Individualisierte Produkte - Komplexität beherrschen in Entwicklung und Produktion (VDI-Buch) (German Edition) 3540255060, 9783540255062

Dieses Buch richtet sich an Unternehmen, die individualisierte Produkte anbieten oder anbieten wollen. Fragestellungen z

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English Pages 270 [257] Year 2006

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Individualisierte Produkte - Komplexität beherrschen in Entwicklung und Produktion (VDI-Buch) (German Edition)
 3540255060, 9783540255062

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Udo Lindemann · Ralf Reichwald · Michael F. Zäh (Hrsg.) Individualisierte Produkte

Udo Lindemann · Ralf Reichwald · Michael F. Zäh (Hrsg.)

Individualisierte Produkte – Komplexität beherrschen in Entwicklung und Produktion

Mit 93 Abbildungen

13

Professor Dr.-Ing. Udo Lindemann Technische Universität München Lehrstuhl für Produktentwicklung Boltzmannstr. 15 85748 Garching [email protected]

Professor Dr.-Ing. Michael F. Zäh Technische Universität München Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften Boltzmannstr. 15 85748 Garching [email protected]

Professor Dr. Professor h.c. Dr. h.c. Ralf Reichwald Technische Universität München Institut für Information, Organisation und Management Leopoldstr. 139 80804 München [email protected] Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN–10 3-540-25506-0 Berlin Heidelberg New York ISBN–13 978-3-540-25506-2 Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z. B. DIN, VDI, VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität übernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen. Umschlaggestaltung: medionet AG, Berlin Satz: Digitale Druckvorlagen der Herausgeber Gedruckt auf säurefreiem Papier

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Vorwort Über einen Zeitraum von mehreren Jahren haben sich Ingenieure, Informatiker und Betriebswirte an der Technischen Universität mit der Thematik dieses Buches gemeinsam auseinander gesetzt. Individualisierte Produkte zu Konditionen anbieten zu können, die denen von Serienprodukten sehr nahe kommen, ist eine erhebliche Herausforderung für viele Unternehmensbereiche. Wir haben uns schwerpunktmäßig um die Frage der Beherrschbarkeit der Prozesse in Entwicklung und Produktion bemüht. Dabei sind konkrete Ansätze entwickelt worden, die zu strukturell veränderten Prozessen in den Planungsbereichen (Entwicklung und Produktionsplanung) führen, die eine veränderte Form der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sowie des Kostenmanagements erfordern und die eine Weiterentwicklung der Kundenschnittstellen nach sich ziehen. Ebenso werden einige neuartige Entwicklungen der innerbetrieblichen Logistik sowie auf dem Gebiet der Fertigungstechnologien aufgezeigt. Das Themengebiet wurde stets auch intensiv mit Partnern in der produzierenden Industrie diskutiert und reflektiert. Daher sind drei Unternehmensbeiträge ergänzend aufgenommen worden. Sie zeigen, dass sich die Industrie bereits intensiv mit den Fragen der individualisierten Produkte beschäftigt. Das Buch richtet sich daher in erster Linie auch an die Industrie, um auf diesem Wege Anregungen zu geben und im Rahmen eines erweiterten Dialogs das Thema weiter in die Zukunft zu tragen. Die Forschungsarbeiten wurden zu einem erheblichen Teil durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt, ergänzende Ergebnisse und Erkenntnisse resultieren auf Forschungsprojekten mit Industriepartnern. Die Realisierung dieses Buches basiert auf der aktiven Unterstützung und Mitwirkung von x Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Willibald A. Günthner, Dipl.-Ing. Michael Wilke (Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik) x em. Prof. Dr.-Ing. Joachim Heinzl, Dr.-Ing. Franz Irlinger, Dipl.-Ing. Jan Harnisch (Lehrstuhl für Feingerätebau, jetzt Mikro- und Medizingerätetechnik) x Prof. Dr.-Ing. Hartmut Hoffmann, Dipl.-Ing. Raphael Petry, Dipl.-Ing. Stanislav Stanchev (Lehrstuhl für Umformtechnik und Gießereiwesen) x Prof. Dr.-Ing. Udo Lindemann, Dipl.-Ing. Christoph Baumberger, Dipl.Ing. Andreas Gahr, Dipl.-Ing. Maik Maurer (Lehrstuhl für Produktentwicklung)

VI

Vorwort

x Prof. Dr. Dr. h.c. Ralf Reichwald, Dr. Frank T. Piller, Dipl.-Kfm. Klaus Moser, Dr. Christof M. Stotko (Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Information, Organisation und Management) x Prof. Dr. Johann Schlichter, M.A. Rosmary Stegmann, Dipl.-Inf. Thomas Leckner (Lehrstuhl für Informatik XI – Angewandte Informatik/Kooperative Systeme) x Prof. Dr.-Ing. Michael F. Zäh, Dr.-Ing. Dipl.-Ing. (EC Paris) Wolfgang Wagner, Dipl.-Ing. Florian Aull, Dipl.-Ing. Henning Rudolf , Dipl.-Ing. Christopher Ulrich (Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften). Ihnen allen gilt unser Dank. Auch den Verfassern der Industriebeiträge möchten wir für ihre Mühe und das Engagement danken: x Dr.-Ing. Günther Krawitz, Dr.-Ing. Martin Bartuschat (MAN AG) x Dr.-Ing. Klaus Alders (AUDI AG) x Dr. Christof Stotko (EOS GmbH). Durch die intensive Überarbeitung aller Einzelbeiträge haben sich die Herren Christoph Baumberger, Klaus Moser und Wolfgang Wagner besonders verdient um die inhaltliche Durchgängigkeit sowie die gesamte Gestaltung gemacht. Ihnen sei herzlich gedankt. Dem Verlag danken wir für die verständnisvolle und gute Zusammenarbeit. Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir viele fruchtbare Anregungen. Wir sind für jede Form der Rückmeldung dankbar. Udo Lindemann, Ralf Reichwald, Michael F. Zäh

Inhaltsverzeichnis

1 Einführung .............................................................................................. 1 1.1 Ziele des Buches........................................................................... 3 1.2 Hintergrund der Buchentstehung.................................................. 4 1.3 Inhalte und Aufbau des Buches .................................................... 4 2 Individualisierte Produkte ..................................................................... 7 2.1 Einleitung ..................................................................................... 7 2.2 Die Strategie der Produktindividualisierung ................................ 9 2.3 Umsetzung des Konzeptes und derzeitige Probleme.................. 16 2.4 Literatur ...................................................................................... 16 3 Vorbereitung der Produktindividualisierung .................................... 17 3.1 Marketing- und Vertriebswerkzeuge für individualisierte Produkte............................................................................................ 19 3.1.1 Einleitung ............................................................................ 19 3.1.2 Der Marketingmix für individualisierte Produkte ............... 20 3.1.3 Zusammenfassung zum Marketingmix für individualisierte Produkte............................................................. 28 3.1.4 Spezifikationswerkzeuge für individualisierte Produkte ..... 28 3.1.5 Zusammenfassung zu Konfiguratoren und Spezifikationswerkzeugen............................................................ 37 3.1.6 Literatur ............................................................................... 38 3.2 Entwicklung und Strukturplanung individualisierter Produkte .. 41 3.2.1 Einleitung ............................................................................ 41 3.2.2 Bekannte Ansätze der Strukturplanung und neue Anforderungen.............................................................................. 43 3.2.3 Planung der Produktstruktur individualisierter Produkte .... 45 3.2.4 Methoden zur Strukturanalyse............................................. 48 3.2.5 Vorgehensweise bei der Strukturplanung............................ 53 3.2.6 Methoden zur Strukturoptimierung ..................................... 59 3.2.7 Zusammenfassung ............................................................... 61 3.2.8 Literatur ............................................................................... 61 3.3 Produktion individualisierter Produkte....................................... 63 3.3.1 Einleitung ............................................................................ 63 3.3.2 Leitmotive für die Produktion individualisierter Produkte.. 64 3.3.3 Fabrikplanung...................................................................... 64 3.3.4 Prozessplanung .................................................................... 71 3.3.5 Materialflussplanung ........................................................... 78

VIII

Inhaltsverzeichnis

3.3.6 Zusammenfassung ............................................................... 85 3.3.7 Literatur ............................................................................... 86 3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte ...... 89 3.4.1 Einleitung ............................................................................ 89 3.4.2 Strategien zur Herstellung von individualisierten Produkten ..................................................................................... 90 3.4.3 Individuelle Kunststoffteile durch tropfenbasierte Herstellung ................................................................................... 93 3.4.4 Individuelle Blechbauteile durch rechnergesteuertes Treiben ......................................................................................... 99 3.4.5 Individuelle Umformteile durch den Einsatz generativer Verfahren im Werkzeugbau ....................................................... 103 3.4.6 Verfahren zum Fügen individueller Bauteile .................... 108 3.4.7 Literatur ............................................................................. 113 4 Umsetzung der Produktindividualisierung ...................................... 115 4.1 Der Interaktions- und Kaufprozess für individualisierte Produkte.......................................................................................... 117 4.1.1 Einleitung .......................................................................... 117 4.1.2 Der Interaktions- und Kaufprozess für individualisierte Produkte ..................................................................................... 117 4.1.3 Zusammenfassung ............................................................. 126 4.1.4 Literatur ............................................................................. 127 4.2 Adaptionsprozesse für individualisierte Produkte .................... 129 4.2.1 Einleitung .......................................................................... 129 4.2.2 Neue Anforderungen durch die individuelle Produktanpassung....................................................................... 130 4.2.3 Adaption individualisierter Produkte ................................ 132 4.2.4 Maßnahmen zur aufwandsarmen Produktadaption ........... 146 4.2.5 Zusammenfassung ............................................................. 148 4.2.6 Literatur ............................................................................. 149 4.3 Planung von Produktionsprozessen und Materialflusssteuerung ................................................................... 151 4.3.1 Einleitung .......................................................................... 151 4.3.2 Planung von Produktionsprozessen ................................... 151 4.3.3 Dezentrale Materialflusssteuerung .................................... 156 4.3.4 Zusammenfassung ............................................................. 159 4.3.5 Literatur ............................................................................. 160 5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung............ 163 5.1 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung individualisierter Produkte ..... 165 5.1.1 Einleitung .......................................................................... 165

Inhaltsverzeichnis

IX

5.1.2 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung individualisierter Produkte...................................................................................... 166 5.1.3 Neue Kostensenkungspotenziale ....................................... 168 5.1.4 Kosten zur Erschließung der Kostensenkungspotenziale .. 172 5.1.5 Zusammenfassung ............................................................. 176 5.1.6 Literatur ............................................................................. 177 5.2 Kostenmanagement individualisierter Produkte....................... 179 5.2.1 Einleitung .......................................................................... 179 5.2.2 Neue Anforderungen an das Kostenmanagement ............. 179 5.2.3 Klassische Konzepte der Kalkulation und Bewertung ...... 182 5.2.4 Zielkostenmanagement für individualisierte Produkte...... 187 5.2.5 Individualisierungspfade zur ziel- und prozessorientierten Kalkulation.................................................. 191 5.2.6 Zusammenfassung ............................................................. 196 5.2.7 Literatur ............................................................................. 197 6 Beiträge aus der Praxis....................................................................... 199 6.1 Kundenindividuelle Produktstruktur am Beispiel Omnibus..... 201 6.1.1 Einleitung .......................................................................... 201 6.1.2 Problemstellung................................................................. 201 6.1.3 Gestaltung einer logistikgerechten Auftragsabwicklung... 206 6.1.4 Entwicklung des Konfigurationssystems........................... 208 6.1.5 Nutzenbetrachtung............................................................. 216 6.1.6 Zusammenfassung und Ausblick....................................... 219 6.1.7 Literatur ............................................................................. 220 6.2 Komplexitäts- und Variantenmanagement der AUDI AG ....... 221 6.2.1 Einleitung .......................................................................... 221 6.2.2 Handlungsbedarf eskalierende Variantenvielfalt............... 223 6.2.3 Projektauftrag .................................................................... 225 6.2.4 Analyse bisheriger Lösungsansätze................................... 226 6.2.5 Lösungsansatz ganzheitliches Variantenmanagement....... 227 6.2.6 Zusammenfassung und Ausblick....................................... 235 6.3 Laser-Sintern – e-manufacturing individualisierter Produkte .. 239 6.3.1 Einleitung .......................................................................... 239 6.3.2 Laser-Sintern als e-manufacturing-Anwendung................ 240 6.3.3 Fallbeispiele zur Fertigung von individualisierten Endprodukten durch Laser-Sintern............................................. 247 6.3.4 Zusammenfassung ............................................................. 251 6.3.5 Literatur ............................................................................. 252 Sachverzeichnis ...................................................................................... 253

Autorenverzeichnis ALDERS, KLAUS, Dr.-Ing. Audi AG 85045 Ingolstadt AULL, FLORIAN, Dipl.-Ing. Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften iwb, Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching BARTUSCHAT, MARTIN, Dr.-Ing. NEOMAN Bus Heinrich-Büssing-Straße 1, 38239 Salzgitter BAUMBERGER, GEORG CHRISTOPH, Dipl.-Ing. Lehrstuhl für Produktentwicklung, Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching GAHR, ANDREAS, Dipl.-Ing. Lehrstuhl für Produktentwicklung, Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching GÜNTHNER, WILLIBALD A., Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik, Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching HARNISCH, JAN, Dipl.-Ing. Lehrstuhl für Feingerätebau (jetzt: Lehrstuhl für Mikrotechnik und Medizingerätetechnik), Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching HEINZL, JOACHIM, em. Prof. Dr.-Ing. Lehrstuhl für Feingerätebau (jetzt: Lehrstuhl für Mikrotechnik und Medizingerätetechnik), Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching HOFFMANN, HARTMUT, Prof. Dr.-Ing. Lehrstuhl für Umformtechnik und Gießereiwesen, Technische Universität München Walther-Meißner-Straße, 85747 Garching IRLINGER, FRANZ, Dr.-Ing. Lehrstuhl für Feingerätebau (jetzt: Lehrstuhl für Mikrotechnik und Medizingerätetechnik), Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching KRAWITZ, GÜNTHER, Dr.-Ing. MAN AG

XII

Autorenverzeichnis

Ungererstraße 69, 80805 München LECKNER, THOMAS, Dipl.-Inf. Institut für Informatik XI, Technische Universität München Boltzmannstraße 3, 85748 Garching LINDEMANN, UDO, Prof. Dr.-Ing. Lehrstuhl für Produktentwicklung, Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching MAURER, MAIK, Dipl.-Ing. Lehrstuhl für Produktentwicklung, Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching MOSER, KLAUS, Dipl.-Kfm. Institut für Information Organisation Management, Technische Universität München Leopoldstraße 139, 80804 München PETRY, RAPHAEL, Dipl.-Ing. Lehrstuhl für Umformtechnik und Gießereiwesen, Technische Universität München Walther-Meißner-Straße, 85747 Garching PILLER, FRANK T., Dr. Institut für Information Organisation Management, Technische Universität München Leopoldstraße 139, 80804 München REICHWALD, RALF, Prof. Dr. Dr. h.c. Institut für Information Organisation Management, Technische Universität München Leopoldstraße 139, 80804 München RUDOLF, HENNING, Dipl.-Wirtsch.-Ing. Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften iwb, Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching SCHLICHTER, JOHANN, Prof. Dr. Institut für Informatik XI, Technische Universität München Boltzmannstraße 3, 85748 Garching STANCHEV, STANISLAV, Dipl.-Ing. Lehrstuhl für Umformtechnik und Gießereiwesen, Technische Universität München Walther-Meißner-Straße, 85747 Garching STEGMANN, ROSMARY, M.A. Institut für Informatik XI, Technische Universität München Boltzmannstraße 3, 85748 Garching STOTKO, CHRISTOF M., Dr. EOS GmbH Electro Optical Systems

Autorenverzeichnis

Robert Stirling-Ring 1, 82152 Krailling ULRICH, CHRISTOPHER, Dipl.-Ing. Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften iwb, Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching WILKE, MICHAEL, Dipl.-Ing. Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik, Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching ZÄH, MICHAEL F., Prof. Dr.-Ing. Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften iwb, Technische Universität München Boltzmannstraße 15, 85748 Garching

XIII

1 Einführung Die Wettbewerbssituation, in der sich heute viele Unternehmen befinden, ist von hoher Komplexität geprägt. Diese Komplexität wird durch verschiedene Faktoren hervorgerufen: Auf der einen Seite sind die Produkte und die Unternehmensprozesse komplexer geworden. Eine fortschreitende Integration und Miniaturisierung der verschiedenen mechanischen, elektronischen und softwaretechnischen Komponenten mit jeweils domänenspezifischen Entwicklungsmethoden und unterschiedlichen Innovationszyklen sind hier beispielhafte Entwicklungstrends. Absatz- und Beschaffungsmärkte wie auch die Unternehmen selbst sind global verteilt. Die Entwicklung und die Herstellung der Produkte werden in zunehmendem Umfang ausgelagert oder finden in mannigfaltigen Kooperationen innerhalb von Netzwerken statt. Auf der anderen Seite ist das Anspruchsniveau der Kunden in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Kundenanforderungen sind heute wesentlich differenzierter und Käufermärkte in vielen Branchen Realität. Zudem verlangen die Kunden immer häufiger auf ihre individuellen Bedürfnisse angepasste Produkte und haben Änderungswünsche. Hinzu kommen eine erhöhte Innovations- und Technologiedynamik, massiv verkürzte Entwicklungszeiten und Produktlebenszyklen sowie die Auswirkungen der Informations- und Wissensgesellschaft. Die Folgen der oben skizzierten, geänderten Rahmenbedingungen sind unter anderem stark ansteigende Variantenzahlen, intransparente Entwicklungs- und Herstellungskosten und ein gestiegenes Entwicklungs- und Innovationsrisiko. Außerdem werden die Produkte und Prozesse anfälliger gegenüber Einflüssen wie z. B. Nachfrageschwankungen oder technischen Änderungen und weisen häufiger Qualitätsmängel auf. Vor diesem Hintergrund hat in den letzten Jahren eine Wettbewerbsstrategie an Bedeutung gewonnen, die den Kunden und seine Bedürfnisse noch stärker als bisher in den Fokus des unternehmerischen Handelns stellt. Die kundenindividuelle Massenproduktion bzw. Mass Customization stellt ein strategisches Konzept dar, bei dem der individuelle Kunde mit seinen spezifischen Anforderungen viel tiefer und in größerem Umfang als bisher gekannt in das Unternehmen und seine Wertschöpfungsprozesse integriert wird. Die Analyse der Marktentwicklung sowie der Strategien, mit denen die Unternehmen auf die jeweils geänderten Marktbedingungen reagieren, machen dabei den Trend zu individualisierten Produkten deutlich. Abbildung 1-1 zeigt dies schematisch auf.

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1 Einführung

Abb. 1-1. Trend zu individualisierten Produkten

In vorindustriellen Zeiten entwickelten und produzierten marktnahe Handwerker und Manufakturen individuelle Produkte nach Kundenvorgaben. Dazu waren spezifisches Wissen und Können notwendig, das beim Hersteller häufig nur implizit vorhanden war und über lange Zyklen erworben und weitergegeben wurde. Bei Handwerkern oder einigen Nischenanwendungen ist das auch heute noch der Fall. Mit der zunehmenden Industrialisierung kam die Massenproduktion auf, bei der in optimierten Prozessen standardisierte Erzeugnisse gefertigt wurden. Alleinstehende Produkt- und Prozessinnovationen schufen dabei nachhaltige Wettbewerbsvorteile, Produktivitätssteigerung galt als Paradigma dieser Produktionsform. In vielen Märkten sind heute jedoch die Potenziale der Massenproduktion ausgeschöpft. Um ihre Absatzchancen zu steigern, haben die Unternehmen ihr Leistungsprogramm stärker durch Produktvarianten segmentiert. Grundansatz der variantenreichen Serienproduktion ist dabei, einen Kompromiss zwischen hoher Produktivität und ausreichender Befriedigung individueller Kundenbedürfnisse zu finden. Dies soll durch eine weitestgehende Begrenzung des unternehmensintern entstehenden Aufwandes für die Anpassung an Kundenwünsche gelingen, z. B. durch Verwendung vorentwickelter und vorgefertigter Module. Auch dieser Kom-

1.1 Ziele des Buches

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promiss, Kundenwünsche zu einem vertretbaren Aufwand bestmöglich zu erfüllen, gerät heute an seine Grenzen. Die Erstellung individualisierter Produkte erfordert eine neue Gestaltung von Wertschöpfungsprozessen in den Unternehmen. Wettbewerbsvorteile sollen dabei durch eine Flexibilisierung der Produkte, Prozesse und Unternehmensstrukturen erreicht werden. Mit dieser Flexibilität soll optimal auf die marktseitig vorgegebene Komplexität reagiert werden können. Die Entwicklung, die Herstellung und der Vertrieb solcher individualisierten Produkte sind Gegenstand des vorliegenden Buches.

1.1 Ziele des Buches Zielstellung des vorliegenden Buches ist es, aktuelle Entwicklungen – methodische Konzepte und neue Technologien – aus dem Bereich der Entwicklung, der Produktion und dem Vertrieb individualisierter Produkte darzustellen. Das Buch soll Unternehmen, die sich in dem oben geschilderten Umfeld von veränderten Marktstrukturen befinden, zum Nachdenken über alternative strategische Ansätze anregen. Das Konzept individualisierter Produkte erhöht dabei zwar gezielt die bisher durch Varianten verursachte Komplexität der Unternehmensprozesse, bietet gleichzeitig aber auch neue Strategien zu Beherrschung dieser marktgetriebenen Komplexität. Viele der dargestellten Methoden und Technologien befinden sich derzeit noch im Entwicklungsstadium und können nicht direkt in die industrielle Praxis übernommen werden. Das Buch soll aber Konzepte aufzeigen, die schon in wenigen Jahren industrielle Realität sein können. Zudem müssen nicht alle Strategien „im Paket“ übernommen werden. Die einzelnen Ansätze, z. B. zur Strukturplanung, zur Integration des Kunden in Unternehmensprozesse, sowie die neuen Planungs- und Produktionsverfahren stellen auch für das Management variantenreicher Serienprodukte hilfreiche Ergänzungen dar. Das Buch wendet sich damit an Planungs- und Strategiestellen in der Industrie, die x mit Variantenreichtum kämpfen, x sich mit der Frage der Individualisierung befassen und x über neue strategische Ansätze der Marktorientierung und Strukturierung ihrer Wertschöpfungsprozesse nachdenken. Gleichzeitig wendet es sich an Wissenschaftler in diesem Themengebiet, die aus den vorgestellten Ansätzen Impulse für ihre eigene Forschungstätigkeit gewinnen können.

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1 Einführung

1.2 Hintergrund der Buchentstehung Das Buch fasst Forschungsarbeiten auf dem Gebiet des Variantenmanagements und der Entwicklung und Produktion individualisierter Produkte zusammen, die in den letzten Jahren von verschiedenen Einrichtungen der Technischen Universität München durchgeführt wurden. Insbesondere die Arbeiten des Sonderforschungsbereiches 582 „Marktnahe Produktion individualisierter Produkte“ sind in maßgeblichem Umfang in die Buchentstehung eingeflossen. Hierbei handelte es sich um ein interdisziplinäres Forschungsprogramm, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG gefördert wurde. An diesem Forschungsprogramm waren Wissenschaftler aus der Betriebswirtschaftslehre, der Informatik sowie dem Ingenieurbereich mit Produktentwicklung und den Produktionswissenschaften beteiligt. Zahlreiche Workshops, Diskussionen und gemeinsame Projekte mit der Industrie hatten ebenfalls Einfluss auf die dargestellten Ergebnisse. Die hier erörterten Anforderungen und Lösungsideen aus der Praxis haben in großem Umfang zu den präsentierten Konzepten beigetragen. Auch Erkenntnisse aus einem Kolloquium, das im April 2004 gemeinsam mit Wissenschaftlern und Industrievertretern durchgeführt wurde, sind in das Buch eingeflossen. Die hohe Praxisorientierung soll nicht zuletzt durch drei Beiträge aus der Industrie widergespiegelt werden, in denen Probleme und Lösungsstrategien im Umfeld variantenreicher und individualisierter Produkte dargestellt werden.

1.3 Inhalte und Aufbau des Buches Innerhalb des Buches werden die drei grundsätzlichen Gestaltungsbereiche des Konzeptes individualisierter Produkte behandelt. Das sind x die Entwicklung individualisierter Produkte, x die Produktion individualisierter Produkte sowie x die Gestaltung des Auftragsabwicklungsprozesses an der Schnittstelle von individuellem Kunden und Unternehmung. Abbildung 1-2 zeigt diese Gestaltungsbereiche schematisch auf. Teilaspekte der Entwicklung individualisierter Produkte sind die Produktstrukturplanung, das Kostenmanagement, die Gestaltungs- und Konfigurationswerkzeuge sowie die Dienstleistungsentwicklung. Die Produktstrukturplanung und das Kostenmanagement werden als zentrale Elemente in eigenen Teilkapiteln behandelt, die Gestaltungs- und Konfigurationswerkzeuge sind Bestandteil eines Kapitels zum Marketing und Vertrieb individualisierter Produkte. Die Dienstleistungsentwicklung wird im Folgenden

1.3 Inhalte und Aufbau des Buches

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trotz ihrer hohen Bedeutung ausgeklammert, da der Fokus des Buches auf der Entwicklung, der Herstellung und dem Vertrieb von Sachprodukten liegen soll. Das Teilgebiet der Produktion individualisierter Produkte umfasst die Fabrikplanung, Aspekte der innerbetrieblichen Logistik und des Materialflusses sowie Fertigungstechnologien. Der Fabrik- und Materialflussplanung ist ein eigenes Teilkapitel gewidmet, in dem die Grundansätze zur Flexibilisierung und Wandlungsfähigkeit der Produktions- und Materialflussressourcen aufgezeigt werden. Flexible Fertigungsverfahren für individualisierte Produkte werden ebenfalls in einem Teilkapitel behandelt. Hierzu werden beispielhafte Technologieentwicklungen aus dem Bereich der Umform-, Urform- und Fügeverfahren vorgestellt. Der individuelle Auftragsabwicklungsprozess ist den beiden vorangestellten Gestaltungsbereichen übergeordnet bzw. greift auf die jeweils zugeordneten Methoden und Verfahren zurück. Schwerpunkte des individuellen Auftragsabwicklungsprozesses sind die Gestaltung der Kundeninteraktion, d. h. das Management des Kundenkontaktes sowie die Erfassung von individuellen Kundenwünschen, sowie die Produktadaption und die Prozessplanung individualisierter Produkte. Alle drei Teilprozesse werden in eigenen Kapiteln behandelt.

Abb. 1-2. Gestaltungsbereiche der Strategie individualisierter Produkte

Auch die Grundstruktur des Buches ist an die vorgestellten Gestaltungsbereiche angelehnt. Allerdings werden die Gestaltungsbereiche Entwicklung und Produktion individualisierter Produkte in einem übergeordneten Kapitel zu unterstützenden Methoden und Technologien der Produktindi-

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1 Einführung

vidualisierung zusammengefasst. Nach der Einführung im vorliegenden Kapitel 1 werden in Kapitel 2 zunächst die grundsätzlichen Ansatzpunkte des Konzeptes individualisierter Produkte hergeleitet. Hier wird auf Basis von ausgewählten Prinzipien, wie z. B. einem veränderten Entwicklungsprozess, begründet, warum das Konzept strategische Vorteile gegenüber einer variantenreichen Serienproduktion aufweist. Kapitel 3 und 4 sind der Vorbereitung und Umsetzung des Konzeptes der Produktindividualisierung gewidmet. In Kapitel 3 werden die verschiedenen Bereiche der Vorplanung (Marketing, Produktstrukturplanung und Fabrikplanung) sowie ausgewählte Produktionstechnologien behandelt. In Kapitel 4 werden die Teilprozesse der Auftragsabwicklung vorgestellt. Methoden zur Planung und Unterstützung des Interaktions- und Kaufprozesses, des Adaptionsprozesses sowie des Produktionsprozesses für individualisierte Produkte werden hier vorgestellt. In Kapitel 5 werden anschließend Fragestellungen zur Wirtschaftlichkeit und zum Kostenmanagement diskutiert, die sich aus den vorher präsentierten Ansätzen ergeben. Zum einen werden verschiedene ökonomische Effekte der Individualisierungsstrategie erörtert und einander gegenübergestellt, zum anderen werden Ansätze zum operativen Kostenmanagement während der Vorplanung und innerhalb der Auftragsabwicklung individualisierter Produkte aufgezeigt. In Kapitel 6 werden schließlich drei Problemstellungen aus der Praxis im Kontext des Managements variantenreicher Serienprodukte und individualisierter Produkte behandelt. Im ersten Beitrag werden das Vorgehen zur Produktstrukturierung und der Einsatz von entsprechend angepassten Vertriebswerkzeugen diskutiert. Als Beispiel dient dabei ein Produkt aus dem Umfeld der Nutzfahrzeuge, das von vielen Kundensonderwünschen geprägt ist. Im zweiten Beitrag wird das Komplexitätsmanagement bei variantenreichen Serienprodukten behandelt. Methoden zur Segmentierung und Gestaltung des Variantenspektrums bei Automobilen werden dabei erläutert. Im dritten Beitrag werden abschließend Möglichkeiten zur Gestaltung und Herstellung individualisierter Produkte am Beispiel der Technologie des Lasersinterns vorgestellt, die schon heute industriell nutzbar sind. Damit wird ein Ausblick auf die tatsächlich vorhandenen Potenziale und auf zukünftig denkbare Gestaltungsfelder der Produktindividualisierung gegeben. Die drei Praxisbeiträge lassen sich dabei in die in Abbildung 1 aufgezeigte Entwicklung hin zu individualisierten Produkten einordnen: Der erste Beitrag ist am Übergang von der Sonderfertigung zum Angebot variantenreicher Serienprodukte angesiedelt. Der zweite Beitrag zeigt Konzepte aber auch Probleme im Bereich des Managements variantenreicher Serienprodukte auf. Der dritte Beitrag beschreibt schließlich die Entwicklung hin zu individualisierten Produkten und stellt ausgewählte Technologien und Gestaltungsansätze vor.

2 Individualisierte Produkte U. Lindemann, G. C. Baumberger

2.1 Einleitung Unternehmen sind in den letzten Jahren mit einer stetig wachsenden Variantenvielfalt konfrontiert. Dies hat auf der einen Seite unternehmensinterne Ursachen. Ein unausgereiftes oder nicht praktiziertes Wissensmanagement, z. B. hinsichtlich der Wiederverwendung von bereits vorhandenen Lösungen, oder „zu kreative“ Entwicklungsingenieure und Vertriebsmitarbeiter können beispielhaft als Treiber einer selbst „verschuldeten“ Variantenvielfalt genannt werden. Auf der anderen Seite haben sich in den vergangenen Jahren auch die Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen wesentlich verändert. So erzwingen die Märkte heute ein breiteres Leistungsangebot, weil sie zunehmend gesättigt sind. Sie bieten daher für die Unternehmen weniger Potenziale hinsichtlich Markt- und Umsatzwachstum. Zudem sind die Absatzmärkte globaler geworden – nicht nur länderspezifische Besonderheiten sind bei der Entwicklung und im Vertrieb zu berücksichtigen, global verteilte Unternehmen konkurrieren auch bezüglich der niedrigsten Preise und der besten Produkte miteinander. Innovationen im Bereich von Produkt- und Produktionstechnologien tragen ebenfalls zu geänderten Wettbewerbsbedingungen bei. Dieser technologische Fortschritt führt zu kürzeren Produktlebenszyklen. Oftmals sind so am Markt mehrere Produktgenerationen vorhanden, die unternehmensseitig beobachtet werden müssen und für die beispielsweise Ersatzteile vorzuhalten sind. Schließlich sind auch die Kunden anspruchsvoller geworden. Sie verlangen Produkte, die ihren Anforderungen optimal entsprechen. Gleichzeitig haben auch in Konsumgütermärkten Produkte „von der Stange“ immer weniger Absatzchancen, weil sich die Kunden über die Produkte, die sie besitzen, auch differenzieren möchten. Auf diese geänderten Wettbewerbsbedingungen haben die Unternehmen reagiert. Standen in der Vergangenheit ein bestimmtes Produkt oder eine Technologie im Mittelpunkt des unternehmerischen Handelns, so sind heute die Schaffung und die Nutzung von Absatzchancen in den Fokus gerückt. Kundenorientierung ist heute eine Kernstrategie der meisten Unternehmen. In der Folge haben sie ihr Leistungsangebot zunehmend differenziert. Rapide wachsende Modellpaletten und Variantenzahlen, wie

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2 Individualisierte Produkte

z. B. in der Automobilindustrie zu beobachten, sind ein Anzeichen dafür. Mit der Differenzierung ist jedoch auch die Komplexität in der Entwicklung, der Produktion und dem Vertrieb des Leistungsangebotes in erheblichem Umfang angestiegen. Komplexitätsbeherrschung stellt heute in vielen Unternehmen ein massives Problem und häufig auch einen enormen Kostenfaktor dar. In den letzten Jahren wurden deshalb zahlreiche Methoden und Werkzeuge zur Komplexitätsbeherrschung entwickelt und in den Unternehmen im Rahmen eines Variantenmanagements eingeführt. Modularisierung, Baureihen- oder Baukastenbauweise sind heute in vielen Unternehmen etablierte Strategien (Schuh & Schwenk 2001). Auch die verstärkte Verwendung von Gleich- und Wiederholteilen sowie von Plattformen können als versteckte Maßnahmen zur Standardisierung angesehen werden. Mit diesen Strategien versucht man jedoch in erster Linie, die in den Unternehmen durch kombinatorische Vielfalt entstehende Komplexität zu reduzieren. Damit werden zwei Grundprobleme hoher Variantenvielfalt vernachlässigt: x Hoher Aufwand für die Entwicklung des kompletten Variantenspektrums x Keine optimale Befriedigung der Kundenbedürfnisse. Die Unternehmen erbringen bei der Entwicklung des kompletten Variantenspektrums häufig eine große Vorleistung, obwohl der Bedarf für die einzelnen Varianten noch ungewiss ist. So werden Varianten entwickelt und oft auch produziert, die selten oder in manchen Fällen nie nachgefragt werden. Untersuchungen bei Antriebsaggregaten haben beispielsweise gezeigt, dass 80% der Komponenten eines komplett entwickelten Variantenspektrums nach 2 Jahren noch nie von Kunden bestellt wurden. Die Analyse der Einbauraten von variantenreichen Bauteilen, z. B. bei Automobilen, zeigt ebenfalls häufig eine typische Pareto-Verteilung: 5% bis 15% der Varianten werden sehr häufig verbaut, die verbleibenden 80% der Varianten weisen Einbauraten von zum Teil weit unter 1% auf. Mit dieser unnötigen Vorleistung geht eine erhebliche finanzielle Belastung der Unternehmen einher. Die wenigen „erfolgreichen“ Varianten müssen eine ausreichend hohe Rendite erwirtschaften, um die Entwicklungs- und Produktionsaufwendungen nicht nachgefragter Varianten mit zu tragen. Unternehmen büßen damit erheblich an Wettbewerbsfähigkeit und Preiselastizität ein. Zudem werden unnötig Entwicklungsressourcen gebunden, die zur Sicherstellung der Produkt- und Prozessqualität oder zum Management unvermeidbarer Änderungen besser investiert wären. Die Vielzahl an Varianten ist zudem noch keine Garantie für eine optimale Befriedigung der Kundenbedürfnisse und in der Folge auch nicht für den Markterfolg. Bei der Entwicklung des Variantenspektrums werden zwar die späteren Kun-

2.2 Die Strategie der Produktindividualisierung

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denbedürfnisse bestmöglich antizipiert, noch unbekannte, sehr spezielle oder sich plötzlich ändernde Ausprägungen können aber in der Regel nicht berücksichtigt werden. Das aus vorentwickelten Elementen und standardisierten Bausteinen zusammengestellte Endprodukt entspricht damit nicht zwangsläufig den tatsächlichen Bedürfnissen des Abnehmers (Piller 2001). Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass sich Kunden von der Vielzahl an Auswahlmöglichkeiten leicht überfordert fühlen. So steigt beispielsweise die abnehmerseitig wahrgenommene Komplexität durch die Vielzahl an angebotenen Modulen und die gleichzeitig notwendige Beachtung von Konfigurationsrestriktionen beträchtlich an. Die aufgeführten Argumente zeigen damit, x dass ein Großteil der Komplexität in den Unternehmen umsonst erzeugt wird und x dass diese Komplexität nicht zwangsläufig mit einem gesteigerten Kundennutzen einhergeht. Die oben genannten Strategien des Variantenmanagements helfen also nicht dabei, das Problem zunehmender Variantenvielfalt grundsätzlich zu lösen. Die Kundenbedürfnisse werden immer differenzierter. Trendprognosen zeigen, dass die Anteile am Produkt, die von Kundensonderwünschen betroffen sind, in Zukunft noch deutlich zunehmen werden. Der Markt fordert also die Vielfalt. Eine Strategie der Komplexitätsreduktion, wie sie heute im Variantenmanagement häufig praktiziert wird, geht damit an den Kundenbedürfnissen vorbei. Dasjenige Unternehmen, das individuelle Kundenwünsche zu angemessenen Kosten am besten erfüllt, besitzt hier einen signifikanten Wettbewerbsvorteil.

2.2 Die Strategie der Produktindividualisierung Vor diesem Hintergrund hat seit Beginn der 1990er Jahre die hybride Wettbewerbsstrategie der Kundenindividuellen Massenproduktion (engl. „Mass Customization“) an Bedeutung gewonnen (Pine 1993, Piller 2001, Gräßler 2004). Diese Strategie wird als hybrid bezeichnet, weil gleichzeitig Differenzierung und Kostenführerschaft angestrebt werden. Die Differenzierung besteht hierbei in der Entwicklung und der Herstellung kundenspezifischer bzw. individualisierter Produkte. Unter individualisierten Produkten werden Bündel aus Sachprodukten und Dienstleistungen verstanden, die sowohl Standard- als auch individuelle Komponenten enthalten (Lindemann 2003). Die Individualisierung erfolgt bei letztgenannten Komponenten durch einen kundenspezifischen Entwicklungsprozess, in dem Kundenwünsche erfasst und umgesetzt werden. Nach einer Untersu-

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chung in der Praxis beziehen sich individuelle Kundenanforderungen häufig auf zusätzliche Funktionen, spezielle Leistungsausprägungen, spezielle Schnittstellen oder Umweltbedingungen, Technologien, eine bestimmte äußere Gestaltung oder Abmessungen. Individualisierte Produkte werden zu Preis- und Lieferkonditionen angeboten, die denen von Serienprodukten nahe kommen. Möglichkeiten zur Kostenbeherrschung ergeben sich wie bei Serienprodukten aus Skalen- und Verbundeffekten sowie aus der verstärkten Integration des Kunden in die Wertschöpfungskette und aus fokussierten und flexiblen Leistungssystemen. Außerdem weisen insbesondere Konsumprodukte gesteigerte Ertragspotenziale auf, z. B. eine durch Imageeffekte steigende Zahlungsbereitschaft und eine geringere Preistransparenz. Diese Effekte können die Aufwendungen für die individuelle Leistungserstellung oder damit einhergehende Produktivitätsverluste bisweilen ausgleichen (Piller & Stotko 2003). Tabelle 2-1 zeigt grundlegende Charakteristika der variantenreichen Serienprodukte, Sonderanfertigungen und individualisierten Produkte im Überblick. Tabelle 2-1. Gegenüberstellung von variantenreichen Serienprodukten, Sonderanfertigungen und individualisierten Produkten Sonderanfertigungen x Komplette Neuentwickelung individueller Lösungen x Produkte werden genau nach Kundenspezifikation hergestellt x Kundenspezifische Gestaltung in beliebigen Produktbereichen x Sehr geringe Stückzahlen, Produktion von Unikaten x Kosten und Zeitaufwendungen sind sehr hoch

Variantenreiche Serienprodukte x Konfiguration von vorgefertigten Modulen x Vielfach auftragsunabhängige Entwicklung und Produktion der Module (auf „Vorrat“) x Entstehung großer Variantenzahlen, die in allen Kombinationen nie gebaut werden x Intransparenz der Kostenentstehung, Quersubventionierung von Exoten mit niedriger Stückzahl x Mit Variantenvielfalt steigt vor allem kombinatorische Produktund Prozesskomplexität

Individualisierte Produkte x Konfiguration vordefinierter Module und kundenspezifische Gestaltung in definierten Produktbereichen x Produkt wird in Grundstruktur vorentwickelt x Anpassung des Produktes an individuelle Kundenbedürfnisse erfolgt auftragsspezifisch x Leistungssysteme (Produkte, Prozesse) sind auf Flexibilität ausgerichtet x Preise und Lieferzeiten mit Serienprodukten vergleichbar x Vor allem strukturelle Produkt- und Prozesskomplexität ist zu bewältigen

2.2 Die Strategie der Produktindividualisierung

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Ein wesentlicher Unterschied zur oben skizzierten Strategie der variantenreichen Serienproduktion besteht bei der Erstellung individualisierter Produkte im veränderten Umgang mit Komplexität. Während Strategien des Variantenmanagements bei variantenreichen Serienprodukten auf eine unternehmensinterne Reduzierung der Vielfalt an Elementen und Kombinationsmöglichkeiten abzielen, soll bei individualisierten Produkten Vielfalt nicht vermieden, sondern gezielt durch flexible Produkt-, Prozess- und Unternehmensstrukturen ermöglicht werden. Im Gegensatz zu komplett individuellen Produkten der Sonderfertigung werden Individualisierungsoptionen aber nur in dafür optimierten Produktstrukturbereichen zugelassen. Ebenso sind die Prozesse der Auftragsabwicklung und der Produktadaption optimiert, bestenfalls sogar standardisiert, damit schnell und kostengünstig auf individuelle Kundenwünsche reagiert werden kann. Die Ermöglichung von Vielfalt basiert bei individualisierten Produkten auf verschiedenen Grundprinzipien, die auf eine Flexibilisierung der Leistungsstrukturen und -prozesse abzielen. Diese Prinzipien stellen darüber hinaus wesentliche Neuerungen im Vergleich zur Entwicklung und Herstellung konventioneller Serienprodukte dar. Es handelt sich dabei um x eine Produktstruktur, die hinsichtlich Individualisierungsgesichtspunkten optimiert ist, x einen geteilten Entwicklungsprozess mit einer vorgelagerten Strukturplanung und nachfolgenden Produktadaptionsprozessen im Rahmen der individuellen Auftragsabwicklung, x einen schrittweisen Aufbau des Produkt- und Prozessspektrums (Potenzialgedanke), x die individuelle Interaktion mit dem Kunden während der Auftragsklärung und die Einbindung des Kunden in die Phase der Entwicklung sowie x die Verwendung flexibler Produktionsstrukturen und -verfahren zur Herstellung der individuellen Leistungskomponenten. Individualisierte Produkte weisen gegenüber variantenreichen Serienprodukten eine Produktstruktur auf, die neben standardisierten und konfigurierbaren Modulen auch komplett individuelle Komponenten enthält. Allgemein kann dabei ein fixer und ein variabler Bereich der Produktstruktur unterschieden werden. Der fixe Bereich beinhaltet unveränderliche Produktkomponenten, z. B. eine festgelegte Grundstruktur. Innerhalb der variablen Bereiche ist eine Anpassung möglich. Die Auswahl obligatorischer (z. B. ein bestimmter Antrieb) und optionaler Alternativen (z. B. Zubehör) ist von Variantenprodukten bekannt. Diese Elemente sind vorentwickelt. Eine weitergehende Produktanpassung kann durch skalierbare Bereiche oder die individuelle Auskonstruktion vordefinierter, prinzipieller

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Bereiche erreicht werden. Außerdem werden definierte Freiräume in der Produktstruktur angelegt und allgemeine Freiräume ermittelt. Bei definierten Freiräumen ist eine individuelle Gestaltung vorgesehen (z. B. die Festlegung einer individuellen Gehäuseform), bei allgemeinen Freiräumen ist sie zumindest möglich (z. B. die Realisierung einer zusätzlichen Funktion). Die beschriebenen Bereiche werden in der Produktstruktur gezielt angelegt. Die Produktstruktur wird damit für bestimmte Individualisierungsoptionen „zugeschnitten“. Hierbei kommen rechnergestützte Analyse- und Optimierungswerkzeuge zum Einsatz, die den strukturseitigen Aufwand für die Umsetzung individueller Kundenwünsche von vornherein minimieren sollen. Auch die Werkzeuge der virtuellen Produktentwicklung unterstützen mit verbesserten Visualisierungs- und Simulationsmöglichkeiten die Entwicklung und die Optimierung flexibler Produktstrukturen. Mit Hilfe der so optimierten, änderungsrobusten Produktstruktur kann flexibel und schnell auf individuelle Kundenwünsche reagiert werden. Damit geht ein veränderter, zweigeteilter Entwicklungsprozess einher, der in seinen Grundzügen in Abbildung 2-1 dargestellt ist. Die Planung und die Optimierung der oben beschriebenen Produktstruktur erfolgen in einer vorgelagerten Phase. Auch von variantenreichen Serienprodukten ist eine solche vorgelagerte Phase bekannt, in der die Planung und die Vorentwicklung der Variantenstruktur angesiedelt sind. Der wesentliche Unterschied besteht jedoch darin, dass in der Strukturplanung individualisierter Produkte noch nicht alle Varianten entwickelt werden. Auf Basis von möglichen Individualisierungsszenarios erfolgen lediglich die Entwicklung und die Optimierung der grundsätzlichen Produktstruktur. Bei variantenreichen Serienprodukten erfolgen dagegen die Vorplanung, Entwicklung und Absicherung aller Varianten in allen zugelassenen Konfigurationen. Dies bedeutet einen erheblichen Entwicklungsaufwand. Auch bei individualisierten Produkten werden einzelne Elemente des späteren Produktspektrums vorentwickelt. Dabei handelt es sich aber in erster Linie um die Komponenten des fixen Bereiches sowie ausgewählte obligatorische und optionale Alternativen. Andere Komponenten oder prinzipielle Lösungsmöglichkeiten werden nur vorgedacht, jedoch nicht fertig entwickelt und auskonstruiert. Ein Großteil der Entwicklungsarbeit fällt erst in der individuellen Auftragsabwicklung an. Als Beispiel ist die Adaption des Produktes an individuelle Anforderungen mit der kompletten Ausgestaltung aller Produktelemente zu nennen.

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Abb. 2-1. Entwicklungsprozesse bei individualisierten Produkten (in Anlehnung an Lindemann et al. 2003, S. 19)

Mit der Zweiteilung des Entwicklungsprozesses wird deutlich, dass im Gegensatz zu variantenreichen Serienprodukten Entwicklungsaufwand von der vorgelagerten Strukturplanungsphase in nachfolgende Auftragsabwicklungsprozesse verlagert werden soll. Hier liegt die Annahme zugrunde, dass unnötige, also später nicht abgefragte Entwicklungsleistungen ver-

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mieden werden und damit die Effektivität der Produktentwicklung gesteigert wird. Der Entwicklungsaufwand in der Auftragsabwicklungsphase soll allerdings durch die ausgeprägte Strukturplanung und -optimierung weitestgehend reduziert werden. Insbesondere dienen die Strukturplanung und -optimierung dazu, durch individuelle Kundenwünsche induzierte Änderungen am Produkt zu lenken und zu minimieren. Auch die Prozesse zur Aufnahme (Marketing), Übersetzung (Entwicklung) und Umsetzung (Produktion) der individuellen Kundenwünsche müssen sehr effizient ablaufen, weil in der Auftragsabwicklung nur wenig Zeit zur Verfügung steht. Eine Vorplanung dieser Prozesse bereits in der Strukturplanungsphase sowie eine weitestgehende Automatisierung sollten daher angestrebt werden. Um den Entwicklungsaufwand in der Auftragsabwicklungsphase weiterhin zu begrenzen, soll noch stärker als bisher auf bereits bekannte und bewährte Produkt- und Prozesskomponenten zurückgegriffen werden. Dies führt zum Aufbau eines Produkt- und Prozessspektrums als einem weiteren Grundprinzip der Entwicklung individualisierter Produkte. Wie bereits beschrieben, werden in der Strukturplanung nur die grundlegende Struktur und einzelne Komponenten des Produktspektrums geplant, es erfolgt jedoch keine umfassende Entwicklung einzelner Varianten. Diese Entwicklungsleistung wird in die Auftragsabwicklung verlagert. Mit jedem neuen Kundenwunsch wird hier das vorhandene Produktspektrum um neue Lösungsalternativen erweitert. Bei schon einmal aufgetretenen Kundenwünschen oder sehr ähnlichen Problemstellungen kann auf dieses Produktspektrum natürlich zurückgegriffen werden. So ist es denkbar, bereits bewährte Lösungen direkt oder in modifizierter Form wieder zu verwenden. Außerdem können Kunden auf bereits einmal realisierte Lösungen zugreifen, wenn diese z. B. in Form von optionalen Alternativen im Produktspektrum hinterlegt sind. Ebenso baut sich in der Auftragsabwicklungsphase ein Spektrum an Entwicklungs- und Adaptionsprozessen auf. Auf diese Problemlösungsprozesse kann bei der Planung und Durchführung zukünftiger Produktadaptionen zugegriffen werden. Die Produkt- und Prozessspektren stellen damit Potenzialgrößen des Unternehmens dar, die sich kontinuierlich erweitern und die den Aufwand bei der Auftragsabwicklung mit zunehmender Befüllung immer weiter verringern. Sie können zudem nur schwer von Wettbewerbern kopiert werden. Eine Grundvoraussetzung ist dazu natürlich die Verfügbarkeit geeigneter Werkzeuge zum Management von Produkt- und Prozesswissen. Ebenso müssen die darin abgelegten Wissensbausteine gut strukturiert und miteinander vernetzt werden. Mit dem Konzept individualisierter Produkte geht also ein massiver Wandel der Entwicklungsprozesse einher. Dieser Wandel betrifft jedoch auch die Prozesse, die der Entwicklung vor- und nachgelagert sind, sowie

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die übergeordneten Unternehmensstrukturen. So ist es beispielsweise notwendig, den Kunden viel stärker als heute mit in den Leistungserstellungsprozess einzubeziehen. Durch eine persönliche Ansprache und die individuelle Interaktion mit dem Kunden während der Auftragsklärung sollen spezifische Kundenanforderungen erfasst werden, auf denen die nachfolgende Produktadaption aufbaut. Hier ist es notwendig, alle für die Produktindividualisierung relevanten Informationen zu erfassen, auch wenn diese nicht explizit vorliegen. Eine Produktstruktur, die hinsichtlich der individuellen Kundenanforderungen optimiert wurde, sowie die Nutzung des Produkt- und Prozesspotenzials verhelfen hierbei zu einer effizienten Kunden-Unternehmens-Interaktion. Außerdem wird die Interaktion durch Methoden und Werkzeuge sowie ein ausgeprägtes Customer Relationship Management (CRM) unterstützt. Dazu zählen z. B. Konfigurationssysteme und Tool Kits, die Kunden als individuelle Entwicklungswerkzeuge nutzen können. Neben der Gewinnung konkreter Anforderungen sollen durch die verstärkte Interaktion mit den Kunden auch der Zugang zu Kundeninformationen und innovativen Ideen verbessert und eine stärkere Kundenbindung erreicht werden. Darin wird ein weiteres Nutzenspotenzial der Individualisierungsstrategie gesehen. Gleichzeitig sind für die Herstellung individualisierter Produktkomponenten flexible Produktionsstrukturen und -verfahren notwendig. Strategien zur zunehmenden Integration und Flexibilisierung von Fertigungsprozessen, z. B. Computer Integrated Manufacturing (CIM) oder fraktale Fabriken, sind seit langem Gegenstand der produktionsorientierten Forschung und in der Praxis teilweise umgesetzt. Vor diesem Hintergrund wurde in den letzten Jahren auch die Entwicklung flexibler Fertigungstechnologien vorangetrieben. Ziel ist es dabei, auch die Fertigung kleiner Stückzahlen wirtschaftlich durchführen zu können. Unter anderem spielen weiterentwickelte Rapid Prototyping- und Rapid ManufacturingTechnologien für die Herstellung individueller Bauteile eine große Rolle. Diese Verfahren wurden hinsichtlich ihrer Produktivität und der Einsatzbreite verbessert und stellen aufgrund der möglichen geometrischen Vielfalt ideale Fertigungstechnologien für individualisierte Produkte dar. Beispiele für derartige Technologien sind z. B. Lasersintern (im industriellen Einsatz), düsenbasierte Extrusionsverfahren für Metallwerkstoffe (in der Entwicklung) sowie inkrementelle Umformverfahren (in der Entwicklung).

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2 Individualisierte Produkte

2.3 Umsetzung des Konzeptes und derzeitige Probleme Die vorgestellten Prinzipien müssen zum Teil als Treiber einer Umsetzung der Individualisierungsstrategie angesehen werden, bei denen in der Praxis vielfach noch erheblich Defizite bestehen. Insbesondere gilt dies für die angesprochenen Werkzeuge des Managements von Produkt- und Prozesswissen sowie für die Interaktions- und Produktionstechnologien, bei denen derzeit in der Breite noch keine praxistauglichen Lösungen zur Verfügung stehen. Eine Umsetzung der Individualisierungsstrategie ist daher erst in wenigen Bereichen erfolgt. Beispielhafte Anwendungsgebiete im Konsumgüterbereich sind Bekleidung und Sportgeräte. Im Bereich von Investitionsgütern ist heute in vielen Branchen die teilweise Anwendung der oben beschriebenen Strategien zu beobachten. Beispielsweise werden bei der Planung von Maschinen auch heute schon häufig flexible Bereiche angelegt. Auch das bewusste Verlagern von Entwicklungsleistungen in die Auftragsabwicklung ist ein gängiges Konzept in der Praxis. Eine konsequente Umsetzung des gesamten Konzeptes ist aber vor dem Hintergrund bisher fehlender Strukturplanungs-, Interaktions- und Produktionstechnologien nicht zu beobachten. In den folgenden Beiträgen werden hierzu viel versprechende Ansätze diskutiert. Wenn sich auch die meisten der vorgestellten Ansätze noch im Entwicklungsstadium befinden, so zeigen sie dennoch die Zielrichtung bei der Schaffung flexibler Unternehmensprozesse und Strukturen auf. Wenn eine Umsetzung der Strategien und die Einführung in die industrielle Praxis gelingen, dann werden langfristig auch komplexe mechatronische oder hoch integrierte Produkte wirtschaftlich individualisiert werden können

2.4 Literatur Gräßler, I.: Kundenindividuelle Massenproduktion. Berlin: Springer 2004. Lindemann, U. (Hrsg.): SFB 582. Marktnahe Produktion individualisierter Produkte. Arbeits- und Ergebnisbericht 2001-2004. München: TU 2003. Lindemann, U.; Baumberger, C.; Freyer, B.; Gahr, A.; Ponn, J.; Pulm, U.: Entwicklung individualisierter Produkte. In: Reinhart, G., Zäh, M. F. (Hrsg.): Marktchance Individualisierung. Berlin: Springer 2003. Piller, F: Mass Customization. Wiesbaden: DUV 2001. Piller, F., Stotko, C.: Mass Customization und Kundenintegration. Düsseldorf: Symposion 2003. Pine, J.: Mass Customization: The New Frontier in Business Competition. Boston: Harvard Business School Press 1993. Schuh, G.; Schwenk, U.: Produktkomplexität managen. München: Hanser 2001.

3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

3.1 Marketing- und Vertriebswerkzeuge für individualisierte Produkte R. Reichwald, K. Moser, J. Schlichter, T. Leckner, R. Stegmann

3.1.1 Einleitung Die Erstellung individualisierter Produkte erfordert neue Konzepte des unternehmerischen Handelns über alle Unternehmensfunktionen hinweg. Tauchte bisher „Kundenzentrierung“ in vielen Managementkonzepten meist nur als Schlagwort auf und hatte keinen konkreten Niederschlag in veränderten Handlungsweisen, so übernimmt die Kundenzentrierung bei dem Angebot individualisierter Produkte eine ganz neue Bedeutung. Ohne den Kunden ins Zentrum der Wertschöpfung zu stellen und dessen individuelle Bedürfnisse und Wünsche zu erfassen, ist die Herstellung individualisierter Produkte schlicht nicht möglich. Dies beginnt in den Marketingund Vertriebsaufgaben eines Unternehmens und zieht sich über alle weiteren Unternehmensfunktionen hinweg, wie in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels erläutert wird. Zwei zentrale Themen sollen im Rahmen des vorliegenden Kapitels zu Marketing- und Vertriebswerkzeugen für individualisierte Produkte näher besprochen werden. Als erster Schwerpunkt wird der Marketingmix für individualisierte Produkte erläutert. Dieser Marketingmix beinhaltet den wichtigen neuen Aspekt der Konfigurationspolitik. Als zweiter Schwerpunkt dieses Kapitels werden Werkzeuge für die kundenspezifische Definition individualisierter Produkte vorgestellt. Diese Werkzeuge sollen allgemein in x Konfiguratoren und x Spezifikationswerkzeuge unterteilt werden. Konfiguratoren umfassen Werkzeuge zur Auswahl vordefinierter Varianten innerhalb der klassischen Serienproduktion. Spezifikationswerkzeuge sollen dagegen als Werkzeuge zur Spezifikation der individuellen Ausprägungen individualisierter Produkte verstanden werden. Eine genauere Unterscheidung und Einteilung wird in dem entsprechenden Abschnitt vorgenommen.

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

3.1.2 Der Marketingmix für individualisierte Produkte Damit Unternehmen die Wettbewerbsvorteile der Produktion individualisierter Produkte nutzen können, müssen sie ihre Kunden auf das Angebot aufmerksam machen  hier unterscheidet sich das Geschäftsmodell der Produktion individualisierter Produkte nicht von anderen Wertschöpfungskonzepten. Die aus Marketingsicht bekannten klassischen „vier Ps“ des Marketings x Produktpolitik, x Preispolitik, x Place (Distributionspolitik) und x Promotion (Kommunikation) verlieren nicht an Gültigkeit. Jedoch gibt es im Vergleich zum Marketing, das an Seriengütern ausgerichtet ist, eine wichtige Unterscheidung, die im veränderten Wertschöpfungsmodell fußt – das Wertschöpfungsmodell ändert sich von einem Transaktions- zum Interaktionsmodell (Piller 2003; Piller u. Stotko 2003). Vom Transaktions- zum Interaktionsmodell Traditionelle Serienproduktion folgt einem transaktionsorientierten Geschäftsmodell, das vier Stufen umfasst: x Entwicklung, x Herstellung, x Vertrieb und x Auslieferung. Die Produktion individualisierter Produkte basiert dagegen auf einem interaktionsorientierten Geschäftsmodell bestehend aus: x Produktstrukturplanung und Entwicklung, x Kundengewinnung, x Individuelle Anforderungsklärung und Informationsgewinnung, x Spezifikation und Produktadaption, x Herstellung, x Auslieferung und x Beziehungsaufbau. Dieses neue Modell der Wertschöpfung zur Produktion individualisierter Produkte bedingt die direkte Einbindung des Kunden zur Definition des Produktes – dieser neue Wertschöpfungsschritt wird „Spezifikation“ (des Produktes) genannt. Auf Basis der in der individuellen Anforderungsklärung gewonnenen Informationen über Produktwünsche und -eigenschaften erfolgen die Produktadaption und Herstellung. Aufgrund der Tatsache,

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dass der Anbieter individualisierter Produkte bezüglich nachgelagerter Aufgaben in der Wartung, Ersatzteilversorgung und im Nachgeschäft immer die individualisierten Produktelemente berücksichtigen muss, ist ein dauerhafter und enger Kontakt zum Kunden notwendig. Deshalb müssen die vier klassischen Ebenen des Marketingmixes erweitert werden, um den Erfordernissen der Produktion individualisierter Produkte gerecht zu werden. Diese Erweiterungen sind x die Konfigurationspolitik und x das Beziehungsmanagement. Die Abbildung 3-1 zeigt den Marketingmix für individualisierte Produkte im Überblick (siehe auch Riemer u. Totz 2001; Schnäbele 1997; Wind u. Rangaswamy 2001).

Abb. 3-1. Der Marketingmix für individualisierte Produkte

Grob lässt sich der Marketingmix für individualisierte Produkte in zwei Bereiche unterteilen: zum einen in den eher leistungsobjektbezogenen Bereich mit Produkt-, Preis- und Distributionspolitik, zum anderen in den unmittelbar kunden- bzw. interaktionsbezogenen Bereich mit Kommunikations- und Konfigurationspolitik sowie dem Beziehungsmanagement.

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Produktpolitik Zentrale Aufgaben der Produktpolitik sind x der Aufbau der grundlegenden Produkt- und Leistungsarchitekturen und x die Festlegung der möglichen Individualisierungsoptionen sowie des Zeitpunkts der Kundenintegration. Das Ergebnis der Überlegungen zur Produkt- und Leistungsarchitektur ist die Festlegung des Produktspektrums. Die detaillierte Diskussion dieses Themas ist Inhalt von Kapitel 3.2 „Entwicklung und Strukturplanung individualisierter Produkte“. Die Individualisierungsoptionen beschreiben die Möglichkeit des Kunden, Eigenschaften des Produktes zu verändern. Ein Beispiel für eine Individualisierungsoption wäre die Möglichkeit zur individuellen, geometrischen Anpassung des Handgriffs eines Elektrowerkzeugs (z. B. einer Bohrmaschine). Weitere Eigenschaften dieses Produktes, die verändert werden können, wären die Motorleistung oder der Umfang an Zubehör. Eine Steigerung der Anzahl der Individualisierungsoptionen erhöht im Allgemeinen auch die Produktkomplexität. Der Zeitpunkt der Kundenintegration bezieht sich auf den Schritt, zu dem der Kunde in die Wertschöpfung eingebunden wird. So kann dies schon bei der Entwicklung des Produktes geschehen, bei der Fertigung oder der Montage, aber auch erst bei dem Verkauf des Produktes (vergleiche hierzu auch Piller et al. 2004 und Mintzberg 1988). Eine sehr einfache Individualisierung erst beim Verkauf des Produktes im Handel umfasst beispielsweise den Abschluss eines individualisierten Wartungsvertrags zusätzlich zum Verkauf des Standardproduktes (wobei in diesem Fall von einer schwachen Form der Individualisierung gesprochen wird). Preispolitik Aus Abnehmersicht können individualisierte Produkte eine Reihe von Nutzeffekten haben, welche die Zahlungsbereitschaft erhöhen. Dies gilt vor allem im Konsumgüterbereich. In der Theorie kann ein Hersteller individualisierter Produkte ungeachtet eines geltenden Marktpreises den Preis für sein Produkt weitgehend autonom festlegen, und zwar ausgerichtet am jeweiligen Nutzen eines Produkts für einen Abnehmer. Das Produkt ist weniger vergleichbar, deshalb führt ein höherer Preis im Vergleich zum Standardprodukt auch nicht unbedingt zur Abwanderung der Kunden (Chamberlin 1962; Weigand u. Lehmann 1997). Studien in den Branchen Fahrrad-, Küchen-, Schuh- und Uhrenindustrie zeigen, dass die Zahlungsbereitschaft für individualisierte Produkte zwischen 20 und 30 Prozent über der von Produkten aus der Serienproduktion

3.1 Marketing- und Vertriebswerkzeuge für individualisierte Produkte

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liegt (Reichwald et al. 2005; Bärhold et al. 2004). Beispielsweise kann Adidas mit dem Angebot individualisierter Sportschuhe der Marke „mi adidas“ Preisaufschläge von ca. 25 Prozent gegenüber den nicht individualisierten Basismodellen erzielen, die in Serie hergestellt werden. Die Themen Zahlungsbereitschaft und Preispolitik stellen auch wesentliche Größen für das Kostenmanagement dar. Dieser Aspekt wird im Kapitel zur Wirtschaftlichkeitsbetrachtung individualisierter Produkte näher behandelt. Distributionspolitik Inhalt der Distributionspolitik ist die Gestaltung eines Absatzkanalsystems. Ein Absatzkanalsystem besteht aus verschiedenen Absatzkanälen und wird dann auch als Multikanal bezeichnet. Ein Absatzkanalsystem muss sowohl den spezifischen Anforderungen der Konfiguration bzw. Spezifikation als auch dem Ziel der Gewinnung und Nutzung von Kundeninformationen gerecht werden. Distributions- und Konfigurationspolitik gehen deshalb bei individualisierten Produkten ineinander über und müssen zumindest abgestimmt werden. Hierzu bedarf es Multikanal-Strategien, deren Aufbau eine der größten Herausforderungen eines Angebots individualisierter Produkte darstellt. Mögliche Absatzkanäle werden grundsätzlich nach Offline- und OnlineKanälen unterschieden. Offline-Kanäle umfassen die Absatzkanäle, bei denen eine persönliche Interaktion von Unternehmen und Kunde im Zentrum steht. Beispielsweise ist das bei stationären Handelsstrukturen unter Beteiligung von Verkaufsmitarbeitern oder eines Außendienstes der Fall. Vertriebsmöglichkeiten über Katalog, Telefon, Fernsehen, Internet und mobile Vertriebskanäle (Mobiltelefon, PDA, etc.) werden unter dem Begriff der Online-Absatzkanäle zusammengefasst. In der Praxis können gerade die Konzepte eines Produktangebotes überzeugen, die einen stationären Handel (Offline) und den Vertrieb über das Internet (Online) verbinden (z. B. individualisierte Fahrräder der Firma Steppenwolf: www.steppenwolf-bikes.de). Der Grund liegt in der Komplexität vor allem des Erstkaufs. Für Kunden ist die erstmalige Konfiguration bzw. Spezifikation eines Produktes unter Berücksichtigung vielfältiger Individualisierungsmerkmale ohne Begleitung und Beratung durch geschultes Verkaufspersonal sehr komplex. Kunden können bei einem reinen Online-Angebot vom Kauf abgeschreckt werden. Die Stärke einer Integration des Internets zeigt sich aber bei Wiederholungskäufen, nachdem der Kunde ausreichend Erfahrung mit der Individualisierung eines bestimmten Produktes gesammelt hat. Wenn neben dem individualisierten noch ein Produktangebot der Serienproduktion besteht, ist zu beachten, dass so genannte Channel-

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Konfikte auftreten können. Versucht ein im Seriengeschäft etabliertes Unternehmen für ein neuartiges Angebot individualisierter Produkte den exklusiven Vertrieb über das Internet zu nutzen, kann es zu ChannelKonflikten mit den klassischen Handelspartnern kommen. Meist liegt der eigentliche Grund des gewählten Internetvertriebs darin, dass die bestehenden Handelsstrukturen auf Grund mangelnder technischer Ausstattung den Vertrieb individualisierter Produkte nicht unterstützen können. Solche Konflikte sind insbesondere bei ausgeprägten Zwischen- und Einzelhandelsstrukturen zu beobachten (z. B. Uhren- oder Fahrradindustrie). Kommunikation Generell ist die Aufgabe der Kommunikationspolitik, alle auf den Markt gerichteten Informationen eines Unternehmens zum Zweck der Beeinflussung von Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen im Sinne des Anbieters zu planen und durchzuführen (Diller 2001). Vereinfachend wird die Aufgabe der Kommunikationspolitik aber meist darin gesehen, die potenziellen Kunden über das Angebot an Produkten und Dienstleistungen zu informieren. Für das Angebot individualisierter Produkte bekommt die Personalisierung der Kommunikation eine zentrale Stellung innerhalb der Marketingaktivitäten. Den bestehenden und potenziellen Kundengruppen wird also nicht nur ein individualisiertes Produkt angeboten, sondern diese Kunden sollen zudem noch individuell angesprochen werden. Budgets und Zeitrahmen der Kommunikationspolitik bleiben bei Angeboten individualisierter Produkte im Vergleich zur variantenreichen Serienproduktion im Wesentlichen gleich. Die gewünschte höhere Differenzierungsposition und Imagewirkung eines Anbieters individualisierter Produkte erfordern jedoch eine höhere Marktpräsenz (zumindest bei Pionierunternehmen einer Branche). Gleichzeitig kann aber die besondere Differenzierungsposition zu einer höheren Wahrnehmung durch die Zielgruppe führen, ohne dass der Anbieter aktive Kommunikationspolitik betreiben muss. Das was grundsätzlich für das Kommunikationsbudget gilt, trifft auch für die zur Auswahl stehenden Maßnahmen der Werbung zu – auch diese unterscheiden sich für Anbieter individualisierter Produkte im Vergleich zu Serienproduzenten nicht. Klassische Werbemaßnahmen, Internetwerbung oder gezielte Verkaufsrabatte kommen hier ebenso zum Einsatz wie Messeauftritte oder Publikationen in der Presse. Inhaltlich jedoch unterscheiden sich die Maßnahmen der Werbung für individualisierte Produkte im Vergleich zu Standardprodukten durch zwei Aspekte: x die Komplexität eines höherwertigeren Produktes, die dem Kunden auf einfache Weise kommuniziert werden muss und

3.1 Marketing- und Vertriebswerkzeuge für individualisierte Produkte

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x die besondere Rolle, die der Kunde dabei durch seine Integration in den Wertschöpfungsprozess spielt. Ein Kommunikationskonzept für Angebote individualisierter Produkte sollte in vier Phasen eingeteilt werden, welche die Kommunikationsmaßnahmen je nach Stellung der Kunden (Neu- oder Altkunden) differenzieren: x Bekanntmachung des Angebots individualisierter Produkte x Markteintritt mit individualisierten Produkten x Kommunikation mit bestehenden und potenziellen Kunden x Aufbau einer dauerhaften individuellen Kundenbeziehung Inhalt der ersten Phase ist die „Kundenausbildung“. Ziel ist, die potenziellen Kunden über die Möglichkeit einer Individualisierung zu informieren, den Vorteil individualisierter Produkte und deren Preisgestaltung zu erläutern und hervorzuheben, wo die Grenzen der zurzeit realisierten Leistungsstufe liegen. Hierbei gelten die gleichen Regeln wie bei der Neueinführung eines Standardgutes. Es muss also sorgsam abgewogen werden, ob die Erwartung, die eine anfängliche Kommunikation im Markt weckt, befriedigt werden kann. Um das Kundenvertrauen nicht gleich zu Beginn der Markteinführung überzustrapazieren, ist es in diesem ersten Schritt wichtig, „mit offenen Karten zu spielen“. Das heißt, die derzeit tatsächliche Leistungsfähigkeit muss im Vordergrund der Öffentlichkeitsarbeit stehen. Ziel des zweiten Schrittes ist es, die anfängliche Komplexität des neuartigen Produktangebots aus Kundensicht zu minimieren und Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Anbieters zu schaffen. Neben klassischer vertrauensstiftender Werbung soll vor allem der Einsatz von Interaktionswerkzeugen Kompetenz demonstrieren. Deshalb ist in diesem Schritt die Integration der Kunden in die Kommunikationspolitik entscheidend. Adidas arbeitete beispielsweise zur Einführung des „mi adidas“-Programms sehr stark mit Events, die bei bestimmten Sportveranstaltungen die Vorzüge des individualisierten Produkts herausstellten. Ein weiteres Hilfsmittel in dieser Phase kann der Imagetransfer von Marken, die von Serienprodukten bekannt sind, auf das neue Angebot individualisierter Produkte sein. So kann eine starke Marke helfen, ein neuartiges Produktangebot erfolgreich zu implementieren, vor allem wenn auf Kundenseite Unsicherheiten bezüglich des versprochenen Zusatznutzens bestehen. Ein ähnlicher Effekt wirkt sich auch umgekehrt aus, wenn ein erfolgreiches Angebot individualisierter Produkte den Absatz beim Seriengeschäft steigert, weil sich zum Beispiel das Unternehmen als Innovationsführer positionieren kann.

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Die dritte Phase hat die Beeinflussung aktiver und identifizierter potenzieller Kunden zum Ziel. Diese sollen stärker an das Unternehmen und das konkrete Produktangebot gebunden werden. Ein wesentlicher Bereich ist dabei die Intensivierung der Kommunikation mit den Kunden. Diese sollen die Fähigkeiten zur Selbstkonfiguration und -spezifikation entwickeln. Damit wird die Grundlage geschaffen, künftig den Anteil der Wertschöpfung stärker auf die Seite des Kunden zu verlagern. In der vierten Phase geht es um den Aufbau einer dauerhaften AnbieterAbnehmer-Beziehung. Ab hier ist die Kommunikationspolitik individuell und muss die vielen Möglichkeiten des Customer Relationship Managements zur Verbesserung des Cross-Sellings oder des Weiterempfehlungsverhaltens nutzen, die im Rahmen des „one-to-one“-Marketings schon lange diskutiert werden (Peppers u. Rogers 1997; Ludwig 2000). Hierbei ist große Sorgfalt auf eine individuelle Kundenansprache zu legen, damit das Individualisierungsversprechen des Produkts um eine adäquate Folgekommunikation ergänzt wird. Konfigurationspolitik Die Konfigurationspolitik ist eine der Kernfunktionen des Marketings für das Angebot individualisierter Produkte. Verschiedene Aspekte der Konfiguration und der Produktspezifikation werden daher im folgenden Abschnitt „Spezifikationswerkzeuge für individualisierte Produkte“ dieses Kapitels vertieft. Als Folge der Konfigurationspolitik bietet ein Unternehmen am Markt letztendlich keine Produkte, sondern Fähigkeiten an. Fähigkeiten, die es erlauben, für und vor allem mit jedem Kunden eine individualisierte Lösung zu gestalten. Konfiguratoren und Spezifikationswerkzeuge haben als Interaktionsplattform zwischen Hersteller und Abnehmer deshalb neben ihrer technischen Funktion der Produktauswahl und -gestaltung auch eine wesentliche Marketingaufgabe. Viele Unternehmen schätzen die Konfiguration und Spezifikation als zu technisch ein und bemerken nicht, dass die Art des Interaktionsvorgangs und die Einbeziehung der Kunden in die Wertschöpfung auch wesentliche präferenzbildende Aufgaben haben (siehe Franke u. Piller 2003). Ein Spezifikationswerkzeug stellt für Anbieter individualisierter Produkte oft die zentrale Schnittstelle zum Kunden dar. Zudem konkretisiert sich mit Hilfe des Spezifikationswerkzeugs das gesamte Produktspektrum des Unternehmens. Die Vermittlung von Kompetenz des Anbieters, vor allem aber auch das Fördern von Begeisterung auf Kundenseite, vermag die bei Kaufabschluss oft nicht sofort mögliche Auslieferung des Produkts auszugleichen.

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Beziehungsmanagement Die direkte Interaktion mit jedem Kunden bietet neue Möglichkeiten für den Aufbau einer intensiven, wissensbasierten Beziehung mit jedem Kunden. Dies verlangt aber auch nach einem ausgereiften Beziehungsmanagement. Mit dem Konzept des Beziehungsmanagements sind alle Marketingaktivitäten eines Unternehmens nicht mehr anonym auf eine breite Masse von Konsumenten ausgerichtet, sondern individuell auf jeden einzelnen Kunden bezogen (Diller 2001). Dies ist gerade bei individualisierten Produkten von großer Bedeutung, denn wenn sich die verkauften Produkte in einer Vielzahl von Merkmalen unterscheiden, so müssen die entsprechenden Kunden ebenso individuell behandelt werden. Kernbestandteil eines Beziehungsmanagements sollte ein Customer Relationship Management (CRM) sein. CRM ist eine kundenorientierte Strategie, welche zur Zielsetzung hat, profitable, langfristige Kundenbeziehungen aufzubauen und zu erhalten. Neben den Profitabilitäts- und Wachstumszielen, steht als drittes Ziel des CRM die Sicherheit der Kundendaten im Vordergrund. Als zentrale Hilfsmittel werden Informations- und Kommunikationstechnologien sowie individuelle Marketing-, Vertriebs-, und Servicekonzepte verwendet (Hippner u. Wilde 2002). Für Serienproduzenten ist die aktive Nutzung der neuen Kundenbindungspotenziale oft recht schwierig, da meist keine intensive Interaktion mit dem Kunden stattfindet. Das Angebot von individualisierten Produkten bietet jedoch eine sehr viel bessere Basis für ein CRM-System und das damit verbundene Beziehungsmanagement. Typischerweise erfragen Serienproduzenten parallel oder nachgelagert zum Kaufprozess bestenfalls eine Auswahl von Kundendaten. Beim Angebot von individualisierten Produkten spielen Kundendaten jedoch die zentrale Rolle und deren Erfassung ist essenzieller Bestandteil des Kaufprozesses. Der Kunde gibt aus eigenem Interesse möglichst präzise Auskunft über seine Produktbedürfnisse, da ihm bewusst ist, dass sein Wunsch nach einem individualisierten Produkt andernfalls nicht optimal erfüllt werden kann. Den Anbietern von individualisierten Produkten stehen somit für das Beziehungsmanagement höherwertige und umfangreichere Kundendaten zur Verfügung, die zudem freiwillig vom Kunden im Zuge des Kaufprozesses mitgeteilt werden. Somit stellt die Erhebung der Kundendaten keine eigenständige, und für den Kunden oft lästige, Zusatzaufgabe dar. Ein sehr erfolgreiches Konzept eines CRMs stammt beispielsweise von Audi. Dieses bindet neben den Kunden auch die Händler in die CRMStrategie ein, da diese typischerweise den engeren Kontakt zum Kunden besitzen. Ein sehr ähnliches Konzept unter Einbindung der Händler hat Honeywell BendixKing, ein Zulieferer der Luftfahrtindustrie, implemen-

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tiert. Auf der Plattform BendixKing.com können sich Endkunden (meist Piloten) über Produkte informieren aber auch Händler aus dem Händlernetz von Honeywell BendixKing erhalten über dasselbe System Zugang zu technischen Dokumenten oder aktuellen Lagerbeständen. 3.1.3 Zusammenfassung zum Marketingmix für individualisierte Produkte Der Marketingmix für individualisierte Produkte beinhaltet nicht wie bisher nur die bekannten „vier Ps“, sondern zwei zusätzliche Parameter. Die Ausgestaltung der bekannten „vier 4 Ps“ x Produktpolitik, x Preispolitik, x Place (Distributionspolitik) und x Promotion (Kommunikation) stellt Anbieter individualisierter Produkte nicht vor grundsätzlich neue Aufgaben. Die Herausforderung ist in den neuen Parametern x Konfigurationspolitik und x Beziehungsmanagement zu suchen. Ein Konfigurations- oder Spezifikationswerkzeug stellt oft die zentrale Schnittstelle zum Kunden dar, wenn dieser sich über das Angebot informiert und das individualisierte Produkt spezifiziert. Ebenso kommt mit dem notwendigen Beziehungsmanagement auf Anbieter individualisierter Produkte eine neue Aufgabe zu, da nun alle Marketingmaßnahmen individuell auf den Kunden zugeschnitten werden müssen. 3.1.4 Spezifikationswerkzeuge für individualisierte Produkte Wie oben geschildert, ist die Konfigurationspolitik ein wichtiger Bestandteil des Marketingmixes für individualisierte Produkte. Im Umfeld variantenreicher Serienprodukte lässt sich die Konfigurationspolitik technisch durch Produktkonfiguratoren realisieren. Auch die Spezifikation von individualisierten Produkten kann durch Softwaresysteme unterstützt werden. Die Funktionalität entsprechender Werkzeuge basiert auf Produktkonfiguratoren, geht jedoch an vielen Stellen über deren Fähigkeiten hinaus, zum Beispiel bei der Produktmodellierung, der Visualisierung des Produkts sowie den Hilfsfunktionen für die Benutzer. Während sich der Begriff Spezifikationswerkzeug im Folgenden immer auf die Anwendung im Bereich individualisierter Produkte bezieht, wird der Ausdruck Konfigurator hier für die Variantenauswahl bei Serienprodukten verwendet.

3.1 Marketing- und Vertriebswerkzeuge für individualisierte Produkte

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Basisfunktionalitäten, die sowohl Konfiguratoren als auch Spezifikationswerkzeuge aufweisen sind: x Verwaltung der Produkt- und Konfigurationsmodelle, x Darstellung des Aufbaus des Produkts und der Freiheitsgrade für den Benutzer, x Möglichkeiten zum interaktiven Festlegen von Werten für die Freiheitsgrade, x Prüfen der Korrektheit eines Konfigurationsmodells. Darüber hinaus soll der Einsatz eines solchen Werkzeugs als primäres Interaktionsmittel vor allem die Kompetenz des Herstellers demonstrieren. Aus diesem Grund spielen das Aussehen und die Bedienbarkeit des Werkzeugs sowie der Charakter des Konfigurationsprozesses eine zentrale Rolle. Dies beginnt zunächst mit den direkten Interaktionsmöglichkeiten, die der Kunde über das Werkzeug erfährt. Das unmittelbare virtuelle Ausprobieren und „Erleben“ des Produktspektrums kann ein wichtiger Faktor sein, um das Interesse des Kunden zu wecken und ihn vom Produkt zu überzeugen. Dadurch nimmt die Distanz zum Produkt ab und das Vertrauen des Kunden steigt. Interaktivität und Multimedialität sowie die Tatsache, selbst aktiv werden zu können und Produktgestaltungsmöglichkeiten auszuprobieren, steigern die Begeisterung des Kunden und können so das Kaufverhalten positiv beeinflussen. Der Kunde lernt sein individualisiertes Produkt dadurch nicht nur kennen, er gestaltet es selbst aktiv mit. Aber nicht nur das Kauferlebnis des Kunden ist von Bedeutung. Auch für das Unternehmen stellt der Konfigurator bzw. das Spezifikationswerkzeug eine wichtige Möglichkeit dar mit Kunden zu kommunizieren, und dies bereits in einem Stadium, wo Kunden sich unverbindlich informieren oder sich nur einen ersten Eindruck von den angebotenen Produkten verschaffen wollen. Gerade durch im Internet eingesetzte Werkzeuge können deutlich mehr Kunden auf den Hersteller eines Produkts aufmerksam gemacht werden als über andere Medien. Jedoch darf bei all diesen Potenzialen nicht vergessen werden, dass der Einsatz eines entsprechenden Werkzeugs niemals nur die Kundeninteraktion alleine betrifft. Die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens bis hin zur Fertigung des Produkts, sowie das gesamte Informationsmanagement des Unternehmens können von der Einführung des Werkzeugs betroffen sein und müssen entsprechend adaptiert werden. In wieweit Prozesse im Unternehmen an die Konfiguration bzw. Spezifikation angepasst werden müssen, hängt auch vom Einsatzzweck des Werkzeugs ab. Dazu muss im Wesentlichen die Frage beantwortet werden, ob es sich eher an Kunden richtet (Online) oder vielmehr als Hilfsmittel für Mitarbeiter des Herstellers gedacht ist (Offline). Im Online-Einsatz ist zudem zu klären, ob

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

die Kunden primär nur über das Leistungsangebot informiert werden sollen, oder ob auch ein Produktkauf mit Hilfe des Werkzeugs möglich sein soll. Wenn ein Kunde ein Produkt auch direkt über den Konfigurator bzw. ein entsprechendes Spezifikationswerkzeug bestellen kann, ist eine Anbindung an die elektronische Auftragsabwicklung sowie eine Schnittstelle zur Datenübergabe an nachgelagerte Prozesse unabdingbar. Im Folgenden werden nun zunächst Konfiguratoren vorgestellt und im weiteren Verlauf die Unterschiede zwischen Konfiguratoren und Spezifikationswerkzeugen für individualisierte Produkte näher betrachtet. Überblick über Konfiguratoren Typischerweise können Benutzer mit Hilfe eines Konfigurators verschiedene Eigenschaften eines Produkts festlegen und dadurch die Variante auswählen, die sie sich wünschen. Für die Konfiguration von Produkten gibt es bereits zahlreiche Methoden und Werkzeuge, die sich auf technischer Seite vor allem der Modellierung des Produktwissens widmen, also zum Beispiel der Verwaltung und Überprüfung von Abhängigkeiten zwischen Freiheitsgraden innerhalb eines Produkts. Details hierzu sind beispielsweise in Ardissono et al. (2001), Felfernig et al. (2001), Sabin u. Weigel (1998) und Tiihonen et al. (1998) zu finden. Für die Gestaltung und Umsetzung eines Produktkonfigurators spielen verschiedene Einflussfaktoren eine Rolle. Eine grundsätzliche Entscheidung ist zum Beispiel, ob Kunden in grafischer Form oder rein textbasiert konfigurieren sollen. Auch können Konfiguratoren eine Reihe von erweiterten Funktionalitäten anbieten, beispielsweise eine automatische Preisberechnung zum aktuellen Stand der Konfiguration oder die automatische Vervollständigung der vom Kunden begonnenen Konfiguration durch das System. Zu unterscheiden ist auch, ob es sich um einen StandaloneKonfigurator handelt oder um einen Konfigurator, der mit anderen Systemen zusammenarbeitet. Dabei wird unterschieden zwischen jenen Konfiguratoren, die lediglich Daten mit anderen Anwendungen austauschen, sowie Konfiguratoren, die wirklich Teil einer übergeordneten Anwendung (z. B. eines ERP-Systems) sind. Weitere Ausgestaltungskriterien von Konfiguratoren werden in der Tabelle 3-1 genannt (vgl. Becker et al. 2004, Göhner 2005).

3.1 Marketing- und Vertriebswerkzeuge für individualisierte Produkte

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Tabelle 3-1. Ausgestaltungsformen eines Konfigurators Ausgestaltungsformen eines Produktkonfigurators Anwender

Mitarbeiter des Anbieters (Offline-Konfigurator)

Kunden (Online-Konfigurator)

Umsetzung der Konfiguration

Grafisch

Textbasiert FrageAntwort

Eingabemasken

Visualisierung

Grafisch (z. B. als 3D-Modell)

Textbasiert (z. B. als Liste)

Einsatzgebiet

Nur für eine bestimmte Produktart einsetzbar

Universell einsetzbar, d. h. vollständig modellbasiert

Beratung / Empfehlungen

Ohne Beratungskomponente

Mit Beratungskomponente

Automatische Vervollständigung

Ohne

Nicht personalisierte Vervollständigung

Personalisierte Vervollständigung

Integrationslevel

Stand-Alone

Datenintegrativ

Anwendungsintegrativ

Preisberechnung

Mit Preisberechnung

Ohne Preisberechnung

Es folgen einige Betrachtungen zu Konfiguratoren, die derzeit schon im Einsatz sind. Diese Systeme lassen sich unterscheiden in generische Softwareprodukte, die nur in begrenztem Umfang an die Bedürfnisse eines Unternehmens angepasst werden können und von Grund auf individuell entwickelte Lösungen. Letztere sind in der Regel dann nötig, wenn sehr spezifische Vorstellungen bezüglich des Konfigurationsprozesses existieren, also zum Beispiel besondere Möglichkeiten zur Visualisierung und Spezifikation von Freiheitsgraden gewünscht sind. Darüber hinaus gibt es aber auch Standardsoftware, auf deren Basis ein Konfigurator realisiert werden kann. Die derzeit existierenden „Standard“-Konfiguratoren stammen üblicherweise aus den Bereichen x Produktentwicklung/ Produktdatenmanagement (PDM), x ERP-Systeme oder

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

x E-Commerce-Anwendungen. Konfiguratoren aus jedem dieser drei Bereiche haben unterschiedliche Stärken. Für die Entscheidung, welches Basissystem verwendet werden soll, ist es daher hilfreich, die charakteristischen Eigenschaften der Konfiguratoren des jeweiligen Bereichs zu kennen. Konfiguratoren für Produktentwicklung und Produktdatenmanagement (PDM) zielen vor allem auf die Produktmodellierung und die Möglichkeiten zum Festlegen von Freiheitsgraden innerhalb des Produktspektrums ab. Ausgangspunkt für die Entwicklung solcher Konfiguratoren ist oft auch CAD-Software. Die festgelegten Freiheitsgrade des Produkts bilden dabei die Basis für die Struktur des Konfigurators, der in einfacher Form meist automatisch (z. B. anhand der Parameter im CAD-Modell) generiert werden kann. In der Regel sind solche Konfiguratoren weniger auf eine Nutzung durch Kunden ausgerichtet, sondern werden eher von Mitarbeitern des Herstellers verwendet, die den Konfigurator für die traditionelle Kundenberatung (also offline) nutzen. Für die Verwendung als OnlineKonfigurator durch den Kunden muss die automatisch generierte Benutzerschnittstelle üblicherweise noch an spezielle Kundenbedürfnisse angepasst werden. Bei Konfiguratoren für ERP-Systeme können die im Konfigurationsprozess erhobenen Daten nahtlos in bestehende ERP-Systeme übernommen werden. Die Beschaffung und Bereitstellung von Ressourcen oder auch die Terminierung von Fertigungsprozessen können somit automatisch in die Wege geleitet werden. Solche Konfiguratoren werden oft zusammen mit ERP-Systemen angeboten bzw. bieten leistungsfähige Schnittstellen zu diesen. Auch diese Art von Konfigurator ist von der Historie her eher für den Offline-Gebrauch durch Mitarbeiter des Herstellers und weniger für den Online-Gebrauch durch Kunden gedacht. Für die Produktkonfiguration durch den Kunden ist meist auch hier eine Anpassung der Benutzerschnittstelle nötig. Bei E-Commerce-Anwendungen geht es vor allem um die Einbindung des Konfigurators in die gesamte Internetpräsenz des Unternehmens. Primärer Nutzer des Systems ist in diesem Fall der Kunde, d. h. der Konfigurator wird typischerweise ausschließlich online genutzt. Deshalb spielt bei der Umsetzung vor allem das „Look & Feel“ (Aussehen und Bedienbarkeit) des Konfigurators und das durch den Konfigurationsprozess vermittelte „Erlebnis“ eine zentrale Rolle. Je nach den Anforderungen des Herstellers an den Konfigurationsprozess und an spezielle Funktionalitäten des Konfigurators, kann es teilweise nötig sein, Mischformen von Konfiguratoren aus den oben genannten Bereichen zu verwenden und im Extremfall auch einen eigenen Konfigurator

3.1 Marketing- und Vertriebswerkzeuge für individualisierte Produkte

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zu entwickeln. Zumindest bei der Realisierung der Benutzerschnittstelle für Online-Konfiguratoren ist eine eigene Lösung oft unumgänglich. Abschließend soll exemplarisch eine alphabetische, nicht-repräsentative Auswahl von Firmen genannt werden, die Konfigurator-Lösungen anbieten, mit entsprechenden Internet-Adressen (Stand Juli 2005). x Camos (Stuttgart, Deutschland), www.camos.de, x Cephei AG (Gräfelfing, Deutschland), www.cephei.com, x Cintek AG (Göppingen, Deutschland), www.cinteg.de, x ec-logic GmbH (Fürth, Deutschland), www.ec-logic.com, x Encoway (Bremen, Deutschland), www.encoway.de, x Firepond Inc. (Minneapolis, USA), www.firepond.com, x PeopleSoft (Pleasanton, USA), www.peoplesoft.com, x Sage (Frankfurt, Deutschland), www.sage.de, x Selectica Inc. (San Jose, USA), www.selectica.com, x Softtech (Fort Lauderdale, USA), www.softtechnz.com, x Tacton Systems (Stockholm, Sweden), www.tacton.com, x Technicon (Emeryville, Canada), www.technicon.com. Obwohl heute eine Vielzahl von (häufig auch kleinen) Anbietern in diesem Umfeld tätig ist, existieren noch keine allgemeingültigen Standards für Konfigurator-Lösungen. Aus diesem Grund kann eine generelle Bewertung und Empfehlung der unterschiedlichen Konfigurator-Lösungen derzeit nicht erfolgen. Stattdessen folgt im nächsten Abschnitt eine Zusammenstellung von Anforderungen, die insbesondere bei der Implementierung eines Spezifikationswerkzeuges für individualisierte Produkte eine Rolle spielen. Die speziellen Anforderungen bei der Spezifikation individualisierter Produkte werden dabei mit den Anforderungen an Konfiguratoren für variantenreiche Serienprodukte verglichen. Anforderungen an Spezifikationswerkzeuge für individualisierte Produkte Im Folgenden werden die wesentlichen Anforderungen an innovative und zukunftsweisende Online-Spezifikationswerkzeuge für individualisierte Produkte diskutiert. Dabei soll erklärt werden, was bei der Spezifikation von individualisierten Produkten im Vergleich zur Konfiguration von Serienprodukten besonders beachtet werden muss. 1. Spezifikation von Freiheitsgraden: Unter Freiheitsgraden versteht man all jene Produktelemente, die der Kunde im Zuge der Konfiguration bzw. der Spezifikation an seine Bedürfnisse anpassen und damit (mit)gestalten kann. Bei variantenreichen Serienprodukten beschränkt sich die Konfiguration eines Freiheitsgrads auf die Auswahl eines Werts

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

aus einer vordefinierten Wertemenge. Im Unterschied dazu hat der Kunde bei individualisierten Produkten weiter reichende Möglichkeiten zur Modifikation. Zum Beispiel kann er ein individuelles Emblem entwerfen, das er zudem auf einer beliebigen Stelle der Produktoberfläche platzieren kann. Die Methoden zur Produktspezifikation sind vielfältiger und erlauben Gestaltungsfreiräume, die man bislang eher aus CADSystemen kennt. Die volle Funktionalität einer CAD-Anwendung würde die meisten Kunden jedoch mit Sicherheit überfordern. Für die Spezifikation individualisierter Freiheitsgrade sollten demnach geeignete Werkzeuge entwickelt werden, was bisher in der Praxis jedoch kaum geschehen ist. 2. Kundengerechte Sicht auf die Produktstruktur: Neben der Möglichkeit zur Spezifikation der Freiheitsgrade muss ein Spezifikationswerkzeug dem Kunden die Möglichkeit bieten, den Aufbau des Produkts interaktiv kennen zu lernen und durch die Struktur des Produkts zu navigieren. Im Vergleich zur Konfiguration ist die Individualisierung von Produkten deutlich komplexer. Die Herausforderung besteht deshalb darin, zwar alle individualisierbaren Produktelemente aufzuzeigen, den Kunden aber dennoch nicht zu überfordern. Ideal ist dafür eine Produktdarstellung, welche verschiedene Sichten auf ein Produkt ermöglicht und es somit erlaubt, auf die für den Kunden interessanten und relevanten Details zu fokussieren. Das Erscheinungsbild des Spezifikationswerkzeugs selbst wie auch die Darstellung der Produktstruktur solltenalso an individuelle Kundenbedürfnisse anpassbar sein. 3. Personalisierte Empfehlungen: Zusätzlich zur kundengerechten Sicht auf die Produktstruktur sollte ein Spezifikationswerkzeug auch Möglichkeiten zur Personalisierung beinhalten. Der zentrale Nutzen der Personalisierung ist eine vereinfachte, individuelle Sicht auf die Freiheitsgrade des Produkts. Würden alle Freiheitsgrade ungefiltert im Spezifikationswerkzeug angezeigt, so müsste sich der Kunde durch Hunderte, vielleicht Tausende von Attributen „quälen“, wo doch nur einige wenige für ihn von Interesse sind. Ein gutes Spezifikationswerkzeug sollte diese Komplexität vor dem Kunden verbergen (Felfernig et al. 2001). Wichtig ist hierbei jedoch, dass der Kunde jederzeit die Möglichkeit hat, das Spektrum der angezeigten Freiheitsgrade wieder zu erweitern, falls dieses durch die Personalisierungsmethode zu sehr eingeschränkt wurde. Die technische Basis für Personalisierungsmethoden sind so genannte Recommender Systems (Schafer et al. 2001). Diese verwenden unterschiedliche Filterverfahren, um für den Kunden interessante Produkte bzw. Produktkomponenten auszuwählen und zu empfehlen. Manche Filter vergleichen hierzu die Inhalte der Benutzerprofile

3.1 Marketing- und Vertriebswerkzeuge für individualisierte Produkte

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mit der Produktstruktur, andere nutzen Ähnlichkeiten zwischen Kunden (auf Basis der Benutzerprofile). 4. Modellierung und Erhebung von Benutzerprofilen: Für die Personalisierung ist Information über den spezifischen Benutzer erforderlich. Diese wird typischerweise in einem Benutzerprofil gespeichert. Bei Konfiguratoren für Serienprodukte werden demgegenüber meist keine Benutzerprofile benutzt. Die benötigte Kundeninformation kann entweder implizit (durch Beobachtung des Online-Kundenverhaltens) oder explizit (durch direkte Befragung) erhoben werden. Da implizit erhobene Profile jedoch häufig zu unpräzise für die Erzeugung adäquater Empfehlungen sind und explizite Profile zu viel Aufwand für den Kunden bedeuten, sind innovative Methoden zu Erhebung notwendig. Schließlich soll die Aufwandsersparnis für den Kunden durch die Personalisierungsmethode nicht durch die manuelle Erfassung der Profildaten wieder verloren gehen. Eine mögliche Lösung wäre der Import von (anwendungsübergreifenden) Benutzerprofilen aus anderen Anwendungen. Eine andere Idee ist der Einsatz von Methoden aus der Computerlinguistik. Dabei geht es um die Verarbeitung menschlicher Sprache mit dem Computer, wodurch eine benutzerfreundliche und aufwandsarme Eingabe der Kundenpräferenzen, zum Beispiel in einem natürlich-sprachlichen Dialog, ermöglicht wird (Stegmann 2005). Der Einsatz von Spracherkennungsund Sprachsynthesesoftware erlaubt zudem eine Erhebung der Kundendaten sowie eventuell auch die Spezifikation des Produkts über gesprochene Sprache. Dies erlaubt und vereinfacht dann z. B. auch die Benutzung über mobile, ubiquitäre Endgeräte. 5. Gegenseitige Kundenunterstützung: Je mehr ein Kunde ein Produkt an seine individuellen Bedürfnisse anpassen kann, desto komplizierter wird der Spezifikationsprozess. Neben der Konfigurationskomplexität nehmen dann auch die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Softwarewerkzeug sowie die Unsicherheiten des Kunden bezüglich seiner Kaufentscheidung zu. Eine Möglichkeit zur Überwindung dieser Probleme bietet die gegenseitige Kundenunterstützung, die der Kunde im Internet bereits von Verbraucherforen und Produkt-Communities kennt. Im Unterschied zu diesen Systemen hat man in einem Spezifikationswerkzeug allerdings deutlich weiter reichende Möglichkeiten zur Unterstützung verschiedener Kooperationsformen zwischen Kunden (vgl. Leckner u. Schlichter 2005). Die generelle Idee bei der gegenseitigen Kundenunterstützung ist, dass Kunden während der Konfiguration Kontakt zu einander aufbauen und miteinander Produkte spezifizieren (vgl. Leckner 2003). Kunden können einander also während des Spezifikationsprozesses beraten und übernehmen auf diese Weise Aufgaben, die ansonsten von Mitarbeitern des Herstellers geleistet werden müssten.

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

6. Integration von Produkt- und Komponentenkatalogen: Produktkataloge dienen bei Konfiguratoren und Spezifikationswerkzeugen im Wesentlichen der Schaffung eines Überblicks über die Menge der verfügbaren und produzierbaren Güter. Kataloge unterstützen den Kunden durch diverse Suchmöglichkeiten, wobei seit kurzem auch Bewertungen anderer Kunden miteinbezogen werden können (Schubert 2000). Viel versprechend, aber bislang wenig erprobt, ist die Integration von modellbasierten Produktkonfiguratoren mit Komponentenkatalogen. Für Kunden kann dadurch die Übersichtlichkeit maßgeblich verbessert werden, nicht zuletzt deshalb, weil der Kunde den Umgang mit Online-Katalogen aus anderen Internetshops bereits gewohnt ist (vgl. z. B. Internetauftritt von Amazon.de). Ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Katalog für individualisierte Produkte und einem Katalog für Serienprodukte liegt darin, dass die Visualisierung und Beschreibung von Serienprodukten in Katalogen auf Grund der meist schon vorproduzierten Varianten einfacher fällt. Ein solcher Katalog ist in größerem Maße statisch bzw. „vorgedacht“. Ein Katalog für individualisierte Produkte hingegen muss dynamisch an die von den Kunden gestalteten Produkte und Komponenten angepasst und laufend automatisch erweitert werden. Hier ist es nicht möglich, alle Ausprägungen eines Produkts bereits im Vorfeld festzulegen und abzubilden. 7. Visualisierung des Produkts: Ein wesentlicher Aspekt zur Unterstützung der Kaufentscheidung ist die Visualisierung des individualisierten Produkts. In Konfiguratoren für variantenreiche Serienprodukte basiert die Berechnung der Produktvisualisierung meist auf vorgefertigten Abbildungen von Produktteilen mit unterschiedlichen Eigenschaften. Für die Visualisierung eines individualisierten Produkts ist dieses Vorgehen allerdings in den seltensten Fällen ausreichend. Schließlich sind nicht alle möglichen Produktausprägungen im Voraus bekannt. Die Berechnung einer Produktvisualisierung geschieht bei individualisierten Produkten deshalb mit Hilfe von Rendering-Software, welche die automatische Erstellung einer Visualisierung für virtuelle 3D-Modelle erlaubt. 8. Preis- und Lieferzeitberechung während der Spezifikation: Mindestens ebenso wichtig wie die Visualisierung des individualisierten Produkts ist (zur Unterstützung der Kaufentscheidung) die Anzeige des Produktpreises und der zu erwartenden Lieferzeit. Je nach den Modifikationen des Kunden an den Freiheitsgraden müssen diese Daten dynamisch neu berechnet werden. Dabei gibt es deutliche Unterschiede zu konfigurierbaren Produkten, da nicht nur standardisierte Produktteile verwendet werden und somit auch Prozesse nicht immer im Voraus genau bekannt sind. Eine Lösung ist die Anbindung des Spezifikationswerkzeugs an

3.1 Marketing- und Vertriebswerkzeuge für individualisierte Produkte

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die Prozess- und Fertigungsplanung sowie an ein Modul zur Kostenberechnung. 9. Constraint Checking: Wenn der Kunde viele Möglichkeiten zur Spezifikation seines Produkts hat, dann ist es wichtig, dass das Spezifikationswerkzeug Möglichkeiten zur Überprüfung der Korrektheit und Produzierbarkeit des individualisierten Produkts integriert. Da (anders als bei der Konfiguration) nicht sämtliche möglichen Produkte „vorgedacht“ sein können, bedarf es auch hier innovativer Mechanismen. Abhängigkeiten zwischen Freiheitsgraden („constraints“) müssen schon während der Spezifikation bekannt sein. Die Abhängigkeiten zwischen Produktelementen können dann mittels einer Regelbasis, die Beschränkungen für die Belegung der Freiheitsgrade definiert, automatisch überprüft werden. Wählt der Kunde einen Wert, der dieser Regelbasis widerspricht, so wird er vom System hierüber informiert. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Spezifikation des Kunden auch technisch herstellbar und sinnvoll ist. Ein Constraint Checking Modul stellt somit eine der wichtigsten Funktionalitäten eines Spezifikationswerkzeugs dar. 3.1.5 Zusammenfassung zu Konfiguratoren und Spezifikationswerkzeugen Im Vergleich zum Vertrieb von variantenreichen Serienprodukten spielt ein Spezifikationswerkzeug beim Verkauf von individualisierten Produkten eine noch zentralere Rolle. Es dient im Wesentlichen der systematischen Festlegung aller Ausprägungen des individualisierten Produkts durch den Kunden. Für den praktischen Einsatz von Konfiguratoren und Spezifikationswerkzeugen existiert eine Vielzahl von Ausgestaltungsformen, welche optimal an das jeweilige Produkt und die fokussierte Kundengruppe anzupassen sind. Allgemeine Standardlösungen sind derzeit am Markt noch nicht erhältlich, es lassen sich, wie hier gezeigt, jedoch eine Reihe von Anforderungen formulieren, die zur besseren Orientierung dienen können. Bei individualisierten Produktangeboten besitzen die Adaptivität des Spezifikationswerkzeugs an die Kundenbedürfnisse und die kundengerechte Darstellung der Produktstruktur eine hohe Bedeutung. Hierbei sind speziell die adäquate Visualisierung und die kundengerechte Adaption von Freiheitsgraden des Produktes wichtig. Weiterhin stehen ein auf individualisierte Produkte ausgerichtetes Constraint Checking sowie die Integration von Personalisierung zur Reduktion der Komplexität für den Kunden im Mittelpunkt.

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

3.1.6 Literatur Ardissono, L.; Felfernig, A.; Friedrich, G.; Jannach, D.; Schäfer, R.; Zanker, M.: Intelligent Interfaces for Distributed Web-based Product and Service Configuration. Präsentiert: 1st International Conf. on Web Intelligence (WI2001), Japan, 2001. Bärhold, S.; Buriánek, F.; Dolch, P.; Sainer, S.; Moser, K.; Piller, T. F.: Mass Customization Profitability - A Cross-Industry Analysis. München: 2004. Blecker T., Abdelkafi N., Kreuter G., Friedrich G.: Product Configuration Systems: State-of-the-Art, Conceptualization and Extensions. Präsentiert: Génie logiciel & Intelligence articielle, Soussee, Tunesia, 2004. Chamberlin, E. H.: The Theory of monopolistic competition: a re-orientation of the theory of value. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1962. Diller, H.: Kommunikationspolitik. In: Diller, H. (Hrsg.): Vahlens Großes Marketing Lexikon. München: Vahlen 2001, S. 791. Felfernig, A.; Friedrich, G.; Jannach, D.; Zanker, M.: Intelligent support for interactive configuration of mass-customized products. Lecture Notes in Computer Science Vol. 2070, University Klagenfurt, Austria, 2001. Franke, N.; Piller, F. T.: Key research Issues in User Interaction with Configuration Toolkits. International Journal of Technology Management 26 (2003) 5/6, S. 578-599. Göhner, M.: Software für die Produktspezifikation durch den Endkunden. Diplomarbeit, TU München, 2005. Hippner, H.; Wilde, K. D.: CRM - Ein Überblick. In: Helmke, S.; Dangelmaier, W. (Hrsg.): Effektives Customer Relationship Management. 2. Auflage. Wiesbaden: Gabler 2002, S. 3-37. Leckner, T.: Support for online configurator tools by customer communities. Präsentiert: 2nd Intl. World Congress on Mass Customization and Personalization, Oct. 6-8 2003, Munich, Germany. Leckner, T.; Stegmann, R.; Schlichter, J.: Reducing Complexity for Customers by means of a Model-Based Configurator and Personalized Recommendations. In: (Hrsg.): International Conference on Economic, Technical and Organisational aspects of Product Configuration Systems. Lyngby, Denmark: 2004. Leckner, T. Schlichter, J.: Information Model of a Virtual Community to Support Customer Cooperative Product Configuration. Präsentiert: 11th International Conference on Human-Computer Interaction, Las Vegas, USA, 2005. Ludwig, M. A.: Beziehungsmanagement im Internet. Köln: Lohmar 2000. Mintzberg, H.: Generic strategies: toward a comprehensive framework. Advances in Strategic Management 5 (1988), S. 1-67. Peppers, D.; Rogers, M.: Enterprise one to one. Tools for competing in the interactive age. New York: Doubleday Randomhouse 1997. Piller, F.: Mass Customization - Ein wettbewerbsstrategisches Konzept im Informationszeitalter. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 2003. Piller, F.; Möslein, K.; Stotko, C.: Does mass customization pay? An economic approach to evaluate customer integration. Production Planning & Control 15 (2004) 4, S. 435-444.

3.1 Marketing- und Vertriebswerkzeuge für individualisierte Produkte

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Piller, F.; Stotko, C.: Mass Customization und Kundenintegration. Düsseldorf: Symposium 2003. Reichwald, R.; Müller, M.; Moser, K.; Piller, T. F.: The market for mass customization: Evaluating market potential and company profitability for mass customization in the footwear industry. Publiziert: International Journal of Mass Customization (2005). Riemer, K.; Totz, C.: The many faces of personalization - an integrative economic overview of mass customization and personalization. Präsentiert: World Congress 2001 on Mass Customization and Personalization, 01.10.200102.10.2001, Hong Kong. Sabin, D.; Weigel, R.: Product Configuration Frameworks - A Survey. IEEE Intelligent Systems & their applications 13 (1998) 4, S. 42-49. Schafer, J. B.; Konstan, J.; Riedl, J.: Electronic Commerce Recommender Applications. Journal of Data Mining and Knowledge Discovery 5 (2001) 1/2, S. 115-152. Schnäbele, P.: Mass Customization Marketing. Wiesbaden: Gabler 1997. Schubert, P.: The Participatory Electronic Product Catalog: Supporting Customer Collaboration in E-Commerce Applications. Electronic Markets Journal 10 (2000) 4. Stegmann, R.: Improving Explicit Profile Acquisition by means of Adaptive Natural Language Dialog. . Präsentiert: 10th International Conference on User Modeling, Edinburgh, Scotland. S. 518-520. Stegmann, R.; Koch, M.; Lacher, M.; Leckner, T.; Renneberg, V.: Generating Personalized Recommendations in a Model-Bases product Configurator System, Workshop on Configuration. Präsentiert: International Joint Conference on Artificial Intelligence, Mexiko. Stegmann, R.; Koch, M.; Wörndl, W.: Acquisition of Customer Profiles by means of Adaptive Text-Based Natural Language Dialog. Präsentiert: Annual Workshop of the SIG Adaptivity and User Modeling in Interactive Systems of the German Informatics Society (GI) (ABIS04), Berlin, Germany. Steinfeld, C.; Jang, C. J.; Pfaff, B.: Supporting Virtual Team Collaboration: The TeamSCOPE System, GROUP'99. ACM. Phoenix, USA, 1999, S. 81-90. Tiihonen, J.; Lehtonen, T.; Soininen, T.; Pulkkinen, A.; Solunen, R.; Riitahuhta, A.: Modeling configurable product families. Präsentiert: 4th WDK Workshop on Product Structuring., Delft University of Technology, Netherlands. Weigand, J.; Lehmann, E.: Produktdifferenzierung. Wirtschaftswissenschaftliches Studium (WiSt) 26 (1997) 9, S. 477-480. Wind, Y.; Rangaswamy, A.: Customerization. The next revolution in Mass Customization. Journal of Interactive Marketing 15 (2001) 1, S. 13-32.

3.2 Entwicklung und Strukturplanung individualisierter Produkte U. Lindemann, M. Maurer

3.2.1 Einleitung Naturgemäß können individualisierte Produkte nur in einem begrenzten Umfang auftragsunabhängig (vor-)entwickelt werden. Der Kunde mit seinen individuellen Anforderungen bestimmt zu einem großen Teil selbst die funktionale und gestalterische Ausprägung des Produktes, woraus sich ein weitaus größeres Produktspektrum als bei variantenreichen Serienprodukten ergibt. Das alleinige Angebot von Produktvarianten stellt dabei noch keine Individualisierung dar. Kunden sind hier nur auf die Auswahl und Konfiguration aus vollständig vorentwickelten Modulen eines bereits definierten Variantenprogramms beschränkt (Blackenfelt 2001). Das Spektrum individualisierter Produkte resultiert aus der Vielzahl möglicher Produktausprägungen, die aus den Freiheitsgraden folgen, die dem Kunden für die individuelle Gestaltung des Produktes gegeben werden. Individualisierte Produkte können zwar Module eines Variantenbaukastens enthalten, weisen aber als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal dazu auch komplett individuelle Komponenten auf (Lindemann u. Pulm 2001). Bei individualisierten Produkten ist es daher nicht ausreichend, nur ein einzelnes Produkt oder eine begrenzte Anzahl an Produktvarianten zu entwickeln. Vielmehr muss das gesamte Spektrum, in dem mögliche, individuelle Produktausprägungen definiert werden können, betrachtet werden (Lindemann et al. 2003). Für die Entwicklung eines solchen Produktspektrums ergibt sich nun folgendes Hauptproblem: Zum Teil sind die individuellen Komponenten des Produktes bzw. deren konkrete Ausprägungen noch nicht bekannt. Die entsprechenden Bauteile können folglich nicht komplett entwickelt werden. Zwar gibt es, ähnlich variantenreichen Serienprodukten, einzelne Produktbereiche, deren individuelle Ausprägungen auch schon vor dem einzelnen Kundenauftrag vorgedacht werden können. Noch unbekannte individuelle Kundenanforderungen können aber nur begrenzt im Vorfeld in die Entwicklung mit eingeplant werden. Hier ist es unmöglich, alle denkbaren (und noch undenkbaren) individuellen Ausprägungen des Produktes zu betrachten und die Auswirkungen von individuellen Änderungen bereits vorher abzuschätzen. Nur einzelne dieser Ausprä-

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

gungen bereits zu entwickeln ist ebenfalls nicht sinnvoll, da man nicht weiß, ob sie jemals abgefragt und gebraucht werden. Es wäre nicht sinnvoll, diese individuellen Produktkomponenten quasi auf Vorrat zu planen und bereits vollständig zu entwickeln, weil notwendige, spezifische Kundeninformationen erst beim individuellen Auftrag vorliegen. Dies würde zudem nur wieder zum Ansatz variantenreicher Serienprodukte mit vorkonstruierten Modulen führen, der in der Unternehmenspraxis heute an seine Grenzen gelangt – sowohl hinsichtlich der Beherrschung der Komplexität als auch der Wirtschaftlichkeit (Riitahuhta 2001; Schuh 2001). Die individuellen Ausprägungen der individualisierbaren Komponenten eines Produktes werden daher erst während der Kundeninteraktion identifiziert und festgelegt. Die finale Gestaltung des individualisierten Produktes erfolgt in der Produktadaptionsphase und wird nach kundenspezifischen Vorgaben vorgenommen (Lindemann et al. 2003). Die vorangestellten Überlegungen bedeuten nun aber keinesfalls, dass bei individualisierten Produkten auf eine kundenunabhängige Produktentwicklung verzichtet werden kann. Im Gegenteil, es ist sogar ein erhöhter konzeptioneller Entwicklungsaufwand nötig, um ein Produkt zu generieren, das später an eine Vielzahl möglicher individueller Kundenwünsche angepasst werden kann. Der Schwerpunkt der Entwicklungstätigkeit liegt dabei aber nicht auf der Konstruktion und Integration einzelner Produktelemente, sondern auf der Planung und Optimierung einer adaptionsfähigen Produktstruktur. Dieser auftragsunabhängige Entwicklungsprozess, der Teil der Vorbereitung der Produktindividualisierung ist, wird in der Folge als Strukturplanung bezeichnet (Lindemann u. Pulm 2001). Innerhalb der Strukturplanung werden die grundsätzlichen Produktanforderungen geklärt und die wesentlichen Produktfunktionen bestimmt. Ebenso werden die Hauptkomponenten des Produktes als Elemente der Produktstruktur definiert. Hierbei werden auch die jeweiligen Freiheitsgrade der Produktkomponenten für eine spätere Individualisierung festgelegt. Von dieser Festlegung ist zum einen abhängig, ob die einzelnen Komponenten auskonstruiert (z. B. bei unveränderlichen Produktbereichen) oder nur grob in ihren wesentlichen strukturellen Eigenschaften konzipiert werden. Zum anderen erfolgt auf Basis der zu erwartenden Produktänderungen eine Optimierung der Produktstruktur. Dazu werden die Elemente und ihre Wechselwirkungen betrachtet und dahingehend optimiert, dass individuelle Produktänderungen möglichst geringe Auswirkungen auf andere Produktbereiche haben und Produktadaptionen aufwandsarm durchgeführt werden können. Ergebnis der Strukturplanung ist eine Produktstruktur, die alle wesentlichen Produktelemente und deren Verknüpfungen im Sinne einer Produktarchitektur enthält und die verhältnismäßig robust gegenüber späteren, durch individuelle Kundenwünsche hervorgerufenen

3.2 Entwicklung und Strukturplanung individualisierter Produkte

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Änderungen ist. Die Möglichkeiten der Umsetzung von Individualisierungswünschen im Produkt, die benötigte Entwicklungszeit und entstehende Adaptionskosten können wesentlich besser abgeschätzt werden, weil die Auswirkungen einzelner Adaptionen auf das Gesamtprodukt transparent werden. Zugleich wird der Aufwand einer kundeninduzierten Produktadaption zwar nicht grundsätzlich vermieden, jedoch durch vorgelagerte Strukturauslegung und -optimierung deutlich eingegrenzt. Die ausgeprägte Strukturplanung bei individualisierten Produkten kann zugleich als ein wesentlicher Unterschied zur Entwicklung von Kleinserien oder Sondermaschinen angesehen werden, bei denen derartig intensive strukturelle Überlegungen in der Regel nicht angestellt werden. Die Strukturoptimierung ist ein Grund dafür, dass eine Produktindividualisierung überhaupt mit verringertem Aufwand gegenüber einer Sonderkonstruktion vollzogen werden kann. Bei der Strukturplanung kann teilweise auf etablierte Methoden, zum Beispiel aus der variantengerechten Produktgestaltung, zurückgegriffen werden. Bezüglich der Strukturoptimierung sind aber auch neue Strategien und Methoden erforderlich, die im vorliegenden Kapitel zur Strukturplanung individualisierter Produkte betrachtet werden sollen. 3.2.2 Bekannte Ansätze der Strukturplanung und neue Anforderungen Für die Gestaltung variantenreicher Serienprodukte haben sich Strategien und Methoden etabliert, die zum Teil auch für die Gestaltung individualisierter Produkte zweckmäßig erscheinen. So wird auch bei variantenreichen Serienprodukten der Aufbau geeigneter Produktstrukturen zur Reduzierung unternehmensinterner Varianten angestrebt (Firchau 2003). Bekannte und gebräuchliche Ansätze sind hierbei: x die Modulbauweise mit der Definition möglichst einheitlicher Schnittstellen sowie x Baureihen, x Baukästen und x Produktplattformen als Gestaltungskonzepte (Kohlhase 1997, Erixon 1998, Andreasen et al. 2001). Modularisierung erfolgt durch Bildung von funktionalen und logischen Einheiten, die als solche komplett austauschbar sind. Die Modularisierung ist Ausgangsbasis für andere Strategien wie Baukasten- und Plattformbauweise. Die Definition von Schnittstellen ist dabei Voraussetzung für die Bildung und den Austausch von Modulen. Durch Vereinheitlichung

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

von Schnittstellen kann zudem die Anzahl der verwendeten, unterschiedlichen Schnittstellenelemente reduziert werden. Bei Baureihen erfolgt die Variantenbildung durch Skalierung bzw. Größenstufung bei ansonsten gleicher Funktion, gleicher konstruktiver Ausführung und gleichen Schnittstellen. Bei Baukästen erfolgt die Variantenbildung durch Kombination von Bausteinen unterschiedlicher Funktion und Gestalt mit einheitlichen Schnittstellen. Bei der Plattformbauweise erfolgt die Variantenbildung durch Aufsetzen von variablen Modulen, so genannten „Hüten“, auf einer vereinheitlichten Trägerstruktur. Hinsichtlich der strukturellen Gestaltung zielen die aus dem Variantenmanagement bekannten Ansätze auf eine funktionale Zerlegung und damit auf eine verbesserte Konfigurierbarkeit des Produktes ab. Weiterhin wird eine klare Trennung von unveränderlichen und variablen Produktbereichen verfolgt. Eine Differenzierung des Produktes erfolgt mit Hilfe der variablen Produktbereiche. Ebenso sollen Wechselwirkungen zwischen Produktelementen, z. B. bei Änderungen, durch die Modulbausweise eingrenzt werden. Allen Strategien ist das Ziel gemeinsam, die unternehmensinterne Variantenvielfalt und die daraus resultierende Komplexität zu begrenzen und externe Variantenvielfalt zu ermöglichen. Die vorgestellten Strategien der Gestaltung variantenreicher Serienprodukte sind damit grundsätzlich auch für die Gestaltung individualisierter Produkte geeignet, jedoch können sie nicht undifferenziert übernommen werden, wie folgendes Beispiel zur Modularisierung demonstrieren soll: Bei variantenreichen Produkten kann aufgrund des vor Markteinführung definierten Variantenprogramms und einer entsprechend bekannten Variantenstruktur genau festgelegt werden, welche einzelnen Produktbestandteile variabel gestaltet sein müssen. Die Einbindung der veränderlichen Komponenten in die Produktstruktur ist bekannt und Auswirkungen der Variantenbildung auf weitere Produktbereiche können durch Modularisierung minimiert werden. Die Individualisierung eines Produktes verursacht dagegen häufig einen größeren Aufwand als die bloße Konfiguration von vordefinierten Modulen eines. Dieser Sachverhalt wird verständlich, betrachtet man das Entfernen bzw. Austauschen eines Moduls als Spezialfall der Individualisierung. In der Regel können bei individualisierten Produkten Module aber nicht systematisch vor der Markteinführung definiert und abgegrenzt werden. Die später durch individuelle Anforderungen erforderlichen Änderungen an Baugruppen oder -teilen sind noch nicht bekannt. Ein entscheidender Unterschied liegt zudem in der weitaus größeren Zahl der möglichen individuellen Produktausprägungen. Zwar muss auch bei individualisierten Produkten Modularisierung als grundsätzliches Gestaltungsprinzip angestrebt werden, um eine individuelle Produktadaption durch Anpassung oder Ersetzen von Modulen zu ermöglichen und Folge-

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änderungen zu begrenzen. Jedoch ist es unmöglich alle Elemente, die grundsätzlich individualisiert werden können, modular zu gestalten. Bereits bei verhältnismäßig einfachen Produkten mit geringer Elementzahl und -verknüpfung sind unzählige Individualisierungsmöglichkeiten denkbar, insbesondere da sich diese nicht nur auf den bereitgestellten Lösungsraum eines Unternehmens beschränken, sondern aus dem Anforderungsraum aller potenziellen Kunden resultieren. Deshalb müsste ein sehr hoher Modularisierungsgrad angestrebt werden, damit die betroffenen Produktelemente adaptiert werden können. Dieses Vorgehen wäre einerseits mit einem sehr hohen Entwicklungsaufwand verbunden, andererseits führen derart stark einschränkende Rahmenbedingungen zu suboptimalen Produkten. Denn jede Produktausprägung müsste neben ihrer eigentlichen Funktionserfüllung auch noch die Schnittstellenforderungen in den einzelnen beteiligten Elementen erfüllen, die jedoch selbst keinen Mehrwert für die Produktfunktion besitzen. Die Modularisierung auf Baugruppenebene ist daher als alleinige Strategie nicht ausreichend. Funktionale und logische Module müssen auch auf einer übergeordneten Ebene, der Produktstruktur, gebildet werden. Hier werden die individualisierbaren Produktbereiche festgelegt und deren strukturelle Zusammenhänge (z. B. baulicher oder funktionaler Art) betrachtet und optimiert. 3.2.3 Planung der Produktstruktur individualisierter Produkte Wesentlicher Inhalt der Strukturplanung ist die Festlegung der individualisierbaren Produktelemente und die Gestaltung der sich aus der Summe der Elemente ergebenden Struktur. In der Strukturplanung wird demzufolge nicht das gesamte, individualisierbare Produkt entwickelt, sondern es werden nur die strukturellen Zusammenhänge der Produktelemente festgelegt. Einzelne, unveränderliche Elemente werden aber auch auskonstruiert. Mit der Festlegung der unveränderlichen und der individualisierbaren Produktelemente wird zugleich das mögliche Produktspektrum definiert, das die Summe aller denkbaren, individuellen Produktausprägungen darstellt. Die Produktstrukturplanung ist ein iterativer Analyse- und Optimierungsprozess. Hier wird versucht, Bereiche der Produktstruktur so auszulegen, dass bestimmte Individualisierungsoptionen ermöglicht werden, z. B. wenn der Markt das unbedingt fordert. Gleichzeitig werden Bereiche identifiziert, in denen eine Produktindividualisierung aus struktureller Sicht noch möglich ist, auch wenn hierfür noch keine konkreten Anhaltspunkte, z. B. aus Marktbefragungen, vorliegen.

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Zunächst werden die einzelnen funktionalen und gestalterischen Elemente des Produktes definiert. Für die einzelnen Elemente wird dabei festgelegt, welcher Grad an Individualisierung jeweils zweckmäßig ist. Dazu muss auf der einen Seite abgeschätzt werden, welche Individualisierungsoptionen für den Kunden relevant sind und auf der anderen Seite, welcher Individualisierungsgrad aus Sicht der Gesamtstruktur noch sinnvoll hinsichtlich der Änderungsauswirkungen bewältigt werden kann. In Abbildung 3-2 sind schematisch verschiedene Bereiche der Produktstruktur dargestellt, die sich in ihrem jeweiligen Grad der Individualisierung unterscheiden.

Abb. 3-2. Modell der Produktstruktur mit verschiedenen Individualisierungsgraden

Als fixer Bereich wird hierbei der unveränderliche Kern der Produktstruktur bezeichnet. Dieser schließt die Grundfunktion und -struktur des Produktes ein. Änderungen bei Elementen des fixen Bereiches hätten weit reichende strukturelle und gestalterische Änderungen im Gesamtprodukt zur Folge, die im Rahmen eines individuellen Kundenauftrages nicht sinnvoll bewältigt werden können. Änderungen des fixen Bereiches müssen daher über längere Zeiträume oder im Rahmen einer erneuten Strukturplanung vollzogen werden. Neben dem fixen Bereich sind in der Produktstruktur auch variable Bereiche vorgesehen, in denen der Kunde Freiheitsgrade für eine individuelle Produktanpassung findet: Mit Hilfe obligatorischer oder optionaler Alternativen kann eine individuelle Anpassung des Produktes durch Auswahl und Konfiguration wie bei variantenreichen Serienprodukten erfolgen. Ob-

3.2 Entwicklung und Strukturplanung individualisierter Produkte

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ligatorische Alternativen bezeichnen dabei Strukturelemente, die für die Produktfunktion unerlässlich sind und die in einer bestimmten Ausprägung gewählt werden müssen (z. B. ein Antrieb). Optionale Alternativen sind Strukturelemente, die den fixen Produktbereich um vordefinierte Wahlmöglichkeiten ergänzen (z. B. Zubehör). Über skalierbare Bereiche kann eine weitergehende individuelle Produktanpassung erreicht werden. Es handelt sich um Strukturelemente, die kundenspezifisch innerhalb vordefinierter Grenzen und nach festgelegten Regeln angepasst werden können (z. B. Leistungsparameter oder geometrische Abmessungen). Die Anpassung erfolgt in einem kontinuierlichen Wertebereich. Prinzipielle Lösungen sind Elemente der Produktstruktur, deren individuelle Anpassung auf Basis eines vordefinierten Wirk- oder Gestaltungsprinzips erfolgt (z. B. Schalter, Abdeckungen oder Blenden, aber auch Funktionselemente). Die konkrete Ausgestaltung des Lösungsprinzips erfolgt kundenindividuell. Im Unterschied zu skalierbaren Bereichen existiert keine mathematisch beschreibbare Regel, nach der die gestalterische Produktanpassung erfolgt. Vordefinierte Lösungsprinzipien tragen zu einer wesentlichen Aufwandsreduktion bei der Adaption bei. Schließlich können in der Produktstruktur Bereiche für eine hochgradige individuelle Produktanpassung vorgesehen werden. Dabei kann zwischen definierten und allgemeinen Freiräumen unterschieden werden. Ein definierter Freiraum kann individuell frei gestaltet werden. Die Gestaltungsmöglichkeit an sich ist jedoch vorgeplant und vorgesehen (z. B. die Gehäuseform). Definierte Freiräume sollten in der Produktstrukturplanung bereits frühzeitig berücksichtigt werden. Dem Entwickler ist dabei zwar nicht oder nur vage bekannt, was der Kunde später genau wünscht, aber es ist bereits im Vorfeld klar, dass Individualisierungswünsche in diesen Produktbereichen häufig auftreten werden. Die Produktstruktur muss deshalb bereits frühzeitig auf mögliche Änderungen in diesen Bereichen ausgelegt werden. Allgemeine Freiräume sind dagegen alle Produktbereiche, in denen individuelle Änderungen noch möglich sind, diese Änderungen wurden aber nicht vorgeplant. Allgemeine Freiräume werden daher nicht, wie die anderen Bereiche der Produktstruktur, gezielt in ihrer möglichen Bandbreite festgelegt. Sie können aber durch Analyse der Produktstruktur identifiziert oder auf Basis der Produktstrukturoptimierung gezielt erzeugt werden. Jegliche ungeplante Produktanpassung (z. B. Zusatzfunktionen oder andere strukturelle oder gestalterische Änderungen) kann innerhalb solcher allgemeinen Freiräume umgesetzt werden. Liegt ein solcher neuer Kundenwunsch vor, muss mit den Methoden der Strukturanalyse überprüft werden, ob die entsprechenden Freiräume vorhanden sind. Die Möglichkeiten einer Individualisierung können so im Bedarfsfall konkret abgeschätzt werden.

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Dienstleistungen sind ein guter Ansatz, die beschriebenen Individualisierungsmöglichkeiten des Sachproduktes um ein immaterielles Leistungsangebot zu ergänzen. Sie werden hier aber nicht weiter betrachtet. Insgesamt können von einer Produktstruktur strukturelle Varianten existieren, mit denen unterschiedliche Produktspektren, z. B. verschiedene Modellreihen oder Produkttypen, begründet werden. Die strukturellen Varianten zeichnen sich durch verschiedene fixe und variable Bereiche aus, wobei Überschneidungen möglich sind. Das folgende Beispiel soll den Zusammenhang von Individualisierungsbereichen und Strukturplanung verdeutlichen: Im Rahmen der Strukturanalyse wurde ein Gehäuse als ein wenig vernetztes Produktelement identifiziert. Da bei individuellen Änderungen am Gehäuse in der Folge geringe Auswirkungen auf das Gesamtprodukt zu erwarten sind, wird dieses Element als definierter Freiraum bestimmt. Kunden können damit eine individuelle Gestaltung des Gehäuses vornehmen, sofern bestimmte Restriktionen z. B. hinsichtlich Material-, Sicherheits- oder Fertigungsanforderungen nicht verletzt werden. Ebenfalls ist beispielsweise durch Marktuntersuchungen bekannt, dass für ein Bedienungsfeld in jedem Fall individuelle Anpassungsmöglichkeiten vorgesehen werden müssen. Die Produktstruktur muss im Bereich des Bedienungsfeldes dann so ausgelegt werden, dass individuelle Änderungen leicht möglich sind, z. B. durch eine gezielte Modularisierung. Das Bedienungsfeld kann hier als obligatorische Alternative oder sogar als definierter Freiraum angelegt werden. Zusammenfassend ist die Betrachtung der Elemente der Produktstruktur ein wesentlicher Aspekt der Strukturplanung: Um den Aufwand bei der späteren Produktindividualisierung so weit wie möglich zu minimieren, ist grundsätzliches Wissen über die Schwerpunkte der Individualisierungswünsche erforderlich, auf deren Basis gezielt die entsprechenden Bereiche der Produktstruktur identifiziert und optimiert werden können. Mit welchen Methoden diese Analyse und Optimierung unterstützt werden kann, wird in den nächsten beiden Abschnitten beschrieben. 3.2.4 Methoden zur Strukturanalyse Bei der Strukturplanung eines individualisierten Produkts kann man entweder von einem bereits existierenden, bisher aber nicht individualisierbar gestalteten Produkt oder von einer zu detaillierenden Produktidee ausgehen (Lindemann u. Pulm 2001). Ausgangsbasis für die Planung der Produktstruktur sind die zu erwartenden Änderungen bei einem vorliegenden Individualisierungswunsch. Hier ist zu untersuchen, welche weiteren Produktelemente neben dem direkt von der Individualisierung betroffenen E-

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lement noch angepasst werden müssen (Lindemann et al. 2003). Die Kenntnis der erforderlichen Anpassungen und der betroffenen Elemente erlaubt eine Abschätzung des bei der Individualisierung entstehenden Aufwandes und eine Optimierung der Produktstruktur. Die Auswirkungen von Änderungen an Produktelementen auf andere Elemente lassen sich mit Hilfe eines semantischen Netzes darstellen (Kusiak 1999; Lindemann et al. 2005). Hier wird jeweils der Einfluss eines Elementes auf ein anderes betrachtet. Die Semantik entspricht der Aussage „Element 1 hat Auswirkung auf Element 2“. Die Netzstruktur ergibt sich aus der Vielzahl von Verknüpfungen zwischen den Elementen. Während funktionale und bauliche Zusammenhänge bei der Entwicklung z. B. mit Hilfe von Funktionsstrukturen und Baustrukturen gut dokumentiert werden, sind Auswirkungen von Änderungen an Produktelementen („Änderungsstrukturen“) meist nur implizit bekannt. Die Änderungsauswirkungen spielen, wie bereits beschrieben, für die Adaption individualisierter Produkte eine große Rolle, um unnötige Iterationsschleifen durch ungeplante Änderungsauswirkungen zu vermeiden. Die Analyse der bekannten baulichen und funktionalen Strukturen hilft beim Aufbau eines semantischen Netzes der Änderungsauswirkungen, sie muss aber durch eine systematische Erfassung weiterer, möglicher Änderungsauswirkungen ergänzt werden. Allerdings entsteht bei genauer Betrachtung von Wechselwirkungen oft der Eindruck, dass gerade in komplexeren Produkten „alles mit allem“ zusammenhängt. Dies ist durch eine undifferenzierte Betrachtung von direkten und indirekten Abhängigkeiten zu erklären. Eine indirekte Abhängigkeit besteht dann, wenn Element A einen Einfluss auf B ausübt und B auf C. Hier übt dann Element A indirekt auch einen Einfluss auf C aus. Bei der Erfassung der Änderungsauswirkungen werden grundsätzlich nur die direkten Abhängigkeiten betrachtet. Bei Unklarheit über die Abhängigkeit zwischen zwei Elementen kann es hilfreich sein, gedanklich in eine Ebene mit stärkerem Detaillierungsgrad zu wechseln. Können auf einer detaillierten Ebene Abhängigkeiten ermittelt werden, ergibt sich die Existenz der Relation auf abstrakterer Ebene automatisch. In diesem Sinne kann es bei der Strukturplanung eines bis dato noch nicht existierenden Produktes nützlich sein, eine Produktstruktur auf Basis einer beispielhaften Produktausprägung zu entwerfen und diese Struktur gegebenenfalls wieder zu abstrahieren. Allerdings muss hier darauf geachtet werden, jeweils nur Elemente der gleichen hierarchischen Ebene zu betrachten. Werden verschiedene Relationsarten (semantische und hierarchische) vermischt, ergeben sich häufig Inkonsistenzen bei den Ergebnissen der nachfolgend beschriebenen Analyseverfahren.

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Einflussmatrizen und -grafen Die Erfassung der Relationen und die anschließende Analyse des semantischen Netzes können durch Methoden unterstützt werden. Eine bekannte Methode, die auf dem Aufbau semantischer Netze beruht, ist zum Beispiel die Einflussanalyse (Gausemeier et al. 1996; Lindemann et al. 2005) bzw. die Design Structure Matrix im englischen Sprachraum (Steward 1981; Browning 2001). Bei dieser Methode werden die zu betrachtenden Elemente eines Produktes zeilen- und spaltenweise in einer Einflussmatrix aufgetragen. Anschließend wird ein vorhandener Einfluss eines Elementes auf ein anderes im entsprechenden Schnittpunkt der Elemente in der Matrix markiert (Abbildung 3-3 links).

Abb. 3-3. Gegenüberstellung der Matrix- und der Grafendarstellung (Quelle: Mofleps1)

Sind alle Relationen in der Matrix abgebildet, kann z. B. relativ einfach auf aktive Elemente oder passive Elemente in der Produktstruktur geschlossen 1

Mofleps (MOdelling Of FLExible Product Structures) ist ein am Lehrstuhl für Produktentwicklung, TU München, entwickeltes Rechnerwerkzeug zur Visualisierung, Analyse und Optimierung komplexer Strukturen

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werden. Aktive Elemente haben einen starken Einfluss auf viele andere Elemente, werden aber kaum durch andere Elemente beeinflusst. Passive Elemente sind dagegen stark durch andere Elemente beeinflusst, wirken selbst aber nur einen geringen Einfluss aus. Beide Elementarten haben wegen ihres starken Einflusses bzw. ihrer starken Beeinflussbarkeit nur wenige Freiheitsgrade in der Gestaltung. So sind weder stark aktive noch passive Elemente für individuelle Produktanpassungen gut geeignet. Zwar kann mit der Einflussmatrix der generelle Einfluss eines Elementes auf ein anderes gut abgebildet werden, für die Analyse und Optimierung der Struktur komplexer, individualisierter Produkte ist die Darstellungsform der Matrix aber nicht in jedem Fall geeignet. Übergreifende Strukturzusammenhänge können gerade in größeren oder komplexen Produktstrukturen mit der Matrix nicht sinnvoll visualisiert werden (Lindemann et al. 2005). Die Matrix stellt die einzelnen Elemente und ihre Relationen dar, die Sicht auf das Gesamtsystem geht aber etwas verloren. Um strukturelle Analysen des Gesamtsystems zu unterstützen, kann auf Ansätze und Operationen der Grafentheorie zurückgegriffen werden (Maurer et al. 2004). Die Grafentheorie stellt mathematische Methoden bereit, mit denen komplexe Strukturen, die durch verknüpfte Elemente hervorgerufen werden, analysiert werden können. Als Graf wird ein Gebilde aus Knoten, die durch Kanten verbunden sein können, bezeichnet. Mit Hilfe dieser Grafen können auch Elemente und Relationen eines Systems dargestellt werden. Prinzipiell enthält die Grafendarstellung dieselbe Information wie die markierten Schnittpunkte der Matrix. Die Grafendarstellung bietet allerdings andere Möglichkeiten zur Darstellung und Interpretation von Wechselwirkungen. So ermöglichen beispielsweise selbstordnende Grafen die Darstellung von Elementabstoßung und -anziehung. Abstoßung und Anziehung werden durch mangelnde oder vorhandene gegenseitige Verknüpfungen hervorgerufen. Elemente, die viele gemeinsame Verknüpfungen aufweisen, ziehen sich dabei an, Elemente mit wenigen Verknüpfungen werden abgestoßen (Abbildung 3-3, rechts). Damit werden Elemente mit starken Wechselwirkungen und daher zentraler Bedeutung in derartigen Grafendarstellungen mittig angeordnet. Elemente mit geringem Einfluss auf andere Elemente werden dagegen eher am Rand der Darstellung platziert. Wie in Abbildung 3-3 leicht ersichtlich wird, lassen sich in der Grafendarstellung die zentralen und die eher isolierten Strukturelemente eines Produktes einfacher als in der Matrixdarstellung ermitteln. Die isolierten Strukturelemente mit wenigen Verknüpfungen sind prinzipiell besser für eine Individualisierung geeignet. Praktische Erfahrungen zum Einsatz von Einflussmatrizen und -grafen haben gezeigt, dass die Aufbereitung einer Produktstruktur ab einer Zahl von 10 Elementen in Matrixform ausgesprochen schwierig visuell erfasst

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

und analysiert werden kann (Browning 2001). Hingegen konnten hinsichtlich des generellen Verständnisses der Struktur bei Grafenanordnungen auch mit mehr als 50 Elementen noch sehr gute Erfahrungen gemacht werden. Bei Untersuchungen von Produktstrukturen mit bis zu 500 Elementen und über 3000 dazwischen liegenden Relationen konnten mit der Grafendarstellung immer noch allgemeine Charakterisierungen der Struktur erfolgen. Da die Grafendarstellung durch die Selbstordnenden Grafen zudem dynamisch ist, werden strukturelle Änderungen unmittelbar ersichtlich. So können z. B. ehemals zentrale Elemente durch Entfernen von Relationen in den Randbereich gelangen. Bestimmte strukturelle Besonderheiten sind dagegen nur in Matrixform sinnvoll visualisierbar (Browning 2001). Von Bedeutung für die Strukturplanung sind dabei x Kreisschlüsse, x Hierarchien, x Cluster oder x Brücken. Bei Kreisschlüssen setzt sich der Einfluss eines Elementes auf andere Elemente und schließlich wieder auf sich selbst fort. Hierarchien sind Ordnungen von Elementen, wobei übergeordnete Elemente Einfluss auf alle untergeordneten Elemente ausüben. Cluster sind Elementgruppen, bei denen vorrangig Relationen innerhalb der Gruppe auftreten, aber kaum Relationen nach außen wirken. Als Brücken werden Elemente bezeichnet, die eine einzige Verbindung zwischen zwei Subgrafen, z. B Clustern, herstellen. Werden z. B. Cluster oder Hierarchien identifiziert, so kann die Änderungsabhängigkeit innerhalb von diesen Produktbereichen oder zwischen einzelnen Elementen leicht bestimmt werden. Eine Abschätzung von zu erwartenden Wechselwirkungen bei zukünftigen Adaptionen wird möglich. Der Grad der Vernetzung zwischen Produktbereichen sowie die Zahl und der Umfang von Kreisschlüssen sagen zudem etwas über die Reichweite von Produktänderungen aus. Änderungsauswirkungen können signifikant eingeschränkt werden, wenn z. B. Kreisschlüsse oder Hierarchien identifiziert und durch konstruktive Maßnahmen beseitigt werden. Die genannten strukturellen Besonderheiten sind in Abbildung 3-4 dargestellt.

3.2 Entwicklung und Strukturplanung individualisierter Produkte

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Abb. 3-4. Einflussmatrix als Hilfsmittel der Strukturanalyse

Allerdings können diese strukturellen Besonderheiten in der Regel nicht mehr durch „genaues Hinschauen“ erkannt werden. Gerade bei komplexeren Produkten kann die Einflussmatrix nicht mehr so einfach überschaut werden und eine „händische“ Analyse vorgenommen werden. Hierzu bietet sich die Nutzung von Sortieralgorithmen an, die Zeilen und Spalten solange umsortieren, bis eine entsprechende Interpretation der Matrix erfolgen kann. 3.2.5 Vorgehensweise bei der Strukturplanung Für die Strukturplanung individualisierter Produkte ergeben sich mit Hilfe der Einflussmatrizen und -grafen verschiedene Möglichkeiten, die in Abbildung 3-5 zusammengefasst sind. Zunächst werden Elemente der Produktstruktur und deren Wechselwirkungen mit Hilfe der oben beschriebenen Methode Einflussanalyse erfasst. Ergebnis ist die Darstellung der Produktstruktur in einer Einflussmatrix, die ebenso in eine Grafendarstellung übertragen werden kann. Im Folgenden können drei Zielrichtungen der Strukturplanung unterschieden werden:

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x Analytische Überprüfung von Bereichen der Produktstruktur hinsichtlich Adaptionsaufwand, z. B. bei vorliegenden Kundenwünschen x Analytische Suche nach potenziellen Individualisierungsbereichen bei existierenden Produktstrukturen x Synthese bzw. Anpassung von Strukturen, um gezielt Individualisierungsbereiche zu erzeugen. Links in Abbildung 3-5 ist das Vorgehen zur Analyse von Produktstrukturen hinsichtlich bereits bekannter Individualisierungswünsche dargestellt. Dabei wird ermittelt, mit welchem Aufwand zu rechnen ist, wenn eine konkrete Individualisierungsmaßnahme an einem Produktelement durchgeführt werden soll (Maurer et al. 2004). Für diese Analyse eignet sich die Grafendarstellung besonders gut, da hier nur die relevanten Bereiche der Produktstruktur, das heißt betroffene Elemente und die unmittelbaren Wechselwirkungen, über Filter angezeigt werden können. Ergebnis der Analyse können konkrete Ansatzpunkte sein, um den Adaptionsaufwand bei einem vorliegenden Individualisierungswunsch zu bewerten und durch Strukturanpassung zu verringern. Der mittlere Pfad in Abbildung 3-5 zeigt das Vorgehen zur Identifikation von so genannten signifikanten Strukturbereichen, das heißt Strukturbereiche mit geringer Vernetzung und folglich relativ geringen Änderungsauswirkungen. Diese Bereiche sind potenziell für eine spätere Individualisierung gut geeignet. Genauso können auch hochgradig vernetzte Produktbereiche gezielt von der Individualisierung ausgenommen werden. Im zweiten dargestellten Fall hilft also die Strukturanalyse dabei, konkrete Hinweise für mögliche Individualisierungsangebote zu geben (Lindemann et al. 2005; Yu et al. 2003). Für diese Analyse eignen sich Grafen- oder Matrizendarstellung gleichermaßen. Bei den beiden bisher aufgezeigten Fällen handelt es sich um eine reine Ermittlung bereits vorhandener struktureller Möglichkeiten. Als dritte Möglichkeit kann daher die Synthese für die Individualisierung geeigneter Strukturen angesehen werden (rechts in Abbildung 3-5). Die Produktstrukturplanung dient in diesem Fall der Entwicklung einer optimierten Produktstruktur, die für spätere Individualisierungsmaßnahmen besser geeignet ist als die ursprünglich betrachtete Struktur. Bei der Optimierung werden die oben beschriebenen strukturellen Besonderheiten näher betrachtet und z. B. Cluster gezielt erzeugt oder Kreisschlüsse entfernt. Diese Optimierung, auf die im folgenden Abschnitt näher eingegangen wird, findet allerdings zunächst nur auf struktureller Ebene statt, weshalb die abgeleiteten Strukturadaptionen vom Entwickler auf Realisierbarkeit zu überprüfen sind. In zwei nachfolgenden Beispielen sollen jedoch zunächst die beiden, oben beschriebenen Analyseverfahren (links und Mitte Abbildung 3-5) behandelt werden.

3.2 Entwicklung und Strukturplanung individualisierter Produkte

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durch

Abb. 3-5. Möglichkeiten der Produktstrukturanalyse

Beispiel für die Strukturanalyse Am Beispiel eines handelsüblichen Kugelschreibers soll aufgezeigt werden, inwiefern durch eine Analyse der Produktstruktur prognostizierte Individualisierungswünsche auf Realisierbarkeit überprüft werden können. Abbildung 3-6 zeigt die grundlegenden Elemente des Kugelschreibers und die dazwischen ermittelten Änderungsabhängigkeiten in Matrix- und Grafenform.

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Abb. 3-6. Kugelschreiber – Beispielhafte Produktstruktur mit Änderungsauswirkungen (Quelle: Mofleps)

x x x x x x x x

Die betrachteten Elemente des Kugelschreibers sind die Bauteile Druckfeder, Druckknopf, Minenführung, Mine, Hülse, Klipp, Griffstück und Distanzhülse.

Wie im vorangehenden Kapitel erläutert, wird hier nur eine einzige hierarchische Ebene betrachtet (Druckfeder, Druckknopf, Minenführung, aber nicht der Verstellmechanismus, der aus diesen Elementen besteht). Durch Marktforschung wurde herausgefunden, dass die Schwerpunkte der späteren Individualisierung des Kugelschreibers bei den Bauteilen Griffstück, Druckknopf und Hülse liegen. Die Struktur muss dahingehend analysiert werden, ob Adaptionen an diesen Elementen mit vertretbarem Aufwand möglich sind und wenn nicht, welche Änderungen aus struktureller Sicht

3.2 Entwicklung und Strukturplanung individualisierter Produkte

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für die Optimierung vorzunehmen sind. Aus der Grafendarstellung ist leicht zu erkennen, dass das Element „Griffstück“ allein mit dem Element „Hülse“ verknüpft ist und sich folglich bei einer Änderung des Griffstücks nur direkte Folgen auf die Hülse ergeben. Das Griffstück scheint daher aufgrund der leicht überschaubaren Änderungsauswirkungen gut für die Individualisierung geeignet, vorausgesetzt notwendige parallele Adaptionen der Hülse können beherrscht werden. Komplizierter erscheint bereits eine mögliche Individualisierung des Elements „Druckknopf“, da Änderungsauswirkungen sowohl auf die „Hülse“ als auch auf die „Mine“ bestehen. Der Druckknopf stellt mit diesen zwei Relationen zwar noch kein zentrales Element der Produktstruktur dar, jedoch wären im Bedarfsfall die möglichen Änderungsauswirkungen detaillierter zu betrachten. Klar ersichtlich ist hingegen aus der Grafendarstellung, dass eine Adaption des Elements „Hülse“ sehr weit reichende Änderungen im gesamten Produkt nach sich ziehen wird, stellt das Element doch das zentrale Verbindungselement der Struktur dar. Als eine mögliche Maßnahme zur Optimierung der Produktstruktur bietet sich z. B. die bauliche Unterteilung der Hülse an, womit die Häufung der Änderungsabhängigkeiten an einem Element verringert werden kann. Ob eine konstruktive Umsetzung letztlich unter Berücksichtigung weiterer Randbedingungen möglich ist, kann aus der Strukturbetrachtung nicht geschlossen werden, jedoch erhält der Entwickler wertvolle Anregungen zur Optimierung. In einem weiteren Beispiel, einer größeren Industriemaschine, liegt bereits eine modellierte Produktstruktur vor, jedoch sind keine Informationen über mögliche Individualisierungstendenzen zukünftiger Kunden verfügbar (vgl. Abbildung 3-7). Alle Bereiche, die sich für eine spätere Individualisierung tendenziell eignen bzw. nicht eignen, sollen erst durch Strukturanalyse identifiziert werden. Der linke Teil von Abbildung 3-7 zeigt den ungeordneten Zustand der Matrix, die 25 Elemente umfasst. In dieser Abbildung ist keine charakteristische Struktur erkennbar und die Vielzahl an Elementen macht eine manuelle Suche nach Strukturmerkmalen nur für Experten möglich. Der rechte Teil von Abbildung 3-7 zeigt die Anordnung der Matrix nach Durchlaufen eines Algorithmus zur Identifizierung von Clustern und Hierarchien. Dabei wurden noch keine strukturellen Änderungen vorgenommen. Die Elemente werden lediglich durch Verschieben in der Matrix neu sortiert. Es werden jeweils eine Spalte sowie die hierzu korrespondierende Zeile verschoben. Hierdurch wird an den bestehenden semantischen Relationen zwischen den Elementen nichts verändert. Jedoch können übergreifende Strukturzusammenhänge durch die Verschiebung später besser aufgezeigt werden. In der rechten Matrix von Abbildung 3-7 wird nun ersichtlich, dass in der Produktstruktur drei strukturelle Module existieren, die sich jeweils in einem Element überlappen (durch Umran-

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

dungen hervorgehoben). Wesentliche Eigenschaft von Clustern ist hierbei, dass die Verknüpfungszahl der Elemente innerhalb der Cluster deutlich größer ist als zwischen den Clustern. Somit ist die Schlussfolgerung möglich, dass sich Änderungen aufgrund von individuellen Kundenwünschen jeweils intensiv auf die Elemente des gleichen Clusters auswirken, jedoch nur geringe Auswirkungen auf Elemente der anderen Cluster haben. Bei einem vorliegenden Kundenwunsch wären somit hauptsächlich die Auswirkungen auf Elemente des gleichen Clusters näher zu betrachten, was die Analyse der Umsetzbarkeit des Kundenwunsches bereits deutlich erleichtert.

Abb. 3-7. Produktstruktur mit identifizierten Strukturelementen (Quelle: Mofleps)

Innerhalb zweier der drei Cluster konnten weiterhin Hierarchien von Änderungsauswirkungen ermittelt werden (eingerahmte dreieckige Bereiche im oberen und unteren Cluster). Diese gestatten eine weitere Eintei-

3.2 Entwicklung und Strukturplanung individualisierter Produkte

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lung der Individualisierungseignung der Elemente innerhalb der betreffenden Cluster. Elemente, die am Anfang einer derartigen Hierarchie angesiedelt sind, die also über die Relationen Änderungsfolgen auf nach gelagerte Elemente weiterreichen, eignen sich kaum für Individualisierungsmaßnahmen, da eine Vielzahl an folgenden Adaptionsmaßnahmen für die Realisierung erforderlich wären. Dagegen verfügen Elemente der untersten Hierarchieebene nur über wenige Änderungsauswirkungen, so dass Adaptionen an diesen Elementen leichter beherrschbar sind. Mit den Beispielen Kugelschreiber und Industriemaschine wurden zwei grundsätzliche Zielrichtungen der Strukturplanung demonstriert. Zum einen ermöglicht die Strukturanalyse die Überprüfung von Produktbereichen bei vorliegenden Individualisierungswünschen. Zum anderen kann mit Hilfe der strukturanalytischen Methoden auch nach prinzipiell vorhandenen Individualisierungsbereichen gesucht werden. Neben der Analyse vorhandener Produktstrukturen hinsichtlich ihrer Eignung für Adaptionsmaßnahmen ist für die Gestaltung individualisierbarer Produkte die Synthese optimierter Strukturen von entscheidender Bedeutung. Die Strukturoptimierung wird im folgenden Abschnitt behandelt. 3.2.6 Methoden zur Strukturoptimierung Ziel der Optimierung ist es, eine existierende Produktstruktur durch geschicktes Hinzufügen oder Entfernen möglichst weniger Elemente oder Relationen auf gewünschte Individualisierungsoptionen einzustellen (Lindemann et al. 2005). So kann z. B. durch das Hinzufügen einer Relation eine Hierarchiestruktur vervollständigt werden. Durch das Entfernen einer Relation können zwei Teilgrafen im Produktspektrum voneinander entkoppelt werden. Daraus ergeben sich unter Umständen zwei getrennte Cluster oder Hierarchien und damit eine aus Individualisierungsgesichtspunkten günstigere Struktur. Durch Reduktion von Kreisschlüssen in der Produktstruktur können Änderungsauswirkungen deutlich eingeschränkt und die Komplexität bei künftigen Elementadaptionen verringert werden. Solche Optimierungsansätze aus struktureller Sicht stehen nicht immer im Einklang mit weiteren Forderungen an das Produkt. So kann eine Verknüpfung zwischen zwei Elementen (z. B. Rahmen und Motorblock) strukturell hinderlich, jedoch physikalisch unvermeidbar sein. Mit der vorgestellten Strukturbetrachtung werden daher nur potenzielle Optimierungsszenarios entworfen, die vom Produktentwickler hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit bewertet werden müssen. Diese strukturellen Optionen erweitern allerdings den Anforderungsraum der Konstruktion.

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Beispiel für die Strukturoptimierung Am Beispiel der bereits beschriebenen Industriemaschine soll das praktische Vorgehen bei der Strukturoptimierung erläutert werden. Abbildung 38 zeigt im oberen Teil die sortierte Matrix aus dem oben behandelten Beispiel. Mit Hilfe der Strukturanalyse wurden drei Cluster identifiziert (in Abbildung 3-8 durch Rahmen hervorgehobenen). Nun erfolgte eine Optimierung der vorhandenen Struktur. Grafentheoretisch wurden hierbei eine Reduzierung der Gesamtzahl von Kreisschlüssen und insbesondere eine Verringerung der Kreisschlusslänge angestrebt. Dabei zeigte sich, dass durch Entfernen von insgesamt vier Relationen eine deutlich optimierte Produktstruktur erzeugt werden kann, die in der unteren Matrix dargestellt ist (Abbildung 3-8).

Abb. 3-8. Optimierung einer Produktstruktur durch Adaption von Relationen

3.2 Entwicklung und Strukturplanung individualisierter Produkte

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Wie leicht ersichtlich wird, sind die Clustergrößen in der optimierten Struktur deutlich geschrumpft und der interne Vernetzungsgrad der Cluster ist gestiegen. Auch die Anzahl der Kreisschlüsse wurde wesentlich reduziert. Die durchgeführten Änderungen in der Struktur (im beispielhaften Fall das Entfernen von Relationen zwischen Elementen) müssen in jedem Fall vom Entwickler hinsichtlich weiterer Randbedingungen (z. B. der konstruktiven Ausführung) überprüft werden. Die strukturelle Optimierung zeigt damit lediglich Möglichkeiten auf und erfordert eine nähere konstruktive Betrachtung der spezifischen Produktbereiche. 3.2.7 Zusammenfassung Wie eingangs dargestellt wurde, können etablierte Strategien des Variantenmanagements nur begrenzt für die Handhabung individualisierter Produkte herangezogen werden. Insbesondere für den Aufbau und die Anpassung geeigneter Produktstrukturen sind aufgrund geänderter Randbedingungen neue Hilfsmittel für die Produktentwicklung erforderlich. Durch eine ausgeprägte Strukturplanung kann der Adaptionsaufwand beim Großteil der Individualisierungsmaßnahmen gegenüber einer nicht optimierten Produktstruktur deutlich minimiert werden. Der präsentierte Ansatz zur Planung individualisierter Produkte nutzt vorhandene Bau- und Funktionsstrukturen, um auf eine Struktur der Änderungsabhängigkeiten zu schließen, die üblicherweise nur implizit bekannt ist. Im vorangegangenen Kapitel wurden Methoden der Darstellung, Analyse und Optimierung solcher Produktstrukturen aufgezeigt. Mögliche Interpretationen von Analyseergebnissen dienen zur Ableitung von Handlungsanweisungen für die Gestaltung einer adäquaten Produktstruktur individualisierter Produkte. Diese ist dann im jeweiligen Fall an Hand der tatsächlich vorhandenen strukturellen Randbedingungen zu überprüfen und gestalterisch umzusetzen. 3.2.8 Literatur Andreasen, M. M.; McAlloone, T.; Mortensen, N. H.: Multi-product development – platforms and modularisation. Lyngby: DTU 2001. Blackenfelt, M.: Managing complexity by product modularisation. Stockholm: KTH 2001. Browning, T. R.: Applying the Design Structure Matrix to System Decomposition and Integration Problems – A Review and New Directions. IEEE Transactions on Engineering Management 48 (2001) 3, pp. 292-306.

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

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3.3 Produktion individualisierter Produkte W. A. Günthner, M. Wilke, M. F. Zäh, F. Aull, H. Rudolf

3.3.1 Einleitung Die Anpassung von Produkten an individuelle Kundenwünsche führt auch zu Änderungen an den Produkterstellungsprozessen und damit zu veränderten Anforderungen an die Fabrik. Es stellt sich daher die Frage, mit welchen Strategien Unternehmen sich diesen veränderten Randbedingungen in Zukunft erfolgreich stellen können. Im Bereich der Produktion bestehen erhöhte Anforderungen hinsichtlich der Flexibilität (Reinhart u. Habicht 2001). Individualisierte Produkte haben unterschiedliche Prozesszeiten auf einzelnen Maschinen, können je nach Stückzahl mit verschiedenen Ressourcen hergestellt werden und verursachen spezifische Herstellungskosten. Weiterhin verlagern sich Anteile aus dem Produktentwicklungsprozess in die Auftragsabwicklung (Eversheim 2002). Zu nennen sind hierbei die Anpassungskonstruktion, die Arbeitsplanerstellung, die Bereitstellung von auftragsspezifischen Dokumenten wie z. B. Fertigungsaufträgen sowie die Qualitätssicherung. Im Bereich der Logistik steigert sich die Zahl der abzuwickelnden Produktionsaufträge. Der gesamte materialfluss- und steuerungstechnische Aufwand nimmt damit erheblich zu. Heute geht die Produktion in kleinen Losgrößen noch mit sehr hohen Produktions- und Logistikkosten einher. Automatisierte Lösungen der Produkterstellung und des Materialflusses sind erst bei größeren Serien wirtschaftlich. Zusätzlich bedeutet ein „Mehr“ an Automatisierung in der Regel ein „Weniger“ an Flexibilität und umgekehrt. Dies führt dazu, dass gegenwärtige Lösungen als unflexibel gelten und ihre Komplexität bei aufwändigen Systemen schwer zu beherrschen ist (Matt 2005). Standardisierte Prozesse, wie sie in der Serienproduktion vorzufinden sind, lassen sich am einfachsten automatisieren und erfordern zudem eine geringe Flexibilität. Ganz im Gegensatz dazu steht die kundenindividuelle Produktion von Kleinserien oder Einzelstücken. Sie verlangt hohe Flexibilität sowohl in der Produktionsstruktur als auch in der Logistik. Deshalb bedarf es zur Produktion kundenindividueller Güter neuer Ansätze in der Fabrikplanung, Prozessplanung und Logistik, um die Kostennachteile gegenüber der Serienfertigung zu verringern und gleichzeitig eine hohe Flexibilität zu gewährleisten.

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

3.3.2 Leitmotive für die Produktion individualisierter Produkte Als Leitmotive zur Erreichung von Flexibilität und kostengünstiger Produktion werden drei Grundeigenschaften für die Fabrik-, Prozess- und Logistikplanung zur Herstellung individualisierter Produkte postuliert. Diese sind x Erweiterungsfähigkeit, x Integrationsfähigkeit und x Lernfähigkeit. Erweiterungsfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit zur Skalierung der zu planenden Aufgaben und der zu verwendenden Hilfsmittel. Als Integrationsfähigkeit wird die Fähigkeit bezeichnet, neue Planungsaufgaben, Methoden und Hilfsmittel in ein bestehendes System aufzunehmen bzw. die vorhandenen Systeme an neue Anforderungen anzupassen. Lernfähigkeit ist die Fähigkeit, bei neuen Anforderungen ähnliche Basisproblematiken in zurückliegenden Planungen zu erkennen und so die Möglichkeit zur Adaption bestehender Lösungen an neue Anforderungen zu eröffnen. Im Folgenden werden die drei Leitmotive aus den Sichten der Fabrikplanung, der Prozessplanung und der Logistikplanung betrachtet. 3.3.3 Fabrikplanung

Anforderungen an die Fabrikplanung Fabriken müssen künftig in der Lage sein, im globalen Wettbewerb individuelle Kundenwünsche schnell und günstig zu erfüllen. Dies verlangt von Unternehmen ein hohes Maß an Flexibilität auf organisatorischer und technischer Ebene. Insbesondere führen sich häufig ändernde Produkte zu einem kontinuierlichen Veränderungs- und Anpassungsbedarf in den Unternehmen, dessen Bewältigung nur mit Hilfe flexibler Fabriken gelingen kann. Erweiterungsfähigkeit bezieht sich auf der Ebene der Fabrikplanung auf die Stückzahlflexibilität und beschreibt die Fähigkeit, kurzfristig die Ausbringungsleistung der Fabrik für Produktgruppen zu erhöhen bzw. zu verringern. Voraussetzung hierfür ist, dass vorhandene Ressourcen so ausgelegt sind, dass sie sich zur Herstellung verschiedener Produktgruppen eignen. Diese Produktflexibilität wird wegen des schwerer prognostizierbaren Nachfrageverhaltens von Kunden und der verkürzten Produktlebenszyklen zu einem wichtigen Erfolgsfaktor. Die Fähigkeit, mehrere Produktgruppen mit einem Ressourcenpool zu fertigen ist daher Kernelement für

3.3 Produktion individualisierter Produkte

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eine wirtschaftliche Produktion der Zukunft. Als integrationsfähig wird eine Fabrik bezeichnet, die die Möglichkeit vorhält, neue Prozesse in die bestehende Fabrikstruktur und den bestehenden Ressourcenpool zu integrieren. Dadurch lassen sich die Funktionen einzelner Ressourcen und damit des gesamten Ressourcenpools erweitern und verändern. Mittels einer so veränderten Ressourcenkonfiguration ergibt sich ein verändertes Produktionspotenzial. Lernfähigkeit beschreibt die Wiedererkennung sich wiederholender Anforderungsprofile an die Produktionsstruktur zur effizienteren Konfiguration des Ressourcenpools. Lernfähigkeit ist vor allem mit der Nutzung digitaler Hilfsmittel zu realisieren, die vorherige Anforderungsprofile und daraus entstandene Ressourcenkonfigurationen abspeichern und bei Veränderungen im Anforderungsprofil auf diese gespeicherten Daten zugreifen können. Hierbei können existierende Lösungen oder Teillösungen gleicher oder ähnlicher Anforderungsprofile in einer Neuplanung wieder verwendet werden. Bestehende Fabrikkonzepte Zur Bewältigung dieser Anforderungen an eine flexible Fertigung existieren bereits alternative Fabrikkonzepte, die an die Produktion kundenindividueller Produkte adaptierbar sind. Beispielhafte Fabrikkonzepte sind x Fabriken mit modularen Strukturen, x die segmentierte Fabrik, x die mobile Fabrik, x die fraktale Fabrik, x die virtueller oder kooperative Fabrik und x die atmende Fabrik. Die jeweiligen Konzepte bauen dabei teilweise aufeinander auf oder sind miteinander kombinierbar. Ihre Kerngedanken spiegeln die Trends und Strömungen der jeweiligen Entstehungszeit wider. Bei einer Fabrik mit modularen Strukturen sind Ressourcen, Anlagen und Gebäude modular aufgebaut und können daher mit geringerem Aufwand versetzt, erneuert, stillgelegt oder zugeschaltet, substituiert oder ergänzt werden. Voraussetzungen hierfür sind einfach und möglichst mobil, also ohne festes Fundament, gestaltete Produktionssysteme und Ressourcen mit standardisierten Schnittstellen (Witte u. Vielhaber, 2004). Insbesondere vor dem Hintergrund einer Produktionsverlagerung bzw. sich häufig ändernder Produkt- und Produktionsprogramme ist die Nutzung modularer Ressourcen ein Erfolgsfaktor. Der modulare Fabrikaufbau ist damit Voraussetzung für andere Fabrikkonzepte wie das der mobilen Fabrik (Eversheim u. Neuhausen 2001).

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Das Prinzip der segmentierten Fabrik betrifft die Layoutgestaltung und Ressourcenanordnung von Produktionssystemen innerhalb einer Fabrik. Die Strategie verfolgt die Vereinfachung der Produktionsstruktur durch eine erhöhte Produktorientierung. Ziel ist es, die Verflechtung von Produktionsprozessen über die Produktionsstruktur zu minimieren und damit die Steuerungskomplexität des Fertigungsablaufes zu senken. Durch diese Strategie wird eine Senkung der Bearbeitungs- und Transportzeiten, eine Erhöhung der Qualität durch Einführung von Selbstkontrolle sowie eine Komplettbearbeitung von Teilen erreicht. Eine Segmentierung kann nach folgenden unterschiedlichen Kriterien vorgenommen werden: x Produktvolumen oder Streuung des Produktvolumens x Standardisierung des Fertigungsablaufes x Losgrößen x Produktspezifikationen x Abnehmer. Das Prinzip der segmentierten Fabrik ermöglicht es, ein Produktionssystem für eine schnelle und flexible Fertigung auszulegen. Voraussetzung für den Aufbau von Produktionssegmenten ist eine genügend hohe Anzahl an segmentierfähigen Produkten. Die Segmentierfähigkeit von Produkten definiert sich über die oben genannten Kriterien zur Segmentierung (Wildemann 1988). Das Prinzip der mobilen Fabrik ermöglicht es, einzelne Teilbereiche eines Produktionssystems oder ein gesamtes Produktionssystem räumlich zu verlagern. Die Verlagerungen können intern erfolgen, veranlasst durch Produkt- oder Stückzahländerungen (innere Mobilität), oder extern, indem die Produktion mit dem Ziel einer Markterschließung oder zur Belieferung nachgeordneter Märkte an andere Standorte verlegt wird (äußere Mobilität). Diese Mobilität stellt definierte Anforderungen sowohl an die Fabrik selbst als auch an die Ressourcen der Fabrik. Voraussetzungen zur Generierung von mobilen Produktionssystemen sind ein modularer und einfacher Aufbau sowie standardisierte Schnittstellen. Damit wird gewährleistet, dass die Ressourcen in transportable Einheiten zerlegbar sind und mittels der standardisierten Schnittstellen in neuer Anordnung am neuen Standort schnell konfigurierbar und aufbaubar sind. Weiterhin haben Ressourcen von mobilen Fabriken keine transporthemmenden Anbauten wie spezielle Medienversorgungen und können so weitestgehend barrierefrei in eine neue Fabrikumgebung eingeplant und aufgebaut werden (Zäh u. Bayerer, 2004). Beim Konzept der Fraktalen Fabrik wird das Prinzip der Selbstähnlichkeit einzelner „Bruchstücke“ eines Ganzen verwirklicht (Lateinisch: fraktus = gebrochen). Selbstähnlichkeit bedeutet, dass in diesen Bruchstücken

3.3 Produktion individualisierter Produkte

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die Gesamtstruktur des Ganzen erneut enthalten ist. Der Ansatz der Fraktalen Fabrik widmet sich vor allem dem Menschen als Ausführendem und Träger von technischen und organisatorischen Lösungen und Systemen. Kennzeichnend ist daher für den Ansatz der Fraktalen Fabrik die Selbstorganisation und -verantwortlichkeit der einzelnen „Bruchstücke“ einer Fabrik. Dies bedeutet, dass Änderungsprozesse und Maßnahmen aus dem Fraktal heraus, von innen, angestoßen werden, was eine eigene Ordnungsgebung und -verwaltung mit einschließt. Vor diesem Hintergrund wird oft von der „Fabrik in der Fabrik“ gesprochen. Die Prinzipien und Methoden der Fraktalen Fabrik sind eine Voraussetzung dafür, dass Mitarbeiter im Unternehmen gezielt eine reaktionsschnelle und flexible Struktur und Organisation bilden können. In diesem Zusammenhang wird im deutschen Sprachgebrauch auch häufig der Begriff der vitalen Fabrik verwendet (Warnecke 1992). Das Konzept der virtuellen oder kooperativen Fabrik minimiert die Komplexität und diversifiziert Risiken von Unternehmen, indem Wertschöpfungstätigkeiten auf mehrere Partner verteilt werden. Hierdurch kann die Einzelaufgabe überschaubar gehalten werden. Jedes Unternehmen kann sich so auf seine Kernkompetenzen konzentrieren und optimal zum Gesamtergebnis beitragen. Diese Aufteilung auf verschiedene Partner schafft jedoch gleichwohl einen höheren Abhängigkeitsgrad zwischen den Partnern sowie einen höheren Transaktionsaufwand. Eine Kooperative Strategie bedarf daher einer verlässlichen Gesamtplanung und Auswahl der beteiligten Unternehmen. Der administrative Aufwand hierfür ist nicht zu unterschätzen. Barrieren beim Informationsaustausch können durch eine Einbindung der Kooperationspartner in eigene Informations- und Planungssysteme überwunden werden (Schuh, Millarg u. Göransson 1998). Mit dem Begriff der atmenden Fabrik wird die Möglichkeit zum Ausgleich schwankender Kapazitätsbedarfe durch ein flexibles Arbeitszeitund Engeltsystem bezeichnet. Vor allem die in Hochlohnländern anfallenden hohen Herstellkosten sollen damit reduziert werden. Das Konzept ist insbesondere geeignet für Unternehmen, die sich einer von Turbulenz geprägten Nachfrage an Produkten und einer frühen direkten KundenAuftragszuordnung (= früher order penetration point) ausgesetzt sehen (Schenk u. Wirth 2004). Fabrikplanung für die Produktion individualisierter Produkte Die Fabrikplanung erhält durch die oben beschriebene erhöhte Anforderungskomplexität eine größere Bedeutung für das Gesamtunternehmen. Deutlich wird dies bei der Betrachtung des Produkts als dem inhaltsdefinierenden Element der Fabrikplanung. Der Prozess der Fabrikplanung be-

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

nötigt zu seiner Durchführung ein definiertes Produkt oder ein Produktionsprogramm. Dieses ist jedoch bei der Produktion individualisierter Produkte nicht gegeben, da das Produkt als entscheidender Gestaltungsparameter, in wesentlichen Ausprägungen bei der Planung undefiniert ist und erst vom Kunden bestimmt wird. Ansätze aus der Produktentwicklung wie z. B. die Definition von Lösungsräumen schränken diese Unschärfe ein, sind aber gleichwohl nicht in der Lage, diese zu beheben. Zur Definitionsunschärfe des Produktes kommen die verminderte Prognostizierbarkeit des Absatzes und damit direkt verbunden fehlende oder nicht exakte Abschätzungen zur Ressourcenkapazität, Prozessabfolge, Lagerflächen, Materialflüssen, etc. Verdeutlicht wird dies in Abbildung 3-9.

Abb. 3-9. Abhängigkeiten in der Fabrikplanung

Die geänderten Anforderungen resultieren in der Forderung nach kürzeren und effektiveren Planungsphasen der Fabrikplanung. Die Idee der klassischen, auf ein Produkt oder auf ein definiertes Produktionsprogramm ausgerichteten, Fabrik tritt also in den Hintergrund zu Gunsten der Idee einer produkt- und stückzahlflexiblen Fabrik. Diese charakterisiert sich wie folgt: 1. Kleinste Losgrößen, in Teilbereichen Einzelfertigung: Je höher der Individualisierungsgrad eines Produktes ist, desto deutlicher unterscheiden sich die verschiedenen Produkte auch in ihren Herstellungsprozessen

3.3 Produktion individualisierter Produkte

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und Arbeitsabläufen. Je mehr sich die Herstellungsprozesse und Arbeitsabläufe unterscheiden, umso weniger sind diese in standardisierte Abläufe zu überführen. 2. Verbundfertigung: Aufgrund der geringeren Losgrößen für individualisierte Produkte sind die vorhandenen Ressourcen möglichst unspezifisch und flexibel auszulegen, um eine hohe Auslastung zu erreichen. Dies unterstreicht gleichzeitig die Anforderungen nach der Integrationsund Erweiterungsfähigkeit, die eine unspezifische und flexible Ausrichtung ermöglichen. 3. Marktnahe Fertigung: Der in der heutigen industriellen Praxis häufig zu beobachtende Trend zur marktnahen Produktion ist für individualisierte Güter nicht immer gerechtfertigt, da insbesondere bei technologisch anspruchsvollen Prozessen und Arbeitsabläufen hochtechnologisches Wissen um die komplexen Prozesse vonnöten ist, welches nicht in allen Märkten vorhanden ist. Vorteil einer marktnahen Produktion ist jedoch unbestritten die räumliche Nähe zum Käufermarkt, welche es ermöglicht regionale Besonderheiten in den Produkterstellungsprozess mit einfließen zu lassen und eine erhöhte Produktakzeptanz beim Kunden zu generieren. Die marktnahe Fertigung ist also vor allem dann von Vorteil, wenn der Absatz des Produktes überproportional von regionalen Besonderheiten abhängt bzw. wenn staatliche Restriktionen wie z. B. Zölle existieren. 4. Verstärkte Fertigung im Netzwerk: Einen Kompromiss zwischen Marktnähe und der Produktion an Orten der „Know-How-Bündelung“ stellt die Produktion im Netzwerk oder im Produktionsverbund dar. Die Individualisierung der Produkte ist zur optimalen Integration des Kunden in den Produkterstellungsprozess in Marktnähe durchzuführen. Standardteile können am günstigen Produktionsstandort gefertigt werden und komplexe, technologisch anspruchsvolle Fertigungsprozesse am Ort der Know-How-Bündelung durchgeführt werden. 5. Fallspezifische Produkterstellung: Zu einem individualisierten Produkt gehört ein fallspezifischer Arbeitsplan der wiederum einen spezifischen daraus resultierenden Durchlauf durch die Produktion beschreibt. Die Prozesse und Ressourcen der Fabrik müssen also individuell auf das Produkt zugeschnittene Durchläufe der Produkte durch die Produktion ermöglichen. Dies stellt hohe Anforderungen an die Logistik- und Produktionsplanung. Die resultierenden Strukturen und ausführenden Ressourcen sind zur Bewältigung dieser Aufgabe daher hochflexibel auszulegen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die oben exemplarisch vorgestellten Fabrikkonzepte geeignet sind, neue Anforderungen im turbulenten

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Unternehmensumfeld zu bewältigen. Neben der Nutzung dieser Fabrikkonzepte ist jedoch auch in der Fabrikplanung der Prioritätswechsel von der Initialplanung zur kontinuierlichen Fabrikplanung im Unternehmen zu vollziehen. Hemmnisse für eine kontinuierliche Fabrikplanung liegen augenblicklich vor allem in der Ressourcengestaltung und der langen Zeitdauer der derzeitigen Planungsabläufe begründet. Insbesondere vor dem Hintergrund der Kundeneinbindung impliziert dieser Paradigmenwechsel eine enge Kopplung der Prozessplanung mit der Fabrikplanung. Folgende zwei Strategien unterstützen die Eliminierung der derzeitigen Hemmnisse: x Modularisierung von Fabrik- und Ressourcenstrukturen und x Nutzung digitaler Hilfsmittel zur Unterstützung der Fabrikplanung. Grundlegende Eigenschaft einer flexiblen Fabrik ist die modulare Gestaltung ihrer Struktur. Diese schafft die Voraussetzungen für eine kontinuierliche Adaption an sich unvorhersehbar ändernde Anforderungen im Rahmen der Fabrikplanung. Der modulare Fabrikaufbau ermöglicht erst eine Fabrikplanung, die parallel zur laufenden Produktion durchgeführt werden kann, da die Flexibilität in dem Maße zunimmt, wie die einzelnen Module rekonfigurierbar und produktspezifisch anpassbar sind. Diese Betrachtung schließt die gesamte Fabrik mit ein, vom Gebäude über die Produktionsanlagen bis hin zum Materialflusssystem. Der Vorteil liegt darin, dass die Elemente einer Fabrik „handhabbar“ werden und die Fabrik damit über einen bestimmten Grad an Mobilität verfügt. Eine modulare Fabrikund Ressourcenstruktur gewährleistet weiterhin eine schnelle Durchführung der Fabrikplanungsaufgabe und zugleich die Entwicklung und Planung mehrerer Fabrikvarianten. Damit ist der modulare Aufbau die Voraussetzung für Fabriken, die oben genannten Leitmotive Erweiterungsfähigkeit und Integrationsfähigkeit zu erfüllen. Voraussetzung für die effiziente und damit beschleunigte und für den Fabrikplaner komplexitätsreduzierte Nutzung einer solchen Fabrikstruktur ist die digitale Hinterlegung und Bearbeitung der Module mit Hilfe digitaler Planungshilfsmittel. Diese dienen zur Aufwandsminimierung der kontinuierlichen Fabrikplanung und erweitern die Möglichkeiten zur exakten Planung. Folgende Softwaresysteme sind bereits in der Planung eingesetzt: x Software zur numerischen Untersuchung von Planungsaufgaben wie z. B. Ablaufsimulationen, x Programme zur Definition von Produkt-, Prozess- und RessourcenAllokation sowie zur partizipativen Fabrikplanung sowie x die Kombination dieser Systeme. Einem anfänglich hohen Implementierungsaufwand bei der Einrichtung und Erarbeitung von Modellen oben angesprochener Hilfsmittel steht ein hohes Potential an Einsparung, Prozesszeitverkürzung, Qualitätsverbesse-

3.3 Produktion individualisierter Produkte

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rung und Wissenstransfer gegenüber. Die Effizienz dieser Programme wird dadurch erhöht, dass die Daten in einer zentralen Datenverwaltung abgelegt werden. Sie liegen damit nicht redundant vor und alle Systeme greifen auf einen Versionsstand zu. Die zentrale digitale Hinterlegung der Daten schafft die Voraussetzungen zur Erfüllung des Leitmotivs der Lernfähigkeit einer flexiblen Fabrik. Auf Basis von Ähnlichkeitsprofilen können wiederholt auftauchende Anforderungen an Produktionsstruktur erkannt werden und in der Vergangenheit erarbeitete Erfahrungen und Lösungen bereitgestellt werden. Eine konsequente und kontinuierliche Pflege ausgewählter relevanter Produkt-, Prozess- und Ressourcendaten ist dabei die wichtigste Voraussetzung. 3.3.4 Prozessplanung

Anforderungen an die Prozessplanung Bei der Erstellung individualisierter Produkte verschieben sich bestimmte Aufgaben der Produktentwicklung in die Prozesskette der Auftragsabwicklung. Hierzu gehört insbesondere die kundenindividuelle Produktadaption. Durch die Verlagerung von Entwicklungsleistungen in die Auftragsabwicklungskette sind auch Tätigkeiten im Bereich der Planung von Produktionsprozessen für jedes einzelne Produkt neu durchzuführen. Dies verursacht eine weitaus häufigere Durchführung von bestimmten Aufgaben, z. B. bei der Erstellung von Arbeitsplänen und Fertigungsunterlagen, als es bei der Produktion herstellerspezifischer Varianten der Fall ist. Aus Kostengründen muss daher versucht werden, die entsprechenden Aufgaben zu standardisieren, um sie weitgehend zu automatisieren. Zunächst wird dargestellt, welche Stellung die Prozessplanung innerhalb der Auftragsabwicklung einnimmt und welche Methoden und Systeme für die Herstellung individualisierter Produkte notwendig werden. Methodisch ergeben sich keine grundlegenden, neuen Anforderungen. Bekannte Methoden wie die Wiederhol-, Änderungs-, Varianten-, Ähnlichkeits- und Neuplanung lassen sich ebenfalls für individualisierte Produkte nutzen. Allerdings sind bestehende Systeme nicht geeignet, um die Planung wie meist üblich überwiegend manuell durchführen zu lassen. Im Folgenden werden die Leitmotive für Arbeitsplanungssysteme für individualisierte Produkte vorgestellt. Erweiterungsfähigkeit heißt, das System muss so gestaltet sein, dass neue Planungsaufgaben (z. B. bedingt durch neue Produktarten, Arbeitsfolgen oder Hilfsmittel) leicht ergänzt werden können. Hierfür muss es möglich sein, das bestehende Planungssystem durch

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Hinzufügen von zusätzlichen Modulen und Beziehungen zwischen Objekten zu erweitern. Dieser Anforderung kann insbesondere durch flexibel programmierbare Systeme mit einer objektorientierten Struktur gerecht werden. Hier bieten sich insbesondere auch Expertensysteme an, da diese darauf ausgelegt sind, das hinterlegte Wissen kontinuierlich zu erweitern. Integrationsfähigkeit beschreibt die Fähigkeit, ein Planungssystem aus informationstechnischer Sicht in ein Unternehmen zu integrieren. Da die Arbeitsplanung logisch zwischen der Produktadaption und der Fertigung/Montage einzuordnen ist, muss sie über Integrationsmöglichkeiten zu diesen Bereichen verfügen. Daher ist eine Einbindung von CAD- und PPSSystemen eine notwendige Voraussetzung, um die individuell gestalteten Produktelemente an die Arbeitsplanung und schließlich in die Fertigung und Montage weiterleiten zu können. Diese Integration muss herstellerund systemunabhängig sein. Um die Integrationsfähigkeit zu gewährleisten, ist es notwendig, dass die einzelnen Systeme über offene, erweiterungsfähige Schnittstellen und Kommunikationsfähigkeiten verfügen. Lernfähigkeit bedeutet in Bezug auf ein Planungssystem, dass das System über die Zeit mit mehr Wissen ausgestattet wird. Dies ermöglicht eine immer bessere Reaktion auf geänderte Ausgangssituationen. Hier ist organisatorisch ein Regelkreis aus der Fertigung vorzusehen, der es ermöglicht, notwendige Veränderungen am System durchzuführen. Es muss also möglich sein, auch Daten aus dem realen Fertigungsumfeld in die Planung zurückzuführen. Bestehende Elemente der Prozessplanung Die Funktion des Produktionsunternehmens kann als „Produktion industrieller Erzeugnisse, die zum Absatz bestimmt sind“ definiert werden (Wiendahl 1997). Zur Realisierung dieser Aufgabe ist der Produktionsbetrieb aus einer Vielzahl an voneinander abgrenzbaren Teilbereichen aufgebaut. Abbildung 3-10 zeigt das Modell eines Produktionsbetriebs, wobei hier nur diejenigen Bereiche berücksichtigt sind, die vom Material- und Informationsfluss unmittelbar berührt werden. Die drei elementaren Bestandteile sind die Untersysteme Beschaffung, Produktion und Vertrieb, die auch als Subsysteme erster Ordnung bezeichnet werden. Die Produktion stellt einen zentralen Bereich innerhalb industrieller Unternehmen dar. Sie hat die Aufgabe, Produkte entsprechend eines gegebenen bzw. vorbestimmten Bedarfs nach Art, Menge und Termin wirtschaftlich herzustellen. Beschaffung und Vertrieb sind der Produktion vor- bzw. nachgelagert. Sie stellen die Verbindung des Unternehmens zu seiner Umwelt her. Beschaffung, Produktion und Vertrieb sind weiter in Subsysteme zweiter Ordnung unterteilbar. So gliedert sich die Produktion in die Bereiche

3.3 Produktion individualisierter Produkte

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x Arbeitsvorbereitung (AV), x Fertigung (FE) und x Montage (MO).

Abb. 3-10. Systemtechnisches Modell eines Produktionsunternehmens (nach Wiendahl 1997, S. 11)

Die Arbeitsvorbereitung stellt das Bindeglied zwischen der Festlegung des Produktes in der Konstruktion und dessen Realisierung in Fertigung und Montage dar. Sie lässt sich in die Teilbereiche Arbeitsplanung und Arbeitssteuerung untergliedern. „Die Arbeitsplanung umfasst alle einmalig auftretenden Planungsmaßnahmen, welche unter ständiger Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit die fertigungsgerechte Herstellung eines Erzeugnisses sichern“ (AWF 1968). Innerhalb der Arbeitsplanung ist somit zu klären, „Was“, „Wie“ und „Womit“ hergestellt werden soll. Neben Aufgaben mit längerfristigem Zeithorizont wie Lager- und Transportplanung oder Flächen- und Gebäudeplanung werden im Rahmen der Arbeitsplanung auch Aufgaben mit kurzfristigem Zeithorizont wie die Erstellung von Fertigungs- bzw. Montagestücklisten sowie Arbeitsplänen für die Fertigung und Montage durchgeführt. „Die Arbeitssteuerung umfasst alle Maßnahmen, die für eine der Arbeitsplanung entsprechenden Auftragsabwicklung erforderlich sind“ (AWF 1968). Die Arbeitssteuerung bestimmt anhand des freigegebenen Arbeitsprogramms, „Wie viel“, „Wann“, „Wo“ und „Durch wen“ herzustellen ist. Als Kernaufgaben sind hier die Produktionsprogrammplanung, die Produktionsbedarfsplanung, die Eigenferti-

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

gungsplanung- und -steuerung sowie die Fremdbezugsplanung und -steuerung zu nennen (Eversheim 2002). Aufgabe der Fertigung ist es, die geometrische Gestalt, Beschaffenheit und Oberfläche des Grundmaterials zu verändern. Durch den Einsatz verschiedener Bearbeitungsverfahren, wie z. B. Drehen, Fräsen und Bohren erfolgt unter Berücksichtigung der zuvor erstellten Fertigungsunterlagen die mechanische Fertigung der verschiedenen Bauteile eines Produktes. Die Montage stellt im Rahmen des Produktentstehungsprozesses die Vollendungsphase dar, in der die Ergebnisse sämtlicher vorhergehenden Produktionsbereiche zusammengeführt werden. Aufgrund der vielen technischen und organisatorischen Einflussfaktoren aus anderen Produktionsbereichen darf die Montage nicht isoliert betrachtet und analysiert werden, sondern muss vielmehr als Teilsystem innerhalb des gesamten Produktionsprozesses gesehen werden. In Abbildung 3-11 sind zur Verdeutlichung die Zusammenhänge und Wechselwirkungen der Systemteile im betrieblichen Ablauf dargestellt.

Abb. 3-11. Zusammenwirken der Produktionsbereiche (nach Eversheim & Steudel 1977)

In zukünftigen Fabrikkonzepten werden aufgrund der Individualisierungsumfänge bei kleinen Losgrößen eher universell einsetzbare Maschinen vorzufinden sein. Diese müssen in Abhängigkeit der Anforderungen, die sich aus der Herstellung eines kundenspezifischen Produktes ergeben, ausgewählt werden. Im Unterschied zu einer klassischen Serienfertigung werden die Betriebsmittel nicht simultan mit den Produkten geplant. Stattdessen erfolgt eine fertigungsnahe Planung aufgrund von Produktspezifikationen und vorhandenen Betriebsmitteln. Daher ergeben sich große Herausforderungen im Bereich der Erstellung von auftragsspezifischen

3.3 Produktion individualisierter Produkte

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Unterlagen wie z. B. Arbeitsplänen und Fertigungsunterlagen. Da jedes Produkt individuell auf die Wünsche des Kunden zugeschnitten ist, muss unter Umständen jeweils neu geplant werden, wie diese Anforderungen produktionstechnisch umzusetzen sind. Durch die Vielzahl an unterschiedlichen Arbeitsinhalten nimmt gleichzeitig die Wichtigkeit von Arbeitsplänen und Fertigungsunterlagen zu, da die Mitarbeiter sich weniger auf ihre Erfahrungen und mehr auf die sie unterstützenden Informationen verlassen müssen. Die Notwendigkeit einer hohen Qualität und Detaillierung dieser Unterlagen führt zu zusätzlichen Kosten, die aus der hohen Anzahl an Planungen resultieren. Daher müssen Systeme entwickelt werden, die die Erstellung von Arbeitsplänen weitgehend unterstützen. Um die Anforderungen an derartige Systeme ableiten zu können, werden im Folgenden die Inhalte von Arbeitsplänen vorgestellt. In einem Arbeitsplan wird die Arbeitsaufgabe in Folgen von Arbeitsvorgängen aufgegliedert, die sequentiell, parallel oder alternativ sein können. Der Arbeitsplan enthält Informationen über das Erzeugnis und das Betriebsmittel am jeweiligen Arbeitsplatz, sowie über die Reihenfolge der konkreten Arbeitsvorgänge mit den dazugehörigen Vorgabezeiten (Eversheim 2002). Die Arbeitsunterweisung unterscheidet sich vom Arbeitsplan lediglich im Detaillierungsgrad der Aufgabengliederung. Sie beschreibt die auszuführenden Tätigkeiten im Detail und wird beispielsweise zur Einarbeitung neuer Arbeitskräfte eingesetzt. Neben der Stückliste ist der Arbeitsplan das zentrale Dokument, um in einem späteren Schritt Aufträge durch die Fertigung steuern zu können. Die Abbildung 3-12 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Stückliste und Arbeitsplan. In einem Arbeitsplan sind für die einzelnen Vorgänge darüber hinaus die Fertigungsmittel und die jeweiligen Vorgabezeiten hinterlegt, um auf dieser Basis in der Fertigungssteuerung mit Hilfe eines PPS-Systems eine Kapazitätsplanung durchführen zu können.

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Abb. 3-12. Zusammenhang von Arbeitsplan und Stückliste

Analog zu den Methoden in der Konstruktion werden die folgenden Möglichkeiten der Arbeitsplanung unterschieden: x Wiederholplanung, x Änderungsplanung, x Variantenplanung, x Ähnlichkeitsplanung und x Neuplanung. Im Fall der Wiederholplanung wird über einen Klassifizierungsschlüssel ein bereits existierender Arbeitsplan eines identischen Produktes ermittelt und mit organisatorischen Auftragsdaten ergänzt. Bei einer Änderungsplanung werden ebenfalls existierende Arbeitspläne ermittelt und diese bei Änderungen der Werkstücke oder einzelner Fertigungsverfahren entsprechend adaptiert. Die Variantenplanung basiert auf der Nutzung so genannter Standardarbeitspläne, die für eine bestimmte Produktgruppe definiert wurden und die maximale Anzahl aller Arbeitsschritte für alle in dieser Gruppe zusammengefassten Produktvarianten beinhalten. In der betrieblichen Praxis werden die Standardarbeitspläne meist als Vorlage verwendet und durch Löschen oder Anpassung einzelner Elemente an die jeweilige Planungsaufgabe „manuell“ angepasst. Bei einer Ähnlichkeitsplanung werden Teillösungen von bestehenden Arbeitsplänen aufgrund von Merkmalen ausgewählt und zu neuen Lösungen zusammengestellt. Bei Produkten, die nicht in bekannte Gruppen fallen und diesen nicht ähnlich sind, ist eine komplette Neuplanung durchzuführen. Diese verursacht den größten Aufwand und sollte daher möglichst vermieden werden. Die vorgestellten

3.3 Produktion individualisierter Produkte

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Methoden können mit einem unterschiedlich hohen Grad an Softwareunterstützung durchgeführt werden. Die Auswahl der geeigneten Methode und des entsprechenden Tools hängen dabei hauptsächlich von der Planungshäufigkeit und der Stabilität von Produktspektrum sowie Fertigungsumfeld ab. Prozessplanung für die Produktion individualisierter Produkte Die Methoden der Wiederholplanung und Ähnlichkeitsplanung sind für die Planung individualisierter Produkte nicht anwendbar, da tendenziell von wenigen gleichen oder sehr ähnlichen Produkten auszugehen ist. Aus diesem Grund verbleiben als Möglichkeiten die Änderungs-, die Variantenund die Neuplanung. Die Änderungs- und die Neuplanung verursachen einen hohen manuellen Aufwand. Somit werden sie der Forderung nicht gerecht, individualisierte Produkte zu Kosten herzustellen, die vergleichbar mit denjenigen der Serienproduktion sind. Aus diesem Grund bleibt einzig die Variantenplanung als viel versprechender Ansatz. In der Variantenplanung werden, wie bereits erwähnt, eine Maximalstückliste und ein Maximalarbeitsplan für ein vordefiniertes Spektrum passend zum jeweiligen Produkt ausgewählt. Dieser Maximalarbeitsplan kann klassisch „manuell“ innerhalb bestehender PPS-Systeme wie z. B. SAP R/3 oder automatisiert mit Hilfe von speziellen Softwarewerkzeugen auf der Basis von Produktanforderungen erstellt werden. Für die angestrebte Variantenplanung mit Maximalstücklisten und -arbeitsplänen kommen eine manuelle oder Excelbasierte Planung und Übertragung in ein PPS-System nicht in Frage, da aufgrund der Individualität der Produkte hierdurch ein zu hoher Aufwand entstehen würde. Eine automatisierte regelbasierte Variantenplanung ist zwar in einigen PPS-Systemen bereits möglich, die Planungsobjekte sind hier allerdings starr vordefiniert und können nicht flexibel angepasst werden. Aus diesem Grund sind spezielle Anwendungen erforderlich. Das Arbeitsplanungssystem hat die Aufgabe, Arbeitsvorgänge welche für die Herstellung des jeweiligen Produktes nach Kundenwunsch notwendig sind mit den entsprechenden Betriebsmitteln und Vorgabezeiten zu planen. Als Ansatz wird ein hoch flexibles Variantenplanungssystem empfohlen, welches über vorgedachte Lösungen hinaus aufwandsarm erweitert werden kann. Es muss auch leicht möglich sein, im Planungssystem neue Produkte, neue Produktionsprozesse und neue Betriebsmittel hinzuzufügen. Das Beziehungswissen hinsichtlich dieser Objekte muss auch erweitert oder verändert werden können. Daher sollte die Systemlogik von den Planungsdaten gekapselt sein. Hierfür bieten sich insbesondere Expertensysteme an (siehe Mertens 1990, Puppe 1991). Die in der Arbeitsplanung erzeugten Dokumente wie z. B. die Stückliste und der Arbeitsplan werden zur Ferti-

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

gungssteuerung an übergeordnete PPS-Systeme übergeben. Hier bieten sich klassische Systeme an, die auf Ebene der Fertigungs- und Logistiksteuerung um spezielle Lösungen für individualisierte Produkte zu erweitern sind. Um Produkte und deren Komponenten entsprechend der Abläufe, wie sie in den Arbeitsplänen definiert sind, zwischen unterschiedlichen Ressourcen transportieren zu können, bedarf es geeigneter Materialflusssysteme. 3.3.5 Materialflussplanung

Neue Anforderungen an das Materialflusssystem Eine Produktion individualisierter Güter erfordert auch wandelbare Materialflusssysteme, die sich schnell an veränderte Produktionsbedingungen und -abläufe anpassen lassen. In Ergänzung zur Flexibilität, die als Möglichkeit zur Veränderung in vorgehaltenen Dimensionen bezeichnet werden kann, müssen diese wandelbaren Materialflusssysteme zusätzlich die Anforderung erfüllen, auf ungeplante Ereignisse reagieren zu können. Übertragen auf den Bereich der Materialflusstechnik lässt sich diese Definition der Wandelbarkeit in die Forderungen nach x Fördergutflexibilität, x Layoutflexibilität und x Durchsatzflexibilität spezifizieren. Um die Anforderung hinsichtlich der Fördergutflexibilität zu erfüllen, muss das System in der Lage sein, unterschiedlichste Produkte, unabhängig von deren Abmessung und Gewicht zu transportieren. Layoutflexibilität bezeichnet die Eigenschaft, dass jeder Ort in der Fabrik bedient werden kann, bzw. das Materialflusssystem muss sich schnell auf veränderte Materialflüsse einstellen können. Durchsatzflexible Materialflusssysteme müssen sich den Leistungsänderungen der Produktion durch geeignete Maßnahmen anpassen können. Mit diesen Fähigkeiten werden Schwankungen im laufenden Betrieb, wie zum Beispiel Auftragsmengenschwankungen und geringfügige Änderungen innerhalb des vorgegebenen Produktspektrums, in kurz- und mittelfristiger Hinsicht gehandhabt. Um aber zu gewährleisten, dass ein Materialflusssystem in der Lage ist, auf jedes ungeplante Ereignis bzw. Aufgabe reagieren zu können, wie es eine Produktion kundenindividueller Güter verlangt, müssten diese drei Flexibilitätsanforderungen vollständig erfüllt sein. Dies wäre aber sowohl technisch wie auch wirtschaftlich nicht zu realisieren. Hier gilt es, ein sinnvolles Maß an

3.3 Produktion individualisierter Produkte

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Fördergut-, Layout- und Durchsatzflexibilität zu erreichen (Abbildung 313).

Abb. 3-13. Beurteilung der Wandelbarkeit eines Materialflusssystems

Deshalb muss ein wandelbares Materialflusssystem, das zudem einen wirtschaftlichen Betrieb erlauben soll, den Leitmotiven x Erweiterungsfähigkeit, x Integrationsfähigkeit und x Lernfähigkeit gerecht werden. Erweiterungsfähigkeit deutet auf die Möglichkeit hin, ein bestehendes Materialflusssystem durch Hinzufügen von systemeigenen Modulen zu erweitern, um so z. B. neue Produktionsbereiche zu erschließen bzw. zusätzliche Übergabeplätze innerhalb bestehender Bereiche bedienen zu können. Integrationsfähigkeit beschreibt nicht nur die Eignung, Materialflusssysteme auf steuerungstechnischer Seite in Leit- oder PPS-Systeme zu integrieren, sondern auch die Fähigkeit, technische und steuerungstechnische Verkettungen mit anderen Materialflusssystemen einzugehen. In Ergänzung zur Erweiterungsfähigkeit bezieht sich die Integrationsfähigkeit auf das Hinzufügen von verschiedenartigen Materialflussmodulen/systemen. Diese Integration muss hersteller- und systemunabhängig sein. Um die Integrationsfähigkeit zu gewährleisten, ist es notwendig, dass die

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

einzelnen Systeme über offene, erweiterungsfähige mechatronische Schnittstellen und Kommunikationsfähigkeiten verfügen. In wandelbaren Materialflusssystemen zählt die Integrationsfähigkeit als Ausschlusskriterium und muss auf jeden Fall erfüllt sein. Mit Lernfähigkeit können Materialflussmodule Erkenntnisse, die aus erledigten Aufgaben gewonnen wurden, in die Bearbeitung neuer Aufträge mit einbeziehen. Dies ermöglicht es Fahrzeugen beispielsweise, bei der Wegplanung nicht nur den kürzesten sondern auch den schnellsten Weg zu wählen. Mit den Leitmotiven Erweiterungsfähigkeit, Integrationsfähigkeit und Lernfähigkeit besitzt das Materialflusssystem die Grundfähigkeit, auf vorab nicht geplante Änderungen reagieren zu können (Günthner et al. 2002). Bestehende Materialflusssysteme Für die technische Realisierung eines wandelbaren Materialflusssystems mit marktüblichen Materialflusselementen muss zwischen x manuellen Systemen wie Hubwagen und Gabelstapler sowie x automatisierten Systemen für Stückgüter unterschieden werden. Manuelle Systeme erfüllen zwar zum großen Teil die Anforderungen an die Wandelbarkeit und verursachen die geringsten Investitionskosten. Sie verfügen aber weder über die höchste Produktivität noch über eindeutig quantifizierbare Kundenvorteile wie Nullfehler-Strategie oder zeitoptimierte Anwendungen. Darüber hinaus verursachen manuelle Transporte nicht nur hohe Betriebs- und Personalkosten, sondern weisen auch ein großes Gefahren- und Fehlerpotenzial auf und führen mitunter zu Qualitätseinbußen beim Fördervorgang (Dullinger 1999). Die heutzutage verwendeten Automatisierungslösungen für Materialflusssysteme stellen trotz des Einsatzes von Feldbussystemen größtenteils abgeschlossene Systeme dar und sind nur veränder- und erweiterbar hinsichtlich vorgeplanter Parameter. Die Kommunikation zwischen weiteren Systemen bzw. Systemkomponenten findet dabei über hersteller- und systemspezifische Schnittstellen statt (Scheid 2003). Im Allgemeinen gelten automatisierte Systeme als starr und unflexibel und damit weniger geeignet für eine kundenindividuelle Produktion. So sind zwar sind Materialflusssysteme vorhanden, die einzelne Anforderungen an die Wandelbarkeit gut erfüllen. Aber ein Materialflusssystem, das für alle Anforderungen eine gleichermaßen gute Lösung darstellt, gibt es derzeit nicht. Abbildung 3-14 zeigt eine Übersicht der Fördermittel, die auf Grund ihrer Funktionsweise und der damit verbunden systemeigenen Flexibilität die besten Voraussetzungen für einen Einsatz in einer Produktion kundenindividualisierter Produkte bieten (Handrich 2001). Stetigför-

3.3 Produktion individualisierter Produkte

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derer wie Rollenbahnen und Bandförderer eignen sich für hohe Förderleistungen, aber nicht für dynamische Produktionsstrukturen. Geringe Layoutflexibilität, fest installierte Förderstrecken und zusammenhängende Förderwege stellen massive Einschränkungen dar. Stapler schneiden im Vergleich am besten ab, erreichen aber ihre hohe Flexibilität nur als manuelles Fördergerät und sind bei der Layoutflexibilität auf Fahrgassen angewiesen. Fahrerlose Transportsysteme (FTS) stellen ein relativ flexibles, flurgebundenes System dar. Nachteilig sind hier die hohen Systemkosten und der komplexe Aufbau. Krane bieten die größte Layoutflexibilität. Allerdings sind sie bisher entweder als manuelle Systeme oder als automatisierte Einzel- und Sonderlösungen im Einsatz. Es ist keine allgemein einsetzbare Systemtechnik vorhanden. Zudem müssen die Fördermittel in ihrer technischen Realisierung die Leitmotive Erweiterungs-, Integrations- und Lernfähigkeit erfüllen. Hierzu sind bei der Systemgestaltung neue Ansätze in der Modularisierung und Automatisierung nötig.

Abb. 3-14. Fördermittelübersicht: Eingrenzung und Vorauswahl geeigneter Fördermittel

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Materialflusssysteme für die Produktion individualisierter Produkte Die Wandelbarkeit und die Leistungsfähigkeit eines automatisierten Materialflusssystems ergeben sich zum einen aus der Leistungsfähigkeit und der Flexibilität der einzelnen materialflusstechnischen Komponenten (z. B. Lastaufnahmemittel, Lagertechnik, Fahrzeuge usw.) und zum anderen aus dem Zusammenspiel dieser Komponenten. Für die technische Konzeption eines automatisierten wandelbaren Materialflusssystems und dessen materialflusstechnischer Komponenten lässt sich als Gestaltungsmethode eine funktionsorientierte Modularisierung anwenden. Bei dieser Methode wird das Materialflusssystem aus mechatronischen, dezentral gesteuerten Modulen aufgebaut, deren Modulgrenzen entsprechend der Funktionalität gezogen, und die nach dem Konzept der verteilten Automatisierung gestaltet sind. Die einzelnen Module lassen sich zu Subsystemen (z. B. Lagerbereich, Elektrohängebahnsystem etc.) zusammenfassen. Die Subsysteme bestehen aus Modulen wie z. B. Fahrzeugen und diese wiederum aus Basiselementen wie Antriebe, Fahrwerke etc. Die Anzahl der Hierarchiestufen ist hierbei variabel, solange die betrachteten Module immer eigenständige Funktionseinheiten mit klar definierten mechatronischen Schnittstellen darstellen. Gerade von dem Automatisierungskonzept der Materialflussmodule hängt es ab, ob ein Materialflusssystem wandelbar und wirtschaftlich sein kann und ob der Zielkonflikt zwischen hoher Produktivität durch Automatisierung und der damit verbundenen sinkenden Flexibilität aufgelöst werden kann. Das Konzept einer funktionsorientierten Modularisierung verknüpft die Vorteile einer zentralen Automatisierung (eine Datenbasis und ein Steuerungsprogramm, damit keine Redundanz) mit denen einer dezentralen Automatisierung (geringe Komplexität, Modularisierung möglich). Die Kommunikation zwischen den Modulen findet über eine durchgängige, systemunabhängige Verbindungsschicht auf der Basis von Ethernet, Extensible Markup Language (XML) und Simple Object Access Protocol (SOAP) statt (W3-Consortium 2003). Dieser Aufbau bringt eine Reihe von Vorteilen mit sich. Da die Systemgrenzen von Mechanik, Energie und Steuerung identisch sind, lassen sich die Module unabhängig voneinander testen, in Betrieb nehmen und austauschen. Somit verkürzen sich die Inbetriebnahmezeiten. Parallel- und Teilinbetriebnahmen bzw. Vorabtests beim OEM sind möglich. Außerdem erhöht sich die Verfügbarkeit des Gesamtsystems, da die Applikationen vor Ort im Gerät autark ablaufen und Steuerungsfehler sich eindeutig dem ausgefallenen Modul zuordnen lassen. Diese Vorteile ermöglichen eine Realisierung der geforderten Leitmotive Erweiterungs- und Integrationsfähigkeit auf Seiten der Automatisierungs-

3.3 Produktion individualisierter Produkte

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ebene. Zusätzlich werten intelligente Steuerungsprogramme in den Materialflussmodulen Erfahrungen aus erledigten Aufgaben aus und berücksichtigen die gewonnenen Erkenntnisse bei zukünftigen Aufträgen (Leitmotiv Lernfähigkeit). Damit in einem wandelbaren modularisierten Materialflusssystem materialflusstechnische Module verschiedener Hersteller ohne großen Engineeringaufwand miteinander gekoppelt, ausgetauscht bzw. neu eingebunden werden können, müssen die Module über eine einheitliche, kompatible und leistungsfähige Kommunikationsschnittstelle verfügen. Diese Schnittstelle muss so definiert sein, dass sie auch den Anforderungen zukünftiger neuer Materialfluss- und Produktionsmodule entspricht, ohne dass eine explizite Vorplanung nötig ist. Es muss sowohl eine horizontale Kommunikation zwischen den Modulen als auch eine vertikale Kommunikation zu übergeordneten PPS- und ERP-Systemen möglich sein. Dabei müssen auch auf der Kommunikationsebene die Leitmotive Erweiterungs- und Integrationsfähigkeit im Vordergrund stehen. Einen geeigneten Lösungsansatz bietet hier die Datensprache XML, die aus dem IT-Bereich stammt. XML ist eine Metasprache, die Regeln für die Erstellung von Dateistrukturen auf Basis von Textformaten beschreibt. Sie erlaubt eine Definition der logischen Bedeutung von Daten, Informationen und Texten. Neben der eigentlichen Information werden auch gleichzeitig die Datenbezeichnung und das Datenformat übermittelt. Mit Hilfe eines einfachen Web-Browsers lassen sich die XML-kodierten Daten einfach und optisch aufgearbeitet lesen. Ein Datenaustausch auf Basis von XML schafft damit die Voraussetzungen für eine erweiterungsfähige offene Kommunikation in einem wandelbaren Materialflusssystem. Wendet man diese Gestaltungsmethodik unter Berücksichtigung der genannten Leitmotive auf bestehende flexible Materialflusssysteme an, lassen sich wandelbare automatisierte Systeme für eine kundenindividuelle Produktion entwerfen. Ein Realisierungsbeispiel hierfür ist eine Kombination aus Hängekran und Elektrohängebahn (EHB), das in Abbildung 3-15 dargestellt ist. Die einzelnen Produktionsbereiche, in denen die Produktionsressourcen stehen, werden von einem Hängekran von oben bedient und nutzen so die Vorteile des flurfreien Materialflusses. Jeder Ort im Produktionsfeld ist erreichbar (Layoutflexibilität). Dies ermöglicht ein problemloses Reagieren auf Veränderungen im Materialfluss, die durch Umstellen bzw. Hinzufügen von Produktionsressourcen entstehen. Zusätzlich werden keine Flächen durch Transportwege verbraucht. Die räumliche Entkopplung von Materialfluss und Produktion schafft Freiheiten für die Produktionsprozess- und Materialflussplanung. Die einzelnen Produktionsbereiche sind über eine Elektrohängebahn miteinander verbunden. Die EHBFahrzeuge fahren mit dem Fördergut auf die Kranbrücken und können so

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

individuell jeden Punkt im Produktionsbereich bedienen. Im Rahmen des Produktspektrums ist dieses System in ausreichendem Maße fördergutflexibel. Bei einem Wechsel des Produktspektrums muss aber bei Bedarf durch geeignete Maßnahmen und neue Konzeptionen eine erweiterbare Fördergutflexibilität gewährleistet werden.

Abb. 3-15. Beispielszenario für ein wandelbares Materialflusssystem

Im vorliegenden Beispiel legen hauptsächlich die Lastaufnahmemittel und die Tragfähigkeit der Kranbrücken die Fördergutflexibilität fest. Von ihrer konstruktiven Gestaltung hängt es ab, welches Gewicht und welche Geometrie das Fördergut haben darf. Aus diesem Grund sollten die Lastaufnahmemittel austauschbar gestaltet sein. Dies wird mit einem funktionsorientierten modularen Aufbau erreicht. Aus wirtschaftlichen und aus sicherheitstechnischen Gründen ist es zu empfehlen, standardisierte Transporthilfsmittel einzusetzen. Die Durchsatzflexibilität ist im EHB-Bereich durch das Hinzufügen weiterer Fahrzeuge gewährleistet. Ebenso erlauben die variablen Aufbaumöglichkeiten die Wahl alternativer und kürzerer Routen. Dagegen ist im Kranfeld die Durchsatzflexibilität eingeschränkt. Für eine Durchsatzsteigerung gibt es die Möglichkeit, das Kranfeld um

3.3 Produktion individualisierter Produkte

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weitere Kranbrücken zu erweitern. Zwar bewirkt ein zusätzlicher Kran noch keine Durchsatzsteigerung, da er seriell in das System eingebunden ist. Aber durch ein geschicktes Auftragsmanagement und durch eine günstige Anordnung der Fertigungseinrichtungen im Produktionsfeld ließe sich durch Hinzufügen weiterer Kranbrücken eine Steigerung des Durchsatzes erreichen. Eine andere Möglichkeit zur Durchsatzsteigerung besteht in der Verwendung von Multiple-Load-Lastaufnahmemitteln, die mehrere Fördergüter auf einmal transportieren können. Ebenso lassen sich durchsatzkritische Bereiche direkt von dem EHB-System versorgen. 3.3.6 Zusammenfassung Im diesem Kapitel wurden die Handlungsfelder bei der Fabrikplanung, der Arbeitsplanung und bei der Auswahl und Gestaltung von Transportsystemen für die Herstellung individualisierter Produkte dargestellt. Die drei Grundprinzipien Erweiterungsfähigkeit, Integrationsfähigkeit und Lernfähigkeit sind bei der Systemauslegung für die unterschiedlichen Bereiche zu berücksichtigen. Bei der Fabrikplanung sind ein modularer Fabrikaufbau, die konsequente Nutzung und Integration der verschiedenen digitalen Planungswerkzeuge verbunden mit einer zentralen Datenhaltung wesentliche Erfolgfaktoren. Im Besonderen sind Unternehmen so in der Lage, auf Produktänderungen und Nachfrageschwankungen zu reagieren, die aus den Individualisierungswünschen der Kunden resultieren. Diesen können sie durch Neukonfiguration der Produktionsstruktur erfolgreich begegnen. Die Ausrichtung der Fabrikplanung von einer Initialplanung hin zu einer kontinuierlichen Planung ist hierbei als Voraussetzung zu begreifen. Die Prozessplanung für individualisierte Produkte erfolgt mit den gleichen Methoden wie bei einer klassischen Planung. Es ergeben sich allerdings neue Anforderungen an die notwenige Planungsgüte, da aufgrund der Verschiedenartigkeit der Arbeitsinhalte nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass der Werker vor Ort aufgrund seines Erfahrungswissens Planungsfehler ausgleichen kann. Zusätzlich erfolgt die Arbeitsplanung für jedes Produkt. Durch die höhere Planungsfrequenz sind daher Systeme zu nutzen, die die Planung weitestgehend automatisieren. Diese Systeme müssen den genannten Leitmotiven ebenfalls entsprechen. Derartige Systeme sind firmenspezifisch bei hochvariantenreichen Serienfertigern bereits im Einsatz. In den kommenden Jahren ist damit zu rechnen, dass derartige firmenspezifische Lösungen, die heutzutage auf Basis von ToolboxSystemen neu programmiert werden, zunehmend von Turn-Key-Systemen

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

abgelöst werden, bei denen branchenspezifische Lösungen vorkonfiguriert sind und die nur noch um Sonderlösungen zu ergänzen sind. Materialflusssysteme für eine kundenindividuelle Produktion werden heutzutage noch überwiegend mit manuellen Fördermitteln realisiert. Neue Lösungskonzepte im Bereich der Materialfluss- und Gerätesteuerung wie die funktionsorientierte Modularisierung (Günthner u. Wilke 2003) und intelligente Multiagentensysteme (Hompel 2004) bieten in den nächsten Jahren die Möglichkeit, wandelbare und automatisierte Materialflusssysteme für eine Produktion individualisierter Produkte einzusetzen. Der Einsatz von autonomen, dezentral gesteuerten Modulen mit standardisierten Schnittstellen im Bereich des Materialflusses ist die Grundlage für die Realisierung eines kostengünstigen, effektiven, zuverlässigen und wandelbaren Gesamtsystems. Die Zeitanteile bei der Inbetriebnahme und vor allem beim Umbau lassen sich damit deutlich reduzieren. Der Lösungsansatz liegt in einer funktionsorientierten Modularisierung bei der die Modulgrenzen entsprechend der Funktionalität des Moduls gezogen werden. Dabei müssen die Modulgrenzen auf den mechanischen, energetischen und steuerungstechnischen Ebenen identisch sein. Ein wesentlicher Aspekt besteht in einer offenen, erweiterbaren Kommunikation, die einen offenen und erweiterungsfähigen Datenaustausch sowohl horizontal zwischen den Materialflussmodulen als auch vertikal von der Leitebene bis hinunter auf die Geräteebene ermöglicht. 3.3.7 Literatur AWF: Handbuch der Arbeitsvorbereitung: Teil 1 Arbeitsplanung. Berlin: Beuth 1968. Dullinger, K. H.: Das Zauberwort heißt Flexibilität – Wie sich Logistikanlagen von vornherein flexibel für zukünftige Anforderungen anlegen lassen. Materialfluss April 1999, S.15-18 Eversheim, W.: Organisation in der Produktionstechnik 3: Arbeitsvorbereitung. 4 Aufl. Berlin: Springer 2002. Eversheim, W.; Steudel, M.: Montagearbeitsplanerstellung für Unternehmen der Einzel- und Kleinserienfertigung mit Hilfe der EDV. Opladen Westdeutscher 1977. Eversheim, W.; Neuhausen, J.: Modular Plant architecture – an approach towards Agility and reconfigurability – wt Werkstattstechnik online 10/2001 Günthner, W. A; Heinecker, M.; Wilke, M.: Materialflusssysteme für wandelbare Fabrikstrukturen. Industrie Management 18 (2002) 5, GITO mbH Verlag für Industrielle Informationstechnik und Organisation, Berlin. Günthner, W. A.; Wilke, M.: Materialflusstechnologie - Anforderungen und Konzepte für wandelbare Materialflusssysteme; 21. Dortmunder Gespräche, September 2003.

3.3 Produktion individualisierter Produkte

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Handrich, W.: Flexible, flurfreie Materialflusstechnik für dynamische Produktionsstrukturen. München: Utz 2001 Matt, D.: Design of self-contained, adaptable factory modules. In: CARV2005 Proceedings. Today’s Reactions Tomorrow’s Challenges. München: Utz 2005. Mertens, P.: Expertensysteme in der Produktion. München: Oldenbourg 1990. Puppe, F.: Einführung in Expertensysteme. 2 Aufl. Berlin: Springer 1991. Reinhart, G.; Habicht, C.: Die wandlungsfähige Fabrik, in: Kopp, R.; Staufenbiel, R.: Mass statt Masse - Strategien für mehr Beschäftigung zwischen Rationalisierung und Kundennähe. Beiträge und Materialien zum Arbeitssymposium des Konvents der Technikwissenschaften, Aachen 2001. Scheid, W.-M.: Kommt die durchgängige Automatisierung? In: F+H Fördern und Heben 52 (2003) 11, Mainz: Vereinte Fachverlage 2003, S.696-700. Schenk, M.; Wirth, S.: Fabrikplanung und Fabrikbetrieb. Berlin: Springer 2004. Schirrmeister, E.; Warnke, P.; Dreher, C.: Untersuchung über die Zukunft der Produktion in Deutschland: Sekundäranalyse von Vorausschau-Studien für den europäischen Vergleich; deutscher Anteil des Eureka-Factory-Projekts Informan 2000+; Abschlussbericht. Fraunhofer ISI, Karlsruhe 2003. Schuh, G.; Bergholz, M.: Collaborative Production on the Basis of Object Oriented Software Engineering Principles, Proceedings of the 53rd CIRP General Assembly Montreal, 2003. Schuh, G.; Millarg, K.; Göransson, A.: Virtuelle Fabrik. Neue Marktchancen durch dynamische Netzwerke. München: Hanser 1998. Tönshoff, H. K.; Herzog, O.; Timm, I. J.; Woelk, P. O.: Integrated Process Planning and Production Control Based on the Application of Intelligent Agents. In: Teti R (Hrsg) Proceedings of the 3rd CIRP International Seminar on Intelligent Computation in Manufacturing Engineering - ICME 2002; Ischia, Italien 3-5 Juli. 2002, S. 135-140. Warnecke, H. J.: Die Fraktale Fabrik, Revolution der Unternehmenskultur., Berlin: Springer 1992. Wiendahl, H.-P.: Betriebsorganisation für Ingenieure. 4 Aufl. München: Hanser 1997. Wildemann, H.: Die modulare Fabrik, Kundennahe Produktion durch Fertigungssegmentierung. München: Reiff 1988. Witte, K.-W.: Vielhaber, W. [Hrsg.]: Neue Konzepte für wandlungsfähige Fabriken und Fabrikparks. Aachen: Shaker 2004. W3-Consortium: Simple Object Access Protocol (SOAP) 1.2, W3C Recommendation 24. June 2003, entnommen am 21.06.2005, URL: http://www.w3.org/TR/SOAP Zäh, M. F.; Bayerer, P.: Gestaltung und Betrieb mobile Produktionssysteme. Abschlussbericht des Forschungsprojektes ProMotion. München: Utz 2004.

3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte J. Heinzl, J. Harnisch, F. Irlinger, H. Hoffmann, R. Petry, S. Stanchev, M. F. Zäh, C. Ulrich

3.4.1 Einleitung Individualisierte Produkte müssen hinsichtlich Eigenschaften wie beispielsweise Funktionalität und Lebensdauer die gleichen Anforderungen wie konventionelle Produkte erfüllen. Die Auswahl der einsetzbaren Werkstoffe begrenzt sich daher im Wesentlichen auf Materialien, die auch bei konventionellen Serienprodukten verwendet werden, wie beispielsweise Kunststoff und Metall. Für die Herstellung von Kunststoffkomponenten ist das Spritzgießen ein häufig genutztes Verfahren. Bei der Fertigung von metallischen Flächenteilen kommt in der Regel das Tiefziehen zum Einsatz. Diese weit verbreiteten Fertigungsverfahren erfordern kostspielige, produktspezifische Werkzeuge, die genau eine Geometrie auf die Werkstücke abbilden können. Sind beim Fügen der entsprechenden Bauteile die Vorgänge automatisiert, so können häufig nur vorgegebene Bewegungsabläufe wiederholt werden. In der Regel ist es notwendig, dass dabei die Werkstückgeometrie sowie die Oberflächenqualität immer gleich bleiben. Als Folge des relativ hohen Aufwands für die Vorbereitung ist daher die Herstellung von Produkten sehr häufig erst bei großen Stückzahlen wirtschaftlich. Während Änderungen der Bauteilgeometrie bei den genannten industriellen Produktionsverfahren Spritzgießen und Tiefziehen zwar mit einem gewissen Aufwand durchaus realisierbar sind, ist eine Produktion von Kleinserien oder Einzelteilen mit diesen Verfahren kostenintensiv und damit in der Regel nicht wirtschaftlich umsetzbar. Die Produktion kundenindividueller Produkte wird derzeit überwiegend durch Produktionsprozesse mit einem hohen Anteil an manueller Arbeit, beispielsweise in Handwerksbetrieben, umgesetzt. Dementsprechend werden die so hergestellten Produkte zu einem Preis angeboten, welcher höher ist als bei vergleichbaren Produkten, die nach dem Prinzip der industriellen Serienfertigung hergestellt werden. Für eine industrielle Herstellung individualisierter Produkte sind daher die Verfahren auf die spezifischen Anforderungen hin auszurichten.

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Abbildung 3-16 zeigt die Einteilung von Fertigungsverfahren nach DIN 8580.

Abb. 3-16. Einteilung von Fertigungsverfahren nach DIN 8580

Wie in den vorangegangenen Kapiteln bereits erwähnt, hat der Kunde bei der Produktindividualisierung die Möglichkeit, bei der Definition und Gestaltung seines Produktes selbst aktiv mitzuwirken, anstatt wie bei der herkömmlichen Serienproduktion nur unter vordefinierten Varianten zu wählen. Das vorliegende Kapitel behandelt industrielle Technologien, welche eine wirtschaftliche Verarbeitung von Bauteilen mit einer kundenspezifisch festgelegten Geometrie unterstützen. Dabei stehen die genannten Kunststoffkomponenten und metallischen Flächenteile im Vordergrund. Daher beschränkt sich die Betrachtung auf die folgenden Klassen von Fertigungsverfahren (nach Abbildung 3.16): x Urformen/Formschaffen x Umformen und x Fügen. 3.4.2 Strategien zur Herstellung von individualisierten Produkten Im Folgenden werden Strategien für eine wirtschaftliche industrielle Herstellung individueller Produkte vorgestellt. Diese Strategien zielen ab auf: x den Einsatz von Software für eine aufwandsarme Fertigung von Werkzeugen und Werkstücken, x die Modularisierung beim Bau von Umformwerkzeugen, x auf Materialinnovationen beim Werkzeugbau und x Verfahren zum Fügen individueller Bauteile. Im Anschluss werden Beispiele zur Umsetzung dieser Strategien beschrieben.

3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte

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Einsatz von Software für eine aufwandsarme Fertigung von Werkzeugen und Werkstücken Konventionelle Fertigungsverfahren wie das Spritzgießen von Kunststoffteilen oder das Tiefziehen von Metallkomponenten wurden über Jahre kontinuierlich weiterentwickelt. Durch die fortlaufende Optimierung konnten technologische und wirtschaftliche Verbesserungspotenziale erschlossen werden. Ausgefeilte produktspezifische Formen und Werkzeuge tragen dazu bei, bei den hergestellten Bauteilen eine hohe Maßhaltigkeit sowie eine gute Oberflächenqualität zu erreichen. Der Einsatz derartiger Produktionstechnologien ist trotz des hohen Aufwands für die Konstruktion und Anfertigung der produktspezifischen Betriebsmittel wirtschaftlich, wenn eine hohe Anzahl an gleichen Teilen hergestellt wird, auf die die Kosten umgelegt werden können. Die so genannten „Rapid Technologien“ (Rapid Prototyping, Rapid Tooling, Rapid Manufacturing) hingegen verfolgen den Ansatz, aus Computerdaten direkt ein entsprechendes Teil herzustellen (Gebhardt 2000). Beim Rapid Tooling werden Formen und Werkzeuge aufwandsarm gefertigt, die dann für die Herstellung von Teilen mit konventionellen Werkstoffen genutzt werden. Mit den Verfahren des Rapid Prototyping und Rapid Manufacturing werden die gewünschten Bauteile unmittelbar in entsprechenden Werkstoffen gefertigt. Zielrichtung bei der Entwicklung von Rapid-Prototyping-Verfahren war hauptsächlich die Möglichkeit, Geometriemodelle zu erzeugen. Entsprechend der erzielbaren Maßhaltigkeiten und mechanischen Eigenschaften der Bauteile sind Rapid-PrototypingVerfahren nicht für die Herstellung von Produkten für den Endkunden geeignet. Dagegen verfügen Bauteile, die mit Verfahren des Rapid Manufacturing gefertigt werden, zwar über geeignete mechanische Eigenschaften, werden aber hinsichtlich Oberflächenqualität, optischer Erscheinung etc. den Anforderungen an Produkte für den Endverbraucher häufig nicht gerecht. Die Grundidee, kostspielige und vor allem unflexible Hardware durch leistungsfähige Software zu ersetzen (Westkämper 2004), kann für die Herstellung individualisierter Produkte übernommen werden. Vor allem eine wesentlich aufwandsärmere Herstellung oder der Entfall von Formen und Masken durch den Einsatz von geeigneter Software sind für eine kostengünstige Fertigung von kundenindividuellen Produktkomponenten notwendig. Dieser Ansatz der schnellen, kostengünstigen Produktion auf der Grundlage von Rechnerdaten ist dabei nicht auf die Weiterentwicklung von Rapid Technologien beschränkt, sondern lässt sich auf weitere Verfahrensklassen wie Umformen oder Fügen auszuweiten. So können teuere Anlagen und Werkzeuge für das Tiefziehen durch den Einsatz von Soft-

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

ware für inkrementelle Umformverfahren eingespart werden. Diese Verfahren sind nicht auf geometrieabbildende Werkzeuge angewiesen, sondern erzeugen die gewünschte Form von Komponenten durch eine Vielzahl kleiner Umformschritte mit universellen Werkzeugen. Hier kann der Einsatz von Software helfen, um für gewünschte Geometrien Fertigungsstrategien automatisch zu generieren und über Steuerbefehle an die Anlage zu übergeben, welche die Komponenten dann halb- oder vollautomatisch fertigt. Beim Fügen von individuellen Bauteilen ermöglicht es die gezielte Ansteuerung von Teilumfängen der Produktionsressourcen, die vorhandenen Anlagen bestmöglich auszulasten und so Zusatzinvestitionen einzusparen. Modularisierung beim Bau von Umformwerkzeugen Bei der Herstellung individualisierter Produkte spielt die Modularisierung sowohl für den Aufbau der Produkte als auch für die eingesetzten Produktionsmittel eine bedeutende Rolle. Die Definition von Modulen mit geeigneten Schnittstellen ermöglicht es, die Vielfalt und Komplexität bei der Herstellung von individualisierten Produkten besser zu beherrschen. Bei der Erzeugung von Tiefziehwerkzeugen für die Produktion kleiner Stückzahlen spielen eine kurze Herstellungszeit und schnelle Auswechselbarkeit der Werkzeuge eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, solche Werkzeuge in definierte Funktionsmodule, so genannte Basisund Formmodule, zu unterteilen. Da einige Werkzeugbereiche durch technische Vorgaben wie ihre Einbaurandbedingungen, ihre Funktion und ihre Festigkeitseigenschaften festgelegt und damit nicht individualisierbar sind, werden sie als Basismodule nach konventionellen Verfahren erzeugt. Sie werden kombiniert mit den individuell gestaltbaren Bereichen, den Formmodulen, die durch innovative, schnelle Methoden hergestellt werden können. Um eine sichere Anbindung der Formmodule an das Basismodul zu gewährleisten, sind konstruktive Schnittstellen zwischen den Modulen festzulegen. Materialinnovationen beim Werkzeugbau Bei der Individualisierung eines Produktes ist dem Kunden prinzipiell auch die Möglichkeit gegeben, Produktwerkstoffe nach seinem Wunsch zu wählen. Anforderungen an Festigkeit, Korrosionsschutz, Oberflächenqualität, Lebensdauer etc. schränken das Auswahlspektrum jedoch im Wesentlichen auf derzeit bekannte, schon in der industriellen Produktion verwendete Materialien ein. Das Potenzial von Materialinnovationen liegt daher nicht unbedingt bei den Produktkomponenten, sondern vielmehr beim Werk-

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zeugbau. Die bei individualisierten Gebrauchsgütern gegenüber konventionellen Produkten deutlich geringeren Stückzahlen erlauben den Einsatz von Werkzeugen und Formen, deren Standmenge wesentlich geringer, möglicherweise sogar nur auf Stückzahl eins begrenzt sein darf. Hier eröffnen Rapid Technologien die Möglichkeit, in sehr kurzer Zeit Werkzeugelemente mit individualisierten Geometriemerkmalen für das Umformen von Metallblechen oder das Spritzgießen von Kunststoffen herzustellen. Die eingesetzten Materialien, wie beispielsweise unverstärkte und verstärkte Kunststoffe oder miteinander verklebte Papierschichten, haben gegenüber Werkzeugstahl zwar eine deutlich geringere Verschleißfestigkeit. Mit diesen Materialien lassen sich aber in nur wenigen Stunden die fertigen Werkzeuge von der CAD-Konstruktion aus realisieren, während der konventionelle Prozess des Gießens und der spanenden Nachbearbeitung von Werkzeugen je nach Komplexität wenige Wochen bis mehrere Monate dauern kann. Alternativ können statt der direkten Herstellung von Werkzeugen auch Rapid-Prototyping-Verfahren zur Generierung von Sandformen für den Werkzeugguss eingesetzt werden. Im Folgenden werden Verfahren zur Herstellung individualisierter Kunststoff- und Blechkomponenten sowie Fügeprozesse zur Verbindung von Produktkomponenten unterschiedlicher Werkstoffe mit variabler Geometrie vorgestellt: x Individuelle Kunststoffteile durch tropfenbasierte Herstellung x Individuelle Blechbauteile durch rechnergesteuertes Treiben x Individuelle Umformteile durch den Einsatz generativer Verfahren im Werkzeugbau x Verfahren zum Fügen individueller Bauteile. 3.4.3 Individuelle Kunststoffteile durch tropfenbasierte Herstellung

Prozessbeschreibung Zur Erzeugung von Kunststoffteilen mit individueller Formgebung existieren diverse generative Verfahren. Während Rapid Prototyping-Verfahren (RP) für die Herstellung von Anschauungsobjekten und Funktionsmustern gegenwärtig schon weit verbreitet sind, werden Rapid ManufacturingVerfahren (RM) zur Produktion von Gebrauchsteilen für Endverbraucher derzeit noch nicht in nennenswertem Umfang eingesetzt. Je nach Verfahren sind hierfür unterschiedliche Gründe maßgeblich. Oft erreicht das verwendete Baumaterial nicht die für Gebrauchsgegenstände notwendige Fes-

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

tigkeit oder ist relativ teuer oder gesundheitsschädlich. Der Einsatz von Lasern für die Aushärtung bzw. Versinterung des Baumaterials erlaubt zwar die Herstellung sehr stabiler Bauteile, die Anschaffung der notwendigen Maschinen ist derzeit aber noch vergleichsweise kostenintensiv. Weitere Verfahren, die sowohl preisgünstig sind als auch gebrauchsfähige Teile erzeugen können, erreichen meist nicht die für Rapid Manufacturing notwendigen Oberflächengüten. Für einen wirtschaftlichen Einsatz generativer Prozesse zum Rapid Manufacturing wäre primär eine deutliche Reduzierung der Bauteilkosten notwendig, was mit den üblicherweise verwendeten teuren Spezialmaterialien nicht im erforderlichen Maß gelingt. Ein Erfolg versprechender Ansatz für ein Verfahren, mit dem Bauteile in gebrauchsfähiger Qualität schnell und kostengünstig erstellt werden können, ist der Einsatz von Tropfenerzeugern, die den Werkstoff schichtweise selektiv auf eine Bauplattform auftragen. Durch die geringen Tropfengrößen (ca. 50 bis 100 µm Durchmesser) lässt sich einerseits eine sehr hohe Oberflächengüte der Teile erreichen. Andererseits kann die Volumenleistung einer Gesamtmaschine durch Parallelisierung vieler Einzeldüsen erheblich gesteigert werden. Schon gegenwärtig arbeitet die schnellste kommerzielle RP-Maschine, mit der verwendungstauglich feste Bauteile herstellbar sind, nach einem tropfenbasierten Verfahren. Nachteilig bei allen derartigen am Markt befindlichen RP-Maschinen ist die enge Beschränkung auf das verarbeitbare Material, zumeist UV-härtende Acrylatharze oder – bei geringen Anforderungen an die Festigkeit – Wachse. Viele Materialien, die für die Erstellung von Gebrauchsteilen mittels tropfenbasierten Verfahren prinzipiell in Frage kommen, können bei Temperaturen, die mit derzeit verfügbaren Maschinen erreichbar sind, wegen ihrer zu hohen Viskosität nicht verarbeitet werden. Als Beispiele sind Thermoplaste oder Epoxide zu nennen. Da bei den meisten dieser Materialien die Viskosität stark von der Temperatur abhängig ist, könnten durch Erhöhung der Arbeitstemperatur viele dennoch mit Tropfenerzeugern dosiert werden. Dem steht die Temperaturempfindlichkeit der in den Tropfenerzeugern verwendeten Piezokeramik entgegen, bei der Temperaturen oberhalb von etwa 150 °C aufgrund physikalischer Effekte zum Funktionsausfall führen. Kommerziell erhältliche RP-Maschinen für tropfenbasierte RP-Prozesse arbeiten daher in dem Bereich von Raumtemperatur bis etwa 100 °C. Lösungsansatz In einer Erhöhung der möglichen Arbeitstemperatur besteht ein aussichtsreicher Weg, das Spektrum der verarbeitbaren Werkstoffe wesentlich zu vergrößern. Somit könnten die Geschwindigkeits- und Kostenvorteile trop-

3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte

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fenbasierter Verfahren mit Werkstoffeigenschaften kombiniert werden, die denen von Lasersinter-Verfahren ähnlich sind. Als erster Schritt ist hier die Entwicklung eines hochtemperaturfesten Druckkopfs notwendig. Die nachfolgenden Seiten geben einen kurzen Überblick über verschiedene für den Hochtemperaturbetrieb geeignete Tropfenerzeuger. Die einzelnen Konzepte sowie Ansätze zu deren Weiterentwicklung werden hinsichtlich der erreichbaren Temperatur, des benötigten Bauraums etc. und damit bezüglich ihrer Eignung für eine schnelle und wirtschaftliche Produktion von individuellen Bauteilen mit einer für den Endverbraucher ausreichenden Qualität verglichen. Neben x zwei Dosiersystemen auf Piezobasis wird dabei auch ein x elektromagnetisches System vorgestellt, dessen Konstruktion für einen Betrieb mit weit über 400 °C geeignet ist. Abbildung 3-17 zeigt den schematischen Aufbau sowie ein Versuchsmuster eines Hochtemperatur-Membrandruckkopfs auf Piezobasis. Der Piezoaktor ist im Unterschied zur üblichen Bauweise nicht direkt auf der Membran angebracht, sondern steht mit dieser über einen Keramikstößel in Verbindung. Der Stößel ist zur Membran hin angespitzt, so dass der Wärmeübergang auf den Stößel soweit wie möglich minimiert wird. Bei der Auslegung des Stößels ist ein Kompromiss zwischen möglichst guter Wärmeisolation und Minimierung der bewegten Massen anzustreben. Wichtigster Gesichtspunkt hierbei ist, dass der Piezoaktor auch bei plötzlicher Kontraktion immer durch die Kraft der eingedrückten Membran unter Druckspannung gehalten werden kann.

Abb. 3-17. Schematischer Aufbau und Versuchsmuster des Membrandruckkopfs

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Die in Abbildung 3-17 gezeigte, prototypenhafte Umsetzung des Hochtemperatur-Membrandruckkopfes kann bei einer Arbeitsfrequenz von 1 kHz mit verschiedenen Medien, wie etwa Paraffin, bei Temperaturen bis über 280 °C betrieben werden. Die Temperatur am Piezoaktor liegt dabei bei 70 °C und damit weit innerhalb des zulässigen Bereichs. Somit ist der erstellte Druckkopf für die zu verarbeitenden Kunststoffe prinzipiell geeignet. Ein für den Anwendungsfall des Rapid Manufacturing gewichtiger Nachteil dieses Konzepts ist vor allem der pro Einzeldüse notwendige große Bauraum. Abbildung 3-18 zeigt links schematisch den Aufbau und die Funktionsweise eines Tropfenerzeugers nach dem neu entwickelten ParallelhubPrinzip auf Piezo-Basis. Die Flüssigkeit fließt aus dem Vorratstank in eine in Längsrichtung elastische Kammer, die gegen zwei Piezoaktoren vorgespannt ist. Durch plötzliche Kontraktion der Piezoaktoren ergibt sich eine Volumenverringerung in der Kammer, die zur Druckerhöhung und somit zum Tropfenausstoß führt.

Abb. 3-18. Links: Funktionskonzept, rechts: Versuchsmuster des ParallelhubDruckkopfs

In Abbildung 3-18 ist rechts ein miniaturisiertes, noch nicht für den Hochtemperatureinsatz vorgesehenes Versuchsmuster gezeigt. Bei Ausstoßfrequenzen von 700 Hz und darüber sind Flüssigkeiten mit einer Viskosität bis zu 30 mPas dosierbar. Somit erweist sich das entwickelte Funktionsprinzip als für die Dosierung der ebenfalls höherviskosen Kunststoffmaterialien sehr gut geeignet. Das Konzept weist neben dem Vorteil einer sehr einfachen Fluidkanalgeometrie einen quasi zweidimensionalen Aufbau auf: Aktoren und Fluidkanäle befinden sich in der gleichen Ebene, so dass der Druckkopf sehr flach gestaltet werden kann. Da-

3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte

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durch können mehrere Einzeldüsen sehr eng benachbart angeordnet werden. Alternativ zu Piezoaktoren kommen auch elektromagnetische Wandler als Aktoren für Dosiersysteme in Frage. Dadurch kann auch der Temperaturbereich weit über 400 °C zum Dosieren von Metallen erschlossen werden. Ein mögliches Funktionsprinzip eines solchen Tropfenerzeugers ist in Abbildung 3-19 schematisch dargestellt.

Abb. 3-19. Schnitt durch einen elektromagnetischen Tropfendosierer

In einem mit dem Vorratstank verbundenen Röhrchen befindet sich ein Stahlkolben. Um das Röhrchen herum sind zwei Spulen angeordnet, die den Kolben in einer stabilen Mittellage halten. Zum Tropfenausstoß erhalten zunächst die tankseitige und unmittelbar anschließend die düsenseitige Spule einen kurzen Stromimpuls, so dass der Kolben aus seiner Ruhelage ausgelenkt wird. Durch den Ringspalt um den Kolben fließt dabei aufgrund von Kapillareffekten Material am Kolben vorbei zur Düse. Dieses wird bei der Rückbewegung des Kolbens verdrängt und aus der Düse ausgestoßen. Da der Ringspalt die Funktion der Zuflussdrossel übernimmt, kann auf eine fest im Kanalsystem eingebrachte Drossel verzichtet werden. Weiterhin muss bei dieser Konstruktion das Röhrchen, zusammen mit dem darin laufenden Kolben, nicht fest mit dem äußeren Eisenmantel verbunden sein, so dass die Möglichkeit besteht, das Röhrchen als preisgünstiges Wegwerfteil auszuführen. Somit können auch problematische Materialien verarbeitet werden, die bei längerem Betrieb zum Verkleben der Düse führen, was bei einem herkömmlichen System den kostspieligen Austausch des gesamten Druckkopfs nötig machen würde. Ein weiterer Vorteil für den Hochtemperaturbetrieb liegt in der einfachen Integration der Heizung. Da der Ruhestrom durch die Spulen im Rahmen ihrer Belastbarkeit beliebig vorgegeben werden kann, können die Spulen bei geeigneter Regelung direkt als Heizelemente verwendet werden. Durch den Verzicht auf den Einsatz von Piezoelementen tritt bei dem vorgestellten Prinzip die Temperaturproblematik in den Hintergrund. Die

98

3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

maximale Betriebstemperatur eines solchen Systems wird üblicherweise von der Haltbarkeit der Wicklungsisolierung vorgegeben, die bei erhältlichen Isolationsmaterialien deutlich jenseits von 300 °C liegt und durch keramische Isolationen noch wesentlich gesteigert werden kann. Mit Spulen aus Aluminiumdraht, der durch eine Eloxalschicht isoliert ist, sind Temperaturen von über 500 °C realisierbar. So lassen sich u. a. handelsübliche Epoxidharze oder auch Lötzinn dosieren (Abbildung 3-20).

Abb. 3-20. Tropfendruck mit geschmolzenem Lötzinn. Links: Raster aus Einzeltropfen, rechts: Turm mit 5 mm Kantenlänge

Zusammenfassung und Ausblick zu tropfenbasierten Herstellungsverfahren Für die Verarbeitung von Fluiden bei hoher Temperatur stellt der Membrandruckkopf ein gut brauchbares Funktionsprinzip dar. Gegen eine Integration in ein RM-Verfahren mit hoher Volumenleistung spricht in erster Linie der notwendige große Bauraum pro Einzeldüse. Der ParallelhubDruckkopf verfügt bei einem einfachen Aufbau über eine sehr gut miniaturisierbar Konstruktion und erfüllt alle Anforderungen, die an ein Dosiersystem für ein Hochtemperatur-RM-Verfahren gestellt werden. Nächster Entwicklungsschritt ist hier der Aufbau von Versuchsmustern mit veränderter Materialkombination, um das Tropfenvolumen zu maximieren. Der vorgestellte elektromagnetische Druckkopf erreicht bei einfachem Aufbau Arbeitstemperaturen von über 500 °C und erlaubt bereits gegenwärtig die Dosierung von Lötzinn. Dieses Konzept bietet neben der hohen Temperaturbelastbarkeit auch die Möglichkeit zur leichten Reinigung und damit zur Verarbeitung problematischer Materialien, die bei herkömmlichen Tropfenerzeugern durch Verklebung oder Verstopfung zum Funktionsausfall führen würden.

3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte

99

3.4.4 Individuelle Blechbauteile durch rechnergesteuertes Treiben

Prozessbeschreibung Die Herstellung von Blechbauteilen durch umformtechnische Verfahren erfordert aus wirtschaftlicher Betrachtungsweise meist große Stückzahlen. Diese Ausrichtung auf Quantität in der Produktion ergibt sich in erster Linie aus der Notwendigkeit von x großen und entsprechend kostenintensiven Umformmaschinen und x der arbeitsintensiven Fertigung von Umformwerkzeugen, die genau eine Geometrie abbilden. Somit ist bei der Herstellung von Blechbauteilen nach den gegenwärtig bedeutenden Verfahren, wie beispielsweise dem Tiefziehen, eine individuelle Anpassung der Geometrie von umgeformten Blechbauteilen nur mit einem erheblichen Kostenaufwand realisierbar. Um den Anforderungen des Marktes nach kostengünstiger, flexibler Fertigung von individuellen Bauteilen gerecht zu werden, müssen neue Verfahren zur industriellen Erzeugung dieser Teile entwickelt werden. Ein Verfahren, das das Potenzial bietet, mit erheblich reduziertem Investitionsaufwand für Maschine und Werkzeuge individualisierte Blechbauteile herzustellen, ist das Treiben. Dieses Verfahren der inkrementellen Blechumformung wird heute in Nischenbereichen eingesetzt, wo nur geringe Stückzahlen benötigt werden, z. B. beim Bau von Eisenbahnwaggons oder für die Restaurierung alter Fahrzeugkarosserien. Mit lokalen Änderungen der Blechdicke, beispielsweise hervorgerufen durch Hammerschläge, werden gezielt Druckspannungen in das Blech eingebracht. Diese induzieren eine globale Formänderung des Bauteils. Hierbei ist eine Vielzahl von Umformschritten zur endgültigen Formgebung erforderlich. Durch die hohe Anzahl der Einzeloperationen sinkt die notwendige Kraft für die Fertigung gegenüber der Herstellung in einem Schritt signifikant, wodurch wesentlich kleinere Fertigungsmaschinen eingesetzt werden können. Für das Treiben werden kleine, leichte und kostengünstige C-Gestell-Pressen, so genannte Kraftformer eingesetzt (Abbildung 3-21). Diese sind speziell für die inkrementelle Blechumformung konzipiert.

100

3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

Abb. 3-21. Kraftformer für die inkrementelle Blechumformung

Das Blechumformverfahrens Treiben hat eine Reihe verschiedener Untergruppen. Eine schematische Übersicht über einige wichtige Verfahren beim Treiben ist in Abbildung 3-22 dargestellt.

Abb. 3-22. Übersicht möglicher Unterverfahren beim Treiben

Aus einer entsprechenden Werkzeugwahl resultieren beim Prozess des Treibens verschiedenartige Spannungen (im Wesentlichen Zug-, Druckund Biegespannungen). Die Werkzeugeinsätze bestehen jeweils aus einem Ober- und einem Unterwerkzeug, zwischen denen das Blech geführt wird. In Abhängigkeit vom gewählten Unterverfahren wie beispielsweise x Stauchen, x Strecken, x Glätten, x Wölben (Bombieren), x Nachformen oder

3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte

101

x Spannen etc. ergibt sich eine Vielzahl unterschiedlicher umformtechnischer Auswirkungen auf das Blech. Durch den gezielten Einsatz sowie die Kombination der genannten Verfahren lässt sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Blechgeometrien erzeugen. Hierbei lassen sich zum Teil auch Hinterschneidungen realisieren oder gezielte Verfestigungen in das Blech einbringen. Lösungsansatz Die Unterverfahren Stauchen und Strecken sind sehr universelle Verfahren, mit denen hohe Umformgrade pro Inkrement erzielt und ein großes Spektrum unterschiedlicher Geometrien realisiert werden können. Diese Unterverfahren bieten aufgrund der guten Reproduzierbarkeit Potenziale für eine Automatisierung. Die obere Werkzeughälfte wird von der Presse mit konstanter Hubfrequenz und konstantem Hub auf und ab bewegt, während die untere Werkzeughälfte vertikal fixiert bleibt (Abbildung 3-23). Durch eine regelbare Zustellung können die Werkzeughälften in ihrem Abstand zueinander eingestellt werden und damit pro Hub unterschiedliche Formänderungen erzielen. Zwischen den Werkzeughälften befindet sich das Blech. Sobald das Oberwerkzeug auf dem Blech auftrifft, beginnt die Umformung des Blechs. Zunächst wird das Blech zwischen den Backen der Werkzeughälften festgeklemmt. Danach wird durch Umlenkmatrizen im Werkzeug die Abwärtsbewegung des Oberwerkzeugs in eine horizontale Bewegung der Backen beider Werkzeughälften umgewandelt. Das eingespannte Blech wird also abhängig vom gewählten Werkzeug in der Blechebene zusammengedrückt (gestaucht) bzw. auseinander gezogen (gestreckt). Diese Stauchung oder Streckung wiederum führt in Abhängigkeit von der gewählten Platine sowie der eingestellten Maschinenparameter zu einer definierten Änderung der Teilegeometrie. Ein Beispiel für eine einfache Formgebung ist das Stauchen und Strecken an rechteckigen Blechwinkeln. Indem ein Schenkel des Blechwinkels sukzessive verkürzt bzw. verlängert wird, lässt sich eine Biegung über die Kante des Winkels realisieren (siehe Abbildung 3-23). Somit lassen sich Bauteile mit konstantem Krümmungsradius bis hin zu geschlossenen Ringen, aber auch Bauteile mit unterschiedlichen Krümmungsradien entlang der Winkelkante herstellen. Aufgrund der guten Reproduzierbarkeit ist diese Art der Formgebung für eine systematische Untersuchung der entsprechenden umformtechnischen Zusammenhänge geeignet. Es ist das Ziel, für beliebige gewünschte Krümmungsgeometrien die notwendige Fertigungsstrategie automatisch berechnen zu können. Parameter sind hier

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

in erster Linie die Umformkräfte sowie der Abstand der Krafteinleitungspunkte.

Abb. 3-23. Unterschiedliche Biegerichtung von Blechwinkeln durch Stauchen und Strecken

Zusammenfassung und Ausblick zum rechnergesteuerten Treiben Der heute noch sehr hohe manuelle Anteil bei der Fertigung durch Positionieren und Führen des Blechs während der Umformung und der große Einfluss der Erfahrung des Werkers auf das Umformergebnis können nur dort toleriert werden, wo andere Fertigungsverfahren versagen bzw. wo kein Kostendruck herrscht. Um das Verfahren Treiben für die Herstellung individualisierter Produkte anwenden zu können, ist die Erarbeitung von Grundlagen erforderlich, die eine Automatisierung von Positionierung und Führung des Bleches während der Formgebung ermöglichen. Aufgrund der guten Reproduzierbarkeit der Umformergebnisse bei fest eingestellten Prozessbedingungen (Prozesskräfte, Abstand der Krafteinwirkungspunkte) für definierte Blechwinkel (Werkstoff, Blechdicke, Schenkellängen) eignen sich die Verfahren Stauchen und Strecken für den Einstieg in die Automatisierung des Treibens. Durch praktische Versuche und Simulationsrechnungen an Blechwinkeln, die durch Stauchen und

3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte

103

Strecken umgeformt werden, können Geometrie- und Werkstoffeinflüsse zur Erzeugung bestimmter Formen quantifiziert werden. Aus den Ergebnissen kann eine Datenbank angelegt werden, die unterschiedliche Grundformelemente (verschiedene Krümmungsradien der Blechwinkel) mit einer Beschreibung der Prozessfolgen zu ihrer Herstellung verknüpft. Diese Prozessfolgen werden dann über ein automatisiertes Handhabungssystem am Kraftformer in Bauteile umgesetzt. Für die simulative Berechnung der Fertigungsfolgen für komplexe Bauteile aus ebenen Platinen müssen noch die Grundlagen erarbeitet werden. 3.4.5 Individuelle Umformteile durch den Einsatz generativer Verfahren im Werkzeugbau

Prozessbeschreibung Die Herstellung von Blechbauteilen in geringer Stückzahl lässt sich bei geeigneter Herangehensweise auch durch Tiefziehen wirtschaftlich realisieren. Hierzu bietet sich ein modularer Werkzeugaufbau an. Modularisierte Umformwerkzeuge bestehen üblicherweise aus zwei aktiven Werkzeughälften, Stempel und Matrize, die ihrerseits jeweils aus Basis- und individualisierbaren Formmodulen bestehen. Die gefertigten Form- und Basismodule der Stempel und der Matrize werden in ein bestehendes Umformwerkzeug eingebaut, welches als Prinzipskizze in Abbildung 3-24 dargestellt ist.

Abb. 3-24. Prinzipskizze eines modular aufgebauten Umformwerkzeugs

Die individualisierbaren Formmodule der Werkzeuge zum Umformen von Blechteilen werden gewöhnlich unter Nutzung generativer Prozesse in kurzer Zeit hergestellt. Dabei wird zwischen x indirekter Werkzeugfertigung durch Rapid Molding und Gießen sowie

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

x direkter Herstellung, z. B. durch Kunststofflasersintern oder das LOMVerfahren (Layer Object Manufacturing), unterschieden. Die generativen Verfahren ermöglichen eine schnelle Fertigung von Formmodulen direkt aus CAD-Daten. Der Aufbau erfolgt dabei durch örtliches Hinzufügen oder Aushärten eines Modellwerkstoffes. Lösungsansatz Bei der indirekten Herstellung von Formmodulen mit dem Rapid-MoldingProzess werden anhand der Werkzeugdatensätze Gießformen für Formmodule durch Sintern von Sandpulver schichtweise aufgebaut (Abbildung 325). Derzeit sind drei Sandformstoffe, x Quarz-, x Zirkon- und x Ceramics-Sand, im industriellen Einsatz, wobei beim Sandsintern die Schichtdicken 0,15 mm und 0,20 mm gängig sind. Zwischen dem Sandsintern und dem eigentlichen Gießprozess des Formmoduls findet die Postprocessing-Phase des Sinter-Prozesses statt. Diese schließt zum einen das Formaushärten ein, wobei die noch nicht grifffeste lasergesinterte Sandform, der so genannte Grünling, in einem Wärmeofen vollständig durchgehärtet wird. Zum anderen werden die fertigen Sandformen zur einfachen Entformung und zur Erzielung einer besseren Oberflächenqualität des Gussteils mit einem Überzugsstoff (Schlichte) bestrichen, besprüht oder in diesen eingetaucht. Anschließend erfolgt das Abformen der Formmodule in einer niedrig schmelzenden Gusslegierung, beispielsweise ZAMAK (ZnAl4Cu3), häufig ohne spanende Nachbearbeitung der formgebenden Kontur (Abbildung 325).

Abb. 3-25. Indirekte Werkzeugfertigung durch Rapid Molding (Selektives Lasersintern von Gießformen) und Gießen

Bei der direkten Herstellung der Formmodule beispielsweise mit dem direkten Kunststoffsinterprozess oder dem LOM-Prozess mit Papierfolien wird auf die Zwischenstufe der Sandform des Rapid Molding verzichtet.

3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte

105

Hier entsteht das Formmodul direkt aus den CAD-Datensätzen. Die Qualität der Umformwerkzeuge wird von den zwei wichtigen Kenngrößen x Maßhaltigkeit (Messgröße: Maßtoleranzen) und x Oberflächengüte (Messgröße: Mittlere Rautiefe Rz) bestimmt. Verschiedene Parameter innerhalb der Prozessketten zur Werkzeugherstellung haben auf diese Kenngrößen Einfluss. Allgemein gilt für alle generativen Verfahren, dass die Geometrie, die Schwindungsprozesse und der Sinter- bzw. der LOM-Werkstoff mit der entsprechenden Schichtdicke sowie das Aushärten des Bauteils die Maßgenauigkeit und die Oberflächengüte der Werkzeuge in hohem Maße beeinflussen. Bei der indirekten Fertigung bestimmt sich die Oberflächengüte zusätzlich durch das Auftragsverfahren beim Formschlichten (Streichen, Tauchen oder Sprühen). Tabelle 3-2 gibt Auskunft über die erreichbaren Grobtoleranzen der hergestellten Formmodule entlang einer Richtung (Nennmaßbereich bis 300 mm) bei exakter Berechnung der richtungsabhängigen Schwindung und vollem Durchhärten der Bauteile im Ofen. Es zeigt sich deutlich der Einfluss der Schichtdicke bzw. des Formstoffs auf die Maßgenauigkeit des Bauteils bei einer definierten Geometrie. Tabelle 3-2. Maßtoleranzen der Formmodule in Abhängigkeit des generativen Fertigungsverfahrens (Vergleich mit CNC-Fräsen) Nennmaße in mm 10

Verfahren CNC Fräsen (Stahl Ck 45)

20

30

40

50

100

200

300

r0,01 r0,01 r0,01 r0,01 r0,01 r0,05 r0,05 r0,05

Quarzsand r0,20 r0,20 r0,20 r0,30 r0,30 r0,40 r0,50 r0,50 Rapid Molding und Gießen

Zirkon sand

r0,15 r0,15 r0,15 r0,25 r0,25 r0,35 r0,45 r0,45

Ceramicsr0,13 r0,13 r0,13 r0,24 r0,24 r0,34 r0,40 r0,40 sand Selektives Lasersintern PA2200 mit Kunststoff PAGF (Schichtdicke 0,15 mm) Alumide LOM-Verfahren (Papierfolie; Dicke 0,15 mm)

r0,15 r0,15 r0,15 r0,17 r0,17 r0,20 r0,20 r0,20 r0,15 r0,15 r0,15 r0,17 r0,17 r0,20 r0,20 r0,20 r0,15 r0,15 r0,15 r0,17 r0,17 r0,20 r0,20 r0,20 r0,15 r0,15 r0,15 r0,17 r0,17 r0,20 r0,20 r0,20

106

3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

In Tabelle 3-3 sind die Werte der mittleren Rautiefe Rz entlang einer definierten Messstrecke von 5,6 mm bei den unterschiedlich verwendeten Fertigungsverfahren aufgetragen. Die Tabelle zeigt den Einfluss der Auftragsverfahren beim Formschlichten im Rahmen der Prozesskette durch Rapid Molding (Quarzsand, Schichtdicke = 0,20 mm), wobei die Oberflächengüte durch Tauchen und Sprühen deutlich verbessert wird. Tabelle 3-3. Mittlere Rautiefe Rz an den Formmodulen in Abhängigkeit des generativen Fertigungsverfahrens (Vergleich mit CNC-Fräsen) Mittlere Rautiefe Rz [µm] 1,0

Verfahren

2,5

4,0

6,3

10

16

25

40

63

CNC Fräsen (Stahl Ck 45) Rapid Molding und Gießen (Auftragsverfahren für die Schlichte)

Streichen Tauchen Sprühen PA2200

SLS mit Kunststoff (Schichtdicke 0,15 mm)

PAGF Alumide

LOM-Verfahren (Papierfolie; Dicke 0,15 mm)

Mit angepassten Umformparametern können Blechformteile ohne Umformfehler durch alle verwendeten Werkzeuge in der Losgröße 1 bis 100 umgeformt werden. Dabei ist die Maßgenauigkeit unabhängig von dem Werkzeugfertigungsverfahren bei allen hergestellten Blechteilen identisch. Unterschiede ergeben sich lediglich in der Oberflächengüte der Blechformteile in Abhängigkeit von den generativen Fertigungsverfahren, mit denen die Formmodule hergestellt wurden. Sowohl Werkstoffe mit niedriger Festigkeit (Polyamide) als auch sehr genaue Werkzeugfertigungsverfahren (CNC-Fräsen) führen zu einer besseren Oberflächengüte der Blechformteile.

3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte

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Zusammenfassung und Ausblick zu generativen Verfahren beim Werkzeugbau Die untersuchten generativen Verfahren zur Fertigung von Umformwerkzeugen für individuelle Blechformteile mit einer möglichen Standmenge von bis zu 100 Umformteilen stellen eine Alternative zur spanenden Werkzeugherstellung dar. Die Blechformteile sollen funktionsbedingt bestimmte qualitative Anforderungen hinsichtlich x Maßgenauigkeit, x Festigkeit und x Oberflächengüte erfüllen. Tabelle 3-4 gibt Aufschluss über eine mögliche Untergliederung von Blechformteilen am Beispiel der Automobilindustrie hinsichtlich dieser erforderlichen Qualitätsmerkmale. Zusätzlich ist in der rechten Spalte eine mögliche Eignung der generativen Verfahren (Rapid Molding und Gießen, SLS und LOM) zur Fertigung von bestimmten Blechformteilen eingetragen. Tabelle 3-4. Qualitätsmerkmale von Blechformteilen in der Automobilindustrie und Eignung der generativen Verfahren zur Blechteilefertigung (ReferenzBlechteile: durch CNC-gefräste Werkzeuge aus Ck 45) Maßtoleranzen der Blechteile [mm] – (0 mm entspricht CNC-Fräsen) Rapid Molding und Gießen

r 0,1 bis r 0,2

Standmenge [Teile, max. 100]

100

Mittlere Rautiefe der Blechteile [µm] – (0 µm entspricht CNCFräsen)

Mögliche Blechbauteile in Kleinserie

6,5 bis 7,5

Funktions- und Strukturbauteile

Selektives Lasersintern

r 0,1 bis r 0,2

100

1,0 bis 2,0

Funktions- und Strukturbauteile, optische Bauteile

LOMVerfahren

r 0,1 bis r 0,2

100

5,0 bis 6,0

Funktions- und Strukturbauteile

Eine Gegenüberstellung von generativen Verfahren und konventionellen Verfahren, wie CNC-Fräsen, hinsichtlich Herstellungszeit und -kosten zeigt die Potenziale einer wirtschaftlichen Kleinserienfertigung von Blechformteilen. Hierbei sind Verfahren wie das Kunststofflasersintern und die Rapid-Molding-Prozesskette mit relativ niedrigen Kosten und Zeiten ge-

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

genüber der konventionellen Werkzeugfertigung für die Herstellung von Umformwerkzeugen für eine Kleinserienfertigung gut geeignet. Das LOM-Verfahren hat zwar die niedrigsten Fertigungskosten, aber auch die höchsten Fertigungszeiten. Somit zeigen sich die Potenziale aller generativen Verfahren zur Fertigung von Werkzeugen für das Umformen von diversen Funktionsteilen aus Blech. Das indirekte Verfahren Rapid Molding und Gießen sowie das LOM-Verfahren mit guten Werten der Maßgenauigkeit am Blechteil können für Strukturbauteile im Maschinenbau oder in der Automobilindustrie angewendet werden. Die Herstellung von Formmodulen durch das Kunststofflasersintern und das LOM-Verfahren sind durch die bessere Oberflächengüte der gefertigten Blechbauteile auch zur Fertigung von optischen Bauteilen mit individuellen Elemententen, wie Logos, geeignet. 3.4.6 Verfahren zum Fügen individueller Bauteile

Prozessbeschreibung Wesentliche Freiheitsgrade bei der Produktindividualisierung sind Werkstoff und Geometrie der Bauteile, da über diese in einem hohen Maße Produktdesign transportiert wird und dadurch für den Kunden wichtige Identifikationsmerkmale geschaffen werden können. Für Montage- und Fügevorgänge als letzte integrierende Schritte der Produktion stellen diese Freiheitsgrade maßgebliche Eingangsgrößen dar, welche die Dimensionierung der Prozessressourcen beeinflussen. Aus einer hohen Variationsbreite an Geometrien und Werkstoffen resultiert nach konventioneller Betrachtungsweise eine dementsprechend hohe Anzahl an unterschiedlichen Fügeverfahren, da nach den derzeit verbreiteten Strategien zur Auslegung einer Produktion jeder Fügeapplikation genau eine Fertigungsressource zugewiesen wird. Die starre Verknüpfung von Ressource und Anwendung würde bei der Herstellung individualisierter Produkte dadurch schnell zu Kosten in der Produktion führen, die durch etwaige Kostenvorteile dieses Konzepts und eine potenziell erhöhte Zahlungsbereitschaft des Kunden nicht abgefangen werden können. Um Produkte nach den Ansprüchen der kundenindividuellen Produktion kostengünstig fügen zu können, ist es deswegen notwendig, das Anwendungsspektrum vorhandener Fertigungsressourcen durch die Implementierung neuer Prozesse im Sinne einer erhöhten Material- und Geometrieflexibilität zu erweitern. Ein Ansatz hierfür ist, in Nebenzeiten, in denen die Anlage nicht durch ihre Hauptanwendung genutzt wird, auf die Ressour-

3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte

109

cen zuzugreifen. Im Folgenden wird eine Methode zur Erweiterung des Anwendungsspektrums am Beispiel einer Anlage für den automatisierten robotergeführten Laserstrahlschweißprozess dargestellt. Lösungsansatz Der Lösungsansatz liegt in einer Erweiterung des Anwendungsspektrums von Standardlasern in Sekundärprozessen. Der Laserstrahl als Werkzeug für Fertigungsprozesse ist aufgrund seiner Alleinstellungsmerkmale (Potenzialfelder), wie x hochenergetische kohärente Lichtstrahlung, x gute Automatisierbarkeit, x hohe Prozessgeschwindigkeiten und x filigrane Prozessführung konventionellen Technologien in vielen Anwendungen überlegen. Für eine erfolgreiche Prozessführung ist die zielgerichtete Kombination dieser Potenzialfelder in einem Primärprozess (Hauptanwendung) notwendig, um die Potenziale der Technologie in einem adäquaten Prozessergebnis umzusetzen (Abbildung 3-26).

Abb. 3-26. Strategie zur Nutzung von Prozessressourcen in Sekundärprozessen

Für das betrachtete Beispiel sind gemäß der Definition aus Abbildung 326 die Laserstrahlschweißquelle und die zugehörigen Automatisierungskomponenten die Ressourcen des Primärprozesses „Laserstrahlschweißen“. In so genannten Sekundärprozessen kann die Ressource jedoch auch

110

3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

unter nur partiellem Zugriff auf die Ressourceneigenschaften wirtschaftlich genutzt werden, wenn dadurch eine zusätzliche Investition in eine neue Prozessressource vermieden werden kann. Das „Zugpferd“ für industrielle Laserstrahlschweißanwendungen ist wegen seiner hohen Zuverlässigkeit und des geringen Wartungsbedarfs der lampengepumpte Nd:YAG-Stablaser. Die Aggregate sind mittlerweile mit einer geregelten Ausgangsleistung von bis zu vier Kilowatt verfügbar. Der gut fokussierbare Laserstrahl ist aufgrund seiner kleinen Wellenlänge über Lichtleitkabel transportierbar und eignet sich somit besonders gut zur Integration in eine automatisierte Fertigungsanlage. In der konventionellen Fertigung werden die Strahlquellen für hochanspruchsvolle Schweißprozesse, die reproduzierbar sein müssen, eingesetzt. Bei der Herstellung von kundenindividuellen Produkten muss die Anlage zusätzlich bezüglich ihrer grundsätzlichen Eignung bewertet werden, weitere Anwendungsspektren abzudecken, die außerhalb des ursprünglichen Anwendungsfeldes des Primärprozesses liegen. Ein Fügeverfahren, welches ein hohes Potenzial zur Erhöhung der Geometrie- und Materialflexibilität aufweist, ist das Kleben. Dieses stoffschlüssige Fügeverfahren eignet sich zur Realisierung von Mischverbindungen artfremder Fügepartner, die außerdem ein vergleichsweise hohes Maß an geometrischen Freiheitsgraden aufweisen können (Leuschen 2002). Während die Potenziale von Klebeverbindungen vor diesem Hintergrund eher im Außenhautbereich von Produkten zu sehen sind, haben Strahlschweißverfahren zum automatisierten Fügen von hochfesten metallischen Verbindungen für Strukturelemente weiterhin eine Reihe von Vorteilen, wie Automatisierbarkeit und geringe Sensibilität hinsichtlich der Oberflächen der Fügepartner. Durch Nutzung der vorhandenen Ressourcen, der Laserstrahlquelle sowie der zugehörigen Automatisierungskomponenten, in Nebenzeiten des Primärprozesses kann die Integration des Verfahrens Kleben unterstützt werden (Abbildung 3-27). So kann die Laserstrahlung eingesetzt werden, um festigkeitsreduzierende ölige Rückstände (Brockmann u. Emrich) aus vorgeschalteten Umformprozessen in der Fügezone zu entfernen (Oberflächenvorbehandlung). Unter Nutzung der Handhabungskinematik, die für den robotergeführten Laserstrahlschweißprozesses benötigt wird, kann das Klebstoffmedium über eine Dosierpumpe aufgetragen werden (Medienauftrag) (Gartner 2001). Anschließend kann durch Bestrahlung der Fügepartner eine lokale Wärmequelle in der Fügezone generiert werden, so dass der Klebstoff schneller aushärtet und seine Endfestigkeit erreicht (Aushärten). Entsprechend Abbildung 3-27 wird hier bei den Einzelprozessen nur auf einen Teil der Potenzialfelder zugegriffen, wie beispielsweise auf das flexible Handhabungssystem oder auf die berührungsfreie Wirkungsweise der

3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte

111

Laserstrahlung, weshalb diese Einzelprozesse im Sinne der Definition als Sekundärprozesse zu bezeichnen sind.

Abb. 3-27. Potenzielle Sekundärprozesse mit robotergeführten Lasersystemen

Um Rüstzeiten der Einzelprozesse zu reduzieren, wurden die Werkzeuge der drei Sekundärprozesse in einen Hybridwerkzeugkopf integriert. Die wesentlichen Komponenten sind x ein speziell entwickeltes strahlhomogenisierendes Optiksystem, x eine Klebstoffdosierpumpe, x eine Prozesssensorik zur Kantendetektierung und Temperaturmessung sowie x diverse Düsen und Absaugeinrichtungen zur Unterstützung des Reinigungsprozesses. Eine weitere Prozesssymbiose ergibt sich durch die Unterstützung des Primärprozesses Laserstrahlschweißen durch den Sekundärprozess Laserstrahlreinigen. Gerade bei Fügepartnern aus Aluminium können durch Reinigung der Fügestellen vor dem eigentlichen Verschweißen die Porenbildung reduziert und die Oberflächenqualität der Nahtoberraupe verbessert werden. Ob Sekundärprozesse in der kundenindividuellen Produktion eingesetzt werden können, hängt von einer Reihe von Voraussetzungen ab. Zunächst müssen ausreichend große Blöcke von Nebenzeiten, in denen die Ressource nicht durch Primärprozesse genutzt wird, zur Verfügung stehen. Weiterhin muss die vorhandene Ressource nach technologischen Gesichtspunkten grundsätzlich geeignet sein, einen neuen Sekundärprozess zu integrieren, der das Fertigungsspektrum in geforderter Weise erweitert. Zudem ist entscheidend, ob die Ressource für den Sekundärprozess wirtschaftlich eingesetzt werden kann. Der Korridor, in dem sich nach einer

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3 Vorbereitung der Produktindividualisierung

wirtschaftlichen Betrachtung ein potenzieller Einsatz ergibt, ist in Abbildung 3-28 dargestellt.

Abb. 3-28. Kostenverhalten von Sekundärprozessen

In Abbildung 3-28 bezeichnet das Segment I den Bereich, in dem eine schon vorhandene Anlage aufgrund der insgesamt vergleichsweise geringen Stückzahlen genutzt werden kann. Gegebenenfalls entstehende Nachteile hinsichtlich Qualität und Prozessgeschwindigkeit im Vergleich zu einer zusätzlich anzuschaffenden konventionellen Prozessressource können durch den Vorteil der Investitionsvermeidung kompensiert werden. Im Segment II liegt zwar durch die Vermeidung von Investitionen für zusätzliche Ressourcen noch ein nomineller Kostenvorteil vor, jedoch muss wegen qualitativer und prozesstechnischer Nachteile die Investition in eine neue Technologie zumindest als gleichwertig betrachtet werden. In Segment III ist die Zusatzinvestition in neue Ressourcen nach allen Betrachtungen vorteilhaft.

3.4 Technologien für die Fertigung individualisierter Produkte

113

Zusammenfassung und Ausblick zu Fügeverfahren für individuelle Bauteile Um kundenindividuelle Produkte im industriellen Maßstab wirtschaftlich herstellen zu können, muss insbesondere seitens der Fertigungs- und Fügeverfahren ein höheres Maß an Flexibilität als bisher bereitgestellt werden. Bei den beschriebenen Fügeverfahren können die Investitionskosten durch eine optimierte Nutzung von schon vorhandenen Prozessressourcen gering gehalten werden. So kann eine für Laserstrahlschweißanwendungen dimensionierte Laserstrahlquelle in ungenutzten Prozessnebenzeiten zur Unterstützung des Fügeverfahrens Kleben eingesetzt werden. Durch die Integration einer neuen Fügetechnologie werden die Werkstoff- und die Geometrieflexibilität erhöht. Die Wirtschaftlichkeit der Strategie ergibt sich vor allem aus der Mehrfachnutzung einer Fertigungsanlage durch verschiedene Verfahren. Entsprechend der beschriebenen Strategie ist der Hybridprozess „laserunterstütztes Kleben“ aufgebaut und umgesetzt worden. An verschiedenen industrierelevanten Werkstoffpaarungen wurde die technologische Eignung des Verfahrens nachgewiesen. 3.4.7 Literatur Brockmann, W.; Emrich, S.: Einfluss der Vorbehandlung auf die Beständigkeit von Aluminiumklebungen (Teil 1). Kleben&Dichten – Adhäsion 44 (2000) 9. Fritz, A.; Schulze, G.: Fertigungstechnik. Berlin: Springer 2001. Gartner, J.: Qualitätssicherung bei der automatisierten Applikation von Dichtungen. München: Utz 2001. Gebhardt, A.: Rapid Prototyping. München: Hanser 2000. Jetter, H.: Auf dem Weg zur trockenen Fabrik. Laser-Praxis 60 (1994). König, W.; Klocke, F.: Fertigungsverfahren. Abtragen und Generieren. Berlin: Springer 1997. Leuschen, B.: Fügen – was das Fahrzeug hält. Automobil Produktion 3 (2002). Westkämper, E; Warnecke, H.-J. (2004) Einführung in die Fertigungstechnik. Wiesbaden: Teubner 2004.

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

4.1 Der Interaktions- und Kaufprozess für individualisierte Produkte R. Reichwald, K. Moser, J. Schlichter, R. Stegmann, T. Leckner

4.1.1 Einleitung Das Kapitel 3.1 „Marketing- und Vertriebswerkzeuge für individualisierte Produkte“ hat sich aus Unternehmenssicht mit dem Marketingmix und dem Spezifikationswerkzeug als zentralem Vertriebsinstrument für individualisierte Produkte beschäftigt. Wie solche Konzepte und Instrumente im Marketing- und Kaufprozess zur Anwendung kommen, soll in diesem Kapitel erläutert werden. Dazu wird als Ausgangsbasis der Interaktions- und Kaufprozess individualisierter Produkte aus Sicht des Kunden dargestellt. Darauf folgend wird für jede einzelne Phase dieses Prozesses erörtert, wie ein Unternehmen diese Phasen optimal ausgestaltet. 4.1.2 Der Interaktions- und Kaufprozess für individualisierte Produkte Der Interaktions- und Kaufprozess bei individualisierten Produkten lässt sich in sechs Phasen unterteilen, die der Kunde im Rahmen der Interaktion mit dem Unternehmen durchläuft (Abbildung 4-1). Im Mittelpunkt steht die Spezifikation des individualisierten Produktes in der Interaktionsphase. Aber auch die diesem Schritt vor- und nachgelagerten Phasen sind zu berücksichtigen (Reichwald et al. 2005; Piller 2003).

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4 Umsetzung der Produktindividualisierung

Abb. 4-1. Der Interaktions- und Kaufprozess bei individualisierten Produkten (Reichwald et al. 2005)

Kommunikationsphase In der Kommunikationsphase soll die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden für das Angebot individualisierter Produkte geweckt werden. Das Mittel ist eine auf individualisierte Produkte angepasste Kommunikationspolitik, die sich von derjenigen bei variantenreichen Serienprodukten unterscheidet. Das zentrale Element ist die personalisierte Ansprache des Kunden. Ein hilfreiches Instrument der Kommunikationsphase ist ein ausgereiftes Customer Relationship Management (CRM), welches auf umfangreiche Daten von Vorverkäufen des potenziellen Kunden zurückgreift (vgl. hierzu den Abschnitt „Der Marketingmix für individualisierte Produkte“ im Kapitel 3.1). Im Vergleich zur Konfiguration bei variantenreichen Serienprodukten ist die Komplexität der Spezifikation bei individualisierten Produkten in der Regel höher. Dadurch existiert ein größeres Informationsbedürfnis des Kunden hinsichtlich seiner Aufgaben und Möglichkeiten bei der Spezifikation, dem in der Kommunikationsphase entsprochen werden muss. Zusätzlich muss der Mehrwert der zusätzlichen Individualisierungsoptionen herausgestellt werden. Die richtige Kommunikationspolitik ist auch deshalb wesentlich, da man, um das Kundeninteresse zu wecken, nur unspezifische Musterprodukte präsentieren kann. Für die genaue, kundenspezifische Ausprägung steht in der Regel kein Muster zur Verfügung. Hier ist es wichtig, auf Kundenseite Unsicherheit bezüglich der Neuartigkeit eines individualisierten Produktes abzubauen und so Vertrauen zu schaffen. Die drei wesentlichen Kommunikationsbereiche sind

4.1 Der Interaktions- und Kaufprozess für individualisierte Produkte

119

x Werbung, x Kundenschnittstelle und x Interaktionsprozess. Abbildung 4-2 zeigt diese Bereiche und entsprechende Instrumente, die für die Verwirklichung der Ziele der Kommunikation relevant sind. Wichtig ist auch, dass die Kommunikation nicht bei den bislang etablierten Kommunikationsinstrumenten aufhört, sondern neue Kommunikationsinstrumente beinhaltet.

Abb. 4-2. Bereiche und Instrumente der Kommunikation bei individualisierten Produkten

Angebotssuch-Phase In der Angebotssuch-Phase setzt sich der Kunde mit dem Produktangebot und dessen Möglichkeiten und Grenzen auseinander. Unternehmen müssen dabei dem Kunden ausreichende Information über das Produktangebot zur Verfügung stellen. Neben der Interaktionsphase ist diese Phase die wichtigste des Kundeninteraktionsprozesses. Entscheidend ist, dass der Kunde sowohl für sich allein als auch mit Hilfe eines Verkäufers erforschen kann, welche Möglichkeiten ihm geboten werden. Hier spielen im lokalen Vertrieb Muster- oder Testprodukte als Angebot an den Kunden eine große Rolle, da die Unsicherheit des Kunden in Bezug auf das noch nicht physisch vorhandene individualisierte Produkte abgebaut werden muss. Auch die Funktion einer Produktvisualisierung in Spezifikationswerkzeugen, wie im folgenden Abschnitt erläutert, ist hier hilfreich. Beim Vertrieb über das Internet steht vor allem die optimale Handhabbarkeit der Individualisierungsoptionen im Vordergrund – ein zu Viel an

120

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

Individualisierungsmöglichkeiten führt zur Verwirrung des Kunden. In diesem Fall verlieren Kunden oft die Orientierung, da ein Überblick über alle angebotenen Möglichkeiten schwer fällt. Interaktionsphase Den Mittelpunkt des Kundeninteraktionsprozesses bildet die so genannte Interaktionsphase. Dabei geht es um die Aufnahme der Kundenwünsche sowie um die Spezifikation des Produktes durch den Kunden. Die Produktspezifikation entspricht dabei der konkreten Gestaltung des individualisierten Produktes, vor allem hinsichtlich Funktion, Dimensionierung und Design. Den Abschluss der Interaktionsphase bildet üblicherweise die Bestellung bzw. der Kauf des individualisierten Produktes. Aus einer übergeordneten Sicht ergeben sich eine Reihe von konkreten Aufgaben und Anforderungen an ein System zur Unterstützung der Interaktionsphase (vgl. Rogoll u. Piller 2002). In der Abbildung 4-3 sind alle Aufgaben eines Konfigurators im Kaufprozess zusammengefasst. Diese Aufgaben gelten auch für Kaufprozesse individualisierter Produkte und beim Einsatz von Spezifikationswerkzeugen. Ka

ufp

Unternehmens- und Fähigkeitspräsentation Gewinnung von aggregiertem Kundenwissen

roz es

s

Präsentation des Angebots

Begleitung bei Erhebung von Kundendaten

Auswahl eines Basisprodukts

Konfigurator

Visualisieren der Konfiguration Vervollständigung des Produktes

Plausibilitätsprüfung der Auswahl

Unterstützung und Beratung Führung durch den Konfigurationsvorgang

Vermittlung eines "Flow- Erlebnisses"

Abb. 4-3. Aufgaben eines Konfigurators (Rogoll u. Piller 2002)

So beginnt der idealtypische Kaufprozess immer mit der Präsentation des Unternehmens und dessen Fähigkeiten, bevor schließlich das spezifische Produktangebot aufgezeigt wird. Dies ist wichtig, um schon vor der Darstellung eines vermeintlich komplexen Produktspektrums beim Kun-

4.1 Der Interaktions- und Kaufprozess für individualisierte Produkte

121

den Vertrauen aufzubauen. Es folgt bei der Konfiguration variantenreicher Serienprodukte die Präsentation der konkreten Produktvarianten. Mit Hilfe des Konfigurators kann sich der Kunde hier auf explorative Weise einen Überblick verschaffen. Nachdem der Kunde ein Basisprodukt ausgewählt hat, beginnt die Auswahl von Modulen nach eigenen Bedürfnissen. Hier wird der Kunde durch Beratung und oft auch durch eine Führung während des Konfigurationsvorgangs unterstützt. In diesem Zusammenhang geht es auch um die Schaffung eines „Flow-Erlebnisses“, welches vor allem darauf abzielt, dass der Kunde Spaß an der Produktkonfiguration hat. Weitere technische Herausforderungen an einen Konfigurator stellen die Plausibilitätsprüfung, die automatische Vervollständigung des Produktes sowie die Visualisierung der aktuellen Produktkonfiguration dar. Anhand der Checkliste in Tabelle 4-1 können Unternehmen testen, ob ein eingesetzter Konfigurator alle eben dargestellten Aufgaben erfüllt. Tabelle 4-1. Checkliste zu den Aufgaben eines Konfigurators Aufgabe des Konfigurators

Erfüllt?

Unternehmens- und Fähigkeitspräsentation

Erreicht das Konfigurationssystem eine den Corporate Identity Regeln entsprechende Präsentation des Unternehmens und seiner Kernfähigkeiten?

Präsentation des Angebots

Können Kunden in dem Konfigurationssystem das gesamte Produktspektrum abrufen?

Auswahl eines Basisprodukts

Beginnt der Kunde in der Konfiguration mit einem vorkonfigurierten (personalisierten) Basisprodukt?

Unterstützung und Beratung

Enthält das Konfigurationssystem eine (persönliche oder technische) Beratungsfunktion? Ist zumindest eine durchgängige Hilfefunktion integriert?

Führung durch den Konfigurationsvorgang

Wird der Kunde durch den Konfigurationsvorgang geführt, z. B. durch die Anzeige und Benennung der noch zu erfüllenden Schritte?

Vermittlung eines „Flow-Erlebnisses“

Kann der Konfigurationsprozess den Kunden Spaß bereiten? Führt der Vorgang zu einer „vertieften Beschäftigung“ mit dem Produktangebot?

Plausibilitätsprüfung der Auswahl

Prüft das System, ob das vom Kunden spezifizierte Produkte auch hergestellt werden kann? Wird das Ergebnis dieser Prüfung dem Kunden auch mitgeteilt?

122

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

Vervollständigung des Produktes

Kann der Kunde den Vorgang jederzeit abbrechen, mit dem Resultat, dass die noch nicht konfigurierten Produktelemente automatisch (evtl. personalisiert) ergänzt werden?

Visualisieren der Konfiguration

Wird das Konfigurationsergebnis im Prozess fortlaufend visualisiert oder kann der Kunde zumindest nach Abschluss der Konfiguration das Ergebnis bildlich sehen?

Begleitung bei Erhebung von Kundendaten

Erfasst das System automatisch direkt oder indirekt vom Kunden bereitgestellte Daten?

Gewinnung von aggregiertem Kundenwissen

Kann das Konfigurationssystem die automatisch gewonnenen Kundendaten zu verwertbaren Informationen aggregieren (z. B. zu Kundenprofilen)?

Werkzeuge zur Spezifikation individualisierter Produkte weisen eine ähnliche Funktionsweise wie Produktkonfiguratoren auf. Das Ziel beim Einsatz eines solchen Werkzeugs ist es, dass Kunden das angebotene Leistungsspektrum erkunden können und eine Möglichkeit haben, interaktiv und selbstständig ein individualisiertes Produkt zu spezifizieren. Das System sollte dabei so benutzerfreundlich wie möglich sein, damit der Kunde die Spezifikation des Produkts (auch aus Kostengründen) alleine vornehmen kann. Es ist es aber auch möglich, dass der Kunde während der Spezifikation durch einen Berater unterstützt wird, der die vom Kunden wahrgenommene Komplexität reduzieren hilft. Die eigentliche Spezifikation beginnt analog zur Produktkonfiguration mit einem Basisprodukt, das der Kunde mit Hilfe des Rechnerwerkzeugs interaktiv an seine Wünsche und Bedürfnisse anpassen kann. Während der Spezifikation wird der Kunde vom System in vielfältiger Weise unterstützt, bevor er im letzten Schritt mit der Bestellung die Interaktionsphase abschließt. Deutliche Unterschiede zwischen Konfigurator und Spezifikationswerkzeug findet man vor allem in der Art der Produktmodellierung und bei der Umsetzung einzelner Funktionalitäten. So ist z. B. die Realisierung der Plausibilitätsprüfung meist deutlich komplizierter, da im Falle der Produktindividualisierung nicht sämtliche Ausprägungen des Produktspektrums vorgedacht sein können. Grundlage für die Plausibilitätsprüfung bei individualisierten Produkten ist deshalb in der Regel ein logisches Produktmodell, mit dessen Hilfe das System abgleichen kann, ob die Produktspezifikation eines Kunden tatsächlich zulässig und produzierbar ist. Bei der automatischen Vervollständigung von Produktspezifikationen müssen bei individualisierten Produkten im Vergleich zu konfigurierbaren Produkten deutlich mehr die individuellen Kundenpräferenzen berücksichtigt

4.1 Der Interaktions- und Kaufprozess für individualisierte Produkte

123

werden. Die Vervollständigung über Standardparameter, wie bei Konfiguratoren häufig üblich, wird dem Anspruch der Individualisierung nicht in ausreichender Weise gerecht. Auch die grafische Visualisierung ist bei individualisierten Produkten aufwändiger als bei der Produktkonfiguration. Während man für Konfiguratoren mit vorgefertigten Grafiken zurechtkommen kann, ist für die Visualisierung eines individualisierten Produktes eine Neuberechnung der entsprechenden Produktansicht meist unumgänglich. Bei einem Werkzeug zur Spezifikation individualisierter Produkte ist zudem die Erhebung von Kundendaten und Aggregation dieser Daten zu „Kundenwissen“ von noch größerer Wichtigkeit, da sich aus dem aggregierten Kundenwissen Anregungen für Verbesserungen des Leistungsspektrums sowie der Unternehmens- und Angebotspräsentation ableiten lassen. Im Folgenden soll konkreter auf den Kaufprozess von individualisierten Produkten und auf den Einsatz von Spezifikationswerkzeugen eingegangen werden. Aus Sicht des Kunden gestaltet sich der Prozess der entsprechenden Produktspezifikation im Wesentlichen wie in Abbildung 4-4 illustriert.

Interaktive Spezifikation

Abb. 4-4. Prozess der Produktspezifikation aus Kundensicht

Falls es sich um einen Neukunden handelt, wird dieser in einem ersten Schritt gebeten, sich zu registrieren. Dabei wird im System ein Basisprofil angelegt, welches der Kunde später noch erweitern kann bzw. in das während der Produktspezifikation noch weitere Informationen eingefügt werden können – beispielsweise durch einen natürlich-sprachlichen Dialog zwischen System und Kunde. Nach der Registrierung muss sich der Kunde im Online-Katalog für ein Basisprodukt entscheiden. Dabei kann der Katalog nicht nur vom Hersteller vorgegebene Basisprodukte, sondern auch Produkte und Komponenten enthalten, die andere Kunden in der Vergangenheit spezifiziert und gekauft haben. Um dem Kunden die Entscheidung zu erleichtern, sind häufig auch textuelle Beschreibungen und diverse Metainformationen hinterlegt. Nachdem sich der Kunde im Online-Katalog für ein Basisprodukt entschieden hat, hat er im nächsten Schritt Gelegenheit, dieses optimal an seine individuellen Bedürfnisse anzupassen. Wäh-

124

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

rend der interaktiven Spezifikation geht es für den Kunden darum, die Ausprägungen für die individuellen Freiheitsgrade festzulegen. Dabei soll der Kunde durch die Produktstruktur navigieren zu können. Freiheitsgrade des Produktes sind einerseits die vom Kunden veränderbaren Merkmale der Produktkomponenten, andererseits können Freiheitsgrade aber auch in der Komponentenstruktur liegen, beispielsweise wenn es optionale oder alternative Komponenten gibt. Unterstützung bekommt der Kunde in diesem aufwändigen Prozess unter anderem durch x eine automatische Spezifikation und x Empfehlungen. Unter automatischer Spezifikation wird in diesem Zusammenhang verstanden, dass die Eigenschaften des Basisprodukts automatisch an das Profil des Kunden angepasst werden. Auch eine Einschränkung von Wertebereichen für Freiheitsgrade ist möglich, wobei der Kunde auf Anfrage auch jederzeit wieder zum vollen Wertebereich zurückkehren kann. Eine Empfehlung muss demgegenüber explizit vom Kunden angefordert werden. Dabei sind Empfehlungen von Kunde zu Kunde, von Kundenberater zu Kunde und vom System an den Kunden möglich. Bei der automatischen Empfehlungsgenerierung setzen entsprechende Produktspezifikationswerkzeug unterschiedliche Filtermethoden ein (Leckner et al. 2004). Der Kunde kann dabei selbst beeinflussen, welche Filter verwendet werden sollen. Hat ihn z. B. das Ergebnis des einen Filterverfahrens nicht überzeugt, so kann er ein anderes Filterverfahren auswählen und sich eine neue Empfehlung generieren lassen. Bei jeder Empfehlung hat der Kunde die Möglichkeit, diese anzunehmen (die Werte werden übernommen) oder abzulehnen (die ursprünglichen Werte vor der Empfehlung werden wieder hergestellt). Durch das „Fix“-Setzen von Werten kann der Kunde außerdem bestimmte Freiheitsgarde von der Überschreibung durch die Empfehlungsgenerierung ausschließen. Sämtliche Einschränkungen und Empfehlungen sollen schließlich nicht als „Bevormundung“ empfunden werden. Realisiert wird diese Art von Empfehlung durch eingeschränkte Produktmodelle, an welche sich das Produktspezifikationswerkzeug dynamisch anpassen kann. Ein letztes wichtiges Merkmal des Produktspezifikationswerkzeugs besteht für den Kunden darin, dass dieser das Produkt vor der Bestellung nicht vollständig in einem Durchgang spezifizieren muss. Auch Zwischenergebnisse können gespeichert werden, um den Prozess der Produktspezifikation zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen. Die Produktspezifikation kann sich also über mehrere „Sitzungen“ erstrecken, ehe der Kunde die Interaktionsphase mit der Bestellung des Produkts abschließt.

4.1 Der Interaktions- und Kaufprozess für individualisierte Produkte

125

Wartezeit und Lieferung Im Folgenden wird der nächste Schritt des Interaktions- und Kaufprozesses bei individualisierten Produkten erläutert. Auch die dem Kauf nachgelagerte Phase bis zur Abholung des individualisierten Produktes ist für den Kunden wesentlich und entscheidend für die Zufriedenheit. Der Kunde darf mit seinen Bedürfnissen hier nicht aus dem Auge verloren werden, da auch diese Phase bei individualisierten Produkten besonders in die Wahrnehmung des Kunden einfließt. Beispielsweise darf die dem Kunden kommunizierte Wartezeit nicht überschritten werden. Falls sie doch überschritten wird, sollte dies dem Kunden mitgeteilt werden. Die Umsetzung eines Ordertracking-Systems, bei dem der Kunde den aktuellen Status der Fertigung und Lieferung seines Produkts einsehen kann, hat hier in der Regel eine stärkere Einbindung des Kunden zur Folge. So stellt beispielsweise der Computerhersteller Dell den Kunden über das Internet ein System zur Verfügung, über das der Orderstatus des bestellten PCs oder Notebooks jederzeit abgerufen werden kann. Das Programm individualisierter Sportschuhe von Adidas „mi adidas“ liefert ein weiteres gutes Praxisbeispiel für das erfolgreiche Management der Wartezeit. Im Anschluss an den Spezifikations- und Bestellungsvorgang erhält der Kunde zur Überbrückung der Wartezeit ein Verkaufs- und Produktzertifikat mit einer Visualisierung des individualisierten Sportschuhs. Dies reduziert die Unsicherheit nach Kauf des Sportschuhs, den der Kunde erst nach zwei bis drei Wochen erhält. Nachkaufphase Eine individuelle Betreuung der Kunden ist auch nach Übergabe des individualisierten Produktes wichtig. Die Erwartungen der Kunden bezüglich einer individuellen Behandlung sind aufgrund der bisher erlebten Individualität sehr hoch. Beispielsweise sollte der Hersteller bei Kundenanfragen den Kunden und die gekauften Produkte kennen und individuell auf Kundenprobleme eingehen können. Dazu ist es nötig, dass Servicemitarbeiter Zugriff auf die während der Produktspezifikation erhobenen Kundendaten sowie auf die Aussagen des Kunden bezüglich des Produkts haben. Auch ist unmittelbar nach der Auslieferung durch einen Feedback-Prozess die Zufriedenheit des Kunden mit dem Produkt und dessen „Fit“ abzufragen. Wichtige Anregungen für künftige Käufe des jeweiligen Kunden, aber auch für die Optimierung des Gesamtsystems sollen so abgegriffen werden. Eine sehr innovative Kundenunterstützung in der Nachkaufphase bietet MAN mit dem „MAN Partner Net – After Sales“ an. Hier stehen dem Kunden z. B. nicht nur Teilekataloge oder Servicedokumente über das In-

126

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

ternet zum Download zur Verfügung, er hat auch einen Zugang zu einer Service-Akademie zur Weiterbildung des Werkstattpersonals. Phase der Wiederholungskäufe Beim Wiederholungskauf sollte darauf geachtet werden, dass die bereits vorhandenen Kundendaten sinnvoll genutzt werden. Beispielsweise sollten Kunden während der Spezifikation eines Produktes auf ihre bereits in der Vergangenheit zur Verfügung gestellten Kunden- und Spezifikationsdaten zurückgreifen können. Dies geschieht durch das im System gespeicherte Profil des Kunden, das in Kapitel 3.1 genauer beschrieben wurde. Der Spezifikationsvorgang kann damit für den Kunden deutlich vereinfacht werden, indem durch Methoden der Personalisierung nur die Individualisierungsoptionen angezeigt werden, die für den Kunden von hohem Interesse sind. Der Kunde kann sich dann auf die wesentlichen Aspekte des Vorgangs, wie die Auswahl von Funktionen oder Servicekomponenten, konzentrieren. Mit Blick auf den gesamten Interaktions- und Kaufprozess individualisierter Produkte ist zu erwähnen, dass alle Phasen sowohl Online (z. B. über das Internet) als auch Offline (z. B. im Laden) erfolgen können und dass eine Kombination beider Kanäle denkbar ist. Für die Online- oder Offline-Abwicklung des Spezifikationsvorgangs sind jeweils spezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. Beispielsweise ist es Offline möglich, den Kunden mit Hilfe von ausgebildetem Fachpersonal systematisch durch den Spezifikationsvorgang zu führen. Bei der Online-Spezifikation muss sich der Kunde dagegen möglicherweise viel intensiver mit dem Spezifikationswerkzeug auseinandersetzen. Ein Ansatz zur Unterstützung des Kunden während der Online-Spezifikation ist die kundenkooperative Produktkonfiguration (Leckner 2003). Kunden haben bei diesem Konzept die Möglichkeit, sich gegenseitig während der Spezifikation zu helfen. Aber auch automatisch generierte Empfehlungen können während der OnlineSpezifikation für den Kunden von großem Nutzen sein. 4.1.3 Zusammenfassung Innerhalb des Interaktions- und Kaufprozesses individualisierter Produkte nimmt die Interaktionsphase mit den Aufgaben der Aufnahme der Kundenwünsche und der Spezifikation des Produktes eine zentrale Stellung ein. Die vorgelagerten Phasen x Kommunikationsphase und vor allem x die Angebotssuch-Phase

4.1 Der Interaktions- und Kaufprozess für individualisierte Produkte

127

sind wichtig, um den Kunden auf das Angebot aufmerksam zu machen und ihn in die Lage zu versetzen, sich selbst ausreichend zu informieren. Das Ziel ist, dass der Kunde sich auf die meist ungewohnte und sehr enge Interaktion mit dem Unternehmen einlässt. Im Sinne einer hohen Kundenzufriedenheit und -bindung und der Steigerung von Umsätzen mit bestehenden Kunden besitzen die der Interaktion nachgelagerten Phasen für das Management von Vertriebs- und Marketingaktivitäten eine entscheidende Bedeutung. Diese nachgelagerten Phasen sind x die Wartezeit und Lieferung, x die Nachkaufphase und x die Phase der Wiederholungskäufe. Die in den folgenden Kapiteln 4.2 und 4.3 beschriebenen Prozesse der Produktadaption sowie der Produktionsplanung und Materialflusssteuerung sind als weitgehend parallele Prozesse zum Interaktions- und Kaufprozess zu verstehen. Hier stellt die Interaktionsphase des Kaufprozesses individualisierter Produkte die zentrale Schnittstelle dar. Nach Beendigung der Spezifikation werden wesentliche Aktivitäten der Prozesse der Produktadaption sowie der Produktionsplanung und Materialflusssteuerung angestoßen. 4.1.4 Literatur Leckner, T.: Support for online configurator tools by customer communities. Präsentiert: 2nd International World Congress on Mass Customization and Personalization. Munich, Germany 2003. Leckner, T.; Stegmann, R.; Schlichter, J.: Reducing Complexity for Customers by means of a Model-Based Configurator and Personalized Recommendations. In: International Conference on Economic, Technical and Organisational aspects of Product Configuration Systems. Lyngby, Denmark: 2004. Piller, F.: Mass Customization. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 2003. Reichwald, R.; Müller, M.; Piller, F. T.: Management von Kundeninteraktion als Erfolgsfaktor. In: Kirn, S.; Piller, F.; Reichwald, R.; Schenk, M.; SeelmannEggebert, R. (Hrsg.): Kundenzentrierte Wertschöpfung mit Mass Customization: Kundeninteraktion, Logistik, Simulationssystem und Fallstudien. Fraunhofer IRB Verlag 2005, S. 10-45. Rogoll, T.; Piller, F. T.: Marktstudie 2002/2003: Konfigurationssysteme für Mass Customization und Variantenproduktion - Strategie, Erfolgsfaktoren und Technologie von Systemen zur Kundenintegration. München 2002.

4.2 Adaptionsprozesse für individualisierte Produkte U. Lindemann, G. C. Baumberger

4.2.1 Einleitung Bei individualisierten Produkten entsprechen die Produkteigenschaften optimal den Anforderungen eines einzelnen Kunden. Das wird entwicklungsseitig durch eine individuelle Produktanpassung erreicht, die im Folgenden als Adaption bezeichnet wird. Sie ist Bestandteil der kundenindividuellen Auftragsabwicklung und schließt sich an den individuellen Marketing- und Interaktionsprozess mit der Klärung der Kundenanforderungen an. Piller (2001) bezeichnet die Adaption auch als kundenindividuelle Konstruktion. Hier erfolgen die Klärung der individuellen Produktanforderungen und die konstruktive Umsetzung. Ergebnis der Adaption ist eine individuelle Produktdefinition, auf deren Basis Produktions-, Beschaffungs- und Distributionsprozesse geplant und angestoßen werden. Allerdings wird es in den wenigsten Fällen notwendig und möglich sein, alle Komponenten des Produktes innerhalb des Adaptionsprozesses von Grund auf neu zu entwickeln. Es müssen nur diejenigen Produktkomponenten angepasst werden, die von den individuellen Kundenwünschen betroffen sind. Als Erfolgsfaktoren einer aufwandsarmen und schnellen Produktadaption können dabei angesehen werden: x die Bestimmung und Eingrenzung des Umfangs von notwendigen Adaptionsmaßnahmen, x die Zuordnung geeigneter Adaptionsprinzipien und -prozesse je nach Kundenwunsch und betroffnem Produktbereich, x die Standardisierung von Prozessen der Produktanpassung und x die Wiederverwendung vorhandener Produktkomponenten und Prozesse (Piller 2001; Schuh u. Schwenk 2001). Diese Erfolgsfaktoren sollen durch eine systematische, methodengestützte Planung von Adaptionsprozessen schon während der Strukturplanung (vgl. Kap. 3.2) und vor allem während der individuellen Auftragsabwicklung erreicht werden. Gegenstand dieses Kapitels sind entsprechende Methoden und Vorgehensweisen zur individuellen Produktanpassung. Außerdem werden unterstützende Maßnahmen der Adaptionsprozessplanung ausgehend von vorliegenden Kundenanforderungen behandelt.

130

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

4.2.2 Neue Anforderungen durch die individuelle Produktanpassung Mit der kundenindividuellen Anpassung von Produkten ergeben sich neue Anforderungen im Vergleich zu einzelgefertigten Produkten sowie zu variantenreichen Serienprodukten. Auch bei der Einzelfertigung sind die Anforderungsklärung und die Entwicklung von Produkten von intensivem Kundenkontakt geprägt. Die Konstruktion der meisten Elemente beginnt aber erst mit Eingang des Kundenauftrages. In sehr enger Abstimmung mit dem Kunden erfolgen Angebotsplanung, technische Auftragsklärung und Konstruktion (VDI 1991; Schares 1999). Die Einzelfertigung zeichnet sich durch einen hohen kundespezifischen Änderungs- und Neukonstruktionsbedarf aus. Zwar werden auch hier vorentwickelte bzw. standardisierte Komponenten zum Teil in Zusammenarbeit mit dem Kunden konfiguriert. Eine ausgeprägte Produktstruktur- und Prozessplanung findet aber gewöhnlich nicht statt. Standardisierte Adaptionsprozesse können wegen der geforderten Flexibilität auch nur begrenzt eingesetzt werden. Bei dem hohen Anteil an Neukonstruktionen empfiehlt sich eher ein allgemeines konstruktionsmethodischen Vorgehen (z. B. nach Pahl u. Beitz 1996; Lindemann 2004). Der Ablauf ist im Einzelnen dennoch häufig unstrukturiert und unsystematisch. Mängel bestehen auch bei der Klärung und Beschreibung von kundenspezifischen Sonderwünschen. Weitere Probleme der technischen Auftragsklärung bei Einzelanfertigungen sind die unzureichende Beschreibung des Leistungsspektrums, die lückenhafte Dokumentation der Auftragsabwicklungsprozesse und die fehlende Sicherung gemachter Erfahrungen (Schares 1999). Bei variantenreichen Serienprodukten sind die Möglichkeiten der kundenindividuellen Entwicklung durch die Verwendung vorkonfigurierter Module stark eingeschränkt (Schares 1999; Piller 2001; Schuh 2001). Durch die Auswahl aus einem bestehenden Angebot von Modulen werden individuelle Kundenwünsche meistens nur ungefähr erfüllt, außerdem ist der Auswahlprozess in der Regel sehr komplex und kann den Kunden durch den hohen Anteil notwendiger Entscheidungen überfordern. Die individuelle Anpassung einzelner Module, wie bei der kundenbezogenen Variantenfertigung (Piller 2001) ist aufgrund der fehlenden Strukturplanung sehr aufwendig. Die Produktdifferenzierung wird dabei durch die begrenzte Modularisierbarkeit eingeschränkt (vgl. Kap. 3.2). Bei individualisierten Produkten wird keine komplette Neuentwicklung nach Kundenspezifikation wie bei einzelgefertigten Sonderprodukten betrieben. Vielmehr werden gezielt Auswahl- oder Gestaltungsmöglichkeiten in strukturell dafür optimierten Produktbereichen angeboten (Piller 2001,

4.2 Adaptionsprozesse für individualisierte Produkte

131

vgl. auch Kap. 3.2). Wesentliche Freiheitsgrade der Individualisierung wurden bereits vorgedacht. Kundenspezifische Neuentwicklungen werden nur eingeschränkt betrieben. Ebenso findet keine individuelle Planung jedes einzelnen Entwicklungsschrittes statt – hier wird auf vorgeplante Adaptionsstrategien in Abhängigkeit von Kundenwünschen und betroffenen Produktbereichen zurückgegriffen. Individualisierte Produkte enthalten zwar, wie variantenreiche Serienprodukte, konfigurierbare Module, deren Wertebereiche zum Teil nach Kundenspezifikation festgelegt werden können. Sie enthalten aber zusätzlich Bereiche, die nach Kundenspezifikation neu bzw. frei gestaltet werden können. Der Prozess der individuellen Anforderungsklärung orientiert sich damit nicht nur an der Auswahl vorentwickelter Module. Vielmehr müssen die Bedürfnisse des Kunden und die Nutzungsbedingungen des Produktes erfasst und in Produktanforderungen übersetzt werden. Der Lösungsraum ist bei individualisierten Produkten breiter, da ausgewählte Komponenten und Strukturen, die aus Kundensicht den wesentlichen individuellen Produktnutzen ausmachen, individuell gestaltet werden können. Im Vergleich zu variantenreichen Serienprodukten ist die Produktstruktur bei individualisierten Produkten zum Teil offen gestaltet, um auch nicht geplante Kundenanforderungen, z. B. Zusatzfunktionen, realisieren zu können. Das Produktspektrum kann und soll aber nicht wie bei variantenreichen Serienprodukten vorentwickelt werden. Komponenten, die in allen Produkten identisch sind, werden in der Produktstrukturplanung entwickelt und auskonstruiert. Die Detailgestaltung der kundenspezifischen Produktbereiche erfolgt aber erst in der Adaptionsphase. Ein großer Teil des heute bei variantenreichen Serienprodukten anfallenden Entwicklungsaufwandes wird damit in die Adaptionsphase verlagert. Das Produktspektrum wird zwar vorgedacht, baut sich durch kundenindividuelle Adaptionen aber erst schrittweise auf. Aus diesen geänderten Rahmenbedingungen ergeben sich im Vergleich zu Sonderanfertigungen oder variantenreichen Serienprodukten folgende neue Anforderungen an den Prozess der Entwicklung bzw. Adaption individualisierter Produkte: x Individuelle Kundenwünsche, deren Auswirkungen auf die Elemente der Produktstruktur sowie der notwendige Adaptionsbedarf müssen im Auftragsabwicklungsprozess sehr schnell erfasst werden. Zugeordnete Adaptionsprozesse müssen unmittelbar aus den individuellen Kundenanforderungen abgeleitet und geplant werden können. x Adaptionsprozesse oder zumindest grundlegende Adaptionsmechanismen müssen schon während der Strukturplanung bedacht und möglichen individuellen Kundenwünschen zugeordnet werden. x Die Adaptionsprozesse müssen entsprechend der jeweils vorherrschenden Randbedingungen dokumentiert werden, um auf bereits gemachte

132

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

Erfahrungen und vorhandene Planungselemente bei späteren Adaptionsprozessen zurückgreifen zu können. In den nachfolgenden Abschnitten werden dazu Lösungsansätze beschrieben. 4.2.3 Adaption individualisierter Produkte Im folgenden Abschnitt wird die Adaption individualisierter Produkte aus Produkt- und Prozesssicht behandelt. In der Produktsicht werden verschiedene Adaptionsstrategien diskutiert. Die Prozesssicht bezieht sich dagegen auf das Vorgehen und auf zugeordnete Methoden bei der Produktadaption. Adaption im Kontext individualisierter Produkte bedeutet eine anforderungskonforme Anpassung von Parametern, Strukturen und Verhaltsweisen des Produktes an eine Situation, die durch den Nutzer und die Umwelt bestimmt wird. Damit soll erreicht werden, dass die individuelle Präferenzstruktur des Abnehmers und die Eigenschaften des individualisierten Produktes übereinstimmen (Piller 2001). Diese individuelle Präferenzstruktur bildet die Grundlage für die Adaption von Produkten. Sie äußert sich in individuellen Anforderungen und Wünschen des Kunden. Wesentliche Einflussfaktoren auf die Präferenzstruktur stellen Kunden- sowie mögliche Nutzungseigenschaften dar (Pulm 2004). Eine gebräuchliche Einteilung der Produkteigenschaften, die durch die Präferenz des Abnehmers wesentlich bestimmt werden, kann nach den Kategorien Funktionalität, Passform und Design vorgenommen werden, die auch als generelle Individualisierungsoptionen bezeichnet werden (Piller u. Stotko 2003). Individuelle Produktadaption als Teil der Auftragsabwicklung Ein wesentliches Merkmal der Entwicklung individualisierter Produkte ist die Trennung des Entwicklungsprozesses in eine x vorgelagerte Produktstruktur- und Adaptionsprozessplanung und x die kundenspezifische Adaptionsphase während der individuellen Auftragsabwicklung. In der Strukturplanungsphase werden Individualisierungsoptionen und Freiheitsgrade für die individualisierbaren Komponenten des Produktes festgelegt (Pulm 2004). Ebenfalls wird hier der jeweilige Individualisierungsgrad für die Komponenten der Produktstruktur definiert. Damit werden zum Teil auch schon Adaptionsmaßnahmen und -prozesse determiniert. In dieser frühen Phase können bereits mögliche Adaptionen des Produktes aufgrund von individuellen Kundenanforderungen eingeplant

4.2 Adaptionsprozesse für individualisierte Produkte

133

und mögliche strukturelle Wechselwirkungen vorgedacht werden. In der Adaptionsphase erfolgt dann die eigentliche individuelle Produktanpassung unter funktionalen und gestalterischen Gesichtspunkten. Die Adaption stellt dabei einen mehrstufigen Übersetzungsprozess dar, bei dem Kundenanforderungen in eine individuelle Produktdefinition transformiert werden. Abbildung 4-5 zeigt schematisch die Einordnung des Adaptionsprozesses in vor- und nachgelagerte Prozessschritte sowie die Verknüpfung mit entsprechenden Ein- und Ausgangsgrößen (Informationen, Artefakte etc.). Die Klärung der Anforderungen erfolgt im kundenspezifischen Interaktionsprozess. Hier werden Informationen über Kunden- und Nutzungseigenschaften ermittelt und in individuelle Kundenanforderungen übersetzt. Kundeneigenschaften sind beispielsweise persönliche Geschmackspräferenzen und anthropometrische Eigenschaften. Sie werden auch durch das Lebensumfeld des Kunden bestimmt. Nutzungseigenschaften ergeben sich aus der Produktaufgabe, möglichen Anwendungssituationen oder aus dem Produktumfeld. Mit Hilfe von Kunden- und Nutzungsinformationen aus der Marktforschung wurden bereits in der Produktstrukturplanung individualisierbare Produktbereiche festgelegt. Die individuelle Produktadaption basiert hingegen auf Informationen aus der Kundeninteraktion. Die Eingangsinformationen für die Produktadaption bilden die individuellen Kundenanforderungen. Notwendige Produktfunktionen sowie Anforderungen hinsichtlich der Produkteigenschaften und vorhandener Schnittstellen zur Produktumwelt oder zum Anwender müssen hier geklärt werden. Ebenso werden spezifische Qualitäts-, Kosten- oder Lieferanforderungen festgelegt. Diese Informationen werden mit den vordefinierten Produktelementen und Strukturen aus der Produktstrukturplanung verknüpft. Allerdings können in der Strukturplanung nicht alle Produktanforderungen, die sich z. B. aus individuellen Nutzungssituationen ergeben, vorgeplant werden. Einerseits liegen noch keine speziellen Kundeninformationen und -anforderungen, sondern allenfalls Marketinginformationen über potenzielle Individualisierungsbereiche vor. Andererseits ist das Ziel der Strukturplanung die Konzeption einer geeigneten Struktur und nicht die endgültige Gestaltung des Produktes. Diese erfolgt in der Adaptionsphase. Insbesondere bei neuen Kundenanforderungen werden hier Adaptionsprozesse für die betroffenen Komponenten geplant und umgesetzt. Ergebnis der Produktadaption ist die individuelle Produktdefinition mit der Festlegung und konstruktiven Ausgestaltung von Funktionen, Geometrien und Materialien. Die individuelle Produktdefinition mit angepassten Zeichnungen und Stücklisten ist Basis für die Planung der Produktionsprozesse des individualisierten Produktes. Sie erfolgt unter der Beachtung zur Verfügung stehender Ressourcen (Prozesse, Fertigungsmittel) und vorhandener Kapazitäten (Auftragsauslastung, Prioritäten). Mit der Auslie-

134

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

ferung des individualisierten Produktes an den Kunden schließt der Auftragsabwicklungsprozess ab.

Abb. 4-5. Stellung des Interaktions- und Adaptionsprozesses innerhalb der kundenspezifischen Auftragsabwicklung

Nachfolgend sollen das Wesen und der Prozess der Produktadaption als zentrales Element der kundenindividuellen Auftragsabwicklung diskutiert

4.2 Adaptionsprozesse für individualisierte Produkte

135

werden. Dabei wird die Produktadaption als Konstruktionstätigkeit charakterisiert und es werden wesentliche Prozessschritte mit zugeordneten Methoden aufgezeigt und an einem Beispiel deutlich gemacht. Konstruktive Prinzipien der Produktadaption Bei der kundenindividuellen Produktadaption fallen Konstruktionstätigkeiten verschiedener Ausprägung und unterschiedlichen Umfanges an. Eine gebräuchliche Systematisierung von Konstruktionsarten unterscheidet x Neukonstruktionen, x Anpassungskonstruktionen (synonym: Änderungskonstruktion), x Variantenkonstruktionen und x Konstruktionen mit festem Prinzip (Bochtler 1996; Schares 1999; Grässler 2004). Je nach Konstruktionsart werden dabei verschiedene Konstruktionsphasen durchlaufen (Bochtler 1996). Bei Neukonstruktionen sind noch keine Lösungen bekannt bzw. vorhanden. Hier werden sämtliche Phasen des Konstruktionsprozesses, also Funktionsfindung, Prinziperarbeitung, Gestaltung und Detaillierung durchlaufen. Bei Anpassungskonstruktionen ist bereits ein Lösungsansatz vorhanden, verändert werden Funktionen und Gestalt des Produktes. Hier werden die Phasen Prinziperarbeitung, Gestaltung und Detaillierung bearbeitet. Bei Variantenkonstruktionen sind das Lösungsprinzip und die Anordnung der Lösungselemente bzw. -module bereits definiert. Entsprechend werden die beiden Phasen Gestaltung und Detaillierung durchlaufen, in denen die Gestalt und Dimension der Einzelteile festgelegt werden. Die Baukastenkonstruktion, bei der die Konstruktion durch ausschließliches Zusammenstellen von Elementen aus einem Baukasten erfolgt, wird als Sonderfall der Variantenkonstruktion angesehen (Grässler 2004). Bei Konstruktionen mit festem Prinzip stehen dagegen sowohl das Prinzip als auch die Gestalt schon fest, so dass nur noch die Phase der Detaillierung durchlaufen wird. Entsprechend der vorgestellten Konstruktionsarten kann die individuelle Adaption des Produktes je nach Kundenwunsch auf verschiedenen Konkretisierungsebenen des Produktes erfolgen, auf x funktionaler, x prinzipieller, x struktureller oder x gestalterischer Ebene. Im Folgenden sollen die wesentlichen Gestaltungsparameter und Adaptionsprinzipien auf diesen Konkretisierungsebenen betrachtet werden, um

136

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

daraus Ansatzpunkte für geeignete Adaptionsprozesse ableiten zu können (vgl. auch Franke et al. 2002; Firchau 2003). Auf funktionaler Ebene kann eine Anpassung des Produktes durch Hinzufügen oder Weglassen von Produktfunktionen erfolgen. Dadurch wird der Funktionsumfang des Produktes entscheidend bestimmt. Verstärkung und Verminderung, Funktionsintegration und -trennung, Umkehrung sowie das Ändern der Reihenfolge, Parallel- oder Reihenschaltung von Funktionen sind weitere funktionale Adaptionsprinzipien. Auf Ebene der Wirkprinzipien sind maßgebliche Ansatzpunkte zur Produktadaption die Substitution durch alternative Wirkprinzipien mit gleicher funktionaler Wirkung sowie das Verstärken oder Vermindern von Prinzipien in ihrer Wirkung. Auf struktureller Ebene kann die Produktadaption durch Hinzufügen oder Weglassen von Produktelementen und Verknüpfungen erfolgen. Produktmodule können durch andere Module ersetzt werden. Ebenso kann der Umfang struktureller Bereiche durch Integration, Aufspaltung oder Neukombination angepasst werden. Die Veränderung des Ortes, der Lage und der Anordnung von Produktelementen und der Art der Schnittstellen sind weitere Ansatzpunkte für die strukturelle Produktadaption. Schließlich können durch Auslagerung von Modulen oder durch Bildung von Unter- und Obergruppen neue Produktstrukturen entstehen. Auf Ebene der Produktgestalt erfolgt die Produktadaption durch Veränderung der direkten Produkteigenschaften. Zu nennen sind beispielsweise Form, Anzahl, Lage, Dimension, Oberfläche, Werkstoff und Werkstoffbehandlung von Gestaltelementen. Zugeordnete Adaptionsprinzipien sind das Ändern, Vergrößern, Verkleinern und Umkehren der Ausprägungen dieser Produktmerkmale. Das Ändern der Ausprägung eines Merkmals erfolgt in vielen Fällen unter dem Aspekt der Optimierung einer bestimmten indirekten Produkteigenschaft. Die Ebene, auf der die Produktadaption vorgenommen wird, ist abhängig von der Art des Kundenwunsches und dem betroffenen Bereich der Produktstruktur. Die oben dargestellten Adaptionsprinzipien sind als Operatoren aufzufassen, die entsprechend des individuellen Kundenwunsches auf der jeweiligen Ebene angewendet werden müssen (Firchau 2003). Wünscht z. B. ein Kunde eine neue Zusatzfunktion, so setzt die Produktadaption auf der funktionalen Ebene an. In diesem Fall wird eine Produktfunktion hinzugefügt. Der Art nach handelt es sich dabei um eine Neukonstruktion. Anpassungen des Produktes auf einer übergeordneten Ebene können dabei Auswirkungen auf untergeordnete Ebenen haben. Beispielweise hat eine funktionale Produktadaption Auswirkungen auf der Modulebene. Ein neues Funktionsmodul muss hinzugefügt werden. Das kann wiederum die gestalterische Anpassung eines benachbarten Moduls bzw. der Schnittstellen nach sich ziehen. Bezieht sich ein Kundenwunsch dagegen auf die Verwendung eines bestimmten Materiales oder die äußere

4.2 Adaptionsprozesse für individualisierte Produkte

137

Abmessung des Produktgehäuses, so setzt die Produktadaption lediglich auf der gestalterischen Ebene an. Es handelt sich in diesem Fall um eine Variantenkonstruktion mit begrenzten Auswirkungen innerhalb des Elementes, Moduls oder Produktbereiches. Mit den vorangestellten Ausführungen wird deutlich, dass bei der kundenspezifischen Produktadaption alle Konstruktionsarten abhängig vom Neuigkeitsgrad des individuellen Kundenwunsches auftreten können. Radikale oder umfassende Veränderungen des Produktes oder seiner Struktur sollten während der kundenindividuellen Adaption aber nicht angegangen werden und vielmehr in eine neue Strukturplanungsphase verlagert werden. In der Regel zielen die meisten individuellen Kundenanforderungen jedoch auf „kleinere“ Änderungen am Produkt ab, z. B. wenn sich Anforderungen auf spezifische Funktionsausprägungen, die Formgestaltung, Werkstoffe oder bestimmte Abmessungen beziehen. Es handelt sich dann um Anpassungskonstruktionen, Variantenkonstruktionen oder Konstruktionen nach festem Prinzip, je nach dem ob x auch Art, Anzahl, Anordnung und Gestalt von Elementen geändert werden (Anpassungskonstruktion), x die Gestalt und Dimensionierung betroffen sind (typischerweise Variantenkonstruktion) oder x nur die Dimensionierung von Bauteilen (Konstruktion nach festem Prinzip) notwendig ist (Schares 1999). Als dritter Aspekt bei der Definition und Planung von Adaptionsprozessen muss noch der Bereich der Produktstruktur beachtet werden, auf den sich eine individuelle Anforderung bezieht. Dabei ist der jeweilige Individualisierungsgrad der betroffenen Komponenten entscheidend. Dieser wird bereits in der Produktstrukturplanung festgelegt. Entsprechend der Darstellung in Kapitel 3.2 können verschiedene Individualisierungsgrade unterschieden werden, die jeweils andersgeartete Adaptionsprozesse bedingen. In der Produktstruktur gibt es demnach x fixe Bereiche, x skalierbare Bereiche, x optionale Alternativen, x obligatorische Alternativen, x prinzipielle Lösungen, x definierte Freiräume oder x allgemeine Freiräume. Die jeweiligen Elemente zeichnen sich vor allem durch einen unterschiedlichen Vorentwicklungsgrad aus.

138

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

Die Abhängigkeiten bei der Planung von Prozessen der Produktadaption sind in Abbildung 4-6 schematisch visualisiert. Die Prozesse der Produktadaption hängen vom Neuigkeitsgrad eines Kundenwunsches, von der Konkretisierungsebene, die der Kundenwunsch betrifft, und vom Individualisierungsgrad in der Produktstruktur ab. Der „Definitionsraum“ geeigneter Adaptionsprozesse wird hier durch die Kundenanforderungen aufgespannt. Konstruktionsart (abhängig vom Neuigkeitsgrad) Neukonstruktion

Definitionsraum geeigneter Adaptionsprozesse

Anpassungskonstruktion Variantenkonstruktion

A1 A2

Prinzipkonstruktion Alternative

Wertebereich Prinzip

Freiraum

Funktionsebene Prinzipebene Strukturebene Gestaltebene

Konkretisierungsebene (abhängig von der Produktkonkretisierung)

A...Individuelle Kundenanforderungen

Abb. 4-6. Definitions- bzw. Planungsraum von Adaptionsprozessen

Elemente des fixen Bereiches müssen im Rahmen der Produktadaption nicht weiter betrachtet werden, da hier definitionsgemäß keine kundenindividuelle Anpassung erfolgt. Bei obligatorischen und optionalen Elementen handelt es sich um vordefinierte Module. Hier erfolgt die Anpassung des Produktes an Kundenanforderungen durch Auswahl und Kombination der Module aus einem Baukasten. Auf das Gesamtprodukt bezogen handelt es sich bei dieser Konfiguration obligatorischer oder optionaler Alternativen um eine Varianten- bzw. Baukastenkonstruktion. Eine Produktva-

4.2 Adaptionsprozesse für individualisierte Produkte

139

riante wird durch das Zusammenstellen von Modulen auf struktureller Ebene geschaffen. Die Module werden in der Regel jedoch nicht konstruktiv angepasst. Da nur auf bereits existierende Module zurückgegriffen werden kann, ist der Konfigurationsraum geschlossen (Schares 1999). Im Zweifel entspricht das Endprodukt nicht vollständig der Präferenzstruktur des Abnehmers (Piller 2001; Schuh u. Schwenk 2001). Individualisierte Produkte sind im Gegensatz zu variantenreichen Serienprodukten nicht nur durch eine begrenzte Anzahl an vordefinierten Alternativen, sondern auch durch definierte Gestaltungsfreiräume gekennzeichnet. Innerhalb dieser Gestaltungsfreiräume wird eine konstruktive Produktadaption an individuelle Anforderungen vorgenommen. Dadurch sind individualisierte Produkte durch einen erheblich erweiterten und zum Teil offenen Lösungsraum gekennzeichnet. Dieser Lösungsraum kann jederzeit durch neue, kreative Lösungsansätze erweitert werden (Schares 1999). Die einfachste Form der konstruktiven Adaption eines Produktes an kundenindividuelle Bedürfnisse kann durch skalierbare Bereiche erreicht werden. Auch bei skalierbaren Bereichen kann es sich um vordefinierte Module eines Baukastens mit kontinuierlich variierenden Merkmalen handeln (Grässler 2004). Es können jedoch auch einzelne Elemente der Produktstruktur mit veränderlichen Gestaltparametern sein. Die kundenindividuelle Adaption erfolgt durch Festlegung der Gestaltparameter entsprechend vorher festgelegter Adaptionsregeln. Der Konstruktionsart nach handelt es sich um eine Konstruktion nach festem Prinzip, da nur die Dimension nicht jedoch andere Gestaltungsparameter des jeweiligen Elementes verändert werden. Hier sind Adaptionsprinzipien auf der Ebene der Produktgestalt anzuwenden. Bei Prinziplösungen erfolgt die kundenindividuelle Adaption durch konstruktive Detaillierung der Prinziplösung. Es handelt sich hierbei um eine Variantenkonstruktion, bei der die Konstruktionsphasen Gestaltung und Detaillierung durchlaufen werden müssen – das Wirk- und Gestaltungsprinzip stehen der Definition nach bereits fest. Auch hier werden vor allem Adaptionsprinzipien auf der Ebene der Produktgestalt angewendet. Definierte Freiräume werden entsprechend der spezifischen Anforderungen des Kunden festgelegt. Sind nur die Gestalt und Dimensionierung von Produktelementen betroffen, handelt es sich um eine Variantenkonstruktion. Es werden die Adaptionsprinzipien auf der Ebene der Produktgestalt angewendet. Beispielsweise handelt es sich bei der individuellen Gestaltung einer Gehäusegeometrie um die Festlegung eines definierten Freiraumes. Hier werden auf der Ebene der Produktgestalt Form, Abmessungen und Werkstoff verändert. Bei kundenspezifischen Produktanpassungen im Bereich allgemeiner Freiräume kann es sich schließlich um Varianten- aber auch um komplette Neukonstruktionen handeln. Das ist von dem betroffenen Freiraum in der Produktstruktur ab-

140

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

hängig. So erfordert die Realisierung einer neuen, vom Kunden gewünschten Sonderfunktion eine Neuentwicklung. Es kann sich aber auch um Anpassungskonstruktionen handeln, wenn bestehende Lösungen oder Teillösungen wieder verwendet werden. Entsprechend werden Adaptionsprinzipien auf allen Produktkonkretisierungsebenen angewendet. Dies gilt im Besonderen, wenn beispielsweise die Funktionen selbst als Teil der Produktstruktur angesehen und als ein entsprechender Gestaltungsfreiraum des Kunden definiert werden. Allerdings können die vorgestellten Individualisierungsgrade für einzelne Komponenten der Produktstruktur nicht immer klar voneinander getrennt werden. Deshalb kommen mitunter für eine bestimmte Komponente verschiedene Adaptionsstrategien zum Tragen. Es ist z. B. denkbar, dass für eine bestimmte Produktfunktion optionale Alternativen vordefiniert wurden, aus denen der Kunde auswählen kann. Eine kundenindividuelle Ergänzung der Alternativen ist denkbar, wenn die Funktion selbst beispielsweise als allgemeiner Freiraum definiert wurde – im Rahmen einer Neuentwicklung werden dann die vorhandenen um eine zusätzliche Alternative vermehrt. Eine Erweiterung der ursprünglich festgelegten Grenzen skalierbarer Bereiche ist denkbar, wenn z. B. eine vorliegende Kundenanforderungen den definierten Wertebereich überschreitet. Auch entsteht mit jeder konstruktiven Detaillierung einer Prinziplösung oder eines Freiraumes eine neue Gestaltalternative. Auf diese Weise baut sich das Produktspektrum mit jedem Adaptionsprozess weiter auf. Durch die kundenindividuellen Adaptionsprozesse entstehen also immer mehr konkrete Ausprägungen des konstruktiven Lösungsraumes. Der jeweilige Adaptionsbedarf ist somit bei neuen Kundenanforderungen durch den Grad der Überdeckung zum bereits vorhandenen Produktspektrum bzw. Lösungsraum gekennzeichnet. Nach einer großen Anzahl von Produktadaptionen stellt sich damit ein Zustand ein, bei dem der „Konfigurationsraum“ nahezu dem Lösungsraum entspricht. Der Konfigurationsraum enthält alle bisherigen Lösungen als Kompositionsalternativen. Es kommen dann nur noch sehr wenige neue Alternativen zum bereits vorhandenen Produktspektrum hinzu (Baumberger et al. 2004). Interaktions- und Adaptionsprozess Nachdem im vorangegangenen Abschnitt die Adaption individualisierter Produkte aus konstruktionsmethodischer Sicht systematisiert wurde, soll im Folgenden der Prozess der individuellen Produktdefinition beschrieben werden. Dieser Prozess kann entsprechend Abbildung 4-7 in die Phasen x Erfassung individueller Kundenanforderungen, x Transformation individueller Anforderungen in Produktanforderungen,

4.2 Adaptionsprozesse für individualisierte Produkte

141

x Auswirkungsanalyse betroffener Produktkomponenten bzw. Bewertung der vorzunehmenden Produktanpassungen und x Produktadaption unterteilt werden (Baumberger et al. 2004).

Anforderungen

Produktspektrum

Erfassung individueller Anforderungen Transformation individueller Eigenschaften in Produktanforderungen

(individualisierte Produkte)

Auswirkungsanalyse betroffener Produktkomponenten

Lösungen

auf funktionaler Ebene, Prinzipebene, struktureller Ebene, gestalterischer Ebene

Produktadaption

Prozessplanung

Prozessspektrum

(Adaptionsprozesse)

Prozessausführung

Produktionsplanung

Abb. 4-7. Interaktions- und Adaptionsprozess zur individuellen Produktanpassung

Die Erfassung individueller Anforderungen ist die gemeinsame Schnittstelle von Produktadaption und individuellem Vertrieb mit der Kundeninteraktion. Hier werden die individuellen Kunden- und Nutzungseigenschaften ermittelt und die Anforderungen an das individuelle Produkt geklärt. Hierbei handelt es sich nicht nur um explizit geäußerte Wünsche des Kunden oder Werte für vordefinierte Freiheitsgrade, ebenso müssen auch implizite Kundenanforderungen erfasst werden. Hilfsmittel bei Erfassung von Kundeneigenschaften und der Klärung von Anforderungen sind Interviews, Fragebögen und Konfiguratoren. Zur Unterstützung des Kunden können Referenzprodukte, Kataloge, Muster sowie Checklisten, Anwendungsszenarios und Gebrauchstests eingesetzt werden. Dies hilft insbesondere bei der Klärung impliziter oder schlecht beschreibbarer Anforderungen. Konfiguratoren unterstützen den Kunden bei der Auswahl vordefinierter Elemente. Dem Kunden werden in einer definierten Schrittfolge einzelne alternative Merkmalsausprägungen oder Optionen zur Auswahl angeboten (Grässler 2004). Der Kunde muss selbständig durch Vergleich seiner spezifischen Anforderungen oder Präferenzen mit den

142

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

angebotenen Alternativen entscheiden. Diese Entscheidung kann den Kunden überfordern, da durch die Vielfalt Varianten, die zur Auswahl stehen, eine erhebliche Komplexität hervorgerufen wird. Um die abnehmerseitig wahrgenommene Komplexität zu reduzieren, sollte besser die Bedürfnisstruktur des Kunden abgefragt oder das Verwendungsumfeld des Produktes geklärt werden. Daraus können Anforderungen an das individualisierte Produkt abgeleitet bzw. Module ausgewählt werden. Unterstützung bieten dabei regel- oder wissensbasierte Konfigurationssysteme, die beispielsweise mit Kunden- oder Nutzerprofilen arbeiten (Rude 1998; Piller 2001; Schares 1999). Die erfassten, individuellen Kundenanforderungen müssen im nächsten Schritt in technische Produktanforderungen transformiert werden. Aus Anwendungsfällen, die der Kunde geschildert hat, müssen z. B. funktionale oder gestalterische Anforderungen an das Produkt abgeleitet werden. Die Methode Quality Function Deployment QFD kann dazu eingesetzt werden (Ahrens 2000; Pulm 2004). Mit Hilfe der so genannten „House of Quality“-Matrix werden Kundenwünsche oder Umgebungseigenschaften bestimmten technischen Produkteigenschaften oder Freiheitsgraden zugeordnet. Die Methode unterstützt jedoch nicht nur die Übersetzung von Anforderungen. Sie hilft auch dabei, komplexe Kundenwünsche oder Anwendungsfälle in einzelne Produktanforderungen zu zerlegen. Anschließend müssen die individuellen Produktanforderungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf betroffene Produktkomponenten bzw. der vorzunehmenden Produktanpassungen analysiert werden. Dazu werden die individuellen Produktanforderungen mit den Elementen der Produktstruktur verknüpft. Notwendige Adaptionsmaßnahmen werden bestimmt und der jeweilige Adaptionsaufwand wird bewertet. Der Aufwand ist vom bereits vorhandenen Produktspektrum und von den strukturellen Auswirkungen bei der Umsetzung neuer Kundenwünsche abhängig. Dabei können die im Rahmen der Strukturplanung eingesetzten Analysewerkzeuge, die auf der Methode Einflussmatrix basieren, angewendet werden (Kap. 3.2). Hierbei werden Bereiche der Produktstruktur hinsichtlich ihrer Verknüpfungen und Wechselwirkungen mit anderen Strukturbereichen analysiert – es kann so eine Aussage über die Auswirkungen von neuen Elementadaptionen auf andere Strukturbereiche getroffen werden. Eine weitere hilfreiche Methode zur Analyse von Änderungsauswirkungen ist die Change Mode and Effect Analysis CMEA (Palani Rajan et al. 2003). Der methodische Rahmen entspricht der Failure Mode and Effect Analysis FMEA, allerdings werden bei der CMEA für jede Produktkomponente mögliche Änderungen, ihre Ursachen und Auswirkungen bewertet. Die Bewertung der Änderungen erfolgt anhand der Kriterien Gestaltungsflexibilität, Auftretenshäufigkeit sowie Änderungsbereitschaft. Die Bewertung der Gestal-

4.2 Adaptionsprozesse für individualisierte Produkte

143

tungsflexibilität ist von den Auswirkungen der Änderung, z. B. notwendigen weiteren Änderungen an Produktelementen oder der Produktstruktur, abhängig. Wenn alle notwendigen Adaptionsmaßnahmen und die betroffenen Gestaltungsmerkmale bzw. Produktkomponenten bekannt sind, kann die Produktadaption erfolgen. Hier wird die individuelle Gestaltung der betroffenen Komponenten vorgenommen. Die im vorherigen Abschnitt beschriebenen Adaptionsprinzipien kommen in diesem Prozessschritt zur Anwendung.

Abb. 4-8. Kundenindividuelle Produktadaption

Abbildung 4-8 zeigt das Spektrum möglicher Adaptionsprozesse anhand der verschiedenen Individualisierungsgrade schematisch auf. Die kundenindividuelle Adaption von Produkten kann demnach erfolgen durch x die Auswahl von vordefinierten optionalen oder obligatorischen Alternativen, x die Übernahme bereits von anderen Kunden definierter Freiräume,

144

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

x die Festlegung oder Erweiterung von Wertebereichen über bisher bestehende Grenzen, x die Ausarbeitung eines bereits definierten Wirkprinzips, x die Entwicklung einer zusätzlichen Alternative sowie x die konstruktive Definition von Freiräumen in der Produktstruktur. Mit den vier letztgenannten Formen der Produktadaption wird jeweils das vorhandene Produktspektrum um zusätzliche Alternativen erweitert. Die schraffierten Flächen stellen den jeweiligen Entwicklungsaufwand dar, das Produktspektrum beinhaltet hier also noch keine entsprechende Lösung. Der Produktadaptionsprozess wird von Planungsprozessen begleitet (Abbildung 4-7). Hier werden entsprechend der jeweiligen Kundenanforderungen die konkreten Aktivitäten zur Produktanpassung geplant und angestoßen. Durch Rückführung durchgeführter Prozesse entsteht analog zum bereits erwähnten Produktspektrum ein Prozessspektrum von Adaptionsprozessen, auf das bei der Planung neuer Adaptionsprozesse zurückgegriffen werden kann. Schon vorhandene Elemente des Prozessspektrums können ausgewählt, angepasst und wieder verwendet werden. Das sich ausbildende Prozessspektrum ist damit ein wesentlicher Faktor der aufwandsarmen Produktadaption. Beispiel Die vorangestellten Darstellungen zu Adaptionsprinzipien und -prozessen sollen nachfolgend an einem Beispiel veranschaulicht werden. Es handelt sich dabei um die kundenindividuelle Anpassung eines elektrischen Haushaltsreinigungsgerätes (Baumberger et al. 2004). Die Kundenwünsche wurden im vorliegenden Fall im Rahmen eines Kundeninterviews mit Gebrauchstest erfasst. Diese individuellen Kundenanforderungen werden in Produktanforderungen transformiert und deren Auswirkungen in der Produktstruktur bzw. der Adaptionsaufwand abgeschätzt. Die Erfassung der Kundenwünsche und die Analyse der Produktnutzung sowie der Umgebungseigenschaften ergaben die folgenden Kundenanforderungen: x Ergonomische Anpassung des Griffes an einen Linkshänder und die individuelle Handgröße x Vorwiegende Nutzung des Gerätes im Garten. Die ergonomische Anpassung des Griffs erfolgt durch gestalterische Modifikation der beiden Griffgehäuseschalen. Bei den Schalen handelt es sich um Komponenten, die in der Strukturplanung als skalierbare Bereiche definiert wurden. Eine ergonomische Anpassung wurde hier bereits vorgeplant und die Auswirkungen der Anpassung durch strukturelle Maßnah-

4.2 Adaptionsprozesse für individualisierte Produkte

145

men bereits begrenzt. Der bereits geplante Adaptionsprozess sieht die Änderung von Abmessung und Form der Schalen im Rahmen einer Prinzipkonstruktion vor. Aus dem Anwendungsszenario „Vorwiegende Nutzung im Garten“ ergeben sich individuelle Produktanforderungen hinsichtlich x der Anpassung von Schlauch- und Kabellängen, x der Vergrößerung der Räder des Gerätes sowie x einer neuen Produktfunktion „Aufbewahrung von Kleingeräten“. Die Zuordnung der individuellen Produktanforderungen zur Produktstruktur ergibt für die Anpassung der Schlauch- und Kabellängen jeweils definierte Freiräume. Die Produktadaption erfolgt hier durch gestalterische Modifikation der Abmessungen (Variantenkonstruktion). Die Vergrößerung der Räder wurde dagegen bei der Strukturplanung nicht betrachtet. Durch eine erneute Analyse der Struktur in diesem Bereich wird festgestellt, dass enge Wechselwirkungen mit der Achsaufnahme und der Gehäuseunterschale bestehen. Diese Wechselwirkungen können strukturell auf Grund der modularen Gestaltung jedoch beherrscht werden. Die Verlängerung der Achsaufnahmen als Schnittstelle zwischen Rädern und Gehäuse ist dazu notwendig. Die Vergrößerung des Raddurchmessers erfolgt durch gestalterische Modifikation im Rahmen einer Variantenkonstruktion. Gleichzeitig wird aufgrund der Nutzungsbedingungen der Radwerkstoff verändert. Bei der Realisierung der neuen Funktion „Aufbewahrung von Kleingeräten“ wird die Neuentwicklung einer entsprechenden Produktkomponente angestoßen. Zunächst erfolgt eine strukturelle Analyse, um die Einbindung der neuen Komponente in die bestehende Produktstruktur zu klären. Dabei wird ein entsprechender allgemeiner Freiraum im Bereich des Gerätegriffes identifiziert. Alternativ kann ein Produktbereich gesucht werden, in dem konstruktive Anpassungen, die durch die Integration des neuen Bauteils notwendig werden, minimale Folgeänderungen nach sich ziehen würden. Im Rahmen einer Neukonstruktion wird anschließend eine Aufbewahrungsbox gestaltet. Dabei werden alle Konstruktionsphasen durchlaufen. Die Aufbewahrungsbox erweitert das vorhandene Produktspektrum und steht in Zukunft als optionale Alternative anderen Kunden zur Verfügung. Aus dem Beispiel wird deutlich, dass es nicht immer möglich ist, Adaptionsprozesse bereits in der Strukturplanung vorauszuplanen. Es ist dann zweckmäßig, diese Prozesse anhand der vorliegenden Kundenwünsche und der strukturellen Randbedingungen mit Hilfe der präsentierten Adaptionsprinzipien neu zu planen. Eine Berücksichtigung der strukturellen Bedingungen sowie die Analyse und Bewertung notwendiger Produktänderungen sind bei der Planung jedoch unerlässlich.

146

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

4.2.4 Maßnahmen zur aufwandsarmen Produktadaption In den vorangegangenen Abschnitten wurden eine Sammlung von Adaptionsprinzipien und ein strukturierter Adaptionsprozess als methodische Hilfsmittel für die Adaption individualisierter Produkte präsentiert. Um jedoch eine aufwandsarme Adaption zu erreichen, müssen weitere methodische Konzepte und Strategien zur Aufwandsreduzierung umgesetzt werden. Zwar können die einzelnen Adaptionsprozesse nur bedingt vorausgeplant werden, ein optimiertes Prozessmanagement kann den Planungsaufwand aber entscheidend senken. Zugeordnete Strategien des Prozessmanagements, die auch eine aufwandsarme Planung von Produktadaptionsprozessen unterstützten können, setzen auf x die Modellierung, x die Standardisierung und x die Wiederverwendung von Prozessen sowie x die Automatisierung der Prozessplanung. Zur Prozessmodellierung können verschiedene Methoden verwendet werden, z. B. die Structured Analysis and Design Technique SADT (Marca u. McGowan 1988) oder Prozessbausteine nach Bichlmaier (2001). Die Adaptionsprozesse werden dabei als Folge von Aktivitäten abgebildet, die auf den aufgezeigten Adaptionsprinzipien und den jeweiligen Produktkomponenten basieren. Außerdem werden Schnittstellen zwischen den einzelnen Aktivitäten definiert. Die daraus folgende modulare Abbildung von Prozessen ermöglicht später die Konfiguration von Einzelaktivitäten zu Prozessketten. Um individualisierte Produkte aufwandsarm zu erstellen, wird am besten auch bei der Produktadaption auf automatisierbare Standardprozesse zurückgegriffen (Piller 2001). Das klingt zunächst nach einem Widerspruch, aber sowohl die Modularisierung und als auch Standardisierung von Entwicklungsprozessen helfen entscheidend dabei, Prozesskomplexität zu reduzieren und individuelle Adaptionsprozesse flexibel zu planen und zu konfigurieren (Piller 2001; Schuh u. Schwenk 2001). Grundlage der Prozessplanung bildet das Prozessspektrum, das diese standardisierten Adaptionsprozessmodule im Sinne von Operatoren enthält. Bild 4-9 zeigt den Zugriff und den Aufbau dieses Prozessspektrums modellhaft. Zunächst erfolgt anhand der vorliegenden Randbedingungen und der hinterlegten Prozessinformationen (z. B. eine bestimmte Kundenanforderungen, ein betroffenes Bauteil, vorliegende Eingangs- und Ausgangsgrößen oder notwendige Aktivitäten) die Auswahl geeigneter Prozessschritte aus dem Prozessspektrum. Die modularen Prozessschritte werden anschließend entsprechend der Randbedingungen angepasst oder erweitert und zu einem vernetzten Adaptionsprozess verknüpft. Das Pro-

4.2 Adaptionsprozesse für individualisierte Produkte

147

zessspektrum unterstützt damit auch die Wiederverwendung von Adaptionsprozessen. Neuartige Prozessbausteine werden in das schon vorhandene Spektrum zurückgeführt, das auf diese Weise kontinuierlich erweitert wird. Mit zunehmendem Umfang kann so immer besser auf individuelle Anforderungen reagiert werden.

Abb. 4-9. Planung und Steuerung individueller Adaptionsprozesse durch Prozessbausteine (in Anlehnung an Bichlmaier 2000)

Eine „manuelle“ Prozessplanung mit den vorgestellten Modellierungsund Dokumentationsmethoden erscheint aber hinsichtlich der Randbedingungen individualisierter Produkte immer noch zu aufwendig und muss deshalb automatisiert erfolgen. So kann der Zugriff auf das Prozessspekt-

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4 Umsetzung der Produktindividualisierung

rum durch wissensbasierte Methoden und Werkzeuge unterstützt werden (Rude 1998; Piller 2001). Damit wird die automatische Speicherung und Wiederverwendung von Erfahrungswissen aus Produktadaptionen möglich. Als viel versprechend erscheint hier z. B. der Ansatz des fallbasierten Schließens, mit dem Entwicklungsprozesse anhand von Entwicklungssituationen (z. B. vorliegenden Kundenanforderungen) geplant werden können (Baumberger 2003; Redenius u. Steffen 2004). Zur Fallklassifikation können beispielsweise die Kundenanforderungen und der betroffene Strukturbereich herangezogen werden. Die notwendigen Adaptionsprozesse können direkt bei Aufnahme der Kundenwünsche ausgewählt und konfiguriert werden. Die Fallbasis ist ein sich entwickelndes Spektrum an Prozessen, aus dem Fälle ausgewählt, adaptiert und wieder zurückgeführt werden. Das Vorgehen entspricht also genau dem in Bild 4-9 aufgezeigten, schematischen Planungsprozess. 4.2.5 Zusammenfassung Bei der Anpassung von individualisierten Produkten an kundenspezifische Bedürfnisse sind zu einem großen Teil individuelle Adaptionsprozesse erforderlich. Im Gegensatz zu variantenreichen Serienprodukten ist eine reine Konfiguration vorentwickelter Module in der Regel nicht ausreichend. Gleichzeitig muss die Produktanpassung schnell und aufwandsarm erfolgen und soll sich möglichst nur auf für die Individualisierung geeignete Strukturbereiche beziehen. Im Rahmen der Adaption wird im Gegensatz zur Einzelanfertigung also kein komplett individuelles Produkt kreiert. Vielmehr soll innerhalb der Produktadaption eine am maximalen Kundennutzen orientierte Anpassung von ausgewählten Komponenten und Strukturbereichen des individualisierten Produktes erfolgen. Im vorliegenden Kapitel wurde die kundenspezifische Adaption individualisierter Produkte charakterisiert. Dabei wurden Adaptionsprinzipien als methodische Operatoren der Produktanpassung und Randbedingungen der Auswahl dieser Adaptionsprinzipien dargestellt. Ebenfalls wurden ein übergeordneter Produktadaptionsprozess und zugeordnete Methoden präsentiert. Das vorliegende Kapitel hat dabei deutlich gemacht, dass individuelle Adaptionsprozesse nur sehr begrenzt vorgeplant werden können und in jedem Fall situationsspezifisch anzupassen sind. Dennoch ist die schnelle und aufwandsarme Planung von Adaptionsprozessen unerlässlich für eine wirtschaftliche Erstellung individualisierter Produkte. Ein wesentlicher Ansatzpunkt zur aufwandsarmen Produktadaption besteht in der Dokumentation und Wiederverwendung von Prozessmodulen und im entsprechenden Aufbau eines Prozessspektrums als Potenzialgröße eines Un-

4.2 Adaptionsprozesse für individualisierte Produkte

149

ternehmens. Das Prozessspektrum ist eng mit dem Produktspektrum zu vernetzen, das in der Strukturplanung konzipiert und während der kundenindividuellen Adaptionsprozesse schrittweise aufgebaut und erweitert wird. Prozessbausteine als strukturiertes Hilfsmittel der Prozessplanung und -dokumentation können dazu herangezogen werden. Wissensbasierte Methoden und Expertensysteme können zudem bei der automatisierten Auswahl und Wiederverwendung von Prozesselementen verwendet werden. 4.2.6 Literatur Ahrens, G.: Das Erfassen und Handhaben von Produktanforderungen. Berlin, TU, Dissertation, 2000. Baumberger, C.; Gahr, A.; Lindemann, U.: Zielkostenorientierte Steuerung individualisierter Entwicklungsprozesse. In: VDI (Hrsg.): I2P 2004 – Integrierte Informationsverarbeitung in der Produktentstehung. Düsseldorf: VDI-Verlag 2004, S. 133-155. Baumberger, G. C.; Lindemann, U.; Ponn, J.: Development of Individualized Mechatronic Products – Rapid Adaptation of Product Properties Due To Individual Customer Demands. In: Reichwald, R.; Piller, F; Tseng, M. M. (eds.): Leading mass customization and personalization from an emerging business to a mainstream business model, World congress on mass customization and personalization, München, 06.-08.10.2003), München: TU 2003, (CD-Rom). Bichlmaier, C.: Methoden zur flexiblen Gestaltung von integrierten Entwicklungsprozessen. München: Utz 2000. Bochtler, W.: Modellbasierte Methodik für eine integrierte Konstruktion und Arbeitsplanung. Aachen: Shaker 1996. Firchau, N.: Variantenoptimierende Produktgestaltung. Göttingen: Cuvillier 2003. Franke, H. J.; Hesselbach, J.; Huch, B.; Firchau, N.: Variantenmanagement in der Einzel- und Kleinserienfertigung. München: Hanser 2002. Grässler, I.: Kundenindividuelle Massenproduktion. Berlin: Springer 2004. Lindemann, U.: Methodische Entwicklung technischer Produkte. Berlin: Springer 2005. Marca, D. A.; McGowan, C. L.: SADT: structured analysis and design technique. New York: Mc-Graw-Hill 1988. Pahl, G.; Beitz, W.: Konstruktionslehre. Berlin: Springer 1993. Palani Rajan, P. K.; Van Wie, M.; Otto, K.; Wood, K.: Design for Flexibility – Measures and Guidelines. In: Folkeson, A.; Gralén, K.; Norell, M.; Sellgren, U. (Eds.): Proceedings of the 14th International Conference on Engineering Design 2003 (ICED03) Stockholm, 19.-21.08.2003. Glasgow: Design Society 2003, (CD-ROM). Piller, F. T.: Mass Customization. Wiesbaden: DUV 2001. Piller, F. T.; Stotko, C.: Mass Customization und Kundenintegration. Düsseldorf: Symposion 2003.

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4 Umsetzung der Produktindividualisierung

Pulm, U.: Eine systemtheoretische Betrachtung der Produktentwicklung. München, TU, Dissertation, 2004. Redenius, A.; Steffen, D.: Ein Instrumentarium zur Planung von Produktentwicklungsprozessen. In: Meerkamm, H. (Hrsg.): Design for X - Beiträge zum 15. Symposium, Neukirchen, 14.-15.10.2004. Erlangen: Lehrstuhl für Konstruktionstechnik 2004, S. 105-111. Rude, S.: Wissensbasiertes Konstruieren. Aachen: Shaker 1998. Schares, L. P.: Methodik zur Auftragsklärung komplexer, kundenindividueller Sondermaschinen und Anlagen. Aachen: Shaker 1999. Schuh, G.; Schwenk, U.: Produktkomplexität managen, München: Hanser 2001. Verein Deutscher Ingenieure – Gesellschaft Entwicklung, Konstruktion, Vertrieb (Hrsg.): Auftragsabwicklung im Maschinen- und Anlagenbau. Düsseldorf: VDI-Verlag 1991.

4.3 Planung von Produktionsprozessen und Materialflusssteuerung W. A. Günthner, M. Wilke, M. F. Zäh, H. Rudolf

4.3.1 Einleitung Während bei der bekannten Serienproduktion die Arbeitspläne für eine Vielzahl an hergestellten Produkten geeignet sind, ist bei individualisierten Produkten unter Umständen für jeden Auftrag die Definition eines entsprechenden Arbeitsplans notwendig. Analoge Voraussetzungen ergeben sich für die innerbetriebliche Logistik. So können bei einer Serienfertigung mit entsprechend umfangreichen Losgrößen starre Automatisierungslösungen beim Materialfluss durchaus wirtschaftlich sein. Bei der Fertigung individueller Komponenten sind jedoch in Abhängigkeit von den Kundenspezifikationen unterschiedliche Produktionsressourcen anzusteuern. Im vorliegenden Kapitel wird beschrieben, wie der Auftragsabwicklungsprozess für die Produktion individualisierter Komponenten zu gestalten ist. Ausgehend von der Definition der gewünschten Produktausprägung umfasst dieser die Herleitung individueller Stücklisten und die Erstellung entsprechender Arbeitspläne. Daraus lassen sich die benötigten Fertigungsressourcen identifizieren und eine Strategie entwickeln, um diese im Produktionsprozess anzusteuern. 4.3.2 Planung von Produktionsprozessen

Anforderungen an die Arbeitsplanerstellung Der Ansatz der Fertigungssegmente und sich selbst steuernder Materialversorgungskreise, wie er Anfang der 90er Jahre stark verbreitet war, stößt für individualisierte Produkte an seine Grenzen: Aufgrund der unter Umständen großen Verschiedenartigkeit individualisierbarer Produkte ist es nicht mehr möglich, konventionelle Produktfamilien in vordefinierten Segmenten komplett zu bearbeiten. Der Vernetzungsgedanke, der bereits in den 80er Jahren mit dem Begriff des Computer Integrated Manufacturing (CIM) aufkam, wird wieder verstärkt aufgegriffen. Die Prozessplanung, die den Übergang vom Entwurf des Erzeugnisses zur Produktion

152

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

bildet, hat einen besonderen Stellenwert als verbindendes Element zwischen Entwicklung und Fertigung. Bisher konnte sich eine IT-gestützte Prozessplanung in Form von Computer-Aided-Process-Planning-Systemen (CAPP-Systemen) nicht in dem erwarteten Ausmaß in der Praxis durchsetzen. So wurde Anfang der 80er Jahre vorausgesagt, dass 10 Jahre später 80 % aller fertigenden Unternehmen CAPP-Systeme verwenden würden. Tatsächlich hat sich jedoch gezeigt, dass bis zur Mitte der 90er Jahre lediglich 10 % aller Unternehmen CAPP-Systeme im Einsatz hatten (Ali u. Motavalli 1993). Die Vielzahl der Fähigkeiten moderner Produktionsressourcen auf der einen Seite und die Anforderungen durch kundenindividuelle Produkte auf der anderen Seite erhöhen die Komplexität bei der Erstellung von Arbeitsplänen. Eine klassische „manuelle“ Planung, basierend auf der Suche eines ähnlichen Planes und dessen spezifischer Abänderung ist nicht mehr zielführend. Es bietet sich eine erweiterte Variantenplanung nach dem Varianten- und Generierungsprinzip (vgl. Kapitel 3.3) als Lösungsansatz an. Zur Umsetzung dieser Methode sind entsprechende IT-Systeme zu verwenden. Es werden verschiedene Produktklassen definiert, denen, wie in Kapitel 3.3 erläutert, Standardarbeitspläne zugeordnet werden. Diese werden entsprechend den sich aus den Kundenwünschen ergebenden Anforderungen spezifisch adaptiert. Das Generierungsprinzip bedeutet, dass bestimmte Inhalte wie z. B. Vorgabezeiten auf Basis parametrierter Planungsregeln, beispielsweise durch Zeitformeln, ermittelt werden. Teilaufgaben der Arbeitsplanerstellung Wie im Kapitel zur Produktadaption individualisierter Produkte erläutert wurde, ist das Ergebnis der Produktadaption eine nach Kundenwünschen spezifizierte Produktdefinition. Sie beinhaltet entsprechende x Stücklisten und x Geometriedaten individualisierter Produkte. Diese Stücklisten sind allerdings vertriebs- und konstruktionsbezogen und nicht auf eine fertigungs- bzw. montagegerechte Sicht ausgelegt. Daher müssen Vertriebs- und Konstruktionsstücklisten entsprechend restrukturiert werden, um den Anforderungen von Montage und Fertigung zu genügen. So ist beispielsweise eine Vertriebsstückliste eher nach Funktionsbereichen oder nach Kundenoptionsmöglichkeiten gegliedert, während eine Montagestückliste eher die Verbaulogik des Produktes widerspiegelt. Um automatisiert Inhalte aus der einen Form in eine andere Form zu transformieren, bietet sich das so genannte Extensible-Stylesheet-

4.3 Planung von Produktionsprozessen und Materialflusssteuerung

153

Language-Format (XSL-Format) an, das bei ProduktdatenmanagementSystemen für vergleichbare Aufgaben bereits im Einsatz ist (Krause et al. 2003). Die Besonderheit bei diesem Format ist, dass Inhalt, Struktur und Darstellung komplett voneinander getrennt werden können. Daher ist es besonderes leicht, den gleichen Inhalt in verschiedenen Strukturen abzubilden. Die kundenspezifischen Geometriedaten können den einzelnen Stücklistenpositionen zugeordnet werden und über ihre Parameter Einfluss auf die möglichen Fertigungsprozesse haben. Der sich an die Produktadaption anschließende Gesamtprozess der Arbeitsplanerstellung gliedert sich in die folgenden Teilaufgaben (Eversheim 1996), die auch für individualisierte Produkte gelten: x Ausgangsteilbestimmung x Arbeitsvorgangsfolgebestimmung x Fertigungsmittelauswahl x Vorgabezeitermittlung x Bestimmung der Lohngruppe Im Folgenden werden diese Teilaufgaben der Arbeitplanerstellung vorgestellt. Ein besonderer Fokus wird dabei auf die neuen Anforderungen gelegt, die sich aus der Produktindividualisierung ergeben. Zunächst ist die Ausgangsteilbestimmung durchzuführen. Individualisierte Produkte werden ausgehend von einer Produktstruktur spezifiziert, welches seitens der Produktentwicklung im Voraus definiert wurde. Im Rahmen der Produktadaption wird die kundenspezifische Produktausprägung festgelegt. Die entsprechenden Informationen werden an die Arbeitsplanung übergeben. Für jedes Element der vorgedachten Produktstruktur ist ein Ausgangsteil hinterlegt. Mit der Definition einer spezifischen Produktkomponente ist also das Ausgangsteil eindeutig festgelegt. Für dieses Ausgangsteil muss im nächsten Schritt die Arbeitsvorgangsfolge bestimmt werden. Für die Arbeitsvorgangsfolgebestimmung bietet sich, wie in Kapitel 3.3 erläutert, die Methode der Maximalstückliste und des Maximalarbeitsplans an (Abbildung 4-10). In der Maximalstückliste sind sämtliche bislang bekannten Komponenten der Produktstruktur hinterlegt, die für die Herstellung aller Produkte dieses Spektrums notwendig sind. Die Komponenten werden in den einzelnen Positionen der Stückliste strukturiert, die mit Vorgängen im Arbeitsplan verknüpft sind. Diese Beziehungen sind in Abbildung 4-10 als Pfeile dargestellt. Im einfachsten Fall bedeutet das Fehlen einer Stücklistenposition den Wegfall eines bestimmten Arbeitsvorgangs. Es sind aber auch komplexere Zuordnungen denkbar, wie z. B. die Hinterlegung bestimmter Materialausprägungen (wie z. B. die Härte) bei der Stücklistenposition, die ab einem vordefiniertem Grenzwert einen zusätzlichen Arbeitsschritt notwendig machen.

154

4 Umsetzung der Produktindividualisierung

Abb. 4-10. Zuordnung von Maximal-Stückliste und -arbeitsplan und adaptierte Stückliste und Arbeitsplan

Abbildung 4-10 lässt zudem erkennen, wie ein spezifischer Arbeitsplan auf Basis eines Maximal-Arbeitsplans erstellt wird. Das Beispiel in der Abbildung zeigt, dass durch das Auslassen bestimmter Positionen (wie z. B. Position 20 und Position 30), bestimmte Vorgänge (beispielsweise Vorgang 20 und Vorgang 30) wegfallen können. Im Beispiel ist die Position 30 unter anderem mit dem Vorgang 40 verknüpft. Dieser kann jedoch beim Entfall von Position 30 nicht weggelassen werden, da er auch mit Position 40 in Bezug steht. Die Fertigungsmittelauswahl erfolgt ähnlich wie die Arbeitsvorgangsfolgenbestimmung. Die Fertigungsmittel sind logisch Vorgängen zugeordnet. Hier kann eine Maximalliste an möglichen Ressourcen hinterlegt sein, die in Abhängigkeit von bestimmten Produktmerkmalen zu nutzen sind oder nicht. Hierdurch wird es möglich, regelbasiert den einzelnen Vorgängen Ressourcen zuzuordnen. Auf der Basis der Anforderungen des adaptierten Modells wird mit Hilfe von Regeln ermittelt, welche Fertigungsmittel für die Herstellung des Produktes geeignet sind. Entweder werden die einzelnen Ressourcen als Objekte direkt dem Prozess zugewiesen oder es werden die Anforderungen des Prozesses wie z. B. die Steifigkeit einer Werkzeugmaschine als Mindestkriterium zur Auswahl einer bestimmten Ressource herangezogen. Die Vorgabezeitermittlung erfolgt, indem für einen bestimmten Vorgang die Einzelzeiten te und Rüstzeiten tr entweder als x feste Vorgaben, x regelabhängige Alternativen oder als x Formel mit Einflussgrößen

4.3 Planung von Produktionsprozessen und Materialflusssteuerung

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modelliert werden. Hier kommen klassische Ansätze wie Regressionsverfahren ebenso zum Einsatz wie Zeitwerttabellen. Die verwendeten Zeiten können entweder durch x Schätzen, x Zeitaufnahmen nach REFA, x Berechnung mit Formeln oder x mit Hilfe von Multimomentenaufnahmen bestimmt werden. Die Lohngruppe für die Herstellung individualisierter Produkte kann fest definiert sein oder sich aus speziellen Anforderungen aus der Kombination von Fertigungsressource, Arbeitsvorgangsinhalt und Produktmerkmalen ergeben. Nachgelagerte Prozessschritte der Arbeitsplanerstellung Die Betrachtung der einzelnen Teilaufgaben zur Durchführung der Arbeitsplanung zeigt deutlich, dass eine Vielzahl von Tätigkeiten notwendig ist, um einen Arbeitsplan zu erstellen. Das Vorgehen für individualisierte Produkte unterscheidet sich hierbei nicht grundlegend von einem klassischen Vorgehen. Neue Problemstellungen sind sicherlich der hohe Aufwand durch die höhere Planungsfrequenz und die Anforderungen aus der Planungsgüte, die eine rein manuelle Durchführung dieser Tätigkeit ausschließen. Aus diesem Grund ist hier, wie bereits in Kapitel 3.3 vorgestellt, eine Systemunterstützung notwendig. Bei der Herstellung individualisierter Produkte können starre Systeme der Produktionsplanung und -steuerung (PPS-Systeme) die komplexen, unternehmensspezifischen Randbedingungen für die Arbeitsplanerstellung nicht in ausreichendem Umfang berücksichtigen. Hier erscheint der Ansatz extern flexibel programmierbarer Arbeitsplanungssysteme zielführend. Diese haben die folgenden Aufgaben: x Weiterleitung von Stücklisten und Arbeitsplänen an das PPS-System für die Steuerung und Kapazitätsüberwachung und x Bereitstellung von Fertigungsunterlagen für die Werkerunterstützung. Die Weiterleitung von Stücklisten und Arbeitsplänen an das PPS-System erfolgt entweder kontinuierlich oder tageweise gesammelt (Batch-Input). Hierfür existieren zertifizierte Schnittstellen seitens der Anbieter von PPSSystemen. Während derartige Lösungen in der industriellen Anwendung verbreitet sind, wird im Vergleich hierzu die systematische Bereitstellung von aktuellen Fertigungsunterlagen an den verschiedenen Arbeitsplätzen derzeit noch wenig unterstützt. Aufgrund der der Verschiedenartigkeit der Arbeitsinhalte, die sich aus den spezifischen Anforderungen des Kunden

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4 Umsetzung der Produktindividualisierung

ergeben, wird dies in Zukunft immer wichtiger werden. Werkerinformationen müssen analog zu den Arbeitsplänen auf Basis von Maximalarbeitsanweisungen generiert und den Werkern in geeigneter Weise zur Verfügung gestellt werden. In der industriellen Praxis bestehen hierzu bereits produktiv eingesetzte Lösungen in Form von Visualisierungen auf Bildschirmen (Reinhart et al. 2002). Diese werden mit zunehmender Variantenzahl durch Produktindividualisierungen weiter an Bedeutung gewinnen. Eine innovative Form der Werkerunterstützung besteht in der Nutzung von Augmented Reality (AR). Augmented Reality ist eine Technologie, bei der das Blickfeld des Anwenders durch die Einblendung von digitaler Information auf Brillen angereichert wird. Die Verwendung solcher Systeme ermöglicht es, dem Werker zusätzlich zum realen Umfeld Informationen bereitzustellen, die an die räumliche Situation angepasst sind (Reinhart u. Patron 2003). Expertensysteme mit einer objektorientierten Struktur, wie sie in Kapitel 3.3 bereits vorgestellt wurden, generieren und verwalten die entsprechenden Daten, um die notwendigen Informationen situations- und anforderungsgerecht zur Verfügung zu stellen. In diesen Expertensystemen müssen aktuelle Daten hinterlegt sein. Aus diesem Grund ist eine Anbindung an Fabrikplanungssysteme vorzusehen. So können dem Werker beispielsweise Veränderungen des Fabriklayouts oder der Maschinenfähigkeiten mitgeteilt werden. Hierzu bestehen erste Ansätze (Zäh u. Rudolf 2003; Zäh et al. 2004), die allerdings noch nicht industriell umgesetzt wurden. 4.3.3 Dezentrale Materialflusssteuerung

Materialflusssysteme Produktionsstrukturen zur Herstellung von individualisierten Produkten müssen in der Lage sein, sich kontinuierlich und schnell auf die optimale Erfüllung der Kundenwünsche einzustellen. Dies verlangt kurze Reaktionszeiten und eine sehr hohe Flexibilität im Aufbau und in den Abläufen. Mit der Produktion kundenindividueller Güter reduziert sich die Größe der Fertigungslose. Damit steigen die Zahl der abzuwickelnden unterschiedlichen Produktionsaufträge und so der gesamte materialflusstechnische und steuerungstechnische Aufwand erheblich. Je nach Kundenwunsch sind nur bestimmte Arbeitsschritte nötig, denen über die Fertigungsaufträge Produktionsressourcen zugeordnet sind. Dies führt wiederum zu individuellen Materialflussvorgängen. Deshalb werden, wie in Kapitel 3.3 erläutert, für die Produktion individualisierter Güter wandelbare Materialflusssysteme benötigt, die auch auf nicht vorgeplante Szenarios reagieren können. Die

4.3 Planung von Produktionsprozessen und Materialflusssteuerung

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Aufbauten müssen über intelligente, erweiterungs-, integrations- und lernfähige Steuerungssysteme verfügen (Günthner u. Wilke 2003). Solch ein Materialflusssystem besteht grundsätzlich aus folgenden Modulen: x Materialflussrechner als Schnittstelle zwischen Prozessplanung und Materialflusssystem, x Autonome, dezentral gesteuerte Transportfahrzeuge, x Wegsysteme in Form von Schienensystemen (z. B. für EHB) oder Fahrbahnmarkierungen (z. B. für FTS), x Positioniersysteme (z. B. auf Basis von RFID), x Übergabeplätze, als Verbindungselemente zwischen Materialflusssystem und Produktionsressourcen sowie x Lagereinrichtungen. Das Prozessplanungssystem übergibt die Fertigungsaufträge an den Materialflussrechner. Als Datenaustauschformat bietet sich hierfür die Datensprache XML (Extensible Markup Language) an. Der Materialflussrechner leitet aus den Fertigungsaufträgen einzelne Fahraufträge ab, die er (u. U. priorisiert) an alle freien Transportfahrzeuge sendet. Diese berechnen selbstständig, wie viel Zeit sie für einen Fahrauftrag benötigen und geben ein entsprechendes Angebot ab. Der Materialflussrechner sammelt alle Angebote und teilt die Aufträge den besten Angeboten zu. Seine einzige Funktionalität besteht in der Generierung und Zuteilung von Fahraufträgen. Aufgaben wie die Wegberechnung, die Wegreservierung, die Stauvermeidung und das Schalten von Wegelementen (z. B. Weichen) werden dezentral und selbstständig von den Materialflussmodulen übernommen. Ein übergeordnetes Leitsystem ist damit nicht erforderlich. Steuerungskonzept Ein modular aufgebautes automatisiertes Materialflusssystem, das aus dezentral gesteuerten autonomen Einheiten besteht und die Bedürfnisse einer Produktion kundenindividueller Güter erfüllen soll, benötigt ein entsprechendes Steuerungs- und Kommunikationskonzept. Die Funktionsweise dieses Konzeptes lässt sich an folgendem Analogiebeispiel veranschaulichen. Das Straßennetz stellt mit den Autofahrern ein wandelbares Materialflusssystem dar. Jeder Autofahrer kann jeden Ort unabhängig von den anderen Autofahrern erreichen und dabei die unterschiedlichsten Dinge transportieren. Dazu plant der Autofahrer seine Route anhand einer Straßenkarte und orientiert sich unterwegs an Ortsschildern bzw. Wegweisern. Dabei spielt es für ihn im Gegensatz zu starr automatisierten Systemen keine Rolle, ob er an zwei oder mehreren Abzweigungen vorbeikommt oder sogar ungeplante Umleitungen fahren muss. Seine Wandelbarkeit be-

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4 Umsetzung der Produktindividualisierung

ruht auf dem Auswerten einer Straßenkarte und der Orientierung anhand von Straßenschildern. Neuartige Fahrzeugsteuerungskonzepte für wandelbare Materialflusssysteme adaptieren dieses Verhalten mit Hilfe von einfachen Regeln (Günthner u. Wilke 2003). Hierzu benötigen die Fahrzeuge eine Art Straßenkarte. Diese ist eine Matrix, in der die Informationen abgelegt sind, welche Orte (z. B. Übergabestellen, Weichen etc.) über welche Art von Wegen miteinander verbunden sind. Diese Matrix wird als Waypointmatrix bezeichnet und stellt quasi das informationstechnische Abbild des Materialflusssystems dar. Sie spiegelt das Layout, die Eigenschaften (z. B. Länge der Strecken, Streckenkapazitäten) und den aktuellen Zustand des Materialflusssystems (Reservierungen, Positionen der Fahrzeuge etc.) wider. Die Informationen in dieser Matrix sind mit der Datensprache XML kodiert (vgl. Kapitel 3.3). So können jederzeit neue Informationen für erweiterte Funktionen von neuen Teilnehmern (z. B. Fahrzeuge, Wegmodule, Übergabeplätze) in die Waypointmatrix aufgenommen werden. Auf diese Weise wird die geforderte Erweiterungsfähigkeit auch auf der informationstechnischen Ebene realisiert. Die Informationen in der Waypointmatrix werden von allen Modulen des Materialflusssystems (Fahrzeuge, Weichen etc.) benötigt. Dabei werden die Informationen in dieser Matrix nicht nur ausgelesen, sondern auch von den Fahrzeugen verändert. Die Fahrzeuge berechnen dezentral und vollkommen autonom ihre Fahrwege. Anschließend werden die Wege als Reservierungen in die Waypointmatrix geschrieben, um so von weiteren Fahrzeugen bei deren Wegberechnung berücksichtigt zu werden. Ebenso lesen die Weichenmodule die Matrix aus und erfahren so, wie sie sich zu stellen haben. Neben der Waypointmatrix als Straßenkarte benötigen die Transportfahrzeuge des Materialflusssystems noch „Straßenschilder“, an denen sie sich unterwegs orientieren können. Technisch lassen sich diese „Straßenschilder“ mit Transpondern (RFID-Technologie) realisieren. RFID (Radio Frequency Identification) ist ein Auto-ID-Verfahren mit dem Daten berührungslos und ohne Sichtkontakt von einem mobilen Datenträger (Transponder) gelesen und darauf gespeichert werden können. Die Transponder verfügen über eine eindeutige Kennung und sind neben der Fahrbahn angebracht. Sie markieren die Übergabestellen und Verzweigungen und stellen damit die so genannten Waypoints in der Waypointmatrix dar. Die Fahrzeuge lesen im Vorbeifahren die Transponder aus und erfahren auf diese Weise, wo sie sich befinden. Zu den Vorteilen des dargestellten Steuerungs- und Kommunikationskonzeptes gehört es, dass es layoutflexibel ist. Informationen über physische Veränderungen des Streckenverlaufes werden schnell und einfach an

4.3 Planung von Produktionsprozessen und Materialflusssteuerung

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nur einem Ort, der Waypointmatrix, steuerungstechnisch hinterlegt. Da die Transportfahrzeuge alle benötigten Informationen für eine dezentrale Wegplanung aus der Waypointmatrix beziehen, müssen selbst bei nicht vorgeplanten Veränderungen des Wegesystems keine Umprogrammierungen der Fahrzeugsteuerungen vorgenommen werden. Ebenso lässt sich der Ausfall von Strecken z. B. aufgrund von Wartungs- und Reparaturarbeiten leicht in der Matrix anzeigen. Damit haben die Fahrzeuge die Möglichkeit, Alternativrouten zu berechnen. Das Konzept bietet zudem eine hohe Durchsatzflexibilität. Das Hinzufügen von Fahrzeugen ist ohne Softwareänderungen jederzeit möglich, da die Fahrzeuge nicht direkt miteinander kommunizieren müssen, sondern über die Reservierungseinträge in der Waypointmatrix erfahren, ob Strecken frei oder von anderen Teilnehmern belegt sind. Dies ermöglicht ebenso, dass Schienen in beide Fahrtrichtungen befahren werden können, um z. B. durch eine kurze Rückwärtsfahrt den schnellsten Weg zu nehmen. Die Fahrzeuge reservieren nur eine gewünschte Fahrtrichtung ohne die komplette Strecke für andere zu sperren. Nachfolgende Fahrzeuge können so die Teilstrecken in gleicher Fahrtrichtung mitbenutzen. Die Wegplanung lässt sich sowohl dezentral in der Fahrzeugsteuerung als auch zentral für alle Fördermittel über einen Wegplaneragenten realisieren. Dieser Wegplaneragent kann mit einem Verkehrsleitsystem auf Autobahnen verglichen werden. Er analysiert parallel zu den Fahrzeugen die Waypointmatrix und das reale Geschehen in der Anlage. Bemerkt er Staubildungen, kann er eingreifen, indem er die Waypointmatrix umschreibt, um so z. B. die Streckenkapazität bestimmter Abschnitte zu verändern. Dieses Steuerungskonzept für dezentral gesteuerte autonome Fördermittel ist erweiterungs- und integrationsfähig und erfüllt damit die wichtigen Leitmotive für ein wandelbares automatisiertes Materialflusssystem. Es ist sowohl für Elektohängekran-/Hängebahnsysteme als auch für fahrerlose Transportsysteme anwendbar. Durch die strikte funktionsorientierte Modularisierung und die klar gezogenen Systemgrenzen mit ihren standardisierten mechatronischen Schnittstellen werden außerdem redundante Steuerungsvorgänge bzw. Datenhaltung vermieden (Günthner et al. 2002). 4.3.4 Zusammenfassung Die Auftragsabwicklung bei der Herstellung individualisierter Produkte erfordert neue Lösungen bei der Planung von Produktionsprozessen und Materialflusssteuerung. Die Generierung von Fertigungsunterlagen wie Fertigungsstücklisten, Arbeitsplänen und Arbeitsanweisungen ist ein zentrales Element für die Herstellung individualisierter Produkte. Zum einen steigt

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4 Umsetzung der Produktindividualisierung

die Notwendigkeit der gezielten Werkerunterstützung aufgrund der Vielfalt an unterschiedlichen Arbeitsinhalten. Zum anderen steigen die Kosten für die Erstellung und Verteilung dieser Unterlagen im Unternehmen, da sie nicht mehr für eine überschaubare Anzahl herstellerspezifischer Varianten erfolgen, sondern auftragsspezifisch in Abhängigkeit der Kundenspezifikationen durchgeführt werden müssen. Aktuelle Trends im Umfeld der Produktionsplanung wie z. B. die Digitale Fabrik lassen eine weitere Vernetzbarkeit zwischen den Systemen der Produktentwicklung, der Produktionsplanung und der Produktion (PPS und Werkerinformationssysteme) erkennen. Durch offene Standards wie beispielsweise XML und Erfassungssysteme in der Produktion werden Prozessplanungssysteme durch eine Rückführung realer Daten besser in die unternehmerischen Abläufe und Veränderungen eingebunden. Daher werden sie in der Lage sein, die Fertigungsplanung insbesondere für individualisierte Produkte technisch und organisatorisch umfangreicher zu unterstützen. Zur operativen Auftragsabwicklung werden Systeme in Form von wandelbaren Materialflusssystemen und flexiblen Fertigungseinrichtungen für die Umsetzung der individuellen Kundenaufträge benötigt. Ein Lösungsansatz für die Realisierung der materialflusstechnischen Prozesse einer kundenindividuellen Produktion liegt in dem Einsatz von autonomen dezentral gesteuerten Materialflussmodulen, die über entsprechende intelligente Steuerungskonzepte verfügen. Die Zusammenarbeit der Module wird durch eine gemeinsame hierarchielose Kommunikationsschicht auf Basis von XML erreicht. Prototypenhafte Umsetzungen und materialflusstechnische Simulationen zeigen das große Potential hinsichtlich Wandelbarkeit und Leistungsfähigkeit solcher Systeme auf. Erste Lösungsansätze sind hierfür erarbeitet worden (Günthner u. Wilke 2004). Jetzt gilt es, diese zur industriellen Anwendungsreife weiterzuentwickeln. 4.3.5 Literatur Ali, Z.; Motavalli, S.: Requirements from a new generation of CAPP software. Proceedings of the Industrial Engineering Research Conference. 1993. Eversheim, W.: Prozeßplanung. In: Eversheim, W. et al. (Hrsg.): Produktion und Management "Betriebshütte". Berlin: Springer 1996, S. 7-74 - 77-89. Günthner, W. A.; Heinecker, M.; Wilke, M.: Materialflusssysteme für wandelbare Fabrikstrukturen. Industrie Management 18 (2002) 5, GITO mbH Verlag für Industrielle Informationstechnik und Organisation, Berlin. Günthner, W. A.; Wilke, M.: Materialflusstechnologie - Anforderungen und Konzepte für wandelbare Materialflusssysteme, 21. Dortmunder Gespräche, September 2003.

4.3 Planung von Produktionsprozessen und Materialflusssteuerung

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Günthner, W. A.; Wilke, M.: Wandelbare Materialflusssysteme in Minifabriken. Tagungsband, Industriekolloquium des Sonderforschungsbereichs 582; München; ISBN 3-8316-0378-2; 29.April 2004. Krause, F.-L.; Hayka, H.; Pasewaldt, B.: Produktdatenbasierte Kooperation in der Produktentstehung. In: Adam, W. et al. (Hrsg.): Datenmodelle in der Produktion. Düsseldorf: VDI Verlag 2003, S. 52-78. (Fortschritt-Berichte VDI, Reihe 2, 633). Reinhart, G.; Patron, C.: Integrating Augmented Reality in the Assembly Domain – Fundamentals, Benifits and Applications. Annals of CIRP 52 (2003) 1, S. 58. Reinhart, G.; Berlak, J.; Patron, C.; Weber, V.; Spangler, T.; Ermisch, A.; Stawinoga, C.: Multimedia in der Montage. VDI-Z 144 (2002) 1-2, S. 34-35. Zäh, M. F.; Rudolf, H.: Computer Aided Process Planning as an Enabler for Mass Customization: State of the Art and Future Areas for Research. Proceedings of the MCPC 03; 2nd Interdisciplinary World Congress on Mass Customization and Personalization. München 07.-08.10.2003. Zäh, M. F.; Rudolf, H.; Vogl , W.: Computer Aided Process Planning as a Necessity for the Production of Customized Products in Distributed Production Networks. In: Müller, E. (Hrsg.): Vernetzt planen und produzieren; Chemnitz 27.-28. September 2004. Chemnitz: Institut für Print- und Medientechnik der TU Chemnitz 2004, S. 197-202. (Wissenschaftliche Schriftenreihe des Instituts für Betriebswissenschaften und Fabriksysteme).

5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

5.1 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung individualisierter Produkte R. Reichwald, K. Moser, F. T. Piller, C. M. Stotko

5.1.1 Einleitung Die Differenzierungsvorteile individualisierter Produkte bringen höhere Entwicklungs- und Herstellkosten mit sich. Auf diesem klassischen Zielkonflikt zwischen steigender Qualität (im erweiterten Sinne) auf der einen und möglichst geringen Kosten auf der anderen Seite beruht das Porter’sche Paradigma der Unvereinbarkeit von Differenzierung und Kostenführerschaft (die sog. Alternativhypothese). Demnach muss sich ein Unternehmen klar entscheiden, ob es entweder einen Differenzierungsvorteil durch eine einzigartige Leistungsposition oder eine herausragende Kostenposition und die Preisführerschaft anstrebt (Porter 1980). Beides zusammen zu erreichen, geht nach Porters Ansicht nicht. Mit dem Konzept individualisierter Produkte müssen sich Unternehmen nicht mehr für eine der beiden Strategie nach Porter entscheiden. Dieses Konzept beruht auf einer Kombination beider Ansätze: Differenzierung durch Individualität zu Preisen, die noch von der gleichen Zielgruppe akzeptiert werden, die bisher zu den gewohnten Serienprodukten griffen (siehe hierzu Piller 1998; Piller et al. 1999). Dies bedeutet, dass auch die Gesamtkosten der individualisierten Produkte annähernd denen der Serienprodukte entsprechen müssen. Außer Frage steht dabei, dass individualisierte Produkte hinsichtlich ihrer Herstellkosten nicht mit Serienprodukten konkurrieren können: Die Serienproduktion ist das effizientere Fertigungskonzept, da die entsprechenden Prozesse eher typische Skaleneffekte zulassen. Allerdings werden in den heutigen Verbrauchermärkten die Absatzmöglichkeiten für solche Produkte immer schlechter – der Markt ist gemessen an den Bedürfnissen immer weniger homogen und verlangt nach mehr Differenzierung. Damit ist die Serienproduktion nicht zwangsläufig auch das effektivere Fertigungskonzept. Mit dem Konzept individualisierter Produkte soll auf die Veränderung des Absatzmarktes reagiert werden, es ist damit kein produktionstechnisches Konzept der Produktivitätssteigerung oder der Kostensenkung! Dennoch sind bei dem Konzept individualisierter Produkte nicht nur absatztechnische, sondern auch gesamtökonomische Faktoren zu berücksichtigen. Vielfältige wirt-

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

schaftliche Effekte, die sich sowohl in steigenden Kosten, als auch in zusätzlichen Ertrags- oder Kostensenkungspotenzialen manifestieren können, sind einzukalkulieren. Der Aspekt der Wirtschaftlichkeit individualisierter Produkte soll daher in diesem Kapitel detailliert behandelt werden, in dem die wesentlichen Kosten- und Ertragsmechanismen der Produktion individualisierter Produkte argumentativ gegenübergestellt werden. Dabei werden generelle wirtschaftliche Effekte aufgezeigt, deren Konkretisierung aber unternehmensspezifisch vorgenommen werden muss. Für ein Unternehmen, das individualisierte Produkte anbieten möchte, soll somit die Beantwortung der Frage erleichtert werden, ob sich das Konzept insgesamt rechnen kann. 5.1.2 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung individualisierter Produkte Bei der Betrachtung der Wirtschaftlichkeit individualisierter Produkte müssen die zusätzlichen, potenziellen Erträge den auf Grund der Individualisierung steigenden Kosten gegenübergestellt werden. Zusätzlich ergeben sich aber auch neue Kostensenkungspotenziale, die Mehrkosten einer individuellen Leistungserstellung ausgleichen können. Ebenso können Kosten zur Erschließung der Kostensenkungspotenziale anfallen. Mit der Darstellung der wesentlichen Ertrags- und Kostenwirkungen gibt Abbildung 5-1 einen vereinfachten Überblick über die Einflussfaktoren zur wirtschaftlichen Bewertung der Produktion individualisierter Produkte. Ertragssteigerungspotenziale ergeben sich demnach z. B. durch eine verbesserte Marktleistung und größere Produktattraktivität, das Erzielen höherer Preise infolge einer höheren Zahlungsbereitschaft oder den Eintritt in neue Marktsegmente. Unternehmen erzielen mit dem Konzept der Produktion individualisierter Produkte zusätzliche Erträge auch durch die gewonnene Imageführerschaft. Zudem ist ein genau auf Kundenwünsche zugeschnittenes Produkt in seinen Eigenschaften und damit auch im Preis oft nur schwer mit konkurrierenden Angeboten zu vergleichen. Die Kosten zur Erschließung dieses Ertragspotenzials resultieren z. B. aus Produktivitätseinbußen, dem Verlust von Mengen- bzw. Größenvorteilen oder dem erhöhten Aufwand zur Kundenintegration. Dem stehen neue Kostensenkungspotenziale gegenüber, die zusammenfassend auch als Wirtschaftlichkeitsfaktoren der Produktion individualisierter Produkte bezeichnet werden. Diese leiten sich unter anderem aus einer am individuellen Kundennutzen ausgerichteten Gestaltung der Wertschöpfung, einer verbesserten Produktstrukturierung, der engeren Kundenbeziehung und anderen Effekten der Kundenintegration ab. Allerdings entstehen auch Kosten zur Erschließung dieser Kostensenkungspotenziale, z. B. durch die

5.1 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung individualisierter Produkte

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Investition in entsprechend flexible Wertschöpfungssysteme oder durch Maßnahmen zur Reduktion bzw. Handhabung der resultierenden Komplexität.

Abb. 5-1. Die Einflussfaktoren zur wirtschaftlichen Bewertung der Produktion individualisierten Produkte

Aus Abbildung 5-1 ist ersichtlich, dass die Kosten zur Erschließung der Ertragssteigerungspotenziale den Ertragssteigerungspotenzialen entgegenwirken. Egal aus welcher Perspektive man sich mit der Produktion individualisierter Produkte beschäftigt – die Kenntnis der Ertrags- und Kostenwirkungen ist essenziell für eine fundierte, wirtschaftliche Argumentation. Eine Strategie der Produktion individualisierter Produkte ist nur dann langfristig tragfähig, wenn die zusätzlichen Kosten zur Erschließung des Ertragssteigerungspotenzials nicht nur durch steigende Erträge, sondern auch durch neue Kostensenkungspotenziale ausgeglichen werden können. Auch bei variantenreichen Serienprodukten entstehen durch zunehmende Differenzierung Ertragssteigerungspotenziale sowie Kosten zu deren Erschließung. Die oben beschriebenen Kostensenkungspotenziale und die Kosten

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

zu deren Erschließung gelten jedoch spezifisch für individualisierte Produkte. Aus diesem Grund sollen die beiden Bereiche im Folgenden näher betrachtet werden. 5.1.3 Neue Kostensenkungspotenziale Die Produktion individualisierter Produkte ermöglicht Unternehmen die Realisierung neuer Kostensenkungspotenziale. Diese Potenziale ergeben sich unmittelbar aus der Integration der Kunden in die Wertschöpfungskette und aus der Individualisierung der Leistungserstellung. Insgesamt lassen sich dabei vier generelle Wirtschaftlichkeitsfaktoren der Produktion individualisierter Produkte ableiten: x Economies of Modularity: Kostensenkungspotenziale aufgrund der Verwendung modularer Produktarchitekturen, wodurch eine Kombination von Economies of Scale und Scope möglich wird. x Economies of Decoupling: Kostensenkungspotenziale, die unmittelbar aus der einzelkundenspezifischen Leistungserstellung nach dem „ondemand“-Prinzip beruhen (Vermeidung von Verschwendung durch make-to-order statt make-to-stock). x Economies of Integration: Kostensenkungspotenziale durch besseres Wissen über die Kunden als Folge der Integration des Kunden in die Wertschöpfung. x Economies of Relationship: Kostensenkungspotenziale, die auf die zusätzlichen Möglichkeiten der Kundenbindung zurückzuführen sind. Diese Wirtschaftlichkeitsfaktoren sollen im Folgenden detaillierter beschrieben werden. Economies of Modularity „Economies of Modularity“ beruhen auf der Modularität von Produkten und Prozessen als Grundprinzip der Produktion individualisierter Produkte. Auch wenn sie nicht unmittelbar aus dem Prinzip der Kundenintegration folgen, bilden sie doch ein wichtiges Rückgrat hinsichtlich der Kostenstrukturen bei der Produktion individualisierter Produkte. Inhaltlich ergeben sich Economies of Modularity aus der Kombination von bekannten Skalen- bzw. Spezialisierungseffekten (Economies of Scale) und Verbundeffekten (Economies of Scope). So können Skaleneffekte durch die Verwendung von Standardmodulen, die in großen Stückzahlen gefertigt werden, erzielt werden. Skaleneffekte lassen sich auch durch Lerneffekte realisieren, die bei der Standardisierung und Spezialisierung von Prozessabläufen entstehen. Verbundeffekte ergeben sich, wenn bei zunehmender

5.1 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung individualisierter Produkte

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Produktvielfalt eine Senkung der Stückkosten erreicht werden kann, indem auf gemeinsame, ansonsten nicht ausgelastete, Ressourcenpools zurückgegriffen wird. Im Rahmen des Konzepts individualisierter Produkte können sich also konkrete Kostensenkungspotenziale ergeben, wenn es gelingt, Abläufe zu standardisieren und Synergieeffekte zwischen verschiedenen Marktleistungen zu erzielen. Dies wird vor allem durch eine konsequente Modularisierung von Produkten und Prozessen ermöglicht. Economies of Decoupling Ein wesentliches Merkmal der Herstellung individualisierter Produkte ist der Wandel von der weitestgehend auftragsunabhängigen Produktion von Serienprodukten („make-to-stock“) zur auftragsabhängigen, einzelkundenbezogenen Leistungserstellung („make-to-order“). Produktionsseitig wird eine Individualisierung so erst ermöglicht. Zwar liegen hier die Ursachen für wesentliche zusätzliche Kosten der Produktion individualisierter Produkte (z. B. verursacht durch Produktivitätsverluste, Auslastungsschwankungen, Flexibilitäts-/Produktwechselkosten, etc.), es bieten sich jedoch auch potentielle Möglichkeiten zur Kostensenkung. Diese resultieren aus der Tatsache, dass ein bestimmter Teil der Wertschöpfungskette erst nach Vorliegen eines konkreten Auftrags vollzogen wird, es also zu einer Entkopplung der Wertschöpfungskette in einen auftragsneutralen und auftragsspezifischen Prozess kommt („decoupling“). Ressourcen werden dabei im auftragsspezifischen Prozess mit höherer Präzision und Zielwirkung eingesetzt. Produkte und Leistungen werden nicht vom Unternehmen auf den Markt gesetzt, verbunden mit dem entsprechenden Risiko eines Flops oder wirtschaftlichen Misserfolges („Hit or miss“), sie werden vielmehr vom Kunden in den Markt gezogen („Customer-Pull-“ bzw. „Ask-anddeliver-System”). „Economies of Decoupling“ beschreiben so Kostensenkungspotenziale, die sich ergeben, wenn ein Unternehmen seine Wertschöpfungsprozesse besonders zielgerichtet vollzieht, da es aktuellere und präzisere Informationen über den Kundenbedarf hat. Im Rahmen des Konzepts individualisierter Produkte ergeben sich also aus einer systematischen Trennung von individuellen und nicht individuellen Wertschöpfungsanteilen konkrete Kostensenkungspotenziale sowie größere Transparenz und Zielfokussierung der Leistungserstellung. Entscheidend ist dabei der „decoupling point“, also der Punkt der Aufspaltung der Wertschöpfungskette in einen auftragsneutralen und auftragsspezifischen Teil.

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

Economies of Integration Weitere zentrale Kostensenkungspotenziale der Produktion individualisierter Produkte resultieren unmittelbar aus der Integration der Abnehmer in die Leistungserstellung. Diese Potenziale werden unter dem Wirtschaftlichkeitsfaktor „Economies of Integration“ zusammengefasst. Im Zuge der Leistungskonfiguration werden Informationen über jeden Abnehmer gewonnen. Diese Informationen werden im Unternehmen genutzt, um die Effizienz der Wertschöpfungsprozesse zu steigern. Wichtige Ansatzpunkte sind dabei x die Verbesserung des Wissens über die Kunden, x eine gesteigerte Marktforschungseffizienz, x die verbesserte Marktkenntnis sowie x die Nutzung von Kunden-Know-how zur Konfiguration und Spezifikation. Die Verbesserung des Wissens über die Kunden als Ansatzpunkt der „Economies of Integration“ beruht auf der Verdichtung von Informationen. Dabei werden die im Rahmen der Kundeninteraktion gewonnenen Informationen über jeden einzelnen Kunden zu einem übergreifenden KundenKnow-how aggregiert (siehe Peppers et al. 1997; Piller 1998). So tragen die Erhebung und Verarbeitung von Informationen aus einem Segment innovativer Käufer („Lead-User“) in dynamischen, trendgesteuerten Märkten entscheidend dazu bei, marktkonforme neue Produkte oder Produktmodifikationen zu entwerfen. Die Häufigkeit bestimmter individueller Kombinationen kann als Anhaltspunkt für innovative Modifikationen der Produktstruktur oder des Produktprogramms verwendet werden. Auch die Beobachtung von Kunden im Rahmen der Kundeninteraktion macht Kundenverhalten transparent und lässt auf die wesentlichen Kundenanforderungen zurück schließen. Dies bietet gerade Unternehmen, die neben individualisierten Produkten noch variantenreiche Serienprodukte anbieten, neue und qualitativ verbesserte Marktforschungsinformationen und kann so zur deutlichen Reduzierung des Marktforschungsaufwands führen. Derart kundennahe Unternehmen weisen in der Folge eine bessere Effizienz bei der Allokation von Forschungs- und Entwicklungsressourcen auf, entwickeln weniger „am Markt vorbei“ und senken so das Risiko bei der Einführung von Neuprodukten (Homburg 1995). Weiterhin kann ein Anbieter von individualisierten Produkten seine verbesserte Kenntnis von Kundenbedürfnissen dazu nutzen, zusätzliche Geschäftsfelder zu erschließen. Die Auswertung von Kundenfeedback während der Konfiguration und Spezifikation kann hierbei wichtige Informationen liefern. Neue Produktideen und Trends werden insbesondere durch die genannten „Lead-User“ we-

5.1 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung individualisierter Produkte

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sentlich schneller an die Unternehmen herangetragen, lange bevor diese Bedürfnisse auch von einer breiten Masse geäußert werden. Ebenso sind die Unternehmen in der Lage, durch flexible Produktgestaltungsmöglichkeiten des Gesamtproduktes effizient und schnell auf geänderte Marktanforderungen zu reagieren (z. B. gegen Ende des Produktlebenszyklus). Der verbesserte Aufbau und die Nutzung von Kundenwissen haben aber auch Auswirkungen auf eine verbesserte Interaktion mit dem einzelnen Kunden. Neue Kunden können effizienter und besser bedient werden, indem ihnen eine individuelle Produktausprägung vorgeschlagen wird, die Abnehmer mit ähnlichem Spezifikationsprofil in der Vergangenheit erworben haben. Mit Hilfe eines Beratungssystems können während der Spezifikation Wünsche und Vorlieben der Kunden identifiziert werden, die diesen selbst vielleicht gar nicht bewusst sind. Die individuelle Anpassung von Produkten oder einzelnen Gestaltungsmerkmalen, bei denen sich individuelle Anforderungen oder Bedürfnisse nur unscharf formulieren lassen (z. B. Design), wird so unterstützt. Ebenso müssen nicht zwangsläufig alle verfügbaren Merkmale eines Erzeugnisses bei der Spezifikation betrachtet werden, wenn auf bereits gesammelte Erfahrungen zurückgegriffen werden kann. Die Komplexität des Spezifikationsvorganges reduziert sich dadurch deutlich. Das durch Kundenintegration aufgebaute Wissen über Kunden und Märkte wird so zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Eine Nachahmung von Produkten und Marktleistungen wird erheblich erschwert, da nicht nur die im Unternehmen gestalteten Strukturen und Prozesse schwerer nachzuvollziehen sind, sondern auch das entscheidende Wissen über den Kunden fehlt. Economies of Relationship Die enge Interaktion mit den Kunden bietet aber nicht nur einen verbesserten Zugang zu Kunden- und Marktinformationen, sondern auch neue Möglichkeiten zur Nutzung der erhöhten Kundenbindung. Ein Ansatzpunkt hierzu ist insbesondere die erstmalige, individuelle Auftragsbearbeitung. Die dabei erlangten Informationen über einen Kunden lassen bei einem Wiederholauftrag sowohl eine schnellere, einfachere als auch eine inhaltlich verbesserte Leistungsdefinition zu. Die Nutzung von Profilinformationen aus vergangenen Interaktionen zwischen Kunde und Unternehmen führen zudem zu deutlich reduzierten Transaktionskosten. Auch damit wird eine bedeutende Markteintrittsbarriere gegenüber neuen Wettbewerbern aufgebaut, die diese Informationen nicht besitzen. Weitere Kostensenkungspotenziale erschließen sich in einer erhöhten Anzahl an Wiederholungskäufen sowie verbessertem Cross-Selling bei sinkenden

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

Marketing- und Akquisitionskosten. Als Ursache kann dabei eine gesteigerte Kundenloyalität angesehen werden. 5.1.4 Kosten zur Erschließung der Kostensenkungspotenziale Zur Erschließung der aufgezeigten Kostensenkungspotenziale entstehen aber auch zusätzliche Kosten. So sind zusätzliche Aufwendungen nötig, um ein Angebot individualisierter Produkte zu realisieren. Diese Aufwendungen resultieren aus erhöhten Entwicklungs-, Produktions- und vor allem Transaktionskosten. Zusätzliche, fixe Kosten werden beispielsweise durch Investitionen in flexible Produktadaptions- und Produktionssysteme verursacht. Erhöhte variable Kosten fallen z. B. bei der individuellen Auftragsabwicklung an und sind auf die intensive Interaktion mit den Kunden zurückzuführen. In Anlehnung an eine Unterteilung aller Kosten in Produktions- und Transaktionskosten (Picot 1982) sollen im Folgenden die Investitionen in flexible Wertschöpfungssysteme sowie der Aufwand für Informations- und Kommunikationsaktivitäten betrachtet werden. In einem separaten Abschnitt sollen die Kosten für Maßnahmen zur Komplexitätsreduktion näher untersucht werden. Investitionen in flexible Wertschöpfungssysteme Steigende produktionsbezogene Kosten resultieren aus dem Aufbau der notwendigen flexiblen Wertschöpfungssysteme. So ist beispielsweise der Aufbau modularer Wertschöpfungssysteme relativ aufwändig, da außer den Komponenten auch die Schnittstellen und mögliche Kombinationen vorausgeplant werden müssen. Die konsequente Modularisierung sowohl auf Produkt- als auch auf Prozessebene dient aber dazu, eine hohe externe, also marktbezogene, Variabilität mit einer geringen internen Prozessvariabilität zu verbinden (Piller 1998). Adaptions- und Produktionsprozesse sollen also nicht für jeden Kunden neu „erfunden“ und geplant werden, vielmehr basiert die Produktion individualisierter Produkte auf übergreifend stabilen Prozessmodulen, die für alle Kunden konstant sind (Pine 1998). Auf der operativen Ebene müssen je nach Kundenauftrag unterschiedliche Ausprägungen des gesamten Produktionsprozesses umsetzbar sein. Diese Flexibilität wird von Mensch und Maschine gefordert. Die Vorplanung der Prozesse und die Bereitstellung adäquater betrieblicher Wertschöpfungssysteme machen daher entsprechende Investitionen notwendig. Mit der Abkehr von einer typischen Serienfertigung gehen zudem die Vorteile einer Spezialisierung der Produktionssysteme verloren. Die gegebenenfalls geringere Produktivität der Produktion individualisierter Produkte im Ver-

5.1 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung individualisierter Produkte

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gleich zu einer variantenreichen Serienproduktion liegt insbesondere in den folgenden Punkten begründet: x Verlust der Größenvorteile durch Spezialisierung, x möglicherweise erhöhter Rüstaufwand der Maschinen zur Erstellung kundenindividueller Produkte (abhängig vom eingesetzten Fertigungsverfahren), x Erhöhung des Koordinationsaufwands zwischen Vertrieb, Fertigung und Zulieferern, x Erhöhung der Komplexität durch die Integration der spezifischen Kundeninformation in den Produktionsablauf, x Notwendigkeit, jeden einzelnen Kundenauftrag in Echtzeit verfolgen zu müssen, und Erhöhung des Steuerungsaufwandes sowie x Entfall der Möglichkeit, in Zeiten geringerer Auslastung auf Vorrat zu produzieren. Für die Produktion individualisierter Produkte sind neue Produktionsund Logistikkonzepten sowie neuen Fertigungstechnologien, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln beschrieben sind, notwendig. Dies erfordert jedoch höhere Investitionen in solche Technologien und resultiert meist in höheren Kosten im Vergleich zur Serienfertigung. Zusätzliche Kosten entstehen weiterhin durch Investitionen in geeignete Informations- und Kommunikationssysteme. Darüber hinaus fallen höhere, komplexitätsbedingte Kosten für den Aufbau der notwendigen internen Kapazitäten zur Beherrschung des stark erhöhten Informations- und Koordinationsaufwands einer Produktion individualisierter Produkte an. Der Aufwand zur Koordination, Planung und Steuerung der betrieblichen Abläufe steigt erheblich, da die Verflechtung aller Wertschöpfungsprozesse zunimmt. Dies wird vor allem in den Bereichen Programm- und Ressourcenplanung, Arbeitsvorbereitung, Beschaffung und interne Logistik sowie der Qualitätskontrolle deutlich (vgl. dazu den Abschnitt zum Thema Komplexitätsreduktion). Steigende Kosten ergeben sich z. B. aber auch im Bereich der Qualitätskontrolle: Während bei Serienprodukten Stichproben genügen, müssen alle individualisierten Produkte einer Qualitätsprüfung unterzogen werden. Da die auf operativer Ebene stetigen Serienfertigungsbedingungen fehlen, welche die Voraussetzung einer validen Stichprobe bilden, müssen pro Produkt die Einhaltung der Individualisierungswünsche des Kunden und die individuelle Produktqualität zusätzlich geprüft werden. Die obige Diskussion wird in Abbildung 5-2 noch einmal zusammengefasst (Reichwald et al. 1991; Pine 1998). Hierbei wird die Produktion individualisierter Produkte von der Serienproduktion, der Massenfertigung und der klassischen Einzelfertigung abgegrenzt. Als Dimensionen dienen die Variabilität der erzeugten Produkte (niedrig/hoch) und die Spezifität bzw.

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

Strukturiertheit der Leistungserstellungsprozesse (niedrig/hoch), wodurch sich vier Felder mit den unterschiedlichen Produktionskonzepten ergeben: x Klassische Einzelfertigung x Marktorientierte Massenfertigung x Variantenreiche Serienproduktion x Produktion individualisierter Produkte.

Abb. 5-2. Produktionswirtschaftliche Aufgabenfelder (in Anlehnung an Reichwald et al. 1991 und Pine 1998)

Während bei einer klassischen Einzelfertigung zwar eine hohe kundenbezogene Variabilität möglich ist, wird diese mit sehr spezifischen und damit teilweise unstrukturierten Leistungserstellungsprozessen erkauft. Flexibilität führt hier zu vergleichsweise hohen Kosten. Mit dem Konzept der marktorientierten Massenfertigung bieten dagegen am Markt nur ein begrenztes Leistungsspektrum an. Bei der Massenfertigung können jedoch

5.1 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung individualisierter Produkte

175

Vorteile aus sehr stabilen Prozessen gewonnen werden. Dieser Fertigungstyp ist und bleibt das effizienteste Fertigungssystem – nur fehlen heute leider oft die Märkte, wo das Konzept seine Stärke entfalten kann. Bei der variantenreichen Serienproduktion, wie sie heute in vielen Märkten zu finden ist, ist zwar die fertigungsseitige Komplexität begrenzt. Der Aufwand in der Programm- und Mengenplanung aber steigt besonders in dynamischen oder stark segmentierten Märkten sehr stark an. Im anonymen Markt müssen Absatzzahlen für alle vorgehaltenen Varianten prognostiziert werden. Die Produktion individualisierter Produkte beinhaltet die Integration des Kunden in den Wertschöpfungsprozess und die Verlagerung des Vorfertigungsgrades. Mit der Fertigung einer kundenspezifischen Variante wird erst dann begonnen, wenn ein Kundenauftrag vorliegt. Dadurch reduziert sich das Prognoserisiko. Weitestgehend standardisierte Prozesse und Produkt- und Produktionsstrukturen tragen zu einer hohen Spezifität der Leistungserstellung bei. Informations- und Kommunikationsaufwand Mit dem Angebot individualisierter Produkte geht stets eine enge Interaktion zwischen Abnehmer und Anbieter im Auftragsabwicklungs- und Fertigungsprozess einher (Hibbard 1999; Ramirez 1999). Dies gilt sowohl hinsichtlich Kontaktanbahnung, Verkauf und Bindung der Endkunden als auch in Bezug auf die notwendige individuelle Anforderungsdefinition, Produktadaption und die physische Warenverteilung. Ein Serienproduzent überträgt diese Aufgaben in der Regel dem Handel. Die Informations- und Kommunikationskosten steigen aus Sicht eines Herstellers von individualisierten Produkten im Vergleich zum Absatz von Serienprodukten aus zwei wesentlichen Gründen stark an: x Steigende Informations- und Kommunikationskosten ergeben sich durch die Erhebung der Spezifikationsinformation für jeden Kunden. Hierbei geht es bei weitem nicht nur um die rein funktionale Erhebung der Kundenwünsche, sondern vor allem auch um eine Hilfestellung für den Kunden bei der Auswahl des gewünschten Produktes. Zusätzliche Kosten entstehen neben den operativen Kosten bei jedem Kundenkontakt vor allem durch den Aufbau entsprechender Spezifikationswerkzeuge (vgl. dazu das entsprechende Kapitel zum Thema Spezifikationswerkzeuge). x Steigende Kosten ergeben sich auch durch den Aufwand, der beim Aufbau von Vertrauen entsteht. Der Einbezug der Kunden in die Wertschöpfung bedeutet für diese nicht nur aktive Mitarbeit, sondern auch einen Vertrauensvorschuss und ein zusätzliches Risiko. Hieraus resultiert die Notwendigkeit von vertrauensstiftenden Maßnahmen und einer

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

ausgeklügelten Kommunikationspolitik – beides sind wesentliche Kostentreiber bei der Produktion individualisierter Produkte, die oft unterschätzt werden. Kosten für Maßnahmen zur Komplexitätsreduktion Schon für Unternehmen mit einer variantenreichen Serienfertigung ist das Komplexitätsmanagement ein zentrales Thema. Dieses dient der Eindämmung der Komplexitätskosten, die durch die Vielfalt des Produktangebots entstehen. Generell befinden sich Unternehmen bei der Festlegung der optimalen Anzahl von Produktvarianten im Spannungsfeld zwischen der internen Komplexität, die durch Varianten entsteht, und der Marktattraktivität des Produktangebots, die abnimmt, sollte die Anzahl der angebotenen Varianten reduziert werden (Child u. Diederichs 1991). Komplexitätsmanagement ist bei der Produktion individualisierter Produkte noch wichtiger als bei der variantenreichen Serienfertigung (Blecker et al. 2005), da dem Kunden mehr und andere Gestaltungsfreiräume zur Verfügung gestellt werden. Die entstehende Komplexität wirkt sich vor allem in der Produktentwicklung, Produktadaption, Beschaffung, Planung, Fertigung, Montage und im Vertrieb aus. Maßnahmen zur Komplexitätsreduktion umfassen beispielsweise die Bereitstellung von geeigneten Informationssystemen und die gezielte Planung der Produktvielfalt. Diese Instrumente verursachen zwar Kosten, sorgen aber schon in der Produktentstehung für die notwendige Transparenz der Komplexitätsursachen und für die Abstimmung aller beteiligten Abteilungen und tragen somit zu einer Beherrschung der Komplexität individualisierter Produkte bei. 5.1.5 Zusammenfassung Im vorliegenden Kapitel zur Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von individualisierten Produkten wurden neue Ertragssteigerungs- und Kostensenkungspotenziale wie auch auftretende Kosten zur Erschließung dieser Potenziale aufgezeigt. Wesentliche Wirtschaftlichkeitsfaktoren, die aus der effizienten Gestaltung von Unternehmensprozessen und der Integration des Kunden in die Wertschöpfungskette resultieren, wurden präsentiert. Diese Faktoren wurden den wirtschaftlichen und organisatorischen Aufwendungen, verursacht z. B. durch die gestiegene Produkt- und Prozesskomplexität, gegenübergestellt. Bei der Betrachtung der Wirtschaftlichkeit individualisierter Produkte ist es unerlässlich, alle Wertschöpfungsbereiche integriert zu bedenken. Denn allzu oft werden in der Praxis lediglich die Kosten in der Produktion bedacht und beispielsweise Kosten für den steigenden

5.1 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung individualisierter Produkte

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Kommunkaktionsaufwand vernachlässigt. Dabei sind für Unternehmen, die individualisierte Produkte anbieten, vor allem die zusätzlichen Kosten der Interaktion mit den Kunden erfolgskritisch und bedürfen besonderer Aufmerksamkeit. Vielen Unternehmen sind auch die neuen Herausforderungen im Bereich des Komplexitätsmanagements noch nicht bekannt. Manager wissen oft nicht, mit welchen Maßnahmen sie auf die gestiegenen Kosten, verursacht durch die zunehmende Produktvielfalt, reagieren sollen. Im vorliegenden Kapitel wurden die einzelnen Kostenblöcke knapp vorgestellt – wichtiger als eine Quantifizierung war dabei die Darstellung einer grundlegenden Struktur der Einflüsse auf das wirtschaftliche Gesamtergebnis. Für eine quantitative Beurteilung der Wirtschaftlichkeit müssen alle aufgezeigten Aspekte im Unternehmen einzeln bewertet und einander gegenüber gestellt werden. 5.1.6 Literatur Anderson, D. M.: Agile product development for mass customization: how to develop and deliver products for mass customization, niche markets, JIT, buildto-order and flexible manufacturing. Chicago: Irwin Professional Publishing 1997. Blecker, T.; Friedrich, G.; Kaluza, B.; Abdelkafi, N.; Kreutler, G.: Information and Management Systems for Product Customization. New York: Springer 2005. Child, P.; Diederichs, R.: The management complexity. McKinsey Quarterly 28 (1991) 4, S. 52-68. Hibbard, J.: Assembly online: the web is changing mass production into mass customization. 1999. Homburg, C.: Closeness to the Customer in Industrial Markets. Towards a Theory-Based Understanding of Measurement, Organizational Antecedents, and Performance Outcomes. ZfB 65 (1995) 3, S. 309-331. Peppers, D.; Rogers, M.: Enterprise one to one. Tools for competing in the interactive age. New York: Doubleday Randomhouse 1997. Picot, A.: Transaktionskostenansatz in der Organisationstheorie. Die Betriebswirtschaft 42 (1982) 2, S. 267-284. Piller, F. T.: Kundenindividuelle Massenproduktion - die Wettbewerbsstrategie der Zukunft. München: Hanser 1998. Piller, F. T.; Möslein, K.; Stotko, C.: Does mass customization pay? An economic approach to evaluate customer integration. Production Planning & Control 15 (2004) 4, S. 435-444. Piller, F. T.; Schoder, D.: Mass Customization und Electronic Commerce: Eine empirische Einschätzung zur Umsetzung in deutschen Unternehmen. ZfB 69 (1999) 10, S. 1111-1136. Pine, J. B.: Mass Customization: Die Wettbewerbsstrategie der Zukunft. In: Piller, F. T. (Hrsg.): Kundenindividuelle Massenproduktion. München: Hanser 1998.

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

Porter, M. E.: Competitive strategy: techniques for analyzing industries and competitors. New York: Free Press, 1980. Ramirez, R.: Value Co-Production: Intellectual Origins and Implications for Practice and Research. Strategic Management Journal 20 (1999) 1, S. 49-67. Reichwald, R.; Dietel, B.: Produktionswirtschaft. In: Heinen, E. (Hrsg.): Industriebetriebslehre. Entscheidungen im Industriebetrieb. Wiesbaden: Gabler 1991, S. 395-613. Stotko, C. M.: Das wirtschaftliche Potenzial von Mass Customization als Maßnahme zur Erhöhung der Kundenbindung. München 2002. van Deelen, H.; Consline AG: Chancen von Customer Relationship Management in der Automobilindustrie. Präsentiert: Keynote auf dem 2. InnoVertKongress Vertriebsmanagement. München 2000.

5.2 Kostenmanagement individualisierter Produkte U. Lindemann, A. Gahr

5.2.1 Einleitung Nach der qualitativen Wirtschaftlichkeitsabschätzung im vorangegangenen Kapitel wird in diesem Kapitel auf das operativ geprägte Kostenmanagement bei individualisierten Produkten eingegangen. Die wirtschaftliche Entwicklung, Adaption und Herstellung sind die Hauptziele des Kostenmanagements individualisierter Produkte, damit auch derartige Produkte zu marktfähigen Preisen angeboten werden können. Das Kostenmanagement umfasst die gesamte Wertschöpfungskette individualisierter Produkte mit Produktstrukturplanung, Produktadaption, Produktion, Marketing und Vertrieb. Es dient dazu, bereits in der Entwicklungsphase Haupteinflussgrößen auf die Kosten zu identifizieren, Kostenstrukturen transparent zu machen und Kostensenkungspotenziale aufzuzeigen. Es soll frühzeitig kostenwirksame Entscheidungen und die Einhaltung der vom Kunden, vom Unternehmen oder vom Markt vorgegebenen Kosten- bzw. Preisziele unterstützen. In diesem Kapitel wird schwerpunktmäßig die Kostenkalkulation zur Berechnung der anfallenden Kosten bei der Erstellung von individualisierten Produkten behandelt. Ausgehend von den geänderten Anforderungen an das Kostenmanagement und klassischen Kalkulationsansätzen werden neue Konzepte für die Kostenkalkulation und -verfolgung bei der Erstellung individualisierter Produkte abgeleitet. 5.2.2 Neue Anforderungen an das Kostenmanagement Das Kostenmanagement individualisierter Produkte weist gegenüber dem Kostenmanagement von variantenreichen Serienprodukten und Produkten der Sonderfertigung einige veränderte Rahmenbedingungen auf. So müssen die bei jedem Kundenauftrag entstehenden, unterschiedlichen Aufwendungen berücksichtigt werden (Reichwald u. Ihl 2004). Daraus ergeben sich variable Kostenstrukturen, die zurückzuführen sind auf x unterschiedliche Arten und Zeitpunkte der Kostenverursachung, z. B. in Entwicklung, Kundeninteraktion, Produktanpassung, Produktion, Vertrieb etc. und

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

x jeweils unterschiedliche, individuelle Ausprägungen bzw. Intensitäten, z. B. hinsichtlich des Umfanges der Kundeninteraktion (kurzes oder langes Kundengespräch) oder der Produktadaption (Anteil der Neuentwicklungen). Zudem verändern sich Kostenanteile bei Bauteilen geringerer Stückzahlen im Vergleich zu massengefertigten Bauteilen, da z. B. Entwicklungskosten auf weniger Teile verrechnet werden können und klassische Skaleneffekte bei den Fertigungskosten entfallen. Eine feste Verrechnung, beispielsweise ausschließlich über Zuschläge, ist folglich für das Kostenmanagement individualisierter Produkte zu statisch und wird dem Kostenverursachungsprinzip nicht gerecht. Vielmehr ist eine verursachungsgerechte Kalkulation der Kosten gefordert, die Transparenz über die Kostenentstehung schafft und spezifische Aufwendungen für ein individualisiertes Produkte direkt zurechnet. Eine weitere, spezifische Rahmenbedingung des Kostenmanagements individualisierter Produkte ergibt sich aus der notwenigen Preisorientierung am Einzelkunden. Bei variantenreichen Serienprodukten wird der Zielpreis für ein Marktsegment ermittelt. Bei individualisierten Produkten muss sich der Preis sowohl an der unterschiedlichen Zahlungsbereitschaft der Kunden als auch an den jeweiligen Maßnahmen der Produktindividualisierung und den dafür anfallenden Kosten orientieren. Allerdings kann der einzelne Kunde den Preis eines individualisierten Produktes kaum realistisch einschätzen und vergleichbare Wettbewerbsprodukte liegen in der Regel nicht vor. Eine weitere Aufgabe des Kostenmanagements ist es, Kostenaussagen für den jeweiligen Kundenwunsch schnell und zuverlässig zu liefern. Außerdem müssen Kostentreiber identifiziert und das Produkt unter Berücksichtigung der individuellen Preisvorstellungen gestaltet werden. Dies gelingt durch die Integration der beiden Verfahren Zielkostenmanagement und Prozesskostenrechnung, mit denen die Zahlungsbereitschaft des Kunden und anfallende Kosten berücksichtigt werden können. Aus den geänderten Rahmenbedingungen ergeben sich nun verschiedene Anforderungen an ein Kostenmanagement individualisierter Produkte. Im Folgenden werden dabei Anforderungen unterschieden, die sich eher aus einer betriebswirtschaftlichen oder aus einer ingenieurwissenschaftlichen Betrachtungsweise ergeben (vgl. Abbildung 5-3).

5.2 Kostenmanagement individualisierter Produkte

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Abb. 5-3. Anforderungen ein Kostenmanagement individualisierter Produkte (in Anlehnung an Gahr u. Lindemann 2004)

Die betriebswirtschaftliche Sichtweise fokussiert vorwiegend auf die systematische Verrechnung der Kosten. Die Kostenverrechnung sollte bei individualisierten Produkten aufgrund der variablen Kostenstrukturen verursachungsgerecht erfolgen. Zudem sollen die entstehenden Kosten möglichst realitätsnah und vollständig erfasst werden. Die ingenieurwissenschaftliche Sichtweise bezieht sich dagegen eher auf die Identifikation von Kosteneinflussgrößen und damit Kostensenkungspotenzialen. Deshalb ist die transparente Darstellung der Zusammenhänge von Kosteneinflussgrößen, z. B. Materialien, Fertigungsverfahren etc., und resultierenden Kosten eine wesentliche Anforderung. Die kostenoptimale Planung und Adaption von individualisierten Produkten wird durch die Kenntnis der Zusammenhänge zwischen Kosteneinflussgrößen und Gesamtkosten ermöglicht. Die Methoden und Werkzeuge des Kostenmanagements individualisierter Produkte müssen zudem ausreichend flexibel sein. Hierzu gehören die x kontinuierliche Erweiterung, x Änderung und x Konkretisierung der Kosteninformationen während des gesamten Produkterstellungsprozesses. Dies dient auch der entwicklungsbegleitenden Kalkulation, die für eine Zielkostenverfolgung während der Produkterstellungsphase unerlässlich ist. Für eine verlässliche Kostenprognose während der Strukturplanung und der kundenindividuellen Adaptionsphase ist zusätzlich die Darstellung von Unsicherheiten in der Kalkulation erforderlich. Mit Hilfe dieser Unsicherheiten kann der Entwickler frühzeitig Risiken erkennen, die zu Abweichungen von den Soll-Kosten führen können. Eine weitere An-

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

forderung ist die auftragsorientierte Verrechnung der Kosten während der Produktadaption. Neben produktspezifischen Adaptionskosten müssen auch kundenspezifische Kosten, wie Interaktionsaufwand oder Vertriebskosten, bei der Kalkulation berücksichtigt werden. In welcher Weise die klassischen Ansätze der Kostenkalkulation den oben genannten Anforderungen gerecht werden und in wie weit neue Konzepte der Kostenkalkulation erforderlich sind, wird in den nächsten Abschnitten diskutiert. 5.2.3 Klassische Konzepte der Kalkulation und Bewertung Klassische Konzepte zur Kostenkalkulation lassen sich in Verfahren zur Vollkostenrechnung und Teilkostenrechnung unterteilen. Zwei weitere Verfahren des Kostenmanagements sind die Prozesskostenrechnung sowie das Zielkostenmanagement. Beide Konzepte lassen sich nur schwer in die klassischen Verfahren der Vollkosten- bzw. Teilkostenrechnung einordnen. Das Zielkostenmanagement ist nicht einmal ein Kostenrechnungsverfahren, sondern dient zur marktorientierten Planung und Steuerung von Produktkosten. Da beide Verfahren jedoch Anwendungspotenzial für das Kostenmanagement individualisierte Produkte aufweisen, werden sie im Folgenden detailliert behandelt. Kalkulationsverfahren der Vollkostenrechnung Verfahren der Vollkostenrechnung verrechnen alle im Unternehmen anfallenden Kosten in voller Höhe auf die Kostenträger. Kostenträger sind beispielsweise Produkte oder Dienstleistungen. Dabei werden Einzelkosten und Gemeinkosten unterschieden. Einzelkosten sind einem Kostenträger direkt zurechenbar (z. B. Materialkosten), während Gemeinkosten nicht direkt zurechenbar sind (z. B. Verwaltungsgemeinkosten). Die Gemeinkosten werden über unterschiedliche Verteilungsschlüssel, in der Praxis zum Teil willkürlich, auf einzelne Kostenträger verrechnet. Dies führt zu spezifischen Kalkulationsverfahren wie x Divisionskalkulation, x Äquivalenzziffernkalkulation, x Zuschlagskalkulation und x Kuppelkalkulation. Die Divisionskalkulation wird vorwiegend in der Massenfertigung (z. B. Schrauben) angewandt. Die Äquivalenzziffernkalkulation kommt überwiegend in der Sortenfertigung (z. B. verschiedene Stärken von Stahlblechen) zum Einsatz. Bei der Zuschlagskalkulation, die sehr häufig in der Serien-

5.2 Kostenmanagement individualisierter Produkte

183

fertigung (z. B. Automobilbau) eingesetzt wird, werden Gemeinkosten über prozentuale Zuschläge zugeordnet. Die Kuppelkalkulation eignet sich für Produkte, bei deren Herstellung zwangsweise weitere Nebenprodukte anfallen (Ehrlenspiel et al. 2002). Den genannten Verfahren ist gemeinsam, dass sie alle im Unternehmen in einem definierten Zeitraum anfallenden Kosten berücksichtigen – daher der Begriff Vollkosten. Zwar ist die Vollkostenrechnung heute noch in vielen Betrieben vorherrschend, eine verursachungsgerechte Zuordnung von Kosten, die durch bestimmte Individualisierungsmaßnahmen entstehen, ist durch die festen Zuschläge aber kaum möglich (Kümper 1996). Produkte mit geringeren Individualisierungsaufwendungen werden damit kostenmäßig mitunter genauso belastet wie Produkte mit hohen Individualisierungsaufwendungen. Zudem sind die genannten Verfahren der Vollkostenrechnung zur Planung und Steuerung von Kosten bei der Entwicklung und Adaption eines individuellen Produktes eher nicht geeignet. Die Verfahren können nur zur Kalkulation herangezogen werden. Ein Vorteil dieser Methoden ist jedoch der hohe Bekanntheitsgrad in den Unternehmen. Verfahren zur Teilkostenrechnung Im Gegensatz zur Vollkostenrechnung verzichtet die Teilkostenrechnung auf die Verrechnung aller periodischen Kosten auf einzelne Kostenträger. Die Teilkostenrechnung trennt fixe und variable Kosten und berücksichtigt zudem die Erlöse. Bei variablen Kosten hängt die Höhe von der Ausprägung einer bestimmten Kosteneinflussgröße (z. B. Auftrags- und Bestellmenge) ab. Fixe Kosten entstehen dagegen unabhängig von einer bestimmten Kosteneinflussgröße und fallen im Unternehmen in jedem Fall an (Ehrlenspiel et al. 2002). Die Teilkostenrechnung eignet sich im Allgemeinen als Entscheidungshilfe für Auftragsverhandlungen oder zur Kontrolle der Wirtschaftlichkeit einzelner Produkte. Dabei wird mit Hilfe der sog. Deckungsbeitragsrechnung geprüft, ob der Erlös die anfallenden variablen Kosten (z. B. Materialkosten, Fertigungseinzelkosten etc.) übersteigt und somit einen Beitrag zur Deckung der fixen Kosten (z. B. Entwicklungskosten, Marketingkosten, Gebäudekosten etc.) in einer Abrechnungsperiode liefert. Die Deckungsbeitragsrechnung ist im Prinzip auch für individualisierte Produkte anwendbar. Eine Herausforderung ist hierbei jedoch die hinreichende Detaillierung und Trennung der Kosten in variable und fixe Kosten, d. h. eine auftragsspezifische und -neutrale Aufspaltung der Kosten. Hierfür eignet sich beispielsweise eine Betrachtung der auftragsspezifischen Leistungen in Form von Prozesskosten (vgl. nächster Abschnitt zur Prozesskostenrechnung). Die Teilkosten- bzw. Deckungsbeitragsrechnung kann Entscheidungen, zu welchen Konditionen ein individueller Kunden-

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

auftrag angenommen werden soll, kurzfristig unterstützen. Für den mittelund langfristigen Fortbestand des Unternehmens ist dagegen die Deckung sowohl der variablen als auch der fixen Kosten entscheidend. Verfahren der Prozesskostenrechnung Das Verfahren der Prozesskostenrechnung (PKR) basiert auf der Überlegung, dass Produkte oder Dienstleistungen durch eine Vielzahl von Aktivitäten bzw. Prozessen entwickelt und hergestellt werden, die jeweils Kosten verursachen (Kaplan u. Cooper 1999). Grundlegendes Ziel der Prozesskostenrechnung ist eine exakte Kalkulation anfallender Kosten auf Basis der jeweils benötigten Aktivitäten und Prozesse. Aufwendungen, die in indirekten Unternehmensbereichen anfallen, werden auf einzelne Kostenträger zugerechnet (Horváth 1998). Beispiele hierfür sind Entwicklungs- oder Beschaffungstätigkeiten, die bestimmten Produkten oder Varianten zugerechnet werden. Im Gegensatz zur Zuschlagskalkulation, bei der diese Kosten z. B. pauschal über Gemeinkostenzuschläge verrechnet werden, erfolgt eine verursachungsgerechte und transparente Zurechnung der entstehenden Kosten. Zwei wichtige Verfahren der Prozesskostenrechnung sind x die klassische Prozesskostenrechnung und x die ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung. Bei der klassischen Prozesskostenrechnung wird zunächst ermittelt, welche Tätigkeiten in den indirekten Bereichen anfallen. Anschließend werden hauptsächliche Kosteneinflussfaktoren für die jeweiligen Aktivitäten bestimmt. Die Einflussfaktoren werden auch Bezugsgrößen oder Kostentreiber genannt, da sie die Höhe der Kosten einer Aktivität maßgeblich beeinflussen (Mayer 1991). Beispiele für Bezugsgrößen sind die Anzahl der Bestellungen im Einkauf oder die Anzahl neuer Sachnummern in der Entwicklung. Die Kosten einzelner Aktivitäten können später anhand der Bezugsgröße und der Anzahl der jeweiligen Prozessdurchführungen sowie des geldmäßigen Verzehrs von Unternehmensressourcen (z. B. Personal-, Maschinen- und Materialeinsatz) berechnet werden. Angefallene Kosten können damit den Kostenträgern verursachungsgerecht zugeordnet werden. Die Prozesskostenrechnung ersetzt dabei die bestehenden Verfahren der Kostenrechnung nicht, sie dient vielmehr einer genaueren Kostenrechnung in den indirekten Bereichen. Durch ihr aufwandsorientiertes Vorgehen eignet sich die Prozesskostenrechnung auch gut für das Kostenmanagement individualisierter Produkte, insbesondere für die Zurechnung von Kosten, die in indirekten Bereichen durch Planungs-, Steuerungs-, Überwachungs- und Koordinationstätigkeiten anfallen. Für das Ziel einer frühzeitigen Prognose und Unterstützung kostenwirksamer Entscheidungen in

5.2 Kostenmanagement individualisierter Produkte

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der Produktentwicklung ist sie aufgrund ihres Vollkostenprinzips, des entsprechend hohen Aufwandes sowie der reinen Fokussierung auf Gemeinkostenbereiche jedoch nur bedingt geeignet. Die ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung (RPK) soll insbesondere eine verursachungsgerechte Bewertung von Produktvarianten ermöglichen (Schuh 1989). Der Unterschied der ressourcenorientierten Prozesskostenrechnung zur klassischen Prozesskostenrechnung besteht in der Ausweitung der Prozessbetrachtung auf die direkten Unternehmensbereiche. Zudem basiert die Ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung nicht auf Voll- sondern auf Teilkosten. Durch eine Trennung in fixe und variable Kosten sollen hierbei nur die variantenabhängigen Unternehmensbereiche und Tätigkeiten untersucht werden (Tanner 1995). Auch die Ermittlung der Prozesskosten ist grundsätzlich verschieden. Bei der Prozesskostenrechnung wird versucht, die bereits entstandenen Kosten „top-down“ den Prozessen zuzuordnen und jeweils Kostentreiber zu identifizieren. Bei der ressourcenorientierten Prozesskostenrechnung werden die Kosten der Teilprozesse analytisch ermittelt und die Gesamtkosten „bottom-up“ durch Aufsummierung der Kosten der Teilprozesse ermittelt. Hierzu wird mit Hilfe von so genannten Nomogrammen der Ressourcenverzehr (z. B. von Material oder Personal) erfasst. Der Ressourcenverzehr ist über eine Verbrauchsfunktion von der Ausprägung des Ressourcentreibers abhängig (Abbildung 5-4). Die Kosten eines Prozesses können anschließend über den jeweiligen Ressourcenverzehr und eine Kostenfunktion ermittelt werden (vgl. Schuh u. Schwenk 2001). Ressourcenverzehr Kostenfunktion Maschinenstundensatz

Kosten f. Bearbeitung Wellendurchmesser

Kosten

Verbrauchsfunktion Maschinenstunden

f (Durchmesser, Bearb.zeit)

z.B. Wellendurchmesser

Ressourcentreiber

Abb. 5-4. Nomogramm zur ressourcenorientierten Prozesskostenkalkulation (in Anlehnung an Schuh und Schwenk 2001)

Vorteil dieses Konzepts ist, dass mit Hilfe der Nomogramme eine exakte und transparente Darstellung der Zusammenhänge von Kostenursache

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

(Ressourcentreiber) und Kostenwirkung (Kosten) ermöglicht wird. Auf diese Weise können insbesondere variantenabhängige Prozesskosten (z. B. für Wellen mit unterschiedlichen Durchmessern im vorliegenden Beispiel) anschaulich berechnet werden. Aus diesem Grund ist die Anwendung der ressourcenorientierten Prozesskostenrechnung auch für das Kostenmanagement individualisierter Produkte interessant. Allerdings ist es fraglich, ob der hohe Erstellungsaufwand der Nomogramme mit der Erhebung der jeweiligen Ressourcentreiber, Verbrauchs- und Kostenfunktionen bei individualisierten Produkten Ziel führend ist (Eberle 2000). Auch für Entwicklungsprozesse ist die Erstellung derartiger Nomogramme eher kritisch anzusehen. Die Ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung ist besonders für gleich bleibende Prozesse geeignet. Sie orientiert sich stark an Produktionsprozessen variantenreicher Serienprodukte. Die Prozesse der Erstellung individualisierter Produkte sind dagegen dynamisch und Rahmenbedingungen ändern sich fortlaufend. Verbrauchsfunktionen müssten aufgrund wechselnder Rahmenbedingungen (Stückzahlen, Verfahren, Werkstoffe etc.) ständig neu ermittelt werden. Die Ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung ist damit als Methode gut geeignet, wird aber in der praktischen Anwendung im Kostenmanagement individualisierter Produkte unhandlich. Das Grundprinzip der Methode wird jedoch aufgegriffen und mit den unten vorgestellten Individualisierungspfaden für das Kostenmanagement individualisierter Produkte weiterentwickelt. Zielkostenmanagement Das Zielkostenmanagement (engl. Target Costing) ist eine Methodik zur Planung, Steuerung und Beeinflussung von Produktkosten durch die Produktentwicklung und damit kein eigentliches Kostenrechnungsverfahren. Beim Target Costing wird der Produktpreis nicht anhand der anfallenden Produktkosten berechnet, sondern die zulässigen Herstellkosten für die Produkterstellung werden auf Basis eines erreichbaren Marktpreises festgelegt. Der erreichbare Marktpreis ergibt sich im Wesentlichen aus dem Kundennutzen eines Produktes. Die ermittelten zulässigen Herstellkosten sind unabhängig davon, ob sie aus technologischer Sicht bereits als erreichbar erscheinen (Stößer 1999). Die Zielkostenmethode soll aber gewährleisten, dass Produkte später zu marktfähigen Preisen angeboten werden. Das Zielkostenmanagement findet hauptsächlich bei montageintensiven Serienprodukten hoher Komplexität industrielle Anwendung (Arnout 2001). Das methodische Vorgehen des Zielkostenmanagements unterteilt sich in die drei Schritte (Seidenschwarz 1991) x Zielkostenfindung, x Zielkostenspaltung,

5.2 Kostenmanagement individualisierter Produkte

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x Zielkostenverfolgung. Bei der Zielkostenfindung wird ein Preis für das Gesamtprodukt ermittelt, der abzüglich einer bestimmten Gewinnmarge und Overheadkosten (z. B. Vertriebs- und Verwaltungskosten) die Gesamtkosten für die Produkterstellung im Unternehmen festsetzt. In der Zielkostenspaltung erfolgt die Aufteilung der Gesamtzielkosten in Teilzielkosten. Teilzielkosten können für Funktionen, Baugruppen oder Bauteile bestimmt werden. Mit der Zielkostenverfolgung wird versucht, aktuelle Ist-Kosten zu verringern und die einzelnen Teilzielkosten durch Kostensenkungsmaßnahmen zu erreichen. Methoden des „Design to Cost“ sind integraler Bestandteil der Zielkostenverfolgung. Maßgebliche Erfolgsfaktoren des Zielkostenmanagements sind vor allem dadurch begründet, dass bereits in sehr frühen Phasen des Entwicklungsprozesses die Notwendigkeit besteht, sich intensiv mit der aktuellen Marktsituation und der prognostizierten Marktentwicklung auseinanderzusetzen. Die ausgeprägte Orientierung der Kosten am Markt bietet eine ideale Voraussetzung für die Anwendung bei individualisierten Produkten. Auch hier bestimmt der Kundenwunsch die Unternehmensleistungen. Aus diesem Grund wird im nachfolgenden Abschnitt eine modifizierte Vorgehensweise des Zielkostenmanagements vorgestellt, die speziell auf die Erstellung von individualisierten Produkten ausgerichtet ist (vgl. Baumberger u. Gahr 2004). 5.2.4 Zielkostenmanagement für individualisierte Produkte Für die Entwicklung individualisierter Produkte wird das ursprüngliche methodische Vorgehen des Zielkostenmanagements erweitert und in ein zweistufiges Vorgehensmodell untergliedert (vgl. Abbildung 5-5). Dem liegt die Trennung des Entwicklungsprozesses individualisierter Produkte in x eine allgemeine Produktstrukturplanung und x die individuelle Produktadaption zu Grunde. In der Strukturplanung erfolgt die marktorientierte Planung des Produktspektrums mit verschiedenen, prognostizierten Individualisierungsbereichen (vgl. Kapitel 3.2). Im Rahmen der kundenindividuellen Produktadaption erfolgt die individuelle Anpassung eines Produktes an die Wünsche des einzelnen Kunden (vgl. Kapitel 4.2). Hinsichtlich des Zielkostenmanagements bestehen in beiden Phasen verschiedene Schwerpunkte. In der Produktstrukturplanung werden allgemeine Kundenpräferenzen, das angestrebte Marktsegment und der entsprechende Marktpreis ermittelt. Anschließend erfolgt die Spaltung der Zielkosten auf

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

die (unveränderliche) Produktstruktur. In der Adaptionsphase wird die individuelle Zahlungsbereitschaft ermittelt und zulässige Teilzielkosten werden auf die jeweils notwendigen Adaptionsprozesse aufgespaltet. Zudem ist die Verfolgung der Zielkosten zur Erreichung des individuellen Zielpreises wesentlich. Das Zielkostenmanagement in der Produktstrukturplanung hat damit strategischen Charakter, in der Adaption ist es dagegen operativ ausgerichtet. Die Schritte Zielkostenfindung, Zielkostenspaltung, Zielkostenverfolgung haben damit jeweils verschiedene Ausprägungen (Abbildung 5-5).

Abb. 5-5. Vorgehensmodell für das Target Costing individualisierter Produkte (Baumberger u. Gahr 2004)

5.2 Kostenmanagement individualisierter Produkte

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Im ersten Schritt des strategischen Zielkostenmanagements (Stufe I) wird der so genannte Zielkostenrahmen aufgebaut. Dies entspricht der Zielkostenfindung. Der Zielkostenrahmen wird zum einen durch den potenziellen Marktpreis für das zu individualisierende Produkt und zum anderen durch die Zahlungsbereitschaft für mögliche Individualisierungsoptionen (z. B. anpassbare Geometrie, zusätzliche Funktionen etc.) bestimmt. Der potenzielle Marktpreis kann anhand vergleichbarer Serien-, Vorgänger- oder Wettbewerbsprodukte ermittelt werden. Die Ermittlung der Zahlungsbereitschaft muss aber auch den subjektiven Kundennutzen berücksichtigen, der aus der Individualisierung resultiert. Zur Bestimmung dieser Zahlungsbereitschaft für bestimmte Individualisierungsoptionen eignet sich beispielsweise die Conjoint-Methode. Hierbei bewerten Kunden Vorliebe und jeweilige Zahlungsbereitschaft für eine Reihe von Produktkonzepten, die sich durch jeweils verschiedene Individualisierungsoptionen unterscheiden. Mittels statistischer Berechnungsmethoden kann anschließend auf Teilnutzwerte der Individualisierungsoptionen und deren Preisrahmen geschlossen werden. Damit ist durch die Conjoint-Methode indirekt eine Abwägung zwischen Individualisierungsoptionen, Produktpreis und wahrgenommen Produktnutzen möglich (Baumberger u. Gahr 2004). In der Zielkostenspaltung des strategischen Zielkostenmanagements wird anschließend der ermittelte Zielkostenrahmen auf Funktionen und Individualisierungsoptionen des individualisierten Produktes aufgespaltet und bis auf Baugruppen, Bauteile oder Prozesse verteilt. Einzelne Bestandteile des Produktspektrums, beispielsweise fixe Produktbereiche oder optionale Alternativen, werden dann zielkostengerecht geplant und entwickelt. Während der Entwicklung z. B. der fixen Produktbereiche erfolgt ein kontinuierlicher Vergleich von angestrebten Ziel- mit aktuellen Ist-Kosten. Kommt es hierbei zu Abweichungen, sind konstruktive oder fertigungstechnische Änderungen notwendig. Das operative Zielkostenmanagement (Stufe II) bezieht sich auf die Auftragsabwicklung. Hierzu wird ein individueller Kostenrahmen anhand der individuellen Kundenwünsche und der Zahlungsbereitschaft des Kunden ermittelt. Anschließend wird der individuelle Zielkostenrahmen auf die gewichteten Kundenwünsche aufgespaltet. Daraus ergeben sich die Zielkosten pro Kundenwunsch (Abbildung 5-6, obere Tabelle). Gleichzeitig erfolgt die Abschätzung der zu erwartenden Kosten für die Produktadaption. Dazu werden die notwendigen Adaptionsprozesse den jeweiligen Kundenwünschen zugeordnet. Entsprechend der Ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung werden die anfallenden Adaptionsprozesskosten über eine prozessspezifische Verbrauchsfunktion und den Ressourcenverzehr ermittelt. In der Summe ergeben sich die Adaptionskosten für jeden Kundenwunsch. Schließlich wird die Differenz von Zielkosten und Ist-

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

Adaptionskosten ermittelt, die für die Zielkostenverfolgung wesentlich ist (Abbildung 5-6, unteres Diagramm). Kommt es zu starken Abweichungen von individuellen Ziel- und Ist-Kosten (in Abbildung 5-6 beispielsweise der Kundenwunsch KW3), so muss mit dem Kunden eine Änderung des Kundenwunsches oder Anpassung der Zahlungsbereitschaft abgesprochen werden. Es kann aber auch eine unternehmensinterne Bewertung des Kundenwunsches beispielsweise bezüglich des Innovationsgrades erfolgen. Ist die Erfüllung des Kundenwunsches von nachhaltigem Nutzen für das Unternehmen (z. B. Kundenbindung oder Umsetzung einer innovativen Produktidee), können die Ist-Kosten kurzfristig auch über den Zielkosten liegen.

Abb. 5-6. Zielkostenspaltung in der Produktadaption (Baumberger u. Gahr 2004)

Mit dem vorgestellten Zielkostenkonzept für die Adaptionsphase individualisierter Produkte wird die notwendige Verknüpfung des Zielkostenmanagements mit der Prozesskostenrechnung realisiert. Vorteil des zweigeteilten Vorgehens beim Zielkostenmanagement ist, dass zum einen die grundlegende Planung der Produktstruktur zielkostenorientiert unterstützt

5.2 Kostenmanagement individualisierter Produkte

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werden kann und zum anderen eine individuelle Kostenanpassung an den jeweiligen Kundenwunsch gewährleistet wird. Der dargestellte Ansatz der Adaptionszielkosten ist jedoch, ähnlich der Prozesskostenrechnung, vergleichsweise aufwändig und nur für neue Kundenwünsche geeignet. Im Folgenden wird daher das Konzept der Kostenrechnung mit Individualisierungspfaden eingeführt, dass ebenfalls auf den Prinzipien der Prozesskostenrechnung basiert, sich aber durch eine besonders praktikable Anwendung auszeichnet. 5.2.5 Individualisierungspfade zur ziel- und prozessorientierten Kalkulation Ein verbessertes Konzept für die verursachungsgerechte Kalkulation individualisierter Produkte stellt die Pfadkostenrechnung dar. Die Pfadkostenrechnung wurde ursprünglich im Bereich des schweizerischen Gesundheitswesens entwickelt (Rieben u. Müller 2003). Im Mittelpunkt stehen hier Patientenbehandlungsabläufe, die so genannten Patientenpfade, die zur standardisierten Behandlung von Patienten mit jeweils individuellen Bedürfnissen entwickelt wurden. Anhand dieser standardisierten Behandlungsabläufe kann eine Kostenkalkulation und -kontrolle für jeden individuellen Patienten erfolgen. Grundprinzip der Pfadkostenrechnung individualisierter Produkte sind die so genannten Individualisierungspfade (Gahr u. Lindemann 2004). Individualisierungspfade stellen das „standardisierte“ Vorgehen zur Realisierung eines Kundenwunsches dar. Sie basieren auf den in Kapitel 4.2 vorgestellten Prozessmodulen, mit denen eine aufwandsarme Planung und Steuerung individueller Adaptionsprozesse erreicht werden soll. Grundsätzlich basieren die Individualisierungspfade und die Pfadkostenrechnung auf dem Konzept der Prozesskostenrechnung, da Kosten entsprechend der verursachten Aktivitäten auf einzelne Produkte und Dienstleistungen verrechnet werden. Individualisierungspfade können als eine Art Leitlinie bzw. vordefinierte Prozesskette gesehen werden, die bereits im Vorfeld der eigentlichen Produktadaption geplant und bei zukünftigen Adaptionen auch wieder verwendet werden kann. Diese Pfade können natürlich nur dort vordefiniert werden, wo bereits in der Produktstrukturplanung entsprechende Freiheitsgrade für die Individualisierung festgelegt worden sind. Entsprechend der Freiheitsgrade gibt es unterschiedliche Individualisierungspfade. Handelt es sich um einen neuen Kundenwunsch, müssen bei der Planung der Adaptionsprozesse auch die verursachten Kosten geplant werden. Dabei wird ein neuer Individualisierungspfad angelegt. Analog zum Vorgehen bei der Adaptionsprozessplanung (vgl. Kap. 4.2) kann

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5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

hier auf bereits vorhandene Teilprozesse und entsprechende Individualisierungspfade zurückgegriffen werden. Beim Ablauf der Produktindividualisierung entstehen Kosten im Unternehmen, da verschiedene Aktivitäten geleistet werden müssen. Diese Aktivitäten werden im Individualisierungspfad definiert. Aus der Sicht des Kostencontrollings beinhalten die Individualisierungspfade jedoch auch fest vordefinierte Zielvorgaben für den zulässigen Aufwand zur Umsetzung eines Kundenwunsches. Folglich kann mit Hilfe der Pfade auch eine zielkostenorientierte Produkterstellung unterstützt werden (Gahr u. Lindemann 2004). Beispiel für die Erstellung eines Individualisierungspfades Im Folgenden soll das Vorgehen zur Erstellung von Individualisierungspfaden anhand des Beispiels der ergonomischen Anpassung eines Griffes an die individuelle Kundenhand erläutert werden (Abbildung 5-7). Diese Anpassungsoption wurde dabei bereits in der Produktstrukturplanung vorgesehen (vgl. Kapitel 3.2). Hierbei wurden die Bauteile des Griffes (z. B. Handgriff, Außenschalen etc.) und deren wechselseitigen Abhängigkeiten (z. B. die Verbindungsart von Handgriff und Außenschale) modelliert. Der Handgriff wurde als obligatorische Variante mit skalierbaren Bereichen ausgelegt. Simultan zur Produktstrukturplanung erfolgen die Planung der Adaptionsprozesse für die spätere, individuelle Auftragsabwicklung und damit die Erstellung des Individualisierungspfades. Die Planung des Individualisierungspfades erfolgt mit Hilfe von modularen, standardisierten Prozessbausteinen, die in einem Prozessbaukasten niedergelegt sind (Baumberger et al. 2003). Der Pfad wird entsprechend des Prinzips „Vom Abstrakten zum Konkreten“ in drei Konkretisierungsschritten erstellt (Abbildung 5-7): x Planung des Makropfades, x Planung des Mikropfades und x Planung des Anwendungspfades (Gahr u. Lindemann 2004). In einem ersten Schritt werden auf Makroebene die vom Kundenwunsch betroffenen Unternehmensbereiche oder -funktionen identifiziert. Im vorliegenden Beispiel sind das der Vertrieb, die Entwicklung und die Produktion. Der Makropfad wird in vertikaler Richtung angeordnet. Anschließend erfolgt eine Detaillierung in horizontaler Richtung durch die Erstellung des Mikropfades und des Anwendungspfades. Das Ergänzen weiterer Aktivitäten ist jederzeit möglich. Damit kann der Anwendungspfad vertikal um zusätzliche Prozessschritte erweitert bzw. horizontal verfeinert werden. Diese strukturierte Vorgehensweise erleichtert die Zuordnung der jeweils untergeordneten Prozesse zu den übergeordneten Pfaden, ohne wichtige Prozes-

5.2 Kostenmanagement individualisierter Produkte

193

se zu vergessen. Auf einer abstrakteren Konkretisierungsebene werden sich die Individualisierungspfade immer ähnlicher. Auf der obersten Ebene können die Pfade den in den Unternehmen etablierten Vorgehensmodellen, z. B. nach der VDI-Richtlinie 2221, entsprechen.

Abb. 5-7. Beispielhafte Individualisierungspfade für einen individualisierten Handgriff

194

5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

Nachdem der Adaptionsprozess durch den Individualisierungspfad abgebildet ist, müssen für die einzelnen Aktivitäten Zielvorgaben bezüglich des Ressourceneinsatzes zugeordnet werden (Abbildung 5-8). Dabei wird nach x Ressourcenart, x Ressourcenausprägung, x Kostenfaktor und x Kosteneinheit unterschieden. Mögliche Ressourcenarten sind Personal, Betriebsmittel, Material, Information/EDV, Gebäude oder Finanzen/Kapital (Kümper 1996). Diese Ressourcen werden mit einem Kostenfaktor hinterlegt. Im vorliegenden Beispiel werden Personalkosten betrachtet. Außerdem wird der erwartete Ressourcenverzehr ermittelt (z. B. mittels der Ressourcenorientierte Prozesskostenrechnung oder durch Schätzung). Entsprechend des Kostenfaktors und geplanten Ressourcenverzehrs werden anschließend die Zielkosten der Aktivität berechnet.

Abb. 5-8. Ressourceneinsatz und -verzehr der Aktivität „Kundenhand vermessen“

Für die Nachkalkulation und die Kostenkontrolle durch einen Soll-IstVergleich werden die tatsächlich entstandenen Aufwendungen dokumentiert (Abbildung 5-8, unterer Teil). Auf diese Weise können die kostengerechte Umsetzung der Aktivitäten und die Qualität der Planungsannahmen kontrolliert werden. Alle Aktivitäten und der ermittelte Ressourcenverzehr werden schließlich im Individualisierungspfad dokumentiert (Abbildung 59). Der Individualisierungspfad enthält damit alle geplanten Aktivitäten mit den jeweiligen Kostenvorgaben. Damit können die Gesamtzielkosten für die Umsetzung eines bestimmten Kundenwunsches berechnet werden. Mit dem vorliegenden Beispiel der Anpassung des Handgriffes wurde das Vorgehen zur Erstellung eines Individualisierungspfades demonstriert.

5.2 Kostenmanagement individualisierter Produkte

195

Individualisierungspfade für bekannte, zukünftige Individualisierungsangebote können bereits während der Produktstrukturplanung erstellt werden. Wenn neue, bisher nicht vorgesehene Kundenwünsche auftreten, müssen die entstehenden Kosten analog zur Planung der Adaptionsprozesse aber auch zeitnah innerhalb des individuellen Auftragsabwicklungsprozesses kalkuliert werden können. Zur Erstellung dieser Individualisierungspfade können, wie bei der Adaptionsprozessplanung, bereits vorhandene Individualisierungspfade und zugeordnete Kostendaten teilweise wieder verwendet werden. Neue Pfade können beispielsweise durch Konfiguration bestehender Aktivitäten und deren Ressourcenverbrauch zusammengestellt werden. Bei sehr ähnlichen Kundenwünschen kann es ausreichen, nur einzelne Aktivitäten neu zu planen und auszutauschen.

Abb. 5-9. Individualisierungspfad zur individuellen Anpassung eines Handgriffes

Durch die Methode der Individualisierungspfade wird die Verwendung standardisierter Prozesse bei der Erstellung individualisierter Produkte unterstützt. Zugleich sind die Pfade durch ihren modularen Aufbau so flexibel, dass sie leicht an individuelle Abweichungen angepasst werden können. Der Einsatz der Pfadkostenrechnung stellt zugleich ein zielkostenorientiertes Vorgehen sicher, weil die jeweils „erlaubten“ Aufwendungen in jedem Pfad dokumentiert sind. Zudem ermöglicht die Pfadkostenrechnung bei individualisierten Produkten eine verursachungsgerechte Kalkulation auf Basis der ressourcenorientierten Prozesskostenrechnung und trägt zur transparenten Darstellung von Kostenstrukturen bei. Der Vorteil der Pfadkostenrechnung gegenüber der ressourcenorien-

196

5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

tierten Prozesskostenrechnung liegt darin, dass die unterschiedlichen Kundenwünsche bei individualisierten Produkten und die verursachten Kosten aus Sicht der Prozessplanung betrachtet werden. Die reine Ermittlung der Kosten über analytische Funktionsbeziehungen in Form von Nomogrammen wird somit erweitert. Die vorgestellte Methode ersetzt jedoch nicht traditionelle Kostenverrechnungsverfahren, sondern dient in erster Linie als Ergänzung der Kostenplanung (Vorkalkulation) und Kostensteuerung (Nachkalkulation mit Soll-Ist-Vergleich). Zudem orientiert sich die Pfadkostenrechnung sehr stark an der ohnehin notwendigen individuellen Adaptionsprozess- und Fertigungsprozessplanung. Dadurch wird der Erhebungsaufwand deutlich reduziert. Die praktische Anwendung der Methode im Bereich des Kostenmanagements individualisierter Produkte erscheint damit wesentlich vereinfacht. 5.2.6 Zusammenfassung Eine wichtige Voraussetzung für den Markterfolg individualisierter Produkte ist ein angemessener Preis. Dies wird durch eine marktorientierte, wirtschaftliche Entwicklung und Herstellung der Produkte erreicht. Die Wirtschaftlichkeit soll durch ein durchgängiges Produktkostenmanagement unterstützt werden. Dabei werden Haupteinflussgrößen auf die Kosten identifiziert, Kostenstrukturen transparent gemacht und Kostensenkungspotenziale aufgezeigt. Somit können bereits frühzeitig die Einhaltung der vom Kunden, Unternehmen oder Markt vorgegebenen Kostenziele und entsprechende kostenwirksame Entscheidungen unterstützt werden. Im vorliegenden Kapitel zum Kostenmanagement individualisierter Produkte wurden verschiedene Verfahren zur Kostenkalkulation und Kostenverfolgung vorgestellt und bewertet. Die bekannten Verfahren der Kostenrechnung erwiesen sich dabei als nur bedingt geeignet für den Einsatz im Kostenmanagement individualisierter Produkte. Zum Teil berücksichtigen sie spezifische Anforderungen und Randbedingungen, wie eine verursachungsgerechte Kostenzurechnung, nicht. Vielfach erscheinen die bestehenden Verfahren auch als wenig geeignet für den praktischen Einsatz im Kostenmanagement individualisierter Produkte. Aus der Analyse der bestehenden Verfahren und ihrer Defizite in Bezug auf das Kostenmanagement individualisierter Produkte wurden zwei Ansätze weiterentwickelt: zum einen das Zielkostenmanagement für individualisierte Produkte und zum anderen das Konzept der Individualisierungspfade. Das ursprüngliche Zielkostenmanagement wurde dabei speziell auf die Anforderungen individualisierter Produkte angepasst, indem es sowohl die generelle Strukturplanung als auch individuelle Adaptionsprozesse berücksichtigt. Ergebnis

5.2 Kostenmanagement individualisierter Produkte

197

ist ein Zweiphasen-Modell mit einem strategischen und einem operativen Zielkostenmanagement. Als Basis für das Zielkostenmanagement wird auf das Prinzip der Prozesskostenrechnung zurückgegriffen. Dabei werden verursachungsgerecht alle Aufwendungen erfasst, die zur Erstellung des individualisierten Produktes erforderlich sind. Hierzu werden bereits in der Produktstrukturplanung so genannte Individualisierungspfade mit geplanten Aufwendungen für prognostizierte Kundenwünsche entworfen. Die zugeordnete Pfadkostenrechnung für individualisierte Produkte stellt dann einen praktikablen, methodischen Ansatz dar, zulässige bzw. erwartete Kosten für einzelne Adaptionsprozesse zu planen, zu kontrollieren und zu steuern. Eine verursachungsgerechte Kostenkalkulation, wie sie bei individualisierten Produkten unerlässlich ist, wird auf diese Weise ermöglicht. 5.2.7 Literatur Arnaout, A.: Target Costing in der deutschen Unternehmenspraxis. München: Vahlen 2001. Baumberger, C.; Gahr, A.; Lindemann, U.: Zielkostenorientierte Steuerung individualisierter Entwicklungsprozesse. In: Verein Deutscher Ingenieure (Hrsg.): I2P 2004 – Integrierte Informationsverarbeitung in der Produktentstehung. Düsseldorf: VDI-Verlag 2004, S. 133-155. Baumberger, C.; Lindemann, U.; Ponn, J.: Prozessanforderungen und -gestaltung der Übersetzung individueller Kundenwünsche in Produktdefinitionen. In: Meerkamm, H. (Hrsg.): 14. Symposium „Design for X“. Erlangen: Konstruktionstechnik 2003, S. 129-136. Buggert, W.; Wielpütz, A.: Target Costing – Grundlagen und Umsetzung des Zielkostenmanagements. München: Hanser 1995. Eberle, R.: Varianten-Controlling in der Automobil-Industrie. Kostenrechnungspraxis 44 (2000) 6, S. 343-350. Ehrlenspiel, K.; Lindemann, U.; Kiewert, A.: Kostengünstig Entwickeln und Konstruieren. Berlin: Springer 2002. Gahr, A.; Lindemann, U.: Ein methodischer Ansatz zur induzierten Kostenkalkulation individualisierter Produkte. In: Meerkamm, H. (Hrsg.): 15. Symposium „Design for X“. Erlangen: Konstruktionstechnik 2004, S. 159-168. Horváth, P.: Controlling. München: Vahlen 1998. Kaplan, R.; Cooper, R.: Prozesskostenrechnung als Managementinstrument. Frankfurt am Main: Campus 1999. Kümper, R.: Ein Kostenmodell zur verursachungsgerechten Vorkalkulation. Aachen: Shaker 1996. Mayer, R.: Prozesskostenrechnung und Prozesskostenmanagement: Konzept, Vorgehensweise und Einsatzmöglichkeiten. In: IFUA Horváth & Partner (Hrsg.): Prozesskostenmanagement. München: Vahlen 1991, S. 73-99.

198

5 Ökonomische Betrachtung der Produktindividualisierung

Reichwald, R., Ihl, C.: ROI – Neue Pfade zur Wirtschaftlichkeit. In: Lindemann, U. (Hrsg.): Marktnahe Produktion individualisierter Produkte – Industriekolloquium des Sonderforschungsbereichs 582, München; Utz 2004, S. 3/1-3/16. Rieben, E.; Müller, H. P.; Holler, T.; Ruflin, G.: Pfadkostenrechnung als Kostenträgerrechnung – Kalkulation und Anwendung von Patientenpfaden. Landsberg/Lech: ecomed 2003. Schuh, G.: Gestaltung und Bewertung von Produktvarianten. Ein Beitrag zur systematischen Planung von Serienprodukten. Düsseldorf: VDI-Verlag 1989. Schuh, G.; Schwenk, U.: Produktkomplexität managen. München: Hanser 2001. Seidenschwarz, W.; Target Costing – ein japanischer Ansatz für das Kostenmanagement. Controlling 3 (1991) 4, S. 198-203. Stößer, R.: Zielkostenmanagement in integrierten Produkterstellungsprozessen. Aachen: Shaker 1999. Zugl. München: TU, Diss. 1999. Tanner, H.: Konzeption eines ressourcenorientierten Prozesskostenrechnungssystems. Sulgen: Niggli 1995.

6 Beiträge aus der Praxis

6.1 Kundenindividuelle Produktstruktur am Beispiel Omnibus M. Bartuschat, G. Krawitz

6.1.1 Einleitung Auch die Gestaltung einer logistikgerechten Auftragsabwicklung wird durch die steigenden Anforderungen des Marktes hinsichtlich der Liefertermintreue und des gestiegenen Kostendrucks immer wichtiger. Die Optimierung der Geschäftsprozesse und damit die Einflussnahme auf ablauforganisatorische Randbedingungen können erhebliche Rationalisierungspotentiale freisetzen. Hierbei führt nur eine ganzheitliche Betrachtung der Zusammenhänge von der Produktstrukturierung über die Ablauforganisation bis hin zur notwendigen Systemunterstützung zum Ziel. Im vorliegenden Beitrag wird am Beispiel der NEOMAN Bus GmbH die Vorgehensweise zur Reorganisation der Prozesskette VertriebTechnik-Produktion dargestellt. Einen Schwerpunkt bildet hierbei die Methodik zur kundenorientierten Produktstrukturierung, die die Basis für die Produktkonfiguration und damit für die wirksame Präsentation gegenüber dem Kunden darstellt. Hieraus abgeleitet werden die ablauforganisatorischen Änderungen hin zu einer teamorientierten Arbeitsweise über der gesamten Auftragsabwicklung. Zur Unterstützung dieser Veränderungen wurde ein EDV-System entwickelt, das die beschriebene Prozesskette von der Angebotsabgabe bis zum Anstoß der Produktion unterstützt. 6.1.2 Problemstellung Grundlage der organisatorischen Ausrichtung einer Auftragsabwicklung muss die Analyse der Produkt- und Produktionsstruktur eines Unternehmens sein. In den Anfängen der industriellen Produktion hat Taylor mit der Propagierung einer sehr starken Aufgliederung der Arbeit in kleine Schritte mit vergleichsweise einfachem Arbeitsinhalt eine bestimmte Form der Ablauforganisation geprägt. Diese sequentielle Arbeitsweise wurde auch in die Bereiche übernommen, die der Fertigung vorgelagert sind. Diese Art der Aufgliederung des Arbeitsablaufes hat abhängig von dem zu

202

6 Beiträge aus der Praxis

fertigenden Produkt und der Organisation in der Fertigung auch heute noch seine Berechtigung. Moderne Arbeitsformen wie die Gruppenarbeit oder der Aufbau von Fertigungsinseln müssen aus der Produktionsstruktur abzuleiten sein. Niedrige Produktionsstückzahlen, eine hohe Variantenvielfalt und lange Durchlaufzeiten sind Indikatoren für die Notwendigkeit einer Abkehr vom Taylorismus. Am Beispiel des Nutzfahrzeugbaus sind diese Unterschiede deutlich zu erkennen. Während bei der LkwProduktion bei rund zwei Tagen Durchlaufzeit etwa 40 bis 70 Stunden Arbeitsinhalt zu verzeichnen sind, muss für einen Omnibus bei 30 bis 50 Tagen Durchlaufzeit ein Arbeitsinhalt von 1400 bis 1600 Stunden abgearbeitet werden. Dieses Beispiel macht deutlich, dass eine tayloristische Arbeitsweise, wie sie für die Lkw-Produktion im Sinne einer Serienfertigung richtigerweise angewendet wird, in der Omnibusherstellung erhebliche Nachteile mit sich bringt. Veränderungen in der Auftragsabwicklung müssen über die gesamte Prozesskette von der Angebotserstellung bis zur Fahrzeugauslieferung greifen, um die vorhandenen Rationalisierungspotentiale freizusetzen. Die Anforderungen, die mit den nachfolgend beschriebenen Maßnahmen zu erfüllen sind, zeigt die Abbildung 6-1. prozentualer Anteil an "sicheren" VkGr

Angebot 0,5 PP

Soll-Zustand Auftragsbestätigung 2,5 PP

techn. Freigabe

Beginn Produktion

4 PP

Durchlaufzeitverkürzung

6 PP

100%

50%

zeitlicher Auftragsdurchfluß

0%

1 PP

Angebot

4 PP

technische Freigabe

11 PP

Beginn Produktion

Ist-Zustand

Kundenanfrage 1 PP => 7 Arbeitstage

7 PP

Auftragbestätigung

Auftragsklärung

Auftragsbearbeitung in der Technik und Materialwirtschaft

Auftragsbearbeitung in der Produktionsvorbereitung

Abb. 6-1. Anforderungen an eine logistikgerechte Auftragsabwicklung

Durch eine teamorientierte Arbeitsweise schon im Angebotsstadium wird die Durchlaufzeit gegenüber einer sequentiellen Arbeitsweise ver-

6.1 Kundenindividuelle Produktstruktur am Beispiel Omnibus

203

kürzt. Hinzu kommt die frühere Bestimmung des technisch geprüften Lieferumfangs. Hierdurch wird die Bearbeitung in der Technik bei Verwendung von vorab dokumentierter Sonderausstattung nahezu vermieden. Durch frühzeitige Dispositionsmöglichkeiten ergeben sich Bestandsreduzierungen und eine Beruhigung des Fertigungsablaufs, da sich die Anzahl der Nachträge und Konstruktionsänderungen hierdurch verringern lässt. Strategische Produktplanung Fertigung

Marktanforderungen Gesetze, Normen

Produktstruktur

Technologische Entwicklungen

Technik

Vertrieb

Definition der geplanten Produktionsdaten Beschreibung der kundenrelevanten Kriterien Vorgabe der Stücklistenstruktur Einfluß von Materialdisposition u. Fertigung/Montage

Definition von Verkaufs- und Produktstruktur Produktkonfiguration

Kundensicht äußere Vielfalt

Techniksicht innere Vielfalt

Zwänge + Verbote techn. Prüfung Vertriebsunterstützung

Ableitung der Prozeßkette "Vertrieb-Technik-Fertigung"

Kunde

Programmplanung

Materialdisposition

Fertigung

Auftragsbeschreibung KSW-Beschreibung

Technik Vertrieb

Technik

Abb. 6-2. Strategische Produkt- und Produktionsentwicklung

204

6 Beiträge aus der Praxis

Diese Veränderungen in der Auftragsabwicklung müssen schon im Rahmen der Produktneuentwicklung Berücksichtigung finden, indem komplexe Projekte innerhalb eines Simultaneous Engineering-Prozesses (SE-Prozess) mit allen beteiligten Bereichen gestaltet werden. Grundsätzlich wird hierzu ausgehend von der strategischen Produktplanung durch die Erstellung eines Lastenheftes die sich ergebende Produktstruktur in Form eines Pflichtenheftes definiert (Abbildung 6-2). Die Trennung in eine äußere und eine innere Variantenvielfalt ergibt nun implizit die Ableitung der notwendigen Prozesskette für die Auftragsabwicklung. Die äußere Variantenvielfalt wird durch die technischen Randbedingungen in die innere Variantenvielfalt der Stücklisten umgesetzt und wirkt somit direkt zum Beispiel auf die Disposition und Beschaffung von Haus- und Kaufteilen. Die Trennung des dokumentierten vom undokumentierten Anteil des Produktes ermöglicht die Entwicklung von Abläufen zur verbesserten Vordisposition und zur Steuerung von Materialabrufen im Auftragsfall. Organisatorische Randbedingungen der Konfiguration Die Einführung eines Variantenmanagements erfordert neben den rein technischen Aspekten die Berücksichtigung des organisatorischen Umfelds.

Abb. 6-3. Organisatorische Randbedingungen der Konfiguration (Bieniek 2001)

In Abbildung 6-3 sind die bei der Entwicklung des Konfigurationssystems im Omnibusbereich der MAN zu beachtenden Randbedingungen und umgesetzten Maßnahmen dargestellt. Der Ist-Zustand war geprägt durch

6.1 Kundenindividuelle Produktstruktur am Beispiel Omnibus

205

die räumliche Trennung der Serien- und der Anpasskonstruktion. Hierdurch konnten Erkenntnisse innerhalb eines Bereichs im jeweils anderen Bereich nicht genutzt werden, um durch eine geeignete Produktstrukturierung den auftragsbezogenen Konstruktionsanteil zu minimieren. Nach der Umsetzung des Projektes ist nun keine Unterscheidung in dieser Hinsicht mehr vorhanden. Der Omnibus wird nach seinen Konstruktionsgruppen unterteilt, ohne zwischen der Serienentwicklung und der kundenbezogenen Anpasskonstruktion zu unterscheiden. Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Motivation zur Anwendung eines EDV-gestützten Tools hat die Schaffung eines zielkonformen Anreizsystems für die Verkäufer. Nur wenn hier ein entsprechender „Mehrwert“ sichtbar wird, ist eine dem Gesamtprozesses entsprechende Nutzung zu erwarten. Dieser Mehrwert kann sowohl monetärer Natur sein als auch in einer Arbeitserleichterung für den Anwender bestehen. Die beschriebene Zusammenführung von Serienentwicklung und Anpasskonstruktion war die Voraussetzung zur variantenorientierten Produktgestaltung. Nur durch die Gesamtsicht auf mögliche Varianten und die Berücksichtigung in einer Konstruktionsmatrix ist die Vermeidung von kosten- und zeitaufwändigen Anpassentwicklungen möglich. Durch diese Vorgehensweise ist erst die Schaffung einer Datengrundlage für ein technisch abgesichertes und den Kundenwünschen entsprechend gefülltes Konfigurationssystem möglich. Die Verringerung der Restriktionen ist erforderlich, um eine Vereinfachung bei der Pflege der Wissensbasis für die Verknüpfung von technischer und vertrieblicher Sicht als Voraussetzung für ein Konfigurationssystem zu erreichen. EDV-technische Randbedingungen der Konfiguration Für die Entwicklung eines EDV-gestützten Konfigurators ergeben sich Randbedingungen, deren Beachtung für den wirtschaftlichen Einsatz unabdingbar ist (Abbildung 6-4). Wirtschaftlichkeit der Datenpflege

Robustheit bei unvollständiger technischer Dokumentation

Stabilität gegenüber einer hohen Änderungsdynamik der Produktdokumentation

Flexibilität & Kompatibilität für den Betrieb in Netzwerkorganisationen

Abb. 6-4. EDV-technische Randbedingungen der Konfiguration (Bieniek 2001)

206

6 Beiträge aus der Praxis

Wesentlich für die sinnvolle Nutzung der EDV sind die Organisation und die Unterstützung der Stammdatenpflege. Die Bedeutung des rechtzeitigen Updates für die korrekte Konfiguration wird häufig unterschätzt. Insofern sind Hilfsmittel für die schnelle und vor allem richtige Erzeugung der Stammdaten zu schaffen. Wesentlich für den störungsfreien Einsatz des Konfigurators sind die Robustheit und Stabilität auch bei unvollständiger Dokumentation. Es ist schon bei der Konzeption der Datenstruktur zu bedenken, wie das System bei unscharfer Füllung mit Daten reagiert bzw. wie man den Anwender dennoch zu sinnvollen Eingaben führt, um diesen Mangel zu umgehen. Hierzu dienen z. B. abgestufte Lösungen mit einer schrittweisen Ergänzung der Daten beispielsweise in einer „Clearing“Stelle, die die Lieferumfangsbeschreibungen gegen den aktuellen Datenstand prüft und entsprechend ergänzt. Das Konfigurationssystem muss auf den Betrieb in einer vernetzten Systemumgebung ausgelegt sein, um flexibel an organisatorische Veränderungen und Erweiterungen sowohl im systemtechnischen als auch im organisatorischen Bereich anpassbar zu sein. Hierbei ist sowohl an aufbauorganisatorische als auch an ablauforganisatorische Veränderungen zu denken. Moderne Client-Server-Umgebungen bieten gute Voraussetzungen für eine skalierbare und flexibel einsetzbare Lösung. Noch weitergehende Vorteile ergeben sich bei Nutzung der WebTechnologie als weltweit einsetzbares Medium. 6.1.3 Gestaltung einer logistikgerechten Auftragsabwicklung Die Gestaltung einer logistikgerechten Auftragsabwicklung ist mit Veränderungen in den drei Teilbereichen x Produktstrukturierung, x Ablauforganisation und x Systemunterstützung verknüpft, die voneinander abhängig sind und nur bei gemeinsamer Realisierung zum Ziel führen (Abbildung 6-5). Die Produktstrukturierung verfolgt das Ziel der Reduzierung der undokumentierten Variantenvielfalt. Die besonderen Anforderungen eines komplexen und auf den Kunden zugeschnittenen Produktes werden so berücksichtigt. Durch die gestiegenen Marktanforderungen lässt sich der Verkauf eines Erzeugnisses häufig nur noch durch die vollständige Erfüllung aller Kundensonderwünsche (KSW) realisieren. Hierzu kann man einmal auf der Grundlage einer Basiskonstruktion kundenbezogene Sonderkonstruktionen vorsehen oder durch die weitgehende Abdeckung aller vertriebsseitig zu ermittelnden Sonderwünsche eine vollständige Varian-

6.1 Kundenindividuelle Produktstruktur am Beispiel Omnibus

207

tenkonstruktion und Seriendokumentation anstreben. Im letztgenannten Fall stellt man sozusagen die Konstruktionszeit an den Anfang der Produktentwicklung und spart dadurch im Auftragsfall wertvolle Durchlaufzeit. Hierzu muss das Produkt aus standardisierten Baugruppen im Sinne einer Baukastensystematik bestehen und in hohem Maße modularisiert sein, um einzelne Kundenwünsche durch die Kombination von Baugruppen mit geeigneten Schnittstellen abdecken zu können.

Zielsetzungen Reduzierung der undokumentierten Variantenvielfalt

Vereinfachung und Verkürzung der Prozeßkette "Vertrieb-Technik-Fertigung"

Kundenorientierte Produktpräsentation

GloBus Produktstrukturierung

Ablauforganisation

Systemunterstützung

Realisierungsschritte Modularisierung Standardisierung

Teamarbeit Vertrieb/Technik/Fertigung

Sichere Produktkonfiguration und Angebotserstellung

Abb. 6-5. Zielsetzungen und Realisierungsschritte

Der zweite Schwerpunkt ist die Gestaltung der Prozesskette „VertriebTechnik-Produktion“ (Ablauforganisation). Im Omnibusbau vorliegende Randbedingungen, wie geringe Auftragsstückzahlen, hohe Variantenvielfalt und lange Durchlaufzeiten, machen eine Ablauforganisation erforderlich, die den Auftragsbezug über die ganze Auftragsabwicklung beibehält. Nur so kann bei einer kundenindividuellen Produktion eine Vermeidung von Fehlern im Lieferumfang schon im Angebotsstadium und später auch bei der Auftragsklärung und der Produktionsvorbereitung erreicht werden. Schließlich muss gerade wegen der stärkeren Modularisierung des Produktes ein Werkzeug zur Produktkonfiguration geschaffen werden (Systemunterstützung), das die technisch abgesicherte Angebotserstellung gewährleistet. Dieses EDV-Werkzeug unterstützt die Projektteams bei der Kundenberatung und stellt den reibungslosen Übergang der Daten in das PPS-System für die produktionsnahe Auftragsabwicklung sicher.

208

6 Beiträge aus der Praxis

6.1.4 Entwicklung des Konfigurationssystems

Produktstrukturierung Wenn man eine Einordnung der eigenen Produktstruktur nach den Kriterien x Kurze Durchlaufzeit bzw. niedrige Stückpreise und x Kundenindividualität vornimmt, lassen sich Extreme in den Ausprägungen finden (Abbildung 6-6). Produktpalette

Auftragsabwicklung

Menge aller möglichen Produktvarianten

Menge aller realisierten Produktvarianten

kurze Durchlaufzeiten niedrige Stückpreise

Klärungsgrad

Idealzustand

"Massenfertiger"

Durchlaufzeit

Ziel-Zustand

MAN Klärungsgrad

"Kundenfertiger" Kundenindividualität Durchlaufzeit

Abb. 6-6. Verbesserung der Marktposition durch Produktmodularisierung

Auf der einen Seite befindet sich die Massenfertigung ohne Kundenanpassung und auf der anderen Seite der Anlagenbau, der nur im Auftragsfall fertigt. Spezifische Anforderungen im Omnibusbereich verlangen nun die Produktionsstruktur einer Serienfertigung verbunden mit der Kundenorientierung des Anlagenbaus. Dies zu vereinbaren ist nun Aufgabe der Definition einer geeigneten Produktstruktur. Ziel bei der Schaffung einer solchen Produktstruktur ist die Gewährleistung eines Maximums an Kundenindividualität, die sich in der äußeren Variantenvielfalt widerspiegelt, ohne im Auftragsfall direkt auf die innere Variantenvielfalt der technischen Dokumentation einzuwirken (Abbildung

6.1 Kundenindividuelle Produktstruktur am Beispiel Omnibus

209

6-7). Dies muss durch geeignete Produktmodularisierung und Produktstandardisierung erreicht werden. Variantenvielfalt ist gekennzeichnet durch die Anzahl der unterschiedlichen Ausführungsformen eines Teiles, einer Baugruppe oder eines Produktes

Markteinflüsse Unternehmensstrategien Gesetze, Normen, Richtlinien

Äußere Vielfalt

Für den Kunden erkennbare nach außen wirkende Vielfalt eines Produktes

Randbedingungen aus:

Konstruktion Planung Produktion

Innere Vielfalt

In der Produktion auftretende Vielfalt an Baugruppen und Teilen

Abb. 6-7. Gegenüberstellung von äußerer und innerer Variantenvielfalt

nach Modularisierung

vor Modularisierung

In Abbildung 6-8 ist anhand eines Zahlenbeispiels dargestellt, wie eine überproportionale Erhöhung der äußeren Variantenvielfalt aus einer modularisierten Gestaltung des Produktes resultieren kann. Innere Varianten

Äußere Varianten

4 Module mit je 3 Varianten

81 Varianten

16 Module mit je 3 Varianten

ca. 43 Millionen Varianten

+ Erhöhung der äußeren Variantenvielfalt bei gleicher innerer Vielfalt - Erhöhung des Aufwands bei der manuellen Produktkonfiguration

weniger KSW Systemunterstützung

Abb. 6-8. Erhöhung der äußeren Variantenvielfalt durch Modularisierung

210

6 Beiträge aus der Praxis

Aus dieser Erhöhung der äußeren Vielfalt ergibt sich auf der einen Seite eine deutliche Verringerung der notwendigen Anpassungskonstruktion im Auftragsfall, da eine entsprechende „Menükarte“ für den Kunden vorhanden ist. Auf der anderen Seite wird aber eine Systemunterstützung benötigt, um diese Vielfalt in der Auftragsabwicklung handhaben zu können. Diese Systemunterstützung besteht aus einem Regelwerk, dass die Verbindung der äußeren und der inneren Variantenvielfalt sicherstellt und somit eine Zusammenfügung der einzelnen Module eines Produktes in Form eines „Puzzles“ für die auftragsbezogene Zusammenstellung der technischen Dokumentation ermöglicht (Abbildung 6-9).

Hersteller: - Recaro - Isringhausen - Grammer Farbe: - Grau - Gelb - Grün

Alternative Modul

Identifikation

Verbote

Zwänge

Produktstruktur

Regelwerk

Kundenrelevante Kriterien

Abb. 6-9. Produktstruktur und Regelwerk als Basis der Konfiguration

Die Vorgehensweise zur Standardisierung und Modularisierung des Produktes besteht aus den Schritten x Analyse, x Neustrukturierung und x Synthese (Abbildung 6-10). Ziel ist der Übergang von einer unbekannten Variantenvielfalt auf eine bekannte aber endliche Vielfalt. Diese ist insbesondere im Bereich der Technik vergrößert gegenüber dem Ist-Zustand. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vorher dokumentierte Variantenvielfalt nur scheinbar so gering war. Im Auftragsfall wurde in Ermangelung einer entsprechenden äußeren Variantenvielfalt kundenbezogen dazukonstruiert, so dass man von einer nicht bekannten und damit im Prinzip unendlich gro-

6.1 Kundenindividuelle Produktstruktur am Beispiel Omnibus

211

ßen Variantenvielfalt ausgehen kann. Insofern resultiert aus der dargestellten Vorgehensweise keine Erhöhung, sondern eine Verringerung der Variantenvielfalt mit den positiven Auswirkungen auf Durchlaufzeit, Konstruktionsaufwand und Dispositionssicherheit. Standardisierung/ Modularisierung 1.

Analyse

1.1. KSW-Baugruppen 1.2. Problembereiche des Busses (Bestuhlung, Schlösser etc.) 2.

Reduzierung der Variantenvielfalt von auf einen dokumentierten Serienstand führt zu beschleunigtem Durchlauf vom Vertrieb in die Fertigung mit abgesicherten Ergebnissen 8

nicht kundenorientierte Seriendokumentation (großer Lieferumfang pro Stückliste) führt zu hohem Bearbeitungsaufwand bei Auftragsklärung und -abwicklung

Neustrukturierung

2.1. Kriterien für die Überführung von Schwerpunkt-KSW in die Seriendokumentation 2.2. Problembereich kundenorientiert strukturieren 3.

Synthese

3.1. Abgleich von Kundenkriterien und technischen Lieferumfang unter Berücksichtigung der EDV 3.2. Seriendokumentation ergänzen

Abb. 6-10. Vorgehensweise zur Produktstrukturierung

Wenn man die Anforderungen an die Produktstruktur im Rahmen der Auftragsabwicklung charakterisiert, so sind drei Sichtweisen zu unterscheiden. Die Sichtweise des Vertriebs beschreibt die kundenrelevanten Produkteigenschaften in Form von bestimmten Kriterien. Die Technik muss den beschriebenen Lieferumfang in Stücklisten übersetzen, welche die technische Dokumentation darstellen. Die Fertigung muss eine dem Produktionsablauf entsprechende Disposition und Teilebereitstellung organisieren. Diese verschiedenen Sichtweisen bedingen Übersetzungsprobleme, die aber trotzdem systematisierbar sind. In Abbildung 6-11 ist das Prinzip der Produktstrukturierung dargestellt. Durch eine Trennung der Produkteigenschaften von der technischen Beschreibung in Form von Stücklisten ist eine algorithmisierbare Verbindung in Form eines Regelwerkes möglich. Die Produkteigenschaften werden als Codes bezeichnet, die über ein Regelwerk aus Zwängen und Verboten mit der technischen Dokumentation in Form von Stücklisten verbunden werden. Hierdurch erreicht man eine Trennung zwischen der Verkaufsgruppenebene, die einem starken Änderungsaufwand durch Neu- und Weiterentwicklung unterliegt, und der für den Kunden sichtbaren Ebene der Produkteigenschaften, die weitgehend konstant gehalten werden kann und sich beispielsweise bei Produktaufwertungen ändert.

212

6 Beiträge aus der Praxis

Bei der Ermittlung der Produkteigenschaften werden in den kundenrelevanten Bereichen Kriterien eindeutig festgelegt. Diesen Kriterien werden anschließend Ausprägungen zugeordnet, die als Codes die Ebene der Produkteigenschaften darstellen. Die so entstandene Unterlage dient als Pflichtenheft und damit als Grundlage der konstruktiven Gestaltung des Produktes. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Kundenwünsche als Eingangsgröße der Konstruktion dienen und somit ein den Markterfordernissen entsprechendes Produkt entsteht. Code-Ebene

Beschreibung von Produkteigenschaften

Entkopplung von Kundenwünschen und technischer Dokumentation

Zwänge und Verbote

Verknüpfung von Produkteigenschaften mit der technischen Dokumentation

Verkaufsunterstützung durch Konfiguration

Kundenorientierte Darstellung von lieferbaren Eigenschaften Integration der Machbarkeitsuntersuchung

Bugscheibe

VerkaufsgruppenEbene

Technische Dokumentation in Form von Stücklisten

xxx 111 xxx 112 xxx 113 xxx 114

Scheibenwaschanlage/-Elektrik xxx 125 xxx 126

Abb. 6-11. Grundsätze der Produktstrukturierung

Abbildung 6-12 verdeutlicht die Funktionsweise der Verschlüsselung. Die Code-Struktur ist die Eingangsgröße des Algorithmus. Die gewählten Codes bilden die Kundenwünsche im Zusammenhang ab. Schon auf dieser Ebene können Verbote oder Zwänge zwischen verschiedenen Produkteigenschaften abgebildet und berücksichtigt werden. Die Stücklistenstruktur kann in weiten Grenzen unabhängig von der Code-Struktur nach technischen Gegebenheiten oder in Bezug auf Anforderungen der Disposition aufgebaut werden. Den Zusammenhang zwischen den Codes (äußere Variantenvielfalt) und den Verkaufsgruppen (innere Variantenvielfalt) stellt ein Regelwerk in Form von Boolscher Algebra her. Diese Regeln werden im zentralen System der Auftragsabwicklung für jede vorhandene Verkaufsgruppe abgelegt. Im Auftragsfall wird der vollständige Lieferumfang in mit Hilfe der Code-Struktur dargestellt. Die technische Prüfung filtert nun bezüglich dieses Zusammenhangs die gültigen Verkaufsgruppen heraus.

6.1 Kundenindividuelle Produktstruktur am Beispiel Omnibus

213

Wesentlicher Vorteil hierbei ist, dass zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Auftragsabwicklung Daten für die Vordisposition zur Verfügung stehen, ohne dass konstruktiver Aufwand betrieben werden muss. Codestruktur Hauptbereich:

Verglasung und Außenspiegel

Bereich: Kriterium: Ausprägung: Codenr.:

Verbote

(Code - Code) Kombinationen nicht (¬) möglich

1¬6

Verbote

(VkGr - VkGr)

xxx 111 ¬ xxx 102 xxx 112 ¬ xxx 102 xxx 113 ¬ xxx 101 xxx 114 ¬ xxx 101 xxx 125 ¬ xxx 102 xxx 126 ¬ xxx 101 xxx 169 ¬ xxx 101

Bugscheibe Teilung

Ungeteilt 1

Sonnenschutz

Tönung (Bandfilter)

Geteilt 2

Grün 3

Bronze 4

Bugscheibenrollo Durchgehend 5

Einseitig 6

Beziehungen = wenn ^ und

xxx 101 = 1 xxx 102 = 2 xxx 111 = 1 ^ 3 xxx 112 = 1 ^ 4 xxx 113 = 2 ^ 3 xxx 114 = 2 ^ 4 xxx 125 = 1 xxx 126 = 2 xxx 168 = 5 xxx 169 = 6

Verkaufsgruppenstruktur VkGr-Art: VkGr:

Sonnenrollo xxx 168 xxx 169

Buggerippe

Bugscheibe

xxx 101 xxx 102

xxx 111 xxx 112 xxx 113 xxx 114

Abb. 6-12. Funktionsweise der Verschlüsselung

Scheibenwaschanlage/-Elektrik xxx 125 xxx 126

214

6 Beiträge aus der Praxis

Systemunterstützung In der Form der Systemunterstützung finden sich die Anforderungen aus Produktstrukturierung und Ablauforganisation wieder. Das System ermöglicht die Konfiguration von Omnibussen nach ihren Eigenschaften und hieraus die Generierung bepreister und technisch geprüfter Angebote. Die Verwendung von Notebooks erlaubt es Außendienstmitarbeitern, das Konfigurationssystem direkt beim Kunden einzusetzen.Über ein zentrales PCNetz werden die Aufträge als Bestelltransfersätze in das zentrale Auftragsabwicklungssystem (AVIS) übertragen und stehen für die Weiterbearbeitung der Disposition und Fertigungssteuerung zur Verfügung (Abbildung 6-13). Die beschriebene Verschlüsselung findet im führenden System AVIS statt, in dem die Stammdaten für das Konfigurationssystem „eCON“ generiert werden. Verschlüsseler

Administrator

Innendienst

Verkäufer

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InOut

Konfig TabellenNamensgebung:

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Kunde

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Angeb

Priv

Abb. 6-13. Struktur von „eCON“

Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Sicherstellung vollständiger Angebote mit möglichst geringer Notwendigkeit zur konstruktiven Nachbearbeitung von undokumentierten Sonderwünschen. Durch die starke Modularisierung des Produktes können umfassende kundenspezifische Konstruktionen zur Erfüllung von Sonderwünschen vermieden werden. Die Abbildung 6-14 zeigt die grafisch unterstützte Produktkonfiguration am Beispiel der Innenausstattung eines Standard-Linienbusses, die erst durch die Modularisierung der Produktstruktur ermöglicht wurde. Die grafische Darstellung ist ähnlich einem CAD-System so aufgebaut, dass die betrachteten Ausstattungsmerkmale in Schichten ein- und ausgeblendet werden können. Die entsprechenden Ergebnisse können in Form von Gra-

6.1 Kundenindividuelle Produktstruktur am Beispiel Omnibus

215

fiken ausgedruckt werden. Ähnliche Unterstützung gibt es auch für die Seitenscheibenkonfiguration und für die Stoff- und Verkleidungsauswahl. Das System ermöglicht die Darstellung der Preise und den Ausdruck vollständiger Angebotsbeschreibungen.

Abb. 6-14. Grafisch unterstützte Konfiguration

Gerade durch den weltweiten Einsatz des Systems hat sich die Notwendigkeit ergeben, auf länderspezifische Fahrzeugausprägungen einzugehen. Deswegen wird es in der nächsten Realisierungsstufe von „eCON“ die Möglichkeit zur Abbildung so genannter regionaler Basisfahrzeuge geben. Es gestattet Importeuren die Adaption des Weltfahrzeugprogramms hinsichtlich länderbezogen angepasster Fahrzeuge (Abbildung 6-15). Darüber hinaus wird die Einschränkung der länderbezogen sichtbaren Varianz zugelassen. Zusätzlich können Ausstattungspakete unter Einbeziehung einer strategischen Preisbildung zusammengestellt werden. Diese drei Maßnahmen sollen die Konfiguration für den Anwender weiter vereinfachen und zu einer schnellen, sicheren und freitextfreien Konfiguration führen. Diese bewussten Einschränkungen im Hinblick auf die Vereinfachung der Konfiguration sind aber nur für den normalen Anwender vorhanden. Für eingeschränkte Nutzerkreise, gerade im Rahmen des Ausschreibungsgeschäftes,

216

6 Beiträge aus der Praxis

wird ein so genannter „Expertenmodus“ vorgesehen, in dem weiter die ganze Breite der Ausstattungsvarianten angezeigt werden kann.

Abb. 6-15. Darstellung des länderbezogenen Basisfahrzeuges

6.1.5 Nutzenbetrachtung Durch die kundenorientierte Produktpräsentation und Konfiguration lässt sich trotz einer Einzel- und Kleinserienfertigung der Anteil der nicht dokumentierten Varianten drastisch reduzieren. Hierdurch ergibt sich nicht nur eine Einsparung der Konstruktionszeit pro Auftrag, sondern auch eine Beruhigung des Auftragsdurchlaufes insgesamt. Durch die hohe Konfigurationssicherheit werden Falschbauten und Missverständnisse auch in der Fertigung vermieden. Die Mehr- und Ausschusskosten sinken und die Qualität der Produkte steigt. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit, da mit der modularen Produktstruktur und Variantenbildung Kundenwünsche mit vorhandener Dokumentation lösbar sind. Durch die teamorientierte Ablauforganisation wird die permanente Abstimmung über den Auftragsstand erreicht. Durch die Parallelisierung und

6.1 Kundenindividuelle Produktstruktur am Beispiel Omnibus

217

Angebotsphase 14 AT

Kundenentscheidung

Auftragsphase

30 AT

Umsetzungs- Konstruktionsphase phase

48 AT

Systemunterstützung

marktgerechtes Angebot kundenspez. Gliederung dokumentierte Verbote

Weniger KSW modulare, erweiterte Produktstruktur

Team Einschätzung:

Bearbeitung im Team feste Ansprechpartner

Vordefinierte Angebotstexte und Preise

geprüftes Einarbeiten in den Lieferumfang verbesserte Informationslogistik

Machbarkeit Kosten Termine

techn. Informationen

4 AT

Baukastenkomponenten Parallelisierung und Verzahnung

automatisches, techn. gesichertes Transformieren

logistikgerechte Datenbereitstellung

2 AT 30 AT

0 AT

Def. Verknüpfung zwischen Code u. VkGr

2 AT

12 AT

6 AT

54 AT

Ablauforganisation

Freigabe

25 AT 4 AT

Produktstruktur

123 AT

0 AT

Verzahnung der Auftragsabwicklung ist eine deutliche Durchlaufzeitreduzierung möglich. Die Systemunterstützung ermöglicht erst die Ausschöpfung der Rationalisierungspotentiale, welche durch die konsequente Modularisierung und Standardisierung der Produktstruktur aufgezeigt werden. Hierbei kommt besonders der Einsatz von Standard-Hardware und Anwendungssoftware zum Tragen, der den Einführungs- und Schulungsaufwand erheblich herabsetzt. Die entsprechenden Nutzenpotentiale sind in Abbildung 6-16 den einzelnen Betrachtungsbereichen des Projektes zugeordnet.

Abb. 6-16. Nutzenpotentiale in den der Produktion vorgelagerten Bereichen (AT = Arbeitstage)

Über den ursprünglich geplanten Einsatz des Konfigurators als Beschreibungsinstrument des Vertriebs hinaus haben sich im Fortgang des Projektes weitere Einsatzmöglichkeiten gezeigt (Abbildung 6-17). Der ursprüngliche Zweck von „eCON“ war die technisch abgesicherte Konfiguration von Omnibussen aus der Kundensicht heraus. Durch die Verschlüsselung wurde eine Techniksicht auf die Variantenvielfalt geschaffen. Bei Neuentwicklungen ergibt sich nun der Vorteil, dass die relativ stabile Kundensicht sofort für die Konfiguration zur Verfügung steht und Stammdaten für neue Typen und Grundfahrzeuge sehr kurzfristig im Wesentlichen durch Kopieren entstehen. Für die Materialwirtschaft ergab sich im alten Zustand der Auftragsabwicklung das Problem, dass die Dispostion erst nach Abschluss der konstruktiven Arbeiten auf die Informationen be-

218

6 Beiträge aus der Praxis

züglich des benötigten Teileumfangs zurückgreifen konnte. Nun wurde eine Schnittstelle vom Angebotssystem „eCON“ zur Vordisposition geschaffen, so dass bereits Angebotsbeschreibungen für die Vordisposition genutzt werden können. Dies führt in der Folge zu wesentlichen Verbesserungen bei der Reduzierung von Überbeständen und in der Fehlteilsituation. Die Treffergenauigkeit der Vordisposition hat sich durch diese Arbeitsweise verdoppelt.

Vertrieb

Technik

Materialwirtschaft

Produktion

technisch abgesicherte Konfiguration Darstellung der Variantenvielfalt aus Kundensicht

Nutzung der modularen Variantenstruktur Darstellung der Variantenvielfalt aus Techniksicht Vereinfachte Erzeugung von neuen Typen und GFZ

Nutzung von Beschreibungen zur Vordisposition Ergänzung der Disposition während des Konstruktionsprozesses

Änderungsmanagement über ein Nachtragsmodul

Abb. 6-17. Nutzung des Konfigurationssystems in Phasen des Auftragsabwicklungsprozesses

Um nachträgliche Änderungen des Lieferumfangs kontrolliert für die Produktion sichtbar zu machen, wurde eine Schnittestelle zwischen „eCON“ und dem Änderungsmanagement entwickelt. Mit dieser Informationsschnittstelle ist es für die Einsatzsteuerung möglich, Änderungen des Lieferumfangs zum frühesten, möglichen Zeitpunkt zu erkennen. Dieser

6.1 Kundenindividuelle Produktstruktur am Beispiel Omnibus

219

Zeitpunkt liegt vor der Einarbeitung der Änderung in den Montageauftrag. Diese Vorgehensweise bringt einen entscheidenden Zeitvorteil für die Materialbeschaffung und senkt somit das Risiko von Fehlteilen oder Falschbauten. In Abbildung 6-18 ist das Gesamtkonzept der Bausteine zur Variantenbeherrschung in der Produktion dargestellt, wobei das produktionsorientierte Änderungsmanagement die zentrale Rolle einnimmt. produktionsorientiertes Änderungsmanagement produktionsorientiertes Informationssystem für das Änderungsmanagement

Entscheidungsprozesse und Maßnahmenkataloge zur Reaktion auf Änderungen ©

Änderungen, Neuteile

Änderungen, Dokumentationsstand der Fzg.

Liefertermine für Neuteile

Fertigungssteuerung Aufbau einer kombinierten Druck-/Zugsteuerung Reichweitenermittlung bis zu ca. 14 Tage im voraus Fehlteilcontrolling Verbrauchssteuerung für © 336-53-02 Kleinteile

Montagereihenfolge, Eintrefftermine

Teileversorgung

348-86-02

Montagereihenfolge, Eintrefftermine

Montagesteuerung Planung der optimalen Montagereihenfolge unter Berücksichtigung von Teileversorgung, Liefertermin und Dokumentationsstand Prognose d. Eintrefftermins eines Fahrzeugs an jedem Montagestandort

Montagereihenfolge, Eintrefftermine

Personalverfügbarkeit

Personalsteuerung Ermittlung des benötigten Personalbedarfs 1 Woche im voraus Controllinginstrument zur Effizienzsteigerung des Personaleinsatzes

Abb. 6-18. Integriertes Konzept zur Optimierung der Variantenbeherrschung in der Produktion (Franke et al. 2002)

6.1.6 Zusammenfassung und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurde am Beispiel der NEOMAN Bus GmbH dargestellt, wie ausgehend von einer variantenorientierten Produktgestaltung und Produktstrukturierung ein System zur Produktkonfiguration entwickelt und in den Einsatz gebracht wurde. Diese Produktstrukturierung muss sowohl den Anforderungen des Vertriebs hinsichtlich der Darstellung der äußeren Variantenvielfalt als auch den Anforderungen der Produktion hinsichtlich Disposition, Materialbeschaffung und montagegerechter Stücklistengestaltung entsprechen. Nur durch eine Zusammenführung dieser manchmal widersprüchlichen Anforderungen über den gesamten Prozess und eine geeignete Systemunterstützung ist ein Synergieeffekt für einen gesteigerten Kunden- und Unternehmensnutzen zu erreichen. Das System liegt mittlerweile in einer webbasierten Version vor. Damit besteht weltweit die Möglichkeit, die Produktkonfiguration online auf ei-

220

6 Beiträge aus der Praxis

nem gemeinsamen Datenstand zu erstellen (Abbildung 6-19). Besonderer Vorteil dieser Vorgehensweise ist die gemeinsame Systemplattform auf Basis der Web-Technologie. Auf diese Weise ermöglicht ein Produktkonfigurationssystem die Zusammenführung von Marktentwicklungen und Auftragsdaten in der einen Richtung und einer orts- und systemunabhängigen Versorgung mit Stammdaten und somit technischen Know-how in der anderen Richtung.

Konstruktion und Entwicklung

Abb. 6-19. „eCON“ als Bindeglied zwischen Markt und Unternehmen

In der konsequenten Anwendung dieser Möglichkeiten liegt die Chance zum Aufbau weltweiter Netzwerke für die Auftragsabwicklung, die sowohl in unternehmensinternen als auch in unternehmensübergreifenden Produktionsverbünden genutzt werden können. 6.1.7 Literatur Bartuschat, M.: Beitrag zur Beherrschung der Variantenvielfalt in der Serienfertigung. Essen: Vulkan 1995. Bieniek, C.: Prozessorientierte Produktkonfiguration zur integrierten Auftragsabwicklung bei Variantenfertigern. Aachen: Shaker 2001. Westkämper, E.; Bieniek, C; Bartuschat, M.: Vom Angebot zum Auftrag mit erhöhter Dynamik. ZWF 90 (1995) 10, S. 487 – 489. Franke, H. J.; Hesselbach, J.; Huch, B.; Firchau, N.: Variantenmanagement in der Einzel- und Kleinserienfertigung. München: Hanser 2002.

6.2 Komplexitäts- und Variantenmanagement der AUDI AG K. Alders

6.2.1 Einleitung Bevor über Ursachen, Auswirkungen und Lösungswege im Bereich des Komplexitätsmanagements berichtet wird, ist zunächst eine Definition als Grundlage für das weitere Verständnis hilfreich. Es stellt sich oft heraus, dass verschiedene Teilnehmer einer Diskussion über den Komplexitätsbegriff sicher sind, eine klare Vorstellung darüber zu haben, was Komplexität ist. Im Verlauf der Argumentation zeigt sich dabei jedoch, dass es nahezu so viele Meinungen wie Gesprächspartner gibt. Zur Klärung der Begrifflichkeiten hat sich innerhalb der AUDI AG die in Abbildung 6-20 gezeigte Darstellung als anschaulich und leicht verständlich herausgestellt. Danach ist Komplexität das gleichzeitige Auftreten extremer Vielfalt und Veränderlichkeit.

Abb. 6-20. Einordnung komplexer Systeme

222

6 Beiträge aus der Praxis

Es zeigte sich, dass sich die persönlichen Definitionen größtenteils in dem von diesen zwei Achsen aufgespannten Feld wieder finden. Gleichzeitig ergaben sich aus dieser Darstellung weiterführende Diskussionen über den Betrachtungsumfang. So lassen sich mit dem Modell Handlungsfelder wie z. B. x Angebotskomplexität, x (technische) Produktkomplexität, x Prozesskomplexität oder x Entscheidungskomplexität gleichermaßen einordnen. Um den gewünschten Anwenderfokus nicht zu Gunsten einer wissenschaftlich umfassenden Betrachtung zu vernachlässigen, wurde das Themenfeld wie in Abbildung 6-21 gezeigt eingegrenzt.

Abb. 6-21. Handlungsfelder des Komplexitätsmanagements der AUDI AG

Hier lassen sich drei Stoßrichtungen zusammenfassen: x Reduzierung der Vielfalt x Reduzierung der Veränderungen x Reduzierung der Vielfalt und Veränderung. Maßnahmen, die zu einer sinnvollen Reduzierung der Vielfalt von Angebot und Technik beitragen, wirken direkt entgegen der Vielfaltsachse.

6.2 Komplexitäts- und Variantenmanagement der AUDI AG

223

Die Optimierung des Angebots wirkt dabei auf die Reduzierung von erkennbaren „Ladenhütern“ ein und hilft somit zur Reduzierung der externen Vielfalt. Modularisierung trägt dagegen zur Verringerung der internen Vielfalt bei, weil Bauteile zu Modulen zusammengefasst werden. Veränderungen ergeben sich durch permanente Neuentwicklung, aber auch durch Produkt- oder Prozessänderungen aus vielfältigen Gründen. Bei der Eindämmung von Veränderungen helfen ein effizientes Gleichteilemanagement (Carried over Parts, CoP) und moderne durchgängige Informationssysteme zur Steuerung und Dokumentation der Produktentstehung. Regeln, Methoden, einheitliche Werkzeuge und deren organisatorische Verankerung im Produktentstehungsprozess (PEP) wirken gleichermaßen auf Vielfalt und Veränderung ein. Der vorliegende Beitrag stellt auszugsweise Lösungsansätze zur Optimierung der Variantenvielfalt in Angebot und technischen Lösungen vor. Darüber hinaus werden Organisation, Methoden und Werkzeuge erläutert und Beispiele erfolgreicher Variantenoptimierung gezeigt. 6.2.2 Handlungsbedarf eskalierende Variantenvielfalt Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten zehn Jahre zeichnet sich durch eine ungeheure Dynamik aus. Alte Märkte sind weitgehend gesättigt und sind von einem immer härter werdenden Verdrängungswettbewerb gekennzeichnet. Neue Märkte entstehen nahezu über Nacht – brechen aber zum Teil auch genauso schnell wieder in sich zusammen. Unterentwickelte Wirtschaftsräume, wie Südostasien, gewinnen an Bedeutung, gleichzeitig aber auch in hohem Tempo an Kompetenz, was neben neuen Absatzchancen unmittelbar auch neue Wettbewerbssituationen für die etablierten Unternehmen erzeugt. Nicht zuletzt entwickeln sich auch Kunden und deren Bedürfnisse – vor allem durch die nahezu unbegrenzten Informationsmöglichkeiten wie z. B. das Internet – permanent weiter. Erfolgreiche Unternehmen besetzen mit immer neuen oder aufgewerteten Produkten Marktsegmente oder kleinere Nischen, um Kundenwünsche besser als Wettbewerber erfüllen zu können. Zum Teil werden Kundenwünsche durch Umsetzung unbewusster Bedürfnisse sogar erst generiert. Daraus ergeben sich jedoch auf Seiten der Hersteller durch immer aufwendigere Prozesse überproportionale Aufwendungen und Kosten, die sich in nahezu jedem Geschäftsbereich auswirken. Durch eine zunehmende Verlagerung der Wertschöpfung zu Lieferanten sind diese ganz besonders von der exponentiell wachsenden Vielfalt betroffen. Das technische Niveau der Fahrzeuge ist, nicht zuletzt wegen gestiegener Sicherheitsstandards, erheblich gewachsen. Darüber hinaus wird dem Kunden durch eine Vielzahl von Op-

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6 Beiträge aus der Praxis

tionen die Möglichkeit der individuellen Gestaltung seines Fahrzeugs geboten, ohne den Grundpreis durch Überfrachtung in die Höhe zu treiben. Die konstruktive Umsetzung führt dabei durch notwendige technische Kombinationen zu einer extrem hohen Anzahl an Bauteilvarianten. Diese weisen in der Regel extrem unterschiedliche Einbauraten auf, die im Bereich der Exoten gegen Null streben. Abbildung 6-22 zeigt dies am Beispiel des Dachmoduls des Audi A4. Die neun Funktionen x Innenraumbeleuchtung, x Leseleuchten, x Mikrofon der Freisprechanlage, x Sensoren der Innenraumüberwachung, x Schiebedachbetätigung, x Ambientebeleuchtung, x Kontrollleuchte für abgeschalteten Beifahrerairbag, x Telematikbedienung und x Koppelung mit automatisch abblendbarem Innenspiegel führen auf Basis der bestellbaren Optionen zu insgesamt 26 technischen Varianten, die jeweils in fünf unterschiedlichen, auf den Dachhimmel angepassten Farben angeboten werden. Insgesamt ergeben sich daraus 130 Teilevarianten, deren Stückzahlen sich zwischen über 300.000 bis hin zu ca. 20 Stück über die gesamte Laufzeit des A4 bewegen.

Abb. 6-22. Stückzahlverteilung des Dachmoduls des Audi A4

Eine derartige Vielfalt hat weit reichende Folgen wie z. B.:

6.2 Komplexitäts- und Variantenmanagement der AUDI AG

225

x Der Platz für die Bereitstellung der Teile an der Montagelinie reicht nicht aus. Dadurch müssen mit zusätzlichen Arbeitskräften in sog. Kommissionierzonen die Bauteile in eine auftragsgesteuerte Reihenfolge gebracht und in Losen an die Linie geliefert werden. x Die Disposition der Teile ist aufwendig. x Prozessbedingte Abläufe beim Lieferanten erfordern die Abnahme von Mindestmengen. Bei Exotenvarianten liegen die Bedarfsmengen deutlich unter den Mindestabnahmenmengen, was zu jahrelanger Kapitalbindung und abschließenden Verschrottungskosten beim Auslauf des Fahrzeugs führt. x Bei Modellpflegeänderungen im Farbprogramm können während der Anlaufphase bei ähnlichen Farben Montagefehler durch Verwechslung entstehen. x Technische Änderungen einzelner Funktionen müssen im Zusammenhang mit der Vielzahl weiterer Funktionen des Bauteils betrachtet werden. x Der Erprobungsaufwand aller Varianten wächst erheblich. x Die Preisverhandlungen zwischen Einkauf und Lieferanten sind aufwendig und der Gefahr der Intransparenz ausgesetzt. x Die Produktkalkulation auf Basis von ausgewählten Modellen (Berichtsmodelle, Referenzfahrzeuge, Ecktypen, usw.) verliert mit zunehmender Teilevielfalt mit großer Kostenspanne immer mehr an Aussagekraft. Damit entstehen wachsende finanzielle Belastungen und aufwendige Prozesse in nahezu allen Bereichen des Unternehmens sowie in der gesamten Wertschöpfungskette. 6.2.3 Projektauftrag Aufgrund der Gefahren einer eskalierenden Vielfalt für die Prozesssicherheit und für die Kostensituation wurde vom Vorstand der AUDI AG im Januar 2001 der Auftrag zur Entwicklung und Einführung eines durchgängigen Komplexitätsmanagements erteilt. Dabei wurde Wert auf pragmatische Lösungen, Einbeziehung aller betroffenen Bereiche und Hierarchieebenen, Integration in die bestehende Teamstruktur des „Simultaneous Engineering“ im Produktentstehungsprozess und Nachhaltigkeit gelegt. Es wurde auf die zahlreichen Vorgängerprojekte hingewiesen, die trotz viel versprechender Ansätze keine zufrieden stellenden Ergebnisse erzielten und durch die Schwierigkeit bei der Ermittlung und Bewertung der finanziellen Verbesserungen aus reduzierter Variantenanzahl implizit den Ein-

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6 Beiträge aus der Praxis

druck vermittelten, dass Variantenvielfalt keine negativen Folgen hätte – also weitere Varianten kostenfrei realisierbar wären. 6.2.4 Analyse bisheriger Lösungsansätze Die zahlreichen vorangegangenen Projekte zur Komplexitätsreduzierung waren in der Regel von der Logistik als einem der Hauptleidtragenden getrieben. Die durchgeführten Ursachenanalysen und Lösungsmöglichkeiten ergaben, dass der Schlüssel zur Variantenreduzierung in der Produktgestaltung lag. Dabei ergab sich jedoch die Erkenntnis, dass eine nachträgliche Reduzierung keine Einsparungen erwarten ließ, für die technische Entwicklung jedoch zusätzlichen Aufwand bedeutet hätte. In Einzelfällen kam es dabei auch zu Schuldzuweisungen der Bereiche und Verstimmungen, welche die weitere Arbeit am Thema erschwerten. Abbildung 6-23 zeigt die Entstehung der Varianten über der Zeitachse des Produktentstehungs- und Herstellungsprozesses.

Abb. 6-23. Ursprünglicher zeitlicher Verlauf der Entstehung von Varianten

Der gestrichelte Verlauf deutet dabei an, dass die Hauptbetroffenen die entstehende Variantenanzahl relativ spät erkannten, während grundlegende Weichen in der Entwicklung bereits gestellt waren. Nach Ausplanung der Teilebereitstellung durch die Logistikplanung ergaben sich Platzbedarfe, die auf den bestehenden Flächen der Montage nicht mehr darstellbar waren. Daraus resultierten Kommissionierumfänge, die neben weiterem Flächenbedarf in Nebengebäuden oder -geschossen auch einen zusätzlichen Einsatz von Arbeitskräften erforderten, der nicht geplant war und sich somit als Targetüberschreitung auf die Fertigung auswirkte. Um dem entge-

6.2 Komplexitäts- und Variantenmanagement der AUDI AG

227

genzuwirken, unternahm die Fertigung erhebliche Anstrengungen, um mit der Entwicklung zu einer Variantenreduzierung zu gelangen oder entwickelte kreative Lösungen zur Beherrschung der Vielfalt mit geringerem Ressourceneinsatz. Die daraus entstandene Flexibilität, variantenreiche Bauteile kostengünstig zu handhaben, reduzierte allerdings auch den Handlungsbedarf künftiger Variantenreduzierungen. Dies führte u. a. zu erheblichen Variantenzuwächsen bei folgenden Modellpflegen und Produktaufwertungen. Es wurde der Versuch unternommen, Komplexitätskosten – also die Kosten, die im Unternehmen durch die Vielfalt an sich entstehen – durch eine Kostenpauschale je Teilenummer zu ermitteln. So sollte die Variantenvielfalt bewertbar gemacht werden. Dies wurde nach relativ kurzer Zeit aufgegeben, da sich die so ermittelten Einsparungen aus reduzierten Teilenummern nicht tatsächlich umsetzen ließen. Dies liegt darin begründet, dass sich diese „Komplexitätskosten“ ausschließlich dem Gemeinkostenbereich zuordnen lassen, der im Wesentlichen aus Gehältern besteht, welche sich durch anteilig entfallende Vorgänge nicht verändern. 6.2.5 Lösungsansatz ganzheitliches Variantenmanagement Wie sich aus der Analyse der Vorgängerprojekte zeigte, lag der Grund für die minimalen Erfolge im zu späten Aktionszeitpunkt. Abbildung 6-24 zeigt die dabei auftretende Problematik der gegenläufigen Wahrnehmung und Beeinflussbarkeit von Varianten.

Abb. 6-24. Vorverlegung des Aktionszeitpunktes

Während die Wahrnehmung der bevorstehenden Variantenvielfalt mit dem Entwicklungsfortschritt steigt, nimmt gleichzeitig die Möglichkeit der Einflussnahme rapide ab. Der Zeitpunkt der Variantenbeeinflussung muss daher auf die Konzept- und Produktplanungsphase im Produktentste-

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6 Beiträge aus der Praxis

hungsprozess vorgezogen werden. Dies bedingt jedoch die Simulation möglicher zukünftiger Variantenszenarios, um grundlegende Entscheidungen im Hinblick auf ein optimales Verhältnis von Kundenbedürfnissen und Erlösen treffen zu können. Dabei war es besonders wichtig, den Fokus von einer grundsätzlichen Reduzierung der Varianten auf eine bewusste Optimierung der Vielfalt zu verändern. Abbildung 6-25 zeigt die Zusammenhänge zwischen Varianten, Erlösen und Kosten. Grundsätzlich sind Varianten im Sinne von Optionen dazu geeignet, dem Kunden die individuelle Gestaltung seines Wunschfahrzeuges zu ermöglichen. Insbesondere bei Premiumfahrzeugen ist dies ein elementarer Bestandteil des Angebots. Somit erhöht sich zunächst die Attraktivität des Angebots mit steigender Anzahl an Wahlmöglichkeiten, was zu höheren Absatzzahlen und auch mehr Erlösen führt. Falls die Vielfalt jedoch eher zu einer Überfrachtung führt, ergibt sich eine Sättigungsphase, die keine weiteren Erlöse generiert, sondern eventuell den Bestellvorgang zur Belastung für den Kunden werden lässt. Gleichzeitig steigen die Aufwendungen und Kosten der Varianten, insbesondere wirkt sich bei Exoten mit minimalen Verkaufsraten der Entwicklungs- und Investitionsaufwand massiv aus, was zu extremen Produktkosten führt. Es ist daher offensichtlich, dass der Fokus auf einem optimalen Ergebnis als Differenz aus Kosten und Erlös und nicht auf einer ausschließlichen Reduzierung der Kosten liegen sollte, wobei dieses Ergebnis durch eine optimale Vielfalt erzeugt werden muss.

Abb. 6-25. Der Bereich der optimalen Variantenvielfalt

Die Ermittlung der optimalen Variantenvielfalt ist die Kernaufgabe des Variantenmanagementprozesses, welcher im Jahr 2003 durch den Vor-

6.2 Komplexitäts- und Variantenmanagement der AUDI AG

229

stand des VW Konzerns verbindlich für alle Marken festgelegt wurde. Dabei wird die aktive Gestaltung der Varianten in einer dreistufigen Vorgehensweise als ausdrücklicher Schwerpunkt in den bestehenden Produktentstehungs-, Herstellungs- und Vermarktungsprozess integriert, wie Abbildung 6-26 zeigt. In der Planungsphase werden die Varianten aller bestehenden Schwerpunktbaugruppen der aktuellen Fahrzeuge und der damit verbundene Aufwand ermittelt und eine erste Zielvorstellung vereinbart. In der anschließenden Phase der Variantengestaltung werden die Ansätze bis zur Festschreibung im Lastenheft (LH) detailliert. Um einem anschließenden Ausufern der Varianten zu späteren Zeitpunkten entgegenzuwirken, wird der Prozess durch eine Controllingphase (Monitoring der Variantenvielfalt), die sich bis zum EOP (End of Production) erstreckt, abgerundet. Um dies sicherzustellen, wurde in alle Änderungsprozesse die Frage nach einer Veränderung der vereinbarten Variantenzahl integriert.

Abb. 6-26. Der Variantenmanagementprozess (V = Vertrieb, E = Entwicklung, B = Beschaffung, P = Produktion, SET = Simultaneous Engineering Team)

Transparenz als Basis interdisziplinärer Teamarbeit Wie sich in den frühen Phasen des Projektes herausstellte, bestehen bei den betroffenen Bereichen erheblich unterschiedliche Sichtweisen auf Va-

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6 Beiträge aus der Praxis

rianten. Mit der Einführung der einheitlichen Darstellung von Variantenzusammenhängen mit Hilfe von Variantenbäumen konnte eine Diskussionsplattform geschaffen werden, die den Bereichsvertretern das Verstehen der Sichtweise anderer Teammitglieder ermöglicht, wie Abbildung 6-27 zeigt. Am Beispiel des dargestellten Lenkradszenarios sind aus Sicht der Logistik als Teil der – variantenorientierten – Produktion 25 Varianten zu verzeichnen. Für die Beschaffung kann dies aber aufgrund einer DualSourcing-Strategie jeweils zwei Lieferantenindizes bedeuten, woraus sich 50 Varianten ergäben. Der Entwickler als Mitglied der funktionsorientierten Fraktion denkt eher an vier Varianten, da er ja nur vier funktionale Entwicklungen ausgeführt hat: x zum bestehenden 4-Speichenlenkrad eine 3-Speichenvariante x aus dem Kunststofflenkrad eine Ledervariante x Integration von Tasten für Multifunktion x Integration von Tasten für Schaltbetätigung Automatikgetriebe. Farben sind grundsätzlich aus Sicht des Kollegen vom Marketing wichtiger Angebotsbestandteil, während diese für den Entwickler lediglich Vermerke in den CAD-Zeichnungen bedeuten.

Abb. 6-27. Variantenbaum als Diskussionsplattform interdisziplinärer Teams

Die Darstellung des Variantenbaumes verdeutlicht für alle Teammitglieder die Zusammenhänge und bildet damit eine gemeinsame Basis für

6.2 Komplexitäts- und Variantenmanagement der AUDI AG

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alternative Gestaltung künftiger Bauteile in neuen Fahrzeugen. Eine besondere Bedeutung kommt jedoch, wie schon mehrfach erwähnt, der finanziellen Bewertung der bestehenden und geplanten Variantenszenarios zu. Finanzielle Bewertung alternativer Variantenszenarios Zunächst wird mit Hilfe von „Vamos“, der Visualisierungssoftware des VW Konzerns, die Varianz des aktuellen Modells als Szenario 1 beschrieben. Im Team werden gemeinsam daraus ein oder mehrere Alternativszenarios für das Neufahrzeugprojekt erstellt (Abbildung 6-28).

Abb. 6-28. Ausgangsbasis und Zukunftsszenarios

Diese werden angeregt durch Beiträge der vertretenen Teammitglieder. Die Analyse der Verkaufsraten des aktuellen Modells zeigt dabei verzichtbare Varianten mit Anteilen im 1/1000 Bereich und deren markante Gemeinsamkeiten. Die Software ermöglicht die sofortige Darstellung des durch Verzicht auf diese Optionen resultierenden Szenarios 2 und den veränderten voraussichtlichen Verkaufsraten. Durch Verlagerung der Farben in das Optionsgeschäft der Individualisierungsgesellschaft quattro GmbH – das heißt die Serienfertigung montiert ausschließlich schwarze Lenkräder – ergibt sich im nächsten Schritt Szenario 3, das aus Sicht der Logistik optimal wäre, da sich hierdurch das Kommissionieren vermeiden ließe. Zur Ermittlung der finanziellen Auswirkungen wird nun zunächst aus oben beschrie-

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6 Beiträge aus der Praxis

benen Gründen auf die dem Gemeinkostenblock zugeordneten klassischen „Komplexitätskosten“ verzichtet. Da es sich bei den alternativen Szenarios um Prognosen der Zukunft handelt, ist zum Zeitpunkt der Bewertung ein gewisses Maß von Annahmen zu berücksichtigen, was eine exakte Vorhersage ausschließt. Vor diesem Hintergrund kann daher auf eine vollständige Berechnung aller möglichen Kostenarten, die durch die Variantengestaltung beeinflusst werden, zu Gunsten von Schwerpunktkosten, die sich aus einer ABC-Analyse ergeben, verzichtet werden. Im Falle der AUDI AG wurden dabei als Hauptkostenarten: x Einmaliger Aufwand x Entwicklungsumfang x Investitionen (Werkzeuge, Vorrichtungen...) x Laufende Kosten x Fertigungskosten x Kaufteile/Materialkosten definiert, die auch Grundlage für die meisten übrigen Produktentscheidungen darstellen. Die Darstellung der Bäume in Tabellenform bietet bei der Visualisierungssoftware nun die Möglichkeit, die Zuordnung der 4 Hauptkostenarten für wenige Merkmale anstatt für extrem viele Varianten zu ermitteln. Die Variantenzuordnung ergibt sich aus der Logik des Variantenbaumes automatisch (Abbildung 6-29).

Abb. 6-29. Ermittlung der Hauptkosten auf funktionaler Ebene

6.2 Komplexitäts- und Variantenmanagement der AUDI AG

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Dabei liegen verständlicherweise die Daten nicht in der gewünschten Form in Systemen vor, es ist jedoch mit vertretbarem Aufwand möglich, diese im Team plausibel und hinreichend genau abzuschätzen. Da, wie bereits erwähnt, das Ziel keine ausschließliche Kostenreduzierung, sondern die Optimierung des finanziellen Ergebnisses ist, muss neben der Kostenseite auch der Erlös aus dem Optionsgeschäft berücksichtigt werden, der ggf. dem Bauteil direkt zugeordnet werden kann. Damit ergibt sich nun die in Abbildung 6-30 dargestellte Übersicht der alternativen Szenarios, die als Grundlage für die Richtungsentscheidung – das Variantenziel im Lastenheft – dienen kann.

Abb. 6-30. Übersicht der Bewertung von Variantenszenarios

Dabei sind neben finanziellen Erwägungen natürlich auch strategische Gesichtspunkte Teil der Diskussionen um die Zielempfehlung. So ist im gezeigten Beispiel das Szenario 3 mit ausschließlich schwarzen Lenkrädern als kritisch im Hinblick auf den Premiumanspruch der Marke AUDI anzusehen, so dass in diesem Falle auch angesichts der geringen finanziellen Differenz das Szenario 2 mit 25 Varianten als Ziel empfohlen würde. Die vorgestellte Methode ermöglicht damit die Bewertung der variantenabhängigen Hauptkosten alternativer Szenarios im Vergleich zu einer

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6 Beiträge aus der Praxis

definierten Ausgangsbasis in Form einer hinreichend genauen Abschätzung, die von Fachleuten im jeweiligen Team mit vertretbarem Aufwand geleistet werden kann. Hierdurch ist es insbesondere bei strittigen Grenzfällen möglich, ganzheitlich abgesicherte Entscheidungen hinsichtlich der Variantengestaltung zu treffen. Der neue Variantenmanagementprozess stellt sich damit wie in Abbildung 6-31 gezeigt dar. Ausgehend von einer detaillierten Beschreibung des Ist-Standes (z. B. des aktuellen Modells) mit Variantenbaum und Kostenbewertung, bzw. Abruf des bereits vorhandenen Ist-Standes aus der Konzerndatenbank werden Zielrichtungen formuliert, die in dieser Phase stark von der Logistik getrieben werden. Bis zum Lastenheft liegen dann konkret durchdachte und bewertete Szenarios mit einer Empfehlung des Variantenziels vor. Nach der Genehmigung durch den Vorstand wird der entsprechende Variantenbaum in der Datenbank gespeichert, zusätzlich werden die Eckdaten der Bewertung dokumentiert.

Abb. 6-31. Neuer zeitlicher Verlauf der Variantenentstehung (vgl. Abb. 6-23)

Im neuen Prozess werden Varianten nicht nachträglich reduziert sondern bewusst erhöht, sofern sich die finanzielle Situation im Vergleich zum dokumentierten Ziel deutlich verbessert, was mit den entsprechenden Deltawerten zu belegen ist. Insgesamt kann dadurch von einer deutlich niedrigeren Variantenanzahl ausgegangen werden, ohne dass sich daraus negative Auswirkungen für den Kunden ergeben. Erste Erfolge Beim ersten Fahrzeugprojekt, bei dem die Variantenplanung konsequent und rechtzeitig in der SE-Organisation betrieben wurde, ergaben sich statt der bisher üblichen Verdopplung der Varianten gegenüber dem Vorgängerfahrzeug eine durchschnittliche Reduzierung um rund 30% (Abbildung 6-32).

6.2 Komplexitäts- und Variantenmanagement der AUDI AG

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Abb. 6-32. Veränderung der Variantenanzahl je Baugruppe

Dabei schwanken die Ergebnisse der bearbeiteten Baugruppen zwischen einer Reduzierung um 88% bis zu einer Erhöhung um 100% im Vergleich zum Vorgängerfahrzeug. Auch die erhöhten Umfänge tragen ausdrücklich zu einer Verbesserung der Ergebnissituation bei. Die Beteiligten haben den Prozess als konstruktiv und zielführend erlebt und wurden angenehm von dem damit verbundenen Aufwand überrascht, den sie deutlich höher eingeschätzt hatten. Dabei hängt die Bearbeitungsdauer vom Betrachtungsumfang der jeweiligen Baugruppe ab und kann in Extremfällen bis zu einer Woche für ein ganzes SE-Team erfordern. Dem gegenüber stehen jedoch mögliche Einsparungen, die je Baugruppe bis in den zweistelligen Millionenbereich gehen können. Bei einer konsequenten Bearbeitung einer neuen Fahrzeugbaureihe sind Einsparungen über 100 Millionen Euro realistisch. 6.2.6 Zusammenfassung und Ausblick Die Einführung eines effizienten Variantenmanagements bedingt eine Vielzahl von Veränderungen im gesamten Unternehmen. Wie Abbildung 6-33 zeigt, ist eine Reihe von Grundvoraussetzungen als Fundament erforderlich.

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6 Beiträge aus der Praxis

Abb. 33. Das Erfolgshaus des Variantenmanagements

Zunächst ist ein klar beschriebener Prozess zu entwickeln, der in die bestehende Prozesslandschaft integriert sein muss. Dieser Prozess ist einfach und für alle verständlich zu gestalten, damit er akzeptiert und angewandt wird. Einfache, effiziente Methoden müssen festgelegt und bereitgestellt werden, wozu u. a. die finanzielle Bewertung gehört. Um den Arbeitsaufwand möglichst gering zu halten und die durchgängige Informationsbereitstellung zu gewährleisten sind professionelle Software-Werkzeuge eine wesentliche Voraussetzung. Diese sind aus Anwendersicht zu entwickeln, um die Akzeptanz der Akteure und die Nachhaltigkeit der Maßnahmen über längere Zeiträume sicherzustellen. Zu den Erfolgfaktoren zählt an vorderster Stelle auch die Identifikation der Geschäftsleitung, die dem Thema Variantenmanagement die notwendige Priorität verleiht und die Aktivitäten durch aktive Einforderung von Fortschrittsberichten am Leben erhält. Weitere Erfolgsbausteine sind Transparenz, die aktive Gestaltung der Varianten sowie die Einbeziehung von Teams, die mit Vertretern der Geschäftsbereiche besetzt sind. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, werden sich aus der aktiven Gestaltung der optimalen Variantenvielfalt erhebliche Verbesserungen des Unternehmensergebnisses erreichen lassen. Durch die zunehmende Verlagerung der Wertschöpfung in Richtung der Zulieferer muss ein ganzheitliches Variantenmanagement diese von Beginn an in den Prozess einbeziehen. Daraus ergeben sich auch auf Lieferantenseite erhebliche Potentiale, die sich in niedrigeren Herstellkosten und damit günstigeren Einkaufskosten auf OEM-Seite zur Verbesserung

6.2 Komplexitäts- und Variantenmanagement der AUDI AG

237

der Wettbewerbsfähigkeit nutzen lassen. Zur Zeit ist ein erheblicher Zuwachs des Bewusstseins für die Variantenproblematik quer durch die gesamte Wirtschaft zu verzeichnen. Hier sind insbesondere die Zulieferer aufgefordert, weitere Potentiale anzusprechen, die bisher zu wenig Gehör fanden. Hier setzt z. B. die herstellerübergreifende Initiative des „Network of Automotive Excellence NoAE“ mit dem Expertenforum für Variantenund Komplexitätsmanagement an. Sie fördert den Netzwerkgedanken zwischen OEM, Zulieferern und Dienstleistern, um ein gemeinsames Verständnis für Zusammenhänge und neue Synergien im nicht wettbewerbsrelevanten Raum zu schaffen. Die nächsten Jahre werden daher durch einen weiteren Ausbau der Individualität von Produkten bei gleichzeitiger Reduktion der Herstellkosten durch intelligente, innovative Lösungen im Rahmen von partnerschaftlichen Zusammenarbeitsmodellen unterschiedlicher Kompetenzen gekennzeichnet sein.

6.3 Laser-Sintern – e-manufacturing individualisierter Produkte C. M. Stotko

6.3.1 Einleitung Die Herausforderungen eines Angebotes individualisierter Leistungsbündel liegen sowohl in der Beschaffung und Verarbeitung von Kundenwissen als auch in der Produktion individualisierter Produkte. Die erste Herausforderung führt vor allem zu einer grundsätzlichen Diskussion bestehender Organisationsstrukturen der Leistungserstellung (Reichwald u. Piller 2003). Zugang zu Kundenwissen verlangt Kundennähe. Schnelle Reaktion auf individuelle Kundenwünsche erfordert neue Organisationsstrukturen in der Produktentwicklung, Fertigung und Vertrieb. Die zweite Herausforderung führt zur Notwendigkeit neuer produktionstechnischer Verfahren, mit denen hochflexibel individualisierte Produkte hergestellt werden können. Eine solche innovative Produktionstechnik stellt das Laser-Sintern dar. Bergmann umschreibt dieses Verfahren, bei dem Bauteile direkt aus 3DCAD-Daten gewonnen werden können, als „Fabrikator“ (Bergmann 2004; vgl. auch Drösser 2002; Rudzio 2004): „Bereits heute werden im klassischen Produktionsprozess so genannte Fabrikatoren für die Herstellung von Modellen, Einzelstücken und bereits auch für Kleinserien von hochkomplexen Gegenständen eingesetzt. Unter Fabrikatoren versteht man komplexe Maschinen, die, in Verbindung mit leistungsfähigen Rechnern, dreidimensionale Gegenstände schichtweise herstellen. Mit diesem Verfahren kann man Handyschalen genauso herstellen wie Motorenblöcke und zwar nicht als Modell, sondern voll gebrauchsfähig.“ Im Folgenden wird dargestellt, wie die heute existierende Technologie des Laser-Sinterns dazu beitragen kann, die neuen Anforderungen der Produktion individualisierter Produkte zu erfüllen. Die Fähigkeit, Bauteile schnell, flexibel und wirtschaftlich direkt aus 3D-CAD-Daten produzieren zu können, wird dabei im Folgenden als „e-manufacturing“1 bezeichnet. 1

e-Manufacturing, EOS, EOSINT, DirectPart, DirectTool, DirectPattern, DirectCast, DirectSteel, DirectMetal, PrimeCast, PrimePart und Alumide sind eingetragene Warenzeichen der EOS GmbH, zumindest in Deutschland oder Europa. Autofinish ist ein angemeldetes Warenzeichen der EOS GmbH.

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6 Beiträge aus der Praxis

6.3.2 Laser-Sintern als e-manufacturing-Anwendung Der Auftragsabwicklungsprozess individualisierter Produkte erstreckt sich von der Kundeninteraktion zur Erfassung der Kundenwünsche über die Übersetzung dieser Wünsche in Produktmerkmale und die Fertigung der individualisierten Produkte bis hin zur Nachbetreuung nach dem Kauf. Bei diesen Schritten fällt eine „Flut“ an Information an, die nur mittels elektronischer Datenverarbeitung aufgefangen werden kann. Insbesondere während der Phase der Übersetzung kundenspezifischer Wünsche in individualisierte Produkte fallen 3D-CAD-Daten an (Abbildung 6-34). Diese bilden die Basis für die nachfolgende Fertigung und die Betreuung des Kunden nach dem Kauf, beispielsweise bei der Bereitstellung von Ersatzteilen.

Abb. 6-34. Auftragsabwicklungsprozesse individualisierter Produkte und Rolle des e-manufacturing

Der Prozess des Laser-Sinterns Laser-Sintern ist ein generisches Schichtbauverfahren, das sich für Kunststoffe, Metalle und Gusssande eignet. Aus pulverförmigen Werkstoffen, die Schicht für Schicht durch einen Laserstrahl verfestigt werden, entstehen komplexe Geometrien (Fritz 2003).

6.3 Laser-Sintern – e-manufacturing individualisierter Produkte

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Abb. 6-35. Funktionsprinzip Laser-Sintern

Im Einzelnen werden im Prozess des Laser-Sinterns die folgenden Schritte ausgeführt (Abbildung 6-35): 1. Belichtung: Mit einem Laserstrahl, der in x- und y-Richtung über zwei Umlenkspiegel (sog. Scanner) angesteuert wird, wird die Fläche des Bauteils gebaut. Sie ergibt sich aus der aktuellen Schnittfläche. Der Laser wird eingesetzt, das Pulver (Kunststoff, Metall oder Sand) zu verfestigen. 2. Tisch absenken: Dann wird der Tisch um die Höhe der nächsten Pulverschicht abgesenkt. Dies sind im Bereich von Kunststoff ca. 150Pm, im Bereich von Metallen zwischen 20Pm und 100Pm und im Bereich von Sand 200Pm. 3. Dosierung: Im dritten Schritt wird die Menge an Pulver abgemessen, die nötig ist, um die nächste Schicht füllen zu können. 4. Beschichtung: Im vierten Schritt erfolgt schließlich die Beschichtung mit neuem Pulver. Diese wird wiederum mit dem Laser an den Stellen verfestigt, die die Schnittfläche des Bauteils erfordert. Die Informationen für die Ansteuerung der Laser werden direkt aus den 3D-CAD-Daten der Konstruktion generiert. Dazu werden die CAD-Daten in das für Maschinen lesbare SLI-Format (Slice-Layer-Information) überführt, das alle erforderlichen Geometrie-Informationen zur Erstellung eines Laser-Sinter-Bauteils enthält (Konturen, Stützpunkte beim Metallsintern, Schichtstärken). Vereinfacht gesagt, werden dabei die dreidimensionalen Konstruktionsdaten von Flächen- oder Volumenmodellen in zweidimensi-

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6 Beiträge aus der Praxis

onale Schicht- beziehungsweise Steuerungsdaten umgewandelt. Hieraus ergeben sich die Querschnitte je Pulverschicht, an denen eine Verfestigung des Pulvers notwendig ist, um den Querschnitt des Endprodukts in jeder Schicht abzubilden. So entstehen in der Anlage Schicht für Schicht fertige Bauteile. Diese sind am Ende des Sinterprozesses von Materialpulver umgeben. In einer Entpackstation werden die Bauteile von diesem Pulver befreit. Die einzige Restriktion, die sich hieraus für die Gestaltungsfreiheit ergibt, ist die Notwendigkeit innen liegende Hohlräume so mit einer Öffnung zu versehen, dass innen liegendes Pulver zum Ende des Sinterprozesses entfernt werden kann. Darüber hinaus ergeben sich keine Restriktionen in der Gestaltungsfreiheit. Im Gegenteil, durch Laser-Sintern können Gestaltungsfreiräume genutzt werden, die mit werkzeuggebundenen Fertigungsverfahren nicht möglich sind. Beispielsweise können Hinterschnitte ebenso einfach gefertigt werden wie voll funktionsfähige Scharniermechanismen. Die Ergebnisse des Sinterprozesses können beispielsweise die folgenden Bauteile sein: x Endprodukte aus Metall oder Kunststoff x Prototypen aus Metall oder Kunststoff x Modelle aus Polystyrol-Kunststoff, die für Folgeprozesse eingesetzt werden (z. B. Silikongummiformen, verlorene Formen, Feingussmodelle, etc.) x Gusskerne aus Sand x Spritzgusswerkzeuge aus Metall x Werkzeugeinsätze aus Metall für den Druckguss. Im Folgenden wird dargelegt, unter welchen Bedingungen der Einsatz von Laser-Sintern wirtschaftlicher sein kann als der Einsatz traditioneller, werkzeuggebundener Verfahren wie beispielsweise dem Spritzguss. Wirtschaftlichkeitsüberlegungen des e-manufacturing Die traditionelle Herangehensweise an die Produktion variantenreicher Serienprodukte mit werkzeuggebundenen Fertigungsverfahren ist in Abbildung 6-36 dargestellt (Junior, Stotko u. Ihl 2004).

6.3 Laser-Sintern – e-manufacturing individualisierter Produkte

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Abb. 6-36. Phasenschema werkzeuggebundener Fertigungsverfahren

Der Vorteil solcher Verfahren liegt darin, dass in sehr kurzer Zeit sehr viele gleiche Teile hergestellt werden können. Dadurch lassen sich sehr gut Skaleneffekte erzielen. Der Preis für die sehr geringen variablen Kosten liegt jedoch darin, dass zuerst Werkzeuge konstruiert und gebaut werden müssen. Dies wird insbesondere dann langwierig und teuer, wenn ein zu erstellendes Produkt eine Vielzahl von Werkzeugen erforderlich macht. Je nachdem, wie komplex jedes einzelne Werkzeug ist, sind unter Umständen viele Nacharbeiten notwendig. Werkzeuggebundene Fertigungsverfahren, wie beispielsweise der Spritzguss, eignen sich daher vornehmlich dann, wenn sichergestellt ist, dass ein Absatzmarkt für eine hohe Anzahl gleicher Bauteile besteht. Dies ist heute in immer weniger Märkten der Fall und trifft ganz sicher nicht für das hier diskutierte Angebot individualisierter Produkte zu. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich dann, wenn die Kunden zum Teil nach Jahrzehnten erneut an das Unternehmen herantreten, um Ersatzteile zu beschaffen. Die Re-Aktivierung eines werkzeuggebundenen Produktionsprozesses für ein einzelnes Ersatzteil kann sehr kostspielig werden. Hinzu kommt, dass die Werkzeuge über Jahre fachgerecht gelagert werden müssen, was zusätzlich zu Lagerkosten führt. Die Alternative, in festgelegten Zeitabständen Ersatzteile auf Vorrat zu produzieren, ist vor dem Aspekt der Lagerkosten ebenso kritisch zu betrachten. Hinzu kommt, dass die Wirtschaftlichkeit dieser Art von Vorratsfertigung stark von Prognosefehlern abhängig ist. So können sowohl eine Über- als auch eine Unterschätzung des tatsächlichen Bedarfs zu einer erheblichen Verschlechterung der Gesamtwirtschaftlichkeit des betrachteten Produkts im Lebenszyklus führen. Im Gegensatz dazu kann beim e-manufacturing auf

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6 Beiträge aus der Praxis

den Zwischenschritt der Herstellung von Werkzeugen verzichtet werden. Die Konstruktionsdaten gelangen direkt zu einem Laser-Sinter-System, wo sie in ein reales Produkt aus Kunststoff oder Metall umgesetzt werden (Abbildung 6-37).

Abb. 6-37. Phasenschema e-manufacturing

Für eine spätere Bereitstellung von Ersatzteilen sind im Rahmen des emanufacturing lediglich die Konstruktionsdaten in einer geeigneten Form abzulegen. Werden Ersatzteile nachgefragt, wird der e-manufacturingProzess von neuem angestoßen. So können Mehrausgaben aufgrund von Prognosefehlern nahezu ausgeschlossen werden. Insgesamt eignet sich ein e-manufacturing-Prozess wie das Laser-Sintern dann, wenn die folgenden Marktbedingungen vorliegen: x Der Kunde fordert eine hohe Vielfalt an Varianten (im Extremfall individualisierte Produkte). x Die nachgefragten Produkte sind von hoher Komplexität. x Die Kundenanforderungen ändern sich rasch. x Die Lebenszyklen der Produkte sind kurz. x Die absoluten Stückzahlen sind gering. Diese Marktbedingungen liegen beim Angebot individualisierter Produkte vor. Abbildung 6-38 fasst schematisch den Vergleich der Wirtschaftlichkeit von werkzeuggebundenen Verfahren und dem Laser-Sintern zusammen.

6.3 Laser-Sintern – e-manufacturing individualisierter Produkte

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Abb. 6-38. Qualitativer Vergleich der Wirtschaftlichkeit von werkzeuggebundenen Fertigungsverfahren und dem Laser-Sintern

Während die Ausgaben für Maschinen bei beiden Verfahren nahezu identisch ausfallen, gewinnt das Laser-Sintern insbesondere in dem hier diskutierten Umfeld individualisierter Produkte an Wirtschaftlichkeit. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass auf die kostspielige Herstellung von Werkzeugen verzichtet werden kann. Weiterhin entfallen Opportunitätskosten in Form von Lagerkosten für Werkzeuge und fertige Produkte. Insgesamt kann daher das Laser-Sintern in Bezug auf die Herstellung individualisierter Produkte günstiger sein als ein werkzeuggebundenen Verfahren, wenn auch die variablen Kosten beim Laser-Sintern um ein Vielfaches höher ausfallen als bei werkzeuggebundenen Verfahren wie z. B. dem Spritzguss. Um zu einer wirtschaftlichen Gesamtlösung zu gelangen, dürfen jedoch nicht nur die variablen Kosten betrachtet werden (wie es in der unternehmerischen Praxis heute zum Teil geläufig ist), sondern es müssen alle im Lebenszyklus anfallenden Kosten berücksichtigt werden. Aber auch in den Fällen, in denen sich ein traditionelles, werkzeuggebundenes Fertigungsverfahren als wirtschaftlich vorteilhafter erweist, kann das Laser-Sintern als unterstützendes Verfahren herangezogen werden. Im Folgenden wird beschrieben, wie sich das Laser-Sintern auf der einen Seite dazu eignet, direkt Endprodukte aus 3D-CAD-Daten zu erzeugen. Andererseits wird jedoch auch knapp darauf eingegangen, wie traditionelle Fer-

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6 Beiträge aus der Praxis

tigungsverfahren beispielsweise durch gesinterte Werkzeugeinsätze optimiert werden können. Einsatzmöglichkeiten des Laser-Sinterns Abbildung 6-39 stellt die Einsatzmöglichkeiten des Laser-Sinterns entlang verschiedener Stufen des Produktentstehungsprozesses dar.

Abb. 6-39. Einsatzmöglichkeiten des Laser-Sinterns in verschiedenen Stadien des Produktentstehungsprozesses

Als „DirectPart“ wird dabei das Laser-Sintern von voll funktionsfähigen Bauteilen direkt aus den 3D-CAD-Daten der Konstruktion verstanden. Diese Teile können sowohl aus Kunststoff als auch aus Metall sein. Diese Teile können sowohl zur Veranschaulichung im Bereich von Design und Konstruktion eingesetzt werden, aber auch als Funktionsprototypen oder als Endprodukte, die an den Kunden verkauft werden. Für die Anwendung des Laser-Sinterns als Produktionsverfahren bei individualisierten Produkten, ist die Fertigung von Endprodukten mittels Laser-Sintern von besonderer Relevanz. Im Gegensatz dazu werden beim „DirectPattern“ mittels Laser-Sintern von Kunststoffen so genannte verlorene Modelle mit beliebig komplexer Geometrie für Folgeprozesse hergestellt. Solche Folgeprozesse können beispielsweise Gipsfeinguss, Keramikschalenguss und Vakuumguss sein. Beim „DirectPattern“ wird insbesondere Polystyrol für den Laser-Sinterprozess verwendet. Ergebnisse der Folgeprozesse können Endprodukte aus Kunststoff oder Metall sein. Als „DirectCast“ wird die werkzeuglose Herstellung von Formen und Kernen für den Sandguss bezeichnet. Das Laser-Sintern von Sandkernen bietet sich immer dann an, wenn besonders komplexe Kerngeometrien notwendig sind. Der Prozess des „DirectTool“ ermöglicht einen neuen, wirtschaftlichen Weg zur Klein-

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serie. So lassen sich beispielsweise 100 000 Spritzgussteile mit einem laser-gesinterten Werkzeugeinsatz wirtschaftlich produzieren. Der Prozess eignet sich genauso für die Herstellung von Werkzeugen für den Druckguss von Aluminium, Magnesium oder Zink. Weitere Einsatzbereiche für die im „DirectTool“-Prozess gefertigten Werkzeuge sind beispielsweise Vulkanisieren, Stanzen, Blechumformung und Extrudieren. Aufgrund der Schichtbauweise beim Laser-Sintern lassen sich Werkzeuge mit komplexen Geometrien wie Freiformflächen, integrierte Kühlkanäle, tiefe Schlitze und Hinterschneidungen realisieren, die konventionell nur sehr aufwendig oder gar nicht zu realisieren sind. Somit kann auf ganze Prozessschritte wie Senkerodieren verzichtet und gleichzeitig die Funktionalität des Werkzeuges, z. B. in Bezug auf thermisches Verhalten, optimiert werden. Oft ist es jedoch auch sinnvoll, lasergesinterte Werkzeugeinsätze mit konventionell gefertigten Elementen in einem Werkzeug zu kombinieren. Laser-Sintern ist insbesondere dann als Produktionsverfahren geeignet, wenn damit Endprodukte als Unikate bzw. Kleinserien wirtschaftlich hergestellt werden können. Dies ist dann der Fall, wenn das „DirectPart“ Verfahren eingesetzt werden kann, d. h. wenn die vom Kunden gewünschten Produkte direkt durch Laser-Sintern aus Kunststoff oder Metall hergestellt werden können. Eine indirekte Produktion über „DirectPattern“, „DirectCast“ oder „DirectTool“ ermöglicht die wirtschaftliche Produktion von Kleinserien, beispielsweise für Teile, die in mehreren individualisierten Produkten verbaut werden. 6.3.3 Fallbeispiele zur Fertigung von individualisierten Endprodukten durch Laser-Sintern Im Folgenden wird das Potenzial des „DirectPart“-Verfahrens für die Herstellung individualisierter Produkte anhand einiger Fallstudien dargelegt. Hierbei wird insbesondere auf Konsum- bzw. Gebrauchsgüter eingegangen, bei denen der Kunde einen hohen persönlichen Nutzen aus einer Individualisierung zieht. Sonnenbrille Bei Designer-Sonnenbrillen für den Konsumgütermarkt, wie in Abbildung 6-40 dargestellt, ergibt sich die Anforderung, auch Kleinserien kostengünstig herstellen zu können.

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6 Beiträge aus der Praxis

Abb. 6-40. Sonnenbrille (Quelle: Tecnologia & Design, Crabbi Sunliving)

Hierbei ist es denkbar, dass die Brille für den Kunden individuell erstellt wird. Die generierten 3D-CAD-Daten können direkt an ein KunststoffLaser-Sintersystem geleitet werden, mit dem die Brille produziert wird. Nach dem Prozess des Laser-Sinterns erfolgen ein Finishing der Kunststoffbrille und eine Beschichtung. Besonders interessant ist der Einsatz des Laser-Sinterns dann, wenn durch die sich bietende Gestaltungsfreiheit beispielsweise ein „Kopierschutz“ integriert werden kann, d. h. Gestaltungselemente, die nicht mit konventionellen Methoden zu realisieren sind (z. B. ein Hinterschnitt oder ein langer dünner Verbindungsbügel, der mit Spritzgussverfahren nur sehr aufwändig zu erstellen ist). Hörgeräte Ein weiteres Anwendungsbeispiel für ein individualisiertes Produkt ist das Hörgerät (Abbildung 6-41). Dies wird durch die die individuelle Formung des Gehörkanals bedingt. Während die Gehörelektronik an die individuellen Bedürfnisse des Patienten mit Hilfe von Software angepasst werden kann, ermöglicht es das Laser-Sintern, das Gehäuse der Hörhilfe individuell an den Gehörgang des Patienten anzupassen.

6.3 Laser-Sintern – e-manufacturing individualisierter Produkte

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Abb. 6-41. Schema einer Gehörhilfe (Quelle: Phonak)

Der Prozess der Herstellung einer individualisierten Hörhilfe kann dabei wie folgt ablaufen: x Ermitteln der Geometrie des Gehörgangs mittels eines Wachsabdrucks x Ermitteln einer 3D-CAD-Punktewolke durch Scannen dieses Wachsabdrucks x Bearbeiten der gewonnenen Daten in einem CAD-Programm (z. B. Einbringen einer Identifikationsnummer, um den Kundenauftrag aus der Summe der im Bauraum gesinterten Bauteile identifizieren zu können). x Laser-Sintern des individualisierten Gehäuses x Kombination der Gehörelektronik mit dem Gehäuse. Durch die unumgängliche Notwendigkeit, das Gehäuse des Hörgerätes an die individuellen Patientendaten anzupassen, ist die Alternative einer Serienproduktion nicht möglich. Eine Fertigung des Gehäuses mittels eines Laser-Sintersystems ermöglicht die rasche Bedienung individueller Kundenwünsche. Die Elektronik kann in Großserienproduktion hergestellt werden. Die Anpassung der Software an die individuellen Bedürfnisse der Kunden kann dann z. B. beim Händler erfolgen. Ersatzteile Ein weiteres interessantes Anwendungsfeld für Laser-Sintersysteme ist die Herstellung selten gebrauchter Ersatzteile (Junior, Stotko u. Piller 2004).

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6 Beiträge aus der Praxis

Abb. 6-42. Pumpengehäuse als Beispiel für ein individuelles Ersatzteil (Quelle: MAN)

Ersatzteile, wie in Abbildung 6-42 dargestellt, fallen beispielsweise im Bereich der Automobilindustrie an, wo die Beschaffung von Ersatzteilen für ältere Modelle (z. B. Oldtimer) für Kunden oft schwierig ist. Dies gilt jedoch nicht nur für Liebhaberobjekte, sondern beispielsweise auch für Nutzfahrzeuge. Zu denken ist hierbei insbesondere an Altfahrzeuge, die in Entwicklungsländern noch wertvolle Dienste leisten. Da diese Geräte dort auch nach Lebenszeiten von über 40 Jahren noch im Einsatz sind, kann eine Bereitstellung von Originalersatzteilen nicht mehr gewährleistet werden. Eine Alternative wäre hier die Fertigung von Ersatzteilen vor Ort. Durch geschultes Vertriebspersonal, Originaldaten oder durch geeignete Scannermethoden kann beispielsweise vor Ort in Afrika die Geometrie eines Pumpengehäuses eines LKWs, Baujahr 1968, ermittelt werden. Da eine Fertigung über Originalwerkzeuge sicherlich in den seltensten Fällen erfolgen wird, können alternative Fertigungsmethoden Ziel führend eingesetzt werden. Je nach Bauteilgröße kann ein solches Bauteil beispielsweise direkt durch Laser-Sintern erstellt werden. Andererseits kommen für die Ersatzteilfertigung auch die weiteren Methoden des Einsatzes von LaserSinter-Systemen (vgl. Abbildung 6-39) in Betracht. Insbesondere für Me-

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tallteile ist das „DirectCast“-Verfahren von besonderer Relevanz. Durch die Fertigung von Sandformen und -kernen mittels Laser-Sinter-Systemen können so Ersatzteile in Originalwerkstoffen erzeugt werden. 6.3.4 Zusammenfassung Insgesamt wurde in diesem Artikel gezeigt, dass das Laser-Sintern eine interessante Alternative als Fertigungsverfahren individualisierter Produkte darstellt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Laser-Sinter-Systeme dazu eingesetzt werden können, um direkt die vom Kunden nachgefragten Produkte zu erzeugen. Anhand von drei Fallbeispielen wurden solche Produkte exemplarisch vorgestellt. Andererseits können Laser-Sinter-Systeme auch traditionelle, d. h. werkzeuggebundene Fertigungsverfahren unterstützen. Durch die Gestaltung von Werkzeugen mittels Laser-Sinter-Systemen können Werkzeuggeometrien erzeugt werden, die durch traditionelle Methoden der Metallverarbeitung (z. B. Fräsen, Senkerodieren, etc.) nicht oder nur mit erheblicher Kostenbelastung zu realisieren wären. Laser-Sinter-Systeme sind für Kunststoff-, Metall- und Sandanwendungen verfügbar. Abbildung 6-43 stellt wichtige Leistungsdaten dieser Systeme gegenüber.

Abb. 6-43. Technische Daten zu einer Auswahl von EOSINT Laser-SinterSystemen

Die Leistungsfähigkeit in Bezug auf Qualität und Geschwindigkeit, die mit diesen Systemen zu erzielen ist, hängt dabei von dem gewählten Werkstoff und der gewählten Schichtdicke ab. Eine geringe Schichtdicke erhöht zwar die Detailauflösung der produzierten Bauteile, führt aber zu einem geringeren Baufortschritt und damit längeren Maschinenzeiten. Eine

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6 Beiträge aus der Praxis

größere Schichtdicke wiederum führt zu einem schnelleren Baufortschritt, geht jedoch zu Lasten der Oberflächenqualität. 6.3.5 Literatur Bergmann, F.: Neue Arbeit – eine Alternative zur gegenwärtigen Ökonomie. Jena: Zukunftswerkstatt 2004. http://www.zw-jena.de/arbeit/bergmann.html (Stand 09/2005). Drösser, C.: Rückkehr des Realen. In: Die Zeit 57 (2002) 45, 31.10.2002. Fritz, E.: Neue Dimensionen im Laser-Sintern ermöglichen die kosteneffiziente Fertigung individueller Produkte. In: Piller, F. T.; Stotko, C. M. (Hrsg.): Mass Customization und Kundenintegration. Neue Wege zum innovativen Produkt. Düsseldorf: Symposion 2003. Junior, V.; Stotko, C. M.; Ihl, J. C.: Laser Sintering in the Automotive Industry – Making the Leap from a rapid manufacturing tool to a manufacturing practice. In: FISITA 2004. World Automotive Congress, Barcelona, 23.-27.5.2004, S. 18. Junior, V.; Stotko, C. M.; Piller, F. T.: Spare Parts on Demand (SOD) by leveraging Mass Customization manufacturing capabilities. In: FISITA 2004. World Automotive Congress, Barcelona, 23.-27.05.2004, S. 17. Reichwald, R.; Piller, F. T.: Von Massenproduktion zu Co-Produktion. Kunden als Wertschöpfungspartner. In: Wirtschaftsinformatik 45 (2003) 5, S. 515-519. Rudzio, Kolja: Das ist nur die erste Bö eines Orkans. In: Die Zeit 59 (2004) 51, 9.12.04.

Sachverzeichnis

Absatzkanal 23 Channel-Konfikt 24 Offline-Kanal 23 Online-Kanal 23 Änderungsauswirkung 49 Arbeitsplan 75 Erstellung 152, 153 Maximalarbeitsplan 77, 154 Maximalstückliste 77, 153 Arbeitsplanung 73, 76 Ähnlichkeitsplanung 76 Änderungsplanung 76 Neuplanung 76 Variantenplanung 76 Wiederholplanung 76 Arbeitssteuerung 73 Arbeitsvorbereitung 73 Arbeitsvorgangsfolgebestimmung 153 Auftragsabwicklung 13, 132, 201, 240 Ausgangsteilbestimmung 153 Bauweisen Baukasten 44 Baureihe 44 Plattform 44 Benutzerprofil 35 Beziehungsmanagement 27 Blechumformung inkrementelle 99 Stauchen 101 Strecken 101 Treiben 99, 100 Constraint Checking 37 Customer Relationship Management 27 decoupling point 169

Dienstleistung 48 Distributionspolitik 23 Durchsatzflexibilität 78, 159 Einflussmatrix 50, 51 Brücke 52 Cluster 52, 58 Hierarchie 52, 58 Kreisschluss 52 Sortieren der 57 Einzelfertigung 130, 174 Element (Produktstruktur) 50 aktives 51 Elementabstoßung 51 Elementanziehung 51 passives 51 Entwicklungsprozess 12 Ertragssteigerungspotenziale 10, 166 Erweiterungsfähigkeit 64, 71, 79, 158 Fabrik 65 atmende 67 fraktale 66 kooperative 67 mit modularen Strukturen 65 mobile 66 segmentierte 66 virtuelle 67 Fabrikator 239 Fabrikplanung 67 Fertigung 74 Fertigungsmittelauswahl 154 Fertigungsverfahren 90 Fördergutflexibilität 78 Formmodule direkte Herstellung 104 indirekte Herstellung 104 Freiheitsgrad 33

254

Sachverzeichnis

Geschäftsmodell interaktionsorientiertes 20 transaktionsorientiertes 20 Graf 51 selbstordnender 51 Grafendarstellung 51, 57 Grafentheorie 51 individualisiertes Produkt 3, 9, 10, 130 Individualisierungsgrad 46 Individualisierungsoption 22 individuelle Präferenzstruktur 132 individuelle Produktdefinition 133, 152 Integrationsfähigkeit 64, 65, 72, 79 Kommunikationspolitik 24 Komplexität 1, 8, 221 Komplexitätsbeherrschung 8 Komplexitätsmanagement 176, 222 Konfiguration 118, 204, 210, 215 Konfigurationspolitik 26 Konfigurator 19, 28, 30, 120 Konstruktionsart 135 Anpassungskonstruktion 135 Konstruktion mit festem Prinzip 135 Neukonstruktion 135 Variantenkonstruktion 135 Kosten 166 Kosteneinflussgröße 181 Kostenfunktion 185 Kostenstruktur 179, 181 Kostentreiber 184, 185 Kostenverrechnung 181 Opportunitätskosten 245 Transaktionskosten 171 Kostencontrolling 192 Kostenmanagement 179 Kostenplanung 192 Kostenrechnung Deckungsbeitragsrechnung 183 Pfadkostenrechnung 191 Prozesskostenrechnung 184

Prozesskostenrechnung, ressourcenorientierte 185 Teilkostenrechnung 183 verursachungsgerechte Kostenkalkulation 180 Vollkostenrechnung 182 Kostensenkungspotenziale 166, 168 Kundenanforderung, individuelle 10, 133, 141 Kundenintegration 170 Zeitpunkt der 22 Kundeninteraktion, individuelle 15, 120, 133 Prozess der 117 Laser-Sintern 240, 246 Laserstrahlreinigen 111 Laserstrahlschweißen 109 Layoutflexibilität 78, 158 Lead-User 170 Lernfähigkeit 64, 65, 72, 80 make-to-order 169 make-to-stock 169 Marketingmix 21 Materialflusssystem 83 automatisiertes 80 Fahrzeugsteuerung 158 manuelles 80 wandelbares 78, 156 Wegplanung 159 Modularisierung 43, 70, 82, 92, 103, 209 Montage 74 Personalisierung 34 Preispolitik 22 Produktadaption 12, 129, 132, 135, 143, 188 Adaptionsprinzipien 136 Adaptionsprozesse 131, 137 auf Ebene der Produktgestalt 136 auf Ebene des Wirkprinzips 136 funktionale 136 Prozess der 133, 141 strukturelle 136

Sachverzeichnis Produktanforderung 142 Produktion 72, 173 kundenindividuelle Massenproduktion 1 Massenproduktion 2, 174 Produktion individualisierter Produkte 175 variantenreiche Serienproduktion 2, 173, 175, 242 Produktionsplanung und -steuerung 155 Produktionsprozess Primärprozess 109 Sekundärprozess 109 Produktpolitik 22 Produktspektrum 14, 41, 45, 144 Produktstruktur 11, 42 Alternative, obligatorische 47, 138 Alternative, optionale 47, 138 fixer Bereich 46, 138 Freiraum, allgemeiner 47, 139 Freiraum, definierter 47, 139 Prinziplösung 47, 139 skalierbarer Bereich 47, 139 variabler Bereich 46 Produktstrukturanalyse 49 Produktstrukturoptimierung 59 Produktstrukturplanung 12, 42, 53, 187 Prozess Individualisierungspfad (Adaption) 191 Prozessbausteine 147 Prozessplanung (Adaption) 132, 144, 146, 195 Prozessplanung (Produktion) 151 Prozessmodellierung 146 Prozessspektrum 14, 144, 148 Rapid Technologien 91 e-manufacturing 239, 244 Rapid Manufacturing 91, 93 Rapid Prototyping 91, 93 Rapid Tooling 91 Relation (Produktstruktur) 50

255

Abhängigkeit, direkte 49 Abhängigkeit, indirekte 49 hierarchische 49 semantische 49 Ressourcenverzehr 185, 189 Selbstähnlichkeit 66 semantisches Netz 49 Skaleneffekte 168 Sonderanfertigung 10 Spezifikation 20, 118 Spezifikationsprozess 123 Spezifikationswerkzeug 19, 28, 122 Tropfenerzeuger 94, 95 Variante 41 strukturelle 48 Variantenbaum 230 Variantenprogramm 44 variantenreiches Serienprodukt 10, 41, 130 Variantenspektrum 8 Variantenvielfalt 7, 208, 223, 228 Variantenmanagement 229, 234, 236 Verbrauchsfunktion 185, 189 Verbundeffekte 168 Waypointmatrix 158 Wettbewerbsstrategie 9 Differenzierung 9, 165 Kostenführerschaft 9, 165 Wirtschaftlichkeitsfaktoren 168 Economies of Decoupling 169 Economies of Integration 170 Economies of Modularity 168 Economies of Relationship 171 Zahlungsbereitschaft 166, 180 Zielkostenmanagement 186 individueller Zielkostenrahmen 189 operatives 189 strategisches 189