Tierschutzbund hatte es dem Besitzer in einen Käfig sperren zu lassen gedroht.
Im Gegensatz zu überreden ist bei lassen ,lange' Bindung zulässig, wie (95f) zeigt. Dieses Verb verhält sich in bezug auf die Kohärenzkriterien ansonsten exakt wie wollen. Alle Kriterien für Kohärenz werden erfüllt, während Tests für Inkohärenz zu ungrammatischen Resultaten führen (93c, d; 95c, d). Das Verb versprechen verhält sich im Gegensatz zu überreden der Kohärenzregel entsprechend: Hier sind mit gleichem Resultat Kohärenz- als auch Inkohärenztests anwendbar. (93a) und (94b) zeigen die Interaktion und somit auch die Kompatibilität der verschiedenen Kohärenzkriterien. Ein entsprechender Kompatibilitätstest für die Inkohärenzkriterien ist aus naheliegenden Gründen ausgeschlossen. Was allerdings überprüft werden kann, ist die Interaktion von Inkohärenz mit den Kohärenzkriterien. Dies zeigen etwa die Beispiele in (99). (99)
a. b. c. d.
Darum hat der Junge versprochen, die Beine eine Stunde lang nicht zu bewegen. *Darum hat sie der Junge versprochen eine Stunde lang nicht zu bewegen. *Das ist das Boot, das zu schenken der Junge dem Vater versuchte.46 Das ist das Boot, das nicht zu verschenken der Junge versprach.47
(99b) und (99c) zeigen, daß Kohärenz und Inkohärenzkriterien nicht miteinander kompatibel sind und scheinen somit die Bech'sche Unterteilung zu rechtfertigen. Zusätzliche Evidenz für diese Annahme findet sich in (99a) und (99d), in denen ein Negationsträger wie vorhergesagt nicht auf das Matrixverb bezogen werden kann. Dieser kurze Vergleich hat gezeigt, daß eine Klassifikation der nicht-finiten Komplementation und somit auch eine Typologie der kohärenten Konstruktionen wenigstens drei verschiedene Aspekte berücksichtigen muß, da sowohl Verben vorliegen, die obligatorisch kohärent konstruieren, als auch solche, die obligatorisch inkohärent konstruieren. Dazwischen liegt eine Gruppe von Verben, die beide Konstruktionsmodi zulassen. Die Tabelle 5 kann entsprechend den hier 45
*°
47
Vgl. Bech (1983, §§ 181, 196). Wir verwenden hier das Verb versuchen anstelle von versprechen, weil letzteres ein optional Dativ-Objekt besitzt. Somit könnte die Unzulässigkeit von (i) auch aufgrund eines Verstoßes gegen die Subkategorisierungsforderungen von schenken abgeleitet werden. Ein entsprechender Schluß ist bei versuchen ausgeschlossen, da dieses Verb kein Dativ-Objekt regiert, (i) *Das ist das Boot, das zu schenken der Junge dem Vater versprach. Eine interessante Beobachtung betrifft die verminderte Akzeptabilität von Relativsatzumstellungen, wenn das Relativpronomen nicht adjazent zum Verb lokalisiert ist. Diese Tendenz wird bereits in (99d) deutlich. Noch einschlägiger ist das Beispiel eines Ditransidvums in (i), (i) ??Das ist das Boot, das dem Vater zu schenken der Junge versucht hat. In Bechs gesamter Untersuchung habe ich nur ein weiteres Beispiel für eine Relativsatzumstellung gefunden, in der das Relativum nicht adjazent zum Verbum liegt (Bech 1983, § 208 = (ii)). Hier interveniert eine PP in adverbialer Verwendung zwischen den beiden Konstituenten. Es scheint also so zu sein, daß eine Relativsatzumstellung nur dann völlig wohlgeformt ist, wenn Relativum und Verb adjazent zueinander liegen, (ii) die nette Mädchenkameradschaft werde gestört, die zum letzten Male zu feiern sie sich vorgenommen haben Eine Erklärung für diese Tendenz vermag ich nicht vorzulegen.
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gemachten Beobachtungen in die Tabelle 6 überführt und verallgemeinert werden, wobei die Kriterien Oberfeldumstellung und Intonation ausgelassen werden. In (100) unterscheiden wir nun zwischen obligatorischer Kohärenz (+K), optionaler Kohärenz (±K) und obligatorischer Inkohärenz (-K): (100) Tabelle 6: Statusrektion und Kohärenz II: Kohärenz +K ±K -K
(71) + * .
(75) + .
(82) ( + .
(86) ) * +
.
(88) .
(90) +
+
Zunächst erhebt sich nun die Frage, ob obligatorische Kohärenz auf Konstruktionen beschränkt ist, in denen V den 1. oder 3. Status regiert und ob obligatorische Inkohärenz auf Verben beschränkt ist, die die Orientierung (A':N") bzw. (D':N") besitzen. Wenn dies der Fall wäre, könnte ja zumindest obligatorische Kohärenz gänzlich auf die Rektion eines bestimmten Status reduziert werden, die zusätzliche Einführung eines Merkmals +K wäre somit überflüssig. Es ist jedoch festzuhalten, daß weder obligatorische Kohärenz auf Statusrektion, noch obligatorische Inkohärenz auf Objektkontrolle reduziert werden kann, da sich sowohl Verben finden, die den 2. Status regieren, aber obligatorisch kohärent konstruieren, als auch eine kleine Klasse von Verben vorliegt, die die Orientierung (N':N") besitzen, aber obligatorisch inkohärent konstruieren. Zur ersten Gruppe zählen - wie eingangs bereits angesprochen - bis auf die Phasenverben alle den 2. Status regierenden Verben, die wir als nicht subjektfähig klassifiziert haben, also die Anhebungsverben scheinen, versprechen, pflegen, drohen. Wie (101) zeigt, verbieten diese Verben generell Rechtsextraposition. (101) a, b. c. d.
*daß Horst scheint, gekommen zu sein *daß viele Linguisten pflegen, mit ihren Kollegen Musik zu machen *daß der Dienstag versprach, ein schöner Tag zu werden *daß der Aktienmarkt droht, abzustürzen
Diese Beziehung zwischen Subjektfähigkeit und Kohärenz würde eine Generalisierung nahelegen, die letztere aus ersterer ableitet, würde man nicht die sog. Phasenverben vorfinden, die wir bereits im Zusammenhang mit dem Begriff der Satzwertigkeit diskutiert haben. Ich werde daher auch auf eine tentative Generalisierung in dieser Richtung verzichten. Im Gegensatz zum regelhaften Verhalten der in (101) beschriebenen Verben legt die Klasse derjenigen Verben, die trotz Subjektorientierung obligatorisch inkohärent konstruieren, keinerlei Schlüsse nahe. Dies folgt zum einen aus der geringen Anzahl der Elemente und zum anderen aus ihren disparaten Eigenschaften. So finden sich hier Verben mit abtrennbaren Präfixen - aufhören, zugeben und fiktive Verben wie bedauern, schwören sowie leugnend*
™
Die Beispiele in (102) werden nicht von allen Sprechern einheitlich bewertet. So wird (i) - mit aujhören als V" - besser empfunden als (ii). Hier ist schwören V", (i) weil es Ulrich zu spielen aufgehört hat (ii) weil es Ulrich zu spielen geschworen hat Bewertungen können bei den einzelnen Verben sehr wohl voneinander abweichen können, die allgemeine Tendenz wird jedoch immer eingehalten, d.h. die Beispiele werden als deutlich markiert empfunden.
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(102) a. Ulrich hat aufgehört/zugegeben/bedauert/geleugnet/geschworen, Trivial Pursuit zu spielen, b. ??weil es Ulrich zu spielen aufgehört/zugegeben/bedauert/geleugnet/geschworen hat Wir können somit festhalten, daß die verschiedenen Kohärenzeigenschaften unabhängig von der Statusrektion determiniert werden und die in Tabelle 6 aufgeführten Merkmale somit ihre Berechtigung besitzen. Hieraus folgt auch, daß sowohl die erste, als auch die zweite der eingangs dieses Abschnitts vorgestellten Hypothesen zur Kohärenz als relevant erachtet werden müssen. Die Kohärenzregel als deskriptive Generalisierung legt fest, daß Inkohärenz nur dann möglich ist, wenn V den 2. Status regiert. Darüber hinaus haben wir innerhalb der Klasse von Verben, die den 2. Status regieren, drei weitere Gruppen ausmachen können, die gemäß der zweiten Hypothese zusammengefaßt werden können: Zum einen die Klasse der Verben, die die Orientierung (A'/D':N") besitzen. Diese konstruieren allesamt inkohärent. Bei einer Analyse dieser Verben sollte jedoch berücksichtigt werden, daß sie innerhalb derjenigen Verben, die den 2. Status regieren, ebenso umfangreich ist, wie die Verbgruppe, die den Koeffizienten (N':N") besitzt und zwischen kohärenten und inkohärenter Konstruktion variiert. Dieses Phänomen in Form einer Irregularität der ersteren Gruppe zu erfassen, muß daher verworfen werden. Diese Annahme gewinnt zusätzliche Plausibilität durch die Tatsache, daß auch einige der (N':N")-orientierten optional kohärent konstruierenden Verben dann obligatorisch inkohärent konstruieren, wenn sie ein zusätzliches - optionales - Argument realisieren (103). (103) a. weil es Ulrich zu gewinnen versprochen hat b. *weil es Ulrich dem Mann zu gewinnen versprochen hat Dies legt den Schluß nahe, daß die hier vorliegende obligatorische Inkohärenz auf das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein eines Objekts reduziert werden kann. Diese Annahme findet sich bereits in Bech (1983, § 125), wir werden diese Fragestellung in Kap. 5 erneut aufnehmen. Für die anderen Gruppen - die nicht-subjektfähigen Verben sowie die kleine Gruppe von obligatorisch inkohärent konstruierenden Subjektkontrollverben - bietet sich eine solche einheitliche Analyse aus verschiedenen Gründen nicht an. Die letzteren bilden ganz augenscheinlich keine natürliche Klasse, während die ersteren nicht auf Verben beschränkt sind, die den 2. Status regieren. Die Bech'sche Unterscheidung zwischen kohärenter und inkohärenter Konstruktion kann in die vorliegende Klassifikation der Infinitivkomplementation integriert werden, wenn man neben Subjektfahigkeit und Statusrektion als weitere Merkmale Kohärenz und Inkohärenz einführt. Daß hier zwei Merkmale benötigt werden, konnte in den letzten Paragraphen begründet werden, in denen aufgezeigt wurde, daß nicht nur zwischen Kohärenz und Inkohärenz, sondern auch zwischen obligatorischer und optionaler Kohärenz unterschieden werden muß. Obligatorische Kohärenz wird in Tabelle 7 durch die Merkmalskombination [+Koh„ -Ink.] festgehalten, obligatorische Inkohärenz wird durch die entgegengesetzte Kombination repräsentiert. Im Falle optionaler Kohärenz werden beide Merkmale positiv besetzt.
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(104) Tabelle 7: Obligatorische und optionale Kohärenz: versuchen möchten werden scheinen sein sehen Lassen überzeugen
Status 2
Kontrolle
Kohärenz
Inkohärenz
1 1 2 3 1 1 2
Es klang bereits mehrfach an, daß wir im Gegensatz zu vielen anderen Autoren Kohärenz bzw. Inkohärenz nicht voreilig mit Satzwertigkeit identifizieren wollen. Das Kriterium der Satzwertigkeit, das in 1.1.3 als nicht aussagekräftig verworfen wurde, kann und soll in dieser Matrix selbstverständlich nicht über den Begriff der Kohärenz rekonstruiert werden. Stattdessen ergibt sich aufgrund unserer Verwendung des Kohärenzbegriffs bei gleichzeitiger Vernachlässigung des Satzwertigkeitsbegriffs die Fragestellung, wie die Phänomene, bei denen gemeinhin auf Satzwertigkeit rekurriert wird, unter Rückgriff auf Kohärenz erklärt werden können.
l .2.5
Konsequenzen der Bech'schen Theorie der Kohärenz
Wir sind mit der o.g. Tabelle 7 zu einem vorläufigen Abschluß unserer deskriptiven Charakterisierung infiniter Komplementation gekommen. Die jeweiligen Regenten können nun nach ihrer Statusrektion, ihren Kontroll- und Kohärenzeigenschaften klassifiziert werden. Im wesentlichen stimmt diese Klassifikation mit der Bech'schen Unterteilung zwischen Statusrektion, Orientierung und Kohärenz überein, modifiziert sie allerdings, wie bereits angesprochen, in einem wesentlichen Punkt- bei den syntaktischen Konsequenzen der Subjektfähigkeit. Aus dieser Klassifikation ergeben sich nun zwei der zentralen Fragestellungen für die vorliegende Arbeit: Zum einen muß geklärt werden, ob Kohärenz aus einer grundlegenden strukturellen oder lexikalischen Eigenschaft abgeleitet werden kann, oder sich einer solchen vereinheitlichenden Behandlung widersetzt. Aus der bisherigen Darstellung der Bech'schen Theorie hat sich zwar gezeigt, daß viele Kohärenzeigenschaften die Annahme nahelegen, daß Kohärenz ein Prozeß ist, der verbale Komplexe den monoverbalen Strukturen angleicht. Die genaue Natur dieses Prozesses ist jedoch noch nicht zu Tage getreten. Die zweite Frage setzt eine Beantwortung der ersten voraus, ist dieser jedoch keineswegs untergeordnet. Die Klassifikation in 1.2.4 hat gezeigt, daß zwischen optional kohärenten, obligatorisch kohärenten und obligatorisch inkohärenten Konstruktionen unterschieden werden muß. Hier erhebt sich natürlich die Frage, wie diese Eigenschaften beschrieben und zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Die vorgelegten Erörterungen haben gezeigt, daß Bech nicht nur eine formale Analyse der infiniten Komplementation anzubieten vermag, sondern auch verschiedene Generalisierungen vorlegen kann, so etwa die Orientierungsregeln oder die Kohärenzregel. In einer restriktiven Gram-
38
matiktheorie kann die Aufstellung deskriptiver Generalisierungen allerdings nur als vorläufiger Schritt betrachtet werden. Interessanter sind hier Analysen, aus denen die Phänomene, die zu deskriptive Generalisierungen Anlaß geben, ohne zusätzliche Stipulationen abgeleitet werden können. In den Untersuchungen der folgenden Kapiteln wollen wir versuchen, eine solche Theorie der infiniten {Complementation zu entwerfen, die auf Subjektfähigkeit und Kohärenz aufbaut, diese Begriffe formal definiert und die in diesem Kapitel vorgestellten Phänomene zumindest in großen Teilen abdeckt.
2.
Merkmale und Repräsentationen: Eine knappe Einfuhrung in H PS G
2.0
Einleitung
Dieses Kapitel beginnt mit einer knappen und informellen Einführung in die grundlegenden Operationen merkmalsbasierter Unifikationsformalismen. Daran anschließend wenden wir uns der Beschreibung des Deutschen in einer HPSG zu. Die innerhalb der GPSG (Gazdar et al. 1985) und der Kategorialgrammatik (Bach et al. 1985) gewonnenen Einsichten werden in der HPSG (Pollard/Sag 1987, 1994) kombiniert und mit einer Semantikkomponente, die an verschiedene Ideen der Situationssemantik (Gawron/Peters 1990) und der Diskursrepräsentationstheorie (Kamp/Reyle 1993) anknüpft, verbunden. Für das in der vorliegenden Arbeit benötigte Fragment werden wir Nebensätze und V/2-Sätze beschreiben, sowie - auf der Analyse von Pollard/Sag (1994) aufbauend - die Repräsentation quantifizierender Ausdrücke diskutieren.1
2.1
Eine informelle Einführung in die formalen Grundlagen des Merkmalsunifikationsformalismus
2.1.1
Subsumtion, Unifikation und Disjunktion
Die zentrale Operation in einem Unifikationsformalismus ist die Unifikation zweier oder mehrerer Beschreibungen. Unifikation ist eine kommutative und assoziative - und somit abfolgeunabhängige - Operation, die Merkmalstrukturen miteinander verknüpft. Verdeutlichen wir dies anhand eines Beispiels. Gegeben seien die Beschreibungen in (1), wobei a, b und c Attribute und s, t und « atomare Werte sein sollen. (D
a. [äs]
b.
Das in (2) vorliegende Ergebnis der Unifikation dieser beiden Beschreibungen ist eine Struktur, die alle Attribute und Werte von (la) und alle Attribute und Werte von (Ib) enthält. ra s (2) b t lc u Die Unifikation zweier Strukturen A und B enthält somit alle Informationen, die A enthält, alle Informationen, die B enthält, und sonst nichts. Vergleicht man die Merkmalstrukturen in (1) mit dem Resultat der Unifikation dieser Strukturen in (2), so fällt auf, daß ein Objekt, das durch (2) beschrieben werden kann, ebensogut durch (la) und (Ib) beschrieben werden kann, diese Beschreibung jedoch weniger informativ wäre. Diese Beziehung kann durch die in (3) definierte Subsumtionsrelation präzisiert werden.
1
Ganz allgemein kann festgehalten werden, daß dieses Kapitel in verschiedenen Hinsichten den Darstellungen in Pollard/Sag (1987) sowie Pollard/Sag (1994) verpflichtet ist. Abweichungen von den dort gegebenen Strukturen werde ich im einzelnen erläutern.
40
(3)
Subsumtion (I): Eine Struktur A subsumiert eine Struktur B - dargestellt: A > B - genau dann, wenn A entweder genau so informativ ist wie B oder B informativer ist als A.2
Ein Spezialfäll der Subsumtion betrifft die Subsumtion atomarer Werte. Für atomare Werte gilt, daß A B genau dann subsumiert, wenn A und B identisch sind. Die Unifikation zweier Merkmalstrukturen kann entsprechend definiert werden: (4)
Unifikation: Die Unifikation zweier Strukturen A und B - dargestellt: A B - ist diejenige Struktur G für die gilt A ^ C, B ;> C, und es gibt kein D * C, so daß A z D und B st D und D 3s. C.
Die Beschreibung in (5) zählt aufgrund der Definition in (4) nicht als Unifikation von (la) und (Ib), da (5) mehr Informationen enthält als (la) und (Ib) zusammengenommen: Die Spezifikation [d v] ist nämlich weder in (la) noch in (Ib) enthalten.
(5)
a s b t
C U
d v
Betrachten wir nun Strukturen, die nicht allein aus Merkmalen bestehen, die atomare Werte besitzen, sondern auch komplexe Werte. Ein komplexer Wert besitzt seinerseits Attribute. Ein komplexer Wert subsumiert einen anderen, wenn der zweite alle Informationen enthält, die der erste besitzt. Diese intuitive Charakterisierung kann durch den Rückgriff auf Pfade präzisiert werden: Eine Sequenz aufeinanderfolgender Paare aus Attributen und (möglicherweise komplexen) Werten kann beliebig lang sein, solange sie endlich ist. Ein Pfad — dargestellt [Attri|...|Attrn Wert] - ist eine beliebige Folge von Attributen und Werten, die bei einem der Wurzelattribute der beschriebenen Struktur einsetzt. Ein Wurzelattribut ist ein Attribut, das seinerseits kein Wert ist. Der folgenden Menge von Pfaden entspricht die Beschreibung in (6a): {[SUBJ|AGR|NUM sg], [SUBJ|AGR|PERS 3rd], [AGR|NUM sg], [AGR|PERS 3rd]}. Ein wesentliches Merkmal des vorliegenden Formalismus ist die Möglichkeit der Strukturteilung. Strukturteilung liegt dann vor, wenn zwei Pfade nicht nur die gleichen Werte tragen, sondern denselben Wert besitzen, diesen Wert also teilen.
Durch diese Relation wird eine partielle Ordnung über den möglichen Merkmalstrukturen errichtet, in der die Merkmalstrukturen nach ihrem Informationsgehalt zueinander geordnet sind. Dies bedeutet, daß jede Struktur A sich selbst subsumiert (Reflexivität von s), daß wenn A a B und B & C auch A C subsumiert (Transitivität von a) und daß zwei Strukturen A und B, die sich gegenseitig subsumieren, identisch sein müssen (Antisymmetrie von a). Vgl. Pollard/Sag (1987, Kap. 2) sowie Partee et al. (1990).
41
(6)
Subjekt-Verb-Kongruenz: a.
b. SUB1IAGR SUBJIAGR AGR U
Die Beschreibung in (6a) enthält zwar einheitliche Werte für die AGR-Merkmale des Subjekts und des Verbs, keiner der beiden Werte hängt jedoch vom jeweils anderen ab. Anders ist dies in (6b): Hier liegt nur ein einziger Wert vor, den sich die jeweiligen AGR-Merkmale teilen. Im ersten Fall (6a) liegt eine Typ-Identität (Type-Identity) vor; die beiden Merkmale besitzen Typidentische Werte. In (6b) hingegen liegt eine strikte Identität (Token-Identity) vor; beide Merkmale besitzen denselben Wert. Die Repräsentation (6a) ist keine angemessene Beschreibung der Subjekt-Verb-Kongruenz, denn die hier vorliegende Übereinstimmung der Merkmale ist rein zufällig, ebensogut wäre auch eine Struktur denkbar, in der [SUBJ|AGR] und [AGR] unterschiedliche Werte besäßen. In (6b) ist dies ausgeschlossen, da [SUBJ|AGR] und [AGR] einen Wert teilen. Folglich ist nur (6b) eine korrekte Beschreibung der Kongruenzbeziehung. Daß eine strikte Identität informativer ist als eine Typ-Identität, sollte nun ersichtlich sein, denn bei einer Typ-Identität wissen wir nur von zwei gleichen, bei einer strikten Identität aber von demselben Wert. Eine Typ-Identität subsumiert folglich eine strikte Identität. Daher ergibt sich die folgende Erweiterung der Subsumtionsdefinition. Die Definition der Unifikation ändert sich hierdurch nicht. (7)
Subsumtion (II): Für zwei Merkmalstrukturen A und B gilt, daß A B subsumiert (A s B), wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: a) Jeder Pfad in A, dessen Wert atomar ist, muß auch in B gegeben sein, wobei der Wert des Pfades in A mit dem Wert des Pfades in B übereinstimmen muß. b) Der Wert jedes Pfades in A, dessen Wert nicht atomar ist, ist entweder allgemeiner als der Wert des Pfades in B oder stimmt mit diesem Wert überein. c) Jedes Paar strukturteilender Pfade in A ist in B gegeben.
Die Disjunktion mehrerer Merkmalstrukturen ist diejenige Beschreibung, die diese Strukturen minimal subsumiert. In (8) ist eine disjunktive Beschreibung dargestellt, die die verschiedenen Kasuswerte des Nomens Mann erfaßt. (8)
Mann: •CAT TMAJOR N
T]
[CASE NOM v DAT v AKKJ]
Die Disjunktion kann wie folgt definiert werden.
42
(9)
Disjunktion: Die Disjunktion zweier Beschreibungen A und B, dargestellt: A U B, ist diejenige Struktur C, für die gilt, daß C fe A, C t B und es gibt kein D * C, so daß C * D und D*A und D stA
Unifikation und Disjunktion bilden jeweils eine algebraische Struktur, einen sog. Halbverband, der im Falle der Disjunktion von spezielleren Elementen zu immer allgemeineren Elementen fuhrt, während bei Unifikation allgemeinere Elemente in speziellere überfuhrt werden. Für die Unifikation und die Disjunktion gibt es ein oberstes bzw. unterstes Element. Das oberste Element des durch die Disjunktion gebildeten Halbverbands entspricht der Disjunktion aller zulässigen Beschreibungen. Dieses Element, das als T (sprich: top) bezeichnet wird, enthält somit keinerlei Information und subsumiert daher alle anderen Elemente des Verbandes. Der leeren Information steht ein .Zuviel' an Information gegenüber, d.h. die Unifikation zweier Strukturen, die jeweils für ein beliebiges Attribut zwei verschiedenwertige atomare Werte besitzen. Diese Unifikation muß zu einer inkonsistenten Beschreibung fuhren, da für ein Attribut (wenigstens) zwei verschiedene Werte angegeben werden. Die inkonsistente Beschreibung wird J. (sprich: bottom) genannt.
2,1.2
Sorten und Merkmale
Ein generelles Problem für Unifikationsformalismen ist die Modellierung intuitiv unzulässiger Strukturen, die dennoch den vorgestellten formalen Beschränkungen genügen. Dies kann anhand der Repräsentation einfacher n-stelliger Relationen verdeutlicht werden. N-stellige Relationen können durch Attribut-Weit-Paare modelliert werden, indem jeweils ein Attribut für den Relationsnamen, sowie n Attribute für die Argumente der Relation zur Verfugung gestellt werden.3 (10)
Zweistellige Relation: REL ^ ARGl ARG2 y
Die Unifikation eines anderen Relationsnamens (etwa >) oder einer Argumentstelle, die einen anderen Wert besitzt (etwa [ARGl z]), würde hier jeweils zu l führen. Wird (10) jedoch mit einer Struktur unifiziert, die als Attribute nur Argumente besitzt, deren Stelligkeit größer oder gleich n+1 ist, ergibt sich eine wohlgeformte Beschreibung. Das Ergebnis der Unifikation von (10) mit [ARG3 z] ist in (l 1) dargestellt.
*
Wir gehen zum Zweck der Illustration davon aus, daß ARGl, ARG2 etc. atomare Werte besitzen.
43
(11)
2-stellige Relation REL ARG1 ARG2 y
ARG3: REL
ARG1 z] = ARG2 y .ARG3 z
Durch (11) wird allerdings ein unzulässiges Objekt modelliert: eine zweistellige Relation mit drei Argumenten. Der Formalismus sollte die Modellierung solcher Objekte nicht zulassen bzw. Mechanismen zur Verfugung stellen, die Repräsentationen der Form (11) eliminieren. Im vorliegenden Formalismus wird dies durch die Verwendung sortaler Informationen garantiert.4 Sortenbezeichungen geben Auskunft darüber, welche Attribute für die Beschreibung eines bestimmten Objekts zulässig sind. Ist eine Struktur gegeben, deren Sorte nicht feststeht, kann immer ermittelt werden, welches die maximale Sorte ist, für die die Attribute dieser Struktur angemessen sind.5 Zum anderen kann, wenn die Sorte eines Objekts feststeht, die Merkmale aber nicht gegeben sind, aus der Sorte abgeleitet werden, welche Merkmale zur Beschreibung dieses Objekts zulässig sind. Aufgrund dieser Modifikation ergibt sich die folgende Definition der Subsumtion, die nun zweigeteilt ist. (12)
a. Subsumtion von Merkmalstrukturen: Eine Merkmalstruktur A subsumiert B, wenn die folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Für beliebige korrespondierende Pfade in A und B gilt, daß die Sorte des Wertes von A den Wert von B sortal subsumiert. b) Jedes strukturteilende Paar von Pfaden aus A muß auch in B gegeben sein, b. Sortale Subsumtion: Ein Beschreibung x, deren Sorte A ist, subsumiert sortal eine Beschreibung y, deren Sorte B ist, genau dann, wenn y alle Attribute besitzt, die besitzt und A entweder eine Supersorte von B oder identisch mit B ist.
Die Definitionen der Unifikation und der Disjunktion ändern sich nicht. Die Unifikation zweier beliebiger Strukturen A und B ist diejenige Struktur C, die durch eine gemeinsame Subsorte der Sorten von A und B beschrieben wird. Wir repräsentieren sortale Information, indem wir die betreffende Sorte vor die Merkmalstruktur setzen. Die Sorte der Merkmalstruktur entspricht in dieser Darstellung dem Relationsnamen, auf das Merkmal REL kann somit verzichtet werden.6 In (13) ist dies für beliebige binäre Relationen dargestellt.
Als Vorläufer der sortierten Merkmalstrukturen in HPSG können die sog. Feature Co-Occurence Restrictions (FCR) und Feature Specification Defaults (FSD) in GPSG (Gaidar et al. 1985) betrachtet werden. Unter der maximalen Sorten verstehen wir hier die allgemeinste Sorte, für die das betreffende Attribut angemessen ist. Da Objekte von mehreren Sorten erben können, kann dies bedeuten, daß bei einem gegebenen Objekt X, das die Attribute A und B besitzt, die maximale Sorte für A nicht mit der maximalen Sorte für B übereinstimmt. Hieraus folgt, daß die maximale Sorte eines Objektes diejenige allgemeinste Sorte ist, für die alle gegebenen Attribute des Objekts angemessen sind. Eine detaillierte Behandlung dieser Fragestellung findet sich in Carpenter (l991). Diese Konvention entstammt Pollard/Sag (1994:338).
44
(13)
Sortal angereicherte Repräsentation für binäre Relationen:
Wir werden im folgenden implizit davon ausgehen, daß die von uns verwendeten Beschreibungen wohlsortiert sind.7 Die Sorte eines Objekts wird somit nur dann explizit genannt, wenn die Sorte fiir die Argumentation relevant ist. Dies gilt etwa für die Vorstellung der Prinzipien in Abs. 2.2. Auf der anderen Seite können Sorten an die Stelle komplexer Merkmalstrukturen treten, falls die interne Struktur des betreffenden Werts für die Argumentation nicht relevant ist. Sorten erlauben darüber hinaus die Formulierung von Implikationsverhältnissen zwischen einzelnen Strukturen. So kann eine Unifikation durch das Vorhandensein bzw. die Abwesenheit eines bestimmten Merkmals gesteuert werden. Implikationen besitzen die Form A =» B und werden in HPSG insbesondere zur Repräsentation von Prinzipien verwendet; eine Definition ist in (14) gegeben. Wir werden an dieser Stelle auf ein Beispiel verzichten, da die Definition (14) im Abschnitt 2.2.2 bei der Diskussion der Prinzipien extensiv genutzt wird. (14)
Implikation: Die Unifikation einer Implikation A =*· B mit einer beliebigen Struktur Centspricht der Unifikation von B mit C, wenn Ceine Subsorte von A ist.
Die Negation einer Struktur kann nun qua Implikation definiert werden: (15)
Negation: Eine negierte Merkmalstruktur - dargestellt -iA - ist äquivalent zu einer Implikation von A zu -L (i.e. A => .1).
Die Verwendung der Negation einer Struktur ist insbesondere dann nützlich, wenn alle zulässigen Werte eines Attributs bekannt sind. So kann die in (8) dargestellte Disjunktion auch durch die negierte Struktur in (16) repräsentiert werden.
(16) CAT
MAJORR N l CASE -genjj
Die Interpretation dieser Negation wird sofort deutlich: Der Kasus des betreffenden Elements ist nicht Genitiv, eine Unifikation mit einer [CATJCASE gen] markierten Struktur würde zu L führen. In bezug auf die möglichen Werte ist die Negation aber nur ein relatives Komplement, da wir ja nicht an allen Werten interessiert sind, die nicht Genitiv sind, sondern nur an denjenigen der Sorte JCasuswert. Atomare Werte besitzen nun keinen Sonderstatus mehr. Sie werden sortal dadurch charakterisiert, daß keinerlei Attribute für sie angemessen sind. Komplexe Werte werden entsprechend Eine Beschreibung ist dann wohlsortiert, wenn sie nur Attribute besitzt, die für die Sorte des beschriebenen Objekts zulässig sind. Die Werte der Attribute müssen ebenfalls wohlsortiert sein. Aus der vorliegenden Definition folgt, daß eine Beschreibung solange ,durchkämmt' werden muß, bis nachgewiesen ist, daß die zulässigen Werte atomare Werte sind, die ihrerseits keine Attribute besitzen. Diese Definition baut also erneut auf der Annahme auf, daß keine unendlichen Pfade existieren. Detailliertere Bemerkungen zur Wohlsortiertheit von Merkmalstrukturen finden sich in Carpenter (1991).
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durch Sorten charakterisiert, die Attribute zulassen. So besitzt etwa das INDEX-Attribut eines Nomens die in (17) dargestellte Struktur; der Wert des Attributes INDEX ist ein Objekt der Sorte agr(eement), für die wiederum Attribute für Numerus, Person und Genus zulässig sind. (17)
Index: NUM sg INDEX agt PERS 3rd .GEND mascj
2. l .3
Strukturen und dynamische Werte
Neben atomaren und komplexen Werten können auch strukturierte Werte in einer Merkmalstruktur auftreten; der Wert eines Attributs kann also eine Liste oder eine Menge von Merkmalstrukturen sein. Listen- und Mengenwerte werden wie in (18) und (19) repräsentiert. Die Unifikation von Listen- und Mengenstrukturen ist in (20) definiert. ( 1 8) (19)
Listenstrukturen: Mengenstrukturen: {XP YP}
(20)
a. Unifikation von Listenstrukturen: Die Unifikation zweier Listenstrukturen und ist die Struktur .8 b. Unifikation von Mengenstrukturen: Die Unifikation zweier Mengen MI und M£ ist jede konsistente Menge M, die durch MI und M2 beschrieben werden kann.
Eine weiteres relevantes Ausdrucksmittel ist die Verwendung relationaler bzw. funktionaler Abhängigkeiten zwischen einzelnen Werten. Eine relationale Abhängigkeit drückt aus, daß der Wert eines Attributs durch die Werte anderer Attribute determiniert wird. Ist hier nur ein einziger Wen möglich, liegt eine funktionale Abhängigkeit vor. Ein Beispiel für eine relationale Abhängigkeit ist die Verwendung der Konkatenationsrelation append in einer Beschreibung. Durch diese wird festgelegt, daß ein listenwertiges Attribut durch die Konkatenation zweier anderer listenwertiger Attribute bestimmt wird. Eine Definition dieser Relation ist in (21) gegeben.
(21)
append(, CAT
LOCAL
SUBCAT{ NF[nom]{I] NP[acc]: ARGll
CONTENT hörer SYNSEM
lPERS3rdJ ARG2[2
NONLOCAL TO-BIND lU-ön QSTORE STORED 0 1 RETRIEVED < >
b. Mann: "PHON < man > CAT
LOCAL
f:
CASE-gen J
is,SUBCAT
NUMsg ] PERS3rd LGENDmasd CONTENT ref-ob RESTRICnON{mann[ARGl SYNSEM flNHERITEDisLASHÖ] NON LOUU ~ 'LTO-BINDISLASH0 J l QSTORE STORED ö L RETRIEVED
Ein oberflächlicher Überblick über die komplexen Strukturen in (23) zeigt bereits, daß nicht alle Merkmale für alle Lexeme definiert bzw. angemessen sind. Hier zeigt sich erstmals der Sinn eines sortierten Formalismus: Verben besitzen in ihrem HEAD-Attribut keine Kasusspezifikation, während Nomina nicht durch morphologische Finitheitsmerkmale spezifiziert werden. Weitere Unterscheidungen zwischen Nomina und Verben finden sich in bezug auf die Semantik: Ein Nomen führt ein restringiertes referentielles Objekt ein, während ein Verb typischerweise eine Relation einführt. Betrachten wir nun die Strukturierung im einzelnen. Auf der obersten Ebene unterscheiden wir zwischen phonologischer und syntakto-semantischer Information. Das komplexe Attribut QSTORE gibt darüber Auskunft, ob ein Zeichen quantifizierende Information enthält, deren Skopus noch nicht determiniert wurde - wir werden uns diesem Merkmal in Abs. 2.3 eingehender widmen. In bezug auf das PHON-Attribut stellen
48
wir hier nur fest, daß die Phonologic der Lexeme durch eine geeignete Theorie determiniert wurde und gehen nicht weiter auf diesen Aspekt ein.11 Das Attribut SYNSEM enthält die reichste interne Struktur, wobei zwei Hauptgruppen unterschieden werden können: Zum einen diejenigen Merkmale, die nur innerhalb der Maximalprojektion eines Lexems abgebunden bzw. determiniert werden können, und zum anderen diejenigen Merkmale, die über eine Maximalprojektion hinwegperkolieren können. Die Merkmale der ersten Gruppe werden als LOCAL-Attribute bezeichnet und umfassen etwa kategoriale Informationen, Informationen zum semantischen Gehalt, sowie Informationen zur Valenz eines Zeichens. Die NON-LOCAL-Attribute enhalten alle Merkmale, die zur Behandlung von Lückenperkolationen in gebundenen und ungebundenen Dependenzen benötigt werden. Eine eingehende Betrachtung dieser Merkmale erfolgt anhand der Diskussion der Verbstellung in Abs. 2.4. Das LOCAL-Attribut umfaßt die im engeren Sinne kategoriale Information sowie die semantische Kontribution eines Lexems. Das Verb hören fuhrt in (23a) eine zweistellige Relation - in der Terminologie der Situationssemantik: ein parametrisches Infon 12 mit zwei Rollenparametern — ein. Die jeweiligen Rollenparameter sind noch nicht verankert. Unter einer parametrisierten Relation verstehen wir also eine Relation, bzw. einen Umstand, dessen Partizipanten noch nicht determiniert worden sind. Nomina führen restringierte Parameter ein, also Objekte, die in Relationen verankert werden können, die ihrerseits aber wiederum durch beliebig komplexe Relationen beschränkt werden. Dies wird durch zwei Attribute garantiert: Durch das ebenfalls komplexe INDEX-Attribut wird eine neue Entität eingeführt. Das RESTRICTION-Attribut legt eine Beschränkung über die mögliche Denotation dieses Referenten fest. Dieses Attribut besteht folglich aus einer Menge von Relationen, die nicht notwendigerweise einstellig sein müssen. Die Gleichsetzung des Werts des INDEX-Attributs mit dem Wert der ARG l-Rolle besagt, daß der durch den Parameter eingeführte Referent die in Frage kommende Eigenschaft (hier: zur Menge der Männer zu gehören) erfüllt. Der intuitive Gehalt des CONTENT-Attributs von (22b) könnte also wie in (24) wiedergegeben werden. (24)
CONTENT-Attribut eines Nomens: CONTENT
INDEX RESTRICTION (mann(x)}
Wir werden im folgenden sehen, daß die durch eine NP zur Verfügung gestellten INDEX bei der syntaktischen Abbindung der Argumentstellen eines Funktors mit dem entsprechenden Rollenparameter dieses Funktors identifiziert wird. Das CAT-Attribut enthält die im engeren Sinne syntaktischen Merkmale eines Lexems, also Informationen, die die kategoriale Zugehörigkeit sowie die Valenz betreffen. Die kategoriale Zugehörigkeit wird durch das Attribut HEAD repräsentiert, die Valenz durch das listenwertige SUBCAT-Attribut. Als HEAD-Attribute werden alle Merkmal repräsentiert, die zwischen dem Kopf einer Projektion und den Projektionssegmenten übereinstimmen müssen. Auch hier könEinen Überblick über verschiedene Ansätze deklarativer Beschreibungen in der Phonologic rinden sich in Bird (1991). Alternativ zum Begriff Infon findet auch die Abkürzung soa Verwendung, die für State-of-Affairs, also Umstand steht Wenn wir in der Folge von Umständen sprechen, sind also immer Infons gemeint. Vgl. Devlin (1991).
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nen Unterschiede zwischen Nomina und Verben festgestellt werden. Während Verben eine verbale Spezifikation der HEAD-Attribute besitzen, also u.a. angegeben wird, daß das Verb finit ist (VFORM) und seine morphologischen Kongruenzmerkmale (INFL) in Übereinstimmung mit dem INDEX-Attribut seines ersten Arguments fesdegt,13 finden wir beim Nomen eine Merkmalskombination, aus der hervorgeht, welchen Kasus das Nomen trägt (im vorliegenden Fall ein negiertes Merkmal) und ob es sich um ein .normales' referenzfähiges Nomen oder ein expletives Pronomen handelt (NFORM).14 Das für die Behandlung kohärenter Konstruktionen wichtigste Attribut ist das listenwertige SUBCAT-Attribut, durch das die syntaktische Valenz eines Lexems repräsentiert wird. Das SUBCAT-Attribut enthält alle syntaktischen Argumente des Kopfes. Unter den syntaktischen Argumenten verstehen wir diejenigen Argumente, die syntaktisch realisiert werden müssen, also bei Verben neben den Objekten auch das Subjekt. Die Reihenfolge der Elemente in der SUBCAT-Liste spiegelt im allgemeinen zwar nicht die Oberflächenabfolge der einzelnen Komplemente zueinander wider, entspricht aber dennoch der .Normalabfolge'. Zwei Gründe sind hierfür ausschlaggebend: Die Reihenfolge der Elemente in der SUBCAT-Liste wird zum einen durch eine relative Rangfolge der grammatischen Funktionen zueinander determiniert, d.h. Objekte folgen auf der SUBCAT-Liste dem Subjekt. Die zweite zentrale Ordnungsrelation für die Elemente der SUBCAT-Liste ist das sog. O-Kommando, eine notwendige Bedingung für Bindungsverhältnisse zwischen Argumenten. Hier gilt, daß Antezedenten auf der SUBCAT-Liste vor anaphorischen Elementen lokalisiert werden. Das jeweils links auf der SUBCAT-Liste liegende Element besitzt also im allgemeinen Fall eine hierarchisch höhere grammatische Funktion als ein rechts stehendes Element und kann dieses Element darüber hinaus binden. Dies wird in der Oberflächenabfolge reflektiert. Pollard/Sag (1994) gehen davon aus, daß nicht Zeichen (signs), sondern jry/zffwj-Objekte subkategorisiert werden, d.h. auf der SUBCAT-Liste erscheinen. Dies bedeutet, daß ein Regent keinen Zugriff auf Merkmale besitzen kann, die nicht im Wertebereich des SYNSEM-Attributs liegen. Insbesondere wird so ausgeschlossen, daß ein Regent die interne (phrasale) Struktur seines Komplements, seine phonetische Form oder die Anzahl der suspendierten Quantoren und Operatoren bestimmen kann, da diese Merkmale jeweils .außerhalb' des SYNSEM-Attributs lokalisiert sind. Aus der Repräsentation in (23a) folgt darüber hinaus, daß hier durch die Subkategorisierung eine Bindung zwischen der syntaktischen und der semantischen Seite eines Zeichens geschaffen wird: Verlangt ein Verb - wie in (23a) - zwei NPen zur Saturation, so werden durch die Parameter der jeweiligen NPen auch die noch zu füllenden Rollen im CONTENT des Verbes determiniert, der Parameter des Arguments wird mit der betreffenden Rolle identifiziert. Der Rollenidentifikation werden wir uns in den folgenden Abschnitten intensiver widmen, vorläufig können wir jedoch festhalten, daß die in (23a) verwendete Abkürzung NP[case]:[n] so zu interpretieren ist, daß ein NP-Argument mit Kasus case den Parameter n besitzt. Dies halten wir in der folgenden notationellen Konvention fest:
l' "
Das Attribut INFL findet in Pollard/Sag (1994) keine Anwendung. Argumente für dieses Attribut finden sich in Kathol (1991b) und Kiss (1992). Auf die Auflistung weiterer HEAD-Attribute verzichte ich an dieser Stelle; eine detailliertere Diskussion findet sich in PolJard/Sag (1994, Kap. 1).
50
(25)
NP[case]:[n] CAT synsem LOCAL
HEAD nounjCASEcase]
SUBCAT{)
CONTENTIINDEX0
Durch die Subkategorisierung wird also nicht nur die syntaktische Kategorie des Arguments identifiziert, sondern es wird auch durch die Identifikation der Indizes festgelegt, welche Rolle das Argument innerhalb der Semantik des Verbs spezifiziert.
2.2.2
Regelschemata und Prinzipien
Die Struktur der Lexeme haben wir anhand der Beispiele in (23) verdeutlichen können. Regeln, die diese Lexeme verbinden, gibt es in HPSG nicht. An die Stelle einer Regelkomponente tritt eine beschränkte Menge abstrakter phrasaler Zeichen. Der Begriff des phrasalen Zeichens ist hierbei wörtlich zu nehmen. Phrasen bilden eine weitere Subsorte von Zeichen, besitzen aber das zusätzliche Attribut DTRS (für DaughTeRS), das Auskunft über die hierarchische Strukturierung einer Phrase gibt. Diese Interpretation der Regelmenge erscheint auf den ersten Blick völlig neuartig, sie ist jedoch nichts als eine konsequente Weiterentwicklung etwa des Begriffs der X'-Struktur in der Rektions- und Bindungstheorie: Regelschemata werden auch dort als unabhängig motivierte Objekte interpretiert, die auf die zulässigen syntaktischen Strukturen einer Sprache ebensoviel Einfluß haben wie andere Prinzipien (etwa die Bindungstheorie). Diese Analogie wird noch deutlicher, wenn wir die einzelnen Phrasenstrukturregeln als Beschränkungen über mögliche Phrasen interpretieren. Ein Beispiel für eine solche Beschränkung ist das Regelschema (26a), das wir in der Folge als Komplementationsschema bezeichnen werden.15 (26)
a. Komplementationsschema: phrase DTRS head-comp-struct
HEAD-DTR|...|SUBCAT([T] COMP-DTRS/
Das Komplementationsschema (26a) beschreibt ein phrasales Zeichen, dessen Kopf-Tochter (HEAD-DTR) eine nicht-leere SUBCAT-Liste besitzt. Das letzte Element dieser Liste ist in seinen relevanten Teilen - also im SYNSEM-Wert - identisch mit der einzigen KomplementTochter. Wir legen somit implizit fest, daß die SUBCAT-Liste aller Lexeme von hinten nach vorne abgearbeitet wird. Das Schema (26a) ist - ebenso wie die andere Schemata - eine Wohlgeformtheitsbedingung für hierarchische Strukturen und macht somit keine Vorhersagen in bezug
15
Die hier vorgestellte Behandlung der Komplementation unterscheidet sich in zwei wesentlichen Hinsichten von der Behandlung der Komplementation in Pollard/Sag (1994). Zunächst verwenden wir nur ein Komplementationsschema, während Pollard/Sag (1994) zur Beschreibung des englischen zwei Schemata vorschlagen. Darüber hinaus wird in (26a) nicht gefordert, daß ein Komplement saturiert sein muß. Eine solche Forderung liefe auch den Analysen in den Kapiteln 3 und 4 zuwider.
51
auf die Abfolge der einzelnen Konstituenten zueinander. Diese Fragestellung wird in Abs. 2.2.5 diematisiert. (26a) kann in eine Baumstruktur des Typs (26b) übersetzt werden. Hier erscheinen die relevanten Merkmale als Annotationen der jeweils involvierten Knoten. (26)
b. Baumstruktur für (26a): Phrase
HJSYN|LOC|CAT|SUBCAT {(T]
Anstelle komplexer Merkmalstrukturen des Typs (26a) werden wir auf Baumstrukturen des Typs (26b) zurückgreifen. Eine Baumrepräsentation ist bei komplexen Strukturen übersichtlicher; zudem besitzt diese Sichtweise eine lange Tradition in der linguistischen Theoriebildung und ermöglicht so auch dem mit HPSG nicht vertrauten Linguisten die Möglichkeit des schnellen Überblicks über eine Struktur. Für das hier verwendete Fragment werde ich insgesamt drei Regelschemata formulieren, denen die drei grundlegenden Modi der Kombination entsprechen. Neben der in (26) aufgeführten Komplementation, in der die syntaktische Valenz eines Lexems abgearbeitet wird, stellen wir in (27) zunächst das Modifikationsschema vor. Dieses Schema besagt, daß ein phrasales Element durch ein anderes Element modifiziert wird. Die syntaktische Valenz der Phrase wird nicht verändert, wohl aber - wie wir weiter unten sehen werden - die Perkolation der semantischen Information. (27)
Modifikationsschema: a. Merkmalstruktur: HEAD-DTR|SYNSEM [T] HEAD|MOD [T] phrase DTRS head-adj-struci ADJ-DTR|SYN|LOC|CAT
SUBCAT {)
COMP-DTRS {)
b. Baumstruktur: Phrase
·{
SYNSEM
HEAD|MOD [T] l SUBCAT ()
c. Interpretation: Eine Phrase deren Kopf-Tochter identisch mit dem MOD-Wert der ModifikatorTochter ist. Die Modifikator-Tochter besitzt keine Valenz. Eine Verbindung qua (27) liegt etwa bei adverbieller Modifikation vor (28).
52
(28)
a. Er verlor den Handschuh bei einem Handel b. Ingo hatte Claudia nicht getroffen und war nach Hause gefahren.
Die Kombinatorik modifizierender Elemente wird durch das HEAD-Attribut MOD determiniert, das jeweils ein Objekt des Typs synsem als Wert besitzt. Dieses Objekt muß mit der Schwester des jeweiligen Modifikators unifiziert werden. Das Lückenbindungsschema wird zur Behandlung von gebundenen und ungebundenen Abhängigkeiten benötigt. Es verbindet ein Element mit einer Projektion, in der dieses Element als Bestandteil des NON-LOCAL|TO-BIND|SLASH-Attributs erscheint und folglich fehlt. Eine Repräsentation des Schemas findet sich in (29), eine eingehende Diskussion dieses Schemas folgt im nächsten Abschnitt. (29)
Lückenbindungsschema a. Merkmalstruktur: LOCAL|CAT|SUBCAT () NONLOC|TO-BIND|SLASH {...[T] DTRS FILLER-DTR|SYNSEM|LOCAL |T] HEAD-DTR|SYNSEM
phr
-J
b. Interpretation: Eine Phrase, deren Füller-Tochter mit einem Element des TO-BIND|SLASH-Attributs der Kopf-Tochter übereinstimmt. In den vorgestellten Regelschemata finden sich keine Aussagen über die Projektion von Merkmalen zwischen der Phrase und ihren Töchtern, da solche Informationen im Idealfall nicht regelspezifisch sind und somit eher durch allgemeingültige Beschränkungen erfaßt werden sollten, die dann für alle Regelschemata verbindlich sind. Im vorliegenden Ansatz nehmen solche allgemeinen Beschränkungen die Form von Prinzipien an. Ein Prinzip besitzt die Form einer Implikation, die Aussagen über Phrasen macht. Die relevanten Prinzipien sind in (30) bis (32) aufgeführt. Die durch diese Prinzipien ausgedrückten Beschränkungen müssen jeweils strikt lokal erfüllt werden. In dieser Theorie werden daher weder Prinzipien zugelassen, die auf die Töchter-Struktur einer Tochter eingehen, noch solche, die über die nächste Projektion der Kopf-Tochter hinweg Beschränkungen formulieren. (30)
Saturationsprinzip a. Merkmalsrepräsentation: [DTRS headed-structure] =» SYNSEM|LOC|CAT|SUBCAT [T] HEAD-DTR|SYNSEM|LOC|CAT|SUBCAT DTRS COMP-DTRS
b.
Interpretation: Die Verknüpfung der Komplement-Töchter mit der SUBCAT-Liste der Phrase ergibt die SUBCAT-Liste der Kopftochter.
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(31)
Koprmerkmalsprinzip a. Merkmalsrepräsentation: [OTRS headed-structure] =» SYNSEM|LOC|CAT|HEAD [T] HEAD-DTR|SYNSEM|LOC|CAT|HEAD [T]
b. Interpretation: Der Wert des HEAD-Attributs der Kopf-Tochter stimmt mit dem Wert des HEADAttributs der Phrase überein. (32)
Kontributionsprinzip a. Merkmalsrepräsentation: [DTRS head-comp-structure vhead-filler-struct J =» SYNSEM|LOC|CONTENT (T) HEAD-DTR|SYNSEM|LOC|CONTENT [T] [DTRS head-adj-structure] => SYNSEM|LOC|CONTENT [T] ADJ-DTR|SYNSEM|LOC|CONTENT Q]
b. Interpretation: Das CONTENT-Attribut der Phrase entspricht dem CONTENT-Attribut der KopfTochter, falls es sich um eine Komplementations- oder Lückenbindungsstruktur handelt. Handelt es sich bei der Phrase um eine Modifikationsstruktur, so entspricht das CONTENT-Attribut der Phrase dem CONTENT-Attribut der Modifikator-Tochter. Im Saturationsprinzip wird erstmals Gebrauch von der Konkatenationsfunktion append gemacht. Diese Funktion wurde in (20) definiert. Dort wurde bereits daraufhingewiesen, daß append *\\a\ verwendet werden kann, um eine gegebene Liste in ihre Teilstrukturen aufzuspalten. Diese Verwendung von append findet sich in (30), wo festgelegt wird, daß die SUBCAT-Liste des Kopfes einer Phrase der Konkatenation der SUBCAT-Liste der Phrase mit der COMP-DTRS-Liste entspricht. Die Interaktion dieses Prinzips mit dem Komplementationsschema wird weiter unten anhand eines Beispiels detailliert erläutert. Hier soll allerdings bereits erwähnt werden, daß das Saturationsprinzip aufgrund der o.g. relationalen Abhängigkeit in Komplementationsstrukturen und Modifikationsstrukturen jeweils die korrekte Perkolation der Valenzinformation garantiert. In Modifikationsstrukturen kann auf eine explizite Stipulation der jeweiligen SUBCAT-Werte verzichtet werden, da der Wert des Attributes COMP-DTRS hier die leere Liste ist. Infolge dessen ergibt die Anwendung des Saturationsprinzips auf Modifikationsstrukturcn, daß der SUBCAT-
54
Wert der Phrase mit dem SUBCAT-Wert der Kopf-Tochter übereinstimmt, denn nur so kann die durch append ausgedrückte Beschränkung erfüllt werden. Das Kopfmerkmalsprinzip ist ein einfaches Perkolationsprinzip, das hier nicht ausdrücklich diskutiert werden muß. Es garantiert, daß die HEAD-Attribute eines Kopfes mit den Projektionen dieses Kopfes übereinstimmen. Etwas komplexer als die ersten beiden Prinzipien ist das Kontributionsprinzip, da es sich im Gegensatz zu den erstgenannten Prinzipien explizit auf die einzelnen phrasalen Objekte bezieht. In nahezu allen Grammatikmodellen wird die Unterscheidung zwischen syntaktischen und semantischen Köpfen ignoriert. So betrachtet man etwa in der Rektions- und Bindungstheorie nur syntaktische Köpfe und ignoriert semantische Funktoren, die keinen syntaktischen Kopfstatus besitzen, völlig. In den auf den Untersuchungen von Montague (1974) basierenden kategorialgrammatischen Ansätzen wird hingegen zumeist auf den Begriff des syntaktischen Kopfes verzichtet. An seine Stelle tritt der Funktor, also der semantische Kopf. Diese Vorgehensweise ist hauptsächlich durch die Beziehung zwischen syntaktischer und semantischer Kombination gemäß einer strikten Version des Kompositionalitätsprinzips bedingt, verbietet aber die Formulierung von rein syntaktischen Generalisierungen. In HPSG besteht die Möglichkeit, diese scheinbare Dichotomic durch die Modularisierung der Repräsentation aufzuheben, da die Bildung der semantischen Struktur nicht notwendigerweise vom syntaktischen Kopf determiniert wird. Stimmen syntaktischer und semantischer Kopf überein, wie im Falle der Köm piementation oder Lückenbindung, so entspricht das CONTENT-Attribut der Phrase dem CONTENT-Attribut des Kopfes. Hierbei sollte bedacht werden, daß ein zentraler Unterschied zwischen der Semantik des Kopfes und der Semantik der Phrase in einer Komplementationsstruktur nicht durch das Kontributionsprinzip determiniert werden muß. Kombiniert nämlich ein Verb mit einem seiner nominalen Argumente, so wird der Parameter der NP mit dem jeweiligen Rollenparameter im CONTENT des Verbes unifiziert, ohne daß das Kontributionsprinzip hierüber eine Aussage machen muß. Der Parameter des Arguments ist Bestandteil des SYNSEM-Attributs des betreffenden Arguments. Die Identifikation wird durch die Forderungen des Saturationsprinzips festgelegt und muß nicht im Kontributionsprinzip erfaßt werden. Da nun Identität eine symmetrische Relation ist, folgt desweiteren, daß das CONTENT-Attribut eines Kopfes in allen Belangen mit dem CONTENT-Attribut der Phrase identisch ist. Im Falle der Modifikation unterscheidet sich der syntaktische Kopf vom semantischen Funktor. Dieser Unterscheidung wird nun Rechnung getragen, da die Perkolation der syntaktischen Kopf-Merkmale auch im Falle der Modifikation durch das Kopfmerkmalsprinzip erfolgt, die semantische Struktur hier jedoch von der Modifikator-Tochter an die Phrase weitergegeben wird. Anhand des Beispiels (33) wird in der Folge die Interaktion der Regeln und Prinzipien kurz verdeutlicht. (33)
daß Ulrich Katarina liebt
Zunächst ist in (34) das Resultat der Unifikation des Komplementationsschemas mit den o.g. Prinzipien dargestellt.
55
(34)
Unifikation des Komplementationsschemas mit den Prinzipien: HEAD
CAT SUBCAT 2 SYNSEM|LOC CONTENT 4 phrase HEAD
CAT SUBCAT
2 0 3
HEAD-DTR|SYNSEM|LOC CONTENT 4 DTRS head-comp-struct COMP-DTRS 3
Die Repräsentationen der einzelnen Lexeme sind in (35) angegeben. Der Eintrag für den Complementizer wird weiter unten detaillierter diskutiert; die Einträge für das Verb und die Nomen entsprechen bis auf die jeweilige semantische Kontribution den oben vorgestellten Einträgen, daher sind bei den Nomen hier nur die abweichenden CONTENT-Attribute angegeben. Aus diesen Attributen ist zu ersehen, daß Eigennamen ebenso wie andere Nomina einen Parameter, sowie eine Beschränkung über diesen Parameter einführen. Die Beschränkung ist eine Benennungsrelation, die dem jeweiligen Parameter den Namen zuweist. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde in allen Einträgen auf die Darstellung der QSTORE-, PHON- und NON-LOCAL-Attribute verzichtet.
(35)
a. daß: HEAD comp[cOMP-FORM daß]
CAT
SUBCAT (S:[T]) SYNSEM|LOCAL CONTENT [T]
b. Ulrich: INDEX [T] RESTRICTION
naming
NAME ulrich
ARG1 Q]
c. Katarina: INDEX (T] RESTRICTION J naming
NAME katanna
ARG1
56
d. liebt:
HEAD verb
VFORM fin INFL IT!
CAT SUBCAT (NP{T],NP:[ SYNSEM|LOCAL
ARG1 [ CONTENT lieben
NUM sg
PERS 3rd
ARG2 2
Mit dem Eintrag des Complementizers daßin (35a) wird eine weitere notationeile Konvention eingeführt: Die Abkürzung S[...]:[n] - wobei [...] leer sein kann - steht für eine saturierte verbale Projektion, deren semantische Kontribution [n] ist. Diese Abkürzung entspricht also der Konvention zur Abkürzung von Nominalphrasen: (36)
S:[n] CAT synsem LOCAL
HEAD verb SUBCAT {}
CONTENT
Bei der Behandlung subordinativer Konjunktionen folgen wir der Analyse von Pollard/Sag (1994, ms.) für das Englische nicht. Die Autoren schlagen dort vor, Konjunktionen wie that und whether nicht als Köpfe einer Projektion, sondern als (Modus-) Marker des Satzes zu analysieren. Zur Unterstützung dieser Hypothese führen Pollard/Sag (ms) drei Argumente an, von denen allerdings in Pollard/Sag (1994) nur eines aufrecht erhalten wird. Zunächst kann man feststellen, daß im Englischen der Status eines Verbs auch über einen Complementizer hinweg regiert werden kann, wie (37) zeigt. Verben wie demand und require verlangen, daß der Konjunktiv im Komplement durch ein infinites Verb gebildet wird. (37)
I demand that the papers be/*are written until Tuesday.
Dies kann kaum erklärt werden, wenn man annimmt, daß that hier eine Projektion errichtet, denn über diese Projektion hinweg könnte der Status nicht regiert werden. Ein weiteres Argument gegen den Kopfstatus von Complementizern im Englischen ist die Möglichkeit der satzinternen Topikalisierung. Pollard/Sag (ms) argumentieren hier, daß eine Barrieren-Struktur ä la Chomsky (1986b) des englischen Complementizers vorhersagt, daß eine topikalisierte Phrase immer links vom Complementizer realisiert werden müßte, also etwa wie in den notorischen Beispielen aus süddeutschen Dialekten, in denen Topikalisierung in Nebensätzen zulässig sind. Tatsächlich kann man aber im Englischen beobachten, daß diese Form der Topikalisierung überhaupt nicht auftritt, während interne Topikalisierung rechts vom Complementizer zulässig ist:
57
(38)
I believe that this book you should give away
Schlußendlich stellen Pollard/Sag (ms) fest, daß das im Englischen bekannte .Preposition Stranding' nicht auf Complementizer übertragen werden kann (39), was erneut Zweifel an ihrem Kopfstatus aufkommen läßt. (39)
*You should give away this book I believe that
Dieses letzte Argument ist sicherlich das Schwächste, da mehrere unabhängige Gründe für den Ausschluß des Beispiels (39) gefunden werden können.16 Insgesamt kann man aber feststellen, daß die beiden wirklich stichhaltigen Argumente im Deutschen keine Anwendung finden, d.h. Statusrektion über einen Complementizer ist ebenso ausgeschlossen wie sarzinterne Topikalisierung. (40)
a. *Ich verlange, daß Peter morgen kommen/zu kommen/gekommen, b. *Ich glaube, daß dieses Buch du lesen solltest.
Ich halte es für berechtigt, eine relativ konservative Analyse der deutschen Complementizer anzusetzen, bei der der Satz durch den Complementizer subkategorisiert wird. Daher die SUBCATSpezifikation für daß m (35). Da Complementizer ein eigenes - kategorial vom HEAD-Attribut des Satzkomplements verschiedenes - HEAD-Attribut besitzen, ergibt sich eine Analyse, in der sich Nebensatzstrukturen auch kategonal von Verberst- und Verbzweitsätzen unterscheiden. Dieses Faktum werden wir in Abschnitt 2.4 nochmals aufnehmen. Vorläufig können wir diese Charakterisierung aber nutzen, um eine relativ einfache Erklärung für den folgenden Kontrast zu formulieren. (41)
a. b. c. d.
Ich glaubte ihm, daß er kommen könnte. Ich fragte ihn, ob er kommen könnte. *Ich glaubte ihm, ob er kommen könnte. "Ich fragte ihn, daß& kommen könnte.
Die Verteilung in (4l) folgt aus den Subkategorisierungsbeschränkungen der Verben glauben und fragen. Während ersteres einen Komplementsatz mit der HEAD-Information [COMPFORM daß] subkategorisiert, verlangt letzteres nach einem Komplementsatz mit [COMPFORJvl ob]. In (42) ist die resultierende (Baum-)Struktur für (33) gegeben, die beiden Argumente des Verbs wurden ebenso wie das sententiale Argument des Complementizers qua Komplementationsschema abgebunden.
So könnte man etwa verlangen, daß ein gestrandeter Kopf sein Komplement -markieren muß. Dies ist in (39) nicht der Fall. Ich danke K. Hartmann fiir diesen Hinweis.
58
da Ulrich Katarina liebt17
(42)
HEAD 3 CAT
SUBCAT { }
CONTENT 171
HEAD [7|comp[cOMP-FORM NONLOqiNH l
[LOCAL GD bewegen zu können
LOC|CAT|SBCT NONLOqiNH versucht
[6] >]TLOCAL [3fCAT|SBCT < ü > ^NONLOqiNH|SLASH {Q]} ]NONLOqiNH|DSL (g]l
.
97
Die Kohärenzbedingungen (28a) und (28c) beziehen sich jeweils auf Abfolgebeziehungen in kohärenten Konstruktionen. Wir können nun zeigen, wie die in Kap. 2 vorgestellten Abfolgebedingungen mit der hier vorgestellten Argumentanziehung interagiert und die Zulässigkeit von Scramblingphänomenen vorhersagt. Die relevante Bedingung ist hier in (35) wiederholt: (35)
Lokalitätsbeschränkung für die Abfolge abhängiger Glieder: Eine LP-Regel der Form X < kann nur Elemente erfassen, die Argumente des gleichen Kopfes sind, d.h. die auf der SUBCAT-Liste desselben Kopfes erscheinen.
Anhand von (36) können wir die Interaktion dieser Bedingung mit der Argumentanziehung verdeutlichen. (36)
weil ihm der Mann die Schokolade zu geben versuchte
Hier muß das zu V" gehörende Pronomen ebenso wie die Subjekt-NP als Argument des Verbs versuchen analysiert werden, da die Permutation von Objekt und Subjekt ansonsten nicht möglich wäre, weil Subjekt und Objekt von zwei unterschiedlichen Köpfen regiert werden. Gerade dies wird durch Argumentanziehung gewährleistet: D" wird durch V angezogen und erscheint so ebenso wie das Subjekt auf der SUBCAT-Liste dieses Verbs. Infolge dessen ist eine Vertauschung zulässig, wenn eine entsprechende LP-Regel - etwa [+PRON] < [-PRON] aus Uszkoreit (1987a) - vorliegt. Auch die Bedingung (28c) kann auf die Interaktion einer Wortstellungsbeschränkung mit dem Mechanismus der Argumentanziehung zurückgeführt werden. In Kap. 2 haben wir eine weitere Bedingung über Abfolgen vorgestellt, die die Reihenfolge bei Funktor-Argument-Strukturen restringiert. Diese Bedingung wird in (37) wiederholt. (37)
Abfolgebedingung für Funktor und Argument: Zwei Elemente X und - wobei X ein Funktor und ein Argument ist - können nur dann zueinander geordnet werden, wenn sie Töchter desselben phrasalen Objekts sind.
Nur im Falle eine kohärenten Konstruktion werden V und V" zu Schwestern und erfüllen so die Bedingung (37). Der variable Skopus eines Negationsträgers in einer kohärenten Konstruktion kann ohne weitere Zusatzannahmen wie folgt abgeleitet werden. Wir folgen Jacobs (1982) und gehen davon aus, daß der Negationsträger nicht als Adverb beschrieben wird.33 Diese Annahme reflektierend
"
Dies bedeutet allerdings auch, daß wir eine Eigenheit der Jacobs'schen Analyse übernehmen müssen: Da Jacobs die syntaktische Kombination von Negationsträgern und Nominalphrasen auch in Kontexten wie (i) bezweifelt, d.h. annimmt, daß der Negationsträger hier ein adverbialer Modifikator ist, ergibt sich zwingend, daß (i) ein Verbdrittsatz sein muß. (i) Nicht jede Krankenschwester bewunden einen Arzt. Wir werden jedoch in Abs. 4.2 diskutieren, daß die Syntax der Topikalisierung im Deutschen eine weiterhin offene Frage ist. Ich werde daher im folgenden auf diese Fragestellung nicht weiter eingehen. Ein weiteres Problem der einheitlichen Betrachtung von Negationsträgem und anderen Adverbien ist die mangelnde Vorfeldfähigkeit des ersteren. Dies wird in (ii) deutlich: Der Negationsträger unterscheidet sich hier von Temporal-, Lokal- und Frequenzadverbien, um nur einige zu nennen. (ii) "Nicht bewundert jede Krankenschwester einen Arzt, (iii) Heute/Hier/Ort bewundert jede Krankenschwester einen Arzt. Diese Abweichung muß in der vorliegenden Arbeit unerklärt bleiben.
98
sclegiert der Negationsträger in (38) durch das MOD-Attribut eine verbale Projektion, deren CONTENT-Attribut [1] ist. (38)
nicht CAT
SUBCAT {} HEAD I MOD V[CONT|1
Die vorliegende Analyse verzichtet nicht nur auf eine Unterscheidung zwischen Konstituentenund Satznegation, sondern auch auf eine spezielle Position des Negationsträgers im Satz. In der Rektions- und Bindungstheorie (vgl. etwa Pollock (1989), Rizzi (1990) und Haegeman (1991)) findet sich die Annahme, daß ein Negationsträger eine funktionale Projektion bildet und entsprechend eine ausgezeichnete Position im Satz besetzt. Diese Annahme halte ich aus verschiedenen Gründen für inadäquat. Ein Grund hierfür ist die in (39) dokumentierte Stellungsvarianz des Negationsträgers, die in den o.g. Theorien durch .Scrambling' des Negationsträgers oder der nominalen Argumente abgeleitet werden muß. (39)
a. weil Ulrich Horst nicht zu schlagen versucht b. weil Ulrich nicht Horst zu schlagen versucht c. weil nicht Ulrich Horst zu schlagen versucht
Ein weiteres Argument liefern die Skopusverhältnisse in den Beispielen in (40), die durch die variable Abfolge von NP-Quantor und Negationsträger bestimmt werden. (40)
a. Ulrich versucht nicht eine Sorte zu probieren. b. Ulrich versucht eine Sorte nicht zu probieren.
Diese Daten liefern zugleich auch ein Argument für die Annahme, daß Negationsträger quantifizierte Umstände einbetten, denn nur so kann garantiert werden, daß ein nominaler Quantor engen Skopus in bezug auf einen Negationsträger besitzen kann. In (40a) besitzt der Quantor prinzipiell engen Skopus in bezug auf die Negation, in (40b) hingegen liegt grundsätzlich weiter Skopus des Existenzquantors vor. Erneut müßten die präferierten Lesarten durch Scrambling abgeleitet werden. Wir weichen in der Repräsentation der semantischen Kontribution des Negationsträgers von den Annahmen der Situationssemantik (vgl. hierzu Barwise/Perry (1983), Barwise (1988)) ab. Negationsträger reichern in der vorliegenden Analyse nicht den Informationsgehalt eines Umstands an. Wir gehen vielmehr davon aus, daß der Negationsträger ein Operator ist. Gegen die situationssemantische Analyse der Negation spricht nach meinem Dafürhalten vor allem die in (40) und anderen Beispielen exemplifizierte Skopusvarianz bzw. auch -invarianz des Negationsträgers: Negationsträger interagieren mit anderen Operatoren und sollten daher auch wie Operatoren analysiert werden. Dies ergibt die folgende Repräsentation des Adverbs nicht:
99
(41)
nicht
CAT
SYN|LOC
HEAD|MOD ν[θΟΝτ[Τ]]
SUBCAT{)
CONTENT
QUANTS () NUCLEUS ηφΐΤ-ARG [T]]
Das Modifikationsschema bildet mit dem Kontributionsprinzip eine Struktur, in der der Negationstr ger der semantische Kopf der Phrase ist und die semantische Kontribution seines .Komplements' - also des syntaktischen Kopfes der Phrase - einbetten mu . In (42) ist das entstehende Regelger st dargestellt. (42)
Modifikationsschema Λ KP Λ SP Λ ΚΜΡ HEAD [T] CAT SYN|LOC
l"" "l
SUBCAT ' 2 '
CONTJNUC[7| CAT
HEAD-DTR|SYN|[7]LOc
HEAD [T] 1
CONT|NUC[T]
DTRS
1
MOD-DTR|SYN|LOC
1
ςΐΙΗΓΑΤ 7
1
CAT|HEAD|MOD|5| ι—ι ι
·
r—n
CONT|NUC [3|ARG|NUC [4JJ 1
Da der Negationstr ger einen quantifizierten Umstand einbettet, werden die in (43) vorliegenden systematischen Skopusvariationen korrekt vorhergesagt: In (43a) besitzt der Existenzquantor weiten Skopus, da er auf die Kombination von Negation und verbalem Nukleus angewandt wird. In (43b) wird zuerst der Existenzquantor auf den verbalen Nukleus angewandt; der Negationstr ger bettet den quantifizierten Umstand der Spezifikation (41) gem ein.34
34
Kasper (1994) versucht zu zeigen, da die hier beschriebenen Skopusvariationen bei adverbieller Modifikation auch auf der Basis einer flachen Phrasenstruktur abgeleitet werden k nnen. Hierzu werden allerdings zus tzliche Listenoperationen ben tigt, die die hier beschriebenen Modifikationseigenschaften auf der Basis bin rer Strukturen nachspielen.
100
(43)
a. weil Ulrich eine Sorte nicht probiert
CONT
QUANTS { 3(7]{sorte( \T\ )|} j NUC ne^SIT-ARG [T]
CONT
QUANTS (} NUC neJsiT-ARG l 21
eine Sorte
CONT
QUANTS {)
QUANTS {)
NUC ne^SIT-ARG | 2 NUC probierer
l
nicht
ARG1 [3j
ARG2 ΠΊ probiert
b. weil Ulrich nicht eine Sorte probiert
CONT
QUANTS {) NUC neJsiT-ARG l 21
CONT
QUANTS (3|T))sorte(|T|)}}
QUANTS ()
CONT 2
NUC ne^SIT-ARG | 2 NUC probierer
l
ARG1 [~3
ARG2 l l
nicht
3J7|{sorte([r|)| l
CONT
QUANTS {}
^~~^
eine Sorte
ARG1 (Tl
NUC probierer
Jzr
ARG2 |_lj 1
probiert
Da der Negationstr ger beliebige verbale Projektionen, d.h. auch einen durch Argumentanziehung entstandenen Komplex aus V und V" modifizieren kann und dann qua Modifikationsschema die semantische Kontribution des syntaktischen Kopfes unter einem Negationsoperator
101
eingebettet wird, ergibt sich der weite Skopus eines .eingebetteten' Negationsträgers aus der Tatsache, daß der Negationsträger zwar linear, nicht jedoch hierarchisch zwischen A" und V" eingebettet wird. Die Repräsentation (44) zeigt die Klammerungen des Beispiels (33a). Verbindet sich der Negationsträger mit V, ergibt sich der für Kohärenz typische weite Skopus (44a). In (44b) wird darüber hinaus dargestellt, daß auch eine Verbindung des Negationsträgers mit V", d.h. also enger Skopus des Negationsträgers in einer kohärenten Konstruktion mit der Kette (33a) kompatibel ist.35 (44)
a. weil Ulrich Horst [nicht [zu treffen versucht]] hat b. weil Ulrich [Horst nicht zu treffen] versucht] hat
3.2.2
Zur Repräsentation inkohärenter Konstruktionen
Wir haben bereits im Zusammenhang mit dem 3. Kohärenzkriterium auf die Struktur inkohärenter Konstruktionen hingewiesen. Wir wollen daher nun untersuchen, wie inkohärente Konstruktionen unter Zuhilfenahme der oben entwickelten Begriffe beschrieben werden können. Wir gehen im folgenden davon aus, daß Inkohärenz nichts anderes bedeutet als leer erfolgte Argumentanziehung.36 Daß dies zulässig ist, liegt an der Verknüpfung der Valenzen in (22). Don wird keineswegs verlangt, daß das Komplement eines Kohärenzverbs tatsächlich Argumente besitzt, vielmehr wird die SUBCAT-Liste des Kohärenzverbs mit der SUBCAT-Liste seines Komplements verknüpft, unabhängig davon, ob diese Liste Elemente enthält. Um diesen Punkt und seine Implikationen weiter zu verdeutlichen, fuhren wir an dieser Stelle kurz noch einmal die relevanten Kriterien für Inkohärenz auf. Bech formuliert zwei ,echte' Kriterien für Inkohärenz, Extraposition und Relativsatzumstellung. (45)
Zwei Verbalfelder F' und F" befinden sich nicht im gleichen Kohärenzfeld, wenn a. F" extraponiert wurde (6. Kohärenzkriterium), b. F" ein Relativum enthält und mit diesem vorangestellt wurde (7. Kohärenzlcriterium),
Vergleichen wir nun die kohärenten und inkohärenten Konstruktionen anhand eines Intrapositionsdatums, also einer Konstruktion, die in Abwesenheit intonatorischer Evidenz sowohl als kohärente, als auch als inkohärente Konstruktion interpretiert werden kann.
''
36
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, daß die Analyse des Negationsträgers als Modifikator Über die Analysen in (44) hinaus eine weitere Analyse zuläßt, in der der Negationsträger in einer kohärenten Konstruktion V" modifiziert. Im vorliegenden Beispiel ist diese Analyse äquivalent zur Analyse (44b). Wollte man eine solche Analyse ausschließen, bestünde allerdings keine Möglichkeit mehr, den engen Skopus der Negation in Beispielen wie (i) abzuleiten. Wir nehmen daher die vorliegende rein strukturelle Ambiguität in Kauf, (i) Ulrich hat nicht zu schlafen versucht. Unsere Analyse richtet sich somit explizit gegen Ansätze, in denen optionale Kohärenz durch disjunktive Subkategorisierung erfaßt wird. Dies gilt etwa für die Ansätze von v. Stechow/Sternefeld (1988), v. Stechow (1990a) und Sternefeld (1991). Haider (1991a) behandelt Inkohärcnz bei optionaler Kohärenz nicht.
102
(46)
daß [du dich zu rasieren versuchst] a. kohärent: [SBCT< }]
[SBCT(Nl{noin])]
[SBCT{ Nljnom] Nl{acc]) ]
SBCT [T]( NF[acc])] [SBCT ( Nl{nom]) © [T] © { vfsBCT [7]]}] 7U
versuchst
b. inkohärent: [SBCT( )]
SBCT( NF(nom])
[ | ® { VJSBCT [T]])]
versuchst dich
Zunächst einmal sollte ersichtlich sein, daß das SUBCAT-Attribut des Verbs versuchen beide Strukturen zuläßt, da nicht verlangt wird, daß die SUBCAT-Liste seines verbalen Komplements Argumente enthält. In (46b) ergibt sich infolge leerer Argumentanziehung eine Struktur, in der das Komplement des Kontrollverbs eine saturierte Projektion zu bilden vermag: V" bildet mit seinem Objekt eine Phrase, die wiederum Schwester von V ist. Anders ist die Situation bei (46a). Hier bilden V und V", wie im letzten Abschnitt beschrieben, eine kohärente Konstruktion. Den Kriterien far Inkohärenz in (45) ist gemein, daß jeweils eine ganze Phrase durch die Bedingung berührt wird: Sie wird extraponiert oder vorangestellt. Wie wir oben gezeigt haben, liegt
103
jedoch im Falle einer kohärenten Verbindung von V und V" eine solche einheitliche Phrase überhaupt nicht mehr vor. Extraposition und Satzumstellung sind Abhängigkeiten, die in der Rektions- und Bindungstheorie überwiegend durch Bewegungstransformationen beschrieben werden. Ein grundlegendes Kriterium für Bewegungen - unabhängig davon, ob man tatsächlich Bewegungen postuliert oder die Beziehung zwischen Füller und Lücke durch Struktuneilung beschreibt - ist jedoch die Konstituenz des bewegten Elements. Im Falle von Rechtsextraposition und Satzumstellung muß man davon ausgehen, daß nur saturierte Konstruktionen erfaßt werden können. Hier unterscheidet sich die Extraposition deutlich von der Topikalisierung, die saturierte und unsaturierte Phrasen (oder auch Lexeme) erfaßt. Folgen wir dieser Überlegung, so ist eine Extraposition von F" unzulässig, wenn V und V" eine kohärente Konstruktion bilden, da so nicht nur zwei unzusammenhängende Phrasen extraponiert werden müßten, sondern zumindest eines der extraponierten Elemente nicht saturiert wäre. Daß bei einer Rechtsextraposition weniger die Satzwertigkeit des bewegten Elements und vielmehr die Saturation der Phrase relevant ist, zeigen die folgenden Beispiele. Neben finiten Sätzen und Infinitivsyntagmen können auch PPen und adverbiell verwendete NPen extraponiert werden, wobei die Extraposition von adverbiellen NPen nahezu vollständig auf temporale NPen eingeschränkt ist. Diesen Beispielen ist gemein, daß die extraponierte Phrase saturiert ist. (47)
a. b. c. d.
Es hat mich gewundert, daß Claudia nicht gekommen ist. weil er den Jungen überzeugte, das Boot nochmals zu starten. Nur wer Fußball kennt, weiß wie das ist, nach zwei Finalniederlagen. Er hat wieder gearbeitet den ganzen Tag.
Das in (48) vorliegende Beispiel unzulässiger Satzumstellung erhärtet unsere Hypothese, da ihre Unzulässigkeit aus der .Bewegung' einer nicht-saturierten Phrase resultiert. Wollte man hingegen annehmen, daß Satzumstellung beliebige Phrasen erfaßt, könnte man dieses Damm nicht erklären, da hier eine Phrase - bestehend aus dem Verb und seinem direkten Objekt - bewegt worden ist. (48)
*Das ist der Hut, den zu schenken ich dir Claudia versprach
Daß syntaktische Saturation - d.h. eine leere SUBCAT-Liste - eine notwendige Voraussetzung für Extraposition und Satzumstellung ist, erklärt zugleich auch, wieso die anderen o.a. Kohärenzkriterien nicht mit extraponierten oder umgestellten Phrasen verträglich sind. So konnten wir feststellen, daß eine Abfolgebeziehung zwischen zwei Argumenten nur dann konstituiert werden kann, wenn diese Elemente auf der gleichen SUBCAT-Liste erscheinen. Bei inkohärenten Konstruktionen ist dies nicht möglich, da hier alle Argumente lokal realisiert werden. Die Inkompatibilität von Argumentumstellung und Extraposition folgt so direkt. Eine Definition der Inkohärenz ist in (49) gegeben.
104
(49)
Inkohärenz: Zwei Verbalfelder F' und F" befinden sich nicht im selben Kohärenzfeld, wenn V" alle Argumente in der Domäne seiner Projektion realisiert und V folglich keine Argumente von V" erbt.
3.2.2.1 Eine Analyse der Extraposition Bislang wurde die Extraposition eines F" als Kriterium für inkohärente Konstruktionen verwendet, ohne daß dargelegt wurde, wie die Extraposition in die vorliegende Analyse integriert werden könnte. Zwei prinzipielle Möglichkeiten stehen zur Auswahl: Extraposition könnte einerseits durch Lückenperkolation, also in Anklang an Topikalisierungen qua SLASH-Perkolation beschrieben werden. Andererseits könnte man versuchen, die Extraposition - hierin etwa Bech folgend - als Wonstellungsphänomen zu erfassen. Gegen die erste Analyse sprechen wenigstens zwei Gründe: Zunächst wird die extraponierte Phrase nicht vor, sondern hinter dem Restsatz angeführt. Dies bedeutet, daß unabhängig von einer möglichen Repräsentation der Extraposition durch Lückenperkolation immer noch eine Wortstellungsbeschränkung eingeführt werden muß, die die korrekte Abfolge von Satz und extraponierter Phrase steuert. Darüber hinaus verletzen Extrapositionen Inselbeschränkungen: So liegt in (50a) eine Extraposition aus einem Subjekt, in (50b) eine Extraposition aus einem Adjunkt vor. Dieses Problem kann man umgehen, indem man für Extrapositionen ein von SLASH unabhängiges Merkmal einfuhrt, das anderen Prinzipien gehorcht. So könnten Subjekte dann entsprechend der in Pollard/Sag (1994: Kap. 4) vorgestellten Theorie der Lückenperkolation Inseln für SLASH, nicht jedoch Inseln für ein Extrapositionslückenmerkmal sein. (50)
a. Ausgerechnet der Mann hat Ulrich geschlagen, den ich gestern dir gegenüber als so nett bezeichnet habe. b. Hier habe ich in den Monaten faul auf de Wiese gelegen, in denen die anderen fleißig ihre Scheine gesammelt haben.
Diese Phänomene berücksichtigend werden wir im folgenden skizzieren, welche Probleme sich für eine Wortstellungsanalyse der Extraposition ergeben. Wie bereits in Abs. 3.1 erläutert, gehen wir davon aus, daß Saturation eine notwendige Voraussetzung für Extraposition ist. Hierin unterscheidet sich die Extraposition erneut von der Topikalisierung, bei der die Saturation der dislozierten Phrase keine Rolle spielt. Als ersten Ansatz einer Integration der Extraposition betrachten wir die Abfolgeregel in (51), hierbei voraussetzend, daß das Merkmal EXTRAPOS (ein zusätzliches HEAD-Merkmal) nur vorhanden ist, wenn das SUBCAT-Attribut des betreffenden Elements leer ist. (51)
X < EXTRAPOS
Die Regel in (51) besagt, daß eine saturierte Konstituente hinter einer anderen Konstituente realisiert wird, wenn sie das Merkmal EXTRAPOS besitzt.37 Die Regel (51) entspricht als Abfolgeregel den in Kap. 2 vorgestellten Abfolgebedingungen für Funktoren und Argumente, die einen 37
Diese Regel unterscheidet nicht zwischen extraponierten Sätzen, NPen, PPen etc.
105
Funktor - den verbalen Kopf- und ein Argument - die extraponierte Phrase - lokal zueinander ordnet. Die Konsequenzen dieser Annahme kann anhand der Beispiele in (52) erläutert werden. (52)
a. Sie hat versprochen, einen Mann zu überzeugen, den Kuchen zu essen, b. Sie hat einen Mann zu überzeugen versprochen, den Kuchen zu essen.
In (52a) wird zunächst die Phrase einen Mann zu überzeugen, den Kuchen zu essen durch das Merkmal EXTRAPOS hinter das Verb verschoben, wobei die Verschiebung hier nur die Reihenfolge, nicht jedoch die Position im lokalen Baum betrifft. In der extraponierten Phrase erfolgte ebenfalls eine Extraposition der Phrase den Kuchen zu essen. In (52b) liegt eine kohärente Konstruktion von V" und V" vor, daher kann die extraponierte - von V" attrahierte - Phrase in bezug auf den Verbkomplex zu überzeugen versprochen extraponiert werden. Die vorliegende Analyse würde aufgrund der o.g. Annahmen auch eine lokale Extraposition von F"" erlauben, die allerdings - wie (53) zeigt - unzulässig ist. (53)
*Sie hat einen Mann zu überzeugen, den Kuchen zu essen versprochen.
In (53) wird die extraponierte Phrase nur in bezug auf V" verschoben. Da Extraposition, wie in (51) dargestellt, ein lokales Phänomen sein sollte, würden wir erwarten, daß (53) grammatisch ist. Das Beispiel (53) scheint somit explizit einer lokalen Behandlung der Extraposition wie in (51) zu widersprechen. Ein zweites Argument gegen eine Behandlung der Extraposition in der Form einer lokalen Abfolgeregel ergibt sich aufgrund der oben dargestellten Relativsatzextraposition. Nun kann man jedoch beobachten, daß sich die Extraposition von Relativsätzen sich nicht in allen Fällen der Extraposition saturierter Infinitivprojektionen entsprechend verhält. Dies wird etwa deutlich, wenn man Extrapositionen aus Subjekten betrachtet. Wie (50a) gezeigt hat, sind diese mit Relativsätzen grundsätzlich möglich, während die Extraposition eines saturierten Infinitivs aus einem Subjektsatz niemals grammatisch zu sein scheint:38 (54)
a. Zu versuchen zu gewinnen macht Spaß. b. *Zu versuchen macht Spaß zu gewinnen. c. * Darum hat zu versuchen Spaß gemacht zu gewinnen.
Wir können mit Blick auf die Beispiele in (54) somit zunächst festhalten, daß die Extraposition von Relativsätzen anderen Beschränkungen gehorcht als die Extraposition nicht-finiter Komplemente und daß die beobachtbaren Daten es nahelegen, eine reine Wortstellungsanalyse der Extraposition von Relativsätzen aufzugeben. Die Ungrammatikalität von (54c) zeigt darüber hinaus, daß es sich hierbei wirklich um eine Subjektinsel- und nicht vielleicht um eine Topikinselverletzung handelt. Selbst wenn die Extraposition von Relativsätzen durch andere Mechanismen beschrieben wird als die Extraposition von nicht-finiten Komplementen, verbleibt für die Wortstellungsregel (51) das in (53) dargestellte Problem der lokalen Extraposition. Eine einheitliche Behandlung dieses
38
Daß es sich bei den Infinitiven in (54) um Subjekte handelt, kann man daran ersehen, daß die jeweiligen Prädikate unter Anhebungsverben eingebettet werden können, die Inipersonalkonstruktionen verbieten (siehe Abs. 3.1 und 3-3), so etwa versprechen: (i) Zu gewinnen verspricht Spaß zu machen, (ii) Zu verlieren droht Ärger zu verursachen.
106
Problems kann ich im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht anbieten. Eine Lösung des Problems bestünde aber darin, anzunehmen, daß Phrasen, die eine extraponierte Phrase enthalten, selber das Merkmal EXTRAPOS besitzen, wenn sie saturiert sind. Bezogen auf die Beispiele in (52) und (53) würde dies bedeuten, daß die extraponierte Phrase in (52a) deswegen extraponiert realisiert wird, weil die gesamte saturierte Phrase das Merkmal EXTRAPOS von der eingebetteten extraponierten Phrase erbt. Die extraponierte Phrase in (52b) ist hingegen an der Extrapositionsstelle in keiner anderen saturierten Phrase enthalten, die ebenfalls extraponiert werden müßte. Die Ungrammatikalität von (53) folgt nun genau aus der Annahmen, daß die Phrase einen Mann zu überzeugen, den Kuchen zu essen qua Vererbung durch die extraponierte Phrase den Kuchen zu essen ebenfalls das Merkmal EXTRAPOS trägt, aber nicht rechts von V" realisiert wird. Abschließend sei noch bemerkt, daß (54a) kein Gegenbeispiel ftir diese Hypothese ist, da es sich hierbei um die Topikalisierung einer nicht-saturierten Phrase handelt, die eine extraponierte Phrase enthält. Das EXTRAPOS-Merkmal kann hier nicht an die nicht-saturierte Phrase weitergegeben werden.
3.2.2.2 Kohärenz und Inkohärenz - ein Vergleich Ein zentraler Aspekt der vorliegenden Analyse kohärenter Konstruktionen ist die Annahme, daß Inkohärenz kein besonderer Modus der Kombination ist, sondern als Grenzfall der Kohärenz beschrieben werden kann, bei dem eine Isomorphie zwischen semantischer Funktor-Argument- und syntaktischer Kopf-Komplement-Struktur geschaffen wird. Konsequenterweise verbietet die vorliegende Analyse die Hypothese, daß einer der beiden Modi der Kohärenz aus dem jeweils anderen derivationell abgeleitet werden kann. Eine inkohärente Phrase ist keine .intakte' Phrase, die durch Reanalyse- oder Restrukturierungsprozesse in eine kohärente - .defekte' - Phrase umgeformt wird. Inkohärenz darf schließlich auch nicht als besondere Eigenschaft der Verbalsyntagmen mißverstanden werden: Die vorgeblich besonderen Eigenschaften inkohärenter Konstruktionen folgen vielmehr aus dem Faktum, daß V" in einer inkohärenten Konstruktion Kopf einer saturierten Verbalprojektion ist. Saturierte Phrasen werden durch Prozesse erfaßt, deren Applikation auf nicht-saturierte Projektionen ausgeschlossen ist. Daß die Eigenschaften kohärenter Konstruktionen nicht auf inkohärent konstruierte Verbalfelder zutreffen, kann darauf zurückgeführt werden, daß bei Inkohärenz die lokale Realisation der Komplemente von V" obligatorisch ist, da V" sonst nicht saturiert ist. Verdeutlichen wir dies erneut anhand von Extraposition und der Permutation von Argumenten: Aufgrund der o.g. Bedingung kann ein Argument von V" nur dann mit einem Argument von V permutieren, wenn beide auf derselben SUBCAT-Liste erscheinen. Dies ist nur möglich, wenn die SUBCAT-Listen von V und V" durch Argumentanziehung verbunden werden. Argumentanziehung zieht wiederum mangelnde Saturation nach sich und folglich können Argumente inkohärenter V" nicht mit den Argumenten von V permutieren. Dem Ansatz von v. Stechow/Sternefeld (1988) liegt eine gänzlich andere Prämisse zugrunde. Hier entsprechen inkohärente Konstruktionen der Grundstruktur der dem X'-Schema genügenden infiniten Komplementation. Kohärente Konstruktionen müssen demgegenüber als abgeleitet analysiert werden: Sie entstehen aus saturierten Projektionen durch Reanalyse und Verbanhe-
107
bung. Zum Vergleich sind in (55) und (56) die den Analysen in (46) entsprechenden kohärenten Strukturen im Ansatz von v. Stechow/Sternefeld (1988) wiedergegeben. (55)
weil [du [cp dich zu rasieren] versuchst] IP
NP
(56)
l
l
dich
zu rasieren
weil du dich [zu rasieren versuchst] IP
zu rasieren
versuchst
Bemerkenswert ist hierbei vor allem, daß zwei verschiedene Strukturebenen angesetzt werden müssen, um kohärente und inkohärente Strukturen beschreiben zu können. Letztere werden erst auf der Ebene der Sr-Struktur aus ersteren abgeleitet; bis zur Ebene der Sf-Struktur gibt es nur inkohärente Strukturen - der abgeleitete Charakter kohärenter Konstruktionen tritt hier deutlich zu Tage. Im Ansatz von Sternefeld (1991) wird die kategoriale Unterscheidung von kohärenten und inkohärenten Infinitiven aufgegeben. Sternefeld geht davon aus, daß sowohl kohärente als auch in-
108
kohärente Konstruktionen als CPen zu beschreiben sind. Inkohärente CPen unterscheiden sich allerdings von kohärenten durch das Vorhandensein eines (möglicherweise abstrakt) gefüllten C°Kopfes. Folglich entspricht die Repräsentation der inkohärenten Verbindung von V und V" der Analyse in (55). Kohärenz wird nun durch VP-Bewegung in den Specifier von CP beschrieben (57). (57)
weil du dich zu rasieren versuchst IP
I"
Unklar bleibt hier, wieso kohärente Konstruktionen Verbkomplexe bilden. Zwar folgt die Unzulässigkeit von Verbkomplexen bei inkohärenter Konstruktion aus der Tatsache, daß der Kopf von V" in einer Position ist, aus der heraus Bewegung unzulässig ist, doch folgt aus Sternefelds Analyse keineswegs, warum V" sich zu V bewegt, wenn Kohärenz vorliegt. So nimmt Sternefeld (1990) zwar an, daß optionale Kohärenz aus der Tatsache folgt, daß ein optional kohärent konstruierendes Verb nicht verlangt, daß der Complementizer seines Komplements nicht leer ist,39 aber bereits das Vorhandensein der Komplement-VP in SpecCP würde ausreichen, um den Status zuzuweisen. In Haiders (l 991 a) Ansatz sind Kohärenz und Inkohärenz zwei gänzlich unabhängige Modi der Konstruktion. Beide werden durch X'-Schemata lizensiert, aber kohärente Konstruktionen bilden X°-Projektionen, während bei Inkohärenz - wahrscheinlich40 - Phraseneinbettung vorliegt. Die Strukturen in Haiders Ansatz entsprechen somit in etwa den Sr-Strukturen bei v. Stechow/Sternefeld (1988). Haider verzichtet allerdings auf eine Derivation der einen aus der anderen Struktur. In dieser Hinsicht ist der Ansatz Haiders derjenige generative Ansatz, der der
39 40
Dies macht Sternefeld (1990:248) explizit: „As a lexical property of verbs that admit of a coherent construction, I will assume that these verbs do not c-select an empty complementizer and that for this reason [...] it is possible to move into SpecCP." Haider (199la) macht hierzu keine expliziten Aussagen.
109
vorliegenden Untersuchung am nächsten steht. Leider verzichtet Haider jedoch auf eine detaillierte Ausbuchstabierung der Interaktion der lexikalisch gesteuerten Argumentanziehungsprozesse mit den phrasalen Beschränkungen.41 Ich meine, daß dieser kurze Vergleich der vorliegenden Analyse verdeudicht haben sollte, daß die hier verteidigte Theorie der Kohärenz im Gegensatz zu den oben kritisierten Ansätzen eine wirklich minimale Behandlung der Kohärenzphänomens bei optional kohärent konstruierenden Verben anzubieten vermag. Eine minimale Behandlung der Kohärenz wird durch zwei Faktoren determiniert: Keines der beiden Phänomene sollte aus dem anderen abgeleitet werden und das unterschiedliche Verhalten von kohärenten und inkohärenten Konstruktionen sollte unter Zugrundelegung einer möglichst geringen Anzahl von zusätzlichen Annahmen abgeleitet werden können. Diese Bedingungen erfüllt der vorliegende Ansatz, da kohärente und inkohärente Konstruktionen einheitlich durch variable Subkategorisierung beschrieben werden und der Unterschied zwischen diesen Modi der infiniten Komplementation in den Subkategorisierungseigenschaften der involvierten Verben - und nur dort - festgemacht wird. Nur die Beziehung zwischen syntaktischen Köpfen und ihren Argumenten unterscheidet kohärente von inkohärenten Konstruktionen.
3.2.2.3 Die .dritte' Konstruktion Wir haben in den letzten Abschnitten kohärente von inkohärenten Konstruktionen danach unterschieden, ob V Argumente von V" anzieht oder nicht. Eine notwendige Voraussetung für Extraposition und Satzumstellung d.h. allgemeiner: für Inkohärenz, ist, daß die Argumentanziehung leer erfolgt und V" somit seine Argumente lokal realisiert und als saturiertes Komplement von V erscheint. In Abs. 3.2.1 haben wir bei der Diskussion der in Kapitel l vorgestellten Kohärenzkriterien zwar erläutert, daß diese Kriterien aus dem hier formulierten Kohärenzbegriff qua Argumentanziehung abgeleitet werden können. Hierbei haben wir jedoch ein weiteres einschlägiges Phänomen ignoriert, die sog. dritte Konstruktion, in der Elemente von F" links und rechts von V realisiert werden. Beispiele hierfür sind in (58) gegeben. (58)
a. weil er es versucht zu reparieren b. Da hast du den Ulrich vergessen anzurufen. c. Du hast dem Ulrich vergessen, das Paket zu schicken.
Die Grammatikalitätsurteile für die Beispiele in (58) schwanken und der Grammatikalitätsgrad ist geringer als der vergleichbarer Extrapositionen (59). (59)
a. weil er versucht, es zu reparieren b. Du hast vergessen, den Ulrich anzurufen. c. Du hast vergessen, dem Ulrich das Paket zu schicken.
Die Beispiele in (58) bilden dann ein Problem für die in den letzten Abschnitten vorgestellte Analyse der Extraposition, wenn gezeigt werden könnte, daß es sich in (58) ebenfalls um inkohärente Konstruktionen, d.h. um Rechtsextrapositionen nicht-saturierter F" handelt. Wir werden an dieser Stelle keine vollständige Analyse der dritten Konstruktion anbieten, sondern zunächst Weitere Probleme der Kohärenztheorie Haiders werden in Abs. 3.3 diskutiert. Vgl. auch Kiss (im Erscheinen).
110
nur aufzeigen, daß die dritte Konstruktion nicht als Argument gegen die vorgestellte Analyse der Extraposition (bzw. ihre Prämisse: die notwendige Saturation von F") verwendet werden kann, da es sich um eine kohärente Konstruktion handelt. Obwohl wir also keine vollständige Analyse der dritten Konstruktion vorstellen werden, können wir zumindest zeigen, daß die dritte Konstruktion in die vorliegende Analyse der optionalen Kohärenz integriert werden kann. Daß es sich bei der dritten Konstruktion um eine Instanz der Kohärenz handelt, kann anhand der folgenden Überlegungen verdeutlicht werden. Zunächst ist zu beobachten, daß die dritte Konstruktion nur dann akzeptabel zu sein scheint, wenn V keine nominalen Argumente besitzt. Dies zeigen die Beispiele in (60). (60)
a. *Du hast dem Horst den Ulrich versprochen anzurufen, b. *Du hast den Ulrich dem Horst versprochen anzurufen.
Hier entspricht die dritte Konstruktion einem Muster, das wir bereits im l. Kapitel bei der Diskussion der Kohärenzmodi angesprochen haben. Dieses Muster wird auch bei der Diskussion des Fernpassivs in Abs. 3.3 erneut seine Relevanz zeigen: Wenn ein optional kohärent konstruierendes Verb ein optionales nominales Argument besitzt und dieses realisiert, ist nur noch inkohärente Konstruktion möglich. Die Ungrammatikalität von (60a) und (60b) entspricht der Annahme, daß die dritte Konstruktion eine Instanz kohärenter Konstruktionen ist. Ein weiteres Argument für diese Annahme ergibt sich aus der Lokalität der dritten Konstruktion. Man kann nämlich beobachten, daß die links von V lokalisierten Elemente eines regiertes Verbalfelds Elemente von V" sein müssen. So kann das Beispiel (6l) als völlig ungrammatisch bewertet werden, weil hier A'" links vor V verbleibt.42 (61)
*Ich kann dir das Rad nicht geben, weil ich dieses Fahrrad versprich zu versuchen bis morgen zu reparieren.
Für die Annahme, daß die dritte Konstruktion keine inkohärente Konstruktion ist, spricht auch die Tatsache, daß ein Negationsträger hier auch dann nicht zwischen V und V" intervenieren darf, wenn V" unsaturiert rechts von V realisiert wird. (62)
a. *Du hast dieses Haus versprochen nicht auszulassen, b. Du hast versprochen nicht dieses Haus auszulassen.
Bei einer Extraposition besteht, wie (62b) zeigt, jederzeit die Möglichkeit einer Intervention eines Adverbials zwischen V und V". Sollte die dritte Konstruktion eine Instanz der Inkohärenz sein, dann würden wir erwarten, daß (62a) völlig grammatisch ist. Die hier vorgestellten Beispiele zeigen, daß die dritte Konstruktion verschiedene Charakteristika kohärenter Konstruktionen besitzt und keine Eigenschaften mit inkohärenten Konstruktionen teilt. Da die dritte Konstruktion keine inkohärente Konstruktion ist, können Beispiele des Typs (58) nicht als Argumente gegen die Hypothese vorgebracht werden, daß Inkohärenz Saturation von F" voraussetzt.
In dieser Bewertung weiche ich von einer Bewertung in Uszkoreit (1987a:Bsp. 369) deutlich ab.
Ill
3.2.3
Argumentanziehung in anderen unifikationsbasierten Ansätzen
In diesem Abschnitt werden wir zwei Analysen diskutieren, die in ihrer Grundkonzeption bereits zentrale Aspekte der vorliegenden Analyse vorweggenommen haben. Hierbei handelt es sich um die Ansätze von Hinrichs/Nakazawa (1990) sowie Pollard (1990). Im Ansatz von Hinrichs/Nakazawa wurde die Argumentanziehung erstmals verwendet, um die Komplementationseigenschaften der Modalverben zu beschreiben. Auf dieser Analyse aufbauend legt Pollard (1990) eine Analyse der Voranstellung partieller Verbalphrasen vor, in der auf binär strukturierte Projektionen verzichtet werden kann. Pollards (1990) Analyse ist insofern bemerkenswert, als hier zum ersten Mal dafür argumentiert wird, daß das Subjekt nur im nicht-finiten Fall von den Komplementen eines Verbs getrennt werden muß, d.h. nur im nicht-finiten Fall nicht im SUBCAT eines Verbs erscheint. Pollard versucht, eine Analyse verbaler {Complementation zu entwickeln, die auf völlig flachen Phrasenstrukturen aufbaut und dennoch die Voranstellung partieller Verbalphrasen ermöglicht. Ausgehend von Daten wie (63) nimmt Pollard daher an, daß infinite Verben eine syntaktische Argumentstelle weniger besitzen als finite Verben. Diese Argumentstelle repräsentiert er im SUBJ-Attribut. (63)
Das Haus bauen wird er dürfen.
Pollard setzt hierbei voraus, daß die im Vorfeld befindliche Verbalphrase aufgrund einer Phrasenstrukturregel gebildet wird, dergemäß alle Argumente eines Kopfes zugleich als Komplemente dieses Kopfes realisiert werden. Würden infinite Verben die gleiche Argumentstruktur besitzen wie finite Verben, wäre (63) nicht ableitbar, da bauen dann auch ein Subjekt realisieren müßte. Kontrollbeziehungen im engeren Sinne deckt Pollard (1990) nicht über dieses Merkmal ab. Wir folgen somit Pollards Ansatz insofern, als wir eine natürliche Beschreibung dafür anbieten wollen, daß das Subjekt eines infiniten Verbs syntaktisch blockiert wird. Unser Ansatz unterscheidet sich vom Ansatz Pollards vor allem darin, daß wir davon ausgehen, daß SUBJ ein HEAD-Merkmal ist. Auf diese Weise wird kein zusätzliches Perkolationsprinzip für dieses Merkmal benötigt. Darüber hinaus entsteht so nicht der Zwang, annehmen zu müssen, daß bei der Subkategorisierung eines bestimmten SUBJ-Attributs in die interne Struktur des Komplements hineinregiert und somit die Lokalität der Subkategorisierung verletzt wird. Schlußendlich bietet die Annahme, daß SUBJ ein HEAD-Merkmal ist, eine einleuchtende Erklärung für das Faktum, daß SUBJ zu den regierten Merkmalen gehört. Der zentrale Unterschied zwischen Hinrichs/Nakazawa (1990) und Pollard (1990) einerseits und der vorliegenden Untersuchung andererseits liegt in der Verwendung von Mengenstrukturen zur Repräsentation der Valenz. Wir werden im folgenden dafür argumentieren, daß die Verwendung von Listenstrukturen zur Repräsentation der Verwendung von Mengenstrukturen überlegen ist. Nur so kann garantiert werden, daß bestimmte unzulässige Strukturen ausgeschlossen werden können. Die Analyse von Hinrichs/Nakazawa (1990) entspricht der in diesem Kapitel entwickelten Analyse. Sie nehmen allerdings an, daß das Subjekt Bestandteil des SUBCAT-Attributs ist und
112
daß letzteres nicht listen- sondern mengenwertig ist.43 Sieht man von diesen Aspekten ab, so besitzen kohärent konstruierende Verben die hier bereits vorgestellte dynamische Struktur, die allerdings auf Mengen erweitert werden muß. Argumentanziehung wird folglich nicht durch Konkatenation, sondern durch Mengenvereinigung beschrieben. Für dürfen ergibt sich entsprechend die folgende vereinfachte Repräsentation. (64)
dürfen [SYN|LOC|CAT|SUBCAT {VßUBCATJT]]} U |T|]
Die Unterscheidung zwischen listen- und mengenwertigen Attributen ist keineswegs trivial: In einer Liste sind die Elemente zueinander geordnet, während die Elemente einer Menge prinzipiell ungeordnet sind und weder eine absolute noch eine relative Reihenfolge der Elemente zueinander definiert werden kann. Wenigstens zwei Gründe sprechen jedoch dafür, im Bereich der Subkategorisierung von geordneten Strukturen auszugehen: Bindungsdaten und Verbkomplexbildung. Pollard/Sag (1987:119) argumentieren auf der Basis von Reflexivierungsdaten für ein hierarchisch strukturiertes SUBCAT-Attribut. Diese Überlegungen können anhand der folgenden Kontraste verdeutlicht werden.44 (65)
a. Der Analytiken klärt den Patientenj über sichi/j auf. b. Der Analytiken klärt sichj/*j über den Patienten auf.
In (65a) kann das Reflexivum auf das Subjekt und das Objekt bezogen werden; in (65b) ist nur noch eine Subjektbindung möglich. Entsprechende Kontraste im Englischen werden in Pollard/Sag (1994) durch den Begriff des O-Commandos erfaßt. Es wird angenommen, daß ein Reflexivum nur durch ein Element gebunden werden kann, das dem Reflexivum auf der SUBCATListe vorangeht.*5 Würde das Deutsche ein mengenwertiges SUBCAT-Attribut besitzen, könnte der in (65) exemplifizierte Kontrast nicht erklärt werden. Das zweite Argument für die Annahme von SUBCAT-Listen setzt erneut bei der nicht vorhandenen Ordnung in einem mengenwenigen SUBCAT-Attribut an und betrifft die Adjazenz von V und V" in einer kohärenten Konstruktion. Wie das folgende Beispiel zeigt, können zwischen V und V" keine Elemente intervenieren. (66)
4
^
44 45
a. weil ihn der Analytiker über sich aufzuklären versprach b. *weil ihn der Analytiker aufzuklären über sich versprach Ich gehe davon aus, daß zumindest die erste Annahme darauf zurückzufuhren ist, daß Hinrichs/Nakazawa (1990) das Modalverb dürfen als Beispiel gewählt haben und dieses Verb als Anhebungsverb ohne Subjekt beschreiben. Vgl. auch Primus (l989). Der Begriff des O-Commandos ist in Pollard/Sag (l 994:253) wie folgt definiert: (i) Local O-Command: Let and Z be synsem objects with distinct LOCAL values, referential. Then locally o-commands Z just in case is less oblique than Z. [A] synsem object is less oblique than a synsem object Z just in case it precedes on the SUBCAT list of some lexical head; a synsem object is called referential if it has an INDEX of sort ref (ii) O-Command: Let and be synsem objects with distinct LOCAL values, referential. Then o-commands Z just in case locally o-commands X dominating Z.
113
In der vorliegenden Analyse folgt der hier exemplifizierte Kontrast aus der Interaktion des Komplementationsschemas mit der Argumentanziehung. Bei einer Konkatenation der SUBCAT-Liste von V" mit der SUBCAT-Liste von V befinden sich die angezogenen Argumente auf der Liste immer vor V". Da das Komplementationsschema verlangt, daß die SUBCAT-Liste von rechts nach links abgearbeitet wird, besteht keine Möglichkeit, V" erst nach der Realisation eines angezogenen Arguments von V" anzubinden. Die Struktur in (66b) kann daher nie erzielt werden. Es darf allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß weder der Ansatz von Hinrichs/Nakazawa (1990) noch der vorliegende Ansatz die Intervention eines Adjunkts (etwa eines Adverbs) zwischen kohärent konstruierende V und V" zu blockieren vermag. Der hier erwähnte Vorteil der vorliegenden Analyse gilt somit nur für intervenierende Argumente. Eine Theorie, aus der die Unzulässigkeit von Adjunkt- und Argumentinterventionen bei kohärenter Konstruktion ohne zusätzliche Annahmen folgt, wäre dem hier kritisierten ebenso wie dem hier vorliegenden Ansatz überlegen. Zunächst kann allerdings festgehalten werden, daß die Ansätze von Hinrichs/Nakazawa (1990) und Pollard (1990) bereits für Komplementationsstrukturen zusätzliche Mechanismen vorsehen müssen, um Argumentintervention zu blockieren.^6 Betrachten wir zunächst, welche hierarchischen Strukturen hier abgeleitet werden können: Das Komplementationsschema muß bei mengenwertigen SUBCAT-Attributen so reformuliert werden, daß eine Phrase eine SUBCAT-Menge besitzt, die, vereinigt mit der einelementigen Menge des Attributs COMP-DTRS, dem Wert des Kopfes entspricht. Wenn wir darüber hinaus annehmen, daß das Saturationsprinzip so wie bislang formuliert werden kann, aber Listenkonkatenation jeweils durch Mengenvereinigung ersetzt wird, kann nicht nur (66b) abgeleitet werden, sondern auch die ebenfalls unzulässigen Strukturen in (66c) und (66d).47 (66)
c. *weil ihn aufzuklären der Analytiker über sich versprach d. *weil aufzuklären ihn der Analytiker über sich versprach
Hinrichs/Nakazawa (1990) haben allerdings nur Modalverben untersucht und hierbei vorausgesetzt, daß Modalverben kein SUBJ-Attribut besitzen. Wir werden das entstehende Problem daher im folgenden anhand eines Beispiels mit einem Modalverb als V vcrdeudichen. Wiederum gilt, daß neben der zulässigen Struktur (67a) auch die unzulässigen Strukturen in (67b) bis (67d) abgeleitet werden können. (67)
a. weil Claudia mit Ingo tanzen darf b. *weil Claudia tanzen mit Ingo darf c. *weil tanzen Claudia mit Ingo darf
Da wir mit binären Strukturen operieren, besteht die COMP-DTRS-Menge immer aus einem Element. Wir können dem Saturationsprinzip also die Form (68) geben, in der der SUBCATWert der Phrase das Komplement des Wertes für COMP-DTRS in bezug auf den Wert des Kopfes ist. 4" 47
Diese Mechanismen könnten etwa aus einer Theorie der Wortstellung entliehen werden. In diesem Fall würden die Strukturen (66b-d) zwar generiert, die unzulässigen Abfolgen jedoch durch Wortstellungsbeschränkungen weggefiltert werden. Siehe auch weiter unten. Pollard (1990) unterscheidet sich von Hinrichs/Nakazawa (1990) darin, daß letztere konturierte Strukturen also eine binäre Verzweigung - ansetzen, während Pollard mit völlig flachen Strukturen arbeitet. Unsere Kritik findet auf beide Ansätze Anwendung, da zur Ableitung völlig flacher Strukturen nur das Komplementationsschema angepaßt werden muß.
114
(68)
Saturationsprinzip: phrase =
SYN|LOC|CAT]SUBCAT | HEAD-DTR|SYN|LOC|CATJSUBCAT 2J DTRS COMP-DTRS
Relevant ist nun, daß der Wert der von V" angezogenen SUBCAT-Menge durch eine Variable repräsentiert wird und auch als solche interpretiert werden kann. Dies bedeutet, daß bei der Ableitung von (67b) (und entsprechend bei den anderen unzulässigen Beispielen) eine Struktur konstruiert werden kann, in der der Wen der weiteren (angezogenen) Komplemente des Modalverbs nicht determiniert wurde und somit offen bleibt. Verlangt wird allein, daß realisierte Komplemente des Modalverbs Elemente der SUBCAT-Menge des Modalverbkomplements sein müssen. Es kann nicht verlangt werden, daß dieses Komplement vor den anderen Argumenten abgebunden wird. Dies kann man anhand von (69) sehen. (69)
*weil Claudia tanzen mit Ingo darf [SUBCAT f VfSUBCAT [T] ]} U [T] - f|T]pP} - (VfSUBCAT Q]] l - IJTJNP}]
- )[T]PP} - {V[SUBCAT[T]] Claudia
[SUBCATJTJJ [T]NP|T]pp|] [SUBCATi vtsuBCATJT] ] i u [7] - {[T]pp|] ]pp mit Ingo
[SUBCAT V[SUBCAT(T] ]} u [T]] darf
Jeder Teilbaum erfüllt insofern das Saturationsprinzip, als der SUBCAT-Wert der Kopf-Tochter jeweils aus der Vereinigung des Wertes der Komplement-Tochter mit dem Wert der Phrase gebildet wird. Bis zur Verbindung mit dem verbalen Komplement tanzen steht der Wert für die Variable [1] nicht fest. Instantiiert man diesen Wert jedoch mit dem durch das Komplement tanzen zur Verfügung gestellten SUBCAT-Wert, so können die Gleichungen für die SUBCAT Werte wie folgt aufgelöst werden: (70)
a. [V darf] = SUBCAT {[3]NP, [2]PP, V[SUBCAT {[3]NP, [2]PP}]} b. [Vp mit Ingo darf] = SUBCAT {[3]NP, [2]PP, V[SUBCAT { [3]NP, [2]PP }]} {[2]PP| = SUBCAT {[3]NP, V[SUBCAT { [3]NP, [2]PP )]}
115
c. [vp tanzen mit Ingo darf] = SUBCAT I[3]NP, V[SUBCAT { [3]NP, [2]PP }]} {V[SUBCAT { [3]NP, [2]PP}]} = SUBCAT {[3]NP} Die Ableitung der anderen unzulässigen Beispiele folgt entsprechend. Man könnte diese Strukturen natürlich ignorieren und annehmen, daß die Adjazenz von V und V" durch eine Wortstellungsregel garantiert wird. Nicht-adjazente Strukturen entstehen zumindest bei Komplementation nicht, wenn man davon ausgeht, daß anstelle von SUBCAT-Mengen geordnete Listen verwendet werden.48
3.2.4
Bemerkungen zur Trennung der Valenz in SUBJ- und SUBCAT-Attribute
Die vorliegende Analyse baut auf der Annahme auf, daß die syntaktischen Argumente nicht-finiter Verben durch zwei Attribute erfaßt werden. Durch diese Überlegung, die erstmals in Borsley (1987) vorgestellt, dort aber auf infinite und finite Verben angewandt wurde, wird eine modulare Beschreibung von Orientierung und Kohärenz möglich.49 Daß diese Aufteilung über die reine Beschreibung der Daten hinausreichende Vorteile besitzt, konnte bereits in Abs. 3.1 anhand der Definition des Begriffs der saturierten Verbalprojektion gezeigt werden. Diese Definition erlaubte die Charakterisierung von Extrapositionsphänomenen ebenso wie die Behandlung von Subjazenzbeschränkungen. Das Ziel dieses Abschnittes ist es, zu verdeutlichen, daß die vorgelegte Analyse auch aus empirischen Gründen einer Analyse vorzuziehen ist, in der die Valenz der Lexeme durch ein einheitliches, sowohl das Subjekt, als auch die Komplemente einschließendes Merkmal repräsentiert wird. Diese Annahme liegt etwa der Theorie der nicht-finiten Komplementation in Pollard/Sag (1994) zugrunde. Nicht-finite Komplementation wird hier durch die Subkategorisierung von Projektionen repräsentiert, die eine offene Valenzstelle besitzen. Die SUBCAT-Liste des Komplements darf folglich nicht leer sein. Zum Vergleich ist in (71 a) die Struktur des Lexems versprechen gemäß unserer Analyse und in (71b) die Struktur gemäß der Analyse von Pollard/Sag (1994) angegeben.
Das hier angesprochene Problem ist für den Ansatz von Hinrichs/Nakazawa (1990) umso schwerwiegender, als sie versuchen, eine Analyse obligatorisch kohärent konstruierender Verben zu entwickeln. Im Ansatz von Hinrichs/Nakazawa (1994) wird dieses Problem eliminiert, da hier die Idee eines mengenwcrtigen SUBCAT-Attributs verworfen wird. Die Argumente, die Borsley zur Aufspaltung der Valenz bewogen haben, überschneiden sich partiell mit den hier diskutierten Argumenten, während andere Argumente theorieinternen Charakter besitzen. Wir werden Borslevs Argumentation daher an dieser Stelle nicht aufführen. Eine Diskussion der Argumente Borsleys findet sich in Pollard/Sag (1994, Kap. 9).
116
(71)
a. Aufspaltung von SUBJ und SUBCAT
HEAD
VFORM inf SUBJ ^ NP:|j_
CAT SUBCAT ( VJSUBJ( NP:|T]) ]:[T]) SYNSEMJLOCAL ARG1
CONTENTJNUCLEUS verspreche SIT-ARG|NUC[T]
b. Einheitliche Repräsentation der Valenz CAT
HEADfVFORM inf
SUBCAT {NP:[T| V|SUBCAT( NP{
SYNSEM] LOCAL ARG1 [T]
CONTEN1JNUCLEUS veisprccher SIT-ARG|NUC l 2!
Das in (71b) aufgeführte, erste Element der SUBCAT-Liste des verbalen Komplements von versprechen entspricht dem einzigen Element des SUBJ-Attributs des Komplements von versprechen in (71 a). Unsere Kritik richtet sich auf zwei Punkte: Zum einen sollte eine Theorie der infiniten Komplementation darüber Aufschluß geben, warum Subjekte nicht an Kohärenzphänomenen partizipieren. In der vorliegenden Theorie erfährt diese Tatsache eine einfache Erklärung, da Subjekte nicht auf der SUBCAT-Liste erscheinen und folglich auch nicht angezogen werden können. Das zweite Problem betrifft die Realisation des externen Arguments in nicht-regierten Kontexten. Im Ansatz von Pollard/Sag (1994) wird die Realisation von N" durch die Subkategorisierungsforderungen von V beschränkt: V verlangt die Blockade von N" - d.h. dem Subjekt von V" -, da es für ein V[SUBCAT ] subkategorisiert. Direkte Beschränkungen für nicht-regierte Kontexte, also etwa infinite Adjunkte, folgen hieraus nicht. Infolge dessen müssen zusätzliche Beschränkungen stipuliert werden, um die Blockade des Subjekts zu erklären.
3.2.4. l Das Subjekt bei der Argumentanziehung Kombiniert man die Annahmen von Pollard/Sag (1994) mit der Theorie der Argumentanziehung, so ergibt sich die Vorhersage, daß auch das Subjekt von V" bei der Attraktion in die SUBCAT-Liste von V übernommen wird. Es sollte klar sein, daß dies den hier vorgelegten theoretischen Annahmen deutlich widerspricht. Das Subjekt bei Kohärenz wird niemals angezogen und etabliert darüber hinaus eine unabhängige Beziehung zum Matrixsubjekt. Diese Beziehung haben wir mit dem Bech'schen Terminus der Orientierung belegt. Die Argumentanziehung kann folglich im Ansatz von Pollard/Sag (1994) nicht mehr durch einfache Konkatenation der SUBCATListen beschrieben werden. Diesem ersten Kritikpunkt könnte man durch eine Modifikation der Struktur kohärent konstruierender Verben begegnen. Man müßte nur annehmen, daß bei Kohärenz die SUBCAT-Liste
117
des eingebetteten Verbs nicht mehr als ganzes zur Verfugung steht. Die erforderliche Konkatenation spart somit das erste Element der SUBCAT-Liste aus; tatsächlich wird dann ausschließlich der Rest der SUBCAT-Liste von V" mit der SUBCAT-Liste von V verknüpft.50 Dies ergäbe das Bild in (72). Wir notieren hierbei eine Liste, die aus dem ersten Element F und dem Rest R besteht, durch . (72)
Modifizierte Repräsentation der Argumentanziehung: [SYN|LOC|CAT|SUBCAT [7] ® ( Q] | [ ])]
Gegen die in (72) skizzierte Analyse sprechen aber wenigstens drei Überlegungen. Zum einen ist ein Konkatenationsmechanismus, bei dem explizit ein bestimmtes Element ausgeschlossen wird, ein sehr spezieller Mechanismus, der sonst in der Grammatik nicht auftritt. Die Konkatenation vollständiger Listen Strukturen kann hingegen unabhängig begründet werden, so etwa in der in Abs. 3.1 vorgestellten lexikalischen Regel für Finitheit. Zum anderen ist leicht zu sehen, daß auf diese Weise nur die Unterscheidung zwischen SUBJ und SUBCAT simuliert wird: An die Stelle des SUBJ-Attributs tritt hier diejenige Teilliste des SUBCAT-Attributs von V", die das Subjekt enthält. Schließlich kann eine Interaktion von Orientierung und Argumentanziehung, die durch die Trennung in SUBJ und SUBCAT auch Niederschlag in der Repräsentation findet, in einer einheidichen Analyse nicht ohne weitere Modifikationen modelliert werden. Eine Behandlung von Impersonaleinbettungen ist in einem Modell, das nicht zwischen SUBJ und SUBCAT unterscheidet, nur dann möglich, wenn die Valenz infiniter Verben wie in (73) dargestellt wird. Hier wird die SUBCAT-Liste infiniter Verben durch die Konkatenation zweier Listen repräsentiert, wobei die erste Liste das Subjekt und die zweite - durch [2] dargestellt - die restlichen Argumente des jeweiligen Verbs enthält. Diese Repräsentation der Valenz spielt, wie erneut leicht zu erkennen ist, nur die Trennung zwischen SUBCAT und SUBJ nach. Die in Abs. 3.3 vorgestellte Analyse der Impersonalkonstruktionen baut daher auch ganz wesentlich auf der Unterscheidung von SUBJ und SUBCAT auf. (73)
[sYN|LOC|CAT|SUBCAT|T]e{|T])®[2]]
Darüber hinaus bietet sich diese Analyse auch nicht für prädikative Adjektive und Präpositionen an, bei denen - wie die Beispiele in (74) zeigen - die Annahme eines kontrollierten SUBJ-Attributs unabhängig begründet werden kann. Daß die Prädikativphrasen gemeinhin im Deutschen nicht ohne Kopula realisiert werden können, folgt direkt aus der Annahme, daß das Element, über das prädiziert wird, im SUBJ-Attribut der jeweiligen Prädikate repräsentiert wird.51 50
51
Der Begriff,Rest' beschreibt hierbei denjenigen Bestandteil einer Liste L, der dadurch definiert ist, daß er bis auf das erste Element alle Elemente von L enthält, wobei alle Elemente die relative Position bewahren, die sie in L eingenommen haben. Hier muß allerdings festgehalten werden, daß die Verwendung kopulaloser Prädikative häufig zu beobachten ist. Um dies zu erfassen, könnte man etwa annehmen, daß das Subjekt in kopulalosen Verwendungen bereits auf der SUBCAT-Liste erscheint. Hier müßte dann allerdings geklärt werden, unter welchen Umstanden der Valenztransfer vom SUBJ zum SUBCAT-Attribut erfolgt. Die Klärung würde dieser Fragestellung den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Darüber hinaus sollte nicht unerwähnt bleiben, daß viele Sprachen keine Kopula benötigen, um die Argumente von Prädikaten syntaktisch realisieren zu können. Bespiele hierfür sind etwa Somali (Saeed 1982) und Indonesisch (Fang 1989). Um dies zu erfassen, kann man etwa annehmen, daß in diesen Sprachen entweder prinzipiell oder nur bei Prädikatskonstruktionen kein SUBJ-Attribut vorliegt und das Prädikatsargument auf der SUBCAT-Liste der Prädikate erscheint.
118
(74)
a. Der Strohhut ist im Wohnzimmer, b. Der verwendete Ball ist rot.
Für die prädikative Präpositionalphrase im Wohnzimmer ergibt sich entsprechend die Analyse in (75). In (76) liegt der Lexikoneintrag der Kopula vor. Wir nehmen an, daß die Kopula gemäß den Annahmen in 3.1.2 als Anhebungsverb zu beschreiben ist, das ebenso wie scheinen das SUBJAttribut seines Komplementes übernimmt.52 (75)
im Wohnzimmer
HEADprcj|sUBj{NP:
CAT SYN|LOC
SUBCAT() ARG1
CONTJNUCLEUS in ARG2 DTRS|COMP-DTR
SYN|LOC
CAT|HEAD noun INDEX 2 CONT RESTR wohnzimmeJARGl [T|
(76)
Kopula: HEAD [SUBJ[7] CAT
SUBCAT (x[sUBj| l SYNSEM|LOCAL CONT|NUCLEUS (71
Fassen wir zusammen: Im Gegensatz zum hier vorliegenden Ansatz wird die Blockade des Subjekts bei infiniter Realisation des Verbs im Ansatz von Pollard/Sag (1994) auf die Subkategorisierungseigenschaften von V zurückgeführt. Verben, die infinite Komplemente besitzen, subkategorisieren eine Verbalprojektion, deren SUBCAT-Liste ein Element enthalten muß.53 Würde dieses letzte Element als Schwester der infiniten V"-Projektion realisiert, entspräche der Wert des SUBCAT-Attributs von V" der leeren Liste. Damit stünde dieser Wert in direktem Widerspruch zu den Subkategorisierungsforderungen von V. Eine solche Struktur ist ungrammatisch, da aufgrund der nicht übereinstimmenden Werte die Unifikation des relevanten syntaktischen Arguments mit der Komplement-Tochter von V nicht gewährleistet werden kann.5^ 52
53
54
In Abs. 3.3 wird gezeigt, daß aus dieser Tatsache auch abgeleitet werden kann, daß die Kopula unpersönliche Einbettungen - bei psychologischen Prädikaten (i) oder nach Passivierung des Komplements (ii) - zuläßt, (i) Ihm ist schlecht, (ii) Damit ist mir geholfen. Daß dieses Element das externe Argument ist, folgt aus dem Komplementationsschema. Dieses verlangt, daß das letzte Element der SUBCAT-Liste der Kopf-Tochter mit der Komplement-Tochter identisch ist. Das Subjekt ist jedoch im Normalfall das erste Element in dieser Liste und kann also erst abgebunden werden, nachdem die anderen Element abgebunden wurden. Dies folgt insbesondere aus der in Kap. 2 vorgelegten Definition der Unifikation von Listen, da zwei Listen, die nicht die gleiche Länge besitzen, niemals unifiziert werden können.
119
3.2.4.2 Das Subjekt infiniter Adjunkte Daß das Subjekt eines Infinitivs nicht realisiert wird, folgt - wie im letzten Abschnitt diskutiert wurde - also nicht aus seiner Repräsentation, sondern mittelbar aus den Subkategorisierungsforderungen des Regenten. Diese Analyse kann auch auf kategorialgrammatische Ansätze übertragen werden, in denen Kontrollverben als S/NP/(S/NP) beschrieben werden (vgl. Jacobs 1989, Jacobson 1990). Diese Annahme scheint allerdings vorauszusetzen, daß ein nicht-realisiertes Subjekt nur infolge einer Rektionsforderung, d.h. nur in Komplementationsstrukturen auftreten kann. Denn nur bei Komplementation wird die Blockade des externen Arguments qua Subkategorisierung erzwungen. Somit ergibt sich aus der Analyse von Pollard/Sag (1994) die Vorhersage, daß das Subjekt in adverbiell verwendeten Infinitiven, also etwa in Finalsätzen, realisiert werden könnte. (77)
a. *Ich bin gekommen, um ich sie zu überfuhren. b. *Die Polizisten sind schon unterwegs, um sie den Mörder zu verhaften.
Daß auch in Finalsätzen die Realisation des externen Arguments unzulässig ist, könnte in den Beispielen in (77) auf das Vorhandensein der Konjunktion um zurückgeführt werden. Hierzu müßte man annehmen, daß diese Konjunktion durch (78) repräsentiert wird, also explizit nach einer nicht-saturierten Verbalprojektion als Komplement verlangt wird. Wir beschreiben die Konjunktion um in (78) als Relation zwischen zwei Umständen, wobei der modifizierte Umstand hier eine Rolle trägt, die mit Aktion beschrieben werden könnte, während der subkategorisierte Umstand durch die Rolle Ziel beschrieben werden könnte.55 Da der gesamte Finalsatz ein Modifikator ist, wird seine semantische Kontribution an die Projektion weitergegeben.
(78)
um
CAT
SUBCAT (V[SUBCAT(NP)]{T HEAD|MOD V[SUBCAT()]jT]
SYNSEV1 LOCAL
SIT-ARG1|NUC |2 CONT1NUCLEUS final SIT-ARG2|NUC
Nun kann man beobachten, daß in vielen Dialekten des Deutschen auf die Konjunktion um verzichtet werden kann. (79)
a. Ich bin gekommen, sie zu überfuhren. b. Sie sind unterwegs, den Mörder zu verhaften.
Ganz entsprechend gilt dies auch für englische Finalsätze. Hier ist die Verwendung der komplexen Konjunktion in order freigestellt, wie (80) zeigt. (80)
55
The ship was sunk (in order) to collect the insurance.
Subordinativc Konjunktionen teilen mit transitiven Präpositionen die Besonderheit, daß eine ihrer Rollen durch syntaktische Subkategorisierung, die andere hingegen durch Modifikation determiniert werden.
120
Um die Unzulässigkeit der Beispiele in (81) und (82) abzuleiten, wäre nichts naheliegender, als anzunehmen, daß hier jeweils eine leere Konjunktion vorliegt, die dem Eintrag von um in (78) entspricht, aber phonetisch nicht realisiert wird.56 (81)
a. *Ich bin gekommen, ich sie zu überfuhren. b. *Sie sind unterwegs, sie den Mörder zu verhaften.
(82)
*The ship was sunk the owner to collect the insurance.
Diese Lösung ist jedoch - zumindest unter Berücksichtigung einer sprachen übergreifenden Erklärung des vorliegenden Phänomens - nicht tragfähig, da ähnliche Kontraste im Englischen auch bei prädikativen Adjunkten auftreten, wie (83) zeigt. Hier eine leere Konjunktion zu postulieren, ist eine reine Stipulation, denn - wie (83c) zeigt - gibt es keine overte Konjunktion, 57 die in diesen Konstruktionen verwendet werden könnte. Darüber hinaus ergibt sich bei der Annahme, daß es sich bei der Prädikativphrase in (83) um einen Modifikator handelt, ein weiteres Problem, denn das Modifikationsschema verlangt, daß ein Modifikator erst seine Argumente abgebunden hat, bevor er modifizieren kann. Würde man also die Prädikativphrase als V[SUBCAT ] beschreiben, könnte überhaupt keine Verbindung gemäß dem Modifikationsschema erfolgen. (83)
a. Peter left the bar drunk as usual. b. *Peter left the bar he drunk as usual. c. *Peter left the bar FOOBAR drunk as usual.
Als Alternative bleibt hierzu nur, anzunehmen, daß es sich bei den adverbiellen Ergänzungen in (80) bis (83) nicht um Adverbien im engeren Sinne, sondern vielmehr um optionale Argumente handelt.58 Somit könnte dann die Blockade des Subjekts durch eine Subkategorisierungsbeschränkung eingefordert werden. Ich halte diese Annahmen allerdings für höchst fragwürdig. Vergleicht man insbesondere die freien Adverbiale in (83) mit anderen optionalen Argumenten, so kann man feststellen, daß zwischen der Prädikativkonstruktion und dem Verb keine thematisch-implikative Beziehung besteht. Man vergleiche hierzu (83) mit Beispielen von optionalen Goal- oder Instrumental-Argumenten. (84)
a. b. c. d.
Ich schreibe diesen Brief. Ich schreibe dir diesen Brief. Ich ersteche dich. Ich ersteche dich mit einem Messer.
Die Unzulässigkeit der Beispiele in (81) kann keineswegs auf eine Verletzung von Kontrollbeschränkungen zurUckgefuhrt werden, da hier ja jeweils Pronomina in Subjektsposition auftreten, die prinzipiell kontrolliert werden könnten. Man vergleiche die Daten in (81) insbesondere mit Sprachen, in denen Kontrolle in finite Sätze möglich ist. Vgl. hierzu Farkas (1988), Zec (1987). Wir verwenden hier erneut FOOBAR zur Kennzeichnung einer inexistenten, aber notwendigen Form. Ein mögliches Argument für die Behandlung der Ergänzungen als optionale Argumente betrifft die Urizulässigkeit unpersönlicher wm-zu-Ergänzungen. Wir werden im Abs. 3.3 zeigen, daß die Unzulässigkeit von unpersönlichen Komplementen auf Subkategorisierungseigenschaften zurückgeführt werden können. Ich gehe dennoch davon aus, daß es sich bei «» - -Ergänzungen um Modifikatoren handelt, die somit keinen Argumentstatus besitzen. Zukünftige Arbeiten werden zeigen müssen, ob diese Annahme berechtigt ist.
121
In beiden Fällen kann ein Bedeutungspostulat zwischen den reduzierten a.- und c-Beispielen und den expandierten b.- bzw. d-Beispielen formuliert werden, etwa daß das Erstechen eines Individuums immer mittels eines Instruments erfolgt oder daß ein Schreiben immer an einen Adressaten gerichtet ist. Während bei den Beispielen in (79) immer noch eine analoge Implikation formuliert werden kann, läßt sich die Beziehung zwischen der Prädikativphrase drunk as usual und dem Verb in (83) wohl kaum auf diese Weise beschreiben. Ein weiteres Argument gegen die Behandlung dieser Konstruktionen als optionale Argumente betrifft: das Nichtvorhandensein von Kohärenzphänomenen. Wenn es sich bei den adverbiellen Ergänzungen in (79) um optionale Argumente handelt, so bestünde zumindest theoretisch die Möglichkeit, daß sich diese Ergänzungen wie .normale' Komplemente intransitiver Kontrollverben verhalten und somit an Kohärenzphänomenen partizipieren. Dies ist jedoch, wie (85) zeigt, nicht der Fall. (85)
a. *weil sie die Polizei zu überführen unterwegs ist b. *weil sie der Kommissar zu verhaften gekommen ist.
Man wäre also nicht nur gezwungen, anzunehmen, daß es sich bei den besagten Finalkonstruktionen um optionale Argumente handelt, sondern müßte auch stipulieren, daß die Regenten dieser Strukturen obligatorisch inkohärent konstruieren. Dieses Problem entsteht nicht, wenn man annimmt, daß es sich hierbei um freie Ergänzungen handelt. Es ist jedoch irrelevant, welche der beiden Alternativen man wählt. Beide sind der hier verteidigten Hypothese unterlegen. Setzt man voraus, daß das Subjekt eines Infinitivs durch ein spezielles Attribut repräsentiert wird, so kann die Zulässigkeit der Daten in (80) und (83a) ebenso leicht erklärt werden, wie die Unzulässigkeit der Beispiele (81) und (82b). Erstere sind zulässig, da gemäß dem Modifikationsschema von einem Modifikator grundsätzlich nur verlangt wird, daß er eine leere SUBCAT-Liste besitzt, bevor er eine Phrase modifiziert. Das Subjekt hingegen wird durch das Modifikationsschema nicht berührt.59 Daß die Beispiele (82) und (83b) unzulässig sind, folgt wiederum ohne weitere Stipulation aus der Annahme, daß das Subjekt eines Infinitivs nicht auf der SUBCAT-Liste dieses Verbs erscheint. Da es dort nicht erscheint, kann es auch nicht realisiert werden. Es gibt kein grammatisches Prinzip, daß das Vorhandensein der Subjekte in den adverbiellen Ergänzungen legitimiert. Daß hier keine Kohärenzphänomene vorzufinden sind, kann nicht überraschen, da Kohärenz auf Komplementationsstrukturen eingeschränkt ist.
Problematisch ist für diese Analyse nur, daß die Finalrektion durch das Adjunkt eingeführt werden muß. Würde man hier eine leere Konjunktion annehmen, ließe sich die Semantik des Finalsatzes ebenso wie das erforderliche MOD-Attribut auf diesem leeren Element instantiieren. Wir müssen also unsererseits konzedieren, daß eine lexikalische Regel existiert, die beliebige infinite Verben in Modifikatoren umwandelt. Gemäß dem Modifikationsschema wird dann garantiert, daß diese Verben ihre Argumente abbinden und sich erst dann mit einer anderen Verbalprojektion verbinden. Eine ähnliche Hypothese findet sich auch in Pollard/Sag (1994:398). Hier wird angenommen, daß Kategorien, die Modifikatoren sein können, disjunktiv repräsentiert werden.
122
3.3
Zur Syntax der Impersonaleinbettungen
Im ersten Kapitel dieser Arbeit haben wir drei Kriterien für die Unterscheidung von Kontrollund Anhebungsverben vorgestellt. In Abschnitt 3.1 dieses Kapitels haben wir bereits gezeigt, daß das erste dieser Kriterien aus unseren Annahmen zur Orientierung folgt: Da Anhebungsverben verlangen, daß ihr SUBJ-Attribut mit dem SUBJ-Attribut ihres Komplements übereinstimmt, jedoch die Struktur des SUBJ-Elements nicht beschränken, selegieren Anhebungsverben auch unthematische Subjekte. Kontrollverben hingegen stipulieren eine Identität zwischen dem Parameter ihres SUBJ-Elements und dem Parameter des SUBJ-Elements von V". Ein Expletivum besitzt keinen solchen Parameter und folglich kann ein Kontrollverb weder ein expletives Subjekt besitzen, das ein thematisches Subjekt von V" kontrolliert, noch ein thematisches Subjekt, das ein expletives Prädikat kontrolliert. Die Unzulässigkeit der Beispiele in (86) wird somit von der hier vorgestellten Theorie ohne zusätzliche Stipulationen vorhergesagt. (86)
a. *Es versucht zu kommen.60 b. *Peter versucht zu regnen.
In diesen Abschnitt wollen wir zeigen, wie aus dem vorliegenden Ansatz die verbleibenden Kriterien für Subjektfähigkeit, d.h. Impersonaleinbettungen und Paraphrasebeziehungen bei eingebetteter Passivierung, abgeleitet werden können. Hierbei konzentrieren wir uns zunächst auf Impersonaleinbettungen. Die Ableitung der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit von Impersonaleinbettungen setzt eine Analyse von einfachen Impersonalkonstruktionen voraus. Impersonalkonstruktionen finden sich bei den im 1. Kapitel bereits diskutierten nicht-alternierenden psychologischen Prädikaten, die aber im Deutschen heute insgesamt ein eher marginales Phänomen darstellen. Regelhaft und produktiv entstehen Impersonaleinbettungen in Passivkonstruktionen, wenn das direkte Objekt des passivierten Prädikats einen lexikalischen Kasus (Dativ oder Genitiv) besitzt, der bei Passivierung nicht unterdrückt werden kann.61 Eine adäquate Analyse der Passivierung ist jedoch nicht nur eine Voraussetzung für die Herleitung des zweiten, sondern auch für die Erklärung des dritten Unterscheidungskriteriums. Dieses Kriterium besagt, daß eine Passivierung von V" zu einer Bedeutungsveränderung eines Satzes führt, wenn V ein Kontrollverb ist, die Bedeutung des Satzes jedoch konstant bleibt, wenn V ein Anhebungsverb ist. Im letzten Fall ist der Passivsatz eine Paraphrase des Aktivsatzes, im ersten Fall nicht. Wir werden daher zunächst eine Analyse der Passivierung im Deutschen vorlegen. Diese Analyse baut auf neueren Ansätzen innerhalb der LFG (insbesondere Bresnan/Kanerva (1989) und Bresnan/Moshi (1990)) auf und erlaubt neben einer Beschreibung der deutschen Fakten auch Vorhersagen darüber, ob Impersonalkonstruktionen das Resultat von Passivierungen in einer gegebenen Sprache sein können.
6
"
Dieses Beispiel ist natürlich zulässig, wenn das Pronomen es nicht als Expletivum, sondern als deiküsches Personalpronomen verwendet wird. Darüber hinaus entstehen Impersonalkonstruktionen natürlich auch dann, wenn V" entweder vor der Passivierung intransitiv war oder keine nominalen Argumente besitzt.
123
3.3.1
Passivierung und Kasuszuweisung
Die Passivierung zeichnet sich im Deutschen - etwa im Vergleich zum Englischen - durch zwei Besonderheiten aus: Zum einen können auch intransitive Verben passiviert werden (87a, b), zum anderen wird zwar bei der Passivierung prinzipiell das aktive Subjekt unterdrückt, jedoch nicht notwendigerweise das Objekt zum Subjekt angehoben (87c, d). Letzteres ist genau dann der Fall, wenn der Kasus des Objekts vom Akkusativ abweicht und wird gemeinhin dadurch erklärt, daß der Akkusativ ein struktureller, Genitiv und Dativ hingegen sog. lexikalische Kasus sind, die durch Passivierung nicht unterdrückt werden können. Das Resultat dieser .Ausnahmen' sind jeweils unpersönliche finite Konstruktionen, die sich den .normalen' Passivstrukturen gegenüber durch das Fehlen eines Subjekts auszeichnen (87b, d). (87)
a. b. c. d. e. f.
Die Wissenschaftler schlafen/arbeiten hier. Hier wird geschlafen/gearbeitet. Der Wissenschaftsrat hilft den Wissenschaftlern, wo immer es geht. Den Wissenschaftlern wird geholfen, wo immer es geht. Der Wissenschafts rat unterstützt die Wissenschaftler. Die Wissenschaftler werden unterstützt.
Ich gehe im folgenden davon aus, daß ein lexikalischer Kasus ein Kasus ist, der bei Diathesen invariant ist und nicht aufgrund struktureller Gegebenheiten vorhergesagt werden kann. Die Realisation eines lexikalischen Kasus hängt somit einzig und allein von der lexikalischen Füllung des jeweiligen Regenten ab. In dieser Hinsicht folge ich also den Standardannahmen zu diesem Thema innerhalb der Rektions- und Bindungstheorie (Haider 1986) sowie neueren Hypothesen in der HPSG (Heinz/Matiasek 1994). Wir werden diesen - hier rein terminologischen - Unterschied allerdings in den folgenden Abschnitten operationalisieren. Wollte man die Passivierung - hierin dem Ansatz der LFG (Bresnan 1982) folgend - durch eine lexikalische Regel beschreiben, wäre man gezwungen, eine disjunktive Formulierung anzusetzen, die den in (87) aufgeführten Daten durch einzelne Klauseln Rechnung trägt. Wenn wir uns hierbei an der in Bresnan (1982a) angeführten universellen Behandlung der Passivierung orientieren (88), dergemäß Subjekte blockiert (bzw. in oblique Objekte umgewandelt) und nicht-restringierte Objekte zu Subjekten angehoben werden, ergäbe sich die Formulierung in (89).62 (88)
62
Universelle lexikalische Regel für Passiv (Bresnan 1982a): SUBJ -* 0/OBL OBJ - SUBJ
Eine ähnliche Regel findet sich in Kiss (1992); ein alternativer Vorschlag, innerhalb der HPSG liegt mit Kathot (1991a, 1992) vor.
124
(89)
Passiv als lexikalische Regel in HPSG: a. Personalpassiv:63 HEAD|SUBj[T|
HEAD|SUBJ ((TJCASE nom])
SUBCAT/flJcASEakk]! [T]
SUBCATlT]
b. Impersonalpassiv: HEAD|SUBj{ SUBCAT 4 K 2l CASE gen v datj | 3l
SUBCATlTI
Gemäß dieser Regel wird beim Personalpassiv ein Akkusativobjekt zum Subjekt angehoben, während das eigentliche Subjekt syntaktisch eliminiert wird (auf eine Darstellung der Realisation des Subjekts als oblique grammatische Funktion habe ich verzichtet). Beim Impersonalpassiv liegt kein Akkusativobjekt vor und folglich wird nur das Subjekt eliminiert.64 Die Verwendung einer solchen lexikalischen Regel ist allerdings aus verschiedenen Gründen problematisch. Insbesondere wird in der notwendigen disjunktiven Formulierung nicht mehr deutlich, daß auch im Deutschen zumindest ein einheitlicher Prozeß bei der Passivierung vorliegt: Das Subjekt wird grundsätzlich unterdrückt.65 Darüber hinaus muß gefragt werden, warum in einer Sprache (z.B. dem Deutschen) eine hochgradig disjunktive Formulierung eines Prozesses benötigt wird, der in einer anderen Sprache (z.B. dem Englischen) aufgrund einer einzelnen Beschränkung ausgedrückt werden kann. Dies heißt nicht, daß solche Unterschiede nicht existieren könnten, es sollte dann jedoch klar werden, wie die Beschränkungen in den einzelnen Sprachen zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Eine solche - über die Beschreibung der Fakten hinausgehende - Erklärung liegt mit (89) sicherlich nicht vor. Die im folgenden entwickelte alternative Theorie erlaubt die Formulierung der einheitlichen Unterdrückung des Subjektes ebenso wie eine Interpretation der jeweils unterschiedlichen Realisation der Passivierung in den germanischen Sprachen. Diese Vorteile werden jedoch durch den Nachteil erkauft, daß explizite Regelabfolgen in die HPSG integriert werden müssen und lexikalische Regeln nicht mehr als Abbildungen von Lexikoneinträgen in Lexikoneinträge interpretiert werden können. Die Analyse orientiert sich an einem neuen, innerhalb der LFG entwickelten Ansatz zur Beziehung zwischen Subkategorisierung und thematischer Struktur, der sog. Lexical Mapping Theory (Levin 1988; Bresnan/Kanerva 1989; Bresnan/Moshi 1990; Frank 1991), modifiziert diese aber in verschiedenen Hinsichten. Insbesondere gehen wir davon aus, daß bestimmte Reali63
64 65
Die Regel in (89) enthält eine unzulässige Spezifikation, da das Element [2] zwei verschiedene Kasuswerte besitzt. Die Regel ist so zu interpretieren, daß das Subjekt der passiven Verbform in allen relevanten Teilen - bis auf die Kasusspezifikation — mit dem ersten Element der SUBGAT-Liste der aktiven Verbform übereinstimmt. Diese Regel ist als schematische Skizze gedacht. In ihrer Formulierung besteht u.a. die Möglichkeit, daß eine Anwendung des b.-Falles auf eine Anwendung des a.-Fall es folgt. Dies gilt auch für das bereits angesprochene Rezipientenpassiv, das durch (i) und (ii) exemplifiziert wird, (i) Ulrich schenkte mir vier Jahrgänge Language, (ii) Ich bekam vier Jahrgänge Language geschenkt. Die exakte Analyse dieser Konstruktion ist ebenso wie ihr Status umstritten. Vgl. die Diskussion in Reis (1985).
125
sationsmöglichkeiten aufgrund von Kasusmechanismen entstehen. Diese Hypothese führt zu einer Modifikation der Repräsentation nominaler Argumente in SUBCAT-Listen, durch die die Unterscheidung zwischen lexikalischen und strukturellen Kasus reflektiert wird. Die problematischen Aspekte der Behandlung der Passivierung durch geordnete lexikalische Regeln werden wir in Abs. 3-3.1.3 diskutieren.
3.3.1. l Passivierung in der Lexical Mapping Theory Die Lexical Mapping Theory (LMT) wurde innerhalb der LFG entwickelt, um regelhafte Beziehungen zwischen der Argumentstruktur eines Prädikats und den durch dieses Prädikat regierten grammatischen Funktionen durch ein eigenes Modul zu erfassen. Anwendungen dieser Theorie finden sich u.a. in der vergleichenden Syntax afrikanischer Sprachen (Bresnan/Kanerva 1989; Bresnan/Moshi 1990) sowie bei der Analyse der sog. Tiefenunakkusativität in germanischen Sprachen (Bresnan/Zaenen 1991). Grammatische Funktionen wie Subjekt oder Objekt können gemäß dieser Theorie dekomponiert werden, wobei jede grammatische Funktion durch zwei binäre Merkmale beschrieben wird. Diese Merkmale legen fest, welche Argumente aufweiche grammatischen Funktionen bezogen werden können und erlauben die Formulierung allgemeiner Regeln der Argumentrealisadon. So gibt das Merkmal [±r] an, ob das betreffende Argument auf eine thematisch restringierte grammatische Funktion bezogen werden muß ([-»-r]) oder nicht ([-r]). Nicht-restringierte grammatische Funktionen sind die Funktionen SUBJ und OBJ, unter restringierten grammatischen Funktionen versteht man zum einen oblique Argumente (OBLg) und zum anderen thematisch restringierte Objekte (die allerdings in den germanischen Sprachen nicht auftreten). Das zweite Merkmal [±o] gibt an, ob das betreffende Argument auf eine Objekt-Funktion bezogen werden kann. Objekt-Funktionen ([+o]) sind restringierte und nicht-restringierte OBJs, Subjekte und oblique Argumente tragen hingegen das Merkmal [-o]. Aus dem Kreuzprodukt dieser Merkmalsmengen ergeben sich vier grundlegende grammatische Funktionen, die in einer Hierarchie repräsentiert werden. Negative Merkmalswerte werden hier als weniger markiert, positive Merkmalswerte als stärker markiert analysiert. Folglich ergibt sich eine Hierarchie, in der das Subjekt die am wenigsten markierte grammatische Funktion ist. Nicht-restringierte bzw. oblique sowie restringierte Objekte folgen auf der Markiertheitshierarchie. Auf diesen Merkmalen bzw. der Hierarchie der Merkmale setzen verschiedene Beziehungsregeln (Mappings) auf. Verdeutlichen wir dies an einem Beispiel. Das Verb küssen besitzt eine Argumentstruktur, in der zwei Argumente (Agens und Patiens) aufgeführt sind. Aufgrund der Standard-Regeln in (90) wird zunächst dem Patiens das Merkmal [-r] und dem Agens das Merkmal [-o] zugewiesen. Bresnan/Zaenen (1991) setzen hierbei eine Hierarchie der thematischen Relationen an, die in (91) beschrieben wird. Unter Berücksichtigung dieser Hierarchie ergibt sich die Zuordnung von Argumenten und Merkmalen in (92). (90)
Standard-Regeln für die Zuweisung von [±o]/[±r]-Merkmalen (Bresnan/Zaenen 1991): a. Patiens-Rollen tragen das Merkmal [-r]. b. Agens-Rollen tragen das Merkmal [-o].
(91)
Agens < Benefiziens < Experiencer/Goal < Instrument < Patiens/Thema < Lokativ
126
(92) küssen( agens,
[-o]
patiens )
[-r]
Die Repräsentation der Argumentstruktur in (92) wird aufgrund der Regeln in (93) auf die grammatischen Funktionen dieses Prädikats bezogen. (93)
Beziehungsregeln: a. Das in der thematischen Hierarchie (91) am weitesten links stehende Element mit dem Merkmal [-0] wird auf die Funktion SUBJ bezogen. b. Steht kein [-o]-markiertes Merkmal zur Verfugung, wird das [-r]-markierte Element auf die Funktion SUBJ bezogen.66 c. Alle anderen Rollen werden auf die am stärksten markierte kompatible grammatische Funktion bezogen.
Betrachten wir nun die Auswirkungen dieser Regeln auf die Argumentstruktur in (92). Da der Agens das Merkmal [-o] trägt, wird diese Rolle gemäß (93a) auf die Subjekt-Funktion bezogen. Darüber hinaus wird dem Patiens die Funktion OBJ zugewiesen, da dies diejenige mit [-r] verträgliche grammatische Funktion ist, die am stärksten markiert ist. Es ergibt sich also die Struktur in (94). (94)
Resultat der Anwendung von (93) auf (92): küssen( agens,
patiens )
W
t-r]
SUBJ
OBJ
Basierend auf den Beschränkungen in (93) ergibt sich in der LFG eine alternative Analyse der Passivierung. An die Stelle einer lexikalischen Regel tritt eine Beziehungsregel. Diese Regel ist in (95) angegeben; die Spezifikation ' steht hierbei für die in der thematischen Hierarchie am weitesten links stehende Rolle. (95)
Passivierung als Beziehungsregel:
' 0
Diese Regel legt fest, daß die höchste thematische Rolle eines Prädikats bei Passivierung unterdrückt wird, und somit bei der Zuweisung von Rollen und Funktionen nicht mehr zur Verfü66
Bresnan/Zaenen (1991) und Bresnan/Moshi (1990) führen eine zusätzliche Beschränkung ein, dergemäß in asymmetrischen Objektsprachen (dazu zählen alle germanischen Sprachen) in einer Argumentstruktur nicht zwei Elemente das Merkmal [-r] tragen dürfen. Infolge dessen ist es berechtigt, in der Regel (93b) von einem eindeutig bestimmten [-r]-Element zu sprechen.
127
gung steht. Wird diese Beschränkung auf die Argumentstruktur des Verbs küssen angewandt, ergibt sich die Repräsentation in (96). Diese Repräsentation unterscheidet sich von (94) darin, daß die SUBJ-Funktion nicht mehr auf die höchste Rolle - das externe Argument - sondern gemäß (93b) auf die [-r]-Rolle bezogen wird. (96)
Interaktion von (93) und (95): küssen( agens, 0
patiens )
[-r] 1
SUBJ
Wenn die Regeln in (93) nicht als zueinander geordnet interpretiert werden, ergibt sich eine unzulässige Repräsentation, in der der Patiens gemäß (93c) auf OBJ bezogen wird und kein Subjekt mehr zur Verfügung steht.67 Bresnan/Kanerva (1989) führen daher die Wohlgeformtheitsbeschränkung (97) ein, dergemäß ein Argument als Subjekt realisiert werden muß. Eine alternative Realisation eine passivierten Prädikats ohne Beziehung zur Funktion SUBJ ist dann ausgeschlossen. Hier setzen wir mit einer einheitlichen Behandlung der Passivierung im Deutschen an. (97)
Subject Condition: Every lexical form must have a subject. (Bresnan/Kanerva 1989:28)
3.3.1.2 Passivierung in HPSG Berücksichtigt man die in (87) aufgerührten Daten, wird sofort deutlich, daß die Subject Condition in ihrer Formulierung nicht korrekt sein kann, da sie vorhersagen würde, daß (87b) und (87d) ungrammatisch sind. Hieraus kann man ableiten, daß diese Bedingung sprachspezifisch formuliert werden muß.68 Nichts spricht hingegen gegen die Übernahme der Beschreibung (95). Ich gehe daher - diesem Ansatz in seiner Grundidee folgend - davon aus, daß Passivierung in der HPSG als Elimination des SUBJ-Attributs zu interpretieren ist. Anstelle der disjunktiven lexikalischen Regel in (89) tritt die einheitliche Formulierung (98):
68
Allgemein gilt, daß eine Rolle nicht auf mehr als eine Funktion und eine Funkdon nicht auf mehr ah eine Rolle bezogen werden darf. Dies ist der Gegenstand der weiterhin gültigen Beschränkung der Function-Argument Biuniqutntss. Vgl. hierzu Bresnan (1982c). Dieser Aspekt wird auch von Bresnan/Kanerva (1989) explizit deutlich gemacht.
128
(98)
Lexikalische Regel for Passivierung:
SYN|LOC
CATIHEAD verhfsUBJ ( XPJTI )] ^ \ T—l/J CONT|NUCLEUS|EXT-ARG | CAT|HEAD verb
SUBj{) VFORMpass
SYNJLOC CONT|NUCLEUS|EXT-ARG [T]
Gemäß (98) wird nur das SUBJ-Element blockien, da es aus dem SUBJ-Attribut entfernt wird. Das Attribut EXT-ARG steht hier for das jeweils erste Argument einer Relation. Durch diese Formulierung der lexikalischen Regel für Passivierung wird sofort deutlich, daß expletive Prädikate und Anhebungsverben nicht passiviert werden können, da diese Verben kein thematisches Subjekt besitzen, dessen Rolle unter EXT-ARG subsumiert werden könnte.69 Daß die thematische Struktur für die Passivierung relevant ist, wird auch bei der Diskussion der Fernpassivierung im Abschnitt 3.3.1.4 deutlich werden, da so abgeleitet werden kann, warum passivierte, optional kohärent konstruierende Verben nahezu immer inkohärent konstruieren. Die anderen Eigenschaften der Passivierung, insbesondere die Kasusalternation bei AkkusativObjekten sowie die Unzulässigkeit der Unterdrückung von lexikalischen Kasus folgen aus dieser Regel nicht. Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, werden wir eine modifizierte Fassung der Subject Condition in diesen Ansatz integrieren. Zugleich werden wir auch eine Annahme revidieren, die wir bislang zumindest implizit aufrecht erhalten haben, nämlich, daß die Kasus der nominalen Argumente — also der nominalen Elemente auf der SUBCAT-Liste - lexemspezifisch festgelegt werden. Zumindest in bezug auf den strukturellen Objektskasus, den Akkusativ, ist eine lexemspczifische Zuweisung kontraintuitiv. Wünschenswert wäre vielmehr eine Behandlung dieses Kasus in Anlehnung an die regelgesteuerte Zuweisung des Nominativs. Der Nominativ wird nicht lexemspezifisch zugewiesen, sondern durch die Applikation der Funktion nom in der lexikalischen Regel für Finitheit festgelegt. In einer bestimmten Hinsicht kann diese Behandlung des Nominativs als Übernahme der in der Rektions- und Bindungstheorie gültigen Hypothese gewertet werden, daß der Nominativ durch Finitheitsmerkmale regiert wird. Eine solche Annahme kann allerdings - selbst im metaphorischen Sinn - nicht auf den Akkusativ übertragen werden.70 Wir werden im folgenden vielmehr davon ausgehen, daß ein bestimmter Kasuswert for alle HEAD-Attribute der Sorte noun notwendig vorgeschrieben ist. Eine NP erhält so einen bestimmten Kasus, weil sie mit einem Argument auf der SUBCAT-Liste eines Regenten unifiziert wird, 69
70
Interpretiert man EXT-ARG nicht als einfache Variable, sondern als Bezeichnung einer Menge zulässiger externer Argumente (also derjenigen Argumente, die als erstes Merkmal einer Relation auftreten dürfen), so folgt aus dieser Beschreibung auch, daß sog. ergative Prädikate, deren Subjekt nicht mit dem externen Argument koindiziert ist, nicht passivtert werden können. Entsprechendes gilt auch für Strukturen, die bereits andere grammatische Prozesse durchlaufen haben, so etwa Dekausativierung (Die Vase ist zerbrochen. -* *Es ist zerbrochen worden.), sowie insbesondere Passivierung und erklärt so die Unzulässigkeit von Doppelpassivierungen, da das Subjekt eines bereits passivierten Prädikats nicht mehr mit dem externen Argument koindiziert sein kann. Alternativ könnte man auch annehmen, daß EXT-ARG anstelle des Merkmals ARG l als erstes Argument in der Relation aller nicht-ergariven subjektfähigen Verben eingeführt wird. Gerade dies wird in neueren Ansätzen in der Rektions- und Bindungstheorie versucht. Vgl. etwa Chomsky (1993).
129
der diesen Kasus beim nominalen Komplement verlangt. Für die lexikalischen Kasus bedeutet dies, daß sie auf der SUBCAT-Liste spezifischer Lexeme stipuliert und so auch zugewiesen werden. Andererseits besteht die Möglichkeit, daß ein Regent keinen Kasuswert am Komplement verlangt, der Kasus hier also konfigurationell determiniert wird. In diesem Fall besteht nicht die Notwendigkeit, den Kasus lexemspezifisch zu stipulieren, aber dennoch muß ein bestimmter Kasuswert gefunden werden, damit die o.g. Bedingung erfüllt werden kann. Aus Gründen, die sofort ersichtlich werden, bezeichnen wir diesen strukturell determinierten Kasus nicht mit dem Wen Akkusativ, sondern mit dem Wert strukturell. Eine Zuweisungsregel ist in (99) gegeben. Ihre Wirkung wird anhand der SUBCAT-Listen für die Verben helfen und unterstützen verdeutlicht:^ (99)
Strukturelle Kasuszuweisung: Der Wert des Attributs CASE einer NP auf der SUBCAT-Liste eines Regenten ist strukturell), wenn kein anderer Wert lexikalisch spezifiziert wird.
(100) a.
helfen
CAT
HEAD[SUBJ(NP
SYNSEMI LOCAL ARG1 (T|
CONT|NUC helfe ARG2 |T|
b. unterstützen
CAT
HEAD[SUBJ(NP|T|}] SUBCAT(Nl{str]:[2])
SYNSEM)LOCAL CONTJNUC unterstützet
ARG1 lL_j l
ARG2 fT
Der Wen strukturell subsumiert verschiedene Kasuswerte, die kontextuell ausbuchstabiert werden. Die Ausbuchstabierung der einzelnen Kasus (Nominativ und Akkusativ) erfolgt durch einen morphologischen Interpretationsprozeß, der in der Syntax keinen direkten Reflex zeigt. Dieser Prozeß bezieht etwa NPen in Objektposition auf die korrekte akkusativische Form im Paradigma des Nomens. Wir werden nun diese Theorie der Kasuszuweisung mit der Subject Condition kombinieren, um so die besonderen Eigenschaften der Passivierung im Deutschen bzw. die scheinbare Verletzung dieser Bedingung abzuleiten. Wir werden hierbei annehmen, daß die Subject Condition eine universell gültige Bedingung ist, die sprachspezifische Eigenschaften berücksichtigt. Die für
71
Wir gehen im allgemeinen davon am, daß die Repräsentationen der infiniten Formen der Repräsentation der Stammformen entspricht. In diesem Fall werden natürlich die Stammformen beschrieben.
130
das Deutsche relevante (jedoch noch zu modifizierende) Definition der Subject Condition ist in (101) gegeben. (101) Subject Condition: Das SUBJ-Attribut eines Verbs kann nur dann leer sein, wenn die SUBCAT-Liste dieses Verbs keine Elemente enthält, die in der SUBJ-Liste erscheinen können.72 Vor einer detaillierten Diskussion von (101) erhebt sich zunächst die Frage, welche Elemente in der SUBJ-Liste erscheinen können. Von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, inwieweit die Bedingung (101) die Formulierung einer Theorie der Passivierung erlaubt. Ich gehe davon aus, daß eine gefüllte SUBJ-Liste im Deutschen nur NPen enthalten kann, deren Kasuswert strukturell ist. Inwieweit außer NPen auch anderen Kategorien im SUBJ-Attribut erscheinen können, wird durch die Subject Condition nicht vorhergesagt. Aus der Interaktion der Subject Condition mit der universellen Passivregel ergibt sich, daß Verben, deren direktes Objekt durch einen lexikalischen Kasus (Wert * strukturell) markiert ist, unpersönliche Passivkonstruktionen bilden können, während Verben, deren direktes Objekt einen strukturellen Kasus trägt, persönliche Passivkonstruktionen bilden. Geklärt werden muß, warum nur strukturell markierte NPen in der SUBJ-Liste auftreten können. Das externe Argument eines passivierten Prädikats wird als Subjekt der Auxiliare sein und werden realisiert (siehe unten). Von daher muß eine Kasusspezifikation dieses Elements mit den Anforderungen der Funktion nom verträglich sein. Die Funktion nom, deren Definition bislang nicht gegeben wurde, kann wie in (102) definiert werden. Liegt eine NP als Element der SUBJ-Liste vor, weist die Funktion nom bei der Konkatenation der SUBJ- mit der SUBCAT-Liste den Nominativ zu, d.h. der bisherige Wert für das SUBJ-Element wird mit [SYN|LOC|CAT|HEAD|CASE nom] unifiziert. Ist die SUBJ-Liste hingegen leer, wird kein Kasus zugewiesen, (102) Nom-Funktion: [SYN|LOC|CAT|SUBCAT nom([l]) ® list] = [SYN|LOC|CAT|SUBCAT © list], wenn [1] = und [SYN|LOC|CAT|SUBCAT [1] ® list] ansonsten. Eine Unifikation mit dem Wert nom ist dann definiert, wenn der vorliegende Wen den Wert nom subsumiert. Die letztere Bedingung ist erfüllt, wenn der Wert der NP strukturell gewesen ist. Da jedoch weder der lexikalische Genitiv, noch der lexikalische Dativ den Nominativ subsumiert, ist in diesem Fall die Unifikation dieser Werte und eine Applikation der lexikalischen Regel für Finitheit blockiert. Die Anhebung eines Genitiv- oder Dativ-markierten Arguments in SUBJ würde somit die Applikation der lexikalischen Regel für Finitheit blockieren und insgesamt zu einer unzulässigen Struktur rühren. Die Interaktion der universellen Passivregel (94) mit der sprachspezifischen Variante der Subject Condition ermöglicht eine Beschreibung der verschiedenen Passivstrukturen des Deutschen. Persönliche Passivkonstruktionen entstehen, wenn die SUBCAT-Liste eines passivierten Elements eine NP enthält, deren Kasuswert strukturell ist, da in diesem Fall das Argument in die '
Die Subject Condition gilt selbstverständlich nicht fur finite Verben, da diese kein SUBJ-Attribut besitzen. Die in (101) definierte .Subject Condition' darf nicht mit der Bedingung gleichen Namens verwechselt werden, die in Polkrd/Sag (1994, Kap. 4) zur Beschreibung von Schmarotzerlücken bei Extraktionen verwendet wird.
131
SUBJ-Liste des Partizips angehoben wird. Bei unpersönlichen Passivkonstruktionen unterbleibt hingegen eine Anziehung zum SUBJ-Attribut. Dieses kann leer bleiben, da die Subject Condition nur dann die Füllung des SUBJ-Attributs verlangt, wenn ein angemessenes Element in der SUBCAT-Liste gegeben ist. Insgesamt ergibt sich also aufgrund der Interaktion der hier vorgestellten Beschränkungen exakt das Verhalten, das durch die disjunktive lexikalische Passivregel vorhergesagt wird. Daher muß natürlich gefragt werden, ob die hier vorgestellte Analyse der Passivierung gegenüber der älteren Analyse wesentliche Vorteile bietet. Ein erster, konzeptueller Vorteil gegenüber der Formulierung in (89) ist die einheitliche Beschreibung des Passivierungsprozesses: Das Subjekt wird prinzipiell unterdrückt. Ob ein anderes Argument angehoben wird, ist nicht mehr direkter Bestandteil der Passivregel, sondern wird durch die Subject Condition gesteuert. Die vorliegende Behandlung der Passivierung besitzt aber noch zwei weitere Vorteile: Zunächst ermöglicht die Subject Condition die Formulierung bestimmter Vorhersagen, die aus der einfachen lexikalischen Regel für Passivierung nicht folgen. Dies gilt etwa für die Beziehung zwischen Anhebung und strukturellen Objektskasus: Die Subject Condition erlaubt die korrekte Vorhersage, daß ein Anhebungsverb im Deutschen kein Objekt mit strukturellem Kasus besitzen darf. Würde ein Anhebungsverb nämlich ein Objekt mit strukturellem Kasus besitzen, so könnte dieses Objekt genau dann als Subjekt realisiert werden, wenn das Komplement des Anhebungsverbs kein Subjekt besäße. In diesem Fall würde die Subject Condition applizieren und Strukturen wie (103a) erzeugen, die dann in Analogie zu (103b) interpretiert werden müßten. (103) a. "Hier scheint er geschlafen zu werden. b. Hier scheint ihm geschlafen zu werden.73 Aufgrund der Subject Condition vermag darüber hinaus das Verhalten alternierender psychologischer Prädikate erklärt zu werden. Diese Verben zeichnen sich dadurch aus, daß sie eine persönliche Form besitzen, wenn in ihrer unpersönlichen Form ein Akkusativobjekt vorliegt (104a, b). Liegt hingegen ein Dativobjekt bei unpersönlicher Realisation vor, existiert keine persönliche Form(104c,d). (104) a. b. c. d.
Mich friert. Ich friere. Mir graut vor dir. *Ich graue vor dir.74
Warum alternieren psychologische Prädikate mit Akkusativobjekten, während Prädikate mit Dativobjekten eine solche Variation verbieten? Zunächst sollte klar sein, daß der hier verwendete Hierbei gehen wir allerdings davon aus, daß das angehobene strukturelle Objekt des Anhebungsverbs nicht mit dem Subjektparameter seines Komplements verbunden werden kann. Dies bedeutet, daß das angehobene Objekt zwar aufgrund der Orientierungseigenschaften des Anhebungsverbs mit dem SUBJ-Attribut seines Komplements identifiziert wird, hier aber keine Möglichkeit einer Anbindung an die thematische Struktur besteht. Wir hätten somit einen Effekt, der in etwa der leeren Abstraktion bei Wunderlich (1989) entspräche (siehe unten). Die Beispiele in (i) und (ii) können natürlich nicht als Gegenargument gewertet werden, da hier nicht nur eine Alternation, sondern auch eine deutliche Bedeutungsverschiebung vorliegt, (i) Mir ist übel, (ii) Ich bin übel.
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Akkusativ kein struktureller Kasus sein kann. Dies würde nämlich gemäß der Subject Condition bedeuten, daß (104a) prinzipiell ausgeschlossen wäre. Die Zulässigkeit von (104b) hingegen folgt nach meinem Dafürhalten aus einer Umdeutung dieses lexikalischen Akkusativs in einen strukturellen Kasus. Hierzu müssen wir annehmen, daß der Sprecher die Subsumtionsrelation invertiert und den lexikalischen Akkusativ mißverständlich als Extension des Werts strukturell umdeutet. Als struktureller Kasus fallt der Akkusativ dann unter die Subject Condition und die Grammatikalität von (104b) wird vorhergesagt. Ein ähnlicher Prozeß ist bei den Verben in (104c, d) jedoch ausgeschlossen, da der hier vorliegende Dativ nicht als Extension des Merkmals strukturell gedeutet werden kann. Ein weiterer Vorteil dieser Formulierung der Passivierung ergibt sich bei einer vergleichenden Betrachtung mit einer Sprache, in der es keine unpersönlichen Passivkonstruktionen gibt, wie etwa dem Englischen. Die Subject Condition muß dort wie folgt formuliert werden:75 (105) Subject Condition: Das SUBJ-Attribut eines Verbs darf nicht leer sein. Hier wird nun eine Beziehung zwischen der Formulierung der Bedingungen für das Deutsche und das Englische deutlich: Im ersten Fall wird verlangt, daß das SUBJ-Attribut genau dann gefüllt sein muß, wenn ein angemessener Füller, also eine strukturell markierte NP vorliegt, im letzteren Fall ist diese Füllung immer erforderlich. Zusammenfassend kann bemerkt werden, daß die hier vorgeschlagene Behandlung der Passivierung der Behandlung durch eine lexikalische Regel deutlich überlegen ist. Die eigentliche Passivierungsoperation kann auf einfache Weise sprachübergreifend formuliert werden, so daß die Erfassung universeller Beschränkungen gewährleistet werden kann. Die besonderen Eigenschaften der Passivierung im Deutschen folgen aus der sprachspezifischen Formulierung der Subject Condition: Bei der Passivierung wird das SUBJ-Attribut getilgt. Liegt nun eine NP[str] in der SUBCAT-Liste vor, wird diese gemäß den Anforderungen der Subject Condition aus der SUBCAT-Liste entfernt und in die SUBJ-Liste integriert. Das Passivpartizip wird durch das Passivauxiliar werden subkategorisiert. In Bezug auf die Orientierung verhält sich werden wie das bereits diskutierte scheinen (siehe (12)) - werden verlangt identische SUBJ-Attribute. Somit ergibt sich die Repräsentation in (106). (106) werden:
CAT
SYNSEM|LOCAL
HEAD [SUBJ [T]
SUBCAT(V[SUBJ| CONT|NUCLEUS[7]
Wir werden hier nicht diskutieren, welche Kohärenzeigenschaften das Passivauxiliar besitzt, sondern einfach voraussetzen, daß werden obligatorisch kohärent konstruiert. Für die vorliegenden Zwecke reicht es aus, obligatorische Kohärenz mit der obligatorischen Anziehung aller Argumente von V" gleichzusetzen - eine detaillierte Diskussion findet sich in Kapitel 4. Im folgenden 75
Da die Subject Condition je nach Sprache variieren kann, ist sie flexibler als das Extended Projection Principle (Chomsky 1981), das auch für das Deutsche in unpersönlichen Konstruktionen ein Subjekt vorsieht.
133
werden wir die Ableitung des Beispiels (87f) diskutieren und unsere Annahmen zur Passivierung verdeutlichen. Zur besseren Übersicht ist dieses Beispiel hier nochmals angeführt. (87)
f. Die Wissenschaftler werden unterstützt.
In (lOOb) wurde der Lexikoneintrag für den Stamm des Verbs unterstützen angegeben, in (107a) die Auswirkung der Anwendung der universellen Passivregel und in (107b) die Applikation der Subject Condition, aus der nun auch ersichtlich wird, daß die Subject Condition eine lexikalische Regel ist, die das erste Element der SUBCAT-Liste in das SUBJ-Attribut überführt. Das Partizip verbindet sich dann mit dem Passivauxiliar. Dieses erbt alle syntaktischen Argumente seines Komplements. Das SUBJ-Attribut des Passiv-Auxiliars stimmt mit dem SUBJ-Attribut des Komplements überein.76 (107) a. Passivierung: HEAD
CAT
VFORM pass SUBJ()
SUBCAT SYNSE^LOCAL ARG1 [T]
CONTENTJNUCLEUS unterstütz« ARG2 [Tl
b. Auswirkung der Subject Condition auf (l 07a):
HEAD
CAT SYNSEIV^LOCAL
VFORM pass
l st 11:1 21
SUBCAT{) ARG1 [T]
CONTENT|NUCLEUS untersiützer ARG2
76
!
Die Darstellung des Satzes (107c) erfolgt aus Gründen der Übersichtlichkeit in Verbendstellung.
134
c. Die Wissenschaftler werden unterstützt.
die Wissenschaftler
SBCTJTJO
SBCT[O]©[T
SUBj(T](NP:[T]}
NUCJT]
ARG1 [7]
1
werden
NUCLEUS | 3 [untcrstützer ARG2 (Tj unterstützt
3.3.1.3 Zum derivationellen Status der Passivierung Obwohl der letzte Abschnitt deutlich gemacht hat, daß eine Trennung der Passivierung in Subjektdemotion und Objektpromotion konzeptuell und empirisch plausibel erscheint, darf nicht verschwiegen werden, daß die verwendeten lexikalischen Regeln nicht dem Konzept der lexikalischen Regeln entsprechen, das in HPSG verwendet wird. Insbesondere geht man innerhalb der HPSG davon aus, daß lexikalische Regeln Relationen zwischen Lexemen sind, d.h. Lexikoneinträge als Eingabe und Ausgabe besitzen. Die oben vorgestellte Subjektdemotionsregel genügt dieser Bedingung nicht, da ihre Ausgabe Elemente sind, die ein leeres SUBJ-Attribut, aber eine mit einem strukturellen Objekt gefüllte SUBCAT-Liste besitzen. Sollten diese Elemente Lexikoneinträge sein, so müßten auch Impersonalkonstruktionen mit strukturellen Akkusativobjekten grammatisch sein. Gerade dies ist jedoch nicht der Fall und wird im oben vorgestellten Modell der Passivierung durch die Applikation der Objektpromotion ausgeschlossen. Somit müssen wir annehmen, daß zumindest die Subjektdemotionsregel insofern keine lexikalische Regel ist, als sie Lexeme in Nichtlexeme überfuhrt. Diese Interpretation der Subjektdemotionsregel führt allerdings ein Konzept in die HPSG ein, das explizit ausgeschlossen werden sollte, das Konzept der Derivation: Die Regel der Subjektdemotion erzeugt zunächst nicht-wohlgeformte Strukturen, die durch die Objektpromotionsregel gefiltert und gegebenenfalls auch modifiziert werden. Dieses Modell entspricht somit eher dem Ansatz von Chomsky (1980) als einer nonderivationellen Unifikationsgrammatik. Diesen Nachteil besitzen neben der hier vorgestellten Theorie der Passivierung selbstverständlich auch die innerhalb der LFG entwickelten neueren Passivansätze, da hier die Reihenfolge der Regelanwendungen nicht beliebig ist. Ich habe mich dennoch für die in Abs. 3.3.1.2 dargestellte Exposition der Passivierung entschlossen, da diese Analyse einer einheitlichen Analyse der Passivierung insbesondere konzeptuell
135
überlegen ist. So kann erläutert werden, worin sich die Passivierung in verwandten Sprachen voneinander unterscheidet. Legt man die im letzten Abschnitt vorgestellte Theorie der Passivierung zugrunde, so kann die Objektpromotion parametrisiert werden. Das Englische unterscheidet sich vom Deutschen darin, daß im Englischen alle NPen als Elemente des SUBJ-Attributs zulässig sind (etwa, weil alle Objektskasus strukturelle Kasus sind). Nichtsdestotrotz ist die hier vorgestellte Analyse nicht mit den Grundannahmen der HPSG als nonderivationeller Theorie kompatibel. Sollte es daher keine Möglichkeit geben, die vorgestellte Passivierungsanalyse in die Standardannahmen der HPSG zu .übersetzen', müßte die Passivanalyse insgesamt verworfen werden. Selbstverständlich kann die vorgestellte Analyse der Passivierung in eine Standard-HPSG bereits dadurch integriert werden, daß disjunktive lexikalische Regeln postuliert werden, die Personal- und Impersonalpassiv unabhängig voneinander ableiten. Dieses Vorgehen findet sich etwa in Kiss (1992), die Nachteile gegenüber dem hier verteidigten Ansatz wurden bereits in Abs. 3.3.1.1 thematisiert. Als Alternative zu dieser Vorgehensweise bietet sich die nicht-disjunktive, aber dennoch einheitliche Analyse der Passivierung in (108) an, die Gebrauch vom sog. shufflf-Opcntot macht.77 Dieser Operator nimmt zwei Listen und liefen als Ergebnis eine Liste, die alle Elemente der beiden Eingangsliste in nahezu beliebiger Reihenfolge enthält. Die einzige Bedingung ist, daß die Ordnung der Elemente in den Eingangslisten zueinander gewahrt bleibt. (108) Einheitliche lexikalische Regel für Passiv: [HEAD]SUBJ verb[inf, SUBJ < NFDtrJfl] >]j ^ [HEAD|SUBJ verb[pass, SUBJ Sfll
[SUBCAT m u + d]
]
ISUBCAT [2]
j
In (108) besteht die SUBCAT-Liste des Stammes aus der ^«^-Verknüpfung der lexikalisch kasusmarkierten ([2]) und der strukturell markierten ([3]) NPen, wobei wir davon ausgehen können, daß die zweite Liste grundsätzlich nur ein Element enthält.78 Die Passivierung besteht nun darin, daß zum einen das aktive SUBJekt vollständig eliminiert wird, während andererseits die Liste der strukturell markierten Elemente zum SUBJ-Wert wird. Ist diese leer, so ist auch der SUBJ-Wert leer. Diese Regel besitzt der oben skizzierten lexikalischen Regel gegenüber den Vorteil, daß auf eine disjunktive Spezifikation verzichtet werden kann. Es wird einheitlich sichergestellt, daß da SUBJ-Attribut nur beim Vorhandensein eines strukturell markierten Objekts gefüllt ist. Darüber hinaus genügt die Regel den formalen Anforderungen an eine lexikalische Regeln in der HPSG. Es ist allerdings von Nachteil, daß die Objektpromotion struktureller Objekte bzw. die Blockade einer Promotion nicht-struktureller Objekte nur noch implizit erfolgt. Darüber hinaus setzt diese Regel voraus, daß die Liste der strukturell-markierten Objekte maximal ein Element enthält, da ansonsten die Gefahr bestünde, mehr als ein SUBJ-Element eines Verbs vorzufinden. Im folgenden werden wir dennoch davon ausgehen, daß Subjektpromotion und Objektpromotion voneinander getrennt werden können. Zukünftige Untersuchungen müssen entweder zeigen, daß eine einheitliche nicht-derivationelle lexikalische Behandlung der Passivierung vorgelegt werden kann, die über einzelsprachliche Gegebenheiten hinweg zu erklären vermag, welche 77 78
Ich verdanke diesen Vorschlag Carl Pollard. Weitere Komplemente lassen wir außer acht, da die vorgestellte Regel erweitert werden kann, um PPen und Satzkomplemente zu erfassen, die ggfs. in das SUBJ-Attribut überfuhrt werden müssen.
136
Elemente durch eine Passivierung affiziert werden, oder verdeutlichen, daß generative Grammatiken ohne derivationelle Konzepte nicht auskommen. Insbesondere im Bereich der Passivierung scheint der zweite Weg vorläufig der einfachere zu sein.
3.3. l .4 Bemerkungen zum Fernpassiv Die in (109) exemplifizierte Passivkonstruktion gehört seit Höhle (1978) zu den kontrovers diskutierten Phänomenen im Bereich der infiniten Komplementation. (109) a. Peter versprach, den Wagen zu reparieren. b. Es wurde versprochen, den Wagen zu reparieren. c. ?Der Wagen wurde zu reparieren versprochen.79 Eine deskriptive Analyse der in (109c) vorliegenden Konstruktion ergibt, daß bei Fernpassiv ein Verbkomplex anstelle eines Lexems die Auswirkungen der Passivierung erfährt. Infolge dessen unterliegt das Akkusativobjekt von V" den Beschränkungen der Passivierung und wird zum Subjekt angehoben. Unterstützung für diese Annahme findet man auch in der Tatsache, daß Fernpassivkonstruktionen bei Extraposition gänzlich ausgeschlossen sind (l lOa, b). Ebenso unzulässig ist eine Topikalisierung von V" zusammen mit dem angehobenen Subjekt (HOc, d). Schlußendlich erlaubt nur die Fernpassiwariante die Topikalisierung des Verbkomplexes (HOe, f). Die oben geäußerte Hypothese, dergemäß kohärente Konstruktion Voraussetzung für Fernpassiv ist, wird durch diese Daten eindringlich bestätigt. So haben wir ja festgestellt, daß Extraposition Saturation von V" voraussetzt - eine Bedingung die nur dann erfüllt ist, wenn kein Argument von V" nach V vererbt wird. Entsprechende Überlegungen können für die Kontrastpaare in (l lOc, d) und (l lOe, f) angestellt werden. (110) a. b. c. d. e. f.
weil versprochen wurde, den Wagen zu reparieren. *weil versprochen wurde, der Wagen zu reparieren. Den Wagen zu reparieren wurde versprochen. *Der Wagen zu reparieren wurde versprochen. Zu reparieren versucht wurde der Wagen lange Zeit. *Zu reparieren versucht wurde den Wagen lange Zeit.
Ein weiteres Argument für die oben angedeutete Analyse ergibt sich aufgrund des Verhaltens von Verben, die neben ihrem infiniten Komplement ein optionales Argument besitzen. Wie bereits in Kap. l festgestellt wurde, konstruieren solche Verben obligatorisch inkohärent. Man kann nun Der Grad der Akzepatibilität bzw. Abweichung von Beispielen des Typs (109c) ist variabel und hängt zudem, wie mir andere Sprecher bestätigten, auch von der Wahl des passivierten Lexems ab. So bewerten Sprecher Beispiele, in denen das Verb versuchen passiviert wird (i), gemeinhin besser als (109c), in dem versfrechen passiviert wird. (i) ?Der Wagen wurde zu reparieren versucht. Sehr auffällig ist auch, daß Fernpassivierungen deudich schlechter werden, wenn das passivierte Verb adverbiell modifiziert wird. So bestätigen auch Sprecher, die Fernpassivkonstruktionen regelhaft verwenden, daß (iii) nahezu völlig inakzeptabel ist: (ii) Der Händler versprach, den Wagen bis Dienstag zu reparieren, (iii) ??/*Der Wagen wurde bis Dienstag zu reparieren versprochen. Diesen Fragestellungen können wir im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht nachgehen.
137
beobachten, daß genau dann, wenn ein zusätzliches Objekt vorliegt, Fernpassivierung ausgeschlossen ist. (111) a. weil mir versprochen wurde, den Wagen/*der Wagen zu reparieren b. Den Wagen/*Der Wagen zu reparieren wurde mir versprochen. Aus diesen Beobachtungen darf man jedoch keineswegs ableiten, daß die Fernpassivkonstruktion eine regelharte Konstruktion des Deutschen wäre, die von allen Sprechern als akzeptabel eingestuft wird. Genau das Gegenteil ist der Fall - Fernpassivkonstruktionen werden von vielen Sprecher kaum oder überhaupt nicht akzeptiert. Es wäre daher ein grundsätzliches Problem der Grammatik, wenn diese Konstruktion aus den Prinzipien der Grammatik ohne zusätzliche Annahmen folgen würde.80 Es wäre nun naheliegend, zu fragen, wie die Fernpassivkonstruktion in unser Modell integriert werden kann, bzw. welche Erklärung unser Modell fiir die Marginal i tat dieser Konstruktionen anbieten kann. Ich meine allerdings, daß eine andere Fragestellung in diesem Zusammenhang wesentlich dringender beantwortet werden müßte: Fernpassivkonstruktionen sind marginal und unpersönliche Konstruktionen mit inkohärent konstruiertem F" bilden die Regel.81 Warum bilden optional kohärent konstruierende Verben bei Passivierung prinzipiell nur inkohärente Konstruktionen? Es spricht ja zunächst nichts dagegen, daß ein passiviertes Kontrollverb kohärent konstruiert. Dennoch werden bereits neutrale Intrapositionen mit strukturell markierten Objekten (112) als markiert eingestuft, während Voranstellungen des Verbkomplexes - wie (l l Of) gezeigt hat - absolut unzulässig sind. (112) a. ??weil den Wagen zu reparieren versprochen wurde b. weil versprochen wurde, den Wagen zu reparieren Ein weiterer in diesem Zusammenhang interessanter Aspekt betrifft kohärente Konstruktionen, wenn V" einen lexikalischen Kasus regiert. Wie (l 13) zeigt, ist der in (112) deutlich vorhandene Kontrast hier aufgeweicht. (113) a. weil mir zu helfen versprochen wurde b. weil versprochen wurde, mir zu helfen Die oben bereits gestellte Frage kann also wie folgt präzisiert werden: Warum bilden optional kohärent konstruierende Verben bei Passivierung genau dann eine inkohärente Konstruktion, wenn V" einen strukturellen Kasus regiert? 80
81
Beispiele des Typs (i), in denen sogar Objektkontrollverbcn fcrnpassiviert werden können, ohne daß das eine völlig ungrammatische Konstruktion resultiert, könnten den Schuß nahelegen, daß Fernpassivierung ein produktiver Prozeß ist. Daß diese Hypothese nicht plausibel ist, zeigt der direkte Versuch einer produktiven Bildung mit einem anderen Objektkontrollverb, hier verbieten. Das Beispiel (ii) ist nach meinem Dafürhalten insbesondere in der zu (i) analogen Lesart völlig ungrammatisch. (i) ??Der Erfolg wurde uns nicht auszukosten erlaubt, (ii) *Der Mülleimer wurde den Kindern nicht zu endeeren verboten, (iii) Es wurde uns nicht erlaubt, den Erfolg auszukosten. Das Verb erlauben ist ein Objektkontrollverb und erlaubt gemeinhin keine kohärente Konstruktion mit V". Im Beispiel (i) muß dennoch eine kohärente Konstruktion vorliegen, denn hier findet sich nicht nur das Fernpassiv, sondern auch eine weite Lesart der Negation, wie die wohlgeformte Paraphrase (iii) zeigt. Diese Beobachtung findet sich auch in v. Stechow/Sternefeld (1988) und Haider (1991a).
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Zunächst ist einmal festzuhalten, daß die Marginalität von Fernpassivkonstruktionen nickt aus der in den letzten Abschnitten entwickelten Theorie der Passivierung folgt, da bei den optional kohärent konstruierenden Verben die variable Subkategorisierung berücksichtigt werden muß. Infolge dessen wäre es möglich, einen Lexikoneintrag zu konstruieren, der der Subject Condition genügt, ohne daß bekannt ist, ob tatsächlich ein strukturell markiertes Argument in der SUBCAT-Liste von V" vorliegt. Der Eintrag (114) ist dann so zu interpretieren, daß die Subject Condition durch ein passiviertes Kontrollverb leer erfüllt wird, wenn das Komplement dieses Verbs ein strukturell markiertes Objekt besitzt. Der SUBCAT des Komplements entspricht in diesem Eintrag also der Konkatenation der Werte [1] und [2], wenn die Liste [l] ein strukturell markiertes Objekt enthält. Ist dies nicht der Fall, so entspricht [2] dem Wert von [3] und [1] ist folglich die leere Liste. (114) Anwendung der Passivierung und Subject Condition auf ein kohärent konstruierendes Verb: SYNILOCICAT
HEAD|SUBJ r—.
/
i—. \
SUBCAT[_2J ©\ V[SUBCAT[3J ] ) l
Würde nun ein Verb, das durch den schematischen Eintrag in (114) subsumiert wird, mit werden verbunden, ergäbe sich die Kasuskonversion von str zu nom bei A" zwangsläufig. Dies kann verhindert werden, wenn die Subject Condition um eine Bedingung erweitert wird, aus der hervorgeht, daß nur Elemente im SUBJ-Attribut eines Verbs erscheinen können, die in einer thematischen Beziehung zu diesem Verb stehen. Die in (l 14) skizzierte Anhebung kann aufgrund dieser Bedingung ausgeschlossen werden. (115) Subject Co ndition: Das SUBJ-Attribut eines Verbs kann nur dann leer sein, wenn die SUBCAT-Liste eines Lexems keine thematischen Elemente enthält, die in der SUBJ-Liste erscheinen können. Der Begriff des thematischen Elements ist wie folgt definiert: (116) Thematisches Element: Ein Element einer SUBCAT-Liste ist genau dann ein thematisches Element, wenn dieses Element ein CONTENT-Attribut besitzt, das eine Rolle im CONTENT-Attribut des Regenten spezifiziert. Welche Implikationen ergeben sich in dieser Reformulierung der Subject Condition für unsere Fragestellung? Falls ein passiviertes Kontrollverb kohärent konstruieren und somit ein strukturell markiertes Objekt von seinem Komplement anziehen würde, so ergäbe sich eine phrasale Struktur, in der das SUBJ-Attribut leer wäre, wohl aber ein strukturell markiertes Objekt in der SUBCAT-Liste der verbalen Projektion erscheinen würde. Die Subject Condition würde diese Struktur in ihrer Reformulierung in (l 15) legitimieren. In (l 17) ist die Auswirkung der Applikation der Subject Condition auf die dynamische SUBCATStruktur eines kohärent konstruierenden Verbs dargestellt: Kohärent konstruierende Kontrollver-
139
ben verhalten sich nun wie andere Verben ohne strukturell markiertes nominales Objekt - sie bilden unpersönliche Passivkonstruktionen ohne SUBJ-Attribut. (l 17) Auswirkung der Subject Condition auf kohärent konstruierende Kontrollverben: SYN|LOC|CAT
HEAD|SUBj{) SUBCAT [T]
{ V[SUBCAT [T] ] )
Problematisch ist nun allerdings, daß die reformulierte Subject Condition Fernpassiv generell verbietet, während die ursprüngliche Version die Regelhaftigkeit dieses Prozesses vorhersagt. Weder die erste noch die letzte Variante erlaubt eine plausible Erfassung dieses Phänomens. Darüber hinaus können wir so nicht ableiten, warum passivierte, optional kohärent konstruierende Verben obligatorisch inkohärent konstruieren, wenn ihr Komplement ein strukturelles Objekt besitzt. Ich denke, daß die Lösung dieses Problems in einer Relaxierung der Subject Condition zu suchen ist. Sprecher, die Fernpassivkonstruktionen verwenden, verzichten auf die zusätzliche thematische Beschränkung und ermöglichen so nicht nur die Bildung von Fernpassivkonstruktionen, sondern erzwingen zugleich inkohärente Konstruktion, falls A" nicht zu N' wird. Dies folgt aus der Tatsache, daß bei kohärenter Konstruktion - also etwa bei einfacher Intraposition - eine Konfiguration entstehen würde, in der das SUBJ-Attribut des passivierten Verbs leer bleibt, jedoch aufgrund der Argumentanziehung ein strukturell markiertes Objekt in der SUBCAT-Liste vorliegt. Diese Konfiguration ist in (118) dargestellt und würde in einer Verletzung der einfachen Subject Condition münden. (l 18) Kohärenz und Fernpassiv: SUBj() SUBCAT (NP[str])
SUBCAT
SUBJO SUBCAT (T] ® v|sUBCAT [T]]
Zentral ist hierbei der variable Wen [1]. Da dieser mit einer Liste koreferent ist, die eine strukturell markierte NP enthält. Somit besitzt bereits der Kopf der in (118) dargestellten Phrase eine SUBCAT-Liste mit einer strukturell markierten NP sowie ein leeres SUBJ-Attribut und verletzt so die Subject Condition.82 Dieses Problem kann umgangen werden, wenn V" inkohärent konstruiert. In diesem Fall entspricht der Wert [1] der leeren Liste und das Resultat der Verbindung verletzt die Subject Condition nicht. Dieses Problem entsteht natürlich gar nicht erst, wenn V" kein strukturelles Objekt zur Verfügung stellen kann. In diesem Fall ist eine Anhebung bereits von vornherein aus82
Alternativ könnte man annehmen daß die für Objektpromotion relevante Beziehung zwischen SUBJ und SUBCAT in einer kohärenten Konstruktion auch bei der direkten Projektion überprüft werden kann, etwa weil diese nur lexikalische Köpfe enthält. Die Unzulässigkeit einer nicht passivierten kohärenten Konstruktion würde dann aus der Struktur der direkten Projektion von V abgeleitet werden, die in (l 18) dargestellt ist.
140
geschlossen, da lexikalische Kasus nicht mit dem SUBJ-Attribut verträglich sind. Die Elimination des in (112) noch vorhandenen Kontrasts in (113) kann so unter Rekurs auf die Interaktion der Subject Condition mit der Theorie der Kasus erklärt werden. Fassen wir zusammen: Wir gehen davon aus, daß Fern pass ivkonstruktionen marginal akzeptabel sind. Sie werden durch eine Schwächung der Subject Condition erzwungen. Wenn neben thematischen Elementen beliebige andere Elemente im SUBJ-Attribut eines Elements erscheinen können, ist bei Kohärenz Fernpassivierung notwendig, da sonst eine Konfiguration entstünde, die der abgeschwächten Subject Condition nicht genügen würde. Diese Konfiguration wurde in (118) dargestellt. Eine entsprechende Konfiguration entsteht nicht, wenn das Komplement eines passivierten Verbs inkohärent konstruiert, da so keine strukturell markierte NP auf der SUBCAT-Liste des passivierten Verbs erscheint.83 Dies gilt auch dann, wenn V" keine strukturell markierten Objekte besitzt. Die Marginal i tat der Fernpassivkonstruktion rührt aus dem Faktum, daß im allgemeinen die strengere Subject Condition (l 15) Gültigkeit besitzt; erst wenn diese abgeschwächt wird, ist Fernpassivierung möglich.84
3.3.2
Impersonaleinbettungen
Nach der Vorstellung unserer Annahmen zur Passivierung werden wir nun die Argumentation von v. Stechow/Sternefeld (1988) und v. Stechow (1990a) sowie deren Kritik am Ansatz von Wunderlich (1989) sowie die alternative Konzeption Haiders (1991a) diskutieren, um daran anschließend zu zeigen, daß die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit von Impersonaleinbettungen aus der bislang vorgestellten Theorie der Orientierung abgeleitet werden kann.
3.3.2.1 Bemerkungen zur Syntax und Semantik von Impersonaleinbettungen In v. Stechow/Sternefeld (1988) wird der Kontrast zwischen finiten und infiniten Impersonaleinbettungen (119a, b) auf die Eigenschaften eines leeren Elements in Subjektposition zurückgeführt. (119) a. "Ulrich wünscht bald zu geschlafen zu werden, b. Ulrich wünscht, daß bald geschlafen wird. Dieses leere Element in Subjektposition ist nicht zulässig, da kein Merkmal für dieses Element angemessen wäre. Entsprechend ergibt sich für den Satz (l 19a) die Analyse in (120a). Hier liegt (auf der S-Struktur) ein CP-Komplement vor, dessen Subjekt nicht identifiziert werden kann, weil es vollständig negativ spezifiziert ist.
^
Die vorliegende Analyse betrachtet eine Konstruktion auch dann als inkohärent, wenn Intraposition vorliegt, V" jedoch alle Argumente realisiert hat und somit keine Argumente zur Verfügung stehen. Infolge dessen würden wir Strukturen des Typs (l 12) fälschlich als wohlgeformt analysieren. Ich meine allerdings, daß eine Intraposition nicht zur Markierung der Inkohärenz ausreicht, d.h. wenn inkohärent konstruiert wird, muß dies - etwa qua Extraposition — auch deutlich werden. " Wir argumentieren somit für ein Grammatikmodell, das durch Fixierung verschiedener Bedingungen unterschiedliche (aber regclhaft voneinander abweichende) Grammatiken legitimiert. Ein ähnliches Modell wurde zur Analyse englischer Doppelobjektkonstruktionen von Hudson (1992) vorgeschlagen.
141
Wir werden - v. Stechow/Sternefeld (1988) folgend - dieses leere Element durch ,e*' repräsentieren. Das leere Element (ek) in der Subjektposition des finiten CP-Komplements (120b) ist hingegen für Kasus positiv spezifiziert und wird so durch die Theorie legitimiert. (120) a. *weil [Ulrich bald geschlafen zu werden wünscht]
SpecCP
geschlafen
zu weiden
142
b. weil Ulrich [wünscht, daß bald geschlafen wird]85 VP
SpecCP
y° l
l
Geschlafen
wird
Diese Analyse erlaubt auch Rückschlüsse über die Einbettbarkeit unpersönlicher Konstruktionen unter Anhebungs- und Kontrollverben. (121) H ier scheint [ip geschlafen zu werden] So muß man annehmen, daß das Komplement eines Anhebungsverbs eine IP ist, deren Subjekt wiederum durch die Koindizierung mit dem ebenfalls leeren - aber kasusmarkierten - Subjekt des Matrixverbs eine Spezifikation erhält. Eine detaillierte Darstellung dieser Problematik findet sich in v. Stechow (1990a).86 Auf der anderen Seite setzt diese Analyse der Ungrammatikalität
85
86
Auf die Darstellung der Extraposition verzichte ich an dieser Stelle. Ich halte es für angebracht, zwei Aspekte zu thematisieren, die die Einbettung des referierten Ansatzes in die Rektions- und Bindungstheorie betreffen. So klar der intuitive Gehalt der Unterscheidung zwischen dem Komplementsubjekt in (119a) und (121) auch ist, um so befremdlicher scheint mir doch die Formalisierung, die v. Stechow/Sternefeld (1988) und v. Stechow (1990a) anbieten. Zwei Gründe sind hierfür ausschlaggebend: Zunächst einmal ist festzuhalten, daß das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen dem unzulässigen Subjekt in (119a) und dem zulässigen Subjekt in (121) die Spezifikation [+trace] ist. Das Merkmal [ttrace] charakterisiert v. Stechow (1990a:167) wie folgt: „... [+trace] means .trace of an argument expression,'..." Nun ist diese Charakterisierung einer NP-Spur, legt man die klassiche Behandlung der Anhebung in Chomsky (1981) zugrunde, sicherlich berechtigt. Nur trifft diese Charakterisierung auf das leere Element in (121) eben nicht zu, da es sich hier nicht um die Spur eines Argumentausdrucks handelt. Da v. Stechow (1990a:166) Argumentausdrücke und Argumentpositionen strikt voneinander trennt, kann er hier keineswegs behaupten, .argument expression' bezieht sich auf virtuelle Argumentschaft, also auf das Auftreten in einer Argumentposition. Der zweite Aspekt betrifft den ontologischen Status der v. Stechow'schen Merkmalsmatrix. Zunächst ist zu bemerken, daß v. Stechow das leere Element e* (das als einziges in der Subjektsposition des Komplementverbs in (l 19a) auftreten kann) aufgrund der folgenden Überlegung ausschließt:
143
von (l 19a) voraus, daß das eingebettete Komplement in (l 19a) satzwertig ist, d.h. zur Kategorie CP zählt. Wäre diese Konstituente nicht satzwertig, so bestünde keinerlei Notwendigkeit, eine Subjektposition und somit auch eine kompatible Füllung dieser Position anzusetzen. Dies folgt aus dem sog. Extended Projection Principle (Chomsky 1981), welches besagt, daß alle Sätze ein Subjekt besitzen.87 Ein weiterer zentraler Aspekt dieser Analyse ist ihr derivationeller Charakter. Das Verb wünschen konstruiert kohärent. Würde Reanalyse bereits auf der S-Struktur stattfinden, könnte die Unzulässigkeit von (l 19a) nicht mehr auf die Existenz von e* in (120a) zurückgeführt werden. Ein Subjekt ist ja nur für Sätze obligatorisch - das Komplement von wünschen muß folglich satzwertig sein. Die Autoren nehmen diese Überlegung zum Anlaß, eine weitere Strukturebene, die sog. Reanalyse-Struktur (Sr-Struktur) einzuführen, die wohlgeformte S-Strukturen als Eingabestrukturen verlangt. Eine solche liegt aber mit (120a) nicht mehr vor. Dieser Rekurs auf den bereits im ersten Kapitel detailliert kritisierten Begriff der Satzwertigkeit findet sich auch im Ansatz von Haider (l99la) wieder. Dieser nimmt an, daß unpersönliche Konstruktionen in direkter Korrelation zu inkohärenten (also, in der Terminologie der Rektionsund Bindungstheorie, zu satzwenigen) Infinitivkonstruktionen stehen. (l 22) a. *weil bald geschlafen zu werden gewünscht wird b. weil gewünscht wird, daß bald geschlafen wird Haider (l991 a) bemerkt, daß der Kontrast zwischen (122a) und (122b) ohne Reanalyse abgeleitet werden kann, wenn man annimmt, daß Infl spezifiziert sein muß. Da Infl in (122a) weder eine -Rolle vom Verb übernehmen kann, noch für Kongruenzmerkmale spezifiziert ist, ergibt
*'
„An empty CP-sub]ect with features [-argument, -case] doesn't exist. This assumption is quite natural, if we assume that empty elements must be visible. Since e* has no features at all, we can't identify it." (v. Stechow 1990a:l66) Diese Überlegung erscheint mir wenig aussagekräftig, da sie präsupponiert, daß Elemente, die durch negative Merkmale spezifiziert werden, nicht identifiziert werden können. Ich sehen keinen Unterschied zwischen einem negativ und einem positiv belegten Merkmalswert, dies umso mehr, als in der Rekdons- und Bindungstheorie Merkmalswerte einen eher mnemonischen Charakter besitzen. Ich möchte hier nur daran erinnern, daß wh-Spuren (bezogen auf die Bindungstheorie) die Spezifikation [-a, -p] tragen. Zumindest ein Teilmodul, das sich mit leeren Elementen befaßt — eben die Bindungstheorie — scheint also sehr wohl in der Lage zu sein, vollständig negativ spezifizierte Elemente zu verarbeiten. Daß negative Spezifikation nicht immer negativ interpretiert werden muß, zeigt auch der Ansatz der Lexical Mapping Theory in der LFG. Hier wird das Subjekt durch die Merkmale [-o, -r] beschrieben und so als ranghöchste grammatische Funkttion charakterisiert. Akzeptiert man die Hypothese, daß vollständig negativ markierte Elemente nicht interpretiert werden können, muß gefragt werden, ob nicht auch vollständig positiv spezifizierte Elemente ebenso .unidentifizierbar' sind. Dies ist selbstverständlich nicht so. V. Stechow schließt Elemente mit einer vollständig positiven Matrix nicht aus, weil sie so spezifiziert sind, sondern weil die Spezifikationen in seinem Modell unverträgliche Interpretationen tragen. Aus dieser Überlegung folgt zunächst nur, daß das unpersönliche Komplement in (120a) IP-wertig (bzw. in neuerer Terminologie AgrS-wertig) sein muß; findet doch das Extended Projection Principle Anwendung auf den Specifier von IP. Die gewünschte Verallgemeinerung auf CP läßt sich allerdings aus den Rektionseigenschaften von e* ableiten. Die Argumentation kann dann in Analogie zur CP-Wertigkeit englischer Infinitive unter Rekurs auf die Rektionseigenschaften von PRO in Chomsky (1986b) gegeben werden. Würde nämlich e* nicht durch eine CP-Barriere .geschützt', so bestünde die Möglichkeit, daß dieses Element durch einen potentiellen Regenten kasus- oder -markiert werden könnte. Dies muß jedoch ausgeschlossen werden, da sonst die verlangte Merkmalslosigkeit des leeren Subjekts von der Füllung des regierenden Verbs abhängen würde. Dies kann nur dann garantiert werden, wenn eine C-Projektion zwischen dem potentiellen Regenten und e* interveniert.
144
sich in (122a) für Infl die Merkmalsspezifikation [- , -AGR]. In (122b) besitzt Infl zwar auch keine -Rolle, wird aber qua Finitheit durch AGR positiv spezifiziert. Es ist hierbei sehr wichtig, zu berücksichtigen, daß Infl ist sowohl in (122a) als auch in (122b) vorhanden ist, aber in beiden Fällen unterschiedlich spezifiziert wird. Eine vollständig negative Spezifikation ist - ebenso wie im Ansatz von v.Stechow/Sternefeld (1988) - unzulässig. Das grammatische Beispiel (121) unterscheidet sich in Haiders Ansatz vom ungrammatischen (122a) nur dadurch, daß hier obligatorisch kohärent konstruiert wird, d.h. dadurch, daß hier kein Infl vorhanden ist. Führt man diese Überlegungen fort, so kommt man zu dem Schluß, daß unpersönliche Einbettungen des Typs (122a) grundsätzlich inkohärent konstruiert werden, da nur so ein Infl zur Verfügung steht, das unzulässig spezifiziert sein könnte.88 Man muß also annehmen, daß bei unpersönlicher Einbettung immer obligatorisch inkohärent konstruiert wird, wenn das Matrixverb kein Anhebungsverb ist. Der Ansatz Haiders kann allerdings nicht erklären, warum das ansonsten optional kohärent konstruierende wünschen in den o.g. Beispielen obligatorisch inkohärent konstruieren sollte. Würde Haider andererseits zu lassen, daß wünschen auch in (122a) optional kohärent konstruiert, bestünde die Möglichkeit, eine negative Spezifikation von Infl durch Kohärenz zu umgehen. Die Ungrammatikalität des Beispiels folgt dann nicht mehr. Eine alternative Behandlung dieser Problematik liegt mit dem Ansatz von Wunderlich (1989) vor. Hier wird eine Analyse entwickelt, die im wesendichen auf strukturierten Lexikoneinträgen, sowie einigen Annahmen über die Wohlgeformtheit semantischer Strukturen aufbaut. Wunderlich postuliert eine Dreiteilung der Lexikoneinträge: Diese enthalten eine semantische Form, eine Menge von Abstrakteren, durch die Variablen gebunden werden, sowie syntaktische Merkmale, die mit den Abstrakteren assoziiert werden. Die Abstrakteren repräsentieren in Wunderlichs Ansatz die thematischen Rollen des betreffenden Eintrags. Gemäß diesen Annahmen ergeben sich für die Verben hören, schlafen und werden die folgenden Einträge.89 (123) a. gehört: Xy[NP]Xx[NP]HÖR(x,y) b. geschlafen: Xx[NP]SCHLAF(x) c. werden: XP[V, +PART]3xP(x) Die semantische Form wird in (123a) und (123b) jeweils durch den in Versalien gesetzten Relationsnamen (HÖR, SCHLAF), sowie den assoziierten Argumenten (x, y) repräsentiert. Die Abstrakteren werden durch -Ausdrücke angegeben. Wie man in (123) sehen kann, besitzen diese Ausdrücken syntaktische Merkmale; in (123a) und (123b) müssen den Abstrakteren syntaktisch NPen entsprechen, in (123c) wird ein eigenschaftswertiges Partizip als Komplement verlangt. Als syntaktische Regeln läßt Wunderlich zumindest Funktionalapplikation und Funktionalkomposition zu.90 So kann etwa (123c) mit (123b) qua Funktionalapplikation kombinieren und
88
89
90
Tatsächlich sind die von Haider (l 991 a) gewählten Beispiele zwangsläufig inkohärent, da sie jeweils Verbindungen von Verben mit Adjektiven bzw. Nomina involvieren. (i) Daß getanzt wird ist schön, (ü) daß getanzt zu werden schön ist (üi) die Hoffnung, daß getanzt wird (iv) die Hoffnung, getanzt zu werden Vgl. Haider (1991a:125, Bsp. 8a-d). Wunderlich unterscheidet nicht zwischen partizipiaJen und supinischen Formen, d.h. beide besitzen eine einheitliche Repräsentation. Explizite Angaben hierzu finden sich in Wunderlich (1989) nicht.
145
ergibt dann (124a). Entsprechendes gilt für (123c) und (123a); hier erfolgt die Verbindung allerdings qua Komposition (124b). (124) a. geschlafen zu werden: 3xSCHLAF(x) b. gehört zu werden: Xy3xHÖR(x, y) Die Unzulässigkeit von (104a) ergibt sich für Wunderlich aufgrund des Lexikoneintrags für wünschen, bzw. allgemeiner, aufgrund der Lexikoneinträge für Kontrollverben. Die semantische Form von wünschen repräsentiert eine Relation zwischen einem Individuum und einer Proposition. Dem Abstrakter der propositionalen Rolle wird entsprechend die syntaktische Kategorie CP zugewiesen: (125) wünschen: Xp[CP]XaWÜNSCH(x, p) Wunderlich postuliert nun, daß bestimmte Verbklassen, die Propositionen einbetten, alternativ auch einen zu-Infinitiv regieren - also eine infinite Projektion, deren Kopf im 2. Status markiert ist. In diesem Fall wird die propositionale Rolle in eine eigenschaftwertige Rolle umgewandelt, die syntaktisch mit einem zu-Infinitiv korreliert. Durch diese Umwandlung einer Rolle wird auch obligatorische Kontrolle erzwungen, da die semantische Form eines Lexems durch eine solche Operation nicht verändert werden darf. Somit bleibt bei Aufrechterhaltung der Anzahl der Abstrakteren, d.h. der zur Verfügung stehenden Rollen, nur die Alternative, die externe Rolle von wünschen und die externe Rolle der Proposition, die wünschen in der semantischen Form selegiert, gleichzusetzen. Aufgrund dieser Überlegungen ergibt sich der alternative Lexikoneintrag in(126):9i (126) wünschen: XP[VP, zu]XxWÜNSCH(x, P(x)) Die Unzulässigkeit von (104a) kann nun durch einfache Inkompatibilität zwischen den Subkategorisierungseigenschaften von wünschen und dem passivierten schlafen abgeleitet werden, da geschlafen zu werden als VP in (124a) keine Eigenschaft, sondern eine Proposition denotiert und somit die semantische Selektion des Eintrags (126) und die syntaktische Selektion des Eintrags (125) verletzt. Anders ist dies beigehört zu werden. Diese VP denotiert eine Eigenschaft und kann daher problemlos mit wünschen kombiniert werden. Entsprechendes gilt auch für die Ableitung von (104b), da hier ein fmites Komplement (CP) vorliegt, dem semantisch eine Proposition entspricht. Wunderlichs Ansatz scheint also die Kontraste zwischen Kontroll- und Anhebungsverben einerseits und finiten sowie infiniten unpersönlichen Konstruktionen andererseits erklären zu können, ohne auf ein Mehrebenenmodell rekurrieren zu müssen. Dennoch ergeben sich für Wunderlichs Ansatz verschiedene Probleme, auf die bereits v. Stechow (1989) hingewiesen hat. Zunächst einmal ist unklar, warum es für Subjektkontrollverben wie wünschen nur die Assoziationen in (125) und (126) gibt, eine propositionale interne Rolle von wünschen also niemals mit einem zu-Infinitiv korrelieren kann. Eine solche Annahme würde den alternativen Lexikoneintrag (127) legitimieren, aus dem die Unzulässigkeit von (104a) nicht mehr abgeleitet werden könnte.
°'
Kontrolle wird somit in dieser Analyse explizit als .Schlupfloch' der semantischen Form bei variabler Subkategorisierung des internen Arguments, das entweder prepositional oder eigenschaftswertig sein kann, interpretiert.
146
(127) wünschen:
[
, zu]XxWÜNSCH(x, p)
V. Stechows berechtigte Kritik am Ansatz von Wunderlich ist so zu verstehen, daß zwar die alternativen Einträge (125) und (126) an sich plausibel sind, es jedoch keine prinzipiellen Annahmen in Wunderlichs Theorie gibt, die diese beiden Repräsentationen vorschreiben und Alternativen ausschließen. Darüber hinaus stößt Wunderlichs Theorie der Assoziation von Abstrakteren und syntaktischen Kategorien spätestens bei der Behandlung von Expletiva auf weitere Probleme. Wunderlich ist gezwungen, anzunehmen, daß bei Wetterverben wie regnen leer abstrahiert wird. Der Lexikoneintrag von regnen besitzt also die folgende Form. (128) regnen: Xx[es] REGNEN Das zentrale Problem der Analyse ist, daß Wunderlich keine Kriterien anzugeben vermag, aus denen abgeleitet werden kann, unter welchen Umständen leere Abstraktion zulässig oder sogar obligatorisch ist. Läßt man sie unrestringiert wirken, so besteht - wie v. Stechow (1989:335) bemerkt - die Möglichkeit, die propositionswertige Phrase geschlafen zu werden mittels leerer Abstraktion in eine eigenschaftswertige Phrase umzuwandeln, die die Subkategorisierungsbeschränkungen von wünschen erfüllen würde. Dies ist in (129) dargestellt, (129) Xx5ySCHLAF(y) Daß eine solche leere Abstraktion im Falle von geschlafen zu werden zumindest nicht kategorisch ausgeschlossen werden kann, zeigen Beispiele wie (130).92 (130) Es wird geschlafen. Zusammenfassend kann bemerkt werden, daß Wunderlichs Ansatz einer eindeutigen Assoziation sowohl in bezug auf die Abbindung des internen Subjekts (127), als auch bei der Behandlung von Expletiva kritisiert werden kann. Andererseits verzichtet Wunderlich gänzlich auf einen Bezug zur Theorie der Kohärenz. Er unterscheidet sich hierin insbesondere vom Ansatz Haiders (l 991 a), in dem - wie oben gezeigt die Zulässigkeit von Impersonaleinbettungen direkt aus den Kohärenzeigenschaften von V abgeleitet werden muß.
3.3.2.2 Impersonaleinbettungen, Subkategorisierung und Orientierung Die vorliegende Analyse trennt strikt zwischen syntaktischer Subkategorisierung und semantischer Selektion. Syntaktische Argumente besitzen zwar im allgemeinen assoziierte semantische Rollen, d.h. ihre Parameter sind in der semantischen Kontribution des Funktors verankert, aber dies ist nicht obligatorisch. So haben wir beispielsweise angenommen, daß der Nukleus des Verbs regnen keinerlei Rollen enthält, dieses Verb aber dennoch für ein expletives Subjekt subkategorisiert. Da Subkategorisierung und Selektion getrennt werden, besteht in unserem Ansatz keine Hierbei wird vorausgesetzt, daß die Verbindung des Vorfeld-Füllers mit dem Restsatz durch Kornplementation erfolgt. Eine solche Analyse ist aber keineswegs selbstverständlich; man könnte etwa auch annehmen, daß das positionale Vorfeld-es synkategorematisch eingeführt wird, d.h. keinen Reflex auf der SUBCAT-Liste hinterläßt. So könnte erklärt werden, warum das positionale Vorfeld-es tatsächlich nur im Vorfeld auftaucht, wie die Unzulässigkeit von (i) zeigt: (i) 'Dauernd wird es geschlafen.
147
Möglichkeit, durch die eventuelle Hinzufiigung eines Arguments den semantischen Typ des betreffenden Zeichens zu ändern. Da eine solche Änderung des semantischen Typs in unserem Ansatz nicht möglich ist, besteht auch keinerlei Notwendigkeit, die Kontrolltheorie zu involvieren, um die Zulässigkeit bestimmter abgeleiteter semantischer Typen zu garantieren. Die von uns im folgenden formulierte Lösung des Impersonalproblems kann also durch solche Kritikpunkte nicht attackiert werden. Wir gehen vielmehr davon aus, daß die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit von Impersonaleinbettungen gänzlich durch die Orientierungseigenschaften der involvierten Verben abgeleitet werden kann. Betrachten wir hierzu die Repräsentation des Partizips geschlafen in (131). (131) geschlafen CAT SYN|LOC
HEAD[SUBJ(NP:[T])] SUBCAT()
CONTjNUCschlafciJARG [T]
Wird die universelle Passivregel (94) auf (131) angewandt, ergibt sich der Eintrag (132). Das SUBJ-Attribut ist hier leer, da die Subject Condition (86) keine Füllung des Attributs verlangt, wenn kein strukturell markiertes Element in der SUBCAT-Liste vorliegt. (132) geschlafen CAT SYN|LOC
HEAD[SUBJ{ )] SUBCAT{)
CONT|NUC schlafeiJARG
Bei der Passivierung des Partizips gehört muß das verbleibende Element der SUBCAT-Liste in die SUBJ-Liste angehoben werden, da es die Anforderungen des SUBJ-Attributs an seine Elemente erfüllt - es besitzt eine strukturelle Kasusmarkierung. Das Ergebnis der Anwendung der Passivierung und der Subject Condition ist in (133) dargestellt. (133) gehört HEAD[sUBj{Nt{str]:
CAT SYN|LOC
SUBCAT() ARG1 (T|
CONTJNUC hören ARG2
Aus der in Abs. 3.3.1 entwickelten Theorie der Passivierung folgt, daß transitive und ditransitive Verben, die ein strukturell markiertes nominales Objekt besitzen, nach Passivierung ein gefülltes SUBJ-Attribut besitzen, während intransitive Verben sowie transitive und ditransitive Verben ohne strukturell markiertes nominales Komplement nach Passivierung kein gefülltes SUBJ-Attribut aufweisen. Wird nun die Orientierung des Verbs scheinen berücksichtigt, so kann man feststellen, daß sowohl eine leere SUBJ-Liste, als auch ein gefülltes SUBJ-Attribut mit den Anforde-
148
rungen dieses Verbs verträglich ist. Es kann daher nicht verwundern, daß (134a) und (134b) grammatische Sätze des Deutschen sind. (134) a. Hier scheint geschlafen zu werden. b. Hier scheint ein Lied gehört zu werden. Der Lexikoneintrag einer finiten Form des Verbs scheinen ist in (135) (= 12) nochmals repräsentiert, wobei allerdings erneut die Kohärenzeigenschaften dieses Verbums ignoriert werden. (135) scheint
HEAD
VFORMfin INFLsvk((T))
CAT
SUBCAT Q]
{ VJSUBJ [jj J:|_2
SYNSEl^LOCAL CONT|NUCLEUSscheinei{siT.ARG|NUC [T|]
Dem gegenüber stehen die Orientierungseigenschaften der Kontrollverben. Kontrollverben wurden in Abs. 3.1 als Verben beschrieben, die eine Verbalprojektion subkategorisieren, die ein Element enthält, dessen Parameter gemäß der Kontrolltheorie mit einem Parameter von V unifiziert wird. Für das Verb wünschen ergibt sich bei infiniter Komplementation der Lexikoneintrag in (136). (136) wünschen HEAD [SUBJ{ NP: l CAT
SUBJ{NP|T]) SUBCAT 2
( V SUBCAT[7]
SYN|LOC
ARG1 [T] CONTJNUC wünschen SIT-ARG|NUC [7]
Aus diesem Eintrag kann die Unzulässigkeit des Beispiels (104a) sofort abgeleitet werden, fa geschlafen zu werden eine Projektion ist, deren SUBJ-Attribut die leere Liste ist. Das Verb wünschen subkategorisiert aber für eine Verbalprojektion mit gefüllter SUBJ-Liste. Eine solche liegt nach Passivierung - wie oben bereits erklärt wurde - nur dann vor, wenn das betreffende Verb ein strukturell markiertes Objekt besitzt. Dies ist bei schlafen jedoch nicht der Fall. Da die Subkategorisierungsforderungen von wünschen nicht erfüllt werden können, folgt aus der bislang vorgestellten Theorie, daß (104a) ungrammatisch sein muß. Warum ist nun aber (104b) grammatisch? Es ist ohne Frage berechtigt, anzunehmen, daß wünschen alternativ eine infinite verbale Projektion oder einen finiten Satz subkategorisiert. Dieses Faktum kann durch einen disjunktiven Lexikoneintrag repräsentiert werden, der in (137) dargestellt ist.
149
(137) wünschen HEAD [SUBJ(NP:|T|)J CAT
SUBCAT 2 ®( V
\
SYNJLOC
SUBJ(NP:[T]}
3 v
SUBCAT [T|
SUBCAT()J VFORMfin
ARG1 [jj
CONT|NUC wünscher SIT-ARG|NUC [Jl
Ein SUBJ-Attribut liegt bei finiten Verbalprojektionen nicht vor. Ein Regent kann in diesem Fall auch den Wert dieses Attributs nicht beschränken. Ob also wünschen bei finiter {Complementation eine unpersönliche Verbalphrase einbetten kann, hängt nicht von den Forderungen dieses Lexems (bzw. der Lexemklasse) ab, sondern von den Prinzipien der Grammatik. Da das Deutsche unpersönliche Konstruktionen zuläßt, können diese auch als finite Komplemente auftreten. Die Ungrammatikalität von (104a) wird - wie v. Stechow richtig bemerkt - in Wunderlichs Ansatz davon abhängig gemacht wird, daß keine Subkategorisierungsvariante von wünschen vorliegt, in der eine propositionale Rolle durch einen Infinitiv syntaktisch realisiert werden darf. Diese Kritik trifft unseren Ansatz allerdings nicht. Unabhängig von der syntaktischen Subkategorisierung selegiert wünschen immer das Gegenstück eines propositions wertigen Arguments einen Umstand (Infon). Somit entsprechen hier zwei verschiedene Subkategorisierungsoptionen derselben semantischen Selektion. Daß ein bestimmtes Lexem (oder eine Lexemklasse) alternativ einen finiten Satz oder eine infinite Verbalphrase subkategorisiert, ist mit wenig Stipulation verbunden. Wichtiger ist jedoch, daß die hier vorgestellte Theorie überhaupt keinen Anlaß zu einer solchen Überlegung gibt, denn es ist wenig sinnvoll zu fragen, warum ein Lexem nicht auch einen infiniten Satz, d.h. eine in bezug auf die Subkategorisierung saturierte und mit leeren SUBJ-Attribut ausgestattete, nicht-finite Verbalprojektion, subkategorisiert. Hierzu müßten wir annehmen, daß es ein Lexem gäbe, auf dessen SUBCAT-Liste ein Argument der in (138) dargestellten Form zu finden sei, also eine infinite Projektion, deren SUBJ-Attribut leer ist. (138) Erzwungener leerer SUBJ-Wert: SYN|LOC|CAT|SUBCAT ( SYN|LOC|CAT
HEAD[SUBJ{ SUBCAT < >
Ich möchte an dieser Stelle nochmals an die Invarianz des SUBJ-Attributs erinnern. Nach unseren Annahmen bestehen nur zwei Möglichkeiten, den Wert dieses Attributs zu verändern: Entweder durch Passivierung in Einklang mit der Subject Condition oder durch die Anwendung der lexikalischen Regel für Finitheit. Infinite Phrasen mit leerem SUBJ-Attribut sind also - bis auf die kleine Klasse der nicht-alternierenden psychologischen Prädikate - immer das Ergebnis der Passivierungsregel. Es wäre nun wenig plausibel, zu verlangen, daß ein bestimmtes Lexem ein anderes Zeichen subkategorisiert und hierbei zusätzlich verlangt, daß dieses Zeichen einen bestimmten grammatischen Prozeß - hier: die Passivierung - durchlaufen hat. Dies wird umso seltsamer, als dieses bestimmte Lexem darüber hinaus verlangen müßte, daß sein Komplement kein strukturell markiertes Objekt besäße, denn sonst würde ja wieder ein gefülltes SUBJ-Attribut vorliegen.
150
Diese Operation wäre in unserer Theorie die einzige Möglichkeit, die Subkategorisierung eines infiniten Satzes im o.g. Sinne zu erzwingen. Das letzte Argument gegen den Ansatz von Wunderlich betraf die Subkategorisierung von Expletiva, die in Wunderlichs Ansatz zur Einführung leerer Abstraktion führte. Erneut kann festgestellt werden, daß ein entsprechendes Problem hier nicht auftritt, da Expletiva syntaktisch subkategorisiert werden können, ohne daß ein semantischer Träger (ein Abstrakter oder ähnliches) benötigt wird. Dies wurde bereits in (12) dargestellt und muß hier nicht wiederholt werden. Es sei desweiteren daraufhingewiesen, daß unsere Analyse mit Wunderlichs Analyse übereinstimmt, wenn es um die Frage der Kohärenz von Impersonaleinbettungen geht: Ob eine Impersonaleinbettung zulässig ist, hängt nicht von einer möglichen Kohärenz zwischen V und V" ab, sondern betrifft einzig die Struktur des SUBJ-Attributs. Wir haben den Ansatz von Haider (l991 a) in dieser Hinsicht kritisiert, da Haider davon ausgehen muß, daß unzulässige Impersonaleinbettungen mit inkohärenten Strukturen korrelieren. Neben den bereits skizzierten Problemen entsteht für den Ansatz von Haider hier ein weiteres Problem, wenn man obligatorisch kohärent konstruierende Verben betrachtet, so etwa die Modalverben wollen und dürfen. Bei diesen kann nämlich exakt der gleiche Kontrast beobachtet werden, der beim optional kohärenten wünschen und dem obligatorisch kohärenten scheinen vorliegt: Während wollen unpersönliche Einbettungen verbietet, erlaubt dürfen sie. (139) a. b. (140) a. b.
Peter wollte hier arbeiten. *Hier wollte gearbeitet werden. Peter durfte hier arbeiten. Hier durfte gearbeitet werden.
Wie in Kap. l bereits gezeigt wurde, konstruieren die Modalverben obligatorisch kohärent. Die Unzulässigkeit von (139b) wird also von Haiders Ansatz nicht vorhergesagt. Geht man aber davon aus, daß der relevante Kontrast hier nicht Kohärenz/Inkohärenz, sondern vielmehr die Art der Orientierung ist, folgt der Kontrast zwischen (139) und (140), wenn man annimmt, daß woüen ein Kontrollverb - also ein Verb mit Parameter-Orientierung - ist, dürfen hingegen als Anhebungsverb zu beschreiben ist.93
3.3.2.3 Paraphrasebeziehungen bei Anhebungsverben Das letzte Unterscheidungskriterium zwischen Kontroll- und Anhebungsverben betrifft die mögliche Paraphrasenbildung bei Passivierung von V". Aus den bisher angestellten Überlegungen kann leicht abgeleitet werden, daß ein Kontrollverb mit passiviertem Komplement nicht als Paraphrase des gleichen Satzes mit aktivem Komplement interpretiert werden kann, weil ein Kontrollverb einen Parameter für sein Subjekt einführt, d.h. das Subjekt eines Kontrollverbs mit einer Rolle im semantischen Nukleus dieses Kontrollverbs assoziiert wird. Dies wurde bereits in Abs. 3.1 Beispiel (9a) dargestellt und wird hier - erneut am Beispiel versprechen - in (141) verdeutlicht.
"
Die Trennung zwischen obligatorisch kohärent konstruierenden Kontroll- und Anhebungsverben wird in Abs. 4. l detailliert ausgeführt.
151
(141)
versprechen HEAD|SUBJ { NP:(T|)
CAT SUBCAT 2 ©( V SUBCAT SYN|LOC ARG1[T] CONT|NUCvereprcchfr SIT-ARG|NUC [71
Der Parameter der Subjekts wird - den syntaktischen Orientierungsforderungen sowie der semantischen Theorie der Kontrolle folgend - mit dem Parameter des Subjekts von V" identifiziert. Der Parameter von V" kann nun - der Passivierungstheorie folgend - entweder der Parameter des .aktiven' Subjekts oder der Parameter des .aktiven' Objekts sein, das qua Subject Condition in das SUBJ-Attribut angehoben wurde. Im aktiven Fall erbt das Subjekt von V" die Beschränkungen des Subjekts von V; bei Passivierung hingegen erbt das Objekt von V" diese Beschränkungen. Hieraus folgt, daß Kontrollverben mit aktivem Komplement keine Paraphrasen des Kontrollverbs mit passivem Komplement sein können, da V jeweils unterschiedlichen Elementen die Rolle des externen Arguments zuweist. Dies wird anhand der Repräsentationen in (142) deutlich. (142) a. Ulrich versucht, Martin zu schlagen.
Ulrich
1 [Versprechen^•ARG|NUC g]
versucht Martin
152
b. Martin versucht, von Ulrich geschlagen zu werden. S:[7|
ARG1 UJ
SIX-ARG|NUC [T] versucht
zu werden geschlagen
Im Gegensatz zu (142) liegt bei (143a) und (I43b) eine Paraphrasenbeziehung vor. (143) a. Ulrich scheint Horst zu schlagen. b. Horst scheint von Ulrich geschlagen zu werden. Dies folgt erneut aus der semantischen Repräsentation des Anhebungsverbs scheinen sowie der Beziehung der Subkategorisierung zur semantischen Selektion. Anhebungsverben stellen keinen Parameter für ihr Subjekt zur Verfügung. Daher verändern sich bei eingebetteter Passivierung die Beschränkungen für die einzelnen Parameter nicht: Es ist nicht von Bedeutung, welches Argument von V" im SUBJ-Attribut erscheint, da dieses Attribut in seiner Gesamtheit mit dem SUBJ-Attribut des Anhebungsverbs identifiziert wird.94
94
Diese Analyse der Unterscheidung von Anhebungs- und Kontrollverben entspricht in ihren Grundzügen der innerhalb der LFG vorgelegten Analyse von Bresnan (1982b). Hier wird der Kontrast allerdings nicht auf die Beziehung zwischen syntaktischer Subkategorisierung und semantischer Selektion zurückgeführt, sondern aus der Tatsache abgeleitet, daß zwar sowohl Anhebungs- als auch Kontrollverben ein SUBJ-Attribut besitzen, dieses Attribut jedoch nur bei Kontrollverben thematisch ist und entsprechend der Completeness-Bedingung auch nur dann in der F-Struktur eines Satzes erscheinen muß. Die F-Struktur erfahrt eine anschließende Übersetzung in eine Zwischenebene, die modelltheoretisch interpretiert wird (vgl. Halvorsen 1983). Da auf der FStruktur bereits kein Subjekt des Anhebungsverbs mehr auftaucht, ist klar, daß die Interpretation eines Satzes mit Anhebungskomplement nur von diesem Verb und der thematischen Struktur seines Komplements abhängt. Da sich diese bei Passivierung nicht ändert, wird der Kontrast zwischen Kontroll- und Anhebungsverben korrekt vorhergesagt.
153
3.3.3
Zusammenfassung - Subjektfähigkeit formalisiert
Der Begriff der Subjektfahigkeit konnte in den letzten Abschnitten präzisiert und in eine Theorie der Orientierung integriert werden. Subjektfähigkeit eines Verbs mit infiniter Komplementation lag gemäß den Überlegungen des ersten Kapitels dann vor, wenn a) keine expletiven Subjekte zugelassen werden, b) keine unpersönlichen Konstruktionen eingebettet werden können und c) keine Paraphrasebeziehung bei eingebetteter Passivierung zwischen dem Aktiv- und dem Passivsatz vorliegt. Diese drei Eigenschaften konnten auf eine einheitliche Beschränkung, die Orientierungsart des Prädikats, zurückgeführt werden. Subjektfa'hige Verben, also Kontrollverben, besitzen demgemäß nicht nur ein gefülltes SUBJ-Attribut, sondern subkategorisieren darüber hinaus verbale Projektionen, die wiederum ein gefülltes SUBJ-Attribut besitzen müssen. Hierbei werden die Parameter der jeweiligen Subjekt-NPen unifiziert. Anhebungsverben subkategorisieren zwar auch für eine verbale Projektion mit SUBJ-Attribut, verlangen jedoch keine spezielle Füllung dieses Attributs. Da es sogar leer sein kann, erlauben Anhebungsverben die Einbettung unpersönlicher Konstruktionen. Die Paraphrasebeziehung bei eingebetteter Passivierung folgt aus der Tatsache, daß das Subjekt eines Anhebungsverbs niemals in thematischer Beziehung zu diesem Verb steht. Entsprechend gilt die bereits von Dowry (1985) formulierte Beschränkung, daß die semantische Interpretation eines Satzes mit Anhebungsverb nur von diesem Verb und seinem Komplement, nicht jedoch vom Subjekt des Anhebungsverbs abhängt.
3.4
Zur Interaktion von Orientierung und Anziehung
Die Überlegungen der letzten Abschnitte zeigen, daß die Subjektfähigkeit eines Prädikats unabhängig von den Kohärenzeigenscharten bzw. anderen syntaktischen Beschränkungen ist. Subjektfähigkeit ist vielmehr eine Eigenschaft, die über das SUBJ-Attribut von V und das Verhältnis dieses Attributs zum SUBJ-Attribut von V" definiert ist und folglich keine direkte Beziehung zum SUBCAT-Attribut eines Prädikats etabliert. Eine Beziehung zwischen den SUBCAT-Attributen wird auf der anderen Seite durch die Argumentanziehung erzeugt, die wir in diesem Kapitel vorgestellt haben. Falls ein Verb die Argumente seines Komplements anziehen kann, aber nicht muß, liegt optionale Kohärenz vor, die durch das Schema in (144) repräsentiert werden kann. (144) Schematische Darstellung optionaler Kohärenz: / JsUBj(NP:[T]> SYN|LOC|CAT|SUBCATm®( V r-1 \ SUBCAT \2\ \ L Bei optionaler Kohärenz, also bei freier Argumentanziehung, wird nicht verlangt, daß die SUBCAT-Liste von V" eine bestimmte Form besitzt. So kann erfaßt werden, daß optional kohärent konstruierende Verben auch inkohärente Konstruktionen zulassen. Hierzu ist kein weiterer Lexikoneintrag oder eine disjunktive Formulierung des Lexikoneintrags kohärenter Verben notwendig: Da nur verlangt wird, daß die SUBCAT-Liste von V aus der Konkatenation dieser Liste mit
154
der SUBCAT-Listc von V" entspringt, besteht auch die Möglichkeit, daß die letztere Liste leer ist. Durch dieses Schema werden obligatorisch kohärent konstruierende Verben, also Verben, die weder Extraposition noch Satzumstellung des Komplements zulassen, nicht erfaßt. Die Kohärenzeigenschaften dieser Verben bilden den Gegenstand des nächsten Kapitels und sollen uns daher hier nicht beschäftigen. Abschließend wollen wir eine Typologie von Argumentanziehung und Orientierung entwickeln und insbesondere erhellen, welche Arten der Interaktion dieser Modi infiniter Komplementation zulässig sind. Wir können festhalten, daß vier Möglichkeiten einer Kombination von Subjektanhebung und Argumentanziehung bestehen, die in (145) zusammengefaßt sind. (145) Mögliche Kombinationen von Subjektorientierung und Argumentanhebung: a) Subjektanhebung und Argumentanziehung b) Subjektanhebung ohne Argumentanziehung. c) Argumentanziehung ohne Subjektanhebung. d) Keinerlei Anhebung. Die Option (I45a) beschreibt kohärent konstruierende Subjektanhebungsverben wie scheinen oder drohen. Die Option (I45c) beschreibt kohärent konstruierende Subjektkontrollverben wie versprechen oder versuchen. (145d) beschreibt entsprechend obligatorisch inkohärent konstruierende Verben, wie etwa bedauern oder zugeben. Wie (I45b) zeigt, sagt unser Modell das Auftreten von Verben voraus, in denen zwar Subjektanhebung vorliegt, jedoch nicht kohärent konstruiert werden muß. Tatsächlich findet man im Deutschen die sog. Phasenverben anfangen, beginnen oder aufhören, die augenscheinlich inkohärent konstruieren, wie anhand der Daten in (146) verdeutlicht werden kann, aber dennoch als Subjektanhebungsverben beschrieben werden müssen, da sie beispielsweise expletive Subjekte zulassen. (146) a. Es hat angefangen mit ihm zuende zu gehen, b. Es hat begonnen, hier Ratten zu geben. Im Rahmen der Rektions- und Bindungstheorie sind die Beispiele in (146) nicht erklärbar, wenn man - wie etwa v. Stechow/Sternefeld (1988) - annimmt, daß Extraposition eines infiniten Komplements nur dann möglich ist, wenn es sich bei diesem Komplement um eine CP handelt. Aus theorieinternen Gründen muß nämlich angenommen werden, daß das Komplement eines Anhebungsverbs keine CP ist, da CPen als unverletzbare Barrieren betrachtet werden (Chomsky 1986b). Dies können wir wie folgt erläutern: Würde das Subjekt des Komplements in (146a) über eine CP hinweg angehoben werden, ergäben sich die Strukturen in (147).
155
(147) a.
b.
NP tj
zu tagen
In (I47a) wird das Subjekt direkt in die SpecIP-Position des Matrixverbs bewegt. Die Komplement-CP müßte dann als einfache Barriere für die Antezedens-Rektion zwischen dem angehobenen Subjekt und seiner Spur interpretiert werden. Gemäß dieser Hypothese wird das Beispiel (I46a) fälschlich als ungrammatisch klassifiziert. In (147b) wird das Subjekt zuerst in die SpecCP-Position der Komplement-CP und von dort in die SpecIP-Position des Matrixsatzes bewegt. Eine solche Bewegung muß erneut als unzulässig zurückgewiesen werden, da so eine Struktur entsteht, in der ein Ausdruck in A'-Position (die Zwischenspur in SpecCP) durch einen Antezedens in -Position (das angehobene Subjekt) ge-
156
Bunden wird. Diese Analyse führt also ebenfalls zu dem inkorrekten Schluß, daß (I46a) ungrammatisch ist. Ganz ähnliche Beobachtungen aus dem Spanischen finden sich bereits in Aissen/Perlmutter (1983). Die Autoren beobachten, daß Kohärenzphänomene im Spanischen nicht mit der Unterscheidung von Kontrolle und Anhebung, d.h. mit Subjektfähigkeit, korreliert werden können. So zeigen die Beispiele in (148), daß sich die Anhebungsverben sueler (neigen) und paracer (scheinen) darin unterscheiden, ob sie Clitic Climbing, d.h. Voranstellung eines zu V" gehörenden klitischen Pronomens zulassen. (148) a. Luis suele comer las manzanas amarillas. Luis neigt dazu, gelbe Äpfel zu essen. b. Luis parece haber comido las manzanas amarillas. Luis scheint gelbe Äpfel gegessen zu haben. c. Luis las suele comer. Luis neigt dazu, siecj zu essen. d. *Luis las parace haber comido. Luis scheint sieci gegessen zu haben. Die Kontrollverben in (149) zeigen das gleiche Phänomen; erneut ist Voranstellung eines zu V" gehörenden klitischen Pronomens nur bei einigen Kontrollverben zulässig.95 (149) a. Luis trato de comer las manzanas amarillas. Luis versucht die gelben Äpfel zu essen. b. Luis insistio en comer las manzanas amarillas. Luis besteht darauf, die gelben Äpfel zu essen. c. Luis las trato de comer. Luis versucht sieci zu essen. d. *Luis besteht darauf, siej zu essen. Wir können somit abschließend festhalten, daß im Deutschen ebenso wie in anderen Sprachen kein intrinsischer Zusammenhang zwischen Subjektanhebung und Kohärenz besteht und jede Theorie, die einen solchen Zusammenhang postuliert, an Daten wie (146) sowie (148) und (149) scheitern muß. Für unsere Theorie der Orientierung und Anhebung entstehen durch die Behandlung von (136) nicht nur keine Probleme: Die Existenz dieser Daten wird vielmehr vorhergesagt und fügt sich in das Schema der infiniten Komplementation ein.
3.5
Ergebnisse dieses Kapitels
Wir haben in diesem Kapitel zwei zentrale Aspekte der infiniten Komplementation behandelt: Zum einen die Subjcktiahigkeit, die wir durch verschiedene Orientierungsbeschränkungen beschrieben haben; zum anderen die Möglichkeit der optionalen Kohärenz, also das syntaktische Interessant zu beobachten sind hierbei auch die unterschiedlichen Verbstatus, die darauf hinweisen, daß auch zwischen Kohärenz und Statusrektion keine Korrelation formuliert werden soll. Vgl. hierzu auch Kiss (im Erscheinen).
157
Verhalten derjenigen Verben, die kohärente und inkohärente Konstruktionsmodi zulassen. Hierbei ist es, wie im letzten Abschnitt beschrieben wurde, keineswegs notwendig, disjunktive Lexikoneinträge zu definieren. Vielmehr ermöglicht es die Beschreibung der Kohärenz als Argumentanziehung, die wir von Hinrichs/Nakazawa (1990) übernommen, allerdings in einigen wesentlichen Punkten modifiziert und erweitert haben, daß Inkohärenz als Grenze der Kohärenz beschrieben werden kann. Dies bedeutet, daß Inkohärenz genau dann vorliegt, wenn kein Argument von V" an die SUBCAT-Liste von V vererbt wird. Die Eigenschaften inkohärenter Konstruktionen - Extraposition und Satzumstellung - folgen aus dem Faktum, daß diese Konstruktionen Saturation voraussetzen.96 Ein weiteres wesentliches Ergebnis betrifft die Trennung von Orientierung und Argumentanziehung. Diese beiden grammatischen Eigenschaften können unabhängig voneinander operieren und erlauben so die Ableitung der Kontraste zwischen Anhebungs- und Kontrollverben ebenso wie eine Beschreibung von inkohärent konstruierenden Verben, die das Subjekt ihres Komplements anheben. So konnte gezeigt werden, daß der Begriff der Satzwertigkeit, der bereits im ersten Kapitel eingehend kritisiert wurde, in einer formalen Grammatik nicht benötigt wird und daher in unserem Modell keine Entsprechung hat. Gegenüber den älteren Ansätzen, die in diesem Kapitel diskutiert wurden, besitzt die vorliegende Theorie die folgenden Vorteile: • Die vorgeschlagene Analyse benötigt zur Repräsentation kohärenter und inkohärenter Konstruktionen weder derivationell verknüpfte Ebenen noch abstrakte syntaktische Projektionen, die aufgrund unklarer Bedingungen eliminiert werden müßten. Dies gilt insbesondere auch für die Beschreibung der Anhebung, die nicht als Transformation, sondern als obligatorische Strukturteilung verstanden wird. Sie entspricht in ihrer Repräsentation der Kontrolle und erlaubt so eine einheitliche Beschreibung der Orientierung, in der die Unterschiede auf die verschiedenen Identifikationsmodi zurückgeführt werden. • Eine Unterscheidung von kohärenten und inkohärenten Konstruktionen muß nicht getroffen werden. Inkohärente Realisation ist vielmehr eine Option kohärenter Konstruktionen. In diesem Fall wird kein Argument von V" angezogen. Infolge dessen realisiert V" alle Argumente in seiner lokalen Domäne und erfüllt so die erforderlichen Voraussetzungen für Extraposition und Satzumstellung. Kohärente und inkohärente Konstruktionen unterscheiden sich somit in der Anzahl der lokal realisierten Argumente - abgesehen davon sind inkohärente und kohärente Verbalprojektionen Komplemente von V. • Die besonderen Eigenschaften der Anhebungsverben, insbesondere die Möglichkeit der Einbettung expletiver Prädikate und unpersönlicher Konstruktionen, konnten in Interaktion mit der Theorie der Passivierung auf die Orientierungseigenschaften der involvierten Verben zurückgeführt werden. Dies ist eine Gemeinsamkeit dieser beiden Phänomene. Aus dieser Gemeinsamkeit darf jedoch nicht geschlossen werden, daß Relarivsatzumstellung und Extraposition in denselben Kontexten angewandt werden können. Dies ist nicht der Fall. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden wir keine Theorie der Relativsatzumstellung vorstellen können, wir wollen daher abschließend nur einen Kontext diskutieren, in dem Extraposition eines inkohärenten F", nicht jedoch Relativsatzumstellung zulässig ist: So ist Relativsatzumstellung ausgeschlossen, wenn das Matrixverb ein sog. Brückenverb (vgl. Grewendorf 1988) ist (i). Wie (ii) zeigt, ist Extraposition hier zulässig. Ich danke J. Jacobs für diesen Hinweis, (i) *Das ist das Buch, das lesen zu müssen ich glaube, (ii) Ich habe geglaubt, dieses Buch lesen zu müssen.
158
• Schließlich erlaubt die hier vorgestellte modulare Analyse infiniter Komplemente die Behandlung von Anhebungsverben, die nicht kohärent konstruieren. Die vorliegende Analyse ist somit den anderen, hier kritisierten Ansätzen auch empirisch überlegen. Dennoch bestehen verschiedene offene Fragen, die bislang noch nicht geklärt werden konnten: So haben wir nur einen Modus der Kohärenz, optionale Kohärenz, beschreiben können. Eine Analyse der Kohärenzeigenschaften der Anhebungsverben scheinen, werden, wollen und dürfen liegt noch nicht vor. Diesen Fragestellungen werden wir uns im vierten Kapitel zuwenden, dessen Gegenstand die Syntax der Modalverben ist.
4.
Obligatorische Kohärenz
4.0
Einleitung
Inkohärenz wurde im letzten Kapitel durch leere Argumentanziehung beschrieben: Die leere Applikation der Argumentanziehung zieht die Saturation des infiniten Komplements nach sich und so erfüllen die resultierenden Syntagmen eine notwendige Voraussetzung fur die Extraposition oder Relativsatzumstellung des Komplements. Diese Analyse optional kohärent konstruierender Verben legt es nahe, die obligatorisch kohärent konstruierenden Verben, also die den 1. bzw. 3. Status regierenden Modal- und Hilfsverben sowie die den 2. Status regierenden Halbmodalverben so zu beschreiben, daß die leere Anwendung der Argumentanziehung blockiert wird. Diese Annahme ist jedoch in mehrfacher Hinsicht problematisch: So ist man beispielsweise gezwungen, eine notwendige Bedingung als hinreichende Bedingung zu interpretieren. Bezweifelt man darüber hinaus, daß das Komplement eines Modalverbs zusammen mit seinen Argumenten eine Konstituente bilden kann, muß man erklären, warum diese vorgeblichen Nicht-Konstituenten topikalisiert und koordiniert werden können. Wir werden im vorliegenden Kapitel dennoch für diese Annahme votieren und sind somit gezwungen zu zeigen, daß die Struktur einer Vorfeldkonstituente keine zwingenden Rückschlüsse auf die Struktur des Mittelfelds gestattet. Unsere Theorie der obligatorischen Kohärenz wird in Abs. 4.2 vorgestellt und gegen die hier skizzierten Argumente verteidigt. Eine weitere zentrale Fragestellung betrifft die Orientierung der obligatorisch kohärent konstruierenden Verben. Betrachtet man zunächst nur die Modalverben, so stehen zwei Alternativen zur Auswahl: Alle Modalverben könnten eine einheitliche Analyse erfahren, d.h. einheitlich als subjektfähig oder nicht-subjektfähig beschrieben werden. Eine solche einheitliche Analyse ist allerdings keineswegs eine Notwendigkeit. Andererseits könnten die Modalverben auch teils als subjektfähig, sowie teils als nicht-subjektfähig klassifiziert werden. Wir werden für die zweite Alternative argumentieren. Darüber hinaus werden wir verdeutlichen, daß die Unterscheidung zwischen objektiver und epistemischer Modalität nicht mit einer Unterscheidung in der Subjektfähigkeit der Modalverben korrespondiert. Diese Untersuchungen bauen auf den Analysen von öhlschläger (1989) auf, ohne allerdings dessen theoretische Schlußfolgerungen zu übernehmen. Die Orientierung der Modalverben ist Gegenstand des Abschnitts 4.1. Die in den Abschnitten 4.1 und 4.2 vorgelegten Analysen haben weitreichende Konsequenzen für die Theorie der Operatoren in HPSG. Auf der Grundlage der in Kap. 2 vorgestellten Theorie der Quantifikation besteht nicht die Möglichkeit, enge Bezüge des Subjekts bei epistemischen Modalverben abzuleiten. Darüber hinaus scheint die vorliegende Theorie der obligatorischen Kohärenz falschlich vorherzusagen, daß auch Objektquantoren und Adverbien niemals enge Bezüge in bezug auf ein Modalverb besitzen können. In Abs. 4.3 werden wir die entstehenden Probleme für die Theorie der Quantifikation und der Modifikation vorstellen und eine alternative Behandlung sog. Operatoren vorschlagen, die eine Ableitung enger Bezüge gestattet.
160
4.1
Orientierungseigenschaften der Modalverben
Wir haben im dritten Kapitel festgestellt, daß alle obligatorisch kohärent konstruierenden Verben, die den 2. Status regieren, nicht subjektfähig sind. Dies kann durch die schematische Darstellung in (1) repräsentiert werden. (1)
Subjektfähigkeit bei Anhebungsverben:
SYN|LOC|CAT
HEAD|SUBJ 17] , f SUBCAT ( \JSUBJ
Bislang nicht diskutiert wurden die Orientierungseigenschaften der obligatorisch kohärent konstruierenden Verben, die nicht den 2. Status regieren. Diese Gruppe zerfällt in drei weitere Klassen: Die erste Klasse bilden die Modalverben, die den 1. Status regieren. Zu den Modalverben werden wenigstens die Verben in (2) gezählt:1 (2)
wollen, können, sollen, müssen, dürfen, möchten, mögen
Die zweite Gruppe bilden die sogenannten Hilfsverben, im Deutschen also sein, haben und werden. Die Hilfeverben regieren den 3. Status.2 Die dritte Gruppe schließlich wird durch die Verba sentiendi, sowie das Verb lassen gebildet. Diese Gruppe unterscheidet sich von den ersten beiden Gruppen darin, daß bei letzteren Objektorientierung vorliegt. Wir werden diese Gruppe hier ausklammern und in Kap. 5 einige Ansätze und Probleme einer Analyse vorstellen. Konzentrieren werden wir uns vorläufig auf die Orientierungseigenschaften der ersten Gruppe, also der Modalverben. Abschnitt 4.1.3 wird zeigen, daß die Hilfsverben in bezug auf ihre Orientierung kein besonderes Problem darstellen: Daß sie nicht subjektfähig sind, folgt aus der Tatsache, daß sie keine semantische Kontribution besitzen.
4.1.1
Zur Subjektfähigkeit der Modalverben
Wenn die Modalverben einheitliche Orientierungseigenschaften besitzen würden, so sollte für alle Modalverben zumindest einer der in Kap. l entwickelten Tests zur Unterscheidung von Kontroll- und Anhebungsverben einheitlich ausfallen. Ohne weitere Überprüfung kann festgestellt werden, daß eine einheidiche Kontrollverbanalyse nicht möglich ist, da zumindest die in (3) aufgeführten Modalverben Impersonaleinbettungen zulassen und somit nicht als Kontrollverben in Frage kommen.
Einige Autoren (vgl. etwa Eisenberg (1989)) rechnen noch weitere Verben zu dieser Gruppe. So zählt für Eisenberg (1989:99) möchten nicht zu den eigentlichen Modalverben, da zumindest eine morphologische Übereinstimmung zwischen möchten und mögen besteht. Zum erweiterten Kreis der Modalverben zählt Eisenberg (1989) noch (nicht) brauchen sowie lassen und werden, Die Verben sein und haben regieren alternativ in modalen Infinitiven den 2. Status. Mit diesem Phänomen wollen wir uns im folgenden nicht beschäftigen. Vgl. aber Haider (1984), Maier (1987).
161
(3)
a. b. c. d.
Hier kann getanzt werden. Hier darf getanzt werden. Hier muß doch nicht getanzt werden! Hier soll getanzt worden sein?
Falls alle Modalverben einheitliche Orientierungseigenschaften besitzen, kann dies folglich nur bedeuten, daß die Modalverben als Anhebungsverben beschrieben werden müssen. Tatsächlich liegen verschiedene Ansätze vor, in denen diese Überlegung weiterentwickelt wird. Im Ansatz von v. Stechow/Sternefeld (1988) wird beispielsweise festgestellt, daß alle Modalverben zumindest in einer Anhebungsvariante existieren können. Neben den in (3) aufgeführten Verben zeigen v. Stechow/Sternefeld (1988:446) dies etwa auch für wollen auf.3 (4)
a. Das will mir nicht gelingen. b. Es will Abend werden. c. Das will erstmal verstanden werden.
Die Autoren leiten aus dieser Feststellung aber keineswegs ab, daß alle Modalverben deswegen als Anhebungsverben beschrieben werden müssen. So gehen sie beispielsweise davon aus, daß Modalverben dann als Kontrollverben analysiert werden können, wenn sie objektiv modal interpretiert werden. Für das Beispiel (5a), in dem eine objektiv modale Interpretation vorliegt, setzen sie daher eine Kontrollverbanalyse an, während die nach ihrem Dafürhalten epistemische Interpretation in (5b) durch eine Anhebungsanalyse erfaßt werden sollte. Abs. 4.1.2 wird verdeutlichen, daß diese Unterscheidung nicht aufrecht erhalten werden kann, da keine Korrelation zwischen objektiver und subjektiver Modalität einerseits und der Subjektfähigkeit andererseits postuliert werden kann.4 (5)
a. Fritz kann gut kochen. b. Fritz kann gut gekocht haben.
Zunächst können wir festhalten, daß eine einheidiche Beschreibung der Orientierungseigenschaften der Modalverben weder möglich noch wünschenswert ist. Wir folgen den Untersuchungen von öhlschläger (1989) und Eisenberg (1989) und werden im folgenden Abschnitt Argumente dafür präsentieren, daß die Modalverben in Kontroll- und Anhebungsverben partitioniert werden müssen.
Sie bemerken jedoch zugleich abschwächend, daß dies eine reine Koinzidenz sein könnte. Vgl. v. Stechow/Sternefeld (1988:446). V. Stechow/Sternefeld wählen mit können ein unglückliches Beispiel. Von einer objektiv modalen Interpretation kann in (5a) gar keine Rede sein, da können hier nicht modal verwendet wird. Siehe auch die Diskussion weiter unten.
162
4.1.1.1 Die Subjektfähigkeit der Modalverben Wir konnten bereits im vorbeigehenden Abschnitt feststellen, daß einige Modalverben Impersonaleinbettungen erlauben. Dies gilt neben den bereits erwähnten Verben können, dürfen, müssen und sollen auch für mögen, wie die folgenden Beispiele zeigen. In (10) liegen Einbettungen eines unpersönlichen psychischen Verbs vor, in (l 1) diathetisch entstandene Einbettungen. (10) (l 1)
Hier kann/sollte/darf/muß/mag ihm schlecht geworden sein, Hier kann/darf/muß/soll/mag getanzt worden sein.
Diese Verben lassen - wie die Beispiele in (12) zeigen - auch Expletiveinbettungen zu. (12)
a. b. c. d. e.
Hier kann es mit einem zuende gehen. Im Nebenzimmer soll es geächzt und gestöhnt haben. Nach dieser Nachricht muß es in seinem Herzen frohlockt haben. Am Kaiserstuhl darf es zu dieser Jahreszeit eigendich keine Mücken mehr geben. Hier mag es meinetwegen die ganze Zeit ächzen und stöhnen.
Im Gegensatz zu den oben aufgeführten Modalverben entsprechen die Modalverben wollen und möchten in ihrem Verhalten den Kontrollverben, d.h. Impersonal- und Expletiveinbettungen sind unzulässig.9 (13)
a. b. c. d.
*Hier will/möchte getanzt werden. *Im Nebenzimmer will/möchte es ächzen und stöhnen. *Hier will/möchte es mit einem zuende gehen. *Nach dieser Nachricht will/möchte es in seinem Herzen frohlocken.
Die bislang vorgelegten Daten verdeutlichen, daß die Modalverben in subjektfähige und nicht subjektfähige Modalverben aufgeteilt werden können. Das Verb können bildet hier eine interessante Ausnahme. Es läßt im Gegensatz zu den anderen Modalverben zwei grundlegend verschiedene Interpretationen zu, wie anhand von (14) verdeutlicht werden kann. (14)
a. Ulrich kann in Las Palmas gewesen sein, als er Urlaub in Gran Canaria gemacht hat. b. Ulrich gehört zu den wenigen Leuten, die die Sprache der Guanchen akzentfrei sprechen können.
In (I4a) wird können so interpretiert, daß von der Möglichkeit eines bestimmten Sachverhalts diese Rede ist. Hier liegt die eigentliche modale Verwendung dieses Verbs vor, in einer modallogischen Sprache würde können hier durch den Möglichkeitsoperator repräsentiert. Dieses Verb kann aber auch im Sinne von in der Lage sein interpretiert werden. Diese Interpretation liegt in (I4b) vor. Man kann nun beobachten, daß können in (lOa), (lla) und (12a) jeweils modal interpretiert wird, die zweite Interpretation ist ausgeschlossen. Daß dies nicht an der Interpretation des Kom-
Siehc jedoch die Diskussion um die Beispiele in (4) weiter unten.
163
plements liegt, d.h. hier keine semantischen Beschränkungen interferieren, kann anhand des Minimalpaares in (15) verdeutlicht werden. (15)
a. Ulrich kann hier kochen, b. Hier kann gekocht werden.
Während (15a) mehrdeutig ist, also eine modale Interpretation ebenso zuläßt wie eine Interpretation, in der von einem bestimmten Vermögen die Rede ist, kann (l 5b) nur noch modal interpretiert werden. Wir können somit festhalten, daß können als Modalverb prinzipiell nicht subjektfähig ist.6 Wie verhalten sich die Modalverben beim Paraphrasetest? Betrachten wir hierzu die Klasse der Modalverben, die einheitlich sowohl Impersonal- als auch Expletiveinbettungen zulassen, können wir feststellen, daß diese auch beim Paraphrasetest eine den Anhebungsverben entsprechende Distribution aufweisen, d.h. Aktiv- und Passivsatz im Paraphraseverhältnis zueinander stehen. (16) (17)
Der Junge kann/darf/muß/mag/soll das Mädchen besuchen. Das Mädchen kann/darf/muß/mag/soll von dem Jungen besucht werden.
Passiviert man hingegen ein Verb, das als Komplement von wollen oder möchten realisiert wird, verändert sich die thematische Beziehung des Subjekts zum Modalverb. Infolge dessen bilden Aktiv und Passiv keine Paraphrase. Dies wird in (18) und (19) verdeutlicht. (18)
a. Der Junge will das Mädchen besuchen. b. Karpov möchte Kasparov noch einmal schlagen.
(19)
a. Das Mädchen will von dem Jungen besucht werden. b. Kasparov will noch einmal von Karpov geschlagen werden.
Fassen wir zusammen: Die im ersten Kapitel vorgestellten Tests haben verdeutlicht, daß können, müssen, dürfen, sollen und mögen nicht subjektfähig sind. Ein letztes Argument für diese Unterscheidung zwischen Anhebungs- und Kontroümodalverben betrifft die Zulässigkeit finiter Komplementation bei wollen und möchten. Es kann als unkontrovers gelten, daß wollen und möchten nicht nur Infinitivkomplemente, sondern auch finite Komplemente selegieren.7 Im Gegensatz zu Anhebungsverben wie etwa scheinen, die dies auch zulassen, besitzen wollen und möchten auch bei finiter Komplementation ein nicht-weglaßbares, vom jeweiligen Modalverb selegiertes Subjekt:
Dies läßt natürlich die Frage offen, ob können im Sinne von in der Lage sein — im folgenden als können2 bezeichnet - subjektfähig ist. Für diese Annahme spricht die Tatsache, daß könneti2 nicht nur Impersonaleinbettungen, sondern auch Expletiveinbettungen verbietet. Gegen diese Annahme spricht allerdings ein semanäscher Grund: Das Subjekt eines Kontrollverbs muß im allgemeinen belebt sein (vgl. etwa Foley/van Valin (1984)). Diese Eigenschaft wird von können2 nicht erfüllt, wie das folgende Beispiel zeigt: (i) Ein einziger Windstoß kann dieses komplexe Gebilde vernichten. Da der Begriff des Kontrollverbs in der vorliegenden Arbeit im wesentlichen syntaktisch definiert wird, d.h. ohne Berücksichtigung der Kontrollwahl, spricht nach meinem Dafürhalten niches dagegen, können2 als Kontrollverb zu analysieren. Eisenberg (1989:104) geht darüber hinaus davon aus, daß auch mögen ein finites Komplement selegieren kann. Er führt (i) als Beispiel auf. Ich halte (i) jedoch nicht für grammatisch, (i) *Er mag, daß du bleibst.
164
(20)
a. Er möchte, daß du bleibst, b. Er will, daß du bleibst.
Finite Komplementation ist bei den nicht subjektfähigen Modalverben nicht möglich: (21)
*Er kann/darf/muß/soll/mag, daß du bleibst.
Wichtig ist hierbei weniger, ob ein Modalverb neben infiniter auch finite Komplementation zuläßt oder nicht, sondern vielmehr, ob das betreffende Verb bei finiter Komplementation ein Subjekt besitzt. Daß das in (21) vorhandene Subjekt jeweils der Auslöser für die Ungram mat ikalitä t der Beispiele ist, kann auch daran ersehen werden, daß finite Komplementation auch bei den Anhebungsmodalverben möglich ist, wobei dann aber eine Kopulakonstruktion mit expletivem Subjekt obligatorisch ist: (22)
a. Es kann sein, daß Ulrich kommt. b. Es muß so sein, daß Ulrich gekommen ist.
Diese Konstruktion, die in anderer Hinsicht mehrere Fragen aufwirft,8 zeigt in diesem Zusammenhang erneut ganz deutlich, daß sich die Modalverben in ihrer Subjektfähigkeit voneinander unterscheiden.
4. l. l .2 Die formale Repräsentation der Orientierung bei den Modalverben Die Ergebnisse des letzten Abschnitts haben gezeigt, daß die Modalverben können, müssen, dürfen, sollen und mögen als Verben analysiert werden müssen, die den Wert des SUBJ-Attributs ihres Komplements vollständig übernehmen. Für diese Verben ergibt sich daher die schematische Repräsentation in (23).
Hier ist zu bemerken, daß die Modalverben - im Gegensatz zum Verb scheinen - finite Komplement nur durch die .Vermittlung' einer Kopula realisieren können. Warum dies so ist, also eine zu scheinen analoge Konstruktion ungrammatisch ist (ii), muß vorläufig offen bleiben. Festzuhalten bleibt, daß sich die Modalverben hier wie Modaladverbien verhalten (iii). (i) Es kann sein, daß du kommen darfst, (ü) *Es kann, daß du kommen darfst, (iii) Es ist möglich, daß du kommen darfst. In diesem Zusammenhang ist es auch auffällig, daß scheinen nur dann ein finites Komplement realisieren kann, wenn zusätzlich zu diesem finiten Komplement ein weiteres syntaktisches Argument realisiert wird, das Pronomen in (i) ist somit kein rein positionales es. Hierin unterscheidet sich scheinen etwa von stimmen. Obwohl beide Verben semantisch ein propositionales Argument selegieren, erlaubt nur stimmen eine intransitive Realisation, während scheinen obligatorisch ein weiteres Argument verlangt: (iv) Daß Ulrich kommt, stimmt, (v) 'Daß Ulrich kommt, scheint. Ahnliches gilt auch filr dünken, wie die folgenden Beispiele zeigen: Im Gegensatz zu scheinen verlangt dieses Verb obligatorische Realisation des Experiencer-Arguments. (vi) Mich dünkt, daß du traurig bist, (vii) Es dünkt mich, daß du traurig bist, (viii) *Es dünkt, daß du traurig bist. Ob ein intrinsischer Zusammenhang zwischen transitiver Realisation und den semantischen Eigenschaften der einschlägigen Verben besteht, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht beantwortet werden.
165
(23)
Orientierung der Anhebungsmodalverben:
CAT
HEAD|SUBJ [T] SUBCAT (VJSUBJ
SYN|LOC CONT|NUC|ARG|NUC [2
Zur Verdeutlichung sind in (24) die Einträge für die Verben können und müssen in ihrer objektiven Interpretation angegeben.9 (24)
a. können
CAT
HEAD|SUBJ [T] SUBCAT { VJSUBJ []JJ(2_I
SYN|LOC CONT|NUC pos^ARG|NUC [T]
b. müssen
CAT
HEAD|SUBJ (T] SUBCAT (VJSUBJ|_H|:|2
SYN|LOC CONT|NUC n«[ARG|NUC | 2
Die syntaktische Seite der Orientierung wird durch die Strukturteilung der SUBJ-Attributc erfaßt; die semantische Seite der nicht subjektfähigen Modalverben folgt aus der Repräsentation ihrer semantischen Kontribution: Ebenso wie das Verb scheinen (siehe Kap. 3) wird auch bei können und wollen dem Subjekt kein Index in der semantischen Repräsentation zugewiesen — müssen und können sind somit Funktionen von Situationen in Situationen und keine Relation zwischen Individuen und Situationen. Letzteres gilt hingegen für die subjektfähigen Modalverben wollen und möchten. Der Lexikoneintrag des Verbs wollen ist in (25) angegeben; auf eine Darstellung des Verbs möchten habe ich verzichtet. Die Orientierung von wollen und möchten wird durch die Koreferenz der Parameter zwischen dem SUBJ- und dem Komplement-SUBJ-Attribut erfaßt; semantisch können diese Verben als Relationen zwischen Individuen und Situationen beschrieben werden.
Die Auswirkungen unserer Annahmen für epistemische Modalverben werden wir weiter unten diskutieren.
166
(25)
wollen
CAT
HEAD|SUBJ SUBCAT (v
SYN|LOC ARG1 [T] CONT|NUC wollen SIT-ARG|NUC 2
Aus den unterschiedlichen Einträgen für wollen einerseits und können und müssen andererseits folgt der oben beschriebene Kontrast in bezug auf eine alternative finite Realisation des Komplements unmittelbar: Die semantische Kontribution der Kontrollmodalverben erlaubt sowohl die finite als auch die infinite Realisation des verbalen Komplements, wobei im letzteren Fall das Subjekt des Komplements mit dem Subjekt des Matrixverbs koindiziert wird. Die nicht subjektfahigen Modalverben stellen hingegen keinen Parameter für ein referentielles Subjekt zur Verfügung. Wird das Komplement dieser Verben finit realisiert, besteht - mangels SUBJ-Attribut bei finiten Komplementen - auch nicht die Möglichkeit einer Identifikation eines thematischen Matrixsubjekts durch Koindizierung mit dem Komplementsubjekt. Somit kann ein thematisches Matrixsubjekt nicht legitimiert werden, woraus die Ungrammatikalität der Beispiele in (21) folgt. Es ist an dieser Stelle sinnvoll, unsere Beschreibung der Modalverborientierung mit dem Vorschlag öhlschlägers (1989) zur Unterscheidung von Kontroll- und Anhebungsmodalverben durch unterschiedliche Komplementation zu vergleichen, öhlschläger (1989:105-128) geht davon aus, daß die Kontrollmodalverben wollen und möchten CP-Komplemente besitzen, während die anderen Modalverben IP-Komplemente einbetten. Wir wollen hier nicht auf die GB-internen Probleme aufmerksam machen, aber zwei Punkte herausgreifen, die verdeutlichen, daß eine Korrelation zwischen Orientierung und Phrasenstrukturrepräsentationen zu Problemen fuhrt. In der Rektions- und Bindungstheorie geht man gemeinhin davon aus, daß CPen Barrieren für den Skopus der Negation bilden.10 Dies bedeutet auch, daß eine Kohäsion (vgl. Kap, 1) nicht möglich sein sollte, wenn ein CP-Komplement eingebettet wird, öhlschläger sagt somit das Vorhandensein von Kohäsionen bei den Anhebungsmodalverben, nicht jedoch bei den Kontrollmodalverben voraus. Wie die folgenden Beispiele zeigen, ist diese Vorhersage nicht korrekt; (26a) und (26b) erlauben jeweils Interpretationen, in denen der Negationsträger weiten Skopus besitzt.11 (26)
a. Er will ihm nichts tun. b. Er darf ihm nichts tun.
Ein zweites - von öhlschläger selbst diskutiertes - Problem betrifft die Statusrektion, da alle CPKomplemente im 2. Status realisiert werden sollten (vgl. v. Stechow (1990a) und Kiss (im Erscheinen)). Dies würde bedeuten, daß die Komplemente von wollen und möchten nicht im 1. sondern im 2. Status realisiert werden müßten. Um dies zu verhindern, postuliert öhlschläger eine lexikalische Beschränkung, dergemäß zu getilgt werden muß. Aufgrund dieser Tilgung wird 10 11
Vgl. etwa v. Stechow/Sternefeld (1988). Tatsächlich bemerkt Öhlschläger (1989:114) in bezug auf Kohäsionsfille bei Anhebungsmodalverben, daß CP und nicht IP die Grenze für Negacionskohäsion zu sein scheint.
167
erst deutlich, wieso die Komplemente der Kontrollmodalverben nicht extraponierbar sind, denn öhlschläger nimmt an, daß nur mit zu markierte CPen extraponiert werden dürfen. Diesen Abschnitt können wir mit der Feststellung abschließen, daß die Modalverben durch zwei verschiedene Orientierungen - und zwei unterschiedliche semantische Kontributionen - beschrieben werden müssen. Die subjektfähigen Modalverben stellen einen Parameter für ihr Subjekt zur Verfügung und können als Relationen zwischen Individuen und Situationen beschrieben werden. Die nicht-subjektfähigen Modalverben stellen keinen Parameter für das Subjekt zur Verfügung. Semantisch sind sie als Funktionen von Situationen in Situationen zu beschreiben.
4.1.1.3 Anmerkungen zu den nicht subjektfähigen Realisationen von wollen und möchten Es wurde bereits erwähnt, daß die subjektfähigen Modalverben wollen und möchten manchmal als nicht eindeutig subjektfähig klassifiziert werden, da sie auch Realisationen besitzen, in denen die Subjektfähigkeit der Prädikate gemäß den im ersten Kapitel entwickelten Tests angezweifelt werden muß. Dies zeigten bereits die Beispiele in (4), die hier unter (27) wiederholt werden. (27)
a. Das will mir nicht gelingen. b. Es will Abend werden. c. Das will erstmal verstanden werden.
Das Verb wollen kann hier nicht subjektfähig sein, da in (27) expletive sowie sog. Thema-Prädikate12 eingebettet werden, deren Subjekt nicht dem externen Argument entspricht.13 Ich meine jedoch, daß die in den letzten Abschnitten begründete Klassifikation durch die Daten in (27) nicht berührt wird, da wollen hier nicht in einer modalen Bedeutung verwendet wird, d.h., daß wollen hier nicht als Relation zwischen Individuen und Situationen zu interpretieren ist. Vielmehr entspricht die Interpretation des Verbs wollen in (27a, b) in etwa der Verwendung von scheinen, während in (27c) eine Interpretation von wollen in Analogie zu müssen vorliegt. Gänzlich unabhängig davon, wie die Bedeutung der Modalverben wollen und möchten in diesen Beispielen beschrieben wird, steht jedoch fest, daß sie von der Bedeutung der oben beschriebenen subjektfähigen Modalverben deutlich abweicht.
12 13
Vgl. Belletti/Rizzi(1988). Die Beispiele in (27a, c) können als zusätzlicher Test für die Subjektfähigkeit eines Prädikats verwendet werden: Wenn ein Verb ein Komplement besitzt, dessen Subjekt bei finiter Realisation nicht dem ranghöchsten Argument entspricht, kann das Verb nicht subjektfähig sein. Dies zeigen die folgenden Beispiele. (i) 'Das Buch versucht, Ulrich zu gefallen, (ii) Das Buch scheint Ulrich zu gefallen. Wir haben aus zwei Gründen darauf verzichtet, diesen Test in Kap. l vorzustellen. Zum einen scheinen hier primär semantischen Faktoren ausschlaggebend zu sein: Das Subjekt eines Thema-Verbs kann nicht in allen Fällen ein intentionales, volitives Subjekt sein. Gerade dies sind jedoch charakteristische Eigenschaften eines Kontrolleurs (vgl. Foley/Van Valin 1984, Dowry 1991). Zum anderen ist mir kein Verb bekannt, das nur aufgrund dieses Tests einer der beiden Klassen zugeordnet werden könnte. Es gibt also kein Kontrollverb, das etwa, expletive Subjekte verbietet, aber eingebettete Thema-Prädikate zuläßt. Auf diesen zusätzlichen Test konnte somit verzichtet werden.
168
Ich halte es daher für berechtigt anzunehmen, daß diese Modalverben zwei homonyme Formen besitzen, von denen eine subjektfähig ist, während die andere als nicht subjektfähig klassifiziert werden sollte. Entsprechende Bemerkungen können auch für möchten gemacht werden.
4. l .2
Der Einfluß der Modalität auf die Subjektfähigkeit
Wir sind bislang - bis auf die oben explizit notierten Ausnahmen - davon ausgegangen, daß die Modalverben grundsätzlich nur eine Interpretation besitzen, die für die Verben müssen und können in etwa der Interpretation der propositionalen Modaloperatoren es ist notwendig, daß bzw. es ist möglich, daß mit objektiv interpretiertem Redehintergrund (vgl. Kratzer 1978) entspricht. Man muß jedoch die objektiv verwendeten Modalverben von den epistemisch verwendeten Modalverben unterscheiden. Diese Unterscheidung kann leicht dadurch charakterisiert werden, daß bei objektiv verwendeten Modalverben ein Sachverhalt ausgedrückt wird, dessen modale Eigenschaften (der Sachverhalt ist notwendig, möglich, entspricht den Normen usw.) unabhängig von der Einstellung des Sprechers zu diesem Sachverhalt determiniert werden. Bei epistemischer Verwendung werden die modalen Eigenschaften hingegen unter Bezugnahme des Sprechers determiniert. Epistemische Modalitäten können daher oft in der Form nach der Ansicht von X ist es notwendig, möglich, normenkonform usw., «Äz/fparaphrasiert werden (vgl. Kratzer 1978 sowie die Diskussion in öhlschläger (1989)). Die Unterscheidung zwischen epistemischen und objektiven Modalverben kann anhand der Beispiele in (28) verdeutlicht werden.14 (28)
a. Ulrich mußte bislang mit seinem Gehalt als wissenschaftliche Hilfskraft auskommen, b. Ulrich muß sein Prüfungskommitee beeindruckt haben.
In (28a) wird das Modalverb müssen objektiv verwendet, eine Paraphrase ist in (29a) gegeben. In (28b) liegt eine epistemische Verwendung vor, die entsprechend durch (29b) paraphrasiert werden kann. (29)
a. Ulrich war gezwungen, mit seinem Hilfskraftgehalt auszukommen. b. Aus dem, was wir wissen, müssen wir schließen, daß Ulrich sein Prüfungskommitee beeindruckt hat.
Diese Unterscheidung ist selbstverständlich semantisch; sie hat jedoch dennoch zu der Annahme geführt, daß die Orientierungseigenschaften der Modalverben in Anlehnung an die Unterscheidung zwischen epistemischen und objektiven Modalitäten bestimmt werden sollten. Dementsprechend sind Modalverben dann syntaktisch als Anhebungsverben zu beschreiben, wenn sie epistemisch interpretiert werden, während die Modalverben bei objektiver Verwendung als Kontrollverben, d.h. als subjektfähige Verben zu beschreiben wären. Diese Annahme wurde erstmals "
Neben den hier angesprochenen Unterscheidungen führt öhlschläger (1989) auch verschiedene syntaktische Kriterien an, die es erlauben, epistemische (bei Öhlschläger: subjektiv-epistemische) Modalverben von objektiv interpretierten Modalverb zu unterscheiden. So kann ein sutjektiv-epistemucht$ Modalverb nicht Verum-fokussicrt werden (i), es kann nicht im Skopus eines Einstellungsverbs stehen (ii), ein Nebensatz, dessen Hauptverb ein subjektiv-epistemisches Modalverb ist, kann nicht durch weil eingeleitet werden (iii). (i) *Der Angeklagte MAG der Täter sein, (ii) *Ich glaube, daß der Angeklagte der Täter sein mag. (iii) *Der Angeklagte wird inhaftiert, weil/wenn er der Täter sein mag.
169
in Ross (1969) vertreten, findet sich allerdings auch noch in v. Stechow/Sternefeld (1988), Picallo (1990) oder Diesing (1992). Ich halte diese Hypothese nicht für plausibel und gehe folglich davon aus, daß eine grammatisch relevante Beziehung zwischen Orientierung und epistemischer bzw. objektiver Interpretation der Modalverben nicht existiert. So lassen alle nicht Subjekt fähigen Verben Expletiveinbettungen zu. Darüber hinaus erlauben die meisten nicht subjektfähigen Verben Impersonaleinbettungen. Setzt man voraus, daß aus einer objektiven Interpretation des Modalverbs die Subjektfähigkeit dieses Verbs folgt, so folgt unmittelbar, daß objektiv verwendete Modalverben weder unpersönliche Einbettungen noch expletive Subjekte zulassen dürften. Betrachten wir hierzu die folgenden Beispiele:15 (30)
a. b. c. d.
Ihn kann/darf/muß frieren. Es kann/darf/muß getanzt werden. Es kann/darf/muß regnen. Es kann/darf/muß mit ihm zuende gehen.
(31)
a. b. c. d.
Ihn könnte/dürfte/müßte frieren. Es könnte/dürfte/müßte getanzt werden. Es könnte/dürfte/müßte regnen. Es könnte/dürfte/müßte mit ihm zuende gehen.
Die Modalverben in (30) werden objektiv, die Verben in (31) werden epistemisch verwendet. Die epistemisch interpretierten Beispiele in (31) stellen kein Problem für eine Analyse dar, die die Modalverben als Anhebungsverben beschreibt. Problematisch ist allerdings, daß die Beispiele in (30) nicht allesamt ungrammatisch sind, denn die hier exemplifizierten Eigenschaften werden normalerweise von Kontrollverben nicht erfüllt. Kontrollverben verbieten expletive Subjekte ebenso wie unpersönliche Einbettungen. Warum sollten diese Kontrollverben dies erlauben? Wollte man hier weiter die Hypothese einer Trennung anhand der Achse epistemisch/objektiv aufrechterhalten, wäre die harmloseste Konsequenz, daß man eine Klasse von Kontrollverben vorfände, deren Mitglieder sich nicht wie Kontrollverben verhalten. Diese Überlegung kann durch ein weiteres semantisches Kriterium der subjektfähigen Verben verdeutlicht werden: Ein Subjektquantor kann nicht unspezisch interpretiert werden, wenn das Verb subjektfähig ist. Das Subjekt eines Anhebungsverbs kann hingegen jederzeit innerhalb des Skopus des Verbs interpretiert werden, während das Subjekt eines Kontrollverbs immer Skopus über das Kontrollverb besitzt. Nun kann man beobachten, daß die Subjekte der Anhebungsmodalverben auch dann unspezifisch interpretiert werden können, wenn das Modalverb objektiv interpretiert wird. Somit finden wir hier ein weiteres - semantisch basiertes - Argument gegen eine Gleichsetzung von Kontrolle und objektiver Interpretation vor. (32)
Ein Mann muß/darf/soll/kann kommen.
Auf der anderen Seite ist es eine wesentliche Eigenschaft von Anhebungsverben, daß sie ihrem Subjekt keinen Parameter zur Verfügung stellen. Wollte man nun annehmen, daß sich die Orientierungseigenschaften der Modalverben aus ihren jeweiligen Verwendungen ergeben, so sollten 15
Siehe hierzu auch Öhlschäger (1989:78).
170
alle Aktiv-Passiv-Paare von Sätzen, deren Matrixverb ein epistemisch interpretiertes Modalverb ist, im Paraphraseverhältnis zueinander stehen. Die Beispiele in (33) scheinen diese Annahme zunächst zu erhärten: (33)
a. Ulrich muß Horst gestern im Pärrgen geschlagen haben. b. Horst muß gestern im Pärrgen von Ulrich geschlagen worden sein.
Dieses Beispiel ist jedoch nicht relevant, da müssen in unseren Ansatz prinzipiell als Anhebungsverb beschrieben wird. Die Überlegenheit der Unterscheidung epistemisch/objektiv gegenüber der hier vorgenommenen Unterscheidung subjektfähig/nicht subjektfähig würde nur dann gezeigt werden können, wenn ein subjektfähiges Modalverb dann eine Aktiv-Passiv-Paraphrase zeigt, wenn es epistemisch verwendet wird. Dies ist jedoch, wie (34) zeigt, nicht der Fall: Hier sind - trotz epistemischer Verwendung - Aktiv und Passiv keine Paraphrasen voneinander. (34)
a. Horst will Ulrich gestern im PäflFgen geschlagen haben. b. Ulrich will gestern im Päffgen von Horst geschlagen worden sein.
Diese Beispiele lassen nur den Schluß zu, daß die Unterscheidung zwischen epistemischen und objektiven Verwendungen eines Modalverbs keine Rückschlüsse auf die Subjektfähigkeit des Modalverbs erlauben.16
4.1.3
Die semantische Kontribution der Hilfsverben
Die Hilfsverben sein, haben und werden (die den 1. bzw. 3. Status regieren) können allemsamt als nicht-subjektfähig klassifiziert werden.17 Wir können davon ausgehen, daß das SUBJ-Attribut der Hilfsverben vollständig mit dem SUBJ-Attribut ihrer Komplemente übereinstimmt. (35)
a. Ulrich hat Horst oft im Squash geschlagen. b. Ulrich wird Horst in diesem Spiel nicht schlagen. c. So etwas ist mir noch nicht oft untergekommen.
Dennoch unterscheiden sich die Modalverben durch eine besondere Charakteristik von den Hilfsverben in (35): Die Beispiele in (35) verdeutlichen, daß der Skopus eines Adverbs bei Hilfsverben nicht zwischen V und V" variiert. Diese Invarianz des Skopus kann dann leicht erfaßt werden, wenn man davon ausgeht, daß Hilfsverben sich darin von Modalverben unterscheiden, daß sie keinerlei eigene semantische Kontribution einfuhren. Diese Hypothese können wir wie folgt präzisieren: Ein Hilfsverb ist ein Verb, dessen semantische Kontribution mit der semantischen Kontribution seines Komplements übereinstimmt. Ein Vollverb ist ein Verb, dessen CON16
''
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, daß die hier kritisierte Korrektion voraussetzt, daß die semantische Interpretation auf d-strukturellen Gegebenheiten aufsetzt. Man sollte hierbei nicht vergessen, daß diese Hypothese in Ross (1969) vorgebracht wurde. Gibt man die Annahme einer semantischen Interpretation der D-Struktur auf (dies gilt für alle aktuellen Ansätze innerhalb der Transformationsgrammatik), führt die Klassifikation anhand von episcemischer/objektiver Verwendung des Modalverbs zu einem Ebenenparadox, da die Interpretation eines Modalverbs auf der Syntax aufsetzt und diese somit nicht beschränken kann. Vater (1975) argumentiert für die Annahme, daß werden ein Modalverb ist. Ich kann dieser Annahme nicht zustimmen, da werden, wie weiter unten gezeigt wird, Eigenschaften besitzt, die für eine Zuordnung dieses Verbs zu den Hilfsverben sprechen.
171
TENTjNUCLEUS-Attribut nicht mit dem CONTENT|NUCLEUS-Attribut seines Komplements übereinstimmt. Für Hilfs- und Vollverben ergeben sich somit die folgenden Repräsentationen, in denen die relevanten Bedingungen durch Pfadgleichungen bzw. -Ungleichungen ausgedrückt werden.18 (36)
Die semantische Kontribution von Hilfs- und Vollverben: a. Hilfsverben: CAT|SUBCAT (v[cONT|NUc[ SYN|LOC CONT|NUC 2 wobei | l | =
b. Vollverben: CAT|SUBCAT SYN|LOC
CONT|NUC [2 wobei
* H
In diesem Sinne ist ein Modalverb ein Vollverb, da sich die semantische Kontribution eines Modalverbs von der semantischen Kontribution seines Komplements unterscheidet. Da die semantische Kontribution eines Hilfsverbs vollständig mit der semantischen Kontribution seines Komplements übereinstimmt, können die Hilfsverben nicht subjektfähig sein: Subjektfähigkeit impliziert eine thematische Beziehung zu einem Subjekt, eine thematische Beziehung zu einem Subjekt impliziert das Vorhandensein eines Prädikats. Ein solches wird aber durch Hilfsverben nicht eingerührt. Dennoch muß eine Identität zwischen den CONTENT-Attributen von V und V" nicht zwangsläufig bedeuten, daß ein Hilfsverb keinerlei semantische Information beisteuert. Identität ist hier vielmehr als negative Beschränkung zu verstehen: Wenn die semantische Kontribution eines Hilfsverbs mit der Kontribution seines Komplements übereinstimmt, so ist es ausgeschlossen, daß das Hilfsverb sein Komplement semantisch einbettet. Es spricht jedoch nichts dagegen, daß Hilfsverben die semantische Kontribution ihres Komplements anreichern. An die Stelle der Identität tritt hier also die Subsumtion: Hilfsverben sind informativer als ihre Komplemente, weil sie die betreffenden Nuklei um temporale und aspektuelle Informationen erweitern. Die temporalen Eigenschaften der Hilfsverben müssen hier nicht skizziert werden, die Relevanz aspektueller Unterscheidungen wird in (37) deutlich. Die Beispiele in (37) unterscheiden sich nicht im Tempus voneinander, wohl aber im Aspekt: In (37a) liegt ein perfektiver Aspekt vor, die Handlung ist abgeschlossen; in (37b) hingegen wird eine unvollendete Handlung beschrieben, imperfektiver Aspekt liegt vor. Die Beispiele zeigen zugleich, daß diese Unterscheidung durch die Hilfsverben eingeführt wird und somit in der semantischen Kontribution der Hilfsverben berücksichtigt werden muß.
18
Eine Pfadungleichung der Form A # B legt fest, daß die Werte von A und B nicht Übereinstimmen dürfen. Eine detaillierte Diskussion von Pfadungleichungen findet sich in Carpenter (1991).
172
(37)
a. Die Sahne wird geschlagen, b. Die Sahne ist geschlagen.
Temporale und aspekcuelle Information wird nicht in der Form einer Einbettung der semantischcn Kontribution des Hilfsverbkomplements repräsentiert. Wir richten uns somit explizit gegen eine propositionale Theorie der Tempusrepräsentation.19 Temporale Information kann nicht wie modale Information durch Operatoren und Einbettung beschrieben werden, angemessen erscheint vielmehr die temporale Spezifikation eines gegebenen Umstands. Eine allgemeine temporale Einordnung durch ein Hilfsverb wird in (38) dargestellt: Das Hilfsverb übernimmt die semantische Kontribution des Komplements, stellt aber die zusätzliche Information [TEMP p] zur Verfügung, die besagt, daß der Umstand Xzum Zeitpunkt p gegeben ist. (38)
Temporale Spezifikation durch ein Hilfsverb: CATISUBCAT(v:|T|rel[ARG ...] CONTINUC TJTEMPJT]
Die besonderen aspektuellen Eigenschaften der Hilfsverben werden durch (38) nicht erfaßt. Selbstverständlich wäre hier die Einführung eines zusätzlichen Merkmals denkbar, durch das die Aspektklassenkomposition repräsentiert wird. Auf die Einführung eines solchen Merkmals haben wir hier verzichtet, da eine detaillierte Diskussion dieser Fragestellung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.20
4. l .4
Zusammenfassung
Die Modalverben konnten in bezug auf ihre Orientierung in zwei Klassen aufgeteilt werden: Eine kleine Gruppe - bestehend aus wollen und möchten - besitzt Kontrolleigenschaften,21 während die anderen Modalverben den Anhebungsverben zugerechnet werden können. Diese Klassen unterscheiden sich syntaktisch dadurch, daß sie - im Falle der Kontrollmodalverben - ein Komplement subkategorisieren, dessen SUBJ-Attribut mit einer parametrischen NP gefüllt sein muß, während die Anhebungsmodalverben jedes beliebige infinite Komplement akzeptieren. Die im dritten Kapitel vorgelegten Erläuterungen zur Unterscheidung von Kontrollund Anhebungsverben können somit gänzlich auf die Modalverben übertragen werden; die Einführung zusätzlicher Mechanismen ist weder notwendig noch wünschenswert. Semantisch werden die Elemente der ersten Gruppe jeweils als Relationen zwischen Individuen und Situationen beschrieben, während die Verben der zweiten Gruppe Situationen in Situationen abbilden. Für epistemische und objektive Interpretationen müssen jeweils alternative "
20
21
Argumente gegen eine propositionale Theorie der Temporafindensich in Partee (1973) und Enc (1986). Eine detaillierte Diskussion aspektueller Eigenschaften und ihrer formalen Repräsentation findet sich in Dowty (1979). Comrie (1976) gibt einen allgemeinen Überblick über Aspekt-Systeme. Die Repräsentation der aspektuellen Eigenschaften der Hilfsverben in einer HPSG werden in Lebeth (1994) diskutiert. Es soll nicht verschwiegen werden, daß aufgrund dieser Tatsache im vorliegenden Ansatz unerklärt bleiben muß, warum (i) ungrammatisch ist. Da wollen ein externes Argument besitzt, sollte es passivierbar sein. (i) *Hier wurde tanzen gewollt.
173
Repräsentationen postuliert werden, wobei im Falle der epistemischen Modalverben zumindest eine zusätzliche Rolle in die semantische Kontribution des jeweiligen Modalverbs eingerührt wird. Die Unterscheidung zwischen Kontroll- und Anhebungsmodalverben korrespondiert nicht mit der Unterscheidung zwischen epistemisch und objektiv interpretierten Modalverben. Letztere ist vielmehr völlig unabhängig von der ersteren - die beiden Beschränkungen sollten daher nicht Gegenstand wechselseitiger Bedingungen sein. Darüber hinaus konnte auch gezeigt werden, daß die Partitionierung in Kontroll- und Anhebungsmodalverben vollständig ist. Scheinbare Gegenbeispiele konnten unter Rekurs auf den jeweils involvierten Bedeutungswechsel eliminiert werden. Die vorgenommene Einteilung in subjektfahige und nicht subjektfähige Modalverben impliziert keineswegs die Annahme verschiedener syntaktischer Strukturen der Modalverbkomplemente. Hier unterscheidet sich der vorliegende Ansatz erneut deutlich von der Untersuchung öhlschlägers (1989), in der die syntaktische Struktur des Komplements von der Orientierung des Modalverbs abhängt.22
4.2
Zur Syntax obligatorisch kohärenter Konstruktionen
Die Modalverben bilden zusammen mit den sog. Hilfsverben und einigen weiteren Verbgruppen (vgl. Kap. 1) die Klasse der sog. obligatorisch kohärent konstruierenden Verben. Mit den optional kohärent konstruierenden Verben teilen diese Verben die folgenden Eigenschaften: Sie erlauben die Serialisierung eines Arguments von V" vor N' (39). Der Skopus eines Negationsträgers, der zwischen Xn (X = A oder D) und Vn eingebettet ist, kann beliebige V(n'^>0 einschließen, d.h. alle Verben von Vn bis V (40). Darüber hinaus erlauben die Modalverben die Topikalisierung des Verbkomplexes (41 a) sowie des partiell oder vollständig saturierten Verbkomplements (41 b). (39) (40) (41)
weil ihn jeder Mann im Schach schlagen kann weil ein Wachsoldat die Königin nicht anstarren können muß a. Anstarren können muß ein Soldat die Königin schon, b. Die Königin anstarren muß ein Soldat schon können.
Im Gegensatz zu den optional kohärent konstruierenden Verben verbieten die obligatorisch kohärent konstruierende Verben die Satzumstellung (42a) und die Extraposition (42b) von F". (42)
a. *Das ist das Buch, das lesen du mußt. b. *Ulrich hat müssen Martin einmal im Schach schlagen.
Eine Erklärung für die Ungrammatikalität von (42) setzt nach meinem Dafürhalten auf den unterschiedlichen Saturationseigenschaften der Komplemente auf. Saturation ist - wie wir in Kap. 3 gezeigt haben - eine notwendige Voraussetzung für Extraposition und Satzumstellung. Wenn obligatorische Kohärenz durch mangelnde Saturation von V" beschrieben wird, folgt die Unzulässigkcit von Extraposition und Satzumstellung zwingend.
22
Ähnliche Annahmen finden sich in v. Stechow/Sternefeld (1988).
174
Ich werde in diesem Abschnitt eine Theorie der obligatorischen Kohärenz vorstellen, in der obligatorisch kohärent konstruierende V nicht nur die Saturation von V" verbieten, sondern darüber hinaus verlangen, daß V" ein Lexem sein muß. Diese Hypothese ermöglicht die Beschreibung nahezu aller Charakteristika obligatorisch kohärenter Konstruktionen. Eine direkte Auswirkung unserer Analyse ist die Elimination multipler syntaktischer Analysen einer Kette bei mehreren Lesarten eines Operators oder Quantors. So setzen wir für die Beispiele in (43), die jeweils ein Kontroll- und ein Anhebungsmodalverb involvieren, nur die Analysen in (44a, b), nicht jedoch die ebenfalls denkbaren Analysen in (44c, d) an. Hierin unterscheidet sich unser Ansatz von Hinrichs/Nakazawa (1990) und Jacobs (1989). In diesen Ansätzen sind beide Analysen zulässig.23 (43)
a. weil Ulrich Horst beim Squash schlagen will b. weil Ulrich Horst im Squash schlagen darf
(44)
a. b. c. d.
weil Ulrich Horst beim Squash [schlagen will] weil Ulrich Horst im Squash [schlagen darf] *weil Ulrich [Horst beim Squash schlagen] will *weil Ulrich [Horst im Squash schlagen] darf
Die Elimination der Strukturen (44c) und (44d) ist keineswegs unkontrovers. So weisen Koordinations- und Topikalisierungsdaten daraufhin, daß Modalverbkomplemente saturiert sein können (4lb, 45). (45)
a. Einen Großmeister schlagen wollte Ulrich schon immer. b. Ulrich wollte einen Großmeister schlagen und dann schnell die nächstbeste Frau heiraten.
Weitere Probleme ergeben sich für die involvierten semantischen Strukturen: Zunächst muß erklärt werden, weshalb ein mit V syntaktisch verbundenes Adverb - etwa ein Negationsträger V" modifizieren kann bzw. sogar muß. So kann man beispielsweise beobachten (vgl. öhlschläger (1989) und Jacobs (1982)), daß Negationsträger unter epistemisch interpretierte Modal- und Halbmodalverben eingebettet werden. Sie besitzen hier engen Skopus in bezug auf das Modalverb. Dies zeigen die Beispiele in (46). (46)
a. Ulrich soll Horst nicht ins Gesicht schlagen, b. Ulrich scheint Horst nicht getroffen zu haben.
Dennoch sagt unsere Analyse voraus, daß sich die Negationsträger in (46) in einer Position befinden, in der sie das Matrixverb modifizieren; die Ableitung des engen Skopus scheint somit ausgeschlossen zu sein.
"
Auch der GPSG-Ansatz von Johnson (1986) - der als direkter Vorgänger des Ansatzes von Hinrichs/Nakazawa (1990) betrachtet werden muß - sieht jeweils zwei parallele Analysen für Modalverbstrukturen vor.
175
Entsprechendes gilt auch für nominale Quantoren, wie die Beispiele in (47) zeigen. Der Objektquantor in (47a) liegt nach dieser Analyse nicht im syntaktischen Bereich des Modalverbs.24 Die hier präferierte nicht-spezifische Lesart scheint somit nicht abgeleitet werden zu können. (47)
a. weil Ulrich einen Kuchen mitnehmen darf b. weil hier ein Einhorn gelebt haben soll
Interessant in diesem Zusammenhang ist das Beispiel in (47b), denn hier besitzt das Subjekt in der präferierten Lesart ebenfalls engen Skopus. Diese Lesart kann auf der Basis der in Kap. 2 dargestellten Analyse der Quantifikation nicht abgeleitet werden. Eine Modifikation der Quantifikation wird somit keineswegs nur durch die hier zu entwickelnde Theorie der Modalverbsyntax erzwungen. Statt dessen legen bereits die Beispiele mit engem Skopus eines Subjektquantors eine solche Modifikation nahe. Diesen Fragestellungen werden wir in Abs. 4.3 nachgehen. Die hier entwickelte Analyse der obligatorischen Kohärenz werden wir mit einer alternativen Analyse vergleichen, in der eine intuitiv zunächst plausiblere Struktur des Verbkomplexes postuliert wird. Keine der beiden Analysen kann als vollständige Theorie der obligatorischen Kohärenz akzeptiert werden, da die erste Analyse zwar formal in das bestehende Gerüst integriert werden kann, aber verschiedene Phänomene nicht erfaßt, während die zweite Analyse diesen Phänomenen gerecht wird, jedoch nur unter Zuhilfenahme weiterer Konstrukte in den bestehenden Rahmen integriert werden kann.
4.2.1
Lexemsubkategorisierung
Der vorliegende Entwurf der Merkmalsorganisation scheint die Subkategorisierung von Lexemen nicht zuzulassen. Dies folgt aus der Tatsache, daß - wie in Kap. 2 bereits beschrieben wurde - auf der SUBCAT-Liste eines Lexems keine Zeichen, sondern iy«iiw-Objekte aufgeführt sind. Somit besteht zunächst nicht die Möglichkeit, das Komplement sortal als Lexem zu bezeichnen, da dies keine angemessene Sorte für synsem ist. Dieses Problem kann eliminiert werden, wenn das in Pollard/Sag (1987) eingeführte binäre Merkmal LEX in die vorliegende Merkmalsarchitektur integriert wird.25 Dieses Merkmal gehört zur kategorialen Spezifikation, d.h. ist Bestandteil des CAT-Attributs. Für das Verb hören ergibt sich die Repräsentation in (49).
25
Der Begriff des syntaktischen Bereichs kann hierbei mit der in der Rekrions- und Bindungstheorie verwendeten C-Kommando-Relation gleichgesetzt werden, wobei C-Kommando streng, d.h. über den nächsten dominierenden Knoten definiert wird. Zur Herleitung dieses Begriffs und seiner verschiedenen Definitionen vgl. Jacobs (1982), Reinhart (1983), Chomsky (1986b). Pollard/Sag (1994) eliminieren dieses Merkmal zwar nicht explizit, verzichten aber auf die Verwendung dieser Spezifikation. D. Flickinger hat mir mitgeteilt, daß dieses Merkmal in der HPSG-Implementation bei HewlettPackard verwendet wurde, um lexikalische Phrasen zu modellieren, also Phrasen, die sich in bestimmter Hinsicht wie Lexeme verhalten.
176
(49)
hören HEAD|SUBJ ( N F ) SYN|LOC|CAT SUBCAT (Nl{str]) LEX
Phrasen besitzen entsprechend das Merkmal [LEX -]. Da dieses Merkmal eine allgemeine Spezifikation für alle Phrasen ist, wird dieses Merkmal durch die Regelschemata vererbt, d.h. das CATAttribut jeder Phrase besitzt die Spezifikation [LEX -]. Die Lexikoneinträge der Verben wollen und müssen können dann wie folgt beschrieben werden. Die Subkategorisierungsforderungen entsprechen, bis auf die zusätzliche Spezifikation [LEX +], den Subkategorisierungsforderungen optional kohärent konstruierender Verben. Aufgrund der zusätzlichen Spezifikation ergibt sich eine eindeutige Analyse für das Beispiel (51): Dieses Beispiel besitzt nur die unten dargestellte phrasenstrukturelle Repräsentation, da in jeder weiteren Phrasenstruktur die Forderung [LEX +] bei V" nicht erfüllt werden würde.
(50)
a. wollen
CAT
HEADISUBJ (NP:|T|)
SUBCAT 2 ®\ V SYN|LOC CONT|NUC wollen
b. müssen
CAT
HEAD|SUBJ SUBj|T|
SUBCAT
v
SUBCAT T LEX
SYN|LOC CONT|NUC n«[ARG|NUC [T|]
177
(51)
weil Ulrich ein Buch lesen will CAT|SUBCAT{)1 CONT|NUC[6] J
CAT|SUBCAT SYN|LOC|CONT
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