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German Pages 206 Year 2022
Evelien Timpener In Augenschein genommen
bibliothek altes Reich
Herausgegeben von Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal
Band 38
Evelien Timpener
In Augenschein genommen Hessische Lokal- und Regionalkartographie in Text und Bild (1500–1575)
ISBN 978-3-11-077755-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-077759-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-077765-9 ISSN 2190-2038 Library of Congress Control Number: 2022933773 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Ausschnitt aus: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 145. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorwort Die vorliegende Studie bildet den schriftlichen Niederschlag eines DFG-Projektes, das zwischen April 2016 und September 2018 an der Leibniz Universität Hannover (LUH) von mir bearbeitet wurde. Dieses DFG-Projekt beruhte maßgeblich auf einem Vorprojekt, das von Daniel Kaune (M.Ed.) durchgeführt wurde. Dieses von den Universitäten Göttingen (Prof. Dr. Arnd Reitemeier) und Hannover (Prof. Dr. Michael Rothmann) gemeinsam beantragte und von Pro*Niedersachsen geförderte Vorprojekt „Der Blick auf die kleine Welt“ (2013 – 2014) listete die Regionalkarten aus dem Raum Niedersachsen und Hessen für die Periode von 1500 bis 1650 auf. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Michael Rothmann und Daniel Kaune für ihre Unterstützung und die Erlaubnis, auf die Kartendatenbank, welche aus dem Vorprojekt hervorging, zugreifen zu können. Auch nach Projektabschluss begleitete mich das Kartenbuch nach Gießen, sodass ich mich auch bei meinen Gießener KollegInnen ganz herzlich bedanken möchte. Prof. Dr. Christine Reinle sei gedankt für ihre fortwährende Unterstützung und ihr Verständnis dafür, dass manche Projekte einen auch nach Projektende immer noch begleiten. Insbesondere möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Anette Baumann für unsere schönen Kaffeegespräche über Augenscheinkarten und widerspenstige RKG-Akten bedanken. Die Arbeit mit Karten und Akten wurde maßgeblich durch das freundliche und hilfsbereite Personal in den hessischen Staatsarchiven (Marburg, Darmstadt und Wiesbaden) sowie im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte erleichtert. Insbesondere Dr. Katrin Marx-Jaskulski und Dr. Michael Matthäus sei gedankt für ihre freundliche Hilfestellung im Archiv. Mein Dank gilt auch Roman Tischer und Cordula Hubert für ihre akribische Korrektur des Manuskripts sowie Bettina Neuhoff und Verena Deutsch vom De Gruyter Verlag für die unkomplizierte Zusammenarbeit bei der Endredaktion. Prof. Dr. Felicitas Schmieder danke ich für die Erstellung eines Gutachtens, welches die Aufnahme dieser Studie in die „Bibliothek altes Reich“ ermöglichte. Auch den HerausgeberInnen derselben sei für ihre Bereitschaft, dieses Werk in die Reihe aufzunehmen, herzlich gedankt. Gewidmet sei dieses Buch schließlich meiner Familie, deren liebevolle Unterstützung größer und umfassender ist, als es sich hier beschreiben ließe. Hannover/Gießen, März 2022 Evelien Timpener
https://doi.org/10.1515/9783110777598-001
Inhalt Vorwort
V
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Einleitung 1 Lokal- und Regionalkarten als eigene Kartengattung 5 Die kartierte Inaugenscheinnahme Stand der Forschung 9 Fragestellung und Methodik 15
Form und Funktion der frühen Lokal- und Regionalkarten in Hessen 19 Darstellungselemente in Form und Funktion 22 25 Landschaftselemente in der Karte Symbole und Zeichen in der Kartenlandschaft: Von Windrosen zu Aufschriften 33 39 Perspektivwechsel Techniken und Tendenzen der Regionalkartographie. Ein Exkurs zu späteren hessischen Regionalkarten 41 Gleiche Karten in unterschiedlichen Situationen. Ein Vergleich 41 zwischen Landesaufnahmen und Augenscheinkarten Spätere Ausfertigungen von früheren Karten 50 Die Kunst der Kartenanfertigung 55 65 Zwischen Form und Funktion. Ein Zwischenfazit
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Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild 68 Die Kartenskizze in einer Akte. Konflikte zwischen Hanau-Münzenberg und Friedrich von Hutten (1506 – 1519) 74 Zwei Kommissionen, zwei Karten und eine Akte. Die Streitigkeiten um das Bergwerk und die Nutzungsrechte bei Espa (1541 – 1562) 76 Ein Konflikt über eine Wiese und einen beschlagnahmten Ochsen zwischen dem Erzbistum Mainz und der Grafschaft Hanau-Münzenberg (1550 – 1556) 82 Zwei Dörfer, eine umstrittene Wiese und eine Karte. Eine Auseinandersetzung zwischen der Burg Friedberg und der Grafschaft 90 Hanau-Münzenberg (1551 – 1568)
VIII
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Inhalt
Eine Kartenskizze zur Prozessvorbereitung. Die Konflikte zwischen der hessischen Stadt Gießen und dem nassauischen Amt Gleiberg 93 (1559 – 1562) Ein Konflikt zwischen Hessen-Kassel und Braunschweig-LüneburgCalenberg im Werder Holz (1559 – 1610) 99 Eine umgeänderte Augenscheinkarte. Grenzstreitigkeiten um den Spitzenberg zwischen Nassau-Weilburg und den Häusern Hessen 106 und Solms (1559 – 1589) Die Kartenskizze als visualisiertes Grenzprotokoll. Eine gemeinsame Inspektion zur lokalen Konfliktlösung zwischen Berns111 burg und Ruhlkirchen (1563 – 1571) Eine Karte als „Szenenbild“. Konflikte um Herrschafts- und Nutzungsrechte bei Hof Riedern zwischen Hanau-Münzenberg und 113 Frankfurt (1570 – 1600) Das Verhältnis zwischen Karte und Akte. Ein Zwischenfazit 119 Die Lokal- und Regionalkarte und die Ordnung des Raumes. Schlussbetrachtung und Ausblick 125 Schlussbetrachtung 125 Einige Überlegungen als Ausblick 128
Quellen und Literatur
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Kartenanhang Orts- und Personenregister bibliothek altes Reich – baR
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1 Einleitung Anfang des 16. Jahrhunderts waren zwischen Friedrich von Hutten und der Grafschaft Hanau-Münzenberg verschiedene Streitigkeiten entstanden, welche in einer hanauischen Verwaltungsakte (1506 – 1519) dokumentiert wurden. Um das umstrittene Gebiet deutlicher zu kennzeichnen, wurde auch eine Kartenskizze (Abb. A) angefertigt.¹ Für moderne BetrachterInnen wirkt diese Darstellung äußerst schlicht und gar nicht wie eine Karte. Auch die häufig sehr schön kolorierten Augenscheinkarten, die im Rahmen von Gerichtsprozessen am Reichskammergericht gemalt wurden,² bringen viele zunächst nicht mit Kartographie in Verbindung. Dennoch visualisieren diese Darstellungen den geographischen Raum und werden daher in der historischen Kartenforschung als Karten gedeutet.³ Das Beispiel macht jedoch auf einige weitere Aspekte aufmerksam. Erstens ist die Kartenskizze, nach ersten Anfängen aus dem 15. Jahrhundert, im Kontext ihrer Zeit zu sehen. Die deutsche Regionalkartographie entstand nicht erst im 16. Jahrhundert oder mit der Entstehung des Reichskammergerichts im Jahre 1495, sie nahm aber im Laufe des 16. Jahrhunderts sehr schnell an Verwendung und Überlieferung zu.⁴ Für HistorikerInnen gilt es nun, nicht von den modernen Karten aus zurückzugehen und nur die ersten Spuren für die Kartographie zu suchen, sondern vielmehr die Karten in ihrer damaligen Funktion und Verwen-
HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 30751. In Anhang 1 finden sich verschiedene kolorierte Augenscheinkarten, z. B. D, G und M. Zur Begriffsfassung siehe Kap. 1.2. Bereits 1980 veröffentlichte Gerhard Leidel einen Aufsatz zu acht verschiedenen skizzenhaften Karten, welche schon vor der Entstehung des Reichskammergerichts – in der Periode von 1473 bis 1491 – im Kontext von Grenzstreitigkeiten entstanden waren.Vgl. Gerhard Leidel: Die Anfänge der archivischen Kartographie im deutschsprachigen Raum. Acht handgezeichnete Karten des 15. Jahrhunderts im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, in: Archivalische Zeitschrift 85 (2003), S. 85 – 146. Auch lässt sich bereits eine frühe Verbindung zwischen Astronomie, Kosmographie und Kartographie aufzeigen: Peter H. Meurer: Cartography in the German Lands, 1450 – 1650, in: Woodward u. a. (Hrsg.), The History of Cartography, Bd. 3, S. 1172– 1245, hier S. 1177– 1181. Die Entstehung des Reichskammergerichts, die territoriale Entwicklung sowie die sich ausdifferenzierenden Mal- und Vermessungstechniken haben diese Entwicklung sicherlich stark beeinflusst. Zu Kartographie und Reichskammergericht zuletzt Paul Warmbrunn: Augenscheine und Pläne als Beweismittel in Reichskammergerichtsprozessen, aufgezeigt an Beispielen aus Speyer und Umgebung, in: Baumann/Eichler/Xenakis (Hrsg.), Augenscheine, S. 9 – 22, hier S. 10. Neuere Erkenntnisse zur Rolle der Kartographie am Reichskammergericht sind von Anette Baumann zu erwarten, die so freundlich war, mir ihr ungedrucktes vorläufiges Buchmanuskript zur Verfügung zu stellen: Anette Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne. Zwischen Landschaftsmalerei und Kartographie. https://doi.org/10.1515/9783110777598-002
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1 Einleitung
dung zu kontextualisieren. Zweitens zeigen die im Anhang abgebildeten Karten, wie vielfältig und unterschiedlich lokale und regionale Karten in dieser Frühphase bis 1575 aussehen konnten. Die schnelle Entwicklung der Lokal- und Regionalkartographie im Laufe des 16. Jahrhunderts äußert sich auch in der Darstellungsbreite mit sehr verschiedenen Kartenformen, Perspektiven und Malertechniken. Drittens ist die Kartenskizze, wie viele Lokal- und Regionalkarten früher, in einer Akte eingebunden, sodass sich eine unmittelbare Beziehung zwischen Text und Bild vermuten lässt, die es näher zu untersuchen gilt. Die vorliegende Studie will diese Aspekte anhand von handgezeichneten Lokal- und Regionalkarten im hessischen Raum aufgreifen, indem sie zum einen die offene Frage nach der Beziehung zwischen Funktion und Darstellungsform zu beantworten versucht und zum anderen das Verhältnis zwischen Bild (Karte) und Text (Akte) anhand ausgewählter Beispiele aufgreift. Zur Einführung werden zunächst der Forschungsstand mit den wichtigsten Begriffen, die Quellenlage, die Fragestellung und die Methodik näher erörtert.
1.1 Lokal- und Regionalkarten als eigene Kartengattung Oben wurde über „Lokal- und Regionalkartographie“ gesprochen, obwohl dies sicherlich kein zeitgenössischer Begriff ist. In den Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts lassen sich die verschiedensten Wörter für eine visuelle Darstellung der Region finden: Die Zeitgenossen sprachen unter anderen von mappa, abriss, abconterfeiung, plan, tafel, Tibériade, vue figurée ⁵, ein Zeichen dafür, dass die Generell zu den verschiedenen Begriffen: Fritz Hellwig: Tyberiade und Augenschein. Zur forensischen Kartographie im 16. Jahrhundert, in: Jürgen F. Baur/Peter-Christian Müller-Graff/ Manfred Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, Energierecht, Wirtschaftsrecht. Festschrift für Bodo Börner zum 70. Geburtstag. Köln u. a. 1992, S. 805 – 834, hier S. 817; Joachim Neumann: Reichskammergericht und Kartographie. Über Entstehung und Benennung der Augenschein-Karten, in: Wolfgang Scharfe (Hrsg.), Kartographie-Historisches Colloquium. Vorträge und Berichte vom 9. Colloquium in Rostock 30. September bis 2. Oktober 1998. Bonn 2002, S. 163 – 169, hier S. 165; Evelien Timpener: Die Karte als Argument? Bildliche Darstellungen von territorialen Verhältnissen in Reichskammergerichtsprozessen zwischen Frankfurt und Hanau-Münzenberg im 16. Jahrhundert, in: Mathias Kälble/Helge Wittmann (Hrsg.), Reichsstadt als Argument (Mühlhäuser Arbeitskreis für Reichsstadtgeschichte, Bd. 6). Petersberg 2019, S. 195 – 219, hier S. 197 f. Hessische Karten und Akten nennen beispielsweise die folgenden Begriffe: mappa (HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. R II 41); abriß (HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 10073); abconterfaiung (HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/107, f. 175); tafel (HStA Darmstadt, Bestand P 10, Nr. 11/4). Die Begriffe tibériade und vue figurée sind wohl eher dem französischen Sprachraum zuzuordnen: Vgl. François de Dainville, Cartes et contestations au XVe siècle, in: Imago Mundi 24 (1970), S. 99 – 121, hier S. 117– 120.
1.1 Lokal- und Regionalkarten als eigene Kartengattung
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Kartenmalerei stark im Wandel war. Allerdings scheinen frühere Autoren und Kartenmacher zwischen verschiedenen Kartengattungen unterschieden zu haben. So machte Claudius Ptolemäus einen Unterschied zwischen geographischen Karten (Weltkarten) und chorographischen Karten von kleineren Gebieten.⁶ Da die Neuentdeckung und Ausgabe von Ptolemäus seit dem 15. Jahrhundert eine schnelle Verbreitung fand,⁷ wurde auch die Unterscheidung zwischen Weltkarten und Karten von kleineren Gebieten vielfach rezipiert. So trennte Peter Apian 1524 zwischen Kosmographie (Weltbeschreibung) und Geographie (die Erdoberfläche in kleineren Karten).⁸ Sein Sohn Philipp Apian unterschied 1554 zwischen einer Abkonterfeiung und der Anfertigung von Karten nach „kosmographischer art und weise“.⁹ Passend zur Tradition der mittelalterlichen mappae mundi beinhaltete die Kosmographie nicht nur Weltkarten, sie bot vielmehr Beschreibungen der Welt in jeglicher Art: So konnte die Kosmographie eine visuelle Darstellung der Welt nicht nur mühelos mit der Schöpfungsgeschichte, sondern auch mit Völkerbeschreibungen, Reiseberichten und geographischem Wissen verbinden.¹⁰ Es ist daher nachvollziehbar, dass die Forschung die historischen Karten schon bald nach den verschiedenen Kartengattungen ordnete: Bereits 1949 kam die Idee auf, einen Katalog mittelalterlicher Karten anzufertigen; die verschiedenen Bände sollten die Kartenkategorien berücksichtigen.¹¹ Anfangs wurden die ptolemäischen Karten noch zu den Regionalkarten gezählt; Paul D. A. Harvey machte jedoch auf Karten mit einem lokal-regionalen Bezug aufmerksam, auch wenn er den Begriff zunächst per Ausschlussverfahren definierte: Regionalkarten seien Karten von geographischen Gegebenheiten, welche nicht als Weltkarten,
Vgl. P. D. A. Harvey: The History of Topographical Maps. Symbols, Pictures and Surveys. London 1980, S. 9. Die Neuentdeckung und Ausgabe eines Textes von Claudius Ptolemäus im 15. Jahrhundert befeuerte sowohl die Kartographie als auch die Geographie, insbesondere in Italien. Vgl. Harvey, The History of Topographical Maps, S. 74 f. Vgl. Nils Büttner: Die Erfindung der Landschaft. Kosmographie und Landschaftskunst im Zeitalter Bruegels. Göttingen 2000 (Rekonstruktion der Künste, Bd. 1), S. 51. Otto Stochdorph: „… nach kosmographischer Art und Weise“. Philipp Apian am Schnittpunkt der Kartographiegeschichte der Herzogtümer Bayern und Württemberg, in: Hans Wolff (Hrsg.), Philipp Apian und die Kartographie der Renaissance. Weißenhorn 1989, S. 125 – 128, hier S. 125. Vgl. Büttner, Die Erfindung der Landschaft, S. 50 – 52. Der Katalog sollte vier verschiedene Bände beinhalten: 1) mappae mundi; 2) Seekarten; 3) Regionalkarten, inkl. Ptolemäus; 4) Gedruckte Karten. Nur der 1. und 4. Band konnten realisiert werden: Marcel Destombes (Hrsg.), Catalogue des cartes gravées au XVe siècle, Paris 1952; Marcel Destombes (Hrsg.), Mappemondes A.D. 1200 – 1500, Amsterdam 1964). Zu den Hintergründen: David Woodward: Ch. 18: Medieval Mappaemundi, in: J.B. Harley/ders. (Hrsg.), The History of Cartography, Bd. 1, S. 286 – 370, hier S. 294.
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1 Einleitung
Portolankarten oder ptolemäische Karten zu bezeichnen sind.¹² Während Weltkarten die ganze (bekannte) Welt umfassen können, beziehen sich Lokal- und Regionalkarten auf viel kleinere Teile der Welt – und zwar von oben oder von schräg oben gesehen. Dieser Definition folgte die Forschung weitgehend.¹³ Harvey weist allerdings zu Recht darauf hin, dass wir diese Raumdarstellungen bewusst als Karten wahrnehmen wollen, weil wir sie automatisch als Vorläufer unserer modernen Karten sehen.¹⁴ Mit „Lokal- und Regionalkartographie“ hat die historische Kartographie also einen Begriff kreiert, um die verschiedenen Kartengattungen besser unterscheiden zu können. Wie die jüngere Forschung hervorhob, ist nicht immer stringent zwischen diesen Kategorien zu trennen, da die verschiedenen Kartentraditionen sich auch gegenseitig beeinflussten und immer von je eigenen Interessen und Erwartungen geprägt sind.¹⁵ Ein ähnliches Phänomen ist bei den lokalen und regionalen Visualisierungen zu sehen. Inwiefern die enorme Darstellungsvielfalt der Lokal- und Regionalkarten, welche eher für verschiedene Traditionen sprechen würde, sich unter gegenseitigem Einfluss anglich oder sich vielmehr stärker voneinander abgrenzte, ist eine der vielen offenen Fragen. In dieser Studie wird der breite Begriff „Lokal- und Regionalkartographie“ verwendet, worunter Karten
„[A]ll terrestrial maps from medieval Christendom that are neither world maps nor portolan charts nor the rediscovered maps of Ptolemy“. P.D.A. Harvey: Local and Regional Cartography in Medieval Europe, in: Harley/Woodward (Hrsg.), The History of Cartography, Bd. 1, S. 464– 501, hier S. 464. In ihrer Übersicht zu mittelalterlichen Karten trennte von den Brincken zwar zwischen Welt-, Portolan-, und Regionalkarten, jedoch ohne eine spezifische Definition für die Regionalkartographie zu bieten.Vielmehr verwies sie für die Gattung der Regionalkarten auf die Arbeit Harveys und beschrieb die Typen Itinerar und Situs näher: Vgl. Anna-Dorothee von den Brincken: Kartographische Quellen. Welt-, See- und Regionalkarten (Typologie des sources du moyen âge occidental, Bd. 51). Turnhout 1988, S. 13 und 42– 46. Nine Miedema folgte sowohl dem Ansatz von Harvey als dem von den Brinckens, indem sie in ihrer vergleichenden Betrachtung der Karten Etzlaubs die heilsgeschichtliche (und damit zeitliche) Perspektive der Weltkarten hervorhob, wodurch Regionalkarten „weniger Interpretationsebenen“ bieten würden. Vgl. Nine Miedema: Erhard Etzlaubs Karten. Ein Beitrag zur Geschichte der mittelalterlichen Kartographie und des Einblattdrucks, in: Gutenberg-Jahrbuch 71 (1996), S. 99 – 125, hier S. 120. „We can see each of them as a sort of map only because we are looking at them with hindsight, because we know what a real map is.“ Harvey, The History of Topographical Maps, S. 173. Tanja Michalsky/Felicitas Schmieder/Gisela Engel: Aufsicht – Ansicht – Einsicht. Einleitung, in: Dies. (Hrsg.), Aufsicht – Ansicht – Einsicht. Neue Perspektiven auf die Kartographie an der Schwelle zur Frühen Neuzeit (Frankfurter kulturwissenschaftliche Beiträge, Bd. 3), Berlin 2009, S. 7– 17, hier S. 10 f.; Ingrid Baumgärtner: Die Welt in Karten. Umbrüche und Kontinuitäten im Mittelalter, in: Das Mittelalter 22:1 (2017), S. 55 – 74, hier S. 59.
1.2 Die kartierte Inaugenscheinnahme
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verschiedener Art und Funktion fallen können, um eben die Darstellungs- und Entstehungsvielfalt nicht a priori vorwegzunehmen. Es war allerdings nicht nur die lokale und regionale Eingrenzung, welche Harvey zu einem eigenen Kartenbegriff „Regionalkartographie“ brachte, sondern auch die für die Zeit typische Anwendung der Vogelperspektive, einer Schrägaufsicht, die so konstruiert war, dass es schien, als würde sich der Maler in der Luft befinden. Die kunsthistorische Forschung hat darauf hingewiesen, dass der Maler nicht etwa auf einen Turm oder Hügel gestiegen ist (wie oft vermutet wurde), sondern dass dies vielmehr ein bewusstes und also auch künstlerisch anspruchsvoll gestaltetes Konstrukt war.¹⁶ Diese Vogelperspektive (wie auch die hier nicht als Begriff verwendete Kavalierperspektive) ging häufig mit einer Kombination von Draufsicht und Ansicht einher.¹⁷ Somit werden Lokal- und Regionalkarten im Folgenden definiert als visuelle Raumdarstellungen von lokalen oder regionalen geographischen Gegebenheiten, die von oben bzw. von schräg oben visualisiert werden.
1.2 Die kartierte Inaugenscheinnahme Eine besondere Kategorie innerhalb der Lokal- und Regionalkartographie ist die sogenannte Augenscheinkarte, die seit einigen Jahren hauptsächlich als Begriff für jene Karten verwendet wird, die im Rahmen eines Prozesses am Reichskammergericht entstanden sind.¹⁸ Die folgende Studie folgt dieser Definition, da der Vgl. Harvey, The History of Topographical Maps, S. 68 f.; Ders., Local and Regional Cartography, S. 464. Vgl. Harvey, Local and Regional Cartography, S. 464– 466. Joachim Neumann beschreibt das regionale Kartenbild als „Vogelschaukarte“: Joachim Neumann: Kartenkundliche Erläuterungen, in: Heinz Musall u. a. (Hrsg.), Landkarten aus vier Jahrhunderten. Katalog zur Ausstellung des Generallandesarchivs Karlsruhe Mai 1986 (Karlsruher Geowissenschaftliche Schriften Reihe A, Bd. 3). Karlsruhe 1986, S. 13 – 20, hier S. 14. Zu Kavalierperspektive: Hans Brichzin: Augenschein-, Bild- und Streitkarten, in: Fritz Bönisch u. a. (Hrsg.), Kursächsische Kartographie bis zum Dreißigjährigen Krieg, Bd. 1: Die Anfänge des Kartenwesens. Berlin 1990, S. 112– 206, hier S. 190; Thomas Horst: Die älteren Manuskriptkarten Altbayerns. Eine kartographiehistorische Studie zum Augenscheinplan unter besonderer Berücksichtigung der Kultur- und Klimageschichte, 2 Bde. München 2009, S. 204; Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 204. Nils Büttner thematisierte hingegen die in Ansicht gestellten Gebäude und Orte: Vgl. Büttner, Die Erfindung der Landschaft, S. 53, 66. Vgl. Gerhard Taddey: Von der Entstehung eines Augenscheins. Landkarten als Beweismittel im historischen Gerichtsprozeß. Ein Beispiel aus Hohenlohe, in: Beiträge zur Landeskunde. Regelmäßige Beilage zum Staatsanzeiger für Baden-Württemberg 1 (1980), S. 9 – 15, hier S. 14; Hans Vollet: Der Augenschein in Prozessen des Reichskammergerichts. Beispiele aus Franken, in:
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1 Einleitung
Begriff „Augenschein“ auf seine Entstehungssituation verweist: In den Quellen des 16. Jahrhunderts deutete man mit Begriffen wie augenschein, umgangk oder auch gang die Besichtigung vor Ort an. Das Wort verwies also auf den (gemeinsamen) Rundgang zur Inspektion der Grundbesitzgegebenheiten oder auch den Begehungstermin, bei welchem die Gebietsteile persönlich inspiziert wurden. Der Begriff „Augenscheinkarte“ fasst also einerseits verschiedene zeitgenössische Beschreibungen zusammen, andererseits verweist der Begriff auf die zeitgenössische Bezeichnung für die Inaugenscheinnahme (augenschein).¹⁹ Ob und inwiefern dabei der Maler auch von der Kommission vereidigt wurde, hing von den beteiligten Parteien ab.²⁰ Die „Augenscheinkarte“ kann somit als eine kartierte Inaugenscheinnahme aufgefasst werden.²¹ Eine Inspektion vor Ort war ein Mittel, das ohnehin regelmäßig zur Begutachtung der Besitzverhältnisse eingesetzt wurde. Zeitgenössische Quellen berichten von periodischen Begehungen, die in bestimmten Jahresabständen durchgeführt wurden. Insbesondere ein Rhythmus von sieben Jahren scheint hier, vielleicht auch aus symbolischen Gründen, gern eingehalten worden zu sein.²² Hinzu kam die Begehung nach einem Herrscherwechsel.²³ Beide Varianten gehörten, solange keine größeren Streitigkeiten entstanden, vorrangig in den Bereich der Verwaltung und sind seit dem späten Mittelalter überliefert. Auch wenn die Inaugenscheinnahme eine ähnlich performative Handlung ist wie der Umgang, muss prinzipiell zwischen einer periodischen und/oder herrschaftlichen Begehung und einer Inaugenscheinnahme im Rahmen eines Gerichtsprozesses unterschieden werden. Beide Formen schlagen sich unterschiedlich in der Quellenüberlieferung nieder. Wie Andreas Rutz mit seiner Adaption des Raummodels von Martina Löw²⁴ beschreibt, sind der Raum und seine zeitgenössische Beschreibung in verschiedenen Quellen überliefert: erstens
Wolfgang Scharfe/Hans Harms (Hrsg.), 5. Kartographiehistorisches Colloquium Oldenburg 1990. Vorträge und Berichte. Berlin 1991, S. 145 – 163, hier S. 145; Brichzin, Augenschein-, Bild- und Streitkarten, S. 113; Hellwig, Tyberiade und Augenschein, S. 817; Anette Baumann/Stefan Xenakis: Augenscheine. Karten und Pläne vor Gericht, in: Dies./Eichler/Ders. (Hrsg.), Augenscheine, S. 7 f.; Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne. Vgl. Timpener, Die Karte als Argument?, S. 197 f. Die ältere Forschung war teilweise der Auffassung, dass ein unabhängiger Maler immer vom Gericht beauftragt wurde. Dies trifft nicht zu, siehe hierzu Kap. 3. Vgl. Timpener, Die Karte als Argument?, S. 197 f. Jacob Grimm: Deutsche Grenzalterthümer. Berlin 1844, S. 25 f. Andere Rhythmen, variierend von jährlich bis zu alle zehn Jahre, kamen aber auch vor. Vgl. Robert W. Scribner: Religion und Kultur in Deutschland 1400 – 1800, übers. v. Wolfgang Kaiser. Göttingen 2002, S. 334. Grimm, Deutsche Grenzalterthümer, S. 24 f. Hierzu: Martina Löw: Raumsoziologie. Frankfurt a. M. 2001.
1.2 Die kartierte Inaugenscheinnahme
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als schriftliche Raumbeschreibung in Begehungs- und Aussteinungsprotokollen, zweitens als visuelle Zeichen in der Landschaft (wie Grenzsteine) und drittens als bildliche Raumdarstellungen.²⁵ Besonders im Gerichtsprozess finden sich textuelle Beschreibungen, verschriftlichte Zeugenaussagen und (meist beschriftete) Karten wieder. Viele ‚kleinere‘ Streitigkeiten, die auf der (außergerichtlichen) Verhandlungsebene geblieben sind, haben sich dagegen in den Verwaltungsakten niedergeschlagen: Sie sind häufig als Grenzprotokolle und skizzenhafte Karten in Amtsbüchern, Urkunden und Korrespondenzen zu finden. In der vorliegenden Studie wird prinzipiell zwischen diesen beiden Formen unterschieden: Einerseits wird mit der Begehung eine Inspektion beschrieben, die regelmäßig zu Verwaltungs- und manchmal auch zu Verhandlungszwecken (beispielsweise in einer außergerichtlichen Einigung) durchgeführt wird, um die genauen Besitzverhältnisse zu bestätigen oder neu festzustellen. Dabei inspizierten Vertreter der herrschaftlichen Verwaltung(en) mit lokalen Untertanen die Verhältnisse anhand älterer Schriftstücke.²⁶ Die Ergebnisse wurden meist in Form von Grenz- und Aussteinungsprotokolle schriftlich festgehalten. Gleichzeitig konnten auch vorhandene Grenzsteine oder andere markierende Gegenstände geprüft werden, sodass eine Inspektion vor Ort häufig auch zu der parteiinternen Prozessvorbereitung gehörte.²⁷ Manchmal entstanden hierbei auch visuelle Darstellungen des Umgangs: Skizzen, Zeichnungen oder auch Karten.²⁸ Andererseits konnte auch im Rahmen eines Gerichtsprozesses eine Inspektion vor Ort durchgeführt werden. Besonders die Inaugenscheinnahme anlässlich eines Prozesses am Reichskammergericht hat die letzten Jahre in der Forschung an Bekanntheit gewonnen.²⁹ Bei diesem Termin schauten sich die Kommissi Vgl. Andreas Rutz: Die Beschreibung des Raums. Territoriale Grenzziehungen im Heiligen Römischen Reich (Norm und Struktur, Bd. 47). Köln/Weimar/Wien 2018, S. 29. Manchmal führte die regelmäßige Durchführung eines Umgangs auch zu einem Gemeinschaftsfest. Vgl. Grimm, Deutsche Grenzalterthümer, S. 25 – 28; Karl-Sigismund Krämer/Bernd Schildt: Art. „Grenzumgang“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. II, Sp. 550 – 552. Siehe Kap. 3.5 und 3.6. Vgl. Tom Engel (Hrsg.), Auf einen Blick. Karten als Instrumente von Herrschaft und Verwaltung. Ausstellung im Staatsarchiv Marburg, 10. Juni–30. September 2016. Marburg 2016, S. 17; Jost Hausmann: „Mandati de tollendo limites“. Zum Problem der Grenzen in der Praxis der Höchstgerichtsbarkeit, in: Ingrid Scheuermann (Hrsg.), Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806. Mainz 1994, S. 221– 230, hier S. 226 – 228. Die systematische Verzeichnung der etwa 80 000 Reichskammergerichtsakten brachten u. a. eine Menge Karten und Pläne hervor. Zur Erfassung der Akten: Anette Baumann: Das Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verzeichnung der Reichskammergerichtsakten, in: zeitenblicke 3,3 (2004), online verfügbar unter: http://www.zeitenblicke.de/2004/03/baumann4/bau mann4.pdf (zul. 30.09. 2018); Bernhard Diestelkamp: Rückblick auf das Projekt zur Inventarisie-
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1 Einleitung
onsmitglieder, die Vertreter der beiden Prozessparteien, die Zeugen sowie ggf. auch der Kartenmaler die Verhältnisse vor Ort an. Die Inaugenscheinnahme eines strittigen Gebiets war somit ein wichtiger Teil der Beweisaufnahme durch die Kommission und wurde manchmal bildlich festgehalten.³⁰ In Hessen machen die Augenscheinkarten wohl den Löwenteil der Lokal- und Regionalkarten des 16. Jahrhunderts aus. In den Gerichtsakten wird die Kartierung der Inaugenscheinnahme jedoch mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet.³¹ Die vielfältige Gestaltung der Lokal- und Regionalkartographie lässt sich teilweise aus dieser Entstehungssituation vor Ort erklären, denn die Karten umspannen die ganze Bandbreite von schnell gemalten schematischen Skizzen, die womöglich während eines Lokaltermins entstanden sind, bis hin zu kolorierten und reich verzierten Regionalkarten. In diese Studie wurden alle handgezeichneten Varianten der lokalen und regionalen visuellen Raumdarstellung aufgenommen,³² um ein möglichst umfassendes Bild von der Entstehung, der Bedeutung und den Funktionen dieser Karten zu bekommen.
rung der Reichskammergerichtsakten, in: Friedrich Battenberg (Hrsg.), Das Reichskammergericht im Spiegel seiner Prozessakten. Bilanz und Perspektiven der Forschung. Köln 2010, S. 3 – 10. Erste Auswertungen von Reichskammergerichtsakten und -karten bieten: Gabriele Recker: Prozeßkarten in den Reichskammergerichtsakten. Ein methodischer Beitrag zur Erschließung und Auswertung einer Quellengattung, in: Anette Baumann u. a. (Hrsg.), Prozessakten als Quelle. Neue Ansätze zur Erforschung der Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich. Köln/Weimar/Wien 2001, S. 165 – 182; Gabriele Recker: Gemalt, gezeichnet und kopiert. Karten in den Akten des Reichskammergerichts (Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, Bd. 30). Wetzlar 2004; Warmbrunn, Augenscheine und Pläne als Beweismittel. „Im konkreten Fall bezeichnet der Begriff die persönliche Ortsbesichtigung, vor allem bei Grenzstreitigkeiten und Bauprozessen, durch Vertreter des Gerichts, von diesem eingesetzte Kommissionen und die Prozessparteien, um zu einer leichteren oder gesicherten gerichtlichen Entscheidung zu kommen.“ Warmbrunn, Augenscheine und Pläne als Beweismittel, S. 10. Eine erste Studie zu den Kommissaren des Reichskammergerichts bietet: Raimund J. Weber: Probleme und Perspektiven der Kommissionsforschung am Beispiel der Reichskammergerichtsakten im Staatsarchiv Sigmaringen, in: Baumann (Hrsg.), Prozessakten als Quelle, S. 83 – 100. So beschrieb der Anwalt der hanauischen Seite die Karte als abconterfaiung: HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/107, f. 175. Bei der Vorstellung des Malers Melchior Appel wurde hingegen von einer abreissung unnd Contrafactur gesprochen: Frankfurt, Institut für Stadtgeschichte (künftig IfS Frankfurt), 1.6.6. Nachbarliche Beziehungen zu den Reichsständen der Umgebung, Mgb A 53, Nr. 421– 424. Die gedruckte Regionalkartographie wird, um den Rahmen nicht zu sprengen, bewusst außen vor gelassen. Eine äußerst lesenswerte Pionierarbeit zu gedruckten Karten und der Vielfalt der Kartenzeichen wird geboten von Catherine Delano-Smith: Signs on Printed Topographical Maps, ca. 1470–ca. 1640, in: Woodward u. a. (Hrsg.), History of Cartography, Bd. 3, S. 528 – 590.
1.3 Stand der Forschung
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1.3 Stand der Forschung Bei den meisten Lokal- und Regionalkarten wurde bisher zwar ein politischrechtlicher sowie ein administrativer Bezug vermutet, aber systematische Studien darüber, welche Rolle die verschiedenen Karten im Gerichtsprozess oder in der Territorialpolitik genau spielten, fehlen weitgehend. Die vorliegende Studie will diese Forschungslücke aufgreifen. So wiesen deutsche Archivare seit den späten 1970er Jahren verstärkt darauf hin, dass in den Archiven noch tausende Regionalkarten schlummerten, die seit dem 15. Jahrhundert eine wichtige Rolle in der fürstlichen Administration sowie in Gerichtsverfahren spielten.³³ Erschwerend für ihre Erschließung galt allerdings, dass die Karten jahrhundertelang stiefmütterlich behandelt worden waren: Die in vielen Archiven vorgenommene Trennung von Karten und Akten ohne Kenn So führte das Landesarchiv Saarbrücken bereits 1976 eine Ausstellung zur frühen Kartographie durch. Vgl. Fritz Hellwig: Zur älteren Kartographie der Saargegend, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 3 (1977), S. 193 – 227, hier S. 193. Der Zugriff auf Regionalkarten im deutschsprachigen Raum erfolgte hauptsächlich von den Landes- bzw. Staatsarchiven aus. Hier seien die wichtigsten Studien chronologisch vorgestellt: Edgar Krausen: Die handgezeichneten Karten im Bayerischen Hauptstaatsarchiv sowie in den Staatsarchiven Amberg und Neuburg a. d. Donau bis 1650. Neustadt a. d. Aisch 1973; Gerhard Taddey: Über den Augenschein. Ein Beitrag zur Frage der Identifizierung historischer Karten, in: Der Archivar 33 (1980), S. 397– 402; Taddey, Von der Entstehung eines Augenscheins; Reimer Witt: Die Anfänge von Kartographie und Topographie Schleswig-Holsteins 1475 – 1652. Heide in Holstein 1982; Hans Vollet: Oberfranken im Bild alter Karten. Ausstellung des Staatsarchivs Bamberg. Neustadt Aisch 1983; Hans-Jürgen Becker: Zur Bedeutung der Landkarte für die rechtsgeschichtliche Forschung, in: Kurt Schmitz (Hrsg.), Landkarten als Geschichtsquellen (Archivberatungsstelle Rheinland, Archivheft, Bd. 16). Köln 1985, S. 9 – 19; Gerhard Aymans: Die handschriftliche Karte als Quelle geographischer Studien, in: ebd., S. 21– 46; Musall (Hrsg.), Landkarten aus vier Jahrhunderten; Hansmartin Schwarzmaier: Kartographie und Gerichtsverfahren. Karten des 16. Jahrhunderts als Aktenbeilagen. Zugleich ein Katalog der ältesten handgezeichneten Karten des Generallandesarchivs Karlsruhe, in: Gregor Richter (Hrsg.), Aus der Arbeit des Archivars. Festschrift für Eberhard Gönner (Veröffentlichungen der staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg, Bd. 44). Stuttgart 1986, S. 163 – 186; Fritz Wolff: Karten im Archiv (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Institut für Archivwissenschaft, Bd. 13). Marburg 1987; Gerhard Leidel/Monika Ruth Franz: Altbayerische Flußlandschaften an Donau, Lech, Isar und Inn. Handgezeichnete Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns, Bd. 37). Weißenhorn 1998; Gerhard Leidel/Monika Ruth Franz: Von der gemalten Landschaft zum vermessenen Land. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs zur Geschichte der handgezeichneten Karten in Bayern, München, 6. Oktober bis 22. Dezember 2006 (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns, Bd. 48). München 2006; Günter Frank/Georg Paulus: Die pfalz-neuburgische Landesaufnahme unter Pfalzgraf Philipp Ludwig (Regensburger Beiträge zur Heimatforschung, Bd. 6). Kollersried 2016, nur noch als elektr. Ressource verfügbar: http://www.heimatforschung-regensburg.de/97/ (zul. 11.08. 2021).
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zeichnung der Provenienz hatte erhebliche Verluste zur Folge, die frühere Aufhängung und die inadäquate Aufbewahrung hatten viele Karten beschädigt und etwaige Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten wurden lieblos und billig durchgeführt.³⁴ Die Fokussierung auf kartographische Forschungsthemen, welche sich seit dem Ende der 1980er Jahre ohnehin bemerkbar gemacht hat,³⁵ ist von archivalischer Seite durch Kartenauflistungen und Ausstellungen bereits deutlich erleichtert worden.³⁶ Die jüngere historische Kartographie versuchte darüber hinaus, die verschiedenen Lokal- und Regionalkarten auf ihre kartographie‐historische Stellung hin zu untersuchen, und ordnete sie hierzu in Kategorien ein.³⁷ Die Forschung zur Regionalkartographie wurde nicht nur von verschiedenen Fachdisziplinen beeinflusst; die verschiedenen Funktionen und Entstehungskontexte von Regionalkarten machten auch unterschiedliche Forschungszugriffe
Besonders in den 1980er und 1990er Jahren legten mehrere deutsche Archivare die bisherige stiefmütterliche Behandlung von Regionalkarten, Skizzen und Plänen dar. Vgl. u. a. Taddey, Über den Augenschein, S. 397 f.; Schwarzmaier, Kartographie und Gerichtsverfahren, S. 164– 166; Brichzin, Augenschein-, Bild- und Streitkarten, S. 112 f.; Hellwig, Tyberiade und Augenschein, S. 813 f. Neue Überlegungen, insbes. zu den digitalen Möglichkeiten, verfolgt Joachim Kemper: Historische Kartenüberlieferung in Archiven, in: Anette Baumann/Sabine Schmolinsky/Evelien Timpener (Hrsg.), Raum und Recht. Visualisierung von Rechtsansprüchen in der Vormoderne (bibliothek altes Reich, Bd. 29). Berlin/Boston 2020, S. 155 – 163. Im Rahmen des sogenannten spatial turn sei eine neue und interdisziplinäre Zuwendung der Geschichtsforschung zur Beziehung von Raum und Zeit entstanden. Inwiefern dieser Begriff, der in vielen verschiedenen Fachbereichen als „Paradigmenwechsel“ gehandelt wird, tatsächlich zu einem neuen Denken über Raum und Zeit geführt hat, ist fraglich. Vgl. Susanne Rau: Räume. Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen. Frankfurt a. M. 2013, S. 8 – 11. Die Erschließung von oft nahezu unbekanntem regionalem Kartenmaterial erfolgte unter anderen durch: Musall (Hrsg.), Landkarten aus vier Jahrhunderten; Fritz Wolff/Werner Engel (Hrsg.), Hessen im Bild alter Landkarten. Ausstellung der Hessischen Staatsarchive 1988. Marburg 1988; Peter Brohl: Frühe Kartographie in Württemberg. Ausstellung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart. Stuttgart 1992; zuletzt noch Engel (Hrsg.), Auf einen Blick. So teilt Gabriele Recker die verschiedenen Karten in viele unterschiedliche Kartenkategorien auf, wobei sie betont, dass diese nicht absolut seien und die Karten sich in der Praxis in mehreren Kategorien unterbringen lassen könnten. In einem weiteren Schritt untersucht Recker den Wert der Karten für die Verkehrswegeforschung. Vgl. Gabriele Recker: Von Trier nach Köln 1550 – 1850. Kartographiehistorische Beiträge zur historisch-geographischen Verkehrswegeforschung. Betrachtungen zum Problem der Altkarten als Quelle anhand eines Fallbeispieles aus den Rheinlanden. Rahden (Westf.) 2003. Thomas Horst hingegen unterscheidet die Regionalkarten in „Augenscheinkarten“ und „Landes- und Territorialaufnahmen“, wobei er Flur- und Liegenschaftskarten sowie Jagdkarten auch bei den Augenscheinkarten einordnet.Vgl. Horst, Die älteren Manuskriptkarten Altbayerns.
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notwendig. Daher werden selbige im Folgenden kurz nach ihren rechtlichen Funktionen, ihrer politisch-herrschaftlichen Darstellung und ihrer administrativen Nutzung umrissen.³⁸ Die Idee, dass Regionalkarten einen rechtlichen Bezug haben können, ist nicht neu. So nannte der französische Geograph und Historiker François de Dainville dieses Forschungsgebiet die cartographie juridique. ³⁹ Mit besonderem Interesse widmete sich die Forschung einem Traktat des mittelalterlichen Rechtsgelehrten Bartolus de Sassoferrato (ca. 1313 – 1357). In dem Traktat, meist bekannt unter dem Titel de fluminibus, bespricht der italienische Rechtsgelehrte das rechtsrelevante Problem des mäandrierenden Flusses Tiber. Der Text verbindet dabei geometrische Kenntnisse mit juristischem Gelehrtenwissen.⁴⁰ Die Bedeutung und Rezeption Bartolus’ de Sassoferrato ist der Forschung seit langem bekannt, schließlich gab es bereits 1959 eine umfassende internationale Tagung über seine Person und insbesondere seine Wirkung in den verschiedenen Regionen Europas.⁴¹ Zudem machte die Forschung wiederholt auf die Beziehung zwischen Bartolus’ Traktat und den kartierten Rechtsstreitigkeiten aufmerksam.⁴² Der Umstand, dass französische Prozesskarten tibériades oder auch Tyberiades genannt werden, gilt seit Die Einteilung folgt damit die Trennung nach Funktionen, die in der aktuellen Forschung durchaus gängig ist: Vgl. Rutz, Die Beschreibung des Raums, bes. S. 283 – 326; Katrin Marx-Jaskulski/Annegret Wenz-Haubfleisch (Hrsg.), Pragmatische Visualisierung. Herrschaft, Recht und Alltag in Verwaltungskarten (Schriften des hessischen Staatsarchivs Marburg, Bd. 38). Marburg 2020. Stefan Fuchs entwickelte in seiner Dissertation über den herrschaftlichen Kartengebrauch der Reichsstadt Nürnberg im 16. Jahrhundert funktionale Unterkategorien, welche letztendlich auf einer ähnlichen Funktionstrennung beruhen: Erstens das „Inszenieren von Herrschaft mit Karten“, zweitens das „Prozessieren mit Karten“, welches als neues Medium Anfang des 16. Jahrhunderts aufkam, und drittens das „Regieren mit Karten“, wobei Fuchs besonders die Einflussnahme auf die lokalen Verhältnisse sieht. Vgl. Stefan Fuchs: Herrschaftswissen und Raumerfassung im 16. Jahrhundert. Kartengebrauch im Dienste des Nürnberger Stadtstaates (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen, Bd. 35). Zürich 2016, zit. S. 16 f. Dainville, Cartes et contestations, zit. S. 121. Hierzu auch: François de Dainville: Le langage des geógraphes. Paris 1964. Eine Einführung und Deutung, zusammen mit Text und Übersetzung, gibt Osvaldo Cavallar: River of Law. Bartolus’s Tiberiadis (De alluvione), in: John A. Marino/Thomas J. Kuehn (Hrsg.), A Renaissance of Conflicts. Visions and Revisions of Law and Society in Italy and Spain. Toronto 2004, S. 31– 129. Niederschrift im folgenden Tagungsband: Bartolo da Sassoferrato. Studi e documenti per il VI. centenario, Università di Perugia, 2 Bde. Mailand 1961– 1962. Hierzu u. a. Charles C. Hyde/L.H. Woolsey: Maps as Evidence in International Boundary Disputes, in: The American Journal of International Law 27 (1933), S. 311– 324; Guenter Weissberg: Maps as Evidence in International Boundary Disputes. A Reappraisal, in: The American Journal of International Law 57:4 (1963), S. 781– 803; Hellwig, Tyberiade und Augenschein.
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Dainvilles Hinweis als Beleg für den Einfluss von Bartolus’ Traktat auf die rechtliche Regionalkartographie.⁴³ Ob die Verbreitung des Traktates auch für die relativ breite Anwendung von Regionalkarten im Rahmen von Prozessen am Reichskammergericht verantwortlich war, konnte bisher nur vermutet werden. Sicher ist, dass bereits vor der Existenz des Reichskammergerichts Skizzen und Karten angefertigt wurden, die im Zuge von Auseinandersetzungen entstanden waren.⁴⁴ Das Aufkommen von Karten innerhalb eines rechtlichen Kontexts nahm allerdings im 16. Jahrhundert eine rasante Entwicklung, was unter anderem mit der fortschreitenden Territorialisierung und der Installation des Reichskammergerichts erklärt wurde.⁴⁵ Der Territorialisierungsprozess „steigerte das Bedürfnis nach territorialer Abgrenzung von den Nachbarn, was zu einer Häufung der Grenzkonflikte führte, die zunehmend vor den obersten Reichsgerichten ausgetragen wurden.“⁴⁶ Die Auseinandersetzungen zwangen die Kontrahenten regelrecht dazu, ihre Ansprüche einander gegenüber sowie auch gegenüber weiteren politischen Akteuren zu legitimieren. So versuchte Hans Vollet die Verbindung zwischen dem Wirken des Reichskammergerichts und der Entwicklung der Kartographie konkreter zu beleuchten, indem er sechs frühe Augenscheinkarten aus Franken in Anbindung an die Gerichtsakten vorstellte. Auch wenn Vollets Hinweise zur Heranziehung der Maler im Prozess aufführen konnte,⁴⁷ musste die konkrete Beziehung zwischen Augenscheinkarten und Gerichtsakten sowie die Rolle der Karte im Gerichtsprozess selbst offen bleiben. Allgemein gilt in der Literatur zu den Augenscheinkarten, dass die ersten Vermutungen und Ergebnisse oftmals später als Tatsachen wiederholt wurden. So wird die Erkenntnis, dass viele Regionalkarten im Rahmen eines Reichskammergerichtsprozesses entstanden sind, sowie die Tatsache, dass Maler oft bereits im 16. Jahrhundert einen Eid schwören mussten, immer wieder
Vgl. de Dainville, Cartes et contestations, S. 117– 120. Ähnlich Harvey, Local and Regional, S. 490; Hellwig, Tyberiade und Augenschein, S. 806 – 807; Leidel, Die Anfänge, S. 88. Vgl. Leidel, Die Anfänge. Vgl. Becker, Zur Bedeutung der Landkarte, S. 15 f.; Warmbrunn, Augenscheine und Pläne als Beweismittel, S. 9; Elisabeth Kisker: Territoriale Abgrenzung in Wort und Kartendarstellung. Ein westfälisches Beispiel aus dem 15./16. Jahrhundert, in: Baumann/Schmolinsky/Timpener (Hrsg.), Raum und Recht, S. 29 – 48, hier S. 29. Warmbrunn, Augenscheine und Pläne als Beweismittel, S. 9 f. Vgl. Hans Vollet: Landschaftsgemäldekarten aus Franken um 1600 in Prozessen vor dem Reichskammergericht, in: Uta Lindgren (Hrsg.), Kartographie und Staat. Interdisziplinäre Beiträge zur Kartographiegeschichte. München 1990, S. 25 – 35; Vollet, Der Augenschein in Prozessen, S. 161.
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zitiert.⁴⁸ Eine systematische Untersuchung der Augenscheinkarten – besonders in ihrer Wechselwirkung mit den Akten – blieb aus. Seit einigen Jahren werden die Augenscheinkarten jedoch mittels neuer Fragestellungen erforscht, was auf eine neue Bewertung und Einordnung dieser Quellengattung hoffen lässt.⁴⁹ Die Frage nach dem zahlenmäßig recht schnellen Anstieg von Regionalkarten wurde zunächst mit dem Hinweis auf die machtpolitischen und herrschaftlichen Funktionen beantwortet.⁵⁰ Den großen, oft reich geschmückten und kolorierten territorialen Kartierungen, auch bekannt als Landtafel oder Landesaufnahmen, sind am ehesten machtpolitische und herrschaftsinszenierende Funktionen zuzuordnen.⁵¹ Die fortschreitende Territorialisierung sowie die neuen Darstellungstechniken von Raum nach der Wiederentdeckung von Ptolemäus führten dazu, dass Karten zu einem gängigen Repräsentationsmittel für den politischen
Vgl. Taddey, Von der Entstehung eines Augenscheins, S. 398 – 402; Hellwig, Tyberiade und Augenschein, S. 812, 815 – 819; Schwarzmaier, Kartographie und Gerichtsverfahren, S. 183 – 185; Vollet, Der Augenschein in Prozessen, S. 145; Horst, Die älteren Manuskriptkarten Altbayerns, S. 68; zuletzt Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 314– 320. Das bedeutet in Umkehrschluss nicht, dass nur gerichtlich vereidigte Maler die Augenscheinkarten malten. Auch wenn der Maler laut Gerichtsakten des 16. Jahrhunderts häufig vereidigt wurde, fand der Malereid erst 1613 in einem Konzept zu einer neuen Reichskammergerichtsordnung seine offizielle Erwähnung. Ich danke Daniel Kaune für den Hinweis auf: Johann Jacob Schmauss: Corpus Juris Publici. Leipzig 1794 (Nachdr. Hildesheim 1973), S. 510: „Der Mahler Eyd“. Erste Ansätze sind zu sehen in: Baumann/Schmolinsky/Timpener (Hrsg.), Raum und Recht. Neben dem der Studie zugrunde liegenden Projekt gibt es seit 2017 das DFG-Projekt „Visuelle Evidenz – Manuskriptkarten, Genealogien und ihre Darstellungsmedien in ihrer Funktion als Beweismittel vor dem Reichskammergericht (1495 – 1806)“, bearb. v. Anette Baumann, Univ. Gießen. Vgl. Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne, Kap. 1. Vgl. Ute Schneider: Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute. Darmstadt 2004, S. 16 – 18; Ingrid Baumgärtner/Stefan Schröder: Weltbild, Kartographie und geographische Kenntnisse, in: Johannes Fried/Ernst-Dieter Hehl (Hrsg.), WBG Weltgeschichte, Bd 3: Weltdeutungen und Weltreligionen 600 bis 1500, Darmstadt 2010, S. 57– 83, hier S. 74– 77. Vgl. Martina Stercken: Repräsentieren mit Karten als mediales Modell, in: Das Mittelalter 15:2 (2010), S. 96 – 113, hier bes. S. 97 f.; Martina Stercken: Herrschaft verorten. Einführung, in: Ingrid Baumgärtner/Martina Stercken (Hrsg.), Herrschaft verorten. Politische Kartographie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen, Bd. 19). Zürich 2012, S. 9 – 24, bes. S. 16 – 23. Diesem Ansatz folgt auch Johanna Lehmann: Karten als Informationsträger frühneuzeitlicher Herrschaft. Zwei Regionalkarten des Spessarts, in: Ingrid Baumgärtner (Hrsg.), Fürstliche Koordinaten. Landesverfassung und Herrschaftsvisualisierung um 1600 (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Bd. 46). Altenburg 2014, S. 219 – 231, hier S. 220 f.
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Raum wurden.⁵² Wie auch die geodätischen Instrumente der 1560 gegründeten Dresdner Kunstkammer belegen,⁵³ lässt sich für die Frühe Neuzeit ein großes fürstliches Interesse an der Vermessung und kartographischen Darstellung besonders des eigenen Territoriums feststellen.⁵⁴ Die Verwirklichung eines groß angelegten Kartenwerks für das eigene Territorium war allerdings keine einfache Aufgabe. Sowohl Fürsten als auch Kartenmacher scheinen die Dauer und den Umfang solcher Projekte zunächst unterschätzt zu haben. So führte Gottfried Mascop in den frühen 1570er Jahren kartographische Tätigkeiten für Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel durch. Letzterer forderte allerdings aus Unzufriedenheit über die von Mascop geleistete Arbeit eine Überarbeitung ein und wollte Mascop nicht für seine Verrichtungen bezahlen.⁵⁵ Anfang des 17. Jahrhunderts sollte Wilhelm Dilich 174 Landtafeln der verschiedenen Ämter der Landgrafschaft Hessen-Kassel anfertigen, aber in zehn Jahren konnte er nur einen kleinen Teil des viel zu groß geplanten Projektes fertigstellen.⁵⁶ Kartierungen von kleineren Gebietsabschnitten, wie die Darstellung einzelner umstrittener Wiesen oder Flur- und Gemarkungskarten, wurden hingegen eher politisch-administrativen Zwecken zugeordnet. Diese eher lokale Karten dienten
Vgl. Martina Stercken: Repräsentation,Verortung und Legitimation von Herrschaft. Karten als politische Medien im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Dilich: Landtafeln hessischer Ämter, S. 37– 52, hier S. 37. Hierzu: Yvonne Fritz: Die Kunstkammer und das Reißgemach von Kurfürst August, ein Zentrum der Geodäsie und Kartographie, in: Wolfram Dolz/Dies. (Hrsg.), Genau messen = Herrschaft verorten. Das Reißgemach von Kurfürst August, ein Zentrum der Geodäsie und Kartographie. Berlin/München 2010, S. 14– 18. Die politische Nutzung von Regionalkarten sowie die Beziehung zwischen Herrschen, Vermessen und Kartieren um 1600 wurde jüngst in einem Tagungsband anhand verschiedener Regionen dargelegt. Einleitend dazu: Ingrid Baumgärtner: Landesvermessung und Herrschaftsvisualisierung. Zielsetzung, Forschungstendenzen und Ergebnisse, in: Dies. (Hrsg.), Fürstliche Koordinaten, S. 13 – 27, bes. S. 13 – 15. Vgl. Arnd Reitemeier: Die Landesaufnahme des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel im Jahr 1574 durch Gottfried Mascop, in: Marx-Jaskulski/Wenz-Haubfleisch (Hrsg.), Pragmatische Visualisierung, S. 61– 69, bes. S. 62 f. Heute sind noch 28 Karten überliefert, welche in einem schönen kommentierten Faksimileband veröffentlicht worden sind: Uwe Ohainski/Arnd Reitemeier (Hrsg.), Das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel im Jahr 1574. Der Atlas des Gottfried Mascop. Bielefeld 2012. Vgl. Ingrid Baumgärtner, Wilhelm Dilich und die Landtafeln hessischer Ämter, in: Dilich: Landtafeln hessischer Ämter, S. 9 – 35, bes. S. 9. Die 66 heute noch überlieferten Karten, Pläne und Aufrisse sind in einer grundlegenden kommentierten Faksimileausgabe herausgegeben worden: Baumgärtner/Halle/Stercken (Hrsg.), Wilhelm Dilich.
1.4 Fragestellung und Methodik
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Steuer- und Pacht- oder generellen Besitzzwecken.⁵⁷ Der Zugriff der territorialen Verwaltung auf das Land erfolgte auch kartographisch, wie die Ausstellung im hessischen Staatsarchiv Marburg 2014 mit dem griffigen Titel „Pragmatische Visualisierung“ treffend beschrieb.⁵⁸ Karten von Fluren, Gemarkungen und Grundstücken vervollständigten seit dem Ende des 16. Jahrhunderts die mittelalterlichen Urbare.⁵⁹ Später kamen amtliche Kartierungen im Sinne eines Katasters zur Besteuerung hinzu.⁶⁰ Kritisch hinterfragt werden muss, ob diese klare Trennung zwischen administrativen, rechtlichen und herrschaftsinszenierenden Funktionen bei den verschiedenen Lokal- und Regionalkarten so beibehalten werden kann. So fragte Ralph A. Ruch, inwiefern die lokalen Karten aus dem 15. Jahrhundert, die er gemeinsam mit den Akten über ihre Entstehung untersuchte, nicht vielmehr „als Mittel der Manifestation und Legitimation von politischen Ansprüchen“ zu sehen sind.⁶¹
1.4 Fragestellung und Methodik Wie oben erörtert, wurden die Lokal- und Regionalkarten in vielen Untersuchungen vorrangig veranschaulichend herangezogen: Einzelstudien listeten den
Vgl. Harvey, Local and Regional Cartography, S. 491 f. Viele Regionalkarten sind einerseits durch neue Verwaltungsaufgaben entstanden, andererseits ermöglichten sie auch einen stärkeren Zugriff auf die lokalen Gegebenheiten. Vgl. Heinz-Dieter Heimann: Dorfbild – Ereignisbild – Weltbild. Die neue Sicht der „kleinen“ Welt in frühen Kartenwerken, in: Werner Rösener (Hrsg.), Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Moderne. Göttingen 2000, S. 189 – 208, hier S. 207. Die Ausstellung ging mit einer Tagung einher, deren Verschriftlichung 2020 erfolgte: MarxJaskulski/Wenz-Haubfleisch (Hrsg.), Pragmatische Visualisierung. Vgl. Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 311. Spezifisch für Sachsen Peter Wiegand: Landesaufnahme und Register. Zum funktionellen Verband von archaischer Karte und urbariellem Schriftgut im frühneuzeitlichen Sachsen, in: in: Marx-Jaskulski/Wenz-Haubfleisch (Hrsg.), Pragmatische Visualisierung, S. 39 – 69. Die exakte Vermessung von Grundstücken ermöglichte den Fürsten eine angepasste Besteuerung. In Hessen fand diese Entwicklung seit dem späten 17. Jahrhundert statt. Vgl. Engel (Hrsg.), Auf einen Blick, S. 23 – 26; Annegret Wenz-Haubfleisch: „… daß alles ums mehrere Sicherund Gewissheit willen solte gemeßen werden“. Katastervermessung, Kartographie und Steuerreform in Hessen-Kassel im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert, in: Marx-Jaskulski/Dies. (Hrsg.), Pragmatische Visualisierung, S. 139 – 164, hier S. 141. Vgl. Ralph A. Ruch: Kartographie und Konflikt im Spätmittelalter. Manuskriptkarten aus dem oberrheinischen und schweizerischen Raum (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen, Bd. 33). Zürich 2015, S. 9.
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Streitgegenstand oder die Grenzstreitigkeit auf und illustrierten dies mit Regionalkarten. Die vorliegende Untersuchung will hingegen die Frage nach dem Verhältnis zwischen Karten und Akten aufgreifen: Welche Bedeutung und Funktion erfüllten die Karten in Hinblick auf die Akten? Wie ist das Verhältnis zwischen Text und Bild zu bezeichnen? Und schließlich: Was erhofften sich die Prozessparteien von einer Visualisierung? Als Untersuchungsgegenstand bietet sich die Region Hessen in der Periode 1500 – 1575 an, die allerdings nicht deckungsgleich mit dem heutigen Bundesland Hessen ist. Der hier zu untersuchende Raum umfasst in etwa den Einflussbereich der Landgrafen von Hessen, der Grafen von Hanau-Münzenberg, der Grafen von Solms, der Grafen von Nassau-Weilburg, der Reichsstadt Frankfurt sowie einiger kleinerer politischer Akteure. Die Konzentration auf die Region Hessen hat drei Gründe: Erstens lässt sich die bisherige systematische Erhebung nach Bundesländern, welcher diese Studie schließlich auch folgt, durch die Quellensituation erklären. Die meisten deutschen Regionalkarten sind – oft mit der Aufteilung der Reichskammergerichtsakten oder auch über die Provenienzen der fürstlichen Verwaltungen – in die jeweiligen Staatsarchive gekommen. Auch wenn in vielen Fällen Karte und Akte(n) voneinander getrennt worden waren, konnten in einem Vorprojekt 37 von 269 Regionalkarten wieder mit den zugehörigen Akten zusammengeführt werden.⁶² Aus diesen Karten wurden hier die 18 ältesten sowie zwei spätere Karten, die angeblich auf eine Vorlage aus dem 16. Jahrhundert zurückgehen, ausgesucht. Zudem beschäftigt sich ein Exkurs mit vier Karten des Malers Elias Hoffmann. Zweitens wird mit der Entscheidung für die Region Hessen, trotz unterschiedlicher Schwerpunkte, ein Vergleich mit anderen regionalen Forschungen
Das von den Universitäten Göttingen und Hannover gemeinsam beantragte und von Pro*Niedersachsen geförderte Projekt „Der Blick auf die kleine Welt“ (2013 – 2014) listete die Regionalkarten aus dem Raum Niedersachsen und Hessen für die Periode 1500 bis 1650 auf. Ich bedanke mich bei Prof. Dr. Michael Rothmann und Daniel Kaune für die Erlaubnis, auf die Kartendatenbank, welche aus diesem Projekt hervorging, zuzugreifen. Zum Ergebnis des Vorprojektes: Daniel Kaune: Der Blick auf die kleine Welt. Frühe, handgezeichnete regionale Landkarten zwischen Mimesis und Metrik, in: Archivnachrichten aus Hessen 16,2 (2016), S. 58 – 60; Ders.: Augenzeugen und Augenschein im Prozess. Ein Zeugenverhör-rotulus des Reichskammergerichts im Spiegel seiner Augenschein-Karte (Gelnhausen gegen Graf Anton von Isenburg 1553– 1555), in: Stephan Laux/Maike Schmidt (Hg.), Grenzraum und Repräsentation. Perspektiven auf Raumvorstellungen und Grenzkonzepte in der Vormoderne (Trierer historische Forschungen, Bd. 74). Trier 2019, S. 85 – 98; Ders.: Text und Bild vor Gericht. Die Beweiskraft von Augenscheinkarten, in: Marx-Jaskulski/Wenz-Haubfleisch (Hrsg.), Pragmatische Visualisierung, S. 105 – 130.
1.4 Fragestellung und Methodik
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ermöglicht.⁶³ Drittens fällt dieses Gebiet durch eine sehr große Kartenfülle auf, welche nicht zuletzt mit den politischen Verhältnissen zu tun haben könnte: Es ist wenig überraschend, dass in einer politisch stark fragmentierten Landschaft viele Grenzstreitigkeiten entstanden, welche wiederum die Produktion von Regionalkarten und lokalen Skizzen anregten. Die Tatsache, dass die territorialen Kräfte in diesem Raum sich bei etwaigen Streitigkeiten mit benachbarten Akteuren an das Reichskammergericht wenden konnten, spielt hierin wahrscheinlich eine wichtige Rolle. Die Studie geht von der Grundannahme aus, dass das neue Medium der Lokal- und Regionalkartographie in der Übergangsphase vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit neue Möglichkeiten im Bereich von Herrschaft, Recht und Verwaltung bot. Karten werden daher in diesem Vorhaben nicht als passives, bloß illustratives Bild eines Grenzstreites gesehen, sondern vielmehr als aktives Instrument verstanden, das im Zusammenhang mit verschriftlichten Informationen, Argumenten und Zeugenverhören zu sehen ist. Nur in der direkten Beziehung zwischen Karte und Akte wird deutlich, in welchem Kontext die Karte entstanden ist, mit welchem Ziel sie angefertigt wurde und mit welchen Argumenten welche konkreten Ansprüche auf den Raum gestellt wurden. Anhand von mehreren hessischen Fallstudien folgt das Vorhaben grundsätzlich zwei Fragekomplexen: Da die rezente Forschung für die Frühphase der Regionalkartographie eine große Vielfalt an Darstellungsformen festgestellt hatte,⁶⁴ fragt die Studie im zweiten Kapitel nach der konkreten Beziehung zwischen Funktion und Darstellungsform. Anders als bei politischen Karten wie Landesaufnahmen, die bereits eingehend auf ihre machtpolitischen und herrschaftsinszenierenden Funktionen untersucht worden sind, ist aufgrund des (verwaltungs‐)rechtlichen Entstehungs- und Nutzungskontextes der 24 im Folgenden vorgestellten hessischen Regionalkarten zu erwarten, dass diese andere Formen und Funktionen aufweisen.⁶⁵ Auch wird anhand der Biographien der Maler nach
So untersuchte Hans Brichzin Sachsen, Gabriele Recker die Region Rheinland und Thomas Horst das Gebiet Altbayern. Vgl. Brichzin, Augenschein-, Bild- und Streitkarten; Recker, Von Trier nach Köln; Horst, Die älteren Manuskriptkarten Altbayerns. Darüber hinaus gibt es aktuelle Dissertationsprojekte zu Norddeutschland (Sascha Standke, Univ. Göttingen) und Westphalen (Elisabeth Kisker, Univ. Hagen). Einen ersten Einblick zu ihrem Projekt gibt Kisker, Territoriale Abgrenzung, S. 29 – 48. Vgl. Michalsky/Schmieder/Engel, Aufsicht – Ansicht – Einsicht. Je nachdem, wie Begriffe wie „Herrschaft“ und „Herrschaftsinszenierung“ definiert werden, kann auch die Verwendung von Regionalkarten in Gerichtsprozessen und Verwaltungssituationen unter dem medialen Modell der Herrschaftsinszenierung verstanden werden, wie Stefan Fuchs dies implizit für die Nürnberger Karten am Anfang des 16. Jahrhunderts darlegt. So werden beispielsweise die Augenscheinkarten als Medien im Modell „prozessieren mit Karten“ verstan-
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dem potentiellen Austausch über Mal- und Kartographietechniken gefragt. Darüber hinaus kann mit den konkreten Kartenbeispielen auch die These überprüft werden, inwiefern Streitigkeiten über Räume auch in Hessen „zu regionaler und lokaler kartographischer Methodenvielfalt“⁶⁶ geführt haben. In einem zweiten Schritt greift die Untersuchung die Beziehung zwischen Bild (Karte) und Text (Akten) anhand ausgewählter Beispiele auf, indem nicht nur nach der konkreten Wechselwirkung zwischen Karte und Akte(n), sondern auch nach der Bedeutung und Funktion gefragt wird, die diese Karten erfüllen sollten. Welche Wirkung erhofften sich die Zeitgenossen von der kartographischen Darstellung im Gerichtsprozess? Und: Sind Karte und Akte(n) in einem aktiven Verhältnis miteinander oder vielmehr in einem passiven nebeneinander zu sehen? Schließlich werden die verschiedenen Aspekte in einer Gesamtbetrachtung (Kap. 4) zusammengefügt und in einem Ausblick nach der herrschaftlichen (Neu‐) Ordnung des Raumes gefragt. Gibt es, bei allem Vielfalt in Karten und Konflikten, gewisse Grundtendenzen oder Muster, die auf eine neue Raumordnung und Herrschaftsdarstellung schließen lassen?
den.Vgl. Fuchs, Herrschaftswissen und Raumerfassung, S. 16 f. und S. 123 – 128. Da die vorliegende Studie die Beziehungen zwischen Text und Bild sowie die konkreten Funktionen der frühesten hessischen Regionalkarten erfassen will, werden die Funktionen und Verwendungskontexte in Kap. 3 anhand von neun Fallstudien herausgearbeitet und dort auch auf die jeweiligen Interessen der involvierten politischen Akteure eingegangen. Michalsky/Schmieder/Engel, Aufsicht – Ansicht – Einsicht, S. 12.
2 Form und Funktion der frühen Lokal- und Regionalkarten in Hessen Die historische Kartographieforschung steht heute vor der Herausforderung, in den historischen Karten nicht nach ersten Anzeichen für die moderne Kartengestaltung zu suchen, sondern vielmehr die früheren Karten im Rahmen ihrer Entstehung zu verstehen und zu deuten. Die Annahme, dass der Weg der historischen Karten automatisch von den ersten Versuchen hin zu immer ‚moderneren‘ Karten mit Legenden, standardisierten Symbolen und Farben geführt habe, wäre anachronistisch oder vielmehr teleologisch.⁶⁷ Stattdessen ist davon auszugehen, dass die damaligen Kartenmacher von den Interessen der Auftraggeber wussten und ihre Techniken dementsprechend einsetzten. Karten sind also per definitionem konstruiert, sie zeigen das, was sich der Kartenmacher bzw. der Auftraggeber wünscht.⁶⁸ Dieser Aspekt der Konstruktion ist umso wichtiger, da besonders die Augenscheinkarten eine gewisse Augenzeugenschaft suggerieren.⁶⁹ Die im Folgenden vorgestellte Analyse der einzelnen Kartenelemente macht deutlich, wie funktional bestimmte Landschaftselemente und Kartenzeichen weggelassen, andere hingegen stark betont wurden.
Exemplarisch sind Aussagen wie: „von etwa 1520 bis 1620 hat sich die Entwicklung von den ersten schüchternen bildmäßigen Skizzen zur Karte in unserem Sinne vollzogen.“ Hans Beschorner: Risse und Karten in den Archiven, in: Ders. (Hg.), Archivstudien. Zum siebzigsten Geburtstag von Woldemar Lippert. Dresden 1931, S. 20 – 35, hier S. 25. Stefan Xenakis hingegen greift das Problem der Teleologie auf, indem er darauf hinweist, dass bereits die Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts „den Zielkonflikt zwischen Anschaulichkeit und Exaktheit erkannt“ hätten. Moderne Karten hingegen seien radikal vereinfachte Raumdarstellungen, die dieses Problem nicht mehr hätten. Stefan Xenakis: Wahrhaftigkeit und Anschaulichkeit von Augenscheinkarten. Die Entdeckung eines produktiven Konflikts, in: Marx-Jaskulski/Wenz-Haubfleisch (Hrsg.), Pragmatische Visualisierung, S. 131– 138, zit. S. 132. Vgl. Martin Uhrmacher: Die Darstellung von Wäldern im Rhein-Maas-Moselraum auf historischen Karten des späten 15. und des 16. Jahrhunderts, in: Michel Pauly/Hérold Pettiau (Hrsg.), La forêt en Lotharingie médiévale. Der Wald im mittelalterlichen Lotharingien (Publications de la Section Historique de l’Institut Grand-Ducal, Bd. 127/Publications du CLUDEM, Bd. 43). Luxembourg 2016, S. 21– 49, hier S. 22 f. „Das mit Mitteln der Mimesis operierende Bild (…) ist immer eine Konstruktion: kein simpler Spiegel der Realität, kein wirkliches Fenster in der Wand. Das heißt: Auch eine mit und im Bild hergestellte Augenzeugenschaft ist eine solche Konstruktion; Bilder sind keine transparenten Zeugnisse von Augenzeugenschaft.“ Claudia Hattendorff: Bild und Augenzeugenschaft. Überlegungen zu einer Nahbeziehung, in: Baumann/Schmolinsky/Timpener (Hrsg.), Raum und Recht, S. 139 – 153, hier S. 142. https://doi.org/10.1515/9783110777598-003
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2 Form und Funktion der frühen Lokal- und Regionalkarten in Hessen
Die ersten handgezeichneten Regionalkarten wurden noch nicht durch Landmesser, Geometer oder gar Kartographen, sondern durch Maler angefertigt.⁷⁰ Auch Zeitgenossen wie Peter Apian, der der Mathematik die Hauptrolle für die Geographie einräumte, wiesen auf die Geschicklichkeit der Maler in Sachen Chorographie hin. So folgte Apian Ptolemäus, der folgendermaßen zwischen Geographie und Chorographie unterscheidet: Geographie sei die Darstellung der ganzen Erde, wie beim Malen eines Kopfes, und Chorographie die Darstellung von kleineren Abschnitten und Details, wie beim Malen eines Ohres oder eines Auges. Apian wandelte diese Bildsprache in seinem Cosmographicus Liber in ein prägnantes Bild um, indem er einen gemalten Kopf neben eine Weltkarte sowie ein aufgemaltes Auge und Ohr neben eine Stadtansicht stellte.⁷¹ Die offene Frage, ob und inwiefern die verschiedenen Darstellungsformen auf unterschiedliche Funktionen schließen lassen, wird im Folgenden anhand einer Analyse von verschiedenen Bildelementen von 24 handgezeichneten Regionalkarten aus der Region Hessen beantwortet. Die bisher nie systematisch ausgewerteten Karten sind bei der Einzeichnung und Verwendung von Kartenzeichen sehr unterschiedlich, ihre jeweilige Funktion war bisher noch nicht eindeutig.⁷² Die meisten bisherigen Kartenbeschreibungen versuchten die frühen hessischen Karten durch Beschreibungen des Blickwinkels und der Perspektive näher zu charakterisieren,⁷³ was aber bei der konkreten Analyse zur Funktion und Sym-
Besonders in der Kunstgeschichtsforschung fand die von Svetlana Alpers erkannte Beziehung zwischen der (niederländischen) Landschaftsmalerei und der Kartographie große Aufmerksamkeit: Vgl. Svetlana Alpers: The Art of Describing. Dutch Art of the Seventeenth Century. Chicago 1983. So suchte Nils Büttner, angeregt durch die Forschung Alpers’, Belege für die These zu finden, dass „Künstler mit den Erkenntnissen der Wissenschaft ihrer Zeit vertraut waren“, indem er zugleich herausfinden wollte, „welche Auswirkungen speziell die Geographie auf ihre Weltsicht und ihre Werke hatte.“ Hierzu Büttner, Die Erfindung der Landschaft, S. 14. Mittlerweile hat die Forschung auf einige Lücken in Alpers’ Thesen hingewiesen: vgl. Tanja Michalsky: Medien der Beschreibung. Zum Verhältnis von Kartographie, Topographie und Landschaftsmalerei in der Frühen Neuzeit, in: Jürg Glauser/Christian Kiening (Hrsg.), Text – Bild – Karte. Kartographie der Vormoderne. Freiburg 2007, S. 319 – 349, bes. S. 319 – 321 und S. 348 f.; Dies.: Projektion und Imagination. Die niederländische Landschaft der Frühen Neuzeit im Diskurs von Geographie und Malerei. München 2011, bes. S. 20 – 28. Vgl. Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne, Kap. 3.1; Büttner, Die Erfindung der Landschaft, S. 53 f.; Michalsky, Medien der Beschreibung, S. 325 – 329. Exemplarisch: Peter Apian: Cosmographia. Antwerpen, Gregorius Bontius, 1550, jetzt in der UB Heidelberg, A 218 C RES, f. 1v– 2r. Diese Beobachtung gilt übrigens auch für die gedruckten Karten in diesem Zeitraum. Vgl. Delano-Smith, Signs on Printed Topographical Maps, S. 529 – 531. Hierzu wurden Begriffe wie „stereographische Darstellung“ und „Parallelprojektion“ verwendet. Vgl. Fritz Wolff: Elias Hoffmann. Ein Frankfurter Kartenzeichner und Wappenmaler des
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bolik der jeweiligen kartographischen Elemente im Kartenbild nicht weiterhilft. Um diese Frage zu beantworten und eine tiefergreifende Analyse durchführen zu können, werden in Abschnitt 2.1 die frühesten 18 Regionalkarten anhand bestimmter Details analysiert: Durch eine an die Kartosemiotik⁷⁴ angelehnte Analyse der dargestellten Landschaftselemente (wie Bäume, Flüsse oder Straßen) sowie der innerhalb der Kartenlandschaft platzierten Bestandteile (wie Grenzlinien, Windrosen oder Wappen) werden die Regionalkarten auf Darstellungsform, mögliche Symbolik und Funktion der jeweiligen Elemente im Kartenbild untersucht. Im Laufe der Zeit scheint sich eine Art kartographische Zeichensprache herausgebildet zu haben. Um einen Ausblick auf nachfolgende Entwicklungen zu ermöglichen, werden in Abschnitt 2.2 sechs spätere Karten in die Analyse mit einbezogen. Besonders zwei Karten (S und T) aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die laut Aufschrift Kopien von Darstellungen aus dem 16. Jahrhundert sind, zeigen, wie sehr sich die Darstellungsformen in der Zwischenzeit gewandelt hatten. Auch die Wiederverwendung von altem Kartenmaterial wird unter die Lupe genommen: In einem Exkurs zu dem Frankfurter Hof Rebstock wird verdeutlicht, wie der Maler Elias Hoffmann die gleiche Region mehrmals in nahezu gleicher Form kartierte (Karten U bis X), die Kartenfunktionen sich allerdings durch den Auftraggeber und den Anlass unterschieden (Kap. 2.2.1). Zuletzt werden die wenigen Informationen über das Leben der Maler mit den verschiedenen Darstellungstechniken verbunden. Nach einer kurzen Klärung der Beziehung zwischen Landschaftsmalerei und Kartographie nimmt die Studie auch kurz die Biographien und Techniken der namentlich bekannten Maler in den Blick. Besonders die Darstellungsweisen der Maler werden noch einmal betrachtet und mit der Frage nach einer individuellen Kartensprache und Kartensymbolik verknüpft. Ein kurzes Fazit fasst die Ergebnisse zusammen und greift dabei die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis zwischen Form und Funktion noch einmal auf: Wie beeinflussen die Funktionen die Darstellungsformen und lässt sich aufgrund der Form etwas über die Funktion aussagen?
16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 94 (1989), S. 71– 100, hier S. 83; Neumann, Kartographische Erläuterungen, S. 14. Meines Erachtens sind solche Begriffe problematisch, weil der Wechsel zwischen verschiedenen Ansichten und Projektionen übergangen wird. „Kartosemiotik“ kann als „die semiotische Untersuchung von topographischen und thematischen Karten“ verstanden werden. Dieser Forschungszweig geht davon aus, dass Karten als Zeichensysteme semiotisch erforscht werden können. Eine Übersicht der verschiedenen Theorien zur Kartosemiotik gibt Winfried Nöth, Kartosemiotik und das kartographische Zeichen, in: Zeitschrift für Semiotik 20:1,2 (1998), S. 25 – 39, zit. S. 25.
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2.1 Darstellungselemente in Form und Funktion Als Untersuchungsgrundlage sind zunächst 18 frühe handgezeichnete Regionalkarten (A bis R) aus der Zeit vom Anfang des 16. Jahrhunderts bis 1577 ausgewählt worden. Darunter fallen die frühesten handgezeichneten Regionalkarten in Hessen, die eindeutig datierbar sind. Die Karten bieten die gesamte Bandbreite an Regionalkarten und bilden die Basis der vorliegenden Studie. Hinzu kommen sechs spätere Karten (S bis X), die exemplarisch herangezogen werden. Erst in der Gesamtbetrachtung fällt auf, dass die frühesten Regionalkarten nicht nur unterschiedlich in Form und Größe sind, sondern darüber hinaus die Kartenzeichen vielfältig gezeichnet und eingefärbt sind. Bevor die jeweilige Karte in Zusammenhang mit den Akten betrachtet werden kann, ist deshalb zuerst zu fragen, welche Funktionen die einzelnen Darstellungselemente und Kartenzeichen innerhalb der Karte selbst haben. Innerhalb der Kartosemiotik wurde bereits in den 1990er Jahren auf einige grundlegende Prinzipien von (historischen) Karten hingewiesen: Auch wenn in der modernen Welt die Vorstellung vorherrscht, dass eine Karte lediglich unmittelbar in Zusammenhang mit dem Referenzobjekt als geographische Tatsache bestünde,⁷⁵ hat bereits Charles Sanders Pierce das triadische Prinzip bei Karten betont: Kartenzeichen haben prinzipiell mit einem Zeichenträger (die Karte bzw. die Kartenzeichen), einem Referenzobjekt und einer benutzenden Person, die die Zeichen interpretiert, zu tun.⁷⁶ Die kartosemiotische Sichtweise nach Pierce und Nöth lässt allerdings die Kartenmaler und ihre Auftraggeber außer Acht. Wie durch die vorliegende Studie deutlich wird, müssen die Interessen des Auftraggebers mit einbezogen werden, um die frühen Regionalkarten verstehen zu können.⁷⁷ Eine weitere beliebte kartosemiotische Dreiteilung unterscheidet die Kartenzeichen in Ikonen, Indizes und Symbole. Unter Ikonen versteht man Zeichen, die eine optische Ähnlichkeit durch inhaltliche Objektmerkmale haben. Indizes hingegen verweisen aufgrund „einer realen zeitlich-räumlichen oder kausalen Verbindung zwischen den beiden Zeichenkorrelationen“⁷⁸ auf das Objekt, während Symbole als Zeichen zu sehen sind, die aufgrund kultureller Gewohnheiten
Winfried Nöth weist zudem auch auf die Möglichkeit der nichtexistenten Objektreferenz hin. Vgl. Winfried Nöth: Die Karte und ihre Territorien in der Geschichte der Kartographie, in: Glauser/ Kiening (Hrsg.), Text – Bild – Karte, S. 39 – 68, hier S. 39 – 41. Vgl. Nöth, Kartosemiotik, S. 29 f. Diese werden besonders aus der Anbindung an Verwaltungs- und Prozessakten deutlich, siehe hierzu Kap. 3. Nöth, Kartosemiotik, S. 35.
2.1 Darstellungselemente in Form und Funktion
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auf ihr Objekt rekurrieren.⁷⁹ Bezieht man diese Einteilung auf die frühesten Regionalkarten in Hessen, so fällt sofort ins Auge, dass die meisten Kartenzeichen eher ikonischer Natur sind. So kann etwa eine Gruppe individuell gezeichneter Bäume ein Waldgebiet andeuten.⁸⁰ Nun reicht allerdings die alleinige Einordnung in kartosemiotische Zeichen für die Analyse dieser Karten nicht aus. Um die Frage nach der Darstellungsvielfalt, der möglichen Symbolik und den Funktionen von verschiedenen Kartenzeichen beantworten zu können, werden im Folgenden einzelne Kartenaspekte in einer Gesamtauswertung vorgestellt. Hierzu wurden die 18 Karten konkret nach der Darstellung und Funktion von bestimmten Landschaftselementen untersucht, wie Straßen, Gewässer oder Bäume. Wie individuell die jeweiligen Darstellungsformen und Funktionen auch sind, so finden sich in der Gesamtheit betrachtet doch gewisse Gemeinsamkeiten. Sie werden deshalb im Folgenden nicht einzeln, sondern in einer Gesamtbewertung beschrieben. Die Analyse nimmt jedes Darstellungselement in den Blick und veranschaulicht dieses mit Kartenbeispielen. Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Karten mit ihren jeweiligen Darstellungsformen und -funktionen ist als „Steckbrief“ in Anhang 1 zu finden. Die Analyse der dargestellten Landschaftselemente geschieht zuerst durch die systematische Beantwortung von Fragen zu den folgenden Objekten: Orte, Bäume, Wege, Felder, Gewässer, Menschen, Tiere und sogenannte Erkennungspunkte. Letztere deuten zeitgenössisch bekannte oder markierte Dinge, Bauten oder Konstruktionen in der Landschaft an, wie Landwehre, Wegkreuze oder Schläge. Da es oft innerhalb der Karte zu einer Vermischung von Ansichten kommt, ist zu fragen, auf welche Weise die verschiedenen Landschaftselemente eingezeichnet sind: Sind sie in frontaler Ansicht, Draufsicht oder in Vogelperspektive gemalt worden?⁸¹ Inwiefern sind sie als immer gleiche „Archetypen“ auf
Ebd. Die Entwicklung von individuellen Lösungen bis hin zu einer sogenannten Waldsignatur, wobei i. d. R. mehrere eingezeichnete Bäume ein Wald symbolisieren, wurde schon früh und mehrfach erkannt. Vgl. Max Eckert-Greifendorff: Kartographie. Ihre Aufgaben und Bedeutung für die Kultur der Gegenwart. Berlin 1939, S. 258; Uhrmacher, Die Darstellung von Wäldern; DelanoSmith, Signs on Printed Topographical Maps, S. 552 f. Während Ernst Gagel hierfür den Begriff „Maulwurfshügelmanier“ nutzte, sah P.D.A. Harvey den ständigen Wechsel zwischen Ansicht und Vogelschauperspektive als Zwischenstadium zwischen „picture-map“ und topographischer Karte. Harvey versah diese Aussage übrigens direkt mit der Anmerkung, dass die verschiedenen Stadien (Symbol-map, Picture-map, Survey, Topographical Map) lediglich typologisch (und nicht unbedingt historisch) aufeinander folgten. Vgl. Ernst Gagel: Pfinzing, der Kartograph der Reichsstadt Nürnberg (1554– 1599) (Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft, Bd. 4). Hersbruck 1957, S. 16; Harvey, The History of Topographical Maps, S. 172 f. Gerade für Gebäude bedeutete dies, dass diese oft in Ansicht oder schräg von oben
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der Karte gemalt? Welche Farben wurden genutzt?⁸² Was könnten sie symbolisieren? Welche Funktion hatten die Landschaftselemente oder waren sie ‚nur‘ hübsches Beiwerk? Gibt es bestimmte Aspekte, die charakteristisch und individuell für diese Landschaftselemente sind, oder werden sie vielmehr als abstrakte Symbole dargestellt? Neben Landschaftselementen beinhalten die Karten auch Zeichen, welche nicht im geographischen Raum selbst vorkamen, sondern in das Kartenbild platziert wurden, wie Legende, Windrose oder Kompass, Wappen, Maßstab und Grenzdarstellung. Beim Kompass oder Wappen ist noch eine klare Ikonizität zu beobachten, bei manch anderen Zeichen, wie Grenzdarstellungen, könnten indexikalische oder symbolische Aspekte eine wichtige Rolle gespielt haben. Viele dieser Zeichen werden zwar heutzutage als selbsterklärende Bestandteile einer Karte wahrgenommen, jedoch ist zu fragen, inwiefern dies bei den frühen Karten des 16. Jahrhunderts auch der Fall war. Brauchten die ersten Kartennutzer vielleicht eine weitere Erklärung zu diesen – in der Landschaft selbst nicht sichtbaren – hinzugefügten Elementen?⁸³ Zuletzt wird auch ein Blick auf die Technik des Perspektivwechsels geworfen. Manche Darstellungen wechseln innerhalb der Karte die Perspektive, sie besitzen mehrere Horizonte und/oder zeigen unterschiedliche Ausrichtungen. Welche Funktion sollte ein derartiger Perspektivwechsel erfüllen?
gezeichnet wurden.Vgl. Cornelis Koeman: Darstellungsmethoden von Bauten auf alten Karten, in: Ders. (Hrsg.), Land- und Seekarten im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Vorträge gehalten anläßlich eines Arbeitsgesprächs vom 10.–13. Mai 1977 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 7). Wolfenbüttel 1980, S. 147– 192, bes. S. 153 – 155; Büttner, Die Erfindung der Landschaft, S. 53. Generell zu Farben in Karten: Ulla Ehrensvärd: Color in Cartography. A Historical Survey, in: David Woodward (Hrsg.), Art and Cartography. Six Historical Essays, Chicago 1987, S. 123 – 146. Rezentere Studien weisen allerdings darauf hin, dass die Anwendung von Farbe bei frühen Karten keine dekorativen Zwecke erfüllte, sondern Farbe vielmehr ein wichtiger Bestandteil der Karte sei. Vgl. David Woodward, Techniques of Map Engraving, Printing, and Coloring in the European Renaissance, in: Ders. u. a. (Hrsg.), The History of Cartography, Bd. 3, S. 591– 610, hier S. 603. So beschreibt Nils Büttner die von Jakob van Deventer (1505 – 1575) vorgenommene Kolorierung als eine innovative Leistung, da dieser niederländische Kartenmacher die verschiedenen Geländearten seiner militärischen Karten durchgehend mit einzeln dafür bestimmten Farben versehen hat. Die Farbgestaltung der Flächen wurde also nicht durch die politischen Gegebenheiten (wie in Landesaufnahmen häufig die verschiedenen Territorien farblich voneinander getrennt wurden), sondern durch die topographische Situation bestimmt. Vgl. Büttner, Die Erfindung der Landschaft, S. 70 f.
2.1 Darstellungselemente in Form und Funktion
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2.1.1 Landschaftselemente in der Karte Viele der Regionalkarten stellten den abgebildeten Bereich in einer Vogelperspektive dar, wodurch die Karte viele landschaftliche Elemente beinhaltet, die in moderneren Karten nicht bzw. nur als abstrakte Kartenzeichen vorhanden sind. Im Folgenden werden zuerst die Darstellungsformen und Funktionen der landschaftlichen Kartenelemente dargestellt, in Abschnitt 2.1.2. folgen dann die nichtlandschaftlichen Zeichen.
Orte Bei 17 von 18 Karten sind Ortschaften in Text und Bild dargestellt.⁸⁴ Dabei werden Städte und Dörfer nicht nur durch den Namen verortet, sondern auch als Ansicht im Kartenbild dargestellt. Die meisten Siedlungen werden durch einige schematische Gebäude symbolisiert. In den kolorierten Karten dominiert eine (hell‐) braune Farbe für die Mauer sowie rote oder blaue Farbtöne für die Dächer. Einige Orte werden durch ihre markanten Bauten wie Burgen oder Kirchen charakterisiert. Sie tragen so zum Bild der Landschaft als reelle Abbildung bei, ähnlich wie die Stadtansichten.⁸⁵ So ist die Stadt Oppenheim in Karte L mit zwei Kirchen und ihrer Stadtmauer abgebildet. Auch wenn die Mauer häufig als Symbol der städtischen Wehrhaftigkeit zu interpretieren ist, scheint sie in dieser Karte tatsächlich die Stadt selbst zu repräsentieren, die sich mit ihren hohen Türmen und Mauern vom dörflichen Umland abhebt. Bei Karte G hingegen scheint der Maler vorrangig auf Erkennbarkeit gesetzt zu haben. Die Burg von Steinau, unten im Kartenbild, fällt sofort als bildhaftes Element auf. Trotz späterer Änderungsmaßnahmen ist die optische Identifizierbarkeit auch heute noch gegeben. Auch die Bartholomäuskirche der Stadt Frankfurt in Karte Q dürfte für die Zeitgenossen sofort erkennbar gewesen sein. Eine symbolhafte Neuerung ist in den Karten J und R zu sehen, welche beide aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammen. Hier ist jeder Ort mit einem kleinen Kreis mit einem Punkt in der Mitte gekennzeichnet; um diesen Kreis sind jeweils einige schematische Bauten sowie die Ortsnamen zu sehen. Eine Siedlungsdarstellung ohne Abbildung von Häusern oder Bauten gibt es in dieser frühen Periode noch nicht.
Karte B hat einen sehr lokalspezifischen Kontext und kommt ganz ohne Orte aus. Generell zu Stadtansichten: vgl. Beate-Christine Fiedler: Die bildliche Darstellung von Städten auf handgezeichneten Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts. Ein Arbeitsbericht, in: Klaus Niehr (Hrsg.), Historische Stadtansichten aus Niedersachsen und Bremen. Göttingen 2014, S. 25 – 38.
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Straßen und Wege Straßen und Wege werden meist als dünne Linien im Kartenbild visualisiert, sodass ihre Darstellung in Vogelperspektive oder senkrecht von oben erfolgt. Bei kolorierten Karten werden sie häufig als zwei parallel verlaufende Tintenstriche mit einer einheitlichen Farbe dazwischen gezeichnet. Die Kolorierung dieser Wege und Straßen variiert zwischen rosa, grau, hellbraun und (rot‐)braun. In einem Fall (Karte L) werden die Straßen als gestrichelte Linien dargestellt, die braungefärbten Linien hingegen stellen die Rheindeiche dar. Nichtkolorierte Karten bilden Straßen als einzelne Linien ab. Innerhalb der Karte fungieren die Straßen wie die Ortschaften in der Regel als geographische Erkennungspunkte. Auch hier gehen Text und Bild Hand in Hand. Die dargestellten Straßen oder Wege führen in der Regel Beschriftungen, welche sie als Straße identifizieren und eine geographische Orientierung geben. So ist die breite Straße unten im Kartenbild von Karte M zweimal mit der richtunggebenden Aufschrift „Marpurger Straß nach Wetzslar“ versehen.
Gewässer Auch Wasserläufe und Flüsse sind bei diesen frühen Karten immer von oben bzw. in Vogelperspektive zu sehen. Sie werden meist mit zwei Tintenstrichen dargestellt und in der Regel mit hell- und dunkelblauen Farben versehen. Die Farbe Blau ist aber nicht derartig standardisiert, wie es manchmal angenommen wird.⁸⁶ Wie in einigen Karten zu sehen ist, kann der Farbton für Gewässer auch altrosa (Karte L) oder braun (Karten H, M, R) sein. Bei nichtkolorierten Karten, wie A und P, werden Flüsse und Bachläufe als wellenartige Linien dargestellt.⁸⁷ So kann die strömende Fortbewegung des Flusses zweidimensional abgebildet und auch der Unterschied zu den Straßen deutlicher hervorgehoben werden. Zusammen mit den Aufschriften dienen die visualisierten Gewässer zur geographischen Verortung der jeweiligen Flüsse und Bäche.
Bäume Eine größere Vielfalt an Darstellungsformen und Funktionen ist bei den Bäumen zu sehen. In vielen Karten sind unterschiedliche Baumtypen zu erkennen, welche verschiedene Funktionen im Kartenbild haben. Im Folgenden wird zuerst auf die
Vgl. Büttner, Die Erfindung der Landschaft, S. 70 f. Schon Raumdarstellungen im alten Ägypten stellten Gewässer mit wellenförmigen Linien dar. Vgl. Harvey, The History of Topographical Maps, S. 50 f.
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Darstellungsart und danach auf die Funktionen eingegangen. Verschiedene Karten dienen hierbei als Beispiele. Wie Orte und Hügel werden auch Bäume in dieser frühesten Periode als Ansicht gemalt.Während manche Maler jeden einzelnen Baum mit großer Sorgfalt einzeichnen, entwickeln andere Kartenmacher eine schnellere Technik, um Bäume abzubilden.⁸⁸ Karte C zeigt den großen Aufwand des Baummalens. Für den Stamm werden zwei Brauntinten sowie für die Baumkrone mehrere Gelb- und Grünfarben genutzt, wodurch der Eindruck von farblich verschiedenen Blättern entstehen soll. Karte G zeigt, dass auch schematische Baumumrisse einen Eindruck von Wald erzeugen können, ohne den malerischen Aufwand des einzelnen Einzeichnens betreiben zu müssen. Während der Maler von Karte G die vorderen Bäume einzeln einzeichnet, gibt er die hinteren Bäume nur mit schematischen Kringeln und Strichen für Baumkrone und Äste wieder. Diese Baumumrisse symbolisieren den dahinterliegenden Wald. Andere Karten zeigen eine allgemeine Tendenz zur Standardisierung und Vereinfachung der Darstellung von Bäumen und Wäldern: So sind die meisten Bäume in Karte J sehr einheitlich und nahezu standardisiert eingezeichnet. Die Bäume bestehen jeweils aus einem Oval mit einem vertikalen Strich für den Stamm sowie fünf bis sechs kurzen horizontalen Strichen für die Äste. Eine neue Technik scheint in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aufgekommen zu sein. Die beiden Karten von Melchior Appel (Karte O und Q) zeigen, wie standardisierte einzelne Bäume gleichmäßig wie ein Muster über einem Areal verteilt sind und damit einen Wald symbolisieren. Diese Darstellungstechnik wird später zu einer einheitlichen Baum- bzw. Waldsignatur, die im 17. und 18. Jahrhunderts sehr häufig angewandt wird,⁸⁹ bei kolorierten Karten meist mit der Farbe Grün in Kombination mit schematischen Baumkringeln.⁹⁰ Innerhalb des Kartenbildes können Bäume sehr verschiedene Funktionen einnehmen. Erstens dienen Bäume der geographischen Verortung. So werden bestimmte Bäume in Fall von Karte G sehr ausgiebig und individuell eingezeichnet. Aufschriften wie „lindt Altershalben umb gefallen“ (neben einer ge-
Ähnliche Beobachtungen gelten für die Baumdarstellungen auf frühen gedruckten Karten: Vgl. Delano-Smith, Signs on Printed Topographical Maps, S. 552 f. Schöne Beispiele bieten eine undatierte Karte aus dem 17. Jahrhundert: HHStA Wiesbaden, Bestand 3011/1, Nr. 1160 V, sowie eine weitere von 1746: HHStA Wiesbaden, Bestand 340, Nr. 1705, f. 295. Bei Karte T, welche zwar auf eine frühere Karte zurückgeht, aber erst im 18. Jahrhundert gemalt wurde, wurde ebenso diese Form der Darstellung gewählt. Diese Karten zeigen eine gleichmäßige Verteilung von standardisierten Bäumen auf, welche einen Wald symbolisieren sollen. Siehe hierzu exemplarisch HHStA Wiesbaden, Bestand 3011/1, Nr. 1146 V.
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zeichneten umgestürzten Linde) oder „kreutz eijch“ (neben einer mit einem Kreuz versehenen Eiche) zeigen, dass diese Bäume eine individuell orientierende Funktion als Erkennungspunkt im Kartenbild haben sollen. Zweitens scheint allgemein Konsens darüber geherrscht zu haben, dass die Wiedergabe mehrerer Bäume einen Wald symbolisiert,⁹¹ wie bei Karte G gut zu erkennen ist. Die Bäume, welche hinter den detailreichen Bäumen stehen, sind lediglich als schematische Baumumrisse wiedergegeben. Drittens dienen manche Baumdarstellungen dazu, als landschaftliches Beiwerk die Bildkomposition zu vervollständigen. So sind in Karte G unten einige kleinere Bäume und Gehölze zu sehen, welche skizzenhaft durch Kringel wiedergegeben sind. Auch wenn sie durch BetrachterInnen vielleicht nur als Dekoration gesehen werden, rahmen sie das Kartenbild ein. Diese dekorativen Bäume werden allerdings so eingezeichnet, dass sie den Blick auf wesentliche Elemente nicht verdecken. Wie in Karte H zu sehen ist, scheinen die Bäume auf den ersten Blick wahllos als schmückendes Beiwerk in der Landschaft platziert zu sein. Bei näherer Betrachtung der Bäume vor der Scharmühle ist jedoch zu erkennen, dass die Baumstammlänge und die Art der Baumkrone genau auf das dahinterliegende Element angepasst werden. Die Bäume auf der oberen linken Seite der Karte sind so eingezeichnet, dass sie einen guten Blick auf die Scharmühle ermöglichen. Auch bei den Bäumen etwas weiter rechts am Fluss, in der Mitte der Karte, hat der Maler gekonnt agiert. Hier haben die Bäume einen viel kürzeren Baumstamm, damit sie den Blick auf den Horizont nicht versperren. Ein weiteres Beispiel findet sich in Karte L: Hier hat der Maler zwei verschiedene Baumtypen gemalt. In der direkten Umgebung von Oppenheim hat er Baumstamm und -krone mit einer einheitlichen Farbe (grünbraun) koloriert. Zusätzlich hat er, wohl um mehr Tiefe zu bewirken, hinter den grünen Bäumen bei Oppenheim weitere Hügel und einige Baumumrisse in Altrosa aufgemalt, welche den Horizont bilden. Somit nehmen die Bäume vorrangig Funktionen für die Bildkomposition ein, indem sie der Darstellung mehr Tiefe geben und das Kartenbild einrahmen.
Felder Auf 12 der 18 untersuchten Karten sind landwirtschaftlich genutzte Felder erkennbar. Diese sind in der Regel senkrecht von oben, in manchen Karten auch in Vogelperspektive zu sehen. Für die Darstellung von Äckern, Feldern oder Wiesen setzten die Maler hauptsächlich auf optische Ähnlichkeit. Die Felder werden meist als quadratische Flächen in verschiedenen Farben dargestellt. So werden
Vgl. Delano-Smith, Signs on Printed Topographical Maps, S. 552 f.
2.1 Darstellungselemente in Form und Funktion
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Wiesen meist in Grün (Karten B, C, D, G, O, Q) gehalten. Eine Ausnahme bildet die Karte N, welche die Viehweiden in Gelb visualisiert. Die Felder und Äcker sind meist in Braun- und Gelbtönen (Karten D, E, O, Q), in brauner Farbe (C) oder mit braunen und grünen Pinselstrichen (H) abgebildet. Manchmal, wie in Karte Q, deuten die Linien in den Feldern die durch Pflüge erzeugten Furchen an. In vielen Regionalkarten scheint die genaue Differenzierung zwischen den verschiedenen landwirtschaftlichen Nutzungen nicht besonders relevant zu sein. Auch eine saisonbedingte Darstellung wird nicht ersichtlich. Die Felder scheinen eher die Funktion von landschaftlichem Beiwerk zu erfüllen. So zeigt Karte E zwar eine große Menge verschiedener quadratischer Felder auf, ohne jedoch eine spezifische Funktion im Kartenbild zu erfüllen. Nur Felder, die Anlass zu Streit oder Besitzansprüchen sind, werden dominanter im Kartenbild dargestellt. Hinzu kommen in der Regel Aufschriften, die eine weitere Deutung vorgeben. So ist in Karte H ein zentral dargestelltes Feld mit der Aufschrift „das felt darumb man zanckt“ versehen,⁹² welche verdeutlicht, dass hier die Konfliktsituation verbildlicht wird. Auf Karte O sind mehrere Wiesen und Felder zu sehen, die mit Aufschriften wie „strittig“ oder „nitt stritbar“ versehen sind.⁹³ Andere Karten teilen Felder nach Besitzverhältnissen ein. Durch die Kombination von Bild (visualisierte Darstellung der Felder) und Text (Notizen) werden in drei Karten die Eigentumsverhältnisse von Wiesen oder Feldern angegeben. Karte B erfährt erst eine Deutung durch die schriftlich und bildlich dargestellten Besitzverhältnisse, Karte H teilt die Landschaft mittels Aufschriften dezidiert zwischen Burg Friedberg und Hanau auf, abgesehen von einer strittigen Wiese. Karte G, die Felder und Äcker eher als Beiwerk aufführt, zeigt hingegen zwei textuell und bildlich markierte Wiesen im Wald auf: Links sei die Hiltmans Wiese, rechts die mainzische Viehwiese. Inwiefern solche Zuweisungen der historischen Realität entsprechen, das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Inspektion sind oder vielmehr als lose Behauptungen zu deuten sind, wird in Kapitel 3 thematisiert.
Menschen und Tiere Auf den meisten Regionalkarten sind weder Menschen noch Tiere abgebildet; in den wenigen Fällen, wo sie doch vorkommen, spielen sie jedoch eine wichtige Rolle. Menschen oder Tiere werden dabei immer ansichtig dargestellt. In manchen Karten sind Menschen auf Straßen unterwegs, ohne dass ihre Funktion
HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 2190. HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 146.
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unmittelbar deutlich wird. So gehen links oben im Kartenbild von K zwei Personen in farbiger Kleidung über die Straße. Auch in Karte C und D sind mehrere straßennutzende Personen abgebildet. Ob diese Darstellungen auf die Bedeutung der Straße hinweisen sollen oder vielmehr als allgemeines Beiwerk fungieren, muss zunächst offenbleiben. Die unbeschriftete Karte C zeigt beispielsweise vier Personen sowie einige Tiere in Ansicht. Zwei Personen laufen auf zwei verschiedenen Straßen auf das Dorf Espa zu, ihre Funktion im Kartenbild bleibt allerdings unklar, genauso wie die Menschen in der sehr ähnlichen Karte D. In der oberen Kartenhälfte von C symbolisieren zwei weitere Personen wahrscheinlich die Jagd- und Weiderechte.⁹⁴ Eine ähnliche Darstellung von mutmaßlichen Herrschaftsrechten bietet Karte K: Diese Karte enthält, abgesehen von einigen Banderolen für Ortsnamen, keine textuellen Eintragungen. Es sind dort aber zwölf Menschen mit weißer Halskrause sowie einige Tiere abgebildet, welche wahrscheinlich unterschiedliche Funktionen im Kartenbild erfüllen. Darüber hinaus sind einige Personen abgebildet, welche bestimmte Tätigkeiten ausüben, die mit Herrschaftsrechten in Verbindung stehen. So ist in der Mitte der Karte ein Schäfer mit Hund und Herde (Weiderecht), ein auf einen Vogel schießender Jäger (Jagdrecht) sowie eine Person mit einer Axt (Waldnutzungsrecht?) zu sehen. Andere Personen in Karte K scheinen die Gegend zu inspizieren, was auf eine andere Funktion im Kartenbild schließen lässt. Diese Menschen sind, allein oder in Grüppchen, mehrmals auf Karte K abgebildet. Die inspizierenden Personen tragen komplett schwarze Kleidung und haben jeweils einen Stock und einen Hut dabei. Hinzu kommt eine Person mit rotem Gewand, grauem Mantel, weißen Strümpfen und schwarzem Hut. Diese Person hält an einer Stelle (oben) ein Papier oder eine Schriftrolle, daher lässt sich auf die Personifikation als Schreiber oder Notar schließen. Die anderen drei Personen, welche im grünen Zentrum der Karte abgebildet sind, tragen vorwiegend schwarze Kleidung (Gewand und Hut) mit roten Details (rote Strümpfe oder rote Ärmel). Die wiederholte Abbildung dieser Menschen, die Kleidung sowie die inspizierende Haltung lässt vermuten, dass es sich um eine offizielle Inaugenscheinnahme von Seiten einer Beweiskommission handelt. Eine ähnliche Darstellung, jedoch ohne wiederholte Abbildung der gleichen Personen, ist unten im Kartenbild von Q zu sehen. Hier ist die Beweiskommission mit ihren Pferden und den Augenzeugen abgebildet.⁹⁵ Auch bei
Hierzu mehr in Kap. 3.2. Vgl. Timpener, Die Karte als Argument?, S. 198 – 208.
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vielen späteren Augenscheinkarten wird eine Kommission im Rahmen eines Prozesses am Reichskammergericht auf der Karte dargestellt, als sei sie gerade bei der Inspektion des strittigen Gebiets.⁹⁶ Karte Q zeigt nicht nur die Kommission, sie visualisiert auch mehrere Ereignisse, die sich früher im Raum abgespielt haben.⁹⁷ So sind in der Mitte der Karte mehrere Reiter abgebildet, welche das hanauische Geleit des herumreisenden Heinrich von Valois, des späteren Heinrich III. von Frankreich, auf dem Weg nach Polen visualisieren.⁹⁸ Dieser Aspekt zeigt, dass sich bei Lokal- und Regionalkarten die Darstellung von Mensch und Tier auf der Schnittstelle zwischen rein landschaftlichen und in der Karte platzierten Elementen befindet. Manche dieser Abbildungen überschreiten auch die zeitlichen Grenzen, indem frühere Ereignisse gleichzeitig in die Landschaft verortet werden – ein Phänomen, das auch bei mittelalterlichen Karten zu sehen ist.⁹⁹
Erkennungspunkte Für die Zeitgenossen bildeten nicht nur geographische Gegebenheiten wie Orte, Straßen oder Flüsse erkennbare Objekte, sondern auch von Menschen errichtete Dinge waren wichtige Erkennungspunkte in der Landschaft. Pfähle, Bildstöcke, Wegkreuze, Grenzsteine, Lochbäume, Schlagbäume (‚Schläge‘), Richtstätten¹⁰⁰ und Landwehre sind typische Beispiele für Gegenstände, die sowohl in der Landschaft selbst als auch im Kartenbild als Erkennungspunkt hervortreten konnten. Auf den Karten sind sie meist in Ansicht oder schräg von oben zu sehen. Dass diese Bauten unter anderen auch als Wegweiser, Grenzmarkierung, Andachtsort und Mittel symbolischer Herrschaftsdarstellung fungiert haben, bedarf
Vgl. Anette Baumann: Beweiskommission und Augenscheinkarten. Strategien der Visualisierung von Inaugenscheinnahmen am Reichskammergericht (1495 – 1806), in: Dies./Schmolinsky/Timpener (Hrsg.), Raum und Recht, S. 83 – 107, hier bes. S. 95 – 98. Zu den früheren Ereignissen in Q siehe Abschnitt 3.9 sowie Timpener, Die Karte als Argument? Die Hanauer Geleitpraxis war ein wichtiges Argument im Reichskammergerichtsprozess zwischen Frankfurt und Hanau-Münzenberg in den Jahren 1570 – 1600. Vgl. Timpener, Die Karte als Argument?, S. 205 f. Besonders bei den mappae mundi fällt die Kartierung von zeitlich verschiedenen Ereignissen ins Auge.Vgl. allgemein hierzu: Baumgärtner/Schröder,Weltbild, Kartographie und geographische Kenntnisse, S. 70 – 73. Richtstätten kamen häufig in frühneuzeitlichen Regionalkarten vor, besonders seit dem Ende 16. Jahrhunderts. Siehe Karl Härter: Galgenlandschaften. Die Visualisierung und Repräsentation von Stätten und Räumen der Strafjustiz in bildhaften Medien der Frühen Neuzeit, in: Baumann/Schmolinsky/Timpener (Hrsg.), Raum und Recht, S. 109 – 137, hier bes. S. 124– 130.
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2 Form und Funktion der frühen Lokal- und Regionalkarten in Hessen
hier keiner weiteren Erklärung.¹⁰¹ Im Folgenden geht es jedoch nicht um die Funktion in der historischen Landschaft, sondern um den konkreten Zweck und die Symbolik, welche diese im einzelnen Kartenbild einnehmen. Bild und Text arbeiten hier besonders eng zusammen, da der wiedergegebene Erkennungspunkt häufig verhältnismäßig klein und dadurch schwierig auf einen Blick zu erkennen ist. Eine begleitende Notiz klärt meist eventuelle Unsicherheiten bei der Identifizierung. Im Folgenden werden lediglich einige Beispiele beschrieben. Da die Darstellung und die Funktion von Erkennungspunkten im Kartenbild meistens eng mit dem spezifischen Entstehungskontext von Karte und Akten zusammenhängt, werden diese ausführlich in Kap. 3 behandelt. Bei vier Karten (E, J, O und Q) aus dem Untersuchungszeitraum sind Schlagbäume zu sehen, meist am Ortseingang eines Dorfes. Diese werden gewöhnlich mit ein oder zwei geraden Pfählen und einer beweglichen Holzlatte visualisiert. Die Schlagbäume standen meist am Ortseingang eines Dorfes (Karte O und Q) oder auf einem wichtigen und/oder strategischen Punkt. Auf Karte E sind die beiden Frankfurter Warten mit einem Schlagbaum versehen und auf Karte J wird eine alte Schranke mitten im umstrittenen Waldgebiet dargestellt. Bei den Landwehren und Richtstätten lassen sich ähnliche Funktionen vermuten. Bei drei Karten (E, H und Q) ist eine Landwehr zu sehen, welche sowohl bildlich (Bäume, Graben und Gebüsch) als auch textuell in der Karte festgehalten wird. Die beiden Galgen auf Karte I sind so platziert, dass sie dem Betrachter direkt ins Auge fallen; sie spielen eine wichtige Rolle in der Argumentation zu den Herrschaftsansprüchen im Gerichtsprozess. Die kartographische Darstellung solcher Erkennungspunkte kann sowohl identifizierende als auch markierendterritoriale Funktionen haben.¹⁰² Die Funktion der abgebildeten Erkennungspunkte ist daher häufig in Zusammenhang mit einem Umgang oder einer Inaugenscheinnahme zu sehen. So ist bei den Karten C und D, welche beide in etwa den gleichen Hügel beim Dorf Espa abbilden, eine Reihe von verschiedenen Gegenständen zu sehen, die in etwa dem Halbkreis des Hügels folgen. Ein Bildstock sowie diverse weiße Marksteine sind als Erkennungspunkte entlang einer Linie abgebildet. Im Kartenbild sind sie
An dieser Stelle sei auf die Studien von Andreas Rutz verwiesen, der diese Phänomene in ihren verschiedenen Funktionen, insbesondere jedoch in Hinblick auf Grenzdarstellung und Herrschaft, bereits ausgiebig beschrieben hat: Rutz, Die Beschreibung des Raums, bes. S. 119 – 135 u. S. 140 – 144; Andreas Rutz: Territoriale Verwaltung und kartographische Produktion in der Reichsstadt Nürnberg im 16. Jahrhundert, in: Marx-Jaskulski/Wenz-Haubfleisch (Hrsg.), Pragmatische Visualisierung, S. 15 – 38, hier S. 17. Hierzu Kap. 3.5.
2.1 Darstellungselemente in Form und Funktion
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deshalb als visualisierter Umgang zu charakterisieren.¹⁰³ Auch Karte J bildet eine Begehung ab, nutzt dafür jedoch Text und Bild, manchmal auch nur Aufschriften. Ehemalige Erkennungspunkte, wie umgeworfene Steine oder beschädigte Schläge, werden bei J schriftlich im Kartenbild festgehalten und sind wohl das Ergebnis einer Begehung. Dieser Weg führte genau an Grenzmarkierungen (Steine, bestimmte Bäume und Wegkreuze) entlang. Wie bereits in Karte G zu sehen war, können auch Bäume in diesem Kontext als Erkennungspunkte fungieren. In Karte J werden einzelne Bäume jedoch nicht groß ausgeschmückt, sondern lediglich (nachträglich) vergrößert, wohl um ihrer markierenden Funktion mehr Nachdruck zu verleihen. Bei Karte E scheinen die eingezeichneten Erkennungspunkte auf einen bestimmten Bereich der Karte aufmerksam machen zu wollen. An der Straße zwischen Galgenwarte und Nied (heute: Mainzer Landstraße) finden sich drei Heiligenstöcke, zwei Kreuze, Pfähle sowie ein Schlagbaum. Zusammen mit den vielen weiteren Notizen in diesem Kartenbereich liegt die Vermutung nahe, dass das Auge des Betrachters auf diese Handelsstraße gelenkt werden sollte. Auch Karte O führt an den größeren Brücken Pfähle und Bildstöcke auf, wodurch der Weg und die Brücken im Kartenbild stärker betont werden.
2.1.2 Symbole und Zeichen in der Kartenlandschaft: Von Windrosen zu Aufschriften Das Kartenbild des 16. Jahrhunderts beinhaltet nicht nur landschaftliche Bestandteile, sondern auch viele in die Kartenlandschaft platzierte Chiffren und kartographische Eingriffe wie Windrosen, Wappen, Maßstäbe, Grenzdarstellungen und Aufschriften. Für den heutigen Benutzer sind kartographische Zeichen wie Grenze, Maßstab und Windrose geläufig, aber die Frage ist, wie die Zeitgenossen mit solchen Chiffren umgegangen sind und welche Funktionen diese hatten. So muss vermutet werden, dass viele Kartenzeichen sich aus schriftlichen Eintragungen entwickelten. Bestimmte Neuerungen wurden beibehalten und sind jetzt noch in Karten zu finden, andere kartographische Techniken wurden nur eine gewisse Zeit angewandt. Auch wenn ein Blick in die kartographische Zeit nach dem 16. Jahrhundert unausweichlich ist, sollten die Chiffren zunächst in ihrer Funktion im Kartenbild untersucht werden.
Wie im Kap. 2.1.2 deutlich wird, deuten Linien im Kartenbild nicht immer auf eine Grenze hin, sondern können diese genauso gut auf eine Begehung des Terrains verweisen.
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2 Form und Funktion der frühen Lokal- und Regionalkarten in Hessen
Orientierung, Kompass und Windrose Alle Karten außer B und H sind aufgrund der Platzierung der Siedlungen auch heute noch genau zu verorten.Wie erwartet, ist der Norden nur selten ‚oben‘. Fünf Karten sind westlich (Karten C, D, E, I, R), zwei nordwestlich (A, Q), zwei nördlich (O und P), eine nordöstlich (N), zwei östlich (J und N), zwei südöstlich (G, M), eine südlich (K) und eine südwestlich (L) ausgerichtet. Karte F hat durch die Möglichkeit, sie sowohl nach Norden und nach Süden ausgerichtet zu werden, keine eindeutige Orientierung. Eine Darstellung der Himmelsrichtungen in Text und Bild kommt in den meisten frühesten Karten gar nicht vor. Nur sieben der 18 Karten führen eine Orientierung im Kartenbild auf. Bei vieren werden hierzu die Himmelsrichtungen anhand des Sonnenstandes (Aufgang, Mittag etc.) an die jeweiligen Seitenränder der Karte geschrieben (F, N, O, R). Drei Karten schmücken ein Kompass oder eine Windrose (J, L, Q), wobei die Gestaltung recht einfach ist: Bei den Karten J und Q ist ein Kreis mit wenigen Linien zu sehen. Passend zu den Strichen werden die verschiedenen Himmelsrichtungen textuell erläutert. Karte L zeigt einen Kompass, indem ein Quadrat mit einem Kreis mit den vier Himmelsrichtungen dargestellt wird. Auch wenn die Auswahl von 18 Karten natürlich begrenzt ist, so zeigt sie eine eindeutige Tendenz auf: Die Orientierung an Himmelsrichtungen ist besonders bei den späteren Karten des Untersuchungszeitraumes zu sehen. In der hier untersuchten Auswahl kommt sie 1559 zum ersten Mal vor, wird in den 1560er Jahren immer häufiger bei kolorierten Karten angewandt und hat sich offensichtlich spätestens in den 1570er Jahren etabliert. Neben der offenkundigen Funktion der Orientierung könnte es sich hier deshalb auch um eine modische Erscheinung handeln. Nur für sehr skizzenhafte Karten wie P brauchte man im Jahr 1571 offenbar keine Angabe von Himmelsrichtungen. Die Beteiligten konnten sich auch so innerhalb des Kartenbildes orientieren; eine Überlegung, die zu der Vermutung passt, dass diese Kartenskizze situativ entstanden ist.
Maßstab Auch der Maßstab, welcher bei späteren Karten häufig angegeben wird, kommt in den frühen Regionalkarten nicht häufig vor. In den Karten J und L wird der Maßstab durch eine simple lange Linie mit wenigen kleinen Strichen und einer textuellen Angabe zur Andeutung einer halben Meile angegeben. Auf Karte R wird der Maßstab durch ein langes Rechteck mit drei ungleichen Segmenten abgebildet. Hierbei bildet der linke Teil die Hälfte des Maßstabs und gibt eine halbe Meile wieder, der mittlere und der rechte Teil deuten beide jeweils eine Viertelmeile an.
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Inwiefern die Angabe eines Maßstabs tatsächlich auch auf eine Vermessung des Geländes hindeutet, muss für diese frühe Periode kritisch hinterfragt werden. Am Ende des 16. Jahrhunderts deuten manche Karten auf (zumindest) basale Vermessungstechniken bei Malern. So ist auf einer Augenscheinkarte (W) von Elias Hoffmann (1589) ein Messinstrument zusammen mit einem Kompass und einem Maßstab in der Mitte der Karte zu sehen. Bei dem umstrittenen Areal sind auch einige Zahlen zu sehen, die wahrscheinlich die jeweiligen Distanzen zwischen den Grenzsteinen angeben. Ob auch der Rest der Karte tatsächlich auf genauen Vermessungen beruht, muss allerdings bezweifelt werden.¹⁰⁴ Die bloße Abbildung von Vermessungsinstrumenten könnte auch allgemein Herrschaft und Macht symbolisieren.¹⁰⁵ Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts setzte sich wohl eine Tendenz zur Vermessung des ganzen Areals durch, welche im 17. Jahrhundert immer klarer erkennbar wurde.¹⁰⁶
Wappen Darstellungen von Wappen kommen im Untersuchungszeitraum sehr selten vor, ihre konkrete Funktion im Kartenbild lässt sich in den einzelnen Fällen relativ leicht erschließen. So sind in Karte D zwei kolorierte Wappenschilder zu sehen. Die Wappen sind nicht weiter ausgeschmückt, es sind nur die Schilder in zwei Farben zu sehen. Links oben ist das Wappen von Heusenstamm, rechts oben das von Frankenstein abgebildet. Da diese beiden Adelsfamilien zusammen den Prozess gegen die Grafen von Solms und Nassau angestrengt haben, lässt die Funktion der Schilder auf eine Selbstdarstellung der Kläger schließen. Es liegt zudem die Vermutung nahe, dass Heusenstamm und Frankenstein die Karte in Auftrag gegeben haben.¹⁰⁷ In Karte M sind unten rechts im Kartenbild vier schematische Wappenschilder zu sehen, welche allerdings nicht mit den üblichen heraldischen Bildmotiven,
Fritz Wolff geht aufgrund von Hoffmanns Konzeptkarten davon aus, dass der Maler einige Vermessungen angestellt hat, um eine Basislinie und strahlenförmige Geraden zu kreieren. Es befinden sich allerdings kaum Entfernungsangaben (Zahlen) bei diesen Linien, was meines Erachtens eher für eine Malertechnik spricht, um die ungefähren Verhältnisse richtig zeichnen zu können, als für eine konkrete Vermessung der ganzen Landschaft. Vgl. Wolff, Elias Hoffmann, S. 85. Vgl. Baumgärtner, Landesvermessung und Herrschaftsvisualisierung, S. 16 f. Vgl. Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 214. Für neuere Erkenntnisse zum Einfluss und zur Anwendung von Vermessungstechniken in Augenscheinkarten siehe Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne, Kap. 2.5. Hierzu mehr in Kap. 3.2.
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sondern lediglich mit einem textuellen Verweis auf den jeweiligen Herrschaftsträger (Solms, Hessen, Nassau) versehen sind. Die Schilder sind allerdings erst nachträglich in brauner Tinte eingezeichnet und müssen im Licht der später hinzugefügten Notizen gesehen werden.¹⁰⁸
Darstellung von Grenzen und Umgängen Wie Andreas Rutz treffend formulierte, wurden die Grenzen von Grundstücken oder auch Lehnsgütern nicht linear gezogen, sondern von Punkt zu Punkt beschrieben und dementsprechend mit spezifischen Markierungen – wie bestimmten Bäumen, Steinen oder sonstigen Erkennungspunkten – versehen.¹⁰⁹ Es wundert also nicht, dass diese Darstellung von Punkt zu Punkt auch in den frühen Regionalkarten zu sehen ist. Hierbei muss allerdings ein wichtiger Unterschied gemacht werden, der oft übersehen worden ist. Die in der Karte visualisierte Linie von einem Markierungspunkt zum nächsten kann sowohl die eigentliche Grenze als auch die Begehung abbilden. Im Idealfall müssten diese beiden genau zusammenfallen. Im Folgenden werden die Darstellung und die Funktionen solcher Linien oder Routen im Kartenbild näher betrachtet. Sowohl Grenzen als auch Begehungen werden meist als Linien in schwarzer (B, I, L, M), weiß-gelber (C, D), brauner (P) oder roter Tinte (G) dargestellt. Manchmal werden, um besser zwischen verschiedenen Grundstücken oder Wiesen unterscheiden zu können, Zäune (H) oder Gebüsch (N) eingezeichnet. Nur Karte B, H, L und N zeigen genaue Grenzen zwischen den verschiedenen Wiesen, Grundstücken oder Gemarkungen auf. Dafür verwendeten die Maler in der Regel Aufschriften, manchmal (wie bei Karte L und N) auch Farbmarkierungen. So trennt Lokalkarte B die verschiedenen Wiesen durch schwarze Linien voneinander, andere Karten rahmen die jeweiligen Grundstücke und Grünstreifen offenbar durch Zäune (H) und Gebüsch (N) ein. Der Maler von N verwendete für Gebüsch, Wiesen und Grundstücke unterschiedliche Farben, welche die Grenzmarkierungen deutlicher machen. Nur bei Karte L werden verschiedene Farben zur Kennzeichnung der unterschiedlichen Gemarkungen verwendet, ein kartographisches Charakteristikum, das erst in späterer Zeit zum Standard wurde.¹¹⁰ Bei vielen anderen Karten ist eine ‚Route‘ durch das Kartenbild zu sehen, welche als eine Linie entlang einiger markierender Erkennungspunkte visualisiert
Auf die nachträglichen Notizen wird im Kapitel 3.7 eingegangen. Vgl. Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 107 f., 115 f., 146. So setzen spätere Maler wie Elias Hoffmann und Jost Moers auch häufiger verschiedene Farben für unterschiedliche Territorien ein. Siehe hierzu auch Kap. 2.3.
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wird.¹¹¹ In den Karten C, D und G kann die farbige Linie sowohl eine Begehung als auch eine Grenzdarstellung bedeuten. Für eine eindeutige Antwort ist daher eine Auswertung der Gerichtsakten notwendig.¹¹² Von einem kartographisch festgehaltenen Umgang kann bei den Karten J, K und Q ausgegangen werden. Hierbei konnten auch die Ergebnisse der Begehung in die Karte mit einfließen. So listet Karte J Informationen über den Zustand von (ehemaligen) Erkennungspunkten auf, wie aus der Notiz „umbgeworfen Stein“ hervorgeht.¹¹³ Dass es sich bei K und Q um visualisierte Inaugenscheinnahmen handelt, wird durch die abgebildeten Kommissionsmitglieder, welche verschiedene Stationen inspizieren, deutlich.¹¹⁴ Zuletzt bezeugen die Karten I, M und P, dass im Kartenbild auch zwei Begehungen bzw. zwei verschieden beanspruchte Grenzverläufe Platz finden konnten. Diese werden durch zwei unterschiedlich verlaufende Linien visualisiert. In Fall von Karte M wurde die Begehung der jeweiligen Parteien erst nachträglich festgelegt, für die Kartenskizze P bildeten die beiden Begehungen eine wesentliche Grundlage für die Karte. Die Raumdarstellung in I hingegen zeigt zwei unterschiedliche Auffassungen von der gültigen Grenze.¹¹⁵
Aufschriften Als „Aufschriften“ werden hier alle Texte, Buchstaben und Zahlen auf der Karte verstanden. Sie umfassen daher sowohl lose Notizen, beschriftete Kartuschen als auch einzelne Buchstaben oder Nummern im Kartenbild. 17 von 18 untersuchten frühen Regionalkarten beinhalten Aufschriften in irgendeiner Form. Bei vielen Karten stehen die Texte in weißen Kartuschen, beispielsweise bei D, E, G, J, K, M, teilweise auch bei Q und R. Bei den meisten anderen Karten¹¹⁶ sind die Notizen lose in die Kartenlandschaft integriert. Die Texte sind zumeist mit schwarzer oder brauner Tinte geschrieben. In den meisten Fällen ist nur eine durchgehende Hand für alle Aufschriften zu erkennen, jedoch wurden die Texte in den Karten I und M nachträglich von einer anderen Hand geändert bzw. neue Notizen hinzugefügt.¹¹⁷
Siehe hierzu auch Kap. 2.1.1. Siehe hierzu Kap. 3.2 für C und D sowie Kap. 3.3 für G. Siehe hierzu Kap. 3.6. Mehr zu Karte Q in Kap. 3.9. Diese Umgangs- bzw. Grenzdarstellungen werden in Kap. 3.5 (I), 3.7 (M) und 3.8 (P) näher erläutert. Dies ist bei den Karten A, B, F, H, I, L, N, O, P sowie teilweise bei Q und R den Fall. Auf den Grund für die nachträgliche Bearbeitung wird in Kap. 3.5 (I) und 3.7 (M) näher eingegangen.
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Die Aufschriften können dem Betrachter bestimmte Darstellungselemente erklären, aber seine Interpretation auch in eine bestimmte Richtung lenken. Die Textzeichen können, je nach Form und Kartensituation, also mehrere Funktionen im Kartenbild einnehmen. Erstens fungieren die Texte in allen Karten als geographische Verortungshilfe. Als Kurztexte informieren sie den Betrachter über die Namen der Siedlungen, Gewässer, Straßen etc. Zweitens dokumentieren manche Aufschriften spezifische Besitzverhältnisse, wie in zwölf Karten zu sehen ist. Dies ist, wie vorher zu sehen war, besonders bei den Feldern und Wiesen der Fall (siehe Kap. 2.1.1). Inwiefern solche Darstellungen mit den Vorstellungen der anderen Beteiligten übereinstimmten, muss natürlich hinterfragt werden. Drittens beschreiben sie Konflikte, Streitgegenstände oder umstrittene Bereiche. Auch wenn die Karten H und O sehr unterschiedlich gestaltet sind, funktioniert ein Teil der Aufschriften gleich: Beide Karten geben den aktuellen Stand der Dinge wieder, indem sowohl die bereits geklärten Besitzverhältnisse als auch die umstrittenen Gebietsteile niedergeschrieben und verortet werden. Viertens können, wie Karte G und Q zeigen, die Notizen auf frühere Ereignisse verweisen. Text und Bild gingen hier Hand in Hand, da neben bestimmten Stellen oder Inszenierungen im Kartenbild eine textuelle Erklärung erfolgte. Schließlich sind drei Karten (D, N und Q) mit Buchstaben oder Nummern ausgestattet, die wohl ursprünglich mit einer Legende oder Liste korrespondierten. Anders als in den späteren Kartenwerken, bei welchen die Legende Teil der Karte war, wurden die Informationen zu den Buchstaben oder Nummern in den meisten frühen Fällen separat aufbewahrt, wodurch sie häufig nicht mehr überliefert sind. Die verschiedenen Nummern auf Karte Q können nur durch Heranziehung der Akte erklärt werden. Sie stimmen nämlich genau mit den Stationen der protokollierten Inaugenscheinnahme überein.¹¹⁸ Auch wenn die Buchstaben und Nummern an die spätere kartographische Praxis der Legende erinnern, ist es wichtig, nicht in der frühen Phase der Regionalkartographie schon jene Tendenzen sehen zu wollen, welche sich erst viel später ausprägten. Während die späteren Kartenlegenden die kartographisch verwendeten Zeichen, Farben und Symbole erklärten, scheinen die Buchstaben und Zahlen in den frühesten Karten vorrangig als Kurzformel zur Verortung der Argumentationen im Konflikt zu fungieren. Sie verwiesen auf jene Punkte in der Kartenlandschaft, die in den Argumentationen der Parteien eine wichtige Rolle spielten, und sind daher direkt an die Akten gebunden, welche in Kapitel 3 näher erläutert werden.
Siehe hierzu Kap. 3.9.
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2.1.3 Perspektivwechsel In nahezu allen frühen Regionalkarten wird zwischen verschiedenen Darstellungsebenen (Vogelperspektive, frontale Ansicht und Draufsicht) gewechselt. Die Vermischung von Darstellungsebenen rührt häufig daher, dass Landschaftselemente wie Straßen, Flüsse und Felder senkrecht von oben zu sehen sind, während andere Elemente wie Siedlungen und Bäume in Ansicht dargestellt werden. Darüber hinaus gab es Darstellungsweisen, die weitere Horizonte oder verschiedene Ausrichtungen im Kartenbild ermöglichten. Daher wird die Betrachtungsweise oder der Blickwinkel innerhalb der Karte im Folgenden unter dem Begriff „Perspektive“ gefasst.¹¹⁹ Diese Darstellungen sollten nicht als primitiver Wesenszug der frühen Regionalkartographie belächelt, sondern vielmehr in ihren Darstellungsformen und Funktionen untersucht werden. Mit der Vogelperspektive wurde die Kartenlandschaft so konstruiert, als hätte der Maler sich in der Luft befunden, was also zu einer Schrägaufsicht führt.¹²⁰ So stechen skizzenhafte Karten, wie A und P, meistens durch eine generelle Darstellung von oben, also in Draufsicht, hervor, welche sich mit einzelnen Landschaftselementen (Orte und Bäume) als Ansicht abwechselt. Bei den kolorierten Karten L und N ist jeweils ein gemalter Horizont mit Siedlungen und Bäumen als Ansicht zu sehen, das davorliegende Gebiet aber wird in Draufsicht abgebildet. Die Vogelperspektive konnte auch relativ hoch angesetzt werden, sodass gar kein Horizont abgebildet wurde. So hat der Maler von Karte M die bewaldeten Hügel von schräg oben gemalt. Die Waldwege sind von oben zu sehen, aber die entscheidenden Landschaftselemente, etwa die beiden Burgen und ein Frauenkreuz, sind trotzdem ansichtig abgebildet worden. Der Kartennutzer schaut also von verschiedenen Stellen und Höhen auf die als Landschaftsbild konstruierte Karte. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts ging die Tendenz zu einer sehr hohen Vogelperspektive, meist ohne Horizont.¹²¹ Für den heutigen Betrachter ist dieser Wechsel ungewöhnlich, führt dieser doch zu vermeintlich unstimmigen Verhältnissen.¹²² Eine nähere Betrachtung der hessischen Karten zeigt jedoch, dass dieser Perspektivwechsel funktional war. Ein
Anette Baumann spricht in diesen Zusammenhang von einem wandernden und einem drehenden Blick. Vgl. Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne, Kap. 3. Vgl. Harvey, Local and Regional Cartography, S. 464. Das ist insbesondere bei den Arbeiten von Elias Hoffmann und Sebastian Wolf zu sehen.Vgl. Wolff, Elias Hoffmann, S. 83 f. Mehr zu Hoffmann und Wolf auch in Kap. 2.3. Die Technik, Dinge von mehreren Seiten zu zeigen oder mehrere Blickwinkel zu verwenden, brachte automatisch bestimmte Unstimmigkeiten mit sich. Vgl. Harvey, The History of Topographical Maps, S. 52 f.
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schönes Beispiel ist Karte D, in welcher der Maler den Hügel mit dem Bergwerk und dem Dorf Espa in eine weitere Landschaft einbettet. Auch wenn der Maler, wie bei den Häusern im Dorf zu sehen ist, offensichtlich mit den Prinzipien der Zentralperspektive vertraut war,¹²³ führt er sie nicht konsequent durch. Vielmehr ist ein Kartenbild entstanden, in welchem der Betrachter von verschiedenen Höhen und Positionen aus auf die Landschaft schauen kann. So ist das Bergwerkgebäude derartig abgebildet, als würde der Betrachter von schräg unten nach oben schauen. Gleichzeitig sind aber die Gruben neben dieser Hütte für den Betrachter von schräg oben einsehbar. Ähnlich wie in der Bedeutungsperspektive ist davon auszugehen, dass der Maler dem Betrachter bewusst einen Perspektivwechsel ermöglichte. Für den zeitgenössischen Auftraggeber der Karte wird es also wichtig gewesen sein, in der Kartendarstellung auch die Löcher neben der Bergwerkhütte einsehen zu können.¹²⁴ In manchen Karten werden Perspektive und Ausrichtung innerhalb der Karte viel nachdrücklicher gewechselt. Wie bei Karte K und Q zu sehen ist, kann auch die Ausrichtung der Landschaftselemente oder der Aufschriften auf einen Perspektivwechsel hinweisen. Die wechselnde Ausrichtung der Notizen in den Karten A, B, L und P führt dazu, dass eine performative Handlung für die Betrachtung der Karte notwendig ist. Da der Betrachter die Notizen nur lesen kann, wenn er die Karte dreht, verändert er buchstäblich seinen Blick auf die Situation. Karte F zeigt sogar einen Fluss mit zwei Horizonten, welche durch eine Handlung des Betrachters ‚aktiviert‘ werden müssen. Der Betrachter kann die Karte um 180 Grad drehen und damit buchstäblich die Perspektive wechseln. Der funktionale Aspekt des Perspektivwechsels in Lokal- und Regionalkarten war für die Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts also wichtiger als eine exakte oder mathematisch korrekte Karte.¹²⁵
Der Fluchtpunkt für einige Häuser liegt auf der linken Seite des Dorfes. Da dieser Aspekt direkt mit dem Inhalt der Gerichtsakten verbunden ist, wird hierauf in Kap. 3.2 weiter eingegangen. Stefan Xenakis beschrieb es als „die große Leistung des 16. Jahrhunderts, dass es den Zielkonflikt zwischen Anschaulichkeit und Exaktheit erkannt (…) und die Möglichkeiten intensiv diskutiert hat.“ Xenakis, Wahrhaftigkeit und Anschaulichkeit. S. 132. Weiterführende Reflexionen über die verschiedenen Darstellungsarten und die zeitgenössischen Diskurse über Optik in Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne, Kap. 2 und 3.
2.2 Techniken und Tendenzen der Regionalkartographie
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2.2 Techniken und Tendenzen der Regionalkartographie. Ein Exkurs zu späteren hessischen Regionalkarten Anhand der frühesten hessischen Regionalkarten ist bereits deutlich geworden, mit welcher Vielfalt an unterschiedlichen Darstellungsformen die Maler die in Auftrag gegebenen Karten anfertigten. Erst später bildete sich eine Art kartographische Zeichensprache heraus: Bestimmte Formen, Zeichen und Symbole wurden erst im Laufe der Frühen Neuzeit als gängige Kartensprache akzeptiert.¹²⁶ Um einen Ausblick auf die späteren Entwicklungen zu ermöglichen, werden im Folgenden einige spätere Karten in die Analyse mit aufgenommen. Manchmal wurden alte Karten vom Auftraggeber oder vom Maler mehrmals verwendet. In einem Kapitel zu Form und Funktion darf eine Wiederverwendung einer ‚alten‘ Kartenform mit neuen Funktionen nicht fehlen, wird doch am Ende die These vertreten, dass die Funktion die Form bedingt – und nicht vice versa. Hierzu werden zunächst vier Karten von Elias Hoffmann, erstellt am Ende des 16. Jahrhunderts, in die Untersuchung mit aufgenommen (Kap. 2.2.1). Anhand von eingehenden Vergleichen zwischen diesen Darstellungen wird gezeigt, wie Hoffmann seine Landesaufnahmen mit wenigen Handgriffen in Augenscheinkarten verwandelte. Hierdurch werden nicht nur die verschiedenen Funktionen zwischen Landesaufnahmen und Augenscheinkarten verdeutlicht, sondern treten auch die unterschiedlichen Nuancen in den Darstellungsformen hervor. In einem zweiten Schritt (Kap. 2.2.2) werden anschließend zwei Karten untersucht, die angeblich auf Karten des 16. Jahrhunderts zurückgehen, aber in ihrer Gestaltung mehr Ähnlichkeit mit Karten des 17. bzw. 18. Jahrhunderts besitzen.
2.2.1 Gleiche Karten in unterschiedlichen Situationen. Ein Vergleich zwischen Landesaufnahmen und Augenscheinkarten Der Frankfurter Maler Elias Hoffmann kartographierte mehrmals das Frankfurter Umland, wobei seine Auftraggeber die Karten bei verschiedenen Gelegenheiten einsetzten und die Karten also unterschiedliche Zwecke erfüllen sollten. Dieser Umstand birgt ein großes Forschungspotential, denn anders als bei den bisher untersuchten Regionalkarten gibt es eine zeitgleiche Serie verschiedener Karten von der gleichen Region, gemalt durch die gleiche Person. Hoffmanns Kartenwerke sehen auf den ersten Blick sehr ähnlich aus, was die Frage nach dem Zusammenhang von Form und Funktion noch mehr zuspitzt. Wenn die Funktion die
Für die gedruckten Karten: Delano-Smith, Signs on Printed Topographical Maps.
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2 Form und Funktion der frühen Lokal- und Regionalkarten in Hessen
Form bedingt, was kann dann über diese Karten ausgesagt werden? Lassen sich Funktion und Form überhaupt in Relation bringen? In den Jahren 1582 bis 1584 kartographierte Elias Hoffmann im Auftrag der Hanauer Grafen in mehreren Aufnahmen das Frankfurter Umland bis nach Rieneck. Angefertigt wurden sieben durchnummerierte Karten im Rahmen von Verhandlungen über einen eventuellen Gebietstausch zwischen Hanau und Kurmainz nach dem Aussterben der Grafen von Rieneck 1559.¹²⁷ Heute sind noch mehrere Entwürfe, Reinzeichnungen und Kopien überliefert; die zeitgenössischen Titel und Nummerierungen der Karten verweisen jedoch darauf, dass die Landesaufnahmen in einer Serie zusammengehörten.¹²⁸ Wie Fritz Wolff zu Recht anmerkt, wird der Begriff „Landesaufnahme“ normalerweise für (meist) großformatige Karten verwendet, mit denen der fürstliche Auftraggeber sich einen Überblick über seine Herrschaft verschaffen wollte.¹²⁹ Die Landesaufnahmen konnten sowohl symbolische (Darstellung und Inszenierung von Herrschaft) als auch verwaltungsrechtliche Zwecke (Besitz- und Steuerfragen) haben.¹³⁰ Auch wenn die Karten im Kontext von Verhandlungen über einen Gebietstausch entstanden sind, können sie dennoch als Landesaufnahmen bezeichnet werden: Schließlich sollten sie einen Gesamtüberblick über das hanauische Territorium bieten.¹³¹ Einige Jahre später bekam Elias Hoffmann in einer anderen Angelegenheit den Auftrag, weitere Karten vom Frankfurter Umland zu malen. In einer der vielen Auseinandersetzungen zwischen der Reichsstadt Frankfurt und den Grafen von Hanau-Münzenberg wurde Hoffmann als Maler für zwei Augenscheinkarten beauftragt. Im Laufe des Prozesses wurden zwei Beweiskommissionen tätig und so entstanden auch zwei Karten. Das eine Exemplar wurde 1589 von der Stadt Frankfurt bei Hoffmann in Auftrag gegeben (Karte W), das andere 1591 von den
Vgl. Wolff, Elias Hoffmann, S. 74– 79; Lehmann, Karten als Informationsträger, S. 222 f. Bei den überlieferten Landesaufnahmen aus der Serie handelt es um: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. R II 39, Bl. 1– 2 (Nr. 3), ebd., Nr. R II 40 (Nr. 4); ebd., Nr. R II 41 (Nr. 5); ebd., Nr. R II 44 (Nr. 1); ebd., Nr. R II 45 (Nr. 2), und HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 14875. Hinzu kommt die riesige zusammengesetzte Karte in HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. A 11. Speziell hierzu: Lehmann, Karten als Informationsträger, S. 223 f. Im Folgenden werden nur die beiden Karten R II 40 (Karte U) und R II 41 (Karte V) analysiert. Vgl. Wolff, Elias Hoffmann, S. 74. Vgl. u. a. Hans Wolff, Cartographia Bavariae. Bayern im Bild der Karte (Bayerische Staatsbibliothek. Ausstellungskataloge, Bd. 44), Weißenhorn 1988, S. 76; Neumann, Reichskammergericht und Kartographie, S. 165; Fuchs, Herrschaftswissen und Raumerfassung, S. 16 f.; Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 289 f. Vgl. Wolff, Elias Hoffmann, S. 74.
2.2 Techniken und Tendenzen der Regionalkartographie
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Hanauer Grafen – ebenfalls bei Hoffmann (Karte X).¹³² Der Aufbau der beiden Darstellungen ist nahezu gleich und unterscheidet sich nur in Details, die aber für die Prozessargumentation wichtig waren.¹³³ Im Folgenden werden die beiden Augenscheinkarten mit zwei Landesaufnahmen verglichen. Die Landesaufnahmen¹³⁴ werden als Vergleichsmaterial herangezogen, weil sie einen Teil des Frankfurter Umlands abbilden, welcher sich auch bei den Augenscheinkarten findet. So lässt sich das kleine Areal um Gut Rebstock auf allen vier Karten entdecken, auch wenn die Karten unterschiedliche Formate und Teile des Frankfurter Umlands kartographieren. Die folgende vergleichende Analyse soll zuerst die Darstellung der verschiedenen Landschaftselemente hervorheben, bevor die vier Karten aufgrund ihres Inhaltes miteinander verglichen werden: Welche Funktionen hatten die Darstellungen und inwiefern bedingte das ihre Form?
Die Gestaltung der Hoffmann-Karten im Vergleich Die Landesaufnahme U ist 80 x 130 cm groß und zeigt das Gebiet zwischen Frankfurt, Schwanheim, Höchst, Ginnheim und Oberrad; Karte V hat mit 96 x 115 cm ein leicht anderes Format und nimmt eine etwas größere Region nordöstlich von Frankfurt in den Blick, das Gebiet zwischen Groß-Karben, Dörnigheim, Offenbach, Oberrad, Kelsterbach, Sindlingen und Oberursel. In beiden Darstellungen ist das Areal um den Frankfurter Hof Rebstock durch eine kleine rot umrandete Kartusche ausdrücklich als umstrittenes Gebiet ausgewiesen. Dagegen kartierten die beiden Augenscheinkarten W aus dem Jahr 1589 und X von 1591 nur einen kleinen Teil der vorher erwähnten Landesaufnahmen, indem sie den Fokus auf das Gebiet zwischen Hof Rebstock, dem Main bei Griesheim und der Frankfurter Landwehr legen. Bei allen Karten von Elias Hoffmann sind viele Darstellungselemente sehr einheitlich gestaltet. Seine Karten bilden jeweils eine farblich nach Territorien aufgeteilte Fläche mit großen Wappen fast senkrecht von oben ab. Die Darstellung von Orten, Straßen, Bäumen, Flüssen, Feldern und Grenzen ist in allen vier
Die Karten befinden sich in: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. A 18 (Karte X) sowie HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. A 19 (Karte W). Zusätzlich ist in Wiesbaden eine spätere Kopie überliefert, welche anlässlich einer Wiederaufnahme des Prozesses im 18. Jahrhundert erstellt wurde: HHStA Wiesbaden, Bestand 3011/1, Nr. 3145 R. Zur Wiederaufnahme und Erstellung der Kopien vgl. Recker, Gemalt, gezeichnet und kopiert, S. 32– 38. Vgl. für die Prozessargumentation Timpener, Die Karte als Argument?, S. 209 – 218. Auch die Landesaufnahmen befinden sich im HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. R II 40 (Karte U) sowie ebd., Nr. R II 41 (Karte V).
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ausgewählten Beispielen nahezu gleich. So sind die Siedlungen mit Hilfe von schematischen Gebäuden und grüner Farbe für Gärten und Wiesen eingezeichnet und Straßen durch zwei parallel verlaufende Striche wiedergegeben. Anders als bei den Augenscheinkarten (hellbraun bzw. grau) sind die Straßen und Wege der beiden Landesaufnahmen nicht koloriert, dafür aber mit kleinen Bäumen gesäumt und erfahren dadurch mehr Aufmerksamkeit. Bei beiden Kartenduos haben die schematisch gezeichneten Bäume, welche in der Farbe des jeweiligen Territoriums dargestellt sind, innerhalb des Kartenbildes nur wenige Funktionen. Die vielen großen Baumumrisse kennzeichnen die Waldgebiete, die kleinen Bäumchen hingegen haben eine einrahmende dekorative Funktion. Bei den Landesaufnahmen grenzen kleine Bäume die Flüsse und Straßen ab, bei den Augenscheinkarten säumen diese die Landwehr und Grundstücke. In allen Karten sind Gewässer in einem blaugrauen Farbton wiedergegeben. Auch die verschiedenen Felder werden identisch als Quadrate mit kleinen Linien für die Furchen dargestellt. Eine klare Grenzgestaltung wird jeweils durch Farben, Wappen und rote Grenzsteine hervorgerufen. Hierbei beeinflusst die territoriale Farbgestaltung auch die Farbe der Bäume, Straßen und Felder. Bei einigen anderen Kartenelementen sind kleine Unterschiede bemerkbar, die teilweise mit der Skalierung der Karte zusammenhängen. So sind bei den Landesaufnahmen einige Richtstätten, diverse Schläge und Warten sowie die Frankfurter Landwehr als Erkennungsobjekte zu sehen, bei den Augenscheinkarten jedoch nur die Warten und die Frankfurter Landwehr. Zum Teil lässt sich der Unterschied dadurch erklären, dass mit den beiden Augenscheinkarten ein viel kleineres Gebiet kartiert wurde als mit den Landesaufnahmen: Im Areal der Augenscheinkarten befanden sich offenbar keine Richtstätten und Schläge, welche der Maler hätte abbilden können. Die Landesaufnahmen führen allerdings einen Schlag im umstrittenen Gebiet zwischen Hof Rebstock und der Frankfurter Landwehr beim Gutleuthof auf, welcher sich in den beiden viel detaillierteren Augenscheinkarten nicht finden lässt. Über den Grund kann nur gerätselt werden: Hatte der Maler beim Erstellen der Landesaufnahmen die Schläge im Frankfurter Umland nach dem Zufallsprinzip verteilt oder war der Schlag wenige Jahre später nicht mehr vorhanden? Die wahrscheinlichste Variante ist, dass bei den Augenscheinkarten sehr genau nach den Befunden der Inaugenscheinnahme gearbeitet worden ist. Auch die Frankfurter Landwehr verläuft in den beiden Augenscheinkarten gleich, wohingegen die Landwehr in den Landesaufnahmen, besonders bei V, etwas unklarer dargestellt worden ist. Anders als bei V erhält der Landwehr in der Nähe des umstrittenen Areals bei der Landesaufnahme U durch
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eine rote Linie, welche die Banderolen mit der Kennzeichnung für die Landwehr miteinander verbindet, viel mehr Aufmerksamkeit.¹³⁵ Ein weiterer (kleiner) Unterschied ist in der Abbildung von Menschen zu sehen. Nur auf der Augenscheinkarte W ist eine Person abgebildet, die aufgrund der schwarzen Kleidung und der Schriftrolle als Notar identifiziert werden kann. Die Figur visualisiert somit die Inaugenscheinnahme selbst sowie die Wahrhaftigkeit der schriftlichen Abfassung. Im genauen Vergleich fällt auch die Andersartigkeit in der Ausrichtung und Darstellung von Himmelsrichtungen auf. Die beiden Landesaufnahmen geben eine Orientierungsmöglichkeit durch einen runden Kompass mit den abgekürzten Buchstaben für die Himmelsrichtungen. Der Kompass in U ist mit einer Wappendarstellung von Hanau, der Kompass in V mit der Darstellung von Zirkel und Maßstab kombiniert worden. Hinzu kommt noch ein weiterer rotumrandeter Kompass etwas links von der Mitte. U ist südlich, V südöstlich ausgerichtet. Die beiden Augenscheinkarten sind hingegen nach Westen ausgerichtet.W zeigt einen Kompass mit den Windrichtungen auf deutsch, der unten mit dem Frankfurter Wappen und oben mit einem Zirkel und Maßstab verbunden sind. Karte X hingegen bietet keine Windrichtungen, über den Grund hierfür lässt sich nur mutmaßen. X wirkt insgesamt nicht so edel wie die Vergleichskarten. So ist das Dorf Grießheim nicht mehr eingezeichnet und sind einige Orte durch klappbare Zusatzteilchen ergänzt. Möglicherweise handelt es sich hier um eine schnell angefertigte Kopie. Leider sind keine weiteren zeitgenössischen Kopien dieser Variante überliefert.¹³⁶ Beim Maßstab sind in etwa die gleichen Unterschiede zu sehen. Bei der Landesaufnahme U ist unter der Titelkartusche eine Messlatte für eine halbe Meile, bei V unten mittig eine für eine Meile zu sehen. Während X keinen Maßstab aufweist, führt W eine Messlatte von 100 Ruten auf. Auch wenn die Karten Messinstrumente aufzeichnen, heißt das nicht, dass die ganze Fläche tatsächlich vermessen worden ist. Die verschiedenen Darstellungen des Gebietes um Hof Rebstock lassen vermuten, dass das Gelände nicht komplett vermessen wurde (vgl. Ausschnitte von U und V, Abb. 1 und 2).
Diese Darstellung passt in die Sichtweise bzw. Argumentationsstrategie der Hanauer Grafen, die Frankfurter Landwehr sei die Grenze des Frankfurter Stadtgebiets.Vgl. Timpener, Die Karte als Argument?, insbes. S. 216. Ursprünglich besaß das Frankfurter Stadtarchiv die Zweitausfertigungen der Augenscheinkarten X und W, diese sind aber 1944 bei einem Bombenangriff vernichtet worden.Vgl. Wolff, Elias Hofmann, S. 71. Darüber hinaus war im 18. Jahrhundert aufgrund von weiteren Gerichtsprozessen am Reichskammergericht eine Kopie auf der Basis von Karte W (1589) entstanden. Hierzu Recker, Gemalt, gezeichnet und kopiert, S. 32– 38.
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Abb. 1: Ausschnitt aus Karte U (s. Kartenanhang)
Alle Karten von Elias Hoffmann sind für ihre ausführlichen Wappendarstellungen bekannt, auch wenn der Maler sie unterschiedlich einsetzte. In den Landesaufnahmen sind jeweils kleine Wappen für Mainz und Hanau in den verschiedenen Territorien zu sehen sowie rechts unten ein sehr großes Wappen von Hanau als Auftraggeberin. Die heraldischen Details sind unterschiedlich ausgeführt.¹³⁷ In den beiden Augenscheinkarten haben drei große und reich verzierte Wappendarstellungen Platz gefunden. Die Wappen stehen im jeweiligen Herrschaftsbereich. So steht das Wappen von Hanau links oben und das von Solms rechts oben. Nur die Darstellung des Frankfurter Wappens ist abweichend. Bei der Augenscheinkarte W, welche von Frankfurt in Auftrag gegeben wurde, steht das Wappen In U greift dieses große Wappen den Kompass auf, in V kreiert es eine Verbindung zu einer (leergelassenen) Kartusche.
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Abb. 2: Ausschnitt aus Karte V (s. Kartenanhang)
der Stadt in der Kartenmitte und bildet durch die Verbindung mit Zirkel, Kompass und Beglaubigungskartusche eine dominante Stelle im Kartenbild. Bei Karte X, die Hanau bei Hoffmann hat anfertigen lassen, hat Frankfurt ein viel kleineres Wappen am Rande bekommen als bei W. Die Schlussfolgerung liegt nahe: Wie groß und ausgiebig die Wappen dargestellt wurden, hat wohl vorrangig mit dem jeweiligen Auftraggeber zu tun gehabt.
Aufschriften und kleine kartographische Änderungen – ein inhaltlicher Vergleich Die angewandten Techniken sind bei den Karten von Elias Hoffmann auf den ersten Blick sehr ähnlich. Die größten Unterschiede zwischen den beiden Kartengruppen jedoch werden bei der Verwendung von Texten bemerkbar. Zwar gibt es in allen vier Karten Aufschriften, die als geographische Verortungshilfe dienen, darüber hinaus lassen sich allerdings gattungsspezifische Funktionen nachweisen. Die verschiedenen Aufschriften und ihre Funktionen im Kartenbild werden deshalb im Folgenden nacheinander thematisiert. Bei den Landesaufnahmen U und V ist dem Kartenwerk jeweils ein Titel gegeben worden. So führt Karte U in einer großen Kartusche rechts unten den folgenden Text auf: „In dieser Mappen wurdt die gelegenheit der zweijer Dörffer Nidda undt Grießheim angezaigt, darueber auch In der schriefftlichen Relation ferner Bericht zufinden Ist“. Auch wenn die Karte einen deutlich größeren Teil des
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Frankfurter Umlands zeigt, wird hiermit der Fokus des Betrachters auf Nied und Grießheim gelegt. Karte V hingegen hat am oberen Kartenrand in der Mitte eine Kartusche mit dem Text „Dieße Mappa besagt uber den Bornheymerbergk, undt khan hierüber umb bessers Berichts willen die Relation in dem fünfften Püncten gelesen werden“. Obwohl diese Darstellung wiederum auch Nied und Grießheim zeigt, konzentrieren sich sowohl der Titel als auch die Karte selbst stärker auf das Gebiet um Bornheim. Zudem verweisen beide Karten schon im Titel auf weitere schriftliche Akten, dazu später mehr. Darüber hinaus bietet die Landesaufnahme V rechts unten auch noch eine kleine Malersignatur: „Elias Hoffman pinxit“. Die beiden Landesaufnahmen U und V überschneiden sich nicht nur in der kartographischen Ausrichtung, auch die textuell und bildlich erhobenen Besitzansprüche sind gleich. Beide führen im Gebiet zwischen dem Gutleuthof und Hof Rebstock ein rotumrandetes Schild mit dem Hinweis, dass das Areal von diesem Ort bis zur Frankfurter Landwehr eigentlich Hanau zugehörig sei.¹³⁸ Die Grenze zwischen Hanau und Frankfurt wird zudem mit Grenzsteinen akzentuiert. Auch auf der anderen Seite von Frankfurt verweisen die Karten auf Besitzansprüche. Beide Landesaufnahmen zeigen nördlich von Bornheim (auf der Karte unter Bornheim) einige Grenzsteine mit der Bemerkung, dass dieses Gebiet Hanau nicht absolute gehört.¹³⁹ Beide Besitzansprüche sind als textuelle Hinweise im gelbgefärbten (Frankfurter) Gebiet zu sehen. Die Verwendung von Text in den Landesaufnahmen U und V verdeutlicht also sowohl die geographischen Gegebenheiten als auch einige aktuell umstrittene Besitzansprüche. Im Licht der Verhandlungen über einen Gebietstausch mit Kurmainz¹⁴⁰ war dieses Vorgehen natürlich sinnvoll, da Hanau seinen Verhandlungspartner über etwaige Rechtsansprüche und laufende Verfahren informieren musste. Die Titel der Karten verwiesen dabei schon auf weitere schriftliche Dokumente. Die Aufschriften bei den Augenscheinkarten hingegen spielen im Kartenbild eine ganz andere Rolle. Die Karten W und X sind nahezu gleich aufgebaut und zeigen beide kleine Banderolen mit den Namen der Siedlungen, Höfe und Flüsse. Hinzu kommen zwei große ausgeschmückte Kartuschen mit Aufschriften,
Der Text lautet abgesehen von Abweichungen in der Schreibweise bei beiden gleich. Vgl. Karte U: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. R II 40: „An dießem Ortt biß an die Franckfurter Landtwher, soll auch weiß sein, undt In hanawische Oberigkait gehörig“; hiergegen Karte V: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. R II 41: „An diessem Ort bis an die franckfurter Landtwher soll auch weis sein, undt an hanawische Oberigkait gehorig“. Die Texte sind jeweils (mit minimalen Abweichungen) gleich: Vgl. Karte U: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. R II 40: „Dieses gesteht Hanaw auch nicht Absolute“; hiergegen Karte V: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. R II 41: „Dieses gestehet Hanaw nicht absolute“. Siehe hierzu Kap. 2.2.1.
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die bei beiden Varianten ungefähr in der Bildmitte platziert sind. Die linke Kartusche dient bei den zwei Augenscheinkarten als Beglaubigung, indem die Namen des Kommissars und zweier Notare eingetragen sind.¹⁴¹ Bei dem rechten Rahmen sind allerdings unterschiedliche Texte und Funktionen ersichtlich. So dient die rechte Kartusche bei X als Malerunterschrift, bei W hingegen als eine textuelle Legende zur territorialen Erklärung der verschiedenen Farben. Da die beiden Augenscheinkarten, besonders was die Aufschriften betrifft, stark voneinander abweichen, wird an dieser Stelle auch kurz auf den inhaltlichen Kontrast eingegangen. Die Unterschiede zwischen den Kartenversionen sind hauptsächlich textueller Natur und dürften für den Prozess weitreichende Konsequenzen gehabt haben. Die Augenscheinkarten sind in Verbindung mit den verschiedenen Argumentationen im Prozess zu sehen.¹⁴² So zeigt W oberhalb der Messinstrumente eine Banderole mit dem Text „An diesem Ortt hat sich die Pfandt und handlung deßwegen daß Mandat außbracht begeben“, womit die Karte direkt an den Prozessanlass erinnert.¹⁴³ Die kleineren (weißen) Banderolen im oberen Kartenbereich geben hingegen aktualisierte Informationen über die Grenzsteine, die 1520 anlässlich einer Begehung gesetzt worden waren. Bei den Inaugenscheinnahmen, die etwa 70 Jahre später – im Jahr 1589 sowie 1591 – im Rahmen des Gerichtsprozesses stattfanden, wurden die Grenzsteine neu begutachtet und protokollarisch festgehalten.¹⁴⁴ Anders als Karte X nimmt die frühere Darstellung W textuell und kartographisch auf diese Inspektion Bezug. Mit Hilfe von Nummern werden die Distanzen zwischen den etwa 40 roten Grenzsteinen wiedergegeben und es wird jeweils vermerkt, welche Grenzsteine den Buchstaben F für Frankfurt aufzeigen. Zudem gab es einige Steine, die kein F aufwiesen („dieser stein hat kein f“) und ein Markenstein sei verschollenen („alhier sol ein alter markenstein gestanden sein“).
Beide Kommissionen wurden durch den gleichen Kommissar, Gerhard Techel, geleitet, die Notare waren allerdings unterschiedlich. Zu den jeweiligen Prozessargumentationen und zu der Visualisierung dieser Ansprüche siehe Timpener, Die Karte als Argument?, S. 209 – 218. Eine Eskalation der Gewalt war nach einer langen Vorgeschichte kleinerer und größerer Konflikte der direkte Anlass für eine Klage vor dem Reichskammergericht: Nachdem Hans Hektor von Holzhausen, der am 4. August 1578 zusammen mit Johann von Martoff auf Gut Rebstock Weidwerk trieb, in der Annahme, die Greisheimer würden sie gefangen nehmen wollen, auf einen Griesheimer geschossen hatte, waren die Griesheimer mit Verstärkung zurückgekommen und hatten Hof Rebstock überfallen. Zur Zeit dieser Ereignisse befanden sich auch einige wichtige Frankfurter auf dem Hof. Die Reichsstadt Frankfurt wertete den Angriff als Landfriedensbruch und klagte vor dem Reichskammergericht. Vgl. Timpener, Die Karte als Argument?, S. 209, 214. Vgl. Timpener, Die Karte als Argument?, S. 217.
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Augenscheinkarte X hingegen zeigt nur zehn Grenzsteine und nimmt dafür die inhaltlichen Argumente von Hanau auf, indem die verschiedenen Stationen der Inaugenscheinnahme beschrieben werden. So stellte Hanau sich als Territorialherr dar, der gegen die unerlaubte Jagd in diesem Gebiet vorging und sich um die Beerdigung einer tot aufgefundenen Magd kümmerte. Auf Karte X lassen sich diese Positionen in Form von beschrifteten Banderolen verorten. So zeigt die 7. Station am Bruch die Stelle, „da die dtote Magdt gepfundten undt begraben worden“ war.¹⁴⁵ Bei dem systematischen Vergleich zwischen vier Karten von Elias Hoffmann ließen sich kleinere und größere Unterschiede in Darstellungsform und Funktion feststellen. Auch wenn die Karten auf den ersten Blick sehr ähnlich gestaltet sind, zeigte die Analyse der Formen und Funktionen, dass der Kartenzweck maßgebend für die kartographische Umsetzung der Karte war, wobei den Aufschriften eine gewichtige Rolle zukam. Die Landesaufnahmen, die im Zuge der Verhandlungen zwischen Kurmainz und Hanau entstanden waren, boten hauptsächlich einen fürstlichen Überblick über die hanauischen Territorien und verwiesen auf weitere Informationen zu zeitgleichen territorialen Besitzansprüchen. Die Augenscheinkarten hingegen zeigten nicht nur einen viel kleineren Abschnitt der Landschaft, sondern visualisierten vorrangig die Prozessargumentationen des jeweiligen Auftraggebers. Es ist anzunehmen, dass Elias Hoffmann für die Erstellung der beiden Augenscheinkarten auf seine alten Skizzen für die Landesaufnahmen zurückgegriffen hat. Für die Umsetzung der beauftragten Augenscheinkarten musste er allerdings eine Darstellung wählen, die mit seinem neuen Auftrag vereinbar war. Der kleinere Gebietsausschnitt, die Platzierung der jeweiligen Wappen und die argumentativen Aufschriften sind deshalb durchaus als bewusste Anpassungen an die veränderte Form zu sehen.
2.2.2 Spätere Ausfertigungen von früheren Karten Die Karten S und T sind erst viele Jahre später entstanden, griffen aber, so die begleitenden Notizen, auf Karten aus den 1560er Jahren zurück.¹⁴⁶ Die Karten sind jedenfalls keine exakten Kopien, denn sie zeigen viele Elemente, die typisch für die Kartographie des 17. bzw. 18. Jahrhunderts sind. Die Unterschiede werden erst
Vgl. HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. A 18; Timpener, Die Karte als Argument?, S. 218. Wie Anette Baumann deutlich macht, war dies im 17. und 18. gängige Praxis, unter anderen aus Kostengründen. Vgl. Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne, Kap. 2.4.
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nach einer eingehenden Beschreibung und Analyse der verschiedenen Kartenelemente und Funktionen ersichtlich.
Karte S als visualisierte Landesbeschreibung (1668) Karte S ist im Jahr 1668 als eine zeitgemäße Kopie einer Karte von 1563 entstanden. Dabei wurde die überlieferte textuelle Grenzbeschreibung aus 1563 in einer neuen Karte visualisiert. Die nach Osten ausgerichtete Karte zeigt Gernsheim sowie die Dörfer Rodau und Wattenheim.¹⁴⁷ Die jeweiligen Siedlungen sind, zusammen mit den zugehörigen Feldern, Wiesen und Wäldern, jeweils von einer roten Linie umgeben. Auf der Grenzlinie um Gernsheim herum sind in regelmäßigen Abständen kleine nummerierte Kästchen eingezeichnet. Diese korrespondieren mit der Kopie einer Grenzbeschreibung aus 1563, welche rechts neben der Karte verschriftlicht worden ist. Genau wie in der bildlichen Darstellung verläuft die textuelle Grenzbeschreibung von einem zum nächsten nummerierten Punkt. Diese Funktion tritt umso deutlicher hervor, da der restliche Kartenraum, abgesehen von den Himmelsrichtungen an den Rändern und einigen rotbraunen Kartenzeichen, nicht ausgefüllt worden ist. Eingebunden ist die Karte in ein „Jurisdiktionalbuch“ des Mainzer Kurfürstentums, welches sowohl die Grenzen als auch die jeweiligen Einwohnerzahlen, aufgeteilt nach Männern, Frauen, Töchtern und Söhnen, von Gernsheim, Wattenheim und Rodau beschreibt.¹⁴⁸ Auch wenn die Siedlungen und der Wald noch als Ansicht dargestellt sind, ist das Kartenbild als Ganzes nicht mehr als „landschaftlich“ oder als reine Vogelperspektive zu beschreiben. Abgesehen von den schräg von oben dargestellten Bäumen und Orten wird das Gebiet senkrecht von oben abgebildet. Rote Grenzlinien trennen die für die Landesbeschreibung wichtigen „eigenen“ Gemarkungen vom nahezu leer gelassenen Rest. Die einzigen Ausnahmen bilden einige rotbraune Kartensymbole: Außerhalb der Gemarkungen sind fünf kreisförmige Punkte mit einem Kreuz zu sehen, welche die benachbarten dörflichen Gemeinden oder Pfarreien symbolisieren. Die zugehörigen Aufschriften verweisen auf die heutigen Orten Schwanheim, Langwaden, Biebesheim am Rhein, Klein-Rohrheim und Nordheim. Diese Dörfer waren nicht Teil des Mainzer Kurfürstentums und haben dadurch kaum Aufmerksamkeit in dieser Karte erfahren. Die Analyse von Karte S zeigt einige Unterschiede in der kartographischen Darstellung auf. Sie ist keine exakte Kopie, sondern eine Visualisierung der schriftlichen Grenzbeschreibung nach den kartographischen Gewohnheiten des
HStA Darmstadt, Bestand C 2, Nr. 38/1, hier f. 3v–4r. Ebd., f. 3r.
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17. Jahrhunderts. Ein großer Unterschied zu den frühen Regionalkarten liegt in der unterschiedlichen Darstellung der „eigenen“ und „fremden“ Orte. Die ersten hessischen Regionalkarten nahmen die Siedlungen anderer Herrschaftsträger genauso wie die eigenen Orte in die Karte auf, ohne diese jedoch kartographisch unterschiedlich darzustellen. Karte S hingegen ist in Zusammenhang mit dem Herrschaftsinstrument des Jurisdiktionalbuches zu sehen. Für die Karte bedeutete das, dass der Maler sich auf die eigene Herrschaft konzentrierte und die nachbarlichen Territorien weitgehend außer Acht ließ. Die benachbarten Dörfer wurden, anders als die eigenen Siedlungen, nicht mit den typischen schematischen Gebäuden dargestellt, sondern auf ein Symbol (Kreis mit Kreuz) reduziert. Darüber hinaus erfährt die Grenze durch das nahezu leer gelassene Umland noch mehr Nachdruck.
Karte T als Neuverwendung des 18. Jahrhunderts Bei Karte T treten die zeitlichen und kartographischen Unterschiede noch stärker hervor: Die Karte wurde zwar am Ende des 18. Jahrhunderts gezeichnet, bezog aber dabei, so die Angaben des Geometers, auch eine alte Karte von 1560 mit ein. In der Karte dominieren gerade Linien sowie grüne und gelbe Farbtöne. Die Darstellung ist nach Osten ausgerichtet und bietet eine Draufsicht im 90-GradWinkel auf die südliche und östliche Umgebung des Dorfes Freienseen. Zentral auf der Karte ist eine Grenzlinie zu sehen, welche fast parallel zum oberen Kartenrand verläuft und durch einen Farbwechsel der durch sie getrennten Flächen (weiß statt grün) sowie mehrere rote Buchstaben akzentuiert wird. Links unten im Kartenbild ist eine große Legende in cremeweiß, welche fast das gelbe Freienseener Feld auf der rechten Seite spiegelt. Auch wenn die Karte überwiegend in Grün gestaltet ist, hat der Kartenmacher durch die Verwendung dunkelgrüner Linien, Aufschriften und Baumsignaturen die jeweiligen Wald- und Wiesengebiete voneinander getrennt. So sind die Waldgebiete durch die Verwendung von kleinen Baumsymbolen, welche sich wie in einem Muster über die Fläche verteilen, gekennzeichnet. Die Klarheit der Karte wird durch die vielen Aufschriften und Zahlen ein wenig aufgehoben, welche auf Besitzzuschreibungen und Vermessungen zurückzuführen sind. Weitere Linien durchkreuzen das Kartenbild. Gelbgrüne Linien stellen Wege und Straßen dar, schwarze wellenartige Striche die Bachläufe – mitsamt Pfeilen für die Stromrichtung. Aus der Legende wird ersichtlich, dass der alte „Riss“ von 1560 zu einer Neuvermessung und Aufzeichnung im Juni 1781 geführt hatte, welche im November 1782 von dem vereidigten Geometer Jost Dinstorff kopiert wurde. Die neue Aufnahme entstand offenbar auf Befehl des Grafen Christian August von SolmsLaubach. Hierdurch wurden bestimmte Grenzteile bestätigt, andere neu festge-
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legt. So verlief die Grenze zwischen der Herrschaft von Solms-Laubach und der Gemeinde Freienseen laut der alten Karte zwischen den roten Großbuchstaben A und B; die neue Landesgrenze hingegen folgt von A der schwarzen Linie zu dem roten Kleinbuchstaben b und entlang des Grenzgrabens hoch zu dem Kleinbuchstaben c. Ab dann nimmt die Grenze ihren gewohnten Gang zu den verschiedenen in Rot markierten Großbuchstaben, entlang der viereckig dargestellten Steine. Die Distanzen zwischen den Grenzsteinen sind in Zahlen festgehalten. Die schwarzen Großbuchstaben (A bis D) stellen, so die Legende, die vermessenen Waldstücke der Gemeinde Freienseen dar. Anders als die Kartuschen im 16. Jahrhundert erklärt die Legende auf Karte T nicht nur die Darstellung selber, sondern bildet auch in der Kartensymbolik eine Brücke zwischen Text und Bild: Sowohl auf der Karte als auch in der schriftlichen Legende haben die Groß- und Kleinbuchstaben die gleichen Farben, was die Kartennutzung erleichtert. Dass die Karte dennoch groß die Aufschrift „Gräflich Solms Laubachisches Territorium“ in Kapitälchen aufführt, ist wohl dem Auftraggeber geschuldet. Es gibt keinen großen Schriftzug, der angeben könnte, wem die Gebiete unterhalb der Grenzlinie gehören. Auf den ersten Blick stiftet dies Verwirrung. Einerseits ist bildlich eine klare Trennung zu sehen, andererseits gibt eine große Aufschrift einen Hinweis auf das gräfliche Territorium. Die Tatsache, dass der Großteil der Karte den Besitz der Gemeinde Freienseen verzeichnet, wird nicht auf Anhieb deutlich. Der Grund hierfür wird sicherlich in den langjährigen Konflikten zwischen Freienseen und Solms-Laubach zu suchen sein. Die Gemeinde Freienseen hatte jahrhundertelang Gerichtsprozesse gegen die Grafen von Solms-Laubach über die Zugehörigkeit von Freienseen geführt. Das Dorf Freienseen behauptete als Reichsdorf reichsunmittelbar und damit nicht der gräflichen Landesherrschaft von Solms-Laubach unterworfen zu sein. Die Grafen von SolmsLaubach hingegen beharrten darauf, dass die Einwohner von Freienseen ihre Untertanen seien.¹⁴⁹ Bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts sind erste Auseinandersetzungen und Prozesse vor dem Reichskammergericht überlie-
Vgl. Bernhard Diestelkamp: Ein Kampf um Freiheit und Recht. Die prozessualen Auseinandersetzungen der Gemeinde Freienseen mit den Grafen zu Solms-Laubach. Köln 2012, S. 1. Diestelkamp bietet eine ausgiebige Auswertung und Analyse der 48 Prozessverfahren, allerdings ohne tiefer auf die 1559 – 1560 erstellten Augenscheinkarten eingehen zu können, da diese in den Reichskammergerichtakten nicht auffindbar waren. Die späteren Kopien, die wahrscheinlich auf diese Vorlagen zurückgehen, erwähnt Diestelkamp nicht. Vgl. ebd., S. 60 f.
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fert, wobei auch die Rede von verschiedenen Augenscheinkarten ist.¹⁵⁰ Auch wenn die originale Karte von 1560 nicht überliefert ist, ist es durchaus wahrscheinlich, dass in der Legende von Karte T auf die 1560 gemalte Augenscheinkarte des Speyerer Maler Christoffer Heyl verwiesen wurde.¹⁵¹ Auffällig ist, dass im 18. Jahrhundert nicht nur Karte T, sondern auch noch eine weitere Karte entstanden ist, die laut schriftlicher Bemerkung auf eine frühere Vorlage zurückgeht.¹⁵² Diese Kartenskizze, welche nicht genauer datiert werden kann, zeigt die Sachlage vom Dorf Freienseen aus. Hier ist die Blickrichtung genau umgekehrt: Die Grenze liegt, verankert durch viereckige Grenzsteine, kreisförmig um das Dorf Freienseen herum. Die Grafschaft Solms-Laubach wird nicht erwähnt. Auch wenn die beiden Karten auf den ersten Blick sehr unterschiedlich aussehen, können sie jedoch durch eine Ausrichtung nach Osten miteinander in Verbindung gebracht werden. Die Grenzlinie verläuft in beiden Fällen gleich, jedoch macht der Vergleich mit der kreisförmigen Karte auch darauf aufmerksam, dass das Dorf Freienseen selbst auf Karte T nicht abgebildet ist. Die Legende von T ist genau an der Stelle platziert worden, wo die Siedlung eigentlich zu verorten wäre. Es ist davon auszugehen, dass der Kartenmacher dies mit Absicht gemacht hat. Die gräfliche Herrschaft wird in großen Buchstaben angekündigt, aber die Gemeinde Freienseen selbst ist nicht erkennbar. Während das Dorf nicht auf der Karte verzeichnet ist, sind auch die Freienseener Besitztümer erst nach einem längeren Studium von Karte und Legende zu erkennen. Hinzu kommt die homogene Kolorierung in Grün, welche den Eindruck verstärkt, es handele sich um ein einheitliches Territorium. Die Karte passt somit bestens zu der Solmser Sichtweise, denn für die Grafen von Solms-Laubach war das Dorf Freienseen lediglich Teil ihrer Landesherrschaft, das keiner selbstständigen Erwähnung oder Darstellung bedurfte – eine Behauptung, die nach diversen Bescheiden und conclusae am Reichshofrat 1775 durchgesetzt werden konnte.¹⁵³
Vgl. ebd., S. 15 – 17, S. 60 f. Das Endurteil vom 10. November 1574 entschied zwar über die Pfändungen und Forderungen, aber nicht über die grundsätzliche Frage, ob Freienseen der Status eines Reichsdorfs zustand. Vgl. ebd., S. 69 f. Diese Name wird in den Prozessakten genannt, vgl. Diestelkamp, Ein Kampf um Freiheit, S. 60 f. Dieser Maler ist möglicherweise identisch mit dem Speyrer Maler Christoph Hesel, der in den 1560er Jahren als Maler von Augenscheinkarten nachgewiesen worden ist. Vgl. Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne, Kap. 2.3; Anette Baumann: Augenscheinkarten am Reichskammergericht 1495 – 1806 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, Bd. 47). Wetzlar 2019, S. 20 f. Und zwar HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 1162. Der Reichshofrat verordnete Freienseen 1775 eine bedingungslose Huldigung des Grafen von Solms-Laubach, verbot weiteren Widerstand und schickte die beiden Freienseener Abgesandten
2.3 Die Kunst der Kartenanfertigung
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Die kartographischen Neuerungen von Karte T im Vergleich zu den Karten des 16. Jahrhunderts liegen vor allem darin, dass kartographische Zeichen ohne weitere Erklärung eingesetzt werden konnten. So werden eine einheitliche Baumsignatur zur Darstellung der Wälder und Pfeile für die Stromrichtung der Bachläufe eingesetzt. Hinzu kommt, dass die Karte keinen landschaftlichen Bezug kennt und keinen Wechsel zwischen den verschiedenen Perspektiven (Ansicht, Draufsicht, Vogelperspektive) aufführt, wie das bei den frühesten Karten üblich war.
2.3 Die Kunst der Kartenanfertigung Der Blick auf einige spätere Darstellungen hat deutlich gemacht, dass sich gegen Ende des 16. bzw. zu Anfang des 17. Jahrhunderts eine erste Zeichensprache für Regionalkarten etabliert hatte, was sich in einheitlicheren Kartensignaturen für kartographische Elemente wie Bäume, Siedlungen oder Pfarrorte zeigte.¹⁵⁴ Die Tendenz ging dazu, immer mehr Landschaftselemente, abgesehen von Orten und etwaigen Besonderheiten, von oben bzw. in einer relativ hoch angesetzten Vogelperspektive darzustellen. Dass auch viele spätere Regionalkarten strenggenommen weiterhin eine kombinierte Form aus Draufsicht und Ansicht anboten, ist der bisherigen Forschung wohl entgangen. Diese fokussierte sich stärker auf die größere Rolle für die immer stringenter durchgesetzte Vermessung der Landschaft.¹⁵⁵ Es ist anzunehmen, dass der Trend zur Vermessung die Tendenz zur Darstellung in Draufsicht verstärkte.¹⁵⁶ Wer allerdings nur die Entwicklung zur modernen Karte nachverfolgt, verkennt jedoch, dass die Kombination von Ansicht
nach Hause. Weitere Proteste der Freienseener, etwa mit Hinweis auf die finanzielle Unmöglichkeit, den Prozess weiterführen zu können, wurden abgewiesen. Die gräfliche Seite war damit entscheidende Schritte weitergekommen. Vgl. Diestelkamp, Ein Kampf um Freiheit, S. 280 – 282. Für eine Übersicht über verschiedene gedruckte Kartensignaturen im 16. Jahrhundert: Delano-Smith, Signs on Printed Topographical Maps. Für die handgezeichnete Kartensignaturen in Gottfried Mascops Ämteratlas: Niels Petersen: Übersicht über die Kartensignaturen, in: Ohainski/ Reitemeier (Hrsg.), Atlas des Gottfried Mascop, S. 167. Exemplarisch: Neumann, Kartographische Erläuterungen, S. 15 – 19; Klaus Schillinger: Entwicklung des Vermessungswesens im 16. Jahrhundert, in: Bönisch (Hrsg.), Kursächsische Kartographie, S. 11– 36. Vgl. Ulrike Gehring/Peter Weibel (Hrsg.), Mapping Spaces. Networks of Knowledge in 17th Century Landscape Painting. München 2014. Anette Baumann unterscheidet folgerichtig zwischen Vermessungen im Raum und Vermessen des Raums. Vgl. Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne, Kap. 3.
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2 Form und Funktion der frühen Lokal- und Regionalkarten in Hessen
und Draufsicht, je nach Kartenfunktion, bis in das 18. Jahrhundert noch recht häufig gewählt wurde.¹⁵⁷ Die frühesten Regionalkarten, die in der Periode zwischen 1500 und 1575 angefertigt wurden, zeigten allerdings eine viel größere Vielfalt in Sachen Zeichensprache. Die Maler wandten nämlich genau die Darstellungstechniken an, die zu der spezifischen Kartenfunktion passten. Seit der Jahrhundertmitte, so scheint es, werden die Übereinstimmungen zwischen den verschiedenen Karten langsam stärker. Nun hat die Forschung schon längst erkannt, dass Kunst und Wissenschaft sich gegenseitig beeinflussten und es vielseitige Verbindungen zwischen Geographen, Astronomen, Kartographen, Juristen, Malern, Druckern und Verlegern gab.¹⁵⁸ Die Biographien von bekannten Akteuren wie Erhard Etzlaub, Sebastian Münster, Gerhard Mercator, Peter Apian und Abraham Ortelius zeigen, dass die Grenzen zwischen den verschiedenen Disziplinen für die Zeitgenossen fließend waren.¹⁵⁹ Auch für die namentlich bekannten Kartenmaler gilt,
Beispiele aus dem hessischen Raum: Ein Exemplar von 1620 zeigt den Burggraben von oben, während die Burg und die Bäume ansichtig dargestellt werden: HHStA Wiesbaden, Bestand 3011/ 1, Nr. 334H. Eine andere Darstellung von 1640 zeigt hingegen das Schloss am Berghang ansichtig, während die Straßen und Gebäude im Dorf sowohl von oben als auch ansichtig gedreht dargestellt werden: HHStA Wiesbaden, 3011/1, Nr. 5755 H. In einer Karte von 1687 sind die Orte und Bäume in Ansicht zu sehen, die Waldwege dazwischen allerdings in Draufsicht: HHStA Wiesbaden, 3011/1, Nr. 971.1 H. Ein gutes Beispiel aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 13622. Ein spätes Exemplar mit Ansichten der Siedlungen bietet eine Karte der Rheinauen bei Nierstein: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 401. Die gleiche Beobachtung macht auch Delano-Smith, Signs on Printed Topographical Maps, S. 530 f. Vgl. Büttner, Die Erfindung der Landschaft, S. 58. Anette Baumann listet die engen Verbindungen zwischen Juristen, Künstlern und Verlegern auf. Vgl. Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne, Kap. 4.2. Zu Etzlaub u. a.: Fritz Schnelbögl: Life and Work of the Nuremberg Cartographer Erhard Etzlaub (†1532), in: Imago Mundi 20 (1966), S. 11– 26, hier bes. S. 12; Anna-Dorothee von den Brincken: Art. „Etzlaub, Erhard (1460 – 1552)“, in: John Block Friedman/Kristen Mossler (Hrsg.), Trade, Travel, and Exploration in the Middle Ages. New York 2000, S. 180. Zu Münster: Jasper van Putten: Networked Nation. Mapping German Cities in Sebastian Münster’s „Cosmographia“. Leiden 2018, S. 23 – 26. Bereits die veraltete Studie von Hantzsch macht deutlich, dass Münster ein äußerst vielseitig begabter Mensch war: Viktor Hantzsch: Sebastian Münster. Leben, Werk, wissenschaftliche Bedeutung. Leipzig 1899. Zu Mercator u. a.: Joseph Milz: Gerhard Mercator zwischen Broterwerb und Philosophie, in: Hans-Georg Kraume (Hrsg.), Gerhard Mercator. Vorläufer, Zeitgenossen, Nachwirkungen. Duisburg 2013, S. 245 – 252; Ute Schneider/Stefan Brakensiek: Gerhard Mercator. Wissenschaft und Wissenstransfer, in: Dies./Ders. (Hrsg.), Gerhard Mercator. Wissenschaft und Wissenstransfer, Darmstadt 2015, S. 7– 14. Zu Apian u. a.: Karl Röttel (Hrsg.), Peter Apian. Astronomie, Kosmographie und Mathematik am Beginn der Neuzeit. Buchheim 1995; Herbert Rädle: Peter Apian – Astronom, Kartograph, Humanist und Herausgeber, in: Die Oberpfalz 100 (2012), S. 110 f.
2.3 Die Kunst der Kartenanfertigung
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dass sie gleichzeitig auch als Kupferstecher, Landmesser, Wappenmaler oder Festungsbaumeister tätig sein konnten.¹⁶⁰ Darüber hinaus fallen die engen familiären Kontakte und Beziehungen beispielsweise zwischen Juristen und Mathematikern ins Auge.¹⁶¹ Trotz dieser engen Beziehungen zwischen den verschiedenen Disziplinen ist es sinnvoll, einige wissenschaftliche Ordnungsbegriffe für die Phänomene „Regionalkartographie“ und „Landschaftsmalerei“ zu verwenden (Kap. 2.3.1). Anschließend ist die Zeichensprache in Verbindung mit den Malerbiographien und -techniken zu bringen. Wie waren die Kartenmacher vernetzt? Lässt sich aufgrund der namentlich bekannten Personen und der von ihnen angewandten Kartenzeichen und Maltechniken etwas über etwaige erste Schritte zur Vereinheitlichung sagen? Auch der These, dass sich solche Verbindungen für den hessischen Raum vorrangig in und um Frankfurt als Reichs- und Messestadt bündelten und der rege Kontakt zwischen diesen Akteuren sich auch in Darstellungstechniken niederschlug, ist nachzugehen (Kap. 2.3.2).
Zwischen Landschaftsmalerei und Kartographie Auf den ersten Blick sehen die kunstvoll gestalteten Regionalkarten tatsächlich wie Landschaftsbilder aus, sodass Hans Vollet von „Landschaftsgemäldekarten“ sprach.¹⁶² Die meisten hessischen Regionalkarten zeigen eine Landschaft mit bewaldeten Hügeln und vielen Gewässern, wo sich auch Siedlungen, Straßen, Felder und weitere Landschaftselemente finden lassen. Auch wenn die angewandten Techniken und Darstellungsweisen teilweise gleich oder ähnlich sind, gibt es einige fundamentale Unterschiede. Beide Gattungen haben nicht nur unterschiedliche Funktionen, sondern sie zeigen in ihrer jeweiligen Form teilweise auch verschiedene Elemente auf. Die Landschaftsmalerei, die sich seit dem späten 15. Jahrhundert in Italien und den Niederlanden entwickelte, zeigte vor
Siehe Kap. 2.3. „So waren Sohn und Schwiegersohn des berühmten Mathematikers Peter Apian Urteiler am Reichskammergericht.“ Anette Baumann: Visualisierte Evidenz. Augenscheinkarten und Genealogien als Beweismittel des Reichskammergerichts, in: Marx-Jaskulski/Wenz-Haubfleisch (Hrsg.), Pragmatische Visualisierung, S. 91– 104, zit. S. 94. Hans Vollet: Weltbild und Kartographie im Hochstift Bamberg. Kulmbach 1988, bes. S. 35 – 57; Vollet, Landschaftsgemäldekarten aus Franken. Vorher beschrieb Joachim Neumann schon die „schräge Bildebene“ als charakteristische Form von Karten, die am Reichskammergericht verwendet wurden. Neumann, Reichskammergericht und Kartographie, S. 165. Auch Andreas Rutz stellte die Augenscheinkarte als ein „Landschaftsgemälde in Schrägaufsicht“ dar. Vgl. Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 212. Übergangen wurde dabei die Frage, warum die Darstellung, besonders bei Augenscheinkarten, so gewählt wurde.
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2 Form und Funktion der frühen Lokal- und Regionalkarten in Hessen
allem die Landschaft selbst. Die beobachtete bzw. als solche inszenierte¹⁶³ Natur war zum eigentlichen Thema eines Bildes geworden.¹⁶⁴ Aus diesem Grund unterscheidet sich das Landschaftsbild fundamental von der Regionalkarte. Landschaftsbilder zeigen natürliche Formen auf, wohingegen bei den lokalen und regionalen Kartenbildern die mehr oder weniger geraden Linien, wie Straßen, Waldwege, Flüsse, Landwehre oder Grenzen, extra betont wurden. Hinzu kommt, dass die meisten Regionalkarten ein besiedeltes Gebiet mit etwaigen gekennzeichneten Feldern, Grenzmarkierungen, Besitzvermerken und Rechtsansprüchen abbilden sollten. Meistens wurden diese visuellen Hinweise textuell verdeutlicht, Darstellungselemente, auf welche die Landschaftsmalerei in der Regel komplett verzichtete. Eine große Herausforderung für Maler von Regionalkarten war es, die gewünschten Konflikte oder Besitzverhältnisse in einer ansichtig projizierten Landschaft darzustellen. Besonders bei den Augenscheinkarten entsteht der Eindruck, dass diese so angefertigt werden sollten, dass der Betrachter die Inaugenscheinnahme mitverfolgen konnte. Die Kartenmacher, die als Maler in der Regel mehrere Kunstfertigkeiten besaßen,¹⁶⁵ setzten bei ihren Werken sowohl die Malertechniken der Landschaftsmalerei und perspektivisches Können als auch ihre kartographischen Erfahrungen ein. So wurde in vielen frühen Regionalkarten zwischen Draufsicht und Ansicht variiert und häufig ein Perspektivwechsel durchgeführt. Dieses Hin- und Herspringen zwischen Draufsicht und Ansicht sowie zwischen Vogelperspektive und Zentralperspektive führte unweigerlich zu Darstellungen, die auf den heutigen Betrachter schnell als nicht richtig oder nicht als „echte“ Karte wirken.¹⁶⁶ Dieser Unterschied fällt besonders zwischen Augen-
Tanja Michalsky wies zu Recht daraufhin, dass solche Bilder zwar „natürlich“ aussehen, dies aber nicht zwangsläufig auf die konkrete Naturbeobachtung zurückgehen muss, wie Svetlana Alpers noch ersichtlich gemacht hatte, sondern vielmehr als „Inszenierungsstrategien, die es dem Betrachter ermöglichen, seine Wahrnehmung mit der Darstellung der Bilder in Deckung zu bringen“, zu verstehen sind: Michalsky, Projektion und Imagination, S. 24– 28, zit. S. 28. Vgl. Nils Büttner: Zur Geschichte der Landschaftsmalerei. Eine Einführung, in: Bastian Eclercy (Hrsg.), Nah und Fern. Landschaftsmalerei von Brueghel bis Corinth. Köln 2011, S. 11– 27, bes. S. 11 f.; Büttner, Die Erfindung der Landschaft, S. 10 – 14; Michalsky, Medien der Beschreibung, S. 330 – 334; Michalsky, Projektion und Imagination, bes. S. 20 – 28. Maler wie Elias Hoffmann verfolgten eine breite Berufsausübung und waren meist in mehreren Spezialtechniken ausgebildet. So konnten sie simple Malerarbeiten (Anstrich) erledigen wie auch Dekorationen, Theaterkulissen, Porträts oder Karten anfertigen. Vgl. Wolff, Elias Hoffmann, S. 90; Fritz Wolff: Kartographen – Autographen. Ausstellung des Hessischen Staatsarchivs Marburg anlässlich des 39. Deutschen Kartographentages in Marburg (Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg, Bd. 5). Marburg 1990, S. 20. Vgl. Harvey, The History of Topographical Maps, S. 53.
2.3 Die Kunst der Kartenanfertigung
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scheinkarten und ‚reinen‘ Landschaftsmalereien auf. Da bei Letzteren die gesamte Aufmerksamkeit auf die Natur gerichtet war, konnte eine einheitliche Perspektive ohne Probleme durchgesetzt werden. Bei den Augenscheinkarten waren hingegen häufig beide Elemente erwünscht, die Natur und die Einflussnahme des Menschen, was durch einen Perspektivwechsel innerhalb der Karte gelöst wurde. Dennoch war die Regionalkartographie im 16. Jahrhundert im ständigen Wandel und es wurden verschiedene Techniken ausprobiert, auch nachdem seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erste Schritte in Richtung Vereinheitlichung von bestimmten Kartenzeichen zu sehen waren. Bei den frühesten Malern von Regionalkarten lassen sich Ausbildung und Erlangung dieser Techniken allerdings nur schwer rekonstruieren. Ein Blick auf die wenigen biographischen Daten der bekannten Maler in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts könnte, in Zusammenhang mit ihren Werken, eine erste Antwort bieten.
Die Maler und ihre Darstellungstechniken Bei den meisten untersuchten frühen Regionalkarten im hessischen Raum konnten die Namen der Maler nicht ermittelt werden. Er ist bei Karten, die im Rahmen einer Inaugenscheinnahme entstanden sind, nur bekannt, wenn die zugehörigen Gerichtsakten überliefert sind. Vielerorts sind Karten und Akten jedoch ohne jeglichen Hinweis auf ihren ursprünglichen Zusammenhang getrennt worden.¹⁶⁷ Die meisten skizzenhaften Darstellungen führen gar keinen Namen auf, sodass nur für wenige Maler ein erster Versuch unternommen werden kann, einige Lebensdaten, Ereignisse und insbesondere Aufträge zusammenzutragen und diese letztendlich auch mit den von ihnen verwendeten Techniken zu verknüpfen. Weiterführende biographische Daten lassen sich jedoch nicht ohne weiteres erschließen. Der Blick auf die Frankfurter Zunft der Maler hilft weiter: Die Eheund Verwandtschaftsverflechtungen zeigen die engen Beziehungen zwischen verschiedenen bekannten Malern auf. So heiratete Katharina, die Witwe des bekannten Frankfurter Malers Conrad Faber von Kreuznach,¹⁶⁸ 1553 in zweiter Ehe Jakob Laßmann.¹⁶⁹ Nach Ende der Untersuchungsperiode werden die Beziehun-
Hierzu u. a. Taddey, Über den Augenschein, S. 397 f.; Schwarzmaier, Kartographie und Gerichtsverfahren, S. 164– 166; Brichzin, Augenschein-, Bild- und Streitkarten, S. 112 f.; Hellwig, Tyberiade und Augenschein, S. 813 f. Konrad Faber oder auch Conrad Fabri war u. a. bekannt für seine Stadtansichten. Zu Leben und Werk siehe: Walther Karl Zülch: Frankfurter Künstler 1223 – 1700. Frankfurt a. M. 1935, S. 308 f. Faber starb 1553 völlig verschuldet. Ein halbes Jahr später heiratete seine Witwe erneut. Vgl. Zülch, Frankfurter Künstler, S. 308 f. und S. 349.
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2 Form und Funktion der frühen Lokal- und Regionalkarten in Hessen
gen noch klarer: Elias Hoffmann war 1583 Taufpate bei einem Kind von Sebastian Wolff und Hoffmanns Tochter Margarethe heiratete 1593 den berühmten Maler Philipp Uffenbach, der bereits ein Jahr zuvor Hoffmanns Werkstatt übernommen hatte.¹⁷⁰ Da die Geburts- und Sterbedaten nicht bei allen Malern bekannt sind, werden die Biographien in alphabetischer Reihenfolge präsentiert: Über Melchior Appel lassen sich nur wenig Informationen zusammentragen. Er kam aus Aschaffenburg¹⁷¹ und wurde offenbar mit mindestens zwei Augenscheinkarten beauftragt: 1569 in der Sache zu Hergershausen zwischen Groschlag vs. Hanau (Karte O) und 1575 in der Sache zwischen Frankfurt und Hanau östlich des Riederhofes (Karte Q). Leider bietet sich hier zu wenig Kartenmaterial, um einen eigenen Stil ausmachen zu können. Bei beiden Karten stechen am ehesten sein Monogramm M.A. sowie die musterartige Verteilung von identisch gemalten Bäumen als Symbol für ein Waldgebiet hervor;¹⁷² diese Darstellungsart hat sich bei späteren Karten als Zeichen für Wald durchgesetzt. Durch die ersten grundliegenden Studien von Fritz Wolff ist bereits einiges über Elias Hoffmann (um 1544– 1592) zusammengekommen,¹⁷³ was wiederum von der rezenteren Literatur übernommen worden ist.¹⁷⁴ Wolff kannte aber nicht das Gerichtsverfahren, in welchem Elias Hoffmann nicht nur als Maler, sondern auch als Zeuge tätig wurde.¹⁷⁵ In seiner Zeugenerklärung beschrieb Hoffmann sich als etwa 45 Jahre alter Maler, wohnhaft im Hainer Hof in Frankfurt.¹⁷⁶ Aufgrund seiner Erklärung wäre anzunehmen, dass Hoffmanns Geburtsjahr um 1544 herum liegen müsste. Hoffmann ist besonders durch einen Kupferstich von der Stadt Frankfurt aus dem Jahr 1587 bekannt geworden, da dieser, übrigens häufig ohne Hoffmann zu erwähnen, bis weit ins 17. Jahrhundert hinein mehrmals verwendet und ge-
Vgl. Zülch, Frankfurter Künstler, S. 380 f. Vgl. Wolff, Elias Hoffmann, S. 73; Fritz Wolff: Katalognr. 184: Augenscheinkarte zum Reichskammergerichtsprozeß der Reichsstadt Frankfurt gegen die Grafen von Hanau in puncto turbatae possessionis, 1575, in: Scheuermann (Hrsg.), Frieden durch Recht, S. 286 – 288. In einer früheren Publikation wurde Appel allerdings als „Frankfurter Maler Melchior“ bezeichnet, hierzu Wolff/Engel (Hrsg.), Hessen im Bild, S. 16. Siehe hierzu oben, Kapitel 2.1.1. Vgl. Wolff, Elias Hoffmann; Wolff, Kartographen – Autographen, S. 20 – 23. Ältere Studien zu Hoffmann in chronologischer Reihenfolge: Philipp Friedrich Gwinner: Kunst und Künstler in Frankfurt am Main. Vom 13. Jahrhundert bis zur Eröffnung des Städelschen Kunstinstituts. Frankfurt a. M. 1862, S. 72– 75; Otto Donner-von Richter: Philipp Uffenbach 1566 – 1636 und andere in Frankfurt lebende Maler, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, NF 3, Bd. 7 (1901), S. 1– 220, bes. S. 127– 133; Zülch, Frankfurter Künstler, S. 380 f. Vgl. Horst, Die älteren Manuskriptkarten Altbayerns, S. 98 f. Die Parteiakte ist überliefert in: IfS Frankfurt, 1.6.6, Mgb A 53, Nr. 423, f. 224r–227r. Ebd., f. 224r.
2.3 Die Kunst der Kartenanfertigung
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druckt worden ist.¹⁷⁷ Wie Wolff nachwies, sind von Hoffmann mindestens 20 verschiedene Karten – Konzepte und Doppelungen nicht mitgerechnet – überliefert.¹⁷⁸ Ähnlich wie Melchior Appel (Karte Q) deutet auch Elias Hoffmann mit einfachen Pinselstrichen die Furchen in den Feldern an. Darüber hinaus zeichnen sich Hoffmanns Karten durch die Kartierung von größeren Gebieten mit vielfältiger Platzierung von Wappen, farblich und heraldisch gekennzeichneten Territorien sowie Aufschriften in Banderolen und Kartuschen aus. Durch die Verwendung von Farben und den fehlenden Horizont wirken diese Darstellungen wie „moderne“ Karten in Draufsicht, obwohl Hoffmann viele andere Landschaftselemente (Siedlungen, Bäume, Erkennungspunkte) ansichtig bzw. schräg von oben darstellt. Die Form und Darstellung seiner Karten haben sicherlich auch mit der Tatsache zu tun, dass er viele seiner Karten als Landesaufnahmen für die Grafen von Hanau anfertigte. Wie in Kapitel 3 deutlich wird, müssen die meisten anderen hessischen Regionalkarten in Zusammenhang mit Gerichtsakten verstanden werden, was wiederum auch die bildliche Darstellung erklärt. Leider ist über Jakob Laßmann nur bekannt, dass er ursprünglich aus dem sächsischen Wurzen stammte und womöglich 1553 durch die Eheschließung mit Katharina Höchst, der Witwe von Conrad Faber, das Frankfurter Bürgerrecht erlangte. Zusammen bekamen sie 1554 einen Sohn, Philipp Jakob Laßmann, der später Glasmaler wurde.¹⁷⁹ Jakob Laßmann wurde bisher mit Karte G in Verbindung gebracht, in der sowohl sehr individuell ausgeschmückte Bäume als auch „Baumkringel“ zur Andeutung von Wald ins Auge springen.¹⁸⁰ Da diese Darstellung auch in Zusammenhang mit dem Gerichtsprozess am Reichskammergericht zu sehen ist,¹⁸¹ lässt sich aufgrund dieser einzigen Karte wenig über Appels eigenen Stil aussagen. Über das Leben von Jost Moers (um 1540 – 1625) lässt sich in den Quellen und in der Literatur schon deutlich mehr herausfinden.¹⁸² So wird ein gewisser Jost Moers für die Jahre 1555 bis 1559 in Zusammenhang mit einem Konflikt über ein
Vgl. Wolff, Elias Hoffmann, S. 71 f. Vgl. ebd., bes. Anhang 1, S. 96 – 98. Vgl. Zülch, Frankfurter Künstler, S. 349, 384. Siehe auch Kap. 2.1.1. Siehe hierzu Kap. 3.3; darüber hinaus lässt das Aktenmaterial Zweifel an Laßmanns Malerschaft für Karte G aufkommen. Hierzu Karl Schäfer: Leben und Werk des Korbacher Kartographen Joist Moers, in: Geschichtsblätter für Waldeck 67 (1979), S. 123 – 177; Werner Engel: Joist Moers im Dienste des Landgrafen Moritz von Hessen, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 32 (1982), S. 165 – 173; Wolff, Kartographen – Autographen, S. 24– 27.
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2 Form und Funktion der frühen Lokal- und Regionalkarten in Hessen
Almosenkästchen in Korbach erwähnt.¹⁸³ Ob diese Person mit dem seit den 1570er Jahren als Maler und Geometer auftretenden Jost Moers aus Korbach identisch ist oder es sich hier möglicherweise um ein Familienmitglied handelt, muss zunächst offenbleiben. Da das Geburtsjahr von Moers, nicht zuletzt durch eine Selbstaussage, relativ stabil um 1540 anzusetzen ist,¹⁸⁴ könnte er durchaus gemeint sein. Andererseits hieß auch sein Vater Jost Moers,¹⁸⁵ was eine sichere Identifikation erheblich erschwert. Der Kartenmacher Moers war, falls die Zuordnung von Namen und Person stimmt, mindestens zweimal verheiratet. Aus einem Zwist der Jahre 1571– 1572 geht hervor, dass er mit Alheid, Witwe des Kurt Picks, verheiratet war.¹⁸⁶ Zudem wird Moers 1595 in Zusammenhang mit einer späteren Ehe mit Anna, Witwe von Wilhelm Spede, genannt.¹⁸⁷ Moers ist vorrangig wegen seiner kartographischen Werke bekannt, die er seit den 1560er Jahren im Dienst der Landesherren von Waldeck anfertigte.¹⁸⁸ Allerdings hat Moers spätestens seit 1582, wahrscheinlich auch schon erheblich früher,¹⁸⁹ auch für die hessischen Landgrafen gearbeitet. In den späteren Jahren in hessischem Dienst hatte Moers vorrangig Vermessungen durchgeführt.¹⁹⁰ Die großangelegte kartographische Erfassung der Landesherrschaft wurde schließlich Wilhelm Dilich überlassen.¹⁹¹ Von Moers sind mindestens 31 Karten im Original überliefert,¹⁹² Fritz Wolff zählte sogar fast 50 Blätter, rechnete dabei aber auch die skizzenhaften Darstellungen dazu.¹⁹³ Moers nutzt eine relativ hoch angesetzte Vogelschauperspektive, wie viele
Vgl. HStA Marburg, Bestand 115/07, Nr. Korbach 330; HStA Marburg, Bestand 115/07, Nr. Korbach 253, und HStA Marburg, Bestand 115/07, Nr. Korbach 619; HStA Marburg, Bestand 115/04, Nr. Korbach 352. Vgl. Engel, Joist Moers im Dienste des Landgrafen, S. 166. Der Vater hatte seit 1544 das Korbacher Bürgerrecht inne und war Gastwirt und Brauer. Vgl. Schäfer, Leben und Werk, S. 129 f.; Wolff, Kartographen – Autographen, S. 24. Vgl. HStA Marburg, Bestand 115/04, Nr. Korbach 352. Vgl. HStA Marburg, Bestand 17d, Nr. Spede 10. Werner Engel geht hingegen davon aus, dass Moers nur mit Anna Spede verheiratet war. Vgl. Engel, Joist Moers im Dienste des Landgrafen, S. 167. Vgl. Wolff, Kartographen – Autographen, S. 24. Bereits Karl Schäfer zweifelte an diesem Zeitpunkt. Vgl. Schäfer, Leben und Werk, S. 134. Werner Engel konnte diesen, aufgrund einer Selbstaussage von Jost Moers, für das Jahr 1568/69 belegen: Vgl. Engel, Joist Moers im Dienste des Landgrafen, S. 166 – 167. Auch wenn Moers bereits in den 1580er Jahren für Waldeck Vermessungen durchgeführt habe, fanden die meisten wohl besonders in den Jahren 1592 bis zu seiner Pensionierung 1605 statt. Vgl. Schäfer, Leben und Werk, S. 136 – 138; Engel, Joist Moers im Dienste des Landgrafen, S. 169. Zu Dilichs Werk: Baumgärtner/Halle/Stercken (Hrsg.), Wilhelm Dilich. Vgl. Schäfer, Leben und Werk, S. 128. Vgl. Wolff, Kartographen – Autographen, S. 24.
2.3 Die Kunst der Kartenanfertigung
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seiner Kollegen in dieser Zeit. Zudem zeichnen seine Karten sich besonders durch eine Waldsignatur,¹⁹⁴ den Kreis mit dem Punkt als Basis für Siedlungen (die weiterhin mit schematischen Gebäuden dargestellt sind)¹⁹⁵ sowie die Platzierung von Himmelsrichtungen an den jeweiligen Kartenrändern (oben, rechts, unten und links) aus.¹⁹⁶ Auch experimentierte er 1589 in einer Karte mit farblich unterschiedlich hervorgehobenen Waldstücken,¹⁹⁷ eine kartographische Technik, die offensichtlich gegen Ende des 16. Jahrhunderts immer üblicher wird. Auch Sebastian Wolff wurde mehrmals mit Augenscheinkarten für Prozesse am Reichskammergericht beauftragt.¹⁹⁸ Der Maler kam kurz nach seiner Eheschließung 1569 nach Frankfurt und wurde dort Bürger.¹⁹⁹ Er wohnte zwischen 1586 und 1589 in der Gelnhauser Gaß neben dem Brunnen.²⁰⁰ Da Wolffs Karte aus 1572 nicht mehr überliefert ist,²⁰¹ konnte diese nicht mit in die Untersuchung aufgenommen werden. Was jedoch seine Biographie und seine Maltechniken angeht, wäre es spannend, doch einen Blick auf ihn zu werfen, nicht zuletzt durch seine Freundschaft mit Elias Hoffmann. Seine Karten, wovon zumindest sechs signierte überliefert sind,²⁰² zeigen einige Ähnlichkeiten mit Hoffmanns Karten. Auch Wolff verwendet Banderolen für Ortsnamen sowie größere Kartuschen für weitere Aufschriften. Auch benutzt er manchmal, wie Hoffmann, unterschiedliche Farben zur Kennzeichnung der verschiedenen Territorien, während Siedlungen und Bäume ansichtig dargestellt werden.²⁰³ Bei anderen Karten, wahrscheinlich weil der Anlass und die Funktion der Darstellung anders waren, ist wiederum eine Landschaft ohne Horizont zu sehen, wobei die Grenzen nur durch (gestrichelte)
Siehe hierzu auch oben, Kap. 2.1.1. Beispiele: Karte R; HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 10021; ebd., Nr. P II 10391; ebd., Nr. P II 11495, und ebd., Nr. P II 15721. Beispiele lassen sich finden in: Karte R; HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 10366; ebd., Nr. P II 10391, und ebd., Nr. P II 14935. Siehe hierzu oben, Kap. 2.1.2. Exemplarisch: Karte R; HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 10366; ebd., Nr. P II 10371; ebd., Nr. P II 10391; ebd., Nr. P II 11495 und ebd. Nr. P II 14935. Vgl. HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 10391. Belegbar sind Karten von 1572, 1582 und 1581. Vgl. Wolff, Elias Hoffmann, S. 73. Zülch, Frankfurter Künstler, S. 380 f. Der Kunstliebhaber Gwinner kannte zwar keine Werke von Wolff, hat ihn aber als Maler in einem Zinsregister gefunden: Vgl. Gwinner, Kunst und Künstler, S. 84. Vgl. Wolff, Elias Hoffmann, S. 73. Einige Karten sind mit einem Kompass mit „B.W.M.“ oder auch mit „Sebastian Wolf Maler“ signiert. Siehe HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 138 (mit Signatur B.W.M.); HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 154 (mit vollem Namen signiert); HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 10090 (Signatur wohl teilweise beschädigt); HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 11525 (mit vollem Namen signiert); HHStA Wiesbaden, 3011/1, Nr. 974 V (mit vollem Namen signiert); HHStA Wiesbaden, 3011/1, Nr. 5598 H (mit vollem Namen signiert). Exemplarisch: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 154.
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2 Form und Funktion der frühen Lokal- und Regionalkarten in Hessen
Linien und Texte dargestellt werden.²⁰⁴ Aufgrund der Ähnlichkeit der Darstellungsform ist zu fragen, ob vielleicht Karte E auch von Sebastian Wolff gemalt worden ist. Diese Augenscheinkarte ist wohl 1551 während eines Reichskammergerichtsprozesses entstanden.²⁰⁵ Die zugehörigen Akten konnten jedoch nicht ermittelt werden, da aus der Karte nicht eindeutig hervorgeht, welche Prozessparteien sich innerhalb welches Konfliktes gestritten haben könnten.²⁰⁶ Eine spätere Datierung wäre durchaus möglich, wenn man die erwähnten Personen in Betracht zieht.²⁰⁷ In der Gesamtbetrachtung werden zwei grobe Anhaltspunkte deutlich: Erstens lassen die Maler sich im Dienste einiger größeren Territorialherren wie Hessen, Hanau und Waldeck finden, sowohl in fester Anstellung (Moers) als auch als zeitlich begrenzte Beauftragte (Hoffmann, Laßmann). Zweitens arbeiteten viele der namentlich bekannten Maler in der Reichsstadt Frankfurt. Die Messestadt scheint, zumindest seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, sowohl als Wirkstätte der Kartenmacher als auch als Markt für Kartennutzer und -auftraggeber fungiert zu haben, was wahrscheinlich auch mit der Messe bzw. spezifisch mit der Frankfurter Buchmesse und die Entwicklung des Frankfurter Kunsthandels zu tun hatte. Hier sammelten sich schließlich Verleger, Buchdrucker und Buchhändler, die auf die Dienste von Buchillustratoren, Malern, Kupferstechern und anderen Künstlern angewiesen waren.²⁰⁸ So wirkten Kartenmacher wie Jakob Laßmann, Melchior Appel, Elias Hoffmann, Sebastian Wolff lange Zeit in Frank-
Dies trifft zu bei: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 11525; HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 138; HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 10090; HHStA Wiesbaden, 3011/1, Nr. 974 V, und HHStA Wiesbaden, 3011/1, Nr. 5598 H. Die Beglaubigung durch den Kommissar Hieronymus von Glauberg (von Glauburg) sowie durch zwei Notare am unteren Kartenrand deutet zumindest auf einen Entstehungskontext im Rahmen eines Reichskammergerichtsprozesses hin. Nach Angaben des Archivs ist die Karte 1551 entstanden. Hierzu https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction.action?detailid=v3484479&icomefrom=se arch (zul. 30.06. 2021); HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 150. Um das Dorf Nied und/oder seine Umgebung stritten sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehrere Herrschaftsträger: So stritten Frankfurt und Kurmainz ab 1561 um die Brücke bei Nied. Siehe die zugehörigen Akten im HHStA Wiesbaden, Bestand 106, Nr. 86, Nr. 87 und Nr. Ü 404. Die Karte ist möglicherweise auch in Verbindung zu bringen mit einer Karte aus 1578, anlässlich eines Reichskammergerichtsprozesses zwischen Mainz und Hanau über Nied: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 10090. Der Kommissar Hieronymus von Glauberg (von Glauburg) sowie die Notare Johann Zwengel und Heinrich Beymann von Gandersheim werden in anderen Akten erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts erwähnt. Vgl. Patricia Stahl: Der Kunsthandel in Frankfurt am Main, in: Dies. (Hrsg.), Brücke zwischen den Völkern. Zur Geschichte der Frankfurter Messe, Bd. 3: Ausstellung zur Geschichte der Frankfurter Messe. Frankfurt a. M. 1991, S. 190 – 241, hier bes. 210 f.
2.4 Zwischen Form und Funktion. Ein Zwischenfazit
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furt. Die Bezeichnung „Maler“ trifft übrigens die eigentliche Vielfalt der tatsächlichen Berufstätigkeit nicht ganz: Künstler wie Hoffmann und Moers übten nicht nur reine Malarbeiten, sondern auch verschiedene andere Tätigkeiten, wie die Anfertigung von Dekorstücken, Wappenbüchern, Kupferstichen, und Vermessungen aus und waren teilweise auch im Druck- und Buchgeschäft tätig.²⁰⁹ Ob die Einwanderung von geflüchteten protestantischen Malern aus Flandern und den Niederlanden²¹⁰ einen neuen künstlerischen Aufschwung in Frankfurt und Umgebung mit sich brachte, konnte für die hier betrachtete Periode nicht nachgewiesen werden. Möglicherweise werden etwaige Einflüsse erst später, um die Wende zum 17. Jahrhundert, bemerkbar.
2.4 Zwischen Form und Funktion. Ein Zwischenfazit Die Frage, ob, und wenn ja, welche, Landschaftselemente und Kartenzeichen in welcher Form in die Karten aufgenommen wurden, hing maßgeblich von der Funktion der Karte ab. Da die intendierte Funktion der Karte selbst erst aus ihrem Zusammenhang mit den Akten deutlich wird, wurde hier zunächst die Funktion der Kartenelemente untersucht. Form, Farbe und Maltechnik der einzelnen Zeichen, wie Straßen, Bäume oder Gewässer, standen nicht fest und waren abhängig von der Funktion der Karte und womöglich auch von der Entscheidung des Malers. Eine gewisse Ikonizität ist, besonders in der frühen Regionalkartographie,
So betrieb Elias Hoffmann nebenbei auch eine Kupferstichdruckerei und handelte zumindest zeitweise mit Büchern und Karten. Vgl. Zülch, Frankfurter Künstler, S. 380 f.; Wolff, Elias Hoffmann, S. 71 und 90 f. Auch fertigte er zusammen mit dem Kupferstecher Heinrich Wirich noch kurz vor seinem Tod ein Wappenbuch an. Das „Stamm- vnd Wappenbüchlein“ wurde 1592 in Frankfurt gedruckt und ist u. a. in der Bayerischen Staatsbibliothek verfügbar. Eine digitale Version des Büchleins befindet sich unter: https://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00087194&pimage=3&v= 150&nav=&l=de (zul. 30.08. 2021). Die Stadt Frankfurt sei seit der Mitte des 16. Jahrhunderts schnell durch die Einwanderung von geflüchteten Protestanten aus den Niederlanden gewachsen. Vgl. Anton Schindling: Bürgertum und Kunst in Frankfurt am Main im 16. und 17. Jahrhundert, in: Hans-Ulrich Thamer (Hrsg.), Bürgertum und Kunst in der Neuzeit. Köln/Weimar/Wien 2002, S. 37– 76, hier S. 38. Martin Papenbrock ging in seiner Habilitationsschrift den Einflüssen der ins Exil gegangenen niederländischen Maler, etwa Gilles von Coninxloo, nach. Viele südniederländische bzw. flämische Maler waren in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert ins Exil gegangen. Vgl. Martin Papenbrock: Landschaften des Exils. Gilles van Coninxloo und die Frankenthaler Maler (Europäische Kulturstudien. Literatur – Musik – Kunst im historischen Kontext, Bd. 12). Köln/Weimar/Wien 2001, S. 34– 38. Die Messe in Frankfurt bot ihnen eine gute Möglichkeit, ihre Bilder zu verkaufen. Vgl. Stahl, Der Kunsthandel in Frankfurt am Main, S. 226 f.
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2 Form und Funktion der frühen Lokal- und Regionalkarten in Hessen
bemerkbar. Erst viel später entwickelten die Kartenmacher bestimmte Zeichen, Farben und Symbole, die in einer Legende am Rande erklärt wurden. Kartuschen wurden hingegen noch nicht in der Funktion als Legende verwendet, sondern dienten vorrangig als Platz für den Kartentitel oder zur Beglaubigung der Augenscheinkarte. Manchmal kamen einzelne Buchstaben und Zahlen vor, die jedoch nicht in einer Legende, sondern in den Akten genauer erklärt wurden. Da viele frühe Raumdarstellungen häufig in Zusammenhang mit einer physischen Begehung standen, war es für die Auftraggeber wichtig, dass der Kartennutzer die Route durch die Landschaft oder die Positionen der verschiedenen Parteien auf der Karte „mitverfolgen“ konnte. Diese Gegebenheit beeinflusste die Kartendarstellung dahingehend, dass die Maler verschiedene Perspektiven integrieren mussten: Manche Karten bekamen mehrere Horizonte, bei den meisten Karten wurden die Kartenelemente in unterschiedlichen Betrachtungsweisen (Ansicht, Draufsicht,Vogelperspektive) dargestellt. So zeigt sich, dass Siedlungen, Bäume, Hügel, Erkennungspunkte, Menschen und Tiere eher in Ansicht gemalt wurden, während Straßen, Gewässer, Felder und Grenz- und Besitzmarkierungen in Vogelperspektive bzw. von oben dargestellt wurden. Diese Vermischung von Perspektiven blieb bis ins 18. Jahrhundert in vielen Regionalkarten präsent. Auch wenn die Maler bei Regionalkarten teilweise die gleichen Techniken wie in der Landschaftsmalerei verwendeten, mussten sie einiges beachten. Für professionelle Maler waren Regionalkarten Auftragsarbeit und so stand das Ziel des Auftraggebers im Vordergrund. In der Analyse dieser Kartenbilder darf deshalb aus der Tatsache, dass in manchen Werken bestimmte Darstellungselemente oder Techniken verwendet wurden, die in anderen Gestaltungen fehlten, nicht automatisch auf ein minderwertiges Können des Malers geschlossen werden.Vielmehr ist davon auszugehen, dass bestimmte Techniken oder Darstellungselemente sehr bewusst ausgewählt wurden, weil die Funktion der Regionalkarten wichtiger war als die reine Form. Gut ersichtlich ist das bei Karte D, welche ein sehr großes Können des Malers aufzeigt. Anhand der dargestellten Gebäude darf vermutet werden, dass der Maler durchaus die perspektivischen Prinzipien und Techniken kannte, diese aber nicht konsequent im Kartenbild durchsetzen konnte.²¹¹ Außerdem hat der Maler rechts am Horizont eine schöne Hügellandschaft gemalt, womit er sein Können unter Beweis stellte. Da die kleinen Hügel für das Kartenbild nur den Hintergrund bildeten, konnte der Maler an dieser Stelle die Techniken der Landschaftsmalerei ohne Kompromisse anwenden.
Siehe hierzu oben, Kap. 2.1.3.
2.4 Zwischen Form und Funktion. Ein Zwischenfazit
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Es lässt sich vermuten, dass Frankfurt gegen Ende des 16. Jahrhunderts ein Treffpunkt und Markt für die Produzenten und Nutzer von Karten bildete. Die Reichsstadt war ein Ort, wo auch Künstler von außen, wie Jakob Laßmann, schnell Fuß fassen konnten. Auch wenn die konkreten Ausbildungs- und Tätigkeitszeiten der individuellen Maler häufig unklar sind, zeigt sich nicht zuletzt eine starke zunftinterne Vernetzung auf der Ebene der Ehe- und Verwandtschaftsbeziehungen. Dieses enge Beziehungsgeflecht kann sicherlich auch erklären, warum gegen Ende des 16. Jahrhunderts die ersten Gepflogenheiten in Richtung einer standardisierten Zeichensprache bei den Regionalkarten entstanden. Die Deutung der dargestellten Landschaftselemente und Kartenzeichen lieferten die Aufschriften. Die Texte benannten nicht nur die Namen der jeweiligen geographischen Gegebenheiten, sondern konnten auch Konflikte, Zeugenaussagen, Besitzansprüche und frühere Ereignisse in der Kartenlandschaft verorten. Wie der Exkurs zu den späteren Karten (Kap. 2.2) deutlich machte, ist es essentiell, Bild, Text und Aktenkontext miteinander in Beziehung zu setzen, was das Thema des nächsten Abschnitts sein wird.
3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild Für ein besseres Verständnis der frühen handgezeichneten Regionalkarten ist es notwendig, die Kartenbilder in Beziehung zu ihrer Entstehungs- und Nutzungssituation zu setzen. Da viele Regionalkarten in Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung oder Verhandlung entstanden sind, muss das Verhältnis zwischen den schriftlichen (Gerichtsakten, aber auch Grenzprotokolle, Urkunden und Korrespondenz) und bildlichen Quellen (Karten, Skizzen, Pläne) näher bestimmt werden. Für die Regionalkarten stellte die Forschung bereits drei allgemeine Verwendungssituationen fest. So fanden die Karten in der Verwaltung, vor Gericht und für Repräsentationszwecke Anwendung.²¹² Diese Funktionen sind in der frühesten Periode der hessischen Kartographie jedoch noch nicht so ausgeprägt wie im 17. und 18. Jahrhundert. Zum einen scheinen die Grenzen zwischen den verschiedenen Nutzungskontexten in der Anfangszeit relativ fließend gewesen zu sein, da die Karten und Skizzen, die in den Verwaltungsakten überliefert sind, häufig als Vorbereitung für einen Gerichtsprozess angefertigt wurden.²¹³ Zum anderen lässt sich eine amtliche Kartierung aus rein verwaltungstechnischen Gründen, insbesondere zur Besteuerung, bei den Karten bis 1575 noch nicht finden.²¹⁴ Die bisherige Forschung hat sich meist entweder auf die Karten oder auf die Akten konzentriert, sodass die konkreten Relationen zwischen beiden bisher nicht im Detail herausgearbeitet worden sind.²¹⁵ Da die Relation zwischen Text und Bild schon längst als Theorem in der Geschichtswissenschaft bekannt ist, wird dieses Thema an dieser Stelle nur kurz eingeführt.²¹⁶ Historische For-
Vgl. Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 326; Engel (Hrsg.), Auf einen Blick, S. 6 f.; Stercken, Repräsentation, Verortung und Legitimation, S. 37– 52. Beispielsweise Karte J, siehe Kap. 3.6. Die exakte Vermessung von Grundstücken ermöglichte den Fürsten eine angepasste Besteuerung. In Hessen fand diese Entwicklung seit dem späten 17. Jahrhundert statt. Vgl. Engel (Hrsg.), Auf einen Blick, S. 23 – 26; Wenz-Haubfleisch, Katastervermessung, S. 141. Zwar wurde dies schon mehrfach moniert, aber nur wenige Studien haben tatsächlich eine Text-Bild-Analyse durchgeführt. Ein schönes Beispiel, wie lohnend eine detailreiche Untersuchung von Karten in Zusammenhang mit den Akten sein kann, ist: Ruch, Kartographie und Konflikt. Die Autorin verzichtet an dieser Stelle auf eine ausgiebige Darstellung der vielen turns seit den 1990er Jahren und verweist stattdessen auf einen allgemeinen Überblick bei Stefan Jordan: Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft. Paderborn 2009, 3. Aufl. 2016, bes. S. 198 – https://doi.org/10.1515/9783110777598-004
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schungen zu Text und Bild greifen gerne auf die Erfahrungen aus der Sprach- und Literaturwissenschaft und der Kunstgeschichte zurück²¹⁷, auch wenn die angewandte Methodik und die konkrete Thematisierung unterschiedlich ausfallen.²¹⁸ Nicht zuletzt ist die Beziehung zwischen den verschiedenen Medien besonders in der Erforschung der mittelalterlichen Karten präsent.²¹⁹ Die für diese Studie ausgewählte methodische Vorgehensweise nimmt einige dieser Aspekte auf, indem sie die kartographischen Darstellungen und Aufschriften inhaltlich mit den Akten (wie Gerichtsakten, Korrespondenz oder Grenzprotokollen) vergleicht, ihren Zweck analysiert und schließlich ihr Verhältnis zueinander näher einordnet.
202; Bernd Stiegler: Theorien der Literatur und Kulturwissenschaften. Eine Einführung. Paderborn 2015, bes. Kap. VII–VIII, S. 143 – 167. In chronologischer Reihenfolge u. a. Christel Meier: Malerei des Unsichtbaren. Über den Zusammenhang von Erkenntnistheorie und Bildstruktur im Mittelalter, in: Wolfgang Harms (Hrsg.), Text und Bild – Bild und Text. DFG Symposium 1988. Stuttgart 1990, S. 35 – 65; Michael Curschmann: Wolfgang Stammler und die Folgen. Wort und Bild als interdisziplinäres Forschungsthema in internationalem Rahmen, in: Eckart Conrad Lutz (Hrsg.), Das Mittelalter und die Germanisten. Zur neueren Methodengeschichte der Germanischen Philologie. Freiburger Colloquium 1997. Freiburg/Schweiz 1998, S. 115 – 137; Andrea Schindler/Evelyn Meyer (Hrsg.), Geschichten sehen, Bilder hören. Bildprogramme in Mittelalter. Bamberg 2015. Für die Mediävisten waren zudem die Arbeiten von Horst Wenzel grundlegend: Horst Wenzel: Hören und Sehen – Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter. München 1995; Ders. (Hrsg.), Die Verschriftlichung der Welt. Bild, Text und Zahl in der Kultur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Wien 2000; zuletzt: Ders.: Spiegelungen. Zur Kultur der Visualität im Mittelalter. Berlin 2009. Einen Blick auf die Text-Bild-Relationen aus der Perspektive verschiedener Disziplinen bietet: Karin Krause/Barbara Schellewald (Hrsg.), Bild und Text im Mittelalter. Köln 2010. Vgl. Susanne Ehrich: Die „Apokalypse“ Heinrichs von Hesler in Text und Bild. Traditionen und Themen volkssprachlicher Bibeldichtung und ihre Rezeption im Deutschen Orden. Berlin 2010, S. 175: „‚Die‘ Text-Bild-Forschung – im Sinne eines einheitlichen Forschungsbereichs, der sich über Methoden, Themen und Ergebnisse seiner Arbeit insgesamt versicherte – gibt es nicht.“ Insbesondere die Forschung zu den mappae mundi zeigt einen starken Bezug zur Text- und Bildforschung auf. Siehe hierzu u. a.: Uwe Ruberg: Mappae mundi des Mittelalters im Zusammenwirken von Text und Bild. Mit einem Beitrag zur Verbindung von Antikem und Christlichem in der principium- und finis-Thematik auf der Ebstorfkarte, in: Christel Meier/Ders. (Hrsg.), Text und Bild. Aspekte des Zusammenwirkens zweier Künste in Mittelalter und früher Neuzeit. Wiesbaden 1980, S. 550 – 592; Jörg-Geerd Arentzen: Imago Mundi Cartographica. Studien zur Bildlichkeit mittelalterlicher Welt- und Ökumenekarten unter besonderer Berücksichtigung des Zusammenwirkens von Text und Bild. München 1984; Sabine Wagner: Der Text auf der Karte – die Karte im Text. Zum Verhältnis von Bild, Texttafel und Begleittext in der deutschen Kosmographie des 16. Jahrhunderts, in: Wilhelm Kühlmann/Wolfgang Neuber (Hrsg.), Intertextualität in der Frühen Neuzeit. Studien zu ihren theoretischen und praktischen Perspektiven. Frankfurt a. M. 1994, S. 225 – 252. Auf das Verhältnis zwischen Text und Bild auf späteren Karten verweist der Sammelband von Glauser/Kiening (Hrsg.), Text – Bild – Karte.
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Neben der Analyse zur aktiven oder passiven Beziehung zwischen Text und Bild stehen Fragen zur Motivation und Funktion. Zu fragen ist insbesondere, was sich die Zeitgenossen von einer Visualisierung im Prozess erhofften und welche Funktion die Karten in Hinblick auf die damit zusammenhängenden schriftlichen Unterlagen erfüllten. Und: Welche Aussagekraft hatten die Zeugenverhöre und Augenscheinkarten? Die Forschung hat bereits auf die allgemeine Funktion des Augenscheinbeweises hingewiesen.²²⁰ Die fertige Karte wurde durch den zuständigen Kommissar überprüft und versiegelt. Ähnlich wie bei Zeugenprotokollen wurde sie versiegelt zum Reichskammergericht gebracht und dort in einer öffentlichen Sitzung auf Unversehrtheit überprüft.²²¹ Da die Richter weder die örtlichen Gegebenheiten kannten noch bei der Inaugenscheinnahme anwesend waren, konnte eine Karte hier Abhilfe schaffen.²²² Genau an diesem Punkt setzten wohl die Hoffnungen der jeweiligen Parteien ein, die wahrscheinlich eine möglichst günstige bildliche Darstellung ihrer Argumentationen erhofften. Auch wenn die Ordnungen des Reichskammergerichts erst im 17. Jahrhundert deutliche Angaben zur Rolle des Malers und zum Malereid machen,²²³ so zeigt die Praxis des 16. Jahrhunderts bereits, dass der Maler, ähnlich wie die Zeugen, in der Regel vereidigt wurde und, zumindest in der Theorie, nicht parteiisch sein durfte.²²⁴ Da der Maler häufig von einer Partei vorgeschlagen wurde, stellt sich allerdings die Frage nach einer möglichen Beeinflussung des Betrachters. Die ältere Forschung unterschied die Karten gerne nach Parteilichkeit voneinander, jedoch basierte diese Einschätzung vorrangig auf Beispielen aus dem 18. Jahrhundert.²²⁵ Der Frage, inwiefern die Maler des 16. Jahrhunderts im Sinne ihres Auftraggebers malten oder vielmehr eine unparteiische Darstellung lieferten, muss hier also
Vgl. Baumann, Visualisierte Evidenz, S. 97. Vgl. Baumann, Visualisierte Evidenz, S. 3; Baumann, Beweiskommission und Augenscheinkarten, S. 90 – 92. Vgl. Johannes-Georg Schülein/Jan Wöpking: Der indirekte Augenschein. Annäherung an das Problem kartographischer Evidenz, in: Drehmomente – Philosophische Reflexion für Sybille Krämer, Berlin 2011, online zugänglich unter http://www.cms.fu-berlin.de/geisteswissenschaften/v/drehmomente/content/5-Schuelein_Woepking/index.html (zul. 7.12. 2021). Vgl. Recker, Gemalt, S. 38 f.; Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 317 f. Ein Zitat des Malereids aus 1613 ist zu finden in: Hellwig, Tyberiade und Augenschein, S. 818. Vgl. Baumann, Beweiskommission und Augenscheinkarten, S. 91. So unterschied Helmut Timpte in seiner Dissertation zwischen Prätentionskarten (einseitige Darstellungen) und Differenzkarten (Karten, auf denen beide Parteien ihre Ansprüche visualisierten). Vgl. Helmut Timpte: Typologische Studien zur historischen Kartographie in Westfalen. Versuch einer historischen Kartenlehre. Münster 1960, S. 6 – 8, Beispiele auf S. 12– 39. Auch Gabriele Recker unterscheidet zwischen Karten, die von einem unparteiischen Maler angefertigt sind, und parteiischen Darstellungen, vgl. Recker, Gemalt, S. 38 f.
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nachgegangen werden. Dabei geht es in dieser Studie nicht darum, ob die Grenzdarstellungen der „historischen Realität“ entsprochen haben, sondern vielmehr darum, wie die Kartenmacher bzw. ihre Auftraggeber etwaige Grenzen oder juristische Argumentationen im Kartenbild platzierten und was sie damit erreichen wollten. Im Folgenden werden neun Detailstudien hinsichtlich ihres Text-Bild-Verhältnisses und ihrer konkreten Verwendung analysiert. Hierfür wurden die frühesten hessischen handgezeichneten Regionalkarten ausgewählt, die durch eine schriftliche Überlieferung ergänzt werden. Manche Karten waren ursprünglich sogar in die Akten eingebunden. Gemeinsam ist allen neun Fallstudien, dass sie in Zusammenhang mit territorialen Auseinandersetzungen entstanden sind. Im Idealfall lässt die Überlieferung eine Analyse der Beziehung zwischen den artikulierten Behauptungen der Parteien, den Zeugenaussagen und dem Umgangsprotokoll in Bezug zur Umwandlung von Inaugenscheinnahme zur Augenscheinkarte zu. Nun sind die Akten häufig nicht vollständig überliefert, sodass meist auch die Parallel- und Gegenüberlieferung herangezogen werden muss. Bei der Analyse von Karten und Akten wird nach der folgenden Grundstruktur vorgegangen, auch wenn die Überlieferungssituation manchmal bestimmte Themen oder Fragen offen lässt. Da alle näher untersuchten Karten in einem Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zu sehen sind, werden zuerst die grundlegenden Fakten zum Konflikt- und Prozessverlauf beschrieben, bevor als zweiter Schritt die Überlieferung von Karte und Akte skizziert wird. Um bestimmten kartographischen Darstellungen oder etwaigen manipulativen Eingriffen auf die Spur zu kommen, folgt drittens eine Darlegung der Positionen und Argumentationsstrategien der beiden Parteien, um schließlich viertens das Verhältnis zwischen Text und Bild sowie die Kartenverwendung analysieren zu können. Auch wenn die Überlieferung und Verwendungssituation in den verschiedenen Fällen sehr unterschiedlich ist, so gibt es einige grundsätzliche Aspekte, die bei der Untersuchung dieser Karten und Akten vorangestellt werden müssen und hier kurz skizziert werden: – In den meisten Fällen handelte es sich ursprünglich um kleinere lokale Konflikte, die – je nach Einsatz der Amtmänner und je nach Bedeutung, welche die Herren und Fürsten diesen lokalen Auseinandersetzungen beimaßen – entweder auf der lokalen Ebene gelöst werden konnten oder zu lang andauernden Prozessen am Reichskammergericht mutierten. Einerseits gilt: Nicht jede Auseinandersetzung zwischen territorialen Mächten landete vor dem Reichskammergericht. Andererseits ist aber auch zu sehen, dass es manchmal bereits zum offiziellen Prozess kam, obwohl der ursprüngliche Streit sich lediglich um wenige Ellen Land drehte.
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Das Verfahren am Reichskammergericht, das 1495 gegründet wurde und seit 1527 seinen festen Sitz in Speyer hatte, fand in erster Linie schriftlich in Artikelform statt. So mussten die einzelnen (artikulierten) Behauptungen des Klägers Punkt für Punkt vom Beklagten beantwortet werden. Auch jeder weitere Schriftsatz wurde in dieser Form eingereicht und übermittelt.²²⁶ Für die Durchführung der Inaugenscheinnahme sowie für die Zeugenverhören vor Ort wurde, aus praktischen und wohl auch finanziellen Gründen, eine Beweiskommission gebildet.²²⁷ Auch wenn die Reichskammergerichtsakten nur die jeweiligen juristischen Schritte am Reichskammergericht beinhalten, heißt das noch nicht, dass es bei Verfahren am Reichskammergericht keine Gelegenheit mehr gegeben hätte, die Streitigkeiten außergerichtlich zu klären. Leider ermöglicht die Aktenführung des Reichskammergerichts keine Sicht auf eventuell parallel laufende außergerichtliche Verhandlungen, jedoch kann man längere Pausen im Laufe des Prozesses sowie die generell lange Prozessdauer ohne Endurteil womöglich in dieser Hinsicht interpretieren. Neuere Forschungen zum Wirken des Reichskammergerichts weisen darauf hin, dass die Parteien als Hauptakteure des Verfahrens manchmal durchaus mit einem ruhenden Prozessverfahren zufrieden waren, da auch der Schwebezustand bzw. der vorläufige Rechtsschutz durch einen Mandatsprozess ihnen Rechtsfrieden und gegebenenfalls auch Raum zur außergerichtlichen Einigung ließen.²²⁸ Konkretere Informationen über eventuelle Einigungen geben Parteiakten der jeweiligen Kontrahenten, da diese, anders als die originalen Reichskammergerichtsakten, manchmal auch Korrespondenz und Entwurfschreiben beinhalten. Die Parteiakten sind in der bisherigen Forschung zum Reichskammergericht recht unterbeleuchtet geblieben.²²⁹ Es sind zwar häufig unvollständige Akten
Generell hierzu: Eva Ortlieb: Art. „Reichskammergericht“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 10, Sp. 923 – 929. Vgl. Taddey, Über den Augenschein, S. 398. Vgl. Albrecht Cordes: Das Reichskammergericht (1495 – 1806), in: zeitenblicke 3 (2004), online verfügbar via: http://www.zeitenblicke.de/2004/03/cordes/cordes.pdf (zul. 24.07. 2021). Die bisherige Verzeichnung der über 70 000 (!) RKG-Akten hat logischerweise zunächst den Fokus auf die originalen Prozessakten gelegt. Zur Reflexion dieser jahrelangen Arbeit: Friedrich Battenberg/Bernd Schildt (Hrsg.), Das RKG im Spiegel seiner Prozessakten. Bilanz und Perspektiven der Forschung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 57). Köln u. a. 2010. Eva Ortlieb hat in Zusammenhang mit den Akten des Reichhofrates den Fokus auch auf Parteiakten gelegt und mögliche Vorteile von deren Erforschung erwähnt: Eva Ortlieb: Gerichtsakten und Parteiakten, in: Baumann (Hrsg.), Prozessakten als Quelle, S. 101– 118, hier bes. S. 110 – 113. Peter Oestmann weist darauf hin, dass in den Parteiakten häufig Endurteile
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ohne erkennbare Struktur, aber sie können eine einmalige Sicht auf den Prozess aus dem Blickwinkel einer Partei liefern, da sie häufig Entwürfe, Korrespondenz und Vorarbeiten zur Prozessvorbereitung beinhalten. Manchmal sind die Parteiakten die einzige Überlieferung, die es zum Prozess noch gibt, da die offiziellen Gerichtsakten verloren gegangen sind. Darüber hinaus waren viele der hier untersuchten Karten ursprünglich in Parteiakten eingebunden. Um das Verhältnis zwischen Akten und Karten und damit die Funktion der Karten zu verstehen, wird daher auch die Parallel- und Gegenüberlieferung ausgewertet. Auch wenn heute meist nur eine Karte überliefert ist, muss davon ausgegangen werden, dass der Maler mindestens drei Kopien anfertigte: Schließlich wurde die Karte nicht nur dem Kommissar vorgelegt,²³⁰ sondern auch die jeweiligen Parteien bekamen eine Kopie zugestellt.²³¹ Dies erklärt auch, warum die Karte häufig in der Parteiakte eingebunden war. Eine Beweiskommission hatte als Aufgabe, die Zeugen zu vernehmen, Urkunden und andere Beweisstücke zu prüfen und ggf. auch das umstrittene Gelände zu inspizieren.²³² Meist bildeten ein oder zwei Kommissare mit ihren Notaren und Schreibern die Kommission, ggf. angereichert mit den Zeugen und/oder einem Maler.²³³ Der Kommissar musste im 16. Jahrhundert noch kein Jurist sein, dürfte aber mit einem beruflichen Hintergrund als Stadtschreiber, Vogt oder Ratsherr durchaus mit elementaren juristischen Handlungen wie Zeugenverhören vertraut gewesen sein.²³⁴ Die Ausführung ihrer Aufgaben (u. a. Parteien informieren und einladen, Zeugen einladen, Zeugen verhören, eine eventuelle Besichtigung vor Ort) wurde genauestens protokolliert.²³⁵
zu finden sind, die in den RKG-Akten selbst nicht enthalten sind: Peter Oestmann: Die Rekonstruktion der reichskammergerichtlichen Rechtsprechung des 16. und 17. Jahrhundert als methodisches Problem, in: Baumann (Hrsg.), Prozessakten als Quelle, S. 15 – 54, hier S. 28 f. Vgl. Spezialprotokoll in: HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/107 (unfol.). Vgl. HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/107, f. 175r. Vgl. Raimund J. Weber: Kaiserliche „Beweiskommissare“ vor dem Dreißigjährigen Krieg. Johann Christoph und Johann Friedrich Tafunger aus Ravensburg, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 120 (2002), S. 203 – 250, hier S. 203; Baumann, Beweiskommission und Augenscheinkarten, S. 83 f., S. 89. Vgl. Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne, Kap. 2.1. Weber, Kaiserliche „Beweiskommissare“, S. 205; Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne, Kap. 2.1. Exemplarisch: HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109, f. 3 ff; NLA Hannover, Cal. Br. 1, Mr. 1324/ 4 (unfol.).
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
Eine Kommission konnte von den einzelnen Parteien, von den Kontrahenten gemeinsam oder vom Gericht in Auftrag gegeben werden.²³⁶ Hierbei waren die Kommission, die Parteien (meist vertreten durch ihre Anwälte), die Zeugen und eventuell der Maler anwesend. Die (unvollständige) Überlieferung der Parteiakten macht es jedoch manchmal schwierig, die genaue Entstehung sowie den Verlauf der Kommissionen nachzuvollziehen. So gibt es Fälle, wo in der Parteiakte nur die Kopien zu der eigenen Beweiskommission enthalten sind, auch wenn es in der Regel Hinweise auf eine weitere Kommission gibt.
3.1 Die Kartenskizze in einer Akte. Konflikte zwischen Hanau-Münzenberg und Friedrich von Hutten (1506 – 1519) Karte A ist eine nordwestlich ausgerichtete skizzenhafte Darstellung, die das Gebiet zwischen Neuengronau, Altengronau und Schwarzenfels (heute Sinntal) darstellt. A ist in einer Hanauischen Akte mit weiteren unterschiedlichen Verwaltungsakten eingebunden. Überliefert sind Korrespondenzen, Briefentwürfe, Klageschriften, Behauptungen in Artikelform, Reaktionen und Zeugenfragen zur Klärung der Konflikte zwischen der Grafschaft Hanau-Münzenberg und Friedrich von Hutten. Die Akte ist nicht durchgehend foliiert, aber auf manchen Seiten befinden sich zeitgenössische Folioangaben (f. 212, 222– 224, 227– 229), die auf eine andere frühere Zusammensetzung der Schriftstücke schließen lassen. Soweit die einzelnen Textstücke datiert sind, betreffen sie die Periode zwischen 1506 und 1519. Eine Inhaltsangabe muss kurze Zeit später entstanden sein. Da die Inhaltsbeschreibung mit der heutigen Überlieferung nicht mehr übereinstimmt, müssen später Teile daraus entnommen worden sein.²³⁷ Die überlieferten Schriftstücke in dieser Akte thematisieren hauptsächlich drei verschiedene Konfliktfelder.²³⁸ Ein konkreter Zusammenhang zwischen den verschiedenen Unterlagen scheint sich lediglich aufgrund der geopolitischen Auseinandersetzungen zwischen Hanau-Münzenberg und Hutten zu ergeben. So führte ein Brückenbau über den Sinn durch Friedrich von Hutten ab 1506 zu Konflikten mit Hanau-Münzenberg, die offenbar im November 1510 mit einem Schiedsspruch durch den hessischen Landhofmeister Ludwig von Boyneburg
Vgl. Baumann, Beweiskommission und Augenscheinkarten, S. 89. So erläutert die aktuelle Archivbeschreibung, dass es sich bei der Akte um Irrungen über Fischrechte an der Sinn handele, was inhaltlich aber nicht zutrifft. Vgl. Arcinsys Hessen zu: HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 30751. HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 30751.
3.1 Die Kartenskizze in einer Akte
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(1466 – 1537) endeten. Eine andere Auseinandersetzung drehte sich um einige herrschaftliche Anordnungen wie die Festlegung von Weinpreisen und ein Verbot von Schafherden mit über 40 Schafen, welche der hanauische Amtsmann von Schwarzenfels in seinem Bezirk vorgenommen hatte.²³⁹ Inwiefern die huttischen Klagen über dieses Vorgehen und die hanauischen Reaktionen mit einem dritten Streitthema zusammenhängen, lässt sich aufgrund der wenigen, noch dazu undatierten Schriftstücke nicht feststellen. Der dritte Konflikt fing mit Streitigkeiten über die Holzrechte im Limbacher Wald an, weitete sich jedoch seit etwa 1511 im Rahmen der Klageschriften mit artikulierten Positionen zu einer Auseinandersetzung über die Ausübung von Herrschaftsrechten und die genaue Grenzziehung dieses Waldgebietes aus. Auch wenn die Entstehung der Kartenskizze nicht schriftlich erläutert oder überhaupt erwähnt wird, lässt sich diese direkt dem dritten Konfliktfall zuordnen, da sie genau das umstrittene Gebiet des Limbacher Waldes darstellt. Beide Parteien bereiteten artikulierte Klagen, Positionen und Fragen vor und ein Kommissar war mit der Bearbeitung der Streitsache befasst, doch der Konflikt scheint nicht zu einem Prozess am Reichskammergericht geführt zu haben, womöglich, weil diese Instanz zu Anfang des 16. Jahrhunderts noch nicht so etabliert war wie einige Jahrzehnte später. Die Auseinandersetzungen scheinen innerhalb des administrativen und verhandlungsrechtlichen Rahmens geblieben zu sein. Bevor eine genaue Text-Bild-Analyse stattfinden kann, müssen die inhaltlichen (schriftlichen) Punkte kurz erörtert werden. So begegnete Friedrich von Hutten dem Konflikt über die Abholzung und die beanspruchten Herrschafts- und Nutzungsrechte offenbar mit einer Kopie eines Schiedsspruchs aus dem Jahre 1492, aus dem hervorging, dass der Limbacher Wald zur Hälfte denen von Hutten, zur anderen Hälfte denen von Hanau-Münzenberg zugehörig sei. Da die Grafschaft Hanau-Münzenberg den Verweis auf diese frühere Einigung anerkennen musste, bezog sich die Argumentation der hanauischen Seite auf die unklare geographische Lage: Die genannten Wälder und Gehölze um den Limbacher Wald zwischen Schwarzenfels und Altengronau seien nicht genau begrenzt, wodurch unklar sei, welche Herrschaftsrechte wo ausgeübt werden dürften. Der Grenzverlauf spielt aber auch eine wichtige Rolle in Text und Bild: Ein Vergleich zwischen Akte und Kartenskizze macht deutlich, dass die Skizze hauptsächlich die verschiedenen Waldgebiete verortet. Der in der Akte textuell beschriebene Grenzverlauf des Limbacher Waldes wird in der linken Kartenhälfte visualisiert und lässt sich auf der Skizze nachverfolgen: Die Grenze des Limbacher
Vgl. HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 30751, die entsprechende Stelle ist mit der alten Foliierung 227– 229 gekennzeichnet.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
Waldes geht vom Hellgraben hinauf bis an den Limbachsborn (nur visuell auf der Karte), weiter bis hin zur Sole, dann bis zum Grubenborn (auf der Karte durchgestrichen), nach links zum Bautzenborn und von hier aus nach unten an den Hayngruben bis zum Weg zwischen Emersbacher Struth und Limbach. In einem anderen Schriftstück bereitete Hanau-Münzenberg die Fragen für die Zeugen vor. Die Zeugen sollen sehr konkret nach den Grenzen der umliegenden Wälder wie Rosen Ellern, Diebtal und Schornberg befragt werden. Diese Waldgebiete sind auf der rechten Seite der Kartenskizze verortet. Auch wenn sich aufgrund dieser Akte nicht mehr nachvollziehen lässt, wie und wann der Konflikt endete, kann die konkrete Beziehung zwischen Text und Bild verdeutlicht werden. Da die kartographische Darstellung die hanauischen Behauptungen unterstützten und die Karte in einer rein hanauischen Verwaltungsakte überliefert ist, muss angenommen werden, dass auch die Kartenskizze durch die hanauische Seite angefertigt wurde. Mit der Kartenskizze wurde die hanauische Argumentation visualisiert.
3.2 Zwei Kommissionen, zwei Karten und eine Akte. Die Streitigkeiten um das Bergwerk und die Nutzungsrechte bei Espa (1541 – 1562) In Verbindung mit Rechtsstreitigkeiten über die Besitzverhältnisse und Nutzungspraktiken bezüglich des Dorfes Espa und besonders des Bergwerks bei Espa sind zwei Karten (C und D) überliefert worden, die sich, was den Kartenaufbau betrifft, sehr ähnlich sind.²⁴⁰ Beide Werke sind gewestet und zeigen die Ortschaft Espa und die direkte Umgebung in einem Halbkreis. In beiden Karten wird der Halbkreis unten durch einen blauen gekennzeichneten Bachlauf, über den in der Mitte eine Straße führt, begrenzt. Die Straße ist größtenteils eingezäunt und führt – auf beiden Karten fast vertikal eingezeichnet – zum Dorf Espa, welches durch etwa zwanzig kleinere Gebäude in braunem Fachwerk anschaulich dargestellt wird. Vom Dorf aus führen zwei Straßen und ein schmaler Weg zu unterschiedlichen Bereichen der Karte. In beiden Karten wird die obere Kartenhälfte durch den Silberberg mit dem Bergwerk dominiert. Das Bergwerk besteht in beiden Raumdarstellungen aus zwei viereckigen Gruben, außerdem sind in unmittelbarer Nähe einige braune runde Löcher erkennbar, die auf Karte D als „Marcksteinloch“
Beide Karten werden heutzutage unter eigenständigen Signaturen im HHStA Wiesbaden aufbewahrt: Karte C unter HHStA Wiesbaden, Bestand 3011/1, Nr. 10727H; Karte D unter ebd., Nr. 6920 Ü.
3.2 Zwei Kommissionen, zwei Karten und eine Akte
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bezeichnet werden. Zusätzlich sind sowohl an der linken als auch an der rechten Oberseite des jeweiligen Kartenbildes weiße Grenzsteine zu sehen. Ein ähnliches weißes Symbol erscheint unter dem weißen Baum rechts unten im Bild. 1541 hatten die regionalen Adelsgeschlechter von Heusenstamm und von Frankenstein einen Prozess beim Reichskammergericht gegen die Grafen von Solms und Nassau sowie weitere Adelige als Ganerben von Cleeberg angestrengt. Die Kläger warfen ihren Gegnern die Beschädigung und Störung des Besitzes beim Abbau auf dem sogenannten Silberberg bei Espa vor.²⁴¹ Überliefert sind sowohl die beiden Karten als auch eine etwa 1250 Seiten zählende zugehörige Parteiakte aus Nassauer Provenienz.²⁴² Die Karten gehörten früher als Beilagen dazu. Leider lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren, an welcher Stelle sich diese Raumdarstellungen früher befunden haben. Beide Karten weisen Faltspuren auf, die eine Aufbewahrung in der Akte belegen. Inhaltlich besteht die üppige Parteiakte aus einem Spezialprotokoll und anschließend den unterschiedlichen Prozessteilen, welche die verschiedenen (kopierten) Dokumente und artikulierten Schriftstücke zum Gerichtsprozess beinhalten. Aufgrund des Spezialprotokolls, das die zusammengefassten Prozessschritte der Jahre 1541 bis 1562 verzeichnet, kann geschlossen werden, dass die Akte nicht vollständig ist. Bestimmte Quadrangel fehlen, andere Schriftstücke sind offensichtlich hinzugekommen. Die meisten Seiten sind nicht foliiert, aber viele unfoliierte Dokumente sind mit Quadrangeln versehen.²⁴³ In der Akte befinden sich zudem zwei größere foliierte Dossiers (138 sowie 201 Folien) mit artikulierten Behauptungen, Zeugenaussagen und weiteren Dokumenten. Im Laufe des Gerichtsprozesses (1543 – 1544) wurde von Seiten der Cleeberger Ganerben eine zweite Dilation beantragt und bewilligt,²⁴⁴ in der eine Kommission (in leicht veränderter Zusammenstellung) nochmals Zeugen anhörte und Beweismaterial sichtete. Auch diese Akten sind – zusammen mit weiteren Prozess-
Hierzu HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654, Quad. 2. HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654. Das Spezialprotokoll ist chronologisch angeordnet und fasst die jeweiligen Prozessschritte in Kurzfassungen aus den allgemeinen Sitzungsprotokollen zum Prozess zusammen. Die jeweiligen (datierten) Schriftstücke wurden am linken Blattrand des Spezialprotokolls mit einem Quadrangel versehen, einer quadratisch eingerahmten Nummer. Wenn die Gerichtsakte komplett ist, findet man die Quadrangel sowohl im Spezialprotokoll als auch auf den einzelnen Schriftsätzen innerhalb der Akte. Hierzu: Anette Baumann: Der Aufbau einer Reichskammergerichtsprozessakte, in: Zeitenblicke 3,3 (2004), online verfügbar unter: https://www.zeitenblicke.de/2004/03/ baumann1/index.html (zul. 29.11. 2021). Um auch die unfoliierten Seiten in den Fußnoten kennzeichnen zu können, werden im Folgenden, soweit vorhanden, die Quadrangel angegeben. HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654, f. 5r–6r im ersten foliierten Bericht, der nach Quad. 18 eingeheftet wurde.
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schritten in den späteren 1540er und 1550er Jahren – in die Akte eingebunden worden. Das Verhältnis zwischen der Akte und den beiden Karten wird erst durch einen ausgiebigen Vergleich deutlich. Beide Karten zeigen das Dorf Espa mit dem Silberberg, in beiden Darstellungen ist auch eine Art Route entlang einiger weißer Gegenstände zu sehen. Ob diese Strecke eine Grenzdarstellung oder vielmehr die Inaugenscheinnahme verbildlichen soll, lässt sich aufgrund der Kartenbilder allein nicht mehr ausmachen. In der Akte ist zwar kein Malereid überliefert, aber die jeweiligen Karten werden an zwei Stellen bei Diskussionen zwischen den Parteien erwähnt. Zunächst wurde im November 1543 von Seiten derer von Heusenstamm und derer von Frankenstein nach Übergabe der relevanten Beweisstücke (wie Urkunden, Verträge und Missiven) „ein gemalte verzeighnus des Silberbergs“ eingereicht, wogegen die Beklagten erstmal nichts einzuwenden hatten.²⁴⁵ Ende August 1544, während der Vorbereitungen der zweiten Kommission,²⁴⁶ wollten auch die Cleeberger Ganerben einen Maler beauftragen, wogegen die Gegenseite Protest einlegte, der jedoch abgelehnt wurde.²⁴⁷ Gänzlich erfolgreich waren die Ganerben allerdings nicht: Die Kommissare gestatteten ihnen nicht, einen Maler offiziell von Seiten der Kommission zu beauftragen, gaben ihnen aber die Erlaubnis, auf eigene Faust, wie auch vorher die Gegenseite, eine Karte einzureichen.²⁴⁸ Somit gibt es in der Akte jeweils Hinweise auf eine Karte als Teil der Beweisführung im November 1543 (von Heusenstamm und Frankenstein) und eine andere (Cleeberger Ganerben) im September 1444. Das bedeutet auch, dass
HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654, f. 45r im ersten foliierten Bericht, der nach Quad. 18 eingeheftet wurde. Das genaue Datum dieser Handlung wird nicht erwähnt. Da diese aber im foliierten Kommissionsbericht erwähnt werden und die sonstigen Kommissionshandlungen (Inaugenscheinnahme und Zeugenverhöre) auf den 14. bzw. 15. November 1543 datiert werden, ist (insbesondere weil die originalen Beweisstücke von Seiten der Kläger eingereicht und anschließend begutachtet werden) davon auszugehen, dass dies ebenfalls im November 1543 geschah. Die Kommission nahm am Montag nach dem Bartholomäustag (24. August), d. h. am 25. August 1544, ihre vorbereitende Arbeit auf, indem u. a. die Ladungen an die Zeugen verschickt wurden und die beiden Anwälte ihre Beweisstücke vorlegen mussten. Das eigentliche Treffen der Kommission mit Inaugenscheinnahme und Zeugenvernehmung war für den 22. September 1544 geplant. Vgl. HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654, bes. f. 17r–63v im zweiten foliierten Bericht. Der Protest ist umso bemerkenswerter, da Heusenstamm und Frankenstein zuvor bereits eine räumliche Darstellung eingereicht hatten, worauf die Ganerben auch Bezug nahmen: „Clebergische anwellde begertt nach dem Heusenstein unnd Franckenstein Clagere durch einen Maler den Silberbergk abmalen hettenn lassen, wollten sie auch gleichermassenn thun.“ HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654, f. 67v–69v, zit. f. 67v. Es betrifft eine Stelle im zweiten foliierten Bericht, der hinter dem Titelblatt „Attestationes und Kuntsager“, etwa nach Quad. 55 eingeheftet wurde. HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654, f. 68v–69r im zweiten foliierten Bericht, der hinter dem Titelblatt „Attestationes und Kuntsager“, etwa nach Quad. 55 eingeheftet wurde.
3.2 Zwei Kommissionen, zwei Karten und eine Akte
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Karte C wohl kaum eine „Skizze bzw.Vorzeichnung zur Karte“ von D gewesen sein kann, wie vorher vermutet wurde.²⁴⁹ Leider wird die konkrete bildliche Darstellung der Karten nicht näher in den Akten beschrieben, sodass sie sich nicht sofort zuordnen lassen. Um nachvollziehen zu können, warum beide Prozessparteien eine Karte malen ließen und was sie möglicherweise mit welcher Karte erreichen wollten, ist es unerlässlich, einen inhaltlichen Blick auf die Streitsache zu werfen. Im Folgenden werden zuerst die verschiedenen Argumentationsstrategien anhand der artikulierten Prozessschritte vorgestellt, um anschließend das Verhältnis zwischen Text und Bild analysieren zu können. Übrigens blieben die jeweiligen Argumentationslinien im Laufe der gerichtlichen Auseinandersetzungen mehr oder weniger gleich. So wurden die wichtigsten Positionen auch bei der Inaugenscheinnahme am 14. November 1543 wiederholt.²⁵⁰ Die Argumentation der beiden Adelsgeschlechter Heusenstamm und Frankenstein²⁵¹ beruhte vorrangig auf der Gemarkung des Dorfes Espa, welches sie in geteiltem Lehnbesitz hätten. Als Lehnsherr wird das Stift Bamberg erwähnt; die der Akte beiliegenden beglaubigten Kopien eines Lehnsbuchs und mehrerer Lehnsurkunden untermauerten diesen Anspruch. Laut Heusenstamm und Frankenstein lag der Silberberg bzw. das Bergwerk auf dieser Höhe innerhalb der Gemarkung von Espa; daher seien sie auch berechtigt, den Berg zu exploitieren. Frankenstein und Heusenstein hätten dazu 1539 einen Vertrag mit einem Bergbaumeister und seinen Knechten geschlossen.²⁵² Die Störung des Besitzes 1541 durch die Beklagten sowie eine schadhafte Abholzung durch die Cleeberger Bauern hätten aber 400 Gulden an Schaden verursacht und eine weitere Arbeit am Bergwerk unmöglich gemacht.²⁵³ Die Ganerben hingegen stellten die Situation ganz anders dar. Nach ihrer Vorstellung verlief ihr Gebiet, von Burg Cleeberg ausgehend, mehr oder weniger um das Dorf Espa herum, weswegen der Silberberg ihnen gehörte. Eine in den Prozess eingebrachte Grenzbeschreibung der Gemarkung der Cleeberger Ganerben sollte das belegen.²⁵⁴ Diese ließ allerdings, wie gleich in einem Abgleich
Siehe hierzu den entsprechenden Eintrag in Arcinsys Hessen. Siehe hierzu HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654, f. 45v-47r. Diese befindet sich in der Hauptakte: HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654, Quadrangel 5 – 9 sowie f. 7r–13v im ersten foliierten Bericht, der nach Quad. 18 eingeheftet worden ist. Vgl. HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654, Quadrangel 5 und 6 sowie f. 128v–129r im ersten foliierten Bericht, der nach Quad. 18 eingeheftet worden ist. HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654, Quad. 5 – 9. HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654. Diese Grenzbeschreibung ist zweimal in die Akte aufgenommen worden. Zuerst ist sie mit einem dreieckigen Quadrangel versehen und zwischen
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
zwischen Texten und Karten deutlich wird, eine Vielzahl von Fragen offen, insbesondere zum umstrittenen Silberberg. Das ist wohl der Grund, warum die Ganerben hauptsächlich mit ihren Herrschafts- und Nutzungsrechten argumentierten: Auf dem ganzen Silberberg und außerhalb von Espa hätten sie das Recht zu jagen, abzuholzen und Vieh zu treiben. Heusenstein und Frankenstein hätten somit 1540 widerrechtlich angefangen, eine Grube zu graben, und den ganerbischen Besitz damit erheblich gestört.²⁵⁵ Ein Abgleich der zwei Karten mit den jeweiligen Argumentationen ermöglicht eine recht sichere Zuordnung und Datierung. Auch wenn die Darstellungen sich im Aufbau durchaus ähnlich sind, gibt es größere und kleinere Unterschiede zwischen ihnen. So stellt Karte C eine Raumdarstellung ohne jegliche Aufschriften dar, was eine zweifelsfreie Identifikation der verschiedenen Darstellungselemente zunächst erschwert. Da sie in Aufbau und Darstellung sehr ähnlich wie Karte D ist, können die meisten Orte und Elemente dennoch zugeordnet werden. Die Aufschriften von Karte D dürfen allerdings nicht ohne weiteres auf Karte C übertragen werden, denn aus den Akten wurde bereits deutlich, dass die beiden Prozessparteien jeweils eine Karte in den Prozess einbrachten. Die Texte in Karte D bezeichneten nicht nur die Namen für die verschiedenen Orte im Kartenbild, sondern wiesen den jeweiligen Gebietsteilen auch einen Eigentümer zu, womit die Prozesspartei von Karte C sicherlich nicht einverstanden war. Insgesamt ist Karte D viel detailreicher gestaltet als Karte C. Eingezeichnet sind unter anderem pflügende und säende Bauern bei der Arbeit, Menschen unterwegs auf der Straße, drei Personen nebeneinander sitzend im Dorf sowie am linken Kartenrand ein Liebespaar im Wald. Die Karte zeigt, wie auch bei C, eine „Route“ durch das Kartenbild auf, was hier allerdings mit Großbuchstaben (A bis P) und kleinen gelb-goldenen Pünktchen noch stärker akzentuiert wird. Einige der mit Buchstaben versehenen Orte wurden während der Inaugenscheinnahme auch besichtigt, sodass dieser Weg womöglich den Rundgang der Kommission abbilden sollte. Auch führt Karte D zwei Wappen auf: in den oberen Ecken ist links das Wappen von Heusenstamm und rechts das von Frankenstein zu sehen. Der Maler von D zeigte sein großes professionelles Können, indem er die Hügel im Hintergrund wie ein Landschaftsgemälde darstellte. Durch die vielfältigen Details und die Größe der Darstellung (D ist doppelt so groß wie C) liegt die Vermutung erstmal nahe, dass Karte C vielleicht eine frühere Studie oder eine Vorskizze gewesen sein könnte und Karte D also erst später entstanden sein Quad. 10 und 11 platziert worden, dann kommt sie nochmal im zweiten (foliierten) Bericht vor, hier auf f. 12v–14r. HHStA Wiesbaden, Bestand 1, Nr. 654, Quad. 10 und f. 7v–14r im zweiten foliierten Bericht, der hinter dem Titelblatt „Attestationes und Kuntsager“, etwa nach Quad. 55 eingeheftet wurde.
3.2 Zwei Kommissionen, zwei Karten und eine Akte
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müsste. Die Gerichtsakten und auch die malerischen Details auf den Karten verweisen allerdings in eine andere Richtung: Nicht nur sind die Wappen der beiden Kläger (Heusenstamm und Frankenstein) auf der Karte zu sehen, auch wissen wir aus den Prozessakten, dass die Kläger bereits Ende 1543 eine Karte einreichten. Hinzu kommt, dass auch die Aufschriften auf Karte D in die Argumentationslinie der Kläger passen. Die textuellen Notizen machen nämlich deutlich, dass die Linie als Gemarkung zu verstehen ist: Die jeweiligen Gebiete innerhalb der Route seien „esper gemarck“, die Gebietsteile außerhalb der Linie werden mit „Solms“ oder „kleberger marck“ angedeutet. Die Darstellung passt damit bestens in den Rahmen der von Heusenstamm und Frankenstein geäußerten Behauptungen. Nicht belegt werden kann, ob die Großbuchstaben auf der Karte vielleicht mit einer Legende mit weiteren Erläuterungen in Verbindung standen. Diese Vermutung lässt sich leider aufgrund der Gerichtsakte nicht bestätigen. Bei der wohl später entstandenen Karte C ist, entlang der Form des Hügels, auch eine Art „Route“ zu sehen, die allerdings am Hügel selber undeutlich verläuft. Dieser Zustand entspricht genau der etwas unklaren schriftlichen Grenzbeschreibung der Cleeberger Ganerben: Die Gemarkung verlief, so der Text, am Silberberg vorbei, dann den Bach hinauf bis zum „Grawen holtz exclusive“²⁵⁶, dann „stracks (…) zu ein stein obendig dem heintzenn holtz an der Schmalhart“ und von dort aus bis zum Graben beim alten Jakobsacker und hinab bis zum Grenzstein unter einem Weidenstrauch.²⁵⁷ Diese Route lässt sich in Karte C entlang der weißen Grenzmarkierungen links und rechts des Hügels nachvollziehen, allerdings bleibt unklar, wo genau die Grenze am Silberberg selber verläuft. Die hellbraune Linie bei dem Schäfer sowie neben dem Jäger suggeriert womöglich, dass die Gemarkung „stracks“ von dem Grenzstein links oben bis zu dem Stein rechts oben verlief. Damit würde das Bergwerk innerhalb des Gebiets der Cleeberger Ganerben liegen. Auch hat der Maler bei Karte C zwar auf jeglichen Text verzichtet, dafür aber sehr figurativ und symbolisch gearbeitet. So zeigt die Karte einen bewaffneten Mann in rotem Gewand, der rechts auf das Dorf zuläuft. Auf der anderen Seite des Dorfes ist ein Weg zu sehen, auf dem ein Mann mit roter Mütze, blauer Jacke und weißen Strümpfen, Holz tragend, von links auf das Dorf zuläuft. In der oberen Bildhälfte sind zwei weitere Menschen zu sehen, die wohl die Ausübung von Herrschaftsrechten symbolisieren. So ist links oben ein Schäfer mit einem weißen Hund und weißen Schafen dargestellt, während ein Stückchen weiter rechts ein
Ebd., zit. f. 13r. Hiermit war wohl gemeint, dass dieses Gehölze nicht zu der cleebergischen Gemarkung gehörte. Ebd.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
anderer Mann mit Büchse in die Richtung eines Wildschweins zu schießen scheint. Dieser Mann ist zudem mit einem Schwert bewaffnet und trägt ein aufwendiges rotes Gewand mit weißer Halskrause und weißen Strümpfen. Karte C unterstützt also genau die Argumentationslinie der Cleeberger Ganerben: Auf dem Silberberg, außerhalb von Espa, hätten die Cleeberger Ganerben das Recht Holz zu schlagen, Vieh zu halten und großes Wild zu jagen. Der Inhalt der Akten suggeriert, dass Karte C erst entstanden ist, nachdem Heusenstamm und Frankenstein bereits Karte D angefertigt hatten. Auch wenn wohl aufgrund der figurativen Darstellung von C bisher vermutet wurde, dass sie eine Vorskizze sei, so geht es hier nicht um die attestierte (Un) Professionalität des Malers, sondern vielmehr um die Darstellungsabsicht der beiden Karten sowie um ihr Verhältnis zur Akte. Während D mit Aufschriften und Details genau in der Argumentationsstrategie derer von Heusenstein und Frankenstein passt, zeigt die figurative und symbolische Karte C die verschiedenen Rechte im dem Raum, welchen die Cleeberger Ganerben für sich beanspruchten.
3.3 Ein Konflikt über eine Wiese und einen beschlagnahmten Ochsen zwischen dem Erzbistum Mainz und der Grafschaft Hanau-Münzenberg (1550 – 1556) Im Streitfall zwischen dem Mainzer Erzbischof Sebastian von Heusenstamm (Kläger) und den Beklagten Grafen Philipp III. und Reinhard V. von HanauMünzenberg²⁵⁸ ging es um eine Wiese zwischen Steinau und Alsberg. Den direkten Anlass der Auseinandersetzung bildete die Beschlagnahme eines Ochsen durch den Hanauer Waldförster Casper Keller im Juni 1550, sodass der Erzbischof Klage beim Reichskammergericht einreichte. Obwohl es sich bei der umstrittenen Wiese um ein relativ kleines Gebiet handelte, kamen die Streitigkeiten vors Reichskammergericht. Die Beziehungen zwischen Kurmainz und Hanau-Münzenberg scheinen in jenen Jahren generell nicht besonders gut gewesen zu sein.²⁵⁹ Im Laufe des Prozesses wurden zwei Kommissionen eingesetzt und offenbar auch zwei Karten gemalt: Eine von Mainz beauftragte Kommission war im März
Am Anfang des Konflikts waren Philipp III. und Reinhard IV. noch unter Vormundschaft, sodass in die Akten auch Graf Wilhelm von Nassau sowie Graf Reinhard von Solms als Vormünder mit aufgenommen worden sind. Möglicherweise ist diese Reaktion im Licht der schon länger schwebenden Auseinandersetzungen zwischen Kurmainz und Hanau-Münzenberg über die hanauische Zollstation bei Kesselstadt zu sehen. Hierzu u. a. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M7, M7a, M8, etc.
3.3 Ein Konflikt über eine Wiese und einen beschlagnahmten Ochsen
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1554 tätig,²⁶⁰ ein von Hanau-Münzenberg beauftragter Ausschuss traf sich im Dezember 1555.²⁶¹ Jedoch ist heutzutage nur eine Karte bekannt, die zweifellos mit diesem Prozess in Zusammenhang steht: Karte G²⁶² zeigt das Gebiet zwischen Salmünster, Alsberg und Steinau. Zwischen zwei Baumreihen zieht sich ein durchgehender roter Strich hindurch, welcher bei näherem Hinsehen sowohl seinen Anfang als auch sein Ende bei Steinau findet. Auf der Karte sind keine Hinweise auf den Maler zu finden, sodass unklar ist, für welche Kommission die Karte gefertigt worden war. Auch die Frage, ob der Maler damit die Besichtigung vor Ort oder vielmehr eine Grenzlinie, wie diese rote Linie bisher interpretiert wurde,²⁶³ darstellen wollte, lässt sich erst in Zusammenhang mit den beiden Akten klären. Von Mainzer Seite wurde in der „Mainzer“ Kommission am 13. März 1554 vorgeschlagen, eine Karte durch Meister Jakob Laßmann aus Frankfurt malen zu lassen, welche die strittigen Orte bildlich darstellen sollte. Diesem Vorschlag stimmte der Kommissar, trotz Protesten des Hanauer Anwalts, zu.²⁶⁴ Die fertige Karte, so steht in seinem Bericht, schickte er später zusammen mit seinen Unterlagen mit.²⁶⁵ Wolff und Engel nahmen an, dass es sich bei G um Laßmanns Karte handelt.²⁶⁶ Auch deuten die Faltspuren bei G auf eine frühere Aufbewahrung in einer Akte hin. Darüber hinaus brachten Wolff und Engel die Karte mit einer Reichskammergerichtsakte²⁶⁷ in Verbindung, allerdings ohne Bezüge zwischen Text und Bild konkret zu analysieren – und offenbar auch ohne Kenntnis der Hanauer Parteiakte.²⁶⁸ Denn auch in der „Hanauer“ Kommission wurde, auf Ersuchen des Hanauer Anwalts, eine Karte in Auftrag gegeben.²⁶⁹ Die von Wolf und Engel erwähnte Prozessakte zur „Mainzer“ Kommission²⁷⁰ ist unvollständig, beinhaltet beispielsweise kein Spezialprotokoll und kaum Quadrangel und lässt sich am besten in drei Teilen beschreiben. Als Erstes beinhaltet sie einen foliierten Kommissionsbericht, in dem die wichtigsten Pro-
Die Akte hierzu: HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M 6. Hierzu: HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109. HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 15581. Vgl. Wolff/Engel (Hrsg.), Hessen im Bild, S. 28 f. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M6, f. 23r–24v. Ebd., f. 24v. Vgl. Wolff/Engel (Hrsg.), Hessen im Bild, S. 28. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M 6. Hierzu bereits: Wolff/Engel (Hrsg.), Hessen im Bild, S. 28 f. HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109, f. 19v–21r. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M 6.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
zessschritte zusammengefasst und insbesondere die Zeugenverhöre von Mainzer Untertanen protokolliert worden sind (f. 1r–71v). Schon während des ersten Treffens der Kommission unter Leitung des Kreuznacher Schultheißen Sebastian Maier am 13. März 1554 verwies der hanauische Anwalt auf die knappe Zeit und die Möglichkeit eines zweiten Kommissionstermins, wohl vorrangig um weitere Zeugen verhören zu können.²⁷¹ Anfang Juni 1554 fand der zweite Termin passenderweise in der Frankfurter Herberge „Zum Ochsen“ statt. Eine Abhandlung dazu, mit vier weiteren (Mainzer) Zeugenverhören, bildet den zweite Teil der Akte. Hier setzt auch eine neue Foliierung (f. 1r–32r) ein. Schließlich bilden die unfoliierten kopierten Prozessschriftstücke (etwa 80 Folien) den dritten Teil der Akte. Die hanauische Parteiakte hingegen protokolliert auf etwa 100 Folien die Arbeit der von Hanau-Münzenberg vorgeschlagenen Kommission unter Leitung von Johann Zwenngell (Zwengel) und Leonharden Brumeyr.²⁷² Am 18. Dezember 1555 traf sich die Kommission mit Anwälten und Zeugen im Rathaus von Steinau an der Straße.²⁷³ Beim Treffen bat der hanauische Anwalt den Kommissar darum, die Inaugenscheinnahme am frühen Morgen des 19. Dezembers vorzunehmen sowie einen Maler mit der Skizzierung der Grenzen zu beauftragen, wozu der gegnerische Anwalt auch, unter der Bedingung der Unparteilichkeit, seine Zustimmung gab.²⁷⁴ In der Akte sind zudem die verschiedenen artikulierten Positionen und Stellungnahmen, die Interrogatoria und die Zeugenverhöre überliefert. Der größte Unterschied zur Mainzer Kommission besteht darin, dass diesmal ausschließlich hanauische Zeugen verhört wurden.²⁷⁵ Die Akte schließt mit einem resümierenden Kommissionsbericht und mit einer Bestätigung des Notars.²⁷⁶ Um das Verhältnis zwischen der überlieferten Karte und den beiden Akten besser zu verstehen, werden im Folgenden zuerst die Positionen und Argumentationslinien der Kontrahenten näher erläutert. Danach werden die Antworten der jeweiligen Zeugen miteinander verglichen – eine einmalige Chance, da in diesem Fall zwei Kommissionen mit jeweils ‚eigenen‘ Zeugenverhören überliefert sind. Abschließend können die meisten Fragen mittels einer Text-Bild-Analyse geklärt
Nach wiederholten Hinweisen des Hanauer Anwalts Erhard Krauß auf den knappen Zeitrahmen beantragte schließlich der Mainzer Anwalt Diether Selbach einen zweiten Termin. Vgl. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M6, f. 18v–21v. HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109. Ebd., f. 18r. Ebd., f. 19r–21r. Die Besichtigung vor Ort fand am Donnerstag, dem 19. Dezember 1555, statt: ebd., f. 30v-31r. Siehe die 16 Zeugenaussagen in: ebd., f. 32v–96v. Vgl. ebd., f. 96v–98r. Leider sind diese Seiten durch massive Schädigungen kaum lesbar. Bei den letzten Folien fehlt oben jeweils ein Teil der Seite.
3.3 Ein Konflikt über eine Wiese und einen beschlagnahmten Ochsen
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werden. Der Prozess konzentrierte sich vor allem auf die Frage, wo die Beschlagnahme stattgefunden hatte und ob diese Stelle Teil des Mainzer oder des Hanauer Territoriums war. Nun lässt sich ein Teil der Auseinandersetzung wohl durch einige Namensverwirrungen erklären, die sich im Austausch der ersten artikulierten Behauptungen und spätestens bei der Besichtigung vor Ort geklärt haben dürften.²⁷⁷ Mainz’ Argumentation geht von einer Pflegschaft mit Wald aus, welche „Madt“ genannt wird, während Hanau-Münzenberg sein Waldgebiet, von Steinau ausgehend, als „Ortenbuch“ bezeichnet.²⁷⁸ Mainz beansprucht dabei eine Wiese, die in seiner Pflegschaft liegen soll. Als Grenze zwischen beiden Waldgebieten sieht Mainz einen Brunnen („distelborn“). Beide Waldteile seien durch einen alten Weg voneinander getrennt, der hinter den „koelkauthen hinab biß zu den Eisenkauthen“ führe und von hier „stracks“ auf den Saubrunnen zugehe.²⁷⁹ Der aus diesen Brunnen fließenden Bach teile die Sauwiese in zwei Bereiche. Bis an den Bach sei sie also Mainzisch, der andere Teil über den Fluss Richtung Seidenroth hingegen gehöre zu Hanau-Münzenberg.²⁸⁰ Mainz will diese Sauwiese seit über 50 Jahren als Eigentum benutzt haben und das Gebiet als „possession vel quasi“ beanspruchen. Die Beschlagnahmung eines Ochsen des Mainzer Untertans Hans Glück („hansen glucken“) durch den hanauischen Waldförster Caspar Keller am 8. Juni 1550 sei also unrechtmäßig geschehen, weil dieses Ereignis auf Mainzer Grund und Boden stattgefunden habe.²⁸¹ Hanau-Münzenberg hingegen gibt an, dass die Wiese seit über 40 Jahren an einen hanauischen Untertan zu Seidenroth gegen einen jährlichen Zins „verliehen“ wurde.²⁸² Als die Mainzer Viehhüter von Alsberg allerdings zum zweiten Mal die umhegte Wiese aufrissen und das Heu davon entnommen hätten, habe der
Die Untertanen von beiden Seiten verwendeten nämlich verschiedene Bezeichnungen für die Waldgebiete, die Wiesen und die Brunnen, sodass sich jeweils die Frage stellte, ob es sich um unterschiedliche Objekte handelte oder vielmehr um unterschiedliche Bezeichnungen für den gleichen Gegenstand. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M6, f. 5r (Mainz) und unfoliiert (etwa über die Hälfte der Akte, Hanau). Ebd., f. 7r. Kurmainz erwähnt zwei verschiedene Quellen: Distelborn und den Saubrunnen direkt an der Wiese. Während die Mainzer Zeugen diese Darstellung bejahen, sagen die Hanauer Zeugen aus, sie kennten den Distelborn nicht. Vgl. ebd., f. 29v–70v; HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109, f. 32v–96v. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M6, f. 5r. Ebd., f. 5v–6r, zit. f. 6r. Ebd. (unfol.); idem: HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109, f. 4v.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
hanauische Waldförster eingegriffen und einen Ochsen gepfändet.²⁸³ Die Pfändung sei also rechtmäßig geschehen.²⁸⁴ Zusätzlich reichte Hanau-Münzenberg in den additionalen Artikeln eine Art Grenzbeschreibung ein. Das hanauische Waldgebiet ziehe sich bis nach oben an der Lindenhart, an der verfallenen Eiche vorbei, an die Frauenbuchen, an der Linde mit dem Loch, an den Lindenstumpf, bis zum oberen „pful“, wo Hanau-Münzenberg zuständig sei, bis zu den Dachslöchern, zu den „zeilbuchen“, von hier zu den Fuchslöchern, zu „Zinterßhauffen“, von hier bis zur Schildeiche, bis zum Fluss („habich floß“), und dann bis zur Kreuzeiche, die hinten an dem „hart Acker“ stehe. Die Sauwiese liege nahe dem „Zinterßhauffen“.²⁸⁵ Einige weitere Hinweise könnten die Antworten der Augenzeugen bieten, wobei die Zugehörigkeit eine wichtige Rolle zu spielen scheint. In der „Mainzer“ Kommission von 1554 hatten nur Mainzer Untertanen ausgesagt, in der „Hanauer“ Kommission von 1555 nur Landsassen aus den Hanauer Dörfern. Die Akte der „Mainzer“ Kommission enthält die neun Zeugenaussagen des ersten Kommissionstreffens sowie vier weitere Aussagen von Jugendlichen im Rahmen des zweiten Treffens.²⁸⁶ Von der „Hanauer“ Anhörung sind 18 Aussagen protokolliert.²⁸⁷ Auffällig ist, dass die jeweiligen Aussagen sich sowohl inhaltlich als auch manchmal textuell überschneiden. Eine erste Erklärung für diesen Umstand bietet sicherlich die Gegebenheit, dass nur Untertanen aus der gleichen Herrschaft als Zeugen aufgelistet werden, die, wie aus der Befragung hervorgeht, offenbar miteinander über die Geschehnisse gesprochen haben. Ein weiterer Grund für die textuelle Übereinstimmung ist wohl in der Tatsache zu finden, dass die jeweiligen Stellungnahmen nicht wortwörtlich festgehalten, sondern vielmehr zusammenfassend protokolliert wurden.²⁸⁸
HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M6 (unfol.); idem in HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109, f. 5r–6r. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M6, unfol.; idem in HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109, f. 6r. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M6, unfol. (im dritten Teil der Akte) Vgl. Ebd. Die Viehjungen waren wohl aufgrund ihres Alters zunächst nicht als Zeugen verhört worden. HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109, f. 32v–96v. Auf die problematische Diskrepanz zwischen den juristisch gelehrten Fragen, den faktischen Zeugenaussagen des ‚gemeinen Mannes‘ und dem daraus erstellten Protokoll wurde schon mehrmals hingewiesen, siehe u. a.: Peter Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht. Rechtsanwendung und Partikularrecht im Alten Reich, Frankfurt a. M. 2002, S. 372; Ralf-Peter Fuchs (Hrsg.), Wahrheit, Wissen, Erinnerung. Zeugenverhörprotokolle als Quellen für soziale Wissensbestände in der Frühen Neuzeit, Münster 2002; Matthias Bähr, „Aus dem Munde gefallen“. Reichskammergerichts-Zeugenverhöre – eine Quellenkritik, in: Anja Amend-Traut/Anette Baumann/Stephan
3.3 Ein Konflikt über eine Wiese und einen beschlagnahmten Ochsen
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In beiden Kommissionen ging es letztendlich um zwei konkrete Fragen, nämlich: Wo (d. h. in welchem Territorium) hatte die Beschlagnahmung des Ochsen stattgefunden? Für eine Antwort war eine weitere Erkundigung notwendig: Wie verlief die Grenze zwischen Hanau-Münzenberg und Mainz genau? Die Mainzer Behauptung, die Grenze sei ein alter Holzweg, der die beiden Waldgebiete trenne und über den Brunnenfluss gehe,²⁸⁹ wurde in der Zeugenbefragung von den Mainzer Zeugen einstimmig bejaht,²⁹⁰ während die Hanauer Grenzbeschreibung einhellig von nahezu allen hanauischen Zeugen bestätigt wurde.²⁹¹ Auch bei der Frage, ob die Pfändung des Ochsen auf Mainzer oder Hanauer Territorium stattgefunden habe, reagierten die befragten Untertanen in etwa konform ihrer Zugehörigkeit. Die Mainzer Zeugen berichteten einhellig, sie hätten das so von den Viehjungen gehört, wobei einige aussagten, dass sie auch die entsprechenden Spuren (Hufschlag, Viehtritte) gesehen hätten.²⁹² Als beim zweiten Treffen Anfang Juni auch die Mainzer Viehjungen als Zeugen gehört wurden, bestätigten sie dies.²⁹³ Interessant ist, dass sich die meisten Hanauer Zeugen in diesem Punkt eher zurückhaltend äußerten. Die meisten behaupteten, gar nichts über die Pfändung zu wissen.²⁹⁴ So antwortete der fünfte Zeuge von Hanau-Münzenberg, Hermann Henn, laut Zeugenprotokoll nur noch mit „Neinn“ auf die Mainzer Fragen zum Pfändungsort.²⁹⁵ Fünf von 18 Zeugen gaben an, zwar nicht persönlich dabei gewesen zu sein, aber von anderen Beteiligten wie Casper Keller von der Pfändung und von dem Ort gehört zu haben.²⁹⁶ Auch fand sich nur etwa die Hälfte der Hanauer Zeugen bereit, die Einschätzung abzugeben, dass der Ort der Beschlagnahme sicherlich hanauisch gewesen sei.²⁹⁷ Konkrete Hinweise gab nur der ungefähr 14-jährige Hans Anßheim aus Alsberg bei der „Mainzer“ Wendehorst/Steffen Wunderlich (Hrsg.), Die höchsten Reichsgerichte als mediales Ereignis, Berlin 2012, S. 133 – 150, hier S. 133 – 135. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M6, f. 7r. Ebd. Nur der erste Zeuge, Crafft Weijß, sagt bei fast allen Fragen aus, er habe als ehemaliger Waldförster zwar grundsätzlich gute Kenntnisse, aber er wisse nicht genau über die Grenzen Bescheid, da es früher nie zu Konflikten oder Besichtigungen gekommen sei. Vgl. HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109, f. 34r–34v. Alle andere Zeugen bestätigen die Grenzbeschreibung, wie Hanau-Münzenberg diese aufführt. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M6, f. 29v–70v. Ebd., f. 14v–31v (im 2. Teil der Akte). Sieben Zeugen geben an, gar nichts zu wissen, vier weitere Zeugen sagen, dass sie kaum etwas dazu wüssten, aber sicher seien, dass es auf Hanauer Grund und Boden sei. Vgl. HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109, f. 32v–96v. Ebd., f. 46v. Vgl. ebd., f. 32v–96v. Vgl. ebd.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
Kommission, indem er indirekt zugab, dass die Alsberger die Hanauer Wiese benutzten. Der Junge sagte aus, dass ein Mädchen von Seidenroth (Elsiß Barb genannt²⁹⁸) mit etlichen Ochsen „Inn der Heltmanß wieß“ geweidet habe.²⁹⁹ Als Caspar Keller, der auch anwesend gewesen sein soll, das Mädchen fragte, von wem die Ochsen seien, habe es geantwortet, dass die Ochsen denen von Alsberg gehörten. Daraufhin sei Caspar Keller zu Hans Anßheim und den anderen Zeugen auf die Mainzer Sauwiese gerannt und habe zwei Ochsen abgetrieben, wovon er einen mitgenommen habe.³⁰⁰ Nun soll es in dieser Studie nicht darum gehen, die „wahren“ Ereignisse zu rekonstruieren, sondern vielmehr um die (erhoffte) Funktion der Darstellung sowie die Anwendung der Karte im Verhältnis zu den Akten. Das ist möglich, indem die verschiedenen Zeugenaussagen und Argumentationen aus den Akten mit der bildlichen Darstellung auf Karte G verglichen werden. Deutlich geworden ist, dass der Prozess sich auf die Grenze sowie auf die Wiese fokussierte, wo die Pfändung stattgefunden haben soll. Die Frage ist, wie die rote Linie sowie die beiden Wiesen auf der Karte in dieser Hinsicht zu verstehen sind. Auch wenn die Zeugen von beiden Seiten die jeweilige Grenzbeschreibung ‚ihrer‘ Seite bestätigten, fällt auf, dass die rote Linie auf der Karte genau entlang der Hanauer Grenzbeschreibung verläuft. Diese von Hanau-Münzenberg vertretene Grenzvorstellung wird auf der Karte sogar dreifach kartographisch festgehalten, während die Mainzer Kennzeichnungen und Namen auf der Karte gar nicht vertreten sind. Erstens wird die Grenze als rote Linie visualisiert, welche dominant durchs Bild schlingert. Zweitens wird die Trennlinie durch die Abbildung zweier Baumreihen verstärkt, wobei die Bäume als visuelle Erkennungspunkte der Grenzbeschreibung fungieren.³⁰¹ So ist die umgehauene Linde mit dem Loch als umgefallener Baum mit einem Loch neben einem Baumstumpf gemalt worden. Drittens findet eine schriftliche Verortung statt, da kleine Aufschriften wie „die Lindt mit dem loch“ wortwörtlich mit der artikulierten Grenzbeschreibung in den Akten übereinstimmen.³⁰² Dieses Mädchen wurde, obwohl es doch alles gesehen haben dürfte, offenbar nicht als Zeugin gehört, weder in der „Mainzer“ noch in der „Hanauer“ Kommission. Zur Misshandlung des Mädchens mit einer Gerte durch Casper Keller, der anfangs dachte, es sei eine Mainzer Dirne, siehe HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M6, f. 17v (im 2. Teil der Akte). Ebd., f. 17v (im 2. Teil der Akte). Ebd., f. 17v–18r (im 2. Teil der Akte). Die drei anderen Jungen berichten weniger ausführlich. So erwähnen sie die Alsberger Ochsen auf der Hanauer Wiese nicht, sondern berichten lediglich über die Beschlagnahme eines Ochsen durch Caspar Keller. Zu der Funktion von Bäumen als Erkennungspunkt, siehe Kap. 2.1.1. Vgl. HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II, 15581; HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M 6 (unfol.): „biß uff die linde do unden ein loch durchgangen ist, so umbgehawen und doch der
3.3 Ein Konflikt über eine Wiese und einen beschlagnahmten Ochsen
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Auf Karte G sind aber auch zwei Wiesen zu sehen: die „sew oder Hiltmans wißs“ am Brunnen sowie ein Stück weiter rechts eine weitere Sauwiese, die als Mainzisch dargestellt wird. Nun kommt es darauf an, wie die Kartendarstellung zu interpretieren ist. Wollte der Maler die umstrittene Sauwiese an zwei Orten malen, weil die genaue Platzierung vor Ort undeutlich war, oder gab es tatsächlich zwei Wiesen und lag hier eine Verirrung vor? Die Aussagen der Mainzer Zeugen lassen darauf schließen, dass es verschiedene Wiesen gab. Nach deren Schilderung war die Situation so, dass die hanauische umzäunte Hiltmannswiese bis zum Brunnen und zum Bach ging, auf dessen anderer Seite sie zu Mainz gehörte.³⁰³ Die Hanauer Untertanen sagten hingegen aus, dass die Hiltmanns Wiese bei dem „Zinserhauffen“ lag und hier die Grenze zum Mainzer Wald sei. Auch in dieser Hinsicht stellt sich die Karte eher auf die hanauische Seite, denn mit der Darstellung der roten Grenzlinie würde die Mainzer Behauptung, das Gebiet bis zum Brunnen und bis zum Fluss sei Mainzer Territorium, nicht übereinstimmen. Ein weiterer Kernpunkt des Prozesses, nämlich die (unerlaubte) Pfändung des Ochsen, wird jedoch nicht auf der Karte verortet. Die Kontrahenten behaupteten beide, diese sei auf der jeweils eigenen Wiese geschehen, was die (Il‐)Legalität der Handlung unterstreichen sollte. Die Text-Bild-Analyse der Karte G und ihrer Akten hat ergeben, dass die rote Linie die Grenzvorstellung der Hanauer Seite visualisierte. Daraus lässt sich schließen, dass die Karte eher im Sinne der hanauischen Argumentation gemalt worden ist. Diese Überlegung legt wiederum die Vermutung nahe, dass die ansprechende Darstellung nicht, wie bisher vermutet, durch Jakob Laßmann, sondern durch den Frankfurter Maler Göbel angefertigt wurde. Insgesamt sind die Karte und die artikulierten Behauptungen und Aussagen in den Akten stark miteinander verwoben, was offenbar auch Ziel der Visualisierung war. Denn bereits aus dem Kartenauftrag ging hervor, dass der Maler „die Limes, Grentzen unnd anwenndungen abzureijßenn unnd zu Contrafeyhenn“ habe und die fertige Karte dann „neben der Zeugenn Aussage“ zum Reichskammergericht geschickt werden sollte.³⁰⁴ Die vielen Texteinträge bei den Bäumen entlang der roten Linie
stumpff noch dostehet“. Mit leicht abweichender Schreibweise idem in: HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109, f. 7v. Manche Zeugen verorteten die Wiese durchaus im Einklang mit der Karte. So beschrieb Cuntz Beleß, der siebte Mainzer Zeuge, dass der Ochse nicht neben der Wiese bei dem Brunnen, sondern an dem „ruck der rechten Sew wiesen“, also etwas weiter Richtung Madt und auf Mainzer Boden, mitgenommen worden sei. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M6, f. 59v–60r, zit. f. 60r. HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 31109, f. 19v. Der Name des Malers (Heliseum Göbel): ebd., f. 30v. Im Jahr zuvor hatte bereits der Mainzer Anwalt ebenfalls um eine Kartenanfertigung gebeten, die allerdings weniger auf die Grenzen, sondern vielmehr auf die Visualisierung der Inaugen-
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
sind nur in Zusammenhang mit der hanauischen Grenzbeschreibung in der Akte zu verstehen. Gleichzeitig bietet die Karte eine übersichtliche Darstellung der beiden Wiesen, welche hilft, die Aussagen der Zeugen zu verorten. Ob der Ochse allerdings unmittelbar neben der Hanauer Wiese und damit auf hanauischem Territorium beschlagnahmt wurde oder ein ganzes Stück weiter rechts auf der Mainzer Wiese – darüber geben Karte und Akte keinen eindeutigen Aufschluss; dies wurde wohl der Einschätzung der Richter überlassen.
3.4 Zwei Dörfer, eine umstrittene Wiese und eine Karte. Eine Auseinandersetzung zwischen der Burg Friedberg und der Grafschaft Hanau-Münzenberg (1551 – 1568) Eine sehr ähnliche Konfliktlage bildeten die Auseinandersetzungen zwischen dem Dorf Rendel, welches der Burg Friedberg zugehörig war, und der hanauischen Ortschaft Niederdorfelden.Verschiedene lokale Streitigkeiten resultierten von 1551 bis 1568 in langwierigen Verfahren am Reichskammergericht. Der ursprüngliche Anlass war eine durch Hanau-Münzenberg verübte Beschlagnahme zweier Pferde Ende Februar 1551, worauf die Burgmannen von Friedberg das Reichskammergericht einschalteten. Die Grafschaft behauptete zur Verteidigung, dass die beschlagnahmten Tiere lediglich auf Hanaus Wiese gefunden worden seien, was die Burg Friedberg wiederum nicht glaubte.³⁰⁵ In den Jahren darauf folgte das übliche Spiel von Klagen, Gegenklagen, Mandaten, weiteren Pfändungen und Besitzstörungen.³⁰⁶ So versuchte die hanauische Seite den Spieß umzudrehen, indem sie einen eigenen Prozess gegen die Burg Friedberg anstrengte: Die Friedberger Untertanen aus Rendel hätten einige Sachen von hanauischen Untertanen sowie
scheinnahme fokussiert war: „Und damit derselb zu aller handlung bestes bericht neben der zeugen außsage dem Chammerrichter uberschickt möcht werden, So presentirt er hieher zu Meister Jacob Laßman malern und burgern zu franckfurdt, Mit bitt Inen der gepur nach uff und anzunemen, denselbigen genugsamlich Inzunemen zubesichtigen, und further uff ein Tuch warhafftig abzumalen und zu contrafaien dem Chammerrichter neben dem Rotull zuuberschicken“. HStA Marburg, Bestand 255, Nr. M6, f. 23r. HStA Marburg, 81, D1/23. Siehe hierzu die verschiedenen Parteiakten und jeweiligen Prozessschritte, u. a. in: HStA Darmstadt, Bestand F3, Nr. 22/1 sowie 22/2; HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/12 und 33; HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/24 bis D 1/26. Generell muss unterschieden werden zwischen dem Prozess, den die Burg Friedberg gegen Hanau-Münzenberg anstrengte, und dem Prozess, den Hanau-Münzenberg gegen die Burg Friedberg durchführte.
3.4 Zwei Dörfer, eine umstrittene Wiese und eine Karte
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einen Zaun umgerissen und in den Bach geworfen.³⁰⁷ Im Rahmen der Auseinandersetzungen um eine umstrittene Wiese bei der Scharmühle entstand mit Karte H eine Visualisierung der räumlichen Gegebenheiten. Die Karte war ursprünglich in eine Akte eingebunden,³⁰⁸ sodass zunächst die Überlieferungssituation kurz skizziert werden muss, bevor eine inhaltliche Analyse erfolgen kann. Die Akte, welche auch Karte H überlieferte, ist eine unfoliierte Parteiakte (ca. 145 Folien) von Friedberger Seite. Sie beinhaltet eine Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse im Prozess für die Jahre 1556 – 1567 und jede Menge ungeordnetes Material (u. a. Entwurfschreiben, Korrespondenz, artikuliertes Prozessmaterial und Zeugenlisten aus den Jahren 1551 bis 1567). Die Karte war ursprünglich direkt hinter dem Prozessmaterial zu den Zeugen eingebunden. Dieses umfasste eine Zeugenliste sowie eine kurze Einschätzung der Treue und Glaubwürdigkeit der aufgerufenen Zeugen. Da die jeweiligen konkreten Prozessschritte nur bedingt aus dieser Akte hervorgehen, sind auch die Akten aus der Parallelund Gegenüberlieferung herangezogen worden. So gibt es von Friedberger Seite eine Akte, die unter anderem einen weiteren gewaltsamen Überfall von hanauischen Untertanen auf das Friedberger Dorf Rendel im Herbst 1551 beschreibt.³⁰⁹ Eine eindrucksvolle und hilfreiche Gegenüberlieferung wird durch die Hanauer Parteiakten gebildet. Durch diese lassen sich nicht nur die jeweiligen Prozessschritte besser einordnen, sondern sie unterstreicht auch nochmal, dass die Parteien den jeweiligen Kontrahenten jahrelang vor dem Reichskammergericht anklagten.³¹⁰ Der Kern der Auseinandersetzungen war ähnlich gelagert wie im Fall G. Es ging um die jeweilige Zugehörigkeit und damit um die Frage, inwiefern die Pfändung rechtmäßig oder unrechtmäßig erfolgt war. Wie aus den artikulierten Positionen und aus dem Protokoll der Inaugenscheinnahme zu der umstrittenen Wiese bei der Scharmühle hervorgeht, war Hanau-Münzenberg nämlich der Auffassung, dass die Wiesen an der Nidder in ihrer Obrigkeit und Terminei lagen.³¹¹ Die Burg Friedberg hingegen stellte die Landwehr bzw. den Graben als Grenze dar und argumentierte, dass die Wiese somit im Friedberger Besitz war.³¹² Nachdem sich beide Parteien am 2. November 1558 vor einer Kommission unter Leitung des Oppenheimer Stadtschreibers Nikolaus Druchlaub im Rathaus von
HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/24, f. 7v–8r. Die Karte wurde der Akte (HStA Darmstadt, Bestand F3, Nr. 22/1) entnommen und unter eigener Signatur in den Kartenbestand aufgenommen: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 2190. HStA Darmstadt, Bestand F 3, Nr. 22/2. Vgl. HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/23 bis D 1/26 und D 1/33. HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/24, f. 34r–35r. Vgl. HStA Darmstadt, Bestand F 3, Nr. 22/1. (unfol.)
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
Windecken trafen, besichtigten sie am nächsten Tag auch die Schauplätze der verschiedenen Konflikte.³¹³ Die Inaugenscheinnahme wurde gemeinsam mit dem Kommissar, den beiden Anwälten und den beeidigten Zeugen an drei Orten durchgeführt. Zuerst besichtigte die Kommission eine Weide bei Niederdorfelden, dann einen umgerissenen Zaun bei Gronau und schließlich eine Wiese bei der Scharmühle. Auch wenn es in den Parteiakten keinen Hinweis auf einen Malereid gibt, verweist das Protokoll dennoch auf eine „nachstehenndt Contrafaitnus unnd abris“,³¹⁴ was eindeutig auf eine Visualisierung hindeutet. Die schriftliche Dokumentation der Inaugenscheinnahme bringt das Problem bei der Wiese in der Nähe der Scharmühle auf den Punkt: Streitpunkt ist, ob die Grenzlinie zwischen den Gronauer und Rendeler Gemarkungen am Landwehr oder am Wasser der Nidder entlangläuft. Diese Darstellung deckt sich genau mit der graphischen Wiedergabe auf Karte H, sodass davon ausgegangen werden kann, dass sie zwischen Jahresende 1558 und Anfang 1559 entstanden ist. Die Visualisierung zeigt verschiedene Weiden und Felder sowie die Scharmühle in der Nähe von Niederdorfelden. Die horizontale Bildmitte wird durch den kleinen Fluss (Nidder), die grünen Wiesen und den Landgraben dominiert. Zentral sieht man das umstrittene Feld, was durch die Aufschrift „das Felt darumb man zanckt“ sowie einen umgerissenen Zaun verdeutlicht wird. Die Brisanz liegt in den spärlichen schriftlichen Angaben auf der Karte. Die Aufschriften sind klare Besitzzuweisungen, die mit der Friedberger Sichtweise übereinstimmen. So hält eine Kartennotiz bei der Landwehr fest, dass diese für die Grenzlinie zwischen dem Friedberger und dem hanauischen Gebiet gehalten wird. Die Scharmühle, die Felder auf der anderen Seite des Flusses und die Weide links und rechts der umstrittenen Wiese werden als „friedbergisch“ dargestellt, nur alles unterhalb der Landwehr sei „hanawisch“. Eine kleine Notiz, die sich in der Friedberger Parteiakte nach Auflistung und Einschätzung der Zeugen befindet, beschreibt, wie die Burg Friedberg den Prozess gewinnen wollte und was sie sich von der Karte erhoffte: „Der strittig weijdenn platz liegt ohnn alle mittel Inn Rendler Termineij, wie der augenschein unnd uberschickt Contrafeiung mit sich bringt“.³¹⁵
Vgl. HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/24, f. 33r–35r. Vgl. HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/24, f. 34r. HStA Darmstadt, Bestand F 3, Nr. 22/1. (unfol.)
3.5 Eine Kartenskizze zur Prozessvorbereitung
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3.5 Eine Kartenskizze zur Prozessvorbereitung. Die Konflikte zwischen der hessischen Stadt Gießen und dem nassauischen Amt Gleiberg (1559 – 1562) Auch in diesem Fall reichten die Auseinandersetzungen zwischen Gießen und Gleiberg schon länger zurück, bevor die Konflikte vor das Reichskammergericht gebracht wurden. Schon im Jahr 1554 hatte Nassau-Weilburg die lokalen Weidegangstreitigkeiten so ernst genommen, dass eine Liste mit 65 Beweisartikeln angefertigt wurde, welche die verworrenen Besitzverhältnisse und Grenzen verdeutlichen sollte.³¹⁶ Bereits hier werden Positionen zu Grenzverlauf und Herrschaftsrechten geäußert, welche die Auseinandersetzungen vielleicht auf die Spitze getrieben haben. Auch ist bereits von einer gewaltsamen Pfändung des Gleiberger Viehs die Rede.³¹⁷ Spätestens ab 1559 müssen die Streitigkeiten vor das Reichskammergericht gekommen sein.³¹⁸ 1561 fand das erste Treffen der Kommission statt,³¹⁹ 1562 versuchte die hessische Seite einige ihrer Positionen nochmals mit einer neuen Kommission (mit neuen Fragen, Zeugen und einer erneuten Inaugenscheinnahme) zu verdeutlichen.³²⁰ Da in diesem Fall keine Originalakten des Reichskammergerichts mehr überliefert sind, kann nur mit den zerstreuten Parteiakten der beiden Parteien (Hessen und Nassau-Weilburg) gearbeitet werden. Die Parallelüberlieferung zeigt eine vertrackte Lage mit unterschiedlichen Streitigkeiten.³²¹ So sind die nassauisch-hessischen Streitigkeiten über die Erbhuldigung durch die Untertanen im gemeinen Land³²² als auch die Irrungen um den fuldischen Mark³²³ wohl jeweils als separate Konflikte zu sehen. Karte I ist im Rahmen eines Konfliktes zwischen der hessischen Stadt Gießen und dem nassauischen Amt Gleiberg entstanden. Bevor eine inhaltliche Analyse erfolgen kann, muss zunächst die Überlieferungssituation näher erläutert werden. Das Artikulieren von Positionen war nicht nur am Reichskammergericht, sondern auch in anderen Konflikt- und Gerichtssituationen Usus geworden, z. B. HHStA Wiesbaden, Bestand 166/ 167, Nr. 2634. HHStA Wiesbaden, Bestand 166/167, Nr. 2634, f. 6v–7r. HStA Darmstadt, Bestand E 13, Nr. 2624, f. 2r. HStA Darmstadt, Bestand E 1 K Nr. 330/3, f. 4r. Vgl. ebd., f. 4r–5v. Es handelt sich hier um eine Abschrift, die nicht näher datiert wird. Die Irritationen und Streitigkeiten zwischen Hessen und Nassau-Weilburg traten nicht nur zwischen Gießen und Gleiberg hervor, sondern fanden an verschiedenen Orten statt. Problematisch ist, dass die Schriftstücke zu diesen unterschiedlichen Auseinandersetzungen teilweise zusammen in die gleichen Akten gelegt worden sind. Hierzu HStA Marburg, Bestand 171, Nr. 2481; HHStA Wiesbaden, Bestand 166/167, Nr. 1003; HStA Marburg, Bestand 3, Nr. 2342. HStA Marburg, Bestand 3, Nr. 2344.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
Die Karte war früher, zusammen mit einer weiteren Kartenskizze, in einem Dossier des Statthalters an der Lahn überliefert, welches in knappen Sätzen die wichtigsten Ereignisse und Aussagen des Prozesses zusammenfasst.³²⁴ Später wurde die Karte der Akte entnommen, aktuell werden beide separat aufbewahrt.³²⁵ Die Notizen zu diesem Streit stammen von 1561; die Vermutung liegt nahe, dass auch die Karte in diesem Jahr entstanden ist. Die Beziehung zwischen Karte und Akte ist vielschichtig und erfordert die Einbeziehung von weiteren Akten, um alle konkreten bildlichen und textuellen Hinweise verstehen zu können. Die oben beschriebene Akte ist offensichtlich durch die Berichterstattung eines hessischen Schreibers oder Amtmanns entstanden. Die Unterlagen enthalten zunächst einen Bericht eines nicht namentlich genannten Schreibers über die Auseinandersetzungen zwischen Gießen und Gleiberg sowie eine hessische Besichtigung vor Ort.³²⁶ Am 22. August 1561, so berichtet der Anonymus, war er frühmorgens mit dem Gießener Bürgermeister und Rat für die Inaugenscheinnahme in der Streitsache zwischen der hessischen Stadt Gießen und dem nassauischen Amt Gleiberg vor Ort.³²⁷ Sein Rundgang habe den „Abrieß unnd Contrafactur“ bestätigt, der hierzu offenbar schon vorher gemalt worden war.³²⁸ Die Tatsache, dass im gleichen Dossier auch Karte I enthalten war, macht es wahrscheinlich, dass damit diese Raumdarstellung gemeint war, was bedeutet, dass I bereits vor August 1561 entstanden ist. Nach Einschätzung des Schreibers könnten die Konflikte „auff zusamen schickung beyderseits Rethe“ beglichen werden, weil es um einen vergleichsweise kleinen Raum gehe, von welchem die Grenze nach Darstellung der beiden Parteien abweicht.³²⁹ Die nächsten Folien beinhalten die zusammengefassten Ereignisse und Argumente³³⁰ sowie die aus Sicht des Berichterstatters wichtigsten Zeugenaussagen, die einen Tag später, am 23. August, stattfanden.³³¹ Darauf folgen wenige nahezu leere Notizblätter und eine Skizze, welche den regionalen Raum um den Gleiberger Wald umfasst.³³² Ursprünglich
HStA Marburg, Bestand 3, Nr. 2345. Die Skizze bildet den Raum zwischen Marburg, Weipoltshausen und Königsberg ab und scheint in Zusammenhang mit einem anderen Grenzkonflikt entstanden zu sein. HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 18393. HStA Marburg, Bestand 3, Nr. 2345, f. 1r–5v. Ebd., f. 1r. Ebd. Ebd. Ebd., f. 1v–5v. Ebd., f. 5v–8v. Die Kartenskizze nimmt eine Doppelseite ein: ebd., f. 11v–12r. Sie dürfte in Zusammenhang mit weiteren Skizzen stehen, die auf den Gleiberger Wald zentriert sind: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 11067 (2 Blätter). Der Gleiberger Wald lag zwischen Fellingshausen und Salzböden,
3.5 Eine Kartenskizze zur Prozessvorbereitung
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schloss das Dossier mit Karte I, diese Raumdarstellung ist aber heutzutage, wie oben erwähnt, unter einer eigenen Signatur im Kartenbestand eingeordnet. Auch wenn die Karte durch spätere textuelle Eintragungen einen größeren Raumbezug hat, zeigte sie ursprünglich nur das relativ kleine Gebiet zwischen Gießen, Gleiberg und Krofdorf. Die in der schmalen Akte genannte Besichtigung und Zeugenverhöre lassen zwar eine Kommission vermuten, doch dieser Eindruck täuscht. Aus weiteren Quellen geht hervor, dass es sich hier um die hessische Vorbereitung des Prozesses handelte. Denn in einem 1562 verfassten Schreiben an den kaiserlichen Kammerrichter wird eine Kommission vom 26. August 1561 erwähnt.³³³ Diese RKGKommission fand also nur wenige Tage nach der hessischen Berichterstattung mit Besichtigungstermin und Zeugenverhören statt, was auch den Umstand erklärt, warum der hessische Berichterstatter sich nur mit der Gießener Seite traf.³³⁴ Da die Überlieferung sehr fragmentarisch ist und sich weitere Aspekte zu dem Fall in den verschiedenen Unterlagen finden, lässt sich mehr Klarheit nur durch eine Gegenüberstellung verschiedener Akten und Karten erlangen.³³⁵ Auch wenn die enge Beziehung zwischen Akte und Karte in diesem Fall bereits aufgrund der Überlieferung vorhanden zu sein scheint, wäre es dennoch wichtig, auch inhaltlich zu verstehen, was Karte I genau darstellen sollte, mit welchem Ziel die Karte angefertigt wurde und wie diese Raumdarstellung konkret benutzt wurde. Hierzu folgt zunächst eine inhaltliche Rekonstruktion der Streitfragen sowie der
also auf der anderen Seite von Gleiberg. Da der Raumbezug ein ganz anderer ist, sind diese Skizzen nicht näher untersucht worden. Der Brief ist als Entwurf enthalten und daher nicht näher datiert: HStA Darmstadt, Bestand E 1 K, Nr. 330/3, f. 4r–5r, hier f. 4r. Die Kommission bestand aus Kilian Elern, Philipp Kelsch und Hieronymus Glauberger (wohl Hieronymus von Glauburg). Leider liegt keine weitere Akte mit dem Protokoll des Treffens vor. Treffen von RKG-Kommissionen fanden immer, auch wenn die gegnerische Seite die Kommission in Auftrag gegeben hatte, unter Beteiligung der beiden Parteien statt. Vgl. Baumann, Beweiskommission und Augenscheinkarten, S. 89 – 91. Hierzu wird teilweise auf Akten zurückgegriffen, die in den Jahren vor und nach 1561 entstanden sind. Aus einem Vergleich verschiedener Akten ergibt sich, dass sich die Argumentationslinien, die sich in den artikulierten Positionen finden, inhaltlich nicht entscheidend verändern. Allerdings werden einige Positionen offenbar stärker oder anders betont, wie nachher deutlich wird. Auch wurden mehrere Kartenskizzen in die Betrachtung mit einbezogen, die aber meistens einen anderen Raumbezug kannten, wie bereits in Anm. 324 geklärt wurde. Lediglich eine Kartenskizze scheint sowohl den abgebildeten Raum als auch die hessische Argumentation mit Aufschriften zu kartieren: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 662. Da es sich hier allerdings um eine starkbeschädigte Skizze von unklarer Provenienz handelt, konnte die Raumdarstellung nicht mit in die Untersuchung aufgenommen werden.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
(früheren) Argumentationslinien der beiden Parteien, welche wiederum direkt mit der Karte verbunden werden können. In den Akten zu diesem Gerichtsprozess lassen sich hauptsächlich zwei Streitpunkte ausmachen. Der eine hatte mit dem sogenannten Gemeinen Land und der beanspruchten Gerichtsbarkeit (symbolisiert durch Galgen und Schöffenstuhl) zu tun, der andere Konflikt betraf vorrangig die genaue Grenze zwischen Gleiberg und Gießen. Bevor eine Analyse der Karte in Bezug auf die schriftlichen Argumentationen erfolgen und das Verhältnis zwischen Text und Bild für diesen Fall näher bezeichnet werden kann, werden auf Grundlage der Akten zunächst die Positionen und Argumentationslinien der beiden Parteien geschildert. Laut der hessischen schriftlichen Darstellung sei der von Gleiberg durchgeführte Gang falsch,³³⁶ denn die Gießener „Anwandung“ gehe bis zu dem alten Birnbaum (in den Quellen: „Bi(e)rbaum“) und dem alten Apfelbaumstumpf.³³⁷ Auch hätten die Gleiberger ohne Wissen der Gießener einen Grenzstein gesetzt.³³⁸ Die Gleiberger Seite hingegen versuchte mit Eigentumsansprüchen zu argumentieren. Der Gleiberger Besitz fange beim Gleibach hinter der Aue an und laufe bis zur Straße von Krofdorf.³³⁹ Zudem sah Gleiberg auch ein Stück Land mit der Bezeichnung „elf Morgen“ als zugehörig an. An dieser Stelle sei auch die gewaltsame Pfändung von Gießen durchgeführt worden.³⁴⁰ Die Gießener Seite behauptete hingegen, dass, auch wenn der Graf von Nassau die elf Morgen besitze, dieses Grundstück im Schutz und Bann von Gießen gelegen sei.³⁴¹ Daher sei die Pfändung vor acht oder neun Jahren rechtmäßig geschehen.³⁴² Das zweite Konfliktfeld, die Ansprüche auf die Gerichtsbarkeit, hing eng mit dem ersten Thema zusammen. Das sogenannte gemeine Land an der Lahn war ein Kondominium, das nach mehreren Teilungen im 12. Jahrhundert aus der alten Amtsgrafschaft Gleiberg entstanden war und im 16. Jahrhundert von den Sukzessionskondominien Nassau-Weilburg und Hessen gemeinsam verwaltet wurde. Es handelte sich hierbei um die Dörfer und Gerichte Heuchelheim, Krofdorf und Wißmar. Der Hauptteil dieses Kondominiums wurde schließlich 1585 zwischen
HStA Darmstadt, Bestand E 13, Nr. 2624, f. 7r. Ebd., f. 4r–5v; HStA Darmstadt, E 1 K, Nr. 330/3, f. 7r–7v. Ebd., 7r. HHStA Wiesbaden, Bestand 166/167, Nr. 2634, f. 2r. Ebd., f. 4r. HStA Darmstadt, E 13, Nr. 2624, f. 4v: „Item war (…) wiewol gedachte Elff Morgenn nuhmer wolermeltem Graven zustendig, das doch die ohn alle mittel, Im Schutz unnd Bann unnd also in der veltmarck dero von giessen gelegen sein.“ Ebd., f. 6r–6v.
3.5 Eine Kartenskizze zur Prozessvorbereitung
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Nassau-Weilburg und Hessen aufgeteilt.³⁴³ Nun gab es, so macht dieser Fall deutlich, in den Jahren vorher bereits häufiger Konflikte um den gemeinsam verwalteten Besitz.³⁴⁴ Laut den verzeichneten Artikeln stellte sich die Gießener (hessische) Seite 1559 auf den Standpunkt, dass sowohl der Schöffenstuhl zwischen Gleiberg und Krofdorf als auch der Galgen, den die Gleiberger aufgestellt hatten, im Gemeinen Land stehe und damit nicht rechtens sei. Mit dem aufgestellten Galgen sei ein großer Nachteil für die Gießener entstanden, da dies zu „mercklicher verkleinerung“ ihrer „gerechtigkeit“ geführt habe.³⁴⁵ Die Gießener Beamten hätten sich bei dem hessischen Landgrafen beklagt und von ihm sogar die Erlaubnis bekommen, den Galgen niederzuhauen, dies aber aufgrund von Krankheit oder Faulheit unterlassen.³⁴⁶ Zudem hätten Hessen und Nassau zusammen zu Gericht gesessen.³⁴⁷ Dieser Punkt wurde 1562 nochmals mit Nachdruck artikuliert: Hessen und Nassau hätten gemeinsam Übeltäter an der Stelle gerichtet und gehängt,³⁴⁸ was für die gemeinsame Verwaltung spreche. Die Gleiberger (nassauische) Seite hingegen betonte, dass der Weidenberg dem nassauischen Grafen zustehe und der Ort, wo der Galgen stehe, auch nur im Besitz der Grafen von Nassau sei.³⁴⁹ Der Galgen stehe seit über fünfzig Jahren an der Stelle, sei regelmäßig von Nassau ohne Klagen der Gegenseite zur Hinrichtung benutzt worden, und so konnte, als der alte Galgen vor 19 Jahren umfiel, auch ohne Protest von hessischer Seite ein neuer Galgen gebaut werden.³⁵⁰
So wurden unter anderem Heuchelheim, Rodheim und Fellingshausen hessisch und Orte wie Kinzenbach, Launsbach und Salzböden nassauisch. Hierzu: HHStA Wiesbaden, Bestand 166/ 167, Nr. U 73. In den Wochen vorher waren bereits Vereinbarungen zu einigen anderen Konfliktfeldern und Streitigkeiten getroffen worden: Vgl. HHStA Wiesbaden, Bestand 166/167, Nr. U 70; HHStA Wiesbaden, Bestand 166/167, Nr. U 72; HHStA Wiesbaden, Bestand 150, Nr. U 376. Eine zweite Teilung, in der die letzten Reste des Kondominiums verteilt wurden, fand 1703 statt. Zu den Hintergründen: Alexander Jendorff: Condominium. Typen, Funktionsweisen und Entwicklungspotentiale von Herrschaftsgemeinschaften in Alteuropa anhand hessischer und thüringischer Beispiele (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, Bd. 72). Marburg 2010, bes. S. 129 f., S. 145 – 153. Auch hierzu gibt es zahlreiche Parallelakten, die – soweit zutreffend – hier auch herangezogen worden sind. HStA Darmstadt, Bestand E 13, Nr. 2624, zit. f. 9r. Ebd. Ebd., f. 7v–8r. HStA Darmstadt, Bestand E 1 K, Nr. 330/3, f. 11r. HHStA Wiesbaden, Bestand 166/167, Nr. 2634, f. 7v–11r. Ebd., f. 11r–11v.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
Im Licht dieser Argumentationslinien lässt sich die überlieferte Karte I besser verstehen. Beide Konfliktfelder sind auf der Karte verortet und mit Aufschriften textuell näher erläutert. So sind die Besitz- und Grenzstreitigkeiten, die aus der Akte hervorgehen, auch auf der Karte verzeichnet. Auf der Karte wird dazu sowohl mit visuellen als auch mit textuellen Elementen gearbeitet. Die horizontalen Striche und die Aufschriften unter der Burg Gleiberg deuten verschiedene Grenzen an: Die obere dunkle horizontale Linie kreuzt den „birbaum uf der awandt“ und den „appelbaum stump de ald awandt“.³⁵¹ Der untere Strich hingegen, bezeichnet als „de new gwandt“, läuft an dem zweiten Baumstumpf vorbei, welcher schriftlich als neuer Grenzstein dargestellt wird, den die Gleiberger ohne Wissen der Gießener gesetzt haben sollen.³⁵² Hinzu kommt, dass unter Burg Gleiburg eine Notiz zu lesen ist, die das Land bis hinter Gleiberg als „gemeines Land“ bezeichnet. Dieser Punkt zeigt, dass Bild und Text die Situation so darstellen, dass sie genau in den Rahmen der hessischen bzw. Gießener Argumentation passt. Auch eine weitere Aufschrift, die genau zwischen den beiden Grenzmarkierungen platziert worden ist, übernimmt im Endeffekt die hessische Sichtweise, indem sie die gekennzeichnete Stelle als die elf Morgen Land bezeichnet, welche die Gießener unter ihrem Schutz hätten, die aber die Gleiberger als ihr Eigentum ansähen. Diese Bemerkung mutet vielleicht zunächst als eine neutrale Äußerung an, fügt sich aber nahezu wortwörtlich in die hessische Position ein. Auch in dem Streitfall zum „Gemeinen Land“ und den dazugehörigen Ansprüchen auf Gerichtsbarkeit wird die enge Beziehung zwischen den Argumentationen in den Akten und der Raumdarstellung deutlich. Die umstrittenen Rechtsansprüche sind bildlich festgehalten, indem zwei Galgen und ein Gerichtsstuhl auf der Karte eingezeichnet sind. Weiteren Aufschluss geben die Aufschriften, welche die gezeichneten Kartenelemente mit einer Deutung versehen. So ist bei dem linken Galgen notiert, dass dieses Gericht im gemeinen Land steht. Beim rechten Galgen („anstig galgen“) besagt die Aufschrift hingegen, dass der Graf den Galgen gebaut habe. Der Stuhl in Krofdorf wird sowohl visuell als auch textuell als Stuhl des Gerichtes zwischen Krofdorf und Gleiberg verortet. Offenbar fungierte die Kartierung zu einem späteren Zeitpunkt nochmals als Vorlage für die hessische Verwaltung, denn auf der Karte sind mehrere nachträglich eingefügte Aufschriften und schematisch dargestellte Gebäude zu sehen, welche wohl zur Darstellung verschiedener Ortschaften dienten, die dem „Gemeinen Land“ zugehörten. Die Tatsache, dass sowohl die neu eingefügten Siedlungen als auch der Bereich über den beiden Galgen mit der Notiz „Gemein Landt“
HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 18393. Ebd.
3.6 Ein Konflikt zwischen Hessen-Kassel und Braunschweig-Lüneburg-Calenberg
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versehen wurden, bringt diesen Überarbeitungsschritt in Verbindung mit den Vorbereitungen für die Aufteilung des Kondominiums zwischen Nassau-Weilburg und Hessen, welche schließlich im Jahr 1585 erfolgte.³⁵³ Insgesamt zeigt die Untersuchung von Karte I und dem unterschiedlichen Aktenmaterial, dass das Verhältnis zwischen Text und Bild sehr eng war. Rein bildlich gesprochen scheint die Karte eine neutrale Übersicht der in den Akten ausführlich genannten Konflikte zu geben. Erst nach Analyse der Parteiakten wird aber deutlich, dass die Aufschriften genau zu der Argumentationslinie der Gießener Seite passen. Dieser Befund stimmt mit der Überlieferungssituation überein. Der nicht näher genannte hessische Schreiber bereitete das Treffen mit der Kommission vor, indem er vor Ort eine Besichtigung vornahm, mit den Gießener Zeugen sprach und die bereits vorher angefertigte Karte I vor Ort überprüfte. Die Raumdarstellung sollte die unterschiedlichen Argumentationslinien und Grenzvorstellungen verdeutlichen und gleichzeitig die hessischen Ansprüche untermauern. Der Ansatz des Anonymus, auf eine Einigung mit Gleiberg zu zielen, scheint allerdings, so macht die Kommission von 1562 deutlich, nicht gelungen zu sein.
3.6 Ein Konflikt zwischen Hessen-Kassel und Braunschweig-Lüneburg-Calenberg im Werder Holz (1559 – 1610) Auch an der heutigen Landesgrenze zwischen Hessen und Niedersachsen, etwa 20 km westlich von Göttingen, gab es im 16. Jahrhundert Auseinandersetzungen. Im Zuge der Streitigkeiten zwischen der Landgrafschaft Hessen(‐Kassel) und dem Herzogtum Braunschweig-Lüneburg-Calenberg sind nicht nur jede Menge Akten, sondern auch einige Karten entstanden, deren Verhältnis zueinander im Folgenden nachgegangen wird. Die Konflikte zwischen Hessen bzw. Hessen-Kassel und Braunschweig-Lüneburg-Calenberg im Werder Holz nahmen, nach einigen Unstimmigkeiten über die Schweinemast 1549,³⁵⁴ im Sommer 1559 ihren Lauf.³⁵⁵ Einige Braunschweiger Jäger seien, so schreibt der hessische Amtmann Heinrich Hesse zu Trendelburg, am 14. Juli 1559 im Werder Holz hinter einem Hirsch her
Zu dieser Teilung: Jendorff, Condominium, S. 152. Siehe hierzu NLA Hannover, Cal. Br. 1, Nr. 1325. In der folgenden lokalhistorischen Studie werden die Streitigkeiten auch erwähnt, jedoch ohne Kenntnis der Karte oder der hessischen Akten: Klaus Kunze: Fürstenhagen im Bramwald. Quellen und Darstellungen zur Ortsgeschichte. Uslar 1997, S. 54 f.
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gewesen, der dann aber durch die Weser geschwommen sei. Die Jäger seien ihm gefolgt und standen danach mit ihren Hunden und Schützen auf hessischem Grund und Boden.³⁵⁶ Hessen reagierte sofort, und so entwickelte sich ein kontroverser Briefwechsel, der bald darauf durch weitere Handlungen in eine Klage am Reichskammergericht mündete.³⁵⁷ Als nämlich eine Woche später, am 22. Juli 1559, eine hessische Wehrhecke von etwa 400 bis 500 Männern niedergerissen wurde, reichte die Landgrafschaft Hessen am Reichskammergericht eine Klage wegen Landfriedensbruch gegen Braunschweig-Lüneburg-Calenberg³⁵⁸ ein. Wie die hessischen Räte ihrem Fürsten nahelegten, sei es sinnvoller, ein Mandat sine clausula beim Reichskammergericht zu erwirken, als die Wehrhecke wieder aufzustellen und das Risiko einzugehen, dass die Hecke erneut von den Braunschweigern zerschlagen werde.³⁵⁹ Auch der Ratschlag, zuerst vor Ort genaue Erkundigungen einzuholen,³⁶⁰ wurde in die Tat umgesetzt: In der Akte befindet sich auch ein von Dr. Jost Didamar zusammengestelltes Dossier mit Erkundigungen und Berichten in der Gegend.³⁶¹ Trotz dieser Vorbereitung und des schnell ergatterten Mandats³⁶² wurde eine neu errichtete Wehrhecke tatsächlich am 1. Dezember 1559 wieder von den Braunschweiger Amtleuten vernichtet,³⁶³ woraufhin die hessische Seite sich mit der Bitte um ein Mandat zur restitution an das Reichskammergericht wandte.³⁶⁴
HStA Marburg, Bestand 3, Nr. 1665, f. 3r–4v. Der Brief ist datiert auf 16. Juli 1559. Ebd., f. 5r sowie besonders ab f. 6r. Nicht nur Herzog Erich II. von Braunschweig-Lüneburg, Landesherr von Calenberg-Göttingen, wurde angeklagt, auch gegen die beteiligten Beamten wurde Klage eingereicht. Es handelte sich um die Amtsleute Valentin Muffels zu Uslar, Hermann Wolffs zu Moorigen und Johann Kannengießer Nienover, Jägermeister Jacob Fisters, die Waldförster Hans Dornwell am Bramwald, Valentin Zufall zu Uslar und Hans Jäger im Solling und den Dransfelder Schultheißen Bastian Baumann. So ein Brief vom 13. August 1559, in: HStA Marburg, Bestand 3, Nr. 1665, f. 58r–60r, bes. f. 59r– 59v. Ebd., f. 58v–59r. Didamar führte unter anderem eine Inaugenscheinnahme durch und sprach im Vorfeld mit Zeugen, um die Klage am Reichskammergericht vorzubereiten. Vgl. ebd., f. 135r–158r. Das Mandat wurde Mitte August von den Räten und dem Landgrafen besprochen, vorbereitet und bereits am 30. August 1559 vom Reichskammergericht bewilligt. Vgl. NLA Hannover, Cal. Br., Nr. 1324/2, f. 6r–10v. HStA Marburg, 3, Nr. 1665, f. 170r. Die Braunschweiger Seite fertigte kurz zuvor, am 30. November, einen Brief an, in dem sie sich über die neue hessische „stackit“ am Schepberge beschwerte (ebd., f. 172r–174r). Der Ort, an dem die Wehrhecke stand, sei „in possessione vel quasi der iagt, wiltfahens unnd schiessens, holtzung, hude unnd drifft“ und stehe damit dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg zu (ebd., f. 172r).
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Aus der anfänglichen kleinen lokalen Streitigkeit anlässlich einer Hirschjagd war also wenige Monate später ein langwieriger Prozess über den konkreten Grenzverlauf und die Ausübung des Jagd- und Weiderechts im Werder Holz entstanden, der bis 1610 vor dem Reichskammergericht verfolgt wurde.³⁶⁵ Bevor die Entstehung und Nutzung der Karte erläutert werden kann, ist zunächst ein kurzer Blick auf die Überlieferung zu werfen. Die hessische Sachakte, die unmittelbar mit Karte J zusammenhängt, stammt aus der Verwaltung des Landgrafen, möglicherweise aus den Händen des Kammersekretärs.³⁶⁶ Sie hält, mehr oder weniger in chronologischer Reihenfolge, die Korrespondenz bezüglich der Streitigkeiten im Werder Holz mit dem Herzogtum Braunschweig in den Jahren 1559 bis 1560 fest, indem die ankommenden Briefe im Original und die ausgehende (hessische) Korrespondenz als Briefkonzepte und -kopien eingebunden wurden. Wohl auch mit dem Schreiben verschickt worden ist Didamars Dossier mit den lokalen Erkundigungen und Verhören der ersten Zeugen,³⁶⁷ das darüber hinaus auch zwei sehr grobe Grenzskizzen enthält.³⁶⁸ Zudem war direkt am Anfang der hessischen Akte die Karte J eingeheftet, welche sich heutzutage unter einer eigenen Signatur befindet.³⁶⁹
Verschiedene Konzepte der Supplikationen im letzten Teil der Akte: HStA Marburg, 3, Nr. 1665, f. 177r–200v. In einem Schreiben vom 22. April 1560 schreibt der Landgraf über seine Befürchtung, der Herzog von Braunschweig-Lüneburg könne versuchen, sich „solche restitution zuentfliehen“. Ebd., f. 201r. Wie bei vielen anderen Reichskammergerichtsprozessen auch scheint es hier kein Ende im Sinne eines Endurteils gegeben zu haben. Die Vermerke im Spezialprotokoll brechen nach mehreren Unterbrechungen 1610 ab. HStA Marburg, Bestand 3, Nr. 1665. Didamar führte eine Inaugenscheinnahme sowie erste Zeugengespräche durch. Vgl. HStA Marburg, Bestand 3, Nr. 1665, f. 135r–158r. Dies hatten die hessischen Räte im Vorfeld auch so empfohlen: ebd., f. 58v–59r. Ebd., f. 160r u. 163r. Die Bezeichnung „Abriß“ (f. 160v) ist fast schon übertrieben, denn das Blatt Papier besteht aus einem einzelnen Tintenstrich, welcher grob zwischen „uff hessischen bodden“ und Herzog Erich (von Braunschweig-Lüneburg) trennt. Gemeint ist der Teil der Grenze bei Fürstenhagen und Heisebeck, wo auch heutzutage noch die Landesgrenzen zwischen Niedersachsen und Hessen in dem gleichen Zickzackmuster verlaufen. Der Abriss wird im begleitenden Brief schon angekündigt: „So hab Ich einen abriß, wie die Werder Holtzer deßgleichen auch die Wehrheckhen gelegen gemacht und denselbigen den bemelten beiden Rentschreijbern und Vogt zugeschickt“, ebd., f. 135r. Der Begriff „Abriß“ ist hier wegweisend, denn dieser wird sowohl in Didamars Schreiben als auch auf dem Blatt mit dem Riss verwendet. Die Frage, ob Jost Didamar stattdessen Karte J gemeint hatte, kann mit Sicherheit verneint werden. Didamar schreibt in seinem Begleitschreiben, er habe das Gebiet zwischen Lippoldsberg und Heisebeck nicht gezeichnet, da es hier keine strittigen Areale gebe. Dieses Gebiet ist jedoch auf der Karte eingezeichnet, auf dem Riss nicht. Vgl. ebd., f. 135v. HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 21418.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
Wie Karte J entstanden ist, lässt sich nicht konkret nachvollziehen. Zwar ist bei einem Protokoll zur Kommission 1577 in der Braunschweiger Parteiakte die Rede davon, „den Augenschein (…) ein zu nemen unnd durch einen Maler abreissen oder abmalen zulaßen“,³⁷⁰ aber in den Akten ist weder der Name des Malers noch ein Malereid überliefert. Damit sind alle Möglichkeiten offen: Ob es sich hier um J oder um eine andere Karte handelt, ist ohne genauen Aktenbezug nicht auszumachen. Ebenso wäre möglich, dass es sich hierbei um eine bloße Ankündigung handelt, welche nur die Option einer Visualisierung andeutet. Jedoch bleibt auch in diesem Fall die Frage offen, wann und zu welchem Zweck Karte J angefertigt worden ist. Die Akten des Reichskammergerichts sind nicht im Original überliefert, nur die jeweiligen Parteiakten bieten, trotz der wirren Anordnung, einige Hinweise.³⁷¹ Zudem konnte eine weitere Karte des gleichen Gebiets von Jost Moers mit dem Fall in Verbindung gebracht werden.³⁷² Um analysieren zu können, welche Funktion(en) Karte J im Prozess erfüllen sollte, wird im Folgenden zuerst auf die verschiedenen Argumentationsstrategien der Parteien eingegangen, um diese dann mit zwei Kartierungen in Verbindung zu bringen. Die hessische Seite führte an, dass sie alle Nutzungs- und Herrschaftsrechte in den Wäldern des Werder Holz inne habe und daher eine Wehrhecke gebaut habe.³⁷³ Offenbar gab es bereits mehrere Hecken und Hage, die einerseits funktional der Viehhaltung und Jagd, andererseits auch der abgrenzenden Markierung dienten. Um die hessische Grenz- und Herrschaftsdurchsetzung plausibel zu machen, versuchte die hessische Seite diese mit Beispielen zu belegen. So beschrieb Hessen den Fall, dass der hessische Förster Jörg Rothen jemanden (Kurz von Bodenfelde genannt) dabei ertappt habe, wie er einen Eichenbaum auf der hessischen Seite des alten „knick“ abholzte. Als sich etwa 20 Jahre zuvor der Braunschweiger Jäger Brosius auf die hessische Seite gewagt und dort eine Wildhecke errichtet habe, hätten die hessischen Beamten die Hecke sofort niedergeschlagen.³⁷⁴ Jedoch seien neuerdings, am 22. Juli 1559, die Braunschweiger Beamten, insgesamt etwa 400 bis 500 Mann, in das hessische Territorium gezogen, hätten die hessische Wehrhecke zerschlagen und damit den kaiserlichen Landfrieden verletzt.³⁷⁵
NLA Hannover, Cal. Br. 1, Nr. 1324/4 (unfol.). Neben der hessischen Parteiakte (HStA Marburg, Bestand 3, Nr. 1665) liegen sieben Braunschweiger Parteiakten im NLA Hannover vor, abgelegt unter der Signatur: Cal. Br. 1, Nr. 1324/2 bis 1324/6, sowie Cal. Br. 1, Nr. 1325. HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 9798. Siehe auch unten, Abb. 3. NLA Hannover, Cal. Br. 1, Nr. 1324/2, f. 45r–46r. Ebd., f. 48v. Ebd., f. 49r–50r.
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Die Argumente der gegnerischen Seite fielen erwartungsgemäß anders aus. Ausgangspunkt der Braunschweig-Lüneburger Seite war das Schloss Bramburg, welches bereits im späten Mittelalter durch die Herren von Stockhausen verwaltet wurde. Das Dorf Fürstenhagen sei zwischenzeitlich an das Kloster Bursfelde „verunderpfendet“ gewesen,³⁷⁶ was die Sache sicherlich komplizierter gemacht hatte. In dieser Zeit hätten Förster aus Gieselwerder ständig versucht, bis Fürstenhagen vorzudringen und Holz zu holen.³⁷⁷ Mit genauen Beschreibungen der jeweiligen Grenzverläufe behauptete die Braunschweig-Lüneburger Seite, dass die Jagd auch „uber unnd ausserhalb obarticulirter greintz“ berechtigt sei.³⁷⁸ Auch sei den Untertanen ein Holzrecht am Hang des Schepberges gestattet.³⁷⁹ Die hessische Schweinemast in dem Gebiet sei Braunschweig ein Dorn im Auge, sodass Braunschweig hier schon öfters eingegriffen habe.³⁸⁰ Die Wehrhecke („stackit“) der hessischen Seite konnte nicht so stehen bleiben, denn diese stehe auf Braunschweiger Grund und Boden.³⁸¹ Auch wenn die Entstehungssituation von J unklar bleiben muss, zeigt die Analyse von Text und Bild, wie diese Visualisierung im Licht der Prozessargumentationen zu verstehen ist. Karte J ist eine geostete Kartenzeichnung in schwarzer Tinte und stellt das Gebiet zwischen Verliehausen, Bursfelde und Bodenfelde dar. Die detailreiche Karte zeigt verschiedene Wald- und Flussgebiete östlich der Weser. Im unteren Kartenbild verläuft der Fluss Weser zwischen Bodenfelde und Bursfelde; von hier aus sind die verschiedenen kleineren Ströme und Bachläufe verzweigt dargestellt. Erst bei näherem Hinsehen fällt auf, dass vier Bäume, die im oberen Drittel der Karte an einer gestrichelten Linie stehen, nachträglich vergrößert und akzentuiert worden sind. Aufschriften wie „umbgeworfen Stein“, „Streitig“ und „braunswig gang“ stellen die Kartenentstehung eindeutig in den Kontext eines Umgangs. Es sind eine durchgehende gestrichelte Linie zu sehen, welche Braunschweiger Gang genannt wird, sowie fünf Bereiche, die als „streitig“ bezeichnet werden. Auch ist der Stockhausener Wald mit einer gestrichelten Linie von dem Waldgebiet um Fürstenhagen abgetrennt. Auf den ersten Blick wird die hessische Grenzlinie nicht deutlich, jedoch wird auch diese, wenn auch ohne Aufschrift, bei den strittigen Flächen als gestrichelte Linie dargestellt. Die Karte bietet also eine Übersicht über die Grenzlinie sowie die konkreten Grenzvorstellungen beider Parteien. Es handelt sich insgesamt um kleinere
Ebd., f. 89r. Ebd., f. 89v. Ebd., f. 90r–91r, zit. f. 91r. Ebd., f. 93r. Ebd., f. 95v–96r. Ebd., f. 93v–94v, 96v–97r.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
Areale, wo die Grenzverläufe nicht einheitlich sind; die Vorstellungen vom Grenzverlauf scheinen sich jedoch größtenteils zu decken. Einige Unterschiede zwischen Karte J und den artikulierten Positionen in den Prozessakten gibt es allerdings auch: So wurde die Frage nach grenzüberschreitenden Rechten und Befugnissen nicht in die Karte visualisiert: BraunschweigLüneburg beanspruchte das Jagd- und Holzrecht auch über die artikulierte Grenze hinweg. Auch zeigt die Karte im Lichtenberg, nördlich von Heisebeck, ein weiteres strittiges Stück Land entlang von einem Hag („der alte Knick“) und führt die Grenzdarstellung mit Steinen und gestrichelten Linien in diesem Bereich weiter. Beide Punkte werden nicht spezifisch in den Artikeln erwähnt,³⁸² jedoch wurde dieser Bereich durch Dr. Didamar im Zuge seiner Prozessvorbereitungen für die hessische Seite ins Spiel gebracht. So berichtet er im Herbst 1559 über den neuen „knick“, den Braunschweig am Lichtenberg gemacht habe.³⁸³ Diese Überlegung legt, zusammen mit der Tatsache, dass die Karte früher in die Akte eingebunden war, die Vermutung nahe, dass es sich um eine bildliche Darstellung aus hessischer Hand handelt. Karte J visualisiert und verortet also die verschiedenen Grenzvorstellungen und strittigen Gebiete zwischen Hessen und Braunschweig. Vermutlich sollte die Karte nicht als Beweisstück, sondern vielmehr zur internen Prozessvorbereitung dienen: Raumdarstellung J könnte als visualisierte Zusammenfassung der Akte fungiert haben. Eine weitere Karte (datiert um 1570) von Jost Moers³⁸⁴ und damit wohl auch aus hessischer Hand zeigt, dass sich die Konfliktlinie in der späteren Phase des Prozesses auf den Bereich um Fürstenhagen herum konzentrierte. Diese Karte (Abb. 3) kartiert das Gebiet zwischen Lippoldsberg, Offensen und Bursfelde. Sie zeigt mehrere rote Linien entlang einiger in Grüntönen dargestellter Waldflächen. Einige Areale sind mit Zahlen versehen, was auf lokale Vermessungen hindeutet. Viele der Bereiche, die in Karte J noch als umstritten galten, bekommen jedoch in Moers’ Karte nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit. So werden Gebietsteile wie der alte und neue Knick bei Lichtenberg und der beiderseitige Anspruch auf das Waldgebiet „die Lange Leide“ auf Moers’ Karte zwar mit Linien und Arealgrößen
In den artikulierten Behauptungen wird zwar vom „alte knick“ gesprochen, womit aber – den Angaben aus dem Text folgend – nicht die Hecke im Lichtenberg, sondern vielmehr die westlich von Fürstenhagen gemeint ist. Die spätere Karte von Jost Moers (HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 9798) führt diese Bezeichnung an zwei Stellen auf: sowohl bei Lichtenberg als auch bei Fürstenhagen. Siehe auch unten, Abb. 3. HStA Marburg, Bestand 3, Nr. 1665, f. 135v. Die Ergebnisse seiner Befragung von den wichtigsten Zeugen schickt Didamar zudem auch mit: ebd., f. 138r–147v. Vgl. HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 9798.
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angegeben, aber sie erfahren weder kartographischen Nachdruck noch eine textuelle Erklärung. Diese Stellen werden erst durch Heranziehung der artikulierten Positionen der beiden Parteien deutlich. So beanspruchte Braunschweig-Lüneburg das Waldgebiet „der langen Leide“ bis zum Haselborn für sich, während Hessen auf die Grenze „an dem Scheideborn“ bestand.³⁸⁵ Die Stelle westlich von Fürstenhagen allerdings wird bei Moers nachdrücklich als hessische Grenze (obere Linie) und Braunschweiger Zug (untere Linie) dargestellt. Es handelt sich hier um eine abweichende Grenzvorstellung, die etwa 230 Meter breit ist und über eine Länge von etwa 2,5 km führt.
Abb. 3: Die Karte von Jost Moers kartiert das Gebiet zwischen Lippoldsberg, Oppenhausen und Bursfelde. (HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 9798.)
Beide Karten zeigen, auch wenn sie wahrscheinlich beide im Auftrag der hessischen Landesherrschaft angefertigt worden sind, vorrangig die unterschiedlichen Gebietsansprüche der hessischen und Braunschweig-Lüneburgischen Herrschaft.
NLA Hannover, Cal. Br. 1, Nr. 1324/2, f. 48v. Dieser Punkt wird bereits von Dr. Didamar im Herbst 1559 als „Nota“ nach seiner Zeugenbefragung als wichtiges Ergebnis dargestellt, vgl. HStA Marburg, Bestand 3, Nr. 1665, f. 138v.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
Ziel der Kartierungen war offenbar eine klare Übersicht über die Grenzvorstellungen beider Seiten. Womöglich konnte später ein Ausgleich durch Gebietstausch geschaffen werden, die vermessenen Areale deuten zumindest auf die Vorbereitung einer solchen Verhandlung hin.³⁸⁶ Da auch die heutige Landesgrenze zwischen Hessen und Niedersachsen genau die gleiche Form hat, scheint sich über die Jahrhunderte wenig geändert zu haben.
3.7 Eine umgeänderte Augenscheinkarte. Grenzstreitigkeiten um den Spitzenberg zwischen Nassau-Weilburg und den Häusern Hessen und Solms (1559 – 1589) Im Konflikt zwischen Nassau-Weilburg einerseits und Hessen und Solms andererseits handelte es sich um Grenzstreitigkeiten am Spitzenberg, die vorrangig die Ausübung von Wald- und Jagdrechten betrafen. Einige Monate nach einem bewaffneten Überfall im September 1559 reichte die Grafschaft Nassau-Weilburg Klage beim Reichskammergericht ein. Im Laufe des Prozesses wurde die strittige Situation in Vogelperspektive visualisiert: Karte M stellt den Spitzenberg (heute Königstuhl genannt) mit den umliegenden Wäldern zwischen Burg Gleiberg und Burg Königsberg im heutigen Biebertal dar. Der Titel auf der Rückseite bezeugt, dass die Karte 1562 im Rahmen des Prozesses zwischen Nassau-Weilburg (Kläger) und Hessen und Solms (Beklagte) entstanden ist. Sie bildet eine „Abcontrafactur“ des strittigen Spitzenbergs und zeigt dabei eine alte zerschlagene und eine neue Wildhecke.³⁸⁷ Die Falt- und Klebespuren, welche auf eine unmittelbare Anbindung an die Akten schließen lassen, sind auf der Karte noch sichtbar. Zudem lassen sich diesem Prozess jede Menge ungeordnete Parteiakten zuordnen. Der Großteil davon ist heute in zehn Teilen für die Periode 1544– 1589 überliefert.³⁸⁸ Diese Akten sind aus hessischer Provenienz und liegen chronologisch nur sehr grob geordnet vor. Sie enthalten Korrespondenz, Entwürfe und bestimmte Kopien von Prozessdokumenten. Die Überlieferung ist dennoch dürftig, denn jegliche Angaben über die Karte und ihre Entstehung fehlen. Zudem ist das Spezialpro-
Die Akten bezeugen, dass die Streitigkeiten im Werder Holz, wie auch in anderen Gebieten, zwischen der Landgrafschaft Hessen und dem Herzogtum Braunschweig noch jahrelang fortdauerten. Siehe u. a. HStA Marburg, Bestand 4 f Staaten B, Braunschweig-Wolfenbüttel, Nr. 321– 324, 417 und 433. HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 1005. HStA Darmstadt, Bestand E 1/ K, Nr. 329/1 bis 329/10.
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tokoll nicht mehr in seiner Gesamtheit, sondern zerstreut überliefert,³⁸⁹ sodass über den konkreten Ablauf des Gerichtsprozesses wenig ausgesagt werden kann. Auch nach Durchsicht der Gegenüberlieferung, die insgesamt noch unvollständiger ist,³⁹⁰ lassen sich nur einige Eckdaten sowie die wichtigsten Positionen der Prozessparteien ausmachen. Somit fehlen konkrete Hinweise auf die Entstehung der Karte sowie die mögliche Kartennutzung im Laufe des Prozesses. Das Verhältnis zwischen Karte und Akten kann dennoch durch einen Abgleich der Argumentationsstrategien der Prozessparteien mit der Kartendarstellung bestimmt werden. Aus der Korrespondenz aus den 1540er Jahren wird deutlich, dass es bereits im Vorfeld Streitigkeiten um den Weidegang zwischen den Solmser Untertanen in Waldgirmes und den nassauischen Leuten von Dorlar und Atzbach gegeben hatte.³⁹¹ Als direkter Anlass zur Klage vor dem Reichskammergericht sah Nassau allerdings einen Überfall durch etwa 100 bewaffnete Männer im September 1559 an, die mit Gewalt auf dem Spitzenberg einfielen und die nassauische Wildhecke dort zerschlugen. Die Kläger stellten fest, dass das Waldgebiet zwischen dem Atzbacher Wald und der Landstraße zwischen Wetzlar und Marburg nassauisch sei, und listeten auf, wie dort der gemeinsame Umgang, zuletzt im Jahr 1544, immer bis an die Landstraße verlief. Die nassauischen Grafen hätten dazu auf dem Spitzenberg und in den umliegenden Waldgebieten das Jagdrecht inne und hätten dieses Recht auch immer ungestört ausüben können; ihre Wildhecke habe dort über 30 Jahre unbeeinträchtigt gestanden.³⁹² Allerdings argumentierten auch die Beklagten mit (beanspruchten) Herrschafts- und Nutzungsrechten im Waldgebiet um den Spitzenberg. Den Leuten aus dem Solmser Dorf Waldgirmes (Hessen) sei es, so die Beklagten, seit Menschengedenken erlaubt gewesen, Bauholz aus den Spitzenberger Wäldern zu holen und ihr Vieh dort weiden zu lassen. Zudem hätten Hessen und Solms sowohl das hohe als das niedere Jagdrecht inne. Aufgrund eines Umgangs, der etwa 40 Jahre zurückliege, habe man den Spitzenberg in der Zuständigkeit der hessischen und Solmser Fürsten und deren Amtleute gesehen. Das von Nassau beanspruchte Jagdrecht akzeptierten die Beklagten nicht: Nassau habe eine Wildhecke gebaut, um neue Fakten zu schaffen und ein neues Recht, was sie davor nie besessen hätten, einzuführen. Das Jagdrecht besaßen Hessen und Solms dort allerdings schon und hätten es auch ohne Beeinträchtigung ausüben können. So sei es schon vor etwa 40 Jahren zu einer Niederschlagung einer nassauischen Wildhecke
Hierzu besonders HStA Darmstadt, Bestand E 1 / K, Nr. 329/3. Hierzu u. a. HHStA Wiesbaden, Bestand 166/167, Nr. 1039 (Zehrungszettel) und Nr. 2556. HStA Darmstadt, Bestand E 1/ K, Nr. 329/1. HStA Darmstadt, Bestand E 1/ K, Nr. 329/4 (unfol.).
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gekommen, welche zu gütlichen, jedoch erfolglosen Verhandlungen geführt habe. Zudem argumentierten die Beklagten, dass die Wildhecke nicht am Spitzenberg, sondern an einem Gehölz, „Strudt“ genannt, gebaut worden sei. Zwar sei für dieses Dickicht Philipp von Buseck zuständig, aber auch hier hätten die Beklagten das hohe und niedere Jagdrecht.³⁹³ Dass die Beklagten mit dieser Darstellung durchaus ein hohes Risiko eingingen, wird aus dem hessischen Aktenmaterial deutlich. Graf Reinhard von Solms äußerte bereits im Januar 1562 intern seine Bedenken gegenüber dieser Argumentationslinie. Denn wenn es Nassau gelingen würde, zu beweisen, dass der Spitzenberg nassauisch sei, dann bedeutete das auch, dass die „Turbation“ und Zerstörung der Wildhecke ungerecht erfolgt wären. Damit noch nicht genug; Graf Reinhard meinte zudem, dass die Grenze unter dem Spitzenberg liege, nämlich unterm Roten Strauch, sodass eine andere Hand mit schwarzer Tinte in der Parteiakte zu dieser Stelle kommentierte: „Spitzenberg sol Nassawisch sein“.³⁹⁴ Warum die Beklagten ihre Prozessstrategie dennoch nicht änderten, lässt sich aus der Akte nicht herauslesen. Womöglich erachtete man die Prozessvorbereitung durch die beklagten Beamten als gründlich und überzeugend genug. Bereits am 24. März 1560, kurz nach der Anklage, hatten sich der hessische Rentmeister von Königsberg, Baptista Weiffenbach, und der Kellerer zu Solms, Johann Fischer, bei den hessischen und Solmser Untertanen erkundigt. In Beisein der anderen Amtsknechte verhörten sie die potentiellen Zeugen und schrieben aufgrund dieser Aussagen anschließend einen Bericht über die genauen Grenzen des Spitzenbergs. Auch dieses Schreiben ist zusammen mit einer groben Skizze mit Besitzangaben überliefert.³⁹⁵ Genauso wie die Akten in mehreren Phasen entstanden sind, weist in diesem Fall auch die Karte verschiedene Bearbeitungen auf. Um das Verhältnis zwischen Karte und Akten näher bestimmen zu können, müssen zunächst die drei verschiedenen Bearbeitungsschritte, die auf Karte M bei näherer Betrachtung er-
Ebd. Seit dem 12. Jahrhundert hatten die Fürsten und Herren nach und nach das Wildbannrecht bekommen können. Mit der Territorialisierung und dem Ausbau der Landesherrschaft beanspruchten die Landesherren des 16. Jahrhunderts mehr und mehr das alleinige Jagdrecht für sich, was zu Konflikten führte. Es entstand ein Unterschied zwischen höherem und niederem Jagdrecht. Diese Unterscheidung war regional unterschiedlich und wurde anhand von Tierarten festgemacht. Vgl. Gerard Kohl: Art. „Jagd- und Fischereirechte“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. II, Berlin 2021 (Online-Ressource), Sp. 1341– 1348. Spezifisch in Verbindung zu Wald und Augenscheinkarten: Anette Baumann: Visualisierung des Waldes als Rechtsraum. Augenscheinkarten des Reichskammergerichts im 16. Jahrhundert (unveröff. Manuskript). HStA Darmstadt, E 1 K, Nr. 329/3 (unfol.). HStA Darmstadt, E 1/ K, Nr. 329/3 (unfol.).
3.7 Eine umgeänderte Augenscheinkarte
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kennbar sind, näher erläutert werden. Unklar muss weiterhin bleiben, wer wann für welche Handlung verantwortlich gewesen ist. Zunächst wurde die Karte gemalt, wobei der uns unbekannte Maler bei jedem Waldgebiet jeweils ein kleines Stück für die Aufschriften leergelassen hatte. Danach hat der Maler selbst oder jemand anders diese Leerstellen mit schwarzer Tinte beschriftet, woraufhin in einem dritten Schritt eine weitere unbekannte Person mit brauner Tinte noch ergänzende Texte hinzugefügt hat. Da in den Akten immer wieder die Rede von ortsspezifischen Namen für bestimmte Waldgebiete ist, wird die Baum- und Waldgestaltung im Folgenden kurz erläutert. Anschließend werden die Akten mit den drei Bearbeitungsschritten, die in der Karte zu sehen sind, in Verbindung gebracht. Karte M zeigt eine große Diversität an Baumtypen und Baumfarben. Durch die Darstellung verschiedener Baumtypen sowie Grüntöne in jeweils durch Wege getrennten Gebietsteilen vermittelt der Maler dem Betrachter den Eindruck einer Aufteilung. Zentral auf der Karte ist der „Spitzenbergk“, mit Laubbäumen in Farngrün. Dieses Grün kommt sonst auf der Karte nicht vor, wodurch sich dieser Bereich visuell stark vom Rest abhebt. Die Bäume sind zwar individuell gezeichnet, wirken aber einheitlich, weil jeder Baum im gleichen Stil gehalten ist.³⁹⁶ Dahingegen werden im „Herings waltt“ (rechts auf der Karte) ganz andere Bäume mit schmalen Baumstämmen in einem sattgrünen Farbton dargestellt. Eine weitere Ausnahme macht ein kleines Gebiet mit der Aufschrift „Schadewaltt“. Hier finden sich, in Dunkelgrün gemalt, leicht vom oben beschriebenen Baumtyp abgewandelte Laubbäume. Um die Waldgebiete herum befinden sich weitere Gebiete mit kleinerem Gehölz sowie einzelne Laubbäume. Sie sind durch Aufschriften als Sträucher und Gehölze gekennzeichnet („Rodt strauch“, „Rodheimer Erbstreuch“, „ein gestreuch“ und „Vogt streuch“). Oben im Kartenbild sind nur noch die Baumstämme (ohne Baumkrone) zu sehen, welche den „Alzbecher Waldt“ darstellen sollen. Die Karte wurde in einem zweiten Bearbeitungsschritt, erkennbar an der schwarzen Tinte, mit den oben erwähnten Namen der verschiedenen Wald- und Strauchgebiete versehen, wofür der Maler extra Kartuschen eingeplant und leergelassen hatte. Dieser Punkt ist auch in den Akten essentiell, da beide Parteien aufgrund von früheren Urkunden und Ortsbezeichnungen argumentierten. Gleichzeitig wurden die verschiedenen Auffassungen der Grenze, die in der Ar Die Bäume am Spitzenberg sind jeweils mit zwei schwarzen Strichen für einen braunen Baumstamm sowie einer schematische Baumkrone in Grüntonen dargestellt. Kleine horizontale schwarze Striche geben die Zweige sowie die Schattenseiten der Bäume wieder. Das gleiche Baumdesign, jedoch in einem sattgrünen Ton, findet sich im „Monchgelende“, „Erbstrauch“, „Heuchelheimer waltt“ sowie unten im „Bussecks Waltgen“.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
gumentation eine wichtige Rolle spielen, mit schwarzen Linien in der Karte visualisiert und verortet. Die nassauische Seite sah ihr Territorium von der Burg Gleiberg und dem Atzbacher Wald (beide oben im Kartenbild) bis hin zur Marburger Straße ausgestreckt. Der Umgang, der gleichzeitig ihre Grenzvorstellung war, wurde mit einer schwarzen Linie etwas oberhalb der Straße unten im Kartenbild mit den Wörtern „der von Dorlar letzter gang“ visualisiert. Der hessische Besitzanspruch hingegen verlief von Königsberg (unten im Kartenbild) bis hinter den Spitzenberg, kurz vor dem Atzbacher Wald, und wurde mit einer schwarzen Linie mit „Girmser gang“ angedeutet. Das Gebiet zwischen den beiden Linien bildete also das von beiden Seiten beanspruchte Terrain. Später hat eine weitere Person mit brauner Tinte einige Stellen auf der Karte mit weiteren Aufschriften und Informationen versehen und somit die Deutung des Raumes entscheidend geändert. Erst bei einer genauen Analyse der Karte wird deutlich, dass das Kartenbild mit diesen Eingriffen im Sinne der Beklagten verändert wurde. Als visuelle Veränderung ist insbesondere die Heckengestaltung zu erwähnen. Die Karte zeigt, wie auch in den Akten zu lesen ist, eine alte, zerschlagene sowie eine neue Hecke. In den artikulierten Positionen ist zu lesen, dass es etwa vierzig Jahre vor dem Streit eine alte nassauische Hecke gegeben habe, die von der Pfaffenwiese bis hin zum Schadenwald verlaufen sei und von der hessischen und Solmser Seite zerschlagen worden sei.³⁹⁷ Auf der Karte ist sie als Waldweg oder untiefer Graben visualisiert und mit der Aufschrift „die altt heck vor 40 Jaren zerschlagen“ eindeutig identifizierbar wiedergegeben worden. Während Nassau hierüber in ihrer schriftlichen Argumentation ein wenig hinwegging und vage über das verrottende Holz sprach, baute die Seite der Beklagten diesen Punkt stärker aus: Die Amtleute von Königsberg und Solms hätten die Hecke vor 40 Jahren niedergerissen und die nassauische Seite sei damit zufrieden gewesen. Bei der Behandlung der neuen Hecke gingen die Meinungen der Prozessparteien umso stärker auseinander. Während Hessen und Solms sich bei der Zerschlagung der neuen Hecke genauso im Recht sahen wie vorher bei der alten, reichte Nassau offiziell Klage ein, wie oben erörtert. Hierzu wurde die ursprüngliche Visualisierung der Hecke (als gebogene Form) ausradiert und durch eine gerade braune Hecke ersetzt. Auch wurden weitere Informationen hinzugefügt, welche die Darstellung in Einklang mit der hessisch-Solmser Argumentation brachten. Diese stützte sich nicht nur auf das bereits ausgeübte Jagdrecht, sondern auch auf die früheren Eigentumsverhältnisse des Klosters Dorlar. Nach jahrelangen wirtschaftlichen Problemen waren die Besitztümer des mittlerweile zur Propstei umgewandelten
HStA Darmstadt, E 1/ K, Nr. 329/4.
3.8 Die Kartenskizze als visualisiertes Grenzprotokoll
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Konvents 1532 an den Frankfurter Amtmann Johann von Buseck verkauft worden.³⁹⁸ Die in brauner Tinte hinzugefügten Wörter wiederholen genau die in den Akten vermerkten Angaben der Beklagten: Das Mönchsgelände, die „Strudt“ und der Kobeburg gehörten ursprünglich dem Kloster Dorlar und waren mittlerweile in die Hände von Philipp von Buseck gekommen. Die Vermutung, dass Karte M sich zuletzt in der Hand der Beklagten befand, wird durch einen weiteren Hinweis verstärkt. Die Hand in brauner Tinte ordnete einige weitere Waldgebiete den Adelshäusern Solms und Hessen zu, mit den Wörtern „sol uf bede haus gehoren“ oder „uff bede heuser“. Schaut man rückblickend auf die drei kartographischen Bearbeitungsschritte, so wird deutlich, dass die Beklagten eine relativ neutrale Karte nach und nach in eine ‚Parteikarte‘ umgestalteten, die ihrer Argumentationslinie entsprach. Möglicherweise diente der letzte Bearbeitungsschritt vorrangig zur Abstimmung zwischen Hessen und Solms, denn nach diesen kartographischen Eingriffen war, neben den Parteiakten, auch eine übersichtliche Parteikarte entstanden, worin die jeweiligen Besitzansprüche innerhalb der verschiedenen Waldgebiete um den Spitzenberg herum verortet waren. Bei einem langen Prozess wie diesem war es sicherlich hilfreich, eine kompakte Visualisierung der kartierten Herrschaftsansprüche und Absprachen gemeinsam mit dem Prozesspartner zur Verfügung zu haben. Erst in den 1580er Jahren kam es zu vertraglich festgelegten Grenzen zwischen Nassau und den beiden Häusern Hessen und Solms.³⁹⁹
3.8 Die Kartenskizze als visualisiertes Grenzprotokoll. Eine gemeinsame Inspektion zur lokalen Konfliktlösung zwischen Bernsburg und Ruhlkirchen (1563 – 1571) Karte P ist eine recht einfach gezeichnete Skizze, bestehend aus drei losen Blättern.⁴⁰⁰ Zusammengesetzt bietet sie eine grobe Übersicht über die Gegend um
Dorlar, Lahn-Dill-Kreis“, in: Historisches Ortslexikon (Stand: 26.11. 2019); Albert Hardt: Das Kloster Rommersdorf (bei Neuwied) und dessen Tochterklöster Altenberg (bei Wetzlar), Dollar (bei Wetzlar), Mariaroth (bei Waldesch), Retters (bei Königstein), Steinbach (bei Puderbach), Wülfersberg (bei NeuwiedGladbach). Wiesbaden 1998, S. 183 f. So konnte am 15. Juni 1587 ein Vergleich zwischen Landgraf Ludwig von Hessen und Graf Eberhard von Solms-Münzenberg einerseits und Graf Albrecht von Nassau-Saarbrücken andererseits über die Grenze im Spitzenberg zwischen Dollar und Waldgirmes geschlossen werden.Vgl. HHStA Wiesbaden, Bestand 166/167, Nr. U 685. HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 2523.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
Alsfeld, Arnshain und Ruhlkirchen, etwa 35 km östlich von Marburg. Die Kartenskizze entstand vermutlich 1571 bei einer Inaugenscheinnahme im Rahmen einer (versuchten?) Einigung. Sie zeigt Bäume, Mühlen und sonstige Erkennungspunkte entlang verschiedener Linien (Begehungen) und Wege.⁴⁰¹ Ursprünglich waren die drei Kartenblätter zusammen mit einem ungeordneten Dossier mit hessischer Amtskorrespondenz⁴⁰² und einer Akte mit Grenzbeschreibungen von 1571⁴⁰³ eingebunden. Mittlerweile ist die alte Archivsignatur⁴⁰⁴ in verschiedene Archivalien mit eigenen Signaturen aufgeteilt. Wie die frühere Zusammenstellung bereits vermuten lässt, sind diese drei Signaturen inhaltlich eng miteinander verbunden. Sie beschreiben die vielen kleineren und größeren Konflikte und Streitigkeiten zwischen dem hessischen Bernsburg und dem mainzischen Ruhlkirchen in der Zeit zwischen 1563 und 1571.⁴⁰⁵ Ähnlich wie bei Karte A ist auch hier die Rede von Holzrechten und undeutlichen Grenzverläufen. Aus der überlieferten Korrespondenz wird deutlich, dass immer wieder Treffen und gemeinsame Besichtigungen vor Ort zur Konfliktlösung geplant wurden, diese aber nicht immer mit Erfolg gekrönt waren.⁴⁰⁶ Was Text und Bild betrifft, zeigen die Grenzbeschreibungen eine enge Verbundenheit mit der Kartenskizze. Die zwei Grenzbeschreibungen entstanden Anfang April 1571 anhand eines gemeinsamen Umgangs.⁴⁰⁷ Zuerst wird eine Mainzer, dann eine hessische Grenzbeschreibung aufgeführt. Vermutlich ist dabei auch die Kartenskizze P entstanden, denn sowohl der hessische als auch der Mainzer Umgang sind als rotbraune Linien eingezeichnet worden. Während die obere Linie, auf der Karte angedeutet als Mainzer Gang, nicht alle textuellen Zwischenstationen visualisiert, deckt sich die untere Linie (der hessische Umgang) ziemlich genau mit der schriftlichen Grenzbeschreibung. Sie führt vom Entenschnabel (ganz links) über die Mühle bis zu den verschiedenen textuell genau beschriebenen Bäumen und Brunnen bis zu den blauen Pfützen am rechten Kartenrand. Hingegen sind bestimmte Orte, die in der Mainzer Grenzbeschreibung eine wichtige Rolle einnehmen, wie der Lochbaum oder der „Dauben Acker“, nicht in die Karte aufgenom-
Gewisse Ähnlichkeiten gibt es mit den Grenzdarstellungen zwischen dem Herzogtum Westfalen und der Grafschaft Nassau-Siegen, welche Elisabeth Kisker erforscht hat: Kisker, Territoriale Abgrenzung. HStA Darmstadt, Bestand E 13, Nr. 1599. HStA Darmstadt, Bestand E 13, Nr. 1590. HStA Darmstadt, Bestand E 13, Nr. 25/9. Beispielsweise: HStA Marburg, Bestand 3, Nr. 2113, f. 18r–18v. Die beiden Skizzen sind eingeheftet zwischen zwei Briefen des Marburger Statthalters vom 4. bzw. 5. Juni 1561. HStA Darmstadt, Bestand E 13, Nr. 1599 (unfol.). HStA Darmstadt, Bestand E 13, Nr. 1590.
3.9 Eine Karte als „Szenenbild“
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men worden.⁴⁰⁸ Was das Eigentum der Wiesen betrifft, finden sich große Übereinstimmungen sowohl in den Texten auf der Karte als auch in den jeweiligen Grenzbeschreibungen. Offenbar stimmten beide Seiten überein, dass die Wiesen, die in etwa zwischen den beiden Linien liegen, größtenteils als Mainzer Eigentum festzuhalten seien. Der Umstand, dass die untere Linie für den hessischen Umgang viel stärker mit Zwischenstationen ausgeschmückt ist als die Linie für die Mainzer Begehung, lässt bereits eine hessische Kartierung vermuten, und die Überlieferung in einer hessischen Akte spricht klar dafür. Insgesamt scheint es sich bei P um eine visualisierte Grenzbeschreibung zu handeln, die zwar auf hessischer Seite entstanden ist, aber auch Klarheit über die Mainzer Grenzvorstellung geben will.
3.9 Eine Karte als „Szenenbild“. Konflikte um Herrschaftsund Nutzungsrechte bei Hof Riedern zwischen Hanau-Münzenberg und Frankfurt (1570 – 1600) In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gab es an verschiedenen Stellen in der Nähe der Frankfurter Landwehr Konflikte zwischen der Reichsstadt und umliegenden Territorialherren. Gerade im Frankfurter Umland prallten die territorialen Ansprüche zwischen verschiedenen Nutzungs- und Hoheitsrechten aufeinander.⁴⁰⁹ Das im Folgenden vorgestellte Beispiel verdeutlicht nicht nur diese Problematik, sondern kann aufgrund der guten Überlieferung auch aufzeigen, wie sehr Text und Bild manchmal miteinander verzahnt waren.⁴¹⁰ Die Streitigkeiten um den Riederer Hof mündeten 1570 in eine Klage vor dem Reichskammergericht, welche in zahlreichen Parteiakten festgehalten wurde. Die hanauischen Akten
Ebd. So häuften sich die Konflikte zwischen der Reichsstadt Frankfurt und ihren umliegenden territorialen Nachbarn, etwa Kurmainz, die Landgrafschaft Hessen sowie die Grafschaften von Hanau-Münzenberg, von Isenburg und von Solms. Eine erste Übersicht der RKG-Akten bietet das Findbuch zum Frankfurter Inventar: Inge Kaltwasser (Bearb.), Inventar der Akten des Reichskammergerichts 1495 – 1806, Frankfurter Bestand. Frankfurt a. M. 2000. Die vielen Parteiakten fallen jedoch meistens heraus und müssen in den hessischen Staatsarchiven sowie im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte gesucht werden. Nach 1600 finden sich hierzu keine Einträge mehr in den Akten. Ab 1675 sind allerdings wieder Klagen am Reichskammergericht eingereicht worden, zu neuerlichen Konflikten im gleichen Gebiet. Hierbei griff Frankfurt auch wieder auf den alten Fall 1570 – 1600 zurück: HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/152; HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/184; HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/205 – 208.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
sowie die Karte sind bereits in der Forschung bekannt,⁴¹¹ die Frankfurter Seite allerdings offenbar noch nicht.⁴¹² Da die Frankfurter Parteiakten auch Protokolle über das Zusammentreffen der Kommission sowie über die Inaugenscheinnahme enthalten, spielen diese eine essentielle Rolle in der Text-Bild-Analyse. 1575 traf sich eine Kommission unter Leitung von Johannes Beusler⁴¹³ und hat auf Vorschlag von Hanau-Münzenberg den Maler Melchior Appel mit der Anfertigung der hier vorliegenden Augenscheinkarte Q beauftragt.⁴¹⁴ Karte Q ist nordwestlich ausgerichtet und zeigt die Gegend nordöstlich von Frankfurt und Sachsenhausen. Auf der Karte sind diese Orte links unten mit einigen charakteristischen Gebäuden abgebildet. Unten ist der Main zwischen Sachsenhausen und Fechenheim (ganz rechts) zu sehen, wodurch das Kartenbild eingerahmt wird. Die zentrale Mitte wird durch Äcker, Felder und Waldgebiete gebildet, während im oberen Drittel der Karte die Hügel bei Bornheim und Seckbach zu sehen sind. Die Frankfurter Landwehr, die unten beim Main anfängt, am Riederer Hof vorbeizieht und dann im oberen Viertel der Karte den „Erlengraben“ kreuzt, bildet die dominante Linie im Kartenbild. Das Hauptaugenmerk der Darstellung liegt offensichtlich auf dem zentralen Gebiet zwischen dem Main, der Landwehr und dem Erlengraben. In diesem Bereich sind verschiedene nummerierte und beschriftete Szenerien zu sehen, die für das noch zu erläuternde Text-Bild-Verhältnis essentiell sind. Darüber hinaus wird innerhalb des kartierten Gebietes auch die Ausrichtung der Landschaftselemente an zwei Stellen gedreht, wodurch der Betrachter buchstäblich eine andere Perspektive einnehmen kann.⁴¹⁵ Um das Areal zwischen Frankfurt, Sachsenhausen und dem Hof Riedern gut sehen zu können, muss der Betrachter die Karte nach rechts drehen. Genau andersherum ist ein sehr kleiner Teil bei Nr. 12 ausgerichtet, sodass der Betrachter eine Drehung nach links vornehmen muss. Damit das Verhältnis zwischen Karte und Akten und den visuellen und textuellen Bezügen analysiert werden kann, werden zunächst die Argumentationsstrategien der beiden Parteien näher erläutert. Frankfurts Argumentation basierte auf der Rechtssituation des Riederer Hofes. Zwischen 1486 und 1492 waren verschiedene Güter dieses Hofes an das (schon
Die Karte wurde bereits 1988 zusammen mit einem Zeugenverhör aus einer hanauischen Akte in einer Ausstellung gezeigt. Vgl. Wolff/Engel (Hrsg.), Hessen im Bild, S. 16 f. Die einzelnen Streitigkeiten und Prozessschritte werden erwähnt in: HStA Marburg, Bestand 81, D 1/105 – 107. Die Karte unter: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 14867. IfS Frankfurt, 1.6.6., Mgb A 52, Nr. 1.416. HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/107, f. 151r–152v. IfS Frankfurt, Mgb A 52, Nr. 1.416, Teil IV, f. 52v–54v. Mehr zu diesem Prinzip in Kap. 2.1.3.
3.9 Eine Karte als „Szenenbild“
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vorher kommunalisierte) Heilig-Geist-Spital gekommen. So hob die Reichsstadt direkt am Anfang hervor, dass das Hospital unter die Zuständigkeit des Frankfurter Rates falle⁴¹⁶ und der Hof daher im Frankfurter Distrikt und Territorium liege.⁴¹⁷ Das Spital hatte bereits 1499 eine Steinsetzung zwischen Riedern und Fechenheim unternommen, sodass die Spitalgüter von der hanauischen Obrigkeit getrennt und deutlich erkennbar gewesen seien.⁴¹⁸ Aufgrund dieser Gegebenheit, so argumentierte Frankfurt, habe Hanau-Münzenberg sich in diesem Gebiet nicht einmischen dürfen. Die Stadt Frankfurt beklagte sich über zwei hanauische Übergriffe auf städtisches Territorium: Am 13. Oktober 1569 hätten hanauische Beamte den Frankfurter Hintersassen Peter Jost auf städtischem Gebiet aufgegriffen und später hingerichtet.⁴¹⁹ Hiergegen hatte der Frankfurter Rat, zusammen mit Josts Witwe Elsa, bereits am 29. Oktober protestiert.⁴²⁰ Darüber hinaus soll Hanau-Münzenberg am 5. Juli 1570 auch den Spitalhofmann Johann Appt ohne rechtmäßige Grundlage aufgegriffen haben.⁴²¹ Appt kam anschließend nach einem Gelübde und einer Bürgschaft von 10 Gulden frei. Da Frankfurt wahrscheinlich befürchtete, dass dies durchaus als Anerkennung der hanauischen Obrigkeit verstanden werden könnte, verboten ihm die Frankfurter Ratsherren, der hanauischen Vorladung vom 7. Juli Folge zu leisten. Stattdessen legte die Reichsstadt Klage ein und, wie sie den Artikeln hinzufügte, dann habe es Hanau auch dabei belassen.⁴²² Die Grafschaft Hanau-Münzenberg stellte die Verhältnisse und Geschehnisse in diesem Raum erwartungsgemäß ganz anders dar. Hanau-Münzenberg nahm die Position ein, dass die Güter des Riederer Hofes nur zum Teil in der Frankfurter Obrigkeit und Jurisdiktion lägen. Ein anderer Teil, nämlich vom Schlag beim Hof IfS Frankfurt, Mgb A 52, Nr. 1.416, Teil III (unfol.). Hanau-Münzenberg glaubte diesen Punkt auch, siehe HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/107, f. 119v. IfS Frankfurt, Mgb A 52, Nr. 1.416, Teil III (unfol.). Dieser Punkt stieß auf Hanauer Seite teilweise auf Protest, wie nachher noch deutlich wird, siehe HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/ 107, f. 119v-120r. IfS Frankfurt, Mgb A 52, Nr. 1.416, Teil III (unfol.). Auch in der hanauischen Parteiakte findet sich sowohl eine Kopie der Urkunde zur Steinsetzung als auch ein Bericht des Schultheißen von Bergen: HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/107, f. 37r–38v und f. 53r–55r. HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/107, f. 119v. Nach der hanauischen Darstellung hatte der Weinbergarbeiter Peter Jost illegal einen Hasen gefangen. Nach einem ausführlichen Verhör habe er auch gestanden, dass er häufiger in der Nähe von Seckbach und Fechenheim Hasen und Vögel gejagt habe. Vgl. ebd., f. 62r–63r. Im Prozess am RKG ging es schlussendlich nicht mehr um den Hasen, sondern vielmehr um die Gerichtsbarkeit des von beiden Seiten beanspruchten Gebietes. Vgl. Timpener, Die Karte als Argument?, S. 201. HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/107, f. 64r. IfS Frankfurt, Mgb A 52, Nr. 1.416, Teil III (unfol.). Ebd.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
Riedern und der Frankfurter Landwehr bis hin nach Fechenheim, Seckbach und Hanau, gehöre zu Hanau-Münzenberg.⁴²³ Diesen Anspruch versuchte HanauMünzenberg mit der Ausübung von Nutzungs- und Herrschaftsrechten zu belegen. Erstens hätten die Grafen von Hanau das Geleitrecht bis in die Stadt Frankfurt hinein und dieses auch so praktiziert. Zweitens habe Hanau seit über 100 Jahren ein „heg und wildtpann“ von der Landwehr bis Seckbach und Fechenheim.⁴²⁴ Mit diesem quasi possessione iuris begründete Hanau-Münzenberg auch die effektive Durchsetzung des eigenen Herrschaftsanspruchs,⁴²⁵ besonders wenn es um eine – aus Hanauer Sicht – Verletzung des Jagdrechts ging. Wie Hanau-Münzenberg anhand von verschiedenen Beispielen ausgiebig auflistete, wurden Frankfurter Bürger und Untertanen, die in diesem Gebiet jagten, durch hanauische Beamten verfolgt und festgenommen. Diese der Wilderei beschuldigten Personen wurden mit Namen und Datum erwähnt, wobei die Fälle teilweise schon 70 Jahre zurücklagen.⁴²⁶ Einen Herrschaftsanspruch äußerte Hanau-Münzenberg auch in anderen Bereichen: Nachdem im Jahr 1566 zwischen Riedern und Fechenheim eine Leiche aufgefunden worden war, hatte der Frankfurter Schultheiß von Bornheim die Leiche an Ort und Stelle vergraben lassen. Daraufhin habe der Oberamtmann von Hanau-Münzenberg den Leichnam wieder ausgraben und in Kirchberg bei Seckbach bestatten lassen.⁴²⁷ Letztlich stellte Hanau-Münzenberg den Fall des Spitalhofmanns Johann Appt so dar, als habe Appt den gewalttätigen Übergriff, den seine Arbeiter an einem jüdischen Mann (Groß Gumprecht genannt) verübt hatten, nicht verhindert. Auch habe Appt die Namen der Übeltäter nicht nennen wollen.⁴²⁸ Groß Gumprecht war ein Hanauischer Hintersasse und Schutzverwandter aus Kesselstadt und hatte offenbar eine massive Körperverletzung einstecken müssen. Da der hanauische Befehlshaber Dr. Hector Emmel zufällig in der Gegend gewesen sei und die Schreie gehört habe, habe er direkt eingegriffen und Appt nach Fechenheim begleitet. Der Spitalhofmann konnte aber, so Hanau-Münzenberg, noch am gleichen Tag nach einer Burgstellung wieder nach Hause gehen.⁴²⁹ Beim Treffen der Kommission im März 1575 stimmte der Kommissar dem hanauischen Vorschlag zu, den vorsorglich mitgebrachten Melchior Appel als
HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/107, f. 123r. Ebd., 123r–124v, zit. f. 124r. Ebd., f. 124v. Z. B. Peter Jost, Heinrich Knobloch, Adam Kraft, Hans Zimmermann und Johann Völckern. HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/107, f. 124v–130r. Ebd., f. 130v–131r. Vgl. ebd., f. 132r–135v. Ebd., f. 135v.
3.9 Eine Karte als „Szenenbild“
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Maler „zu abreissung des aigennthumbß“ heranzuziehen.⁴³⁰ Der Frankfurter Anwalt hatte zunächst wegen möglicher Parteilichkeit dagegen protestiert, es dann aber dabei belassen und somit die Entscheidung in die Hände des Kommissars gelegt. Ein Malereid sollte wohl die letzten Zweifel aus dem Weg räumen, da Appel schwören musste, die Inaugenscheinnahme mit „leiblichenn Sinnen“ durchzuführen und diese nach „warheitt abConterfeienn“.⁴³¹ Somit machte sich die Kommission am 17. März 1575 mit den Anwälten, den Zeugen und dem Maler auf den Weg zur Inspektion des umstrittenen Gebietes.⁴³² In der Frankfurter Parteiakte ist glücklicherweise auch ein Bericht über die Inaugenscheinnahme überliefert.⁴³³ Das Interessante an dieses Protokoll ist, dass es nicht nur die Route der Kommission beinhaltet, sondern auch die Argumente, die zwischen den gegnerischen Anwälten ausgetauscht worden sind, und die nach juristischen Diskussionen zustande gekommenen Hinweise für den Maler auflistet. Die Mitschrift nennt zwölf Stationen, die sich bildlich und textuell als nummerierte Szenen in der Karte wiederfinden. So zeigt Nr. 6 die Stelle, wo die Leiche gefunden worden war, bei Nr. 10 wird an die Gefangennahme von Heinrich Knobloch erinnert und Nr. 11 bildet das hanauische Geleit des herumreisenden Heinrich von Valois als König von Polen ab. Der protokollierte Text ist daher in direkter Verbindung zur Karte zu sehen. Schon die Diskussionen um die erste Station sind exemplarisch für den weiteren Verlauf der Inaugenscheinnahme. Nachdem alle Teilnehmenden von Fechenheim aus an den Main entlang bis zum Anfang der Frankfurter Landwehr gelaufen waren, sammelte sich hier die ganze Gruppe. Laut Protokoll habe der hanauische Anwalt den Kommissar darum gebeten, den Maler dazu anzuhalten, die Frankfurter Landwehr und die Orte besonders deutlich in die Karte mit aufzunehmen.⁴³⁴ Der Frankfurter Anwalt protestierte gegen diesen Vorschlag und überhaupt gegen diese Stelle als Anfang der Inaugenscheinnahme, denn direkt am Main gebe es doch keine Besitzstreitigkeiten. Stattdessen verwies er, konform mit der Frankfurter Argumentation, auf die urkundlich belegte Steinsetzung von 1499, die klarstelle, wie die Ratsobrigkeit der Stadt Frankfurt sich in diesem Gebiet erstrecke.⁴³⁵ Anders als der gegnerische Anwalt drängte er nicht auf die kartographische Darstellung seiner Argumentation (nämlich die Steinsetzung). Der
IfS Frankfurt, Mgb A 52, Nr. 1.416, Teil IV, f. 52v–54v, zit. f. 52v. Frankfurt wies darauf hin, dass Melchior Appel bereits im RKG-Prozess zwischen Mainz und Hanau-Münzenberg als Maler tätig geworden war. Ebd., zit. f. 54v. Ebd., f. 55r–55v. Ebd., f. 55r–71v. Ebd., f. 56r–57r. Ebd., f. 57r–58r.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
hanauische Anwalt hingegen bejahte zwar die Aussage, an der Stelle sei kein Streit, meinte aber, dass sie von hier aus einen guten Weg zur Inaugenscheinnahme hätten.⁴³⁶ Hierdurch wurde dieser Ort zur ersten Station, was sich sowohl im Protokoll als auch auf der Karte bemerkbar macht. So steht im Protokoll „Der erst gang des vorgezeigten Augenscheins ist in des Malers abconterfeiung No. 1 notirtt“.⁴³⁷ Auf der Karte ist dafür eine Gruppe von inspizierenden und reitenden Menschen auf der Karte abgebildet und mit der korrespondierenden Nummer „1. Anfangk eingenomenen augenscheins“ als schriftlicher Hinweis auf das Protokoll in die Raumdarstellung aufgenommen worden. Bei den weiteren Stationen zeigt sich ein ähnliches Bild. Der hanauische Anwalt äußerte nicht nur jedes Mal die hanauische Argumentation an den jeweiligen reellen Ort, sondern bat auch immer wieder um eine kartographische Darstellung jener Ereignisse und Orte, die in seine Argumentation passten. Der Frankfurter Anwalt reagierte hierauf nur mit schwachem Protest und versuchte ansonsten, inhaltlich mit den artikulierten Positionen zu argumentieren. So drängte er darauf, die beurkundete Steinsetzung vorzulesen; seine Bitte, die „absteinung zeigenn zu lassenn“, wird aber von Hanau-Münzenberg mit der Bemerkung abgetan, dass dies doch allgemein bekannt sei, woraufhin der Frankfurter Anwalt es auf sich beruhen ließ.⁴³⁸ Die hanauische Seite scheint hingegen die Möglichkeiten einer Karte sehr bewusst wahrgenommen zu haben und versuchte bereits während der Inaugenscheinnahme, die Kartengestaltung nach und nach aktiv zu beeinflussen. Diese Vorgehensweise hatte darüber hinaus den Vorteil, dass sich Frankfurt nachher nicht über eine etwaige Parteilichkeit der kartographischen Darstellung beschweren konnte. Dieser Umstand wird noch dadurch verstärkt, dass der Frankfurter Anwalt offenbar keine konkreten Bitten für die Karte äußerte. Die Darstellung hätte nämlich ganz anders gewirkt, wenn auch die Frankfurter Steinsetzung, die das Kernargument der Reichsstadt darstellte, in das Gebiet eingezeichnet worden wäre. So zeigt eine spätere Karte die Steinsetzung von Frankfurt, wodurch der Raum eine ganz andere Wirkung entfaltet.⁴³⁹ Wie viel der hanauischen Seite daran gelegen war, eine Karte nach ihrem Argumentationsmuster anfertigen zu lassen, wird aus der überlieferten Korrespondenz deutlich: Knapp zwei Wochen nach der Inaugenscheinnahme schrieb der für Hanau-Münzenberg zuständige Anwalt Andreas Gottwald an den Hanauer Ebd., f. 57v–58r Ebd., f. 56r. Ebd., f. 72r–72v, zit. f. 72r. HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/152, f. 13. Zum Vergleich zwischen den Karten siehe: Timpener, Die Karte als Argument?, S. 206 – 208.
3.10 Das Verhältnis zwischen Karte und Akte. Ein Zwischenfazit
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Kanzleiverwalter Dr. Hector Emmel über den Auftrag zur Erstellung einer Augenscheinkarte. Der Maler habe sich die Gegend mit Hilfe des Schultheißen zu Bergen und den Bewohnern von Seckbach noch einmal angeschaut und werde die Karte jetzt „in gepurende form“ bringen. Da der Maler auch um eine Entlohnung gebeten hatte, werde Gottwald ihm vier oder fünf Taler für seine Arbeit geben wollen.⁴⁴⁰ In einem weiteren Brief vom 1. Juni 1575 schrieb Gottwald, dass er nach Prüfung der fertigen Karte einige Aufschriften geändert und erweitert habe.⁴⁴¹ Für Karte Q konnte mit Hilfe der Parteiakten nicht nur ein sehr enges Verhältnis zwischen den artikulierten Behauptungen, der protokollierten Inaugenscheinnahme und der Visualisierung des umstrittenen Raumes festgestellt, sondern auch die vielfaltigen Versuche der hanauischen Partei nachgewiesen werden, die räumliche Darstellung von der Inspektion bis hin zur Anfertigung in Text und Bild zu beeinflussen. Die Versuche scheinen letztendlich umsonst gewesen zu sein: Die weiteren Prozessschritte zogen sich bis 1600 hin und offenbar kam es nicht zu einem Endurteil, sodass die Richter die artikulierten und visualisierten Herrschaftsansprüche nie zu Gesicht bekommen haben.
3.10 Das Verhältnis zwischen Karte und Akte. Ein Zwischenfazit In der Gesamtbetrachtung der hier untersuchten Karten und Fallstudien fällt auf, wie mannigfaltig die Überlieferung an sich, die Entstehungssituationen, die erhofften Wirkungen und die Verwendungen der Lokal- und Regionalkarten in jedem einzelnen Fall waren. Auch wenn das klar für eine jeweils individuelle Betrachtung spricht, so gilt es hier Bilanz zu ziehen und zu fragen, welche Gemeinsamkeiten und tendenziellen Unterschiede in Text und Bild bemerkbar sind. Insgesamt hat sich gezeigt, dass die zwei verschiedenen Quellengattungen (Karten und Akten) sehr eng miteinander verbunden sind, was sich in den meisten Fällen als ein aktives Miteinander von Text und Bild beschreiben lässt. Darüber hinaus verweisen beide Medien auf die Ebene der sinnlichen Erfahrung: Die gemeinsam durchgeführte Inaugenscheinnahme wurde sowohl in der Akte protokolliert als auch mit einer Karte visualisiert. Aus den Fällen, bei welchen in der Akte Angaben über eine Kartenanfertigung und/oder über einen Malereid zu
HStA Marburg, Bestand 81, Nr. D 1/152, f. 175r. Ebd., f. 179r–179v.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
finden sind, wird deutlich, dass der Maler die Karte anhand von verschiedenen Wahrnehmungen malen sollte.⁴⁴² Die hierdurch entstandene intensive Verbindung zwischen Karte und Akte lässt sich am besten anhand von Karte Q im Prozess zwischen Frankfurt und Hanau-Münzenberg verdeutlichen. Während die Zahlen, Aufschriften und Szenen auf der Karte inhaltlich auf die artikulierten Positionen hindeuteten, wurden im Protokoll der Inaugenscheinnahme bereits die nummerierten Stationen für die Visualisierung festgelegt. Die Kartierungen bildeten also nicht nur den in der Akte beschriebenen Raum ab, sie setzten auch die verbalisierten Ansprüche in Text und Bild um und verwiesen dabei auf die Akten und performativen Handlungen zurück. Die artikulierten Positionen aus der Akte sowie die Erkenntnisse aus der Besichtigung vor Ort wurden somit in eine bebilderte Landschaft voller Erkennungspunkte, Grenzlinien, textuellen Erläuterungen, Symbolen und mittels der Abbildung von performativen Handlungen und früheren Ereignissen visualisiert, welche letztendlich nur für die Aktenkenner zu verstehen sind. Auch wenn die konkrete Entstehungssituation jedes Mal sehr verschieden ist, lässt sich diese doch in einigen allgemeinen Situationen zusammenfassen. Die Kartenskizzen A und P sind beispielsweise während einer Begehung entstanden, wobei hauptsächlich die Grenzverläufe festgehalten wurden. Karte I hingegen ist zur parteiinternen Vorbereitung eines Prozesses zwischen Gleiberg und Gießen entstanden und wurde, kurz bevor die Kommission sich im August 1561 traf, vor Ort in Gießen nochmals von der hessischen Seite überprüft. Die meisten Karten hingegen sind im Rahmen eines Prozesses am Reichskammergericht entstanden. Ihre Entstehung konnte trotzdem sehr unterschiedlich sein. So stellten sich die beiden Karten im Streitfall über Espa (C und D) als später eingereichte Beweisstücke der jeweiligen Parteien heraus, während G und Q die klassischen Fälle darstellten, wo beim Treffen der Kommission eine der beiden Parteien darum bat, die Inaugenscheinnahme durch einen Maler visuell festzuhalten und eine Karte anzufertigen. Aufgrund von unvollständig überlieferten Gerichtsakten ließen sich in einigen Fällen (H, J, M) zwar inhaltlich enge Bezüge zwischen den Karten und den Gerichtsakten feststellen, es konnte aber keine konkrete Kartenentstehung mehr rekonstruiert werden. Auch die Funktion und erhoffte Wirkung der Lokal- und Regionalkarten konnte sehr unterschiedlich sein. In der Gesamtdarstellung lassen sich jedoch einige Kategorien ausmachen, die über die bisherige Zweiteilung hinausgehen.⁴⁴³ (1) So lassen sich Karten auffinden, die zusammen mit der Parteiakte überliefert
Exemplarisch: IfS Frankfurt, Mgb A 52, Nr. 1.416, Teil IV, f. 53r–54v, zit. f. 54v. Vgl. Timpte, Typologische Studien, S. 6 – 8; Recker, Gemalt, S. 38 f.
3.10 Das Verhältnis zwischen Karte und Akte. Ein Zwischenfazit
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sind und logischerweise stark Position beziehen. Die Kartenskizze A sowie die umgeänderte Karte M etwa sind das visuelle Gegenstück zur Parteiakte und können daher ‚Parteikarte‘ oder, um Gerhard Taddeys Zuschreibung aufzugreifen, „Parteiaugenscheine“ genannt werden.⁴⁴⁴ Auch die Raumdarstellung I ist durchaus als Parteikarte zu verstehen, da sie nicht nur die verschiedenen Grenzvorstellungen darstellt, sondern auch Bausteine für die eigene Argumentation visualisiert. (2) Eine zweite Gruppe lässt sich mit Karten bilden, die zwar auch in der Parteiakte überliefert sind, aber die verschiedenen Grenzlinien übersichtlich festhalten wollen. Karten wie J und P geben beide Grenzvorstellungen wieder und sind daher recht nüchtern und ‚neutral‘ gestaltet. (3) Zudem gibt es Karten, die ganz im Sinne des Auftraggebers gemalt worden sind und als Beweisstück eingereicht wurden. Die von der Forschung bereits vermutete Subjektivität ist dort erwartungsgemäß vorhanden: Die Augenscheinkarten C und D liefern jeweils eine visualisierte Version ihrer Argumentation. (4) Als letzte Kategorie sind die Karten zu erwähnen, die zwar in Zusammenhang mit einem Kommissionstreffen beauftragt worden sind, aber im Sinne einer bestimmten Partei gemalt wurden. Das ist insbesondere bei G und Q interessant, da hier offenbar der Malereid, von welchem die Forschung eigentlich Neutralität erwartete,⁴⁴⁵ mit Füßen getreten wurde. In G sehen wir die hanauische Grenzvorstellung sowohl visuell (mit Baumreihen und roter Grenzlinie) als auch schriftlich auf der Karte vertreten, während die Mainzer Darstellung gar nicht auf der Karte vorhanden ist. Sicherlich spielt auch die Tatsache mit, dass es sich hier um eine Hanauer Kommission handelte – noch ein Grund, warum es so schade ist, dass die „Mainzer“ Karte nicht überliefert ist. Ein Vergleich zwischen zwei Augenscheinkarten, die in zwei verschiedenen Kommissionen entstanden sind, wäre in diesem Fall sicherlich lohnend gewesen.⁴⁴⁶ Bei Q hatte Hanau-Münzenberg nicht nur offiziell bei der Inaugenscheinnahme um die Visualisierung der (für Hanau-Münzenberg wichtigen) Ereignisse gebeten, sondern diese Partei hielt auch nach der Besichtigung Kontakt zu dem Maler, bezahlte ihn für seine Arbeit und schaute zu, dass die Aufschriften stimmig waren. Aus den hier untersuchten Karten und Akten wurde auch deutlich, wie man den kartographischen ‚Manipulationen‘ auf die Spur kommen kann. Die Karte muss inhaltlich mit den Behauptungen und Argumentationen beider Parteien
Taddey, Über den Augenschein, S. 398. Vgl. Timpte, Typologische Studien, S. 6 – 8; Recker, Gemalt, S. 38 f.; Recker, Von Trier nach Köln, S. 117; Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 317 f. So gab es in einem sich ab 1578 ziehenden RKG-Prozess zwischen Frankfurt und HanauMünzenberg zwei Kommissionen und zwei Karten. Vgl. Timpener, Die Karte als Argument?, S. 209 – 218.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
abgeglichen werden. So zeigt eine parteiliche Darstellung vorrangig bzw. lediglich die Orte, Grenzen, Ereignisse und sonstige Kartenelemente, die in Übereinstimmung mit den eigenen artikulierten Positionen sind; die wichtigen Punkte des Gegners werden nicht oder kaum kartiert. Die Aufschriften spielen auf nahezu jeder Karte eine maßgebliche Rolle, da sie die geographischen Elemente identifizieren, bestimmte Bereiche der Karte als umstritten beschreiben, Besitz zuweisen und frühere Ereignisse oder Sachverhalte erklären können.⁴⁴⁷ Hier liegt im besonderen Maß das manipulierende Potential von Aufschriften, denn oft stellt sich heraus, dass die Texte die wichtigsten artikulierten Positionen und Grenzvorstellungen aus der Akte wiederholen. Bevor alle parteilichen Eingriffe den Malern in die Schuhe geschoben werden, muss bei jeder Karte gefragt werden, ob der Kartenmacher überhaupt für alle Bearbeitungsschritte verantwortlich ist. Bei Karte Q war schon ersichtlich, dass die hanauische Partei zumindest einen Teil der Beschriftung vornahm.⁴⁴⁸ Eine bildliche und/oder schriftliche Umgestaltung von Lokal- und Regionalkarten kam durchaus öfters vor, wie bereits ausgiebig bei den Karten I und M zu sehen war. Da das Endresultat häufig die Interpretation der Karte beeinflusst, ist eine präzise Untersuchung von der Karte in Text und Bild unerlässlich. So gibt es verschiedene Karten, die durchaus eine ‚neutrale‘ Landschaft aufzeigen, aber in denen die Aufschriften, manchmal erst später hinzugefügt, eine besitzzuweisende Rolle einnehmen. Da nicht mit Sicherheit zu sagen ist, ob der Maler selbst oder vielmehr die Partei die Beschriftungen auf der Karte eingefügt hat, gilt es, hier eine gewisse Vorsicht zu wahren. Beispiele hierfür finden wir bei den Karten H, I und M, die allesamt in die Parteiakten gewandert sind. Eine (ggf. erst nachträgliche) schriftliche Umänderung oder Erweiterung der Karte nach Parteigusto ist daher nicht verwunderlich. Es gibt aber auch Karten, in denen Text und Bild sehr genau zusammenpassen und die Kartierung sowohl textuell als auch visuell sehr stimmig ausfällt. Anders als bei jenen Karten, bei denen nachträglich geändert wurde, muss der Maler von der Konzeptzeichnung an über die Wünsche seines Auftraggebers Bescheid gewusst haben. In Fällen wie C und D, wo die Karten jeweils als Beweisstück eingereicht werden sollten, ist dies nicht überraschend. Bei Q ist die parteiliche Einflussnahme auf die Kartierung relativ subtil und außerdem während der Inaugenscheinnahme offiziell beantragt worden, sodass die Gegenseite wohl kaum im Nachhinein wegen Parteilichkeit hätte klagen können. Auch bei G wird die einseitige Darstellung erst nach Hinzuziehung der Akte deutlich. In
Siehe hierzu Kap. 2.1.2. Hierzu Kap. 3.9.
3.10 Das Verhältnis zwischen Karte und Akte. Ein Zwischenfazit
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diesen beiden Fällen ist die Parteilichkeit, trotz des abgelegten Malereides, dennoch in Text und Bild der Karte vorhanden und damit viel weitreichender als bisher erwartet. Diese Überlegung bringt uns zum abschließenden Punkt, zur Einordnung der Karte innerhalb des Prozesses sowie ihres Wertes als Beweismittel.⁴⁴⁹ Offensichtlich hatten die Parteien durchaus hohe Erwartungen an die Überzeugungskraft der Karte. Sie bildete mit der (schriftlich festgehaltenen) Inaugenscheinnahme und den Zeugenverhören ein Medientrio, das von den Parteien intensiv vorbereitet wurde. Eine Auswertung einiger Parteiakten mit Korrespondenz und Berichterstattung von Amtsleuten und Räten zeigte, wie ausführlich die Gerichtsprozesse vorbereitet wurden. So bezeugen die Fälle zwischen Hessen und Braunschweig-Lüneburg-Calenburg (Kap. 3.6) sowie zwischen Hessen und Nassau-Weilburg (Kap. 3.7), wie die Landgrafschaft Hessen (bzw. später HessenKassel und Hessen-Darmstadt) bereits im Vorfeld Zeugen verhörte und eine eigene Begehung durchführte, damit die artikulierten Positionen bestens mit den Zeugenaussagen übereinstimmen würden. Auch der letzte Fall (Kap. 3.9) zeigt, für wie wichtig die hanauische Seite eine Kartenanfertigung hielt, die genauestens zur eigenen Argumentation passte. Darüber hinaus zeigten die Kartenaufträge bei G, dass der jeweilige Auftraggeber die Karte gleichberechtigt neben den Zeugenprotokollen sah. Auch in der Beweissammlung der Kommission erfuhren die Karten eine ähnliche Behandlung wie die Zeugenprotokolle: Wenn die Kommission mit der Anfertigung einer Karte einverstanden war, malte ein vereidigter Maler eine Karte, die nach Fertigstellung nochmals von dem Kommissar überprüft und versiegelt wurde. Dieser Punkt führt zudem vor Augen, dass es in der Behandlung von Zeugen und Malern bzw. Zeugenprotokollen und Karten gewisse
Welche Stellung die Karte neben anderen Beweismitteln hatte, wurde in der bisherigen Forschung sehr unterschiedlich gesehen. Die ältere Forschung ging mehrheitlich noch von einer nicht näher gekennzeichneten Evidenz aus: Vgl. Brichzin, Augenschein-, Bild- und Streitkarten, S. 188; Hellwig, Tyberiade und Augenschein, S. 824; Schwarzmaier, Kartographie und Gerichtsverfahren, S. 184 f. Die Tatsache, dass der Malereid lange Zeit nicht in den Ordnungen des Reichskammergerichts vorkam, und die Idee, eine gemalte Karte könne doch sicherlich nicht als Beweis gelten, haben jedoch später zu der Einschätzung geführt, es handele sich bei den Augenscheinkarten eher um eine bloße Illustration statt eines Beweises.Vgl. Hans-Joachim Behr:Von der Peutingerschen Tafel zum topographischen Kartenwerk, in: Ders./Franz-Josef Heyen (Hrsg.), Geschichte in Karten. Historische Ansichten aus den Rheinlanden und Westfalen. Düsseldorf 1985, S. 11– 38, hier S. 28; Recker,Von Trier nach Köln, S. 117; zuletzt auch: Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 319. Anette Baumann hingegen geht aufgrund von juristischen Überlegungen des am RKG tätigen Rütger Ruland (1568 – 1630) davon aus, dass die Karte sehr wohl als Beweismittel vor Gericht galt. Vgl. Baumann, Beweiskommission und Augenscheinkarten, bes. S. 83 f.; Baumann, Augenscheinkarten der Vormoderne.
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3 Von der Inaugenscheinnahme zur Karte. Das Verhältnis zwischen Text und Bild
Ähnlichkeiten gab. Beide haben gemeinsam, dass die jeweiligen Medien (Karte, Zeugenrotulus) natürlich nicht deckungsgleich mit dem Original (Landschaft, Zeugen) sind, sie aber beide in ihrer (möglicherweise leicht verzerrten) Form akzeptiert werden, besonders wenn ein Eid vorlag.
4 Die Lokal- und Regionalkarte und die Ordnung des Raumes. Schlussbetrachtung und Ausblick Die vielen handgezeichneten Skizzen, Risse, Pläne und Karten, die in der Frühphase der hessischen Lokal- und Regionalkartographie bis etwa 1575 entstanden sind, lösen auch heute noch Faszination und Erstaunen aus – unter anderen wegen der gefühlten Einblicke in eine längst verloren gegangenen Landschaft. Welche Wirkung diese suggerierte Augenzeugenschaft bei den Zeitgenossen im 16. Jahrhundert ausgelöst haben dürfte, lässt sich nur erraten. Das Medium der Regionalkarte war seit dem späten Mittelalter bekannt und setzte sich im 16. Jahrhundert als relativ neues Medium immer stärker durch. Die lokale oder regionale Kartierung ermöglichte eine neue mediale Ordnung der ‚eigenen‘ Umgebung. Der herrschaftliche Raum konnte nicht nur in Grenzbeschreibungen und Urkunden beschrieben und durch Schlagbäume, Grenzsteine und Begehungen real-sinnlich erfahren, sondern auch in Form einer Karte bildlich dargestellt werden. Die verschiedenen medialen Möglichkeiten schlossen sich gegenseitig nicht aus,⁴⁵⁰ sondern ergänzten sich vielmehr, was am besten anhand der Augenscheinkarte zu sehen ist. Zusammen mit dem protokollierten Vororttermin und den verschriftlichten Zeugenverhören bildete die Augenscheinkarte ein Medientrio. Die Karte war ein aktives Instrument, das erst durch die Einbeziehung der Akten vollständig erschlossen werden kann. Im Folgenden werden die verschiedenen Erkenntnisse zusammengefügt, um dann mit einigen Gedanken zu den Themen Herrschaft, Grenze und Raumordnung abzuschließen.
4.1 Schlussbetrachtung Lokal- und Regionalkarten sind konstruierte Darstellungen eines relativ kleinen geographischen Gebiets, das von oben bzw. von schräg oben visualisiert wird. In dem hier untersuchten Zeitraum zwischen 1500 und 1575 wurden sie hauptsächlich durch Maler, manchmal aber auch durch Laien angefertigt. Da die intendierte Funktion der Karte, die Wünsche und Finanzkraft des Auftraggebers sowie das malerische Können sich stark unterschieden, fällt uns eine enorme Vielfalt an Visualisierungen ins Auge. Diese Diversität wird erst gegen Ende des
Wie auch Andreas Rutz beschreibt, kam die Karte als weiteres Medium hinzu, ohne die bisherigen Medien zu verdrängen. Vgl. Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 352. https://doi.org/10.1515/9783110777598-005
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4 Die Lokal- und Regionalkarte und die Ordnung des Raumes
16. Jahrhunderts etwas homogener, indem sich die Lokal- und Regionalkartographie langsam in Richtung einer kartographischen Zeichensprache mit ‚standardisierten‘ Signaturen und Farben und unter Einfluss von Landvermessungen veränderte. Bei den wenigen namentlich bekannten Malern, die in der Region Hessen solche Lokal- und Regionalkarten anfertigten, zeigen die biographischen Spuren klar nach Frankfurt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war die Reichsstadt zum Treffpunkt für Drucker, Verleger und Künstler geworden, sodass Kartenmacher und Auftraggeber sich dort schnell finden konnten. Innerhalb der breiten Berufsgruppe von Künstlern waren die Maler sowohl zunftintern als auch über Ehe- und Verwandtschaftsbeziehungen miteinander vernetzt, was die Tendenz in Richtung einer standardisierten Zeichensprache sicherlich erklärt. Form und Gestaltung der Karte wurden hauptsächlich durch deren intendierte Funktion bestimmt. Nun lässt sich die jeweilige Zielsetzung der Karte am einfachsten im Zusammenspiel zwischen Akte und Karte herausfinden, aber für Karten ohne gesicherten Aktenzusammenhang muss zuerst eine Analyse der jeweiligen Darstellung und Funktion der verschiedenen Kartenelemente erfolgen. Sie erlaubt zudem einen offenen Blick auf die Darstellungsvielfalt der frühen lokalen und regionalen Karten. Die Untersuchung von 24 Karten zeigt, dass die verschiedenen Kartenelemente mit klaren Zielen auf der Karte verwendet oder auch weggelassen wurden. In der Periode bis etwa 1575 standen Form, Funktion, Farbe und Maltechnik der einzelnen Kartenzeichen für die Regionalkartographie noch nicht fest. So dienten Siedlungen, Straßen und Gewässer in der Regel zur geographischen Verortung, während Bäume neben ihrer Darstellung als Waldgebiet auch als einzigartige Erkennungspunkte oder zur besseren Bildkomposition ins Kartenbild eingezeichnet wurden. Die Verwendung von Text hingegen bot sehr viele Möglichkeiten: Aufschriften, Notizen, aber auch Buchstaben und Zahlen konnten innerhalb der Karte als Verortungshilfe dienen, Besitzverhältnisse aufzeigen, Konfliktgebiete ausweisen, Auseinandersetzungen erklären sowie frühere Ereignisse beschreiben. Die Kartenmacher wählten unterschiedliche Betrachtungsweisen für die verschiedenen Kartenelemente, sodass beispielsweise das Dorf in Ansicht gemalt, während die Straße von oben dargestellt wurde. Anstatt solche Techniken als „kindlich“ oder „primitiv“ abzutun, ist zu fragen, warum diese Art der Darstellung gewählt wurde. Da auch professionelle Maler solche Techniken anwandten, ist davon auszugehen, dass diese Darstellungsart sehr bewusst gewählt wurde und Augenzeugenschaft suggerieren sollte. Manche Maler malten mehrere Horizonte, sodass der Betrachter die Karte drehen musste. Die Tatsache, dass der Kartennutzer die Sache so buchstäblich von mehreren Seiten anschauen konnte, war offenbar wichtiger als ein „reales“ Bild. Auch der Umstand, dass viele Augenscheinkarten den Vorortstermin abbilden sollten, spiegelt sich in der Visualisie-
4.1 Schlussbetrachtung
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rung wider. Damit der Betrachter die Route durch die Landschaft bzw. an den verschiedenen Stationen im Kartenbild entlang sehen konnte, musste der Maler verschiedene Perspektiven integrieren. Das Resultat ist eine Mischung aus Betrachtungsweisen, die für die Zeitgenossen die Möglichkeit bot, die in Zeit und Raum geschilderte Situation von verschiedenen Seiten aus zu betrachten und die Inaugenscheinnahme quasi mitzuerleben. Viele dieser Visualisierungen sind in der Prozessakte überliefert oder in direktem Zusammenhang mit Aktenmaterial zu sehen. Erst die ausgiebige Untersuchung von Karten, Aufschriften und Akten verrät die verschiedenen Erwartungen, Ziele und konkreten Funktionen, mit denen die Herstellung von Lokalund Regionalkarten einherging. Die detailreiche Analyse unterstreicht zudem die Funktion der ganzen Karte im Konfliktfall. Einige grundsätzliche Unterschiede fallen in der Gesamtbetrachtung auf. So handelt es sich bei den simplen Karten und Skizzen, die während einer Begehung entstanden sind, meist um eine Darstellung divergierender Grenzvorstellungen, welche als das visuelle Gegenstück zu den (textuellen) Grenzbeschreibungen zu bezeichnen sind. Typisch ist die simple Linienführung, abgewechselt mit schematischen Umrissen von Gebäuden und einigen erklärenden Aufschriften. Obwohl die Entstehungssituation ähnlich wie bei einer Augenscheinkarte ist, geben diese Karten keine weitere juristische Argumentation, was auf eine eher administrative Verwendung solcher Skizzen hinweist. Bei Augenscheinkarten hingegen wird erwartungsgemäß ihre juristische Verwendung sichtbar, indem die Ansprüche auf Herrschafts- und Nutzungsrechte oft in Text und Bild dargestellt werden. Auch Augenscheinkarten können divergierende Grenzvorstellungen als unterschiedliche Begehungen bildlich festhalten, häufig jedoch wird die Route der Inaugenscheinnahme gemeinsam mit wichtigen Behauptungen und Argumentationen der Parteien visualisiert. Die jeweilige Entstehung, Funktion und erhoffte Wirkung der Augenscheinkarten variierten dennoch stark. Schon alleine aus den hier untersuchten Fällen lassen sich sehr unterschiedliche Varianten herauskristallisieren. Aus den Parteiakten wird deutlich, dass die Parteien aus unterschiedlichen Gründen eine Karte anfertigen ließen: Bereits während der Prozessvorbereitung konnten simple Skizzen oder auch aufwendiger gemalte Karten angefertigt werden, um eine gute Übersicht über die jeweiligen Grenzvorstellungen zu bekommen. Die zweite Variante ist weitaus bekannter: Im Laufe des Prozesses wurde eine Augenscheinkarte durch einen Maler angefertigt, häufig mit einer Genehmigung des Kommissars auf Vorschlag einer Partei hin. Auch konnte die Augenscheinkarte zusammen mit Urkunden und schriftlichem Material als Beweisstück eingereicht werden. Zwei simple Prinzipien finden sich jedoch nahezu überall wieder: Die Karte sollte eine Übersicht des umstrittenen und inspizierten Gebiets bieten und
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4 Die Lokal- und Regionalkarte und die Ordnung des Raumes
natürlich erhofften sich die jeweiligen Parteien eine möglichst umfassende und vorteilhafte Darstellung ihrer Argumentation. Der in der Literatur öfters geäußerten Erwartung, dass der Malereid unparteiische Karten garantieren würde, ist hier aufgrund von einigen expliziten Beispielen zu widersprechen. Die Befunde aus der Korrespondenz zu Karte Q basieren auf einer rein zufälligen Überlieferung, welche in den meisten Fällen wohl nicht mehr vorhanden ist. Die Briefe des Hanauer Anwalts Andreas Gottwald machen aber deutlich, dass der Maler, auch wenn er einen Malereid geschworen hatte, durchaus davon zu überzeugen war, die Karte nach den Vorstellungen seines Auftraggebers zu malen.
4.2 Einige Überlegungen als Ausblick Die vorliegende Studie richtet sich zwar nicht explizit auf Phänomene wie Herrschaft, Grenzen und Raum, dennoch berühren diese Themen natürlich gewisse Aspekte der Lokal- und Regionalkartographie. Um einen Anschluss an Forschungen auf der Schnittstelle zwischen Kartographie und Herrschaft zu ermöglichen und die untersuchten Fälle in einen größeren Kontext einzuordnen, erscheinen einige Überlegungen als Ausblick angebracht. Bei den hier analysierten Raumdarstellungen handelt es sich um lokale und regionale Karten, die meist nur einige Wiesen oder ein Waldgebiet abbildeten. Die Frage, ob diese kleinräumigen Kartierungen überhaupt – aus machtpolitischer und herrschaftlicher Perspektive – etwas hinzufügten oder ob sie, wie Rutz vermutet, lediglich „als Hilfsmittel für den administrativen und juridischen Gebrauch“ zu sehen wären,⁴⁵¹ ist bisher offen geblieben. Zu bedenken ist auch, dass die Zielgruppe der Augenscheinkarten im 16. Jahrhundert äußerst klein war. Die Karten waren Teil der Beweisführung, sodass nur die Kommission, die Parteien mit ihren Anwälten und ggf. die Richter einen Blick auf die Visualisierungen werfen konnten. Unter Betrachtung dieser Aspekte könnte in zwei Richtungen argumentiert werden. Eine erste Überlegung wäre, dass die Gruppe zu klein war und die Karten somit zu unbedeutend wären, um machtpolitisch wirkmächtig sein zu können. In dieser Argumentation würde die Visualisierung des Rechtsstreites lediglich der Überzeugung der Richter dienen, falls der Prozess je zu einem Endurteil kommen würde. Dies scheint jedoch recht viel Aufwand für ein Beweismittel, das die Parteien auch kostengünstiger hätten organisieren können, sodass mir eine weitere Überlegung plausibler erscheint.
Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 326.
4.2 Einige Überlegungen als Ausblick
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Mit Hinblick auf die Parteien, die solche Augenscheinkarten häufig in Auftrag gaben, lässt sich nämlich anders argumentieren. Es handelte sich hierbei meist um benachbarte reichsständische Territorialfürsten oder Reichsstädte, die ihre Herrschafts- und Nutzungsrechte bedroht sahen. Der relativ geringe Streitwert und die wenigen Ellen umstrittener Raum geben zumindest Anlass zu der Vermutung, dass die Parteien ihre herrschaftlichen und territorialen Ansprüche unbedingt durchsetzen wollten. Die Fürsten verfügten nicht nur über die entsprechenden Künstler (Hofmaler) bzw. über das Geld, um einen professionellen Maler zu engagieren, sondern es war ihnen offensichtlich auch wichtig, kolorierte, manchmal reich verzierte und großformatige Karten, die sicherlich nochmals teurer als kleinere Formate waren, einreichen zu können. Auch wenn die Gruppe der Kartenbetrachter sehr klein war, galt es für die Reichsstände dennoch, dass sie ihren Status schon alleine den benachbarten Territorialfürsten gegenüber hochhalten mussten. Eine Raumdarstellung durch einen professionellen Maler, der die entsprechenden Techniken beherrschte, kann somit nicht nur als juridisches Hilfsmittel, sondern durchaus auch als eine Inszenierung der eigenen Herrschaft gesehen werden. Da die meisten frühen hessischen Karten im Rahmen von Konflikten entstanden sind, ruft das schließlich die Frage auf, inwiefern sich die Visualisierung von Grenzvorstellungen auf die herrschaftliche Raumordnung auswirkte. Das Thema ist in der jüngeren Forschung zum Henne-Ei-Problem geworden: Ist die Territorialisierung als Grundvoraussetzung für die massive Zunahme von Kartierungen zu sehen⁴⁵² oder hat die Verfügung über Kartographie die Idee eines herrschaftlichen Raumes erst ermöglicht⁴⁵³? Bei dem Thema Grenzen scheinen sich Änderungen aufzutun, die sich nur schwerlich lediglich mit dem Phänomen der Territorialisierung erklären lassen: Die noch im späten Mittelalter übliche Art der Grenzbeschreibung und Grenzmarkierung wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts durch immer genauere Grenzlinien auf Karten konkretisiert.⁴⁵⁴ Auch hierzu können, in Hinblick auf die hier untersuchten Fälle, einige Überlegungen angestellt werden. In den hier vorgestellten Fallstudien fällt auf, dass viele Konflikte ein gewisses Muster aufzeigten, auch wenn sie letztendlich zu sehr unterschiedlichen Karten
Vgl. Recker, Prozesskarten, S. 178 f.; Meurer, Cartography in the German Lands, insbes. S. 1227 f.; Hausmann, Mandati, S. 226 – 228; Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 350 f. Vgl. Jörg Dünne: Die Karte als Operations- und Imaginationsmatrix. Zur Geschichte eines Raummediums, in: Jörg Döring/Tristan Thielmann (Hrsg.), Spatial turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld 2008, S. 49 – 69, hier S. 50 – 53. Vgl. Stercken, Repräsentation,Verortung und Legitimation, S. 47; Rutz, Die Beschreibung des Raums, S. 351 f. u. 362.
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4 Die Lokal- und Regionalkarte und die Ordnung des Raumes
und Gerichtsprozessen führten. Den Anlass bildete meist eine eigenmächtige Pfändung einer Sache (meist Vieh) oder eine Störung des Besitzes, woraufhin die geschädigte Partei mit einer Klage vor dem Reichskammergericht reagierte. Als Rechtfertigung gegen ein solches Vorgehen war das Hauptargument des Klägers meist nicht gegen den Vorgang selbst gerichtet, sondern vielmehr auf den Ort der Geschehnisse ausgerichtet: Der Beklagte hätte die Sache nicht auf den Grund und Boden des Klägers entwenden oder zerstören dürfen. Der Grund hierfür dürfte unter anderen darin gelegen haben, dass die eigenmächtige Pfändung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch nicht in die Landfriedensordnung aufgenommen worden war.⁴⁵⁵ Die musterhafte Reaktion des Beklagten bezog sich in der Regel ebenso auf das eigene Territorium sowie die dort ausgeübten Herrschafts- und Nutzungsrechte, wenn auch in der entgegengesetzten Richtung wie die des Klägers. Diese artikulierten Behauptungen mussten mit weiteren Beweisstücken belegt werden, sodass sich die jeweiligen Kontrahenten in der Prozessvorbereitung fragen mussten, wo die Grenze denn genau verlief. In den meisten untersuchten Fällen gab es noch keine (oder eine ungenaue bzw. unvollständige) schriftliche Grenzbeschreibung, sodass die Untertanen vor Ort befragt werden mussten. Mit Steinen gekennzeichnete Grenzen gab es nur wenige, meist wurden stattdessen bestimmte markante Erkennungsobjekte, etwa sogenannte Lochbäume oder natürliche Quellen, genutzt. Die Prozessvorbereitung der Parteien, welche in einigen Fällen glücklicherweise durch die Parteiakten überliefert ist, macht darauf aufmerksam, dass sich die fürstliche Verwaltung häufig erst mit der Klage vor dem Reichskammergericht konkret mit einem bestimmten Grenzabschnitt auseinandersetzen musste.Vorher waren die Grenzen zwar in etwa durch Grenzbeschreibungen und/ oder Begehungen bekannt, aber nicht bis zur letzten Elle abgesteckt – und genau diese Art der Konkretisierung war jetzt gefragt. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass das Verfahren am Reichskammergericht mutmaßlich dazu beitrug, dass sich die Kontrahenten so stark auf ihre Grenzen konzentrierten. Denn, wie Graf Reinhard von Solms 1562 sein Bedenken formulierte, wenn es dem Gegner gelingen würde zu beweisen, dass das umstrittene Areal dem Gegner gehöre, dann würde das auch bedeuten, dass die Solmser die gegnerische Wildhecke nicht hätten vernichten dürfen.⁴⁵⁶
Dies geschah erst 1548 sowie 1555, vgl. Anette Baumann: Die Tatbestände Landfriedens- und Religionsfriedensbruch am Reichskammergericht im 16. Jahrhundert, in: Hendrik Baumbach/ Horst Carl (Hrsg.), Landfrieden – epochenübergreifend. Neue Perspektive der Landfriedensforschung auf Verfassung, Recht, Konflikt (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 54). Berlin 2018, S. 233 – 254, hier S. 246. HStA Darmstadt, E 1 K, Nr. 329/3 (unfol.).
4.2 Einige Überlegungen als Ausblick
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Darüber hinaus argumentierten die Parteien mit Herrschafts- und Nutzungsrechten, um ihren Anspruch auf bestimmte Grenzen behaupten zu können. Das juridische Prinzip des quasi possessio half ihnen dabei. Dieser Quasi-Besitz an Rechten wurde schon früh an „die fortdauernde Ausübung von Rechten“ gebunden.⁴⁵⁷ Bei unseren Beispielen sind damit Herrschafts- und Nutzungsrechte gemeint, die ungestört über längere Zeit durch den Besitzer des Rechts ausgeübt worden waren.⁴⁵⁸ Die Parteien versuchten also, über ihre Herrschafts- und Nutzungsrechte ihre territorialen Grenzen auszudehnen. Da das Artikelverfahren des Reichskammergerichts auf dem Prinzip des Beweises basierte, mussten alle Behauptungen, welche der Prozessgegner als „nicht glaubenswürdig“ einstufte, durch Urkunden, Zeugen oder Inaugenscheinnahme bewiesen werden.⁴⁵⁹ Um ihr Vorgehen als legitim beweisen zu können, setzten die Parteien daher auf Belege für ihre ausgeübte Herrschaft wie die Huldigung des neuen Fürsten durch die Untertanen, die Einnahme von Steuern, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung und Handhabung der Herrschaft und Beispiele ihrer vollzogenen Gerichtsbarkeit. Zudem wurde die über viele Jahre ungestörte Ausübung von Jagd-, Weide- und Holzrechten besonders häufig erwähnt. Die Gerichtsakten nennen dabei sehr konkrete Ereignisse und Aktionen, wohl, damit diese von den Zeugen dann auch bestätigt werden konnten. So wurde die Beerdigung einer aufgefundenen Leiche öfters genannt und manchmal auch visualisiert.⁴⁶⁰ Diese auffällige Beschäftigung mit Grenzen kann durchaus als Folge der Territorialisierungsprozesse verstanden werden, denn erst nachdem die Fü rsten ü ber ein mehr oder minder geschlossenes Konglomerat von Gü tern und Rechten verfü gten, folgte eine konkrete Ausdifferenzierung der bisher nicht genau definierten oder begrenzten Herrschafts- und Nutzungsrechte, die insbesondere in Wald- oder Weidegebieten noch in großen Maßen vorhanden waren. Da die Territorialherrschaft eines bestimmten Gebietes nicht immer mit allen Rechten in diesem Gebiet einherging, entstanden neue Auseinandersetzungen. Insbesondere Rechte, die in frü heren Zeiten nur mit einer vagen Raumbegrenzung verliehen worden waren wie Geleit-, Wald- und Jagdrechte, kollidierten mit den räumlich immer konkreter abgegrenzten Territorien. Die häufig ungefähren Grenzen des Spätmittelalters wurden also nach und nach durch konkrete Grenzlinien in Text, Bild und Landschaft ersetzt.
Helmut Coing: Europäisches Privatrecht, Bd. I: Älteres Gemeines Recht (1500 bis 1800). München 1985, § 69, S. 343 – 347, zit. S. 343. Vgl. ebd., S. 343 – 345. Vgl. Baumann, Beweiskommission und Augenscheinkarten, S. 90. Beispielsweise in HStA Darmstadt, E 12, Nr. 154, f. 8v–9r. Die Augenscheinkarte Q bietet bei Nr. 6 eine Visualisierung einer solchen Situation.
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4 Die Lokal- und Regionalkarte und die Ordnung des Raumes
Die Beschäftigung mit den Grenzen als Teil der Prozessstrategie wird erst im Laufe des 16. Jahrhunderts in den Augenscheinkarten sichtbar. In der Frühphase bis etwa 1550 zeigen die Karten meist noch keine klaren Territorien auf, sondern stellen vielmehr eine auffallend einheitliche Landschaft dar. Manchmal führt eine Route (Inaugenscheinnahme) oder auch Grenzlinie durch die Landschaft – ohne jedoch die Kartenlandschaft visuell in zwei zu teilen. Die Zuordnung von Besitz oder Rechten erfolgt meistens nur schriftlich, durch Aufschriften auf der Karte sowie Behauptungen in der Prozessakte. Das scheint sich im hessischen Raum in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu ändern. Eine herrschaftliche Ordnung des Raums wird ab etwa 1560 verstärkt durch konkrete Grenzlinien auf Lokal- und Regionalkarten sichtbar gemacht. Sie folgt damit einer Tendenz, die bei den Landesaufnahmen schon früher zu beobachten ist, weil die Zielsetzung bei diesen Karten von Anfang an auf den ‚eigenen‘ territorialen Raum ausgerichtet ist. Dabei werden die jeweiligen Gebiete öfters durch Farbmarkierungen den jeweiligen Territorien zugeordnet. Inwiefern die neuen kartographischen und geometrischen Methoden der Vermessung als Ursache oder vielmehr als Folge für neue Formen der herrschaftlichen Raumordnung anzusehen sind, ist Thema zukünftiger Studien. Eins bleibt festzuhalten: Auch wenn die Vielfalt an lokalen und regionalen Raumdarstellungen gegen 1600 abnimmt, so hat sich die enge Verbindung zwischen Text und Bild fest etabliert.
Quellen und Literatur Quellen HStA Darmstadt = Hauptstaatsarchiv Darmstadt Bestand C 2, Nr. 38/1 Bestand E 1/ K, Nr. 329/1 – 329/10 Bestand E 1 K Nr. 330/3 Bestand E 13, Nr. 25/9 Bestand E 13, Nr. 1590 Bestand E 13, Nr. 1599 Bestand E 13, Nr. 2624 Bestand F 3, Nr. 22/1 – 22/2 Bestand P 1, Nr. 138; 146; 150; 154; 401; 662; 1005; 1162; 2190; 2523
HStA Marburg = Hauptstaatsarchiv Marburg Bestand Karten, Nr. A 11; A 18; A 19 Bestand Karten, Nr. P II 9798; P II 10021; P II 10073; P II 10090; P II 10366; P II 10371; P II 10391; P II 11067; P II 11495; P II 11525; P II 13622; P II 14867; P II 14875; P II 14935; P II 15581; P II 15721; P II 18393; P II, 21418 Bestand Karten, Nr. R II 39; R II 40; R II 41; R II 44; R II 45 Bestand 3, Nr. 1665; 2113; 2342; 2344; 2345 Bestand 4 f Staaten B, Braunschweig-Wolfenbüttel, Nr. 321 – 324; 417; 433 Bestand 17d, Nr. Spede 10 Bestand 81, Nr. D 1/12; D 1/23–D 1/26; D 1/33; D 1/105 – 107; D 1/152; D 1/184; D 1/205 – 208 Bestand 86, Nr. 30751; 31109 Bestand 115/07, Nr. Korbach 253; 330; 352; 619 Bestand 171, Nr. 2481 Bestand 255, Nr. M6; M7; M7a; M8
Frankfurt, IfS = Institut für europäische Stadtgeschichte in Frankfurt 1.6.6. Nachbarliche Beziehungen zu den Reichsständen der Umgebung, Mgb A 52, Nr. 1.416 1.6.6. Nachbarliche Beziehungen zu den Reichsständen der Umgebung, Mgb A 53, Nr. 421 – 424
https://doi.org/10.1515/9783110777598-006
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Quellen und Literatur
NLA Hannover = Niedersächsisches Landesarchiv Hannover NLA Hannover, Cal. Br., Nr. 1324/2 – 1324/6 NLA Hannover, Cal. Br. 1, Nr. 1325
HHStA Wiesbaden = Hessisches Hauptstaatsarchiv (Wiesbaden) Bestand 1, Nr. 654 Bestand 106, Nr. 86; Nr. 87; Nr. Ü 404 Bestand 150, Nr. U 376 Bestand 166/167, Nr. 1003; 1039; 2556; 2634 Bestand 166/167, Nr. U 70; U 72; U 73; U 685 Bestand 340, Nr. 1705 Bestand 3011/1, Nr. 334 H; 971.1 H; 974 V; 1146 V; 1160 V; 3145 R; 5598 H; 5755 H; 6920 Ü; 10727 H
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Karte A Signatur: HStA Marburg, Bestand 86, Nr. 30751 Kartenbeschreibung: Die skizzenhafte Darstellung ist nordwestlich ausgerichtet und bietet eine abstrakte Visualisierung des Raumes zwischen Neuengronau, Altengronau und Schwarzenfels (heute Gemeinde Sinntal). Der skizzierte Raum wird durch viele Linien und erklärende Aufschriften durchkreuzt. Zwei der drei Dörfer (Altengronau und Schwarzenfels) wurden offensichtlich aus zur besseren Orientierung durchgestrichen und textuell neu in der Skizze verortet. Die Karte wird durch zwei große Flüsse und einen Bachlauf eingerahmt: Links der breite Sinn (heute: Sinn), unten der schmale Sinn und oben im Kartenbild ein Bach (wohl der heutige Gronaubach). Alle Gewässer werden durch wellenartige Striche dargestellt. Die anderen Linien (gerade und gestrichelte Linien) auf der Karte stellen Grenzen und Wege dar. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Karte ist etwa 1511 entstanden und in einer Akte zu Streitigkeiten zwischen Hanau und Friedrich von Hutten überliefert. (Siehe Kap. 3.1)
https://doi.org/10.1515/9783110777598-007
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Karte A
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Karte B Signatur: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 17116 Kartenbeschreibung: Die Karte (34 x 42,5 cm) stellt die Wiesen bei Oberndorf an der Felda dar. Die Darstellung zeigt von oben einen weiß-hellblauen Fluss und mehrere grüne Flächen, welche verschiedene Wiesen darstellen. Der Fluss (Felda) trennt die Karte ungefähr in der Mitte, dabei findet ein Perspektivwechsel in den Aufschriften statt. Auf der Karte werden die verschiedenen Wiesenflächen durch schwarze Striche getrennt. Die Wiese mit den Baumstümpfen wird durch einen kurzen Text zutreffend als rodde wiese bezeichnet. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Karte wurde im Jahr 1539 angefertigt. Die Aufschriften auf der Karte geben zwar vorrangig Auskunft zu den Wiesen des Sittichs von Ehringshausen, jedoch wird auch manchmal das Amt Homberg genannt. Der Anlass für die Entstehung dieser Karte liegt möglicherweise in den Konflikten zwischen dem Romroder Amtmann Sittich von Ehringshausen und dem Amtmann Caspar von Berlepsch in Homberg. Zwischen den beiden Amtmännern (bzw. ihren Nachfolgern) lief in den Jahren 1530 bis 1540 ein Prozess am hessischen Hofgericht in Marburg, welcher sich unter anderem um eine Rottwiese bei Oberndorf drehte.1
1 Zu den Gerichtsakten: HStA Marburg, Bestand 17 d Nr. von Ehringshausen 2 sowie Bestand 17 d Nr. von Ehringshausen 3.
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Karte B
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Karte C Signatur: HHStA Wiesbaden, Bestand 3011/1, Nr. 10727 H Kartenbeschreibung: Die Karte (55 x 29 cm) ist größtenteils in Vogelperspektive gehalten und zeigt den typischen Wechsel zwischen frontaler Ansicht und Vogelperspektive. Das Werk ist gewestet und zeigt die Ortschaft Espa sowie die direkte Umgebung mit dem Silberberg. Verschiedene Markierungen bilden eine halbrunde Route durch das Kartenbild. Die Darstellung kommt ohne jegliche Verwendung von Text aus. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Karte ist 1544 in Zusammenhang mit einem umfangsreichen Reichskammergerichtsprozess betreffend die Gemarkung von Espa und den Silberberg entstanden und hat eine auffällige Ähnlichkeit mit Karte D. 1541 hatten die regionalen Adelsgeschlechter von Heusenstamm und von Frankenstein einen Prozess beim Reichskammergericht gegen die Grafen von Solms und Nassau sowie weitere Adelige als Ganerben von Cleeberg angestrengt. Die Darstellung war ursprünglich, wie auch Karte D, in die Gerichtsakte eingebunden. Die genauere Untersuchung von Karten und Akten ergab neue Aufschlüsse zur Entstehung der beiden Karten (siehe Kap. 3.2).
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Karte C
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Karte D Signatur: HHStA Wiesbaden, Bestand 3011/1, Nr. 6920 Ü Kartenbeschreibung: Die detailreiche Darstellung (84 x 124 cm) zeigt, wie Karte C, das Dorf Espa, den Silberberg sowie die nähere Umgebung der Ortschaft in einem Halbkreis. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Karte muss etwa Ende 1543 entstanden sein. Auch wenn zunächst vermutet wurde, dass Karte D etwas später entstanden sei als C, beweisen die zugehörigen Gerichtsakten (siehe Kap. 3.2) das Gegenteil.
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Karte D
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Karte E Signatur: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 150 Kartenbeschreibung: Die Augenscheinkarte (92 x 73 cm) ist gewestet und bietet eine Übersicht über das Frankfurter Umland zwischen Höchst, dem Gutleuthof, der Warte bei Bockenheim und Soßenheim. Besondere Aufmerksamkeit liegt auf die Straße zwischen Galgenwarte und Höchst. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Karte zeigt eine Beglaubigung des Kommissars Hieronymus von Glauberg sowie zweier Notare auf, sodass davon auszugehen ist, dass die Karte 1551 im Rahmen eines Gerichtsprozesses entstanden ist. Die zugehörigen Akten konnten jedoch nicht ermittelt werden. Um das Dorf Nied und seine Umgebung stritten sich um die Mitte des 16. Jahrhunderts mehrere Herrschaftsträger. Die Karte ist möglicherweise auch in Verbindung zu bringen mit einer Karte aus 1578, welche anlässlich eines Gerichtsprozesses zwischen Mainz und Hanau über Nied entstanden ist (HStA Marburg, Karten, Nr. P II 10090).
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Karte E
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Karte F Signatur: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 142 Kartenbeschreibung: Die Karte (28 x 87 cm groß) zeigt die beiden Ufer des Mains; der Fluss fungiert hierbei als Drehpunkt. In der Karte werden zwei Horizonte dargestellt. Die eine Seite zeigt den Main mit Blick auf sein Ufer zwischen Steinheim und Dietesheim, die andere – wenn der Betrachter das Bild um 180 Grad dreht – zeigt den Blick auf das Mainufer bei Hanau und Kesselstadt. Entstehung und Überlieferungskontext: Die 1552 entstandene Karte ist aus zwei Bögen Papier angefertigt worden, die mit einem Klebestreifen zusammengehalten werden. Mittlerweile ist das Papier auf Karton aufgezogen worden. Diverse Falt- und Locherspuren weisen darauf hin, dass die Karte wahrscheinlich in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Akte aufbewahrt worden ist.
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Karte F
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Karte G Signatur: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 15581 Kartenbeschreibung: Die südöstlich ausgerichtete Darstellung (60 x 105 cm) visualisiert die verschiedenen Wälder zwischen Salmünster, Alsberg und Steinau, wobei die räumliche Unterscheidung zwischen zwei Baumreihen quer durch die Bildmitte primär ins Auge sticht. Diese Trennung wird durch eine rote Linie unterstrichen. Entstehung und Überlieferungskontext: Auch wenn die Karte, gemalt im Jahr 1554, starke Beschädigungen am linken Rande erfahren hat, ist das meiste Material gut erhalten. Die Darstellung ist im Rahmen eines RKG-Prozesses zwischen dem Mainzer Erzbischof und den Grafen von Hanau-Münzenberg entstanden. Als Maler wurde lange Zeit Jakob Laßmann ausgemacht, was aber aufgrund des untersuchten Aktenmaterials unwahrscheinlich geworden ist. (Siehe hierzu Kap. 3.3)
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Karte G
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Karte H Signatur: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 2190 Kartenbeschreibung: Die Karte (31,5 x 64 cm) stellt die verschiedenen Wiesen und Felder in der Nähe der Scharmühle bei Niederdorfelden dar. In der Mitte liegt das umstrittene Feld, die umliegenden Wiesen, Gräben und Felder sind mit schriftlichen Besitzzuordnungen versehen. Entstehung und Überlieferungskontext: Ursprünglich wurde die Karte in einer Friedberger Parteiakte aufbewahrt und so lässt sich ihre Entstehung auch erklären: Die Karte ist ca. Ende 1558 im Rahmen von RKG-Prozessen zwischen Burg Friedberg und der Grafschaft Hanau-Münzenberg entstanden. (Siehe Kap. 3.4)
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Karte H
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Karte I Signatur: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 18393 Kartenbeschreibung: Diese westlich ausgerichtete Darstellung (45 x 93 cm) zeigt in etwa das Gebiet zwischen Gießen, Heuchelheim, Fellingshausen und Launsbach. Das Zentrum des Kartenbildes wird durch den Anstieg zum Gleiberg gebildet, auf welchem auch zwei Galgen und die Burg Gleiberg zu sehen sind. Entstehung und Überlieferungskontext: Ursprünglich war die Karte Teil einer Berichterstattung eines hessischen Schreibers oder Amtmanns zur Vorbereitung der Beweisaufnahme durch eine Kommission im Rahmen eines RKG-Prozesses. Die Untersuchung von Karte und Akte macht deutlich, dass die Karte vor August 1561 entstanden ist und später nochmal zu anderen Zwecken umgeändert wurde. (Siehe Kap. 3.5)
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Karte I
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Karte J Signatur: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 21418 Kartenbeschreibung: Diese geostete Kartenzeichnung in schwarzer Tinte (ca. 28 x 28 cm) bietet einen Blick auf das Gebiet zwischen Verliehausen, Bursfelde und Bodenfelde. Die detailreiche Karte zeigt verschiedene Wald- und Flussgebiete östlich der Weser, wobei mehrere Gebietsteile zwischen Bursfelde, dem Wald Stockhausen und Ahlbershausen mit der Aufschrift streitig versehen worden sind. Die verschiedenen Linien und Grenzmarkierungen in der Karte sind wohl als Ergebnis einer Begehung festgehalten worden. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Karte war ursprünglich in eine hessische Parteiakte eingebunden und diente wahrscheinlich dazu, einen Überblick über die verschiedenen Grenzvorstellungen zu bieten. In den Jahren 1559 bis 1610 führte die Landgrafschaft Hessen-Kassel ein RKG-Prozess mit den Herzögen von Braunschweig-Lüneburg-Calenberg über die Rechte im Werder Holz. Die Karte kann frühestens im Herbst 1559 entstanden sein, ein späterer Zeitpunkt ist durchaus wahrscheinlich (siehe Kap. 3.6).
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Karte K Signatur: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 145 Kartenbeschreibung: Diese Darstellung (31,5 x 39,5 cm) zeigt ein relativ kleines Gebiet zwischen Klein-Zimmern, Semd und Dieburg in südlicher Ausrichtung. Die wenigen Aufschriften spielen eine untergeordnete Rolle im Kartenbild. Die Bildkomposition wird durch eine zentrierte weißblaue Linie dominiert, die, kombiniert mit der Darstellung einiger inspizierenden Personen, auf eine offizielle Inaugenscheinnahme schließen lässt. Entstehung und Überlieferungskontext: Unbekannt ist, wann und in welchem Kontext die Karte entstanden ist. Vermutet werden kann hingegen eine Datierung um die Jahrhundertmitte, also zwischen 1540 und 1560. Die symbolhafte Abbildung von einigen Herrschafts- und Nutzungsrechten (Jagd-, Weide- und Waldrecht) lässt vermuten, dass die Ausübung dieser Tätigkeiten umstritten war oder von einer Partei zur Rechtfertigung ihrer Ansprüche herangezogen wurde.
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Karte L Signatur: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 140 Kartenbeschreibung: Die Karte (81 x 69 cm) zeigt das Gebiet zwischen Oppenheim, Wallerstädten und Astheim. Die Karte ist südwestlich ausgerichtet und ermöglicht mehrere Perspektivwechsel im Kartenbild. Parallel zum Horizont verlaufen mehrere Linien, welche den Rhein (altrosa-lila) und den Landdeich (braun-gelb) darstellen. Auf der einen Seite des Flusses sind die Stadt Oppenheim und das Dorf Nierstein abgebildet, auf der anderen Seite wird die Landschaft durch verschiedene Farben in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt. Zentral ist allerdings das Dorf Geinsheim platziert, worauf mehrere Linien zulaufen und das in einem grünen Gebiet abgebildet wird. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Augenscheinkarte entstand 1561 im Rahmen eines RKG-Prozesses zwischen der Grafschaft Isenburg und der Landgrafschaft Hessen.
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Karte L
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Karte M Signatur: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 1005 Kartenbeschreibung: Die südostlich ausgerichtete Karte (41 x 64 cm) zeigt die Wälder zwischen der Burg Gleiberg und der Burg Königsberg. Zentral im Kartenbild ist der Spitzenberg mit umliegenden, klar voneinander getrennten bewaldeten Gebietsteilen. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Karte ist 1562 anlässlich eines Prozesses zu Jagd- und Besitzstreitigkeiten zwischen Nassau (Kläger) und den beiden Fürstenhäusern Hessen und Solms (Beklagte) entstanden. Die sichtbaren Faltund Klebespuren zeugen von einer ursprünglichen Aufbewahrung in einer Akte. Aus der Text-Bild-Analyse geht hervor, dass die Karte mehrere (spätere) Bearbeitungsschritte erfahren hat. (Siehe Kap. 3.7)
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Karte M
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Karte N Signatur: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 147 Kartenbeschreibung: Die nordöstlich ausgerichtete Karte (45 x 76 cm) zeigt das Gebiet zwischen Klein- und Groß-Zimmern in gelben und grünen Farben. Durch die Umrandung mit Bäumen wird der Kontrast zum umliegenden Gebiet noch verstärkt. Quer durch das gelbkolorierte Gebiet verlaufen ein Wasserlauf (Gersprenz) sowie eine Straße. Am Horizont befindet sich die Stadt Dieburg. Überall auf der Karte befinden sich Buchstaben, eine Legende hierzu gibt es jedoch nicht. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Karte soll im Jahr 1564 entstanden sein. Vermutet werden kann, dass die Karte im Rahmen eines Gerichtsprozesses entstanden ist; die zugehörigen Akten konnten jedoch nicht ausgemacht werden. Auch gibt es keinen direkten Bezug zu Karte K, da diese ein anderes Gebiet abbildet.
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Karte N
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Karte O Signatur: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 146 Kartenbeschreibung: Die relativ kleine Karte (29,5 x 46,9 cm) weist eine erstaunlich große Detailgenauigkeit auf. Sie zeigt aus der Vogelperspektive und von Norden das Dorf und die Umgebung von Hergershausen. Entstehung und Überlieferungskontext: Unter der Paraphe des Malers Melchior Appel (M.A) steht 1569 als Entstehungsjahr. Die mehrfache Erwähnung von strittigen und nicht-strittigen Gebietsteilen weist zwar auf eine Inspektion der Grenz- und Besitzverhältnisse hin, die bisher allerdings nicht mit entsprechenden Akten in Verbindung gebracht werden konnte.
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Karte O
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Karte P Signatur: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 2523 Kartenbeschreibung: Die Kartenskizze besteht aus drei losen Blättern (von jeweils 32,5 x 40 cm), die zusammen eine grobe Übersicht über die Gegend um Alsfeld, Arnshain und Ruhlkirchen bieten. Die jeweiligen Grenzvorstellungen werden mittels schemenhafter Umrisse (Bäume, Mühlen) und erklärender textueller Aufschriften festgehalten. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Kartenskizze entstand vermutlich 1571 bei einer Inaugenscheinnahme im Rahmen einer Auseinandersetzung zwischen dem hessischen Bernsburg und dem Mainzer Dorf Ruhlkirchen. (siehe Kap. 3.8)
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Karte P
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Karte Q Signatur: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 14867 Kartenbeschreibung: Die detailreiche Darstellung (60 x 100 cm) ist nordwestlich ausgerichtet und zeigt das Gebiet nordöstlich der Reichsstadt Frankfurt am Main, gelegen zwischen Bornheim, Fechenheim und Sachsenhausen. Verschiedene frühere Vorfälle und Ereignisse werden durch eine Kombination aus Bildszenerien und Aufschriften dargestellt. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Augenscheinkarte wurde 1575 im Rahmen eines RKG-Prozesses zwischen der Reichsstadt Frankfurt und der Grafschaft Hanau-Münzenberg (1570–1600) durch den Maler Melchior Appel erstellt. (Siehe Kap. 3.9)
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Karte Q
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Karte R Signatur: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. P II 10073 Kartenbeschreibung: Die westlich ausgerichtete Landesaufnahme (48 x 77 cm) will (laut Titel) einen topographischen Abriss von Nordenau und dem Assinghauser Grund bieten. Die Karte zeigt dabei Wälder, Hügel, Gewässer und etwa 40 Siedlungen im Gebiet zwischen Brilon, Willingen und Winterberg. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Karte wurde 1577 von Jost Moers gemalt. Ein direkter Anlass oder ein Bezug zu Akten konnte bisher nicht festgestellt werden.
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Karte S Signatur: HStA Darmstadt, Bestand C 2, Nr. 38/1 Kartenbeschreibung: Die farbige Karte (42,5 x 36 cm) zeigt das (mit roten Linien eingegrenzte) Amt Gernsheim am Rhein mit den Dörfern Rodau und Wattenheim. Benachbarte Siedlungen, wie Schonheim oder Klein-Rohrheim, werden lediglich mit einem Kartenzeichen angedeutet. Entstehung und Überlieferungskontext: Karte S entstand im Jahr 1668 als eine zeitgemäße Kopie einer Karte von 1563. Die Karte befindet sich zusammen mit einer Grenzbeschreibung aus 1563 und Angaben zur Bevölkerung von Gernsheim, Wattenheim und Radau im Jurisdiktionalbuch des Mainzer Kurfürstentums. (Siehe Kap. 2.2.2)
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Karte T Signatur: HStA Darmstadt, Bestand P 1, Nr. 1620 Kartenbeschreibung: Die Karte (48 x 73,5 cm) ist östlich ausgerichtet und bildet die südliche und östliche Umgebung des Dorfes Freienseen ab. Entstehung und Überlieferungskontext: Bei einer Neuvermessung im Juni 1781 wurde auch ein alter „Riss“ von 1560 verwendet. Aus diesen Vorlagen wurde wiederum im November 1782 durch den vereidigten Geometer Jost Dinstorff die Karte erstellt. Die Karte visualisiert die Sichtweise der Grafen von Solms-Laubach in der langwierigen Auseinandersetzung mit dem Dorf Freienseen. (siehe Kap. 2.2.2)
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Karte U Signatur: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. R II 40 Kartenbeschreibung: Die südöstlich ausgerichtete Landesaufnahme (80 x 130 cm) zeigt in etwa das Gebiet zwischen Höchst, Ginnheim und Oberrad im Frankfurter Umland. Entstehung und Überlieferungskontext: Bei einem Auftrag für die Grafen von Hanau-Münzenberg fertigte Elias Hoffmann in den Jahren 1582 bis 1584 mehrere Landesaufnahmen vom Frankfurter Umland an, darunter diese Karte. (siehe Kap. 2.2.1)
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Karte V Signatur: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. R II 41 Kartenbeschreibung: Diese ebenfalls südöstlich ausgerichtete Landesaufnahme (96 x 115 cm) stellt die Region nordöstlich von Frankfurt dar (in etwa das Gebiet zwischen Groß-Karben und Sindlingen). Entstehung und Überlieferungskontext: Innerhalb eines Auftrages für die Grafen von Hanau-Münzenberg fertigte Elias Hoffmann in den Jahren 1582 bis 1584 mehrere Landesaufnahmen vom Frankfurter Umland an, darunter diese Karte. (siehe Kap. 2.2.1)
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Karte W Signatur: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. A 19 Kartenbeschreibung: Die großformatige Karte stellt das Gebiet zwischen Griesheim, Gutleuthof und der Bockenheimer Warte dar. Die verschiedenen Territorien werden sowohl farblich als auch durch ausgeschmückte Wappen, Aufschriften und Kartuschen gekennzeichnet. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Augenscheinkarte wurde 1589 von der Stadt Frankfurt im Rahmen eines RKG-Prozesses zwischen Frankfurt und der Grafschaft Hanau-Münzenberg bei Elias Hoffmann in Auftrag gegeben. (siehe Kap. 2.2.1)
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Karte X Signatur: HStA Marburg, Bestand Karten, Nr. A 18 Kartenbeschreibung: Die Darstellung zeigt das gleiche Gebiet wie Karte W; die beiden Karten sehen in Aufbau, Verwendung von Wappen und Gebietsdarstellung nahezu identisch aus. Entstehung und Überlieferungskontext: Die Grafschaft Hanau-Münzenberg gab die Augenscheinkarte 1591 im Rahmen des RKG-Prozesses zwischen der Reichsstadt Frankfurt und der Grafschaft Hanau bei Elias Hoffmann in Auftrag. (siehe Kap. 2.2.1)
Orts- und Personenregister Alheid (Witwe v. Kurt Picks, Ehefrau v. Jost Moers) 62 Alsberg (Bad Soden-Salmünster) 82 f., 85, 87 f., 158 Alsfeld 112, 174 Altengronau (Sinntal) 74 f., 146 Anßheim, Hans 87 f. Apian, Peter 3, 20, 56 f. Apian, Philipp 3 Appel, Melchior 8, 27, 60 f., 64, 114, 116 ff., 172, 176 Appt, Johann 115 f. Arnshain (Kirtorf) 112, 174 Aschaffenburg 60 Atzbach (Lahnau) 107, 110 Bamberg, Stift 79 Barb, Elsiß 88 Baumann, Bastian 100 Bernsburg (Antrifttal) 111 f., 174 Beusler, Johannes 114 Biebesheim am Rhein 51 Bodenfelde 102, 164 Bornheim (Frankfurt a. M.) 48, 114, 116, 176 Brosius (Braunschweiger Jäger) 102 Boyneburg, Ludwig von 74 Bramburg (Schloss) 103 Braunschweig-Lüneburg(‐Calenberg) (Herzogtum) 99 – 106, 123, 164 Braunschweig-Wolfenbüttel 14 Brumeyr, Leonhard 84 Bursfelde 103 – 105, 164 Buseck, Johann von 111 Buseck, Philipp von 108, 111 Christian August von Solms-Laubach (siehe Solms-Laubach) 52 Cleeberg, Burg (bei Langgöns) 79 Cleeberg (Ganerbschaft) 77 – 82 Didamar, Dr. Jost (Jurist) Dilich, Wilhelm 14, 62 Dinstorff, Jost 52, 182
100 f., 104 f.
https://doi.org/10.1515/9783110777598-008
Dorlar (Lahnau) 107, 110 f. Dörnigheim (Maintal) 43 Dornwell, Hans am Bramwald Druchlaub, Nikolaus 91
100
Elern, Kilian 95 Elsa (Witwe von Peter Jost) 115 Emmel, Dr. Hector 116, 119 Erich II. (Herzog von Braunschweig-Lüneburg, Landesherr von Calenberg-Göttingen) 100 f. Espa (Langgöns) 30, 32, 40, 76 – 80, 82, 120, 150, 152 Etzlaub, Erhard 4, 56 Fechenheim (Frankfurt a. M.) 114 – 117, 176 Fellingshausen (Biebertal) 94, 97, 162 Fischer, Johann 108 Fisters, Jacob 100 Flandern 65 Frankenstein (Adelsgeschlecht) 35, 77 – 82 Frankfurt am Main 16, 21, 25, 32, 41 – 49, 57, 59 – 61, 63 – 65, 67, 83 f., 89, 111, 113 – 118, 120 f., 125, 154, 176, 184, 186, 188, 190 Freienseen (Laubach) 52 – 55, 182 Friedberg (Burg bzw. Burgmannschaft) 29, 90 – 92, 160 Fürstenhagen (Uslar) 99, 101, 103 – 105, 168 Gemeines Land an der Lahn 93, 96 – 98 Gernsheim 51, 180 Gieselwerder (Wesertal) 103 Gießen 93 – 99, 120, 162 Ginnheim (Frankfurt a. M.) 43, 184 Glauburg, Hieronymus von 64, 95 Gleibach (Bachlauf bei Krofdorf und Launsbach) 96 Gleiberg (Burg) 98, 106, 110, 162, 168 Gleiberg (Nassauisches Amt) 93 – 99, 120, 162 Glück, Hans 85 Göbel, Heliseum 89
192
Orts- und Personenregister
Göttingen 16 f., 99. Gottwald, Andreas 118 f., 128 Griesheim (Frankfurt a. M.) 43, 45, 47 – 49, 188 Gronau (Bad Vilbel) 92 Groschlag (Adelsgeschlecht) 60 Groß-Karben (Karben) 43, 186 Gumprecht, Groß 116 Hanau-Münzenberg (Grafschaft) 1, 8, 16, 29, 31, 42 f., 45 – 48, 50, 60 f., 64, 74 – 76, 82 – 92, 113 – 123, 128, 146, 154, 158, 160, 176, 184, 186, 188, 190 Hanau-Münzenberg (siehe Philipp III. von Hanau-Münzenberg) Hanau-Münzenberg (siehe Reinhard V. von Hanau-Münzenberg) Hanau (Stadt) 156 Heilig-Geist-Spital (Frankfurt a. M.) 115 f. Heinrich III. von Frankreich 31, 117 Heisebeck (Wesertal) 101, 104 Henn, Hermann 87 Hergershausen (Babenhausen) 60, 172 Hesse, Heinrich zu Trendelburg 99 Hessen (Bundesland) 8, 16, 18 – 20, 23, 126 Hessen-Darmstadt (Landgrafschaft) 123 Hessen-Kassel (Landgrafschaft) 15, 68, 99 – 106, 123, 164 Hessen (Landgrafschaft) 15 f., 36, 64, 68, 99 – 107, 110 f., 113, 123, 126, 166, 168 Hessen-Marburg, Ludwig IV. von 111 Heuchelheim a. d. Lahn 96 f., 109, 162 Heusenstamm (Adelsgeschlecht) 35, 77 – 82, 150 Heusenstamm, Sebastian von 82 Heyl, Christopher (Speyerer Maler) 54 Höchst (Frankfurt a. M.) 43, 154, 184 Höchst, Katharina (Witwe v. Conrad Faber, Ehefrau v. Jakob Laßmann) 59, 61 Hoffmann, Elias (Frankfurter Maler) 16, 21, 35 f., 39, 41 – 43, 46 – 48, 50, 58, 60 f., 63 – 65, 184, 186, 188, 190 Hutten (Adelsgeschlecht) 1, 74 f. Hutten, Friedrich von 1, 74 f., 146 Isenburg (Adelsgeschlecht) Italien 3, 57
113, 166
Jäger, Hans „im Solling“ (Waldförster von Herzog Erich II. von Braunschweig-Lüneburg) 100 Jost, Peter 115 f. Kannengießer, Johann Nienover (Amtmann von Herzog Erich II. von BraunschweigLüneburg) 100 Keller, Casper 82, 85, 87 f. Kelsch, Philipp 95 Kelsterbach 43 Kesselstadt 82, 116, 156 Kinzenbach (Heuchelheim) 97 Klein-Rohrheim (Gernsheim) 51, 180 Knobloch, Heinrich 116 f. Königsberg (Amt) 108, 110 Königsberg (Burg) 94, 106, 168 Königstuhl 106 – 111 Korbach 62 Kraft, Adam 116 Krauß, Erhard 84 Krofdorf 95 – 98 Kurmainz 29, 42, 46, 48, 50 f., 64, 82 – 90, 112 f., 117, 121, 154, 158, 174, 180 Langwaden (Bensheim) 51 Laßmann, Jakob 59, 61, 64, 67, 83, 89 f. Laßmann, Philipp Jakob 61 Launsbach (Wettenberg) 97, 162 Lippoldsberg (Wesertal) 101, 104 f. Maier, Sebastian 84 Main (Fluss) 43, 114, 117, 156, 176 Mainz, Erzbistum (siehe Kurmainz) Marburg an der Lahn 94, 107, 112, 148 Margarethe (Tochter von Elias Hoffmann) 60 Mascop, Gottfried 14, 55 Mercator, Gerhard 56 Moers, Jost 36, 61 – 65, 102, 104 f., 178 Muffels, Valentin zu Uslar 100 Münster, Sebastian 56 Nassau-Siegen (Grafschaft) 112 Nassau-Weilburg (Grafschaft) 16, 35 f., 77, 82, 93 – 99, 106 – 111, 123, 150, 168 Neuengronau (Sinntal) 74, 146
Orts- und Personenregister
Nidda 47 Nidder (Fluss) 91 f. Niederdorfelden 90, 92, 160 Niederlande 20, 24, 57, 65 Nied (Frankfurt a. M.) 33, 48, 64, 154 Nordheim (Biblis) 51 Oberrad (Frankfurt a. M.) 43, 184 Oberursel 43 Offenbach 43 Offensen (Uslar) 104 Oppenheim 25, 28, 91, 166 Ortelius, Abraham 56 Philipp III. von Hanau-Münzenberg Polen 31, 117 Ptolemäus, Claudius 3 f., 13, 20
Sinn (Fluss) 74, 146 Sinntal 74, 146 Solms (Grafschaft) 16, 35 f., 46, 53 f., 77, 81 f., 106 – 108, 110 f., 113, 130, 150, 168, 182 Solms (siehe Reinhard von Solms) Solms-Laubach (siehe Christian August von) Speyer 54, 72 Spitzenberg (siehe Königstuhl) Steinau a. d. Straße 25, 82 – 85, 158 Stockhausen 103, 164 Tiber (Fluss)
82
Rebstock (Hof bei Frankfurt a. M.) 21, 43 – 45, 48 f. Reinhard V. von Hanau-Münzenberg 82 Reinhard von Solms (1491 – 1562) 82, 108, 130 Rendel 90 – 92 Rhein (Fluss) 26, 166, 180 Rieneck 42 Rodau 51, 180 Rodheim (Biebertal) 97, 109 Ruhlkirchen (Antrifttal) 111 f., 174 Sachsenhausen 114, 176 Salmünster 83, 158 Salzböden (Lollar) 94, 97 Sassoferrato, Bartolus de 11 Schwanheim (Bensheim) 51 Schwanheim (Frankfurt a. M.) 43 Schwarzenfels (Sinntal) 74 f., 146 Seckbach (Frankfurt a. M.) 114 – 116, 119 Seidenroth (Steinau a. d. Straße) 85, 88 Selbach, Diether 84 Sindlingen (Frankfurt a. M.) 43, 186
193
11
Uffenbach, Philipp
60
Verliehausen (Uslar) 103, 164 Völckern, Johann 116 Waldeck (Grafschaft) 61 f., 64 Waldgirmes (Lahnau) 107, 111 Wattenheim 51, 180 Weiffenbach, Baptista 108 Weijß, Crafft 87 Weser (Fluss) 100, 103, 164 Westfalen (Herzogtum) 112 Wetzlar 107, 111 Windecken 92 Wirich, Heinrich 65 Wißmar (Wettenberg) 96 Wolff, Sebastian (Frankfurter Maler) 39, 60, 63 f. Wolffs, Hermann zu Moorigen (Amtmann von Herzog Erich II. von Braunschweig-Lüneburg) 63, 100 Wurzen (Stadt) 61 Zimmermann, Hans 116 Zufall, Valentin zu Uslar 100 Zwengel, Johann 64, 84
bibliothek altes Reich – baR herausgegeben von Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal Als ein innovatives, langfristig angelegtes Forum für Veröffentlichungen zur Geschichte des Alten Reichs setzt sich die „bibliothek altes Reich – baR“ folgende Ziele: ‒ ‒ ‒ ‒
Anregung zur inhaltlichen und methodischen Neuausrichtung der Erforschung des Alten Reichs Bündelung der Forschungsdiskussion Popularisierung von Fachwissen Institutionelle Unabhängigkeit
Inhaltliche und methodische Neuausrichtung An erster Stelle ist die Gründung der Reihe „bibliothek altes Reich – baR“ als Impuls für die interdisziplinäre Behandlung der Reichsgeschichte und deren Verknüpfung mit neuen methodischen Ansätzen konzipiert. Innovative methodische Ansätze, etwa aus der Anthropologie, der Geschlechtergeschichte, den Kulturwissenschaften oder der Kommunikationsforschung, wurden in den letzten Jahren zwar mit Gewinn für die Untersuchung verschiedenster Teilaspekte der Geschichte des Alten Reichs genutzt, aber vergleichsweise selten auf das Alte Reich als einen einheitlichen Herrschafts-, Rechts-, Sozial- und Kulturraum bezogen. Die Reihe „bibliothek altes Reich – baR“ ist daher als Forum für Veröffentlichungen gedacht, deren Gegenstand bei unterschiedlichsten methodischen Zugängen und thematischen Schwerpunktsetzungen das Alte Reich als Gesamtzusammenhang ist bzw. auf dieses bezogen bleibt.
Bündelung der Forschung Durch die ausschließlich auf die Geschichte des Alten Reichs ausgerichtete Reihe soll das Gewicht des Alten Reichs in der historischen Forschung gestärkt werden. Ein zentrales Anliegen ist die Zusammenführung von Forschungsergebnissen aus unterschiedlichen historischen Sub- und Nachbardisziplinen wie zum Beispiel der Kunstgeschichte, der Kirchengeschichte, der Wirtschaftsgeschichte, der Geschichte der Juden, der Landes- und der Rechtsgeschichte sowie den Politik-, Literatur- und Kulturwissenschaften.
Popularisierung von Fachwissen Die „bibliothek altes Reich – baR“ sieht es auch als ihre Aufgabe an, einen Beitrag zur Wissenspopularisierung zu leisten. Ziel ist es, kurze Wege zwischen wissenschaftlicher Innovation und deren Vermittlung herzustellen. Neben primär an das engere Fachpublikum adressierten Monographien, Sammelbänden und Quelleneditionen publiziert die Reihe „bibliothek altes Reich – baR“ als zweites Standbein auch Bände, die in Anlehnung an das angelsächsische textbook der Systematisierung und Popularisierung vorhandener Wissensbestände dienen. Den Studierenden soll ein möglichst rascher und unmittelbarer Zugang zu Forschungsstand und Forschungskontroversen ermöglicht werden.
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bibliothek altes Reich – baR
Institutionelle Unabhängigkeit Zur wissenschaftsorganisatorischen Positionierung der Reihe: Die „bibliothek altes Reich – baR“ versteht sich als ein grundsätzlich institutionsunabhängiges Unternehmen. Unabhängigkeit strebt die „bibliothek altes Reich – baR“ auch in personeller Hinsicht an. Über die Annahme von Manuskripten entscheiden die Herausgeber nicht alleine, sondern auf der Grundlage eines transparenten, nachvollziehbaren peer-review Verfahrens, das in der deutschen Wissenschaft vielfach eingefordert wird. Band : Lesebuch Altes Reich Herausgegeben von Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal . VIII, S. Abb. mit einem ausführlichen Glossar. ISBN ----
Band : Siegrid Westphal, Inken Schmidt-Voges, Anette Baumann Venus und Vulcanus Ehen und ihre Konflikte in der Frühen Neuzeit . S. ISBN ----
Band : Wolfgang Burgdorf Ein Weltbild verliert seine Welt Der Untergang des Alten Reiches und die Generation . Aufl. . VIII, S. ISBN ----
Band : Kaiser und Reich in der jüdischen Lokalgeschichte Herausgegeben von Stefan Ehrenpreis, Andreas Gotzmann und Stephan Wendehorst . S. ISBN ----
Band : Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im Römisch-Deutschen Reich. Herausgegeben von Anja Amend, Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Steffen Wunderlich . S. ISBN ---- Band : Ralf-Peter Fuchs Ein ,Medium zum Frieden‘ Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges . X. S. ISBN ---- Band : Die Anatomie frühneuzeitlicher Imperien Herrschaftsmanagement jenseits von Staat und Nation Herausgegeben von Stephan Wendehorst . S. ISBN ----
Band : Pax perpetua Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit Herausgegeben von Inken Schmidt-Voges, Siegrid Westphal, Volker Arnke und Tobias Bartke . S. Abb., ISBN ---- Band : Alexander Jendorff Der Tod des Tyrannen Geschichte und Rezeption der Causa Barthold von Wintzingerode . VIII. S. ISBN ---- Band : Thomas Lau Unruhige Städte Die Stadt, das Reich und die Reichsstadt ( – ) . S. ISBN ----
bibliothek altes Reich – baR
Band : Die höchsten Reichsgerichte als mediales Ereignis Herausgegeben von Anja Amend-Traut, Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Steffen Wunderlich . S. ISBN ---- Band : Hendrikje Carius Recht durch Eigentum Frauen vor dem Jenaer Hofgericht (– ) . S. Abb., ISBN ----
197
vom . bis . Jahrhundert . ISBN ---- Band : Inken Schmidt-Voges Mikropolitiken des Friedens Semantiken und Praktiken des Hausfriedens im . Jahrhundert . S. ISBN ---- Band : Frank Kleinehagenbrock Das Reich der Konfessionsparteien Konfession als Argument in politischen und gesellschaftlichen Konflikten nach dem Westfälischen Frieden . ISBN ----
Band : Stefanie Freyer Der Weimarer Hof um Eine Sozialgeschichte jenseits des Mythos Band : . S., Abb., ISBN ---- Anette Baumann, Joachim Kemper (Hrsg.) Speyer als Hauptstadt des Reiches Band : Politik und Justiz zwischen Reich und Dagmar Freist Territorium im . und . Jahrhundert Glaube – Liebe – Zwietracht . S. ISBN ---- Konfessionell gemischte Ehen in Deutschland in der Frühen Neuzeit Band : . ISBN ---- Marina Stalljohann-Schemme Stadt und Stadtbild in der Frühen Neuzeit Band : Frankfurt am Main als kulturelles Zentrum im Anette Baumann, Alexander Jendorff (Hrsg.) publizistischen Diskurs Adel, Recht und Gerichtsbarkeit im frühneu- . S. ISBN ---- zeitlichen Europa . S. ISBN ---- Band : Annette C. Cremer, Anette Baumann, Eva Band : Bender (Hrsg.) André Griemert Prinzessinnen unterwegs Jüdische Klagen gegen Reichsadelige Reisen fürstlicher Frauen in der Frühen Prozesse am Reichshofrat in den Neuzeit Herrschaftsjahren . S. ISBN ---- Rudolfs II. und Franz I. Stephan . S. ISBN ---- Band : Fabian Schulze Band : Die Reichskreise im Dreißigjährigen Krieg Alexander Denzler, Ellen Franke, Britta Kriegsfinanzierung und Bündnispolitik im Schneider (Hrsg.) Heiligen Römischen Reich deutscher Nation . S. ISBN ---- Prozessakten, Parteien, Partikularinteressen Höchstgerichtsbarkeit in der Mitte Europas
198
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Band : Anette Baumann Visitationen am Reichskammergericht. Speyer als politischer und juristischer Aktionsraum des Reiches ( – ) . S. ISBN ---- Band : Volker Arnke „Vom Frieden“ im Dreißigjährigen Krieg. Nicolaus Schaffshausens „De Pace“ und der positive Frieden in der Politiktheorie . S. ISBN ---- Band : Berndt Strobach Der Hofjude Berend Lehmann ( – ). Eine Biografie . S. ISBN ---- Band : Stefanie Freyer, Siegrid Westphal (Hrsg.) Wissen und Strategien frühneuzeitlicher Diplomatie. . S. ISBN ---- Band : Jürgen Brand Clemens Wilhelm Adolph Hardung ( – ). Ein letzter Verteidiger des Reiches. Mit einem Faksimile seiner „Staatsrechtlichen Untersuchungen“ aus dem Jahre . S. ISBN ---- Band : Anette Baumann, Sabine Schmolinsky, Evelien Timpener (Hrsg.) Raum und Recht. Visualisierung von Rechtsansprüchen in der Vormoderne. . S. ISBN ---- Band : Christoph Nonnast Sachsen-Altenburg auf dem Westfälischen
Friedenskongress. . Ca. S. ISBN ---- Band : Stefan Seitschek, Sandra Hertel (Hrsg.) Herrschaft und Repräsentation in der Habsburgermonarchie ( – ). Die kaiserliche Familie, die habsburgischen Länder und das Reich. . S. ISBN ---- Band : Anna Lingnau Lektürekanon eines Fürstendieners. Die Privatbibliothek des Friedrich Rudolf von Canitz ( – ). . Ca. S. ISBN ---- Band : Astrid Ackermann, Markus Meumann, Julia Schmidt-Funke, Siegrid Westphal (Hrsg.) Mitten in Deutschland, mitten im Krieg. Bewältigungspraktiken und Handlungsoptionen im Dreißigjährigen Krieg. . Ca. S. ISBN ---- Band : Astrid Ackermann Herzog Bernhard von Weimar. Ein Militärunternehmer und politischer Stratege im Dreißigjährigen Krieg. . Ca. S. ISBN ---- Band : Volker Arnke, Siegrid Westphal (Hrsg.) Der schwierige Weg zum Westfälischen Frieden. Wendepunkte, Friedensversuche und die Rolle der „Dritten Partei“. . S. ISBN ---- Band : Avraham Siluk Die Juden im politischen System des Alten Reichs. Jüdische Politik und ihre Organisation im Zeitalter der Reichsreform. . S. ISBN ----